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30,5 mm

Pharmakologie kompakt
Pharmakologie kompakt
Aktuell Für Studierende
durch Berücksichtigung der neu auf den die zuverlässige Quelle zum Erwerb des
Markt gekommenen Wirkstoffe sowie prüfungsrelevanten pharmakologischen,
neuer Studienergebnisse altbewährter klinisch-pharmakologischen sowie
Substanzen. toxikologischen Wissens.

Benutzerfreundlich Für im Beruf Stehende


durch einheitliche Kapitel-Gliederung, die Möglichkeit, sich rasch und um-
übersichtliche Tabellen, schlüssige fassend über die heutigen Möglichkeiten
Erklärungen sowie verständliche und Grenzen der Pharmakotherapie zu
Sprache. informieren.

Kritisch Der Leserkreis


durch objektive Medikamentenbewer- Insbesondere Studierende der Medizin
tung anhand evidenzbasierter Medizin und Pharmazie sowie Allgemeinärzte,
sowie der Leitlinien der medizinischen Internisten und Apotheker, ferner Mutschler / Geisslinger / Menzel / Ruth / Schmidtko
Fachgesellschaften. Studierende der Zahnmedizin und Natur-
wissenschaften, Zahnärzte, Biologen,

Pharmakologie
Biochemiker, Chemiker und Psychologen.

Mutschler / Geisslinger / Menzel / Ruth / Schmidtko


Pharmakologie kompakt – Allgemeine und Klinische Pharmakologie, Toxikologie
kompakt
Menzel / Ruth / Schmidtko
Mutschler / Geisslinger /
Allgemeine und Klinische
Pharmakologie, Toxikologie

ISBN 978-3-8047-3551-4

www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Pharmakologie kompakt
Pharmakologie
kompakt
Allgemeine und Klinische Pharmakologie,
Toxikologie
Ernst Mutschler, Frankfurt/Main
Gerd Geisslinger, Frankfurt/Main
Sabine Menzel, Bad Soden
Peter Ruth, Tübingen
Achim Schmidtko, Frankfurt/Main

Mit 61 Abbildungen und 99 Tabellen


Zuschriften an
lektorat@dav-medien.de

Anschrift der Autoren


Prof. Dr. Dr. Drs. h. c. Ernst Mutschler Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Peter Ruth
Johann Wolfgang Goethe-Universität Pharmakologie, Toxikologie und
Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaftler Klinische Pharmazie
Max-von-Laue-Str. 9 Institut für Pharmazie
60438 Frankfurt/Main Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Auf der Morgenstelle 8
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Gerd Geisslinger
72076 Tübingen
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Institut für Klinische Pharmakologie
Prof. Dr. med. Dr. phil. nat. Achim Schmidtko
Theodor-Stern-Kai 7
Johann Wolfgang Goethe-Universität
60590 Frankfurt/Main
Pharmakologisches Institut für Naturwissen-
Dr. rer. nat. Sabine Menzel schaftler
Apothekerin Max-von-Laue-Str. 9
65812 Bad Soden 60438 Frankfurt/Main

Alle Angaben in diesem Werk wurden sorgfältig geprüft.


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Das gilt insbesondere für Übersetzungen, Nachdrucke, Mikroverfilmungen oder vergleichbare Verfahren
sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen.

1. Auflage
ISBN 978-3-8047-3551-4 (Print)
ISBN 978-3-8047-3594-1 (E-Book, PDF)
ISBN 978-3-8047-3595-8 (E-Book, EPUB)

© 2016 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart


Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Printed in Germany

Satz: abavo GmbH, Buchloe


Druck und Bindung: Kösel, Krugzell
Umschlagabbildung: Agri Cola
Umschlaggestaltung: deblik, Berlin
Indexer: Ines Reinhardt, Dr. Angelika Fallert-Müller, verantwortlich: Walter Greulich, Publishing and more
Grafiken: Dr. Eltahmash Israr für Agonist media, Frankfurt/M. Bearbeitungen von Angelika Kramer auf
Grundlage des Grafikkonzepts von Dr. E. Israr
Vorwort V

Vorwort
Das für das Fachgebiet Pharmakologie relevante der evidenzbasierten Medizin und der aktuellen
Wissen hat sich in den letzten Jahren infolge vie- Leitlinien klinischer Fachgesellschaften die kri-
ler innovativer Neueinführungen von Arznei- tische Wertung des Arzneimittelschatzes auf ak-
mitteln, aber auch wegen zusätzlicher Erfahrun- tuellem Stand.
gen mit altbewährten Substanzen sowie der Auf- Es war und ist unsere Intention, mit diesem
klärung von Wirkungsmechanismen rasant ver- Kompendium den Studierenden den Zugang zu
mehrt. Dementsprechend wurde der Umfang den pharmakologischen Grundlagen und zur
der pharmakologischen Lehrbücher immer grö- praktischen Pharmakotherapie zu erleichtern
ßer und die Studierenden der Medizin und sowie den im Beruf Stehenden, insbesondere
Pharmazie fragen unseres Erachtens zurecht, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und
was davon in Bezug auf die Staatsexamina und Apothekern, die Möglichkeit zu bieten, im Rah-
berufliche Tätigkeit wirklich wichtig ist. Hier- men der eigenen Fort- und Weiterbildung das
mit übereinstimmend ergab eine Umfrage bei erforderliche Wissen der Pharmakotherapie
Studierenden der Medizin und Pharmazie, dass rasch aufzufrischen. Bewusst verzichteten wir
die Medizinstudierenden mehrheitlich ein dabei auf Strukturformeln und weiterführende
Kompakt-Lehrbuch bevorzugen, während sich Literatur, bei den Handelspräparaten wurde in
die meisten Pharmaziestudierenden sowohl ein der Regel nur das Erstanbieterprodukt genannt.
kompaktes als auch ein ausführliches Pharma- Wir sind davon überzeugt, dass mit diesem
kologie-Lehrbuch wünschen. Aufgrund dieser Kompaktlehrbuch sowohl eine effektive Vorbe-
klaren Aussagen und Erwartungen unseres Le- reitung auf die medizinischen und pharmazeuti-
serkreises entschlossen wir uns – zusätzlich zu schen Staatsexamina möglich ist, als auch phar-
unserem „großen“ Lehrbuch und auf dessen Ba- makologische Therapieentscheidungen in der
sis – zu einer Kompaktversion mit dem Ziel, das Praxis evidenzbasiert getroffen bzw. nachvollzo-
relevante Wissen der allgemeinen und klini- gen werden können.
schen Pharmakologie sowie der Toxikologie Erneut haben wir dem Verlag – und hier be-
knapp und übersichtlich zusammenzufassen. sonders Herrn Dr. Eberhard Scholz, Frau Luise
Besonderen Wert legten wir dabei wiederum Keller und Herrn Reiner Blankenhorn – für die
auf ein schlüssiges didaktisches Konzept, klaren sehr fruchtbare und vertrauensvolle Zusam-
Duktus, einheitliche Gliederung der Kapitel, menarbeit zu danken.
prägnante Darstellung und gute Verständlich- Über konstruktive Kritik aus dem Leserkreis
keit des Textes sowie unter Berücksichtigung würden wir uns freuen.

Frankfurt am Main und Ernst Mutschler,


Tübingen im Juni 2016 Gerd Geisslinger,
Sabine Menzel,
Peter Ruth,
Achim Schmidtko
Inhaltsverzeichnis VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V 2.8 Plasmakonzentrations-


Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Zeit-Verläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.9 Therapeutisches Drugmonitoring . . 25
1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2.10 Veränderungen der Pharmakokinetik
2 Pharmakokinetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
bei pathologischen Zuständen . . . . . 26
2.1 Stofftransport durch biologische 2.11 Pharmakokinetik im Alter . . . . . . . . . . . . 26
Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
2.1.1 Diffusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 Pharmakodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2.1.2 Membrantransport durch 3.1 Rezeptor-vermittelte Wirkungen. . . 28


Transportproteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3.1.1 Agonisten, Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . 30
2.1.2.1 Carrier-vermittelter Transport . . . . . . . . 4 3.1.2 Intrazelluläre und membranständige
2.1.2.2 Aktiver Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.1.2.3 Transportproteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3.1.2.1 Intrazelluläre Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . 32

2.2 Applikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3.1.2.2 Membranständige Rezeptoren . . . . . . . 32

2.3 Resorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.2 Transportproteine und Enzyme . . . . . 36


3.2.1 Pharmakawirkungen an
2.4 Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Transportern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.4.1 Proteinbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
3.2.2 Pharmakawirkungen an Enzymen . . . 37
2.4.2 Spezielle Verteilungsräume . . . . . . . . . . . 11
3.3 Dosis- bzw. Konzentrations-
2.5 Biotransformation
Wirkungs-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . 37
(Metabolisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.5.1 Phase-I-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.4 Struktur-Wirkungs-Beziehungen . . 39
2.5.1.1 Oxidationsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Unerwünschte
2.5.1.2 Reduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Arzneimittelwirkungen . . . . . . . . . . 41
2.5.1.3 Biohydrolysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
4.1 Arzneistoffspezifische, Dosis-
2.5.2 Phase-II-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
abhängige Nebenwirkungen . . . . . . . . 41
2.5.3 Induktion von Arzneistoff
transportierenden und 4.2 Arzneimittelallergien . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
metabolisierenden Proteinen . . . . . . . . 15
4.2.1 Antikörper-vermittelte
2.5.4 Enzyminhibition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Überempfindlichkeitsreaktionen . . . . 42
2.5.5 First-Pass-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
4.2.2 T-Lymphozyten-vermittelte
2.5.6 Bioaktivierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Überempfindlichkeitsreaktionen
vom Typ-IV (Spättyp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2.6 Ausscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.6.1 Ausscheidung über den 4.3 Pseudoallergische
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.6.2 Hepatische Ausscheidung . . . . . . . . . . . . . 17 4.4 Hämatologische Störungen durch
2.6.3 Ausscheidung über die Niere . . . . . . . . . 18 Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.6.4 Pulmonale Ausscheidung . . . . . . . . . . . . . 18 4.5 Beeinträchtigung der
2.7 Pharmakokinetische Parameter . . . . 19 Fahrtüchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
VIII Inhaltsverzeichnis

4.6 Nebenwirkungen in der 9 Arzneimittelentwicklung


Embryonal-, Fetal-, Postnatal- und -prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
und Stillperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
9.1 Präklinische Entwicklung . . . . . . . . . . . . 68
4.6.1 Teratogene Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
4.6.2 Sonstige Nebenwirkungen in der 9.2 Klinische Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 9.3 Placebo- und Nocebowirkungen . . . 71
4.6.3 Nebenwirkungen in der Postnatal- 9.4 Prüfungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
und Stillperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
9.5 Sprung-, Schritt- und
4.7 Arzneimittelabhängigkeit ........... 49 Scheininnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5 Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 9.6 Evidenzbasierte Medizin . . . . . . . . . . . . . 73
5.1 Pharmazeutische Interaktionen . . . . 50 9.7 Phytopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.2 Pharmakodynamische 10 Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) . . . . . . 76
5.3 Pharmakokinetische 10.1.1 Klassische Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . 80
Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
10.1.2 Atypische Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . 80
5.3.1 Interaktionen vor und während 10.1.3 Langzeit-Antipsychotika. . . . . . . . . . . . . . . 83
der Resorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
10.1.4 Strategie der Therapie von
5.3.2 Interaktionen beim epithelialen Schizophrenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
10.2 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5.3.3 Interaktionen bei der Verteilung. . . . . 53
10.2.1 Nichtselektive Wieder-
5.3.4 Interaktionen bei der
aufnahmehemmer und
Biotransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Rezeptorblocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5.3.5 Interaktionen bei der Ausscheidung 54
10.2.2 Selektive Monoamin-
5.3.6 Interaktionen mit Nahrungsstoffen . 54
Wiederaufnahmehemmer. . . . . . . . . . . . . 87
6 Pharmakogenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 10.2.3 Monoaminoxidase-Hemmer . . . . . . . . . 89
6.1 Pharmakogenetik des 10.2.4 Sonstige Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . 89
Arzneistoffmetabolismus ............ 56 10.2.5 Anwendungskriterien der
6.2 Pharmakogenetisch bedingte Antidepressiva. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 10.3 Stimmungsstabilisierer,


Phasenprophylaktika . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
7 Gen-, Antisense- und
Stammzelltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . 60 10.4 Pharmaka zur Behandlung von
Angststörungen (Anxiolytika) . . . . . . . 93
7.1 Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
10.5 Psychostimulanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
7.2 Antisense-Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
10.5.1 Pharmaka zur Therapie von ADHS . . . . 94
7.3 Genregulation durch miRNAs und 10.5.2 Pharmaka zur Therapie der
siRNAs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Narkolepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
7.4 Stammzelltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 10.5.3 Coffein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

8 Arzneistoffkombinationen . . . . . . 64 10.6 Pharmaka zur Behandlung von


Demenzen („Antidementiva“) . . . . . . 96
8.1 Sinnvolle fixe Kombinationen . . . . . . 64
10.6.1 Zentral wirksame
8.2 Fragwürdige Kombinationen. . . . . . . . 65 Cholinesterasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Inhaltsverzeichnis IX

10.6.2 NMDA-Antagonisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 12.1.9 Therapie der Migräne .................. 129


10.6.3 Nootropika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 12.1.9.1 Therapie der akuten
10.6.4 Ginkgo biloba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Migräneattacke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
10.6.5 Radikalfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 12.1.9.2 Migräneprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

10.7 Cannabis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 12.2 Erkrankungen des rheumatischen


Formenkreises und ihre Therapie . . 132
11 Hypnotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12.2.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika
11.1 Physiologische Grundlagen. . . . . . . . . . 100 (NSAIDs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
11.2 Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 12.2.2 Glucocorticoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
11.3 Pharmaka zur Therapie von 12.2.3 Basistherapeutika (Disease
Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 modifying antirheumatic drugs,
11.3.1 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 DMARDs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
11.3.2 Benzodiazepin-Analoga. . . . . . . . . . . . . . . 105 12.2.3.1 Immunsuppressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
11.3.3 H1-Antihistaminika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 12.2.3.2 Immunbiologika („Biologicals“) . . . . . 138
11.3.4 Sonstige Hypnotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 12.2.4 Knorpeldegeneration-hemmende
Stoffe („Chondroprotektiva“) . . . . . . . . . 143
11.4 Anwendungskriterien von
12.2.5 Nichtsteroidale Antiphlogistika zur
Hypnotika bei Insomnie . . . . . . . . . . . . . . 107
lokalen Applikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
12 Analgetika, Antirheumatika . . . . 109 12.2.6 Differenzialtherapeutischer
12.1 Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Einsatz von Antirheumatika bei
12.1.1 Schmerzentstehung und entzündlichen rheumatischen
-verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
12.1.2 Prinzipien der Schmerztherapie. . . . . . 110 12.2.7 Hyperurikämie und Gicht . . . . . . . . . . . . . 146
12.1.3 Nichtopioide Analgetika der 12.2.7.1 Therapie des akuten Gichtanfalls . . . . 147
WHO-Stufe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 12.2.7.2 Therapie des symptomfreien Inter-
12.1.3.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika valls und der chronischen Gicht . . . . . 147
(NSAIDs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
13 Lokalanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
12.1.3.2 Nicht saure antipyretische
13.1 Lokalanästhetika vom
Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Säureamidtyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
12.1.3.3 Sonstige nichtopioide Analgetika . . . . 118
12.1.4 Analgetische 13.2 Lokalanästhetika vom
Kombinationspräparate . . . . . . . . . . . . . . . 119 Estertyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
12.1.5 Opioid-Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 14 Allgemeinanästhetika
12.1.5.1 Pharmakologische Einteilung der (Narkosemittel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Opioid-Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
14.1 Injektionsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . 155
12.1.5.2 Schwach wirksame Opioide der
14.1.1 Thiopental . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
WHO Stufe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
14.1.2 Etomidat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
12.1.5.3 Stark wirksame Opioide der
14.1.3 Propofol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
WHO Stufe 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
14.1.4 Ketamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
12.1.6 Dronabinol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
14.1.5 4-Hydroxybuttersäure . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
12.1.7 Antitussiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
14.1.6 Opioide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
12.1.8 Therapie neuropathischer
14.1.7 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
X Inhaltsverzeichnis

14.2 Inhalationsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . 159 17.2.4 Dopaminerge Agonisten . . . . . . . . . . . . . . . 182


14.2.1 Lachgas (Distickstoffoxid) . . . . . . . . . . . . . 160 17.2.4.1 Non-Ergot-Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
14.2.2 Halogenierte Kohlenwasserstoffe. . . . 160 17.2.4.2 Ergot-Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
14.2.3 Halogenierte Ether . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 17.2.5 Zentral wirksame Anticholinergika . . 184
14.3 Besondere Narkoseverfahren . . . . . . . 161 17.2.6 Amantadin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
17.2.7 Budipin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
15 Muskelrelaxanzien . . . . . . . . . . . . . . . . 162
17.3 Strategie der Pharmakotherapie
15.1 Peripher angreifende des idiopathischen Parkinson-
Muskelrelaxanzien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Syndroms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
15.1.1 Nichtdepolarisierende (stabili-
17.4 Pharmaka gegen Spätdyskinesien
sierende) Muskelrelaxanzien . . . . . . . . . 163
und hyperkinetische
15.1.2 Depolarisierende Bewegungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Muskelrelaxanzien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 17.4.1 Tiaprid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
15.1.3 Dantrolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 17.4.2 Tetrabenazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
15.1.4 Clostridium-botulinum-Toxin. . . . . . . . 164
18 Antiemetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
15.2 Zentral angreifende
Muskelrelaxanzien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 18.1 Pathophysiologische
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
16 Antikonvulsiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
18.2 Antiemetisch wirkende
16.1 Pathophysiologische und klinische Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Grundlagen der Epilepsien . . . . . . . . . . 166 18.2.1 Antihistaminika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) . . . . . 167 18.2.2 Calciumantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
16.2.1 Vorwiegend Natriumkanäle 18.2.3 Antipsychotika und Prokinetika . . . . . . 188
blockierende Antikonvulsiva . . . . . . . . . 167 18.2.4 5-HT3-Antagonisten (Setrone) . . . . . . . 189
16.2.2 Vorwiegend Calciumkanäle 18.2.5 Neurokinin-1-(NK1-)
blockierende Antikonvulsiva . . . . . . . . . 172 Rezeptorantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
16.2.3 Vorwiegend die Wirkung von GABA
19 Am Sympathikus angreifende
verstärkende Antikonvulsiva. . . . . . . . . . 173
Stoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
16.2.4 Antikonvulsiva mit weiteren
Wirkungsmechanismen. . . . . . . . . . . . . . . . 174 19.1 Noradrenalin und Adrenalin . . . . . . . . 194

16.3 Strategien der Pharmakotherapie 19.2 Direkte Sympathomimetika. . . . . . . . . . 195


der Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 19.2.1 α-Adrenozeptor-Agonisten . . . . . . . . . . . 195
19.2.2 α,β-Adrenozeptor-Agonisten . . . . . . . . 196
17 Antiparkinsonmittel . . . . . . . . . . . . . . 177
19.2.3 β-Adrenozeptor-Agonisten . . . . . . . . . . . 196
17.1 Pathophysiologische Grundlagen . . 177
19.3 Indirekte Sympathomimetika . . . . . . . 196
17.2 Antiparkinsonmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
19.4 Sympatholytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
17.2.1 Levodopa (l-Dopa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
19.4.1 α1-Adrenozeptor-Antagonisten. . . . . . 197
17.2.2 COMT-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
19.4.2 β-Adrenozeptor-Antagonisten . . . . . . . 198
17.2.3 MAO-B-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
19.5 Antisympathotonika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
17.2.3.1 Selegilin, Rasagilin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
19.5.1 α2-Adrenozeptor-Agonisten . . . . . . . . . . 201
17.2.3.2 Safinamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
19.5.2 Reserpin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Inhaltsverzeichnis XI

20 Am Parasympathikus 21.4 Die Calciumhomöostase


angreifende Stoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . 202 beeinflussende Hormone und
Therapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
20.1 Parasympathomimetika . . . . . . . . . . . . . . 204
21.4.1 Parathyrin (Parathormon) . . . . . . . . . . . . . 221
20.1.1 Muscarinrezeptor-Agonisten . . . . . . . . . 204
21.4.1.1 Hypoparathyreoidismus und seine
20.1.2 Cholinesterasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
20.2 Parasympatholytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 21.4.1.2 Hyperparathyreoidismus
20.2.1 Tertiäre Aminoverbindungen . . . . . . . . . 205 und seine Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
20.2.2 Quartäre 21.4.2 Calcitonin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Ammoniumverbindungen . . . . . . . . . . . . 207 21.4.3 Osteoporose, Prophylaxe und
20.3 Muskulotrope Spasmolytika . . . . . . . . . 207 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
21.4.3.1 Bisphosphonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
21 Hormone und am
21.4.3.2 Denosumab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
hormonellen System
21.4.3.3 Strontiumranelat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
angreifende Pharmaka . . . . . . . . . . 208
21.4.3.4 Teriparatid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
21.1 Hypothalamushormone . . . . . . . . . . . . . . 208
21.4.3.5 Fluorid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
21.2 Hypophysenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 21.4.3.6 Strategie der Osteoporose-
21.2.1 Hypophysenvorderlappenhormone prophylaxe und -therapie . . . . . . . . . . . . 229
(HVL-Hormone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
21.5 Pankreashormone und
21.2.1.1 Thyrotropin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Blutzuckerregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
21.2.1.2 Corticotropin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 21.5.1 Insulin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
21.2.1.3 Gonadotropine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 21.5.2 Glucagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
21.2.1.4 Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 21.5.3 Regulation des Blutzuckerspiegels . . 232
21.2.1.5 Somatropin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
21.6 Pharmaka zur Therapie des
21.2.1.6 Funktionsstörungen der
Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Adenohypophyse und ihre
21.6.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 233
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
21.6.2 Therapeutisch angewandte
21.2.2 Hypophysenhinterlappenhormone
Insuline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
(HHL-Hormone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
21.6.3 Metformin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
21.2.2.1 Adiuretin und Analoga. . . . . . . . . . . . . . . . . 213
21.6.4 Insulinotrope Antidiabetika . . . . . . . . . . 239
21.2.2.2 Oxytocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
21.6.4.1 Sulfonylharnstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
21.3 Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . 214 21.6.4.2 Glinide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
21.3.1 Levothyroxin, Triiodthyronin. . . . . . . . . . 214 21.6.4.3 Inkretinwirkungen imitierende
21.3.2 Strumaprophylaxe und -therapie . . . 215 oder verstärkende Antidiabetika. . . . . 241
21.3.3 Hypothyreosen und ihre Therapie . . . 216 21.6.5 SGLT2-Inhibitoren, Gliflozine . . . . . . . . 243
21.3.3.1 Substitutionstherapie mit 21.6.6 α-Glucosidase-Inhibitoren . . . . . . . . . . . 244
Levothyroxin bzw. Triiodthyronin . . . . 216 21.6.7 Pioglitazon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
21.3.4 Hyperthyreosen und ihre Therapie . . 217 21.6.8 Strategien der Therapie des
21.3.4.1 Thyreostatika und Radioiod. . . . . . . . . . . 218 Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
21.3.4.2 Strategie der Therapie von
21.7 Hormone der Nebennierenrinde . . . 247
Hyperthyreosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
21.7.1 Glucocorticoide als Arzneistoffe. . . . . . 248
21.7.2 Mineralocorticoide als
Arzneistoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
XII Inhaltsverzeichnis

21.7.3 Therapie von Funktionsstörungen 22.3.1.2 Prostacyclin und Derivate ............. 280
der Nebenniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 22.3.1.3 Cyclooxygenase-Hemmer ............. 280

21.8 Sexualhormone und davon 22.3.2 Substanzen des


abgeleitete Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Lipoxygenase-Wegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
21.8.1 GnRH, GnRH-Analoga und GnRH- 22.3.2.1 Leukotrienrezeptor-Antagonisten . . . 281

Antagonisten als Arzneistoffe . . . . . . . . 253 22.3.2.2 Lipoxygenasehemmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

21.8.2 Gonadotropine als Pharmaka . . . . . . . . 254 22.4 Kinine .................................... 281


21.8.3 Männliche Sexualhormone und
23 Herz-Kreislauf-Pharmaka. . . . . . . 282
Analoga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
21.8.3.1 Androgenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 23.1 Blut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
21.8.3.2 Androgene als Arzneistoffe . . . . . . . . . . . 257 23.1.1 Anämien und Antianämika . . . . . . . . . . . 282
21.8.3.3 Anabolika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 23.1.1.1 Eisenmangelanämien. . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
21.8.3.4 Androgenrezeptor-Antagonisten 23.1.1.2 Erythropoetinmangel-Anämie
(Antiandrogene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (renale Anämie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
21.8.3.5 5α-Reduktasehemmer. . . . . . . . . . . . . . . . . 258 23.1.1.3 Makrozytäre Anämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
21.8.3.6 Androgen-Biosynthese-Inhibitor . . . 259 23.1.2 Plasmaersatzflüssigkeiten. . . . . . . . . . . . . 286
21.8.4 Weibliche Sexualhormone . . . . . . . . . . . . 259 23.1.2.1 Homologe Plasmapräparate . . . . . . . . . . 286
21.8.4.1 Estrogene, SERM und Antiestrogene 259 23.1.2.2 Körperfremde kolloidale
21.8.4.2 Gestagene und Antigestagene. . . . . . . . 263 Plasmaersatzmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
21.8.5 Der ovarielle Zyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 23.1.3 Hämostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
21.8.6 Hormonelle Kontrazeption . . . . . . . . . . . . 266 23.1.3.1 Hämostase fördernde Stoffe . . . . . . . . . . 288
21.8.7 Hormonersatztherapie in der 23.1.3.2 Thrombozytenfunktionshemmer . . . . 290
Postmenopause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 23.1.3.3 Blutgerinnungshemmende Stoffe
21.8.8 Uteruswirksame Substanzen . . . . . . . . . . 272 (Antikoagulanzien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
21.8.8.1 Oxytocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 23.1.3.4 Fibrinolytika (Thrombolytika) . . . . . . . . . 301
21.8.8.2 Carbetocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 23.1.3.5 Antifibrinolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
21.8.8.3 Prostaglandin-Derivate. . . . . . . . . . . . . . . . 273 23.2 Gefäßsystem und Kreislauf . . . . . . . . . . 303
21.8.8.4 Methylergometrin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 23.2.1 Hyperlipoproteinämien
21.8.8.5 Tokolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (Hyperlipidämien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
23.2.1.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 303
22 Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
23.2.1.2 Lipidsenker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
22.1 Histamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 23.2.2 Hypertonie und Antihypertonika . . . . 307
22.1.1 H1-Antihistaminika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 23.2.2.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 307
22.1.1.1 Therapie der allergischen Rhinitis
23.2.2.2 Therapeutische Maßnahmen bei
und Konjunktivitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
22.1.2 H2-Antihistaminika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 23.2.2.3 Therapie hypertensiver Notfälle. . . . . . 315
22.2 Serotonin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 23.2.2.4 Hochdrucktherapie in
22.3 Eicosanoide (Prostaglandine, Schwangerschaft und Stillzeit . . . . . . . . 316
Thromboxan A2, Prostacyclin, 23.2.2.5 Hochdrucktherapie bei Diabetikern . 316
Leukotriene). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 23.2.2.6 Strategie der
22.3.1 Substanzen des Hypertoniebehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . 316
Cyclooxygenase-Wegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 23.2.3 Therapie der pulmonalen
22.3.1.1 Prostaglandine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Inhaltsverzeichnis XIII

23.2.4 Hypotonie, orthostatische 24.1.2 Therapie der COPD (chronisch


Dysregulation und Antihypotonika . . 318 obstruktiven Lungenerkrankung) . . . . 357
23.2.5 Medikamentöse Schocktherapie . . . . . 319 24.2 Restriktive Ventilationsstörungen . 360
23.2.6 Therapie arterieller 24.2.1 Therapie der Lungenfibrose . . . . . . . . . . . 360
Durchblutungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 321
24.3 Therapie der allergischen Rhinitis . 360
23.2.6.1 Periphere Durchblutungsstörungen 321
23.2.6.2 Medikamentöse Behandlung 24.4 Expektoranzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
zerebraler Durchblutungsstörungen 322 24.5 Surfactant ............................... 362
23.2.7 Venenerkrankungen und 24.6 Therapie von Infektionen mit dem
Venentherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Respiratory-Syncytial-Virus . . . . . . . . . 362
23.2.8 Erektionsfördernde Pharmaka . . . . . . . 324
24.7 Therapie der Mukoviszidose . . . . . . . . . 363
23.3 Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
25 Magen-Darm-Mittel . . . . . . . . . . . . . . 365
23.3.1 Koronare Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . 325
23.3.1.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 325 25.1 Gastroduodenale Ulkus-
23.3.1.2 Koronartherapeutika und gastroösophageale
(Antianginosa). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Refluxkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
23.3.1.3 Therapie des akuten 25.1.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 365
Koronarsyndroms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 25.1.2 Pharmaka zur Therapie der Ulkus-
23.3.1.4 Sekundärprophylaxe der koronaren und Refluxkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Herzkrankheit (KHK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 25.1.2.1 H+/K+-ATPase-Blocker
23.3.2 Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (Protonenpumpeninhibitoren, PPI) . 366
23.3.2.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 332 25.1.2.2 H2-Antihistaminika (H2-Blocker,
23.3.2.2 Therapie der Herzinsuffizienz . . . . . . . . 335 H2-Rezeptorantagonisten) . . . . . . . . . . . . 368
23.3.2.3 Behandlung von Herzrhythmus- 25.1.2.3 Antazida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
störungen bei Herzinsuffizienz. . . . . . . 341 25.1.2.4 Sucralfat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
23.3.3 Herzrhythmusstörungen und 25.1.2.5 Prostaglandin-E-Derivate. . . . . . . . . . . . . 370
Antiarrhythmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 25.1.2.6 Parasympatholytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
23.3.3.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 342 25.1.2.7 Eradikationstherapie von
23.3.3.2 Antiarrhythmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Helicobacter pylori (HP) . . . . . . . . . . . . . . . . 371
23.3.3.3 Strategie der Pharmakotherapie des 25.2 Gastritis und Gastritis-Therapie . . . . 372
Vorhofflimmerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 25.3 Chronisch entzündliche
24 Am Respirationstrakt Darmerkrankungen (CED). . . . . . . . . . . . . 373
angreifende Pharmaka . . . . . . . . . . 350 25.3.1 Pathophysiologische Grundlagen. . . . 373
25.3.2 Pharmakotherapie von Colitis
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 350
ulcerosa und Morbus Crohn . . . . . . . . . . . 373
24.1.1 Therapie des Asthma bronchiale
(Antiasthmatika) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 25.4 Therapie des Reizdarmsyndroms . . . 376
24.1.1.1 Bronchospasmolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 25.5 Antidiarrhoika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
24.1.1.2 Antientzündlich wirkende 25.5.1 Loperamid und Racecadotril . . . . . . . . . . 377
Antiasthmatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 25.5.2 Antidiarrhoika aus Mikroorganismen
24.1.1.3 Kombinationspäparate . . . . . . . . . . . . . . . . 356 (Probiotika) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
24.1.1.4 Stufenschema der Asthmatherapie . . 356 25.5.3 Adsorbenzien und Adstringenzien. . . 378
24.1.1.5 Therapie des Status asthmaticus . . . . . 356 25.5.4 Behandlungsstrategien der Diarrhö 378
XIV Inhaltsverzeichnis

25.6 Laxanzien (Laxativa). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 26.2.3 Störungen des Säure-Basen-


25.6.1 Quellstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Haushalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
25.6.2 Osmotisch wirkende Laxanzien . . . . . . 380 26.2.4 Infusionstherapie bei Störungen
25.6.3 Wasserbindende Laxanzien . . . . . . . . . . . 381 des Wasser-, Elektrolyt- oder
25.6.4 Antiresorptiv und hydragog Säure-Basen-Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . 404
wirkende Laxanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 26.3 Am Urogenitaltrakt angreifende
25.6.5 Selektive 5-HT4-Rezeptoragonisten 382 Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
25.6.6 Peripher wirksame Opioidrezeptor- 26.3.1 Benignes Prostata-Syndrom (BPS) . . . 405
Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 26.3.1.1 Prostatamittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
25.6.7 Rektale Entleerungshilfen. . . . . . . . . . . . . 383 26.3.2 Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
25.6.8 Behandlungsstrategie der
27 Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
chronischen Obstipation . . . . . . . . . . . . . . 384
27.1 Glaukom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
25.7 Prokinetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
27.1.1 Glaukommittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
25.8 Sonstige Magen-Darm-Mittel . . . . . . . 385 27.1.2 Strategie der Glaukomtherapie. . . . . . . 414
25.8.1 Verdauungsenzyme zur
27.2 Makuladegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Substitutionstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
25.8.2 Peripher wirkende Antiadiposita . . . . 385 27.3 Mydriatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
25.8.3 Choleretika, Cholekinetika und Stoffe 27.4 Lokalanästhetisch wirkende
zur Auflösung von Gallensteinen . . . . 386 Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- 27.5 Antiinfektiv wirkende


und Säure-Basen-Haushalt Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
sowie am Urogenitaltrakt 27.6 Steroidale oder nichtsteroidale
angreifende Pharmaka . . . . . . . . . . 388 Antiphlogistika enthaltende
Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
26.1 Diuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
26.1.1 Thiazide und analoge 27.7 Sonstige Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . 417
Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 28 Dermatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
26.1.2 Schleifendiuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
28.1 Psoriasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
26.1.3 Kaliumsparende Diuretika . . . . . . . . . . . . 396
28.1.1 Antipsoriatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
26.1.3.1 Aldosteronantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . 396
28.1.1.1 Topische Antipsoriatika . . . . . . . . . . . . . . . . 420
26.1.3.2 Triamteren und Amilorid . . . . . . . . . . . . . . 397
28.1.1.2 Systemische Antipsoriatika . . . . . . . . . . . . 421
26.1.4 Carboanhydratasehemmer . . . . . . . . . . . . 398
28.1.1.3 Phototherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
26.1.5 Osmodiuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
28.1.2 Behandlungsstrategie der
26.1.6 Tolvaptan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Psoriasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
26.2 Störungen des Wasser-, Elektrolyt-
28.2 Akne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
und Säure-Basen-Haushalts . . . . . . . . 399
28.2.1 Aknemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
26.2.1 Störungen des Wasserhaushalts . . . . . 399
26.2.1.1 Diabetes insipidus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 28.3 Atopische bzw. allergische
26.2.2 Störungen des Elektrolythaushalts . . 401 Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
26.2.2.1 Therapeutische Anwendung von 28.3.1 Dermatitiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
Kalium-, Calcium- und 28.3.2 Antientzündlich wirkende
Magnesiumsalzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Dermatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
28.3.2.1 Glucocorticoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Inhaltsverzeichnis XV

28.3.2.2 Calcineurininhibitoren. . . . . . . . . . . . . . . . . 428 30.1.2 Antibiotika mit Angriff an der


28.3.2.3 Sonstige entzündungshemmende Zellwandsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Wirkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 30.1.2.1 Betalactam-Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . 452
28.4 Urtikaria und Angioödem . . . . . . . . . . . . 429 30.1.2.2 Glykopeptide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
30.1.2.3 Sonstige in die Zellwandsynthese
28.5 Antipruriginosa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
eingreifende Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . 460
28.6 Infektionskrankheiten der Haut . . . . 430 30.1.3 Antibakterielle Hemmstoffe der
28.6.1 Bakterielle Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . 430 ribosomalen Proteinsynthese . . . . . . . . 460
28.6.2 Dermatomykosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 30.1.3.1 Aminoglykoside . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
28.6.3 Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 30.1.3.2 Tetracycline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
28.6.3.1 Warzen (Virusakanthome) . . . . . . . . . . . . . 431 30.1.3.3 Antibiotika der Makrolid-Lincosamid-
28.6.4 Parasitosen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Streptogramin-Gruppe (MLS) . . . . . . . . . 464
28.7 Tumorerkrankungen der Haut . . . . . . 433 30.1.3.4 Oxazolidinone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
28.7.1 Hauttumorformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 30.1.3.5 Chloramphenicol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
28.7.2 Therapie von Hauttumoren . . . . . . . . . . . 433 30.1.3.6 Fusidinsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
28.8 Lichtschutzsubstanzen. . . . . . . . . . . . . . . . 434 30.1.3.7 Mupirocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
30.1.3.8 Retapamulin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
28.9 Pharmakotherapie der
30.1.4 Antibiotika mit Wirkung auf
androgenetischen Alopezie und
Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
des Hirsutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
30.1.4.1 Fluorchinolone (Gyrasehemmer) . . . . . 468
29 Vitamine und 30.1.4.2 Folsäureantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 30.1.4.3 Nitroverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
29.1 Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 30.1.4.4 Fidaxomicin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
29.1.1 Fettlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 30.1.5 An der Zellmembran angreifende
29.1.1.1 Vitamin A (Retinol). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
29.1.1.2 Vitamin D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 30.1.5.1 Daptomycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
29.1.1.3 Vitamin E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 30.1.5.2 Polypeptid-Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . 475
29.1.2 Wasserlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . 441 30.1.6 Allgemeine Anwendungskriterien
29.1.2.1 Vitamin B1 (Thiamin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 für Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
29.1.2.2 Vitamin B2 (Riboflavin) . . . . . . . . . . . . . . . . 441 30.1.7 Multiresistente Erreger (MRE) . . . . . . . . . 476
29.1.2.3 Vitamin B6 (Pyridoxin) . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 30.1.8 Therapiebeispiele bakterieller
29.1.2.4 Nicotinamid (Niacin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
29.1.2.5 Pantothensäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 30.1.9 Antibiotika in der
29.1.2.6 Biotin (Vitamin H) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
29.1.2.7 Vitamin C (Ascorbinsäure) . . . . . . . . . . . . . 445 30.2 Antimykobakteriell wirksame
29.1.3 Therapeutischer Stellenwert von Antiinfektiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
Vitaminpräparaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 30.2.1 Antituberkulotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
29.2 Essenzielle Spurenelemente. . . . . . . . . 446 30.2.1.1 Orale Erstrang-Antituberkulotika . . . . 481
30.2.1.2 Orale Zweitrang-Antituberkulotika . . 483
30 Antiinfektiva. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
30.2.1.3 Neue Antituberkulotika gegen
30.1 Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 multiresistente Tuberkulose . . . . . . . . . . 484
30.1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 30.2.1.4 Tuberkulosetherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
XVI Inhaltsverzeichnis

30.2.2 Antiinfektiva gegen atypische 30.4.5 HIV, AIDS und antiretrovirale


Mykobakteriosen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Wirkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
30.2.3 Antiinfektiva gegen Lepra . . . . . . . . . . . . . 485 30.4.5.1 Nucleosidische Reverse-
30.3 Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Transkriptase-Inhibitoren
30.3.1 Antimykotisch wirksame (Nucleosid-Analoga, NRTI) . . . . . . . . . . . . 507
Azol-Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 30.4.5.2 Nucleotid-analoge Reverse-
30.3.1.1 Azol-Antimykotika zur lokalen Transkriptase-Inhibitoren (NTRTI). . . . 509
Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 30.4.5.3 Nicht-nucleosidische Reverse-
30.3.1.2 Systemisch applizierbare Azol- Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) . . . 509
Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 30.4.5.4 HIV-Proteaseinhibitoren (HIV-PI) . . . . 510
30.3.2 Allylamine 30.4.5.5 Entryinhibitoren
(Squalenepoxidasehemmer). . . . . . . . . . 489 (Eintrittshemmer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
30.3.3 Polyen-Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 30.4.5.6 Integraseinhibitoren (INI) . . . . . . . . . . . . . 513
30.3.3.1 Amphotericin B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 30.4.5.7 HIV-Infektion und antiretrovirale
30.3.3.2 Nystatin und Natamycin . . . . . . . . . . . . . . . 491 Therapie (ART) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
30.3.4 Echinocandine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 30.5 Antiprotozoika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
30.3.5 Flucytosin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 30.5.1 Malaria. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
30.3.6 Griseofulvin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 30.5.1.1 Malariamittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
30.3.7 Sonstige Antimykotika zur lokalen 30.5.1.2 Prophylaxe und Therapie der
Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Malaria. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
30.3.8 Pharmaka mit Wirkung auf 30.5.2 Sonstige durch Protozoen
Pneumocystis jiroveci . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 verursachte Tropenkrankheiten . . . . . . 522
30.3.9 Therapie oberflächlicher und 30.5.2.1 Trypanosomeninfektionen . . . . . . . . . . . . 522
systemischer Mykosen . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 30.5.2.2 Leishmaniosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
30.4 Virustatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 30.5.2.3 Amöbiasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
30.4.1 Wirkprinzipien der Virustatika . . . . . . . . 495 30.5.3 Toxoplasmose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
30.4.2 Influenzaviren hemmende 30.5.4 Trichomoniasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
Virustatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 30.6 Anthelminthika (Wurmmittel) . . . . . . 524
30.4.2.1 Neuraminidasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . 496 30.7 Desinfektionsmittel und
30.4.2.2 Amantadin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Antiseptika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
30.4.2.3 Pharmakotherapie der Influenza . . . . 497 30.7.1 Halogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
30.4.3 Antiherpetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 30.7.2 Silberverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
30.4.3.1 Nucleosid-Analoga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 30.7.3 Oxidationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
30.4.3.2 Lokaltherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 30.7.4 Alkohole und Aldehyde . . . . . . . . . . . . . . . . 528
30.4.3.3 Therapie von Herpesinfektionen 30.7.5 N-haltige Heterocyclen . . . . . . . . . . . . . . . . 528
(Beispiele) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 30.7.6 Phenole. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
30.4.4 Virustatika mit Wirkung gegen 30.7.7 Quartäre Ammoniumverbindungen
Hepatitisviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 und Biguanide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
30.4.4.1 Hepatitis A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
31 Onkologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
30.4.4.2 Hepatitis B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
30.4.4.3 Hepatitis C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 31.1 Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
30.4.4.4 Hepatitis D und E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 31.1.1 Antimetaboliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
Inhaltsverzeichnis XVII

31.1.1.1 Folsäureantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 31.4 Sonstige Onkologika mit


31.1.1.2 Antagonisten von Pyrimidin- und unterschiedlichen
Purin-Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Wirkmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
31.1.2 Alkylanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 31.5 Hormone und
31.1.2.1 Stickstofflost-Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Hormonantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
31.1.2.2 N-Nitrosoharnstoff-Derivate . . . . . . . . . 537 31.5.1 GnRH-Analoga und GnRH-
31.1.2.3 Platin-Komplexe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559
31.1.2.4 Sonstige Alkylanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 31.5.2 Estrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559
31.1.3 Topoisomerasehemmstoffe . . . . . . . . . . . 539 31.5.3 Antiestrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
31.1.4 Mitosehemmstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 31.5.3.1 Estrogenrezeptor-Antagonisten. . . . . . 560
31.1.4.1 Vinca-Alkaloide, Eribulin. . . . . . . . . . . . . . 541 31.5.3.2 Aromatasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
31.1.4.2 Taxane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 31.5.4 Gestagene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
31.1.5 Zytostatisch wirksame 31.5.5 Antiandrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 31.5.6 Glucocorticoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
31.1.5.1 Anthracycline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 31.6 Supportive Arzneistoffe bei der
31.1.5.2 Sonstige zytostatisch wirksame Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544
31.7 Photodynamische Therapie. . . . . . . . . . 563
31.2 Monoklonale Antikörper . . . . . . . . . . . . . 545
31.8 Radioaktive Isotope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
31.2.1 Antikörper gegen Wachstums-
faktoren und deren Rezeptoren . . . . . . 545 31.9 Beispiele medikamentöser
Tumorbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
31.2.1.1 VEGF- und EGFR-Antikörper . . . . . . . . . . 545
31.9.1 Mammakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
31.2.1.2 HER2-Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
31.9.2 Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
31.2.2 Antikörper gegen
31.9.3 Kolonkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
CD-Oberflächenantigene . . . . . . . . . . . . . . 547
31.9.4 Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567
31.2.3 Checkpoint-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . 549
31.2.4 Sonstige Antikörper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 32 Immunologisch wirkende
31.3 Kinasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
31.3.1 Bcr-Abl-Tyrosinkinasehemmer . . . . . . . 550 32.1 Überblick über die
31.3.2 EGFR-Tyrosinkinasehemmer . . . . . . . . . . 551 Immunabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
31.3.3 ALK-Tyrosinkinasehemmer . . . . . . . . . . . . 551 32.2 Immunisierung, Impfung
31.3.4 JAK-Tyrosinkinasehemmer . . . . . . . . . . . . 551 (Vakzination) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
31.3.5 Bruton-Tyrosinkinasehemmer . . . . . . . 552 32.2.1 Aktive Immunisierung
31.3.6 BRAF-Serin/Threonin- (Aktivimpfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
Kinasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 32.2.1.1 Standardimpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
31.3.7 MEK-Tyrosin/Threonin- 32.2.1.2 Indikationsimpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 576
Kinasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 32.2.2 Passive Immunisierung und
31.3.8 mTOR-Serin/Threonin- Serumtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
Kinasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
32.3 Immunmodulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
31.3.9 PI3K-Lipidkinasehemmer . . . . . . . . . . . . . 553
32.3.1 Zytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
31.3.10 Multikinasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
32.3.2 Immunstimulanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
XVIII Inhaltsverzeichnis

32.4 Immunsuppressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 33.3 Kontrastmittel für die


32.4.1 Calcineurininhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
32.4.1.1 Ciclosporin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 33.4 Radiopharmaka für die Positronen-
32.4.1.2 Tacrolimus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Emissions-Tomographie (PET) . . . . . . . 599
32.4.1.3 Pimecrolimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
34 Toxikologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
32.4.2 TOR-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
32.4.2.1 Sirolimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 34.1 Allgemeinmaßnahmen bei
32.4.2.2 Everolimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
32.4.3 Glucocorticoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 34.1.1 Aufrechterhaltung der
32.4.4 Belatacept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Vitalfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
32.4.5 Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 34.1.2 Maßnahmen zur Verhinderung der
32.4.6 Therapeutische Antikörper . . . . . . . . . . . . 586 Giftresorption (primäre
32.4.7 Immunsuppressive Therapie bei Giftentfernung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602
Transplantationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 34.1.3 Behandlung mit Antidoten . . . . . . . . . . . 604
32.4.8 Therapie der Multiplen Sklerose. . . . . . 590 34.1.4 Beschleunigung der
32.4.8.1 Arzneistoffe für die Giftelimination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
verlaufsmodifizierende Therapie . . . . 590 34.2 Ausgewählte Vergiftungen . . . . . . . . . . . 606
32.4.8.2 Stufentherapieschema der 34.2.1 Atmungsgifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
Multiplen Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 34.2.2 Alkohole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
32.4.8.3 Therapie von Begleitsymptomen 34.2.3 Säuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
bei Multipler Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 34.2.4 Laugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
34.2.5 Methämoglobinbildner . . . . . . . . . . . . . . . . 611
33 Kontrastmittel und
34.2.6 Schwermetalle und Metalloide . . . . . . . 611
Radiopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
34.2.7 Radioaktive Isotope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
33.1 Röntgenkontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . 595 34.2.8 Pflanzengifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
33.1.1 Bariumsulfat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 34.2.8.1 Alkaloide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
33.1.2 Wasserlösliche iodhaltige 34.2.8.2 Pflanzliche Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617
Röntgenkontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 34.2.9 Pilzgifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
33.1.3 Fettlösliche iodhaltige 34.2.10 Tierische Gifte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
Röntgenkontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 34.2.11 Insektizide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
33.2 Kontrastmittel für die Kernspin- 34.2.12 Rodentizide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
tomographie (Magnetresonanz- 34.2.13 Bakterientoxine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
tomographie, MRT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 34.2.13.1 Bakterielle Lebensmittel-
33.2.1 Gewebeunspezifische intoxikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
Kontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 34.2.14 Karzinogene (Kanzerogene). . . . . . . . . . . 624
33.2.2 Gewebespezifische
superparamagnetische Eisenoxide . . 597 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
Abkürzungsverzeichnis XIX

Abkürzungsverzeichnis

A DMARDs Disease Modifying Antirheumatic


AC Adenylylcyclase Drugs
ACE Angiotensin-Konversionsenzym DNA Deoxyribonucleic acid; Desoxyri-
ADP Adenosindiphosphat bonucleinsäure
AGS Adrenogenitales Syndrom DPP-4 Dipeptidyl-Peptidase-4
AIDS Aquired Immuno-Deficiency Syn- E
drom ECL Enterochromaffine-like cell
AK Antikörper ED Einzeldosis
AMD Altersabhängige Makuladegenera- EDHF Endothel-abhängiger hyperpolari-
tion sierender Faktor
AMG Arzneimittelgesetz EEG Elektroenzephalogramm
AML Akute myeloische Leukämie EGF Epidermaler Wachstumsfaktor
AMP Adenosinmonophosphat EKG Elektrokardiogramm
APZ Antigenpräsentierende Zellen EMA European Medicines Agency
ARAS Aufsteigendes retikuläres Aktivie- ENS Enterisches Nervensystem
rungssystem EPO Erythropoetin
ASS Acetylsalicylsäure ESBL Extended spectrum betalactama-
ATP Adenosintriphosphat ses, Breitspektrum-Betalactamasen
B F
BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel Fab Antigen-bindendes Fragment
und Medizinprodukte FAD Flavin-Adenin-Dinucleotid
BMI Body-Mass-Index FCKW Fluorkohlenwasserstoffe
BPS Benignes Prostata-Syndrom FDA Food and Drug Administration
BTM Betäubungsmittel FMN Flavinmononucleotid
C FSH Follikel-stimulierendes Hormon
cAMP Cyclisches Adenosinmonophos- FSME Frühsommer-Meningoenzephalitis
phat G
CD Cluster of differentiation GABA Gamma-Aminobuttersäure
CD Clostridium difficile GCP Good Clinical Practice
cGMP Cyclisches Guanosinmonophos- GCPRs G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
phat GDP Guanosindiphosphat
CLL Chronisch lymphatische Leukämie GFR Glomeruläre Filtrationsrate
CML Chronisch myeloische Leukämie GLUT Glucosetransporter
CMV Zytomegalievirus
COMT Catechol-O-Methyltransferase H
COPD Chronic Obstructive Pulmonary HER2 Human epidermal growth factor 2
Disease HIT Heparin-induzierte Thrombozy-
COX Cyclooxygenase topenie
CRH Corticotropin- Releasing-Hormon HIV Humanes Immundefizienz-Virus
CYP Cytochrom-P450-Enzyme HLA Human Leukocyte Antigen, huma-
ne Leukozytenantigene
D HRT Hormone Replacement Therapy
DA Dalton HSV Herpes-simplex-Virus
DAG Diacylglycerol HWZ Halbwertszeit, hier meist Plasmae-
DHEA Dehydroepiandrosteron liminationshalbwertszeit
DHT Dihydrotestosteron
XX Abkürzungsverzeichnis

I P
IE Internationale Einheiten PASI Psoriasis Area and Severity Index
IFN Interferon pAVK Periphere arterielle Verschluss-
Ig Immunglobulin krankheit
IL Interleukin PDE Phosphodiesterase
INN International Nonproprietary PG Prostaglandin
Name P-gp P-Glykoprotein (Transporter)
INR International Normalized Ratio PK Proteinkinase
ISA Intrinsische sympathomimetische PKA Proteinkinase A
Aktivität PLC Phospholipase C
PPI Protonenpumpeninhibitor
J
PSA Prostata-spezifisches Antigen
Jak Just Another Kinase
K R
RA Rheumatoide Arthritis
kDa Kilodalton
RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-
KHK Koronare Herzkrankheit
System
L REM Rapid eye movement
LD Letale Dosis RNA Ribonucleic acid, Ribonucleinsäure
LH Luteinisierendes Hormon
LT Leukotriene
S
SCF Stammzellfaktor
M SLE Systemischer Lupus erythematodes
MAO Monoaminoxidase SSRI Selektive Serotonin-Reuptake-
MAP- Mitogen-aktivierte Proteinkinase Inhibitoren
Kinase STIKO Ständige Impfkommission
MHC Major Histocompatility Complex
MRGN Multiresistente gramnegative Bak-
T
T3 Triiodthyronin
terien
T4 Thyroxin
MRSA Methicillin-resistente Staphylococ-
TDM Therapeutisches Drugmonitoring
cus-aureus-Stämme
TGF Transforming growth factor
MRT Magnetresonanztomographie
THC Tetrahydrocannabinol
MS Multiple Sklerose
TLR Toll-like-Rezeptoren
mTOR Mammalian Target of Rapamycin
TNF Tumornekrosefaktor
MTX Methotrexat
t-PA Gewebeplasminogen-Aktivator
N TRP Transient Receptor Potential
NANC Non-adrenerges-non-cholinerges TTS Transdermales Therapeutisches
Nervensystem System
NAT N-Acetyltransferase TXA2 Thromboxan A2
NMDA N-Methyl-d-Aspartat
NMH Niedermolekulares Heparin
U
UAW Unerwünschte Arzneimittel-
NOS NO-Synthetase
wirkung
NRI Noradrenalin-Reuptake-
UGT UDP-Glucuronyltransferase
Inhibitoren
NSAIDs Non-Steroidal Anti-Inflammatory V
Drugs VEGF Vascular Endothelial Growth
Factor
O
OATP Organische Anionentransporter Z
OCT Organische Kationentransporter ZNS Zentralnervensystem
OTC Over the counter
1

1 Definitionen

Wirkstoffe sind Substanzen, die in lebenden Die Pharmakologie ist im engeren Sinne die 1
Organismen eine biologische Wirkung hervor- Lehre von den Wirkungen der Arzneimittel an
rufen. gesunden oder kranken Organismen.
Als Wirkung wird die Gesamtheit der durch In der allgemeinen Pharmakologie werden
einen Wirkstoff hervorgerufenen Veränderun- anhand von Ergebnissen pharmakokinetischer
gen in einem biologischen System bezeichnet. und pharmakodynamischer Untersuchungen
Arzneistoffe sind Wirkstoffe, die zur Vor- allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten abgeleitet
beugung, Linderung, Heilung oder Erkennung und damit die theoretischen Grundlagen ge-
von Erkrankungen dienen. Arzneistoff ist somit schaffen.
im Gegensatz zu Wirkstoff ein wertender Be- Die Pharmakokinetik befasst sich mit den
griff. Konzentrationsveränderungen von Pharmaka
Unter Arzneimitteln versteht man bestimm- im Organismus in Abhängigkeit von der Zeit.
te Zubereitungsformen von Arzneistoffen. Die Die Pharmakodynamik ist die Lehre von den
englische Bezeichnung „drug“ ist identisch mit Wirkungen eines Arzneistoffs am Wirkort: Wo,
Arzneimittel, entspricht also nicht dem deut- wie, wie stark und warum kommt ein pharma-
schen Begriff Droge. kologischer Effekt zustande?
Die Wirk(ungs)stärke einer Substanz ist ein Die Molekularpharmakologie beschäftigt
Maß für die Dosis bzw. Konzentration, die zum sich mit der Aufklärung der Arzneistoffwirkung
Erreichen einer bestimmten Wirkung erforder- auf molekularer Ebene: Welche Rezeptoren, Sig-
lich ist: Je größer die Wirkstärke, desto niedriger naltransduktionskaskaden etc. sind involviert?
die notwendige Dosis (Konzentration). Die Pharmakogenetik und die Pharmakoge-
Die intrinsische Aktivität (Wirkaktivität) nomik – beide Begriffe werden häufig synonym
gibt den in einem biologischen System erreich- verwendet – befassen sich mit dem Einfluss von
baren Maximaleffekt an. Erbanlagen auf die Wirkung von Arzneimitteln.
Wirksamkeit bezeichnet die mit einem Arz- Die Pharmakogenetik untersucht den Einfluss
neimittel zu erreichende Linderung, Besserung, individueller genetischer Variationen auf Wirk-
Heilung oder Prophylaxe einer Erkrankung. samkeit und Nebenwirkungen von Arzneimit-
Der Ausdruck Pharmakon wird im allgemei- teln, bei der Pharmakogenomik (-omik = Ge-
nen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit Arz- samtheit aller Gene) steht die Entwicklung neu-
neistoff bzw. Arzneimittel verwendet. er Wirkstoffe und die Frage nach den komple-
2 1 Definitionen

xen Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen oder -ökonomie). Sie stellt eine Brückendiszi-
und Genen im Vordergrund. plin zwischen der allgemeinen Pharmakologie
Die klinische Pharmakologie umfasst alle und der klinischen Medizin dar.
Aspekte der Anwendung von neuen oder bereits Die Toxikologie ist die Lehre von den für
im Handel befindlichen Arzneimitteln am Men- Menschen und Tiere schädlichen Eigenschaften
schen (z. B. auch die Pharmakoepidemiologie chemischer Substanzen.
3

2 Pharmakokinetik

Die Wirkung eines Arzneimittels ist das Ergeb- benden Wirkungen: „Was macht das Pharma-
nis zahlreicher, meist sehr komplexer Vorgänge kon mit dem Organismus?“
im Organismus. In der Regel liegt ihr eine Reak-
tionskette zugrunde (Ⴜ Abb. 2.1), die in drei Pha-
2
sen, die pharmazeutische, pharmakokinetische 2.1 Stofftransport durch
und pharmakodynamische Phase unterteilt biologische Membranen
wird.
Die pharmazeutische Phase umfasst – bei Da Resorption, Verteilung und Elimination
den am meisten verwendeten festen Arzneifor- ohne einen Transport durch Membranen nicht
men (z. B. Tabletten, Dragees, Kapseln) – die möglich sind, werden diese Vorgänge vorab be-
Applikation und Freisetzung (einschließlich schrieben.
Auflösung) der Arzneistoffe. Sie wird dement- Für einen membranären Stoffdurchtritt ste-
sprechend vorwiegend von den galenischen Ei- hen hauptsächlich zwei sich prinzipiell unter-
genschaften des Arzneimittels bestimmt. scheidende Membranstrukturen zur Verfügung:
Die Pharmakokinetik beschreibt den zeitli- Die Lipidschicht insbesondere für die Aufnah-
chen Verlauf von Arzneistoffkonzentrationen me lipophiler Stoffe und durch Proteine gebilde-
im Organismus. Zur Pharmakokinetik gehören te wassergefüllte Poren für die Penetration hy-
die Teilprozesse Resorption, Verteilung und Eli- drophiler Substanzen.
mination: „Was macht der Organismus mit dem Der Substanzdurchtritt durch die Membran
Pharmakon?“ erfolgt im Wesentlichen als passive Diffusion,
Unter Resorption (s. u.) versteht man die als Carrier-vermittelter Transport oder als pri-
Aufnahme eines Arzneistoffs in den Organis- mär bzw. sekundär aktiver Transport.
mus. Die Verteilung beschreibt den Stofftrans-
port vom Blut in die Gewebe. Als Elimination 2.1.1 Diffusion
werden alle Prozesse bezeichnet, die zu einer Bei der passiven Diffusion ist die Diffusionsge-
Konzentrationsabnahme des Arzneistoffs im schwindigkeit direkt proportional dem Konzen-
Organismus führen (Biotransformation, Aus- trationsgefälle zwischen der Arzneistoffkonzen-
scheidung). tration auf der Membranaußenseite und der
Die Pharmakodynamik befasst sich mit den Innenseite, der Membranfläche sowie dem sub-
Interaktionen der Arzneistoffe mit deren Tar- stanzspezifischen Diffusionskoeffizienten (ab-
gets (Zielmolekülen) und den hieraus sich erge- hängig von Molekülgröße- und -struktur, Lipo-
4 2 Pharmakokinetik

Für die Resorption schlecht lipidlöslicher


Pharmazeutische Nichtelektrolyte sowie ionisierter Stoffe mit re-
Phase
lativ niedriger Molekularmasse sind dagegen die
in den Membranen enthaltenen Poren bedeut-
Applikation
sam.

Zerfall der Arzneiform 2.1.2 Membrantransport durch


Auflösung der Wirkstoffe
Transportproteine
2.1.2.1 Carrier-vermittelter Transport
Pharmakokinetische Carrier („Schlepper“) sind Transportproteine,
Phase die eine erleichterte Diffusion, d. h. einen be-
schleunigten Substanztransport insbesondere
Resorption
von hydrophilen Molekülen durch Bildung ei-
nes Substanz-Transporter-Komplexes, ermögli-
Biotransformation chen. Wie bei der Diffusion ist der Carrier-ver-
mittelte Transport ein passiver Prozess, dessen
treibende Kraft der Konzentrationsgradient
Verteilung zwischen verschiedenen Kompartimenten, z. B.
zwischen Extra- und Intrazellularraum, dar-
stellt. Carrier-vermittelte Transportprozesse
Speicherung Ausscheidung sind durch hohe Strukturspezifität, Sättigung
des Transportsystems bei hohen Substanzkon-
Wirkort zentrationen sowie Hemmbarkeit durch Inhibi-
(Rezeptoren) toren charakterisiert.
Pharmakodynamische
Phase 2.1.2.2 Aktiver Transport
Bei dieser Transportform wird zwischen primär
Pharmakologischer
Effekt und sekundär aktivem Transport unterschieden.
Wichtige primär aktive Transportproteine stel-
Wirksamkeit
len die als Pumpen arbeitenden ATPasen dar.
Toxische Wirkung Hierzu gehören die praktisch in allen Zellmem-
(Klinische Wirkung)
branen vorkommende Na+/K+-ATPase, ferner
Ⴜ Abb. 2.1 Bei oraler Gabe eines Arzneimittels im die Ca2+-ATPase und die H+/K+-ATPase sowie
Organismus ablaufende Vorgänge die weiter unten beschriebenen Transporter.
Diese Proteine hydrolysieren an der Innenseite
der Membran ATP zu ADP und anorganischem
philie, Ladung) und umgekehrt proportional Phosphat und nutzen die dabei frei werdende
zur Membrandicke. Der Diffusionsprozess ist Energie zum aktiven Transport, bei dem eine
durch Struktur-analoge Verbindungen nicht Substanz entgegen dem Konzentrationsgefälle
hemmbar. durch eine Membran transportiert wird. Der
Da die Diffusion durch die Lipidmatrix im primär aktive Transport ist durch Substanzen
Vordergrund steht, kommt der Lipophilie der mit ähnlicher chemischer Struktur kompetitiv
Substanz dabei eine dominierende Bedeutung hemmbar.
zu. Organische Säuren und Basen diffundieren Beim sekundär aktiven Transport wird zu-
bevorzugt im nichtionisierten und damit lipo- nächst durch eine ATPase ein Konzentrations-
phileren Zustand durch Lipidmembranen, da- gradient aufgebaut, der nachfolgend zu einem
her spricht man von nichtionischer Diffusion. Carrier-vermittelten Transport führt. Ein wich-
2.1 Stofftransport durch biologische Membranen 5

tiges Beispiel hierfür sind mit Natriumionen on renal ausgeschiedener Stoffe. Auch am Über-
gekoppelte Transportprozesse, wobei die Natri- tritt von Arzneistoffen aus dem Blut in andere
umionen und die mit diesen zu befördernde Organe und Gewebe sind Transporter beteiligt,
Substanz, z. B. Glucose, in dieselbe Richtung sodass sie die Verteilung von Arzneistoffen im
transportiert werden. Es entsteht ein ternärer Körper maßgeblich mitbestimmen. Bestimmte
Komplex zwischen der zu transportierenden Transporter finden sich auch in der Blut-Hirn-
Substanz, dem Carrier und den Natriumionen. Schranke (Ⴉ Kap. 2.4.2).
Da die intrazelluläre Natriumionen-Konzen- Bei den Transportproteinen vom ABC-Typ
tration durch die Na+/K+-Pumpe niedrig gehal- wurden bisher mehr als 50 Vertreter identifi-
ten wird, besteht ein Konzentrationsgefälle für ziert, die in sieben Familien unterteilt sind
Natriumionen von außen nach innen. Durch (ABCA bis ABCG). Alle Transporter dieses Typs
den Natriumionen-Bergabtransport wird die zu haben ATP-bindende Sequenz-Motive, an die
transportierende Substanz gleichzeitig „berg- ein oder zwei ATP gebunden werden und an de-
auf “ transportiert. nen die energieliefernde ATP-Hydrolyse statt-
Zu den Substanzen, die primär oder sekun- findet. Sie fungieren als Effluxpumpen für zahl-
där aktiv transportiert werden, gehören u. a. reiche endogene Substrate und viele Arzneistof-
Aminosäuren, Zucker sowie teilweise auch was- fe und deren Metaboliten.
serlösliche Vitamine und Pharmaka. Ein pharmakologisch besonders relevanter
Effluxtransporter der ABC-Familie ist P-Glyko-
2
2.1.2.3 Transportproteine protein (ABCB1; P-gp), ein membranständiges
Für die Pharmakokinetik von Arzneistoffen von Protein, das u. a. in der Lage ist, bestimmte Zyto-
besonderem Interesse ist der gerichtete Trans- statika aus dem Inneren der Tumorzelle heraus-
port (vektorieller Transport) über zelluläre Bar- zupumpen und so die Konzentration in der Tu-
rieren, z. B. in Leber, Niere oder Intestinaltrakt. morzelle zu reduzieren. P-gp ist für die Pharma-
Dafür sind im Wesentlichen zwei Proteinfamili- kokinetik zahlreicher Substanzen sehr wichtig,
en verantwortlich, nämlich die Transportprotei- weil es in vielen Geweben (z. B. im Darm oder
ne vom SLC-Typ (Solute-Carrier-Familie) so- Gehirn → Barrierefunktion) physiologisch ex-
wie die ABC-Transporter (ATP-Binding-Cas- primiert wird und an der Elimination zahlrei-
sette). cher Arzneistoffe beteiligt ist (Clearancefunkti-
Transportproteine vom SLC-Typ sind am on in Leber, Darm, Niere).
Transport zahlreicher kationischer (z. B. organic Das Verständnis der beschriebenen Trans-
cation transporter, OCT), anionischer (z. B. or- portvorgänge ist für die Pharmakotherapie be-
ganic anion transporting polypeptides, OATP) sonders wichtig. So kann es zu Wechselwirkun-
oder ungeladener endogener Substrate sowie gen zwischen Arzneistoffen kommen, wenn die-
von Fremdstoffen beteiligt. Die etwa 360 ver- se um denselben Transporter mit limitierter
schiedenen Proteine wurden aufgrund ihrer Transportkapazität konkurrieren. Digoxin z. B.
Aminosäuresequenz in 48 Familien unterteilt. weist infolge der Kompetition um P-gp mit vie-
Sie können ihre Substrate sowohl von extrazel- len anderen Arzneistoffen klinisch relevante In-
lulär nach intrazellulär als auch von intrazellulär teraktionen auf (z. B. mit Ciclosporin, Propafe-
nach extrazellulär transportieren, fungieren non, Verapamil). Auch die gesteigerte Expressi-
aber hauptsächlich als Aufnahmetransporter. on der Transporter durch bestimmte Pharmaka
In der apikalen Membran von Enterozyten er- – z. B. von P-gp durch Rifampicin oder Johan-
möglichen sie z. B. die Resorption von Nah- niskraut – sowie die gleichzeitige Gabe von
rungsbestandteilen und Arzneistoffen, in der Transporter-Inhibitoren (z. B. P-gp-Inhibitoren
basolateralen Membran der Leber den Zugang wie Amiodaron oder Itraconazol) führen zu
zu metabolisierenden Enzymen, in der apikalen Wechselwirkungen mit Arzneistoffen, die
Membran des Nierentubulus die Rückresorpti- Transporter-Substrate sind.
6 2 Pharmakokinetik

2.2 Applikation Eine lokale oder topische Applikation auf


oder in bestimmte Körperstellen ist dann indi-
Applikationsort und Applikationsart (႒ Tab. 2.1) ziert, wenn die Wirkung auf den Applikations-
richten sich nach den physikalischen und chemi- ort beschränkt sein soll, sodass der Gesamtorga-
schen Eigenschaften des Arzneistoffs, dem ge- nismus möglichst wenig beeinflusst wird. Wird
wünschten Wirkungseintritt und der gewünsch- dagegen eine systemische Wirkung angestrebt,
ten Wirkdauer, nach dem Ort, an dem das Phar- muss der Arzneistoff entweder direkt in die
makon wirken soll, und dem Zustand des Pati- Blutbahn injiziert oder in resorbierbarer Form
enten (z. B. i. v. Gabe bei Bewusstlosigkeit). z. B. peroral appliziert werden.
Topische (lokale) Applikation. Beispiele für eine
႒ Tab. 2.1 Applikationsarten (Auswahl) topische Applikation sind u. a. die Lokalbehand-
Applikationsort Applikationsart lung von Augen- und Hauterkrankungen sowie
die pulmonale Anwendung von Arzneistoffen in
Applikation auf Haut oder Schleimhaut Form von Aerosolen (z. B. Broncholytika). Der
Mund- und Zungen- Bukkal, lingual,
Vorteil einer topischen Applikation besteht vor
schleimhaut sublingual allem darin, dass die erforderliche therapeuti-
sche Dosis niedriger liegt als bei einer anderen,
Magen- und Darm- Enteral = peroral z. B. der p. o. Gabe, und daher systemische Wir-
schleimhaut (p. o.) kungen in geringerem Umfang auftreten.
Rektumschleimhaut Rektal Parenterale Applikation. Von parenteraler Ap-
Nasenschleimhaut Nasal
plikation spricht man, wenn die Resorption un-
ter Umgehung des Magen-Darm-Trakts erfolgt
Bronchial- und Alveo- Pulmonal, (z. B. i. v., i. m., s. c.).
larepithel per inhalationem
Die intravasale, meist intravenöse (i. v.), seltener
Schleimhäute der Intravaginal, intraarterielle (i. a.) Injektion bzw. Infusion ist
Genitalorgane und intraurethral dadurch gekennzeichnet, dass exakt dosiert
ableitenden Harnwege werden kann (die Bioverfügbarkeit beträgt in
Haut Epikutan der Regel 100 %, s. u.) und der Arzneistoff sehr
rasch den Wirkort erreicht.
Applikation in das Körperinnere Bei intramuskulärer (i. m.) oder subkutaner
(s. c.) Injektion ist im Gegensatz zur intravenö-
Herz Intrakardial
sen Injektion ein Resorptionsprozess erforder-
Arterie Intraarteriell (i. a.) lich. Lokale Unverträglichkeitsreaktionen, wie
z. B. Schmerzen und u. U. auch Nekrosen kön-
Vene Intravenös (i. v.)
nen insbesondere dann auftreten, wenn nicht
Lendenwirbelkanal Lumbal auf Isohydrie und Isotonie der Injektionslösung
(gleicher pH-Wert bzw. gleicher osmotischer
Liquorraum Intrathekal Druck wie Körperflüssigkeiten, Gewebe) geach-
Haut Intrakutan, subkutan
tet wurde.
(s. c.) Orale Applikation. Am häufigsten werden Arz-
Muskel Intramuskulär (i. m.) neimittel peroral (p. o.) verabreicht, da die dafür
geeigneten Arzneiformen (Tabletten, Dragees,
Bauchhöhle Intraperitoneal (i. p.) Kapseln u. a.) relativ leicht hergestellt werden
können und der Patient sie außerdem meist be-
Gelenk Intraartikulär (i. art.)
vorzugt.
2.3 Resorption 7

Rektale Applikation. Eine rektale Applikation sauren bis neutralen Milieu, schwache Basen
weist eine sehr unterschiedliche und im Ver- besser bei pH-Werten ≥ 7 resorbiert. Änderun-
gleich zur oralen Gabe meist auch niedrigere gen des pH-Werts, z. B. durch Antazida, können
Resorptionsquote (s. u.) auf. Dennoch ist bei die Resorptionsquote teilweise dissoziierter
Säuglingen und Kleinkindern die rektale An- Pharmaka daher stark verändern. Die Aufnah-
wendung z. B. von Antipyretika sinnvoll. Außer- me quartärer Ammoniumverbindungen und
dem werden bei Patienten, die zu Erbrechen anderer vollständig ionisierter Substanzen er-
oder Magenstörungen neigen (z. B. bei Migrä- folgt sehr langsam und nur in geringem Um-
ne), rektale Arzneiformen eingesetzt. fang, z. T. werden sie in Form von Ionenpaaren
resorbiert.
Resorption bei oraler Applikation. Nach oraler
2.3 Resorption
Gabe findet die Resorption im Wesentlichen im
oberen Dünndarm statt, der durch Schleim-
Unter der Resorption (Absorption) eines Stoffs
hautfalten, -zotten und -krypten sowie Mikro-
versteht man dessen Aufnahme von der Kör-
villi eine besonders große resorbierende Ober-
peroberfläche – hierzu gehört auch die Schleim-
fläche aufweist. Der pH-Wert reicht von
haut des Magen-Darm-Kanals – in die Blutbahn
schwach sauer im Duodenum bis zu schwach
oder in das Lymphgefäßsystem, von wo aus die
Verteilung in den Gesamtorganismus erfolgt.
alkalisch in tieferen Dünndarmabschnitten, da- 2
her liegen sowohl von schwachen Säuren als
Um resorbiert werden zu können, muss der
auch von schwachen Basen ausreichende Antei-
Arzneistoff in gelöster Form vorliegen. In der
le in nichtionisierter und damit resorbierbarer
Regel bestimmt die Geschwindigkeit, mit der
Form vor.
sich der Wirkstoff (z. B. im Gastrointestinaltrakt
Die Verweilzeit des Arzneistoffs im Magen ist
oder in einem intramuskulären Depot) auflöst,
vom Füllungszustand und den im Magen be-
auch die Resorptionsgeschwindigkeit. Diese
findlichen sonstigen Inhaltsstoffen abhängig:
wird außer von den Substanzeigenschaften (z. B.
Rasche Entleerung bei Gabe des Arzneimittels
Teilchengröße) von den Eigenschaften der Arz-
in den leeren Magen, verzögerte Abgabe bei
neiform (d. h. den verwendeten Hilfsstoffen,
gleichzeitiger Nahrungszufuhr.
Überzügen u. a.) bestimmt.
Nach der Resorption aus den verschiedenen
Bei organischen Arzneistoffen ist die Resorp-
Darmabschnitten gelangen oral applizierte
tionsquote von ihrem Verteilungskoeffizienten
Wirkstoffe über die Pfortader in die Leber. Dort
(z. B. Octanol/Wasser) abhängig: Die Resorbier-
kann bei entsprechenden Substanzeigenschaften
barkeit steigt zunächst mit zunehmendem Ver-
ein erheblicher Anteil metabolisiert werden
teilungskoeffizienten bis zu einem Maximum,
(First-Pass-Effekt, Ⴉ Kap. 2.5.5). Hoch lipophile
um dann wieder abzunehmen. Der Grund hier-
Stoffe können auch zusammen mit Lipiden (z. B.
für liegt darin, dass vorwiegend hydrophile Stof-
Cholesterol) in Form von Chylomikronen in das
fe die Lipidmembranen schlecht durchdringen
Lymphsystem aufgenommen werden.
können, andererseits aber hoch-lipophile Sub-
Stoffe, die mit der Galle in den Zwölffinger-
stanzen sich nicht in ausreichender Konzen-
darm ausgeschieden werden, können in tiefer-
tration in dem wässrigen Milieu, das die resor-
liegenden Darmabschnitten teilweise oder ganz
bierenden Flächen umgibt, lösen.
rückresorbiert werden. Man spricht dann von
Saure und basische organische Arzneistoffe
einem enterohepatischen Kreislauf.
werden bevorzugt in der nichtionisierten und
Ein enterogastraler Kreislauf liegt vor, wenn
damit lipidlöslichen Form aufgenommen. Da
basische Substanzen aus dem Blut in den Magen
der Dissoziationsgrad vom pKa-Wert der Sub-
übertreten und dann im Dünndarm teilweise
stanz und dem pH-Wert des jeweiligen Milieus
rückresorbiert werden.
abhängt, werden schwache Säuren besser im
8 2 Pharmakokinetik

Orale Arzneiformen mit modifizierter Wirkstoff- viduellen Schwankungen unterworfen. Die pri-
freisetzung. Säureempfindliche Stoffe müssen märe Leberpassage wird großenteils umgangen,
vor der Einwirkung der Magensäure geschützt da die in den unteren zwei Dritteln des Rektums
werden. Dies gelingt durch Arzneiformen mit resorbierten Anteile direkt in die untere Hohlve-
säurefesten (magensaftresistenten) Überzügen, ne und damit nicht in die zur Leber führende
die sich erst im leicht alkalischen Milieu des Pfortader gelangen.
Dünndarms auflösen. Magensaftresistente Tab-
letten dürfen nicht geteilt, zerkleinert oder zer- Resorption bei bukkaler bzw. sublingualer Ap-
kaut werden, da sonst die Schutzwirkung des plikation. Die gut vaskularisierte Schleimhaut
Überzugs verloren geht. Die Dragierung von der Mund- und Rachenhöhle besitzt für lipophi-
Tabletten mit unlöslichen Filmbildnern oder le, nicht ionisierte Stoffe gute Resorptionseigen-
Diffusionsüberzügen führt zu einer verzögerten schaften (bukkale, sublinguale Applikation).
Wirkstofffreigabe, wodurch eine Wirkungsver- Günstig ist, dass die Einwirkung von Verdau-
längerung erzielt wird (Retardformulierungen). ungssäften des Magen-Darm-Kanals entfällt
Neuere Depotarzneiformen auf Basis von Ma- und der Arzneistoff nicht unmittelbar nach der
trixsystemen oder Pelletformulierungen (Mul- Resorption die Leber passiert. Wegen der relativ
tiple-Unit-Systeme, in Kapseln oder Tabletten) geringen Resorptionsfläche kommt jedoch eine
zeichnen sich durch eine gleichförmige Freiset- bukkale oder sublinguale Applikation nur bei
zung des Wirkstoffs über einen längeren Zeit- leicht resorbierbaren Substanzen und bei niedri-
raum (von mehreren Stunden bis zu einem Tag) gen erforderlichen Dosen in Betracht. Verschie-
aus. Eine kontrollierte Wirkstofffreigabe ist au- dene Arzneiformen stehen dafür zur Verfügung.
ßerdem durch sog. orale osmotische Systeme Glyceroltrinitrat z. B. wird in Form von Zer-
(Oros-Systeme) möglich, bei denen die Freiset- beißkapseln oder als Spray zur Anwendung in
zung mit konstanter Geschwindigkeit durch os- der Mundhöhle bei Angina-pectoris-Anfällen
motischen Druck erfolgt. eingesetzt. Buprenorphin, das nach oraler Ap-
Depot- bzw. Retardarzneiformen dürfen in plikation wegen ausgeprägter First-Pass-Meta-
der Regel nicht zerkleinert oder zerkaut werden, bolisierung nicht systemisch bioverfügbar ist,
um ein sog. Dose dumping (Überdosierung kann in Form von Sublingualtabletten zur Sub-
durch plötzliche Freisetzung der gesamten Do- stitutionstherapie bei Opiatabhängigkeit ange-
sis) zu vermeiden. Neuere Systeme sind oft teil- wandt werden. Orodispersible Filme (ODF),
bar, Tabletten mit Retardüberzügen dagegen z. B. mit dem Analgetikum Fentanyl, zerfallen
nicht. innerhalb von Sekunden im Mund und der Arz-
Ein besonders schneller Wirkungseintritt neistoff kann rasch über die Mundschleimhaut
wird mit sog. Schmelztabletten (Oral dispersib- resorbiert werden.
le tablets, ODT, z. B. mit Loperamid, Loraze-
pam) erzielt. Es handelt sich dabei in der Regel Resorption bei nasaler Applikation. Die Nasen-
um Lyophilisate, die bereits in der Mundhöhle schleimhaut besitzt ähnlich wie die Mund-
innerhalb von Sekunden zerfallen und ohne schleimhaut gute Resorptionseigenschaften. Die
Wasser geschluckt werden können. Bei sehr li- Resorption durch die Nasenschleimhaut wird
pophilen Arzneistoffen kann dabei bereits eine z. B. genutzt bei der Anwendung von Peptiden,
beträchtliche Arzneistoffmenge über die Mund- die bei oraler Applikation im Magen-Darm-Ka-
schleimhaut (s. u.) resorbiert werden. nal durch Proteasen zerstört werden würden
(z. B. Desmopressin-Lösung zur Therapie des
Resorption bei rektaler Applikation. Bei der Diabetes insipidus). Auch Fentanyl erreicht in
rektalen Applikation liegt die Resorptionsquote Form eines Nasensprays – ähnlich wie bei buk-
in der Regel deutlich niedriger als bei p. o. Gabe kaler Applikation – einen raschen Wirkungsein-
und ist außerdem stärkeren intra- und interindi- tritt.
2.4 Verteilung 9

Pulmonale Resorption. Die Lunge ist mit ihrer Resorption bei subkutaner und intramuskulärer
großen Alveolaroberfläche von 70–100 m2 zur Applikation. Die Resorptionsgeschwindigkeit
Resorption von gasförmigen Stoffen (z. B. Nar- hängt hierbei in hohem Maß vom Konzen-
kosegasen), Flüssigkeiten und Feststoffen befä- trationsgradienten und damit von der Durch-
higt. Bei lokaler Therapie im Bereich der Atem- blutung des resorbierenden Gewebes ab: Je stär-
wege (z. B. Therapie des Asthma bronchiale), ker die Durchblutung, desto höher ist der Kon-
kann es daher – wenn auch heute selten – zu zentrationsgradient wegen des raschen Stoffab-
systemischen Wirkungen kommen. transports mit dem Blut. Da die Muskulatur
sehr stark vaskularisiert ist, erfolgt die Resorpti-
Resorption bei Applikation auf die Haut. Die
on nach i. m. Applikation normalerweise sehr
Resorbierbarkeit durch die intakte Haut, die
rasch. Die Unterhaut ist dagegen weniger gut
physiologischerweise keine resorptiven Aufga-
durchblutet, die Wirkstoffe werden daher nach
ben besitzt, ist gering. Das nicht kapillarisierte
s. c. Gabe in der Regel langsamer resorbiert.
Stratum corneum mit einem sehr niedrigen
Auch lipidunlösliche, hydrophile Substanzen
Wassergehalt (ca. 10 %) und einer hohen Kon-
können vielfach schnell transkapillär diffundie-
zentration apolarer Lipide stellt die hauptsächli-
ren, da bei einem Teil der Kapillaren die Resorp-
che Resorptionsbarriere dar. Die höchste Re-
tion durch ein Porenendothel erleichtert ist.
sorptionsquote bei kutaner Applikation besitzen
Selbst bei Verbindungen mit höherer Moleku-
vorwiegend lipidlösliche Substanzen, die gleich-
larmasse ist dies möglich (z. B. s. c. Injektion von
2
zeitig noch eine gewisse Wasserlöslichkeit auf-
Insulin!).
weisen. Hydrophile Stoffe, aber auch Fette und
Parenterale Depotarzneiformen (z. B. in
Öle, werden dagegen kutan nur wenig resor-
Form von öligen Lösungen oder Kristallsuspen-
biert.
sionen) können intramuskulär (z. B. Benzylpe-
Durch Erhöhung der Hauttemperatur, ferner
nicillin-Benzathin, Glucocorticoide) oder sub-
durch einige Lösungsmittel (z. B. Dimethyl-
kutan (z. B. Insuline) appliziert werden. Die
sulfoxid), sowie durch verstärkte Hydratation
Wirkstoffe werden aus den Gewebedepots über
(Wassereinlagerung, z. B. mit Harnstoff-haltigen
einen längeren Zeitraum freigesetzt, wirksame
Zubereitungen), kann die Hautresorption ver-
Plasmaspiegel können z. T. über mehrere Tage
bessert werden. Auch in entzündeten Hautgebie-
bis Wochen erreicht werden.
ten ist die Resorptionsquote erhöht. Durch me-
chanische, chemische oder thermische Schädi-
gung der Hautoberfläche, z. B. bei Verletzungen
2.4 Verteilung
oder Verbrennungen, wird das Stratum corneum
und damit die Resorptionsbarriere beseitigt.
Die Verteilung (Distribution) ist als reversibler
Transdermale therapeutische Systeme
Substanztransport von einem Teil des Körpers
(TTS), die als Pflaster auf die Haut geklebt wer-
in einen anderen definiert. Sie hängt von zahl-
den, stellen für einige Substanzen mit niedriger
reichen Variablen ab, z. B. von der Durchblutung
Dosierung (Tagesdosen bis ca. 10 mg) eine Al-
der Organe und Gewebe, der Durchlässigkeit
ternative zur oralen Gabe dar. Durch die gleich-
der Membranen und der pH-Differenz von
mäßige Wirkstoffabgabe können mit dieser Ap-
Plasma und Gewebe. Von den Stoffeigenschaf-
plikationsform annähernd konstante Plasma-
ten ist neben der Molekülgröße und Löslichkeit
spiegel über einen relativ langen Zeitraum
insbesondere die Bindung an Plasma- und Ge-
(mehrere Tage) erreicht werden, auch lässt sich
webeproteine bedeutsam.
eine präsystemische Elimination umgehen. Der-
Ist ein Pharmakon in die Blutbahn gelangt,
zeit sind solche Zubereitungen z. B. mit Glyce-
wird es im Gefäßsystem mit dem Blutstrom wei-
roltrinitrat, Sexualhormonen, Opioiden (Bu-
tertransportiert. Infolge des Konzentrations-
prenorphin, Fentanyl) und Nicotin im Handel.
gefälles vom Blut zum Gewebe verlässt es die
10 2 Pharmakokinetik

Blutbahn und verteilt sich im Organismus so dem jeweiligen Gebiet bzw. Organ beeinflusst.
lange, bis die freien, Protein-ungebundenen Besonders leicht erfolgt der Austausch dort, wo
Plasma- und Gewebekonzentrationen gleich das Kapillarendothel Poren aufweist (z. B. in der
sind (passive Diffusion vorausgesetzt). Dann ist Leber, dem Pankreas) oder wo die Basalmem-
das Verteilungsgleichgewicht erreicht, d. h. es bran fehlt (z. B. in der Leber). Erschwert ist da-
diffundiert pro Zeiteinheit genauso viel Arznei- gegen der Durchtritt in Kapillargebieten mit lü-
stoff aus dem Plasma in das Gewebe wie umge- ckenlosen Endothelien und Basalmembranen
kehrt aus dem Gewebe zurück ins Plasma, von (z. B. bei der Blut-Hirn-Schranke, s. u.).
wo aus dann die Elimination erfolgt. Fällt bei-
spielsweise die freie, Protein-ungebundene Kon- 2.4.1 Proteinbindung
zentration im Plasma aufgrund von Metaboli- Ein wesentlicher Faktor für die Verteilung eines
sierung und/oder Ausscheidung auf die Hälfte Arzneistoffs ist ferner die Bindung an Eiweiße,
ab, sinkt sie auch im peripheren Gewebe auf die insbesondere Plasma-, Gewebe- und Erythro-
Hälfte des Ausgangswerts. zytenproteine. Im Humanserumalbumin konn-
Vor Erreichen des Verteilungsgleichgewichts ten zwei verschiedene Bindungsstellen nachge-
wird die Verteilung in hohem Maß von der wiesen werden, einige Arzneistoffe binden se-
Durchblutung der Organe und Gewebe be- lektiv nur an eine der beiden Bindungsstellen,
stimmt. Das bedeutet, dass stark kapillarisierte andere dagegen an beide. Bei basischen Sub-
Organe (z. B. Leber, Gehirn) zu Anfang des Ver- stanzen, z. B. Propranolol, trägt zur Plasmaei-
teilungsprozesses eine größere Arzneistoffmen- weißbindung außerdem auch das saure α1-
ge aufnehmen als schlecht durchblutete Berei- Glykoprotein bei.
che (z. B. Fettgewebe). Im Verlauf des Vertei- Entsprechend der chemischen Struktur der
lungsprozesses stellt sich das Verteilungsgleich- Wirkstoffe können an der Proteinbindung Io-
gewicht dann aber unabhängig von der Stärke nen-, Wasserstoffbrücken- und Dipol-Dipol-
der Durchblutung ein. Bindungen sowie hydrophobe Wechselwirkun-
Unter funktionellen Gesichtspunkten kann gen beteiligt sein. Die Bindung an Proteine ist
der Organismus in verschiedene Verteilungs- reversibel, d. h. es stellt sich ein Gleichgewicht
räume (Kompartimente) eingeteilt werden. zwischen gebundenem und nicht gebundenem
Zum Intrazellularraum (ca. 75 % des Kör- Arzneistoff ein. Das Ausmaß der Proteinbin-
pergewichts) gehören die intrazelluläre Flüssig- dung ist für einen Wirkstoff im therapeutischen
keit und die festen Zellbestandteile. Der Extra- Plasmakonzentrationsbereich relativ konstant
zellularraum (ca. 25 % des Körpergewichts) und hängt vor allem von seiner Affinitätskon-
wird weiter unterteilt in das Plasmawasser (ca. stante zu dem jeweiligen Protein ab.
4 % des Körpergewichts), den interstitiellen Der an Plasmaprotein gebundene Anteil ei-
Raum (ca. 16–20 % des Körpergewichts) und die nes Pharmakons kann Membranen nicht pene-
transzelluläre Flüssigkeit (ca. 1,5 % des Körper- trieren, d. h. er kann in der Regel nicht an seinen
gewichts). Unter der Bezeichnung Gesamtkör- Wirkort gelangen, und er unterliegt in der pro-
perwasser versteht man die gesamte Flüssigkeit teingebundenen Form auch nicht der Biotrans-
des Organismus (bei einem Patienten mit 70 kg formation und der Ausscheidung.
Körpergewicht etwa 42 l). Veränderungen des Gehalts an Albumin bzw.
Die Konzentration eines Stoffs im Plasma saurem α1-Glykoprotein, die bei verschiedenen
(Plasmaspiegel) ist eine wichtige Kenngröße, da Erkrankungen (z. B. verminderte Albuminkon-
Plasmaspiegelwerte oft eng mit der pharmako- zentration bei Leberzirrhose, Niereninsuffizienz
logischen Wirkung korrelieren und mit analyti- oder Verbrennungen) vorkommen, können zu
schen Methoden exakt bestimmbar sind. einer Änderung des freien Wirkstoffanteils und
Die Verteilung zwischen Plasmaraum und in- damit zu einer Änderung von Wirkstärke und
terstitiellem Raum wird vom Kapillaraufbau in Wirkdauer führen.
2.5 Biotransformation (Metabolisierung) 11

Außerdem kann sich der freie, nichtgebunde- Blut findet über sog. Synzytiotrophoblasten
ne Anteil ändern, wenn gleichzeitig mehrere statt, die eine Reihe von SLC- und ABC-Trans-
proteingebundene Pharmaka im Blut vorhan- portern (Ⴉ Kap. 2.1.2) exprimieren. Die Plazen-
den sind und um die gleichen Bindungsstellen taschranke hat eine gewisse Barrierefunktion.
konkurrieren (klinisch relevant vor allem bei ei- Manche Stoffe werden von ihr zurückgehalten
ner Proteinbindung > 80–90 %). Die Substanz (z. B. viele Bakterien und Viren), manche kön-
mit der höheren Affinität bzw. Konzentration nen sie aber auch penetrieren, z. B. auch zahlrei-
kann den anderen Arzneistoff aus der Protein- che Arzneistoffe, Alkohol, Nicotin oder Röteln-
bindung verdrängen und damit dessen freien viren.
Anteil sowie als Folge davon seine Wirkung er-
höhen.
2.5 Biotransformation
2.4.2 Spezielle Verteilungsräume (Metabolisierung)
Blut-Hirn-Schranke. Hirnkapillaren bestehen
aus einem Endothel, umgeben von einer Basal- Da lipophile Substanzen nach der glomerulären
membran mit eingelagerten Perizyten und auf- Filtration in den Nierentubuli weitgehend rück-
gelagerten Astrozytenfortsätzen. Die eigentliche resorbiert werden, können sie nur langsam renal
Diffusionsbarriere zwischen Blut und Extrazel- ausgeschieden werden. Daher müssen lipophile
lularraum des ZNS stellt das Kapillarendothel Xenobiotika in hydrophilere, leichter ausscheid-
2
dar, bei dem die Zellen durch sog. Tight junc- bare Stoffe umgewandelt werden. Diese Um-
tions lückenlos miteinander verbunden sind. wandlungsprozesse von Fremdsubstanzen im
An der Ausbildung dieser interzellulären Ver- Organismus werden als Biotransformation oder
bindungen sind Transmembranproteine (z. B. Metabolisierung bezeichnet. Sie erfolgen vor al-
Claudine) beteiligt, die ein Permeationshinder- lem in der Leber, aber auch in anderen Organen
nis darstellen bzw. die Permeation kontrollieren. z. B. im Darm, in der Niere, der Lunge, der Milz,
Aufnahmetransporter ermöglichen andererseits der Muskulatur, der Haut oder im Blut.
den Übertritt verschiedener Substanzen z. B. Die an der Biotransformation beteiligten En-
von Glucose oder Aminosäuren in das ZNS. zyme sind strukturgebunden hauptsächlich in
Auch eine Reihe von ABC-Transportproteinen den Membranen des endoplasmatischen Reti-
wurde identifiziert, die wiederum einen aktiven kulums (z. B. Monooxygenasen, Glucuronyl-
Auswärtstransport von Pharmaka bewirken und transferasen) und z. T. auch in den Mitochon-
so zum Schutz des ZNS beitragen. drien lokalisiert. Daneben kommen sie struktur-
Lipidlösliche Stoffe können die Blut-Hirn- ungebunden als lösliche Enzyme (z. B. Ester-
Schranke im Allgemeinen gut, lipidunlösliche asen, Amidasen, Sulfotransferasen) vor. Sie sind
dagegen schlecht überwinden, sofern keine akti- häufig wenig substratspezifisch, d. h., dass sie
ven Transportmechanismen (Ⴉ Kap. 2.1.2) beste- Substrate unterschiedlicher chemischer Struk-
hen. Bei entzündlichen Prozessen nimmt die tur umsetzen. Sie sind außerdem an Stoffwech-
Integrität der Blut-Hirn-Schranke ab und ihre selprozessen körpereigener Substanzen (z. B.
Permeabilität zu, sodass dann auch solche Stoffe von Steroidhormonen, Gallensäuren, Häm) be-
in das ZNS eindringen, welche die Barriere nor- teiligt. Neben körpereigenen Enzymen leistet
malerweise nicht überwinden können. auch die Darmflora, insbesondere durch Reduk-
tion und Hydrolyse, einen Beitrag zur Biotrans-
Plazentaschranke. Strukturen, die den Blut- formation.
kreislauf der Mutter von dem des Kindes tren- In Ⴜ Abb. 2.2 sind die wichtigsten Vorgänge
nen, werden unter dem Begriff Plazentaschran- bei der Biotransformation schematisch wieder-
ke zusammengefasst. Der erforderliche Stoffaus- gegeben.
tausch zwischen dem fetalen und mütterlichen
12 2 Pharmakokinetik

tabolisierung von Fremdstoffen sind insbeson-


Phase-I-Reaktion Phase-II-Reaktion dere die Familien 1–3 wichtig). Die Familien
enthalten mehrere, mit einem Buchstaben ge-
Phase-I- Phase-II-
Arzneistoff kennzeichnete Subfamilien, deren Einzelvertre-
Metabolit Metabolit
Oxidation, Konjugation mit ter mit einer weiteren Zahl bezeichnet werden.
Reduktion, akt. Glucuronsäure, In ႒ Tab. 2.2 sind die für den Arzneimittelstoff-
Hydrolyse akt. Schwefelsäure, wechsel im Menschen wichtigen CYP-Enzyme
akt. Essigsäure,
Aminosäuren u.a. und Substrate zusammengestellt. Das quantita-
tiv wichtigste CYP-Enzym ist CYP3A4, das an
Ⴜ Abb. 2.2 Die wichtigsten Vorgänge bei der Bio- der Oxidation einer Vielzahl häufig eingesetzter
transformation Arzneistoffe beteiligt ist.
Die größte Menge an CYP-Enzymen kommt
2.5.1 Phase-I-Reaktionen in der Leber vor. Aber auch in vielen anderen
Als Phase-I-Reaktionen werden die Biotransfor- Organen (z. B. Gastrointestinaltrakt, Lunge, Ge-
mationsreaktionen bezeichnet, bei denen das hirn) konnten CYP-Enzyme nachgewiesen wer-
Pharmakonmolekül oxidativ, reduktiv oder hy- den, wobei insbesondere das Vorkommen im
drolytisch verändert wird. Dünndarm (Lokalisation im apikalen Bereich
der Enterozyten) die Bioverfügbarkeit oral ver-
2.5.1.1 Oxidationsreaktionen abreichter Substanzen limitieren kann. Die
Von besonderer Bedeutung für die Biotransfor- Menge an einzelnen CYP-Enzymen ist interin-
mation sind Oxidationsreaktionen, an denen dividuell sehr unterschiedlich. Hierfür werden
Oxidasen, Monooxygenasen und Dioxygena- zwei Phänomene verantwortlich gemacht: Zum
sen beteiligt sind. Oxidasen oxidieren durch einen kann die Aktivität durch Erbfaktoren be-
Entzug von Wasserstoff bzw. Elektronen. Durch stimmt sein. Solche genetische Polymorphis-
Monooxygenasen wird ein Sauerstoffatom von men wurden z. B. für CYP2D6 und CYP2C19
einem Sauerstoffmolekül in den Fremdstoff ein- beschrieben. Zum anderen gibt es CYP-Enzyme
gebaut und das andere zu Wasser reduziert. Di- (z. B. CYP1A2, CYP2B6, CYP3A4), deren Akti-
oxygenasen führen dagegen beide Atome eines vität unabhängig von Erbfaktoren durch Induk-
Sauerstoffmoleküls in das Xenobiotikum ein. tion (Modulation des Expressionsniveaus) regu-
liert wird (Ⴉ Innenseite des hinteren Umschlag-
Cytochrom P450. Die weitaus größte Bedeutung
deckels).
für die oxidative Biotransformation von Phar-
Cytochrom-haltige Monooxygenasen kataly-
maka besitzen mikrosomale Monooxygenasen,
sieren aliphatische und aromatische Hydroxy-
die Hämproteine vom Typ Cytochrom P450
lierungen, die Epoxidierung olefinischer und
enthalten. Die Bezeichnung Cytochrom P450
aromatischer Doppelbindungen, die oxidative
beruht auf der starken Absorption von Licht der
Desalkylierung von N-, O- und S-Alkylverbin-
Wellenlänge 450 nm (nach Reduktion mit Natri-
dungen, die oxidative Desaminierung und die
umdithionit und Equilibrierung mit CO).
Oxidation von Thioethern und Aminen zu
Es gibt eine Vielzahl solcher Cytochrom-
Sulfoxiden bzw. Hydroxylaminen.
P450-Enzyme (CYP), die sich hinsichtlich ihrer
Substratspezifität, der am jeweiligen Expressi- Flavinmonooxygenasen. Neben den Cyto-
onsort vorhandenen Menge sowie weiterer Cha- chrom-P450-haltigen Monooxygenasen gibt es
rakteristika (z. B. Induzierbarkeit, genetische auch Flavin-haltige Monooxygenasen (FMO),
Polymorphismen) unterscheiden. Anhand ihrer die z. B. sekundäre Amine in Hydroxylamine
Aminosäuresequenzen werden die verschiede- und tertiäre Amine in N-Oxide umwandeln.
nen CYPs in Familien eingeteilt, die durch eine Insgesamt gibt es sechs FMO-Familien, von de-
arabische Zahl charakterisiert sind (für die Me- nen FMO3 besonders wichtig ist, weil sie in der
2.5 Biotransformation (Metabolisierung) 13

႒ Tab. 2.2 Wichtige Cytochrom-P450-Enzyme (CYP) und ausgewählte Substrate


Enzym Substrat

CYP1A2 Amitriptylin, Clomipramin, Clozapin, Coffein, Estradiol, Fluvoxamin, Haloperidol, Imipramin,


Naproxen, Olanzapin, Ondansetron, Propranolol, Ropivacain, Tizanidin, Theophyllin, Verapa-
mil, Zolmitriptan

CYP2A6 Nicotin

CYP2B6 Bupropion, Cyclophosphamid, Efavirenz, Ifosfamid, Methadon, Sorafenib

CYP2C8 Paclitaxel, Repaglinid, Sorafenib

CYP2C9 Amitriptylin, Celecoxib, Diclofenac, Fluoxetin, Fluvastatin, Glibenclamid, Glimepirid, Ibu-


profen, Irbesartan, Losartan, Meloxicam, Naproxen, Phenprocoumon, Piroxicam, Phenytoin,
Tamoxifen, Voriconazol, Warfarin

CYP2C19 Amitriptylin, Citalopram, Clomipramin, Clopidogrel, Cyclophosphamid, Diazepam, Voricon-


azol, Imipramin, Indometacin, Lansoprazol, Moclobemid, Nelfinavir, Omeprazol, Pantoprazol,
Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Progesteron, Propranolol, Rabeprazol, Warfarin

CYP2D6 Alprenolol, Amitriptylin, Aripiprazol, Carvedilol, Clomipramin, Codein, Dextromethorphan,


2
Flecainid, Fluoxetin, Fluvoxamin, Haloperidol, Imipramin, Metoprolol, Duloxetin, Nebivolol,
Nortriptylin, Ondansetron, Paroxetin, Perphenazin, Propafenon, Risperidon, Tamoxifen,
Thioridazin, Timolol, Tramadol

CYP2E1 Ethanol, Isofluran, Sevofluran, Theophyllin

CYP3A4 Alprazolam, Alfentanil, Amlodipin, Apixaban, Atorvastatin, Buspiron, Clarithromycin, Chini-


din, Ciclosporin, Coffein, Dextromethorphan, Diazepam, Diltiazem, Docetaxel, Domperidon,
Eplerenon, Erythromycin, Estradiol, Felodipin, Fentanyl, Haloperidol, Imatinib, Indinavir,
Irinotecan, Lercanidipin, Lidocain, Lovastatin, Methadon, Midazolam, Nelfinavir, Nifedipin,
Nisoldipin, Nitrendipin, Ondansetron, Paclitaxel, Progesteron, Propranolol, Ritonavir, Rivaro-
xaban, Saquinavir, Sildenafil, Simvastatin, Sirolimus, Tacrolimus, Tamoxifen, Terfenadin,
Testosteron, Triazolam, Verapamil, Vincristin, Zolpidem

Leber stark exprimiert wird und zum anderen 2.5.1.2 Reduktionen


Arzneistoffe wie z. B. Ranitidin oder Clozapin Im Vergleich zu Oxidationen spielen Reduktio-
metabolisiert. Im Gegensatz zu den Cyto- nen nur eine untergeordnete Rolle. Beispiels-
chrom-P450-Enzymen werden FMO nicht in- weise werden Carbonylverbindungen zu den
duziert. Ihre Substratspezifität ist im Vergleich entsprechenden Alkoholen, Azoverbindungen
zu den CYP-Enzymen generell weniger ausge- zu den primären Aminen reduziert.
prägt. Toxikologisch bedeutsam ist die reduktive
Dehalogenierung von aliphatischen Halogen-
Sonstige oxidierende Enzyme. Weitere wichtige
haltigen Substanzen, z. B. von Tetrachlorkohlen-
oxidierende Enzyme sind die Alkohol-Dehyd-
stoff.
rogenase, die Alkohole (z. B. Ethanol) zu Alde-
hyden dehydriert, die Aldehydoxidase, die
2.5.1.3 Biohydrolysen
Aldehyde in Säuren überführt, und die Mono-
Wichtige biohydrolytische Reaktionen sind die
aminoxidase, die vor allem biogene Amine (z. B.
Spaltung von Estern durch Esterasen, von Ami-
Catecholamine) oxidativ biotransformiert.
den durch Amidasen, bzw. die Hydrolyse von
14 2 Pharmakokinetik

Glykosiden durch Glykosidasen und von Glu- transferasen (UGT1, UGT2) mit insgesamt 19
curoniden durch Glucuronidasen. Enzymen, die sich hinsichtlich ihrer Sub-
Da auch Darmbakterien hydrolytische En- stratspezifität und ihres Expressionsortes unter-
zyme besitzen, bewirken sie insbesondere eine scheiden. Die ausgeprägte interindividuelle Va-
Spaltung von Phase-II-Metaboliten (s. u.) in den riabilität in der Aktivität der einzelnen Enzyme
tieferen Darmabschnitten. Sofern der freigesetz- kann, ebenso wie bei den Cytochrom-P450-En-
te Wirkstoff dort resorbiert werden kann, tritt zymen, genetisch oder durch Induktion bedingt
ein enterohepatischer Kreislauf auf (Ⴉ Kap. 2.3). sein. Die UGT sind in der Lage, ein großes Spek-
trum strukturell sehr unterschiedlicher Arznei-
stoffe und endogener Substrate zu glucuronidie-
2.5.2 Phase-II-Reaktionen
ren. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag
Bei Phase-II-Reaktionen erfolgt eine Kopplung
zur Elimination.
(Konjugation) des Arzneistoffmoleküls bzw. ei-
nes bereits durch eine Phase-I-Reaktion ent- Konjugation mit Schwefelsäure. Vor allem Phe-
standenen Metaboliten mit einer körpereigenen nole bilden Konjugate mit aktiviertem Sulfat
Substanz. In vielen Fällen wird erst durch eine (3ಿ-Phosphoadenosin-5ಿ-Phosphosulfat), das
Phase-I-Reaktion die Voraussetzung für eine durch zytosolische Sulfotransferasen (SULT)
Konjugationsreaktion geschaffen. unterschiedlicher Substratspezifität übertragen
Zu den wichtigsten Konjugationsreaktionen, wird. Beschrieben sind heute drei Familien von
die unter Beteiligung von meist spezifischen SULT (SULT1, 2 und 4), wobei die SULT1-Fa-
Transferasen ablaufen, gehören die Konjugatio- milie für den Abbau von Arzneistoffen bedeut-
nen mit aktivierter Glucuronsäure, aktiviertem sam ist. Es entstehen hydrophile Schwefelsäure-
Sulfat und Aminosäuren, insbesondere Glycin. halbester, die mit dem Urin ausgeschieden wer-
Die Bildung von Mercaptursäure-Derivaten den.
mit Glutathion, Acetylierungen und Methylie-
Konjugation mit Glycin. Nicht weiter oxidativ
rungen sind weitere Phase-II-Reaktionen.
abbaubare Carbonsäuren können Konjugate mit
Die hydrophilen Konjugate werden rasch –
Glycin bilden. Hierzu gehören am α-C-Atom
auch mittels aktiver Prozesse – renal oder/und
substituierte sowie aromatische Carbonsäuren,
biliär ausgeschieden. Konjugationsreaktionen
z. B. Benzoesäure. Klassische Beispiele für sol-
haben somit in der Regel den Charakter von
che Konjugate sind die aus Benzoesäure gebilde-
Bioinaktivierungs- bzw. Entgiftungsreaktionen,
te Hippursäure und die aus Salicylsäure entste-
da die Konjugationsprodukte meist biologisch
hende Salicylursäure. Die Reaktion wird durch
inaktiv sind. Allerdings gibt es auch biologisch
eine Transacylase katalysiert.
aktive Phase-II-Metaboliten wie beispielsweise
die C-17-Glucuronide von Estrogenen und An- Bildung von Mercaptursäure-Derivaten. Die
drogenen oder das analgetisch wirksame Mor- Konjugation mit Glutathion (Tripeptid aus Glu-
phin-6-Glucuronid. taminsäure, Cystein und Glycin) stellt einen
wichtigen Eliminationsweg elektrophiler Ver-
Konjugation mit aktivierter Glucuronsäure.
bindungen dar. Von den primär gebildeten
Glucuronsäure ist eine verhältnismäßig starke
Glutathion-Konjugaten (Bindung über SH-
Säure, die zusätzlich alkoholische OH-Gruppen
Gruppe von Cystein) werden Glutaminsäure
enthält und daher sehr hydrophil ist. Sie wird
und Glycin abgespalten und durch N-Acetylie-
durch membrangebundene Glucuronyltrans-
rung von Cystein entstehen als Endprodukte
ferasen (Uridin-5ಿ-diphosphat-Glucuronyltrans-
sog. Mercaptursäuren (N-Acetylcystein-Deri-
ferasen; UGT) vor allem der Leber, daneben der
vate).
Niere und des Darmes in Form von aktivierter
Glucuronsäure (UDP-Glucuronsäure) übertra- Acetylierung. Substanzen mit Aminogruppen,
gen. Es gibt zwei Familien der UDP-Glucuronyl- die nicht oxidativ abgebaut werden können,
2.5 Biotransformation (Metabolisierung) 15

werden häufig mittels zytosolischer N-Acetyl- oder nukleären Rezeptor, der nach der Bindung
transferasen acetyliert. Man kennt zwei Isoen- mit einem zweiten Protein ein Heterodimer bil-
zyme dieses Typs, die ubiquitär vorkommende det. Dieses bindet an regulatorische Elemente
NAT1 und die überwiegend im Gastrointesti- der DNA, wodurch u. a. Gene stimuliert werden,
naltrakt und in der Leber exprimierte NAT2. Zu die für Cytochrom P450-Enzyme bzw. Trans-
den Substraten gehören die aromatischen Ami- portproteine kodieren.
ne und Alkylamine, bei denen sich die Amino- Dieser molekulare Induktionsmechanismus
gruppe an einem tertiären Kohlenstoffatom be- wurde zuerst für polycyclische aromatische
findet. Die Acetylierung der Sulfonamide und Kohlenwasserstoffe (polycyclic aromatic hydro-
von Isoniazid sind Beispiele für eine derartige carbons; PAH) aufgeklärt, für die ein zytosoli-
Konjugation, die im Allgemeinen zu einer Ab- scher Ah-Rezeptor (Ah, aryl hydrocarbons) be-
nahme der Hydrophilie führt. Dies kann Kom- schrieben wurde. Zwei weitere zytosolische Pro-
plikationen, z. B. eine Kristallurie, wie sie als Ne- teine, die für die konstitutive Expression von
benwirkung von Sulfonamiden beschrieben Arzneistoff metabolisierenden und transportie-
wurde, auslösen. Weitere Substrate sind z. B. renden Proteinen wichtig sind, sind Nuclear
Aminosalicylsäure, Coffein, Clonazepam und Factor E2 (NFE-2) und Hepatocyte Nuclear
Metamizol. Factor 1α (HNF1α), die die Expression von
Für beide NATs ist eine Vielzahl genetischer CYP-Enzymen, UGT und Transportern beein-
Varianten beschrieben, wobei nur die NAT2- flussen können.
2
Polymorphismen mit dem Acetyliererstatus as- Nukleäre Rezeptoren, die für die Pharmako-
soziiert sind (vgl. schnelle und langsame Acety- kinetik wichtig sind, gehören zur Superfamilie
lierer Ⴉ Kap. 6.1). der Steroidrezeptoren (Nuclear Receptor Fami-
ly 1; NR1), z. B. der Konstitutive-Androstan-
Methylierung. Methylierungen kommen im
Rezeptor (CAR), der Pregnan-X-Rezeptor
Rahmen von Biotransformationsreaktionen ver-
(PXR), der Farnesoid-X-Rezeptor (FXR), die
hältnismäßig selten vor. Man findet in einigen
Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezep-
Fällen eine N-Methylierung, Methylierungen
toren α und γ (PPARα und γ) sowie der Vit-
ungesättigter heterocyclischer Verbindungen
amin-D-Rezeptor (VDR). Für alle diese Re-
oder eine Methylierung phenolischer OH-
zeptortypen ist der Induktionsmechanismus
Gruppen, z. B. von Catecholaminen (katalysiert
wiederum gleichartig: Nach Bindung des Sub-
durch Catechol-O-Methyltransferase; COMT).
strats kommt es, wie oben beschrieben, zur Bil-
dung eines Heterodimers, in diesem Fall mit
2.5.3 Induktion von Arzneistoff dem 9-cis-Retinolsäurerezeptor (RXR). Die ge-
transportierenden und bildeten Heterodimere binden dann an definier-
metabolisierenden Proteinen te DNA-Sequenzen und stimulieren so die Tran-
Seit langem ist bekannt, dass einige Arzneistoffe skription von Genen für Stoffwechselenzyme
sowie andere Xenobiotika in der Lage sind, ihre und Transportproteine.
eigene Elimination zu beeinflussen. Substanzen, Für die medikamentöse Therapie ergeben
die durch eine vermehrte Bildung von Enzy- sich aus der Enzyminduktion wichtige Konse-
men, die an der Biotransformation beteiligt quenzen. Bei einer längerdauernden Medikati-
sind, ihren eigenen Stoffwechsel beschleunigen, on mit Enzyminduktoren kommt es zu einer
bezeichnet man als (Enzym-)Induktoren. Ne- Erniedrigung der zu Beginn der Behandlung
ben metabolisierenden Enzymen können auch mit einer bestimmten Dosis erreichbaren
Transportproteine induziert werden. Arzneistoffkonzentration im Plasma. Sind die
Der zu Grunde liegende Mechanismus ist für Abbauprodukte weniger aktiv als die
alle Induktoren ähnlich: Die induzierende Sub- Ausgangssubstanz, wird die Wirkung vermin-
stanz bindet entweder an einen zytosolischen dert, besitzen sie stärkere Effekte (z. B. bei Pro-
16 2 Pharmakokinetik

drugs), nimmt sie zu (s. u.). Bei der gleichzeiti- naltrakts erfolgen (prähepatischer First-Pass-
gen Verordnung mehrerer Medikamente besteht Effekt). Im Darm finden neben Oxidationsreak-
die Gefahr von u. U. gefährlichen Arzneistoff- tionen durch Cytochrom-P450-abhängige Mo-
wechselwirkungen. nooxygenasen (z. B. bei Verapamil oder Cic-
Manche CYP-Enzyme (z. B. CYP1A1 und losporin) insbesondere Konjugationsreaktionen
CYP1A2) sind außerdem in der Lage, chemi- statt. Eine ausgeprägte präsystemische Elimina-
sche Karzinogene zu bioaktivieren, sodass eine tion kommt z. B. auch bei Sexualhormonen und
Induktion zu einem erhöhten Tumorrisiko füh- Morphin vor. Eine Induktion der Enzyme des
ren kann. Induktoren dieser Enzyme werden in Gastrointestinaltrakts, z. B. durch Rifampicin,
der Arzneimittelentwicklung daher besonders kann zu einer starken Zunahme des First-Pass-
kritisch betrachtet. Effekts führen.

2.5.4 Enzyminhibition 2.5.6 Bioaktivierung


Zahlreiche Arzneistoffe können Transport- und Die Biotransformation von Arzneistoffen führt
Biotransformationsprozesse hemmen, sie wer- in der Regel zu einer Wirkungsabschwächung
den daher als Enzyminhibitoren bezeichnet. Die bzw. vollständigen Inaktivierung, bei Prodrugs
Enzyminhibition ist die Ursache zahlreicher kommt es dagegen zu einer Bioaktivierung.
Arzneimittelinteraktionen und beruht meistens
Prodrugs. Unter Prodrugs versteht man Sub-
darauf, dass es zwischen zwei oder mehreren
stanzen, die selbst biologisch weitgehend inaktiv
Pharmaka zu einer Konkurrenz um die Bin-
sind, die aber im Organismus – enzymatisch
dungsstelle am Transporter oder am Enzym und
oder nichtenzymatisch – in eine aktive Form
damit zu einer kompetitiven Hemmung des
umgewandelt werden. Die Entwicklung von
Transports bzw. Abbaus kommt.
Prodrugs kann beispielsweise bei unzureichen-
der Resorption des Wirkstoffs, hohem First-
2.5.5 First-Pass-Effekt
Pass-Effekt, kurzer Wirkdauer oder ungenügen-
Das gesamte venöse Blut des Magen-Darm-Ka-
der Verteilung in Zielorgane sinnvoll sein. Meist
nals (mit Ausnahme der distalen zwei Drittel des
wird bei der Entwicklung von Prodrugs so vor-
Rektums) und damit auch alle darin enthaltenen
gegangen, dass eine im Wirkstoff vorhandene
Substanzen gelangen in die Pfortader und durch
funktionelle Gruppe (z. B. eine OH- oder Ami-
diese in die Leber. Bevor also ein durch die Ma-
nogruppe) mit einer geeigneten Verbindung
gen- oder Dünndarmschleimhaut resorbiertes
(z. B. einer Carbonsäure) umgesetzt wird, die
Pharmakon das Herz und von dort aus den Lun-
dann im Organismus wieder abgespalten wer-
gen- und Körperkreislauf (und ggf. seinen Wirk-
den kann.
ort) erreicht, muss es die Leber passieren.
Der First-Pass-Effekt ist durch den Anteil ei- Werden im Rahmen der Biotransformation to-
nes Stoffs charakterisiert, der bei dieser ersten xische Metaboliten gebildet, spricht man von
Leberpassage metabolisiert und/oder ausge- Biotoxifizierung. Toxische Metaboliten von
schieden wird. Substanzen mit ausgeprägtem Arzneistoffen treten insbesondere dann auf,
First-Pass-Effekt sind z. B. der Betablocker Pro- wenn infolge von (zu) hohen Dosen die Kapazi-
pranolol und das Koronartherapeutikum Glyce- tät der Biotransformationsreaktionen (Glucu-
roltrinitrat, das nicht nur wegen des schnelleren ronidierung, Sulfatierung), die in der Regel zu
Wirkungseintritts, sondern auch wegen des aus- untoxischen Abbauprodukten führen, nicht
geprägten First-Pass-Effekts perlingual gegeben mehr ausreicht (vgl. Paracetamol-Intoxikation,
wird. Ⴉ Kap. 12.1.3.2).
Neben dem Abbau durch Leberenzyme kann
eine ausgeprägte Metabolisierung auch bereits
im Lumen oder in der Wand des Gastrointesti-
2.6 Ausscheidung 17

2.6 Ausscheidung 2.6.2 Hepatische Ausscheidung


Nach intestinaler Resorption werden die Arz-
Die Ausscheidung (Exkretion) eines Pharma- neistoffe über die Pfortader zur Leber transpor-
kons bzw. seiner Metaboliten führt – wie die tiert und dort mehr oder weniger stark verstoff-
Biotransformation – zur Abnahme der wechselt. Vor dem Metabolismus ist eine Ex-
Wirkstoffkonzentration im Körper. Sie hängt traktion aus dem Blutstrom durch einen Trans-
zum einen von den physikalisch-chemischen Ei- fer in die Hepatozyten notwendig. Dieser hängt
genschaften (z. B. Molekularmasse, pKa-Wert) primär von den biophysikalischen Eigenschaf-
der auszuscheidenden Substanz, zum anderen ten des Arzneistoffs ab. Außerdem spielen blut-
vom Vorhandensein spezifischer Transportpro- seitig (basolateral) vorkommende hepatische
teine (s. o.) ab und erfolgt im Wesentlichen in- Aufnahmetransporter, die zur SLC-Familie ge-
testinal (mit den Fäzes), biliär (ebenfalls mit den hören (Ⴉ Kap. 2.1.2), eine wesentliche Rolle. Mit-
Fäzes) und/oder renal (mit dem Urin). Der Aus- tels einer Vielzahl dort exprimierter Transport-
scheidung von Pharmaka über die Lunge (pul- proteine kann ein breites Substanzspektrum in
monal) oder durch die Haut kommt eine deut- die Leber aufgenommen werden. Zu diesen
lich geringere Bedeutung zu. Transportern gehören u. a. organische Anio-
nentransporter (OATP) und Kationentrans-
2.6.1 Ausscheidung über den porter (OCT). Am besten untersucht ist die
Gastrointestinaltrakt Aufnahme von Arzneistoffen durch den organi-
2
Oral applizierte Arzneistoffe werden entweder schen Anionentransporter OATP1B1. Geneti-
passiv durch Diffusion oder durch Transport- sche Varianten oder gleichzeitig gegebene
proteine vom SLC-Typ in die Enterozyten des Hemmstoffe dieses Proteins (z. B. der Lipidsen-
Gastrointestinaltrakts aufgenommen. Dabei be- ker Gemfibrozil) können die hepatische Auf-
steht in einigen Fällen die Möglichkeit, dass ein nahme von Substraten (z. B. die von Pravastatin)
in die Enterozyten aufgenommener Wirkstoff deutlich reduzieren und damit die Metabolisie-
(oder sein Metabolit) durch ABC-Transporter rung hemmen.
(u. a. P-gp, MRP2 oder BCRP) wieder in das In den Hepatozyten werden dann viele Arz-
Darmlumen zurücktransportiert und mit dem neistoffe durch die oben beschriebenen Phase-I-
Stuhl ausgeschieden wird. Dieser Eliminations- und -II-Biotransformationssysteme metaboli-
weg kann durch Enzyminduktoren stimuliert siert. Die dabei gebildeten hydrophilen Metabo-
werden. Der Enzyminduktor Rifampicin führt liten werden durch kanalikulär vorkommende
beispielsweise nicht nur zu einer verstärkten in- Effluxtransporter, die der ABC-Familie angehö-
testinalen Expression von CYP3A4, sondern ren, in die Galle transportiert. Hierbei sind
auch zur vermehrten Bildung der Effluxtrans- ABCB1 (P-gp) und ABCC2 (MRP2) besonders
porter P-gp und MRP2, d. h. dass die in verstärk- wichtig. Eine eingeschränkte Funktion dieser
tem Maß gebildeten Metaboliten auch entspre- Proteine durch gleichzeitig gegebene Arznei-
chend schneller in das Darmlumen transpor- stoffe oder durch genetische Varianten führt
tiert werden. dazu, dass die in der Leber gebildeten Metaboli-
Der Organismus verfügt also bereits im In- ten nicht in die Galle ausgeschieden werden
testinaltrakt durch die Kombination von Bio- können, somit in den Hepatozyten akkumulie-
transformationsreaktionen und Transportvor- ren und dadurch zu einer Leberschädigung füh-
gängen über ein komplexes Eliminationssystem, ren können.
das dafür sorgt, dass bei einer Reihe von Arznei- Hepatisch, d. h. mit der Galle (biliär), werden
stoffen nur ein Teil einer applizierten Dosis in vor allem solche Stoffe ausgeschieden, die eine
die Pfortader übertritt und damit systemisch Molekularmasse über 500 Da besitzen bzw. die-
verfügbar ist. se durch Metabolisierung erlangen. Stoffe mit
18 2 Pharmakokinetik

einer Molekularmasse unter 300 Da erscheinen rung, bei Intoxikationen mit sauren Substanzen
dagegen bevorzugt im Harn. durch Alkalisierung des Urins die Eliminierung
Auf die Möglichkeit der Rückresorption bili- des Giftes beschleunigt werden. Bei starker tu-
är sezernierter lipophiler Pharmaka bzw. deren bulärer Rückresorption kann diese ferner durch
hydrolysierter Konjugate wurde bereits hinge- eine Steigerung des Harnflusses vermindert
wiesen (enterohepatischer Kreislauf, Ⴉ Kap. 2.3). werden (forcierte Diurese).
Tubuläre Sekretion. Der tubulären Sekretion
2.6.3 Ausscheidung über die Niere
liegt im Gegensatz zur tubulären Rückresorpti-
Die wichtigsten Ausscheidungsorgane sind die
on von Pharmaka ein aktiver Prozess zugrunde.
Nieren. Die Schnelligkeit und das Ausmaß der
Um in das Lumen des Tubulus sezerniert zu
renalen Ausscheidung werden von der glomeru-
werden, muss eine Substanz zunächst aus dem
lären Filtration, der tubulären Rückresorption
Blutstrom über einen basolateralen Transporter
und der tubulären Sekretion bestimmt.
aufgenommen werden, um dann auf der apika-
Glomeruläre Filtration. Für die glomeruläre Fil- len Seite, wiederum durch ein Transportprotein,
tration sind die Löslichkeitseigenschaften der in den Urin sezerniert zu werden.
Pharmaka ohne Einfluss, lipidlösliche Sub- Organische Kationen werden durch SLC-
stanzen werden ebenso gut filtriert wie wasser- Transporter der OCT-Familie aus dem Blut auf-
lösliche. Da aber Proteine das glomeruläre Filter genommen und über SLC-Transporter wie
nicht passieren können, werden an Eiweiß ge- OCTN2 oder durch den ABC-Transporter P-gp
bundene Wirkstoffe nicht filtriert. Bei Hypopro- in den Urin ausgeschieden. Organische Anio-
teinämie kann somit ebenso wie bei der Ver- nen gelangen mittels Anionentransportern wie
drängung aus der Eiweißbindung durch ein OAT1 und OAT3 aus dem Blut in die Tubulus-
Zweitpharmakon die Wirkungsdauer Plasmaei- epithelien und von dort durch ABC-Transporter
weiß-gebundener Pharmaka bei zunächst ver- wie ABCC2 (MRP2) und ABCC4 (MRP4) in
stärkter Wirkung verkürzt sein. den Urin, wobei an dem letztgenannten Schritt
auch SLC-Proteine mitwirken.
Tubuläre Rückresorption. Die tubuläre Rückre-
Durch diese im proximalen Tubulus lokali-
sorption kommt durch den Konzentrations-
sierten Transportsysteme werden zahlreiche
anstieg im Harn infolge der Rückresorption von
Substanzen entgegen dem Konzentrationsgefälle
Wasser in den Nierentubuli zustande. Für die
in den Urin abgegeben. Die einzelnen Sub-
meisten Arzneistoffe ist die Rückresorption ein
stanzen können sich dabei gegenseitig in ihrem
passiver Diffusionsprozess, der von den Löslich-
Transport kompetitiv hemmen.
keitseigenschaften des Pharmakons, seinem
pKa-Wert und vom pH-Wert des Urins abhängt.
Lipidlösliche Substanzen, die enteral gut resor- 2.6.4 Pulmonale Ausscheidung
biert werden, durchdringen auch leicht das Tu- Die Exhalation von Gasen – insbesondere nach
bulusepithel und werden stark rückresorbiert. einer Narkose – und flüchtigen Substanzen er-
Hydrophile, enteral kaum resorbierbare Stoffe folgt proportional den Konzentrations- bzw.
diffundieren dagegen schlecht transtubulär. Druckgradienten zwischen Blut und Atemluft.
Schwache Basen (pKa 6–12) werden bei Er- Es handelt sich hierbei um einen reinen Diffusi-
niedrigung, schwache Säuren (pKa 3–7,5) bei onsprozess. Gegenüber der pulmonalen Auf-
Erhöhung des Urin-pH-Werts stärker ausge- nahme von Stoffen ist nur die Richtung des
schieden (Überführung in die wasserlösliche Konzentrationsgradienten entgegengesetzt. Mit
Salzform). abnehmender Löslichkeit im Blut nimmt die
Bei Intoxikationen mit basischen Stoffen pulmonale Ausscheidung zu.
(z. B. Alkaloiden) kann daher durch Azidifizie-
2.7 Pharmakokinetische Parameter 19

2.7 Pharmakokinetische Parameter


2,5
Die nachfolgend beschriebenen pharmakokine- 2,0
tischen Parameter werden aus Konzentrations- Fläche eines

Cp (mg/ml)
Zeit-Verläufen von Arzneistoffen und ggf. deren 1,5 Trapezsegments:
Metaboliten in der Kreislaufflüssigkeit (Blut, (C1+C2 /2 • (t2t1
1,0
Plasma, Serum) und dem Harn gewonnen. Die-
se Flüssigkeiten sind gut zugänglich, und die 0,5
Konzentration im Blut, dem Transportorgan,
spiegelt die kinetischen Vorgänge im Organis- 0
0 4 8 12 16 20 24
mus wider. Zur Gewinnung der Konzentrations- t (h)
Zeit-Kurven als Resultanten der verschiedenen
pharmakokinetischen Teilprozesse sind wieder- Ⴜ Abb. 2.3 Ermittlungen der Fläche unter der Kur-
holte Bestimmungen der Arzneistoffkonzen- ve mit der Trapezregel. Derendorf et al. 2011
tration im Blut bzw. Plasma oder Serum not-
wendig.
Die kinetischen Parameter werden im Fol- Von Dost, dem Begründer der Pharmakoki-
genden, vorrangig nach ihrer Bedeutung für die netik, wurde gezeigt, dass die Fläche unter der
verschiedenen pharmakokinetischen Teilpro- Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) der aufge-
2
zesse (Resorption, Verteilung, Elimination) ge- nommenen Substanzmenge entspricht. Das be-
ordnet, beschrieben. deutet, dass bei gleicher Dosis und vollständiger
Resorption in das Blut die Flächen unter den
AUC. AUC (area under the curve, [μg/ml ∙ h])
Kurven bei i. v. Injektion und z. B. oraler Appli-
bedeutet Fläche unter der Konzentrations-Zeit-
kation gleich sind („Prinzip der korrespondie-
Kurve (syn. Plasmaspiegelkurve). Sie ist ein Maß
renden Flächen“).
für die insgesamt resorbierte Substanzmenge
Um die Bioverfügbarkeit einer Substanz nach
und kann relativ einfach nach der Trapezregel
beliebiger Applikation zu bestimmen, wird der
berechnet werden (Ⴜ Abb. 2.3), indem aus je-
Wirkstoff zunächst i. v. injiziert, um eine
weils zwei Messzeitpunkten und den beiden da-
100 %ige Bioverfügbarkeit zu gewährleisten. In
zugehörigen Konzentrationen die Fläche des
einem zweiten Versuch wird die gleiche Dosis
entsprechenden Trapezes bestimmt wird.
beispielsweise oral appliziert. Danach werden
Die Summe aller Trapezflächen ergibt die
die Flächen unter beiden Konzentrations-Zeit-
Gesamttrapezfläche AUCtrap, die der Fläche
Kurven (AUC) berechnet.
unter der Kurve bis zum letzten Messpunkt,
Das Ausmaß der Bioverfügbarkeit erhält man
AUCo–t(last), entspricht. Zur Bestimmung von
dann nach folgender Gleichung:
AUCo–∞ kann der nicht durch Messpunkte
belegte Flächenanteil AUCt(last)–∞ durch Extra- AUC
F = ______
AUC
x
∙ 100 [%]
polation errechnet werden. i. v.

Bioverfügbarkeit. Unter der Bioverfügbarkeit AUCx: Fläche unter der Kurve bei beliebiger Ap-
(F) eines Arzneimittels versteht man das Aus- plikation
maß, mit der ein therapeutisch wirksamer Be- AUCi. v.: Fläche unter der Kurve bei intravenöser
standteil (im Allgemeinen der unveränderte Applikation
Arzneistoff, ggf. bei Prodrugs auch der wirksa- Der auf diese Weise ermittelte Wert wird als
me Metabolit) aus der Arzneiform in die syste- absolute Bioverfügbarkeit bezeichnet.
mische Zirkulation (Blut) gelangt. Bei intrave-
nöser Applikation beträgt die Bioverfügbarkeit
dementsprechend 100 %.
20 2 Pharmakokinetik

Steht keine Arzneiform zur intravenösen Ap- ႒ Tab. 2.3 Verteilungsvolumina (Beispiele)
plikation zur Verfügung, kann die relative Bio-
Verteilungs- Arzneistoffe
verfügbarkeit Frel eines Präparats dadurch be- volumen1
stimmt werden, dass man die Fläche unter der
Plasmaspiegel-Zeit-Kurve des zu untersuchen- < 0,5 l/kg KG Aminoglykoside, Cephalo-
den Präparats auf die eines Standardpräparats sporine, NSAIDs, Penicilline
bezieht:
1–10 l/kg KG Diazepam, Digoxin, Metha-
AUC don, Morphin, Risperidon
Frel = ________
AUC
x
∙ 100 [%]
Standard
10–100 l/kg KG Azithromycin, Flunitrazepam,
Die Bioverfügbarkeit und damit auch die Wirk- Itraconazol, SSRI, tricyclische
samkeit eines Arzneistoffs können in Abhängig- Antidepressiva

keit von der galenischen Zubereitung z. T. er- 1 Bezogen auf das Körpergewicht
heblich schwanken.
Bioäquivalenz. Zwei Arzneimittel mit identi-
peripheren Geweben befindet, ist es dagegen
schen Wirkstoffen gelten als bioäquivalent, d. h.
sehr klein, hält sich der überwiegende Teil des
wirkungsgleich, wenn sie sich bezüglich ihrer
Arzneistoffs im Plasma auf (z. B. bei hoher Plas-
Bioverfügbarkeit (AUC) und der Geschwindig-
maproteinbindung).
keit der Resorption nicht bzw. nur wenig
Das Verteilungsvolumen kann identisch sein
(≤ 20 %) unterscheiden. Relevante Parameter für
mit dem Plasmavolumen (ca. 3 l), der extrazellu-
die Geschwindigkeit der Resorption sind die
lären Flüssigkeit (0,25 l/kg KG) oder dem Ge-
maximale Plasmakonzentration (Cmax) und die
samtkörperwasser (ca. 0,6 l/kg KG). Es kann
Zeit zwischen Applikation und Erreichen der
aber auch das Gesamtvolumen des Körpers weit
maximalen Plasmakonzentration (tmax). Bei
übersteigen. Das ist dann ein Hinweis darauf,
Gabe identischer Dosen ist tmax umso kleiner
dass die betreffende (meist lipophile) Substanz
und Cmax umso größer, je höher die Resorpti-
in bestimmten Geweben, z. B. durch Bindung an
onsgeschwindigkeit ist.
Gewebeproteine, angereichert wird. Als sog. tie-
Untersuchungen zur Bioäquivalenz spielen
fe Kompartimente werden Gewebe bezeichnet,
bei der Zulassung von Generika (Nachahmer-
aus denen der Arzneistoff über lange Zeit nur
präparaten) eine entscheidende Rolle, da ein
langsam wieder ins Plasma abgegeben wird.
Generikum nur dann zugelassen wird, wenn
Das Ausmaß der Verteilung eines Arznei-
dieses die Bioäquivalenzkriterien erfüllt.
stoffs, und damit die Größe des Verteilungsvolu-
Verteilungsvolumen. Unter dem Verteilungsvo- mens ergibt sich aus dem Zusammenspiel von
lumen (V, [l]) versteht man eine fiktive Größe, Hydrophilie bzw. Lipophilie einerseits und der
die die Arzneistoffmenge (X) im Körper und die Bindung an Plasma- oder Gewebeproteine an-
Plasmakonzentration (C) in Relation setzt: dererseits. Vereinfacht zusammengefasst ist das
Verteilungsvolumen umso kleiner je hydro-
X
V=_
C
[l] philer die Substanz und je größer die Plasma-
proteinbindung ist und umso größer je lipophi-
Multipliziert man die Plasmakonzentration mit ler die Substanz und je größer die Bindung an
dem Verteilungsvolumen, so erhält man – als re- Gewebeproteine ist. Beispiele für Verteilungsvo-
ale Größe – die Substanzmenge im Organismus. lumina von Arzneistoffen sind in ႒ Tab. 2.3 auf-
Ist das Verteilungsvolumen eines Arznei- geführt. In der Praxis ist das Verteilungsvolu-
stoffs sehr groß, bedeutet es, dass sich ein großer men für die Berechnung der Anfangsdosis (z. B.
Teil der Substanz nicht im Plasma, sondern in bei einer Infusion, Ⴉ Kap. 2.8) wichtig.
2.7 Pharmakokinetische Parameter 21

Clearance. Die Clearance (CL, [ml/min bzw.


log C
l/h] bezeichnet das virtuelle Blutvolumen (Plas-
mavolumen), das pro Zeiteinheit von der betref- 10
fenden Substanz befreit („geklärt“) wird. Die

Plasmakonzentration
Gesamtkörperclearance (CL) wird bestimmt,
indem man die Dosis (D) bzw. deren bioverfüg- 2
baren Anteil (s. o.) durch die Fläche unter der ˨Z
Kurve (AUC) dividiert: 1

D
CL = ___
AUC
t1/2
Sofern ein Stoff ausschließlich durch ein Organ
eliminiert wird, ist die Gesamtkörperclearance 0,1
gleich der Organclearance. In den meisten Fäl- Zeit (t)
len setzt sich jedoch die Gesamtkörperclearance
aus mehreren Teilclearances zusammen, von de- Ⴜ Abb. 2.4 Grafische Ermittlung von t½. Ist das
nen die wichtigsten die hepatische (CLH) und Verteilungsgleichgewicht erreicht, wird der Abfall
die renale (CLR) Clearance sind. der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve nur noch
Die Gesamtkörperclearance ist für die prakti- durch die Elimination bestimmt. Bei halblogarith- 2
sche Therapie von hoher Relevanz, weil sie ne- mischer Darstellung erhält man eine Gerade. Durch
die Auswahl eines Konzentrationswerts auf der
ben der Dosierung die entscheidende Determi-
Geraden und des halben Konzentrationswerts auf
nante für die Höhe des mittleren (average) Plas-
dieser kann die für den Konzentrationsabfall nöti-
maspiegels im Steady-state (Css, av) bei Dauer- ge Zeit (t½,) auf der X-Achse abgelesen werden
medikation ist (s. u.). Eine Erniedrigung der CL
führt unmittelbar zu einer Erhöhung von Css, av
und damit bei Arzneistoffen mit geringer thera- dung von Arzneimitteln normalerweise verhält-
peutischer Breite zu einer Erhöhung des Intoxi- nismäßig niedrige Plasmakonzentrationen er-
kationsrisikos. reicht werden, erfolgt die Arzneistoffeliminati-
on in der Regel nach einer solchen Kinetik 1.
Eliminationshalbwertszeit. Die Eliminations-
Ordnung, und es liegt der Normalfall einer line-
halbwertszeit t1/2 (syn. Plasmahalbwertszeit,
aren Kinetik vor.
Halbwertszeit, [h]) ist die Zeit, in der die
Mithilfe der Halbwertszeit lässt sich abschät-
Plasmakonzentration auf die Hälfte des ur-
zen, wann eine Substanz den Organismus wie-
sprünglichen Werts abfällt. Man kann sie gra-
der vollständig verlassen hat. Das ist in der Regel
fisch anhand von Plasmaspiegel-Zeit-Kurven
nach etwa fünf Halbwertszeiten (HWZ) der Fall.
ermitteln (Ⴜ Abb. 2.4) oder nach folgender Glei-
Zur Veranschaulichung: Wird unmittelbar nach
chung erhalten:
i. v. Gabe eine Plasmakonzentration von 100 μg/
ml gemessen (Verteilungsgleichgewicht voraus-
0,693
ln2 _____
t½ = ___ = gesetzt), beträgt sie nach 1 HWZ 50 μg/l, nach 2
k el k el
HWZ 25 μg/ml, nach 3 HWZ 12,5 μg/ml, nach 4
kel Eliminationsgeschwindigkeitskonstante HWZ 6,25 μg/ml und nach 5 HWZ nur noch
etwa 3,13 μg/ml.
Die Angabe der Halbwertszeit eines Arzneistoffs Umgekehrt kann bei einer Infusion oder bei
ist nur dann möglich, wenn eine Kinetik 1. Ord- Mehrfachapplikation eines Arzneistoffs anhand
nung vorliegt und damit der pro Zeiteinheit eli- der Halbwertszeit vorhergesagt werden, wann
minierte Anteil der Substanz (z. B. 50 % nach 1 ein Fließgleichgewicht (Steady-state) erreicht
Halbwertszeit) konstant ist. Da bei der Anwen- wird. Auch dies ist nach etwa fünf Halbwertszei-
22 2 Pharmakokinetik

ten der Fall (s. u.). Bei der wiederholten Applika-


tion von Arzneistoffen, also bei jeder längeren Minimale toxische Konzentration
Therapie liefert die Halbwertszeit die Grundlage

Plasmakonzentration
für die Bestimmung von Dosis und Dosierungs- Therapeutischer
intervall. Konzentrations-
bereich
Nichtlineare Kinetik. Bei Applikation hoher
Dosen kann es bei einigen Wirkstoffen vorkom- Minimale
therapeutische
men, dass deren kinetisches Verhalten nicht Konzentration
mehr einer Kinetik 1. Ordnung entspricht.
Gründe für eine solche nichtlineare Kinetik
können in nahezu allen Teilprozessen – also bei
der Resorption, Verteilung und Elimination – Zeit (t)
liegen, wobei die hierfür verantwortlichen Me-
chanismen meist ähnlich sind. Im Vordergrund Ⴜ Abb. 2.5 Darstellung des therapeutischen Kon-
zentrationsbereichs
stehen eine Sättigung von Enzymen oder Car-
rierproteinen sowie eine begrenzte Bindungs-
kapazität von Transportproteinen.
schen Konzentration, d. h. der Konzentration,
Liegt eine Kinetik 0. Ordnung vor, ist die pro
bei der erste toxische Symptome auftreten, ent-
Zeiteinheit ausgeschiedene Substanzmenge
spricht. Der Bereich zwischen minimaler thera-
konstant und der pro Zeiteinheit ausgeschiede-
peutischer und minimaler toxischer Konzen-
ne Anteil der Substanz abhängig von der Sub-
tration wird als therapeutischer Konzen-
stanzkonzentration (sodass keine Halbwertszeit
trationsbereich bezeichnet.
angegeben werden kann).
Das bekannteste Beispiel für eine solche
nichtlineare Kinetik stellt die Ethanol-Elimi-
2.8 Plasmakonzentrations-Zeit-
nation (Ⴉ Kap. 34.2.2) dar, die mit konstanter
Verläufe
Geschwindigkeit abläuft (Abnahme der Blut-
alkoholkonzentration ca. 0,1 ‰/h). Auch bei
Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe nach Ein-
Phenytoin- oder auch Salicylsäure-Gabe beob-
malgabe. Wird eine Substanz durch intravenö-
achtet man bei Dosiserhöhung überproportio-
se Injektion direkt in die Blutbahn gebracht, fal-
nal starke Anstiege der Steady-state-Konzen-
len die Blutspiegelwerte durch Verteilungs- und
tration infolge Substratsättigung der abbauen-
Eliminationsprozesse, die gleichzeitig stattfin-
den Enzyme.
den, zunächst rasch ab. Ist das Verteilungs-
Minimale therapeutische und minimale toxi- gleichgewicht (Ⴉ Kap. 2.4) erreicht, liegen die
sche Wirkstoffkonzentration. Die Wirkung ei- Plasmakonzentrationen bei halblogarithmi-
nes Arzneistoffs tritt erst dann ein, wenn eine scher Darstellung (Ⴜ Abb. 2.6) auf einer (weniger
bestimmte Konzentration im Blut und damit die steil verlaufenden) Geraden, welche die Elimi-
für die Wirkungsschwelle erforderliche Konzen- nation charakterisiert.
tration am Wirkort erreicht ist (Ⴜ Abb. 2.5). Auch bei oraler Gabe laufen ebenso wie bei
Man bezeichnet diesen Schwellenplasma- anderen Applikationsarten, bei denen eine Re-
spiegel als die minimale therapeutische oder mi- sorption erfolgt, Resorptions-, Verteilungs- und
nimale effektive Konzentration (MEC). Die aus Eliminationsprozesse nebeneinander (parallel)
therapeutischer Sicht obere Grenze des Plasma- ab (Ⴜ Abb. 2.7). Der aufsteigende Ast der
spiegels ist durch die maximale therapeutische Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve ist das Er-
Konzentration gegeben, die der minimalen toxi- gebnis von Resorption, Verteilung und Elimi-
2.8 Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe 23

A C A C

10 10
Plasmakonzentration

Plasmakonzentration
5 5

1 1

Zeit Zeit

B B
log C log C
1 1 2
Plasmakonzentration

Plasmakonzentration

0,69 0,69

Zeit Zeit

A Lineare Darstellung, A Lineare Darstellung,


B Halblogarithmische Darstellung B Halblogarithmische Darstellung

Ⴜ Abb. 2.6 Plasmakonzentrations-Zeit-Kurven Ⴜ Abb. 2.7 Plasmakonzentrations-Zeit-Kurven


nach i. v. Injektion nach p. o. Gabe

nation. Der anfängliche Abfall der Kurve in mehrfachen Arzneimittelgabe hängt es von der
halblogarithmischer Darstellung resultiert aus Dosis, dem Dosierungsintervall und der Halb-
Verteilungs- und Eliminationsprozessen, die wertszeit des Arzneistoffs ab, welche Plasma-
terminale Gerade wird durch die Elimination konzentrationen erreicht werden. Ist die Halb-
bestimmt. wertszeit kurz im Verhältnis zum Dosierungs-
intervall, d. h. wird z. B. in Abständen von fünf
Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe bei wie- Halbwertszeiten dosiert, wird die Substanz im
derholter Gabe. Meist ist für einen therapeuti- Intervall praktisch vollständig eliminiert. Die
schen Erfolg die wiederholte Applikation eines mit einer nachfolgenden Dosis erreichte Plas-
Arzneimittels erforderlich. Bei einer solchen makonzentration ist dann nahezu gleich der
24 2 Pharmakokinetik

Plasmakonzentration

Plasmakonzentration
10 20 30 40 50
Stunden Zeit

Ⴜ Abb. 2.8 Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve nach Ⴜ Abb. 2.9 Zunahme der Plasmakonzentration


mehrfacher oraler Gabe eines Pharmakons mit und Erreichen eines Steady-state nach mehrfacher
kurzer Halbwertszeit (t½ = 3 h) und großem Dosie- oraler Gabe eines Pharmakons (Kumulation)
rungsintervall (τ = 24 h)

durch die vorangegangene Dosis erreichten Die Zunahme der Wirkstoffkonzentration


Konzentration (Ⴜ Abb. 2.8). bei wiederholter Gabe wird als Kumulation be-
Ist das Dosierungsintervall aber deutlich zeichnet. Das Ausmaß der Kumulation hängt
kleiner als fünf Halbwertszeiten, ist am Ende je- vom sog. relativen Dosierungsintervall ε ab.
des Dosierungsintervalls noch eine merkliche
τ
Substanzmenge im Körper vorhanden. Eine ε = __
t ½
zweite Dosis führt dann zu einer höheren
Plasmakonzentration als die vorangegangene τ Dosierungsintervall, t1/2 Halbwertszeit
Dosis. Bei nachfolgenden Dosen steigen die
Plasmakonzentrationen weiter an, bis nach etwa Je kleiner ε ist, umso größer ist das Ausmaß der
fünf Halbwertszeiten ein Steady-state erreicht Kumulation bei Mehrfachapplikation, d. h. die
wird (Ⴜ Abb. 2.9), bei dem die Plasmaspiegel Plasmaspiegel im Steady-State sind dann in der
dann zwischen nahezu konstanten Maximal- Regel um ein Vielfaches größer als nach Einmal-
(Css, max) und Minimalwerten (Css, min; Talspie- gabe der gleichen Dosis.
gel) fluktuieren. Die Höhe der Plasmaspiegel ist
von der Dosierung und dem Dosierungsinter- Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf bei einer
vall abhängig. Die Fluktuation (Unterschiede Infusion. Einen weitgehend konstanten Blut-
zwischen Maximal- und Minimalwerten) im spiegel kann man durch eine Dauertropfinfusi-
Steady-state ist umso geringer je kleiner das Do- on erzielen, bei der eine konstante Arzneistoff-
sierungsintervall ist (bei einer Infusion ist der menge pro Zeiteinheit injiziert wird. Insbeson-
Plasmaspiegel im Steady-state beispielsweise dere bei schnell eliminierten Arzneistoffen (z. B.
konstant, s. u.). Nitroprussidnatrium) ist eine solche Applikati-
Bei Arzneistoffen mit geringer therapeu- onsform vorteilhaft. Eine Infusion hat den in
tischer Breite kann es erforderlich sein, die Ta- Ⴜ Abb. 2.10 angegebenen Kurvenverlauf zur
gesdosis auf mehrere Einzeldosen aufzuteilen, Folge.
sodass die Maximalwerte den toxischen Kon- Mit Beginn der Infusion steigt zunächst der
zentrationsbereich nicht über- und die Mini- Blutspiegel stark an, um dann asymptotisch in
malwerte die minimal wirksame Plasmakonzen- die Steady-state-Konzentration überzugehen.
tration nicht unterschreiten. Das Anfluten der Substanz im Plasma wird von
2.9 Therapeutisches Drugmonitoring 25

Css 2.9 Therapeutisches


Plasmakonzentration

Drugmonitoring

Unter Therapeutischem Drugmonitoring


(TDM) versteht man die Bestimmung von Plas-
maspiegeln mit dem Ziel, zu einem bestimmten
Zeitpunkt Informationen über die individuelle
0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5 Pharmakokinetik des betreffenden Patienten zu
t1/2 bekommen und dadurch, falls erforderlich, die
Dosierung gezielt anpassen zu können. Dabei ist
der therapeutische Referenzbereich – dieser
Ⴜ Abb. 2.10 Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf
bei einer Infusion entspricht dem therapeutischen Konzen-
trationsbereich Ⴜ Abb. 2.5 – die Grundlage für
die Bewertung von Wirksamkeit und uner-
Verteilungs- und Eliminationsprozessen überla- wünschten Wirkungen. Der dosisbezogene Re-
gert. Im Steady-state ist ein Gleichgewicht zwi- ferenzbereich gibt den Konzentrationsbereich
schen der Arzneistoffmenge, die pro Zeiteinheit an, der für einen Arzneistoff bei einer bestimm-
infundiert wird, und der Arzneistoffmenge, die ten Dosis im Blut zu erwarten ist. Abweichun-
2
pro Zeiteinheit aus dem Plasma eliminiert wird, gen können beispielsweise durch mangelnde
erreicht. Die Zeit bis zum Erreichen der Steady- Patientencompliance, Interaktionen oder auch
state-Konzentration beträgt wie bei diskontinu- durch alters-oder krankheitsbedingt veränderte
ierlicher Applikation ca. fünf Halbwertszeiten. Verteilung, Metabolisierung oder Ausscheidung
Wird für die Dauer einer Halbwertszeit infun- begründet sein.
diert, werden Plasmaspiegel erreicht, die der Ein Therapeutisches Drugmonitoring wird
Hälfte der Steady-state-Konzentration entspre- in folgenden Fällen empfohlen bzw. durchge-
chen. führt:
Bei Arzneistoffen mit langer Halbwertszeit
󠀂 bei Arzneistoffen mit geringer therapeuti-
kann der Zeitraum bis zum Erreichen wirksa-
scher Breite, wenn eine enge Beziehung zwi-
mer Steady-state-Konzentrationen abgekürzt
schen Wirkstoffkonzentration und Effekt
werden, wenn zu Infusionsbeginn gleichzeitig
(Wirkung, unerwünschter Wirkung) besteht
eine sog. intravenöse Bolusinjektion als Aufsät-
(z. B. bei Aminoglykosid-Antibiotika, Vanco-
tigungsdosis (Loading dose, DL) verabfolgt
mycin, Digoxin, Ciclosporin, Lithium) und/
wird. Für die Berechnung der Aufsättigungsdo-
oder
sis ist neben dem angestrebten Plasmaspiegel
󠀂 bei großen inter- und intraindividuellen
ausschließlich das Verteilungsvolumen aus-
Plasmakonzentrationsschwankungen (z. B.
schlaggebend (DL = Css × V). Unmittelbar nach
durch genetische Polymorphismen metaboli-
Applikation der Initialdosis wird die Dauerinfu-
sierender Enzyme, Enzyminduktion, Enzym-
sion gestartet. Für die Erhaltungsdosis (Mainte-
sättigung, pharmakokinetische Interaktio-
nance dose, DM) ist die Clearance von Bedeu-
nen) sowie
tung und zwar muss pro Zeiteinheit diejenige
󠀂 zur Überwachung der Patientencompliance,
Dosis appliziert werden, die im gleichen Zeit-
wenn der erwünschte pharmakologische Ef-
raum durch Clearanceprozesse eliminiert wird
fekt nicht leicht ermittelt werden kann oder
(DM = CL × Css).
auch zeitlich verzögert eintritt (z. B. bei Psy-
chopharmaka-Therapie).
26 2 Pharmakokinetik

Eine Blutspiegelüberwachung ist dagegen meist Beeinflussung der Metabolisierung. Da die Eli-
nicht notwendig, wenn die Pharmakodynamik mination lipidlöslicher Pharmaka vorwiegend
eines Wirkstoffs gut bestimmt werden kann, wie durch oxidativen Abbau und anschließende
z. B. die Senkung der Blutglucosekonzentration Konjugation erfolgt, können Lebererkrankun-
durch Insulin oder die Erniedrigung des INR- gen die Eliminationsgeschwindigkeit metabo-
Werts durch Vitamin-K-Antagonisten wie lisch eliminierter Arzneistoffe (z. B. Diazepam)
Phenprocoumon (Marcumar®). herabsetzen.
Renale Ausscheidung in Abhängigkeit von der
Nierenfunktion. Sofern ein Arzneistoff vorwie-
2.10 Veränderungen der
gend oder ausschließlich renal ausgeschieden
Pharmakokinetik bei
wird, beeinflusst die Nierenfunktion die Aus-
pathologischen Zuständen
scheidungsgeschwindigkeit erheblich: Mit ab-
nehmender glomerulärer Filtrationsrate, die
Resorptionsstörungen. Die Resorption von
annähernd der Kreatinin-Clearance (Normal-
Arzneistoffen wird von der gastrointestinalen
wert beim gesunden Erwachsenen 120 ml/min)
Durchblutung beeinflusst. Diese ist bei einer
entspricht, sinkt auch die renale Ausschei-
Stauung im großen Kreislauf, wie sie bei einer
dungsgeschwindigkeit körperfremder Stoffe.
Herzinsuffizienz auftreten kann, vermindert.
Bei primär renal eliminierten Arzneistoffen (re-
Eine reduzierte Bioverfügbarkeit bei Patienten
nale Elimination der unveränderten Muttersub-
mit dekompensierter Herzinsuffizienz wurde
stanz bzw. von aktiven Metaboliten > 60 %,
u. a. für Hydrochlorothiazid beschrieben.
႒ Tab. 2.4) ist demzufolge wegen der verlänger-
Veränderungen in der Verteilung. Die Minder- ten Halbwertszeit eine Dosisreduktion und/
perfusion peripherer Organe infolge einer Herz- oder Verlängerung des Dosierungsintervalls er-
insuffizienz kann auch die Verteilung von Arz- forderlich. Bei Arzneistoffen mit geringer thera-
neistoffen beeinflussen. In einem solchen Fall ist peutischer Breite sollte eine Dosisanpassung
beispielsweise das Verteilungsvolumen (z. B. bereits in Erwägung gezogen werden, wenn
von Lidocain) verringert. Eiweißverluste oder mehr als 30 % des Arzneistoffs (bzw. eines akti-
Störungen der Eiweißsynthese verändern die ven Metaboliten) unverändert renal ausgeschie-
Proteinbindung. So konnte gezeigt werden, dass den werden und die Kreatinin-Clearance unter
bei Patienten mit nephrotischem Syndrom der 60 ml/min sinkt.
an Plasmaprotein gebundene Anteil von Phe-
nytoin von 90 auf 80 % abnimmt (und sich da-
durch der freie Anteil von 10 auf 20 % verdop-
2.11 Pharmakokinetik im Alter
pelt!). Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz
ist eine Verdrängung von Arzneistoffen aus der
Aufgrund physiologischer Veränderungen im
Proteinbindung durch retinierte (nicht ausge-
Alter kann die Pharmakokinetik von Arznei-
schiedene) harnpflichtige Substanzen möglich.
stoffen bei alten Menschen im Vergleich zu jün-
Außerdem wurden Plasmaeiweiß-Veränderun-
geren Erwachsenen verändert sein, vor allem die
gen mit geänderter Proteinbindungskapazität
interindividuelle Variabilität nimmt zu.
und -affinität beobachtet. Zusätzlich kann die
Die Resorptionsgeschwindigkeit kann auf-
Gewebebindung verringert sein, woraus eine
grund einer verringerten Magenmotilität und
Abnahme des Verteilungsvolumens resultiert.
einer verminderten Durchblutung des Gastroin-
Bei Lebererkrankungen besteht die Möglichkeit
testinaltrakts herabgesetzt sein. Das Vertei-
ähnlicher Störungen wegen der Beeinträchti-
lungsvolumen liphophiler Arzneistoffe kann er-
gung der Eiweißsynthese.
höht, das von hydrophilen Substanzen vermin-
2.11 Pharmakokinetik im Alter 27

႒ Tab. 2.4 Primär unverändert renal eliminierte masse reduziert und die Bioverfügbarkeit da-
Pharmaka (Auswahl) durch erhöht. Aus gleichem Grund kann die
Stoffgruppe Arzneistoffe
systemische Metabolisierung verlangsamt sein,
die Halbwertszeit kann infolgedessen zunehmen
Antibiotika Betalactame, Glykopeptide, und schließlich zu höheren Plasmaspiegeln füh-
Aminoglykoside ren. Die renale Ausscheidung ist bei etwa zwei
Drittel der Senioren um ca. 50 % reduziert (s. o.).
Antiepileptika Levetiracetam, Gabapentin,
Pregabalin, Vigabatrin
Ursächlich ist in erster Linie eine abnehmende
Nierenfunktion, aber auch Bluthochdruck und
Betablocker Atenolol, Sotalol koronare Herzkrankheit tragen zu diesem Effekt
bei, der in der Regel eine Dosisanpassung erfor-
Orale Antidiabe- Metformin, Sulfonylharn-
dert.
tika stoffe, Gliptine
Da nur wenige Arzneimittelstudien Men-
Virustatika Aciclovir, Ganciclovir, Lami- schen über 65 Jahre einbeziehen, mangelt es oft
vudin, Tenofovir an evidenzbasierten Daten zur Pharmakokine-
tik in den Fachinformationen der Arzneimittel.
Zytostatika Carboplatin, Methotrexat
Daher ist insbesondere zu Beginn einer Phar-
makotherapie stets Vorsicht geboten („start low,
go slow“). Erschwerend kommt hinzu, dass alte
2
dert sein, da das Gesamtkörperwasser im Alter Menschen aufgrund einer Multimorbidität in
ab- und der (relative) Fettanteil zunimmt. Der der Regel mehrere Medikamente gleichzeitig
First-Pass-Effekt ist evtl. aufgrund von vermin- einnehmen, sodass auch mit pharmakokineti-
dertem Leberblutfluss und geringerer Leber- schen Interaktionen gerechnet werden muss.
28

3 Pharmakodynamik

Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkung ren Effekt hervorrufen (z. B. Öffnung eines Io-
und den Wirkungsmechanismus von Arznei- nenkanals und damit verbundene Änderung der
stoffen. Diese interagieren mit definierten Pro- Konzentration eines Ions im Zytosol oder Sti-
teinen, Nucleinsäuren oder Lipiden und wirken mulation einer Rezeptor-Tyrosinkinase und da-
bereits in niedrigen Dosierungen bzw. Konzen- mit verbundene Phosphorylierung intrazellulä-
trationen (im nM- oder μM-Bereich). Kommen rer Signalmoleküle, s. u.). Einem (pharmakolo-
die gleichen Zielmoleküle an verschiedenen gischen) Rezeptor kommt somit eine duale
Zelltypen bzw. Geweben vor, muss neben der er- Funktion zu: Die Signalerkennung durch Wech-
wünschten Hauptwirkung auch mit Nebenwir- selwirkung mit dem Liganden und die Auslö-
kungen (Ⴉ Kap. 4) gerechnet werden. Derzeit sung eines Effekts. Die Zahl pharmakologischer
existieren etwa 650 unterschiedliche Zielstruk- Rezeptoren ist wie die anderer funktionaler Mo-
turen für Arzneistoffe. leküle begrenzt, die Ligandenbindung daher sät-
tigbar. Letztere ist ferner stereoselektiv und im
Wirkungsmechanismen. Arzneistoffe wirken
Gegensatz zu enzymatischen Reaktionen ohne
insbesondere durch Regulation der Gentran-
chemische Veränderung des Liganden reversi-
skription durch Bindung an intrazelluläre Rezep-
bel.
toren, Stimulation oder Blockade membranstän-
diger Rezeptoren, Öffnen oder Blockieren span- Rezeptorsubtypen. Für praktisch jeden Neuro-
nungsabhängiger oder Liganden-gesteuerter transmitter, aber auch für Hormone, Vitamine,
Ionenkanäle, Beeinflussung von transmembra- Wachstumsfaktoren u. a. wurden in ihrer Struk-
nären oder intrazellulären Transportern, Hem- tur zwar ähnliche, aber hinsichtlich der Amino-
mung oder Aktivierung von Enzymen sowie Stö- säurensequenz eindeutig unterscheidbare Re-
rung von Biosynthesen in Mikroorganismen. zeptoren nachgewiesen. Beispielsweise inter-
agiert Noradrenalin mit α- und β-Adrenozepto-
ren, die nochmals in verschiedene Subtypen
unterteilt werden können (Ⴉ Kap. 19), Acetyl-
3.1 Rezeptor-vermittelte
cholin tritt mit Nicotin- und Muscarinrezepto-
Wirkungen
ren, von denen ebenfalls wieder Subtypen exis-
tieren (Ⴉ Kap. 20), in Wechselwirkung.
Pharmakologische Rezeptoren sind intrazellu-
läre oder membranständige Proteine, die nach Rezeptorreserve. Zur Weiterleitung eines Sig-
spezifischer Bindung eines Liganden ihren Akti- nals benötigt der aktivierte Rezeptor einen
vitätszustand ändern und dadurch einen zellulä- nachgeschalteten Effektor mit hoher Affinität
3.1 Rezeptor-vermittelte Wirkungen 29

zur aktiven Rezeptorkonformation. Stehen we- bei Morbus Parkinson, Ⴉ Kap. 17.1) vergrößert
niger Effektoren als Rezeptoren zur Verfügung, sich dagegen die Rezeptorenzahl (Rezeptor-Up-
kann vielfach die maximale Wirkung durch Regulation). Wirkstoffe, die indirekt auf ein be-
Kopplung nur eines Teils der aktiven Rezepto- stimmtes System einwirken, können ebenfalls
ren an die Effektoren erzielt werden. Nicht an dessen Rezeptorendichte verändern (heterologe
der Kopplung beteiligte – überschüssige – Re- Up- bzw. Down-Regulation). Als Beispiele seien
zeptoren werden als Rezeptorreserve bezeich- die Zunahme der Oxytocin-Rezeptoren durch
net. Durch Variation der Rezeptorreserve kann Estrogengabe oder deren Abnahme durch Pro-
die Empfindlichkeit einer Zelle gegenüber ei- gesteroneinwirkung sowie die Zunahme der
nem Pharmakon erhöht oder erniedrigt werden. Zahl von β-Rezeptoren, z. B. im Herzmuskel, bei
Gabe von Schilddrüsenhormonen genannt. Die-
Desensibilisierung, Rezeptor-Down- und Up-
sen Befunden entspricht dann eine veränderte
Regulation. Die Intensität des durch eine be-
Gewebeempfindlichkeit gegen Oxytocin bzw.
stimmte Ligandenkonzentration ausgelösten Si-
Adrenalin/Noradrenalin. Rezeptorsysteme er-
gnals ist nicht konstant, sondern sie kann bei
weisen sich somit hinsichtlich ihrer Anpas-
anhaltender Rezeptorstimulation abnehmen. In
sungsfähigkeit an verschiedene Bedingungen als
diesem Fall kommt es zur Desensibilisierung,
flexibel.
d. h. zur Abnahme der Empfindlichkeit des Sys-
tems. Der Desensibilisierung liegen mehrere Krankheitsbedingte Veränderungen der Rezep-
Mechanismen zugrunde. So bewirkt beispiels- torfunktion. Abweichungen von der normalen
weise die Aktivierung membranständiger G- Rezeptorfunktion kommen bei pathologischen
Protein-gekoppelter Rezeptoren (s. u.) nach Re- Zuständen vor. Ein typisches Beispiel einer Re- 3
zeptorstimulation außer dem eigentlichen Effekt zeptor-Autoimmunkrankheit ist die Myasthe-
auch eine eigene Rezeptor-Phosphorylierung. nia gravis, bei der Autoantikörper gegen die
Dadurch steigt die Affinität dieser Rezeptoren cholinergen Rezeptoren (n-Cholinozeptoren,
zu intrazellulären Proteinen (Arrestinen), wel- Ⴉ Kap. 20) der motorischen Endplatte gebildet
che die Rezeptor-vermittelte Signaltransduktion werden. Durch die Bindung der Antikörper an
hemmen. Konsekutiv nimmt die Stärke des Sig- die Rezeptoren sind diese nicht mehr zu einer
nals ab. Zur Desensibilisierung trägt ferner eine Wechselwirkung mit dem Neurotransmitter be-
erhöhte Bildung inhibitorischer G-Proteine fähigt. Die Folge ist eine Muskelschwäche. Auch
(s. u.) sowie eine verringerte Expression der Re- dem Morbus Basedow (Ⴉ Kap. 21.3.4) liegt eine
zeptorgene und ein beschleunigter Abbau von Rezeptor-Autoimmunkrankheit zugrunde, und
Rezeptor-mRNA bei. zwar werden hierbei Antikörper gegen Thyro-
tropin-Rezeptoren gebildet, die – anders als die
Außerdem ändert sich die Zahl der Rezeptoren
zuvor beschriebenen Antikörper – stimulieren-
in Abhängigkeit vom Funktionszustand des Or-
de Eigenschaften besitzen und somit nach Bin-
ganismus und seiner Organe. In Gegenwart an-
dung an die Rezeptoren die Schilddrüse zu ver-
haltend hoher Konzentrationen stimulierender
stärkter Hormonproduktion anregen. Ferner
Liganden findet man eine Erniedrigung der
können in diesem Zusammenhang die gestörte
Zahl aktiver Rezeptoren durch Internalisierung
Bildung von LDL-Rezeptoren als Ursache der
und verstärkten Abbau (Rezeptor-Down-Regu-
familiär bedingten Hypercholesterolämie und
lation). Ein Beispiel einer solchen Rezeptor-
der Adiuretin-Rezeptor-Defekt beim renalen
Down-Regulation ist die Abnahme der β-Adre-
Diabetes insipidus (Ⴉ Kap. 26.2.1.1) genannt
nozeptorzahl bei Herzinsuffizienz durch andau-
werden.
ernd erhöhte Catecholaminspiegel (Ⴉ Kap.
23.3.2.1). Der zur Familie der epidermalen Wachstums-
Durch Gabe von Rezeptorblockern, Dener- faktor-Rezeptoren gehörende Her2/neu-Rezep-
vierung oder bei Neurotransmittermangel (z. B. tor spielt eine wichtige Rolle in der Diagnostik
30 3 Pharmakodynamik

und bei der Behandlung des Mammakarzi- chen inversen Agonisten ist Harmalin, ein
noms. In etwa 20 % aller Mammakarzinome ist psychoaktives Indol-Alkaloid, das als inverser
er stark überexprimiert und in seiner Wirkung Agonist an GABAA-Rezeptoren bindet und da-
verstärkt, was sich in rascherem Tumorwachs- durch die inaktive Konformation dieses Rezep-
tum und einer ungünstigeren Prognose äußert tors stabilisiert. Die Folge ist ein angstauslösen-
(Ⴉ Kap. 31.9.1). der Effekt.
Volle und partielle Agonisten. Die Fähigkeit ei-
3.1.1 Agonisten, Antagonisten nes Pharmakons, nach der Bildung des Komple-
In gleicher Weise wie physiologische Liganden xes mit einem Rezeptor eine Wirkung auszulö-
können auch Pharmaka mit Rezeptoren inter- sen, wird intrinsische Aktivität genannt. Diese
agieren. Je höher die Affinität, desto größer ist ist ein Maß für die maximale Wirkung, die mit
die Tendenz eines Pharmakons zur Bildung ei- einer Substanz in dem jeweiligen biologischen
nes Komplexes mit dem Rezeptor. Ein Parame- System erreichbar ist. Ein Agonist ist dement-
ter für die Affinität zum Rezeptor ist die Affini- sprechend ein Pharmakon, das sowohl Affinität
tätskonstante KD (auch als Dissoziationskons- als auch intrinsische Aktivität besitzt. Agonis-
tante bezeichnet). ten, die nicht die maximale intrinsische Aktivi-
Bedeutsam ist ferner die Unterscheidung tät erreichen, werden als partielle Agonisten
zwischen Substanzen, die an den Rezeptor bin- bezeichnet. Letztere nehmen eine Mittelstellung
den und ihn stimulieren, den Agonisten, und zwischen Agonisten und Antagonisten ein, da
Stoffen, die einen Rezeptor-vermittelten Effekt sie wie Agonisten, jedoch weniger stark als die-
abschwächen oder ganz verhindern, den Ant- se, das Gleichgewicht von inaktivem zu aktivem
agonisten. Rezeptor verlagern. Dieses Verhalten ist der
Grund dafür, dass partielle Agonisten sowohl
Zwei-Zustände-Modell. Nach diesem Modell
agonistische als auch antagonistische Eigen-
liegt ein Rezeptor entweder in inaktiver oder ak-
schaften besitzen: In Anwesenheit eines Agonis-
tiver Konformation vor. Die beiden Konformati-
ten, der einen größeren Effekt hervorruft, als es
onen stehen im dynamischen Gleichgewicht,
der intrinsischen Aktivität des partiellen Ago-
das in Abwesenheit eines Liganden meist weit-
nisten entspricht, schwächt letzterer die Wir-
gehend zur inaktiven Seite verschoben ist. Die
kung des Agonisten ab (partielle antagonisti-
Rezeptoren, die sich auch ohne Ligand im akti-
sche Wirkung). In Abwesenheit eines Agonisten
ven Zustand befinden, werden als konstitutiv
wirkt ein partieller Agonist dagegen wie ein
aktive Rezeptoren bezeichnet. Diese kommen
Agonist.
physiologisch vor, können aber auch durch Mu-
tationen entstehen. Dem Zwei-Zustände-Mo- Kompetitive Antagonisten. Diese sind in glei-
dell entsprechend sind Agonisten Substanzen, cher Weise wie Agonisten in der Lage, sich an
die bevorzugt an den Rezeptor im aktiven Zu- Rezeptoren anzulagern, zu denen sie Affinität
stand binden und das Gleichgewicht weitgehend besitzen. Im Gegensatz zu Agonisten sind sie
zu dieser Seite verschieben. Antagonisten sind aber nicht befähigt, einen Effekt auszulösen,
Verbindungen, die durch vorrangige Interaktion d. h. sie weisen keine intrinsische Aktivität auf.
mit dem inaktiven Rezeptor dessen Aktivierung Da Agonist und kompetitiver Antagonist um
verhindern. Unter inversen Agonisten versteht denselben Rezeptor konkurrieren, kann jeweils
man Wirkstoffe, die an konstitutiv aktive Rezep- durch die Erhöhung der Konzentration des ei-
toren binden, dadurch das Gleichgewicht in nen Stoffs der andere vom Rezeptor verdrängt
Richtung inaktiver Zustand verschieben und so werden. Konzentrations-Wirkungs-Kurven ei-
den Anteil konstitutiv aktiver Rezeptoren er- nes Agonisten werden daher in Anwesenheit
niedrigen. In der Regel wirken inverse Agonis- eines kompetitiven Antagonisten parallel nach
ten wie Antagonisten. Ein Beispiel für einen sol- rechts verschoben (Ⴜ Abb. 3.1). Der Grad der
3.1 Rezeptor-vermittelte Wirkungen 31

Parallelverschiebung der agonistischen Kurve


auf der Abszisse ist ein Maß für die Affinität des 0 1 2
Antagonisten zum Rezeptor. Beispiele für kom- 1,0
petitive Antagonisten sind α- und β-Adrenozep-
torblocker (Ⴉ Kap. 19.4), Sartane (Ⴉ Kap. 23.2.2.2)

Effekt/Maximaleffekt
und Triptane (Ⴉ Kap. 12.1.9.1).
Nichtkompetitive Antagonisten. Diese schwä- 0,5 3
chen zwar auch die Wirkung eines Agonisten ab,
konkurrieren jedoch nicht mit diesem um die
gleiche Bindungsstelle, sondern docken an einer 4
anderen Stelle des Rezeptorproteins, alloste-
risch, an. Ihre Hemmwirkung kommt dadurch 0
10-8 10-7 10-6 10-5
zustande, dass sie die Bedingungen für die Bin-
M (A)
dung des Agonisten an dessen Bindungsstelle
negativ verändern. Die Konzentrations-Wir-
Ⴜ Abb. 3.1 Einfluss steigender Konzentrationen
kungs-Kurve (Ⴜ Abb. 3.1) zeigt dadurch eine eines kompetitiven bzw. nicht-kompetitiven Ant-
Verringerung des durch den Agonisten indu- agonisten B auf die Konzentrations-Wirkungs-
zierten Maximaleffekts, dessen Ausmaß von der Kurve eines Agonisten A. Auf der Ordinate der
Konzentration des Antagonisten abhängt. Der durch A + B hervorgerufene Effekt im Verhältnis
Einfluss des nichtkompetitiven Antagonisten ist zum maximal erreichbaren Effekt, auf der Abszisse
im Gegensatz zu den kompetitiven Antagonis- die molare Konzentration von A. 0 Konzentrations- 3
ten auch durch hohe Konzentrationen des Ago- Wirkungs-Kurve des Agonisten. 1, 2 dto. in Gegen-
nisten nicht aufzuheben. Beispiele für nicht- wart unterschiedlicher Konzentrationen des kom-
kompetitive Antagonisten sind Ketamin petitiven Antagonisten (bei 2 dreifach höher als
bei 1). 3, 4 dto. in Gegenwart unterschiedlicher
(Ⴉ Kap. 14.1.4) am NMDA-Rezeptor und Pa-
Konzentrationen des nichtkompetiven Antagonis-
lonosetron (Ⴉ Kap. 18.2.4) am 5-HT3-Rezeptor.
ten (bei 4 dreifach höher als bei 3).
Eine Unterform des nichtkompetitiven ist der
unkompetitive Antagonismus. Unkompetitive
Antagonisten erfordern eine Rezeptoraktivie- angreift, ab. Ein Beispiel hierfür ist der Antago-
rung durch einen Agonisten, bevor sie durch al- nismus zwischen cholinergen und histaminer-
losterische Bindung hemmend wirken können. gen Substanzen bei der Kontraktion der Bron-
Die Hemmwirkung des unkompetitiven Ant- chialmuskulatur oder zwischen cholinergen und
agonisten hängt dabei wesentlich von der Kon- β-adrenergen Stoffen bei deren Erschlaffung.
zentration des betreffenden Agonisten ab: je hö-
Chemische Antagonisten. Hierbei handelt es
her der agonistische Effekt, umso größer ist
sich um Substanzen, die chemisch mit einem
auch die antagonistische Wirkung. Beispiele für
Wirkstoff reagieren und diesen dabei inaktivie-
unkompetitive Antagonisten am NMDA-Re-
ren. Diese Art von Antagonismus ist vor allem
zeptor sind Amantadin (Ⴉ Kap. 17.2.6) und Me-
bei der Behandlung von Überdosierungen und
mantin (Ⴉ Kap. 10.6.2).
Vergiftungen bedeutungsvoll (Beispiel: Aufhe-
Funktionelle Antagonisten. Ein funktioneller bung der Heparinwirkung durch Protaminsul-
Antagonist schwächt als Agonist durch einen fat, Ⴉ Kap. 23.1.3.3). Das wesentliche Ergebnis
entgegengesetzten Effekt die Wirkung eines eines chemischen Antagonismus ist die Ernied-
zweiten Agonisten, der an anderen Rezeptoren rigung der Wirkstoffkonzentration.
32 3 Pharmakodynamik

Ligand

Hormon- HSP
HSP
Rezeptor

Ligand-Hormon-
Rezeptor-Komplex

Zellkern

positives RE negatives RE
Transkription Transkriptionshemmung

mRNA

Proteine
Ribosom

Zellantwort

Ⴜ Abb. 3.2 Signaltransduktion bei intrazellulären Rezeptoren. HSP Hitze-Schock-Protein, RE Response-


Element (Näheres s. Text)

3.1.2 Intrazelluläre und membran- (Ⴜ Abb. 3.2). Danach dissoziieren die Hitze-
ständige Rezeptoren Schock-Proteine ab. Nach Bildung von Homo-
3.1.2.1 Intrazelluläre Rezeptoren oder Heterodimeren und Translokation vom
Zu den intrazellulären Rezeptoren, bei denen es Zytosol in den Zellkern assoziiert nun die DNA-
sich um Transkriptionsfaktoren handelt, gehö- bindende Domäne des Rezeptors über sog.
ren die Rezeptoren von Steroidhormonen Zinkfinger (Cysteine im Rezeptorprotein bilden
(Glucocorticoiden, Mineralocorticoiden, And- durch Komplexierung von Zn2+ eine fingerför-
rogenen, Estrogenen, Gestagenen, Vitamin-D- mige Struktur aus) mit spezifischen Gen-Pro-
Hormon), Retinoiden und Schilddrüsenhormo- motorregionen, z. B. Estrogen- (ERE) oder Glu-
nen. Außerdem werden zu dieser Rezeptor- cocorticoid-Response-Elementen (GRE). Da-
Gruppe auch die Peroxisom-Proliferator-akti- durch wird die Transkription bestimmter Gene
vierten Rezeptoren (PPAR) gerechnet, an denen aktiviert (positives Response Element) oder in-
beispielsweise Gemfibrozil (Ⴉ Kap. 23.2.1.2) und hibiert (negatives Response Element).
Pioglitazon (Ⴉ Kap. 21.6.7) angreifen.
Intrazelluläre Rezeptoren liegen im inaktiven 3.1.2.2 Membranständige Rezeptoren
Zustand mit Hitze-Schock-Proteinen assoziiert, Die membranständigen Rezeptoren können in
im Zytoplasma vor. Sie vermitteln ihre Effekte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, Ionenkanä-
dadurch, dass zunächst ein Ligand an die ent- le (spannungs-, ligandengesteuerte) und Rezep-
sprechende Domäne des Rezeptors bindet
3.1 Rezeptor-vermittelte Wirkungen 33

A Agonist

Rezeptor
tor- ˠ pEffektor-
Effekteine roteine
pro G˞ Ionenkanäle,
˟ PI3-Kinasen,
GTP Phospholipasen,
Adenylylcyclasen,
Rezeptorkinasen,
MAP-Kinasen

GTP GTP GTP GTP


G˞i G˞s G˞q G˞12,13
Ionenkanäle, Adenylyl- Phospho- Rho
Adenylylcyclasen, cyclasen lipasen (Zytoskelett)
Phospholipasen

Ⴜ Abb. 3.3 Diversität der Signaltransduktionswege G-Protein-gekoppelter Rezeptoren. Aktivierung eines


G-Protein-gekoppelten Rezeptors durch einen Agonisten resultiert in der Dissoziation des heterotrimeren
G-Proteins in die Gα- und die βγ-Untereinheit, nachdem an der α-Untereinheit gebundenes GDP gegen
GTP ausgetauscht wurde. G-Protein-gekoppelte Rezeptoren assoziieren in der Regel mit einer bestimm-
ten Gα-Untereinheit, von denen die vier wichtigsten dargestellt sind. Distinkte Gα-Untereinheiten sowie
deren βγ-Untereinheiten aktivieren oder hemmen unterschiedliche Effektorsysteme, u. a. Ionenkanäle,
3
Phospholipasen, Adenylylcyclasen und GTP-bindende Proteine wie Rho, welches die Struktur des Zyto-
skeletts reguliert. PI3-Kinasen Phosphatidylinositoltrisphosphat-Kinasen

torproteinkinasen (Enzym-assoziierte Rezepto- tensin-II-, Glucagon-, Somatostatin-, Prosta-


ren) unterteilt werden. glandin-, Gonadoliberin- und Gonadotropin-
Rezeptoren) zählt hierzu. Wegen ihrer sieben
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren helikalen transmembranären Domänen werden
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) stel- sie auch als heptahelikale Rezeptoren bezeich-
len nicht nur die größte Gruppe innerhalb der net. Aktivierung eines G-Protein-gekoppelten
Familie der Membranrezeptoren, sondern auch Rezeptors durch einen Agonisten resultiert in
die Gruppe mit der höchsten Vielfalt dar. Sie der Dissoziation des heterotrimeren G-Proteins
vermitteln dem Zellinneren Informationen über in die Gα- und die βγ-Untereinheit, nachdem an
verschiedene extrazelluläre Stimuli. Die Be- der α-Untereinheit gebundenes GDP gegen
zeichnung G-Protein-gekoppelte Rezeptoren GTP ausgetauscht wurde. Bestimmte Gα-
rührt daher, dass die Signalübertragung bei die- Untereinheiten sowie deren βγ-Untereinheiten
sen Rezeptoren über ein Guanin-Nucleotid- aktivieren oder hemmen unterschiedliche Ef-
bindendes Protein (G-Protein) erfolgt. Zu die- fektorsysteme, u. a. Adenylylcyclasen, Phospho-
ser Rezeptorgruppe gehören zahlreiche Neuro- lipasen und Ionenkanäle (Ⴜ Abb. 3.3).
transmitter-Rezeptoren, u. a. Adenosin-, ad- Wichtige, durch G-Proteine beeinflussbare
renerge, ATP- (P2Y-), Dopamin-, GABAB-, Enzymreaktionen sind die Bildung sekundärer
Histamin-, Muscarin-, Opioid- und Serotonin- Botenstoffe wie z. B. cAMP, IP3 und DAG, wel-
rezeptoren (mit Ausnahme von 5-HT3-Rezepto- che dann Folgereaktionen auslösen, u. a. die Ak-
ren, s. u.). Auch eine Reihe von Hormon- und tivierung von Proteinkinasen und damit die
Mediator-Rezeptoren (z. B. Adiuretin-, Angio- Phosphorylierung von Proteinen sowie die Frei-
34 3 Pharmakodynamik

setzung von Calciumionen. Die Einschaltung rischen oder chemischen Signalen, von der
eines sekundären Botenstoffs ermöglicht eine Temperatur oder von mechanischen Reizen ab-
effektive Signalverstärkung. Darüber hinaus ist hängt.
die Stimulation von Kalium- bzw. die Hemmung Werden die Kanäle durch Bindung von Li-
neuronaler Calciumkanäle, durch G-Protein- ganden an die extrazelluläre Domäne eines Re-
Untereinheiten von pharmakologischer Bedeu- zeptorkanals geöffnet oder geschlossen, be-
tung. zeichnet man sie als Liganden-gesteuerte Ionen-
kanäle oder ionotrope Rezeptoren. Erfolgt die
Ionenkanäle Öffnung oder Schließung der Kanäle dagegen
Ionenkanäle spielen bei einer Vielzahl biologi- durch Membran-Depolarisation oder -Hyper-
scher Prozesse eine wichtige Rolle, z. B. bei der polarisation, spricht man von spannungsabhän-
Bildung von Aktionspotenzialen, Kontraktio- gigen Ionenkanälen.
nen der Herz-, Skelett- und glatten Muskulatur,
Liganden-gesteuerte Ionenkanäle. Hierzu ge-
dem epithelialen Transport sowie der T-Zell-
hören z. B. ATP- (P2X-), GABAA-, Glutamat-
Aktivierung oder Insulinsekretion. Ihre Gene
(NMDA- und AMPA-), Glycin-, 5-HT3- und
sind in Säugerorganismen hochkonserviert. An-
Nicotinrezeptoren sowie K+-Kanäle (ATP-sensi-
dererseits sind Mutationen dieser Gene für zahl-
tive und Gi-Protein-regulierte „GIRK“). Die Li-
reiche Erkrankungen wie z. B. Long-QT-Syn-
gand-Rezeptor-Interaktion führt bei den Ligan-
drom, Zystische Fibrose, Migräne, kongenitalen
den-gesteuerten Ionenkanälen zu einer Erhö-
Hyperinsulinismus oder bestimmte Epilepsie-
hung oder Erniedrigung der Öffnungswahr-
formen verantwortlich.
scheinlichkeit des Kanals und als Folge davon zu
Die Ionenkanäle sind integrale, aus mehreren
einem verstärkten oder verringerten Austausch
Untereinheiten zusammengesetzte Zellmem-
der entsprechenden Ionen. So binden z. B. Ace-
branproteine, die eine Kanalpore bilden, welche
tylcholin oder Nicotin an Nicotinrezeptoren,
durch Konformationsänderung geöffnet oder
öffnen dadurch den Kanal und lösen so durch
geschlossen werden kann. Aufgrund ihrer guten
den Einstrom von Natriumionen ein Aktionspo-
Zugänglichkeit von der extrazellulären Seite
tenzial aus.
stellen sie eine bevorzugte Zielstruktur für Phar-
maka dar. Die Poren-bildende Untereinheit Spannungsgesteuerte Ionenkanäle. Im Unter-
weist an ihrer engsten Stelle nur den 1- bis 2-fa- schied zu den Liganden-gesteuerten Ionenkanä-
chen Durchmesser eines Ions auf. Aufgrund ih- len erfolgt das Öffnen und Schließen von span-
rer unterschiedlichen Geometrie und Ladungs- nungsabhängigen Ionenkanälen durch Ände-
verteilung lassen die Ionenkanäle bei Öffnung rung des Membranpotenzials (Ⴜ Abb. 3.4). In
meist nur bestimmte Ionen hindurchtreten. den meisten Fällen werden sie durch Depolari-
Diesen Ionen entsprechend, für die sie (mehr sation geöffnet, wodurch es zu einem transien-
oder weniger) selektiv permeabel sind, unter- ten, selektiven Einstrom von Ionen kommt.
scheidet man Natrium-, Kalium-, Calcium- Während die Aktivierung von Na+- und Ca2+-
und Chloridkanäle. Treibende Kraft für die je- Kanälen zu einer Erregung (Exzitation) führt,
weiligen Ionenbewegungen (Ein- oder Aus- hyperpolarisiert das Öffnen von K+- und Cl–-
strom) ist der Konzentrationsgradient zwischen -Kanälen in der Regel die Zellmembran, wo-
Extra- und Intrazellularraum sowie das Mem- durch in der Folge die Erregbarkeit abnimmt, da
branpotenzial. Das Ausmaß des Ionenflusses die Öffnungswahrscheinlichkeit von Na+- und
hängt von der Zahl der geöffneten Kanäle, der Ca2+-Kanälen vermindert wird. Der raschen ini-
Öffnungsdauer sowie der Permeabilität der ent- tialen Aktivierung des Ionenkanals folgt dann
sprechenden Ionen, der Leitfähigkeit, ab. Sehr eine langsamere Inaktivierungsphase, die meist
häufig wird die Ionen-Passage durch einen noch während der Depolarisations- bzw. Repo-
„gate“-Mechanismus kontrolliert, der von elekt- larisationsphase abgeschlossen ist.
3.1 Rezeptor-vermittelte Wirkungen 35

Beispiele für spannungsgesteuerte Ionenkanäle


sind Na+-, Ca2+- (L-Typ-, N-Typ-, T-Typ-, P/Q- Zustände eines spannungsgesteuer-
Typ-) und K+- (Kv-, hERG-, KCNQ-, Kir-) Kanä- ten Ionenkanals (z. B. Na+-Kanal)
1

le. Am Beispiel der Herzmuskelzelle lässt sich


die Bedeutung solcher Kanäle verdeutlichen. Na+
Geschlossener
Der Einstrom von Na+-Ionen in eine Herzmus- Na+-Kanal
kelzelle ermöglicht die rasche Depolarisation De M
der Membran, die notwendig ist, damit sich on p

lar n-

em laris
ti
Repo mbra

o
bra ation
isa
spannungsabhängige L-Typ-Ca2+-Kanäle öff-

n-
Me
nen. Die dadurch in die Zelle einfließenden Cal-
ciumionen führen nun zur Ca2+-Freisetzung aus
dem sarkoplasmatischen Retikulum und er-
möglichen die Initiation der Kontraktion von Na+
Na+
Kardiomyozyten. Durch die Depolarisation
ebenfalls aktivierte K+-Kanäle repolarisieren die
Inaktivier- Offener
Zellmembran und ermöglichen, dass zuvor in- ter Na+- Na+-Kanal
aktivierte Na+- und Ca2+-Kanäle durch Konfor- Kanal
mationsänderung wieder in den aktivierbaren
Zustand übergehen und damit für eine nachfol- Ⴜ Abb. 3.4 Grundsätzlich werden drei verschiede-
gende Erregung wieder verfügbar sind. Beispiele ne Zustände eines spannungsabhängigen Ionen-
sind Lidocain, das Na+-Kanäle und Verapamil, kanals (z. B. Na+-Kanals) unterschieden. Nach Ein- 3
das Ca2+-Kanäle blockiert (Ⴉ Kap. 23). treffen eines Aktionspotenzials öffnet sich der Na+-
Kanal aus dem Ruhezustand („geschlossen“), wird
Neben den durch Depolarisation geöffneten
jedoch nach wenigen Millisekunden inaktiviert.
Kanälen existieren spannungsabhängige Ionen-
Erst bei der Repolarisation der Zellmembran durch
kanäle, die durch Hyperpolarisation der Zell- die Aktivierung von K+-Kanälen erfolgt eine Kon-
membran und durch cyclische Nucleotide formationsänderung, die das Kanalprotein wieder
(HCN-Kanäle) aktiviert werden. Diese haben in den aktivierbaren Ausgangszustand („geschlos-
eine wichtige Schrittmacherfunktion in Zellen sen“) zurückbringt
mit rhythmischer Aktivität, z. B. im Sinusknoten
und in bestimmten Neuronen.
Autophosphorylierung von Tyrosinresten an zy-
Enzym-assoziierte Rezeptoren tosolischen Rezeptordomänen. An die phospho-
Zu dieser Gruppe von Rezeptoren zählen die rylierten Tyrosinreste werden Adapterproteine
Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität, mit as- rekrutiert, die das stimulierende Signal über
soziierten Tyrosinkinasen und mit Guanylylcyc- Mitogen-aktivierte-Proteinkinase-Kinasen an
lase-Aktivität, ferner Rezeptor-Serin-/Threo- nukleäre Transkriptionsfaktoren weiterleiten.
ninkinasen sowie Tumornekrosefaktor-Rezep- Dadurch wird die Genexpression ermöglicht
toren. und nach Translation der gebildeten mRNA in
Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität die entsprechenden Proteine eine Vielzahl zellu-
(Tyrosinkinase-Rezeptoren) sind dadurch ge- lärer Aktivitäten wie Mitose, Differenzierung
kennzeichnet, dass sie extrazellulär eine Ligan- und Apoptose/Non-Apoptose reguliert. Zu den
denbindungsstelle und am zytosolischen Prote- Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität gehö-
inteil eine Domäne mit der Eigenschaft einer ren die Insulinrezeptoren (Ⴉ Kap. 21.5.1) sowie
Tyrosinkinase besitzen. Sie üben somit sowohl Rezeptoren von verschiedenen Wachstumsfak-
die Funktion eines Rezeptors als auch die eines toren (z. B. von vaskulärem endothelialem
Enzyms aus. Nach Stimulation des Tyrosinkina- Wachstumsfaktor VEGF, epidermalem Wachs-
se-Rezeptors kommt es zur Dimerisierung und tumsfaktor EGF, Fibroblastenwachstumsfaktor
36 3 Pharmakodynamik

FGF und Plättchen-abstammendem Wachs- infarkt (Ⴉ Kap. 23.3.1.1) eine wichtige Rolle
tumsfaktor PDGF). spielt. ACE-Hemmer vermindern die Freiset-
Bei den Rezeptoren mit assoziierten Tyro- zung von TGF-β.
sinkinasen handelt es sich wie bei den Wachs- Zu den Tumornekrosefaktor-(TNF-)Rezep-
tumsfaktor-Rezeptoren um monomere Mem- toren zählen 27 derzeit bekannte Rezeptorsubty-
branproteine mit einer transmembranären Re- pen. Sie sind in die Membran der meisten Zellen
gion, die wiederum nach Ligandenbindung di- integriert. Die Bindung von TNF an seinen Re-
merisieren, doch weist diese Rezeptorgruppe zeptor führt zur Trimerisierung von Rezeptor-
keine eigene Tyrosinkinasedomäne auf. Zu die- untereinheiten und zu der Rekrutierung eines
ser Rezeptorgruppe zählen zahlreiche Zytokin- Adapterproteins. Die Art des Rezeptorsubtyps
Rezeptoren sowie Rezeptoren von Wachstums- und des assoziierten Adapterproteins entschei-
hormonen, Prolactin und Erythropoetin. Nach det mit darüber, welche Signalwege (z. B. Apop-
Aktivierung und Dimerisierung der Rezeptoren tose, Zelldifferenzierung, Inflammation, Prolife-
docken JAK- (Just another kinase-) Proteine an ration, Zellüberleben) die Stimulation des TNF-
und phosphorylieren Tyrosinreste des Rezep- Rezeptors auslöst. Im Fall des programmierten
tors. Als Folge kommt es zur Assoziation von Zelltods, der Apoptose, aktiviert der resultieren-
STAT- (Signal Transducers and Activators of de Komplex die sog. Caspasen-Kaskade, die zu
Transcription-) Proteinen mit den phosphory- Inaktivierung von Enzymen und zum Abbau
lierten Rezeptordomänen. Schließlich dimeri- von Strukturproteinen sowie zur Fragmentie-
sieren die phosphorylierten STAT-Proteine, rung der genomischen DNA führt.
werden in den Zellkern transloziert und aktivie-
ren dort spezifische Gene.
Zu den Rezeptoren mit Guanylylcyclase- 3.2 Transportproteine und Enzyme
Aktivität (membrangebundener Guanylylcycla-
se) werden insbesondere die Rezeptoren natriu- 3.2.1 Pharmakawirkungen an
retischer Peptide (Ⴉ Kap. 23.3.2.1) und die des Transportern
intestinalen Hormons Guanylin gerechnet. Die- Der Transport von kleinen organischen Mole-
se monomeren Transmembranproteine besitzen külen oder Ionen durch die Zellmembran er-
wie die Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität folgt dann häufig mithilfe von Transportmole-
eine extrazelluläre Bindungsstelle für den akti- külen, wenn die zu transportierenden Moleküle
vierenden Liganden und eine intrazelluläre En- zu polar sind, um allein die Membran zu über-
zymdomäne. Bindet ein Ligand an Rezeptoren winden. Neben den Transportern für Neuro-
mit Guanylylcyclaseaktivität, wird deren Gua- transmitter in terminalen Nervenendigungen
nylylcyclasedomäne aktiviert. Als Folge davon (z. B. für Noradrenalin, Serotonin oder GABA),
wird aus Guanosintriphosphat (GTP) cyclisches die zur Wiederaufnahme des ausgeschütteten
Guanosinmonophosphat (cGMP) gebildet, das Transmitters in das präsynaptische Neuron die-
als second messenger (s. o.) weitere Reaktionen, nen, und den Transportern für Elektrolyte (z. B.
z. B. die Erschlaffung glatter Muskelzellen durch Na+/K+/2 Cl–- und Na+/Cl–-Symporter), die
Aktivierung der Proteinkinase G (PKG), auslöst. vorwiegend in Epithelien mit sekretorischer
Bei den Rezeptor-Serin/Threoninkinasen Funktion (u. a. in Nierentubuli, Bronchialepithel
handelt es sich u. a. um die Rezeptoren des trans- und Intestinalschleimhaut) vorkommen, gibt es
formierenden Wachstumsfaktors β (TGF-β). auch solche für z. B. Glucose und Aminosäuren.
TGF-β ist ein lokales Zytokin, dessen Signalweg Insbesondere die Transporter für Neurotrans-
über TGF-β-Rezeptoren bei Heilungsprozessen mitter und Elektrolyte stellen Targets für wichti-
und Fibrosierung von Gewebe, z. B. diabetischer ge Pharmaka wie Antidepressiva (Ⴉ Kap. 10.2),
Nephropathie, renaler und Lungenfibrose, so- Diuretika (Ⴉ Kap. 26.1), Herzglykoside (Ⴉ Kap.
wie beim kardialen Remodeling nach Myokard- 23.3.2.2) und Protonenpumpeninhibitoren
3.3 Dosis- bzw. Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen 37

(Ⴉ Kap. 25.1.2.1) dar. Zahlreiche Antidepressiva Intrazellulär lokalisierte Tyrosinkinasen ohne


hemmen die aktive Wiederaufnahme von Nor- eigene Rezeptordomäne (Non-Rezeptor-Tyro-
adrenalin und/oder Serotonin. Diuretika sind sinkinasen) sind an zahlreichen Signaltransduk-
als selektive Elektrolyttransport-Inhibitoren zu tionsprozessen beteiligt und regulieren ähnlich
charakterisieren: Schleifendiuretika vom Furo- wie Rezeptor-Tyrosinkinasen (s. o.) zelluläre
semid-Typ blockieren den Na+/K+/2Cl–-, Thia- Schlüsselfunktionen wie Proliferation, Differen-
zide den Na+/Cl–-Symporter. Herzglykoside zierung, Apoptose und Anti-Apoptose sowie
hemmen den Auswärtstransport von Natrium- Neuritenwachstum. Mutationen mit erhöhter
ionen vom Intrazellularraum in den Extrazellu- Enzymaktivität oder Überexpression dieser En-
larraum sowie den Einwärtstransport von Kali- zyme werden als Ursache verschiedener Tumo-
umionen durch Blockade der Na+/K+-ATPase. rerkrankungen und benigner Hyperplasien
Die als Ulkustherapeutika verwendeten Proto- angesehen. So sind zahlreiche Onkogene
nenpumpeninhibitoren unterdrücken die Salz- (Ⴉ Kap. 31) mutierte Tyrosinkinasen. Die Bedeu-
säureproduktion im Magen durch die Hem- tung von Tyrosinkinasen bei anderen Erkran-
mung der Protonen-Kalium-Pumpe (H+/K+- kungen zeigt sich ferner z. B. bei entzündlichen
ATPase). Prozessen und Diabetes mellitus. Ihre Zahl be-
läuft sich derzeit auf ca. 1000 Vertreter.
Auch zahlreiche Antiinfektiva entfalten ihre
3.2.2 Pharmakawirkungen an
Wirkung durch selektive Enzymhemmung bei
Enzymen
Mikroorganismen, z. B. Penicilline und andere
Zahlreiche Wirkungen von Arzneistoffen beru-
hen auf der Hemmung oder (seltener) der Akti-
Betalactam-Antibiotika durch Hemmung von 3
Transpeptidasen, Fluorchinolone durch Wech-
vierung von Enzymen.
selwirkung mit der DNA-Gyrase, Azol-Antimy-
Enzymhemmung. Eine durch Pharmaka ausge- kotika durch Blockade der Lanosteroldemethy-
löste Enzymhemmung kann kompetitiv oder lase oder Virustatika gegen HIV durch Interak-
nichtkompetitiv sein. Eine kompetitive Hem- tion mit viralen Polymerasen oder Proteasen
mung liegt vor, wenn der Arzneistoff mit dem (Ⴉ Kap. 30).
Substrat um dessen Bindungsstelle reversibel
Enzymaktivierung. Eine Enzymaktivierung
konkurriert. Bei der nichtkompetitiven Hem-
wird meist durch sekundäre Botenstoffe wie
mung reagiert der Arzneistoff irreversibel mit
cAMP, cGMP oder Ca2+ bewirkt (s. o.). Nitrate
dem aktiven Zentrum, oder es wird die auf die
bzw. NO-Donatoren (Ⴉ Kap. 23.3.1.2) aktivieren
Bildung des Substrat-Enzym-Komplexes folgen-
über Stickstoffmonoxid (NO) die lösliche Gua-
de Reaktion und nicht die Bindung des Substrats
nylylcyclase (s. o.), Fibrinolytika (Ⴉ Kap. 23.1.3.4)
an das Enzym unterdrückt. Wichtige Beispiele
wandeln Plasminogen in Plasmin, ebenfalls eine
enzymblockierender Pharmaka sind die Mono-
Protease, um.
aminoxidase-Hemmer (Ⴉ Kap. 10.2.3), nichtste-
roidalen Antiphlogistika als Hemmstoffe der
Cyclooxygenasen (Ⴉ Kap. 12.1.3.1), Urikostatika
als Xanthinoxidase-Inhibitoren (Ⴉ Kap. 12.2.7.2), 3.3 Dosis- bzw. Konzentrations-
indirekten Parasympathomimetika als Cholines- Wirkungs-Beziehungen
terasehemmer (Ⴉ Kap. 20.1.2), Hydroxy-Methyl-
Glutaryl-Coenzym-A-Reduktase-Inhibitoren Untersuchungen über die Beziehung zwischen
(Statine, Ⴉ Kap. 23.2.1.2), Phosphodiesterase- der Dosis (bzw. der Konzentration) und der
Hemmer (Ⴉ Kap. 23.2.8), Angiotensin-Konver- Wirkung eines Pharmakons erfolgen zunächst
sionsenzym-Hemmer (ACE-Hemmer, Ⴉ Kap. in der Zellkultur, am Tier und später in klini-
23.2.2.2 und Tyrosinkinasehemmer (Ⴉ Kap. 31.3). schen Studien an Probanden oder Patienten. Es
38 3 Pharmakodynamik

resultieren Dosis- bzw. Konzentrations-Wir- LD50: Die Letaldosis 50 gibt an, bei welcher
kungs-Kurven: Werden steigende Dosen des zu Dosis 50 % der Versuchstiere (in der präklini-
untersuchenden Arzneistoffs auf der Abszisse schen Testung eines Arzneistoffs) sterben.
logarithmisch aufgetragen und die Stärke des Therapeutische Breite: Die therapeutische
hervorgerufenen Effekts linear auf der Ordinate, Breite einer Substanz ist ein Maß für die Sicher-
erhält man Dosis-Wirkungs-Kurven mit meist heit zwischen therapeutischer und toxischer
S-förmigem Verlauf. Bei der Auswertung dieser Wirkung: Ein Pharmakon ist umso sicherer, je
Kurven interessiert vor allem die Schwellendo- größer seine therapeutische Breite ist. Üblicher-
sis, d. h. die kleinste Dosis, bei der ein Effekt weise wird diese als Verhältnis von LD50 zu ED50
sichtbar wird, der erreichbare Maximaleffekt, angegeben:
die zum Erreichen des Maximaleffekts erforder-
LD
liche (minimale) Dosis und die Steigung der Therapeutischer Quotient = ____
ED
50
50
Kurve, die ein Maß für den Dosisbereich zwi-
schen Wirkungseintritt und maximaler Wir- Vorteilhaft ist, wenn die maximale therapeuti-
kung ist. Die Lage der Kurve auf der X-Achse ist sche Wirkung lange vor der minimalen letalen
ein Maß für die Wirkstärke eines Arzneistoffs, Dosis erreicht wird und ein Sicherheitsabstand
die Größe des Maximaleffekts ein Maß für die von mehr als einer Zehnerpotenz vorliegt. Es
intrinsische Aktivität. wird daher häufig anstelle des Quotienten LD50/
Darüber hinaus werden Untersuchungen ED50 der Quotient LD5/ED95, der als Therapeu-
zur Ermittlung von Dosis-Wirkungs-Beziehun- tischer Index bezeichnet wird, bestimmt.
gen bei der Arzneimittelentwicklung sowohl in
Synergismus. Ein Synergismus liegt vor, wenn
der präklinischen als auch in der klinischen
bei der gleichzeitigen Anwendung von zwei
Phase (Ⴉ Kap. 9) am Kollektiv durchgeführt.
oder mehr Wirkstoffen der gemessene Effekt
Auch bei allgemeinen toxikologischen oder ge-
der Kombination größer ist als die Wirkung der
webetoxikologischen Untersuchungen ist die-
jeweiligen Einzelsubstanz. Addieren sich die
ses Vorgehen üblich. Die Untersuchungsergeb-
Einzeleffekte, d. h. entspricht die Gesamtwir-
nisse können in einer sog. Häufigkeitsvertei-
kung der Summe der Einzelwirkungen, so
lungskurve dargestellt werden, bei der auf der
spricht man von additivem Synergismus. Dane-
Ordinate die Anzahl bzw. der Prozentsatz der
ben gibt es einen überadditiven Synergismus
Individuen, der den gewünschten Effekt zeigt,
(Potenzierung), bei dem der Gesamteffekt hö-
und auf der Abszisse die Dosis aufgetragen
her ist als die Summe der Einzeleffekte. Voraus-
wird. Aus einer solchen Kurve wird die Dosis,
setzung hierfür ist ein Angriff der Wirkstoffe an
bei der 50 % der Individuen reagieren, als Maß
unterschiedlichen Rezeptor- bzw. Effektorsyste-
für die Aktivität (ED50) der untersuchten Sub-
men. Überadditiven Synergismus beobachtet
stanzen abgelesen.
man beispielsweise bei gleichzeitiger Gabe eines
Pharmakologische Kenngrößen. Aus den Do- Schleifen- und eines Thiazid-Diuretikums (vgl.
sis-Wirkungs- bzw. Konzentrations-Wirkungs- konsekutive Nephronblockade, Ⴉ Kap. 26.1).
Kurven lassen sich wichtige Parameter ermit-
Toleranzentwicklung und Tachyphylaxie. Eine
teln, von denen nachstehend einige beschrieben
Gewöhnung oder Toleranzentwicklung liegt vor,
sind.
wenn nach wiederholter Zufuhr eines Arznei-
ED50: Die Effektdosis 50 ist die Dosis, bei der die stoffs die Dosis erhöht werden muss, um die
Hälfte (50 %) des Maximaleffekts erreicht wird gleiche Wirkung wie bei der ersten Applikation
bzw. bei der 50 % der Versuchsobjekte die er- zu erreichen. Dabei wird zwischen pharmakoki-
wartete Wirkung zeigen. (Entsprechend ist die netischer und pharmakodynamischer Toleranz-
ED95 die Dosis, bei der es zu 95 % der Wirkung entwicklung unterschieden. Bei der pharmako-
kommt.) kinetischen Toleranzentwicklung beruht die
3.4 Struktur-Wirkungs-Beziehungen 39

Wirkungsabnahme vorwiegend auf einer En- Struktur-Wirkungs-Beziehungen bestehen da-


zyminduktion, bei Prodrugs u. U. aber auch auf bei darin, dass für die Arzneistoffentwicklung
einer verringerten Biotransformation. Der auch die schwer bis nicht vorhersagbare In-vivo-
pharmakodynamischen Toleranzentwicklung Pharmakokinetik in hohem Maß zu berücksich-
liegt eine Änderung der Rezeptorendichte (Re- tigen ist. Ein weiteres schwieriges Problem bei
zeptorenzahl) und/oder eine Veränderung der der gezielten Wirkstoffentwicklung besteht dar-
Rezeptorempfindlichkeit bzw. der Rezeptor-Ef- in, dass die Kenntnisse über Struktur-Toxizitäts-
fektor-Kopplung (vgl. Desensibilisierung, s. o.) Beziehungen noch immer gering sind.
zugrunde. Besonders erfolgversprechend ist die Suche
Carbamazepin (Ⴉ Kap. 16.2.1) ist z. B. ein be- nach Struktur-Wirkungs-Beziehungen und da-
sonders guter Enzyminduktor und induziert so- mit die gezielte Wirkstoffsuche, wenn die drei-
mit seinen eigenen Metabolismus. Bei Dauer- dimensionale Struktur des Zielmoleküls sowie
therapie sinkt dementsprechend seine Halb- dessen Bindungsstelle für das potenzielle Phar-
wertszeit um etwa 50 %. Bei Morphin tritt dage- makon genau bekannt sind. So wurden z. B. die
gen eine stark ausgeprägte pharmakodynamische zur HIV-Therapie eingesetzten Proteasehem-
Toleranz auf. Diese kann so stark sein, dass Do- mer (Ⴉ Kap. 30.4.5.4) nach Aufklärung der
sen vertragen werden, die bei erstmaliger An- Struktur der HIV-Protease weitgehend Compu-
wendung infolge Atemdepression tödlich wir- ter-gestützt entwickelt.
ken würden.
Qualitative Struktur-Wirkungs-Beziehungen.
Eine Tachyphylaxie liegt vor, wenn es sehr
Diese dienen dazu, die für die Pharmakonwir-
rasch – innerhalb von Minuten bis Stunden – zu
kung essenziellen Strukturen zu ermitteln und 3
einer Toleranzentwicklung kommt und nach
die Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben, nach de-
Absetzen des Arzneistoffs nach verhältnismäßig
nen eine Einteilung chemischer Substanzen auf-
kurzer Zeit die normale Wirkung wieder auslös-
grund ihrer Struktur in biologisch wirksame
bar ist. Ein Beispiel ist das als Appetitzügler ver-
Substanzgruppen vorgenommen werden kann.
wendete indirekte Sympathomimetikum Amfe-
Gesicherte qualitative Struktur-Wirkungs-Be-
pramon. Bei rasch aufeinanderfolgenden Gaben
ziehungen sind daher für eine rationale Wirk-
werden die Noradrenalinspeicher immer stärker
stoffentwicklung wertvoll.
entleert, wodurch die Menge des freigesetzten
Noradrenalins mehr und mehr abnimmt und Quantitative Struktur-Wirkungs-Beziehungen.
zudem die adrenergen Rezeptoren herunterre- Bei der Ermittlung quantitativer Struktur-Wir-
guliert werden. kungs-Beziehungen wird versucht, eine mathe-
matische Gleichung zwischen der Stärke eines
Effekts und der Größe von Substanzparametern
aufzustellen (Hansch-Analyse). In einer Reihe
3.4 Struktur-Wirkungs-
von Fällen konnte gezeigt werden, dass die Wir-
Beziehungen
kung eines Pharmakons mit dessen Verteilungs-
koeffizienten (z. B. Octanol/Wasser), elektroni-
Unter Einsatz von Röntgenstrukturanalysen
schen Parametern (Hammet-Konstanten) und
und mehrdimensionalen Kernresonanzspektro-
stereochemischen Eigenschaften zusammen-
skopie-Techniken wird intensiv versucht, die
hängt.
Wirkung einer Substanz von ihrer chemischen
Struktur her vorauszusagen bzw. mithilfe von Struktur-Wirkungs-Beziehungen bei Enantio-
Computerprogrammen (Computer Aided Drug meren. Als Enantiomere werden chemische
Design, Molecular Modeling) ihr Wirkprofil Verbindungen mit gleicher Summen- und
und/oder ihre Wirkstärke zu berechnen. Die Strukturformel, aber unterschiedlicher räumli-
großen Schwierigkeiten bei der Erforschung von cher Anordnung an einem sog. asymmetrischen
40 3 Pharmakodynamik

Kohlenstoffatom (Chiralitätszentrum) bezeich- Chiralitätszentrum in einem für die Wirksam-


net, die sich wie Bild und Spiegelbild zueinander keit unbedeutenden Molekülteil liegt. Als wich-
verhalten und optisch aktiv sind, d. h. die Polari- tiges Beispiel für die unterschiedliche Wirkung
sationsebene von polarisiertem Licht nach von Enantiomeren seien die β-Adrenozeptor-
rechts oder links drehen. Bei der älteren, vor al- blocker (Ⴉ Kap. 19.4.2) genannt. Bei diesen wirkt
lem für Aminosäuren und Zucker, teilweise aber das S-Enantiomer in der Regel ca. 100-mal stär-
auch für Arzneistoffe noch immer verwendeten ker β-blockierend als das R-Enantiomer. Viele
Nomenklatur, wird das rechtsdrehende Enan- enantiomere (chirale) Arzneistoffe sind aber
tiomer mit dem Präfix D (von dexter = rechts) dennoch nicht als reine Enantiomere, sondern
und das linksdrehende Enantiomer mit dem als sog. Racemate (d. h. beide Enantiomere lie-
Präfix L (von levo = links) charakterisiert. Bei gen zu gleichen Teilen vor) im Handel. Sofern
der neueren R-S-Nomenklatur wird dagegen nur ein Enantiomer wirkt, das andere dagegen
nicht die veränderte Drehrichtung, sondern die weniger oder gar nicht, sind bei Gabe des Race-
räumliche Anordnung der Substituenten ange- mats 50 % des applizierten Arzneistoffs als „iso-
geben. Aus pharmakologischer Sicht ist bedeut- merer Ballast“ anzusehen. Dieser isomere Bal-
sam, dass Enantiomere häufig ein unterschiedli- last ist allerdings nur dann akzeptabel, wenn das
ches pharmakokinetisches und/oder pharmako- unwirksame Isomer quasi keine unerwünschten
dynamisches Verhalten aufweisen: Befindet sich Wirkungen hervorruft. Dementsprechend gibt
der sterische Unterschied der Enantiomere in es heute zunehmend mehr Arzneistoffe, die in
einem für die Wirkung wesentlichen Molekül- Form der reinen (wirksameren oder weniger
teil, sind die Wirkungsunterschiede in der Regel toxischen) Enantiomere im Handel sind (z. B.
groß. Die Aktivitätsunterschiede können aber S-Ketamin, S-Ropivacain, Dexpanthenol, Levo-
auch gering sein oder ganz fehlen, wenn das floxacin, Levomethadon).
41

4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Die spezifische pharmakodynamische Beein- 4.1 Arzneistoffspezifische, dosis-


flussung eines pathologischen Zustands ohne abhängige Nebenwirkungen
gleichzeitige Wirkung auf von der Erkrankung
nicht betroffene Körperfunktionen ist in der Re- Diese sind zwar hinsichtlich der pharmakody-
gel nicht möglich. Daraus folgt, dass bei fast je- namischen Wirkungen eines Pharmakons weit-
der medikamentösen Therapie neben der er- gehend vorhersehbar, jedoch kann die individu-
wünschten Hauptwirkung auch mit uner- elle Toleranz gegenüber einem Pharmakon stark
wünschten Arzneimittelwirkungen (UAW, syn- variieren. Daher besteht immer die Möglichkeit,
onym Nebenwirkungen) gerechnet werden dass eine in der Regel gut verträgliche Dosis bei 4
muss. Ihre genaue Kenntnis nach Art und Häu- anderen Patienten relevante Nebenwirkungen
figkeit ist daher beim Abwägen des Krankheits- auslöst. Als Ursachen für diese Art der biologi-
risikos gegen das therapeutische Risiko, also bei schen Streuung kommen genetisch, epigene-
der Beurteilung der Nutzen-Risiko-Relation, tisch oder durch Umweltfaktoren bedingte Un-
erforderlich. Dabei kann eine Nebenwirkung terschiede bei der Resorption, Verteilung, Meta-
auch durchaus erwünscht sein, z. B. wird die an- bolisierung und Exkretion des Arzneistoffs in
ticholinerge Nebenwirkung tricyclischer Anti- Frage.
depressiva bei der Behandlung des Reizdarm- Entsprechend der Vielzahl der Arzneistoffe
Syndroms ausgenutzt. Seltene Nebenwirkungen treten auch sehr verschiedene Formen von Ne-
werden erst geraume Zeit nach der Marktein- benwirkungen auf. Sie reichen von zentral-
führung erkannt, daher sollten neue Medika- nervösen Störungen, Magen-Darm-Beschwer-
mente vorsichtig verordnet und ihre Effekte be- den, Leber- und Nierenparenchymschäden oder
sonders sorgfältig überwacht werden. Blutbildveränderungen bis zu reproduktionsto-
Als unbedenklich ist ein Arzneistoff dann zu xischen und kanzerogenen Wirkungen.
bezeichnen, wenn bei bestimmungsgemäßem
Arzneimittelkrankheiten. Hierunter versteht
Gebrauch nicht mit schweren Nebenwirkungen
man durch Pharmaka ausgelöste krankhafte Zu-
gerechnet werden muss, die das Risiko im Hin-
stände, die nicht selten auch noch nach Abset-
blick auf den zu erwartenden Therapieerfolg un-
zen des Medikaments bestehen bleiben. Zu ih-
vertretbar hoch erscheinen lassen.
nen gehören z. B. irreversible Dyskinesien nach
längerer Anwendung von Neuroleptika
(Ⴉ Kap. 10.1).
42 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Sekundäre unerwünschte Arzneimittelwirkun- terminante (die den Antikörper prägende)


gen. Sie sind Folgen der Hauptwirkung eines Gruppe dar. Bei vielen Arzneistoffen handelt es
Arzneimittels, z. B. die Schädigung der physiolo- sich um sog. Prohaptene, die selbst nicht reaktiv
gischen Bakterienflora infolge einer Behand- sind, die aber im Organismus zu reaktiven Me-
lung mit Breitspektrum-Antibiotika. Auch die taboliten verstoffwechselt werden, die dann mit
Herxheimer-Reaktion (Ⴉ Kap. 30.1.1) ist eine körpereigenen Proteinen Vollantigene bilden
solche sekundäre unerwünschte Antibiotikawir- können.
kung. Sie beruht auf der Freisetzung von Endo- Die Reaktion des Antikörpers mit der deter-
toxinen aus abgetöteten Erregern von Borrelien, minanten Gruppe des Arzneistoffs ist die Ursa-
Neisserien, Salmonellen, Treponemen u. a. che der Gruppenantigenität. Darunter versteht
man, dass chemisch und pharmakologisch un-
terschiedliche Pharmaka dieselben allergischen
4.2 Arzneimittelallergien Reaktionen auslösen können, sofern sie die glei-
che Determinante besitzen. Daher kann eine Al-
Bei 15–20 % aller beobachteten Nebenwirkun- lergie gegen eine bestimmte Substanz auch An-
gen handelt es sich um Arzneimittelallergien, lass zu einer allergischen Reaktion gegen einen
bei denen meist die Haut betroffen ist. Am häu- strukturverwandten Stoff sein, ohne dass bereits
figsten werden makulopapulöse Exantheme, die ein Kontakt mit diesem gegeben war. Man
zu den Spättypreaktionen (s. u.) zählen, beob- spricht dann von einer Kreuzallergie. Beispiele
achtet, gefolgt von Urtikaria und Angioödemen sind die Kreuzallergien von Substanzen mit pa-
(Soforttypreaktionen). ra-ständiger primärer aromatischer Amino-
Allergische Reaktionen als Nebenwirkungen gruppe (z. B. Procain, p-Aminosalicylsäure, Sul-
von Pharmaka sind im Gegensatz zu den zuvor fonamiden) und die zwischen Penicillinen und
besprochenen arzneistoffspezifischen Neben- Cephalosporinen.
wirkungen weitgehend dosisunabhängig und Entsprechend den der allergischen Reaktion
nicht für den betreffenden Arzneistoff charakte- zugrundeliegenden Mechanismen unterschei-
ristisch. Immer liegen ihnen immunologische det man Antikörper- und T-Lymphozyten-ver-
Mechanismen (Ⴉ Kap. 32) zugrunde. Vorausset- mittelte Überempfindlichkeitsreaktionen.
zung ist ein zuvor erfolgter Erstkontakt mit dem
gleichen Antigen, der als Sensibilisierung be-
4.2.1 Antikörper-vermittelte Über-
zeichnet wird. Die Prädisposition hierzu ist ge-
empfindlichkeitsreaktionen
netisch mitbestimmt und außerdem von der
Bei wiederholtem Antigenkontakt können über-
Anwendungshäufigkeit und der Applikations-
schießende, für den Organismus schädliche Re-
form abhängig.
aktionen ausgelöst werden. Nach der Art der
Bei den meisten Arzneistoffen handelt es sich
Reaktion lassen sich die Antikörper-vermittel-
allerdings um niedermolekulare Substanzen, die
ten Überempfindlichkeitsreaktionen einteilen
als solche selbst keine Antigeneigenschaften be-
in Typ-I- (anaphylaktische), Typ-II- (zytotoxi-
sitzen. Um ein immunologisches Potenzial zu
sche) und Typ-III- (durch Immunkomplexe
erlangen, muss sich der Arzneistoff als Präanti-
ausgelöste) Reaktionen (Ⴜ Abb. 4.1).
gen (Halbantigen, Hapten) kovalent mit einem
körpereigenen Makromolekül, in der Regel ei- Typ-I-Reaktionen. Überempfindlichkeitsreak-
nem Protein, zu einem Komplexantigen (Voll- tionen vom Typ I werden durch IgE-Antikörper
antigen) verbinden, gegen welches dann Anti- vermittelt, die sich an Mastzellen und basophilen
körper gebildet werden. Die Spezifität des Anti- Granulozyten befinden (Ⴜ Abb. 4.1). Sie treten
körpers richtet sich dabei gegen den Arzneistoff meist innerhalb weniger Minuten bis zu einer
und nicht gegen das Makromolekül, d. h. der Stunde nach Applikation auf und werden des-
Arzneistoff oder ein Teil von ihm stellen die de- halb auch als Soforttypreaktionen bezeichnet.
4.2 Arzneimittelallergien 43

Typ I Typ II
Antigen Zelloberflächenantigen
Makrophage Fc-ˠRezeptor
IgG
IgE
Zielzelle

Fc-ˢ Zytotoxische Reaktion


Rezeptor

Antikörper

Mastzell-Degranulation
Komplement
Zielzelle
Urtikaria Bronchokonstriktion Gefäß- Komplement-
permeabilität൹ vermittelte Lyse

Typ III Typ IV


Chemotaxine, Entzündungsmediatoren

Antigene
Ablagerung von CD4+-
Immunkomplexen T-Zelle
Komplementaktivierung

CD4
MHC-II TZR
4
Komplement Antigen-präsentierende
Zelle (APZ)
Antikörper
Entzündungs- Lymphokine
reaktionen
Antigen

Endothel
Basalmembran Aktivierte Makrophagen

Ⴜ Abb. 4.1 Überempfindlichkeitsreaktionen. Der Typ I stellt die IgE-vermittelte Sofortreaktion dar. Typ II
ist die durch IgG ausgelöste Reaktion mit Komplement-induzierten und phagozytotischen Effektorme-
chanismen, Typ III die IgG-Immunkomplex-vermittelte Reaktion gegen lösliche und Matrix-assoziierte
Antigene. Typ IV verkörpert die T-Zell-mediierte Entzündungsreaktion durch T-Helferzellen und Makro-
phagen oder direkt zytotoxische T-Zellen. TZR T-Zell-Rezeptor

Bei entsprechender Prädisposition und Kontakt körpern und überbrücken dabei zwei Antigen-
mit bestimmten Antigenen reagiert der Orga- bindungsstellen, führt dies u. a. durch einen
nismus mit der Bildung von IgE-Immunglobuli- Ca2+-Einstrom zur Aktivierung der Phospholi-
nen. Diese IgE-Antikörper heften sich mit ih- pase A2 und über die Arachidonsäurekaskade
rem Fc-Stück auf der Oberfläche von Mastzellen zur Synthese und Freisetzung von Leukotrienen.
oder basophilen Granulozyten am Fc-ε-Rezeptor Darüber hinaus werden auch Zytokine gebildet.
an. Reagieren die bei einem erneuten Kontakt Durch diese Mediatorsubstanzen und die Frei-
aufgenommenen Antigene mit den IgE-Anti- setzung präformierter Mediatoren (Histamin,
44 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Serotonin, Bradykinin, Heparin u. a.) aus den Typ-III-Reaktionen. Sie werden durch die Bil-
zytoplasmatischen Granula werden typische Se- dung und Ablagerung von Immunkomplexen
kundärreaktionen in Gang gesetzt. Gefäßerwei- hervorgerufen, die nach Komplementaktivie-
terungen und Steigerung der Kapillarpermeabi- rung zu entzündlichen Reaktionen führen. Die
lität durch Histamin und andere Mediatorstoffe Immunkomplexe können mit dem Blut im Or-
rufen Ödeme und Urtikaria hervor. In vielen ganismus verteilt werden und sich dann an Glo-
Fällen bleibt die anaphylaktische Reaktion ört- meruli, serösen Häuten, Gelenken und im Ge-
lich begrenzt (z. B. bei Asthma bronchiale oder fäßendothel ablagern und dort Entzündungen
Heuschnupfen); erfolgt sie jedoch generalisiert verursachen. Arzneimittelbedingte Typ-III-Re-
(z. B. nach Injektion bestimmter Medikamente), aktionen manifestieren sich dementsprechend
so kann ein massiver Blutdruckabfall (anaphy- als Vaskulitiden, die von einer Glomeruloneph-
laktischer Schock) auftreten. Außerdem sind ritis, Serositis und Arthritiden begleitet sein
Spasmen der Bronchialmuskulatur möglich, die können. Zu den Arzneistoffen, nach deren Ap-
im Extremfall tödlich verlaufen können. Prinzi- plikation Typ-III-Reaktionen beobachtet wur-
piell können alle Substanzen, die mit körperei- den, gehören z. B. Penicilline und d-Penicill-
genen Strukturen Antigene bilden, Typ-I-Reak- amin.
tionen hervorrufen. Relativ häufig werden sie
beispielsweise mit Betalactam-Antibiotika, Sul- 4.2.2 T-Lymphozyten-vermittelte
fonamiden und Sulfonylharnstoff-Derivaten be- Überempfindlichkeitsreak-
obachtet. tionen vom Typ IV (Spättyp)
Dieser auch als zelluläre Überempfindlichkeit
Typ-II-Reaktionen. Sie werden durch die Bin-
bezeichnete Prozess beruht auf einer T-Lympho-
dung von IgG oder IgM an zellständige Antige-
zyten-vermittelten Immunreaktion und verläuft
ne ausgelöst. Folgen sind Opsonisierung und
ähnlich wie die spezifische zelluläre Immunant-
Aktivierung des Komplementsystems (Ⴉ Kap.
wort gegen Pathogene (Ⴉ Kap. 32.1). Nach Erst-
32.1) mit nachfolgender Zytolyse (zytotoxische
kontakt mit dem Antigen beginnt die Sensibili-
Reaktion). An Typ-II-Reaktionen sind bevor-
sierungsphase, die klinisch unauffällig verläuft.
zugt antigene Strukturen von Blutzellen betei-
Der Arzneistoff bzw. sein Metabolit reagiert als
ligt, an deren Oberfläche sich Arzneistoffe als
Hapten mit einem körpereigenen Protein unter
Haptene anlagern können. Je nach den betroffe-
Bildung eines Protein-Hapten-Komplexes. Die-
nen Zellen werden verschiedene Reaktionen
ser wird von antigenpräsentierenden Zellen
beobachtet, z. B. im Fall von Erythrozyten hä-
(APZ) zu einem Hapten-Peptid-Komplex pro-
molytische Anämien sowie bei Thrombozyten
zessiert und in Verbindung mit MHC-Molekülen
Thrombozytopenien mit verstärkter Blutungs-
von T-Lymphozyten erkannt. Die Interaktion
neigung. Sind Neutrophile involviert, kann es zu
mit dem T-Zell-Rezeptor bewirkt eine Aktivie-
einer Agranulozytose, gefolgt von einer Störung
rung und Differenzierung der T-Lymphozyten,
der antibakteriellen Abwehr, kommen.
wobei u. a. antigenspezifische T-Gedächtniszel-
Typ-II-Reaktionen treten in der Regel verzögert
len entstehen. Einige Arzneistoffe (z. B. Sulfa-
auf, d. h. frühestens mehrere Stunden nach Arznei-
methoxazol) können u. U. aber auch ohne vorhe-
mitteleinnahme. Pharmaka-induzierte Typ-II-
rige Reaktion mit einem körpereigenen Protein
Reaktionen findet man u. a. bei α-Methyldopa,
an den T-Zell-Rezeptor binden und diesen in
Penicillinen, Sulfonamiden und Thiouracilen.
Gegenwart von MHC-Molekülen stimulieren.
Weitere Beispiele für diesen Reaktionstyp
Kommt es zu einem erneuten Kontakt mit
sind die Unverträglichkeitsreaktionen bei der
dem Allergen, setzen die antigenspezifischen T-
Transfusion gruppenungleichen Blutes (Trans-
Gedächtniszellen Zytokine frei. Im Hinblick auf
fusionsreaktion), die Rhesusunverträglichkeit
die beteiligten T-Zellen (z. B. TH1 bzw. TH2)
sowie die Myasthenia gravis.
und die Zytokine (z. B. IFN-γ, IL-2 bzw. IL-4,
4.2 Arzneimittelallergien 45

IL-5), die sie sezernieren, sowie auf die Effektor- gen ähneln. Auch die Schleimhäute (Mund- und
zellen (z. B. Makrophagen, neutrophile Granu- Genitalschleimhaut, Konjunktiven) sind betrof-
lozyten, T-Zellen) lassen sich die Typ-IV-Reak- fen. Außerdem sind die Hautreaktionen von All-
tionen weiter in die Typen IVa, IVb, IVc und IVd gemeinsymptomen wie Fieber, Kopf- und Glie-
differenzieren. derschmerzen sowie Müdigkeit bis hin zu Be-
Die Bezeichnung Überempfindlichkeitsreak- wusstseinsveränderungen begleitet. Beim Ste-
tionen vom Spättyp für diese Allergieformen vens-Johnson-Syndrom sind weniger als 10 %
rührt daher, dass die allergische Reaktion erst der Körperoberfläche von der Blasenbildung, bei
nach Tagen oder sogar erst nach Wochen ihren der TEN dagegen mehr als 30 % betroffen. Letz-
Höhepunkt erreicht. Arzneimittelallergien, de- tere verläuft in ca. 45 % der Fälle letal, haupt-
nen Typ-IV-Reaktionen zugrunde liegen, mani- sächlich aufgrund von Sekundärinfektionen der
festieren sich hauptsächlich durch Hautreaktio- Haut. Die Latenz bis zum Auftreten von SJS bzw.
nen (s. nachfolgend aufgeführte Beispiele). Zu TEN beträgt bis zu 14 Tage nach Medikamenten-
den Arzneimitteln, die am häufigsten als Auslö- einnahme, was eine ursächliche Zuordnung zu
ser solcher kutaner allergischer Nebenwirkungen einem bestimmten Arzneistoff oft erschwert. Bei
auffallen, gehören Antiinfektiva (Betalactame, einer Dauertherapie ist das Risiko innerhalb der
Sulfonamide) und Antikonvulsiva (z. B. Carbam- ersten zwei Behandlungsmonate am höchsten.
azepin, Phenytoin). Auslösende Substanzen sind vor allem Allopuri-
Beim allergischen Kontaktekzem (Kontakt- nol, antibakterielle Sulfonamide, nichtsteroidale
dermatitis) beträgt die Kontaktsensibilisierung Antiphlogistika vom Oxicam-Typ, Antiepilepti-
ca. 10–14 Tage und bleibt gegen das Kontaktall- ka (Carbamazepin, Lamotrigin, Phenytoin und
ergen in der Regel langfristig bestehen. Ein er- Phenobarbital) sowie Nevirapin.
neuter Allergenkontakt führt nach spätestens 48 Die akute generalisierte exanthemische Pus-
Stunden zur Dermatitis. Kontaktallergene sind tulose (AGEP) ist eine schwere Arzneimittelre- 4
in der Regel niedermolekulare oder lipophile aktion der Haut, die in der akuten Phase von Fie-
Verbindungen, die die Epidermis gut penetrieren ber, Leukozytose und Eosinophilie begleitet ist.
können. Häufige Auslöser einer Kontaktallergie Sie heilt allerdings nach Absetzen des auslösen-
sind Metalle wie Nickel oder Chrom. Arzneimit- den Arzneimittels rasch ab und weist im Gegen-
telbedingte allergische Kontaktekzeme werden satz zu SJS und TEN nur eine geringe Mortalität
beispielsweise nach topischer Applikation von auf. Häufig wird sie nicht als Arzneimittelreakti-
Neomycin und Chloramphenicol beobachtet. on erkannt. In den meisten Fällen wird die AGEP
Das makulopapulöse Arzneimittelexan- durch Betalactam-Antibiotika ausgelöst, sie wur-
them, das durch fleckförmig-knotige Hautver- de aber auch nach Einnahme von Ibuprofen, Me-
änderungen gekennzeichnet ist, zählt zu den tamizol, Paracetamol, Celecoxib u. a. beobachtet.
häufigsten Nebenwirkungen überhaupt und Das fixe Arzneimittelexanthem ist durch ein-
kann durch eine Vielzahl von Arzneimitteln zeln auftretende Maculae charakterisiert, die
ausgelöst werden. Es tritt etwa 8–12 Tage nach nach Abheilung in eine Hyperpigmentierung
Therapiebeginn auf und heilt in der Regel kom- übergehen. Durch erneute Gabe des auslösenden
plikationslos ab. Medikaments tritt das Exanthem typischerweise
Zu den bullösen Arzneimittelexanthemen an der gleichen Stelle wieder auf, wobei die Sym-
zählen sehr schwerwiegende Hautreaktionen ptomatik verstärkt sein kann. Auslösende Medi-
wie das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und kamente können z. B. Barbiturate, Sulfonamide,
die toxisch epidermale Nekrolyse (TEN, Lyell- Tetracycline, Phenylbutazon, nichtsteroidale An-
Syndrom), die durch Erytheme mit Blasenbil- tiphlogistika oder auch Paracetamol sein.
dung und nekrotische Ablösung der Haut ge- Das DRESS-Syndrom (Drug Related Eosino-
kennzeichnet sind und somit großflächigen philia with Systemic Symptoms) wurde erstmals
zweitgradigen Verbrennungen oder Verbrühun- als Überempfindlichkeitsreaktion auf die Gabe
46 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

von Phenytoin, später auch nach Anwendung voraus, diese kann auch bei Erstanwendung auf-
anderer Antikonvulsiva beschrieben, weshalb es treten. Zu den pseudoallergischen Reaktionen
ursprünglich als Antikonvulsiva-Hypersensibili- gehören z. B. das sog. Analgetika-Asthma nach
tätssyndrom bezeichnet wurde. In einem Zeit- Anwendung von Acetylsalicylsäure und anderen
raum von ca. 1–8 Wochen nach Arzneimittelein- nichtsteroidalen Antiphlogistika sowie anaphy-
nahme kommt es zu einem makulopapulösen laktoide Reaktionen nach Gabe von Röntgen-
Exanthem sowie zu Fieber, Lymphknotenver- kontrastmitteln, Angioödeme nach Anwendung
größerungen, Organbeteiligung (Leber, Niere) von ACE-Hemmern oder ein durch Histamin-
und Eosinophilie. Die Mortalität liegt bei ca. ausschüttung bedingter Blutdruckabfall und
10 %. Auslösende Medikamente sind vor allem Bronchospasmus nach Tubocurarin-Injektion.
Antikonvulsiva, wobei eine hohe Kreuzsensibili-
sierung zwischen den aromatischen Antikonvul-
siva besteht. Auch Allopurinol und Sulfonamide 4.4 Hämatologische Störungen
können ein DRESS-Syndrom verursachen. durch Pharmaka
Pharmakogenetische (Metabolisierungs-Geno-
Auch wenn diese Nebenwirkungen seltener auf-
typ) und immunogenetische (HLA-Genotyp)
treten als allergische Reaktionen an der Haut
Faktoren beeinflussen das Risiko für die Ent-
(s. o.), ist ihr Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko,
wicklung allergischer Nebenwirkungen an der
insbesondere bei älteren Patienten, hoch. Im
Haut. So ist z. B. bei Langsam-Acetylierern
Wesentlichen umfassen Arzneimittel-induzierte
(Ⴉ Kap. 6.1) das Risiko für die Entwicklung einer
hämatologische Schädigungen die aplastische
toxisch epidermalen Nekrolyse durch Sulfon-
und hämolytische Anämie, die Agranulozytose
amide oder eines DRESS-Syndroms durch Anti-
und die Thrombozytopenie. Direkte toxische
konvulsiva erhöht. Ebenso konnten durch Ge-
(z. B. durch Zytostatika) oder immunologische
notypisierung des HLA-Komplexes verschiede-
Effekte eines Arzneistoffs bzw. seiner Metaboli-
ne HLA-Typen mit dem Auftreten von be-
ten sind meist die Ursache.
stimmten Nebenwirkungen in Verbindung
Bei der aplastischen Anämie kommt es zu ei-
gebracht werden, z. B. HLA-Typ DR3 und DQ2
ner Störung der Differenzierung von hämatopo-
mit schweren Hypersensitivitätsreaktionen der
etischen Stammzellen und als deren Folge auf-
Haut bei einer Therapie mit Carbamazepin.
grund der reduzierten Bildung von Erythro-
Auch bestehende Infektionen können ggf. das
zyten, Neutrophilen und Thrombozyten zu ei-
Allergierisiko erhöhen. AIDS-Patienten haben
ner Panzytopenie. Auslösende Arzneistoffe
z. B. ein 10–50-fach erhöhtes Risiko einer aller-
können z. B. Carbamazepin, Phenytoin und
gischen Hautreaktion auf die Therapie mit Co-
Phenobarbital sein.
trimoxazol als Patienten ohne AIDS.
Bei immunologisch-bedingten hämolyti-
schen Anämien sind außer der Haptenbildung
4.3 Pseudoallergische auch die Induktion von Autoantikörpern gegen
Nebenwirkungen Erythrozyten von Bedeutung. So entwickelt sich
unter mehrmonatiger Therapie mit Methyldopa
Neben den eigentlichen allergischen Reaktionen ein positiver Coombs-Test.
kennt man auch pseudoallergische Reaktionen, Immunologische Formen der Agranulozyto-
die nicht auf einer immunologischen Reaktion se mit Haptenbildung aus Arzneistoff und Mem-
beruhen, sondern durch direkte Wirkungen branproteinen von Granulozyten treten bei The-
(z. B. Mediatorfreisetzung, Komplementaktivie- rapie mit z. B. Penicillinen oder Goldverbindun-
rung oder Beeinflussung der Arachidonsäure- gen auf. Auch die Immunkomplex-vermittelte
kaskade) des Arzneistoffs ausgelöst werden. Eine Zerstörung von Granulozyten kann mechanis-
Sensibilisierung geht der Reaktion somit nicht tisch eine Rolle spielen (z. B. unter Behandlung
4.6 Nebenwirkungen in der Embryonal-, Fetal-, Postnatal- und Stillperiode 47

mit Chinidin). Direkte toxische Effekte gegen Eine entsprechende Aufklärung des Patien-
myeloische Vorläuferzellen von Granulozyten ten durch Arzt und Apotheker ist insbesondere
weisen z. B. Clozapin, Dapson, Sulfonamide und bei Erstverordnung dringend erforderlich. Der
Indometacin auf. Patient muss außerdem darauf hingewiesen
Eine Arzneimittel-induzierte Thombozyto- werden, dass er immer selbstkritisch prüfen
penie kann immunologisch durch z. B. Glyko- muss, ob er sich tatsächlich in der Lage fühlt, ein
proteinIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten (Tirofi- Fahrzeug zu führen oder gefährliche Tätigkeiten
ban, Eptifibatid, Ⴉ Kap. 23.1.3.2) und Heparine auszuüben.
(HIT2, Ⴉ Kap. 23.1.3.3) ausgelöst werden. Tirofi-
ban und Eptifibatid können ihren Rezeptor kon-
formationell so verändern, dass dieser von na- 4.6 Nebenwirkungen in der
türlich auftretenden Antikörpern in der Zirku- Embryonal-, Fetal-, Postnatal-
lation erkannt wird und es infolge zu einer Zer- und Stillperiode
störung der Thrombozyten kommt.
Trotz verstärkter Warnungen nehmen noch im-
mer zahlreiche Frauen während der Schwanger-
4.5 Beeinträchtigung der schaft Arzneimittel ohne zwingende Indikation
Fahrtüchtigkeit ein. Dies birgt die Gefahr einer Fruchtschädi-
gung in sich, da die Plazenta für die meisten
Jeder vierte Verkehrsunfall in Deutschland wird Arzneistoffe durchlässig ist und embryonale
mit der Einnahme von Arzneimitteln in Zusam- Zellen z. T. besonders empfindlich auf Pharma-
menhang gebracht. Viele Arzneistoffe können ka reagieren. Kein Arzneistoff kann diesbezüg-
das Reaktionsvermögen aufgrund ihrer sedie- lich als 100 % sicher gelten. Entsprechend den
renden Wirkung herabsetzen. Dazu gehören verschiedenen Stadien der Entwicklung der 4
beispielsweise Schlaf- und Beruhigungsmittel, Frucht können Schädigungen während der Blas-
Psychopharmaka, Opioid-Analgetika, Antihist- togenese, Embryogenese und Fetogenese auftre-
aminika, aber auch manche Antihypertensiva ten.
und Antiepileptika sowie Alkohol enthaltende
Blastopathien. Als Blastopathien bezeichnet
Arzneimittel. Die gleichzeitige Einnahme von
man Entwicklungsstörungen während der Blas-
Alkohol verstärkt in der Regel die sedierende
togenese, d. h. von der Konzeption bis zum 15.
Wirkung von Pharmaka. Die Fahrtüchtigkeit
Schwangerschaftstag. Schwere Schäden während
kann insbesondere bei neurologischen und psy-
dieser Zeit führen zum Keimtod. Geringgradige-
chiatrischen Erkrankungen sowie durch die zur
re Schäden können ohne Defekt ausheilen, da die
Therapie eingesetzten Arzneimittel zum Teil er-
zu diesem Zeitpunkt noch wenig differenzierten
heblich beeinträchtigt sein.
Zellen in hohem Maß regenerationsfähig sind.
Nach ambulanten Operationen, bei denen
Blastopathien im Sinne einer Defektbildung äu-
Anästhetika zum Einsatz kommen, kann die
ßern sich häufig in Form von Doppelmissbil-
Fahrtüchtigkeit sehr lange eingeschränkt sein,
dungen, die durch partielle Trennung von Zell-
sodass empfohlen wird, bis zu 48 Stunden nach
gruppen im frühen Entwicklungsstadium entste-
deren Applikation kein Fahrzeug zu führen. Un-
hen. Sofern sich daraus eine symmetrische Dop-
abhängig vom Reaktionsvermögen kann die
pelmissbildung entwickelt, sind beide Individuen
Fahrtüchtigkeit auch durch ein vermindertes
gleich (Siamesische Zwillinge).
Sehvermögen, z. B. nach Anwendung von Oph-
thalmika (u. a. Mydriatika), oder durch Stoff- Embryopathien. Da während der Embryogene-
wechselentgleisungen infolge einer fehlerhaften se die Organe angelegt werden und die Blasteme
Insulininjektion bei Diabetikern beeinträchtigt sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausdiffe-
sein. renzieren, hängt der Schaden vom Zeitpunkt
48 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

der Exposition ab. Ist das betroffene Blastem Spezies zu Spezies verschieden ist, sind Tierver-
noch undifferenziert und wirkt sich der Schaden suche nicht ohne Vorbehalte auf den Menschen
nicht letal aus, besteht die Möglichkeit zur resti- übertragbar. Arzneistoffe mit gesicherter terato-
tutio ad integrum. Trifft die Schädigung dage- gener Nebenwirkung beim Menschen sind u. a.
gen ein Blastem, das sich in der Differenzie- Zytostatika, Antiepileptika, Retinoide und Tha-
rungsphase befindet, entsteht als typische Emb- lidomid. (Da Thalidomid für die Behandlung
ryopathie eine Einzelmissbildung. Ist die Diffe- von Patienten mit multiplem Myelom wieder
renzierung abgeschlossen, können Schädigun- zugelassen wurde, müssen wegen seines hohen
gen keine Missbildungen mehr auslösen. Der teratogenen Potenzials die Anforderungen
Zeitraum, in dem eine Noxe eine Missbildung des Thalidomid-Schwangerschafts-Präventions-
hervorrufen kann, wird als kritische Phase be- Programms sowohl von männlichen als auch
zeichnet. Ihre Art hängt weniger von der auslö- von weiblichen Patienten erfüllt sein.)
senden Noxe als von der Entwicklungsphase des Um eine Risikobewertung vorzunehmen,
Embryos ab. Die größte Gefahr von Missbildun- werden Arzneistoffe heute in bestimmte Risiko-
gen besteht zwischen der 3. und 8. Schwanger- gruppen eingeteilt. Die Rote Liste® unterscheidet
schaftswoche. Außer durch Arznei- oder Ge- Risikogruppen Gr 1–11, wobei von Gr 1 (kein Ri-
nussmittel können Embryopathien durch Virus- siko) bis Gr 11 (Risiko mutagener/karzinogener
infektionen, ionisierende Strahlen, Diabetes Wirkung) die Gefährdung zunimmt. Diese Risi-
mellitus, Epilepsie sowie verschiedene chemi- kobewertung kann jedoch nur zur Orientierung
sche Substanzen hervorgerufen werden. Eine dienen, da es sich lediglich um Erfahrungen han-
weitere wichtige Ursache ist ein Folsäuremangel delt und ein Wahrscheinlichkeitsgrad nicht ange-
in dieser Entwicklungsphase. Ausdrücklich ist geben werden kann. Zur Erniedrigung des tera-
darauf hinzuweisen, dass die weitaus größte togenen Risikos und damit der Missbildungsrate
Zahl der Embryopathien auf Alkoholgenuss sollten vor allem in der Frühschwangerschaft
während der Schwangerschaft zurückzuführen Arzneimittel nur bei zwingender Indikation un-
ist. ter Berücksichtigung des Risikos für Mutter und
Kind eingenommen und neu auf den Markt ge-
Fetopathien. Während der Fetogenese ist die
kommene Präparate vermieden werden.
Organentwicklung bis auf die Großhirnrinde
weitgehend abgeschlossen. Daher treffen Noxen
4.6.2 Sonstige Nebenwirkungen in
während dieser Zeit auf bereits differenzierte
der Schwangerschaft
Strukturen. Arzneimittel-induzierte Fetopathi-
Neben teratogenen Effekten können durch Arz-
en werden nicht selten durch Einnahme von in
neimittel während der Schwangerschaft noch
der Schwangerschaft kontraindizierten ACE-
weitere unerwünschte Wirkungen wie z. B.
Hemmern und Sartanen ausgelöst. Deren feto-
Atemlähmung und Entzugserscheinungen durch
toxische Wirkungen zeigen sich in Nierenfunk-
Opioide, Maskulinisierung weiblicher Feten
tionsstörungen, Oligohydramnion und Verlang-
durch Androgene und Gestagene mit Androgen-
samung der Schädelossifikation.
wirkung, Feminisierung männlicher Feten durch
Gestagene mit antiandrogener Wirkungskompo-
4.6.1 Teratogene Wirkungen nente, Gehörschädigung durch Aminoglykosid-
Teratogenität , d. h. Fruchtschädigung und Aus- Antibiotika, Zahnanomalien und Skelettverän-
lösung von Missbildung gehören zu den schwer- derungen durch Tetracycline oder Hypothyreose
wiegendsten Nebenwirkungen von Arzneimit- durch Thyreostatika hervorgerufen werden. Zu
teln. Bei Anwendung von Medikamenten in der erhöhter Abort- bzw. Fehlgeburtgefahr kommt es
Schwangerschaft muss daher stets eine sorgfälti- nach Gabe von Prostaglandinderivaten (z. B. Mi-
ge Risikoabschätzung erfolgen. Da die Teratoge- soprostol), Mutterkornalkaloiden und Narkose-
nität sowohl qualitativ als auch quantitativ von mitteln.
4.7 Arzneimittelabhängigkeit 49

Zu den Substanzen, die in therapeutischer amin gegen Migräne). Bei jedem potenziell ge-
Dosierung bisher keine schwerwiegenden Ne- fährlichen Mittel, das die Mutter in der Postpar-
benwirkungen in der Schwangerschaft zeigten, talzeit benötigt, sollte auf das Stillen verzichtet
zählen β1-selektive Blocker, β2-Sympathomi- werden, auch wenn Schädigungen des Säuglings
metika, Cephalosporine, Penicilline sowie Ery- bisher nicht bekannt geworden sind.
thromycin aus der Gruppe der Antiinfektiva, Zur Risikobewertung von Arzneimitteln in
Eisenpräparate, Enzympräparate, Humaninsu- der Stillzeit wurde wie bei der Schwangerschaft
lin, Methyldopa, Paracetamol, Schilddrüsen- eine Einteilung nach dem Gefährdungspotenzi-
hormone, Sucralfat und Vitamin-B-Komplex. al für den Säugling vorgenommen (vgl. Rote Lis-
te®, La 1–La 5).
4.6.3 Nebenwirkungen in der
Postnatal- und Stillperiode
Bei Früh- und Neugeborenen sowie bei Säuglin- 4.7 Arzneimittelabhängigkeit
gen im 1. Trimenon besitzen die an der Bio-
transformation beteiligten Enzyme noch nicht Die psychische und meist auch physische Ab-
ihre volle Aktivität. So können Substanzen, die hängigkeit von der Wirkung einer Substanz,
zur Ausscheidung erst mit Glucuronsäure kon- verbunden mit der Tendenz, die Dosis zu stei-
jugiert werden müssen, nur langsam aus dem gern, sind Kennzeichen der Arzneimittelabhän-
Säuglingsorganismus eliminiert werden. Dies ist gigkeit. Diese bringt für die Betroffenen selbst,
beispielsweise der Hauptgrund für das Auftre- aber auch für die Gesellschaft erhebliche Gefah-
ten einer Atemdepression nach Gabe von Mor- ren und Probleme mit sich. Nicht eindeutig in-
phin. Aus gleicher Ursache können Leberschä- dizierte Verordnungen von Wirkstoffen mit Ab-
den bei Überdosierung von Paracetamol entste- hängigkeitspotenzial sind daher zu vermeiden.
hen. Auch Sulfonamide rufen bei Früh- und Viele der missbräuchlich angewendeten Arznei- 4
Neugeborenen wegen der Unreife von Leber mittel werden eingenommen, um die Leistungs-
und Nieren häufiger Nebenwirkungen hervor. fähigkeit zu steigern, Probleme in den Hinter-
Außerdem können Substanzen mit hoher Prote- grund zu schieben, seelische Nöte besser zu er-
inbindung, durch Verdrängung von Bilirubin tragen. Ferner möchten die Betroffenen sich
aus der Eiweißbindung postnatal einen Kernik- besser entspannen oder besser schlafen können.
terus, d. h. eine Einlagerung von Bilirubin in Insgesamt haben etwa 10 % aller Arzneimittel
Kerngebiete des Gehirns, bewirken und dadurch ein – unterschiedlich ausgeprägtes – Miss-
eine schwere Schädigung von Nervenzellen aus- brauchs- und Abhängigkeitspotenzial und kön-
lösen. nen bei nicht sachgemäßer Anwendung zur Ab-
hängigkeit führen. Beispiele hierfür sind Opio-
Arzneimittel in der Stillperiode. Viele Pharma-
id- und nichtsteroidale Analgetika, Psychosti-
ka treten in die Muttermilch über, die meisten
mulanzien, Laxantien, Kombinationspräparate
davon allerdings in so geringen Mengen, dass sie
bei Kopfschmerzen und Erkältungskrankheiten,
in ihren Auswirkungen auf den Säugling zu ver-
Nasenschleimhaut-abschwellende Pharmaka,
nachlässigen sind. Geht eine Substanz jedoch in
und alkoholhaltige Arzneimittel. Die zahlenmä-
für den Säugling pharmakologisch relevanten
ßig bedeutsamste Gruppe ist jedoch die der
Mengen in die Milch über, sind für die Neben-
Hypnotika und Tranquillanzien mit den Benzo-
wirkung insbesondere die Höhe der Dosierung
diazepinen und den mit ihnen verwandten
und die Dauer der Anwendung von Bedeutung.
Z-Substanzen Zopiclon und Zolpidem (Ⴉ Kap.
Das Befinden des Säuglings kann durch die Me-
11.3.2) mit etwa einer Million Abhängigen. Be-
dikation vorübergehend beeinträchtigt werden,
sonders alte Menschen leiden oft unwissentlich
oder es kann eine ernsthafte Schädigung eintre-
unter den Folgen der Langzeiteinnahme.
ten (z. B. Ergotismus nach Einnahme von Ergot-
50

5 Interaktionen

Bei der gleichzeitigen Verordnung zweier oder selwirkung auch therapeutisch bedeutsam ist,
mehrerer Arzneimittel besteht die Möglichkeit, muss zur Beurteilung der klinischen Relevanz
dass sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig beein- einer Arzneimittelinteraktion jeweils eine ent-
flussen und es dadurch entweder zur Verstär- sprechende Risikobewertung vorgenommen
kung von Wirkung und Nebenwirkungen (bis werden.
hin zur Toxizität) oder aber zur Verringerung
der erwünschten Effekte kommt. Da solche In-
teraktionen aus der chemischen Struktur einzel- 5.1 Pharmazeutische Interaktionen
ner Arzneistoffe nicht prognostiziert werden
können, sind bei der kombinierten Anwendung Darunter versteht man chemische und physika-
von Arzneimitteln deren pharmakodynamische lische Inkompatibilitäten. Optische Zeichen der
und pharmakokinetische Eigenschaften ge- Inkompatibilität beim Mischen von Infusions-
meinsam zu berücksichtigen. Ferner ist in Be- und Injektionslösungen sind u. a. Ausfällungen
tracht zu ziehen, dass das Ausmaß von Arznei- und Trübungen. Pharmazeutisch nicht kompa-
mittelinteraktionen infolge genetischer Fakto- tible, aber für ein Therapieregime erforderliche
ren interindividuell verschieden ist. Substanzen sollen an unterschiedlichen Stellen
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von am Körper mit einem zeitlichen Abstand von
Arzneimittelinteraktionen nimmt mit der An- mindestens einer Stunde appliziert werden. Bei-
zahl gleichzeitig eingenommener Pharmaka ex- spiele für unerwünschte Reaktionen oder The-
ponenziell zu. Daher stellen besonders für älte- rapieversagen aufgrund pharmazeutischer In-
re, multimorbide Patienten Arzneimittelinter- teraktionen sind die Komplexbildung von Ami-
aktionen ein erhebliches Risiko dar. Oft ist es noglykosiden und Penicillinen bei Applikation
dann schwierig, zwischen Medikament- und In- der beiden Stoffe in derselben Infusionslösung,
teraktion-bedingten Nebenwirkungen zu unter- die Entstehung eines unlöslichen Niederschlags
scheiden. Insgesamt machen Arzneimittelinter- bei Mischung einer Thiopental- mit einer
aktionen etwa 20 % der unerwünschten Arznei- Suxamethonium-Lösung und die Adsorption
mittelwirkungen aus. Auch ist unstrittig, dass vieler Arzneistoffe im Gastrointestinaltrakt
zahlreiche Todesfälle darauf zurückzuführen durch Ionenaustauscherharze wie Colestyr-
sind. Da jedoch nicht jede beschriebene Wech- amin.
5.2 Pharmakodynamische Interaktionen 51

5.2 Pharmakodynamische Erhöhung des Hyperkaliämierisikos bei kalium-


Interaktionen sparenden Diuretika. Bei der Kombination von
Triamteren und Amilorid (Ⴉ Kap. 26.1.3) mit Al-
Pharmakodynamische Wechselwirkungen sind dosteronantagonisten oder ACE-Hemmern er-
dadurch charakterisiert, dass sich gleichzeitig höht sich die Gefahr einer Hyperkaliämie und
applizierte Pharmaka durch Interaktion an ei- kann zu schweren, unter Umständen lebensbe-
nem Rezeptor, einem Erfolgsorgan oder einem drohlichen Hyperkaliämien führen. Dies trifft
Regelkreis in ihrer Wirkung verstärken oder ab- ebenso für die Kombination von Aldosteronant-
schwächen. Nachstehend sind Beispiele klinisch agonisten mit ACE-Hemmern zu. Diese Inter-
relevanter pharmakodynamischer Interaktio- aktion beruht auf einer Hemmung der Angio-
nen zusammengestellt. tensin II/Aldosteron-vermittelten K+-Ausschei-
dung über renale K+-Kanäle im spätdistalen Tu-
Additiver Effekt der QT-Zeit-Verlängerung durch
bulus und Sammelrohr. Bei Patienten mit
Arzneimittel. Klinisch relevante Arzneimittel-
schwerer Herzinsuffizienz ist die Kombination
bedingte Verlängerungen des QT-Intervalls
von ACE-Hemmern und niedrig dosiertem Spi-
(Ⴉ Kap. 23.3.3) sind praktisch immer mit der
ronolacton allerdings Teil der Standardtherapie
Hemmung des kardiomyozytären «human
(Ⴉ Kap. 23.3.2.2). Auch bei Patienten mit einer
ether-à-go-go-related gene» (HERG)-Kaliumka-
fortdauernden Hypokaliämie können Aldoste-
nals assoziiert. Die additive Wirkung eines
ron-Antagonisten oder ein Kalium-sparendes
Zweitpharmakons auf die QT-Zeit kann mit
Diuretikum in Kombination mit einem ACE-
dem gesteigerten Risiko ventrikulärer Arrhyth-
Hemmer eingesetzt werden. Voraussetzung da-
mien, einschließlich Torsades de pointes und
für ist allerdings das engmaschige Monitoring
Kammerflimmern, einhergehen. Die meisten
des Serum-Kaliumspiegels. Bei allen anderen
Torsades-de-pointes-Kammertachykardien tre-
Indikationen sollte die Kombination möglichst
ten bei einem korrigierten QT-Intervall (QTc)
gemieden werden, weil das Risiko den Nutzen
von über 500 ms auf. Stets ist die gleichzeitige
überwiegt. 5
Anwendung von zwei QT-Intervall-verlängern-
den Arzneimitteln kontraindiziert. Solche sind Verstärkter zentraldämpfender Effekt. Werden
z. B. Antiarrhythmika der Klasse III (Amiodar- Alkohol, Hypnotika, Tranquilizer, Antidepressi-
on, Dronedaron, Sotalol), Antipsychotika (Ser- va, Neuroleptika, Opioid-Analgetika, Antiepi-
tindol, Haloperidol, Sulpirid u. a.), tricyclische leptika, Antihistaminika, Methyldopa oder Clo-
Antidepressiva, verschiedene antimikrobielle nidin miteinander kombiniert, muss mit ver-
und antivirale Wirkstoffe (Makrolide, Fluorchi- stärkten zentraldämpfenden Wirkungen gerech-
nolone, Azol-Antimykotika, Amantadin) sowie net werden.
bestimmte Magen-Darm-Therapeutika (Dom-
Gegenseitige Beeinflussung des Blutzucker-
peridon, Ondansetron), Antihistaminika (Di-
spiegels. Nicht β1-selektive Betablocker, z. B.
phenhydramin, Mizolastin) und das zur Substi-
Propranolol, verzögern den Wiederanstieg des
tution bei Opiat-Abhängigkeit verwendete Me-
Blutzuckerspiegels nach Insulingabe und kön-
thadon. Zu beachten ist außerdem, dass oftmals
nen dadurch hypoglykämische Reaktionen her-
CYP-hemmende Arzneistoffe in der Komedika-
vorrufen sowie deren Symptome unterdrücken.
tion die Plasmaspiegel und damit das QT-ver-
Glucocorticoide und orale Kontrazeptiva
längernde Potenzial der genannten Pharmaka
schwächen die Blutzuckersenkung durch orale
weiter erhöhen. QT-Intervall-verlängernde Arz-
Antidiabetika und Insuline ab.
neimittel sollten auch nur mit Vorsicht mit Arz-
neimitteln kombiniert werden, die den K+-Spie- Gegenseitige Beeinflussung des Blutdrucks. Bei
gel vermindern (Ⴉ Kap. 26.1) oder eine klinisch Gabe von Herz- und Kreislaufmitteln zusam-
signifikante Bradykardie verursachen können. men mit der von Antihypertonika muss auf
52 5 Interaktionen

hypotone Zustände geachtet werden, die z. B. im den, wenn z. B. Laxanzien, Saluretika sowie Glu-
Straßenverkehr bedrohlich werden können. cocorticoide zusammen mit Herzglykosiden
Antiarrhythmika und Koronartherapeutika, eingesetzt werden. Auch Amphotericin B erhöht
aber auch erektionsfördernde Pharmaka (Ⴉ Kap. über Kaliumverarmung die Toxizität von Herz-
26.3.1.1) und die zur Behandlung der Prostata- glykosiden.
hyperplasie eingesetzten α1-Blocker (Ⴉ Kap.
Gesteigerte anticholinerge Wirkung. Werden
19.4.1) sind hier besonders hervorzuheben. Hy-
tricyclische Antidepressiva mit H1-Antihistami-
pertoniker sollten ferner darauf hingewiesen
nika, anticholinergen Antiparkinsonmitteln
werden, dass Alkohol nicht nur ihr Grundleiden
oder Opioid-Analgetika kombiniert, nimmt die
verschlechtert, sondern auch zu unkontrollier-
anticholinerge Wirkung und damit die Gefahr
baren Blutdruckabfällen führen kann. Auch vie-
von Harnverhalt, Obstipation oder Auslösung
le Psychopharmaka können Hypotonie und or-
eines Engwinkelglaukomanfalls zu.
thostatische Dysregulation bewirken und ver-
stärken. Tricyclische Antidepressiva antagoni- Erhöhte Blutungsneigung. Bei der Therapie mit
sieren jedoch die blutdrucksenkende Wirkung Antikoagulanzien wird die Blutungsneigung
von z. B. α-Methyldopa, Moxonidin und Cloni- aufgrund pharmakodynamischer Interaktionen
din. Die gleichzeitige Gabe von nichtselektiven durch Komedikation von Acetylsalicylsäure,
Monoaminoxidase-Hemmern kann zu schwe- und ADP-Rezeptorantagonisten erhöht.
ren Blutdruckveränderungen (Blutdruckanstieg
Gegenseitige Wirkungsaufhebung. Ein Beispiel
oder Blutdruckabfall) führen. Nichtsteroidale
hierfür ist der Wirkungsverlust von Levodopa
Antiphlogistika vermindern durch Hemmung
oder eines dopaminergen Agonisten bei der Par-
der Prostaglandinsynthese den antihypertensi-
kinson-Therapie bei gleichzeitiger Gabe eines
ven Effekt von z. B. ACE-Hemmern und Diure-
vorwiegend an D2-Rezeptoren angreifenden
tika.
Neuroleptikums.
Verstärkung der Nephro- und Ototoxizität.
Aminoglykosid-Antibiotika, z. B. Gentamicin,
erhöhen die Nephrotoxizität von Cephalospori-
5.3 Pharmakokinetische
nen wie z. B. Cefuroxim, ebenso nimmt die Oto-
Interaktionen
toxizität von Aminoglykosid-Antibiotika zu,
wenn gleichzeitig Schleifendiuretika, z. B. Furo-
Zu diesen Wechselwirkungen kann es bei der
semid, gegeben werden. Die erhöhte Ototoxizi-
Resorption, Verteilung, Biotransformation und
tät von Schleifendiuretika beruht darauf, dass
Ausscheidung von Arzneistoffen kommen. In-
sie die Elektrolytzusammensetzung der Endo-
vitro-Untersuchungen mit rekombinanten En-
lymphe im Innenohr verändern.
zymen, gereinigten Mikrosomenpräparationen
Zunahme der Muskelrelaxation. Für den Anäs- oder transfizierten Zellen stellen Möglichkeiten
thesisten sind Wechselwirkungen von stabilisie- zur Vorhersage pharmakokinetischer Interakti-
renden Muskelrelaxanzien mit Antibiotika, die onen bestimmter Arzneistoffe dar.
über eine curareartige Wirkung verfügen (z. B.
Aminoglykosid-Antibiotika), von Bedeutung, 5.3.1 Interaktionen vor und
da mit einer Verstärkung der muskelrelaxieren- während der Resorption
den Wirkung zu rechnen ist. Wechselwirkungen bei der Resorption von sau-
ren oder basischen Arzneistoffen können u. a.
Erhöhung der Toxizität von Herzglykosiden.
durch eine Veränderung des pH-Werts auftre-
Hypercalcämie und Hypokaliämie verstärken
ten. Wird z. B. Itraconazol mit einem Protonen-
die Wirkung von Herzglykosiden. Die Therapie
pumpeninhibitor verabreicht, ist die pH-abhän-
muss daher besonders streng überwacht wer-
gige Resorption von Itraconazol um 65 % redu-
5.3 Pharmakokinetische Interaktionen 53

ziert. Protonenpumpeninhibitoren erhöhen an- cin, Mitoxantron, Paclitaxel, Teniposid, Vinca-


dererseits die Resorption von Saquinavir um Alkaloide). Wie Rifampicin können Dexame-
etwa 80 %. Die Resorption wird ferner durch thason, Phenobarbital, Phenytoin und Inhalts-
Verlängerung oder Verkürzung der Verweildau- stoffe von Johanniskraut das P-Glykoprotein in
er im Magen-Darm-Kanal beeinflusst. So ver- Zellen des Darmepithels induzieren, während
ringert die Beschleunigung der Magenentlee- andere Arzneistoffe wie z. B. Amiodaron, Ator-
rung und Dünndarmpassage durch z. B. Meto- vastatin, Clarithromycin, Dihydropyridine, Dil-
clopramid die Resorption von Digoxin. Im Ge- tiazem, Erythromycin, Itraconazol, Lansopra-
gensatz dazu erhöht Metoclopramid die zol, Methadon, Nelfinavir, Pantoprazol, Ritona-
Resorption von Paracetamol, Tetracyclin, Lithi- vir, Saquinavir, Simvastatin, Spironolacton oder
um und Alkohol. Verapamil P-Glykoprotein hemmen.
Unlösliche und damit nicht mehr resorbier-
bare Salze oder Komplexverbindungen bilden 5.3.3 Interaktionen bei der
sich bei der gemeinsamen Applikation von Bis- Verteilung
phosphonaten, Fluorchinolonen oder Tetracyc- Arzneistoffe mit hoher Eiweißbindung können
linen mit Magnesium-, Calcium- oder Eisen- um die Bindungsstellen der Plasmaeiweiße kon-
salzen. kurrieren. Klinisch relevante Interaktionen er-
Breitspektrum-Antibiotika können infolge geben sich hierbei für Pharmaka mit verhältnis-
Darmfloraschädigung den enterohepatischen mäßig kleinem Verteilungsvolumen und gerin-
Kreislauf und damit den kontrazeptiven Schutz ger therapeutischer Breite.
von weiblichen Sexualhormonen aufheben, die Nichtsteroidale Antiphlogistika können An-
in der Leber konjugiert und im Darm bakteriell tikoagulanzien aus der Eiweißbindung verdrän-
wieder dekonjugiert werden. gen. Dadurch steigt vorübergehend deren freie
Konzentration und infolge der verstärkten
5.3.2 Interaktionen beim Hemmung der Prothrombinsynthese wird die
epithelialen Transport Blutungsneigung erhöht. Die Gefahr einer Hy- 5
Bei der intestinalen Resorption, der zellulären poglykämie nach Verabreichung von Sulfonyl-
Aufnahme und der Verteilung von Arzneistof- harnstoffen (Ⴉ Kap. 21.6.4.1) nimmt zu, wenn
fen in verschiedene Kompartimente spielen ak- gleichzeitig Acetylsalicylsäure oder Doxycyc-
tive Ein- und Auswärts-Transportvorgänge eine lin gegeben werden. Salicylate (Ⴉ Kap. 12.1.3.1)
wichtige Rolle. Dem Transmembrantransporter können die Hepatotoxizität von Methotrexat
P-Glykoprotein (Ⴉ Kap. 2.1.2.3) kommt hierbei und unerwünschte Phenytoin-Effekte erhöhen.
eine entscheidende Bedeutung zu. Ein klinisch Ganz analog ist die Verdrängung von Bilirubin
relevantes Beispiel hierfür ist die Kombination aus der Albuminbindung durch Salicylate und
von Rifampicin mit Digoxin: Bei gleichzeitiger Sulfonamide mit der Gefahr eines sog. Kernik-
oraler Verabreichung beider Arzneimittel terus bei Neugeborenen.
kommt es zu subtherapeutischen Digoxin-Kon-
zentrationen, da infolge Rifampicin-vermittel- 5.3.4 Interaktionen bei der
ter, duodenaler P-Glykoprotein-Induktion Dig- Biotransformation
oxin nach initialer Resorption vermehrt wieder Bei gleichzeitiger Gabe von Pharmaka, die mit-
in das Darmlumen zurückgepumpt wird. Weite- tels desselben Enzyms – insbesondere eines
re P-Glykoprotein-Substrate sind Betablocker Cytochrom-P450-Enzyms – biotransformiert
(Carvedilol, Celiprolol, Talinolol), Calciumka- werden, besteht durch Konkurrenz um die En-
nalblocker (Diltiazem, Verapamil), Fexofena- zym-Bindungsstelle, Enzymhemmung oder En-
din, HIV-Protease-Hemmer, Immunsuppressi- zyminduktion die Gefahr von verringertem
va (Ciclosporin, Sirolimus, Tacrolimus) sowie oder verstärktem Abbau eines oder beider
Zytostatika (Doxorubicin, Etoposid, Mitomy- Wirkstoffe.
54 5 Interaktionen

Interaktionen durch Enzymhemmung. Eine einem Wirkungsverlust, sondern mit einer Wir-
solche Biotransformationsbeeinflussung kann kungssteigerung verbunden.
sich in einer Verlängerung der Halbwertszeit,
erhöhten Wirkstoffkonzentrationen oder ver- 5.3.5 Interaktionen bei der
stärkten Nebenwirkungen äußern. Folglich Ausscheidung
muss das betreffende Pharmakon während der Bei der renalen Ausscheidung kann eine Kom-
Kombinationsbehandlung niedriger und, wenn petition um die Bindungsstellen an den für die
das Enzym-hemmende Begleitpharmakon ab- Sekretion bzw. aktive Rückresorption verant-
gesetzt wird, wieder höher dosiert werden. Wird wortlichen Transportsystemen auftreten. Eine
jedoch die Hauptwirkung eines Arzneistoffs, Konkurrenz um Bindungsstellen an einem orga-
z. B. von Tamoxifen, durch aktive Metaboliten nischen Anionentransporter ist für die Exkreti-
hervorgerufen, kann die Wirkungsänderung onshemmung von Penicillinen durch Probene-
durch den CYP-Hemmer paradox ausfallen, cid verantwortlich. In analoger Weise beeinflus-
wenn dieser die Bildung der Metaboliten behin- sen sich Salicylate, Sulfonamide, Sulfonylharn-
dert. Die größte Bedeutung für potenzielle In- stoffe sowie Phenylbutazon gegenseitig in ihrer
teraktionen durch CYP-Hemmung kommt den tubulären Sekretion. In zunehmender Zahl wer-
Isoenzymen CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19, den weitere für die renale Arzneistoffeliminati-
CYP2D6 und CYP1A2 zu. on verantwortliche Transporter identifiziert.
Metformin beispielsweise wird renal vorwie-
Interaktionen durch Enzymhemmung können
gend über den Carrier MATE (multidrug and
ferner die Bioverfügbarkeit eines Zweitpharma-
toxin extrusion) ausgeschieden. Inhibitoren des
kons beeinflussen: So erhöhen CYP3A4-Hem-
MATE-Transporters, z. B. Cimetidin, erhöhen
mer z. B. die Bioverfügbarkeit von Pravastatin
bei gleichzeitiger Anwendung die Plasmakon-
von 18 % auf 30 %, was einer Steigerung um den
zentration von Metformin.
Faktor 1,7 entspricht. Noch wesentlich stärker
Da vasodilatatorische Prostaglandine die
ist das Interaktionspotenzial bei Simvastatin,
Nierendurchblutung und damit die glomeruläre
das bei einer Bioverfügbarkeit von nur 5 % einen
Filtrationsrate erhöhen, wird bei einer Hem-
sehr hohen First-Pass-Effekt von 65 % aufweist.
mung der Prostaglandin-Synthese durch nichts-
Bei einer vollständigen CYP3A4-Blockade
teroidale Antiphlogistika die Ausscheidung u. a.
durch einen CYP3A4-Hemmer würden diese
von Lithiumsalzen mit der Folge erhöhter Lithi-
65 % zusätzlich bioverfügbar, was eine Zunahme
um-Serumspiegel verzögert.
um den Faktor 14 bedeutet und damit auf ein
sehr hohes Interaktionspotenzial hinweist.
5.3.6 Interaktionen mit
Interaktionen durch Enzyminduktion. Ein Arz- Nahrungsstoffen
neistoff, dessen Metabolismus zu einem wesent- Nahrungsaufnahme kann die Resorptionsge-
lichen Anteil als Substrat eines bestimmten En- schwindigkeit und -quote eines Arzneistoffs be-
zyms erfolgt, wird in seinem Abbau beschleu- einflussen. In der Regel wird durch gleichzeitige
nigt und damit in seiner Wirkung vermindert, Nahrungszufuhr die Resorption und damit der
wenn das betreffende Enzym durch andere Wirkungseintritt von Arzneistoffen verzögert.
Pharmaka induziert wird (Ⴉ Kap. 2.5.3). Die Fol- Bei sehr lipophilen Wirkstoffen, z. B. Spirono-
ge ist eine erhöhte Biotransformationsrate, eine lacton, Phenytoin oder Itraconazol, wirkt sich
daraus resultierende Verringerung der andererseits die Einnahme zu oder nach einer
Plasmakonzentration und damit eine Wir- fetthaltigen Mahlzeit steigernd auf die Resorpti-
kungsabnahme. Dementsprechend muss es in onsquote aus. Wasserlösliche Arzneistoffe, z. B.
der Regel höher dosiert werden. Bei Prodrugs, Isoniazid oder Celiprolol, werden dagegen im
die erst durch Metabolisierung wirksam wer- Nüchternzustand besser resorbiert. Nahrungs-
den, ist eine Enzyminduktion dagegen nicht mit bestandteile können ferner die Biotransformati-
5.3 Pharmakokinetische Interaktionen 55

on von Arzneistoffen beeinflussen. Enzymindu- Bei der Einnahme von nichtselektiven Mono-
ktoren in der Nahrung, z. B. in gegrilltem Fleisch aminoxidase-Hemmern (Ⴉ Kap. 10.2.3) sind Ty-
sowie Inhaltsstoffe von Rosenkohl und Broccoli, ramin-haltige Nahrungsmittel, z. B. Käse, zu
beschleunigen den Arzneistoffmetabolismus meiden, da durch den gehemmten Tyramin-Ab-
durch CYP1A2. Umgekehrt kann die Aktivität bau das Angebot von Catecholamin-Vorstufen
von Cytochrom-P450-Isoenzymen durch Nah- und damit die Gefahr extremer Blutdruckverän-
rungsmittel abnehmen. So wird beispielsweise derungen (Blutdrucksteigerung oder Blutdruck-
CYP3A4 in Darmepithelzellen durch Inhalts- abfall) steigt.
stoffe von Grapefruitsaft gehemmt. Die Folge ist Ist die Nahrung reich an Vitamin K, wird die
ein verringerter prähepatischer First-Pass-Ef- Wirkung von Antikoagulanzien des Dicouma-
fekt einer Reihe von Arzneistoffen (CYP3A4- rol-Typs abgeschwächt.
Substraten wie Verapamil, oder Ciclosporin,
wodurch deren Bioverfügbarkeit zunimmt.

5
56 6 Pharmakogenetik

6 Pharmakogenetik

Die Pharmakogenetik befasst sich mit dem Ein- wenn der Nachweis von überexprimiertem
fluss der unterschiedlichen genetischen Ausstat- HER2/neu erbracht ist.
tung von Patienten auf die Arzneimittelwirkung.
In ihrem Rahmen werden die genetisch beding-
ten molekularen Ursachen der Wirkunterschie- 6.1 Pharmakogenetik des
de untersucht, die klinische Relevanz der geän- Arzneistoffmetabolismus
derten Arzneimittelwirkung evaluiert sowie
Tests entwickelt, um gefährdete Patienten mög- Die meisten pharmakogenetisch bedingten Wir-
lichst vor Beginn einer Therapie identifizieren kungsunterschiede betreffen die Pharmakokine-
zu können. Sind die pharmakogenetischen Ei- tik. Erstmalig klinisch aufgefallen war ein sol-
genschaften eines Patienten auf diese Weise er- cher Wirkunterschied nach Einführung des
mittelt, kann zumindest in einer Reihe von Fäl- Muskelrelaxans Suxamethoniumchlorid. Einzel-
len ein geeignetes Medikament in adäquater Do- ne Patienten (Prävalenz 1:2500) zeigten eine we-
sierung individuell ausgewählt werden. Dieses sentlich verlängerte Wirkdauer nach Gabe der
Vorgehen wird als individualisierte Arzneimit- üblichen Standarddosen, die auf einen genetisch
teltherapie bezeichnet. Neben dem damit er- bedingten Defekt der abbauenden Pseudocholi-
reichbaren therapeutischen Nutzen besteht zu- nesterase zurückgeführt werden konnte. Im
dem die Hoffnung, dass mithilfe der Pharmako- Weiteren ergaben Studien mit großen Populatio-
genetik klinische Prüfungen in Zukunft verkürzt nen, dass bestimmte Arzneistoffe von einem Teil
und gezielter an definierten, kleineren Patien- der Patienten, den sog. schnellen Metabolisie-
tengruppen durchgeführt werden können. Phar- rern rasch, von einem anderen Teil, den sog.
makogenetische Kenntnisse tragen zunehmend langsamen Metabolisierern dagegen langsam
zur Stratifizierung von Tumorpatienten bei. biotransformiert werden. Die therapeutischen
Ein Beispiel für die Auswahl eines Medika- Konsequenzen solcher pharmakogenetischer
ments aufgrund pharmakogenetischer Daten ist Unterschiede hängen davon ab, welche thera-
der Antikörper Trastuzumab (Herceptin®). Die- peutische Breite der betroffene Wirkstoff besitzt,
ser ist bei Patientinnen mit Brustkrebs zugelas- ob aktive Metaboliten gebildet werden oder
sen, die den EGF-Rezeptorsubtyp HER2/neu nicht und wie stark das betroffene Enzym am
(Ⴉ Kap. 31.2.1.2) im Tumorgewebe überexpri- Gesamtstoffwechsel des Arzneistoffs beteiligt ist.
mieren. Trastuzumab richtet sich spezifisch ge- Während bei vielen Substanzen der geneti-
gen dieses Protein und wird nur dann eingesetzt, sche Defekt durch Verringerung der Enzymakti-
6.1 Pharmakogenetik des Arzneistoffmetabolismus 57

vität zu einer Kumulation der Ausgangssubstanz Das Prodrug Clopidogrel wird dagegen erst
und damit zu vermehrten Nebenwirkungen durch CYP2C19 zu seinem wirksamen Metabo-
führt, sind beispielsweise für das Analgetikum liten aktiviert. Bei einer Therapie mit Omepra-
Codein die Folgen genau umgekehrt. Codein ist zol und Lansoprazol ist eine Hemmung von
ein Prodrug, für dessen Bioaktivierung zu Mor- CYP2C19 und damit eine Unterdrückung der
phin CYP2D6 benötigt wird. Sein analgetischer Bioaktivierung von Clopidogrel möglich.
Effekt ist daher bei einem langsamen Metaboli-
CYP3A4-Polymorphismus. Die interindividuel-
sierer geringer als bei einem schnellen Metaboli-
le Variabilität der CYP3A4-Aktivität und Prote-
sierer.
inexpression in der Leber schwankt um den
CYP2D6-Polymorphismus. 5–10 % der Bevölke- Faktor 30 und beeinflusst somit die Wirkung
rung weisen unterschiedliche Varianten von und Toxizität von Arzneistoffen, die mittels die-
CYP2D6 auf, das an ca. 25 % aller Biotransfor- ses Enzyms metabolisiert werden. Genetische
mationsreaktionen von Arzneistoffen beteiligt Veränderungen in der kodierenden Region von
ist. Die mutierten Allele führen entweder zu CYP3A4 sind jedoch sehr selten und können
Funktionsverlust oder Funktionseinschränkung daher nicht für die unterschiedliche CYP3A4-
des Enzyms. Aufgrund des autosomal-rezessi- Enzymaktivität verantwortlich gemacht wer-
ven Erbgangs tritt jedoch nur dann der Phäno- den. Im Gegensatz dazu kann die Expression
typ des langsamen Metabolisierers auf, wenn der von CYP3A4 sowohl durch das Geschlecht,
Patient zwei defekte Allele besitzt. Eine Amplifi- nicht-genetische Faktoren wie beispielsweise
kation von CYP2D6-Genen mit der Folge einer Ernährung und Alter als auch durch Genvaria-
starken Zunahme der Enzymmenge stellt die ge- tionen von Transkriptionsfaktoren (trans-wir-
netische Basis für den Phänotyp der ultraschnel- kende Faktoren) beeinflusst werden. Auch
len Metabolisierer dar. wurden Unterschiede in der Regulation der
Der CYP2D6-Polymorphismus ist klinisch CYP3A4-Expression durch microRNA (Ⴉ Kap.
relevant, weil häufig eingesetzte Arzneistoffe 7.3) gefunden. Ferner tragen Polymorphismen
mit z. T. relativ geringer therapeutischer Breite, in sog. cis-wirkenden Elementen (regulatori-
u. a. bestimmte Antiarrhythmika, Antidepressi- sche Sequenzmotive in den Promotoren von
va, Neuroleptika oder Opioide, durch dieses En- Genen) zur interindividuellen Variabilität des
zym verstoffwechselt werden. CYP3A4-vermittelten Arzneistoffmetabolis-
6
mus bei.
CYP2C19-Polymorphismus. 3–6 % der europäi-
schen Bevölkerung, aber 13–23 % orientalischer N-Acetyltransferase-Polymorphismus. Infolge
Patientengruppen sind homozygot für eine au- des Polymorphismus einer zytosolischen N-
tosomal-rezessiv vererbte CYP2C19-Mutation. Acetyl-Transferase (NAT2) mit fünf Allel-Vari-
Arzneistoffe, die durch CYP2C19 verstoffwech- anten wird das Antituberkulotikum Isoniazid
selt werden, sind u. a. Protonenpumpeninhibito- von 50 % der Bevölkerung rasch, von dem ande-
ren sowie Diazepam. Erhalten Patienten mit ren Teil dagegen langsam durch Acetylierung
CYP2C19-Defekten die normale Dosis eines inaktiviert. Genotypisch und phänotypisch las-
durch CYP2C19-biotransformierten Arznei- sen sich somit Schnell- und Langsam-Acetylie-
stoffs, kann es zu unerwartet hohen Plasmaspie- rer unterscheiden. Letztere bilden vermehrt
geln und dadurch verstärkten Nebenwirkungen Oxidationsprodukte von Isoniazid, wodurch
kommen. Findet bei langsamen Metabolisierern dessen Hepatotoxizität steigt. Langsam-Acety-
zusätzlich durch eine Arzneimittelinteraktion lierer haben dementsprechend ein deutlich er-
eine Hemmung des mutierten CYP2C19 statt, höhtes Risiko, unter einer Isoniazid-Behand-
besteht die Gefahr toxischer Reaktionen. lung eine Hepatitis zu entwickeln. Bei langsa-
58 6 Pharmakogenetik

men Acetylierern kommt es ferner durch aus 6.2 Pharmakogenetisch bedingte


Isoniazid abgespaltenes Hydrazin zu einer ver- Nebenwirkungen
stärkten Inaktivierung von Pyridoxin und da-
mit zu Neuropathien. Hinsichtlich des Anspre- Auch unabhängig vom Arzneistoffmetabolis-
chens auf die Tuberkulose-Therapie mit Isonia- mus kann eine genetische Variabilität die Arz-
zid unterscheiden sich schnelle und langsame neistoffwirkungen beeinflussen. So tritt bei ge-
Acetylierer dagegen nicht. Außer Isoniazid sind netisch bedingtem Mangel an Glucose-6-phos-
zahlreiche weitere Pharmaka NAT2-Substrate, phat-Dehydrogenase (G6PD) nach Gabe von
u. a. Clonazepam, Coffein, Hydralazin, Metami- Chloroquin, Metamizol, Nitrofurantoin, Sulfa-
zol und Sulfonamide. methoxazol, Dapson u. a. eine hämolytische An-
ämie auf. Man bezeichnet eine solche Art der
Seltenere Polymorphismen. Etwa jeder zehnte
Hämolyse als Favismus, da sie auch durch rohe,
Patient hat, bedingt durch einen genetischen Po-
grüne Bohnen (Vicia faba = Saubohne) hervor-
lymorphismus, eine verminderte Aktivität der
gerufen werden kann. G6PD katalysiert die
Thiopurin-Methyltransferase (TPMT), die u. a.
NADPH-Bildung unter gleichzeitiger Oxidation
am Stoffwechsel von Mercaptopurin und Aza-
von Glucose. NADPH wird zur Regeneration
thioprin beteiligt ist. Wird die Dosis der beiden
von reduziertem Glutathion (GSH) benötigt.
Substanzen bei diesen Patienten nicht angepasst
Bei vermindertem GSH-Bestand bilden Prote-
(6–10 % der Normaldosis sind in diesem Fall
ine von Erythrozytenmembranen vermehrt
ausreichend!), resultieren erhebliche Nebenwir-
Disulfidbrücken mit der Folge einer Membran-
kungen, u. a. Myelosuppression und Hepatoto-
instabilität.
xizität. Besondere Vorsicht ist bei gleichzeitiger
Ein G6PD-Mangel führt dann zur Hämolyse,
Einnahme von Aminosalicylsäure-Derivaten
wenn nicht nur die GSH-Bildung gestört ist,
(einschließlich Sulfasalazin) angezeigt, die das
sondern auch der Glutathionverbrauch durch
Enzym TPMT zusätzlich hemmen.
die o. g. Pharmaka über das normale Maß hin-
Die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) aus erhöht wird. Da das entsprechende Gen X-
katalysiert die Reduktion von Pyrimidinen (z. B. chromosomal rezessiv vererbt wird, sind von
5-Fluorouracil). Nach Gabe üblicher Dosen an dieser Nebenwirkung Männer und homozygote
Patienten mit Enzymdefekt (3 % der Bevölke- Frauen betroffen.
rung) können lebensbedrohliche Neutropenien
Methämoglobinreduktase-Mangel. Bei einem
auftreten. Eine Kontrolle der DPD-Aktivität im
Mangel an diesem Enzym, verursacht durch Mu-
Vorfeld einer Behandlung mit 5-Fluorouracil ist
tationen im CYB5R3-Gen, steigt der Methämo-
deshalb angezeigt. Da Brivudin DPD hemmt,
globingehalt des Blutes (Ⴉ Kap. 34.2.5) infolge
darf es nicht mit 5-Fluorouracil angewandt wer-
nicht ausreichender Reduktion von Methämo-
den.
globin zu Hämoglobin u. U. auf das 20–50-Fache
Ein weiterer seltener genetischer Defekt be-
des Normalwerts an. Bei den leichteren Formen
trifft die Uridindiphosphat-Glucuronyltrans-
– vor allem bei Heterozygoten – kommt es erst
ferase 1A1 (UGT1A1), welche die Inaktivierung
unter entsprechender medikamentöser Thera-
eines aktiven Metaboliten des Topoisomerase-I-
pie, z. B. mit Nitraten, Sulfonamiden u. a., zur
Hemmstoffs Irinotecan katalysiert und für eine
Methämoglobinämie. Als Symptome können
bis zu 50-fache interindividuelle Variabilität der
Zyanose und Dyspnoe auftreten.
Biotransformation dieses Wirkstoffs verant-
wortlich ist. Patienten mit UGT1A1-Polymor- Maligne Hyperthermie. Dieser gefürchteten
phismus haben unter Irinotecan-Therapie ein Narkosekomplikation (Ⴉ Kap. 14) liegen Punkt-
erhöhtes hämatologisches Risiko. mutationen (etwa 100 verschiedene sind be-
6.2 Pharmakogenetisch bedingte Nebenwirkungen 59

schrieben) des Ca2+-Kanals im sarkoplasmati- Porphyrien. Diese überwiegend genetisch be-


schen Retikulum (dem sog. Ryanodin-Rezeptor) dingten Erkrankungen beruhen auf Störungen
zugrunde. Öffnung des Kanals durch Suxame- verschiedener Enzyme der Häm-Biosynthese
thonium oder Inhalationsnarkotika bewirkt bei und damit der Einlagerung von Zwischenpro-
prädisponierten Personen (Häufigkeit 1:5000) dukten der Hämsynthese bzw. falschen Synthe-
einen plötzlichen Anstieg der myoplasmati- seprodukten in verschiedenen Organen. Einige
schen Ca2+-Konzentration infolge verstärkter Arzneistoffe, z. B. Sulfonamide, Estrogene, kön-
Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Reti- nen durch Induktion der Aminolävulinsäure-
kulum. Diese Ca2+-Erhöhung führt zu Muskel- Synthetase, dem Schlüsselenzym der Häm-Syn-
starre und überschießendem Metabolismus, die these, eine akute klinische Manifestation dieser
wiederum Hyperthermie und metabolische Azi- Krankheitsbilder auslösen und sind daher bei
dose bedingen. Dantrolen kann diese Sympto- Porphyrie-Patienten streng kontraindiziert.
matik durch Hemmung der Ca2+-Freisetzung
aus dem sarkoplasmatischen Retikulum verhin-
dern.

6
60 7 Gen-, Antisense- und Stammzelltherapie

7 Gen-, Antisense- und Stammzelltherapie

7.1 Gentherapie inaktiviert sich das Virus selbst und ist daher
nicht mehr in der Lage, Onkogene anzuschalten.
Fehlende oder defekte Proteine infolge geneti- Genau diese Onkogen-Stimulation war vormals
scher Erkrankungen lassen sich im Grundsatz das negative Ergebnis, als ein nicht modifiziertes
durch somatische Gentherapie korrigieren. Da- Virus bei einer Reihe der behandelten Patienten
bei wird versucht, das für das Protein kodieren- eine Leukämie hervorrief. Mit dem modifizier-
de intakte Gen in das Genom der Zielzellen dau- ten Virus war dies bislang über einen Zeitraum
erhaft einzubringen und damit eine Heilung zu von drei Jahren nicht der Fall.
erreichen. Im Gegensatz dazu wird bei der Neuere, ebenfalls erfolgreiche Ansätze in der
Keimbahn-Gentherapie das Erbgut von Ei oder Gentherapie zeigten sich auf dem Gebiet erbli-
Samenzellen verändert. Die genetische Verän- cher Netzhauterkrankungen, z. B. der Achro-
derung betrifft somit nicht nur sämtliche Kör- matopsie (totalen Farbenblindheit). Hierbei
per-, sondern auch die Keimzellen, womit die werden die zu substituierenden Gene mittels
Genkorrektur an die Nachkommen weiterver- Adenovirus-assoziierten Viren (AAV) lokal
erbt wird. Die Keimbahntherapie am Menschen unter die Netzhaut injiziert. Neben der Anwen-
ist weltweit verboten. dung bei der Achromatopsie sind weitere gen-
Für schwere, erblich bedingte Erkrankungen, therapeutische Ansätze für erblich bedingte
für die es bei konventioneller Behandlung wenig Netzhauterkrankungen in der Erprobung, z. B.
Hoffnung gibt, stellt die somatische Gentherapie für die Retinitis pigmentosa und die feuchte
im Prinzip eine bedeutsame Behandlungsmög- Form der altersbedingten Makuladegenerati-
lichkeit dar. Ein Beispiel ist die X-chromosomal on. Bei der Leber'schen kongenitalen Amauro-
vererbte Immunschwäche SCID1, bei der die vi- se (Funktionsstörung des Pigmentepithels der
rale Transduktion von T-Zellen eine Option Netzhaut mit degenerativen Erscheinungsfor-
darstellt, falls eine allogene hämatopoetische men der Aderhaut, die zu Sehschärfenminde-
Stammzelltransplantation mangels Spender rung mit Gesichtsfeldeinschränkungen führt)
nicht möglich ist. Als Genfähre für die Trans- konnte die Sehfunktion und insbesondere das
duktion wird zurzeit ein modifizierter Maus- Farbensehen durch Einschleusen des Gens für
Leukämie-Virus mit einer funktionellen γ-Kette das retinale Pigmentepithel-spezifische 65-kDa-
des Interleukin-Rezeptors verwendet, deren Protein RPE65 über einen langen Zeitraum
Verlust diese Immunschwäche auslöst. Nach nachhaltig verbessert werden. Jedoch kam es bei
Einbringen des defekten Gens in die T-Zellen einigen Patienten nach etwa drei Jahren zu einer
7.2 Antisense-Therapie 61

allmählichen Verschlechterung: Die Fläche der sequenzen, die exakt komplementär zu dem
Netzhaut, die dank der Gentherapie an Licht- Gen aufgebaut sind, das in seiner Expression
empfindlichkeit gewonnen hatte, verkleinerte gehemmt werden soll. Die komplementären Oli-
sich wieder. gonucleotide können beispielsweise zusammen
Dass sich zahlreiche gentherapeutische An- mit regulatorischen DNA-Sequenzen am 5‘-
sätze auf retinale Erkrankungen mit monogene- Ende eines Gens angelagert werden und so des-
tischer Ursache fokussieren, wird durch das Im- sen Expression beeinflussen. Eine weitere Mög-
munprivileg des Auges erklärbar. Die als Gen- lichkeit für ihren Einsatz besteht darin, die
fähren in die Subretina injizierten, rekombinan- Translation durch Interaktion mit mRNA zu
ten Adenovirus-assoziierten Viren werden dort behindern. Die Oligonucleotide überwinden
nämlich nicht vom Immunsystem angegriffen, mittels Endozytose die Zellmembranen und
ebenso wenig wie die zum Zweck der Korrektur binden anschließend an ihre Zielstruktur. Durch
des Gendefektes viral transduzierten Photore- chemische Modifikation werden sie vor dem
zeptoren. Abbau durch RNAsen geschützt.
Weitere erfolgreiche klinische Studien mit re- Mit Fomivirsen (VitraveneTM) ist in den USA
kombinantem AAV als Genfähre beziehen sich ein erstes Antisense-Oligonucleotid zugelassen,
auf die Therapie der Hämophilie B. Patienten das bei einer durch Zytomegalievirus (CMV)
erhielten drei Dosen eines modifizierten AAV, ausgelösten Retinitis indiziert ist. Diese tritt bei
um die cDNA zur Herstellung von Faktor IX in AIDS häufig auf und kann sehr rasch zur Erblin-
den menschlichen Organismus einzubringen. dung führen. Fomivirsen ist gegen die bei der
Die Faktor-IX-Spiegel stiegen bei allen Patien- Virusreplikation beteiligten „immediate early
ten mit schwerer Hämophilie B durch die Gen- genes“ gerichtet und verhindert dadurch das
therapie und blieben seit mehr als vier Jahren Fortschreiten der Krankheit. Es wird wöchent-
stabil. Insgesamt gingen die Episoden spontaner lich intravitreal injiziert.
Blutungen um 90 % zurück. Auch die Häufigkeit Einen Ansatz zur LDL-Reduktion bei famili-
der erforderlichen Faktor-IX-Substitutionsthe- ärer Hypercholesterolämie, bei der die übliche
rapie nahm ab. Pharmakotherapie an ihre Grenzen stößt, bietet
Das erste von der EMA zugelassene Genthe- die Synthese-Hemmung von Apolipoprotein B
rapeutikum ist Alipogentiparvovec (Glybera®). durch Mipomersen. Als Antisense-Oligonucle-
Es ist indiziert bei Erwachsenen, bei denen eine otid blockiert es die mRNA für Apolipoprotein
familiäre Lipoproteinlipasedefizienz diagnos- B und senkt dadurch die Plasmakonzen-
tiziert wurde und bei denen schwere Pankreati- trationen der atherogenen Lipoproteine VLDL
7
tis-Schübe trotz fettarmer Diät auftreten. Es ent- und LDL signifikant. Mipomersen wird einmal
ält die cDNA dieser Lipase unter Regulation ei- wöchentlich subkutan gegeben und verstärkt die
nes starken Zytomegalievirus-Promotors, inser- Wirkung anderer Lipidsenker wesentlich. In ex-
tiert in einen AAV-Virus. perimentellen Untersuchungen konnte unter
der Behandlung mit Mipomersen zudem eine
Rückbildung der Atherosklerose gezeigt wer-
7.2 Antisense-Therapie den. Mipomersen ist in den USA zur Behand-
lung von Patienten mit homozygoter oder
Neben der somatischen Gentherapie gibt es schwerer heterozygoter familiärer Hypercholes-
noch weitere Möglichkeiten, die Expression von terolämie zugelassen. Studien zeigen, dass es
Genen zu beeinflussen. Zu diesen zählt der Ein- hierbei die Häufigkeit schwerwiegender kardia-
satz sog. Antisense-Oligonucleotide. Diese be- ler Ereignisse dramatisch senkt.
stehen aus kurzen einzelsträngigen Nucleotid-
62 7 Gen-, Antisense- und Stammzelltherapie

7.3 Genregulation durch miRNAs 7.4 Stammzelltherapie


und siRNAs
Stammzellen sind noch nicht differenzierte Zel-
Kurze RNA-Sequenzen aus 17–24 Nucleotiden len, die sich unbegrenzt vermehren und diffe-
werden als microRNAs (miRNAs) bezeichnet. renzieren können. Erwartungsgemäß kommen
Sie sind im Organismus an der Regulation der sie in Embryonen und Feten vor und konnten
Genexpression beteiligt, 1800 verschiedene hu- darüber hinaus auch in den Organen von Er-
mane miRNA-Spezies sind bislang identifiziert. wachsenen nachgewiesen werden. Von daher
Sie werden von individuellen miRNA-Genen rührt die Unterscheidung in embryonale und
transkribiert oder aus Intronabschnitten pri- adulte Stammzellen sowie Stammzellen aus Na-
märer mRNA-Transkripte herausgespleißt. Die belschnurblut. In vielen Zellverbänden wird ein
anschließend über mehrere Schritte gebildeten ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Zellun-
aktiven miRNAs verringern dann die Expressi- tergang und -ersatz durch geweberesidente
on spezifischer Gene u. a. durch mRNA-Abbau. Stammzellen aufrechterhalten.
Das intrazelluläre miRNA-Profil korreliert mit Embryonale Stammzellen können nochmals
dem Zell- und Gewebetyp, ist entwicklungsab- in totipotente (omnipotente) und pluripotente
hängig und verändert sich bei Krankheiten spe- (multipotente) unterteilt werden. Während toti-
zifisch. Von daher eröffnet sich die Möglich- potente embryonale Stammzellen in der Lage
keit, dieses als diagnostischen und prognosti- sind, einen vollständigen neuen Organismus zu
schen Biomarker, z. B. bei Herzinsuffizienz, In- bilden, können sich pluripotente embryonale
fektionen oder Tumoren, zu nutzen. Darüber Stammzellen nur noch zu den allerdings mehr
hinaus kann durch Hemmung einer speziellen als 200 verschiedenen Zelltypen des menschli-
miRNA die Repression eines therapeutisch chen Organismus differenzieren. Voraussetzung
wichtigen Proteins (z. B. eines Tumorsuppres- hierfür ist, dass die notwendigen gewebespezifi-
sorproteins) aufgehoben werden. Umgekehrt schen Faktoren vorhanden sind. Ohne diese tei-
kann die exogene Zufuhr einer bestimmten len sich die embryonalen Stammzellen nämlich
miRNA die endogene Unterdrückung der Ex- unbegrenzt und behalten ihre Pluripotenz.
pression bestimmter Proteine unterstützen, die In experimentellen Studien wurden pluripo-
z. B. das Remodeling bei Herzinsuffizienz för- tente embryonale Stammzellen zur Therapie des
dern. Ihr zukünftiges therapeutisches Potenzial Morbus Parkinson in das Striatum implantiert.
ist hoch. Zwar bildeten diese neue dopaminerge Neurone
Small interfering RNAs (siRNAs) sind wie und re-innervierten teilweise das Striatum, doch
miRNAs kurze, Gen-regulierende RNA-Mole- waren die Ergebnisse insgesamt inkonsistent
küle, die jedoch im Gegensatz zu miRNAs nicht und sehr variabel. Auch ist die Weiterentwick-
von Säugetierzellen kodiert werden. Werden sie lung des Verfahrens durch gravierende Neben-
exogen zugeführt, ermöglicht die spezifische wirkungen wie Transplantat-induzierte Dyski-
Komplementarität zu ihrer korrespondieren- nesie erschwert.
den mRNA im Prinzip gezielte therapeutische Adulte Stammzellen sind für die Erneuerung
Eingriffe (RNA-Interferenz). Ihre Spezifität spezialisierter somatischer Zellen essenziell.
unterscheidet die siRNAs erneut von den miR- Wie embryonale Stammzellen können sie ihre
NAs, von denen jede einzelne die Expression Stammzelleigenschaften bei der Zellteilung bei-
mehrerer Gene beeinflusst. Einige RNA-Inter- behalten. Allerdings entstehen unter bestimm-
ferenz-basierte Therapeutika befinden sich ten Bedingungen bei ihrer Teilung sog. Progeni-
derzeit in einer späten Phase der klinischen tor-Zellen, die sich zwar ebenfalls unbegrenzt
Entwicklung. teilen können, aber auf eine bestimmte Zell-
7.4 Stammzelltherapie 63

struktur festgelegt sind (determinierte Stamm- Ausgehend von Ergebnissen der Forschung
zellen). Therapien mit adulten Stammzellen an embryonalen und adulten Stammzellen wur-
werden bereits seit 3 Jahrzehnten, z. B. in Form de ferner das Konzept der Existenz von Tumor-
von Knochenmarkstransplantationen bei Leuk- stammzellen entwickelt, das wesentlich zum
ämien und Lymphomen, durchgeführt. Ex vivo Verständnis der Entstehung und des Aufbaus
expandierte autologe menschliche Hornhaute- von Tumorgewebe beigetragen hat. Die Zellen
pithelzellen, die Stammzellen enthalten (zuge- eines Tumors sind nicht einheitlich, vielmehr
lassen von der EMA ist die Zubereitung Holo- bestehen sie aus hierarchisch strukturierten
clar), werden seit Kurzem für die Behandlung Zelltypen. Die Basis des Tumors bilden dabei
von Hornhautschäden am Auge, z. B. nach che- Stammzellen, die jeden Zelltyp im Tumorgewe-
mischen Einwirkungen, eingesetzt. Bereits vor- be produzieren können. Die Entdeckung der
handen ist ebenso das in einigen Spezialkliniken Tumorstammzellen stellt die konventionellen
angewandte Verfahren der Stammzell-basierten Tumortherapien in Frage, durch die vor allem
Gewinnung von Hauttransplantaten für Patien- jene Zellen zerstört werden, die sich rasch teilen.
ten mit lebensbedrohlichen Verbrennungen. Stammzellen proliferieren jedoch meist langsam
Eine Ausweitung der Verwendung von Stamm- und entgehen deshalb einer solchen Strategie.
zellen für z. B. Herzmuskelerkrankungen (insbe- Dies ist eine der Erklärungsmöglichkeiten für
sondere nach Herzinfarkt) und neurodegenera- die hohe Rückfallrate bei manchen Tumorer-
tive Erkrankungen wird derzeit beim Menschen krankungen.
erprobt.

7
64 8 Arzneistoffkombinationen

8 Arzneistoffkombinationen

Der Einsatz eines Kombinationspräparats kann blocker und einem Diuretikum oder einem Cal-
dann in Betracht gezogen werden, wenn mit ei- ciumkanalblocker und einem Betablocker bzw.
nem Wirkstoff allein die erwünschte Wirkung ACE-Hemmer. Wegen der bei Hypertonikern
nicht erreicht werden kann oder das Zweitphar- vielfach schlechten Compliance – Hochdruck
makon unerwünschte Wirkungen des Erstphar- ruft anfänglich keine Beschwerden hervor – ist
makons zu verhindern vermag. Es wird daher die fixe der freien Kombination vorzuziehen.
vom Arzneimittelhersteller der Nachweis ver-
langt, dass in einem Kombinationspräparat je- Antiasthmatika. Langwirkende β2-Sympatho-
der als Wirkstoff deklarierte Bestandteil zur mimetika (Formoterol, Salmeterol) sollen we-
Wirkung tatsächlich beiträgt oder die Kombina- gen Hinweisen auf eine unter Monotherapie be-
tion weniger Nebenwirkungen als die Monosub- obachteten erhöhten Mortalität nur in Kombi-
stanz hervorruft. nation mit inhalativen Glucocorticoiden gege-
Ein bedeutsames Argument für die fixe Kom- ben werden. Dies hat zur Einführung fixer
bination, sofern zwei oder mehr Wirkstoffe aus Kombinationen u. a. von Salmeterol/Fluticason
pharmakodynamischen Gründen gleichzeitig (z. B. Viani®), Formoterol/Budesonid (Symbi-
gegeben werden müssen, ist die verbesserte Mit- cort®) und Formoterol/Beclometason (z. B. Fos-
arbeit des Patienten (Compliance) und damit ter®) geführt (Ⴉ Kap. 24.1.1.3). Zusätzliche Ne-
bessere Einhaltung des Therapieplanes. Gegen benwirkungen wurden bisher nicht beschrie-
die fixe Kombination von Arzneistoffen spricht, ben. Aus Gründen mangelnder Dosierungsfle-
dass nur in Ausnahmefällen die Wirkstoffe eine xibilität ist die fixe Kombination jedoch nicht
annähernd gleiche Pharmakokinetik und damit zur Ersteinstellung sowie auch nicht bei Patien-
gleiche Wirkdauer besitzen. ten mit instabilem Asthma geeignet. Die Kombi-
Im Folgenden sind einige Beispiele für Arz- nation des quartären Parasympatholytikums
neistoffkombinationen angegeben. Ipratropiumbromid mit dem β2-Sympatho-
mimetikum Fenoterol (Berodual® N) ermög-
licht zwar eine Dosisreduktion des Sympatho-
8.1 Sinnvolle fixe Kombinationen mimetikums, ist aber nur in bestimmten Fällen,
z. B. bei Anstrengungsasthma und gleichzeitiger
Antihypertonika. Die Behandlung des Blut- chronisch obstruktiver Bronchitis, sinnvoll. Die
hochdrucks (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) erfolgt häufig als verfügbaren fixen Kombinationen eines β2-
Kombinationstherapie. Gängige Arzneistoff- Sympathomimetikums mit Cromoglicinsäure
kombinationen bestehen z. B. aus einem Beta- (z. B. Allergospasmin® N) scheinen dagegen
8.2 Fragwürdige Kombinationen 65

nicht günstig zu sein, da Cromoglicinsäure in Leberinsuffizienz und bei missbräuchlicher pa-


diesen Kombinationen zu niedrig dosiert ist. renteraler Applikation ist es allerdings syste-
misch verfügbar und wirkt antagonistisch, so-
Antiinfektiva. Die verzögerte Resistenzent-
dass die Opioideffekte unterdrückt werden. Die
wicklung ist der Grund für die kombinierte An-
hohe Affinität von Naloxon zu peripheren Opi-
wendung mehrerer Arzneistoffe mit unter-
oidrezeptoren z. B. im Darm kann die Opioid
schiedlichen Angriffspunkten bei der Tuberku-
bedingte Obstipation zwar vermindern, eine
lose-Therapie (Ⴉ Kap. 30.2.1), zur Eradikation
ebenso gute Wirkung ist aber in den meisten
von Helicobacter pylori (Ⴉ Kap. 25.1.2.7) oder bei
Fällen auch durch die gleichzeitige Gabe eines
der HIV-Behandlung (Ⴉ Kap. 30.4.5.7) und He-
Laxans zu erreichen.
patitis-C-Behandlung (Ⴉ Kap. 30.4.4.3).
Parkinsonmittel. Bei der Therapie der Parkin-
Diuretika. In der Gruppe der Diuretika erhöhen
son-Erkrankung (Ⴉ Kap. 17) würden die in der
die Thiazid- und Schleifendiuretika (Ⴉ Kap.
Peripherie aus l-Dopa durch Decarboxylierung
20.1) die Ausscheidung von Natrium-, Kalium-
gebildeten Catecholamine zu starken Nebenwir-
und Chloridionen. Eine der Hauptgefahren ei-
kungen führen, insbesondere im gastrointesti-
ner solchen Therapie, insbesondere bei höherer
nalen und kardiovaskulären Bereich. Dies wird
Dosierung, ist eine Hypokaliämie. Daher ist die
durch die gleichzeitige Gabe von l-Dopa mit pe-
Kombination eines die Kaliumausscheidung
ripher wirkenden Dopa-Decarboxylase-Blo-
fördernden und eines die Kaliumausscheidung
ckern (Benserazid, Carbidopa) verhindert. Da
hemmenden Diuretikums beim Nierengesun-
diese Stoffe die Blut-Hirn-Schranke nicht über-
den therapeutisch wertvoll. Dabei sollte darauf
winden können, wirken sie im Zen-
geachtet werden, dass die Pharmakokinetik der
tralnervensystem nicht. In der Peripherie wird
beiden Substanzen ähnlich ist und sich die ent-
dagegen weniger l-Dopa decarboxyliert. Die l-
gegengesetzten Effekte auf den Kaliumhaushalt
Dopa-Dosis kann daher niedriger gehalten wer-
durch Wahl der richtigen Dosierung der Einzel-
den.
komponenten annähernd aufheben. Dies trifft
weitgehend für die Kombination von Triamte-
ren bzw. Amilorid mit Thiaziden zu. Kontrollen
8.2 Fragwürdige Kombinationen
der Serumkaliumspiegel sind allerdings den-
noch erforderlich.
Antiinfektiva. Problematisch ist die topische
Hormonelle Kontrazeptiva. Estrogen-Gesta- Anwendung von fixen Kombinationen eines
genkombinationen zeigen einen funktionellen Antiinfektivums mit einem Glucocorticoid, da
Synergismus und machen den Hauptanteil der solche Präparate nicht nur dazu verführen,
hormonellen Kontrazeptiva (Ⴉ Kap. 21.8.6) aus. Hauterkrankungen ohne exakte Diagnosestel- 8
Auch zur Behandlung klimakterischer Ausfall- lung zu behandeln (diese Kombinationen wir-
erscheinungen in der Menopause werden Estro- ken sowohl bei Ekzemen als auch bei Hautinfek-
gene zusammen mit einem Gestagen eingesetzt. tionen), sondern auch mit einer höheren Ne-
benwirkungsrate als ein Monopräparat behaftet
Opioide. Kombinationen von Tilidin oder Oxy-
sind.
codon mit Naloxon (Ⴉ Kap. 12.1.5.2) zur Ver-
meidung von Missbrauch und Opioid-bedingter Grippemittel. Kombinationspräparate zur sym-
Obstipation sind zumindest theoretisch sinn- ptomatischen Behandlung von Grippe und Er-
volle Arzneistoffkombinationen. In therapeuti- kältungskrankheiten enthalten neben einem
scher Dosierung kommt die antagonistische Analgetikum oft auch ein α-Sympathomime-
Wirkung von Naloxon nicht zum Tragen, da es tikum (z. B. Pseudoephedrin) zum Abschwellen
fast vollständig durch First-Pass-Metabolisie- der Nasen- und Bronchialschleimhäute, das zu
rung inaktiviert wird. In hoher Dosierung, bei Nebenwirkungen wie erhöhter Herzfrequenz,
66 8 Arzneistoffkombinationen

innerer Unruhe oder Schlafstörungen führen Coffein gab es Hinweise, dass sie möglicherwei-
kann. Außerdem sind häufig Antitussiva (z. B. se häufiger missbräuchlich verwendet werden
Dextromethorphan) beigefügt, die der Patient als Monopräparate nichtopioider Analgetika, da
evtl. gar nicht benötigt, weil gar kein Husten die Einnahme eines Coffein-haltigen Medika-
vorliegt. Husten-, Schnupfen- und Schmerzmit- ments auch psychotrop anregend wirkt. Aller-
tel sollten daher besser gezielt bei Auftreten der dings wurde in einer Studie bei Migränekopf-
entsprechenden Symptome in Form von Mono- schmerzpatienten gezeigt, dass die Kombination
präparaten angewendet werden. aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein
(z. B. Thomapyrin®) wirksamer war als die
Nichtopioide Analgetika. Bei den nichtopioiden Einzelsubstanzen oder die Kombination ohne
Analgetika (Ⴉ Kap. 12.1.3) ist der Einsatz von Coffein. Die Diskussion um die Bewertung von
Kombinationspräparaten in den letzten Jahren Analgetika-Kombinationspräparaten ist dem-
rückläufig. Viele davon, z. B. auch Kombinatio- nach kontrovers, eine endgültige Bewertung sol-
nen mit Vitaminen, sind als nicht sinnvoll ein- cher Kombinationspräparate daher bislang nicht
zuschätzen. Bei Kombinationspräparaten mit möglich.
67

9 Arzneimittelentwicklung und -prüfung

Ziel der Entwicklung neuer Arzneimittel ist es, Entwicklung eines Teils der Prüfsubstanzen we-
bessere therapeutische Möglichkeiten zu schaf- gen unzureichender Wirkung, eines ungünsti-
fen. Die Voraussetzung für eine solche Entwick- gen pharmakologischen Profils oder toxischer
lung ist die Synthese oder Isolierung (aus Natur- Effekte abgebrochen werden, sodass schluss-
stoffen) neuer potenzieller Wirkstoffe, die den endlich nur eine innovative von ursprünglich ca.
in Ⴜ Abb. 9.1 angegebenen Prüfungen unterwor- 10 000 Verbindungen in die Therapie eingeführt
fen werden. Auf jeder Stufe muss die weitere werden kann.

Prüfsubstanz

Kurzzeittoxikologie Screening
Experimentelle
Pharmakologie
undToxikologie Langzeittoxikologie Pharmakodynamik Pharmakokinetik bei Tieren

Klinische
Pharmakologie
Phase I Galenik

Phase II
9
Phase III

Zulassung

Beobachtungs-
Phase IV
studien

Ⴜ Abb. 9.1 Arzneimittelentwicklung in schematischer Darstellung. An die Prüfung des Arzneimittels in


vitro und am Tier (präklinische Prüfung) schließen sich die Untersuchungen am Menschen (klinische Prü-
fung) an. Zu deren Beginn werden die galenische (pharmazeutisch-technologische) Entwicklung abge-
schlossen und die Studien zur Langzeittoxikologie weitergeführt
68 9 Arzneimittelentwicklung und -prüfung

Da der Erstanwendung am Menschen eine denen auch die Prüfung auf akute Toxizität zu-
eingehende pharmakologische Charakterisie- friedenstellend verlief, werden anschließend ei-
rung durch Testung mittels In-vitro-Verfahren ner vertieften pharmakologischen Untersu-
und am Tier vorauszugehen hat, unterscheidet chung unterzogen. Dabei werden insbesondere
man zwischen der präklinischen (bzw. experi- die Hauptwirkung sowie das Wirkungsspekt-
mentell-pharmakologischen sowie toxikologi- rum qualitativ und quantitativ ermittelt, der
schen) und klinischen Prüfung. Angriffspunkt und der Wirkungsmechanismus
In Deutschland ist der gesetzliche Rahmen zu klären versucht, die Beeinflussung der ver-
der Arzneimittelprüfung im Arzneimittelgesetz schiedenen Organfunktionen und damit die
(AMG) verankert. Entscheidende Bedeutung Spezifität und Organselektivität festgestellt, die
bei der Arzneimittelentwicklung haben außer- lokale und allgemeine Verträglichkeit geprüft
dem die Richtlinien der europäischen Zulas- sowie auf toxische Effekte geachtet.
sungsbehörde (European Medicines Agency,
EMA) und für eine weltweite Vermarktung des Aufgrund der erhobenen Befunde wird dann er-
Arzneimittels die Richtlinien anderer Gesund- neut eine Selektion vorgenommen und der für
heitsbehörden (insbesondere der US-amerika- die Erstanwendung am Menschen vorgesehene
nischen Food and Drug Administration, FDA) Stoff auf subakute Toxizität untersucht. Sofern
sowie verschiedene internationale Richtlinien diese Prüfung positiv verläuft, bestimmt man
(z. B. „Good Clinical Practice“, GCP). anschließend die Pharmakokinetik beim Tier.
Parallel dazu laufen Mutagenitäts- und Terato-
genitätsprüfungen, ferner Untersuchungen zur
9.1 Präklinische Entwicklung subchronischen und chronischen Toxizität.
Subakute, subchronische und chronische To-
Bei der präklinischen Prüfung werden die xizitätsprüfungen erstrecken sich über 2–4 Wo-
Prüfsubstanzen zunächst einem ersten pharma- chen bzw. – in Abhängigkeit von der geplanten
kologischen Screening, d. h. einer Reihe von Anwendungsdauer beim Menschen – über bis
Versuchen zur Erstellung eines groben Wirk- zu 12 Monaten und werden (mindestens) an
profils, unterworfen. Dabei bedient man sich zwei Tierspezies (1 Nager, 1 Nichtnager) durch-
zunehmend biochemischer und molekularphar- geführt. Wichtig ist die Ermittlung des No-
makologischer Verfahren, die eine rasche und effect-levels, d. h. der höchsten Dosis, bei der
teilweise sehr detaillierte Charakterisierung des keine biologischen Wirkungen gesehen werden.
Aktivitätsspektrums der Testsubstanzen erlau- So dürfen sich z. B. im Vergleich zu den Kontrol-
ben. Damit erhofft man sich die frühzeitige Er- len weder die Futteraufnahme noch das Körper-
kennung von unzureichend wirksamen bzw. mit gewicht, das Wachstum, das Blutbild oder die
nicht akzeptablen unerwünschten Wirkungen Funktion der einzelnen Organe verändern. Da-
behafteten Stoffen, die dann bereits in der Früh- neben soll eine Dosis angewandt werden, die to-
phase der Arzneimittelentwicklung von weite- xische Symptome auslöst bzw. tödlich wirkt.
ren kostenintensiven Untersuchungen ausge- Alle Tiere werden nach dem Tod seziert und die
schlossen werden können. Nicht zuletzt soll ver- Organe makroskopisch und histologisch beur-
sucht werden, mit leistungsfähigen Testsyste- teilt.
men die Entwicklungsarbeiten zu beschleunigen, Nur wenn die präklinischen Versuche zu dem
Tierversuche zu reduzieren und die mit den Ergebnis führten, dass mit hoher Wahrschein-
Prüfungen verbundenen Kosten zu verringern. lichkeit die Prüfsubstanz zur therapeutischen
oder diagnostischen Anwendung am Menschen
Umfassende pharmakologische Testung. Ver- geeignet ist und die Nebenwirkungen vertretbar
bindungen, die sich bei der Screening-Untersu- erscheinen, darf eine klinische Prüfung in An-
chung als erfolgversprechend erwiesen und bei griff genommen werden.
9.2 Klinische Prüfung 69

In diesem Zusammenhang wird häufig die gen (Tod, Invalidität, Notwendigkeit oder Ver-
Frage nach der Übertragbarkeit von Tierversu- längerung einer stationären Behandlung) ist die
chen auf den Menschen gestellt. Naturgemäß ist Überwachungsbehörde umgehend zu unter-
eine absolute Übertragbarkeit nicht gegeben, richten.
trotzdem ist diese, insbesondere wenn Organ-
Prüfungen vor der Zulassung. Die klinische
funktionen betroffen sind, vielfach besser als all-
Prüfung wird üblicherweise in vier Phasen
gemein angenommen. Entsprechendes gilt auch
(Phase I–IV) unterteilt, wobei die Phasen I–III
für Nebenwirkungen. Wenn auch durch Tier-
vor der Zulassung durchgeführt werden.
versuche nicht alle Unsicherheiten beseitigt
werden, lassen sich damit dennoch die Risiken Unter der Phase I versteht man die erste Anwen-
auf ein annehmbares Maß reduzieren. dung eines Wirkstoffs am Menschen, die in der
Regel an jungen gesunden Erwachsenen (Pro-
banden) erfolgt. In Ausnahmefällen (z. B. bei
9.2 Klinische Prüfung der Prüfung von Zytostatika) kann es jedoch er-
forderlich sein, schon diese ersten Untersuchun-
Die Prüfung eines Arzneimittels am Menschen gen an besonders ausgewählten Patienten
ist nur zulässig, wenn der damit zu erzielende durchzuführen. In der Phase I wird die Pharma-
Nutzen für ein Individuum oder die Allgemein- kokinetik des potenziellen Arzneistoffs ermit-
heit die mit dem Experiment verbundenen Risi- telt, auf Verträglichkeit geprüft, pharmakody-
ken der Versuchsperson übersteigt. Die höchs- namische Effekte werden erfasst und daraus
ten ethischen Anforderungen ergeben sich so- Schlüsse für andere oder zusätzliche Indikatio-
mit für Versuche an gesunden Probanden, die nen gezogen. Schließlich werden Dosierungs-
keinen eigenen Nutzen von der Arzneimittelan- vorschläge für die weitere klinische Prüfung er-
wendung haben. stellt.
Die wesentlichen ethischen Anforderungen Rechtfertigen die Befunde der Phase I die
an eine klinische Prüfung sind in der revidierten weitere Untersuchung der Prüfsubstanz,
Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes schließt sich die Phase II an. Bei dieser werden
niedergelegt. Formale Anforderungen zur Qua- erste Prüfungen zur Wirksamkeit und relativen
litätsverbesserung und damit zur Erhöhung der Unbedenklichkeit an einer begrenzten Zahl
Therapiesicherheit finden sich in den Richtlini- von stationären Patienten durchgeführt, die an
en zu „Good Clinical Practice for Trials on Me- der Krankheit leiden, für deren Therapie das
dical Products in the European Community“ Prüfpräparat vorgesehen ist. Im Allgemeinen
(GCP-Richtlinien) und Nachfolgedokumenten. nehmen an den Untersuchungen der Phase II
So wird u. a. die Vorlage sämtlicher Daten aus (explorativen Studien, s. u.) zwischen 100 und
der präklinischen Prüfung und der Stellungnah- 300 Patienten teil. Der Prüfplan ist dabei so an-
me einer unabhängigen Ethik-Kommission vor zulegen, dass aus den erhaltenen Ergebnissen
Versuchsbeginn, die Einwilligung des umfas- die Wirkungsintensität, klinische Relevanz 9
send aufgeklärten Probanden, die Erstellung ei- und Verallgemeinerungsfähigkeit abgeschätzt
nes Prüfplans in Schriftform, die Herstellung werden können. Diese Daten stellen die Grund-
der Prüfmuster nach den Standards der Arznei- lage für die Planung der Phase-III-Studien dar.
mittelproduktion, die ausführliche Dokumenta- Neben der Messung der für die spezielle Er-
tion der Befunde und ein Qualitätsmanagement krankung charakteristischen Parameter sollen
bei den Prüfärzten gefordert. Dementsprechend in dieser Prüfphase auch Dosis-Wirkungs-Be-
werden Personen, die selbst nicht rechtswirk- ziehungen (kleinste wirksame und höchste ver-
sam einwilligen können, z. B. Kinder, Demenz- trägliche Dosis) erfasst und die Dosierungen
kranke, psychiatrische Patienten, besonders ge- für die weiteren klinischen Prüfungen ermittelt
schützt. Über schwerwiegende Nebenwirkun- werden.
70 9 Arzneimittelentwicklung und -prüfung

Bei einer positiven Beurteilung der Phase-II- auf einem System der gegenseitigen Anerken-
Ergebnisse schließt sich die Phase III an, bei nung zwischen den Mitgliedstaaten beruht. In
welcher der (biometrisch abgesicherte) Nach- Deutschland ist das BfArM (Bundesinstitut für
weis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit Arzneimittel und Medizinprodukte) mit Sitz in
der neuen Substanz geführt wird. Die dazu not- Bonn dafür verantwortlich.
wendigen Studien erfordern Versuche an einer Über die Zulassung von Impfstoffen, Sera
großen Zahl von Patienten. Daher werden Pha- und Testallergenen sowie von monoklonalen
se-III-Studien vorzugsweise multizentrisch, Antikörpern entscheidet auf nationaler Ebene
d. h. an verschiedenen Stellen, nach gleichem das Paul-Ehrlich-Institut (PEI, Langen). Ge-
Prüfplan an oft mehr als 1000 Patienten durch- stützt auf die in dem federführenden Land aus-
geführt. Unverzichtbar sind dafür Vergleichs- gesprochene Zulassung erfolgt die Zulassung
prüfungen mit anderen Medikamenten und/ solcher Arzneimittel in weiteren EU-Staaten in
oder Placebo (kontrollierte Studien, s. u.). Bei einem deutlich verkürzten Verfahren.
chronischen Erkrankungen müssen die Patien- In der Europäischen Union wird ein Arznei-
ten häufig bis zu einem Jahr behandelt werden. mittel zunächst nur für einen Zeitraum von 5
Neben Klinikärzten werden in Phase-III-Studi- Jahren zugelassen. In dieser Zeit sind die Kennt-
en vielfach auch niedergelassene Ärzte in die nisse über die Wirksamkeit und Sicherheit bei
Prüfung einbezogen. breitem und ggf. langfristigem Einsatz zu vertie-
fen. Jeder neue Wirkstoff unterliegt in diesen
Zulassung. Nach Fertigstellung der Studien der
ersten 5 Jahren auch der automatischen Ver-
Phase III werden die Daten zur pharmazeuti-
schreibungspflicht, wodurch die Arzneimittel-
schen Qualität (wirksame Bestandteile, Hilfs-
sicherheit in dieser besonders kritischen Phase
stoffe, Verunreinigungen, Stabilität, Herstel-
erhöht werden soll. Nach Ablauf dieser Frist
lungs- und Prüfverfahren u. a.) sowie die Ergeb-
wird über eine Verlängerung der Zulassung für
nisse der präklinischen und klinischen Prüfun-
weitere 5 Jahre sowie ggf. eine Freistellung von
gen den Gesundheitsbehörden vorgelegt, die
der Verschreibungspflicht entschieden. Ergibt
nach eingehender Überprüfung die Zulassung
sich nach der Zulassung ein Verdacht auf
und damit die Befugnis, das neue Arzneimittel
schwerwiegende Risiken (Nebenwirkungen,
in den Verkehr zu bringen, erteilen oder versa-
Wechselwirkungen), wird ein sog. Stufenplan-
gen.
verfahren eingeleitet, in dem die Aufsichtsbe-
Die Zulassung eines Arzneimittels wird versagt, hörde zusammen mit dem Hersteller die Befun-
wenn Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei de und die zu ergreifenden Maßnahmen erör-
bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht belegt tert. Bei begründetem Verdacht auf Risiken, die
wurden und ebenso, wenn das Arzneimittel ein vertretbares Maß übersteigen, wird die Zu-
nicht die erforderliche pharmazeutische Quali- lassung widerrufen.
tät (Reinheit, korrekten Wirkstoffgehalt u. a.)
aufweist. Es wird naturgemäß jedoch nicht ge- Prüfungen nach der Zulassung. Klinische Prü-
fordert, dass ein Arzneimittel absolut nebenwir- fungen, die nach der Zulassung durchgeführt
kungsfrei ist. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Ne- werden, werden als Phase-IV-Studien bezeich-
benwirkungen in einem angemessenen Verhält- net. In sog. Anwendungsbeobachtungen wer-
nis zur Wirksamkeit stehen, wobei therapeuti- den an einer sehr großen Anzahl von Patienten
sche Alternativen zu beachten sind. beispielsweise Art und Häufigkeit der Neben-
Die Zulassung eines Arzneimittels kann ent- wirkungen analysiert, wobei aufgrund der ho-
weder zentral bei der europäischen Zulassungs- hen Patientenzahlen auch seltenere Nebenwir-
behörde (EMA) in London oder dezentral in kungen erfasst werden können. Ferner wird in
einem der europäischen Mitgliedstaaten bean- kontrollierten vergleichenden Prüfungen mit
tragt werden, wobei das dezentrale Verfahren bereits etablierten Arzneimitteln (Head-to-
9.4 Prüfungsarten 71

Head-Studien) der therapeutische Stellenwert sichtlich bei Patienten, die auf Placebos anspre-
des neuen Arzneimittels herausgearbeitet. chen, den sog. Placebo-Respondern, durch
Gabe eines Placebos vermehrt freigesetzt wer-
Sichere Kenntnisse über Wirksamkeit und Un-
den. So wird der analgetische Effekt eines Place-
bedenklichkeit sind jedoch häufig erst nach
bos – zumindest bei einem Teil der Patienten –
breiter und langer Anwendung möglich. So
aufgehoben, wenn zusätzlich ein Opioidantago-
kann bei chronischen Erkrankungen oft erst
nist, z. B. Naloxon, gegeben wird.
lange nach der Zulassung der Einfluss auf Le-
Scheinmedikamente vermögen jedoch nicht
bensdauer (Letalität) und Lebensqualität ge-
nur günstige Effekte, sondern auch uner-
prüft werden, während man sich in den Studien
wünschte Wirkungen (Nebenwirkungen) aus-
vor der Zulassung oftmals auf Ersatzparameter
zulösen. So wurden bei entsprechenden Studien
(Surrogatparameter), z. B. die Senkung eines er-
in 10–25 % der Fälle zentralnervöse Störungen
höhten Blutdrucks oder die Erniedrigung des
(z. B. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Erregung, De-
Serumcholesterols, beschränken muss. Auch
pression) oder Magen-Darm-Beschwerden
stellen sich toxische Spätschäden u. U. erst nach
nach Gabe von Placebos beobachtet. Man
Jahren heraus. Eine Überwachung von Arznei-
spricht dann von Nocebo-Wirkungen (lat. no-
mitteln nach der Zulassung, die Spontanmel-
cebo = ich werde schaden) die analog zur positi-
dungen der Ärzteschaft aber auch Anwendungs-
ven Placebowirkung als negative Reaktion auf
beobachtungen (nicht-interventionelle Studien)
ein Arzneimittel ohne Wirkstoff zu definieren
beinhaltet, wird als Pharmakovigilanz bezeich-
sind. Interessant in diesem Zusammenhang ist
net.
der Befund, dass sowohl Placebo- als auch No-
ceboeffekte an das Bewusstsein gebunden sind:
Beim bewusstlosen oder narkotisierten Patien-
9.3 Placebo- und ten treten sie nicht auf.
Nocebowirkungen

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der medi-


9.4 Prüfungsarten
kamentösen Therapie beim Menschen (und teil-
weise auch beim Tier), dass auch durch die Gabe
Prospektive und retrospektive Studien. Bei ei-
von Arzneimitteln ohne pharmakodynamisch
ner prospektiven („vorausschauenden“) Studie
wirksame Stoffe, sog. Placebos (lat. placebo =
wird eine vorher festgelegte Hypothese anhand
ich werde gefallen) in einem nicht geringen Pro-
verschiedener, bis Versuchsende ständig erfass-
zentsatz (teilweise bis zu 50 %!), der von der Art
ter Prüfvariablen geprüft. Durch entsprechende
der Erkrankung, der Persönlichkeit des Patien-
Patientenauswahl kann die Vergleichbarkeit op-
ten, der Autosuggestion und der Suggestivwir-
timiert werden (z. B. Einteilung nach Alters-
kung des Arztes oder Apothekers abhängt, Bes-
serungen, ja sogar Heilungen hervorgerufen
gruppen, Geschlecht usw.). Bei retrospektiven 9
Studien werden dagegen nachträglich aus Be-
werden können. Dementsprechend können Pla-
handlungsunterlagen und Datenbanken Rück-
ceboeffekte definiert werden als positive physio-
schlüsse auf erwünschte oder unerwünschte
logische oder psychologische Veränderungen
Arzneimittelwirkungen gezogen. Vor allem zur
nach Einnahme von Arzneimitteln (z. B. Tablet-
Risikoerkennung und für Hinweise auf neue In-
ten) ohne spezifischen Wirkstoff oder nach
dikationen oder Nebenwirkungen sind retros-
Scheineingriffen im Rahmen einer medizini-
pektive Studien wertvoll.
schen Behandlung.
Unumstritten konnte gezeigt werden, dass Kontrollierte Studien. Eine Unterscheidung
endogene Stoffe, die Endorphine, wesentlich an echter pharmakodynamischer Wirkungen von
der Placebowirkung beteiligt sind und offen- Arzneistoff-unabhängigen Effekten ist nur mit
72 9 Arzneimittelentwicklung und -prüfung

Vergleichsverfahren möglich, bei denen unter Vergleichspräparat bzw. mit einem Placebo
kontrollierten, identischen Bedingungen an ei- durchgeführt wird. Offene Prüfungen sind al-
nem Patientenkollektiv die Wirkungen des neu- lenfalls dann geeignet, wenn eindeutig objekti-
en (potenziellen) Arzneimittels mit denen eines vierbare, psychisch nicht oder nur wenig beein-
Placebos und/oder eines bekannten Standard- flussbare Parameter (z. B. Stoffwechselverände-
präparats vergleichend untersucht werden (kon- rungen) bestimmt werden. Ist dies nicht der Fall,
trollierte Studien).Eine kontrollierte Studie ist muss unbedingt eine Blindstudie durchgeführt
nur dann ethisch zu rechtfertigen und damit er- werden.
laubt, wenn den an der Studie beteiligten Patien-
ten eine mit Sicherheit bessere Therapie nicht Bei Einfachblindversuchen ist nur der Arzt,
vorenthalten wird. Langzeitstudien müssen ab- nicht dagegen der Patient darüber informiert,
gebrochen werden, wenn Zwischenauswertun- ob das Prüf- oder Vergleichspräparat verab-
gen die statistisch signifikante Über- oder Un- reicht wird. Eine evtl. auch unbewusste Beein-
terlegenheit eines Therapieschemas ergeben. flussung durch den Arzt ist dabei also nicht aus-
geschlossen.
Erhalten alle Patienten dasselbe Arzneimittel,
Beim Doppelblindversuch kennt weder der
liegt eine nicht kontrollierte Studie vor. Solche
Arzt noch der Patient die Art des verwendeten
werden u. a. in der frühen Phase II durchge-
Präparats. Diese Methode ermöglicht die zuver-
führt. Auch bei der Anwendungsbeobachtung
lässigsten und objektivsten Aussagen über die
fehlt eine Kontrollgruppe.
Wirkungen und Nebenwirkungen eines Arznei-
Vergleichsgruppen. Bezüglich der Gestaltung mittels.
der Kontrollgruppen existieren verschiedene
Explorative versus konfirmatorische Studi-
Möglichkeiten. So können z. B. zwei (oder mehr)
en. Arzneimittelstudien können auch bezüg-
unabhängige Kollektive jeweils eine definierte
lich ihrer Zielsetzung differenziert werden. Ex-
medikamentöse Therapie erhalten. In diesem
plorative Studien dienen der Hypothesengewin-
Fall spricht man von parallelen Gruppen mit in-
nung, konfirmatorische Studien der Hypothe-
terindividuellem (Parallelgruppen-)Vergleich.
sensicherung. Dem ersten Typ sind die
Die wichtigste Form des intraindividuellen
klinischen Prüfungen der Phase II zuzuordnen,
Vergleichs stellen Cross-over-Untersuchungen
wo Hinweise auf die Wirksamkeit eines Phar-
(Überkreuzverabreichungen) dar. Dabei erhält
makons gesucht werden, dem zweiten Typ die
zunächst ein Teil des Kollektivs das Prüfpräpa-
Phase-III-Studien, in welchen der Beleg für die
rat, der andere Teil das Vergleichspräparat. Nach
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erbracht
einem ausreichenden behandlungsfreien Inter-
werden muss.
vall (Auswasch-Periode), das erforderlich ist,
um die Ausgangssituation möglichst weitgehend
wiederherzustellen, erhalten die beiden Ver-
9.5 Sprung-, Schritt- und
suchsgruppen das jeweils andere Präparat.
Scheininnovationen
Von entscheidender Bedeutung ist, dass Ve-
rum- und Kontrollgruppe sich nur hinsichtlich
Stellen neu in die Therapie eingeführte Arznei-
der Behandlung unterscheiden. Durch zufällige
mittel keinen therapeutischen Durchbruch oder
Zuteilung der Patienten zu den Behandlungs-
Fortschritt im Vergleich mit bereits verfügbaren
gruppen (Randomisierung) wird Fehlern auf-
Pharmaka dar, spricht man von Scheininnovati-
grund von Zufällen weitgehend vorgebeugt.
onen. Diesen stehen die grundlegenden Verbes-
Offene Prüfung und Blindstudien. Bei einer of- serungen der Arzneimitteltherapie, die Sprung-
fenen Prüfung wissen sowohl Patient als auch innovationen, und die als Schrittinnovationen
Prüfer, ob die Untersuchung mit dem Prüf- oder bezeichneten graduellen Fortschritte gegenüber.
9.6 Evidenzbasierte Medizin 73

Der größte Erfolg bei der Arzneimittelfor- ႒ Tab. 9.1 Evidenzbewertung


schung ist die Entwicklung eines Arzneimittels
Stufe Beurteilung
für eine bislang einer Therapie unzugängliche
Erkrankung oder eines Arzneimittels mit einem I Wenigstens eine systematische Übersicht
grundlegend neuen Angriffspunkt, der zu einer auf der Basis methodisch hochwertiger
deutlichen Verbesserung der Lebenserwartung klinischer Studien
bzw. der Vermeidung von Folgeschäden führt.
II Wenigstens eine ausreichend große,
Beispiele solcher Sprunginnovationen sind Ty- methodisch hochwertige randomisierte
rosinkinasehemmer (Ⴉ Kap. 31.3.2), Sartane klinische Studie
(Ⴉ Kap. 23.2.2.2), Triptane (Ⴉ Kap. 12.1.9.1, Stati-
ne (Ⴉ Kap. 23.2.1.2) oder Protonenpumpeninhi- III Methodisch hochwertige Studien ohne
bitoren (Ⴉ Kap. 25.1.2.1). Randomisierung
Bedeutsame Schrittinnovationen wurden IV Mehr als eine methodisch hochwertige
ebenfalls bei zahlreichen Arzneistoffgruppen er- nichtexperimentelle Studie
reicht. So stellen z. B. atypische Antipsychotika
(Ⴉ Kap. 10.1.2), β1-Adrenozeptorblocker (Ⴉ Kap. V Meinungen von respektierten Autoritä-
19.4.2), langwirksame Calciumkanalblocker ten, Expertenkommissionen, deskriptive
(Ⴉ Kap. 23.2.2.2), Carbapeneme (Ⴉ Kap. 30.1.2.1) Studien

oder neuere Fluorchinolone (Ⴉ Kap. 30.1.4.1) ei- l Höchste Evidenz, V geringste Evidenz
nen therapeutischen Fortschritt dar. Weitere
Schrittinnovationen wurden durch galenische
Qualität der vorliegenden Studien beurteilt
(pharmazeutisch-technologische) Maßnahmen,
wird. Die höchste Wertigkeit (Evidenzstufe 1)
insbesondere durch die Einführung innovativer
liegt vor, wenn Wirksamkeitsnachweise aus
Retardpräparate erzielt.
zahlreichen randomisiert-kontrollierten Studi-
en durch in anerkannten Fachzeitschriften pub-
lizierte Artikel belegt sind (႒ Tab. 9.1).
9.6 Evidenzbasierte Medizin
Leitlinien. Leitlinien sind eng mit dem Begriff
Unter evidenzbasierter Medizin (evidence- der evidenzbasierten Medizin verknüpft und
based medicine) versteht man ein Vorgehen, bei stellen systematisch entwickelte, praxisorien-
dem diagnostische und/oder therapeutische tierte Entscheidungshilfen für die angemessene
Entscheidungen auf der Basis systematisch zu- ärztliche Vorgehensweise bei den entsprechen-
sammengetragener und bewerteter wissen- den Erkrankungen dar. Sie beruhen auf den bes-
schaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. Da- ten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und
durch soll für den betroffenen Patienten das Erkenntnissen, repräsentieren den erzielten
beste Ergebnis möglichst Ressourcen-schonend Konsens von Experten aus unterschiedlichen
erzielt werden. Fachrichtungen und werden regelmäßig auf ihre 9
Hinsichtlich der Pharmakotherapie bedeutet Aktualität hin überprüft und fortgeschrieben.
das, für den jeweiligen Patienten sowohl das Nach der angewandten Methode werden sie in
Arzneimittel als auch das Therapieregime ge- drei Stufen eingeteilt: Bei S1-Leitlinien wurde
wissenhaft und rational auf der Grundlage von von einer Expertengruppe ein informeller Kon-
Ergebnissen kontrollierter klinischer Studien sens erarbeitet; bei S2-Leitlinien fand eine for-
sowie von Daten aus medizinisch-wissenschaft- male Konsensfindung oder eine systematische
lichen Publikationen zu wählen. Evidenz-Recherche statt, S3-Leitlinien enthal-
Um von der Evidenz zur konkreten Empfeh- ten zusätzlich weitere Entscheidungskriterien
lung zu gelangen, wurde ein Klassifikations- wie Outcome-Analyse oder Bewertung der kli-
system erarbeitet, bei dem die Evidenz nach der nischen Relevanz wissenschaftlicher Studien.
74 9 Arzneimittelentwicklung und -prüfung

9.7 Phytopharmaka ten Arzneimitteln, und zwar sowohl aufgrund


ärztlicher Verordnung als auch insbesondere im
Unter Phytotherapie versteht man die Anwen- Rahmen der Selbstmedikation. Viele Patienten
dung von Pflanzen oder aus Pflanzen gewonne- ziehen aus der Natur stammende, aus ihrer Sicht
nen Zubereitungen (Extrakten, Mazeraten, ungefährliche Präparate den, wie sie meinen, ge-
Press-Säften, Tees, Tinkturen) zur Behandlung fährlichen chemischen Arzneimitteln vor. Dabei
von Krankheitszuständen. Phytopharmaka sind wird außer Acht gelassen, dass, sofern Phyto-
dementsprechend Arzneimittel, die als thera- pharmaka pharmakologisch aktiv sind, ihre
peutisches Prinzip pflanzliche Zubereitungen, Wirkung auf in den Pflanzen enthaltenen che-
d. h. komplexe Substanzgemische, enthalten, mischen Substanzen beruht, und Pflanzenin-
die in ihrer Gesamtheit als „Wirkstoff “ gelten. haltsstoffe keinesfalls von vorneherein als un-
Isolierte Pflanzeninhaltsstoffe werden – dieser schädlich angesehen werden dürfen. So gehören
Definition entsprechend – nicht zu den Phyto- beispielsweise die Digitalis-Glykoside (Ⴉ Kap.
pharmaka gerechnet. 23.3.2.2) oder verschiedene Alkaloide zu den
Unstrititg stehen aus Pflanzen gewonnene stärksten bekannten Giften (Ⴉ Kap. 34.2.8.1).
Arzneimittel am Beginn der Pharmakotherapie. Darüber hinaus kommen in vielen Pflanzenar-
Positive, jedoch auch scheinbar positive Erfah- ten potente Allergene vor. Zu erwähnen ist fer-
rungen fanden über Generationen hinweg in ner das Risiko der Hepatotoxizität verschiede-
Kräuterbüchern sowie später in offiziellen Arz- ner Phytopharmaka.
neibüchern ihren Niederschlag. Erst etwa ab Ein weiteres bedeutsames Problem bei einer
dem frühen 19. Jahrhundert wurde mit den Reihe von Phytopharmaka liegt darin, dass die
nunmehr zur Verfügung stehenden verbesser- für deren Wirkung verantwortlichen Bestand-
ten analytisch-chemischen Methoden – mit teile vielfach nicht oder allenfalls teilweise be-
ständig steigendem Erfolg – versucht, die in den kannt sind und die stoffliche Zusammensetzung
(Heil-)Pflanzen enthaltenen Wirksubstanzen in des Ausgangsmaterials in Abhängigkeit von
reiner Form zu gewinnen. Viele heute verwen- dem Wachstumsstandort, den Wetterbedingun-
dete Arzneimittel enthalten solche isolierte gen und anderen Umwelteinflüssen mehr oder
Pflanzeninhaltsstoffe oder davon abgeleitete weniger stark schwankt. Zwar lässt sich durch
Verbindungen, u. a. Atropin aus der Tollkirsche, kontrollierten Anbau und spezielle standardi-
Chinin aus der Chinarinde, Digoxin aus dem sierte Herstellungsverfahren (Gewinnung sog.
wolligen Fingerhut, Ergotamin aus dem Mutter- Spezialextrakte) ein Teil dieses Problems besei-
korn, Morphin aus dem Schlafmohn, Penicillin tigen, doch ist eine identische Qualität nur
aus Schimmelpilzen, Reserpin aus der indischen schwer zu erreichen. Viele phytotherapeutische
Schlangenwurzel, Salicin (die Leitstruktur für Präparate mit der gleichen Pflanze als Aus-
Acetylsalicylsäure) aus der Weidenrinde, Theo- gangsmaterial werden zudem von mehreren
phyllin aus dem Teestrauch oder Paclitaxel aus Firmen mit ganz unterschiedlichen Methoden
der pazifischen Eibe. Auch werden im Rahmen hergestellt, was eine Beurteilung zusätzlich er-
der Arzneimittelentwicklung und -prüfung schwert.
nach wie vor ständig neue Substanzen aus Pflan- Problematisch ist ferner, dass Phytopharma-
zen extrahiert und pharmakologisch untersucht. ka ohne Zulassung, d. h. ohne die oben beschrie-
Ein wesentlicher Teil der neu in die Therapie benen klinischen Prüfungen, sondern lediglich
eingeführten Pharmaka geht auf solche Prüfun- mit einer Registrierung Marktzugang erlangen
gen zurück. können, dann allerdings keine Indikation bean-
Obwohl infolge dieser Entwicklungen viel- spruchen dürfen. Da der Gesetzgeber den Phy-
fach Reinsubstanzen an die Stelle von Phyto- topharmaka somit aus politischen Gründen die-
pharmaka getreten sind, gehören pflanzliche se besonderen Bedingungen eingeräumt hat, ist
Präparate noch immer zu den häufig verwende- offen, wie viele der heute im Markt befindlichen
9.7 Phytopharmaka 75

Präparate wirklich effektiv sind. Bei vielen Phy- verstärkt Anstrengungen unternommen wur-
topharmaka, legt man heutige Kriterien zugrun- den, Phytopharmaka nach den anerkannten kli-
de, ist der Wirksamkeitsnachweis nicht – oder nischen Prüfungsrichtlinien zu untersuchen. So
noch nicht – erbracht. Bei gesicherter Wirksam- liegen nunmehr für eine Reihe viel verwendeter
keit und Unbedenklichkeit können Phytophar- Phytopharmaka Doppelblindstudien (s. o.) vor.
maka hingegen wie eindeutig chemisch defi- Hierzu gehören beispielsweise Präparate, die
nierte Arzneistoffe für definierte Indikationen Auszüge aus Baldrian, Ginkgo biloba, Johannis-
zugelassen werden. kraut, Rosskastanie oder Weißdorn enthalten.
In diesem Zusammenhan soll nicht uner- Ihre Wirkungen sind in den entsprechenden
wähnt bleiben, dass gerade in den letzten Jahren Kapiteln beschrieben.

9
76 10 Psychopharmaka

10 Psychopharmaka

10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) ken, liegt bei ca. 1 %. In etwa zwei Drittel der
Fälle tritt die erste Krankheitsepisode vor dem
Antipsychotika sind Substanzen, die psychoti- 30. Lebensjahr auf.
sche Symptome bessern, ohne das Bewusstsein Antipsychotika können die klinischen Zei-
und die intellektuellen Fähigkeiten wesentlich chen einer Schizophrenie verbessern. Dies er-
zu beeinflussen. Der früher synonym verwende- möglicht dem Patienten oft eine Distanzierung
te Begriff „Neuroleptika“ wird heute immer von der Erkrankung, d. h. er kann jetzt seinen
mehr durch die Bezeichnung „Antipsychotika“ Zustand selbst als krankhaft erkennen. Außer-
ersetzt, da diese Substanzen in erster Linie auf- dem besitzen Antipsychotika eine rezidivpro-
grund ihrer antipsychotischen Wirkungen – ins- phylaktische Wirkung.
besondere bei Schizophrenien – angewendet
Wirkungsmechanismus. Antipsychotika wirken
werden.
als Antagonisten an Dopamin-, Serotonin-,
Schizophrenien sind vielschichtige Persön-
Histamin-, Muscarin- und adrenergen Rezep-
lichkeitsstörungen, denen ein charakteristisches
toren. Die Affinitäten an den einzelnen Rezep-
Störungsmuster verschiedener psychischer Be-
tor-Subtypen weichen jedoch je nach Wirkstoff
reiche zugrunde liegt. Sie sind durch episodisch
teils erheblich voneinander ab (႒ Tab. 10.1). Da-
auftretende akute psychotische Zustände sowie
her ergeben sich Unterschiede in der antipsy-
durch chronische Beeinträchtigungen gekenn-
chotischen Wirkstärke und im Nebenwirkungs-
zeichnet. Die klinischen Zeichen einer Schizo-
profil der einzelnen Substanzen.
phrenie beinhalten positive Symptome (z. B.
Verfolgungs-, Vergiftungs-, sexueller Wahn so- Nach den pharmakologischen Eigenschaften
wie akustische, optische, Geruchs- und Ge- unterscheidet man klassische („typische“) und
schmackshalluzinationen), negative Symptome atypische Antipsychotika. Bei den klassischen
(z. B. Affektverflachung, Antriebshemmung Antipsychotika beruht die antipsychotische
und sozialer Rückzug) und kognitive Defizite Wirkung vorrangig auf der Blockade von D2-
(z. B. Störungen der Aufmerksamkeit, des Ge- Rezeptoren im mesolimbischen System
dächtnisses, der allgemeinen Intelligenzleistung (႒ Abb. 10.1). Dem entsprechend korreliert die
und exekutiver Funktionen wie Problemlösun- Stärke der antipsychotischen Wirkung dieser
gen). Von Patient zu Patient sind diese Sympto- Substanzen insbesondere mit der Höhe der Affi-
me sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Le- nität zum D2-Rezeptor. Wirkstoffe mit hoher
benszeitprävalenz, also das Risiko mindestens Affinität zum D2-Rezeptor werden als hochpo-
einmal im Leben an Schizophrenie zu erkran- tente, die mit niedriger Affinität zum D2-Rezep-
10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) 77

႒ Tab. 10.1 Relative Rezeptoraffinitäten von Antipsychotika. Nach Bandelow (Fortsetzung)


INN Rezeptorblockade

D2 D3 5-HT1 5-HT2 H1 M1 α1

Hochpotente klassische Antipsychotika

Benperidol ++++ +++ ? ++ 0 0 +

Bromperidol +++++ ++ ? ++ 0 0 +

Flupentixol ++++ ++++ + ++++ ++ + +++

Fluphenazin +++++ +++++ + ++++ +++ + +++

Fluspirilen ++++ +++ ? ++ 0 0 0

Haloperidol +++++ ++++ + +++ + + +

Perazin +++ ++ ? +++ ++++ + ++

Perphenazin ++++ ? + ++++ ++++ + +++

Pimozid +++++ ++++ 0 +++ + + +++

Zuclopenthixol +++++ ? + ++++ +++ ++ ++++

Niedrigpotente klassische Antipsychotika

Chlorprothixen +++ ++++ ++ +++++ +++++ +++ ++++

Levomepromazin + + ? +++ ++ +++ +++

Melperon ++ ++ ? ++++ + 0 +

Pipamperon + + ? ++++ ++ 0 ++

Promethazin 0 0 ? 0 +++ 0 ++

Atypische Antipsychotika

Amisulprid +++ +++ ? 0 0 0 0

Aripiprazol +++++ +++++ ++++ ++++ +++ 0 +++

Asenapin +++ +++ +++ +++ +++ + +++

Clozapin ++ ++ ++ ++++ ++++ +++ +++


10
Lurasidon +++++ ? ++++ +++++ 0 0 ?

Olanzapin +++ ++++ ++++ ++++ ++++ ++++ +++

Paliperidon +++++ ++ ++ +++++ +++ 0 +++++

Quetiapin ++ ++ ++ ++ ++++ 0 ++++


78 10 Psychopharmaka

႒ Tab. 10.1 Relative Rezeptoraffinitäten von Antipsychotika. Nach Bandelow (Fortsetzung)


INN Rezeptorblockade

D2 D3 5-HT1 5-HT2 H1 M1 α1

Atypische Antipsychotika

Risperidon +++++ ++ ++ +++++ +++ 0 +++++

Sertindol ++++ + + ++++ + + ++++

Sulpirid ++ +++ ? 0 0 0 0

Ziprasidon ++++ ++++ ++++ +++++ +++ 0 +++

Rezeptoraffinitäten (Ki): +++++ 0,1–1 nM, ++++ 1–10 nM, +++ 10–100 nM, ++ 100–1000 nM, + 1000–10 000 nM, 0 > 10 000 nM,
? keine Angaben

tor als niedrigpotente klassische Antipsychotika Nebenwirkungen wie Sedierung oder vegetative
bezeichnet. Symptome häufiger auf. Diese werden durch die
Andererseits werden auch wichtige Neben- Hemmung von H1-, α1- und M1-Rezeptoren
wirkungen (s. u.) über D2-Rezeptoren vermit- hervorgerufen, die aufgrund der zur D2-Rezep-
telt. Dies betrifft insbesondere die extrapyrami- tor-Blockade (und damit antipsychotischen
dal-motorischen Symptome (EPS), die durch Wirkung) notwendigen höheren Dosierung kli-
Blockade von D2-Rezeptoren im nigrostriatalen nisch relevant wird.
System hervorgerufen werden, sowie die Hyper- Auch die atypischen Antipsychotika besit-
prolactinämie, die infolge der Blockade von D2- zen Affinität zum D2-Rezeptor (႒ Tab. 10.1). An
Rezeptoren im tuberoinfundibulären System der antipsychotischen Wirkung dieser Sub-
auftritt (႒ Abb. 10.1). Bei den hochpotenten stanzen sind jedoch zusätzliche Mechanismen
klassischen Antipsychotika ist daher das Risiko beteiligt, die noch nicht vollständig aufgeklärt
für EPS und Hyperprolactinämie besonders sind. Diskutiert wird, dass die je nach Wirkstoff
hoch. Bei niedrigpotenten Wirkstoffen ist dieses unterschiedlichen Bindungseigenschaften (als
Risiko zwar geringer, jedoch treten hier andere Antagonist, inverser Agonist oder partieller
Agonist) und Bindungsaffinitäten am D2-Re-
zeptor sowie an anderen Rezeptoren (v. a. D3-,
D4-, 5-HT1-, 5-HT2-, 5-HT7- und glutamatergen
Haloperidol Rezeptoren) das jeweilige Wirkungsprofil mit-
bestimmen.

D2 D2 D2 Indikationen. Antipsychotika werden zur The-


Gi Gi Gi rapie und Prophylaxe akuter und chronischer
mesolimbisch nigrostriatal tubero- schizophrener Störungen eingesetzt. Weiterhin
infundibulär eignen sich einige Antipsychotika zur Dämp-
Plussympto- Extrapyrami- Prolactin൹ fung von psychomotorischer Unruhe und Erre-
matikൻ, Sedie- dale Neben- (Galaktorrhö, gungszuständen, sowie zur Therapie manischer
rung, Apathie wirkungen Amenorrhö)
und/oder depressiver Episoden bei bipolaren
Störungen (Ⴉ Kap. 10.2 und Ⴉ Kap. 10.3). Die
Ⴜ Abb. 10.1 Wirkungsmechanismus und daraus
resultierende Effekte klassischer Antipsychotika am Verwendung von Antipsychotika bei Erbrechen
Beispiel von Haloperidol wird in Ⴉ Kap. 18.2.3 beschrieben.
10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) 79

Nebenwirkungen. Aufgrund der Beeinflussung von Tiaprid und Tetrabenazin (Ⴉ Kap. 17.4.2) in
mehrerer Rezeptor-Typen und Neurotransmit- Betracht.
tersysteme ist eine Therapie mit Antipsychotika Besonders gefährlich ist das – allerdings sehr
relativ häufig mit Nebenwirkungen verbunden. seltene – maligne neuroleptische Syndrom
(Mortalität trotz Behandlung etwa 20 %), das
Bei den zentralnervösen Nebenwirkungen sind durch Rigor, Stupor, Bewusstseins- und Kreis-
die durch Blockade von D2-Rezeptoren beding- laufstörungen sowie hohes Fieber gekennzeich-
ten extrapyramidal-motorischen Symptomen net ist. Die Therapie besteht in der Gabe von
(EPS) von besonderer Bedeutung. Zu unter- Dantrolen (Ⴉ Kap. 15.1.3), dopaminergen Ago-
scheiden sind Frühdyskinesien, das Parkinsono- nisten oder Amantadin (Ⴉ Kap. 17.2.6).
id (durch Antipsychotika bedingtes Parkinson- Als weitere zentralnervöse Nebenwirkungen
Syndrom), Akathisie und Spätdyskinesien. einer Antipsychotika-Therapie können Sedie-
Frühdyskinesien treten typischerweise zu rung, tonisch-klonische Krampfanfälle, deliran-
Behandlungsbeginn auf und sind u. a. durch te Syndrome und kognitive Störungen auftreten.
ruckartiges Herausstrecken der Zunge, Blick- Die aus der D2-Rezeptor-Blockade resultie-
krämpfe, Schiefhals sowie Hyperkinesien der rende Hyperprolactinämie kann mit sexuellen
mimischen Muskulatur gekennzeichnet. Das Funktionsstörungen sowie Galaktorrhö, Ame-
Parkinsonoid äußert sich u. a. als Rigor, Akine- norrhö, Gynäkomastie und Osteoporose einher-
se, reduzierte Feinmotorik, kleinschrittiger gehen.
Gang und Hypomimie. Als Akathisie bezeich- Die vegetativen Nebenwirkungen äußern
net man eine subjektiv quälende Unruhe, die sich z. B. als Benommenheit, orthostatische
verknüpft ist mit der Unmöglichkeit, sitzen zu Dysregulation, verstopfte Nase bzw. Mundtro-
bleiben. Zur Therapie von Frühdyskinesien, ckenheit, Akkommodationsstörungen, Obstipa-
Parkinsonoid und Akathisie werden zentral tion oder Miktionsstörungen. Vegetative Ne-
wirksame Anticholinergika wie z. B. Biperiden benwirkungen treten vor allem zu Therapiebe-
oder Trihexyphenidyl (Ⴉ Kap. 17.2.5) eingesetzt. ginn auf und bessern sich meist mit zunehmen-
Weiterhin sollte eine Reduktion der Dosis oder der Therapiedauer.
die Umstellung auf ein anderes Antipsychoti- Häufig ist die Einnahme von Antipsychotika
kum erwogen werden. Bei Akathisie werden da- auch mit einer Gewichtszunahme verbunden,
rüber hinaus auch Propranolol (Ⴉ Kap. 19.4.2) die in ein metabolisches Syndrom (Ⴉ Kap. 21.6.1)
oder Benzodiazepine (Ⴉ Kap. 11.3.1) eingesetzt. übergehen kann. Hiervon sind viele atypische
Spätdyskinesien treten erst Monate bis Jahre Antipsychotika, aber auch einige klassische An-
nach Behandlungsbeginn auf. Sie äußern sich tipsychotika betroffen.
als abnorme, unwillkürliche, häufig stereotype Unter der Therapie mit Antipsychotika kön-
Bewegungen, insbesondere der Zungen-, Mund- nen außerdem Tachykardien und Erregungslei-
und Gesichtsmuskulatur. Spätdyskinesien kön- tungsstörungen hervorgerufen werden. Insbe-
nen bei allen Patientengruppen auftreten, be- sondere kann die QTc-Zeit verlängert werden,
sonders betroffen sind jedoch Patienten mit ze- was ventrikuläre Herzrhythmusstörungen vom
rebralen Vorschädigungen sowie ältere Patien- Typ Torsades de pointes und andere kardiale 10
ten. Zur Vermeidung dieser Nebenwirkungen Symptome zur Folge haben kann.
sollten grundsätzlich möglichst niedrige, jedoch Einige Antipsychotika können ferner dosi-
noch ausreichend wirksame Antipsychotika- sunabhängig Agranulozytosen auslösen. Diese
Dosen verabreicht werden. Zur Behandlung von treten verhältnismäßig häufig nach der Gabe
Spätdyskinesien kommt neben einem Aus- von Clozapin auf, sehr selten werden sie auch
schleichen der Behandlung die Umstellung auf nach Gabe von tricyclischen Antipsychotika
ein anderes Antipsychotikum sowie die Gabe und Melperon beobachtet.
80 10 Psychopharmaka

Insbesondere bei Anwendung von Pheno- und Diphenylbutylpiperidine. Beim Auftreten


thiazinen können Photosensibilisierungen auf- von Unverträglichkeiten oder Therapieversagen
treten. Weiterhin können durch Olanzapin und kann der Wechsel in eine andere Gruppe von
Quetiapin Myalgien verursacht werden. Vorteil sein. Die Gruppenzugehörigkeit, Dosie-
rungen und Halbwertszeiten sind in ႒ Tab. 10.2
Kontraindikationen. Bei schweren Leber- und
dargestellt.
Nierenfunktionsstörungen, hirnorganischen Vor-
Klassische Antipsychotika verbessern insbe-
schädigungen, einem anamnestisch bekannten
sondere die positiven Symptome einer Schizo-
malignen neuroleptischen Syndrom, schweren
phrenie und senken das Risiko eines Rezidivs.
Bewusstseinsstörungen und akuten Vergiftun-
Dadurch kann die klinische Symptomatik vieler
gen mit zentraldämpfenden Arzneimitteln so-
Patienten entscheidend verbessert werden. Je-
wie mit Alkohol sind Antipsychotika kontrain-
doch sprechen ca. 30 % der Patienten mit akuten
diziert. Darüber hinaus bestehen Gegenanzei-
psychotischen Zuständen nicht auf klassische
gen für Antipsychotika mit anticholinerger Be-
Antipsychotika an und bis zu 50 % der Patienten
gleitwirkung bei Störungen der Harnentleerung,
zeigen nur eine partielle Antwort. Darüber hin-
Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie und
aus wirken klassische Antipsychotika meist
Myasthenia gravis, für den Prolactin-Spiegel er-
nicht auf die negativen Symptome oder kogniti-
höhende Antipsychotika bei Phäochromozytom
ven Defizite einer Schizophrenie.
und polaktinabhängigen Tumoren, für Antipsy-
chotika mit hoher EPS-Wahrscheinlichkeit bei
Morbus Parkinson und für Antipsychotika mit 10.1.2 Atypische Antipsychotika
kardiovaskulären Nebenwirkungen bei kardia- Atypische Antipsychotika sind bzgl. ihrer che-
ler Vorschädigung. mischen Struktur sehr heterogen und weisen je
nach Wirkstoff unterschiedliche Wirkungs- und
Interaktionen. Viele Antipsychotika werden
Nebenwirkungsprofile auf. Ihre Dosierungen
maßgeblich über Cytochrom-P450-Isoenzyme
und Halbwertszeiten sind in ႒ Tab. 10.3 darge-
metabolisiert. Neben den dadurch potenziell
stellt.
verursachten Interaktionen steigern Antipsy-
Für den klinischen Einsatz ist hervorzuhe-
chotika die Wirkung zentral dämpfender Phar-
ben, dass die Mehrzahl der atypischen Antipsy-
maka (z. B. von Narkosemitteln, Schlafmitteln,
chotika im Vergleich zu hochpotenten klassi-
stark wirkenden Analgetika oder Alkohol), von
schen Antipsychotika ein geringeres Risiko für
Anticholinergika sowie α- und β-Adrenozeptor-
das Auftreten extrapyramidal-motorischer
blockern.
Symptome aufweist. Darüber hinaus wirken ei-
Vergiftungen. Intoxikationen mit Antipsychoti- nige atypische Antipsychotika besser auf die ne-
ka äußern sich – abhängig vom Substanztyp – in gativen Schizophrenie-Symptome als klassische
Somnolenz, Agitation, Hypo- oder Hyperther- Antipsychotika. Jedoch ist auch bei Anwendung
mie, schweren Störungen des extrapyramidal- dieser Substanzen mit den oben beschriebenen
motorischen Systems, Hypotonie, Tachykardie Nebenwirkungen einer Antipsychotika-Thera-
oder Bradykardie sowie generalisierten Krampf- pie zu rechnen. Von Nachteil sind insbesondere
anfällen. die bei vielen Wirkstoffen auftretende Gewichts-
zunahme sowie weitere, substanzspezifische un-
erwünschte Effekte (s. u.).
10.1.1 Klassische Antipsychotika
Klassische Antipsychotika werden aufgrund ih- Clozapin. Der Prototyp der atypischen Antipsy-
rer chemischen Struktur in drei Gruppen einge- chotika ist Clozapin (z. B. Leponex®). Es zeich-
teilt, in Phenothiazine/Phenothiazin-Analoga net sich dadurch aus, dass es häufig auch in Fäl-
(tricyclische Antipsychotika), Butyrophenone len wirkt, bei denen mit anderen Antipsychotika
10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) 81

႒ Tab. 10.2 Klassische Antipsychotika


INN Handelspräparat Gruppe1 Tagesdosis2 HWZ CYP-Metabolisierung

Hochpotente klassische Antipsychotika

Benperidol Glianimon® u. a. B 1,5–20 mg 5h 3A4, 2D6

Bromperidol Impromen® B 5–20 mg 36 h ?

Flupentixol Fluanxol® u. a. P 3–20 mg 20–40 h 2D6

Fluphenazin Lyogen® u. a. P 2,5–20 mg 16 h 2D6

Haloperidol Haldol®-Janssen u. a. B 1,5–20 mg 12–36 h 3A4, 2D6

Perazin Taxilan® u. a. P 75–600 mg 8–16 h 3A4, 2C9

Perphenazin Decentan® u. a. P 4–24 mg 8–12 h 2D6

Pimozid Orap® D 1–4 mg 55 h 3A4, 2D6

Zuclopenthixol Ciatyl-Z® P 20–40 mg 15–25 h 2D6

Niedrigpotente klassische Antipsychotika

Chlorprothixen Truxal® u. a. P 100–420 mg 8–12 h 2D6

Levomepromazin Neurocil® u. a. P 25–300 mg 24 h 1A2, 2D6

Melperon Melneurin® u. a. B 25–300 mg 4–6 h ?

Pipamperon Dipiperon® u. a. B 40–360 mg 17–22 h ?

Promethazin Atosil® u. a. P 25–150 mg 12 h ?

Prothipendyl Dominal® P 40–320 mg 2–3 h ?

Thioridazin Melleril® u. a. P 75–200 mg 21–24 h 2D6

1 B Butyrophenone, D Diphenylbutylpiperidine, P Phenothiazine und Phenothiazin-Analoga.


2 Mittlere orale Tagesdosen nach Bandelow. Die angegebenen Dosierungen sind nur Richtwerte, die jeweils erforderliche Dosis ist individuell
zu ermitteln.

kein ausreichender Effekt zu erreichen ist, und Olanzapin, Quetiapin. Chemisch mit Clozapin
dass es praktisch keine EPS hervorruft. Daher verwandt sind Olanzapin (z. B. Zyprexa®) und
kann Clozapin auch bei Psychosen im Verlauf Quetiapin (z. B. Seroquel®). Außer zur Behand- 10
eines Morbus Parkinson eingesetzt werden. Al- lung der Schizophrenie sind sie auch zur Thera-
lerdings löst Clozapin bei über 1 % der Patienten pie und Rezidivprophylaxe manischer Episoden
Agranulozytosen aus, weshalb die Anwendung bei bipolaren Störungen, Quetiapin zusätzlich
dieser Substanz mit besonderen Auflagen (u. a. bei depressiven Episoden indiziert. Die Gefahr
schriftliche Aufklärung, regelmäßige Leuko- von Blutbildveränderungen ist deutlich geringer
zytenkontrolle) verbunden ist. Außerdem als bei Clozapin und die Häufigkeit von EPS lag
kommt es besonders häufig zur Sedierung und in klinischen Studien auf Placebo-Niveau. Aller-
Gewichtszunahme. dings treten auch unter Therapie mit Olanzapin
82 10 Psychopharmaka

႒ Tab. 10.3 Atypische Antipsychotika


INN Handelsname Tagesdosis1 HWZ CYP-Metabolisierung

Amisulprid Solian® u. a. 50–1200 mg 17 h -

Aripiprazol ABILIFY® u. a. 10–30 mg 75 h 3A4, 2D6

Asenapin Sycrest® 10–20 mg 24 h 1A2, 2D6, 3A4

Clozapin Leponex® u. a. 12,5–450 mg 6h 1A2

Loxapin ADASUVE® 9,1 mg2 6–8 h 3A4, 2D6 u. a.

Lurasidon Latuda® 37–148 mg 20–40 h 3A4

Olanzapin Zyprexa® u. a. 5–20 mg 30 h 1A2, 2D6

Paliperidon Invega® 3–12 mg 12 h -

Quetiapin Seroquel® u. a. 150–750 mg 7–12 h 3A4

Risperidon Risperdal® u. a. 0,5–8 mg 3–12 h 2D6

Sertindol Serdolect® 12–20 mg ca. 340 h 3A4, 2D6

Sulpirid Dogmatil® u. a. 200–1600 mg 6–8 h -

Ziprasidon Zeldox® u. a. 80–160 mg 7h 3A4 u. a.

1 Mittlere orale Tagesdosen nach Bandelow. Die angegebenen Dosierungen sind nur Richtwerte, die jeweils erforderliche Dosis ist individuell
zu ermitteln.
2 Dosis einer einmaligen inhalativen Anwendung

oder Quetiapin sehr häufig Sedierungen und nes Bronchospasmus, der bei Patienten mit
Gewichtszunahmen (bei einigen Patienten bis Asthma bronchiale oder COPD sehr häufig und
zu 30 kg!) auf. bei lungengesunden Patienten gelegentlich auf-
tritt. Daher darf Loxapin inhalativ nur stationär
Asenapin. Asenapin (Sycrest®) ist zur Behand-
angewendet werden und ist bei Asthma bron-
lung manischer Episoden einer Bipolar-I-Stö-
chiale und COPD kontraindiziert.
rung, jedoch nicht zur Therapie einer Schizo-
phrenie zugelassen. Da die Bioverfügbarkeit Sulpirid, Amisulprid. Das in seiner Struktur von
nach peroraler Applikation unter 2 % und nach den bisher genannten Antipsychotika abwei-
sublingualer Applikation bei 35 % liegt, wird es chende Sulpirid (z. B. Dogmatil®) besitzt eine
in Form von Sublingualtabletten angewendet. niedrige antipsychotische Potenz. Die Analog-
substanz Amisulprid (z. B. Solian®) wirkt stär-
Loxapin. Mit dem inhalativ angewendeten Lox-
ker antipsychotisch als Sulpirid, wobei insbe-
apin (ADASUVE®) steht ein Antipsychotikum
sondere die Besserung der Minussymptomatik
zur schnellen Kontrolle von leichter bis mittel-
gut belegt ist. Da beide Wirkstoffe vorwiegend
schwerer Agitiertheit bei Patienten mit Schizo-
unverändert über die Nieren ausgeschieden
phrenie oder bipolarer Störung zur Verfügung.
werden, besitzen sie ein geringes Interaktions-
Aufgrund der raschen Resorption sind erste Ef-
potenzial, außerdem werden nur selten Ge-
fekte bereits nach 10 min zu beobachten. Eine
wichtszunahmen beobachtet. Jedoch tritt oft
gefährliche Nebenwirkung ist die Auslösung ei-
eine ausgeprägte Hyperprolactinämie auf und es
10.1 Antipsychotika (Neuroleptika) 83

besteht ein höheres Risiko einer QTc-Zeit-Ver- tel der zweiten Wahl angewendet bei Patienten,
längerung. die zumindest ein anderes Antipsychotikum
nicht vertragen haben. Sertindol wird sehr lang-
Risperidon, Paliperidon. Risperidon (z. B. Ris-
sam ausgeschieden, die Halbwertszeit beträgt
perdal®) wird nach oraler Gabe unter Katalyse
ca. 14 Tage.
von CYP2D6 in den Hauptmetaboliten 9-Hyd-
roxy-Risperidon biotransformiert, der die glei-
10.1.3 Langzeit-Antipsychotika
chen pharmakodynamischen Eigenschaften wie
Neben Fluspirilen (z. B. Imap®), dessen lange
die Muttersubstanz aufweist und als eigenstän-
Wirkdauer auf einer langsamen Biotransforma-
diger Wirkstoff (Paliperidon; Invega®) im Han-
tion und einem enterohepatischen Kreislauf be-
del ist. Risperidon und Paliperidon sind zur Be-
ruht, wurden durch Veresterung mit längerket-
handlung von Schizophrenien sowie manischer
tigen Carbonsäuren oder durch eine spezielle
Episoden bei bipolaren Störungen indiziert. Ris-
galenische Zubereitung sog. Langzeit-Antipsy-
peridon ist darüber hinaus zur Kurzzeitbehand-
chotika mit einer Wirkdauer von bis zu 4 Wo-
lung von anhaltenden Aggressionen bei Alzhei-
chen erhalten. Hierzu gehören Flupentixol-de-
mer-Demenz und bei Verhaltensstörungen im
canoat (Fluanxol®-Depot), Fluphenazin-deca-
Kindesalter zugelassen. Bei beiden Wirkstoffen
noat (z. B. Lyogen®-Depot), Haloperidol-de-
tritt besonders häufig eine Hyperprolactinämie
canoat (z. B. Haldol®-Janssen Decanoat),
auf.
Zuclopenthixol-decanoat (Ciatyl-Z® Depot,
Ziprasidon. Das mit Risperidon strukturell ver- Ciatyl-Z® Acuphase) sowie mikroverkapseltes
wandte Ziprasidon (z. B. Zeldox®) ist zugelassen Risperidon (RISPERDAL® CONSTA®).
zur Schizophrenie-Therapie und zur Behand- Langzeit-Antipsychotika sind besonders in
lung von manischen oder gemischten Episoden den Fällen indiziert, bei denen eine regelmäßige
bei bipolaren Störungen. Gewichtszunahmen orale antipsychotische Medikation nicht ge-
sind selten zu beobachten, allerdings ist seine währleistet ist, eine gesicherte Applikation aber
Anwendung oft mit einer Sedierung verbunden dringend notwendig erscheint (z. B. bei schwe-
und das Risiko einer QTc-Zeit-Verlängerung ist rer Fremd- oder Eigengefährdung im Rezidiv),
erhöht. oder wenn diese Applikationsart eine Patienten-
präferenz darstellt. Nachteilig ist, dass auch un-
Lurasidon. Lurasidon (Latuda®) ist ein neu zu-
erwünschte Wirkungen über einen längeren
gelassenes atypisches Antipsychotikum, das so-
Zeitraum bestehen bleiben können.
wohl positive als auch negative Symptome einer
Schizophrenie günstig beeinflusst. Unter einer
Lurasidon-Therapie treten nur selten Gewichts- 10.1.4 Strategie der Therapie von
zunahmen auf, jedoch sind häufig Sedierung Schizophrenien
und EPS (Akathisie) zu beobachten. Eine Pharmakotherapie der Schizophrenie mit
Antipsychotika sollte in ein Gesamtbehand-
Aripiprazol. Aripiprazol (ABILIFY®) ist zur Be-
lungskonzept unter Einschluss psychothera-
handlung der Schizophrenie sowie zur Therapie
peutischer, soziotherapeutischer und ergothera-
und Rezidivprophylaxe manischer Störungen 10
peutischer Maßnahmen eingebettet sein (u. a.
indiziert. Die Häufigkeit von EPS ist unter
mit aktiver Informationsvermittlung über die
Aripiprazol-Therapie mit Placebo-Gabe ver-
Krankheit sowie Hilfe zur Stress- und Krank-
gleichbar und die Sedierung ist meist nur gering
heitsbewältigung).
ausgeprägt.
Die Auswahl der Pharmakotherapie muss auf
Sertindol. Sertindol (Serdolect®) kann bereits die individuelle Zielsymptomatik abgestimmt
in therapeutischer Dosis eine QTc-Zeit-Verlän- werden. Neben dem Wirkprofil und den phar-
gerung hervorrufen. Daher wird es nur als Mit- makokinetischen Eigenschaften des Wirkstoffs
84 10 Psychopharmaka

müssen auch das Nebenwirkungsprofil, die Be- Depressiven. Die meisten Patienten mit schwe-
gleitmedikation, die Patientenpräferenz sowie ren Depressionen haben zumindest Suizidge-
ein früheres Ansprechen auf eine medikamentö- danken. Bei unipolaren (monopolaren) Verläu-
se Therapie berücksichtigt werden. Generell fen treten nur depressive oder manische Episo-
sollte die Pharmakotherapie zunächst als anti- den (s. u.), bei der bipolaren Verlaufsform –
psychotische Monotherapie durchgeführt wer- zeitlich getrennt – sowohl depressive als auch
den, da bei Kombination mehrerer Wirkstoffe manische Episoden auf. Die Lebenszeitpräva-
das Risiko für Nebenwirkungen und Interaktio- lenz einer Depression beträgt ca. 15 %, die einer
nen steigt. Bei einer schweren psychotischen bipolaren Störung ca. 1 %. Frauen erkranken
Episode ist ein möglichst frühzeitiger Behand- etwa doppelt so häufig wie Männer.
lungsbeginn indiziert, da bei über längere Zeit Unter Antidepressiva versteht man Wirk-
unbehandelten Psychosen das Therapieanspre- stoffe, die depressive Symptome zu bessern ver-
chen geringer wird. Bei einer Erstmanifestation mögen. Sie wirken substanzabhängig in unter-
sollte eine medikamentöse antipsychotische Be- schiedlichem Ausmaß depressionslösend, stim-
handlung über mindestens 12 Monate erfolgen, mungsaufhellend sowie psychomotorisch akti-
wobei nach Symptomremission die Dosis vierend oder dämpfend.
schrittweise auf eine niedrigere Erhaltungsdosis
Wirkungsmechanismus. Wie bei den Antipsy-
reduziert wird. Nach einem ersten Rezidiv ist
chotika ist auch bei den Antidepressiva der ge-
eine Behandlung über Jahre, bei multiplen Rezi-
naue Wirkungsmechanismus nicht vollständig
diven u. U. lebenslang erforderlich. Bei nicht
geklärt. Die meisten Antidepressiva hemmen
ausreichender Wirksamkeit kann ein Wechsel
die Wiederaufnahme (Reuptake) von Serotonin
zu einem anderen Antipsychotikum erwogen
und/oder Noradrenalin aus dem synaptischen
werden, in therapieresistenten Fällen ist auch
Spalt ins Axoplasma (Ⴜ Abb. 10.2), wobei die
die Kombination von zwei Antipsychotika bzw.
Wiederaufnahmehmmung bei den einzelnen
die Gabe von Clozapin indiziert.
Substanzen verschieden stark ausgeprägt ist
(႒ Tab. 10.4). Ein weiterer Angriffspunkt vieler
Antidepressiva ist die Blockade von Neurotrans-
10.2 Antidepressiva
mitter-Rezeptoren, insbesondere die von sero-
tonergen, muscarinergen, histaminergen und
Depressionen sind affektive Störungen, die
α-adrenergen Rezeptoren (႒ Tab. 10.4). Das
durch einen Zustand deutlich gedrückter Stim-
Wirkprofil wird dadurch wesentlich mitbe-
mung, Interessensverlust und Antriebsminde-
stimmt, beispielsweise resultiert aus der Hem-
rung über einen längeren Zeitraum (meist meh-
mung von H1-Rezeptoren eine sedierende Wir-
rere Monate) gekennzeichnet sind. Dies unter-
kung.
scheidet die Depression von der Trauer, die eine
Ursprünglich brachte man eine Hemmung
adäquate psychische Reaktion auf ein entspre-
der Wiederaufnahme von Serotonin mit einer
chendes Ereignis darstellt. In der Depression ist
Stimmungsaufhellung, eine Hemmung der Nor-
der Patient im Zustand der „Herabgestimmt-
adrenalin-Wiederaufnahme mit einer Antriebs-
heit“, er ist freud-, hoffnungs-, appetit- und
steigerung in Zusammenhang. Eine solche
schlaflos. Hinzu kommt häufig eine Hemmung
Korrelation ist jedoch sehr fraglich, da einige
des Antriebs, die oft mit einer quälenden inne-
Antidepressiva sich trotz unterschiedlicher Be-
ren Unruhe verbunden ist. Das Denken ist ein-
einflussung der Serotonin- und Noradrenalin-
förmig und kreist stets um das eigene Befinden,
Wiederaufnahme kaum in ihrer klinischen Wir-
die Konzentration ist vermindert. Dabei fühlt
kung unterscheiden und andere Wirkstoffe (z. B.
sich der Patient unfähig und wertlos, vielfach
Opipramol, Tianeptin, Agomelatin und Monoa-
den Angehörigen gegenüber auch als schuldig.
minoxidase-Hemmer) die Neurotransmitter-
Besonders bedeutsam ist die Suizidgefahr bei
10.2 Antidepressiva 85

präsynaptisches, noradrenerges Neuron präsynaptisches, serotonerges Neuron

MAO-A MAO- MAO-A


Hemmer
NA- NA 5-HT 5-HT-
Metabolit NA- 5-HT- Metabolit
Transporter Transporter
˞ Gi SNRI SSRI D
HT 1
2
Gi
5-
SSNRI
TCA
˞1 ˟1 5-HT 2A/2C
Gq Gs Gq

Regulation neuronaler Regulation neuronaler


Aktivität postsynaptische Neurone Aktivität

Ⴜ Abb. 10.2 Wirkungsmechanismus der Antidepressiva. SSRI selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren,


SNRI selektive Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren, SSNRI selektive Serotonin/Noradrenalin-Reuptake-
Inhibitoren, 5-HT Serotonin, NA Noradrenalin, MAO Monoaminoxidase, TCA tricyclische Antidepressiva

Wiederaufnahme praktisch nicht unterdrücken. 󠀂 sonstige Antidepressiva, deren primärer An-


Außerdem tritt die Wiederaufnahmehemmung griffspunkt von den oben genannten Grup-
innerhalb kurzer Zeit nach Applikation auf, pen abweicht.
während der antidepressive Effekt erst nach ei-
ner Latenz von ca. 1–3 Wochen klinisch relevant 10.2.1 Nichtselektive Wieder-
wird. Man nimmt daher heute an, dass sich un- aufnahmehemmer und
ter einer anhaltenden Therapie mit diesen Sub- Rezeptorblocker
stanzen die Rezeptordichte ändert (z. B. Down- Zu dieser Substanzgruppe zählen insbesondere
Regulation von 5-HT2-Rezeptoren). Die antide- die tricyclischen Antidepressiva (TCA) Amitri-
pressive Wirkung ist dementsprechend am ehes- ptylin (z. B. Saroten®), Amitriptylinoxid (z. B.
ten durch einen längerfristigen regulativen Equilibrin®), Clomipramin (z. B. Anafranil®),
Eingriff in die Neurotransmission im ZNS zu Doxepin (z. B. Aponal®), Imipramin (z. B. To-
erklären. franil®), Nortriptylin (Nortrilen®) und Trimi-
Aufgrund ihrer primären pharmakologi- pramin (z. B. Stangyl®). Weiterhin können das
schen Angriffspunkte können Antidepressiva in tetracyclische Maprotilin (z. B. Ludiomil®) so- 10
verschiedene Gruppen unterteilt werden: wie das bicyclische Trazodon (z. B. Trazodon-
neuraxpharm®) dieser Gruppe zugeordnet wer-
󠀂 nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahme- den. Diese Wirkstoffe hemmen – wie in
hemmer und Rezeptorblocker, ႒ Tab. 10.4 dargestellt – nichtselektiv die Wie-
󠀂 selektive Monoamin-Wiederaufnahmehem- deraufnahme von Monoaminen (v. a. Noradre-
mer, nalin und Serotonin) und blockieren darüber
󠀂 Monoaminoxidase-Hemmer und hinaus verschiedene Neurotransmitter-Rezep-
86 10 Psychopharmaka

႒ Tab. 10.4 Relative Transporter- und Rezeptoraffinitäten von Antidepressiva. Nach Bandelow
INN Wiederaufnahmehemmung Rezeptorblockade

NA 5-HT 5-HT2 Muscarin H1 α1

Nichtselektive Wiederaufnahmehemmer und Rezeptorblocker

Amitriptylin +++ +++ +++ +++ ++++ +++

Clomipramin +++ ++++ +++ +++ +++ +++

Doxepin +++ ++ +++ +++ +++++ +++

Imipramin +++ +++ +++ +++ +++ +++

Maprotilin ++++ + ++ ++ ++ +++

Nortriptylin ++++ ++ +++ ++ ++ +++

Trazodon + ++ ++++ 0 ++ +++

Trimipamin ++ + +++ +++ +++ +++

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Citalopram + ++++ + 0 ++ +

Escitalopram + ++++ + + + +

Fluoxetin ++ ++++ ++ + + +

Fluvoxamin ++ ++++ + 0 0 +

Paroxetin +++ +++++ 0 ++ 0 +

Sertralin ++ ++++ + ++ 0 ++

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Reboxetin ++ 0 0 0 0 0

Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Venlafaxin ++ +++ 0 0 0 0

Rezeptoraffinitäten (Ki): +++++ 0,1–1 nM, ++++ 1–10 nM, +++ 10–100 nM, ++ 100–1000 nM, + 1000–10 000 nM, 0 > 10 000 nM, ? keine
Angaben

toren (v. a. 5-HT2-, Muscarin-, H1- und α1- bunden ist. Die Dosierungen und Halbwertszei-
Rezeptoren). ten sind in ႒ Tab. 10.5 angegeben.
Pharmaka aus dieser Gruppe besitzen eine
gute antidepressive Wirksamkeit, die jedoch Indikationen. Außer zur Therapie depressiver
aufgrund der ausgeprägten Neurorezeptor-Blo- Erkrankungen sind nichtselektive Wiederauf-
ckade häufig mit Nebenwirkungen (s. u.) ver- nahmehemmer und Rezeptorblocker – je nach
10.2 Antidepressiva 87

႒ Tab. 10.5 Nichtselektive Wiederaufnahmehemmer und Rezeptorblocker


INN Handelspräparat Tagesdosis HWZ CYP-Metabolisierung

Amitriptylin Saroten® u. a. 100–300 mg 16–23 h 1A2, 2C9/10, 2C19, 2D6

Amitriptylinoxid Equilibrin® u. a. 100–300 mg 15 h 1A2, 2C9/10, 2C19, 2D6

Clomipramin Anafranil® u. a. 100–250 mg 21–25 h 1A2, 2C19, 2D6

Doxepin Aponal® u. a. 100–300 mg 13–22 h 2C19

Imipramin Tofranil® u. a. 100–300 mg 7–29 h 2C19, CYP2D6

Maprotilin Ludiomil® u. a. 100–225 mg 40–51 h 2D6

Nortriptylin Nortrilen® 50–200 mg 31–47 h 2D6

Trazodon Trazodon-neuraxpharm® u. a. 200–400 mg 5–8 h 3A4

Trimipramin Stangyl® u. a. 100–300 mg 23 h 2C19, 2D6

Wirkstoff unterschiedlich – zur Behandlung von Vergiftungen. Tricyclische Antidepressiva und


Angst-, Zwangs- und Schlafstörungen, Kata- Maprotilin besitzen eine geringe therapeutische
plexie, Enuresis, Pavor nocturnus, hypnagogen Breite. Vergiftungen äußern sich in bedrohli-
Halluzinationen bei Narkolepsie sowie Entzugs- chen kardiovaskulären Symptomen (starkem
syndromen bei Alkohol-, Arzneimittel- oder Blutdruckabfall, Tachykardie, Herzrhythmus-
Drogenabhängigkeit zugelassen. Einige Wirk- störungen) sowie Hyperthermie, Delirien und
stoffe (Amitriptylin, Imipramin u. a.) eignen Krämpfen bis hin zu Herz- und Atemstillstand.
sich ferner zur Therapie neuropathischer Die letale Dosis entspricht etwa dem Dreifachen
Schmerzen (Ⴉ Kap. 12.1.8). der maximalen therapeutischen Dosis.
Nebenwirkungen. Häufig treten anticholinerge
(z. B. Mundtrockenheit, Akkommodationsstö- 10.2.2 Selektive Monoamin-
rungen, Obstipation, Miktionsbeschwerden, Wiederaufnahmehemmer
Schwitzen), zentralnervöse (z. B. Sedierung, Eine Reihe von Wirkstoffen blockiert primär die
Schwindel, Verwirrtheit, Tremor) und kardio- Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin
vaskuläre Nebenwirkungen (z. B. orthostatische und/oder Dopamin. Eine relevante Hemmung
Hypotonie, Tachykardie, Arrhythmie) sowie von Neurotransmitter-Rezeptoren findet dage-
Appetitsteigerung und Gewichtszunahme auf. gen nicht statt.
Kontraindikationen. Eine gleichzeitige Be- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
handlung mit Monoaminoxidase-Hemmern Selektiv die Wiederaufnahme von Serotonin 10
(Gefahr der Auslösung eines Serotoninsyn- hemmende Wirkstoffe (SSRI = selective serotonin
droms), akute Delirien, Alkohol- und Schlafmit- reuptake inhibitors) zählen zu den am häufigsten
telvergiftungen, sowie – wegen der ausgeprägten verordneten Antidepressiva. Zu dieser Gruppe
anticholinergen Wirkungskomponente – Glau- gehören Citalopram (z. B. Cipramil®), dessen S-
kom und Harnentleerungsstörungen stellen Enantiomer Escitalopram (z. B. Cipralex®), Fluo-
wichtige Kontraindikationen dar. xetin (z. B. Fluctin®), Fluvoxamin (z. B. Feva-
rin®), Paroxetin (z. B. Seroxat®), Sertralin (z. B.
Zoloft®) sowie Vortioxetin (Brintellix®).
88 10 Psychopharmaka

႒ Tab. 10.6 Selektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer


INN Handelspräparat Tagesdosis HWZ CYP-Metabolisierung

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Citalopram Cipramil® u. a. 20–40 mg 36 h 2C19

Escitalopram Cipralex® 10–20 mg 27–32 h 2C19

Fluoxetin Fluctin® u. a. 20–40 mg 53 h 2C9/10, 2D6

Fluvoxamin Fevarin® u. a. 100–250 mg 15–22 h 1A2, 2D6

Paroxetin Seroxat® u. a. 20–40 mg 10–21 h 2D6

Sertralin Zoloft® u. a. 50–100 mg 26 h 2B6, 2C19

Vortioxetin Brintellix® 5–20 mg 66 h 2D6, 3A4, 2C9

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Reboxetin Edronax® u. a. 8–12 mg 12–14 h 3A4

Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Duloxetin CYMBALTA® u. a. 30–60 mg 11–16 h 1A2, 2D6

Venlafaxin Trevilor® u. a. 75–225 mg 5–11 h 2D6

Selektive Dopamin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Bupropion Elontril® u. a. 150–300 mg 20–37 h 2D6

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehem- ril®) hemmt die Wiederaufnahme von Norad-


mer. Auch mit Substanzen, die ausschließlich renalin und Dopamin, nicht jedoch die von
die Noradrenalin-Wiederaufnahme hemmen Serotonin.
(selective noradrenaline reuptake inhibitors =
Die antidepressive Wirksamkeit der genannten
SNRI; oft auch als NRI abgekürzt), lässt sich
selektiven Monoamin-Wiederaufnahmehem-
eine antidepressive Wirkung erreichen. Ein sol-
mer ist weitgehend gleich. Sie weisen keine se-
cher selektiver Noradrenalin-Wiederaufnah-
dierende Wirkkomponente auf, sondern wirken
mehemmer ist Reboxetin (z. B. Edronax®).
eher aktivierend. Die Halbwertszeiten und übli-
Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederauf- chen Dosierungen sind in ႒ Tab. 10.6 dargestellt.
nahmehemmer. Zur Gruppe der selektiven Se-
Indikationen. Selektive Monoamin-Wiederauf-
rotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehem-
nahmehemmer sind zur Behandlung akuter de-
mer (selective serotonin/noradrenaline reuptake
pressiver Erkrankungen/Episoden indiziert.
inhibitors = SSNRI; teilweise auch als SNRI ab-
Weiterhin werden sie – je nach Wirkstoff unter-
gekürzt) gehören Venlafaxin (z. B. Trevilor® re-
schiedlich – zur Rezidivprophylaxe depressiver
tard) und Duloxetin (z. B. CYMBALTA®).
Episoden sowie bei Angststörungen, Zwangsstö-
Selektive Dopamin-/Noradrenalin-Wieder- rungen und posttraumatischen Belastungsstö-
aufnahmehemmer. Bupropion (z. B. Elont- rungen verwendet. Duloxetin und Venlafaxin
10.2 Antidepressiva 89

werden darüber hinaus bei neuropathischen ble Monoaminoxidase-A-Blocker Moclobemid


Schmerzen eingesetzt (Ⴉ Kap. 12.1.8), Bupropi- (z. B. Aurorix®) eingesetzt. Die Halbwertszeiten
on bei der Raucherentwöhnung. liegen bei 1–3 Stunden, die mittleren Tagesdo-
sen betragen für Tranylcypromin 20–40 mg, für
Nebenwirkungen. Unter Therapie mit selek-
Moclobemid 300–600 mg.
tiven Monoamin-Wiederaufnahmehemmern
Als häufige Nebenwirkungen sind bei beiden
werden häufig zentralnervöse (z. B. Sedierung,
Substanzen Schlafstörungen, Schwindel, Kopf-
Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel,
schmerzen, Übelkeit und Mundtrockenheit zu
Tremor), anticholinerge (z. B. Mundtrocken-
nennen. Nach Tranylcypromin-Gabe treten au-
heit, Schwitzen) und gastrointestinale Störun-
ßerdem Angstzustände, Agitiertheit, orthostati-
gen (z. B. Übelkeit, Erbrechen) beobachtet. Kar-
sche Dysregulationen und Hypertonie häufig
diovaskuläre Nebenwirkungen und Gewichts-
auf.
zunahmen treten deutlich seltener auf als bei
Nachteilig bei der Anwendung von Tranyl-
tricyclischen Antidepressiva. Die bei vielen Pati-
cypromin ist, dass bei gleichzeitiger Einnahme
enten erwünschte antriebssteigernde Wirkung
von Tyramin-reichen Nahrungsmitteln (z. B.
kann bei suizidgefährdeten Patienten problema-
Käse) eine hypertone Krise auftreten kann, weil
tisch sein.
das sympathomimetisch wirkende Tyramin
Kontraindikationen. Eine gleichzeitige Behand- nicht mehr ausreichend über Monoaminoxida-
lung mit Monoaminoxidase-Hemmern ist we- sen abgebaut wird. Dieses Risiko ist bei Moclo-
gen der Gefahr eines Serotoninsyndroms kon- bemid reduziert, da für den Tyramin-Abbau die
traindiziert. MAO-B noch zur Verfügung steht und zudem
Moclobemid durch höhere Tyramin-Konzen-
10.2.3 Monoaminoxidase-Hemmer trationen vom aktiven Zentrum der MAO-A
Hemmer der Monoaminoxidase (MAO) blo- verdrängt werden kann. Eine spezielle Tyramin-
ckieren den oxidativen Abbau von Monoami- arme Diät muss daher bei einer Therapie mit
nen. Dadurch nimmt die Konzentration von Moclobemid im Gegensatz zur Behandlung mit
Dopamin, Noradrenalin und Serotonin im Zy- Tranylcypromin nicht eingehalten werden.
tosol und in den synaptischen Vesikeln zu, kon- MAO-Hemmer können ferner bei Kombination
sekutiv wird die Menge der freigesetzten Neuro- mit Triptanen oder Serotonin-Wiederaufnah-
transmitter in den synaptischen Spalt gesteigert. mehemmern ein Serotoninsyndrom bzw. bei
MAO-Hemmer zeigen einen innerhalb weniger gleichzeitiger Gabe von indirekten Sympatho-
Tage einsetzenden stark antriebssteigernden mimetika eine hypertensive Krise auslösen. Bei
und psychomotorisch aktivierenden Effekt, die der Kombination mit Tramadol, Dextromethor-
antidepressive Wirkung tritt jedoch – wie auch phan oder Pethidin können lebensbedrohliche
bei anderen Antidepressiva – erst nach wenigen ZNS-Nebenwirkungen auftreten. Eine weitere
Wochen ein. Suizidgefährdete Patienten müssen Kontraindikation ist die gleichzeitige Gabe von
daher zu Beginn der Therapie besonders eng- Linezolid oder Selegilin, die ebenfalls MAO-
maschig überwacht werden. MAO-Hemmer hemmend wirken.
sind zur Therapie depressiver Syndrome insbe- 10
sondere bei Therapieresistenz gegen andere An- 10.2.4 Sonstige Antidepressiva
tidepressiva indiziert. Moclobemid ist darüber Tianeptin. Tianeptin (Tianeurax®) ist ein neu
hinaus zur Therapie einer sozialen Phobie zugelassenes tricyclisches Antidepressivum, das
(Ⴉ Kap. 10.5) zugelassen. im Gegensatz zu den klassischen tricyclischen
Neben dem unselektiven Tranylcypromin Antidepressiva weder die Wiederaufnahme von
(Jatrosom® N), das sowohl die Monoaminoxi- Monoaminen hemmt, noch eine Affinität zu se-
dase A als auch die Monoaminoxidase B irre- rotonergen, muscarinergen, histaminergen oder
versibel hemmt, wird der selektive und reversi- α-adrenergen Neurotransmitter-Rezeptoren be-
90 10 Psychopharmaka

sitzt. Tianeptin soll vielmehr die Wiederauf- chiasmaticus des Hypothalamus lokalisiert sind.
nahme von Serotonin verstärken und das gluta- Dies erklärt seine schlaffördernde und die
materge System modulieren. Es ist jedoch un- Schlafqualität verbessernde Wirkung sowie den
klar, ob dies mit der antidepressiven Wirkung in positiven Einfluss auf den bei Depressiven häu-
Zusammenhang steht. fig gestörten zirkadianen Rhythmus. Daneben
Tianeptin wird unabhängig von Cytochrom sind an der antidepressiven Wirkung vermutlich
P450 in der Leber metabolisiert, die Halbwerts- seine antagonistische Wirkung an 5-HT2-Re-
zeit beträgt 2,5–8 h. Die mittlere Tagesdosis liegt zeptoren (5-HT2B, 5-HT2C) und die Steigerung
bei 37,5 mg. der Freisetzung von Noradrenalin und Dop-
Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen amin im frontalen Cortex beteiligt. Agomelatin
Alpträume, Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit, ist zur Behandlung von Episoden einer Major
Schwindel, Kopfschmerzen, Tremor, Sehstö- Depression bei Erwachsenen zugelassen.
rungen, Herzrasen, Extrasystolen, Hitzewal- Die absolute Bioverfügbarkeit von Agomela-
lungen, Dyspnoe, trockener Mund, Übelkeit, tin ist wegen eines ausgeprägten First-Pass-Ef-
Dyspepsie, Diarrhö, Blähungen, Sodbrennen, fekts gering (im Mittel < 5 %) und weist be-
Myalgie, Anorexie und Asthenie. Bei gleich- trächtliche individuelle Schwankungen auf. Die
zeitiger Anwendung von MAO-Hemmern ist Biotransformation erfolgt hauptsächlich mittels
Tianeptin kontraindiziert. CYP1A2, die Halbwertszeit liegt bei 1–2 Stun-
den. Die Dosierung beträgt 25–50 mg einmal
Mianserin, Mirtazapin. Mianserin (z. B. Mian-
täglich beim Zubettgehen.
serin-neuraxpharm®) und Mirtazapin (z. B. Re-
Als Nebenwirkungen wurden u. a. Kopf-
mergil®) sind tetracyclische Antidepressiva, die
schmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, Migräne,
im Gegensatz zu Maprotilin (s. o.) die Wieder-
gastrointestinale Beschwerden, Leberenzymer-
aufnahme von Monoaminen nicht wesentlich
höhungen, Rückenschmerzen und vermehrtes
beeinflussen. Mianserin blockiert vor allem prä-
Schwitzen beschrieben. Agomelatin ist bei ein-
synaptische α2-Adrenozeptoren und bedingt da-
geschränkter Leberfunktion und bei gleichzeiti-
durch eine verstärkte Noradrenalin- und Sero-
ger Anwendung von starken CYP1A2-Inhibito-
tonin-Freisetzung. Außerdem ist es ein 5-HT2-,
ren (z. B. Fluvoxamin, Ciprofloxacin) kontrain-
5-HT3- und H1-Blocker. Mirtazapin unterschei-
diziert.
det sich von Mianserin durch noch stärkere Blo-
ckade präsynaptischer α2- und 5-HT3-Rezepto- Johanniskraut. Johanniskrautextrakt wird ins-
ren und deutlich schwächere antagonistische besondere in der Selbstmedikation bei leichten
Wirkung an H1-Rezeptoren. bis mittelschweren depressiven Störungen ange-
Die Halbwertszeiten werden bei Mianserin wandt. Mit dem Extrakt sowie mit dem Inhalts-
mit 10–40 h, bei Mirtazapin mit 20–40 h, die stoff Hyperforin wurde in Konzentrationen, die
mittleren Tagesdosen bei Mianserin mit 60– auch in vivo erreicht werden können, an Synap-
120 mg und bei Mirtazapin mit 15–45 mg ange- tosomen eine Wiederaufnahmehemmung ver-
geben. schiedener Neurotransmitter nachgewiesen.
Häufige Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit, Die übliche Dosierung beträgt mindestens
Sedierung, trockener Mund, Gewichtszunahme, 600–900 mg Extrakt/Tag.
verstärkter Appetit, Schwindel und Erschöp- Vorteilhaft ist die im Allgemeinen gute Ver-
fung. Beide Wirkstoffe dürfen nicht mit MAO- träglichkeit. Als Nebenwirkungen kann es zu
Hemmern kombiniert werden. Photosensibilisierung (insbesondere bei hell-
häutigen Patienten), ferner selten zu allergi-
Agomelatin. Agomelatin (VALDOXAN®) ist
schen Hautreaktionen sowie gastrointestinalen
ein Melatonin-Derivat, das als Agonist an den
Beschwerden kommen.
G-Protein-gekoppelten Melatoninrezeptoren
MT1 und MT2 wirkt, die u. a. im Nucleus supra-
10.3 Stimmungsstabilisierer, Phasenprophylaktika 91

Da Johanniskrautextrakt jedoch eine Induk- rapie mit Antidepressiva die Suizidgefahr erhöht
tion von CYP3A4 und P-Glykoprotein bewirkt, sein.
sind zahlreiche klinisch bedeutsame Interaktio- Viele Antidepressiva haben eine vergleichba-
nen zu beachten. So kann bei gleichzeitiger re Wirksamkeit bei unterschiedlichen Neben-
Gabe von Johanniskrautextrakt mit Antikoagu- wirkungen und Interaktionsrisiken. Insgesamt
lanzien vom Dicoumaroltyp (z. B. Phenprocou- sprechen etwa zwei Drittel der mit Antidepressi-
mon), Antidepressiva (Amitriptylin, Nefazo- va behandelten Patienten mit schwerer Depres-
don, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin), Cic- sion auf die Therapie an. Bei wiederum ca. zwei
losporin, Digoxin, Indinavir und anderen Prote- Dritteln aller ansprechenden Patienten setzt die
aseinhibitoren, oralen Kontrazeptiva und antidepressive Wirkung innerhalb der ersten
Theophyllin deren Wirkung abgeschwächt beiden Wochen der Therapie ein. Bei Nichtan-
werden. sprechen sollte spätestens nach drei Wochen
eine Dosiserhöhung oder ein Wechsel auf einen
10.2.5 Anwendungskriterien der anderen Wirkstoff erwogen werden.
Antidepressiva Nach Remission einer depressiven Episode
Bei Vorliegen einer Depression werden je nach sollen Antidepressiva über einen Zeitraum von
klinischer Symptomatik und Patientenpräferenz 4–9 Monaten in der gleichen Dosierung wie in
ein „Watchful Waiting“ (d. h. eine aktiv-abwar- der Akutphase weiter eingenommen werden,
tende Begleitung des Patienten, z. B. bei Erstma- um das Risiko eines Rückfalls zu reduzieren.
nifestation einer leichten Depression), eine me- Am Ende dieser Erhaltungstherapie wird die
dikamentöse, psychotherapeutische oder kom- Dosis schrittweise reduziert, da ein abruptes Ab-
binierte medikamentöse und psychotherapeuti- setzen einer höherdosierten Therapie Ab-
sche Behandlung durchgeführt. Ergänzt werden setzphänomene (z. B. Schwindel, Kopfschmer-
diese Behandlungsstrategien durch weitere zen, Schwitzen, Parästhesien, Angstgefühle)
Maßnahmen wie z. B. Lichttherapie, Elektro- verursachen kann. Bei wiederholt auftretenden
krampftherapie, Schlafentzug oder Sport- und depressiven Episoden mit bedeutsamen Ein-
Bewegungstherapie. schränkungen soll eine Rezidivprophylaxe über
Generell ist bei schweren Depressionen der mindestens 2 Jahre durchgeführt werden.
Stellenwert einer Therapie mit Antidepressiva
deutlich größer als bei leichten bis mittelschwe-
ren Krankheitsbildern. Bei leichten Depressio- 10.3 Stimmungsstabilisierer,
nen waren in einer Reihe von Studien Antide- Phasenprophylaktika
pressiva einem Placebo nicht überlegen. Dem-
entsprechend ist bei leichten Depressionen der Eine Manie, die entweder in Form von bipola-
Nutzen von Antidepressiva fraglich. ren affektiven Störungen oder – seltener – uni-
Ein großes Problem bei der Therapie mit An- polar auftritt, ist durch gehobene Stimmung,
tidepressiva stellt die zeitliche Latenz bis zum gesteigerten Antrieb und Ideenflucht gekenn-
Erreichen einer antidepressiven Wirkung dar: zeichnet, das körperliche Wohlbefinden ist
Während mit einer klinisch relevanten antide- erhöht, die Betroffenen neigen zur Selbstüber- 10
pressiven Wirkung erst nach ca. 1–3 Wochen zu schätzung. Daneben gibt es manische Patienten,
rechnen ist, treten viele Nebenwirkungen bereits die gereizt und aggressiv sind.
zu Therapiebeginn auf. Dadurch ist die Adhä-
renz der Patienten oft gering. Auch kann sich Lithiumsalze. Wie bei anderen Psychopharma-
eine evtl. bestehende Antriebsminderung be- ka ist der Wirkungsmechanismus von Lithium-
reits vor dem Eintritt der antidepressiven Wir- salzen (z. B. Lithiumcarbonat; z. B. Quilonum®
kung bessern. Daher kann zu Beginn einer The- retard) nur teilweise bekannt. Die Permeations-
92 10 Psychopharmaka

hin werden sie zur Therapie manischer Epi-


Neurotransmitter-
Rezeptor soden, zur Behandlung akuter Depressionen
(insbesondere bei Therapieresistenz von Anti-
PIP PIP2 PLC
PI Gq depressiva) sowie bei Cluster-Kopfschmerz
(Bing-Horton-Syndrom) angewendet. Mit dem
Inositol
DAG Wirkungseintritt ist nach ca. 1–2 Wochen zu
IP3 Aktivie-
rechnen, daher werden sie zu Behandlungsbe-
rung von ginn oft mit Antipsychotika oder Benzodiazepi-
IP1 IP2 nen kombiniert.
Protein-
kinase C Die Halbwertszeit liegt im Mittel bei 24 Stun-
Lithium
Mobilisierung von
+
den, unterliegt jedoch starken Schwankungen.
Lithium intrazellulärem Ca2 Die übliche Anfangsdosis beträgt 8–12 mmol/
Tag, die weitere Dosierung richtet sich nach
Ⴜ Abb. 10.3 (Teil-)Wirkungsmechanismus von Li-
thiumionen. PLC Phospholipase C, PI Phosphatidyl- dem gemessenen Plasmaspiegel (Zielwert zur
inositol, PIP Phosphatidylinositolphosphat, PIP2 Phasenprophylaxe: 0,6–1,2 mmol/l).
Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat, IP3 Inosi- Als Nebenwirkungen werden auch bei ex-
toltrisphosphat, IP2 Inositolbisphosphat, IP1 Inosi- akter Einstellung des Lithiumspiegels häufig
tolmonophosphat, DAG Diacylglycerol Polyurie, Polydypsie, feinschlägiger Tremor,
Gewichtszunahme, Hypothyreose, Strumaent-
wicklung und Diarrhö beobachtet. Die thera-
fähigkeit von Lithiumsalzen in die Zellen ent- peutische Breite ist gering: Bei Lithium-Plas-
spricht der von Natriumionen, doch können Li- makonzentrationen > 1,4 mmol/l können u. a.
thiumionen infolge geringerer Affinität zu den Ataxie, anhaltende Durchfälle, dauerhafte Nie-
Ionenpumpen wesentlich schlechter wieder (ak- renschäden, Krampfanfälle und Bewusstsein-
tiv) aus den Zellen heraustransportiert werden seintrübung auftreten.
und reichern sich daher intrazellulär an. Nach- Bei akutem Nierenversagen und akutem
gewiesen ist, dass Lithiumionen vor allem in den Myokardinfarkt sind Lithiumsalze kontraindi-
Phosphatidylinositol-Stoffwechsel (PI-Turn- ziert. Saluretika erhöhen infolge verringerter re-
over) eingreifen (Ⴜ Abb. 10.3). Hierbei blockie- naler Lithium-Clearance die Lithium-Plasma-
ren sie die Inositolpolyphosphat-1-Phosphatase spiegel und damit die Gefahr einer Lithiuminto-
sowie die Inositolmonophosphat-Phosphatase xikation. Auch NSAIDs sowie ACE-Hemmer
und damit insbesondere die Abspaltung des erniedrigen die Lithium-Ausscheidung.
letzten Phosphatrestes von Inositol. Als Folge
Antipsychotika. Verschiedene Antipsychotika
steht nicht mehr genügend Inositol zur Bildung
sind zur Therapie und/oder Rezidivprophylaxe
des Membranphospholipids Phosphatidyl-
manischer Episoden zugelassen. In klinischen
inositol-4,5-bisphosphat (PIP2) zur Verfügung.
Studien waren einige Wirkstoffe (v. a. Olanz-
Über den PI-Turnover vermittelte Neurotrans-
apin, Quetiapin, Risperidon und Haloperidol)
mitterwirkungen werden somit nichtkompetitiv
in der Therapie akuter manischer Episoden bes-
abgeschwächt. Weitere bekannte Targets von Li-
ser wirksam als Lithiumsalze. Von Vorteil ist der
thiumionen sind Fructose 1,6-Bisphosphatase,
rasche Wirkungseintritt und, falls erforderlich,
Bisphosphatnucleotidase sowie Glykogensyn-
die Möglichkeit einer parenteralen Applikation.
thase-Kinase 3, die zahlreiche intrazelluläre Sig-
nalwege moduliert. Antikonvulsiva. Bei nicht ausreichendem An-
Lithiumsalze gelten als Mittel der ersten Wahl sprechen oder Unverträglichkeit von Lithium-
zur Rezidivprophylaxe bipolarer Störungen. Ei- salzen kann als nachrangige Alternative eine
nige Studien deuten auf einen suizidalitätsredu- Rezidivprophylaxe mit Antikonvulsiva (z. B. La-
zierenden Effekt von Lithiumsalzen hin. Weiter- motrigin, Carbamazepin oder Valproinsäure,
10.4 Pharmaka zur Behandlung von Angststörungen (Anxiolytika) 93

Ⴉ Kap. 16.2.1) erwogen werden. Der genaue psychotika (z. B. Melperon) und Pregabalin
Wirkungsmechanismus bei dieser Indikation ist (Ⴉ Kap. 16.2.2) eine anxiolytische Wirkkompo-
nicht geklärt, auch fehlen überzeugende Wirk- nente.
samkeitsnachweise.
Benzodiazepine. Mit Benzodiazepinen (Ⴉ Kap.
11.3.1) kann eine schnell einsetzende anxiolyti-
sche Wirkung erzielt werden. Aufgrund der bei
10.4 Pharmaka zur Behandlung von
längerfristiger Anwendung auftretenden Ne-
Angststörungen (Anxiolytika)
benwirkungen (Abhängigkeitsentwicklung u. a.)
werden Benzodiazepine bei Angststörungen
Angststörungen treten mit einer Jahrespräva-
heute seltener als früher und vielfach zeitlich be-
lenz von ca. 10–15 % in der Allgemeinbevölke-
grenzt angewendet. Sie kommen insbesondere
rung auf, wobei Frauen doppelt so häufig er-
bei Kontraindikationen für Standardmedika-
kranken wie Männer. Je nach Ausprägung wer-
mente (s. u.) oder bei gleichzeitig vorliegender
den verschiedene Formen unterschieden. Zu
Suizidalität zum Einsatz. Weiterhin wird ihre
den häufigsten Angststörungen zählen
anxiolytische Wirkung bei der Prämedikation
󠀂 Panikstörung: Plötzlich auftretende, schwere vor Operationen ausgenutzt.
Angstattacken (Panik) mit den körperlichen
Antidepressiva. Als Mittel der ersten Wahl zur
Ausdrucksformen der Angst (z. B. Herz-
Pharmakotherapie von Panikstörungen, Agora-
rasen, Schwitzen, Zittern, Erstickungsgefühl,
phobien, generalisierten Angststörungen und
Schwindel).
sozialen Phobien werden heute Antidepressiva
󠀂 Agoraphobie: Angst vor bestimmten Orten
(Ⴉ Kap. 10.2) verwendet. In klinischen Studien
oder Situationen, z. B. Menschenmengen, en-
waren insbesondere selektive Monoamin-Wie-
gen Räumen, öffentlichen Verkehrsmitteln.
deraufnahmehemmer, wie z. B. Escitalopram,
󠀂 Generalisierte Angststörung: Anhaltende,
Duloxetin, Paroxetin, Sertralin oder Venlafaxin,
generalisierte Angst, die nicht auf bestimmte
wirksam. Wie bei der Therapie der Depression
Umgebungsbedingungen oder Situationen
tritt die erwünschte angstlösende Wirkung erst
beschränkt ist und mit den körperlichen Aus-
mit einer Latenz von ca. 1–3 Wochen ein, wäh-
drucksformen der Angst (s. o.) sowie Kon-
rend mit Nebenwirkungen bereits zu Therapie-
zentrationsstörungen, Nervosität und ande-
beginn zu rechnen ist.
ren psychischen Symptomen verbunden ist.
󠀂 Soziale Phobie: Angst vor Situationen, in de- Buspiron. Buspiron (Anxut®) besitzt eine parti-
nen der Patient im Mittelpunkt der Aufmerk- alagonistische Wirkung an 5-HT1A-Autorezep-
samkeit steht und durch andere Menschen toren und hemmt damit die Freisetzung von Se-
prüfend betrachtet wird (z. B. bei Vorträgen, rotonin. Außerdem wurde eine Blockade von
vor dem Vorgesetzten, bei Kontakten mit D2-Rezeptoren nachgewiesen. Es ist indiziert
dem anderen Geschlecht). bei Patienten mit einer generalisierten Angststö-
󠀂 Spezifische (isolierte) Phobie: Angst vor ein- rung, wenn Antidepressiva oder Pregabalin un-
zelnen, umschriebenen Situationen (z. B. wirksam sind oder nicht vertragen werden. Mit
Katzenphobie, Höhenangst). einem Wirkungseintritt ist nach ca. 1–3 Wochen 10
zu rechnen.
Anxiolytika haben Angst-lösende, beruhigende
Buspiron wird in der Leber insbesondere
und emotional entspannende Wirkungen. Sie
durch CYP3A4 metabolisiert. Die Halbwertszeit
werden vielfach auch als Tranquilizer bezeich-
beträgt 2,5 Stunden, die mittlere Tagesdosis liegt
net. Zu ihnen gehören die Benzodiazepine,
bei 15–60 mg.
Antidepressiva, Buspiron, Opipramol sowie
Hydroxyzin (Ⴉ Kap. 22.1.1). Darüber hinaus Als häufige Nebenwirkungen wurden u. a.
haben schwachpotente, niedrig dosierte Anti- Alpträume, Verwirrtheit, Schläfrigkeit, Tinni-
94 10 Psychopharmaka

tus, Sehstörungen, Muskelschmerzen, Parästhe- 10.5.1 Pharmaka zur Therapie von


sien, Koordinationsstörungen, Tremor und ADHS
Schwitzen beschrieben. Bei schweren Leber- Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-
und Nierenfunktionsstörungen, akutem Eng- Syndrom (ADHS) ist eine der häufigsten psychi-
winkelglaukom und Myasthenia gravis ist Bu- schen Störungen mit einer Prävalenz von ca. 5 %
spiron kontraindiziert. bei Kindern und 2,5 % bei Erwachsenen. Es ist
durch Störungen der Aufmerksamkeit und Kon-
Opipramol. Opipramol (z. B. Opipramol-ratio-
zentrationsfähigkeit, motorische Unruhe (v. a.
pharm®), das strukturverwandt mit tricycli-
Unfähigkeit, still zu sitzen) sowie Impulsivität
schen Antidepressiva ist, wirkt antagonistisch
(z. B. mit abrupten Aktionen, die nicht in den
an H1-, D2-, 5-HT2A- und α1-Rezeptoren und
sozialen Kontext passen) gekennzeichnet. Jun-
besitzt eine hohe Affinität zu Sigma-Rezeptoren.
gen sind achtmal häufiger betroffen als Mäd-
Durch den Angriff an Sigma-Rezeptoren kann
chen.
es die Funktion von NMDA-Rezeptoren und
den Dopamin-Stoffwechsel beeinflussen, jedoch Amphetamine und verwandte Substanzen. Ra-
ist die Bedeutung dieses Effekts für die antide- cemisches Amphetamin, dessen rechtsdrehen-
pressive Wirkung bisher nicht geklärt. Im Ge- des Enantiomer Dexamfetamin sowie Metham-
gensatz zu den klassischen tricyclischen Antide- phetamin und Methylphenidat leiten sich von
pressiva hemmt Opipramol nicht die Wieder- den Catecholaminen bzw. von Ephedrin ab. Als
aufnahme von Monoaminen. Indiziert ist es bei lipophile Verbindungen können sie die Blut-
generalisierten Angst- und somatoformen Stö- Hirn-Schranke gut überwinden. Ihre Wirkung
rungen. beruht auf einer Blockade der präsynaptischen
Die Halbwertszeit liegt bei 6–9 Stunden. Die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dop-
Metabolisierung erfolgt über CYP2D6, weshalb amin sowie deren vermehrten Freisetzung in
bei Patienten mit CYP2D6-Mangel („poor me- den synaptischen Spalt. Sie sind somit indirekt
tabolizer“) höhere Opipramol-Plasmaspiegel wirkende Sympathomimetika. Neben der zen-
auftreten können. Die mittlere Tagesdosis be- tralerregenden Wirkung besitzen diese Sub-
trägt 100–300 mg. stanzen auch periphere sympathomimetische
Häufige Nebenwirkungen sind – besonders Wirkungen.
zu Behandlungsbeginn – Müdigkeit, Mundtro-
Methylphenidat (z. B. Ritalin®) gilt bei ADHS
ckenheit, verstopfte Nase, Hypotonie und ortho-
als ein Mittel der ersten Wahl, dessen Wirkung
statische Dysregulation. Zu den Kontraindikati-
meist rasch eintritt. Die Anwendung sollte je-
onen zählen die gleichzeitige Anwendung von
doch nur im Rahmen einer therapeutischen Ge-
MAO-Hemmern, akute Alkoholintoxikationen,
samtstrategie erfolgen, wenn sich andere thera-
Delirien, akuter Harnverhalt, Prostatahyperpla-
peutische Maßnahmen allein als unzureichend
sie und Engwinkelglaukom.
erwiesen haben.
Die Halbwertszeit von Methylphenidat be-
trägt ca. 2 h. Die Behandlung sollte bei Kindern
10.5 Psychostimulanzien ab 6 Jahren mit 5–10 mg/Tag begonnen werden,
die maximale Tagesdosis beträgt 60 mg/Tag.
Psychostimulanzien (Psychotonika, Psychoana- Als Nebenwirkungen treten häufig zen-
leptika) steigern die psychische Aktivität. Sie tralnervöse Störungen (u. a. Kopfschmerzen,
sollen die Konzentrations- und Leistungsfähig- Schwindel, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Appe-
keit erhöhen und das Gefühl von Müdigkeit be- titlosigkeit, Angst), kardiovaskuläre Störungen
seitigen. (Tachykardie, Palpitationen, Arrhythmien, Hy-
pertonie), gastrointestinale Störungen (Magen-
10.5 Psychostimulanzien 95

beschwerden, Übelkeit, Diarrhö, Appetitverlust) keit, Stimmungsschwankungen, Miktionsstö-


sowie Alopezie, Pruritus, Rash, Urtikaria und rungen, Dermatitis u. a. beschrieben.
Arthralgien auf. Bei Engwinkelglaukom ist Atomoxetin kon-
Zu den Kontraindikationen zählen vorbeste- traindiziert. Auch darf es nicht gleichzeitig mit
hende Herz-Kreislauferkrankungen, zerebro- einem MAO-Hemmer angewandt werden.
vaskuläre Erkankungen, Schizophrenie, affekti- CYP2D6-Inhibitoren können die Plasmakon-
ve Störungen, Hyperthyreose, Glaukom, Phäo- zentrationen von Atomoxetin erhöhen. Bei
chromozytom und eine gleichzeitige Therapie gleichzeitiger Gabe von Atomoxetin mit Wirk-
mit MAO-Hemmern. stoffen, welche die Noradrenalinkonzentration
beeinflussen (z. B. Antidepressiva), sind syner-
Dexamfetamin (Attentin®) ist ebenfalls bei
gistische Effekte möglich.
ADHS indiziert, allerdings nur dann, wenn an-
dere medikamentöse und nicht-medikamentöse
10.5.2 Pharmaka zur Therapie der
Maßnahmen nicht ausreichend wirksam sind.
Narkolepsie
Dasselbe gilt für Lisdexamfetamin (Elvanse®),
Die zu den Hypersomnien (Ⴉ Kap. 11.2) gehö-
ein Prodrug, das nach der Resorption rasch zu
rende Narkolepsie ist durch erhöhte Tagesmü-
Dexamfetamin hydrolysiert wird.
digkeit mit Schlafattacken (unwiderstehlichem
Werden Amphetamine nicht therapeutisch,
Drang, am Tag zu schlafen) und Kataplexie (teil-
sondern missbräuchlich in der Drogenszene
weisem oder komplettem Tonusverlust der Ske-
(z. B. Met(h)amfetamin als sog. Crystal Meth)
lettmuskulatur) gekennzeichnet. Als weitere
oder als Dopingmittel verwendet, besitzen sie
Symptome können Schlaflähmungen (Gefühl
ein hohes Abhängigkeitspotenzial und sind ge-
der Bewegungsunfähigkeit beim Einschlafen
fährlich. Daher unterliegen sie der Betäubungs-
und Aufwachen) und Halluzinationen vorkom-
mittel-Verschreibungsverordnung.
men. Die Attacken treten mehrmals pro Tag auf,
Atomoxetin. Ein weiterer Wirkstoff zur ADHS- dauern wenige Minuten bis über eine Stunde
Therapie ist Atomoxetin (STRATTERA®), das und sind meist von erfrischtem Erwachen ge-
den präsynaptischen Noradrenalin-Transporter folgt. Trotz der Tagesmüdigkeit haben viele Nar-
blockiert. Im Gegensatz zu Methylphenidat kolepsie-Patienten nächtliche Schlafstörungen.
stellt sich bei Atomoxetin ein erster Effekt erst Die Prävalenz beträgt ca. 0,05 %.
im Laufe einer Woche ein. Bis zur vollen Wirk-
Modafinil. Modafinil (Vigil®) ist ein Psychosti-
samkeit können 4–6 Wochen vergehen.
mulans, das zur Therapie der Tagesschläfrigkeit
Atomoxetin wird vor allem durch CYP2D6 in
bei Narkolepsie angewandt wird und bei 70–
den Hauptmetaboliten 4-Hydroxy-Atomoxetin
80 % der Patienten wirksam ist. Der genaue Wir-
biotransformiert, der gleich stark wirkt wie die
kungsmechanismus ist nicht bekannt. Zumin-
Muttersubstanz. Die mittlere Halbwertszeit be-
dest ein Teil der Wirkung beruht auf einer durch
trägt ca. 3,5 Stunden bei schnellen und 21 Stun-
α1-Adrenozeptoren vermittelten zentralen Akti-
den bei langsamen Metabolisierern.
vierung.
Die Therapie wird bei Kindern und Jugendli-
Die Halbwertszeit liegt bei 10–13 Stunden.
chen bis zu 70 kg mit einer Gesamttagesdosis 10
Die Dosierung beträgt 200–400 mg morgens.
von 0,5 mg/kg, bei über 70 kg Körpergewicht
Häufigste Nebenwirkungen sind Kopf-
mit 40 mg begonnen und für mindestens 7 Tage
schmerzen, innere Unruhe und Übelkeit. Bei
beibehalten. Danach kann eine Auftitration ent-
Behandlung mit α1-Blockern sowie Abhängig-
sprechend Wirksamkeit und Verträglichkeit er-
keit in der Anamnese ist Modafinil kontraindi-
folgen.
ziert.
Als Nebenwirkungen wurden Mundtrocken-
heit, Übelkeit und Erbrechen, gastrointestinale Methylphenidat. Zur Therapie der Tagesschläf-
Störungen, verminderter Appetit, Schlaflosig- rigkeit bei Narkolepsie ist ferner Methylpheni-
96 10 Psychopharmaka

dat (s. o.) geeignet, jedoch ist die Anwendung im In den üblichen Dosen von 50–200 mg wer-
Vergleich zu Modafinil häufiger mit Nebenwir- den durch Blockade von G-Protein-gekoppelten
kungen verbunden. Adenosin-Rezeptoren (v. a. Subtyp A2A und A1)
Ermüdungserscheinungen aufgehoben und
Natriumoxybat. Natriumoxybat (Xyrem®), das
geistige Leistungen gesteigert. Ausgeruhte, hell-
Natriumsalz des Neurotransmitters Gammahyd-
wache Personen können dagegen ihre Leis-
roxybuttersäure (GHB), ist zugelassen zur The-
tungsfähigkeit durch Einnahme von Coffein
rapie aller bei Narkolepsie auftretenden Kern-
kaum verbessern.
symptome (Tagesschläfrigkeit, Kataplexie,
Auch bei täglicher Coffein-Zufuhr über viele
Schlaflähmungen, Halluzinationen und nächtli-
Jahre treten offenbar keine bleibenden organi-
chen Schlafstörungen). Der genaue Wirkungs-
schen Schädigungen auf. In Tierversuchen wa-
mechanismus ist unbekannt. Gesichert ist, dass
ren jedoch sehr hohe Dosen teratogen. Bei Ein-
Natriumoxybat als Partialagonist an GABAA-
nahme hoher Coffein-Dosen in der Schwanger-
Rezeptoren wirkt und die Signaltransduktion ei-
schaft besteht v. a. ein erhöhtes Risiko eines ver-
ner Reihe anderer Neurotransmitter beeinflusst.
ringerten Geburtsgewichts.
Die Anfangsdosis beträgt jeweils 2,25–4,5 g
beim Zubettgehen sowie 2,5–4 Stunden danach.
Während die Wirkung auf den Nachtschlaf
10.6 Pharmaka zur Behandlung von
meist sofort einsetzt, bessern sich Tagesmüdig-
Demenzen („Antidementiva“)
keit und Kataplexie erst nach einigen Wochen.
Als häufigste Nebenwirkungen kommen
Als Demenzerkrankungen werden Krankheits-
Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen vor.
bilder bezeichnet, die durch den Abbau und
Bei Patienten, die mit Opioiden oder Barbitura-
Verlust kognitiver Funktionen und Alltagskom-
ten behandelt werden, ist Natriumoxybat kon-
petenzen definiert sind. Charakteristisch ist eine
traindiziert. Alkohol sowie sedierende Pharma-
progrediente Beeinträchtigung der Kommuni-
ka, z. B. Benzodiazepine, verstärken die Wir-
kationsfähigkeit, der Orientierung (zeitlich und
kung von Natriumoxybat. Eine gleichzeitige
örtlich), der autobiografischen Identität und
Einnahme sollte daher vermieden werden.
einzelner Persönlichkeitsmerkmale. In Spät-
Gammahydroxybuttersäure wird außer als
stadien tritt oft völlige Hilflosigkeit und Abhän-
Therapeutikum illegal als sog. Liquid Ecstasy
gigkeit von der Umwelt auf. Ferner ist das Mor-
angewendet. Hierbei ist bei niedriger Dosierung
biditätsrisiko für andere Krankheiten bei De-
(bis ca. 1,5 g) v. a. die stimulierende und aufput-
menzkranken erhöht und die Lebenserwartung
schende Wirkung, bei hohen Dosen (von meh-
verkürzt. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt die Prä-
reren Gramm) der schlafinduzierende Effekt
valenz von Demenzerkrankungen stark zu. Bei
(u. a. in Form sog. K.-o.-Tropfen) von Bedeu-
65-Jährigen sind etwa 2 %, bei 90-Jährigen 25–
tung. Demensprechend unterliegt Natriumoxy-
35 % von einer Demenz betroffen.
bat der Betäubungsmittel-Verschreibungsver-
Zu den häufigen Formen der Demenz zählen
ordnung.
die Demenz bei Alzheimer-Krankheit (ca. 50–
70 % der Fälle), die vaskuläre Demenz als Folge
10.5.3 Coffein von vaskulär bedingten Schädigungen des Ge-
Das Xanthin-Derivat Coffein ist – als Getränk hirns (ca. 15–25 % der Fälle) sowie Mischfor-
(z. B. Kaffee, Cola) konsumiert – die weltweit am men beider Typen. Deutlich seltener treten De-
häufigsten verwendete zentralerregende Sub- menzen bei anderen neurodegenerativen
stanz. Coffein ist auch in einigen Analgetika- Krankheiten (z. B. bei M. Parkinson oder fronto-
Kombinationspräparaten enthalten, wobei de- temporalen Demenzformen) oder internisti-
ren Nutzen kontrovers diskutiert wird (Ⴉ Kap. schen Erkrankungen auf.
8.2).
10.6 Pharmaka zur Behandlung von Demenzen („Antidementiva“) 97

Die Alzheimer-Krankheit (Morbus Alzhei- Donepezil (z. B. Aricept®) ist ein spezifischer
mer) ist eine progressive neurodegenerative Er- und reversibler Inhibitor der Acetylcholinester-
krankung, die mit einem irreversiblen Verlust ase und hat nur eine geringe Affinität zur Buty-
von Neuronen einhergeht. Bei der Obduktion rylcholinesterase, die v. a. außerhalb des ZNS
verstorbener Alzheimer-Patienten fällt eine all- lokalisiert ist.
gemeine Hirnatrophie auf. Histologisch werden Galantamin (z. B. Reminyl®) ist ein in Mai-
extrazelluläre Plaques und Fibrillen gefunden, glöckchen vorkommender, heute synthetisch
die aus speziellen aggregierten Amyloiden, den hergestellter Naturstoff, der außer einem Acetyl-
β-Amyloid-Proteinen (Aβ), bestehen, sowie cholinesterase-hemmenden Effekt präsynapti-
intrazelluläre Faserbündel (Neurofibrillen- sche Nicotinrezeptoren stimuliert und dadurch
bündel), die hyperphosphorylierte Neurofila- die Acetylcholinfreisetzung erhöht. Ferner stei-
mentproteine (Tau-Proteine) enthalten. Die gert Galantamin allosterisch die Acetylcholin-
Amyloid-Kaskaden-Hypothese geht davon aus, wirkung am postsynaptischen Nicotinrezeptor.
dass die Aggregation von β-Amyloid-Proteinen Rivastigmin (z. B. Exelon®) blockiert neben
eine Hyperphosphorylierung von Tau-Protei- der Acetylcholinesterase auch die Butyrylcho-
nen bewirkt, die schließlich in der Bildung von linesterase.
Neurofibrillenbündeln, Verlust von Synapsen Allerdings ist die klinische Bedeutung der zu-
und neuronalem Zelltod mündet. Der Nerven- sätzlichen Wirkungen der beiden letztgenann-
zelluntergang betrifft insbesondere cholinerge ten Wirkstoffe umstritten.
Neurone (vor allem im Nucleus basalis Die Halbwertszeit wird von Donepezil mit
Meynert, von dem etwa 90 % der cholinergen etwa 70, die von Galantamin mit 6 und die von
Bahnen zum Neocortex ausgehen). Daneben Rivastigmin mit ca. 1 Stunde angegeben. Die
findet ein Untergang von Neuronen an anderen orale Dosierung von Donepezil beträgt 2,5–
Stellen im Gehirn, z. B im medialen Temporal- 10 mg/Tag, die von Galantamin 8–24 mg/Tag
lappen, statt. und die von Rivastigmin 1,5–12 mg/Tag. Riva-
Vaskuläre Demenzen entstehen meist im stigmin ist auch in Form eines transdermalen
Rahmen arteriosklerotischer Veränderungen Pflasters verfügbar, das eine gleichmäßige Frei-
der Hirngefäße durch zahlreiche, sich in ihren setzung des Wirkstoffs über einen Zeitraum
Auswirkungen verstärkende kleinere Hirnin- über 24 Stunden ermöglicht, was im klinischen
farkte (Multiinfarktdemenz). Alltag zu einer besseren Verträglichkeit gegen-
über der oralen Einnahme führen kann.
10.6.1 Zentral wirksame Als Nebenwirkungen werden häufig Schwin-
Cholinesterasehemmer del, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit,
Da bei der Alzheimer-Krankheit die cholinerge Diarrhö sowie – bei transdermaler Anwendung
Erregungsübertragung beeinträchtigt ist, bildet von Rivastigmin – lokale Hautirritationen beob-
die Verstärkung der cholinergen Neurotrans- achtet. Vor Anwendung der Cholinesterasehem-
mission durch zentral wirksame Cholinesterase- mer ist zum Ausschluss bradykarder Herzrhyth-
hemmer einen Therapieansatz. Aus dieser Arz- musstörungen ein EKG erforderlich.
neistoffgruppe sind Donepezil, Galantamin und Bei gleichzeitiger Gabe mit Parasympathomi- 10
Rivastigmin zur Behandlung der leichten bis metika tritt eine Wirkungsverstärkung, mit An-
mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen. ticholinergika eine Wirkungsabschwächung auf.
In klinischen Studien wurde eine Besserung ko- Mit pharmakokinetischen Interaktionen ist bei
gnitiver Funktionen und der Alltagsaktivität Donepezil durch CYP3A4-Substrate, z. B. Chi-
nachgewiesen, insgesamt ist jedoch die klinische nidin, Makrolide oder oral applizierte Azol-An-
Effektivität der Cholinesterasehemmer be- timykotika, zu rechnen, die den Donepezil-Plas-
grenzt. maspiegel erhöhen.
98 10 Psychopharmaka

10.6.2 NMDA-Antagonisten vonglykoside (u. a. Isorhamnetin, Kämpferol,


Memantin (z. B. Axura®) ist ein nicht-kompeti- Quercetin) und Terpenlactone (Ginkgolide A, B
tiver Antagonist an NMDA-Rezeptoren, der und C, Bilobalid) angesehen. Die meisten der
zur Behandlung der moderaten bis schweren verschiedenen Handelspräparate (z. B. Tebo-
Alzheimer-Demenz zugelassen ist. Eine (gerin- nin®) sind auf 8,8–10 mg Flavonglykoside und
ge) Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten 2–2,8 mg Terpenlactone (oder auf das Zwei-
und der Aktivitäten des täglichen Lebens wäh- bzw. Dreifache davon) pro Einzeldosis standar-
rend maximal eines Jahres ist durch Studien disiert.
belegt. In klinischen Studien mit Ginkgo biloba-Prä-
Die Halbwertszeit von Memantin beträgt 60– paraten war die Nebenwirkungsrate gegenüber
80 Stunden, die Dosis 5–20 mg/Tag. Placebo nicht erhöht, doch konnte auch die kli-
Als Nebenwirkungen können häufig Schwin- nische Wirksamkeit bei Demenzen nicht voll
del, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Obstipation überzeugend belegt werden. In einer neuen Leit-
und eine Blutdrucksteigerung auftreten. Bei linie werden allerdings Ginko-biloba-Präparate
schweren Verwirrtheitszuständen, Epilepsie zur Therapie leichter bis mittelschweren De-
und schweren Nierenfunktionsstörungen ist menzen positiv bewertet.
Memantin kontraindiziert. Bei gleichzeitiger
Einnahme mit Memantin wird die Wirkung von 10.6.5 Radikalfänger
Antipsychotika, Anticholinergika, Levodopa, Eine der möglichen Ursachen für eine Schädi-
dopaminergen Agonisten und Amantadin ver- gung von Hirnzellen ist die Bildung freier Radi-
stärkt. kale. Es wurde daher angenommen, dass sich
eine neuroprotektive Wirkung mit Substanzen
10.6.3 Nootropika erreichen lässt, die entweder die Entstehung von
Als Nootropika (Neurotropika) werden Sub- Radikalen verhindern oder diese unschädlich
stanzen bezeichnet, die ohne wesentliche zentral machen. Doch konnte der Nachweis eines klini-
stimulierende Effekte verschiedene Hirnleistun- schen Nutzens durch die Gabe solcher Radikal-
gen (Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Auf- fänger (z. B. der Vitamine A, C und E) bisher
merksamkeit u. a.) verbessern sollen. Zu den nicht erbracht werden. Darüber hinaus wurden
Nootropika, die chemisch sehr unterschiedli- in neueren Studien bei Langzeitanwendung von
chen Stoffklassen angehören, zählen Nicergolin Vitamin E vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse
(z. B. Ergobel®), Piracetam (z. B. Nootrop®) und sowie eine allgemein erhöhte Sterblichkeit beob-
Pyritinol (Encephabol®). achtet. Vitamin E sollte daher nicht mehr zur
Obwohl sowohl in Tierversuchen als auch in Therapie einer Demenz eingesetzt werden.
Humanstudien eine Reihe von günstigen Wir-
kungen auf den Hirnstoffwechsel oder bestimm-
te Hirnfunktionen nachgewiesen werden konn- 10.7 Cannabis
te, ist die Wirksamkeit bei Demenz oder kogni-
tiven Störungen weiterhin sehr umstritten. Aus- Aus Cannabis sativa var. indica, dem indischen
sagekräftige klinische Studien an klar definierten Hanf, werden Marihuana und Haschisch ge-
Patientengruppen fehlen weitgehend. wonnen. Marihuana besteht aus den getrockne-
ten Blütenblättern und Zweigspitzen, Haschisch
10.6.4 Ginkgo biloba ist das getrocknete Blütenharz. 1 g Marihuana
Trockenextrakte aus Blättern des Ginkgobaums entspricht in seiner Wirksamkeit etwa 200 mg
(Fächer-, Tempelbaums) gehören zu den vor al- Haschisch. Der darin enthaltene Hauptwirkstoff
lem in der Selbstmedikation sehr häufig ver- ist Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC).
wendeten Pharmaka zur Behandlung einer De- Tetrahydrocannabinol und Analoga binden
menz. Als wesentliche Inhaltsstoffe werden Fla- an zwei Cannabinoid-Rezeptoren (CB1- und
10.7 Cannabis 99

CB2-Rezeptoren), die zur Gruppe der G-Prote- verbunden mit Wahnvorstellungen. Als körper-
in-gekoppelten Rezeptoren gehören und über liche Symptome nach häufigem Cannabisrau-
inhibitorische G-Proteine an Adenylylcyclase chen wurden Konjunktivitis, Bronchitis, asth-
gekoppelt sind. Als endogene Liganden wurden moide Beschwerden, Ataxie und Tremor beob-
Arachidonylethanolamid (Anandamid) und achtet. Bei chronischem Abusus besteht die Ge-
Arachidonylglycerol nachgewiesen. fahr des Persönlichkeitsverfalls. Ein weiteres
Marihuana und Haschisch werden meist ge- Problem besteht darin, dass Cannabis als „Ein-
raucht, seltener in Form von Getränken einge- stiegsdroge“ dienen kann, von der, sofern seine
nommen. Die Wirkung ist stark von der äußeren Wirkung nicht mehr befriedigt, auf stärkere
Umgebung (Gruppeneinflüssen), der Persön- Substanzen „umgestiegen“ wird.
lichkeitsstruktur, der Applikationsart und der Die therapeutische Verwendung von Canna-
Dosis abhängig. Nach einem Gefühl der Erre- bis bzw. dem THC-Derivat Dronabinol in der
gung oder Spannung folgt meist ein Zustand Schmerztherapie wird in Ⴉ Kap. 12.1.6 bespro-
scheinbar gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit, chen.

10
100 11 Hypnotika

11 Hypnotika

11.1 Physiologische Grundlagen erforderlich ist, um eine Erholung zu gewähr-


leisten, ist jedoch individuell verschieden. Im
Schlaf und Schlafphasen. Schlaf ist ein lebens- Allgemeinen nimmt die Dauer des Non-REM-
notwendiger, aktiver Prozess, bei dem in fast al- und des REM-Schlafes mit zunehmendem Le-
len Organen Regenerations- und Aufbauvor- bensalter ab. Auch das Schlafverhalten ändert
gänge ablaufen. Der Schlafende ist äußeren Rei- sich mit dem Alter: Mit zunehmendem Alter
zen gegenüber unempfindlicher, außerdem ist kommt es während der Schlafperiode zu häufi-
das Bewusstsein aufgehoben. Im Gegensatz zur gerem Erwachen, die Zahl der Tiefschlafstadi-
Narkose bleiben im Schlaf jedoch Schutzreflexe en und der REM-Phasen ist reduziert (Ⴜ Abb.
(z. B. Hustenreflex) erhalten. 11.1).
Während des Schlafes treten abwechselnd
Neuronale Grundlagen der Schlaf-Wach-Zu-
Phasen des sog. Non-REM-Schlafs und des
stände. Eine zentrale Stelle in der Kontrolle der
REM-Schlafs auf (Ⴜ Abb. 11.1). Der Non-REM-
Schlaf-Wach-Periodik nehmen Neurone im
Schlaf lässt sich weiter in verschiedene Schlaf-
ventrolateralen präoptischen Nucleus (VLPO)
stadien einteilen: in ein Einschlafstadium (Sta-
des Hypothalamus ein. Die VLPO-Neurone
dium I), ein Leichtschlafstadium (Stadium II)
sind hauptsächlich während des Schlafens aktiv
und zwei Tiefschlafstadien (Stadium III und
und enthalten die inhibitorischen Transmitter
IV). Dieser wellenförmig ablaufende Non-
GABA und Galanin. Sie projizieren u. a. zu mo-
REM-Schlaf wird von Schlafphasen unterbro-
noaminergen Neuronen in den Raphé-Kernen
chen, in denen Salven schneller Augenbewegun-
und im Locus Coeruleus, die für die REM-
gen auftreten und die daher als REM-Phasen
Schlafphasen wichtig sind, sowie zu histaminer-
(Rapid Eye Movements) bezeichnet werden. Der
gen Neuronen im hypothalamischen Nucleus
REM-Schlaf ist einerseits durch starke elektri-
tuberomammilaris, die an den Non-REM-
sche Aktivität charakterisiert, während anderer-
Schlafphasen beteiligt sind. Weiterhin projizie-
seits sonstige Parameter dem Tiefschlaf (mini-
ren VLPO-Neurone zu cholinergen Neuronen
maler Muskeltonus, hohe Weckschwelle) ent-
der Brücke sowie zu Neuronen im lateralen Hy-
sprechen. Insbesondere die REM-Phasen, die im
pothalamus, die das erst seit wenigen Jahren be-
Laufe der Nacht von ca. 5 auf 20–30 min zuneh-
kannte Neuropeptid Orexin enthalten und
men, sind die Zeiten, in denen geträumt wird.
hauptsächlich während Wachperioden und mo-
Insgesamt ist für die Erholsamkeit des Schla-
torischer Aktivität aktiv sind.
fes ein normaler Ablauf der verschiedenen
Schlafphasen wichtig. Die Menge an Schlaf, die
11.3 Pharmaka zur Therapie von Schlafstörungen 101

zien behandelt (Ⴉ Kap. 10.5), beim Restless-


Junge Erwachsene
Legs-Syndrom gelten l-Dopa und Dopamin-
Er- agonisten als Mittel der ersten Wahl (Ⴉ Kap.
wachen
REM 17.2), während schlafbezogene Atmungsstörun-
gen durch Anlegen einer nasalen CPAP (Conti-
Schlafphasen

1
2
nuous Positive Airway Pressure)-Maske thera-
3
piert werden können.
Insomnien treten mit einer Prävalenz von ca.
4
10–15 % auf. Sie entstehen entweder primär als
1 2 3 4 5 6 7 eigenständige Erkrankung oder sekundär z. B.
bei Schmerzen oder psychischen Erkrankungen.
Infolge einer Insomnie können zahlreiche Sym-
Alte Menschen ptome auftreten, die den Patienten in der Bewäl-
Er-
wachen tigung des Alltags einschränken. Hierzu zählen
REM z. B. Hypersomnie, Erschöpfung, Konzen-
Schlafphasen

1 trations- und Aufmerksamkeitsdefizite, An-


2 triebsmangel, kognitive Störungen, Depressio-
3 nen und Angststörungen. Langjährige Insomni-
4 en gehen mit einem erhöhten Risiko von Herz-
Kreislauf-Erkrankungen und einer erhöhten
1 2 3 4 5 6 7 Mortalität einher.
Stunden Schlaf

Ⴜ Abb. 11.1 Schlafphasen, die im Verlauf einer 11.3 Pharmaka zur Therapie von
Nacht typischerweise auftreten. Blau Non-REM-
Schlafstörungen
Phasen, gelb REM-Phasen

11.3.1 Benzodiazepine
11.2 Schlafstörungen Die in den 1960er Jahren in die Therapie einge-
führte Gruppe der Benzodiazepine (auch als
Schlafstörungen können unterteilt werden in In- Tranquilizer bezeichnet) zählte lange Zeit zu
somnien (Ein- und/oder Durchschlafstörungen, den am häufigsten verordneten Hypnotika.
die zu einem nicht erholsamen Schlaf führen), Heute sind die Verordnungszahlen jedoch auf-
Hypersomnien (Tagesschläfrigkeit, entweder in- grund der mit der Einnahme verbundenen Ne-
folge einer Insomnie oder als eigenständige benwirkungen und Risiken (s. u.) rückläufig.
Schlafstörung wie z. B. bei Narkolepsie), Para- Der Name Benzodiazepin leitet sich von der
somnien (Auffälligkeiten während des Schla- chemischen Struktur ab: Die meisten Wirkstoffe
fens, z. B. Schlafwandeln, Pavor nocturnus), zir- besitzen ein 1,4-Benzodiazepin-Gerüst.
kadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen (z. B.
Wirkungsmechanismus. Benzodiazepine und
infolge Jetlag, Schichtarbeit), schlafbezogene
analoge Verbindungen („Z-Substanzen“, Ⴉ Kap.
Bewegungsstörungen (z. B. Restless-Legs-Syn-
11.3.2) binden an GABAA-Rezeptoren. Dies
drom), schlafbezogene Atmungsstörungen (z. B.
sind heteropentamere Chloridkanäle, die sich
Schlafapnoe) sowie sonstige Schlafstörungen. 11
aus verschiedenen Untereinheiten zusammen-
Die Therapie der Schlafstörungen orientiert
setzen. Benzodiazepin-sensitive GABAA-Rezep-
sich an den zugrunde liegenden Ursachen. Hyp-
toren enthalten meist zwei α-Untereinheiten (α1,
notika dienen insbesondere der symptomati-
α2, α3 oder α5), zwei β-Untereinheiten und eine
schen Therapie der Insomnien. Dem gegenüber
γ-Untereinheit, wobei die γ-Untereinheit mit ei-
wird z. B. eine Narkolepsie mit Psychostimulan-
102 11 Hypnotika

႒ Tab. 11.1 Wirkprofil von Benzodiazepinen


A GABAA-Rezeptor-
Chloridkanal Wirkung GABAA-Rezeptor Untereinheit
GABA BZD
extrazellulär α1 α2 α3 α5

Sedierung +++
intrazellulär
Amnesie +++

- Abhängigkeit +++
B Cl
Antikonvulsion +++

Anxiolyse +++ ++

Muskelrelaxation ++ ++ ++
-
Cl Analgesie1 +++

C 1 Erst in höherer Dosierung

regbarkeit der Zelle zur Folge hat (Ⴜ Abb. 11.2).


Benzodiazepine können den GABAA-Rezeptor
jedoch nicht selbst, d. h. direkt aktivieren [im
-
D Cl Gegensatz zu Barbituraten (Ⴉ Kap. 16.2.3), die an
eine andere Stelle des GABAA-Rezeptors bin-
den]. Mit Flumazenil (z. B. Anexate®), das die
Benzodiazepin-Bindungsstelle blockiert, kön-
nen die Wirkungen von Benzodiazepinen aufge-
hoben werden.
Cl-
Wirkprofil. Benzodiazepine binden nichtselek-
Ⴜ Abb. 11.2 Wirkungsmechanismus von Benzodi- tiv an die verschiedenen GABAA-Rezeptoren,
azepinen (BZD). A Ohne Bindung von GABA und BZD die – wie bereits erwähnt – α1-, α2-, α3- oder α5-
ist der Kanal geschlossen. B Bindung von GABA an
Untereinheiten enthalten. Diese Untereinheiten
den Kanal öffnet diesen und führt zum Chloridein-
sind im ZNS inhomogen verteilt: α1 wird insbe-
strom. C Bei Bindung von BZD an den Kanal bleibt
dieser geschlossen. D Gleichzeitige Bindung von
sondere im Cortex, Thalamus, Pallidum und
GABA und BZD an den Kanal bewirkt einen ver- Hippocampus exprimiert, während α2 im Cor-
stärkten Chlorideinstrom tex, Hippocampus, Striatum und Nucleus acum-
bens, α3 im Cortex und Thalamus sowie α5 im
Hippocampus in hoher Dichte vorliegen. Infolge
ner der α-Untereinheiten die Benzodiazepin- der nichtselektiven Bindung an GABAA-Rezep-
Bindungsstelle bildet. toren weisen Benzodiazepine eine Reihe ver-
schiedener pharmakologischer Wirkungen auf,
An diesen Bindungsstellen wirken Benzodi-
die in ႒ Tab. 11.1 dargestellt sind.
azepine als allosterische Agonisten, d. h. sie er-
höhen die Affinität von GABA zu deren Bin- Indikationen. Ihrem Wirkprofil entsprechend
dungsstelle am GABAA-Rezeptor. In Gegenwart werden Benzodiazepine, von denen wichtige
von Benzodiazepinen bewirkt GABA somit ei- Vertreter in ႒ Tab. 11.2 aufgeführt sind, bei ver-
nen verstärkten Chlorideinstrom in die Zelle, schiedenen Indikationen eingesetzt. Ein häufi-
was eine Hyperpolarisation und reduzierte Er- ges Anwendungsgebiet ist die kurzzeitige Be-
11.3 Pharmaka zur Therapie von Schlafstörungen 103

handlung von klinisch bedeutsamen Ein- und ႒ Tab. 11.2 Benzodiazepine


Durchschlafstörungen, die den Patienten stark
INN1 Einmaldosis (HWZ2)
beeinträchtigen oder belasten. In diesem Indi- (Handelspräparat)
kationsgebiet zugelassen sind derzeit Bromaz-
epam, Brotizolam, Chlordiazepoxid, Flunitraz- Alprazolam (Tafil®) 0,75–4 mg (12–15 h)
epam, Flurazepam, Lorazepam, Lormetazepam,
Bromazepam 3–6 mg (15–28 h)
Nitrazepam, Oxazepam, Temazepam und Tria-
(z. B. Lexotanil®)
zolam. Um Hangover-Effekte (Nachwirkungen)
zu vermeiden, sollten insbesondere Wirkstoffe Brotizolam 0,125–0,25 mg (3–8 h)
mit kurzer Wirkdauer verwendet werden. (Lendormin®)
Aufgrund der anxiolytischen Eigenschaften
werden Benzodiazepine (v. a. Alprazolam, Chlordiazepoxid 25–62,5 mg (5–44 h)
(Librium®)
Bromazepam, Diazepam, Lorazepam, Oxaz-
epam und Prazepam) auch zur symptomati- Clobazam (Frisium®) 10–30 mg (36–79 h)
schen Behandlung von Spannungs-, Erregungs-
und Angstzuständen verwendet. Bei Angststö- Clonazepam 1–8 mg (30–40 h)
rungen sind sie jedoch, wie erwähnt, nicht mehr (z. B. Rivotril®)
Mittel der ersten Wahl, da besser verträgliche Diazepam 5–10 mg (20–100 h)
Therapiealternativen zur Verfügung stehen (Generika)
(Ⴉ Kap. 10.4).
In der Anästhesiologie werden Benzodiaz- Flunitrazepam 0,5–1 mg (16–35 h)
epine (v. a. Diazepam, Lormetazepam und Mid- (z. B. Rohypnol®)
azolam) zur Prämedikation sowie postoperativ
Flurazepam 15–30 mg (3–130 h)
bei diagnostischen und therapeutischen Eingrif- (z. B. Dalmadorm®)
fen verwendet. Das relativ gut steuerbare Mid-
azolam eignet sich darüber hinaus zur Narko- Lorazepam 0,5–2,5 mg (12–16 h)
seeinleitung und als sedierende Komponente ei- (z. B. Tavor®)
ner Kombinationsnarkose (Ⴉ Kap. 14.3).
Lormetazepam 0,5–1 mg (2–10 h)
Wegen der antikonvulsiven Wirkung dienen
(z. B. Noctamid®)
Benzodiazepine (v. a. Clobazam, Clonazepam,
Diazepam und Lorazepam) zur Therapie des Midazolam 7,5–15 mg (1,5–2,5 h)
Status epilepticus sowie epileptischer Anfälle (z. B. Dormicum®)
eingesetzt (Ⴉ Kap. 16.2.3).
Nitrazepam 2,5–10 mg (25–30 h)
Ferner werden Benzodiazepine (v. a. Diaz-
(z. B. Mogadan®)
epam) wegen ihrer muskelrelaxierenden Wir-
kung bei Zuständen mit erhöhtem Muskelto- Oxazepam 20–60 mg (6–25 h)
nus (z. B. spastischen Paresen) angewendet. (z. B. Adumbran®)
Benzodiazepine zeigen auch analgetische
Prazepam (Demetrin®) 20–60 mg (30–200 h)
Wirkungen, die nach systemischer Applikation
jedoch erst bei höheren Wirkstoffspiegeln auf- Temazepam 10–20 mg (8–18 h)
treten und daher mit einer ausgeprägten Sedie- (z. B. Planum®)
rung verbunden sind. 11
Triazolam (Halcion®) 0,125–0,25 mg (1–5 h)
Kinetik. Bei oraler Applikation werden die
1
meisten Benzodiazepine rasch und gut resor- Die Wirkstoffe sind in z. T. unterschiedlichen Indikationsgebieten
(s. Text) zugelassen.
biert. Die Metabolisierung erfolgt überwiegend 2 Angegeben sind die Halbwertszeiten der Muttersubstanz bzw. die

hepatisch, bei einigen Wirkstoffen (Alprazolam, der pharmakologisch aktiven Metaboliten.


104 11 Hypnotika

Clonazepam, Diazepam, Midazolam und Triaz- oder Drogenabhängigkeit in der Anamnese zu-
olam) maßgeblich über CYP3A4. Für die sätzlich erhöht. Oft entwickelt sich eine Nied-
Beurteilung der Verbindungen in Bezug auf rigdosisabhängigkeit, d. h. es kommt nicht zur
eventuelle Hangover-Effekte sind neben der Dosissteigerung. Bei längerer Einnahme über
Halbwertszeit der Muttersubstanz auch die einige Wochen kann sich eine Toleranz mit
Halbwertszeiten von aktiven Metaboliten zu be- Wirkungsabschwächung entwickeln.
rücksichtigen. Die Ausscheidung erfolgt vor- Beim plötzlichen Beenden einer Benzodiaz-
wiegend renal in Form von Hydroxyverbindun- epin-Therapie können vorübergehend Abset-
gen bzw. als deren Glucuronide. zerscheinungen (Rebound-Phänomene) auf-
treten, die sich z. B. in Schlafstörungen, Unruhe,
Nebenwirkungen. Aufgrund der zentral dämp-
Angstzuständen oder Psychosen äußern. Aus
fenden Wirkung werden bei Anwendung von
diesem Grund muss eine länger bestehende
Benzodiazepinen häufig unerwünschte ZNS-
Benzodiazepin-Therapie durch schrittweise Re-
Symptome beobachtet. Diese äußern sich z. B. in
duktion der Dosis beendet werden.
übermäßiger Sedierung, Schwindel, Benom-
Eine Überdosierung ist im Allgemeinen
menheit, Ataxie, Sehstörungen, Einschränkung
nicht lebensbedrohlich, es sei denn, die Einnah-
von Gedächtnis- und Merkfähigkeit und Ver-
me erfolgt zusammen mit anderen ZNS-dämp-
wirrtheit. Eine bereits vorhandene Depression
fenden Substanzen wie Hypnotika, Opioiden,
kann während der Anwendung von Benzodiaz-
Psychopharmaka oder Alkohol. Als Antidot
epinen demaskiert werden. Vor allem bei älteren
steht der Benzodiazepin-Antagonist Flumaze-
Patienten und Kindern können – wenn auch sel-
nil zur Verfügung.
ten – „paradoxe“ ZNS-Reaktionen wie Unruhe,
Erregbarkeit, Reizbarkeit, Aggressivität oder Kontraindikationen. Benzodiazepine sind kon-
Halluzinationen auftreten. Vor allem in höherer traindiziert bei akuter Vergiftung mit Hypnoti-
Dosis können Benzodiazepine anterograde ka, Opioiden, Psychopharmaka oder Alkohol
Amnesien verursachen. Daher ist es möglich, (Gefahr der Verstärkung der zentraldämpfenden
dass Patienten nach der Applikation Handlun- Wirkung, potenziell letal), schwerer Ateminsuf-
gen ausführen, an die sie sich später nicht mehr fizienz, Schlafapnoe-Syndrom, Myasthenia gra-
erinnern können (z. B. an das Führen von Tele- vis (Gefahr der Verstärkung der Symptomatik
fongesprächen oder an das auch als „Sleep Dri- infolge der zentral dämpfenden bzw. muskelre-
ving“ bezeichnete Fahren eines Kraftfahrzeu- laxierenden Wirkung), schwerer Leberinsuffizi-
ges). Wegen der muskelrelaxierenden Wirkung enz (erhöhtes Risiko einer Enzephalopathie),
in Kombination mit der zentral dämpfenden spinalen und zerebellären Ataxien (erhöhte
Wirkung besteht eine erhöhte Sturzgefahr, die Sturzgefahr), sowie Medikamenten-, Drogen-
insbesondere bei älteren Patienten zu Verletzun- oder Alkoholabhängigkeit in der Anamnese (er-
gen und Frakturen (z. B. Oberschenkelhals- und höhtes Risiko der Ausbildung einer Benzodiaz-
Hüftfrakturen) führen kann. epin-Abhängigkeit).
Weiterhin treten häufig gastrointestinale
Interaktionen. Eine gegenseitige Verstärkung
Symptome wie Übelkeit, Obstipation und
der zentraldämpfenden Wirkung kann auftre-
Mundtrockenheit auf. Bei Patienten mit einge-
ten bei gleichzeitiger Einnahme von Benzodia-
schränkter Lungenfunktion kann selten eine
zepinen und anderen Hypnotika, Narkotika,
Atemdepression hervorgerufen werden.
Opioiden, Antiepileptika, Antipsychotika, An-
Das Risiko einer psychischen und physi-
tidepressiva, Lithium und Alkohol. Pharmako-
schen Abhängigkeit steigt mit der Dosis und
kinetische Interaktionen sind möglich, wenn
der Anwendungsdauer der Benzodiazepine und
maßgeblich über CYP3A4 abgebaute Benzodia-
ist bei Patienten mit einer psychiatrischen Er-
zepine (Alprazolam, Clonazepam, Diazepam,
krankung oder einer Alkohol-, Medikamenten-
Midazolam und Triazolam) zusammen mit
11.3 Pharmaka zur Therapie von Schlafstörungen 105

CYP3A4-Hemmern oder -Induktoren ange- bestehende Depression demaskiert werden und


wendet werden. bei älteren Patienten können „paradoxe“ ZNS-
Reaktionen auftreten. Relativ häufig werden an-
terograde Amnesien (s. o.) ausgelöst. Darüber
11.3.2 Benzodiazepin-Analoga
hinaus wurden bei Zaleplon Dysmenorrhö, bei
Die auch als „Z-Substanzen“ bezeichneten
Zolpidem gastrointestinale Störungen und Rü-
Wirkstoffe Zaleplon (Sonata®), Zolpidem (z. B.
ckenschmerzen sowie bei Zopiclon Mundtro-
Bikalm®) und Zopiclon (z. B. Ximovan®) besit-
ckenheit häufig beobachtet.
zen zwar eine von den Benzodiazepinen abwei-
Auch bei den Benzodiazepin-Analoga kön-
chende chemische Struktur, binden aber wie
nen Abhängigkeit, Toleranz und Rebound-Phä-
diese als allosterische Agonisten an GABAA-Re-
nomene auftreten und es besteht Sturzgefahr.
zeptoren. Sie sind allerdings selektiver als Ben-
Das Risiko scheint jedoch niedriger zu sein als
zodiazepine und greifen bevorzugt an der α1-
bei den Benzodiazepinen.
Untereinheit der GABAA-Rezeptoren an. Da-
durch ist die anxiolytische und muskelrelaxie- Kontraindikationen. Die Benzodiazepin-Ana-
rende Wirkung deutlich geringer ausgeprägt als loga sind kontraindiziert bei Schlaf-Apnoe-Syn-
bei den Benzodiazepinen, während die α1- drom, schwerer Ateminsuffizienz, Myasthenia
vermittelten Wirkungen (႒ Tab. 11.1) erhalten gravis und schwerer Leberinsuffizienz. Sie sind
bleiben. Bei Insomnie sind die Benzodiazepin- ferner kontraindiziert bei Kindern und Jugend-
Analoga gleich wirksam wie die klassischen lichen unter 18 Jahren, da keine ausreichenden
Benzodiazepine. Daten zur Therapie in dieser Altersgruppe vor-
liegen.
Indikationen, Dosierung. Zaleplon, Zolpidem
und Zopiclon sind indiziert zur Kurzzeitbe- Interaktionen. Wie bei den Benzodiazepinen
handlung von klinisch bedeutsamen Schlafstö- sind Kombinationseffekte mit anderen ZNS-
rungen, die den Patienten stark beeinträchtigen dämpfenden Substanzen sowie CYP3A4-Inter-
oder belasten. Die Dosierung beträgt für Zale- aktionen zu beachten.
plon und Zolpidem 10 mg, für Zopiclon 7,5 mg
als Einmaldosis kurz vor dem Schlafengehen. 11.3.3 H1-Antihistaminika
Bei älteren Patienten sollte jeweils die halbe Do- Vor allem die älteren, gut ZNS-gängigen H1-
sis verwendet werden. Antihistaminika (Ⴉ Kap. 22.1.1) besitzen durch
Blockade zentraler H1-Rezeptoren einen sedie-
Kinetik. Die Halbwertszeiten sind relativ kurz
renden bzw. hypnotischen Effekt. Aus diesem
(Zaleplon: 1 h, Zolpidem: 2,5 h, Zopiclon: 5 h),
Grund wurden Diphenhydramin (z. B. Beta-
daher ist das Risiko von Hangover-Effekten ge-
dorm® D) und Doxylamin (z. B. Gittalun®) als
ringer als bei den meisten Benzodiazepinen.
freiverkäufliche (rezeptfreie) Hypnotika in den
Die drei Wirkstoffe werden weitgehend über
Handel gebracht. Der Wirkungseintritt ist aller-
CYP3A4 metabolisiert. Die Ausscheidung von
dings im Vergleich zu Benzodiazepinen und
Zaleplon und Zolpidem erfolgt renal und biliär,
Benzodiazepin-Analoga deutlich verzögert. Ne-
Zopiclon wird vorwiegend renal ausgeschie-
ben den antihistaminergen Effekten besitzen
den.
diese Wirkstoffe auch anticholinerge Eigen-
Nebenwirkungen. Wie bei den Benzodiazepi- schaften.
nen stehen auch bei Zaleplon, Zolpidem und 11
Indikationen, Dosierung. Diphenhydramin und
Zopiclon unerwünschte ZNS-Symptome im
Doxylamin sind zugelassen zur Kurzzeitbe-
Vordergrund. Häufig wurden Parästhesien, Hal-
handlung von Schlafstörungen von klinisch be-
luzinationen, Agitiertheit, Albträume, Kopf-
deutsamem Schweregrad. Die Dosierung be-
schmerzen, Schwindel, Benommenheit und Ge-
trägt bei Diphenhydramin 50 mg, bei Doxyl-
schmacksstörungen berichtet. Ebenso kann eine
106 11 Hypnotika

amin 25–50 mg ca. 30 min vor dem Schlafen- (vorrangig MT1 und MT2) wirkt Melatonin –
gehen. Adenylylcyclase-vermittelt – schlafanstoßend
und ist an der Regulation des Schlaf-Wach-
Kinetik. Die Metabolisierung erfolgt vorrangig
Rhythmus sowie der Synchronisation der inne-
in der Leber. Die Eliminations-Halbwertszeiten
ren Uhr mit dem Tag-Nacht-Zyklus beteiligt. Da
werden mit 4 h (Diphenhydramin) bzw. 10 h
die endogene Melatoninproduktion mit zuneh-
(Doxylamin) angegeben.
mendem Alter abnimmt, kann gerade bei älte-
Nebenwirkungen. Häufig beobachtet werden ren Patienten ein relativer Melatoninmangel an
unerwünschte ZNS-Symptome (z. B. übermäßi- der Entstehung von Schlafstörungen beteiligt
ge Schläfrigkeit, Asthenie, Schwindel, Kopf- sein. Im Vergleich zu Benzodiazepinen und
schmerzen, „paradoxe“ Reaktionen) und vege- Benzodiazepin-Analoga ist die Wirksamkeit
tative Symptome (z. B. Sehstörungen, gastroin- von Melatonin bei Insomnien jedoch deutlich
testinale Beschwerden, Miktionsstörungen). geringer.
Selten können kardiovaskuläre Nebenwirkun- In retardierter Form ist Melatonin (Circa-
gen mit Tachykardie und Veränderung des QT- din®) für die kurzzeitige Therapie einer durch
Intervalls auftreten. Besondere Vorsicht ist bei schlechte Schlafqualität gekennzeichneten In-
Epileptikern geboten, da bereits in niedriger somnie bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen.
Dosis Grand-mal-Anfälle ausgelöst werden Die Dosierung beträgt 2 mg 1–2 Stunden vor
können. Wie bei den Benzodiazepinen besteht dem Zubettgehen.
auch bei H1-Antihistaminika nach längerer An- Da die Resorption durch Nahrungsaufnahme
wendung die Gefahr von Toleranzentwicklung, erheblich verzögert werden kann, sollte die Ein-
Abhängigkeit und Rebound-Phänomenen. Da- nahme mindestens 1 h nach der letzten Mahlzeit
her ist eine unkritische Empfehlung für die erfolgen. Wegen eines ausgeprägten First-Pass-
Selbstmedikation abzulehnen. Effekts liegt die Bioverfügbarkeit nur bei ca.
15 %. Die Halbwertszeit beträgt ca. 4 Stunden.
Kontraindikationen. Diphenhydramin und Do-
Die Biotransformation erfolgt vorrangig über
xylamin sind kontraindiziert bei akuter Intoxi-
CYP1A1 und CYP1A2.
kation mit zentral dämpfenden Wirkstoffen,
Gelegentlich wurden zentralnervöse (Reiz-
akutem Asthma bronchiale, Engwinkelglaukom,
barkeit, Albträume, Kopfschmerzen, Benom-
Phäochromozytom, Prostatahyperplasie mit
menheit u. a.), gastrointestinale (Bauchschmer-
Restharnbildung, Epilepsie, Hypokaliämie, Bra-
zen, Dyspepsie, Übelkeit u. a.) und dermatologi-
dykardie, kardialen Störungen und bei gleich-
sche Symptome (Dermatitis, Juckreiz u. a.) be-
zeitiger Anwendung von Monoaminoxidase-
obachtet.
Hemmern.
CYP1A2-Hemmer, z. B. Fluvoxamin, Cimeti-
Interaktionen. Wechselseitig verstärken kön- din, Chinolone oder Estrogene, können zu
nen sich die Wirkung von H1-Antihistaminika erhöhten, CYP1A2-Induktoren, z. B. Carbama-
und zentral dämpfenden Substanzen sowie Arz- zepin und Rifampicin, zu erniedrigten Melato-
neimitteln mit anticholinerger Wirkung. nin-Plasmaspiegeln führen. Die Wirkung von
sedierenden Substanzen, z. B. Alkohol und Ben-
11.3.4 Sonstige Hypnotika zodiazepinen, wird durch Melatonin verstärkt.
Melatonin. Der Wirkstoff ist ein von den Pinea-
Chloralhydrat. Chloralhydrat (Chloraldurat®)
lozyten der Epiphyse aus Serotonin gebildetes
ist eines der ältesten Hypnotika. Aus dem rasch
Hormon, dessen Ausschüttung einem Tag-
resorbierten Aldehydhydrat entsteht im Orga-
Nacht-Rhythmus folgt: Bei Dunkelheit wird es
nismus u. a. Trichlorethanol, das durch Beein-
vermehrt sezerniert, während Belichtung seine
flussung der GABAA-ergen Transmission hyp-
Freisetzung verringert. Über membranständige
notisch wirkt.
G-Protein-gekoppelte Melatonin-Rezeptoren
11.4 Anwendungskriterien von Hypnotika bei Insomnie 107

Chloralhydrat ist zugelassen zur Kurzzeitbe- Die Metabolisierung erfolgt weitgehend he-
handlung von Schlafstörungen, obwohl ein evi- patisch unter Katalyse verschiedener Cyto-
denzbasierter Nachweis der Wirksamkeit fehlt. chrom-P450-Isoenzyme. Die Halbwertszeit be-
Die mittlere Dosis für Erwachsene beträgt 0,5– trägt 2–2,5 h.
1,5 g. Die Halbwertszeit liegt bei 7–10 Stunden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind – infol-
Seine therapeutische Breite ist gering, bei ge der Hemmung der Noradrenalin-Freisetzung
Überdosierung können Bewusstseinsstörungen, in sympathischen Nervenendigungen – kardio-
Herzrhythmusstörungen und respiratorische vaskuläre Effekte (Hypotonie, Hypertonie, Bra-
Insuffizienz auftreten (Dosis letalis 6–10 g). Au- dykardie). Daher muss die Anwendung von
ßerdem kann infolge Enzyminduktion schon Dexmedetomidin unter kontinuierlicher kardi-
bei Anwendung über wenige Tage ein deutlicher aler Überwachung erfolgen.
Wirkungsverlust resultieren. Ferner besteht bei
Pflanzliche Hypnotika. Als pflanzliche Hypno-
chronischer Anwendung die Gefahr der Abhän-
tika werden Auszüge aus Baldrianwurzel, Hop-
gigkeitsentwicklung. Daher gilt Chloralhydrat
fenzapfen, Hopfendrüsen, Melissenblättern und
heute nicht mehr als Mittel der ersten Wahl.
Passionsblumenkraut eingesetzt. Jedoch fehlen
Bei schweren Leberfunktionsstörungen, Nie-
für diese Phytopharmaka überzeugende, in kon-
reninsuffizienz (Kumulationsgefahr!), dekom-
trollierten Studien ermittelte klinische Daten,
pensierter Herzinsuffizienz und gleichzeitiger
die eine (ausreichende) Wirksamkeit bei Insom-
Behandlung mit Antikoagulanzien vom Dicou-
nie belegen.
marol-Typ ist Chloralhydrat kontraindiziert.
Häufig wird Baldrian in Form von Extrakten
Antidepressiva. In zunehmendem Umfang wer-
aus dem Wurzelstock von Valeriana officinalis
den sedierende Antidepressiva (Doxepin, Mir-
(z. B. Baldriparan® Stark für die Nacht) verwen-
tazapin, Trazodon, Trimipramin u. a., Ⴉ Kap.
det. Der Extrakt bewirkt an Synaptosomen eine
10.2) in niedriger Dosis zur Therapie von pri-
erhöhte Ausschüttung und geringere Wieder-
mären Insomnien eingesetzt. Vor allem die
aufnahme von GABA, mit dem Bestandteil Va-
nächtlichen Wachperioden scheinen von diesen
lerensäure wurde eine Interaktion mit GABAA-
Wirkstoffen reduziert zu werden. Die Anwen-
Rezeptoren nachgewiesen. In klinischen Studien
dung erfolgt allerdings bisher ohne eine beste-
bewirkte Baldrian eine subjektive Verbesserung
hende Zulassung für diese Indikation (Off-La-
der Schlafqualität, jedoch konnte die Wirksam-
bel-Use).
keit mit quantitativen oder objektiven Messun-
Antipsychotika. Einige niedrigpotente klassi- gen nicht belegt werden. Die übliche Dosierung
sche Antipsychotika (Melperon, Pipamperon bei Einschlafstörungen beträgt 200–600 mg des
u. a., Ⴉ Kap. 10.1.1) sind zur Therapie von Schlaf- Trockenextrakts.
störungen zugelassen. Für diese Substanzen lie-
gen jedoch keine ausreichend gut fundierten
Studien in diesem Indikationsgebiet vor. 11.4 Anwendungskriterien von
Hypnotika bei Insomnie
Dexmedetomidin (Dexdor®) ist ein selektiver
α2-Rezeptor-Agonist, dessen sedierende Wir-
Eine Behandlungsbedürftigkeit bei Insomnie
kung v. a. durch eine Hemmung noradrenerger
besteht insbesondere dann, wenn neben einer
Neurone im Locus coeruleus vermittelt wird.
Störung des Nachtschlafs auch die Befindlich- 11
Zugelassen ist es zur Sedierung intensivmedizi-
keit oder Leistungsfähigkeit am Tage beein-
nisch behandelter Patienten, die eine Sedierungs-
trächtigt ist. Neben einer Pharmakotherapie
tiefe benötigen, bei der ein Erwecken durch ver-
sind auch kognitiv-verhaltenstherapeutische
bale Stimulation noch möglich ist.
Methoden bei Insomnie wirksam.
108 11 Hypnotika

Bei der Auswahl der Medikation sind komor- Die Wirksamkeit von Benzodiazepin-Analo-
bide Erkrankungen (z. B. Depression), das Alter ga und Benzodiazepinen bei Insomnie ist durch
des Patienten und das Ansprechen auf frühere klinische Studien über einen Zeitraum von ca. 4
Therapien zu berücksichtigen. Am häufigsten Wochen gut belegt, zur Wirksamkeit bei einer
werden Benzodiazepin-Analoga und Benzo- längerfristigen Anwendung liegen bisher nur
diazepine verordnet. Falls primär eine Ein- wenig Daten vor. Um das Risiko der Ausbildung
schlafstörung vorliegt, sollten möglichst kurz einer Abhängigkeit zu minimieren, sollten Hyp-
wirksame Wirkstoffe eingesetzt werden, bei notika – wenn irgend möglich – nur über einen
Durchschlafstörungen ist eine etwas längere begrenzten Zeitraum eingenommen werden.
Wirkdauer von Vorteil. Generell sollte jedoch Die Verordnungszahlen lassen allerdings darauf
die Wirkdauer so kurz wie möglich sein, um die schließen, dass diese Wirkstoffe zu häufig und
Gefahr von Hangover-Effekten zu reduzieren. zu lange angewendet werden.
109

12 Analgetika, Antirheumatika

12.1 Analgetika bezeichnet) entsteht im Rahmen von Gewebe-


schädigungen oder Entzündungen und kann
Analgetika verringern bzw. unterdrücken die sich als Ruheschmerz, Hyperalgesie und/oder
Schmerzempfindung, ohne eine allgemein-nar- Allodynie äußern. Neuropathische Schmerzen
kotische Wirkung zu besitzen. Zwei Gruppen entstehen, wenn periphere oder zentrale Nerven
werden unterschieden: durch Quetschung, Kompression (z. B. durch
Bandscheibenvorfall), Durchtrennung (z. B. in-
󠀂 nichtopioide Analgetika mit peripherer und
folge einer Operation), Infektion (z. B. bei Gür-
zentraler Wirkung sowie meist antipyreti-
telrose) oder metabolische Störungen (z. B. bei
schen und vielfach auch antiphlogistischen
Diabetes mellitus) geschädigt werden.
Eigenschaften.
Bei Schmerzen werden körpereigene Sub-
󠀂 Opioid-Analgetika mit vorwiegend zen-
stanzen, sog. Schmerzmediatoren (z. B. nerve
traler, daneben aber auch peripherer Wir-
growth factor, Bradykinin, Prostaglandine) frei-
kung.
gesetzt bzw. synthetisiert. Diese stimulieren
oder sensibilisieren im Gewebe freie sensorische
12.1.1 Schmerzentstehung und Nervenendigungen von C- und Aδ-Fasern. Die-
-verarbeitung se, als Nozizeptoren bezeichneten Nervenendi-
Akuter Schmerz hat eine eindeutige Warn- und gungen, besitzen eine Vielzahl von Ionenkanä-
Schutzfunktion. Chronischer Schmerz dagegen len und Rezeptoren für Schmerzmediatoren,
ist für die Patienten quälend und belastend. Die mit deren Hilfe thermische, chemische und me-
Auslösung, Weiterleitung und zentrale Verar- chanische Reize in Aktionspotenziale umge-
beitung der Schmerzimpulse wird als Nozizep- wandelt werden.
tion bezeichnet. Nach ihrer Ätiologie und Pa- Nach einer akuten Gewebeschädigung treten
thophysiologie lassen sich der physiologische u. a. sofort ATP und Protonen aus den zerstörten
Nozizeptorschmerz, pathophysiologische Nozi- Gewebszellen aus, die über P2X3-Purinozepto-
zeptorschmerz und der neuropathische Schmerz ren (durch ATP) oder TRPV1-(transient recep-
unterscheiden. tor potential-)Kanäle (durch Protonen) Nozi-
Der physiologische Nozizeptorschmerz hat zeptoren direkt erregen. TRPV1-Kanäle werden
eine Warnfunktion und ist lebensnotwendig, um nicht nur durch Protonen, sondern auch durch
Verletzungen zu bemerken und Schädigungen zu noxische Hitze und Capsaicin (den scharfen In-
12
vermeiden. Der pathophysiologische Nozizep- haltsstoff von Paprika) aktiviert.
torschmerz (oft auch als Entzündungsschmerz
110 12 Analgetika, Antirheumatika

Im Rahmen einer Entzündung kommt es zur durch Opioide aktiviert u. a. das antinozizepti-
Migration von Immunzellen aus dem Blut, die ve System.
Entzündungs- und Schmerzmediatoren im ent-
zündeten Gewebe freisetzen. Die unter pharma- 12.1.2 Prinzipien der Schmerz-
kologischen Gesichtspunkten wichtigsten Medi- therapie
atoren sind die Prostaglandine (hauptsächlich Für die medikamentöse Schmerztherapie beste-
Prostaglandin E2, PGE2). Ihre Produktion wird hen in Abhängigkeit von der Schmerzursache
durch die Cyclooxygenase-2 (COX-2) kataly- im Wesentlichen folgende Möglichkeiten:
siert, deren Expression durch eine Entzündung
󠀂 Verhinderung der Sensibilisierung der Nozi-
massiv induziert wird (s. u.). PGE2 aktiviert auf
zeptoren durch Hemmung der Prostaglan-
der Nozizeptormembran G-Protein-gekoppelte
dinsynthese mit nichtopioiden Analgetika/
EP-Rezeptoren mit nachfolgender Aktivierung
Antiphlogistika (Cyclooxygenase-Hem-
der Adenylylcyclase, vermehrter cAMP-Bildung
mern),
und Stimulation der Proteinkinase A (PKA).
󠀂 Schmerzhemmung durch agonistische Sti-
Deren Aktivierung führt am Nozizeptor u. a. zur
mulation von Opioidrezeptoren mit Opio-
Phosphorylierung von spezifischen spannungs-
iden,
abhängigen Natriumkanälen (Nav 1.8/1.9, die
󠀂 Hemmung der Erregungsleitung in den sen-
selektiv nur auf Nozizeptoren exprimiert wer-
siblen Nervenbahnen durch Lokalanästheti-
den) und von TRPV1-Kanälen. Dadurch wer-
ka (Ⴉ Kap. 13),
den Aktionspotenziale leichter ausgelöst.
󠀂 Beeinflussung der Schmerzverarbeitung
Die so generierten Nervenimpulse werden
durch tricyclische Antidepressiva und einige
zum Rückenmark geleitet und setzen dort u. a.
Antiepileptika.
die exzitatorische Aminosäure Glutamat frei.
Glutamat kann auf der postsynaptischen Seite Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz
ionotrope N-Methyl-d-Aspartat-(NMDA-)Re- von Analgetika ist eine Analyse nach Schmerz-
zeptoren, ionotrope non-NMDA-Rezeptoren typ, Schmerzdauer und Schmerzsymptomatik
(AMPA- und Kainatrezeptoren) und metabo- (s. o.). Nichtopioide Analgetika/Antiphlogisti-
trope Glutamatrezeptoren aktivieren, wodurch ka sind besonders bei pathophysiologischen
es zu einem massiven Einstrom von Calciumio- Nozizeptorschmerzen entzündlicher Genese in-
nen und somit zur Depolarisation der Neurone diziert. Opioide sind sehr gut wirksam bei trau-
kommt. Vom Hinterhorn des Rückenmarks matischen, postoperativen, Tumor-, aber auch –
wird die Information über den Tractus spi- meist in Kombination mit tricyclischen Antide-
nothalamicus (lateralis) aufwärts in den Thala- pressiva und einigen Antiepileptika – bei neu-
mus und die Großhirnrinde geleitet, wo die be- ropathischen Schmerzen.
wusste Schmerzempfindung stattfindet. An den Bei chronischen Schmerzen, insbesondere
emotionalen Schmerzreaktionen ist das limbi- Tumorschmerzen, sind Analgetika nicht nach
sche System, an den vegetativen der Hypothala- Bedarf, sondern nach einem festen Behand-
mus beteiligt. lungsplan ausreichend hoch dosiert in regelmä-
Neben dem aufsteigenden schmerzvermit- ßigen Abständen in Form von Retardpräparaten
telnden System existiert auch ein endogenes einzusetzen. Chronische Schmerzen erfordern
absteigendes schmerzhemmendes System (an- darüber hinaus häufig die zusätzliche Gabe von
tinozizeptives System), welches die synaptische adjuvanten Schmerztherapeutika.
Verarbeitung von Schmerzimpulsen erschwert Das Stufenschema der Weltgesundheitsorga-
und damit die Schmerzempfindung herabsetzt. nisation (WHO), das für die Therapie von Tu-
Eine Stimulation von Opioidrezeptoren durch morschmerzen entwickelt wurde, aber auch bei
endogene Opioid-Peptide (Endorphine) oder anderen Schmerzzuständen häufig als Richtlinie
dient, sieht folgendes vor:
12.1 Analgetika 111

󠀂 In der 1. Stufe wird ein nichtopioides An- beteiligt. NSAIDs wirken deshalb analgetisch,
algetikum allein oder zusammen mit einem antipyretisch und antiphlogistisch.
Ko-Analgetikum (Adjuvans) eingesetzt. Es gibt zwei Cyclooxygenasen. Die COX-1
󠀂 In der 2. Stufe wird ein schwach wirksames bewirkt als konstitutiv exprimiertes Enzym die
Opioid (z. B. Tramadol oder Tilidin) allein physiologische Synthese von Prostaglandinen,
oder in Kombination mit einem nichtopio- z. B. im Magen, in Thrombozyten oder in der
iden Analgetikum und/oder einem adjuvan- Niere. Eine Hemmung dieses Enzyms durch
ten Stoff angewandt. NSAIDs verursacht dementsprechend Neben-
󠀂 In der 3. Stufe erhält der Patient ein stark wirkungen in den COX-1 exprimierenden
wirksames Opioid allein oder in Kombinati- Organen. Die COX-2 ist dagegen durch ver-
on mit einem nichtopioiden Analgetikum schiedene Faktoren (z. B. Zytokine) schnell in-
und/oder einem Ko-Analgetikum. duzierbar und wird bei Entzündungen und
Schmerzreaktionen verstärkt gebildet. Die anti-
Die Kombination eines schwach wirksamen
phlogistische, analgetische und antipyretische
Opioids der WHO-Stufe 2 mit einem starken
Wirkung der NSAIDs kann daher hauptsächlich
Opioid der WHO-Stufe 3 ist pharmakologisch
durch Hemmung der COX-2 erreicht werden,
unsinnig und deshalb obsolet.
während einige ihrer unerwünschten Wirkun-
gen (z. B. gastrointestinale Erosionen oder Ulze-
12.1.3 Nichtopioide Analgetika der rationen) durch die COX-1-Hemmung erklär-
WHO-Stufe 1 bar sind. Diese Befunde haben zur Entwicklung
Nichtopioide Analgetika werden in zwei Grup- COX-2-selektiver NSAIDs (Coxibe, s. u.) ge-
pen eingeteilt. Die erste umfasst Substanzen, die führt. Allerdings ist nicht nur die COX-1, son-
neben einer analgetischen und antipyretischen dern auch die COX-2 in vielen Organen wie Rü-
auch eine ausgeprägte antiphlogistische Wir- ckenmark, Niere, Gefäßendothel oder Uterus
kung besitzen und deshalb als nichtsteroidale konstitutiv exprimiert. Darüber hinaus wird die
Antiphlogistika (NSAIDs: non-steroidal anti- COX-2 im Rahmen verschiedener physiologisch
inflammatory drugs) bezeichnet werden. Diese bedingter Adaptationsvorgänge (z. B. bei der
Substanzen sind mit Ausnahme der derzeit ver- Wund- und Ulkusheilung oder in Gefäßendo-
fügbaren COX-2-selektiven Inhibitoren (Coxi- thelzellen, Ⴜ Abb. 12.1) vermehrt gebildet. Die
ben, s. u.) saure Verbindungen. Zur zweiten Nebenwirkungen von NSAIDs (s. u.) sind somit
Gruppe (nicht saure antipyretische Analgetika) keineswegs nur auf eine Hemmung der COX-1
gehören die Substanzen Paracetamol, Phenazon, zurückzuführen.
Propyphenazon und Metamizol, die in thera-
Pharmakokinetik. Die meisten Substanzen der
peutischer Dosierung nicht ausreichend entzün-
herkömmlichen NSAIDs werden rasch und gut
dungshemmend wirken.
resorbiert. Für ihre therapeutische Anwendung
sind hinsichtlich der Pharmakokinetik vor al-
12.1.3.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika
lem die sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten
(NSAIDs)
bedeutsam, die in ႒ Tab. 12.1 neben den Tages-
Wirkungsmechanismus. NSAIDs hemmen in
dosierungen zusammengefasst sind.
therapeutischer Dosierung die Prostaglandin-
synthese, indem sie die Cyclooxygenasen blo- Indikationen. NSAIDs sind aufgrund ihres
ckieren, die Arachidonsäure in cyclische En- Wirkungsmechanismus prinzipiell indiziert zur
doperoxide (Prostaglandin H2), die Vorstufen symptomatischen Behandlung von Schmerzen
der Prostaglandine und von Thromboxan A2 und Entzündungen bei akuten Arthritiden (ein-
und Prostacyclin, umwandeln. Prostaglandine schließlich Gichtarthritis), chronischen Arthri-
12
sind an der Entstehung von Schmerz und Fieber tiden, insbesondere bei rheumatoider Arthritis,
sowie an entzündlichen Reaktionen wesentlich Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew),
112 12 Analgetika, Antirheumatika

Physiologischer Stimulus Physiologische Adaptation Entzündungsstimulus

Glucocorticoide

COX-1 COX-2 COX-2


konstitutiv konstitutiv regulierbar induzierbar

Thrombozyten PG
PG
(TXA2)
Niere, Magen
(PGE2)
Gefäßendothel • Rückenmark, Niere, Uterus • Entzündung
(PGI2) • Wundheilung • Schmerz
• Gefäßendothel u.a. • Fieber
(„housekeeping enzyme“)

Ⴜ Abb. 12.1 Expression, Regulation und Funktion der Cyclooxygenase-1 (COX-1) und Cyclooxygenase-2
(COX-2). PG Prostaglandine, PGI2 Prostacyclin, TXA2 Thromboxan A2

Reizzuständen bei Arthrosen und Spondylar- 󠀂 Nierenfunktionsstörungen mit Natriumio-


throsen, entzündlichen weichteilrheumatischen nen- und Wasserretention und nachfolgen-
Erkrankungen, schmerzhaften Schwellungen der Ödembildung und Blutdruckerhöhung,
und Entzündungen nach (Sport-)Verletzungen 󠀂 Hemmung der Thrombozytenaggregation,
oder Operationen, schmerzhafter Regelblutung 󠀂 zentralnervöse Symptome wie Schwindel
(Dysmenorrhö), Tumorschmerzen, insbesonde- und Kopfschmerzen,
re bei Skelettbefall (z. B. Knochenmetastasen), 󠀂 Abnahme der Uterusmotilität,
Migränekopfschmerzen und Fieber. Allerdings 󠀂 Kardiovaskuläre Komplikationen (Myokard-
besitzen nicht alle NSAIDs die Zulassung für infarkt, Herzinsuffizienz),
das gesamte Spektrum der genannten Indika- 󠀂 Erhöhung der Serumtransaminasen und
tionen. 󠀂 Auslösung eines Asthmaanfalls, da durch die
Hemmung der Cyclooxygenasen ein höherer
Nebenwirkungen. Da Prostaglandine in fast al-
Anteil von Arachidonsäure für den Lipoxy-
len Zellen bzw. Geweben synthetisiert werden
genaseweg zur Verfügung steht, wodurch
und dort zahlreiche physiologische Funktionen
verstärkt bronchokonstriktorische Leuko-
wahrnehmen, haben alle NSAIDs prinzipiell
triene gebildet werden (pseudoallergische
folgende Nebenwirkungen:
Reaktion).
󠀂 Gastrointestinale Störungen (Dyspepsie,
Interaktionen. Bei der gleichzeitigen Gabe klas-
Übelkeit, Erbrechen, Durchfall u. a.),
sischer NSAIDs mit anderen Wirkstoffen treten
󠀂 Erosionen im Gastrointestinaltrakt bis hin zu
folgende Interaktionen auf:
Komplikationen wie Ulzerationen, Blutun-
gen und Perforationen, 󠀂 Glucocorticoide erhöhen die Gefahr gastro-
󠀂 Hautreaktionen (Hautausschlag, Hautju- intestinaler Komplikationen z. T. dramatisch,
cken) inklusive Überempfindlichkeitsreakti- da es bei der Abheilung von NSAID-indu-
onen, zierten Ulzerationen zu einer verstärkten
12.1 Analgetika 113

႒ Tab. 12.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs) und sonstige nichtopioide Analgetika


INN (Handelspräparat), Mittlere bis INN (Handelspräparat), Mittlere bis
HWZ höchste Tagesdosis HWZ höchste Tagesdosis

Salicylate Coxibe (selektive COX-2-Hemmer)

Acetylsalicylsäure (z. B. Aspi- 1500–3000 mg Celecoxib (z. B. CELEBREX®), 100–400 mg


rin®), ~0,25 h 6–12 h

Essigsäure-Derivate Etoricoxib (z. B. ARCOXIA®), 60–90 mg


20–26 h
Diclofenac (z. B. Voltaren®), 100–150 mg
1–2 h Parecoxib (Dynastat®), 40–80 mg
6–11 h (für Valdecoxib)
Acemetacin (z. B. Rantudil®), 90–180 mg
5h Sonstige nichtsteroidale Antiphlogistika

Indometacin (z. B. Indomet- 75–150 mg Phenylbutazon 400–600 mg


ratiopharm®), 3–11 h (z. B. Ambene®), ~ 75 h

Propionsäure-Derivate Nabumeton (Relifex®), 1000–2000 mg


22–30 h (für akt. Metaboli-
Ibuprofen (z. B. Aktren®), 1200–2400 mg ten)
1,5–2,5 h (Kinder:
10–30 mg/kg) Aceclofenac (Beofenac®), 100–200 mg
4–5 h
Dexibuprofen (z. B. Del- 600–900 mg
taran®), 1,5–2,5 h Oxaceprol (AHP 200®), 600–1200 mg
2–3 h
Flurbiprofen (Dobendan® 26,25–43,75 mg
Direkt, Lutschtabletten), Anilin-Derivate
3–4 h
Paracetamol 1000–4000 mg
Ketoprofen (z. B. Gabrilen®), 100–200 mg (z. B. ben-u-ron®), (Kinder:
1,5–2,5 h 1,5–3 h 20–50 mg/kg)*

Dexketoprofen (Sympal®), 50–75 mg (p. o.), 2,3-Dimethyl-1-phenyl-3-pyrazolin-5-on-


1,5–2,5 h 50–150 mg Derivate
(i. v., max. 2 Tage)
Phenazon (z. B. Migräne- 1000–4000 mg
Naproxen (z. B. Aleve®), 500–1250 mg Kranit®), 11–12 h
13–15 h
Propyphenazon (DEMEX®), 1000–4000 mg
Tiaprofensäure (Surgam®), 600 mg 1–3 h
1,5–3 h
Metamizol (z. B. Novalgin®), 1000–4000 mg
Oxicame 2–4 h (für akt. Metabolit)

Piroxicam (z. B. Jenapirox®), 10–20 mg * Maximale Einzeldosis 10 mg/kg Körpergewicht

~ 30–80 h

Meloxicam (z. B. Mobec®), 7,5–15 mg


~ 20 h
12
114 12 Analgetika, Antirheumatika

COX-2-Induktion kommt, die durch Gluco- Nichtselektive NSAIDs


corticoide gehemmt wird. Alle nichtselektiven NSAIDs (႒ Tab. 12.1) hem-
󠀂 Die urikosurische Wirkung von Probenecid men in therapeutischen Konzentrationen beide
wird verringert und gleichzeitig die Aus- Cyclooxygenasen.
scheidung der Prostaglandinsynthesehem- Acetylsalicylsäure (ASS, z. B. Aspirin®) ist ei-
mer vom Säuretyp verzögert. nes der am meisten verwendeten nichtopioiden
󠀂 Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Analgetika/Antiphlogistika und einer der wich-
Acetylsalicylsäure, Clopidogrel) und selek- tigsten Thrombozytenaggregationshemmer.
tive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Die Substanz inaktiviert die Cyclooxygenasen
(SSRI, z. B. Citalopram, Fluvoxamin) erhö- durch irreversible Acetylierung. Da reife
hen das Risiko gastrointestinaler Blutungen. Thrombozyten nur die für die Thromboxan-
Unter einer SSRI-Therapie kommt es bereits Synthese wichtige COX-1 exprimieren und kei-
nach einigen Tagen zu einer Serotonin-De- nen Zellkern zur Regenerierung geschädigter
pletion in den Thrombozyten, sodass deren Enzymsysteme besitzen, hält der aggregations-
Funktion beeinträchtigt ist. hemmende Effekt von ASS trotz der geringen
Halbwertszeit (ca. 15 min) mehrere Tage, d. h. so
Außerdem werden
lange an, bis neue Thrombozyten ausgereift
󠀂 der diuretische Effekt von Saluretika abge- sind. Für die Herzinfarktsekundärprophylaxe
schwächt, sind deshalb niedrige ASS-Dosen (100 mg/Tag)
󠀂 die blutzuckersenkende Wirkung von oralen ausreichend.
Antidiabetika gesteigert, Acetylsalicylsäure steht als Salz mit der
󠀂 die Elimination von Methotrexat verzögert Aminosäure d,l-Lysin auch in gut wasserlösli-
und damit seine Toxizität erhöht, cher und damit intravenös applizierbarer Form
󠀂 die Ausscheidung von Lithiumionen abge- zur Verfügung (Aspirin® i. v.).
schwächt, Nach oraler Gabe wird der Acetylrest teilwei-
󠀂 die Nierentoxizität von Ciclosporin erhöht, se bereits bei der Schleimhautpassage abgespal-
󠀂 die gerinnungshemmende Wirkung von An- ten. Die so entstandene Salicylsäure ist ebenfalls
tikoagulanzien verstärkt und analgetisch wirksam.
󠀂 die blutdrucksenkende Wirkung von Antihy- Zusätzlich zu den allgemeinen Nebenwir-
pertonika, besonders die von ACE-Hem- kungen der NSAIDs (s. o.) kommen nach ASS-
mern verringert. Gabe besonders Sodbrennen, Magenbeschwer-
den und Mikroblutungen der Magenschleim-
Kontraindikationen. NSAIDs sind bei Magen-
haut vor. Sie treten nach ASS-Gabe häufiger als
Darm-Ulzerationen, Blutungen oder Perforati-
unter der Behandlung mit anderen NSAIDs auf.
onen (auch in der Anamnese), Asthma bronchi-
Bei Gichtpatienten ist infolge einer Konkurrenz
ale, hämorrhagischer Diathese, schweren Leber-
um den Säure-Carrier mit einer verstärkten
oder Nierenfunktionsstörungen sowie chroni-
Harnsäureretention zu rechnen. Da nicht ausge-
scher Herzinsuffizienz kontraindiziert. Auch in
schlossen werden kann, dass die Anwendung
den letzten Wochen der Schwangerschaft dürfen
von ASS bei Kindern mit viralen Infektionen, zu
sie wegen der Gefahr eines vorzeitigen Ver-
dem, wenn auch nur sehr seltenen Reye-Syn-
schlusses des Ductus Botalli nicht angewandt
drom (Leberschaden mit Enzephalopathie;
werden. Auch sollten sie nicht zusammen mit
Mortalität > 50 %) führen kann, sollte ASS bei
Antikoagulanzien gegeben werden (s. o.).
Kindern nicht eingesetzt werden.
Bei gleichzeitiger Einnahme von ASS (zur
Herzinfarktprophylaxe) und Ibuprofen kann
dieses vor ASS an das katalytische Zentrum der
COX-1 binden, sodass je nach Einnahmemodus
12.1 Analgetika 115

eine Aufhebung der kardioprotektiven Wirkung same Plasmaspiegel erreicht. Da S-Ibuprofen die
von ASS möglich ist. Patienten, die ASS zur Cyclooxygenasen (COX-1 und COX-2) unge-
Herzinfarktprophylaxe verwenden, sollten da- fähr 100-mal potenter als R-Ibuprofen hemmt,
her (bei entsprechender Indikation) Ibuprofen wurde S-Ibuprofen auch als reines Enantiomer
erst mindestens 2 Stunden nach der Applikation (Dexibuprofen, z. B. Deltaran®) auf den Markt
von ASS einnehmen. gebracht. Jedoch verursacht dieses bei halber
Diclofenac (z. B. Voltaren®) ist ein besonders Dosierung im Vergleich zum Racemat weitge-
häufig verwendetes NSAID. Es ist ein sehr po- hend vergleichbare Nebenwirkungen.
tenter Cyclooxygenase-Inhibitor mit geringer Zur Behandlung eines hämodynamisch wirk-
Präferenz für die COX-2. Seine Resorption aus samen offenen Ductus arteriosus Botalli (bei
dem Gastrointestinaltrakt variiert in Abhängig- Frühgeborenen vor der 34. Schwangerschafts-
keit von der galenischen Formulierung. Auf- woche) steht Ibuprofen auch als i. v. Injektions-
grund eines First-Pass-Effekts beträgt die orale lösung zur Verfügung (Pedea®).
Bioverfügbarkeit nur 30–80 % (im Mittel 50 %). Weitere Verbindungen aus der Gruppe der
Großen epidemiologischen Untersuchungen 2-Arylpropionsäuren sind Naproxen (z. B. Ale-
zufolge verursacht Diclofenac weniger schwer- ve®), Ketoprofen (z. B. Gabrilen®), sein reines
wiegende gastrointestinale Komplikationen als S-Enantiomer Dexketoprofen (Sympal®) und
z. B. Indometacin. Allerdings führt es häufiger Tiaprofensäure (Surgam®). Naproxen ist auch
als andere NSAIDs zur Erhöhung von Leberen- in Form einer Fixkombination mit Esomepra-
zymwerten. Die parenterale (intraglutäale) Gabe zol (500 mg Naproxen, 20 mg Esomeprazol in
von Diclofenac kann einen anaphylaktischen Vimovo®) als Filmtablette verfügbar. Flurbi-
Schock hervorrufen. Da kein therapeutischer profen ist nur noch als Lutschtablette gegen
Vorteil gegenüber einer peroralen Gabe nachge- Halsschmerzen auf dem Markt (Dobendan®
wiesen werden konnte, sollte Diclofenac nur Direkt).
noch in begründeten Ausnahmefällen i. m. ap- Piroxicam (z. B. Jenapirox®) und Meloxicam
pliziert werden. (z. B. Mobec®) gehören zur Gruppe der Oxica-
Um gastrointestinalen Ulzerationen vorzu- me. Piroxicam ist ein potenter, unselektiver
beugen, ist Diclofenac auch in fixer Kombinati- Hemmer der Cyclooxygenasen. Ist ein NSAID
on mit 0,2 mg Misoprostol im Handel (Artho- indiziert, ist Piroxicam nicht 1. Wahl, da es mehr
tec® forte). allergische Hautreaktionen und gastrointestina-
Neben Film-, Trink- und Retardtabletten, ist le Komplikationen verursacht als andere
Diclofenac als Gel, Spray und Schmerzpflaster NSAIDs. Es hat deshalb an Bedeutung verloren.
zur topischen Behandlung sowie als Supposito- Meloxicam hemmt – ähnlich wie Diclofenac –
rium und Injektionslösung (s. o.) auf dem Markt. die COX-2 etwas stärker als die COX-1. Diese
Zur Behandlung nicht-spezifischer Entzündun- geringfügige COX-2-Präferenz lässt sich teilwei-
gen des äußeren Auges ist Diclofenac ferner in se bei Dosierungen bis 7,5 mg/Tag ausnutzen.
Form von Augentropfen zugelassen (z. B. Difen® Da bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis
UD Augentropfen). jedoch meist Tagesdosen von 15 mg Meloxicam
Ibuprofen (z. B. Dolgit®) ist ein nichtselekti- eingesetzt werden, besitzt die Substanz keine
ver Hemmer der Cyclooxygenasen aus der deutlichen Vorteile gegenüber anderen NSAIDs.
Gruppe der 2-Arylpropionsäuren. Einen be- Indometacin und Acemetacin. Indometacin
sonders schnellen Wirkungseintritt bei oraler (z. B. Indomet-ratiopharm®) ist ein sehr starker
Applikation besitzt das d,l-Lysin-Salz (Ibu- Hemmer beider Cyclooxygenasen mit geringer
profen-d,l-Lysinat, z. B. Dolormin®), das auf- COX-1-Präferenz. Die Nebenwirkungsrate liegt
grund seiner schnellen Wasserlöslichkeit ra- bei über 30 %. Besonders gastrointestinale Ne-
12
scher als die freie Säure im Gastrointestinaltrakt benwirkungen treten nach Indometacin-Gabe
gelöst wird und deshalb auch schneller wirk- häufiger auf als nach Anwendung anderer
116 12 Analgetika, Antirheumatika

NSAIDs. Ferner werden Beeinträchtigungen beobachtet. Die Wirksamkeit dieser Substanz


des Sensoriums, Kopfschmerzen, Sehstörun- wird kontrovers diskutiert. Nebenwirkungen
gen, Schwindel und Tinnitus bei Indometacin von Oxaceprol sind hauptsächlich Magen-
häufiger als bei anderen NSAIDs beobachtet. Darm-Störungen (Magenschmerzen, Übelkeit,
Deshalb hat Indometacin an Bedeutung verlo- Appetitlosigkeit, Diarrhö) und allergische Haut-
ren. Ein Prodrug von Indometacin ist Acemet- reaktionen.
acin (z. B. Rantudil®), der Glycolsäureester von
Indometacin. COX-2-selektive NSAIDs (Coxibe)
Phenylbutazon (z. B. Ambene®) besitzt eine Für die antiphlogistischen, analgetischen und
ausgeprägte antiphlogistische Wirkung. Wegen antipyretischen Wirkungen nichtselektiver
häufiger und z. T. schwerer Nebenwirkungen NSAIDs wird die Hemmung der COX-2, für ei-
mit u. U. tödlichem Ausgang wurden die Indika- nige Nebenwirkungen dagegen die der COX-1
tionen für Phenylbutazon jedoch stark einge- verantwortlich gemacht. Folglich war es das
schränkt. Es darf nur noch, maximal 1 Woche Ziel, mit selektiven Hemmern der COX-2
lang, beim akuten Gichtanfall sowie bei akuten (Coxiben) nebenwirkungsärmere NSAIDs zu
Schüben eines Morbus Bechterew und einer entwickeln. Dieses Ziel wurde allerdings nur
rheumatoiden Arthritis gegeben werden, wenn teilweise erreicht (s. u.). Solche Substanzen
andere NSAIDs nicht ausreichend wirksam (႒ Tab. 12.1), die in therapeutisch eingesetzten
waren. Dosen selektiv die COX-2 hemmen, sind Cele-
Nabumeton (Relifex®) wird im Organismus coxib (z. B. CELEBREX®), Etoricoxib (z. B. AR-
zu der eigentlichen Wirksubstanz, der 6-Me- COXIA®) und Parecoxib (Dynastat®).
thoxy-2-naphthylessigsäure (6-MNA), die mit Ihr Wirkungsspektrum ist mit denen der
Naproxen strukturell eng verwandt ist, biotrans- nichtselektiven NSAIDs vergleichbar, auch
formiert. Entgegen früherer Vermutungen ist wenn nicht alle Coxibe für alle Indikationen
6-MNA kein selektiver COX-2-Hemmer. nichtselektiver NSAIDs zugelassen sind.
Nepafenac (NEVANAC®) ist ebenfalls ein Die Nebenwirkungen selektiver COX-
Prodrug, die Wirkform ist Amfenac. Die Sub- 2-Hemmer sind mit denen der nichtselektiven
stanz ist nur als Ophthalmikum bei okulären NSAIDs (s. o.) vergleichbar, außer dass sie auf-
Entzündungskomplikationen nach einer Au- grund der fehlenden COX-1-Hemmung weni-
gen-OP verfügbar. ger gastrointestinale Komplikationen (Ulzerati-
Aceclofenac (Beofenac®) ist ein Ester von onen, Blutungen, Perforationen) und nahezu
Diclofenac, aber dennoch kein Prodrug. Die keine Thrombozytenaggregationshemmung
Substanz wird hauptsächlich zu 4‘-Hydroxy- verursachen. Darüber hinaus ist das Risiko, ei-
Aceclofenac metabolisiert. Andere Metaboliten, nen Asthmaanfall auszulösen, für selektive
wie Diclofenac oder 4‘-Hydroxy-Diclofenac, COX-2-Hemmer geringer als für herkömmliche
entsprechen weniger als 5 % einer verabreichten NSAIDs. Nebenwirkungen, die am häufigsten
Dosis. Ob Aceclofenac besser verträglich ist als bei Coxiben genannt werden, sind Infektionen
andere herkömmliche NSAIDs, wird unter- der oberen Atemwege, Durchfall, Dyspepsie,
schiedlich beurteilt. Oberbauchbeschwerden und Kopfschmerzen.
Oxaceprol (N-Acetylhydroxyprolin; AHP Periphere Ödeme und eine Erhöhung des Blut-
200®) soll in vitro weder die Freisetzung von drucks treten ebenso häufig wie bei herkömmli-
Arachidonsäure noch die Bildung von Prosta- chen NSAIDs auf. Ferner kann es zu kardiovas-
glandinen beeinflussen. Als Wirkungsmecha- kulären Ereignissen (Herzinfarkt, Schlaganfall)
nismus wird eine Hemmung der Granulozy- kommen.
tenadhäsion diskutiert. Dementsprechend wer- Rofecoxib wurde aufgrund einer eindeutig
den NSAID-typische Nebenwirkungen wie Ul- nachgewiesenen erhöhten Rate für kardiovasku-
zerogenität oder Nephrotoxizität nur selten läre Ereignisse wieder vom Markt genommen.
12.1 Analgetika 117

Allerdings wurde gezeigt, dass auch nichtselekti- N-Acetylchinonimin am wichtigsten ist. Dieses
ve NSAIDs kardiovaskuläre Ereignisse verursa- kann bei lebergesunden Patienten kurzfristig
chen, sodass nach derzeitigem Kenntnisstand durch die SH-Gruppen von Glutathion unter
alle NSAIDs, selektive wie nichtselektive, mit Bildung ungiftiger Konjugate abgefangen wer-
diesem Risiko belastet sind. Im Gegensatz zu Ro- den. Sind jedoch die Glutathion-Speicher ent-
fecoxib wird allerdings das Nutzen-Risiko-Ver- weder wegen Leberinsuffizienz und/oder einer
hältnis der derzeit auf dem Markt befindlichen zu hohen Paracetamol-Dosis erschöpft, binden
Coxibe (Celecoxib, Etoricoxib, Parecoxib) von die Chinonimin-Metaboliten an Proteine der
den Zulassungsbehörden positiv eingeschätzt. Hepatozyten. Als Folge treten Leberzellnekro-
Da es sich bei Celecoxib um ein Sulfon- sen auf. Enzyminduktoren, die die Cyto-
amid-Derivat handelt, kann eine Sulfonamidal- chrom-P450-Synthese stimulieren, setzen die
lergie bei prädisponierten Patienten auftreten. toxische Schwellendosierung herab.
Schmerzpatienten mit Hypertonie sollten nicht Dosen über 10 g (entsprechend dem 2,5-fa-
mit Etoricoxib behandelt werden. Parecoxib ist chen der Tageshöchstdosis) führen dementspre-
ein wasserlösliches, parenteral applizierbares chend unbehandelt zu schweren, vielfach tödli-
Prodrug von Valdecoxib, das durch enzymati- chen Leberzellnekrosen. Bei Patienten mit vor-
sche Spaltung mit einer Halbwertszeit von ca. geschädigter Leber (z. B. durch Alkohol) können
20 Minuten gebildet wird. bereits Dosierungen von 4–6 g/Tag problema-
tisch sein.
12.1.3.2 Nicht saure antipyretische Für die Therapie einer Paracetamol-Intoxi-
Analgetika kation hat sich, solange es noch nicht zu einer
Der Wirkungsmechanismus dieser Analgetika irreversiblen Schädigung der Hepatozyten ge-
ist im Einzelnen noch nicht vollständig geklärt. kommen ist, die Gabe von SH-Donatoren be-
Sie hemmen zwar im ZNS die durch nozizeptive währt, welche die toxischen Chinonimin-Meta-
Stimuli hervorgerufene Prostaglandinsynthese, boliten entgiften. Außer Methionin wird haupt-
in peripheren Organen und am Ort der Entzün- sächlich Acetylcystein eingesetzt.
dung kommt es allerdings zu keiner relevanten Relative Kontraindikationen von Paraceta-
Hemmung. mol sind hepatozelluläre Insuffizienz, chroni-
Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist scher Alkoholmissbrauch, schwere Niereninsuf-
Paracetamol (z. B. ben-u-ron®, ႒ Tab. 12.1). Es fizienz (Kreatinin-Clearance < 10 ml/min) und
zeichnet sich durch eine gute antipyretische und das Gilbert-Syndrom (Morbus Meulengracht).
eine etwas schwächere analgetische Wirkung Einigen Berichten zufolge kann Paracetamol –
aus. Im Gegensatz zu den NSAIDs (s. o.) ist die ähnlich wie NSAIDs – auch kardiovaskuläre
antiphlogistische Wirkung sehr gering. Als Er- Komplikationen hervorrufen.
klärung hierfür wird die nicht ausreichende Metamizol (z. B. Novalgin®, ႒ Tab. 12.1) ist
Hemmung der Cyclooxygenasen am Ort der als Salz gut wasserlöslich und nicht nur oral,
Entzündung angesehen. Paracetamol hat eine sondern auch intravenös applizierbar. Es ist bei
geringe therapeutische Breite. Bei Paracetamol- starken Schmerzen und infolge einer zusätzli-
vergiftungen steht die hepatotoxische Wirkung chen spasmolytischen Wirkung auch bei Kolik-
im Vordergrund. Therapeutische Dosen von Pa- schmerzen gut wirksam. Bei der i. v. Injektion
racetamol werden hauptsächlich als Glucuronid der 50 %igen Lösung kann, insbesondere bei zu
und Sulfat ausgeschieden. Wenn bei höheren rascher Injektion, ein Schock auftreten. Eine
Dosen, durch Leberinsuffizienz oder durch län- strenge Indikationsstellung und langsame Injek-
gere Anwendung die Glucuronidierungs- und tion (am besten in Form einer Kurzinfusion)
Sulfatierungskapazität der Leber erschöpft sind, sind daher erforderlich. Bei oraler Gabe wird die
12
entstehen durch mikrosomale Oxidation toxi- Substanz im Gastrointestinaltrakt rasch hydro-
sche Paracetamol-Metaboliten, von denen das lytisch gespalten und das entstandene 4-Methyl-
118 12 Analgetika, Antirheumatika

aminophenazon, das die wirksame Form dar- Bei einer notwendigen gleichzeitigen An-
stellt, wird vollständig resorbiert. Die schwerste wendung von Flupirtin mit Substanzen, die
Nebenwirkung von Metamizol sowie der ande- ebenfalls zu Leberenzymerhöhungen führen
ren Pyrazol-Derivate (s. u.) ist die Agranulozy- können, müssen die Leberenzymwerte regelmä-
tose. Obwohl Metamizol schon sehr lange im ßig kontrolliert werden. Eine gleichzeitige Gabe
Handel ist, differieren die Angaben über die z. B. mit Paracetamol oder Carbamazepin soll
Agranulozytosehäufigkeit sehr stark. Auch vermieden werden. Bei Patienten mit hepati-
scheinen geografische Unterschiede zu existie- scher Enzephalopathie oder Cholestase sowie
ren (westliches Mitteleuropa ca. 0,01 – 0,001 %). mit Myasthenia gravis oder Tinnitus ist Flupir-
Bei einer längeren Therapie mit Metamizol ist tin kontraindiziert.
unbedingt eine Blutbildkontrolle erforderlich. Ziconotid (Prialt®) ist ein synthetisches, aus
Weitere unerwünschte Wirkungen sind 25 l-Aminosäuren bestehendes Analogon eines
Haut- und Schleimhautveränderungen, insbe- ω-Conopeptids, eines Gifts der Meeresschnecke
sondere allergische Haut- und hypotensive Re- Conus magus. Die Substanz hemmt auf Rücken-
aktionen. marksebene neuronale präsynaptische N-Typ-
Phenazon (z. B. Migräne-Kranit®, ႒ Tab. Calciumkanäle und dadurch die Freisetzung von
12.1) und Propyphenazon (DEMEX®, ႒ Tab. Schmerzmediatoren. Ziconotid wirkt somit an-
12.1) besitzen ein ähnliches Wirkungs- und Ne- algetisch, indem die spinale nozizeptive Trans-
benwirkungsspektrum wie Metamizol. misson inhibiert wird. Es ist ein nichtopioides
Analgetikum, gehört aber nicht in die Gruppe
12.1.3.3 Sonstige nichtopioide Analgetika der WHO-Stufe-1-Substanzen und hat auch kei-
Flupirtin (z. B. Katadolon®) wirkt analgetisch ne antiphlogistische oder antipyretische Wirkun-
und zentral muskelrelaxierend, aber nicht anti- gen. Ziconotid ist nur zur intrathekalen Anwen-
pyretisch oder antiphlogistisch. Der Wirkungs- dung bei starken, chronischen Schmerzen zuge-
mechanismus ist nur teilweise bekannt. Flu- lassen, wenn andere Analgetika nicht wirken.
pirtin soll die Öffnungswahrscheinlichkeit neu- Nach intrathekaler Gabe wird Ziconotid im
ronaler Kaliumkanäle erhöhen, wodurch die Liquor nicht metabolisiert, sondern unterliegt
Neurone hyperpolarisiert und schlechter erreg- erst nach Übertritt in die systemische Zirkulati-
bar werden. on der proteolytischen Spaltung durch Peptida-
Aufgrund einer Neubewertung der europäi- sen. In Abhängigkeit vom Liquorfluss wird es
schen Zulassungsbehörde (EMA) darf Flupirtin mit einer mittleren Halbwertszeit von 4–5 Stun-
nur noch angewendet werden, wenn andere An- den aus dem ZNS eliminiert. Die Halbwertszeit
algetika kontraindiziert sind. im Blut beträgt ca. 1,3 Stunden.
Die Halbwertszeit wird mit 7–15 Stunden an- Ziconotid wird über einen intrathekalen
gegeben. Katheder in einer anfänglichen Dosis von 2,4 μg/
Die orale Einzeldosis beträgt 100 mg, die Ta- Tag infundiert. Der empfohlene Mindestabstand
geshöchstdosis 600 mg, bei Niereninsuffizienten zwischen Dosiserhöhungen beträgt 48 Stunden,
maximal 300 mg. Die Behandlungsdauer darf 2 die maximale Tageshöchstdosis 21,6 μg.
Wochen nicht überschreiten. Als sehr häufige Nebenwirkungen wurden
Als Nebenwirkungen werden hauptsächlich Schwindel, Übelkeit, Nystagmus, Verwirrtheit,
ein Anstieg der Transaminasen (bis hin zu teils Gangabnormalitäten, Gedächtnisstörungen,
schwerwiegenden Leberschäden), zentrale (Mü- verschwommenes Sehen, Kopfschmerzen, As-
digkeit, Schwindel, Depressionen) und gastroin- thenie und Somnolenz beschrieben. Darüber
testinale Störungen (Übelkeit, Obstipation, aber hinaus wurden kardiale, renale und pulmonale
auch Diarrhö) sowie Mundtrockenheit, Sehstö- Nebenwirkungen beobachtet. Da Ziconotid
rungen und Hautreaktionen beobachtet. nicht häufig angewendet wird, kann die Verträg-
lichkeit noch nicht endgültig beurteilt werden.
12.1 Analgetika 119

Eine atemdepressive Wirkung wurde bisher Damit wird präsynaptisch über eine Ernied-
nicht beobachtet. rigung der Öffnungswahrscheinlichkeit von
Calciumkanälen eine Hemmung der Transmit-
terfreisetzung und postsynaptisch, hauptsäch-
12.1.4 Analgetische
lich über eine Erhöhung der Öffnungswahr-
Kombinationspräparate
scheinlichkeit von Kaliumkanälen, eine Hyper-
Eine große Anzahl analgetisch wirkender Han-
polarisation der Neurone bewirkt. Die Weiter-
delspräparate enthält gleichzeitig mehrere An-
leitung der nozizeptiven Signale wird dadurch
algetika sowie Kombinationen von Analgetika
gehemmt (Ⴜ Abb. 12.2).
mit Coffein, Spasmolytika oder anderen Sub-
Opioid-Analgetika wirken analgetisch, in-
stanzen. Einigen Autoren zufolge wird der Miss-
dem sie agonistisch an einen oder mehrere Opi-
brauch von Analgetika hauptsächlich mit solchen
oidrezeptortypen binden. Ihr Wirkprofil ist
Kombinationspräparaten (z. B. mit psychotropen
dementsprechend ähnlich, aber nicht identisch.
Wirkstoffen) betrieben. Die missbräuchliche
Darüber hinaus unterscheiden sie sich hinsicht-
Einnahme von Analgetika ist sehr gefährlich, da
lich ihrer Pharmakokinetik. Ihre Wirkungen
sie u. a. zur Analgetika-Nephropathie führt.
sind vielfältig, da Opioidrezeptoren in vielen
Allerdings wurde in einer Studie bei Migrä-
Organen und Geweben exprimiert werden. Sie
nekopfschmerzpatienten gezeigt, dass die Kom-
lassen sich in zentralnervöse und periphere
bination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol
Wirkungen aufteilen.
und Coffein (z. B. Thomapyrin®) wirksamer war
als die Einzelsubstanzen oder die Kombination Zentrale Wirkungen:
ohne Coffein (z. B. Fibrex®). Die Diskussion um
󠀂 Analgesie: Opioide unterdrücken auf spina-
die Bewertung von Analgetika-Kombinations-
ler Ebene nozizeptive Impulse, aktivieren das
präparaten ist demnach kontrovers, eine end-
endogene schmerzhemmende System und
gültige Bewertung solcher Kombinationspräpa-
verändern im limbischen System das
rate somit weiterhin nicht möglich.
Schmerzerlebnis.
󠀂 Sedierung: Opioide vermindern Aufmerk-
12.1.5 Opioid-Analgetika samkeit und Konzentrationsfähigkeit.
Opioid-Analgetika (Opioide) sind Agonisten an 󠀂 Anxiolyse: Opioide besitzen eine angstlösen-
Opioidrezeptoren, die in unterschiedlicher de Wirkung.
Dichte sowohl prä- als auch postsynaptisch im 󠀂 Euphorie oder Dysphorie: Opioide wirken je
Zentralnervensystem und in peripheren Gewe- nach Stimmungslage euphorisch oder dys-
ben vorkommen. Man unterscheidet μ-, κ- und phorisch.
δ-Rezeptoren. Daneben sind Subtypen be- 󠀂 Atemdepression: Opioide hemmen das
schrieben. Über μ-Opioidrezeptoren werden Atemzentrum.
hauptsächlich Analgesie, Atemdepression, Mio- 󠀂 Antitussive Wirkung: Opioide blockieren
sis, Euphorie, Obstipation, Bradykardie und die das Hustenzentrum.
antitussive Wirkung vermittelt. Die Erregung 󠀂 Rigidität der Skelettmuskulatur.
von κ-Rezeptoren soll Analgesie, Miosis und Se- 󠀂 Emesis: Opioide erregen zunächst das Brech-
dierung, die Stimulation von δ-Rezeptoren zentrum, später wirken sie dagegen durch
ebenfalls Analgesie, aber auch Dysphorie und Hemmung des Brechzentrums oft antieme-
Halluzinationen hervorrufen. tisch.
Über Opioidrezeptoren kommt es bei deren 󠀂 Miosis: Opioide verengen die Pupillen.
agonistischer Stimulation – G-Protein-(Gi/o-) 󠀂 Antidiuretische Wirkung: Opioide erhöhen
gekoppelt – zu einer Hemmung der Adenylylcy- die Freisetzung von antidiuretischem Hor-
12
clase und somit zu einer Erniedrigung der mon.
cAMP-Konzentration.
120 12 Analgetika, Antirheumatika

ohne Morphin Afferente C-Faser mit Morphin Afferente C-Faser


Ca2+ Ca2+
Gi Gi Cav
P Morphin
Cav ൹
PKA൹ PKA
ATP
ATP ൹ ൹
cAMP൹ [Ca2+]൹ cAMP [Ca2+]

Ad cycl
Ad cycl

en as
en ase

yl e
yly

yl
l-

-
Glutamat
Ca2+K+
+
Ca2+
Na
NMDA NMDA
L L
Hinterhornneuron Hinterhornneuron
K+ Gi Gi

[Ca2+൹
] [Ca2+]

K+
Hyper-
Depolarisation polarisation Morphin
Nozizeption keine Nozizeption

Ⴜ Abb. 12.2 Molekularer Wirkungsmechanismus von Opioiden am Beispiel von Morphin auf Rücken-
marksebene. Morphin hemmt durch Bindung an G-Protein-gekoppelte Opioidrezeptoren präsynaptisch
über eine Erniedrigung der Öffnungswahrscheinlichkeit von Calciumkanälen die Transmitterfreisetzung
(z. B. von Glutamat) nozizeptiver afferenter C-Fasern. Postsynaptisch bewirkt es hauptsächlich über eine
Erhöhung der Öffnungswahrscheinlichkeit von Kaliumkanälen eine Hyperpolarisation der Neurone
(rechts). Zur Verdeutlichung zeigt die Abbildung auch die Verhältnisse, wenn kein Opioid vorhanden ist
(links). ATP Adenosintriphosphat, cAMP cyclisches Adenosinmonophosphat, PKA Proteinkinase A, Cav
spannungsabhängiger Ca-Kanal, NMDA N-Methyl-d-Aspartat-(Rezeptor)

Periphere Wirkungen: 󠀂 Orthostase: Opioide verringern den Tonus


der Blutgefäße (Blutdruckabfall) mit der Ge-
󠀂 Analgesie: Opioide sind auch über periphere
fahr orthostatischer Reaktionen.
Opioidrezeptoren analgetisch wirksam.
󠀂 Histaminfreisetzung: Opioide können durch
󠀂 Verzögerte Magenentleerung.
Histaminfreisetzung Hautrötung, Urtikaria
󠀂 Obstipation: Opioide reduzieren die Motili-
und Juckreiz sowie bei Asthmatikern einen
tät und erhöhen den Tonus der glatten Mus-
Bronchospasmus hervorrufen.
kulatur des Gastrointestinaltrakts.
󠀂 Kontraktion der Sphinkteren im Bereich der
Ferner besteht bei Opioiden die Gefahr der To-
Gallenwege.
leranzentwicklung sowie der psychischen und
󠀂 Harnverhalt: Steigerung des Tonus der Harn-
physischen Abhängigkeit.
blasenmuskulatur und des Blasenschließ-
muskels.
12.1 Analgetika 121

12.1.5.1 Pharmakologische Einteilung der besten geeigneten Schmerzmittels (Nichtopioid


Opioid-Analgetika oder Opioid) bei nicht tumorbedingten Schmer-
Opioide unterscheiden sich hinsichtlich ihrer zen herangezogen werden.
Rezeptorkinetik, Wirkstärke, Wirkdauer und
Neben dem analgetischen Effekt sind auch an-
Pharmakokinetik.
dere Opioidwirkungen therapeutisch nutzbar.
In Abhängigkeit von ihrer Bindungsaffinität
So werden Opioide außer zur Schmerztherapie
zu den verschiedenen Opioidrezeptoren und
zur Substitutionstherapie Drogenabhängiger
der intrinsischen Aktivität (Ⴉ Kap. 3.1.1) werden
(Methadon, Buprenorphin), bei Diarrhö (z. B.
Opioide unterteilt in:
Loperamid) und als Antitussiva eingesetzt.
󠀂 Reine (volle) Agonisten (z. B. Morphin, Hy- Opioide können oral, parenteral, rücken-
dromorphon, l-Methadon, Oxycodon), marksnah (intrathekal, epidural), bukkal, nasal
󠀂 gemischte Agonisten/Antagonisten (z. B. oder transdermal angewendet werden. Diese
Nalbuphin), verschiedenen Applikationsmöglichkeiten sind
󠀂 Partialagonisten (z. B. Buprenorphin) und angesichts der unterschiedlichen Schmerztypen
󠀂 reine Antagonisten (z. B. Naloxon, Naltre- und -intensitäten sehr bedeutsam.
xon).
Dosierung. Die Dosierung der Opioide als An-
algetika erfolgt individuell anhand der
Indikationen. Opioide sind Mittel der Wahl zur
Schmerzcharakteristik, Schmerzintensität und
Behandlung von starken und sehr starken
Schmerzdauer. Aufgrund einer Toleranzent-
Schmerzen (intra- oder postoperativen Schmer-
wicklung ist mit der Zeit oft eine Dosissteige-
zen, tumorbedingten Schmerzen u. a.). Auch bei
rung notwendig. Bei chronischer Anwendung,
der Behandlung neuropathischer Schmerzen
die nach einem festen Zeitplan und nicht nach
spielen sie – meist in Kombination mit tricycli-
Bedarf zu erfolgen hat, sollte der Patient ein
schen Antidepressiva und/oder einigen Antiepi-
Schmerztagebuch führen. Die bei den einzelnen
leptika – eine bedeutende Rolle (s. u.). Aufgrund
Substanzen angegebenen Tagesdosen sind mitt-
ihrer gleichzeitig sedierenden Wirkung eignen
lere Werte bei nicht Opioid-naiven Patienten
sich Opioide auch für die Behandlung bei Herz-
und können im individuellen Fall extrem abwei-
infarkt (s. c. Gabe, nicht i. m.) und akutem Lun-
chen.
genödem, wo sie den Circulus vitiosus – Atem-
not, Angst, Verschlechterung der Herzökono- Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen sind
mie durch Sympathikusstimulation, Verstär- Opioidrezeptor-vermittelt und lassen sich damit
kung des Lungenödems – durchbrechen. von dem oben beschriebenen Wirkprofil ablei-
Darüber hinaus werden Opioide auch bei nicht ten. Die gefährlichste Nebenwirkung stellt die
tumorbedingten Schmerzen, wie z. B. chroni- Atemdepression dar. Diese ist bei Patienten mit
schen Rückenschmerzen, Arthrose oder rheu- Schmerzen aber viel weniger ausgeprägt als bei
matoider Arthritis, besonders bei Kontraindika- Personen ohne Schmerz, da Schmerz das Atem-
tionen von NSAIDs, zunehmend eingesetzt zentrum stimuliert. Demzufolge sollte das The-
(LONTS, Langzeitanwendung von Opioiden bei rapieziel nie vollkommene Schmerzfreiheit sein.
nicht tumorbedingten Schmerzen). Allerdings Die spastische Obstipation ist ebenfalls eine kli-
sind bei dieser Indikation die in Studien be- nisch besonders bedeutsame Nebenwirkung, die
schriebenen Schmerzlinderungen nicht immer bei chronischer Opioidgabe (z. B. bei Tumor-
überzeugend und ein Wirkungsvorteil gegen- schmerzen) fast immer mit Laxanzien behandelt
über Nichtopioid-Analgetika konnte bisher werden muss. Übelkeit, Erbrechen und Sedie-
nicht gezeigt werden. Potenziell zu erwartende rung werden vor allem bei Therapiebeginn be- 12
Nebenwirkungen bzw. Kontraindikationen soll- obachtet. Ferner kommt es zu Hypotension, Mi-
ten deshalb bei der Auswahl des individuell am osis, Juckreiz, Schwitzen, Bronchospasmus
122 12 Analgetika, Antirheumatika

und Thoraxrigidität (bei schneller i. v. Gabe). Interaktionen. Die gleichzeitige Gabe zentral
Wegen der harnverhaltenden Wirkung ist der dämpfender Pharmaka (z. B. Sedativa, Hypnoti-
Füllungszustand der Harnblase zu kontrollieren, ka, Neuroleptika, Antidepressiva) sowie von Al-
da sonst eine Blasenüberfüllung möglich ist, die kohol verstärken die Nebenwirkungen der Opi-
der Patient u. U. wegen der Analgesie nicht be- oide, insbesondere deren atemdepressive Wir-
merkt. Die Aufmerksamkeit und das Reaktions- kung. MAO-Hemmer können eine ZNS-Erre-
vermögen können Opioide so stark beeinflus- gung oder Depression und damit einen
sen, dass die Verkehrstüchtigkeit und die Fähig- lebensbedrohlichen Zustand hervorrufen. Sub-
keit zum Bedienen von Maschinen einge- stanzen mit anticholinerger Wirkung können
schränkt oder nicht mehr gegeben ist. Unter einige Nebenwirkungen der Opioide (z. B.
einer stabilen Therapieeinstellung, z. B. mit Re- Mundtrockenheit, Obstipation, Harnverhalt)
tard-Präparaten, ist ein generelles Fahrverbot verstärken. Pharmakokinetische Interaktionen
nicht zwingend notwendig. Arzt und Patient sind bei den Einzelsubstanzen aufgeführt.
müssen die Situation aber immer individuell be-
Kontraindikationen. Diese ergeben sich z. T. aus
urteilen und die Patienten sind entsprechend
dem Nebenwirkungsspektrum. Bei Krankheits-
aufzuklären. Psychische und physische Abhän-
zuständen, bei denen eine Dämpfung des Atem-
gigkeit können bei chronischer Opioidgabe vor-
zentrums vermieden werden muss, sowie bei
kommen, stellen aber bei kontrollierter, korrek-
akuten hepatischen Porphyrien, Ileus und aku-
ter therapeutischer Anwendung in der Regel
tem Abdomen sind Opioide kontraindiziert. Re-
kein großes Problem dar. Die Gefahr einer Ab-
lative Kontraindikationen sind Hypothyreose
hängigkeit ist dann besonders groß, wenn das
wegen der Verstärkung der narkotischen Wir-
Opioid nicht ausreichend analgetisch wirkt, und
kung, chronisch entzündliche Darmkrankhei-
es dadurch zu unkontrollierten Dosissteigerun-
ten, Phäochromozytom, Prostatahyperplasie
gen kommen kann.
mit Restharnbildung, Hypotension bei Hypo-
Zur medikamentösen Unterstützung bei der volämie, epileptische Anfallsleiden, Gallenwegs-
psychotherapeutisch geführten Entwöhnungs- erkrankungen und Pankreatitis. Bei Urämie ist
behandlung ehemaliger Opioidabhängiger die Empfindlichkeit gegen Opioide erhöht.
kann nach bereits erfolgter (!) Opioidentgiftung
Akute Opioidvergiftung. Die akute Opioidver-
Naltrexon (Nemexin®) eingesetzt werden. Es ist
giftung ist durch tiefes Koma mit oberflächli-
wie Naloxon (s. u.) ein Opioidrezeptor-Antago-
cher bis fast fehlender Atmung und maximaler
nist und verhindert, dass Agonisten wie z. B. He-
Verengung der Pupillen (typische Trias: Be-
roin an diese binden. Da Naltrexon bei opio-
wusstlosigkeit, Atemdepression und Miosis)
idabhängigen Patienten aber zu lebensbedrohli-
sowie Zyanose, kalte Haut und Hypothermie ge-
chen Entzugssymptomen führen kann, muss vor
kennzeichnet. Der Tod erfolgt durch Atemläh-
Beginn der Therapie ein Naloxon-Provokati-
mung. Bei der Therapie der Morphinvergiftung
onstest (z. B. 0,2 mg Naloxon i. v., nach 30 Se-
steht die Behebung des Sauerstoffmangels im
kunden ohne Nebenwirkungen weitere 0,6 mg
Vordergrund. Neben Beatmung ist die Gabe des
i. v.) durchgeführt werden. Außer bei den ge-
Opioid-Antagonisten Naloxon (z. B. Naloxon-
nannten Indikationen wurde Naltrexon (Han-
ratiopharm®) indiziert. Die Dosierung beträgt
delspräparat für diese Indikation Adepend®)
initial 0,4–2 mg intravenös, intramuskulär oder
auch bei Alkoholabhängigkeit als Begleitthera-
subkutan. Wegen der Gefahr eines lebensbe-
pie zur Reduktion des Rückfallrisikos und zur
drohlichen Entzugssyndroms sind bei Abhängi-
Verminderung des Verlangens nach Alkohol zu-
gen die Dosen zu reduzieren und gleichzeitig die
gelassen.
Dosierungsintervalle zu verkürzen.
12.1 Analgetika 123

12.1.5.2 Schwach wirksame Opioide der Die Halbwertszeit von Nortilidin beträgt 3–5
WHO-Stufe 2 Stunden.
Codein (z. B. in Gelonida®) wird als Analgeti- Die mittlere Tagesdosis beträgt ca. 100–
kum nahezu ausschließlich in Kombination mit 300 mg.
nichtopioiden Analgetika (z. B. Paracetamol) Tramadol (z. B. Tramal®) ist ein Racemat
eingesetzt. Der analgetische Effekt beruht auf und hat einen dualen Wirkungsmechanismus.
der Demethylierung (durch CYP2D6) zu Mor- Tramadol selbst und der via CYP2D6 gebildete
phin (ca. 10 %). Bei langsamen Metabolisierern Metabolit O-Desmethyl-Tramadol sind relativ
(slow metaboliser) von CYP2D6 (genetischer schwache μ-Opioidrezeptoragonisten. Zusätz-
Polymorphismus) ist daher der analgetische Ef- lich hemmt (+)-Tramadol die Wiederaufnahme
fekt unzureichend, bei sehr schnellen Metaboli- von Serotonin und (–)-Tramadol die von Nor-
sierern (ultra rapid metaboliser) kann es zu adrenalin, die wichtige Transmitter des endoge-
Morphinintoxikationen kommen. Da somit bei nen schmerzhemmenden Systems sind. Trama-
ca. 10 % der kaukasischen Bevölkerung mit Pro- dol führt – besonders bei höherer Dosierung –
blemen (unzureichende Wirkung oder Mor- relativ häufig zu Übelkeit und/oder Erbrechen,
phinintoxikation) zu rechnen ist, hat Codein an vermutlich durch Hemmung der Wiederauf-
Bedeutung verloren. nahme von Serotonin. In Kombination mit se-
Die orale Bioverfügbarkeit von Codein liegt lektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
bei ca. 40–60 %, seine Halbwertszeit bei ca. 2–3 (SSRI, z. B. Citalopram) oder anderen die Sero-
Stunden. toninkonzentration beeinflussenden Substan-
Die mittlere Tagesdosis beträgt ca. 60–120 mg zen (z. B. MAO-Hemmern) kann Tramadol ein
(als Codeinphosphat). sog. Serotoninsyndrom auslösen. Symptome
Tilidin selbst hat nur einen sehr schwachen dieses Syndroms sind Verwirrtheit, Unruhe,
agonistischen Effekt. Die eigentliche Wirksub- Fieber, Schwitzen, Ataxie, Hyperreflexie, Myo-
stanz ist das durch oxidative Demethylierung klonus und Diarrhö. Ein Absetzen der „sero-
am Stickstoff gebildete Nortilidin. Tilidin wird toninergen“ Substanzen bessert normalerweise
mit Naloxon fix kombiniert (z. B. 50 mg Tilidin die Beschwerden.
+ 4 mg Naloxon, z. B. Valoron® N retard). Dabei Die Halbwertszeit wird mit ca. 6 Stunden an-
wird Tilidin bei der ersten Leberpassage akti- gegeben.
viert, Naloxon dagegen zu unwirksamen Meta- Die mittlere Tagesdosis beträgt ca. 100–
boliten inaktiviert. Bei missbräuchlicher, paren- 300 mg.
teraler Gabe oder bei überhöhten oralen Dosen
antagonisiert Naloxon die (Nor-)Tilidinwirkung 12.1.5.3 Stark wirksame Opioide der
und verhindert damit den Missbrauch. Bei le- WHO-Stufe 3
berinsuffizienten Patienten ist die fixe Kombi- Alle Opioide der WHO-Stufe 3 unterliegen der
nation nicht indiziert, da in der insuffizienten Betäubungsmittelverschreibungsverordnung.
Leber zu wenig wirksames Nortilidin gebildet Morphin (z. B. MST®) ist nach wie vor das
und gleichzeitig Naloxon bei der ersten Leber- Standardopioid. Es kann parenteral (z. B. intra-
passage nicht vollständig eliminiert wird. Bei venös, subkutan, epidural), oral in Form von Re-
Niereninsuffizienten kann sie jedoch eingesetzt tardpräparaten und rektal appliziert werden.
werden. Für die Kombination Tilidin/Naloxon Die Resorption von Morphin aus dem Gastroin-
in retardierter Form sind – im Gegensatz zur testinaltrakt erfolgt relativ langsam. Außerdem
Tropfenformulierung – kaum Suchtfälle be- weist es einen ausgeprägten First-Pass-Effekt
kannt geworden. Die Tropfenformulierung wur- auf.
de unter die Betäubungsmittelverschreibungs- Die orale Bioverfügbarkeit nicht retardierter
12
verordnung gestellt. Formulierungen beträgt ca. 25 %, bei retardier-
ten Zubereitungen steigt sie auf ca. 40 % an.
124 12 Analgetika, Antirheumatika

Allerdings wird Morphin bei der ersten Leber- Die Halbwertszeit beträgt ungefähr 2–4 Stun-
passage mittels UDP-Glucuronyltransferase in den.
erheblichem Umfang in das ebenfalls wirksame Die mittleren Tagesdosen betragen bei nicht
Morphin-6-Glucuronid (M-6-G) umgewan- Opioid-naiven Patienten 2 mg (parenteral) und
delt. Hauptmetabolit ist das unwirksame Mor- 8–32 mg (Retardkapsel).
phin-3-Glucuronid. Die Ausscheidung erfolgt Levomethadon (l-Polamidon®) ist etwa vier-
überwiegend renal in Form der Glucuronide. mal potenter als Morphin. Es ist das wirksame
Die Halbwertszeit liegt zwischen 2 und 3 Stun- R(–)-Enantiomer des Methadon-Racemats [das
den. S(+)-Enantiomer besitzt nahezu keine analgeti-
Die Einzeldosis beträgt bei intravenöser Ap- sche Wirksamkeit]. Für die Schmerztherapie ist
plikation 5–10 mg (langsam), bei subkutaner in Deutschland nur Levomethadon zugelassen.
Gabe 10–30 mg und bei oraler Gabe (retardierte Abstinenzerscheinungen entwickeln sich lang-
Formulierungen) 30–60 mg. Die mittleren Ta- samer und weniger stark als z. B. mit Morphin.
gesdosen liegen bei nicht Opioid-naiven Patien- Die Substanz ist gut (> 80 %) oral bioverfügbar,
ten zwischen 10–60 mg (parenteral) und 60– sodass neben einer Injektionslösung auch eine
120 mg (oral). Bei niereninsuffizienten Patien- Tropfenformulierung auf dem Markt ist. Letzte-
ten sollte Morphin nicht eingesetzt werden, da re kann z. B. bei Schmerzpatienten mit einem
M-6-G kumuliert. Tumor in der oberen Schluckstraße angewendet
Oxycodon (z. B. Oxygesic®) ist etwas poten- werden. Methadon wird hauptsächlich über
ter als Morphin. Die orale Bioverfügbarkeit ist in CYP3A4 metabolisiert, sodass Interaktionen
Abhängigkeit von der Formulierung mit 40– mit CYP3A4-Hemmern (z. B. Itraconazol, Ri-
80 % größer als die von Morphin. Die Metaboli- tonavir, Verapamil) und CYP3A4-Induktoren
sierung erfolgt über CYP2D6, CYP3A4 und (z. B. Carbamazepin, Rifampicin, Johannis-
Glucuronidierung. Oxycodon wurde auch als krautextrakt) zu beachten sind.
Fixkombination mit Naloxon als Retardpräparat Die Halbwertszeit ist individuell sehr variabel
zugelassen (Targin®, z. B. 10 mg Oxycodon mit und beträgt zwischen 20 und 60 (in Einzelfällen
5 mg Naloxon). Naloxon kann von der Darmlu- bis zu 100) Stunden.
menseite Opioidrezeptoren antagonistisch be- Die mittlere Tagesdosis liegt bei nicht Opio-
setzen und somit einer Opioid-induzierten Obs- id-naiven Patienten zwischen 2,5 und 7,5 mg.
tipation teilweise vorbeugen. Nach der Resorpti- Für die Substitution Drogenabhängiger ist
on wird Naloxon bei der ersten Leberpassage sowohl Levomethadon als auch Methadon-Ra-
fast vollständig abgebaut und antagonisiert des- cemat (z. B. Methaddict®) zugelassen. Über eine
halb die analgetische Wirkung von Oxycodon Blockade des spannungsabhängigen Kaliumka-
nicht. nals hERG in Kardiomyozyten kann Methadon
Die Halbwertszeit beträgt 3–6 Stunden. [hauptsächlich das S(+)-Enantiomer, nicht Le-
Die mittleren Tagesdosen liegen bei nicht vomethadon] eine QT-Zeit-Verlängerung be-
Opioid-naiven Patienten zwischen 20 und wirken.
40 mg. Piritramid (Dipidolor®) ist ungefähr gleich
Hydromorphon (z. B. Palladon®) ist ca. 7,5- potent wie Morphin und wird in Deutschland
mal potenter als Morphin. Aufgrund eines aus- wegen seiner relativ guten Steuerbarkeit häufig
geprägten First-Pass-Effekts beträgt die orale zur intravenösen, postoperativen Schmerzthe-
Bioverfügbarkeit als Retardformulierung unge- rapie („Schmerztitration“) eingesetzt.
fähr 40 %. Der Hauptmetabolit Hydromorphon- Seine Halbwertszeit beträgt 4–10 Stunden.
3-Glucuronid ist analgetisch unwirksam und Eine orale Formulierung ist nicht auf dem
wird renal ausgeschieden. Im Gegensatz zu Markt.
Morphin, kann kein 6-Glucuronid gebildet wer- Die mittlere Tagesdosis beträgt 15–60 mg.
den.
12.1 Analgetika 125

Tapentadol (Palexia®) hat ähnlich wie Tra-


madol einen dualen Wirkungsmechanismus. Es 100 Fentanyl
ist ein mittelstarker Agonist an μ-Opioid-

Opioidwirkung %
Morphin
rezeptoren und hemmt die Wiederaufnahme
des für die endogene Schmerzhemmung wichti- 50
Buprenorphin
gen Neurotransmitters Noradrenalin. Im Ge-
gensatz zu Tramadol soll Tapentadol in thera-
peutisch relevanten Dosierungen die Serotonin-
wiederaufnahme nicht hemmen. Es kann bei 0
starken, chronischen Schmerzen bei Erwachse- Steigende Dosis des Opioids
nen eingesetzt werden. Auch für die Behand-
lung neuropathischer Schmerzen liegen positive Ⴜ Abb. 12.3 Schematische Dosis-Wirkungs-Kurve
Studien vor. von Buprenorphin im Vergleich zu Morphin und
Fentanyl
Aufgrund eines ausgeprägten First-Pass-Ef-
fekts liegt die orale Bioverfügbarkeit nur bei ca.
32 %. Die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich haltende Wirkung ist wahrscheinlich aufgrund
durch Glucuronidierung und Sulfatierung, un- des μ-Rezeptorantagonismus deutlich geringer
tergeordnet auch zu N-Desmethyl-Tapentadol ausgeprägt als bei anderen Opioiden. Schwere
(mittels CYP2C9 und 2C19) sowie zu OH-Ta- Nieren- und/oder Leberinsuffizienz, sowie die
pentadol (mittels CYP2D6). Die beschriebenen gleichzeitige Gabe von reinen μ-Rezeptor-
Metaboliten sind nicht aktiv. Die Halbwertszeit agonisten (z. B. Morphin) stellen Kontraindika-
beträgt ca. 4 Stunden. tionen dar.
Die mittlere Tagesdosis liegt zwischen 100 Nalbuphin wird in der Leber zu mehreren
und 300 mg Tapentadol retard. (unwirksamen) Metaboliten abgebaut sowie in
Pethidin (Dolantin®) ist etwa 5-mal weniger Form der Glucuronide renal eliminiert. Seine
potent als Morphin. Halbwertszeit beträgt ca. 3 Stunden.
Seine Bioverfügbarkeit wird mit ca. 50 %, sei- Die mittlere Tagesdosis beträgt 10–20 mg.
ne Halbwertszeit mit 3–8 Stunden angegeben. Buprenorphin (z. B. Temgesic®) ist ein Parti-
Ein wichtiger Metabolit ist Norpethidin, das alagonist (Ⴉ Kap. 3.1.1) an μ-Opioidrezeptoren
konvulsive Eigenschaften besitzt. Da Norpethi- und hat eine sehr hohe Affinität zu diesen. Es ist
din nach wiederholter Gabe kumuliert, ist Pethi- ca. 40-mal potenter als Morphin. Aufgrund der
din für eine Dauertherapie nicht geeignet. Dies partialagonistischen Eigenschaft besitzt es eine
gilt insbesondere für niereninsuffiziente Patien- niedrigere intrinsische Aktivität als reine Ago-
ten. Pethidin hat deshalb an Bedeutung ver- nisten wie Morphin, sodass der maximale an-
loren. algetische Effekt (Efficacy) von Morphin nicht
Nalbuphin (Nalpain®) ist ein gemischter erreicht wird (Ceiling-Effekt, Ⴜ Abb. 12.3). The-
κ-Agonist/μ-Antagonist und kann zur parente- rapeutisch gesehen ist dieser Ceiling-Effekt al-
ralen kurzzeitigen Behandlung mittelstarker lerdings nur von untergeordneter Bedeutung, da
und starker, einschließlich postoperativer Buprenorphin (wie auch andere Opioide) bei
Schmerzen, eingesetzt werden. Für die chroni- korrekter Anwendung nur im linearen Dosis-
sche Schmerztherapie ist die Substanz nicht ge- Wirkungskurven-Bereich eingesetzt wird. Bu-
eignet und nicht zugelassen. Aufgrund des Ant- prenorphin wirkt außerdem mit niedriger Affi-
agonismus am μ-Opioidrezeptor weist die Sub- nität antagonistisch an κ-Rezeptoren. Es hat
stanz nur ein geringes Missbrauchspotenzial prinzipiell ein ähnliches Abhängigkeitspotenzial
auf, da bei opioidabhängigen Patienten nach In- wie andere Opioide und fällt daher – wie alle
12
jektion sofort Entzugserscheinungen hervorge- WHO-Stufe-3-Opioide – unter die Betäubungs-
rufen werden. Die obstipierende und harnver- mittelverschreibungsverordnung.
126 12 Analgetika, Antirheumatika

Außer zur Schmerztherapie wird Buprenorphin Freisetzungsraten zur Verfügung. Nach der ers-
zur Substitution bei Opioidabhängigkeit ver- ten Pflaster-Applikation dauert es ca. 12–24 h,
wendet (Subutex®). Durch die hohe Affinität bis ausreichend hohe Plasmaspiegel und somit
von Buprenorphin zu μ-Rezeptoren und seine Analgesie erreicht werden. Danach bleibt ein re-
feste Rezeptorbindung wird z. B. Heroin von den lativ konstanter Plasmaspiegel bei – je nach
Rezeptoren verdrängt bzw. kann nicht an Pflaster – ca. 3–7-tägigem Pflasterwechsel erhal-
μ-Rezeptoren binden und dadurch keine oder ten. Obstipation und Sedierung sollen bei der
nur in vermindertem Umfang Euphorie aus- transdermalen Anwendung weniger ausgeprägt
lösen. Auch die Fixkombination mit Naloxon sein als nach oraler Morphin-Gabe. Bei Patien-
(SUBOXONE®-Sublingualtabletten) ist zur ten mit erhöhter Hauttemperatur (z. B. durch
Substitutionstherapie bei Opioidabhängigkeit Fieber, Heizkissen, Sauna, Solarium) wird mehr
zugelassen. Durch Naloxon soll der intravenöse Substanz durch die Haut resorbiert, weshalb
Missbrauch (nach Extraktion der Wirkstoffe aus vermehrt opioidtypische Nebenwirkungen be-
den Sublingualtabletten) verhindert werden. obachtet werden.
Aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften
wird Buprenorphin gut resorbiert, ist aber we- 12.1.6 Dronabinol
gen eines relativ hohen First-Pass-Effekts nach Cannabinoid-Rezeptoren. Cannabinoid-Rezep-
peroraler Gabe nur gering bioverfügbar (ca. toren (CB1 und CB2) werden sowohl im zen-
15 %). Die Bioverfügbarkeit von Sublingualtab- tralen Nervensystem als auch in der Peripherie
letten beträgt dagegen ca. 55 %. Die Halbwerts- exprimiert. Der CB1-Rezeptor wird überwie-
zeit liegt zwischen 12 und 16 Stunden. gend im ZNS gefunden, während der CB2-Re-
Die mittleren Tagesdosen betragen in der zeptor hauptsächlich auf immunkompetenten
Schmerztherapie 0,3–0,9 mg (parenteral), 0,4– Zellen des hämatopoetischen Systems, in den
1,0 mg (sublingual) und 0,8–1,6 mg (transder- Tonsillen und in der Milz nachweisbar ist. CB-
mal). Rezeptoren hemmen bei Stimulation – G-Prote-
Da Buprenorphin nur langsam von den Opi- in-(Gi/o-)gekoppelt – Adenylylcyclasen. Da-
oidrezeptoren dissoziiert, sind bei Überdosie- durch bewirken sie – ähnlich wie Opioidrezep-
rung bzw. Vergiftungen höhere Dosen des Ant- toren – präsynaptisch eine Hemmung der
agonisten Naloxon als z. B. bei Morphin not- Transmitterfreisetzung und postsynaptisch eine
wendig, um eine Atemdepression aufzuheben. Hyperpolarisation der entsprechenden Zellen.
Die intravenöse Anwendung von Fentanyl, Da CB-Rezeptoren in vielen Hirnregionen ex-
Alfentanil, Sufentanil und Remifentanil wird primiert werden, sind die vermittelten Wirkun-
unter Ⴉ Kap. 14.1.6 besprochen. Fentanyl wird gen vielfältig. Sowohl Gedächtnis, Emotionen
außerdem in Form von Lutschtabletten (Ac- und Motorik als auch die Nozizeption können
tiq®), Bukkaltabletten (z. B. Effentora®), eines durch Cannabinoide beeinflusst werden.
Bukkalfilms (z. B. Breakyl® Buccalfilm) oder ei-
Dronabinol, ein Stereoisomer von Δ9-Tetra-
nes Nasensprays (z. B. PecFent®) zur Therapie
hydrocannabinol (THC), wird additiv in der
von Durchbruchschmerzen bei Tumorschmerz-
Schmerztherapie von einigen Schmerztherapeu-
patienten, die bereits eine Opioidbasistherapie
ten eingesetzt. Es bindet unselektiv an die Can-
erhalten, eingesetzt.
nabinoid-Rezeptoren und beeinflusst dadurch
Transdermale therapeutische Systeme. Für die die Freisetzung von Neurotransmittern. Bisher
chronische Schmerztherapie (z. B. bei Tumor- ist in Deutschland noch kein Dronabinol-Fer-
schmerzen) stehen Fentanyl- (z. B. Durogesic® tigarzneimittel im Handel, doch steht es als ver-
SMAT) und Buprenorphin-Pflaster (z. B. Tran- schreibungsfähige Rezeptursubstanz (auf Betäu-
stec PRO®) als transdermale therapeutische Sys- bungsmittelrezept!) zur Verfügung. Als Neben-
teme (TTS) mit verschiedenen Dosierungen/ wirkungen werden Tachykardie und Mundtro-
12.1 Analgetika 127

ckenheit als Folge einer Wirkung auf die Tagesdosis beträgt 35–70 mg (als Dihydrocode-
Acetylcholin-Freisetzung und -Biotransformati- inhydrogentartrat).
on beobachtet. Außerdem werden zen- Noscapin (Capval®), ein Alkaloid des Schlaf-
tralnervöse Wirkungen, wie z. B. Beeinträchti- mohns, besitzt eine mit Codein vergleichbare
gung der Reaktionsfähigkeit und des Gedächt- antitussive, aber keine analgetische Wirkung.
nisses, berichtet. Obwohl das Suchtpotenzial Neben Magen-Darm-Beschwerden und Kopf-
von Dronabinol relativ gering sein soll, können schmerzen, wurden auch schwerwiegende, aber
bereits nach Absetzen therapeutischer Dosen sehr seltene Nebenwirkungen (z. B. Stevens-
Entzugssymptome (Angst, Unruhe, Schlaflosig- Johnson-Syndrom) beschrieben. Seine Halb-
keit, Speichelfluss, Durchfall, Erhöhung des Au- wertszeit beträgt 4–5 Stunden. Die mittlere Ta-
geninnendrucks) auftreten. Außerdem ist eine gesdosis liegt bei 50–100 mg.
physische Abhängigkeit möglich. Dextromethorphan (z. B. Silomat® DMP),
Ein aus dem Dickextrakt von Cannabis sati- das rechtsdrehende Enantiomer des Methyl-
va hergestelltes Spray (Sativex®) steht zur buk- ethers von Levorphanol, ist sehr gut antitussiv
kalen Anwendung bei Multiple-Sklerose-Pati- wirksam. Außerdem wird es aufgrund seiner
enten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik NMDA-antagonistischen Wirkung auch zur
zur Symptomverbesserung zur Verfügung. Die Therapie neuropathischer Schmerzen einge-
Hauptbestandteile dieses Fertigpräparats sind setzt. Allerdings interagiert Dextromethorphan
THC und Cannabidiol. bei Überdosierung auch mit Opioidrezeptoren.
In einigen Ländern wurde deshalb eine Zunah-
12.1.7 Antitussiva me des Dextromethorphan-Abusus beobachtet.
Hustenreizstillende Mittel setzen die Häufigkeit Dextromethorphan ist ein CYP2D6-Substrat,
und die Intensität von Hustenstößen durch Un- wodurch die Halbwertszeit von normal ca. 3–4
terdrückung des Hustenreflexes infolge einer Stunden auf bis zu 45 Stunden bei CYP2D6-
Hemmung des sog. Hustenzentrums im Stamm- Langsam-Metabolisierern ansteigen kann.
hirn herab. Sie sind nur bei trockenem Reizhus- Als mittlere Tagesdosis werden 22–88 mg ge-
ten angezeigt, bei dem durch die Ausschaltung geben.
des Hustenreflexes keine Gefahr des Sekretstaus Als Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Be-
besteht. Als Nebenwirkungen der folgenden An- schwerden und Müdigkeit beschrieben. Bei
titussiva werden u. a. Kopfschmerzen, Müdig- Asthma bronchiale oder Atemdepression darf
keit, Übelkeit, Urtikaria und Überempfindlich- die Substanz nicht angewendet werden.
keitsreaktionen genannt. Pentoxyverin (z. B. Sedotussin® Hustenstil-
Codein (z. B. Bronchicum® Mono Codein), ler) besitzt weder hypnotische noch atemde-
dessen antitussive Wirkung hauptsächlich durch pressive Wirkungen. Als Nebenwirkungen wur-
den Metaboliten Morphin hervorgerufen wird den hauptsächlich Somnolenz, Fatigue, Übelkeit
(s. o.), wird vorwiegend als Antitussivum und und Mundtrockenheit beobachtet. Ateminsuffi-
weniger als Analgetikum benutzt. Auch wird zienz und ZNS-Depression stellen Kontraindi-
diskutiert, dass Codein selbst eine antitussive kationen dar. Die Halbwertszeit liegt bei 2–6
Wirkung hat. Die mittlere Tagesdosis beträgt Stunden. Die mittlere Tagesdosis beträgt 60–
40–120 mg. 80 mg.
Dihydrocodein (z. B. Tiamon® mono) wird Benproperin (Tussafug®) hat ebenfalls keine
in der Leber u. a. in Dihydromorphin umgewan- zentral dämpfende Wirkung und kann auch bei
delt, das ein erhebliches Suchtpotenzial auf- Patienten mit eingeschränkter Atemfunktion
weist. DHC hat einen ausgeprägten First-Pass- eingesetzt werden. Es soll den Hustenreiz im af-
Effekt (orale Bioverfügbarkeit ca. 20 %) und eine ferenten Teil des Reflexbogens hemmen. Als Ne-
12
Halbwertszeit von 3–4 Stunden. Die mittlere benwirkungen treten Schläfrigkeit, Übelkeit
und Mundtrockenheit auf. Die Halbwertszeit
128 12 Analgetika, Antirheumatika

beträgt ca. 2–6 Stunden. Als mittlere Tagesdosis ႒ Tab. 12.2 Arzneistoffe zur Therapie neuropathi-
werden 50–150 mg gegeben. scher Schmerzen mit Dosierungsempfehlungen für
Levodropropizin (Quimbo®) blockiert die Erwachsene. Nach Leitlinie der Deutschen Gesell-
Hustenrezeptoren im Tracheobronchialbaum. schaft für Neurologie
Nebenwirkungen sind Übelkeit, Schläfrigkeit, INN (Handelspräparat) Startdosis (wirk-
Hautreaktionen und Tachykardien. Bei Pati- same Dosis/Tag)
enten mit stark eingeschränkter Leberfunk-
tion oder schwerer Niereninsuffizienz ist die Antidepressiva
Substanz kontraindiziert. Bei älteren Patien- Amitriptylin (z. B. Saroten®) 10–25 mg
ten sollte sie deshalb vorsichtig dosiert wer- (50–75 mg)
den. Die Halbwertszeit ist mit ca. 1–2 Stunden
angegeben. Die mittlere Tagesdosis beträgt Nortriptylin (Nortrilen®) 10–25 mg
60–120 mg. (50–75 mg)

Duloxetin (z. B. CYMBALTA®) 30 mg (60 mg)


12.1.8 Therapie neuropathischer
Schmerzen Venlafaxin (z. B. Trevilor®) 37,5 mg
Neuropathische Schmerzen (z. B. postzosteri- (50–225 mg ret.)
sche Neuralgie, Polyneuropathie, posttraumati-
Antiepileptika
sche Neuropathie) entstehen, wenn periphere
oder zentrale Nerven geschädigt werden. Sie un- Gabapentin (z. B. Neurontin®) 300 mg
terscheiden sich somit hinsichtlich ihrer Ätiolo- (1200–2400 mg)
gie, Pathogenese und Therapie von entzündli-
chen Schmerzen. Nichtsteroidale Antiphlogisti- Pregabalin (z. B. LYRICA®) 75 mg
(150 mg)
ka, aber auch Paracetamol und Metamizol sind
dementsprechend nicht oder nur wenig wirk- Carbamazepin (z. B. Tegretal®) 100–200 mg
sam. Versuche einer kausalen Behandlung (z. B. (600–1200 mg
optimale Einstellung des Blutzuckers) stehen bei ret.)
dieser Art von Schmerzen immer im Vorder-
grund. Zu ihrer Pharmakotherapie werden Lamotrigin (z. B. Lamictal®) 25 mg
(100–200 mg)
hauptsächlich einige Antidepressiva, Antikon-
vulsiva und langwirkende Opioide (႒ Tab. 12.2) Opioide
entweder als Monotherapeutika oder in Kombi-
nation aus 2 oder 3 Wirkstoffen verschiedener Tramadol ret. (z. B. Tramal®) 50–100 mg
Substanzklassen eingesetzt. Sollten die Schmer- (Titration)
zen sowohl einen neuropathischen als auch ei-
Morphin ret. (z. B. MST®) 10–30 mg
nen entzündlichen Charakter aufweisen (Titration)
(„mixed pain“), werden die genannten Sub-
stanzen auch mit nichtsteroidalen Antiphlogis- Oxycodon (z. B. Oxygesic®) 10–20 mg
tika kombiniert. Eine exakte Schmerzanamnese (Titration)
und detaillierte klinische Diagnostik sind des-
Topische Therapie
halb von großer Bedeutung.
Tricyclische Antidepressiva vom Amitripty- Lidocain-Pflaster (Versatis®) 5 %/700 mg
lin-Typ sind bei der Therapie neuropathischer (bis 3 Pflaster tgl.)
Schmerzen am besten untersucht. Zusätzlich
Capsaicin-Pflaster (Qutenza®) 179 mg
zum Serotonin- und Noradrenalin-Wiederauf-
(max. 4 Pflaster
nahme-hemmenden Effekt inhibieren sie span-
alle 90 Tage)
nungsabhängige Natriumkanäle, was zu ihrer
12.1 Analgetika 129

Wirkung bei neuropathischen Schmerzen maß- Pharmakodynamische und -kinetische De-


geblich beiträgt. Tricyclische Antidepressiva tails und insbesondere Nebenwirkungen, Kon-
sind bei den verschiedensten Formen neuropa- traindikationen und Interaktionen dieser Sub-
thischer Schmerzen wirksam, wobei die mittle- stanzen sind unter Ⴉ Kap. 10.2.1 (Antidepressi-
ren Dosen niedriger sind als bei der antidepres- va), Ⴉ Kap. 16.2 (Antikonvulsiva) und Ⴉ Kap.
siven Therapie und jeder Patient eine individu- 12.1.5 (Opioide) beschrieben.
elle Dosis in Abhängigkeit von Wirkung und Darüber hinaus wurde Capsaicin als Pflaster
Nebenwirkungen benötigt. Eine eventuelle Wir- (Qutenza® 179 mg kutanes Pflaster) zur Be-
kungslosigkeit kann frühestens nach 2–4 Wo- handlung peripherer neuropathischer Schmer-
chen beurteilt werden. Die vielfältigen, insbe- zen (außer bei diabetischer Neuropathie) zuge-
sondere die anticholinergen Nebenwirkungen lassen. Capsaicin aktiviert TRPV1-Kanäle und
dieser Substanzen (Ⴉ Kap. 10.2.1.1) sind aller- führt somit akut, unmittelbar nach Applikation
dings oft therapielimitierend. des Pflasters, zu lokaler Hyperthermie, gestei-
Ebenfalls gut wirksam bei neuropathischen gerter Durchblutung und lokaler Schmerzhaf-
Schmerzen sind die selektiven Serotonin-Nor- tigkeit. Bei der Freisetzung größerer Capsaicin-
adrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxe- Mengen (wie nach Applikation des Qutenza®-
tin und Venlafaxin. Selektive Serotonin-Wie- Pflasters) werden die Nozizeptoren nach ca. ei-
deraufnahmehemmer (SSRI) vom Typ Fluoxe- ner Woche allerdings weniger empfindlich für
tin oder Citalopram sind dagegen nicht oder nur Schmerzreize. Mechanistisch lässt sich dieser
unzureichend effektiv. paradoxe Effekt mit einer TRPV1-vermittelten
Die bei neuropathischen Schmerzzuständen Desensibilisierung und Apoptose der betroffe-
eingesetzten Antikonvulsiva lassen sich in Ca2+- nen Nozizeptoren erklären. Das Pflaster muss
Kanal- (Gabapentin, Pregabalin) und Na+-Ka- deshalb nach einer 30–60-minütigen Expositi-
nal-modulierende (z. B. Carbamazepin, Lamo- onszeit wieder entfernt und die Haut mit dem
trigin) Substanzen einteilen. zum Präparat gehörenden Reinigungsgel gerei-
Gabapentin und Pregabalin können bei ei- nigt werden. Nach ca. einer Woche kommt es
ner Reihe von neuropathischen Schmerzsyn- zur Schmerzlinderung, die mehrere Wochen
dromen eingesetzt werden. Pregabalin ist im anhält, bis die betroffenen Nozizeptoren sich
Gegensatz zu Gabapentin auch bei zentralen wieder regeneriert haben. Falls die Schmerzen
neuropathischen Schmerzen zugelassen. Durch persistieren oder wieder auftreten, kann nach
Interaktion mit der α2δ-Untereinheit von prä- frühestens 90 Tagen die Behandlung wiederholt
synaptischen spannungsabhängigen Ca2+-Ka- werden. Als Nebenwirkungen treten, dem Wir-
nälen unterdrücken diese Substanzen die Frei- kungsmechanismus entsprechend, u. a. lokales
setzung von pronozizeptiven Transmittern. Brennen, Schmerzen, Erythem und Pruritus an
Carbamazepin wird hauptsächlich bei der der Applikationsstelle auf. Diesen vorüberge-
Trigeminusneuralgie eingesetzt. Zu beachten ist henden, applikationsbedingten Beschwerden
die nichtlineare Pharmakokinetik und das hohe kann mit einem topischen Lokalanästhetikum
Interaktionspotenzial dieser Substanz. vor Aufkleben des Pflasters vorgebeugt werden.
Retardierte Opioide sind ebenfalls fester Be- Resorbiertes Capsaicin wird mit einer Halb-
standteil einer neuropathischen Schmerzthera- wertszeit von ca. 6 Stunden abgebaut. Ein unbe-
pie. Besonders für das WHO-Stufe-2-Opioid absichtigter Kontakt z. B. mit Schleimhäuten
Tramadol und die WHO-Stufe-3-Substanzen oder Augen muss unbedingt vermieden werden.
Morphin, Oxycodon und Tapentadol liegen po-
sitive Studien bei postzosterischer Neuralgie 12.1.9 Therapie der Migräne
bzw. diabetischer Neuropathie vor. Nebenwir- Unter einer Migräne versteht man chronisch-
12
kungen wie Obstipation müssen von Anfang an rezidivierende, anfallsweise auftretende, häufig
symptomatisch behandelt werden. halbseitige Kopfschmerzen wechselnder Häu-
130 12 Analgetika, Antirheumatika

figkeit, Stärke und Dauer. Die Prävalenz beträgt anspricht) und der Pharmaka-induzierte Kopf-
ca. 12–14 % bei Frauen und 6–8 % bei Männern. schmerz (dumpf-drückender, diffuser Dauer-
Klinisch manifestiert sich die Migräne in ver- kopfschmerz, der unter Belastung zunimmt).
schiedenen Formen. Bei der weitaus häufigsten
Form, der Migräne ohne Aura, nimmt der 12.1.9.1 Therapie der akuten Migräneattacke
Kopfschmerz (meist halbseitig) langsam zu, hält Bei der akuten Migräneattacke soll zunächst
im Mittel 18 (minimal 4 und maximal ca. 72) eine Reizabschirmung (abgedunkelter, ge-
Stunden an und geht meist mit Übelkeit und Er- räuscharmer Raum) erfolgen. Bei leichten bis
brechen sowie Lichtscheu und Geräuschemp- mittelschweren und kurzdauernden Migräne-
findlichkeit einher. Körperliche Tätigkeit ver- attacken ist vielfach die Kombination eines mo-
stärkt den Schmerz, die Arbeitsfähigkeit ist be- tilitätssteigernden Antiemetikums (z. B. Meto-
einträchtigt. Bei der selteneren Migräne mit clopramid, 10–20 mg p. o. oder 20 mg rektal)
Aura kommt es unmittelbar vor dem Beginn der mit einem nichtopioiden Analgetikum ausrei-
Kopfschmerzen zu passageren, 5–20 (selten bis chend effektiv. Gut wirksam sind Acetylsalicyl-
60) Minuten dauernden neurologischen Ausfall- säure (ASS, 1000 mg i. v. oder p. o.), Ibuprofen
erscheinungen wie Parästhesien und Augen- (400–600 mg), Diclofenac (50–100 mg), Paracet-
symptomen, z. B. in Form eines Flimmersko- amol (1000 mg), Naproxen (500–1000 mg) oder
toms. Manchmal treten auch Sprachstörungen die Kombination von ASS (500 mg), Paracet-
oder Paresen auf. Die übrigen Symptome ent- amol (400 mg) und Coffein (100 mg). Fix-Kom-
sprechen denen der Migräne ohne Aura. Auslö- binationen mit Paracetamol und Metoclopramid
sende Faktoren sind u. a. psychischer Stress, Al- sind ebenfalls auf dem Markt. Als motilitätsstei-
koholgenuss, Tyramin-haltige Speisen (z. B. gerndes Antiemetikum eignet sich neben Meto-
Schokolade, Hartkäse) und hormonelle Schwan- clopramid auch Domperidon. Sie unterdrücken
kungen (vor allem bei Menstruationsbeginn). nicht nur die Übelkeit, den Brechreiz und das
Die Mechanismen, die zur Aktivierung des Erbrechen, sondern verbessern auch die Re-
Trigemino-vaskulären-Systems führen, sind nur sorption der – bei korrekter Anwendung – nach
teilweise geklärt. Serotoninrezeptoren vom Typ ihnen applizierten Analgetika.
5-HT1B und 5-HT1D spielen im Rahmen der Pa- Zur akuten Behandlung der Kopfschmerz-
thogenese der Migräne eine bedeutende Rolle. phase von Migräneanfällen haben sich Agonis-
Auf der glatten Muskulatur der intrakranialen ten an 5-HT1B/1D-Rezeptoren, die sog. Triptane,
extrazerebralen Gefäße sind u. a. 5-HT1B-Rezep- als rasch und gut wirksam erwiesen. Sie führen
toren exprimiert. Bei Stimulation dieser Rezep- zu einer Konstriktion der im Migräneanfall dila-
toren (s. u.) werden die im Migräneanfall dila- tierten Gefäße (periphere Wirkkomponente),
tierten Gefäße kontrahiert. 5-HT1D-Rezeptoren einer Hemmung der Neuropeptid-Freisetzung
sollen hauptsächlich an den präsynaptischen aus aktivierten Trigeminusnervenendigungen
Endigungen von C-Fasern lokalisiert sein und und einer Unterbrechung der trigeminalen no-
dort die Freisetzung von Schmerz- und Entzün- zizeptiven Transmission zum Nucleus caudalis
dungsmediatoren regulieren. (zentrale Wirkkomponente). Prototyp der Trip-
Differenzialdiagnostisch von der Migräne tane ist Sumatriptan (z. B. Imigran®). Mit dem
abzugrenzen sind andere Kopfschmerzsyndro- Ziel, einige seiner pharmakologischen Eigen-
me wie der Clusterkopfschmerz (streng einsei- schaften wie geringe orale Bioverfügbarkeit,
tige Kopfschmerzattacken von unerträglich kurze Halbwertszeit und relativ geringe Lipo-
bohrendem und brennendem Charakter mit ei- philie und dadurch relativ schlechte ZNS-Gän-
ner Dauer zwischen 30 min und 3–4 Stunden), gigkeit zu verbessern, wurden als weitere
der Spannungskopfschmerz (dumpfer, bilatera- 5-HT1B/1D-Agonisten Zolmitriptan (Asco-
ler Kopfschmerz mittlerer Intensität, der häufig Top®), Naratriptan (Naramig®, rezeptfrei: For-
gut auf Antidepressiva vom Amitriptylin-Typ migran®), Rizatriptan (MAXALT®), Eletriptan
12.1 Analgetika 131

(Relpax®), Almotriptan (Almogran®) und Fro- interagiert es außerdem mit einer Reihe anderer,
vatriptan (Allegro®) entwickelt. Ist ein schneller für die Migränetherapie nicht relevanter Rezep-
Wirkungseintritt erforderlich, sollte Sumatrip- toren. Dies erklärt das Auftreten bestimmter zu-
tan subkutan appliziert werden. Auch bei der sätzlicher Nebenwirkungen (Übelkeit, Diarrhö,
nasalen Applikation (von Sumatriptan oder Myokardfibrosen (selten), Krämpfe), die Trip-
Zolmitriptan) ist ein schnellerer Wirkeintritt ge- tane nicht zeigen. Ergotaminabusus führt zu
währleistet als nach oraler Applikation. Suppo- Dauerkopfschmerz, Muskelbeschwerden und
sitorien (mit Sumatriptan) haben sich bei Pati- arteriellen Spasmen, als deren Folge u. U. eine
enten mit frühem Erbrechen bewährt. Lipophi- Gangrän auftreten kann.
lere Triptane (vor allem Eletriptan, Almotrip- Die Dosis von Ergotamintartrat beträgt 2 mg
tan) sind schneller und meist etwas besser oral. Die Maximaldosis von 4 mg Ergotamintar-
wirksam als weniger lipophile Substanzen, aller- trat pro Tag und/oder Attacke bzw. von 6 mg pro
dings verursachen sie auch mehr zentralnervöse Woche sollte keinesfalls überschritten werden.
unerwünschte Effekte.
Als Nebenwirkungen der Triptane werden 12.1.9.2 Migräneprophylaxe
passageres Kribbeln, Kältegefühl, Schmerzen, Eine Migräneprophylaxe sollte durchgeführt
Schwere-, Druck- und Engegefühl in verschie- werden, wenn die Patienten drei oder mehr At-
denen Körperregionen (insbesondere in Brust tacken pro Monat haben, die Dauer und der
und Hals), ferner Flush, Benommenheit oder Schweregrad der einzelnen Attacken einen be-
Schwindel sowie Müdigkeit und Sehstörungen sonderen Leidensdruck darstellen und/oder die
beobachtet. Außerdem kann es zu einem kurz- akuten Attacken ungenügend pharmakologisch
zeitigen Blutdruckanstieg kommen. Bei prädis- kontrolliert werden können. Ziel der Migräne-
ponierten Personen besteht die Gefahr von prophylaxe ist die Verringerung der Zahl und
Spasmen der Herzkranzgefäße. Schwere der Migräneanfälle. Als nichtmedika-
Dementsprechend sind Triptane bei Patien- mentöse, prophylaktische Maßnahmen sind das
ten mit Koronarspasmen, symptomatischer is- Vermeiden übermäßiger Nahrungs- und Flüs-
chämischer Herzkrankheit, überstandenem sigkeitsaufnahme am Abend, Reduzierung des
Herzinfarkt, Schlaganfall oder manifestem Hy- Alkoholkonsums, geregelter Schlaf und eine
pertonus sowie Morbus Raynaud oder arteriel- Verhaltenstherapie zu nennen.
ler Verschlusskrankheit kontraindiziert. Auch in Zur Migräneprophylaxe werden die β-Adre-
der Schwangerschaft, Stillzeit und bei Kindern nozeptorblocker Propranolol, Metoprolol und
und Jugendlichen unter 18 Jahren dürfen die Bisoprolol, der Calciumantagonist Flunarizin
meisten Triptane nicht eingesetzt werden. Als und die Antiepileptika Valproinsäure und Topi-
Ausnahmen sind für Jugendliche über 12 Jahren ramat als Mittel der 1. Wahl eingesetzt. Darüber
Sumatriptan- (10 mg) sowie Zolmitriptan-Na- hinaus werden einige Substanzen (als Mittel der
senspray (2,5–5 mg) zugelassen. 2. Wahl) mit schlechterer Wirksamkeits-Evi-
Triptane sollen nicht gleichzeitig mit Sub- denz (Amitriptylin, Venlafaxin, Pestwurzex-
stanzen, die den Serotoninstoffwechsel beein- trakt, Mg2+-Salze, Gabapentin, Acetylsalicylsäu-
flussen (Mutterkornalkaloiden, MAO-Hem- re, Naproxen) eingesetzt. Bei Patienten mit
mern, Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern), chronischer Migräne, die auf eine prophylakti-
gegeben werden, da sich sonst ein Serotonin- sche Therapie nur unzureichend ansprechen,
syndrom (Ⴉ Kap. 12.1.5.2) ausbilden kann. kann auch Botulinumtoxin (BOTOX®) einge-
Alternativ zu Triptanen kommt bei schweren, setzt werden.
sehr langen Migräneanfällen die Gabe von Er- Der genaue Wirkungsmechanismus der
gotamintartrat (Ergo-Kranit® Migräne) in Be- β-Adrenozeptorblocker bei der Migräneprophy-
12
tracht. Ergotamintartrat ist wie die Triptane ein laxe ist nicht bekannt, der Angriff an peripheren
Agonist an 5-HT1B/1D-Rezeptoren, allerdings β-Rezeptoren scheint nicht entscheidend zu
132 12 Analgetika, Antirheumatika

sein. Propranolol (z. B. Dociton®), Metoprolol 12.2 Erkrankungen des


(z. B. Beloc-Zok®) oder Bisoprolol (z. B. Con- rheumatischen Formenkreises
cor®) sind besonders bei Patienten indiziert, die und ihre Therapie
neben ihrer Migräne beispielsweise noch an
Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit oder Unter dem Oberbegriff Erkrankungen des rheu-
chronischer Herzinsuffizienz leiden. Patienten matischen Formenkreises werden Krankheiten
mit Asthma bronchiale, Depressionen oder Dia- zusammengefasst, die sich vor allem im Bereich
betes mellitus sollten hingegen keinen Betablo- der Gelenke und der sie umgebenden Weichteile
cker erhalten. Die übliche Tagesdosis (einschlei- abspielen, wobei es sich jedoch meist um Sys-
chend) von Propranolol beträgt 40–240 mg, die temerkrankungen handelt. Man unterscheidet
von Metoprolol 50–200 mg und die von Biso- entzündliche, degenerative und extraartikuläre
prolol 5–10 mg. Formen (႒ Tab. 12.3). Für die therapeutischen
Der Einsatz von Calciumantagonisten als Mi- Maßnahmen sind die Ätiopathogenese, die kli-
gräneprophylaktika wird kontrovers diskutiert. nische Symptomatik, die Immundiagnostik und
Als sicher wirksam kann der Calciumoverload- der Krankheitsverlauf entscheidend.
Blocker Flunarizin (z. B. Natil® N) eingestuft Die rheumatoide Arthritis (RA), die ca. 1 %
werden. Epileptiker, Patienten mit Morbus Par- der Bevölkerung (Frauen zu Männer = 3:1) be-
kinson und/oder Depressionen sollten nicht mit trifft, ist eine chronisch entzündliche, systemi-
Flunarizin behandelt werden. Die Tagesdosis sche Autoimmunerkrankung. Neben den Ge-
von Flunarizin beträgt 5–10 mg. Nifedipin ist lenken können nahezu alle Organe betroffen
nicht wirksam. sein (insbesondere Herz und Lunge). Die ei-
Auch das Antiepileptikum Topiramat (Topa- gentliche Krankheitsursache ist unbekannt, das
max® Migräne) ist zur Migräneprophylaxe zu- Zusammenspiel einer bestimmten genetischen
gelassen. Gewichtsverlust und kognitive Störun- Disposition mit Umweltfaktoren und epigeneti-
gen können manchmal therapielimitierend sein. schen Modifizierungen gilt allerdings als gesi-
Andererseits kann Topiramat besonders bei chert. Ein wesentlicher genetischer Risikofaktor
übergewichtigen Patienten eingesetzt werden. stellt das humane Leukozytenantigen-(HLA-)
Die Tagesdosis von Topiramat liegt zwischen 25 DR4 Klasse II dar. Patienten mit rheumatoider
und 100 mg. Arthritis exprimieren in bis zu 70 % der Fälle
In besonderen Fällen (z. B. bei Migräne plus HLA-DR4. Raucher, die ACPA- (Anti-citrullin-
Spannungskopfschmerz oder bei depressiven ierte-Protein-Antikörper-) positiv sind und
Patienten) können auch tricyclische Antidepres- HLA-DRB1 exprimieren, haben ein besonders
siva zur Migräneprophylaxe angewandt werden. hohes Risiko, an RA zu erkranken.
Die meisten positiven Erfahrungen liegen für Nach den derzeitigen Vorstellungen zur Pa-
Amitriptylin (z. B. Saroten®, Tagesdosis 50– thogenese der rheumatoiden Arthritis löst bei
150 mg) vor. Engwinkelglaukom und Prostata- entsprechend prädisponierten Patienten (s. o.)
adenom sind Kontraindikationen. eine unbekannte Noxe (evtl. Bakterien, Viren,
Nach einer Therapiedauer von 6–9 Monaten Rauchen) eine Autoimmunreaktion mit ent-
(die Gabe von β-Adrenozeptorblockern ist auch zündlicher Infiltration der Gelenkschleimhaut
über einen längeren Zeitraum möglich) sollte (Synovialis) mit T- und B-Lymphozyten sowie
das Medikament ausschleichend abgesetzt und dendritischen Zellen aus, sodass das humorale
der weitere Verlauf über 2–3 Monate beobachtet und zelluläre Abwehrsystem aktiviert wird. Da-
werden. Nehmen die Migräneanfälle dann er- bei kommt es zur Freisetzung von Zytokinen
neut an Häufigkeit und Schwere zu, können die (vor allem TNF-α), die die entzündliche Reakti-
prophylaktischen Maßnahmen wieder aufge- on unterhalten.
nommen werden.
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 133

Folgende Arzneistoffgruppen werden in der 󠀂 sog. Basistherapeutika bzw. Remissionsin-


Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt: duktoren (DMARDs = den Krankheitsver-
lauf beeinflussende Antirheumatika, „disease
󠀂 nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs,
modifying antirheumatic drugs“).
Non-steroidal anti-inflammatory drugs),
󠀂 Glucocorticoide (steroidale Antiphlogistika)
12.2.1 Nichtsteroidale
und
Antiphlogistika (NSAIDs)
Diese Substanzen wurden bereits unter
႒ Tab. 12.3 Erkrankungen des rheumatischen
Ⴉ Kap. 12.1.3.1 ausführlich besprochen. Sie sind
Formenkreises. Nach Herold
bei nahezu allen entzündlichen rheumatischen
I. Entzündliche rheumatische Erkrankungen Erkrankungen zur rein symptomatischen Be-
(autoimmunbedingt) handlung (Unterdrückung der entzündlichen
Reaktionen, Schmerzlinderung) indiziert. Der
a) Rheumatoide Arthritis (RA) und ihre Sonderfor-
men,
Krankheitsverlauf wird durch NSAIDs nicht be-
b)1 ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew), einflusst. Die gastrointestinalen Nebenwirkun-
c)1 Psoriasis-Arthritis, gen der NSAIDs sind bei einer Dauertherapie
d)1 reaktive Arthritis (postinfektiöse Arthritis), oft therapielimitierend, da sie zu Komplikatio-
e)1 enteropathische Arthritis (intestinale Arthro- nen wie Ulzerationen, Blutungen und Perforati-
pathie), onen sowie konsekutiv sogar zum Tod führen
f) Kollagenosen, können. Patienten mit einem erhöhten Risiko
󠀂 systemischer Lupus erythematodes (SLE), für solche Nebenwirkungen erhalten deshalb
󠀂 Sjögren-Syndrom,
entweder eine Kombinationstherapie eines klas-
󠀂 progressive systemische Sklerose (systemi-
sischen NSAID mit einem Protonenpumpenin-
sche Sklerodermie),
hibitor (PPI), einen selektiven COX-2-Hemmer
󠀂 Polymyositis und Dermatomyositis,
󠀂 Mischkollagenosen (Sharp-Syndrom),
(Coxib) oder sogar eine Kombination eines se-
g) Vaskulitiden, lektiven COX-2-Hemmers mit einem PPI. Un-
󠀂 Vaskulitis kleiner Gefäße (ANCA-assoziierte): bedingt zu beachten ist auch das erhöhte Risiko
Wegenersche Granulomatose, Churg- für kardiovaskuläre Komplikationen (z. B. Herz-
Strauss-Syndrom, mikroskopische Panarte- infarkt) einer Coxib- bzw. herkömmlichen
riitis, NSAID-Therapie. Nach jetzigem Kenntnisstand
󠀂 Vaskulitis kleiner Gefäße (nicht-ANCA-asso- gibt es diesbezüglich keinen gravierenden Un-
ziierte): Purpura-Schönlein-Henoch, kryo- terschied zwischen Coxiben und herkömmli-
globulinämische Vaskulitis, kutane leuko-
chen NSAIDs.
zytoklastische Angiitis,
󠀂 Vaskulitis mittelgroßer Gefäße: Panarteriitis
nodosa, Kawasaki-Syndrom,
12.2.2 Glucocorticoide
󠀂 Vaskulitis großer Gefäße: Polymyalgia arteri-
Die Glucocorticoide werden in Ⴉ Kap. 21.7 de-
itica (Polymyalgia rheumatica und Arteriitis tailliert besprochen. Mechanistisch betrachtet
cranialis), Takayasu-Arteriitis sind Glucocorticoide in der Lage, in die Regula-
tion einiger proinflammatorischer Gene einzu-
II. Degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrosen) greifen und so die Synthese von proinflammato-
III. Extraartikuläre Rheumaformen
rischen Zytokinen und die Induktion der Cyclo-
oxygenase-2 zu unterdrücken. Bei rheumati-
a) Fibromyalgie-Syndrom, schen Erkrankungen werden sie wegen ihrer
b) Bursitis, sehr guten antiphlogistischen Wirksamkeit in
c) Tendovaginitis Form einer intraartikulären Lokaltherapie, einer
12
1 Seronegative Spondyloarthritiden kurzfristigen oralen Stoßtherapie oder einer
ANCA Anti-Neutrophile Cytoplasmatische Antikörper parenteralen Pulstherapie angewendet. Die
134 12 Analgetika, Antirheumatika

hochdosierte Anwendung sollte, wenn irgend 12.2.3 Basistherapeutika (Disease


möglich, zeitlich begrenzt und die Dosierung modifying antirheumatic
nach stufenweiser Reduktion unter die sog. Cu- drugs, DMARDs)
shing-Schwelle (7,5 mg Prednisolonäquivalent), Bei chronisch entzündlichen Rheumaformen,
gesenkt werden. Darüber hinaus werden Gluco- insbesondere bei der rheumatoiden Arthritis,
corticoide zunehmend oral in niedriger Dosis wird versucht, mit sog. Basistherapeutika eine
(z. B. initial 20 mg/Tag, danach stufenweise Retardierung der destruierenden Krankheits-
Reduktion auf < 7,5 mg/Tag Prednisolon) gleich prozesse, im Idealfall sogar eine Remission zu
zu Beginn einer Therapie der rheumatoiden erreichen und aufrecht zu erhalten. Der Einsatz
Arthritis in Kombination mit Methotrexat ein- dieser Substanzen erfolgt möglichst frühzeitig
gesetzt, da damit im Vergleich zu einer Metho- unmittelbar nach Diagnosesicherung und in
trexat-Monotherapie (s. u.) die Ansprechrate er- den meisten Fällen dauerhaft. Bei degenerativen
höht werden kann. Diese „Low-dose“-Gluco- rheumatischen Erkrankungen finden Basisthe-
corticoid-Therapie wird mindestens bis zum rapeutika dagegen keine Verwendung. Da diese
Ansprechen der Basistherapie (ca. 3 Monate) Substanzen nicht analgetisch wirken, werden sie
fortgesetzt. Sie kann aber auch längerfristig, in der Regel mit NSAIDs kombiniert. Die Aus-
dann in sehr niedriger Dosierung (z. B. 2,5–5 mg wahl der Substanz bzw. der Kombination orien-
Prednisolon/Tag), durchgeführt werden, da tiert sich an verschiedenen Krankheitsfaktoren
Glucocorticoide auch krankheitsmodifizierend wie Krankheitsaktivität und -verlauf sowie mög-
wirken und Gelenkschäden reduzieren können. lichen Kontraindikationen für einzelne Sub-
Eine Basistherapie können sie allerdings auf kei- stanzen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist ferner
nen Fall ersetzen. Bei Einstellung auf eine orale die Latenz bis zum Wirkungseintritt, da alle
Langzeit-Niedrigdosis-Therapie muss beachtet klassischen Basistherapeutika (Ausnahme „Bio-
werden, dass die Dosis über mehrere Wochen in logicals“, s. u.) nicht sofort, sondern erst nach
kleinen Schritten reduziert wird. mehreren Wochen bis Monaten wirken.
Einen hohen Stellenwert haben Glucocorti- Die Bezeichnung Basistherapeutika darf
coide auch bei malignen Verlaufsformen (z. B. nicht zu einem unkritischen Einsatz dieser
bei Gefäßbeteiligung). Wirksubstanzen verleiten, da diese z. T. erhebli-
Die Nebenwirkungen einer Glucocorticoid- che Nebenwirkungen aufweisen. Für ihre An-
therapie sind in Ⴉ Kap. 21.7.1 zusammengefasst. wendung sind eine gesicherte Diagnose sowie
In der Rheumatologie ist die wichtigste uner- der Nachweis der Progredienz der Erkrankung
wünschte Wirkung die Osteoporose. Ihr Aus- Voraussetzung. Auch sollten sie nur von erfah-
maß hängt hauptsächlich von der Dosis, der renen Rheumatologen eingesetzt werden.
Dauer der Therapie, der kumulativen Gesamt-
dosis und vom Geschlecht des Patienten ab 12.2.3.1 Immunsuppressiva
(Frauen sind häufiger betroffen). Deshalb sollte Immunsuppressiva werden auch unter Ⴉ Kap.
eine begleitende Therapie mit 1000 mg eines 32.4 behandelt. Mit Ausnahme von Leflunomid
Calciumsalzes und ca. 800 IE Vitamin D3 täglich wurden diese Wirkstoffe primär nicht für die
(z. B. Calcium D3 STADA®) erfolgen. antirheumatische Therapie, sondern für andere
Glucocorticoide wirken nicht direkt ulzero- Indikationen entwickelt. Für die Therapie der
gen. Sie steigern jedoch die Ulkusinzidenz der rheumatoiden Arthritis werden sie aufgrund der
nichtsteroidalen Antiphlogistika ca. um das pathophysiologischen Erkenntnis, dass Erkran-
Drei- bis Vierfache. Folglich sind fixe Kombi- kungen des rheumatischen Formenkreises Au-
nationen von Glucocorticoiden mit NSAIDs toimmunerkrankungen sind, eingesetzt. Zu die-
obsolet. sen Substanzen gehören Methotrexat, Lefluno-
mid, Azathioprin, Ciclosporin, Sulfasalazin,
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 135

(Hydroxy-) Chloroquin, d-Penicillamin und che) sind diese Interaktionen allerdings nur von
Natriumaurothiomalat. geringer klinischer Relevanz, da durch diese In-
Methotrexat (MTX; z. B. Lantarel®) hemmt teraktionen zwar die Plasmaspiegel von MTX
die Bildung von Tetrahydrofolsäure, indem es erhöht werden, allerdings meist nicht bis in den
die Dihydrofolat-Reduktase inhibiert. Da Tet- toxischen Bereich. Falls diese indirekte Dosiser-
rahydrofolsäure für die De-novo-Synthese von höhung von MTX klinisch nicht hinnehmbar
Purinnucleotiden benötigt wird und diese wich- ist, kann den Interaktionen durch eine etwas
tig sind für die Proliferation von T-Lympho- niedrigere MTX-Wochendosis vorgebeugt wer-
zyten, hemmt MTX letztendlich die für die den.
Pathogenese der RA wichtige Proliferation von Methotrexat wird sowohl oral, subkutan als
T-Lymphozyten und somit auch die Zytokinsyn- auch intramuskulär appliziert. Aufgrund der
these. MTX (niedrig dosiert, sog. „Low-dose“- sehr variablen oralen Bioverfügbarkeit (s. o.) ist
MTX, s. u.) gilt heute unter den Basistherapeuti- parenteral appliziertes MTX in der Regel wirk-
ka als Mittel der 1. Wahl. Auch in der Kombina- samer als oral verabreichtes. Die Dosierung bei
tionsbasistherapie ist MTX die am häufigsten der Verwendung als Basistherapeutikum ist mit
eingesetzte Substanz. Seine Vorteile bestehen einer Startdosis von 7,5–15 mg einmal wöchent-
einerseits in einem im Vergleich zu anderen lich und einer Dauerdosis 15–25 mg/Woche we-
DMARDs schnelleren Wirkungseintritt (mit ei- sentlich niedriger als in der Tumortherapie.
nem deutlichen Effekt ist nach etwa 1–2 Mona- Wichtige Nebenwirkungen sind Übelkeit, Er-
ten zu rechnen), andererseits in einem einfachen brechen, Diarrhö, Ulzerationen im Gastrointes-
Dosierungsschema. tinaltrakt, Dermatitis, Exantheme, Stomatitis,
Die orale Bioverfügbarkeit von MTX beträgt Transaminasenanstieg, Alveolitis, Pneumonitis,
im Mittel ca. 70 % (25–100 %), seine Halbwerts- vermehrte Infektanfälligkeit und Teratogenität.
zeit 3–17 Stunden. MTX ist zu ca. 50 % an Plas- Zur Abschwächung der hepatischen und gastro-
maproteine gebunden. Der freie Anteil wird intestinalen Nebenwirkungen wird einen Tag
mithilfe des Folsäure-Transporters in die Zelle nach erfolgter MTX-Gabe Folsäure (z. B. Fol-
eingeschleust und dort durch die Folylglutama- san®) in einer Dosierung von 5–10 mg appli-
se polyglutaminoyliert. Die entstandenen Poly- ziert.
glutamate reichern sich intrazellulär an und Kontraindikationen sind u. a. Schwanger-
werden nur sehr langsam eliminiert. Nebenwir- schaft, Stillzeit, Leber- und/oder Niereninsuffi-
kungen sind somit auch noch nach Absetzen der zienz, Immundefizienz, erhöhter Alkoholkon-
Substanz über Wochen zu beobachten. Die Aus- sum und Magen-Darm-Ulzerationen.
scheidung erfolgt hauptsächlich renal durch glo- Leflunomid (z. B. Arava®) ist für die Basis-
meruläre Filtration und aktive Sekretion mittels therapie der rheumatoiden Arthritis und für die
organischer Anionen-Transporter. Säuren vom Psoriasis-Arthritis indiziert. Der aktive Metabo-
Typ der nichtsteroidalen Antiphlogistika oder lit Teriflunomid, der für die Therapie der Multi-
Penicilline, die ebenfalls über diese Transporter plen Sklerose zugelassen ist (Ⴉ Kap. 32.4.8), inhi-
sezerniert werden, verringern dosisabhängig die biert die De-novo-Pyrimidinsynthese durch re-
renale Clearance von MTX, das ebenfalls eine versible Hemmung des Enzyms Dihydroorotat-
Säure ist, und erhöhen dadurch seine Plasma- Dehydrogenase. Aktivierte T-Lymphozyten
spiegel. Tetracycline, Phenytoin, Salicylate u. a. sind stärker als andere Zellen von der Pyrimi-
können MTX aus der Plasmaeiweißbindung din-Synthesehemmung betroffen, da sie ihre
verdrängen und erhöhen so die proteinunge- Pyrimidin-Nucleotidspiegel ca. 8-fach erhöhen
bundene Konzentration von MTX und damit müssen, um zu proliferieren. Diesen erhöhten
ebenfalls seine freie Plasmakonzentrationen Nucleotidbedarf können sie nicht allein über
12
und Toxizität. Im für die Rheumatologie typi- den sog. „Salvage-Pathway“ (Bildung von Nuc-
schen, niedrigen Dosisbereich (15–25 mg/Wo- leotiden aus 5-Phospho-ribosyl-1-diphosphat
136 12 Analgetika, Antirheumatika

und Wiederverwertung der entsprechenden Ba- toiden Arthritis, die mit weniger toxischen Ba-
sen, sog. Pyrimidin-Recycling) decken, sondern sistherapeutika nicht kontrolliert werden kann,
benötigen die De-novo-Pyrimidinsynthese. eingesetzt werden. Die immunsuppressive Wir-
Aufgrund der langen Halbwertszeit des akti- kung ist mit der von Methotrexat vergleichbar.
ven Metaboliten (ca. 15 Tage) sollte theoretisch Aufgrund eines im Vergleich zu Methotrexat
zunächst über 3 Tage eine Initialdosis („loading ungünstigeren Nutzen-Risiko-Verhältnisses hat
dose“) von 100 mg/Tag appliziert werden. In der Azathioprin allerdings an Bedeutung verloren
Praxis wird jedoch aufgrund der mit der Initial- und ist bei der Therapie der rheumatoiden Ar-
dosis verbundenen erhöhten Rate an Nebenwir- thritis nur noch Reservesubstanz. In der Rheu-
kungen (s. u.) meist von Anfang an nur mit der matologie wird die Substanz hauptsächlich noch
Erhaltungsdosis von 10–20 mg/Tag therapiert. in der Therapie des systemischen Lupus erythe-
Als Nebenwirkungen kommen hauptsäch- matodes eingesetzt.
lich Diarrhö, Übelkeit, Alopezie, Allergien und Die Halbwertszeit von Azathioprin wird mit
Blutdruckanstieg vor. Deshalb muss der Blut- 3–5 Stunden, die von 6-Mercaptopurin mit ca.
druck vor Beginn und während einer Lefluno- 1,5 Stunden angegeben.
mid-Therapie in regelmäßigen Abständen kon- Die Tagesdosis liegt zwischen 1–3 mg/kg KG.
trolliert werden. Patienten mit erhöhtem Blut- Ciclosporin (z. B. Sandimmun®). Das primär
druck sollten nicht mit Leflunomid behandelt für die Transplantationsmedizin entwickelte
werden. Ebenso wurde über seltene, aber Immunsuppressivum (Ⴉ Kap. 32.4.1) ist auch für
schwere Leberschäden berichtet, sodass Leflu- die Therapie einer schweren rheumatoiden Ar-
nomid bei leberinsuffizienten Patienten nicht thritis zugelassen, wenn eine konventionelle Ba-
eingesetzt werden soll. Sehr selten wurde ein sistherapie (z. B. mit Methotrexat) sich als unge-
Stevens-Johnson-Syndrom beobachtet. Daher eignet erwiesen hat. Über eine Hemmung des
gelten schwere Hautreaktionen in der Anamne- Transkriptionsfaktors NF-AT blockiert Ciclo-
se ebenfalls als Kontraindikation. Der aktive sporin vor allem die Interleukin-2-Synthese und
Metabolit von Leflunomid ist ein CYP2C9- wirkt daher auch antiphlogistisch.
Hemmstoff. Folglich werden ebenfalls über Ciclosporin hat eine variable orale Bioverfüg-
CYP2C9 metabolisierte Substanzen (z. B. Phe- barkeit (20–50 %) und wird mit einer mittleren
nytoin) bei gleichzeitiger Gabe mit Leflunomid Halbwertszeit von ca. 7 Stunden eliminiert, die
langsamer abgebaut. Im Tierexperiment wirkt bei leberinsuffizienten Patienten auf 20 Stunden
Leflunomid teratogen, sodass auf eine zuverläs- ansteigen kann.
sige Kontrazeption unter der Behandlung mit In der Kombination mit Methotrexat beträgt
Leflunomid und bis zu 2 Jahre danach geachtet die Dosierung 2,5–3 mg/kg und Tag, aufgeteilt
werden muss. Darüber hinaus ist Leflunomid auf 2 Dosen.
bei Patienten mit schwerem Immundefekt (z. B. Als Nebenwirkungen müssen vor allem Nie-
AIDS), gefährlichen Infektionen, eingeschränk- renfunktionsstörungen (bei hohen Dosen wirkt
ter Knochenmarksfunktion, Leber- bzw. Nie- es nephrotoxisch), Leberfunktionsstörungen,
reninsuffizienz und in der Stillzeit kontraindi- Infektanfälligkeit, Hypertonie, Hyperlipidämie,
ziert. Hypertrichose, Gingivahyperplasie, Tremor, Pa-
Eine Kombination von Leflunomid mit Me- rästhesien und Übelkeit/Erbrechen beachtet
thotrexat ist möglich, da dann nicht nur die Py- werden. Ferner wird diskutiert, ob Ciclosporin
rimidin-, sondern auch die Purinsynthese be- das Risiko für die Entstehung von Tumoren er-
einflusst wird. höhen kann. Es ist deshalb bei Patienten mit ma-
Azathioprin (z. B. Imurek®, Ⴉ Kap. 32.4.5) ist lignen Tumoren, unkontrolliertem Bluthoch-
ein Prodrug und wird fast vollständig zu 6-Mer- druck, Infektionskrankheiten und vor allem
captopurin biotransformiert. Die Substanz schweren Nierenfunktionsstörungen kontrain-
kann bei schweren Formen der aktiven rheuma-
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 137

diziert. Bei mäßiger Niereninsuffizienz muss die die Wirksamkeit deutlich geringer als die von
Dosis reduziert werden. Methotrexat. Die beiden Wirkstoffe werden da-
Da die Substanz sowohl über CYP3A4 abge- her als Monotherapeutika nur noch selten ein-
baut wird als auch ein Hemmer von CYP3A4 gesetzt, finden aber Anwendung in Kombina-
und P-Glykoprotein ist, ergeben sich sehr viele tionen.
Interaktionsmöglichkeiten. CYP3A4-Inhibito- Als Wirkungsmechanismus werden u. a. eine
ren (z. B. Erythromycin, Itraconazol, Verapamil) Stabilisierung der Lysosomenmembran und
erhöhen die Ciclosporinspiegel, CYP3A4-In- eine Hemmung von lysosomalen Enzymen dis-
duktoren (z. B. Rifampicin, Carbamazepin, Phe- kutiert.
nytoin, Johanniskrautextrakt) erniedrigen sie. Die Halbwertszeit von Chloroquin beträgt
Vorsicht ist auch bei gleichzeitiger Gabe von po- 30–60 Tage, die von Hydroxychloroquin ca. 3
tenziell nephrotoxischen Substanzen (z. B. Gen- Tage.
tamicin, Amphotericin B) geboten. In der Die Chloroquin-Dosierung hat sich am Kör-
Schwangerschaft und Stillzeit sollte die Substanz pergewicht zu orientieren, um das Risiko spezi-
ebenfalls nicht gegeben werden. fischer Nebenwirkungen bei Langzeittherapie
Sulfasalazin (Salazosulfapyridin, z. B. Azulfi- (Retinopathie, s. u.) zu minimieren. Eine tägli-
dine® RA) wird wegen eines relativ günstigen che Dosis von 4 mg Chloroquinphosphat (ent-
Nutzen-Risiko-Verhältnisses sowohl als Mono- sprechend 2,5 mg Base) pro kg Körpergewicht
therapeutikum als auch in Kombination mit an- sollte nicht überschritten werden. Kumulativ
deren DMARDs verwendet. Als Wirkungsme- sollten nicht mehr als 80 g Chloroquinphosphat
chanismus wurde beschrieben, dass Sulfasalazin (entsprechend 50 g Chloroquin) verabreicht
vermutlich die Aktivierung des Transkriptions- werden. Dies entspricht bei einer täglichen Gabe
faktors NF-κB hemmt. von 250 mg Chloroquinphosphat (entsprechend
Die Dosierung erfolgt einschleichend, dann 155 mg Chloroquin) einer Zeitspanne von etwa
werden 2 g/Tag gegeben. Eine Steigerung der einem Jahr.
täglichen Dosis auf maximal 3–4 g ist möglich. Als Nebenwirkungen kommen Gewichtsver-
Die Nebenwirkungen sind dosisabhängig, lust, Verwirrtheitszustände, Exantheme, gastro-
langsame Acetylierer sind stärker betroffen. Am intestinale Störungen, Grauwerden der Haare,
häufigsten sind Übelkeit, Erbrechen, Kopf- Neuropathien und Sehstörungen in Form von
schmerzen, Schwindel, erhöhte Leberenzym- reversiblen Akkommodationsparesen und
werte, Exantheme, Proteinurie, Oligospermie, Hornhauttrübungen sowie meist irreversiblen,
allergische und immunologische Phänomene allerdings selten auftretenden Retinopathien in-
sowie hämatologische Störungen. In Einzelfäl- folge der Einlagerung des Wirkstoffs in die
len kommen auch Agranulozytosen vor. Netzhaut vor. Regelmäßige ophthalmologische
Sulfasalazin darf bei Patienten mit akuter in- Kontrolluntersuchungen in Abständen von 4–6
termittierender Porphyrie, schwerer Leber- und/ Monaten sind daher unerlässlich.
oder Niereninsuffizienz, Glucose-6-Phosphat- Kontraindikationen sind Retinopathie, Ge-
Dehydrogenase-Mangel, Erkrankungen der sichtsfeldeinschränkungen, Erkrankungen des
blutbildenden Organe, Ileus, Erythema exsuda- blutbildenden Systems, Glucose-6-Phosphat-
tivum multiforme (auch anamnestisch) und bei Dehydrogenase-Mangel, Myasthenia gravis so-
bekannter Überempfindlichkeit gegen Salicylate wie Schwangerschaft und Stillzeit.
oder Sulfonamide nicht gegeben werden. Das Analogpräparat Hydroxychloroquin
Chloroquin (Resochin®) und Hydroxychlo- (Anfangsdosis 400–600 mg/Tag, Erhaltungsdo-
roquin (Quensyl®) sind nur bei rheumatoider sis 200–400 mg/Tag) ist etwas besser verträglich
Arthritis mit geringer Progredienz und bei sys- als Chloroquin.
12
temischem Lupus erythematodes indiziert. Die d-Penicillamin (Metalcaptase®, Ⴉ Kap. 34.1.3),
Latenz bis zum Wirkbeginn ist relativ lang und wird aufgrund z. T. schwerer Nebenwirkungen
138 12 Analgetika, Antirheumatika

bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis nur Die Therapie erfolgt mit steigender Dosie-
noch nach strenger Indikationsstellung als rung: In der ersten Woche werden 20 mg, in der
Reservesubstanz eingesetzt (s. u.). Darüber hin- zweiten 30 mg und in der dritten Woche 40 mg,
aus kommt sie bei der Therapie der systemi- danach 100 mg wöchentlich tief intramuskulär
schen Sklerose zum Einsatz. (intraglutäal) injiziert. Die Dosis ist bis zu einer
Die Dosierung erfolgt einschleichend (An- weitgehenden Besserung des Befundes, aber
fangsdosis 150 mg pro Tag, Vollwirkdosis ca. ab höchstens bis zu einer kumulativen Gesamtdo-
Woche 7, 600 mg pro Tag). sis von 1600 mg Natriumaurothiomalat beizu-
Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Haut- behalten. Nach Wirkungseintritt werden als Er-
reaktionen, Stomatitis, Übelkeit, Diarrhö, Cho- haltungsdosis monatlich 100 mg bzw. alternativ
lestase, Proteinurie, Hämaturie, Eosinophilie, alle zwei Wochen 50 mg injiziert.
Zytopenien, Polyneuropathie, Geschmacksstö- Mit Nebenwirkungen ist in etwa 30 % der Fäl-
rungen, Fieber sowie Autoimmunopathien (z. B. le zu rechnen. Sie betreffen vor allem das Blut
Myasthenie, systemischer Lupus erythemato- (Leuko- und Thrombopenie), die Haut (Exan-
des). theme, Dermatitis) und die Schleimhäute (Sto-
Bei Penicillinallergie, vorgeschädigten Nie- matitis, Gingivitis), die Leber (Lebernekrosen,
ren, Störungen des hämatopoetischen Systems, cholestatische Hepatitis) sowie die Nieren (Hä-
Leberparenchymschäden sowie in der Schwan- maturie, Proteinurie). Aufgrund dieser bedroh-
gerschaft ist d-Penicillamin kontraindiziert. Bei lichen Nebenwirkungen müssen die Patienten
Patienten mit Lupus erythematodes oder gleich- während der Therapie besonders aufmerksam
zeitiger Gold- bzw. Chloroquin-Therapie darf überwacht werden (Blutbild, Laborparameter,
d-Penicillamin ebenfalls nicht angewendet wer- Röntgenthorax einmal pro Jahr, Immunglobuli-
den. ne, Eiweißgehalt des Urins). Schwere Komplika-
Goldverbindungen. Zur Anwendung gelangt tionen infolge einer Goldintoxikation sind mit
nur noch die einwertige Gold-Verbindung Nat- Natriumcalciumedetat, Dimercaprol oder d-Pe-
riumaurothiomalat (Tauredon®) zur parentera- nicillamin zu behandeln.
len Applikation. Bei Patienten mit Blutbildungsstörungen, ak-
Der Wirkungsmechanismus ist komplex. tiver Lungentuberkulose, Allergien, Colitis ulce-
Einwertiges Gold besitzt eine hohe Affinität zu rosa, Kollagenosen, Nieren- oder schwerer Le-
Thiolgruppen (z. B. in Cystein). Einige proin- berinsuffizienz sowie bei Schwangerschaft und
flammatorische Transkriptionsfaktoren (z. B. Stillzeit ist Natriumaurothiomalat kontraindi-
AP-1, NF-κB) besitzen innerhalb ihrer positiv ziert.
geladenen DNA-Bindungsdomänen Cysteinres-
te, an die Gold(I)-Salze binden und so die Bin- 12.2.3.2 Immunbiologika („Biologicals“)
dung von AP-1 und NF-κB an die entsprechen- Im Zentrum der immunologischen Reaktion bei
den DNA-Konsensussequenzen verhindern. der rheumatoiden Arthritis steht das Zusam-
Natriumaurothiomalat wird nach intramus- menspiel von B- und T-Lymphozyten und Mak-
kulärer Gabe gut resorbiert (Bioverfügbarkeit rophagen. Dabei spielen Zytokine eine wichtige
ca. 95 %). Die Halbwertszeit beträgt ca. 25 Tage. Rolle. Das bedeutendste proinflammatorische
Die Wirkung tritt meist erst nach 3–4 Mona- Zytokin ist der Tumornekrosefaktor-α (TNF-α),
ten ein, bei Abklingen der Symptome soll die der über weitere Zytokine, wie z. B. IL-1 und IL-
Behandlung mindestens noch ein halbes bis ein 6, systemische Entzündungsvorgänge steuert,
Jahr fortgesetzt werden. Aufgrund der massiven die letztendlich u. a. zur Gelenkdestruktion füh-
Nebenwirkungen einer Goldtherapie (s. u.) wer- ren. Aufgrund der pathophysiologischen Be-
den heute meist keine Patienten mehr neu auf deutung dieser Zytokine, lag es nahe, Therapie-
das Goldpräparat eingestellt. strategien zu verfolgen, die sich direkt gegen
diese Zytokine richten.
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 139

TNF-α-Antagonisten ႒ Tab. 12.4 TNF-α-Antagonisten und ihre Indika-


TNF-α vermittelt seine Wirkung über zwei ver- tionen. Die Substanzen werden in der Rheuma-
schiedene TNF-Rezeptoren (p55 mit 55 kDa therapie mit MTX kombiniert. Adalimumab, Certo-
und p75 mit 75 kDa), die an der Zelloberfläche lizumab-Pegol und Etanercept sind auch als Mo-
nahezu aller Zellen exprimiert werden, aber notherapeutika zugelassen, wenn MTX nicht ein-
setzbar ist.
auch in löslicher Form vorkommen. Die „lösli-
chen“ TNF-Rezeptoren fungieren als natürliche INN (Handelspräparat), HWZ Indikationen
Regulatoren der TNF-Aktivität, indem sie über-
Etanercept (Enbrel®), RA, PsA, AS, juv.
schüssigen TNF-α abfangen. Diese natürliche
3 Tage RA, Ps
Regulation ist bei Patienten mit rheumatoider
Arthritis gestört. Aus dieser Überlegung heraus Infliximab (z. B. REMICADE®), RA, PsA, AS, Ps,
wurden die folgenden biologisch hergestellten 8–10 Tage MC, CU
„TNF-α-Antagonisten“ entwickelt: Etanercept,
Adalimumab (Humira®), RA, PsA, AS, juv.
Infliximab, Adalimumab, Golimumab und
14 Tage RA, Ps, MC, CU
Certolizumab-Pegol.
Golimumab (Simponi®), RA, PsA, AS, CU
Wirkungsmechanismus. TNF-α-Antagonisten
12 Tage
antagonisieren die Wirkung von TNF-α, indem
sie entweder Certolizumab-Pegol (Cimzia®), RA, AS, PsA
14 Tage
󠀂 als löslicher TNF-Rezeptor fungieren (Eta-
nercept), der spezifisch TNF-α bindet und PsA Psoriasis-Arthritis, RA rheumatoide Arthritis, AS ankylosierende
somit verhindert, dass dieser an seine mem- Spondylitis, juv juvenile, Ps Psoriasis, CU Colitis ulcerosa, MC Morbus
Crohn, MTX Methotrexat
branständigen Rezeptoren andockt, oder
󠀂 als monoklonale Antikörper (Infliximab,
Adalimumab, Golimumab), oder
gressiven Psoriasis-Arthritis und der ankylo-
󠀂 als Fab-Fragment eines monoklonalen Anti-
sierenden Spondylitis zugelassen, wenn das
körpers (Certolizumab-Pegol) TNF-α bin-
Ansprechen auf eine konventionelle Basisthera-
den.
pie unzureichend war. Ferner können einige
Im Gegensatz zu Etanercept binden monoklo- TNF-α-Antagonisten bei Plaque-Psoriasis, Co-
nale Antikörper nicht nur freien, sondern auch litis ulcerosa oder Morbus Crohn eingesetzt
membrangebundenen TNF-α. Deshalb erfolgt werden (႒ Tab. 12.4).
unter deren Therapie auch eine komplementab-
Nebenwirkungen. Als häufige Nebenwirkun-
hängige Lyse von TNF-α-exprimierenden Zel-
gen sind lokale bzw. generalisierte Injektions-
len. Dies scheint ein Grund zu sein, weshalb
bzw. Infusionsreaktionen (Juckreiz, Gesichtsrö-
TNF-α-Antikörper auch bei chronisch entzünd-
tung, Urtikaria, Fieber, Müdigkeit, thorakale
lichen Darmerkrankungen wirksam sind (s. u.).
Schmerzen, Übelkeit) sowie virale und bakteri-
Indikationen. TNF-α-Antagonisten sind meist elle Infektionen des oberen Respirations- oder
in Kombination mit Methotrexat (႒ Tab. 12.4) Urogenitaltrakts beschrieben. Andere Neben-
und bei Patienten mit mittelschwerer bis schwe- wirkungen sind Blutdruckänderungen, Kon-
rer rheumatoider Arthritis indiziert, die durch junktivitis, Depressionen, Kopfschmerzen, Le-
andere Basistherapeutika einschließlich Me- berfunktionsstörungen. Da schwerwiegende in-
thotrexat nicht adäquat therapiert werden konn- fektiöse Komplikationen (z. B. Tuberkulose)
ten. Im Falle einer Unverträglichkeit gegen Me- auftreten können, sollten vor dem Einsatz eines
thotrexat können einige auch als Monothera- TNF-α-Antagonisten sowohl ein Tuberkulintest
12
peutika angewendet werden. Darüber hinaus als auch eine Röntgen-Thorax-Aufnahme
sind sie zur Behandlung der aktiven und pro- durchgeführt werden. Bei Vorliegen einer akti-
140 12 Analgetika, Antirheumatika

ven Tuberkulose dürfen TNF-α-Antagonisten humanem IgG1, während die variablen Regio-
ebenso wie bei anderen manifesten Infektionen nen von einem Mausantikörper abgeleitet sind.
und Sepsis nicht angewendet werden. Als weite- Gegenwärtig wird Infliximab nur in Kombi-
re Nebenwirkungen können Panzytopenie und nation mit Methotrexat in einer Dosierung von
eine aplastische Anämie auftreten. Ein mögli- 3 mg/kg zum Zeitpunkt 0, 2 und 6 Wochen so-
ches Risiko für die Entwicklung von Lympho- wie danach als Erhaltungstherapie alle 8 Wo-
men, Leukämie und Hautkrebs kann nicht aus- chen intravenös infundiert.
geschlossen werden. Ein Problem bei der wie- Adalimumab (Humira®) ist ein vollständig
derholten Anwendung bestimmter TNF-α- humaner monoklonaler Antikörper gegen
Antagonisten ist das Auftreten von Antikörpern TNF-α, bei dem im Gegensatz zu Infliximab
gegen den Wirkstoff. Dadurch kann es teilweise auch die variablen Regionen von einem huma-
zum Wirkverlust kommen. nen Antikörper abgeleitet sind.
Die Dosierung beträgt 40 mg alle 2 Wochen
Interaktionen. Alle Biologika wirken immun-
subkutan.
suppressiv und schwächen deshalb die Infektab-
Golimumab (Simponi®) ist ein weiterer voll-
wehr. Der Impfschutz der Patienten sollte vor
ständig humaner monoklonaler Antikörper ge-
einer Biologika-Therapie aufgefrischt werden.
gen TNF-α.
Bei Schwangerschaft sollten diese Substanzen
Die Dosierung beträgt 50 mg einmal monat-
aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht
lich subkutan.
eingesetzt werden. Eine Immunisierung mit Le-
Certolizumab-Pegol (Cimzia®) ist kein voll-
bend-Impfstoffen sollte während der Therapie
ständiger Antikörper, sondern nur ein Fab-
nicht durchgeführt werden.
Fragment eines rekombinanten, humanisierten
Kontraindikationen. Bei Patienten mit aktiver monoklonalen Antikörpers gegen TNF-α, der
Tuberkulose oder anderen schweren Infektio- an Polyethylenglycol konjugiert wurde, um die
nen (HIV, Hepatitis B, Sepsis, opportunistische Halbwertszeit zu verlängern.
Infektionen), chronischer Herzinsuffizienz Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg
(NYHA III und IV) oder Multipler Sklerose soll- subkutan (in 2 Injektionen zu je 200 mg an ei-
ten keine TNF-α-Antagonisten eingesetzt wer- nem Tag) in Woche 0, 2 und 4, gefolgt von einer
den. Erhaltungsdosis von 200 mg alle 2 Wochen.

Etanercept (Enbrel®) ist ein dimeres Fusions- Sonstige Immunbiologika


protein, bestehend aus dem extrazellulären, li- Da nicht alle Patienten auf eine TNF-α-
gandenbindenden Teil des humanen p75-TNF- inhibierende Therapie ansprechen, wurden wei-
Rezeptors und dem Fc-Anteil von humanem tere Immunbiologika für die Therapie der rheu-
IgG1. Es ist ein löslicher TNF-Rezeptor, der spe- matoiden Arthritis entwickelt. Da Interkeukin-
zifisch TNF-α bindet. 1-α (IL-1-α), IL-1-β und IL-6 wichtige proin-
Die mittlere Dosierung beträgt 25 mg (sub- flammatorische Zytokine darstellen, deren
kutan) zweimal wöchentlich, bei Kindern mit Konzentrationen bei der rheumatoiden Arthritis
Plaque-Psoriasis 0,8 mg/kg einmal wöchentlich erhöht sind, wurden monoklonale Antikörper
(bis zu einer Maximaldosis von 50 mg). gegen die entsprechenden Interleukin-Rezepto-
Infliximab (REMICADE®, Inflectra, Remsi- ren zugelassen (Anakinra, Tocilizumab). Weite-
ma®. Die beiden letztgenannten Fertigpräparate re therapeutische Alternativen bei der rheumato-
sind sog. „biosimilars“) ist ein rekombinant her- iden Arthritis stellen eine B-Zell-Depletion
gestellter chimärer (Maus/Mensch) monoklona- durch Rituximab und eine Hemmung der T-
ler Antikörper, der gegen TNF-α gerichtet ist. Zell-Kostimulation durch Abatacept dar. Der ge-
Der konstante Teil des Antikörpers besteht aus gen humanes IL-1-β gerichtete monoklonale An-
tikörper Canakinumab (Ilaris®) ist nicht für die
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 141

Therapie der rheumatoiden Arthritis zugelassen, Tocilizumab (RoActemra®) ist ein humani-
sondern wird bei sog. Cryopyrin-assoziierten sierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der ge-
periodischen Syndromen (CAPS) eingesetzt, für gen den humanen IL-6-Rezeptor gerichtet ist.
deren Entstehung eine IL-1-β-vermittelte Ent- Er bindet sowohl an lösliche als auch an mem-
zündung u. a. ursächlich ist. Darüber hinaus brangebundene IL-6-Rezeptoren und verhin-
wurde der Antikörper bei systemischer juveniler dert so die Signaltransduktion des proinflam-
idiopathischer Arthritis und bei der Gichtarthri- matorischen IL-6. Tocilizumab ist in Kombina-
tis (Ⴉ Kap. 12.2.7) zugelassen. tion mit Methotrexat (bei Methotrexat-Unver-
Anakinra (Kineret®) ist ein rekombinant träglichkeit auch als Monotherapeutikum) bei
hergestellter humaner Interleukin-1-Rezeptor- erwachsenen Patienten mit mäßiger bis schwe-
antagonist. Er hemmt kompetitiv die Bindung rer aktiver rheumatoider Arthritis zugelassen,
von Interleukin-1 (IL-1) an den IL-1-Rezeptor. die auf eine vorangegangene herkömmliche Ba-
Es ist zur Behandlung der rheumatoiden Arthri- sistherapie und auf eine TNF-α-Blockade unzu-
tis in Kombination mit Methotrexat bei Erwach- reichend angesprochen haben. Ferner wird der
senen zugelassen, die nur unzureichend auf Me- Antikörper zur Behandlung von Patienten (ab 2
thotrexat allein ansprechen. Insgesamt ist die Jahren) mit aktiver systemischer juveniler idio-
Wirkung von Anakinra allerdings schwächer als pathischer Arthritis eingesetzt, wenn bei diesen
die der TNF-α-Blocker, weshalb die Substanz NSAIDs und systemische Glucocorticoide nicht
bei Therapiealgorithmen keine besondere Rolle wirksam waren.
spielt. Ferner kann die Substanz bei sog. Cryo- Die Pharmakokinetik von Tocilizumab ist
pyrin-assoziierten periodischen Syndromen nicht linear, sodass seine Halbwertszeit konzen-
(CAPS) eingesetzt werden. trationsabhängig ist und auf 8–23 Tage geschätzt
Die Halbwertszeit liegt bei 4–6 h. Die Dosie- wird.
rung beträgt einmal täglich 100 mg s. c. Die empfohlene Dosis beträgt 8 mg/kg i. v.
Als häufigste Nebenwirkung (ca. 70 % der alle 4 Wochen. Sie muss bei erhöhten Leberen-
Fälle) wird eine leichte bis mäßige Reaktion zymwerten, niedriger Thrombozyten- und Neu-
(Erythem, Entzündung, Schmerzen) an der Ein- trophilenzahl (Funktion von IL-6 bei der Häma-
stichstelle beschrieben. Sehr häufig treten auch topoese) korrigiert bzw. die Therapie unterbro-
Kopfschmerzen auf. Ferner wurden Infektionen, chen werden. Sinkt die Thrombozytenzahl auf
Blutbildveränderungen (Neutropenien) und al- unter 50 000/μl und/oder die Neutrophilenzahl
lergische Reaktionen beobachtet. auf unter 500/μl und/oder erhöhen sich die Le-
Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance berenzymwerte auf mehr als das Fünffache der
von < 30 ml/min ist Anakinra kontraindiziert. oberen Norm, muss Tocilizumab abgesetzt wer-
Da die Expression hepatischer Cyto- den.
chrom-P450-Enzyme durch IL-1 inhibiert wird, Als Nebenwirkungen wurden u. a. am häu-
ist davon auszugehen, dass sich die Bildung der figsten Infektionen des oberen Respirations-
Cytochrom-P450-Enzyme unter einer Anakin- trakts, Hyperlipidämie, Hypertonie, Erhöhung
ra-Behandlung wieder normalisiert. Es kann der Lebertransaminasen, Kopfschmerzen,
deshalb zu Interaktionen mit CYP-metabolisier- Hautreaktionen sowie Leuko- und Neutropeni-
ten Arzneistoffen kommen. Vor der gleichzeiti- en berichtet.
gen Anwendung von TNF-α-Antagonisten und Da die Expression hepatischer Cyto-
Anakinra muss aufgrund eines erhöhten Risikos chrom-P450-Enzyme durch IL-6 inhibiert wird,
von Neutropenien und schwerwiegenden Infek- ist davon auszugehen, dass sich die Bildung der
tionen gewarnt werden, zumal die Kombination Cytochrom-P450-Enzyme unter einer Tocili-
keinen zusätzlichen klinischen Nutzen bei- zumab-Behandlung wieder normalisiert. Wird
12
spielsweise im Vergleich zur Etanercept-Mono- eine Therapie mit Tocilizumab begonnen oder
therapie gezeigt hat. beendet, sollte man Patienten, die gleichzeitig
142 12 Analgetika, Antirheumatika

Pharmaka nehmen, die durch z. B. CYP3A4, sionen zu je 1000 mg Rituximab im Abstand von
CYP1A2 oder CYP2C9 (z. B. Statine, Verapamil, 2 Wochen. Die Notwendigkeit weiterer Zyklen
Theophyllin, Phenytoin, Phenprocoumon u. a.) sollte nach 24 Wochen beurteilt werden.
metabolisiert werden, überwachen, da Dosisan- Die häufigsten Nebenwirkungen waren virale
passungen erforderlich sein können. Aufgrund und bakterielle Infektionen (u. a. Bronchitis, Si-
seiner langsamen Elimination können diese In- nusitis, Pneumonie, Infektionen der Harnwege,
teraktionen auch noch mehrere Wochen nach Herpes zoster) und akute Infusionsreaktionen
Absetzen von Tocilizumab klinisch relevant wie Hautausschlag, Juckreiz, Schüttelfrost und
sein. Fieber. Häufigkeit und Schwere der Infusionsre-
Bei aktiven, schweren Infektionen ist Tocili- aktionen konnten mit 100 mg Methylpredniso-
zumab kontraindiziert. Vor Beginn der Behand- lon i. v. (30 min vor der Rituximab-Infusion)
lung ist, wie bei allen anderen Immunbiologika, verringert werden. Darüber hinaus traten Dys-
eine Tuberkulose per Tuberkulin-Hauttest und pepsie, Parästhesien, Blutbildveränderungen
Röntgenthorax auszuschließen und eine Hepati- und selten ein angioneurotisches Ödem auf. An-
tis-B- und -C-Serologie durchzuführen. Bei ei- dere Überempfindlichkeitsreaktionen wurden
ner Transaminasenerhöhung über das Dreifache ebenfalls beschrieben. Vor jeder Infusion mit
der Norm sollte Tocilizumab nicht mehr ver- Rituximab sollte deshalb eine Prämedikation
wendet werden. mit einem Analgetikum/Antipyretikum (z. B.
Rituximab (MabThera®) ist ein gegen das Paracetamol) und einem Antihistaminikum
CD20-Oberflächenantigen gerichteter mono- (z. B. Diphenhydramin) erfolgen.
klonaler, chimärer Maus-/Menschantikörper, Als eine seltene (ca. 1:20 000), aber sehr erns-
der ursprünglich zur Therapie CD20-positiver te Nebenwirkung sind unter Rituximab-Thera-
Non-Hodgkin-Lymphome entwickelt wurde. pie tödliche Verläufe einer progressiven multifo-
In Kombination mit Methotrexat (10–25 mg kalen Leukenzephalopathie (PML) aufgetreten
wöchentlich) erhielt Rituximab auch eine Zu- (Ⴉ Kap. 32.4.8.1). Dies hat dazu geführt, dass
lassung zur Behandlung erwachsener Patien- Rituximab im Therapiealgorithmus der rheu-
ten mit schwerer rheumatoider Arthritis, die matoiden Arthritis nur Zweitbiologikum ist.
ungenügend auf andere Basistherapeutika ein- Bei Patienten mit aktiven, schweren Infektio-
schließlich einer oder mehrerer Therapien mit nen, geschwächter Immunabwehr oder schwe-
TNF-α-Antagonisten angesprochen oder diese rer Herzinsuffizienz ist Rituximab kontraindi-
nicht vertragen haben. Rituximab eliminiert ziert.
selektiv B-Zellen, die das CD20-Oberflä- Abatacept (Orencia®): Da aktivierte T-Lym-
chenantigen exprimieren. Da diese B-Zellen phozyten eine wichtige Rolle in der Pathogenese
beim Autoimmunprozess der rheumatoiden der RA spielen, wurde Abatacept entwickelt, das
Arthritis eine zentrale Rolle spielen, werden ein lösliches Fusionsprotein, bestehend aus der
durch Rituximab die Produktion des Rheu- extrazellulären Domäne des humanen zytotoxi-
mafaktors, die Antigenpräsentation und die schen T-Lymphozyten-Antigens-4 (CTLA-4)
Komplementaktivierung im chronisch ent- und einem modifizierten Fc-Teil des humanen
zündlichen Immunprozess der rheumatoiden IgG1, darstellt. Für die vollständige Aktivierung
Arthritis gehemmt. von T-Lymphozyten muss sowohl der T-Zell-
Die Halbwertszeit ist sehr variabel und Rezeptor ein spezifisches (Auto-)Antigen, als
scheint u. a. von der Dosis abzuhängen. Bei den auch der auf T-Zellen exprimierte CD28-Rezep-
in der Therapie der rheumatoiden Arthritis üb- tor die CD80-Domäne von antigenpräsentieren-
lichen Dosen (s. u.) beträgt sie 9–36, durch- den Zellen erkennen. Wie das natürlich vor-
schnittlich 20 Tage. kommende CTLA-4 bindet Abatacept mit gro-
Ein Behandlungszyklus besteht bei der rheu- ßer Affinität und Spezifität an das CD80-Mole-
matoiden Arthritis aus zwei intravenösen Infu- kül von antigenpräsentierenden Zellen, sodass
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 143

die Kostimulation und Aktivierung von T-Zel- diesen Prozess aufzuhalten oder sogar eine
len ausbleibt und somit die Zytokinproduktion Knorpelregeneration zu bewirken. Da die Wirk-
gehemmt wird. Abatacept wird deshalb auch als samkeit solcher Zubereitungen bisher aber nicht
Kostimulationsinhibitor bezeichnet. Es ist in sicher nachgewiesen werden konnte, dagegen in
Kombination mit Methotrexat für die Behand- einigen Fällen anaphylaktische und andere aller-
lung der mäßigen bis schweren aktiven rheuma- gische Reaktionen auftraten, wurde für einen
toiden Arthritis bei Erwachsenen zugelassen, Teil dieser Präparate die Zulassung widerrufen.
die auf eine vorangegangene Therapie mit einem Das Natriumsalz der Hyaluronsäure, die aus
oder mehreren Basistherapeutika (einschließ- Hahnenkämmen gewonnen wird (z. B. HYAL-
lich Methotrexat) oder eines TNF-α-Inhibitors ART® D), und das Hemisulfat von Glucosamin
nicht adäquat ansprachen. Bei der polyartikulä- (z. B. Dona®) sind zur Behandlung von Gonar-
ren juvenilen idiopathischen Arthritis ist das throsen zugelassen. Ihre Wirksamkeit ist (s. o.)
Fusionsprotein auch für Kinder ab 6 Jahren ein- nicht zweifelsfrei belegt.
setzbar.
Die Halbwertszeit schwankt zwischen 8 und 12.2.5 Nichtsteroidale
25 Tagen und beträgt im Mittel ca. 13 Tage. Antiphlogistika zur lokalen
Abatacept wird als 30-minütige intravenöse Applikation
Infusion in Woche 0, 2 und 4 und anschließend Neben der systemischen Anwendung werden
alle 4 Wochen in Abhängigkeit vom Körperge- nichtsteroidale Antiphlogistika auch topisch,
wicht appliziert (< 60 kg: 500 mg; 60–100 kg: z. B. in Form sog. Rheumacremes, -gele oder
750 mg; > 100 kg: 1000 mg). Bei Kindern unter -sprays, unter der Vorstellung appliziert, dass
75 kg beträgt die Dosis 10 mg/kg. Abatacept damit die bei systemischer Gabe auftretenden
kann auch subkutan appliziert werden (Fertig- Nebenwirkungen reduziert werden können
pen, 125 mg wöchentlich). (Diclofenac ist z. B. in Voltaren® Schmerzgel
Als häufige Nebenwirkungen sind Kopf- forte; Hydroxyethylsalicylat in Salhumin® Gel;
schmerzen, Infektionen der Atem- und Harn- Indometacin in z. B. Mobilat® Schmerzspray;
wege, Hyperlipidämie, Hautauschlag, Bauch- Ibuprofen in z. B. Dolobene® Ibu; Ketoprofen in
schmerzen, Diarrhö, Übelkeit und Hypertonie z. B. Phardol Ketoprofen Schmerzgel und Pi-
beschrieben. Schwerwiegende Infektionen roxicam in z. B. Pirocutan Creme enthalten). Als
scheinen seltener aufzutreten als unter TNF-α- Indikationen werden Tendopathien, Arthriti-
Blockade. Bisher wurde kein erhöhtes Risiko für den, Arthrosen sowie stumpfe Traumen angege-
die Entstehung maligner Tumoren beobachtet, ben. Die Penetration des Arzneistoffs in tiefere
allerdings liegen derzeit noch keine Langzeitda- Gewebeschichten erfolgt jedoch sehr variabel.
ten vor. Daher werden bei einem erheblichen Anteil der
Bei schweren und unkontrollierten Infektio- Patienten nur niedrige Gewebespiegel des ent-
nen wie chronischen Virusinfektionen, Sepsis sprechenden NSAIDs erreicht. Die Plasmaspie-
oder opportunistischen Infektionen ist Abata- gel liegen weit unter denen, die bei gleicher Do-
cept kontraindiziert. sierung nach oraler Gabe gemessen werden
(< 5 %). Systemische Nebenwirkungen der
12.2.4 Knorpeldegeneration- NSAIDs (Ⴉ Kap. 12.1.3.1) sind somit kaum zu
hemmende Stoffe befürchten, wohl aber lokale (allergische Haut-
(Chondroprotektiva) reaktionen, Juckreiz, Rötung der Haut). Trotz
Bei Arthrosen kommt es regelmäßig zur Abnut- ihrer sehr häufigen Anwendung wird die thera-
zung bzw. Degeneration des Gelenkknorpels. Es peutische Wirksamkeit dieser Präparate über-
wurde daher versucht, mit Präparaten, die Kno- wiegend kritisch beurteilt.
12
chenextrakte, Mucopolysaccharidschwefelsäu- Weitere Substanzen zur lokalen antiphlogis-
reester oder d-Glucosaminsulfat enthalten, tischen Therapie sind hyperämisierende Stoffe
144 12 Analgetika, Antirheumatika

(ätherische Öle, Nicotin- und Salicylsäureester). eine Kombination mit einem anderen Basisthe-
Aufgrund ihres gefäßerweiternden Effekts lösen rapeutikum. Wenn Ausdosierung und Kombi-
sie in dem entsprechenden Hautareal eine Rö- nationsbehandlung zu keiner ausreichenden
tung und eine Wärmeempfindung aus (Rubefa- Linderung der Beschwerden führen sollten,
cientia). Inwieweit Präparate mit solchen Wirk- kann ein TNF-α-Inhibitor oder Abatacept oder
stoffen neben dem psychologischen Effekt tat- Tocilizumab eingesetzt werden. Bei ausbleiben-
sächlich antiphlogistisch wirksam sind, ist dem Erfolg kann entweder zu einem anderen
schwer zu beurteilen, da placebokontrollierte TNF-α-Blocker oder im Falle einer bereits er-
Studien nicht möglich sind (Hautrötung beim folgten Anti-TNF-α-Vorbehandlung zu Tocili-
Verum-, fehlende Hautrötung beim Placebo- zumab, Rituximab oder Abatacept gewechselt
Präparat). werden (Ⴜ Abb. 12.4).
Bei seronegativen Spondylarthritiden steht
12.2.6 Differenzialtherapeutischer die Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika
Einsatz von Antirheumatika im Vordergrund der medikamentösen Maßnah-
bei entzündlichen men. Glucocorticoide sind eher selten indiziert.
rheumatischen Erkrankungen Morbus-Bechterew-Patienten sprechen häufig
Beim akuten rheumatischen Fieber ist auf- auf eine Basistherapie mit TNF-α-Inhibitoren
grund der Streptokokkenätiologie eine frühzei- an, erkennbar an einer Verbesserung der peri-
tige Behandlung mit Phenoxymethylpenicillin pheren Arthritis- und der Spondylitis-Be-
(Penicillin V) Mittel der Wahl. Bei Penicillinun- schwerden. Sulfasalazin bessert meist nur die
verträglichkeit wird mit einem Makrolidanti- Symptome der peripheren Arthritis nicht jedoch
biotikum therapiert. Eine bestehende rheumati- die der Wirbelsäule (Spondylitis). Reaktive Ar-
sche Karditis wird 4–6 Wochen lang antiin- thritiden werden – nach Ermittlung des geeig-
flammatorisch z. B. mit initial 80 mg Predniso- neten Antibiotikums – antibakteriell sowie we-
lon/Tag (danach stufenweise Dosisreduktion) gen der starken Schmerzen zusätzlich mit einem
behandelt. Ferner sollte im krankheitsfreien In- Antiphlogistikum behandelt. Gelenkbeschwer-
tervall unter antibiotischer Therapie eine Ton- den von Patienten mit einer enteropathischen
sillektomie erfolgen. Wichtig ist, dass über min- Arthritis lassen sich am besten durch eine ad-
destens 10 Jahre eine antibiotische Rezidivpro- äquate Therapie ihrer Colitis ulcerosa oder des
phylaxe z. B. mit einem Depotpenicillin (z. B. Morbus Crohn lindern (z. B. mit Glucocorticoi-
Benzylpenicillin-Benzathin 1,2 Mio IE alle 4 den, Sulfasalazin oder Mesalazin).
Wochen i. m.) erfolgt, da mit jedem Rezidiv das Bei der Psoriasis-Arthritis kann eine Be-
Risiko eines späteren Herzklappenfehlers steigt. handlung mit herkömmlichen Basistherapeuti-
Die rheumatoide Arthritis wird zunächst bis ka (z. B. mit Sulfasalazin bei mildem oder Me-
zur Diagnosesicherung symptomatisch mit thotrexat bzw. Ciclosporin bei schwerem Ver-
nichtsteroidalen Antiphlogistika behandelt. Un- lauf) indiziert sein. Zu beachten ist, dass eine
mittelbar nach Diagnosesicherung sollte sofort Glucocorticoid-Gabe ohne ein entsprechendes
eine Therapie mit einem Basistherapeutikum Immunsuppressivum zwar zu einer Verbesse-
erfolgen. Meistens wird Methotrexat als Mittel rung der Gelenkbeschwerden, jedoch zu einer
der 1. Wahl mit einem niedrig dosierten oralen Verschlechterung der Hauterkrankung führen
Glucocorticoid (z. B. initial 20 mg Prednisolon/ kann. TNF-α-Blocker (s. o.) sind ebenfalls wirk-
Tag, nach Wirkungseintritt der Basistherapie sam und für die Therapie der Psoriasis-Arthritis
stufenweise Reduktion auf < 7,5 mg/Tag) kombi- zugelassen. Patienten, die auf eine herkömmli-
niert, da damit im Vergleich zu einer Methotre- che Basistherapie nicht ansprechen, können
xat-Monotherapie die Ansprechrate erhöht wer- auch mit dem Phosphodiesterase-4-(PDE4-)In-
den kann. Bei Nichtansprechen wird zuerst die hibitor Apremilast (Otezla®) behandelt werden.
Methotrexat-Dosis erhöht, danach erfolgt meist PDE4 ist für cyclisches Adenosinmonophosphat
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 145

wertszeit liegt bei ca. 9 Stunden. Die empfohlene


Monotherapie

MTX Alternativen: Dosis beträgt 30 mg zweimal täglich. Bei Patien-


15 mg/Woche + Leflunomid,
„Low-Dose“ - Sulfasalazin,
ten mit einer Kreatinin-Clearance von < 30 ml/
Prednisolon (Hydroxy-)Chloroquin, min sollte die Dosis auf einmal 30 mg/Tag hal-
4–6 Wochen Azathioprin, biert werden. Häufige Nebenwirkungen sind In-
Ciclosporin u.a.
fektionen der oberen Atemwege, Diarrhö,
MTX (oral) MTX (parenteral), Schlaflosigkeit, Oberbauch-, Kopf- und Rücken-
Dosiserhöhung 20-25 mg/Woche, schmerzen. Eine gleichzeitige Anwendung von
Prednisolon-Anpassung
starken CYP-Induktoren (z. B. Rifampicin, Car-
4–6 Wochen bamazepin, Johanniskrautextrakt) sollte ver-
Kombination

mieden werden, da dann die Apremilast-Spiegel


Leflunomid + MTX oder und die Wirkung erniedrigt sind.
Sulfasalazin + Hydroxy- Alternativen:
chloroquin + MTX MTX + Ciclosporin Beim systemischen Lupus erythematodes
3 Monate (SLE) stehen zunächst wegen der UV-Sensitivi-
tät (UV-Exposition kann einen Schub auslösen)
1. Biologikum

TNF-˞-Antagonist oder Abatacept oder


ein prophylaktischer Sonnenschutz und meist
Tocilizumab auch eine Vitamin-D-Gabe im Vordergrund.
+ MTX Medikamentös erhalten fast alle SLE-Patienten
3–6 Monate
Hydroxychloroquin als Standardtherapeutikum
in Kombination mit einem Immunsuppressi-
2. Biologikum

anderer TNF-˞Antagonist oder Tocilizumab vum (z. B. Azathioprin). Glucocorticoide spie-


oder Rituximab oder Abatacept len vor allem in der akuten Phase und bei schwe-
+ MTX ren Fällen eine wichtige Rolle. Lebensbedrohli-
che bzw. organbedrohliche Manifestationen
(z. B. Lupusnephritis) werden fast immer mit
Ⴜ Abb. 12.4 Therapiealgorithmus der rheumatoi-
den Arthritis. Therapieziel ist das Erreichen einer Cyclophosphamid i. v. in Kombination mit Glu-
Remission oder zumindest einer niedrigen Krank- cocorticoiden behandelt.
heitsaktivität. Die Behandlung wird mit einem Da „Lupus“-Patienten erhöhte BLys-Spiegel
herkömmlichen Basistherapeutikum (meist MTX) (s. u.) aufweisen, wurde als Zusatztherapie bei
begonnen. Bei ausbleibendem Therapieerfolg auch erwachsenen Patienten mit aktivem, Autoanti-
nach Ausdosierung und Kombination mit einem körper-positiven SLE, die trotz Standardthera-
anderen Basistherapeutikum (z. B. LEF) sollte ein pie eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen, der
Biologikum gegeben werden. Führt auch diese humane monoklonale Antikörper Belimumab
Therapie nicht zur Besserung, erfolgt ein Wechsel
(Benlysta®) zugelassen. Belimumab blockiert
auf einen anderen TNF-α-Blocker oder auf Tocili-
die Bindung von löslichem B-Lymphozyten-Sti-
zumab, Rituximab oder Abatacept.
MTX Methotrexat, LEF Leflunomid. Nach Leitlinie mulator-Protein (BLys), einem B-Zell-Überle-
bensfaktor, an seinen Rezeptor auf den B-Zellen.
Dadurch wird das Überleben der B-Zellen ver-
(cAMP) spezifisch, sodass es unter Apremilast ringert und deren Ausdifferenzierung zu Im-
zu einer Erhöhung der cAMP-Spiegel in Ent- munglobulin-bildenden Plasmazellen gehemmt.
zündungszellen und Synoviozyten und folglich Die Halbwertszeit wird mit ca. 20 Tagen angege-
zu einer verminderten Freisetzung von proin- ben. Belimumab wird als intravenöse Infusion
flammatorischen Zytokinen (z. B. TNF-α, IL-17) in Woche 0, 2 und 4 und anschließend alle 4 Wo-
kommt. Neben Psoriasis-Arthritis ist die Sub- chen in einer Dosis von jeweils 10 mg/kg appli-
stanz auch bei Psoriasis zugelassen. Die Metabo- ziert. Um die Infusionsreaktionen zu vermin-
12
lisierung erfolgt über CYP3A4, CYP1A2 und dern, kann als Prämedikation ein Antihistami-
CYP2A6, aber auch CYP-unabhängig. Die Halb- nikum und ein Antipyretikum verabreicht
146 12 Analgetika, Antirheumatika

werden. Als häufige Nebenwirkungen wurden dem Verdacht auf eine Arteriitis cranialis muss
Diarrhö, Übelkeit, Fieber, Leukopenie, Depres- wegen der drohenden Erblindungsgefahr sofort
sion, Schlaflosigkeit, Bronchitis, Phyarngitis, eine Glucocorticoid-Therapie eingeleitet wer-
Zystitis, Migräne, Urtikaria und Überempfind- den.
lichkeitsreaktionen beschrieben. Bei schwerem
aktiven SLE des Zentralnervensystems, schwe- 12.2.7 Hyperurikämie und Gicht
rer akuter Lupusnephritis, HIV-Infektion, frü- Von einer Hyperurikämie spricht man, wenn
herer oder akuter Hepatitis-B- oder C-Infektion, die Harnsäurekonzentration im Serum bei Frau-
Hypogammaglobulinämie oder nach Organ- en > 6 mg/dl, bei Männern > 7 mg/dl beträgt. Die
oder Knochenmarktransplantationen wird Beli- Gicht (Arthritis urica) ist die Krankheitsmani-
mumab jedoch nicht empfohlen. Frauen im ge- festation einer Hyperurikämie. Neben einer erb-
bärfähigen Alter müssen während der Behand- lichen Komponente sind auch exogene Faktoren
lung und mindestens 4 Monate nach der letzten wie bewegungsarme, hektische Lebensweise, Al-
Belimumab-Gabe eine zuverlässige Verhütungs- koholabusus sowie Fehlernährung mit Adiposi-
methode anwenden. tas bedeutsam. Sie kann aber auch als Komplika-
Das Sjögren-Syndrom erfordert den Einsatz tion von Krankheiten auftreten, die mit einer
von künstlicher Tränenflüssigkeit und künstli- verminderten Ausscheidung von Harnsäure
chem Speichel. Bei einer Beteiligung innerer Or- oder einem vermehrten Auf- und Abbau von
gane können auch Immunsuppressiva eingesetzt Nucleoproteiden einhergehen. Hierzu gehören
werden. u. a. Niereninsuffizienz, myeloische Leukämien,
Bei der progressiven systemischen Sklerose hämolytische Anämien und Polyzythämie. Die
werden zur Vorbeugung einer Raynaud-Symp- Gicht kann ferner Folge einer Strahlen- oder
tomatik gefäßerweiternde Pharmaka (z. B. Cal- Chemotherapie von Tumoren und der dadurch
ciumantagonisten oder lokal Nitrat-haltige Sal- bedingten Zellzerstörung sein. Gicht ist nicht
ben) appliziert. Oft werden auch Glucocorticoi- nur eine Gelenkerkrankung, sondern eine
de und bei schweren Verläufen Immunsuppres- schwere Allgemeinkrankheit.
siva (z. B. Methotrexat oder Cyclophosphamid) Klinisch unterscheidet man bei der Gicht die
eingesetzt. Die Gabe von Betablockern ist kon- asymptomatische Hyperurikämie, den akuten
traindiziert. Gichtanfall, das symptomfreie Intervall und die
Bei einer generalisierten Granulomatose mit chronische Gichtphase.
Polyangiitis (Wegener-Granulomatose) und Eine asymptomatische Hyperurikämie stellt
dem Churg-Strauss-Syndrom wird eine im- noch keine Therapieindikation dar.
munsuppressive Behandlung (in Abhängigkeit Der akute Gichtanfall tritt plötzlich, und
vom Stadium mit Methotrexat, Azathioprin zwar häufig nachts, oft auch nach Ess- oder
oder Cyclophosphamid) in Kombination mit ei- Trinkexzessen auf. Betroffen ist vielfach das
nem Glucocorticoid durchgeführt. Für die The- Großzehengrundgelenk („Podagra“), seltener
rapie schwerer Fälle einer Granulomatose mit finden sich die entzündlichen Reaktionen am
Polyangiitis kann auch Rituximab eingesetzt Sprunggelenk, Kniegelenk, den Fingergelenken
werden. oder am Handgelenk. Als Allgemeinsymptome
Für die Therapie der Panarteriitis nodosa können Fieber, Tachykardie, Kopfschmerzen
(ohne Hepatitis B) eignet sich Methotrexat, bei und Erbrechen auftreten. Laborchemisch finden
einem progredienten Verlauf ist allerdings viel- sich eine Leukozytose und eine erhöhte Blutsen-
fach der Einsatz von Cyclophosphamid und kung. Der akute Gichtanfall kommt dadurch zu-
Glucocorticoiden notwendig. stande, dass Natriumuratkristalle in Geweben
Bei der Polymyalgia arteriitica sind Gluco- mit geringem Stoffwechsel ausfallen und durch
corticoide Mittel der Wahl. Sie wirken bei die- Leukozyten phagozytiert werden. Als Folge
sem Krankheitsbild rasch und gut. Bei dringen- kommt es zu einer Entzündung und pH-Wert-
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 147

Erniedrigung mit einer erneuten Ausfällung von Die Dosierung beträgt nach Fachinformation
Natriumurat und einer Verstärkung im Sinne initial 1 mg gefolgt von 0,5 mg alle 2 Stunden bis
eines Circulus vitiosus. Ohne Behandlung klin- zum Abklingen der Schmerzen (Tageshöchstdo-
gen die Symptome erst nach mehreren Tagen ab. sis 4 mg). Da Colchicin eine stark toxische Sub-
Das symptomfreie Intervall kann dann Wochen stanz ist, werden auch niedrigere Tagesdosen
bis Jahre betragen. In der chronischen Gicht- (dreimal 0,5 mg/Tag) mit vergleichbarem Erfolg
phase findet man Uratablagerungen (Tophi) eingesetzt.
z. B. an der Ohrmuschel, an Händen oder Füßen. Sehr häufige Nebenwirkungen sind Diarrhö,
Übelkeit und Bauchschmerzen. Myopathien
12.2.7.1 Therapie des akuten Gichtanfalls und Blutbildveränderungen kommen seltener
Für die Behandlung des akuten Gichtanfalls und eine Agranulozytose sehr selten vor.
werden Antiphlogistika (nichtsteroidale Anti- Bei Patienten mit Lebererkrankungen, einge-
phlogistika oder Glucocorticoide) und als Mittel schränkter Nierenfunktion, Anämie und be-
der 2. Wahl Colchicin eingesetzt. kannten Magen-Darm-Erkrankungen ist Col-
chicin kontraindiziert. Eine Schwangerschaft
Antiphlogistika. Die meiste Erfahrung besteht
muss sicher ausgeschlossen sein.
mit herkömmlichen nichtsteroidalen Antiphlo-
gistika (NSAIDs), z. B. mit Diclofenac (z. B. Canakinumab (Ilaris®). Patienten mit mindes-
Voltaren®), ausreichend hoch dosiert (150 mg/ tens drei Gichtanfällen in den vergangenen
Tag). Da die Behandlung nur über wenige Tage zwölf Monaten, bei denen NSAIDs, Glucocorti-
durchgeführt wird, treten schwere Nebenwir- coide oder Colchicin kontraindiziert oder nicht
kungen nur vereinzelt auf. Patienten mit einem ausreichend wirksam sind, können mit dem ge-
erhöhten Risiko für gastrointestinale Komplika- gen humanes IL-1-β gerichteten monoklonalen
tionen (Ulzerationen, Blutungen, Perforatio- Antikörper Canakinumab behandelt werden.
nen) sollte zur Prophylaxe ein Protonenpum- Die Halbwertszeit wird mit ca. 25 Tagen an-
peninhibitor verordnet werden. Auch der selek- gegeben.
tive COX-2-Hemmer Etoricoxib (z. B. AR- Die empfohlene Dosis beträgt einmalig
COXIA®, einmal 120 mg täglich für maximal 8 150 mg (s. c.). Patienten, die auf die Therapie an-
Tage) ist wirksam. Bei Kontraindikationen ge- sprechen können frühestens zwölf Wochen spä-
gen NSAIDs kann auch mit einem Glucocorti- ter erneut mit 150 mg behandelt werden.
coid, z. B. mit Prednisolon (z. B. Decortin® H) Als häufige Nebenwirkungen treten Infektio-
20–40 mg täglich, über 5 Tage behandelt wer- nen (z. B. Nasopharyngitis, Pneumonie, Otitis,
den. Influenza, Harnwegsinfekte), Reaktionen an der
Einstichstelle und Schwindel auf.
Colchicin. Colchicin (Colchicum-Dispert®)
kommt hauptsächlich bei diagnostisch nicht ge-
sicherten Fällen zum Einsatz. Ansonsten ist es 12.2.7.2 Therapie des symptomfreien
wegen seiner Nebenwirkungen nur noch Mittel Intervalls und der chronischen Gicht
der 2. Wahl. Der Mitosehemmstoff bessert die Das Therapieziel ist eine Senkung des Serum-
Beschwerden eines akuten Gichtanfalls, ohne harnsäurespiegels und die Vermeidung weiterer
den Blutharnsäurespiegel zu senken oder eine Gichtanfälle.
analgetische/antiphlogistische Wirkung zu be- Wenn diätetische Maßnahmen nicht greifen,
sitzen. Seine Wirkung kommt dadurch zustan- kann mit Urikostatika die Harnsäurebildung re-
de, dass es die Phagozytoseaktivität der Leuko- duziert und/oder mit Urikosurika die Harnsäu-
zyten herabsetzt und dadurch die zur Auslösung reausscheidung erhöht werden.
des akuten Gichtanfalls führende Reaktionsket-
12
Urikostatika. Das derzeit am häufigsten ver-
te unterbricht.
wendete Urikostatikum ist Allopurinol (z. B.
148 12 Analgetika, Antirheumatika

Zyloric®). Es ist ein strukturelles Analogon der In der Gravidität sowie während der Stillperi-
natürlich vorkommenden Purinbase Hypoxan- ode soll Allopurinol nicht angewandt werden.
thin. In niedrigen Dosen ist Allopurinol ein Febuxostat (ADENURIC®) ist ein selektiver
kompetitiver, in höheren Dosen zusätzlich ein Hemmer der Xanthinoxidase, der im Gegensatz
nichtkompetitiver Hemmstoff der Xanthinoxi- zu Allopurinol keine anderen am Purin- oder
dase, die Hypoxanthin über Xanthin zu Harn- Pyrimidinstoffwechsel beteiligten Enzyme
säure oxidiert. hemmt. In einer randomisierten Studie redu-
Allopurinol (Halbwertszeit ca. 40 min) wird zierte Febuxostat (80–120 mg täglich, s. u.) die
von der Xanthinoxidase zu seinem wirksamen Harnsäurespiegel zwar zuverlässiger als Allopu-
Hauptmetaboliten Oxipurinol (Halbwertszeit rinol (300 mg täglich), die klinische Relevanz
ca. 18–43 Stunden) hydroxyliert. Durch die dieses Ergebnisses ist allerdings fraglich, da
Hemmung der Xanthinoxidase werden ver- Gichtrezidive und Gichtablagerungen in beiden
mehrt Hypoxanthin und Xanthin im Urin aus- Gruppen nicht unterschiedlich waren.
geschieden, wodurch der Harnsäurespiegel im Die Substanz wird hauptsächlich durch Glu-
Blut und Urin fällt. curonidierung und Oxidation (mittels CYP1A1,
Die durchschnittliche Dosierung beträgt CYP1A2, CYP2C8, CYP2C9) metabolisiert. Die
100–300 mg täglich, die tägliche Maximaldosis Halbwertszeit wird mit 5–8 Stunden angegeben.
unter Beachtung der Serum-Oxipurinolspiegel Die Dosis beträgt 80 mg einmal täglich, bei
800 mg. nicht ausreichender Wirkung kann eine Erhö-
Als häufige Nebenwirkungen können gastro- hung auf 120 mg erfolgen.
intestinale Störungen, Hautreaktionen bis zu Ähnlich wie bei Allopurinol besteht zu Be-
(seltenen) allergischen Überempfindlichkeitsre- ginn der Behandlung die Gefahr eines akuten
aktionen (z. B. Stevens-Johnson-Syndrom) auf- Gichtanfalls. Weitere häufige Nebenwirkungen
treten. Zu Beginn einer Allopurinol-Behand- waren u. a. Kopfschmerzen, Durchfall, Leber-
lung besteht die Gefahr eines akuten Gichtan- funktionsstörungen und Hautreaktionen bis zu
falls, da Urat-Depots im Gewebe mobilisiert (seltenen) allergischen Überempfindlichkeitsre-
werden und dadurch der Blutharnsäurespiegel aktionen (z. B. Stevens-Johnson-Syndrom). Ein-
zusätzlich ansteigt. Einzelfälle von Agranulozy- zelfälle von Agranulozytose sind beschrieben.
tose sind beschrieben. Da die Hemmung der Xanthinoxidase zu einem
Als wichtige Interaktion ist die Hemmung der Anstieg der Azathioprin- und 6-Mercapto-
Elimination von Azathioprin und 6-Mercapto- purinspiegel führt (s. o.), wird deren gleichzeiti-
purin durch Allopurinol zu nennen (erhöhtes ge Anwendung mit Febuxostat wie bei Allopuri-
Risiko von Blutbildschäden). Die beiden Purin- nol nicht empfohlen.
Derivate werden wie Hypoxanthin und Xanthin In der Gravidität sowie während der Stillperi-
durch die Xanthinoxidase biotransformiert, da- ode und bei Patienten mit ischämischer Herzer-
her verzögert eine Blockade der Xanthinoxidase krankung oder dekompensierter Herzinsuffizi-
deren metabolische Elimination. Muss Allopuri- enz soll Febuxostat ebenfalls nicht angewandt
nol gleichzeitig mit Azathioprin oder 6-Mercap- werden.
topurin eingenommen werden, so muss deren
Urikosurika. Zur Steigerung der Harnsäureaus-
Dosis auf ca. 25 % der sonst üblichen gesenkt
scheidung eignen sich Probenecid und Benz-
werden. Allopurinol erhöht ferner u. a. die Wir-
bromaron.
kung von Antikoagulanzien vom Cumarin-Typ
und hemmt den Theophyllin-Metabolismus. Bei Probenecid (Probenecid Weimer®) und das
gleichzeitiger Ampicillin- oder Amoxicillin-Ga- weitaus häufiger eingesetzte Benzbromaron
be muss mit einem höheren Risiko für allergi- (Benzbromaron AL) erhöhen die Ausscheidung
sche Hautreaktionen gerechnet werden. von Harnsäure im Urin, indem sie deren tubulä-
re Rückresorption hemmen. Sie erniedrigen da-
12.2 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und ihre Therapie 149

mit den Serumharnsäurespiegel, Tophi werden Als Nebenwirkungen werden gastrointesti-


nicht mehr neu gebildet, u. U. sogar abgebaut. nale Beschwerden sowie (selten) allergische
Probenecid wird fast vollständig, Benzbro- Hautreaktionen beobachtet.
maron zu etwa 50 % resorbiert. Sowohl die bei- Interaktionen kommen bei gemeinsamer
den Muttersubstanzen als auch die durch oxida- Gabe von Urikosurika und anderen renal ausge-
tive Biotransformation entstandenen Metaboli- schiedenen sauren Verbindungen aufgrund der
ten tragen zur urikosurischen Wirkung bei. Die Sekretion durch den gleichen Säurecarrier in
Halbwertszeiten betragen von Probenecid 4–6 der Niere vor. So wird beispielsweise die uriko-
Stunden, von den Benzbromaron-Metaboliten surische Wirkung von Probenecid und Benz-
12–35 Stunden. bromaron durch Salicylate und Saluretika abge-
Die Dosierung erfolgt einschleichend. Von schwächt. Probenecid verzögert u. a. die Aus-
Probenecid werden in der ersten Woche 500 mg, scheidung von Penicillinen und sauren nicht-
ab der zweiten Woche 1000 mg täglich appli- steroidalen Antiphlogistika, Benzbromaron
ziert; von Benzbromaron verabreicht man zu- beschleunigt die Exkretion von Oxipurinol
nächst 20 mg, dann 100 mg täglich. (s. o.).
Gleichzeitig gibt man, um das Ausfallen von
Auch Vitamin C (Ascorbinsäure, z. B. Cevitt®)
Natriumurat-Kristallen in den Nieren zu ver-
soll in der Lage sein, die Harnsäurespiegel im
meiden, Natriumhydrogencarbonat oder Kali-
Serum zusätzlich zu diätetischen Maßnahmen
umcitrat und erhöht die Flüssigkeitszufuhr. Zur
zu senken. Die in der Literatur angegebenen
Vermeidung akuter Gichtanfälle, die evtl. zu Be-
Dosierungen schwanken zwischen 500 und
ginn einer urikosurischen Gichtbehandlung in-
1500 mg täglich.
folge einer gleichzeitigen Hemmung der tubulä-
Oxalat-Urolithiasis, Thalassämie und Hämo-
ren Harnsäuresekretion und -Rückresorption
chromatose sollten als Kontraindikationen be-
auftreten, können vorübergehend zusätzlich
achtet werden.
NSAIDs gegeben werden.

12
150 13 Lokalanästhetika

13 Lokalanästhetika

Lokalanästhetika heben reversibel und örtlich polarisation wichtigen schnellen Na+-Einstrom


begrenzt das Leitungsvermögen von schmerz- und damit die Fortleitung von Nervenimpulsen
sensiblen Nervenfasern auf. Dadurch wird die (Ⴜ Abb. 13.1). Die Wirkung am Ionenkanal er-
Schmerzempfindung ohne Beeinträchtigung folgt durch die protonierte Form. Damit die Lo-
des Bewusstseins vorübergehend lokal ausge- kalanästhetika aber Natriumkanäle blockieren
schaltet. Da die Wirksamkeit der Lokalanästhe- können, müssen sie zunächst in ihrer nicht-pro-
tika mit der Zunahme des Nervenfaserdurch- tonierten (lipidlöslichen) Form durch die
messers abnimmt, werden zuerst die dünnen Zellmembran des Axons diffundieren. Aus die-
„schmerzleitenden“ C- und Aδ-Fasern und die sem Grund kommt den physiko-chemischen
präganglionären B-Fasern blockiert. Erst bei hö- Eigenschaften der Lokalanästhetika eine beson-
herer Dosierung werden auch die Übertragung dere pharmakologische Bedeutung zu.
von Berührung und Druck (durch Aβ-Fasern) Die wichtigsten derzeit verwendeten Lokal-
und schließlich die Motorik (durch Aα-Fasern) anästhetika enthalten eine tertiäre oder sekun-
beeinträchtigt. däre Aminogruppe. Dadurch liegt in wässriger
Lösung ein Gleichgewicht zwischen protonier-
Wirkungsmechanismus. Lokalanästhetika blo- ter hydrophiler und nicht-protonierter lipophi-
ckieren reversibel spannungsabhängige Natri- ler Form vor. Die Lage des Gleichgewichts, das
umkanäle und verhindern so den für eine De- außer vom pKa-Wert des Lokalanästhetikums

Offener Na+-Kanal Geschlossener Na+-Kanal


(inaktiviert) B + H+ BH+ Blockierter Na+-Kanal
Na+ Na+
extrazellulär

intrazellulär
Na+ Kein
B + H+ BH+ Aktions-
Schnelle Depolarisierung
potenzial
(Aktionspotenzial)

Ⴜ Abb. 13.1 Schematischer Wirkungsmechanismus von Lokalanästhetika. B Lokalanästhetikum, BH+ Lo-


kalanästhetikum in protonierter Form. Näheres s. Text. Nach Isom et al. und Ragsdale et al.
13 Lokalanästhetika 151

insbesondere vom pH-Wert des Milieus ab- Gewebe und löst dort innerhalb von 10–15 min
hängt, ist für das Penetrationsvermögen der Lo- eine Anästhesie aus. Die Blutleere muss mindes-
kalanästhetika von großer Bedeutung. Die pKa- tens 20–30 min bestehen bleiben, um den Ab-
Werte der handelsüblichen Lokalanästhetika strom größerer, noch nicht ins Gewebe penet-
liegen zwischen 7,6 und 9. Entzündetes Gewebe rierter Lokalanästhetikamengen zu verhindern.
weist einen niedrigeren pH-Wert als normales Nach Beendigung der Blutleere klingt der lokal-
Gewebe auf, da es wegen des durch die Ödem- anästhetische Effekt innerhalb weniger Minuten
bildung größeren Diffusionswegs zum Sauer- ab.
stoffmangel kommt. Durch Zunahme der anae-
Vasokonstriktorische Zusätze. Da die meisten
roben Glykolyse wird vermehrt Milchsäure ge-
Lokalanästhetika gefäßerweiternd wirken, wer-
bildet (lokale Lactatazidose). Lokalanästhetika
den sie häufig mit vasokonstriktorischen Sub-
sind dementsprechend im entzündeten Gewebe
stanzen kombiniert. Die Vasokonstriktion ver-
(z. B. bei entzündlichen Zahnschmerzen) weni-
zögert den Abtransport des Lokalanästheti-
ger wirksam, weil das Gleichgewicht zwischen
kums, erhöht damit die Wirkungsdauer und
der protonierten und nicht-protonierten Form
verringert die Systemtoxizität. Sie führt ferner
in Richtung des protonierten Anteils verscho-
zu einem schwach durchbluteten Operations-
13
ben ist und dadurch das Penetrationsvermögen
gebiet, in dem ein chirurgischer Eingriff einfa-
sinkt.
cher und gefahrloser vorgenommen werden
Anwendungsarten. Nach der Art der Applikati- kann.
on des Lokalanästhetikums unterscheidet man
Die genannten Vorteile gelten nicht für stark
zwischen Oberflächen-, Infiltrations- und Lei-
durchblutete Körperregionen, z. B. den Kopf-,
tungsanästhesie sowie intravenöser Regionalan-
Hals-, Urogenital- und Analbereich, wo Lokal-
ästhesie im Bereich der Extremitäten.
anästhetikum und Vasokonstringens rasch und
Bei der Oberflächenanästhesie wird das Lokal- gleichzeitig mit der Folge einer erhöhten Ge-
anästhetikum auf Schleimhäute oder Wundflä- samttoxizität resorbiert werden.
chen gebracht und diffundiert von dort zu den Auch bei Operationen an Akren (Fingern,
sensiblen Endorganen und den terminalen Ner- Zehen, Nase, Kinn) darf wegen der Gefahr einer
venverzweigungen. ischämischen Schädigung (Gangrän!) kein Va-
Bei der Infiltrationsanästhesie wird das Lo- sokonstringens zugesetzt werden.
kalanästhetikum in das Gewebe injiziert bzw. Als vasokonstriktorisch wirkende Sub-
das Gewebe mit diesem durchtränkt. Dadurch stanzen werden α-Sympathomimetika, vor al-
werden neben den sensiblen Endorganen auch lem Adrenalin und Noradrenalin, sowie Analo-
kleinere Nervenstämme blockiert. ga des Hypophysenhinterlappenhormons Adiu-
Bei der Leitungsanästhesie umspritzt man retin, die kaum noch antidiuretisch aktiv sind,
gezielt bestimmte Nerven und unterbricht an z. B. Felypressin, eingesetzt. Als Nebenwirkun-
diesen Stellen die Erregungsleitung. Sonderfor- gen der α-sympathomimetischen Zusätze wur-
men der Leitungsanästhesie sind die Spinal-, Pe- den Angstgefühl, Unruhe, Kopfschmerzen,
ridural- und Paravertebralanästhesie. Blutdruckanstieg und Herzrhythmusstörungen
Bei der intravenösen Regionalanästhesie beobachtet. Auch bei der Anwendung von Adiu-
wird vor der Injektion des Lokalanästhetikums retin-Analoga kann es zu einer unerwünschten
die zu betäubende Extremität durch Hochhalten Kreislaufbeeinflussung, und außerdem zu Über-
und Auswickeln blutleer gemacht und durch In- empfindlichkeitsreaktionen kommen. Vorteil-
sufflation einer Blutdruckmanschette vom Blut- haft ist bei den Adiuretin-Analoga, dass bei ih-
zu- und -abfluss vorübergehend unterbunden. nen keine Interaktionen mit Stoffen auftreten,
Das anschließend injizierte Lokalanästhetikum die die Wirkung von Catecholaminen verstär-
diffundiert aus den Venen in das umgebende ken (z. B. tricyclischen Antidepressiva).
152 13 Lokalanästhetika

Dosierungsrichtlinien. Die von der Arzneimit- Die wichtigsten therapeutischen Maßnah-


telkommission der Deutschen Ärzteschaft fest- men sind die Sauerstoffzufuhr zur Vermeidung
gelegten zulässigen Grenzdosen (z. B. für Lido- einer Hyp- oder Anoxie und bei Herzstillstand
cainhydrochlorid 300 mg ohne und 500 mg mit die unverzügliche Einleitung der kardiopulmo-
Zusatz von α-Sympathomimetika) sind streng nalen Reanimationsmaßnahmen. Falls diese
zu beachten, ebenso die Dosierungsvorschriften nicht innerhalb von 2 min zum Erfolg führen,
für die vasokonstriktorischen Zusätze. Die ma- wird 0,5–1 mg Adrenalin intravenös injiziert.
ximale Einzeldosis für Noradrenalin bzw. Adre- Bei Krämpfen hat sich die intravenöse Injektion
nalin beträgt 0,25 mg. von 10–20 mg Diazepam oder 50–100 mg Pro-
pofol bewährt.
Nebenwirkungen, gefährliche Komplikationen
Bei einer Adrenalinintoxikation kommt es zu
und deren Therapie. Betroffen sind vor allem
intensiver Blässe, kaltem Schweiß, Tachykardie
Organe, in denen die Fortleitung der Erregung
und starker Blutdrucksteigerung, in seltenen
(Ausbreitung von Aktionspotenzialen) durch
Fällen zu Arrhythmie und Kammerflimmern,
Lokalanästhetika gehemmt werden kann.
während bei einer Noradrenalinüberdosierung
Schwere, u. U. lebensbedrohliche Komplikatio-
eher eine Bradykardie auftritt. Die Therapie
nen können infolge
richtet sich nach den Symptomen: bei Tachykar-
󠀂 eines zu hohen Blutspiegels des Lokalanäs- die vorsichtige intravenöse Injektion eines Beta-
thetikums oder des als Vasokonstringens zu- blockers, bei starkem Blutdruckanstieg Gabe
gesetzten Sympathomimetikums sowie peripher gefäßerweiternder Substanzen, bei
󠀂 allergischer Reaktionen Kammerflimmern Defibrillation.
Allergische Reaktionen treten vorwiegend
auftreten.
bei Lokalanästhetika vom Estertyp auf (s. u.). Da
Ein zu hoher Blutspiegel als Folge einer verse- Ester-Lokalanästhetika klinisch aber kaum noch
hentlichen intravasalen Injektion, zu schneller eingesetzt werden, hat deren Bedeutung stark
Resorption oder einer zu hohen Dosis des Lo- abgenommen. Die allergischen Reaktionen kön-
kalanästhetikums führt zu zentralnervösen und nen weniger schwer (z. B. urtikarielles Exan-
kardialen Störungen. them) oder schwerwiegend sein (Bronchospas-
Die zentralnervösen Vergiftungssymptome mus, anaphylaktischer Schock). Zu ihrer Be-
beruhen in der Anfangsphase auf einer Hem- handlung gibt man H1-Antihistaminika und
mung von Natriumkanälen in inhibitorischen Glucocorticoide, beim anaphylaktischen Schock
Neuronen, wodurch Erregungssymptome ent- zusätzlich Adrenalin (0,5–1 mg intravenös).
stehen und später – bei stärkeren Vergiftungen
– auf einer Lähmung großer Teile des Zen-
tralnervensystems. In leichteren Fällen treten 13.1 Lokalanästhetika vom
Unruhe, Rededrang, Erbrechen, Tremor, Angst- Säureamidtyp
zustände und Delirien auf, in schweren Fällen
sind klonische Krämpfe und Atemlähmung Die Lokalanästhetika vom Säureamidtyp stellen
möglich. wegen ihrer geringen Allergieinzidenz und ihrer
Auch am Herzen hemmen Lokalanästhetika guten Verträglichkeit die derzeit wichtigste und
Natriumkanäle und damit die Erregungsleitung. am meisten verwendete Lokalanästhetikagrup-
Negativ inotrope, negativ dromotrope und ne- pe dar. Im Gegensatz zu den Lokalanästhetika
gativ bathmotrope Wirkungen stehen im Vor- vom Estertyp (s. u.) werden Lokalanästhetika
dergrund. Dadurch kann es zu Bradykardie, vom Amidtyp nicht primär durch Hydrolasen
evtl. zu atrioventrikulärem Block und als Folge gespalten, sondern zunächst oxidativ biotrans-
davon zu Herzstillstand und anoxischen Krämp- formiert (u. a. Desalkylierung am Stickstoff).
fen kommen.
13 Lokalanästhetika 153

Lidocain (z. B. Xylocain®) ist ein schnell und und seiner Instabilität beim Sterilisieren ist es
mittellang wirkendes Lokalanästhetikum mit als Arzneimittel obsolet, in der Drogenszene da-
etwa vierfacher Potenz, aber nur zweifach höhe- gegen nach wie vor von größter Bedeutung.
rer Toxizität als Procain (s. u.). Die als Oberflä- Benzocain (z. B. Anaesthesin®) dient auf-
chen-, Infiltrations- und Leitungsanästhetikum grund seiner geringen Wasserlöslichkeit aus-
eingesetzte Substanz wird in 0,2–2 %igen Zube- schließlich als Oberflächenanästhetikum (5–
reitungen appliziert. Hervorzuheben ist, dass 20 %ig, z. B. in Halstabletten, Hämorrhoidal-
auf die Anwendung von Sympathomimetika Zäpfchen, Salben oder Pudern). Vorteilhaft ist
weitgehend verzichtet werden kann. Als Antiar- die langanhaltende Wirkung. Bei der Anwen-
rhythmikum wird Lidocain in Ⴉ Kap. 23.3.3.2 dung auf größeren Wundflächen besteht jedoch
beschrieben. die Gefahr einer Methämoglobinbildung, au-
Analogpräparate sind Prilocain (z. B. Xylo- ßerdem werden relativ häufig allergische Reak-
nest®), Mepivacain (z. B. Scandicain®), Bupiva- tionen beobachtet.
cain (z. B. Carbostesin®) und Articain (z. B. Procain (z. B. Procain JENAPHARM®) ist
Ultracain®). Mepivacain und Bupivacain sind leicht wasserlöslich. Im Organismus wird es
als Racemate im Handel. Da die entsprechenden rasch durch Esterasen hydrolysiert. Handelsüb- 13
R-Enantiomere eine höhere Toxizität aufweisen lich sind 0,5 %ige Lösungen zur Infiltrations-
als die S-Enantiomere, wurde bei Ropivacain und 1–2 %ige Lösungen zur Leitungsanästhesie.
das reine (S)-Ropivacain (Naropin®) in die The- Chloroprocain (Ampres®) ist bei Erwachse-
rapie eingeführt. Zur Lokalanästhesie auf der nen zur Spinalanästhesie bei chirurgischen Ein-
Haut wurde auch eine Kombination aus Lido- griffen mit einer maximalen Dauer von 40 min
cain und Prilocain (EMLA®) in Form einer indiziert. Seine Wirkung setzt schnell ein und
Creme und eines Pflasters zugelassen. kann, dosisabhängig, bis zu 100 min andauern.
Tetracain (z. B. Ophtocain® N Augentropfen)
ist etwa zehnmal stärker wirksam, aber auch
13.2 Lokalanästhetika vom Estertyp zehnmal toxischer als Procain. Es wird als Ober-
flächenanästhetikum am Auge angewandt.
Cocain, ein Esteralkaloid aus den Blättern von Die Wirkung hält mehrere Stunden an.
Erythroxylon coca, ist das älteste Lokalanästheti-
kum. Wegen seiner suchterzeugenden Wirkung
154 14 Allgemeinanästhetika (Narkosemittel)

14 Allgemeinanästhetika (Narkosemittel)

Bei einer Narkose werden durch Lähmung von Nach der Applikationsart unterscheidet man
Teilen des Zentralnervensystems die Schmerz-
󠀂 Injektionsanästhetika, die intravenös inji-
empfindung, das Bewusstsein, die Abwehrre-
ziert und
flexe und (meist auch) die Muskelspannung re-
󠀂 Inhalationsanästhetika, die mit der Atemluft
versibel ausgeschaltet. Substanzen, mit denen
aufgenommen werden.
eine Narkose durchgeführt werden kann, be-
zeichnet man als Allgemeinanästhetika (Nar- Narkosestadien. Würde eine Narkose, wie frü-
kosemittel). her üblich, nur mit einem langsam anflutenden
An ein ideales Narkosemittel sind viele An- Inhalationsanästhetikum durchgeführt werden,
forderungen zu stellen: könnten mit steigender Konzentration des Nar-
kosemittels im Organismus die verschiedenen
󠀂 gute analgetische und narkotische Wirksam-
Narkosestadien (Analgesiestadium, Exzitations-
keit,
stadium, Toleranzstadium, Asphyxiestadium)
󠀂 möglichst geringe Beeinflussung von At-
unterschieden werden. Bei der heute allgemein
mung und Kreislauf,
gebräuchlichen Kombinationsnarkose (s. u.) tre-
󠀂 Reizlosigkeit an Haut und Schleimhaut,
ten sie in dieser typischen Form jedoch prak-
󠀂 keine Bildung schädlicher Metaboliten,
tisch nicht mehr auf.
󠀂 geringe Toxizität und somit große therapeuti-
sche Breite, Kombinationsnarkose. Bei der heutigen Narko-
󠀂 rasches An- und Abfluten und damit gute setechnik wird angestrebt, durch die Kombinati-
Steuerbarkeit der Narkose, on mehrerer und z. T. spezifisch wirkender Sub-
󠀂 leichte Handhabbarkeit für den Anästhesis- stanzen jede der gewünschten Einzelwirkungen
ten, möglichst unabhängig von den anderen zu er-
󠀂 günstige physikalische und chemische Eigen- reichen. Durch ein anästhesiologisches Gesamt-
schaften (lagerungsstabil, nicht brennbar, konzept (Prämedikation, Narkose, postoperati-
nicht explosibel) sowie ve Schmerztherapie) gelingt es, die Dosen bzw.
󠀂 Umweltverträglichkeit nach Entweichen in die Konzentrationen der einzelnen Narkosemit-
die Atmosphäre. tel und damit deren Nebenwirkungen relevant
zu senken. Varianten von Kombinationsnarko-
Keines der derzeit zur Verfügung stehenden
sen sind die sog. balancierte Anästhesie und die
Narkosemittel erfüllt sämtliche der genannten
total intravenöse Anästhesie (= TIVA, s. u.). Die
Forderungen. Daher werden meist mehrere
Narkosemittel in Kombination eingesetzt (s. u.).
14.1 Injektionsanästhetika 155

Analgesie mit Opioiden ist bei allen Kombinati- Breite und ihre negative Beeinträchtigung von
onsnarkosen ein bedeutender Bestandteil (s. u.). Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen.
Im Gegensatz zu Inhalationsanästhetika kön-
Prämedikation. Mit der Prämedikation, mit der
nen mit Injektionsanästhetika nur Einzelkom-
der Patient auf die Narkose vorbereitet und zu-
ponenten des Gesamtkonzepts „Narkose“ her-
gleich Narkosemittel eingespart wird, können
beigeführt werden, weshalb immer eine Kombi-
durch
nation verschiedener Substanzen erforderlich
󠀂 Tranquillanzien und Neuroleptika Angst und ist. Dieser selektivere Angriff der Injektions-
psychische Erregung, anästhetika lässt sich dadurch erklären, dass fast
󠀂 Analgetika die Schmerzempfindung, alle Injektionsanästhetika ihre Wirkung über
󠀂 Antihistaminika der Brechreiz und die spezifische Rezeptoren vermitteln (s. u.).
Schockgefahr und
Maligne Hyperthermie. In sehr seltenen Fällen
󠀂 durch Parasympatholytika der Tonus des ve-
kann es während einer Narkose zu einer massi-
getativen Nervensystems
ven Erhöhung der Körpertemperatur kommen.
herabgesetzt werden. Ein solcher Zwischenfall beruht auf einer gestei-
gerten Freisetzung von Calciumionen aus dem
Narkoserisiko. Durch die Einführung der Kom-
sarkoplasmatischen Retikulum durch Inhalati-
binationsnarkose und der Prämedikation konn-
te das Narkoserisiko entscheidend gesenkt wer-
onsnarkosemittel (z. B. Isofluran) oder depolari- 14
sierende Muskelrelaxanzien (Suxamethonium)
den. Trotz der geringen therapeutischen Breite
bei Patienten mit einer genetischen Störung der
der meisten Narkosemittel ist derzeit – eine
elektromechanischen Kopplung. Die Hyper-
richtige Durchführung vorausgesetzt – nur bei
thermie kann durch die parenterale Gabe von
105–106 Narkosen mit einem narkosebedingten
Dantrolen (Dantrolen i. v., 2,5 mg/kg) erfolg-
tödlichen Zwischenfall zu rechnen.
reich behandelt werden.
Wirkungsmechanismus. Der Wirkungsmecha-
nismus der Allgemeinanästhetika ist noch nicht
vollständig geklärt. Es gibt bislang keine Theo-
14.1 Injektionsanästhetika
rie, mit der befriedigend erklärt werden könnte,
warum chemisch völlig verschiedene Stoffe –
Allen intravenös applizierbaren Anästhetika
Edelgase (z. B. Xenon), Lachgas, Kohlenwasser-
sind der sofortige Wirkungseintritt und die ge-
stoffe, Ether, Barbiturate, Phenole, Steroide u. a.
ringe Steuerbarkeit gemeinsam. Dem Vorteil der
– eine Narkose hervorrufen. Die narkotische
psychischen Schonung des Patienten, steht der
Wirkung von Inhalationsanästhetika soll auf ei-
Nachteil des erhöhten Narkoserisikos gegen-
ner komplexen Wechselwirkung mit Lipiden,
über, da der Anästhesist auf das einmal injizierte
Proteinen und Wasser in den Membranen beru-
Pharmakon meist keinen direkten Einfluss mehr
hen. Neue molekularbiologische Erkenntnisse
nehmen kann. Der Narkoseverlauf wird nur
machen eine direkte Interaktion mit Proteinen
noch von den sich im Organismus abspielenden
als Erklärung der narkotischen Wirkung wahr-
kinetischen Vorgängen (Verteilung, Metaboli-
scheinlicher als eine Einlagerung in die Lipid-
sierung, Ausscheidung) bestimmt. Eine Aus-
Doppelmembran. Untersuchungen auf Rücken-
nahme stellen Benzodiazepine und Opioide dar,
marksebene zeigten, dass Inhalationsanästhe-
für die Antagonisten verfügbar sind.
tika eher die Transmission exzitatorischer Syn-
apsen hemmen, als dass sie die von hemmenden
14.1.1 Thiopental
Synapsen verstärken.
Wegen der schlechten Haltbarkeit der wässrigen
Der wenig spezifische Angriff der Inhalations- Lösung kommt Thiopental (z. B. Trapanal®) als
anästhetika bedingt ihre geringe therapeutische Natriumsalz in Form von Trockenampullen in
156 14 Allgemeinanästhetika (Narkosemittel)

den Handel und wird als 2,5 bzw. 5 %ige, stark


alkalische Lösung (pH-Wert ca. 11) intravenös 100 Blut Muskulatur und Haut
injiziert.
80 ZNS, gut
Durch Angriff am „GABA-Benzodiazepin- durchblutete Fett
Barbiturat-Chloridkanal-Rezeptor-Komplex“ – 60 Organe

%
allerdings an anderen Bindungsstellen als an
40
denen der Benzodiazepine – führt Thiopental
zu einem verstärkten Einstrom von Chloridio- 20
nen und damit zu einer Hyperpolarisation von 0
Nervenzellen. Noch während der Injektion ⅛ ¼ ½ 1 2 4 8 16 32 64 128 256
schlafen die Patienten gewöhnlich ein. Durch i. v. Zeit (min)

Hemmung des aufsteigenden retikulären Sys-


Ⴜ Abb. 14.1 Umverteilung von Thiopental (nach
tems werden sie bewusstlos. Günstig ist, dass die
einer Bolusgabe) in verschiedene Gewebe in
narkotische Wirkung des Thiopentals sehr rasch Abhängigkeit von der Zeit. Näheres s. Text.
eintritt, am Ende der Narkose es nur selten zu Nach Price et al.
Erregungszuständen oder zum Erbrechen
kommt, nach klinisch üblichen Dosen die Pati-
bluteten Organe (Ⴜ Abb. 14.1). Danach erfolgt
enten rasch wieder erwachen und auch Zwi-
eine rasche Umverteilung aus dem ZNS vorwie-
schenfälle selten vorkommen.
gend in die Muskulatur, die nahezu die Hälfte
Nachteilig ist, dass Thiopental nicht analge-
des Körpergewichts ausmacht. Die Gleichge-
tisch wirkt. Im subnarkotischen Dosisbereich
wichtseinstellung zwischen Plasma und Musku-
ruft es manchmal sogar eine erhöhte Schmerz-
latur ist innerhalb von 15–30 min nach Injektion
empfindung (Hyperalgesie) hervor. Wegen der
erreicht. Diese und nicht, wie lange angenom-
Gefahr vegetativer Reaktionen auf Schmerzreize
men, die Umverteilung in das Fettgewebe be-
dürfen daher chirurgische Eingriffe bei einer
stimmt die Narkosedauer des Thiopentals.
Thiopental-Narkose nur bei gleichzeitiger aus-
Durch eine einmalige i. v. Injektion von 3–4 mg/
reichender Gabe von stark analgetisch wirken-
kg kommt es innerhalb von ca. 10 Sekunden zur
den Substanzen (Opioiden aus der Fentanyl-
Bewusstlosigkeit des Patienten und zu einer ca.
Gruppe, Ⴉ Kap. 14.1.6) durchgeführt werden.
4-minütigen Narkose.
Die Atmung wird dosisabhängig unterdrückt.
Thiopental (Halbwertszeit 5–6 Stunden)
Eine Beatmungsmöglichkeit muss deshalb je-
wird durch partiellen Austausch des Schwefels
derzeit gegeben sein. Am Herzen bewirkt Thio-
gegen Sauerstoff zu dem relativ lang wirkenden
pental eine Abnahme des Herzzeitvolumens,
Pentobarbital metabolisiert.
weshalb die Herzfrequenz reflektorisch steigt.
Aus den kinetischen Eigenschaften von Thio-
Meist sinkt der arterielle Blutdruck, und zwar
pental lassen sich folgende Schlüsse für die kli-
besonders ausgeprägt bei Hypertonikern. Durch
nische Anwendung ziehen:
Venenerweiterung kommt es zum „venösen
Pooling“. Thiopental kann ferner zu Histamin- 󠀂 Nachinjektion von Thiopental kann u. U. zu
freisetzung aus Gewebemastzellen führen. Dar- einer gefährlichen Kumulation führen.
über hinaus begünstigt es das Auslösen von 󠀂 Die Dosierung darf beim Adipösen nicht er-
Bronchospasmen. Die Hemmung der Abwehr- höht werden, da das zentrale Kompartiment
reflexe ist nicht sehr ausgeprägt, auch die Mus- bei diesem nicht größer ist als bei normge-
kelrelaxation ist gering. wichtigen Personen.
Nach Injektion in die Blutbahn wird Thio- 󠀂 Schockzustände und Hypovolämie sind rela-
pental zu einem hohen Prozentsatz an Plasmaei- tive Kontraindikationen, da im Schock die
weiße gebunden. Die Substanz verteilt sich zu- Umverteilung in die dann schlecht durchblu-
nächst vorwiegend in die am stärksten durch- tete Muskulatur nur sehr langsam erfolgt.
14.1 Injektionsanästhetika 157

Thiopental ist dementsprechend zur Narko- wurden Venenbeschwerden und Thrombophle-


seeinleitung sowie zusammen mit Opioiden bitiden beobachtet. Etomidat hemmt die
(s. u.) bei kurzdauernden chirurgischen Eingrif- 11β-Hydroxylase und erniedrigt so bereits in
fen indiziert. üblicher Dosierung den Cortisol- und Aldoste-
Als Nebenwirkungen wurden für Thiopental ron-Plasmaspiegel. Etomidat ist deshalb für die
allergische und pseudoallergische Reaktionen, Langzeitanwendung nicht geeignet.
Hypoventilation, unangenehme Träume, aber
auch euphorische Stimmungslagen beschrieben. 14.1.3 Propofol
In Einzelfällen sind gefährliche allergische Re- Nach intravenöser Applikation bewirkt das
aktionen beobachtet worden. Versehentliche in- schlecht wasserlösliche Propofol (z. B. Disopri-
traarterielle Injektionen führen wegen des ho- van®) über GABAA-Rezeptoren rasch einen Be-
hen pH-Werts der Thiopental-Injektionslösung wusstseinsverlust, der bei der üblichen Dosie-
zu schweren Durchblutungsstörungen und Ge- rung von 1,5–2,5 mg/kg etwa 5–8 min anhält.
webeschädigungen, die u. U. sogar den Verlust Wie die meisten anderen Injektionsnarkosemit-
einer Extremität zur Folge haben können. tel wirkt Propofol nicht analgetisch.
Bei ausgeprägten Nieren- und Leberfunkti- Systolischer und diastolischer Blutdruck sin-
onsstörungen, Herzinsuffizienz, komatösen Zu- ken, die Veränderung der Herzfrequenz ist in
ständen, akuten hepatischen Porphyrien, schwe- der Regel wenig ausgeprägt. Bei der Mehrzahl
rer Hypovolämie und Schock sowie im Status der Patienten kommt es zu einer vorübergehen-
14
asthmaticus ist Thiopental kontraindiziert. den Apnoe, die eine kontrollierte Beatmung er-
fordert.
14.1.2 Etomidat Die Verteilung von Propofol erfolgt in zwei
Die narkotische Wirkung von Etomidat (z. B. Phasen mit Halbwertszeiten von wenigen Minu-
Hypnomidate®), die nur vom R-(+)-Enantiomer ten für die erste Phase und einer halben bis 1
hervorgerufen wird, tritt – wahrscheinlich Stunde für die zweite Phase. Die Plasmaprotein-
GABAA-Rezeptor-vermittelt – sehr schnell ein bindung ist mit ca. 98 % hoch. Propofol ist das
und dauert nur kurz. Bei rascher intravenöser am häufigsten eingesetzte Injektionsanästheti-
Injektion ist die Substanz etwa 15-mal potenter kum. Es wird zur Narkoseeinleitung (Dosierung
als Thiopental. Auch die therapeutische Breite 1,5–2,5 mg/kg), zu Kurzzeitnarkosen und zur
ist größer. Ähnlich wie Thiopental (und im Ge- Sedierung bei diagnostischen Eingriffen be-
gensatz zu Ketamin, s. u.) besitzt Etomidat keine nutzt, daneben eignet es sich als hypnotische
analgetische Wirkung. Die Kontraktionskraft Komponente zusammen mit Opioiden aus der
des Herzens und der Blutdruck werden kaum Fentanyl-Gruppe zur Aufrechterhaltung der
beeinflusst. Narkose bei der totalen intravenösen Anästhesie
Etomidat verteilt sich wie die meisten ande- (s. u.; Dosierung 0,1–0,2 mg/kg und Minute als
ren Injektionsnarkosemittel rasch im Organis- Infusion).
mus, die Plasmaeiweißbindung beträgt 75 %. Als Nebenwirkungen wurden u. a. Blutdruck-
Aufgrund der fehlenden analgetischen Wirkung abfall, Atemdepression, Bradykardie bis hin
eignet sich Etomidat nicht als Mononarkotikum. zum Herzstillstand sowie allergische Reaktio-
Es wird zur Narkoseeinleitung vor allem bei kar- nen gegen Hilfsstoffe (z. B. Sojaöl) beschrieben.
diovaskulären Risikopatienten verwendet, da es Weiterhin kann es bei bis zu 80 % der Patienten
von allen Injektionsnarkotika die geringsten zu einem Injektionsschmerz kommen.
kardiovaskulären Effekte aufweist.
Die Dosierung beträgt 0,15–0,3 mg/kg. 14.1.4 Ketamin
Bei nicht ausreichender Prämedikation kön- Die als Racemat (z. B. Ketamin-ratiopharm®)
nen als Nebenwirkungen spontane unkontrol- und S-Enantiomer (Ketanest® S) im Handel be-
lierte Muskelbewegungen auftreten. Ferner findliche Substanz ruft einen Zustand hervor,
158 14 Allgemeinanästhetika (Narkosemittel)

der als „dissoziative Anästhesie“ bezeichnet Bei Patienten mit instabiler Angina pectoris
wird. Ketamin blockiert den Liganden-gesteuer- oder Myokardinfarkt, gesteigertem Hirndruck,
ten NMDA-Rezeptor durch Bindung an die Glaukom oder Bluthochdruck ist Ketamin kon-
Phencyclidin-(PCP-)Bindungsstelle, wodurch traindiziert, ferner bei Eingriffen an den oberen
bevorzugt Assoziationsbahnen unterbrochen Luftwegen ohne gleichzeitige Gabe eines Mus-
sowie die Hirnrinde und der Thalamus opticus kelrelaxans sowie in der Geburtshilfe bei Prä-
ausgeschaltet werden, während das limbische eklampsie und Eklampsie.
System weniger betroffen ist. Der Patient scheint Esketamin [S(+)-Ketamin, (Ketanest® S)]
mehr geistig abwesend zu sein als zu schlafen. blockiert den NMDA-Rezeptor ca. 3–4-mal po-
Ketamin wirkt sehr gut analgetisch. Inner- tenter als das entsprechende R-(–)-Enantiomer.
halb von 30–60 Sekunden nach intravenöser In- Bei der dabei möglichen halben Dosierung im
jektion kommt es zu völliger Analgesie, die auch Vergleich zum Racemat (s. o.) verursacht Esket-
postnarkotisch noch anhält, und zur Amnesie. amin weniger Aufwachreaktionen.
Die Rachenreflexe sind dagegen erhalten, und
der Skelettmuskeltonus ist nur wenig verringert. 14.1.5 4-Hydroxybuttersäure
Die Augen bleiben meist weit geöffnet. Einzigar- Außer zur Narkolepsietherapie (Xyrem®, Lö-
tig unter den Anästhetika sind die kreislaufakti- sung zum Einnehmen) kann 4-Hydroxybutter-
vierenden Effekte von Ketamin, die sowohl er- säure (4-Hydroxybutansäure) auch intravenös
wünscht (bei Volumenmangel) als auch uner- zur Erzeugung eines Schlafzustands während
wünscht (z. B. bei Hypertonikern) sein können. und nach Operationen eingesetzt werden (Som-
Blutdruck und Herzfrequenz steigen vor allem sanit®). Seit einigen Jahren wird 4-Hydroxybut-
zu Beginn infolge einer Sympathikusaktivie- tersäure auch illegal (missbräuchlich) als sog.
rung. Die Atmung wird bei üblicher Dosierung K.-o.-Tropfen und „Liquid Ecstasy“ (chemisch
nur wenig beeinflusst. und pharmakologisch hat sie allerdings nichts
Ketamin verteilt sich rasch im Organismus, mit Ecstasy gemeinsam) verwendet. Die orale
die Plasmaproteinbindung wird mit unter 50 % Lösung (s. o.) unterliegt deshalb dem Betäu-
angegeben. Für die Abnahme der Wirkung sind bungsmittelgesetz, das parenteral applizierte
auch hier hauptsächlich Umverteilungsphäno- Handelspräparat Somsanit® ist dagegen nur ver-
mene verantwortlich. schreibungspflichtig.
Ketamin ist indiziert zur Narkoseeinleitung, Da 4-Hydroxybuttersäure keine analgetische
bei kurzdauernden und hier vor allem bei sehr Wirkung besitzt, muss sie bei der Narkose mit
schmerzhaften Eingriffen (z. B. bei Verbrennun- Opioiden kombiniert werden. Die in der Anäs-
gen) sowie in der Notfall- und Katastrophenme- thesie eingesetzten Dosen liegen zwischen 60–
dizin bei Massenverletzungen. 90 mg/kg.
Die Dosierung für das Ketaminracemat be- Als Nebenwirkungen treten unter anderem
trägt 1–2 mg/kg i. v. bzw. 4–8 mg/kg i. m. Zur Myoklonien, Bradykardie und zerebrale
Weiterführung der Anästhesie kann die halbe Krampfanfälle auf. Bei Patienten mit einge-
Dosis nachinjiziert werden. schränkter Nierenfunktion können Hypernatri-
Als Nebenwirkungen werden in der Auf- ämie und eine metabolische Alkalose auftreten.
wachphase unangenehme Träume oder Halluzi-
nationen beschrieben, deren Inzidenz sich 14.1.6 Opioide
durch die gleichzeitige Gabe von Benzodiazepi- Opioide sind keine Anästhetika im engeren
nen (z. B. Midazolam) entscheidend verringern Sinn, kommen allerdings aufgrund ihrer sehr
lässt. Als weitere Nebenwirkungen sind ein An- guten analgetischen Wirkung fast bei jeder Nar-
stieg von Blutdruck und Herzfrequenz (s. o.), kose zum Einsatz. Da Standardopioide wie z. B.
Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Kopf- Morphin relativ schlecht steuerbar sind, werden
schmerzen zu nennen. im Rahmen der Narkose nur Substanzen der
14.2 Inhalationsanästhetika 159

Fentanyl-Gruppe (Fentanyl, Alfentanil, Sufen- wirkende Midazolam (z. B. Dormicum®) ver-


tanil, Remifentanil) verwendet. Sie sind volle wendet. Dessen Halbwertszeit liegt bei 1,5–2,5
Agonisten am μ-Opioidrezeptor. Erwünschte Stunden, der Hauptmetabolit ist das pharmako-
(z. B. Analgesie, Sedierung) und unerwünschte logisch noch wirksame Hydroxy-Midazolam,
Wirkungen (z. B. Atemdepression, Bradykardie, das als Glucuronid über die Nieren ausgeschie-
Thoraxrigidität, Übelkeit, Erbrechen) sind so- den wird.
mit qualitativ gleich wie die von Morphin Die Dosierung zur Narkoseeinleitung beträgt
(Ⴉ Kap. 12.1.5). Wie bei anderen Opioiden kön- 0,15–0,2 mg/kg.
nen ihre Wirkungen mit dem Antagonisten Vorteilhaft ist, dass mit dem Benzodiazepin-
Naloxon (z. B. Naloxon-ratiopharm®) aufgeho- Antagonisten Flumazenil (z. B. Anexate®) die
ben werden. Wirkung von Benzodiazepinen am Rezeptor
Alfentanil (z. B. Rapifen®) und Remifentanil spezifisch aufgehoben werden kann. Flumazenil
(Ultiva®) erreichen ihre maximale Wirkung be- verdrängt Benzodiazepine kompetitiv von deren
reits ca. 1–1,5 min nach Bolusgabe, Fentanyl Bindungsstelle am GABA-Benzodiazepin-Bar-
(z. B. Fentanyl®-Janssen) nach ca. 4 und Sufenta- biturat-Chloridkanal-Rezeptor-Komplex. Da-
nil (z. B. Sufenta®) nach ca. 3 min. Alfentanil und durch ist es möglich, die Vigilanz von Patienten
Remifentanil zeigen demzufolge nur eine gerin- gezielt zu steuern. Allerdings ist die Halbwerts-
ge Hysterese, d. h. eine geringe Latenz zwischen zeit von Flumazenil (ca. 40–60 min.) kürzer als
maximaler Plasmakonzentration und Wirkma- beispielsweise die von Midazolam, sodass mit
14
ximum und werden der Anforderung eines einem „Reboundeffekt“ des Benzodiazepins ge-
schnellen Wirkungseintritts gerecht. Sufentanil rechnet werden muss. Flumazenil kann ferner
ist das derzeit potenteste klinisch eingesetzte bei Überdosierungen von Benzodiazepinen an-
Opioidanalgetikum. Es ist 7–10-mal potenter als gewandt werden.
Fentanyl oder Remifentanil, während die Wirk- Die übliche Flumazenil-Dosierung beträgt
stärke von Alfentanil nur etwa ein Drittel bis ein 0,3–0,6 mg.
Viertel der von Fentanyl beträgt. Zum Vergleich: Als Flumazenil-Nebenwirkungen kommen
Fentanyl ist ca. 100-mal potenter als Morphin! Übelkeit und Erbrechen, nach rascher Injektion
Remifentanil weist die beste intraoperative Angstgefühle und Herzklopfen vor. Bei benzo-
Steuerbarkeit unter den Opioiden auf. Die we- diazepinabhängigen Personen können Entzugs-
sentliche Ursache hierfür ist die von der Leber- symptome auftreten.
und Nierenfunktion unabhängige schnelle Me-
tabolisierung zu weitgehend inaktiven Metaboli-
ten durch unspezifische Esterasen. Für den kli- 14.2 Inhalationsanästhetika
nischen Gebrauch ist allerdings von Nachteil,
dass mit Ende der Remifentanil-Infusion auch Inhalationsanästhetika besitzen den Vorteil der
die analgetische Wirkung nahezu schlagartig be- guten Steuerbarkeit. Sie eignen sich hauptsäch-
endet ist. lich zur Aufrechterhaltung einer Narkose. Die
An- und Abflutungsgeschwindigkeiten der In-
14.1.7 Benzodiazepine halationsanästhetika hängen vor allem von den
Benzodiazepine (Ⴉ Kap. 11.3.1) spielen in der Gradienten zwischen der Konzentration in der
Anästhesie außer zur Prämedikation und Atemluft und im Blut und somit von der Lös-
manchmal zur Narkoseeinleitung nur eine ge- lichkeit des Narkosemittels im Blut ab. Je kleiner
ringe Rolle. Eine große Bedeutung haben sie al- der Blut/Gas-Verteilungskoeffizient ist, desto
lerdings auf der Intensivstation zur kontinuierli- schneller tritt eine Narkose ein und desto schnel-
chen Sedierung von beatmeten Patienten. ler klingt sie auch wieder ab. Die Blut/Gas-Ver-
Wegen seiner besseren Steuerbarkeit im Ver- teilungskoeffizienten von Inhalationsanästheti-
gleich zu Diazepam wird hauptsächlich das kurz ka sind in ႒ Tab. 14.1 zusammengefasst.
160 14 Allgemeinanästhetika (Narkosemittel)

႒ Tab. 14.1 Blut/Gas- und Öl/Gas-Verteilungs- mäßig schwach narkotisch und nicht muskelre-
koeffizienten sowie MAC-Werte von Inhalations- laxierend. Selbst mit einem Anteil von 75 Vol.-%
anästhetika Lachgas in der Einatmungsluft lässt sich keine
INN Blut/Gas Öl/Gas MAC2 tiefe Narkose erreichen. 70 Vol.-% Lachgas in
(Vol.-%) der Einatmungsluft stellen aber die obere Gren-
ze dar, da mindestens 30 Vol.-% Sauerstoff
Halothan1 2,4 224 0,8 gleichzeitig zugeführt werden müssen, um einen
Enfluran1 1,8 97 1,7
Sauerstoffmangel zu verhindern. Lachgas muss
mit anderen Anästhetika kombiniert werden.
Isofluran 1,4 91 1,2 Durch Überdruckbeatmung (MAC-Wert
105 %) ist auch mit Lachgas/O2-Gemischen eine
Sevofluran 0,7 47 1,7
Vollnarkose (Stadium III) möglich. Dieses Ver-
Desfluran 0,4 19 6,0 fahren hat sich jedoch nicht durchgesetzt.
Die An- und Abflutungsgeschwindigkeit von
Lachgas 0,5 1,4 105 Lachgas ist außerordentlich hoch. Die Lachgas-
1 Halothan und Enfluran werden in Deutschland nicht mehr einge- narkose ist daher gut steuerbar. Blutdruck und
setzt, Atmung werden kaum, Leber-, Nieren- und
2 minimale alveoläre Konzentration bei 1 Atm und Patienten mittle-
Darmfunktion nicht beeinflusst. Bei länger an-
ren Alters
haltender Zufuhr, als dies für chirurgische Ope-
rationen in der Regel erforderlich ist, oder bei
Die verschiedenen Inhalationsanästhetika wiederholter Zufuhr kann Lachgas die Erythro-
haben eine unterschiedliche anästhetische Po- zyten- und Leukozytenproduktion bis zu einer
tenz, die mit der Lipidlöslichkeit der Substanz megaloblastären Anämie beeinträchtigen. Zur
(ausgedrückt als Öl/Gas-Verteilungskoeffizient) Vermeidung einer Diffusionshypoxie bei Been-
korreliert. Die Narkosetiefe von Inhalations- digung einer Narkose mit Lachgas ist die Sauer-
anästhetika kann mithilfe der minimalen alveo- stoffzufuhr während der Narkoseausleitung zu
lären Konzentration (MAC) verglichen werden. erhöhen, da in den ersten Minuten nach Unter-
Darunter versteht man die alveoläre Konzen- brechung der Lachgaszufuhr das Gas aufgrund
tration eines Inhalationsanästhetikums (in % der schlechten Blutlöslichkeit in großer Menge
bei 1 Atmosphäre), bei der 50 % aller Patienten in die Alveolen strömt und so den eingeatmeten
auf eine Hautinzision nicht mehr mit Abwehr- Sauerstoff verdünnt.
bewegungen reagieren. In ႒ Tab. 14.1 sind die
MAC-Werte der wichtigsten Inhalationsanäs- 14.2.2 Halogenierte
thetika für Patienten mittleren Lebensalters Kohlenwasserstoffe
ohne Begleitmedikation zusammengestellt. Die Der einzige, aber in Deutschland schon seit län-
gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen oder gerer Zeit nicht mehr verwendete halogenierte
Opioid-Analgetika senkt die MAC-Werte um Kohlenwasserstoff ist Halothan (F3C-CHClBr).
ca. 50–65 %. Es wirkt nur schwach analgetisch und muskelre-
laxierend. Wegen einer leberschädigenden Wir-
14.2.1 Lachgas (Distickstoffoxid) kung bei höheren Konzentrationen oder wie-
Lachgas ist ein farbloses, reaktionsträges Gas derholten Halothannarkosen („Halothanhepati-
von schwach süßlichem Geruch und Ge- tis“) infolge toxischer und/oder allergischer Re-
schmack, das in verflüssigter Form in den Han- aktionen (Biotransformationsrate bis zu 20 %,
del kommt. Es hat allerdings in der modernen Hauptmetabolit Trifluoressigsäure), wird Halo-
Anästhesie an Bedeutung verloren. In letzter than zumindest in Industrieländern heute nicht
Zeit wird es zunehmend nur noch als Partydro- mehr eingesetzt.
ge verwendet. Es wirkt analgetisch, verhältnis-
14.3 Besondere Narkoseverfahren 161

14.2.3 Halogenierte Ether onsrate von Sevofluran ist somit zweimal höher
Isofluran (z. B. Forene®) und Enfluran (in als die von Enfluran und 250-fach höher als die
Deutschland nicht mehr gebräuchlich) besitzen, von Desfluran. Sevofluran ist unter den moder-
wie Halothan einen atemdepressiven (Enfluran nen Ethern allerdings die einzige Substanz, die
> Isofluran > Halothan) sowie einen Catechol- nicht zu der toxischen Trifluoressigsäure meta-
amin-sensibilisierenden (Halothan > Enfluran) bolisiert wird. Nachteilig für Desfluran ist, dass
und negativ inotropen Effekt (Halothan > Iso- es die Atemwege stärker reizt als Sevofluran und
fluran > Enfluran). Die Biotransformationsrate wegen des niedrigen Siedepunktes (23 °C) ein
ist bei Isofluran mit 0,2 % gering, bei Enfluran spezieller Verdampfer notwendig ist.
dagegen vergleichsweise hoch (ca. 3 %). Als Me-
taboliten wurden bei Enfluran Difluormethoxy-
difluoressigsäure und nierentoxisches Fluorid 14.3 Besondere Narkoseverfahren
nachgewiesen.
Weiterentwicklungen von Enfluran und Iso- Die balancierte Anästhesie ist ein Narkosever-
fluran führten durch Ersatz von Chlor- durch fahren, bei dem nach Einleitung mit einem In-
Fluoratome zu den weniger wasserlöslichen jektionsanästhetikum ein Opioid aus der Fenta-
Verbindungen Sevofluran (Sevorane®) und nyl-Gruppe mit einem Inhalationsanästhetikum
Desfluran (Suprane®), die ähnlich gut steuerbar und mit einem nichtdepolarisierenden Muskel-
sind wie Lachgas (niedrige Blut/Gas-Vertei- relaxans kombiniert wird. Die Herz-Kreislauf-
14
lungskoeffizienten, ႒ Tab. 14.1). Infolge der da- Wirkungen der balancierten Anästhesie sind
mit verbundenen kurzen Abklingzeit am Ende meist sehr gering.
einer Narkose gewinnen diese Substanzen – ins- Bei einer total intravenösen Anästhesie
besondere Desfluran – zunehmend an Bedeu- (TIVA) wird dagegen auf volatile Anästhetika
tung in der ambulanten Chirurgie. Desfluran ganz verzichtet. Voraussetzung für eine derarti-
wird nur zu ca. 0,02 % metabolisiert und ist we- ge Narkoseführung ist, dass die verwendeten
der nephro- noch lebertoxisch. Sevofluran wird Substanzen gut steuerbar sind, um einen Narko-
zu ca. 5 % zu Fluorid und Hexafluor-Isopropa- seüberhang zu vermeiden. Die Kombination
nol abgebaut. Die hepatische Biotransformati- Propofol/Remifentanil ist dafür gut geeignet.
162 15 Muskelrelaxanzien

15 Muskelrelaxanzien

Die Erregungsübertragung von der somatomo- ionen (kompetitiver Antagonismus zu


torischen Nervenfaser auf die quergestreifte Calciumionen);
Muskelzelle (neuro-muskuläre Übertragung) 󠀂 postsynaptisch durch
erfolgt an der motorischen Endplatte. Erreicht 󠀂 Blockade der Acetylcholinrezeptoren an
ein Nervenimpuls die motorische Endplatte, der postsynaptischen Membran durch
wird aus den Vesikeln mittels Calciumionen kompetitive Hemmstoffe von Acetyl-
schlagartig Acetylcholin freigesetzt. Dieses dif- cholin (nichtdepolarisierende Muskel-
fundiert rasch durch den etwa 500 Å breiten sy- relaxanzien),
naptischen Spalt zu der subsynaptischen Mem- 󠀂 Dauerdepolarisation der Endplatten
bran und aktiviert dort Nicotinrezeptoren (n- durch depolarisierende Muskelrelaxan-
Cholinozeptoren). Dadurch kommt es zu einer zien oder
Depolarisation der Endplattenmembran (End- 󠀂 Hemmung der elektromechanischen
plattenpotenzial). Innerhalb von etwa 2 Millise- Kopplung, z. B. durch Dantrolen.
kunden wird das freigesetzte Acetylcholin durch
die Acetylcholinesterase hydrolysiert und da- Von praktischer Bedeutung für die Muskelrela-
nach das Ruhepotenzial wiederhergestellt. xation bei der Narkose sind hauptsächlich
nichtdepolarisierende (stabilisierende) Mus-
kelrelaxanzien (Curare-Typ), und depolarisie-
rende Muskelrelaxanzien (Suxamethonium-
15.1 Peripher angreifende
Typ).
Muskelrelaxanzien
Peripher angreifende Muskelrelaxanzien
werden zur Erschlaffung der quergestreiften
Die neuromuskuläre Übertragung kann beein-
Muskulatur, z. B. bei größeren operativen Ein-
flusst werden:
griffen, eingesetzt. Durch den Einsatz von Mus-
󠀂 präsynaptisch durch kelrelaxanzien kann die Konzentration der In-
󠀂 Hemmung der Wiederaufnahme von halationsanästhetika erniedrigt werden. Voraus-
Cholin aus dem synaptischen Spalt (durch setzung für den Einsatz von Muskelrelaxanzien
Hemicholinium) und ist die Möglichkeit einer künstlichen Beatmung.
󠀂 Verhinderung der Acetylcholinfreisetzung Weitere Indikationen sind beispielsweise die en-
durch Botulinustoxin, Lokalanästhetika in dotracheale Intubation und die künstliche Beat-
höherer Konzentration oder Magnesium- mung auf der Intensivstation.
15.1 Peripher angreifende Muskelrelaxanzien 163

15.1.1 Nichtdepolarisierende Bei Vecuroniumbromid (z. B. Norcuron®)


(stabilisierende) beträgt die Wirkungsdauer nur etwa ein Drittel
Muskelrelaxanzien bis zur Hälfte von der des Pancuroniumbro-
Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien besit- mids. Es kumuliert daher kaum. Die Eliminati-
zen zwar Affinität zu den Acetylcholinrezepto- on erfolgt zu etwa 50 % biliär. Die Substanz ist
ren der motorischen Endplatte, aber keine in- somit zur Anwendung bei niereninsuffizienten
trinsische Aktivität, d. h. sie verdrängen Acetyl- Patienten besser geeignet als Pancuronium-
cholin kompetitiv und verhindern dadurch eine bromid.
Depolarisation der Endplattenmembran und Bei Rocuroniumbromid (z. B. ESMERON®)
damit eine Muskelkontraktion. Zuerst sind die ist die muskelrelaxierende Potenz ca. 6-fach ge-
Muskeln der Augen, der Zunge und der Finger, ringer und seine Anschlagzeit, bei ähnlicher
dann die Nacken-, Stamm- und Extremitäten- Wirkdauer, wesentlich kürzer als die von Vecu-
muskeln und erst zuletzt die Atemmuskeln roniumbromid. Die Elimination von Rocuroni-
betroffen. Dennoch muss man bei jeder Muskel- umbromid erfolgt hauptsächlich biliär, nur ca.
relaxans-Injektion auf eine Atemlähmung vor- 20 % der Substanz werden im Urin wieder-
bereitet sein (Möglichkeit einer sofortigen gefunden.
künstlichen Beatmung). Alle gebräuchlichen Zur Aufhebung der durch Vecuroniumbro-
nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien sind mid und Rocuroniumbromid induzierten neu-
quartäre Ammoniumverbindungen. romuskulären Blockade steht Sugammadex
Nebenwirkungen von nichtdepolarisieren- (Bridion®) zur Verfügung. Sugammadex ist ein
den Muskelrelaxanzien sind u. a. Tachykardie, modifiziertes Gamma-Cyclodextrin, das mit 15
vorübergehende Hypotonie, Histaminfreiset- den genannten Muskelrelaxanzien Einschluss-
zung, Hautrötung, Bronchospasmus. Durch verbindungen bildet, wodurch deren muskelre-
Cholinesterasehemmer (Ⴉ Kap. 20.1.2), z. B. laxierende Wirkung aufgehoben wird.
Neostigmin (Neostigmin-Rotexmedica), welche Atracuriumbesilat (z. B. Atracurium-ha-
die Acetylcholinkonzentration erhöhen, kann meln) ist mittellang wirksam und wird im Orga-
die Wirkung von nichtdepolarisierenden Mus- nismus nichtenzymatisch in Abhängigkeit vom
kelrelaxanzien antagonisiert werden. pH-Wert durch Hofmann-Abbau und in gerin-
Der Prototyp der nichtdepolarisierenden gerem Ausmaß durch enzymatische Esterhydro-
Muskelrelaxanzien ist das heute nicht mehr ge- lyse zu nichtmuskelrelaxierenden Substanzen
bräuchliche Tubocurarinchlorid, das in ver- abgebaut. Für sehr selten durch Atracurium-
schiedenen Pfeilgiften südamerikanischer Indi- besilat auftretende Krampfanfälle wird z. T. das
aner enthalten war. Wegen seiner durch starke Abbauprodukt Laudanosin verantwortlich ge-
Histaminfreisetzung bedingten Nebenwirkun- macht.
gen (u. a. Bronchokonstriktion, Blutdruckabfall) Cisatracuriumbesilat (Nimbex®) ist das cis-
wurde es durch die nachstehend beschriebenen cis-Isomer des Atracuriumbesilats. Es ist ca.
Substanzen verdrängt, die seltener und weniger dreimal potenter als dieses und auch für Kinder
ausgeprägt als Tubocurarin eine Histaminfrei- ab einem Alter von 1 Monat zugelassen. Die
setzung verursachen. nach Hofmann-Abbau beobachteten maxima-
Pancuroniumbromid (z. B. Pancuronium- len Laudanosinkonzentrationen betragen nur
ratiopharm®) weist einen schnellen Wirkungs- rund ൊ–ൎ der nach Gabe von Atracurium er-
eintritt und eine lange Wirkungsdauer auf. Die reichten Konzentrationen.
Ausscheidung erfolgt überwiegend renal in un- Das kurzwirksame Muskelrelaxans Mivacu-
veränderter Form, weshalb dieses Muskelrela- riumchlorid (Mivacron®) wird von der Plasma-
xans bei niereninsuffizienten Patienten ungeeig- cholinesterase hydrolytisch gespalten. Bei Pati-
net ist. enten mit atypischer Cholinesterase kann die
164 15 Muskelrelaxanzien

Wirkdauer von Mivacuriumchlorid um ein 15.1.3 Dantrolen


Vielfaches verlängert sein. Dantrolen (z. B. Dantamacrin®) ist das derzeit
einzige im Handel befindliche Muskelrelaxans,
15.1.2 Depolarisierende das den Muskeltonus durch partielle Blockade
Muskelrelaxanzien der Freisetzung von Calciumionen aus dem lon-
Depolarisierende Muskelrelaxanzien depolari- gitudinalen System der Muskelfasern herab-
sieren wie Acetylcholin die motorische Endplat- setzt, wahrscheinlich indem es an den sog. Rya-
te, verhindern aber die sofortige Repolarisation, nodinrezeptor Typ 1 (RyR1) bindet. Die Sub-
da sie langsamer abgebaut werden. Die Folge ist stanz ist bei spastischen Syndromen mit krank-
eine Muskelerschlaffung. Cholinesterasehemm- haft gesteigerter Muskelspannung (z. B. bei
stoffe wirken nicht als Antidot, sondern verstär- Querschnittslähmungen, Multipler Sklerose)
ken die Wirkung. indiziert. Außerdem wird es intravenös bei ma-
Suxamethoniumchlorid (z. B. Lysthenon®) ligner Hyperthermie eingesetzt.
ist das derzeit einzig verfügbare Muskelrelaxans Die Halbwertszeit beträgt 8–10 Stunden.
mit ausschließlich depolarisierenden Eigen- Die Dosierung bei spastischen Zuständen
schaften. Es ist formal ein doppeltes Acetylcho- soll einschleichend (mit 2 × 25 mg täglich) erfol-
lin und zeichnet sich durch einen raschen Wir- gen und kann dann wöchentlich bis auf maxi-
kungseintritt und eine kurze Wirkungsdauer mal 4 × 50 mg täglich (frühestens nach 4 Wo-
aus, weshalb es zur Intubation besonders geeig- chen) gesteigert werden. Mit einer deutlichen
net ist. Suxamethoniumchlorid kann K+, Kreati- Wirkung ist meist erst nach ein bis zwei Wochen
ninphosphokinase und Myoglobin aus Muskel- zu rechnen.
zellen freisetzen, wodurch in Einzelfällen Myo- Als Nebenwirkungen können – vor allem zu
globinurie, Nieren- oder Herzversagen vorkom- Behandlungsbeginn – Müdigkeit, Schwindel
men können. Weitere Nebenwirkungen sind und Schwächegefühl auftreten. In einigen Fällen
Herzrhythmusstörungen (z. B. Bradykardie), wurden hepatotoxische Nebenwirkungen (he-
Erhöhung des Augeninnen- und des intragast- patitisähnliche Verläufe) beobachtet. Wegen ei-
ralen Drucks. Als harmlose Nebenwirkung tre- ner möglichen Fotosensibilisierung sollten die
ten häufig einen Tag nach der Injektion muskel- Patienten keiner starken Sonnenbestrahlung
katerartige Schmerzen auf, die auf faszikulären ausgesetzt werden.
Muskelzuckungen zu Beginn der Relaxation Bei Lebererkrankungen, eingeschränkter
(Depolarisation!) beruhen und sich durch eine Lungenfunktion, schweren Herzmuskelschäden
Vorbehandlung mit kleinen, noch nicht neuro- sowie während der Schwangerschaft und Still-
muskulär blockierenden Dosen von nichtdepo- zeit ist Dantrolen kontraindiziert.
larisierenden Muskelrelaxanzien vermeiden las-
sen. Bei Patienten mit atypischer Cholinestera- 15.1.4 Clostridium-botulinum-Toxin
se kommt es zu einer drastischen Zunahme der Clostridium-botulinum-Toxin Typ A (z. B.
Dauer der neuromuskulären Blockade. Auch bei BOTOX®) hemmt die Ca2+-abhängige Acetyl-
schweren Leberschäden und Kachexie ist die cholinfreisetzung und führt dadurch zu einer
Wirkung von Suxamethoniumchlorid wegen irreversiblen Hemmung der neuromuskulären
des erniedrigten Esterasespiegels verlängert. Be- Übertragung. Seine Wirkung beruht vor allem
sondere Vorsicht ist weiterhin bei Patienten mit auf der Spaltung des an der Neurotransmitter-
einer Disposition zur Hyperkaliämie (z. B. bei freisetzung beteiligten Proteins SNAP-25. Erst
Verbrennungen oder Niereninsuffizienz), mit durch Neubildung von Nervenendigungen wird
Glaukom und bei Erkrankungen des neuromus- die normale Impulsübertragung wiederherge-
kulären Systems geboten. stellt.
15.2 Zentral angreifende Muskelrelaxanzien 165

Lokal appliziert kann es zur Blepharospas- schen Endplatte, sondern sie verringern den
mus-(Lidkrampf-)Behandlung, zur Therapie Skelettmuskeltonus durch Hemmung polysyn-
der gleichzeitig bei einem Blepharospasmus auf- aptischer Reflexe an zentralen Synapsen.
tretenden dystonen Kontraktionen der periorbi- Baclofen (z. B. Lioresal®) ist ein GABAB-Re-
talen Muskulatur sowie bei anderen spastischen zeptor-Agonist und wird ausschließlich als zen-
Zuständen der quergestreiften Muskulatur ein- trales Muskelrelaxans eingesetzt. Die Dosierung
gesetzt werden. Weitere Indikationen sind über- erfolgt individuell und einschleichend (z. B. 3 ×
mäßiges Schwitzen (primäre Hyperhidrosis 5 mg täglich; Tageshöchstdosis 30–75 mg).
axillaris), Harninkontinenz bei erwachsenen Substanzen mit nicht genau definierten Wir-
Patienten mit neurogener Detrusorhyperaktivi- kungsmechanismen sind Tolperisonhydrochlo-
tät der Blase (z. B. bei Rückenmarksverletzung rid (z. B. Mydocalm®), Pridinolmesilat (Myo-
oder Multipler Sklerose) sowie Prophylaxe einer son® direct), Methocarbamol (z. B. Ortoton®),
chronischen Migräne, wenn herkömmliche Mi- Tizanidinhydrochlorid (z. B. Sirdalud®) und
gräneprophylaktika nur unzureichend wirksam Orphenadrincitrat (Norflex®).
waren. Zentrale Muskelrelaxanzien werden je nach
Clostridium-botulinum-Toxin (z. B. VISTA- Substanz bei schmerzhaften Muskelverspan-
BEL®) wird außerdem als sog. „Anti-Aging- nungen, insbesondere als Folge von Erkrankun-
Spritze“ zur vorübergehenden Faltenglättung gen der Wirbelsäule und der achsennahen Ge-
im Gesichtsbereich eingesetzt, wenn diese Fal- lenke, ferner bei Spastizität infolge neurologi-
ten eine erhebliche psychologische Belastung scher Erkrankungen, z. B. nach Schlaganfall, bei
für die Personen darstellen. Nach subkutaner Multipler Sklerose u. a. eingesetzt. Ihr therapeu- 15
Applikation werden kleine Muskelsegmente ge- tischer Nutzen ist umstritten.
lähmt, wodurch die direkt darüber liegende Nebenwirkungen zentraler Muskelrelaxanzi-
Haut gestrafft wird. Allerdings verlagert sich da- en sind u. a. Schwindelgefühl, Müdigkeit, Seh-
durch das Minenspiel auf benachbarte Muskeln, störungen und gastrointestinale Beschwerden.
sodass besonders nach häufiger Applikation von Aufgrund der sedierenden Wirkungskompo-
Botulinum-Toxin neue Falten entstehen kön- nente ist das Reaktionsvermögen deutlich ver-
nen. ringert, sodass die Patienten bzgl. ihrer einge-
Die Dosierung hängt vom Fertigpräparat ab. schränkten Verkehrstauglichkeit aufzuklären
Die Anwendung hat nur durch besonders ge- sind.
schulte Ärzte zu erfolgen. Die vor allem als Tranquillanzien und Hyp-
Als Nebenwirkungen können u. a. Blepharo- notika eingesetzten Benzodiazepine werden in
ptosis, Lidschwellung, Doppeltsehen, Gesichts- Ⴉ Kap 11.3.1 beschrieben. Für das ausschließlich
schmerzen und Erytheme auftreten. als Muskelrelaxans eingesetzte Tetrazepam hat
die europäische Zulassungsbehörde (EMA) we-
gen schwerer Hautreaktionen das Ruhen der
15.2 Zentral angreifende Zulassung bis auf weiteres angeordnet.
Muskelrelaxanzien

Diese Substanzen haben keinen Einfluss auf die


neuromuskuläre Übertragung an der motori-
166 16 Antikonvulsiva

16 Antikonvulsiva

16.1 Pathophysiologische und Fehlfunktion des zentralen Nervensystems mit


klinische Grundlagen der abnormen neuronalen Entladungen der Hirn-
Epilepsien rinde. Je nach Lokalisation und Ausbreitung
werden epileptische Anfälle unterteilt in
Epilepsien sind Funktionsstörungen des Ge-
󠀂 fokale Anfälle (partielle Anfälle) mit einer
hirns, die durch eine anhaltende Prädisposition,
auf eine umschriebene Hirnregion begrenz-
epileptische Anfälle zu erleiden, gekennzeichnet
ten Erregung und
sind. Die Prävalenz beträgt weltweit 0,7–0,8 %
󠀂 generalisierte Anfälle, bei denen die Erre-
ohne wesentliche ethnische oder geografische
gung das gesamte Gehirn erfasst. Generali-
Unterschiede. Ein Drittel der Epilepsien wird im
sierte Anfälle können aus einem sich ausbrei-
Kindesalter mit absteigender Häufigkeit bis zum
tenden fokalen Anfall (sekundär generali-
18. Lebensjahr manifest, ein weiteres Drittel der
siert) hervorgehen oder von Anfang an pri-
Epilepsien tritt erstmals jenseits des 60. Lebens-
mär generalisiert auftreten.
jahres auf. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des
Lebens an einer Epilepsie zu erkranken, liegt bei Die Phänomenologie epileptischer Anfälle ist
5 % mit zunehmender Tendenz aufgrund der sehr variabel. Zu den typischen Ausprägungen
kontinuierlichen Alterszunahme der Bevölke- zählen Absencen (Bewusstseinsunterbrechun-
rung. gen von wenigen Sekunden), myoklonische An-
Die Ursachen der Epilepsien sind vielfältig. fälle (beidseitige Zuckungen bei erhaltenem Be-
Einigen Epilepsien liegt eine genetische Dispo- wusstsein), klonische Anfälle (beidseitige rhyth-
sition zugrunde, z. B. infolge von Mutationen mische Muskelzuckungen), tonische Anfälle
im Gen SCN1A, das für den spannungsabhän- (symmetrische Versteifungskrämpfe), atonische
gigen Na+-Kanal NaV1.1 codiert. In anderen Anfälle (Sturzanfälle) sowie die auch als „Grand
Fällen ist die Epilepsie durch strukturelle/meta- mal“ bezeichneten tonisch-klonischen Anfälle
bolische Schädigungen bedingt, beispielsweise (Versteifung gefolgt von Zuckungen, Bewusstlo-
bei angeborenen oder perinatal erworbenen sigkeit).
Hirnmissbildungen und -schäden, Traumata, Ein epileptischer Anfall dauert meist nicht
Hirntumoren oder Stoffwechseldefekten. Oft länger als 2 min. Oft folgt ihm eine postiktale
bleibt jedoch die Ätiologie einer Epilepsie un- Nachphase, die mehrere Stunden anhalten kann
bekannt. und z. B. mit Sprach-, Gedächtnis- oder psychi-
Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu schen Störungen sowie Lähmungen verbunden
einer plötzlich einsetzenden, vorübergehenden ist.
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) 167

Wichtige Differenzialdiagnosen zu epilepti- miert, während NaV1.4 in Skelettmuskelzellen,


schen Anfällen sind Fieberkrämpfe, psychogene NaV1.5 in Kardiomyozyten und NaV1.7 bis
Anfälle, konvulsive Synkopen, Eklampsie sowie NaV1.9 in peripheren Neuronen angereichert
REM-Schlaf-Verhaltensstörungen. sind. Die meisten Wirkstoffe dieser Antikonvul-
siva-Gruppe stabilisieren die schnelle Inaktivie-
rung des betreffenden Kanals, die nach der De-
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) polarisations-bedingten Kanalöffnung inner-
halb weniger Millisekunden unabhängig vom
Antikonvulsiva dienen der symptomatischen Membranpotenzial eintritt. Dadurch wird die
Therapie der Epilepsie. Der synonym verwende- Fähigkeit der Neurone, Salven hochfrequenter
te Begriff „Antiepileptika“ wird immer mehr Aktionspotenziale weiterzuleiten, verringert.
durch die Bezeichnung „Antikonvulsiva“ er- Die Wirkung dieser Antikonvulsiva ist daher bei
setzt, da diese Wirkstoffe eine Hemmung epi- einer hohen Entladungsfrequenz, wie sie bei
leptischer Anfälle ermöglichen („Anfallsblo- epileptischen Anfällen auftritt, wesentlich deut-
cker“), ohne jedoch die der Epilepsie zugrunde licher ausgeprägt als bei einer niedrigen.
liegende Ursache zu beeinflussen.
Carbamazepin. Das Na+-Kanal-blockierende,
Antikonvulsiva wirken entweder hemmend
klassische Antikonvulsivum Carbamazepin
auf die Erregbarkeit von Neuronen und/oder
(z. B. Tegretal®) ist zugelassen zur Therapie von
dämpfend auf die räumliche Ausbreitung der
Epilepsien unterschiedlicher Genese, z. B.
Erregung. Dabei können sie an Ionenkanäle
fokalen und psychomotorischen Anfällen,
oder Neurotransmitter-Rezeptoren binden und
Grand-mal-Anfällen fokalen Ursprungs und ge-
so die Leitfähigkeit der Zellmembran verän-
mischten Epilepsieformen. Außer als Antikon-
dern. Oder sie verändern die Konzentration von
Neurotransmittern im Extrazellulärraum, in-
vulsivum ist Carbamazepin indiziert bei neuro- 16
pathischen Schmerzsyndromen (Trigeminus-
dem sie deren Wiederaufnahme oder Metaboli-
Neuralgie, diabetischer Neuropathie u. a.), bei
sierung beeinflussen. Therapeutisch besonders
nichtepileptischen Anfällen im Rahmen einer
bedeutsam ist die Beeinflussung spannungsab-
Multiplen Sklerose, zur Anfallsverhütung bei
hängiger Na+- oder Ca2+-Kanäle sowie die des
Alkoholentzug sowie zur Prophylaxe bei ma-
GABAergen Systems. Eine Reihe von Antikon-
nisch-depressiven Patienten.
vulsiva greift gleichzeitig an mehreren Stellen
Als Nebenwirkungen kommen – besonders
an. Wichtige Wirkungsmechanismen sind in
zu Beginn der Therapie – häufig zentralnervöse
Ⴜ Abb. 16.1 dargestellt und werden in den nach-
Störungen (Schwindel, Kopfschmerzen, Ataxie,
folgenden Kapiteln näher erläutert. Die Dosie-
Schläfrigkeit, Sedierung, Sehstörungen), gastro-
rungen und Halbwertszeiten der Antikonvulsiva
intestinale Störungen (Übelkeit, Erbrechen) und
sind in ႒ Tab. 16.1 angegeben.
allergische Hautreaktionen vor. Selten wurden
schwere, potenziell lebensbedrohliche Hautaus-
16.2.1 Vorwiegend Natriumkanäle
schläge (Stevens-Johnson-Syndrom u. a.) be-
blockierende Antikonvulsiva
richtet. Ferner können aufgrund einer Adiure-
Die Antikonvulsiva Carbamazepin, Oxcarbaz-
tin-ähnlichen Wirkung endokrine Störungen
epin, Eslicarbazepinacetat, Lamotrigin, Valpro-
(Ödeme, Flüssigkeitsretention, Gewichtszunah-
insäure, Phenytoin, Lacosamid, Zonisamid und
me, Hyponatriämie) auftreten.
Rufinamid wirken vorwiegend auf spannungs-
Bei schweren Leberfunktionsstörungen,
abhängige Na+-Kanäle. Derzeit sind neun ver-
Knochenmarkschädigungen und AV-Block ist
schiedene Subtypen spannungsabhängiger Nat-
Carbamazepin kontraindiziert.
riumkanäle bekannt, die als NaV1.1 bis NaV1.9
Carbamazepin ist ein potenter Induktor von
bezeichnet werden. In Neuronen des ZNS wer-
CYP3A4 und anderen Enzymsystemen
den v. a. NaV1.1 bis NaV1.3 und NaV1.6 expri-
168 16 Antikonvulsiva

Valproat
Soma Ethosuximid, T-Typ-
Mesuximid Ca2+-Kanal
+
Na
Carbamazepin, Oxcarbazepin,
Phenytoin, Lamotrigin, Valproat, Perampanel,
Zonisamid, Rufinamid, Lacosamid, Topiramat
Eslicarbazepinacetat, Topiramat Ca2+

K+
AMPA-
K+-Kanal Rezeptor
KCNQ 2/3 Glutamat

L
Axon
Na+, Ca2+ Exzitation
Retigabin Ca2+
SV2A
2+ Mg2+
Ca -Kanal Ca2+
mit α2δ-Untereinheit
Na+, Ca2+

L
Gabapentin, Levetiracetam
Pregabalin N-Typ- NMDA-
Ca2+-Kanal Rezeptor
präsynaptische Neurone postsynaptische Neurone

Valproat,
Vigabatrin
L

Cl- Inhibition
GABA Trans- GABAA-
GABA
T

aminase
GA

Rezeptor
Phenobarbital,
GABA Primidon,
Clonazepam,
Diazepam,
Tiagabin Lorazepam,
Clobazam,
Topiramat

Ⴜ Abb. 16.1 Wirkungsmechanismen der Antikonvulsiva in schematischer Darstellung. Dargestellt sind die
Angriffspunkte der verschiedenen Wirkstoffe an einem glutamatergen und einem GABAergen präsynapti-
schen Neuron sowie an zwei postsynaptischen Neuronen, die glutamaterger oder GABAerger Natur sein
können. Antikonvulsiva blockieren spannungsabhängige Na+-Kanäle-, Ca2+-Kanäle oder AMPA-Rezepto-
ren, binden an synaptische Vesikelproteine, stimulieren K+-Kanäle und GABA-gesteuerte Cl–-Kanäle,
hemmen den Abbau von GABA oder blockieren deren Wiederaufnahme in die Axonterminalen (Näheres
s. Text)

(CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19 u. a.) in der Le- Theophyllin. Da Carbamazepin auch ein
ber. Dadurch verringert es die Wirkung zahlrei- CYP3A4-Substrat ist, wird es infolge der Eigen-
cher Pharmaka, z. B. von Clonazepam, Ethosu- induktion bei längerer Anwendung deutlich
ximid, Tiagabin, Topiramat, hormonellen Kont- schneller eliminiert, sodass die Dosierung ange-
razeptiva, Glucocorticoiden, Haloperidol oder passt werden muss. Bei Langzeittherapie kann
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) 169

႒ Tab. 16.1 Antikonvulsiva


INN (Handelspräparat) Tagesdosis1 (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis1 (HWZ)

Vorwiegend Natriumkanäle blockierende Anti- Vorwiegend die Wirkung von GABA verstärkende
konvulsiva Antikonvulsiva

Carbamazepin 600–1600 mg Clobazam 15–30 mg


(z. B. Tegretal®) (18–65 h) (Frisium®) (36–79 h)

Oxcarbazepin 900–2400 mg Clonazepam 2–6 mg


(z. B. Trileptal®) (8–11 h) (z. B. Rivotril®) (30–40 h)

Eslicarbazepinacetat 800–1200 mg Diazepam 5–30 mg


(Zebinix®) (13–20 h) (z. B. Diazepam-ratiopharm®) (20–100 h)

Lamotrigin 100–600 mg Lorazepam 1–5 mg


(z. B. Lamictal®) (14–103 h) (z. B. Tavor®) (12–16 h)

Valproinsäure 750–2000 mg Phenobarbital 100–300 mg


(z. B. Ergenyl®) (16–19 h) (z. B. Luminal®) (60–150 h)

Phenytoin 200–400 mg Primidon 750–1500 mg


(z. B. Phenhydan®) (20–60 h) (z. B. Mylepsinum®) (15 h)

Lacosamid 200–400 mg Vigabatrin 2000–4000 mg


(Vimpat®) (13 h) (Sabril®) (5–8 h)

Zonisamid 200–500 mg Tiagabin 15–30 mg


16
(z. B. Zonegran®) (60 h) (Gabitril®) (7–9 h)

Rufinamid 1000–3200 mg Sonstige Antikonvulsiva


(Inovelon®) (6–10 h)
Levetiracetam 1000–4000 mg
Vorwiegend Calciumkanäle blockierende Anti- (z. B. Keppra®) (6–8 h)
konvulsiva
Topiramat 100–400 mg
Gabapentin 900–3600 mg (z. B. Topamax®) (18–24 h)
(z. B. Neurontin®) (5–7 h)
Perampanel 4–12 mg
Pregabalin 300–600 mg (Fycompa®) (105 h)
(z. B. LYRICA®) (6 h)
Retigabin 600–1200 mg
Ethosuximid 1000–2000 mg (Trobalt®) (6–10 h)
(z. B. Petnidan®) (38–67 h)
Sultiam 200–400 mg
Mesuximid 600–1200 mg (Ospolot®) (2–16 h)
(Petinutin®) (1–3 h)
Felbamat 1200–3600 mg
(Taloxa®) (15–23 h)

1 Angegeben ist der Dosisbereich der ersten Zieldosis bis zur Maxi-
maldosis (laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
2012). Die angegebenen Dosierungen sind nur Richtwerte, die je-
weils erforderliche Dosis ist individuell zu ermitteln.
170 16 Antikonvulsiva

die CYP-Enzyminduktion auch den Knochen- Die Metabolisierung von Lamotrigin erfolgt
stoffwechsel beeinträchtigen und die Knochen- weitgehend über UDP-Glucoronyltransferasen.
dichte reduzieren, sodass mit einem erhöhten Daher können bei gleichzeitiger Anwendung
Frakturrisiko zu rechnen ist. von Arzneimitteln, die die Glucuronidierung
hemmen (z. B. Valproinsäure) oder induzieren
Oxcarbazepin. Oxcarbazepin (z. B. Trileptal®)
(z. B. Phenytoin, Phenobarbital, Rifampicin,
ist das 10-Keto-Analogon von Carbamazepin.
hormonelle Kontrazeptiva), Interaktionen auf-
In der Leber wird es rasch zu dem aktiven
treten. Lamotrigin beeinflusst dagegen keine
Haupt-Metaboliten (10-Hydroxycarbazepin) re-
CYP-Isoenzyme, sodass mit CYP-vermittelten
duziert, der spannungsabhängige Na+-Kanäle
Wechselwirkungen nicht zu rechnen ist.
hemmt. Oxcarbazepin ist zugelassen zur Mono-
Die Nebenwirkungen entsprechen denen von
oder Zusatztherapie von fokalen Anfällen.
Carbamazepin, treten allerdings bei Lamotrigin
Die Nebenwirkungen ähneln weitgehend de-
etwas seltener auf.
nen von Carbamazepin, jedoch treten sie bei
Oxcarbazepin seltener auf. Außerdem ist das In- Valproinsäure. Valproinsäure bzw. dessen Nat-
teraktionspotenzial von Oxcarbazepin geringer riumsalz Valproat (z. B. Ergenyl®) wirkt nicht
als das von Carbamazepin, da 10-Hydroxycarb- nur blockierend auf spannungsabhängige Na+-
azepin nur eine schwache Induktion von Kanäle, sondern hemmt auch T-Typ Ca2+-Kanä-
CYP3A4 und UDP-Glucuronyltransferasen so- le und erhöht die synaptische GABA-Konzen-
wie eine Hemmung von CYP2C19 bewirkt. Auf- tration (u. a. durch Hemmung GABA abbauen-
grund der genannten Vorteile und der bei bei- der Enzyme, z. B. der GABA-Transaminase). Sie
den Wirkstoffen vergleichbaren antikonvulsiven ist ein Mittel der ersten Wahl zur Therapie von
Wirksamkeit (v. a. bei fokalen Anfällen) ersetzt generalisierten Anfällen (Absencen, myokloni-
Oxcarbazepin zunehmend Carbamazepin in der schen Anfällen, tonisch-klonischen Anfällen).
Therapie. Darüber hinaus wird Valproinsäure auch zur
Kombinationstherapie bei anderen Anfallsfor-
Eslicarbazepinacetat. Eslicarbazepinacetat (Ze-
men und bei manischen Episoden im Rahmen
binix®) ist ein Prodrug, das durch First-Pass-
einer bipolaren Störung eingesetzt.
Metabolisierung in den aktiven Metaboliten Es-
Valproinsäure wird über Glucuronidierung
licarbazepin hydrolysiert wird. Eslicarbazepin
und β-/ω-Oxidation biotransformiert und indu-
ist das linksdrehende Enantiomer von 10-Hy-
ziert keine Leberenzyme.
droxycarbazepin (s. o.), das besser ZNS-gängig
Als Nebenwirkungen werden häufig zen-
ist als das rechtsdrehende Enantiomer. Eslicarb-
tralnervöse (Tremor, extrapyramidale Störungen,
azepinacetat ist zugelassen als Zusatztherapeuti-
Taubheit, Schläfrigkeit, Parästhesien, Kopf-
kum bei fokalen Anfällen.
schmerzen, Schwindel, Verwirrtheit, Halluzinati-
Die Nebenwirkungen und Interaktionen ent-
onen u. a.), hämatologische (Anämie, Thrombo-
sprechen denen von Oxcarbazepin.
zytopenie, Leukopenie), metabolische (Hyper-
Lamotrigin. Lamotrigin (z. B. Lamictal®) ist ein ammonämie, Hyponatriämie, Gewichtsverände-
Blocker von spannungsabhängigen Na+-Kanä- rungen), gastrointestinale (Übelkeit, Erbrechen,
len. Es wird eingesetzt zur Mono- und Zusatz- Diarrhö, Gingivahyperplasie) und dermatologi-
therapie bei fokalen und generalisierten Anfäl- sche Störungen (Haarausfall, Nagelerkrankun-
len sowie bei Lennox-Gastaut-Syndrom, einer gen) beobachtet. Besonders bedeutsam sind die
im Kindesalter auftretenden, besonders schwer gelegentlich auftretenden Leberschädigungen
therapierbaren Form der Epilepsie. Außerdem (vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern!),
dient es der Prävention depressiver Episoden bei die dosisunabhängig sind und letal sein können.
bipolaren Störungen. Kontrollen der Thrombozytenzahl und der Ge-
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) 171

rinnungsparameter sowie der Leberfunktion rende Veränderungen an Haut und Schleimhäu-


sind daher durchzuführen. ten (z. B. Gingivahyperplasie, Hirsutismus, Hy-
Bei Lebererkrankungen in der Anamnese, pertrichose) auf.
schweren Leber- und Pankreaserkankungen,
Lacosamid. Lacosamid (Vimpat®) ist ein d-Se-
Blutgerinnungsstörungen sowie bei Porphyrie
rin-Analogon, das im Gegensatz zu den übrigen
ist Valproinsäure kontraindiziert.
Wirkstoffen dieser Gruppe selektiv die langsame
Bei Kindern, die im Mutterleib Valproinsäure
Inaktivierung von spannungsabhängigen Na+-
ausgesetzt waren, besteht ein hohes Risiko für
Kanälen verstärkt und dadurch zur Stabilisie-
angeborene Missbildungen und frühkindliche
rung hypererregbarer Neurone beiträgt. Es ist
Entwicklungsstörungen. Daher darf Valproin-
indiziert zur Zusatzbehandlung fokaler Anfälle.
säure bei Frauen im gebärfähigen Alter nur an-
Der Metabolismus von Lacosamid ist nicht voll-
gewendet werden, wenn andere Arzneimittel
ständig geklärt, jedoch weist es ein geringes Po-
unverträglich oder nicht wirksam sind, und es
tenzial für klinisch relevante Wechselwirkungen
muss eine wirksame Verhütungsmethode si-
auf.
chergestellt sein.
Die Nebenwirkungen entsprechen weitge-
Phenytoin. Das klassische Antikonvulsivum hend denen von Carbamazepin. Darüber hinaus
Phenytoin (z. B. Phenhydan®) wirkt als Hemmer verlängert Lacosamid dosisabhängig das PR-In-
spannungsabhängiger Na+-Kanäle antikonvul- tervall, wodurch es gelegentlich zu kardialen
siv, aber im Gegensatz zu den mit ihm chemisch Störungen (AV-Block, Bradykardie, Vorhofflim-
verwandten Barbituraten nur sehr schwach mern) kommen kann. Daher ist es bei bekann-
sedierend. Es ist zugelassen zur Therapie bei tem AV-Block 2. oder 3. Grades kontraindiziert.
(fokal-generalisierenden und generalisierten)
Zonisamid. Der Wirkungsmechanismus von
Grand-mal-Anfällen sowie bei fokalen Anfällen
Zonisamid (z. B. Zonegran®) beruht auf einer 16
und zur Prophylaxe von Krampfanfällen bei
Hemmung spannungsabhängiger Na+- und
neurochirurgischen Eingriffen. Bei Absencen ist
Ca2+-Kanäle sowie einer Beeinflussung der GA-
es nicht wirksam. Aufgrund des ungünstigen
BA-vermittelten neuronalen Inhibition. Es ist
Nebenwirkungsprofils und hohen Interaktions-
indiziert als Mono- oder Zusatztherapeutikum
potenzials (s. u.) wird Phenytoin jedoch immer
für die Behandlung von fokalen Anfällen. Zoni-
seltener eingesetzt und nur noch als Reservemit-
samid wird überwiegend durch CYP3A4 meta-
tel bei fokalen Anfällen empfohlen, wenn andere
bolisiert, bewirkt aber keine Induktion von
Antikonvulsiva unwirksam waren.
CYP-Enzymen.
Phenytoin wird über CYP2C9/19 metaboli-
Als sehr häufige Nebenwirkungen können
siert und induziert CYP3A4. Seine Biotransfor-
Anorexie, Agitiertheit, Reizbarkeit, Verwir-
mation zeigt Sättigungscharakteristik, d. h. die
rungszustände, Depression, Ataxie, Schwindel,
Halbwertszeit nimmt mit steigender Dosis zu.
Gedächtnisbeeinträchtigung, Schläfrigkeit und
Dosisabhängige Nebenwirkungen äußern
Diplopie auftreten.
sich als zentralnervöse Störungen (z. B. Diplo-
pie, Nystagmus, Ataxie, Schwindel, Kopf- Rufinamid. Rufinamid (Inovelon®), ein Blocker
schmerzen, Ruhetremor, Dyskinesien, kognitive von spannungsabhängigen Na+-Kanälen, ist an-
Störungen), Herzrhythmusstörungen, Osteo- gezeigt als Zusatztherapeutikum zur Behand-
malazie oder Beeinträchtigung der Schilddrü- lung von Anfällen bei Lennox-Gastaut-Syn-
senfunktion. Bei Langzeittherapie kann es selten drom. Es wird kaum über Cytochrom-P450-En-
zu einer Hirnschädigung (u. a. mit vermehrten zyme metabolisiert und hemmt nicht deren Ak-
Krampfanfällen, Muskelschwäche und Bewe- tivität.
gungsstörungen) kommen. Weiterhin treten bei Da unter der Therapie mit Rufinamid sehr
Langzeittherapie relativ häufig kosmetisch stö- häufig Nebenwirkungen auftreten, muss die Be-
172 16 Antikonvulsiva

handlung von einem spezialisierten Pädiater bindet Pregabalin (z. B. LYRICA®) an die α2δ-1-
oder Neurologen eingeleitet werden, der über und α2δ-2-Untereinheiten von spannungsab-
Erfahrung in der Therapie von Epilepsien ver- hängigen Ca2+-Kanälen, allerdings mit höherer
fügt. Affinität.
Pregabalin wird insbesondere zur Behand-
16.2.2 Vorwiegend Calciumkanäle lung von peripheren und zentralen neuropathi-
blockierende Antikonvulsiva schen Schmerzen (Ⴉ Kap. 12.1.8) angewendet
Gabapentin. Gabapentin (z. B. Neurontin®) ist und stellt in diesem Indikationsgebiet ein Mittel
zwar mit GABA strukturell verwandt, doch bin- der ersten Wahl dar. Bei Epilepsie ist es als Zu-
det es im Gegensatz zu GABA nicht an GABAA- satztherapie von fokalen Anfällen zugelassen.
oder GABAB-Rezeptoren. Der Wirkmechanis- Außerdem wird es bei generalisierten Angststö-
mus beruht stattdessen auf der Bindung an die rungen (Ⴉ Kap. 10.4) angewandt.
auxiliären α2δ-1- und α2δ-2-Untereinheiten von Wie Gabapentin wird auch Pregabalin unver-
spannungsabhängigen Ca2+-Kanälen (L-, N- ändert renal eliminiert. Die Nebenwirkungen
und P/Q-Typ). Diese Untereinheiten werden in entsprechen weitgehend denen von Gabapentin.
Subpopulationen von Neuronen des zentralen
Ethosuximid und Mesuximid. Die beiden Suc-
und peripheren Nervensystems exprimiert, ins-
cinimide Ethosuximid (z. B. Petnidan®) und
besondere im Cortex, Cerebellum, Hippocam-
Mesuximid (Petinutin®) wirken antikonvulsiv
pus, Putamen und Hinterhorn des Rücken-
durch Hemmung spannungsabhängiger T-Typ-
marks. Durch die Bindung von Gabapentin an
Ca2+-Kanäle (insbesondere in thalamo-kortika-
die α2δ-Untereinheiten wird u. a. die Ca2+-ver-
len Neuronen), die v. a. bei der Entstehung von
mittelte Ausschüttung von Neurotransmittern
Absencen eine wichtige Rolle spielen. Abhängig
reduziert.
vom Membranpotenzial des Neurons verhin-
Gabapentin ist als Monotherapeutikum und
dern sie durch ihren Angriff an Ca2+-Kanälen
zur Zusatztherapie bei fokalen Anfällen zugelas-
die Ausbildung niederschwelliger Ca2+-Spikes
sen. Außer als Antikonvulsivum wird es zur
und wirken so der Entstehung von Absencen
Therapie peripherer neuropathischer Schmer-
entgegen.
zen (Ⴉ Kap. 12.1.8) eingesetzt.
Ethosuximid ist bei Epilepsien mit Absencen
Gabapentin wird nicht metabolisiert und un-
gut wirksam und gilt bei diesen neben Valproin-
verändert über die Niere ausgeschieden. Gleich-
säure als Mittel der Wahl. Mesuximid wird ange-
zeitige Einnahme mit Magnesium- oder Alumi-
wendet bei Absencen im Rahmen gemischter
nium-haltigen Antazida verringert die Resorpti-
Epilepsien sowie als Reservemittel. Beide Sub-
on von Gabapentin.
stanzen besitzen keine Wirkung bei Grand-mal-
Häufige Nebenwirkungen sind zentralner-
Symptomatik.
vöse Störungen (z. B. Somnolenz, Schwindel,
Als Nebenwirkungen werden bei Ethosux-
Ataxie – z. T. mit unfallbedingten Verletzun-
imid häufig gastrointestinale Störungen beob-
gen), Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Feindselig-
achtet. Bei Mesuximid treten ebenfalls häufig
keit, Denkstörungen, Angst), Leukopenie, In-
zentralnervöse Störungen (z. B. Kopfschmerzen,
fektionen (v. a. der Atemwege), gastrointestinale
Schwindel, Sedierung, Sehstörungen), psychia-
Störungen, Vasodilatation, Arthralgie, Myalgie,
trische Erkrankungen (z. B. Reizbarkeit, Eupho-
Impotenz, periphere Ödeme, gesteigerter Appe-
rie), gastrointestinale Störungen und vermin-
tit und Gewichtszunahme.
derter Appetit auf.
Pregabalin. Dieser Wirkstoff leitet sich eben- Valproinsäure erhöht, Carbamazepin ernied-
falls strukturell von GABA ab. Wie Gabapentin rigt die Plasmaspiegel von Succinimiden.
16.2 Antikonvulsiva (Antiepileptika) 173

16.2.3 Vorwiegend die Wirkung Primidon. Das Desoxybarbiturat Primidon


von GABA verstärkende Anti- (z. B. Mylepsinum®) wird im Organismus zu
konvulsiva zwei aktiven Metaboliten, Phenobarbital (s. o.)
Benzodiazepine. Als Antikonvulsiva werden und Phenylethylmalonamid, biotransformiert.
von den Benzodiazepinen (Ⴉ Kap. 11.3.1) v. a. Die Indikationen, Kontraindikationen und
Clobazam (Frisium®), Clonazepam (z. B. Rivo- Interaktionen gleichen denen von Phenobarbi-
tril®), Diazepam (Generika) und Lorazepam tal. Als Nebenwirkungen treten zusätzlich zu
(z. B. Tavor®) eingesetzt. Dabei dienen sie in ers- den bei Phenobarbital genannten Störungen
ter Linie zur akuten Unterbrechung eines epi- häufig Teilnahmslosigkeit, Akkommodations-
leptischen Geschehens (Status epilepticus u. a.). störungen, Übelkeit, Erbrechen, megaloblasti-
Clonazepam, das eine etwas stärker ausgeprägte sche Anämie und Veränderungen im Calcium-
antikonvulsive Wirkung hat, ist darüber hinaus und Vitamin-D-Stoffwechsel auf.
bei myoklonischen und atonischen Anfällen in-
Vigabatrin. Vigabatrin (Sabril®) ist ein GABA-
diziert. Nur in Ausnahmefällen werden Benzo-
Derivat, das die für den GABA-Abbau verant-
diazepine zur Langzeitbehandlung eingesetzt.
wortliche GABA-Transaminase irreversibel
Nachteilig ist, dass ihre Wirkstärke bei Dauer-
hemmt und damit die GABA-Konzentration er-
therapie erheblich abnimmt.
höht. Es ist als Monotherapeutikum bei West-
Nebenwirkungen, Kontraindikationen und
Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie) zuge-
Interaktionen sind in Ⴉ Kap 11.3.1 dargestellt.
lassen, einer seltenen und schwer zu behandeln-
Phenobarbital. Barbiturate wie Phenobarbital den generalisierten Epilepsie bei Säuglingen.
(z. B. Luminal®) sind – wie Benzodiazepine – al- Ferner dient es als Zusatztherapeutikum bei fo-
losterische Agonisten an GABAA-Rezeptoren kalen Anfällen von Erwachsenen, bei denen alle
(Ⴉ Kap. 11.3.1). Phenobarbital ist zugelassen zur anderen Arzneimittelkombinationen nicht aus- 16
Therapie verschiedener Formen der Epilepsie. reichend wirksam waren oder nicht vertragen
Aufgrund der häufigen Nebenwirkungen wird wurden.
es bei Epilepsie nicht mehr als Mittel der ersten Als Nebenwirkungen werden relativ häufig
Wahl empfohlen. persistierende Gesichtsfeldeinengungen (bei
Als Nebenwirkungen sind vor allem die zen- etwa einem Drittel der Patienten!) sowie Sedie-
tralnervösen Effekte mit Müdigkeit, kognitiven rung, Benommenheit, Müdigkeit und Konzen-
Störungen, Schwindel und Ataxie zu nennen, trationsschwierigkeiten beobachtet. Aufgrund
die bei den meisten Patienten schon bei thera- der Gefahr der Gesichtsfeldeinengung hat Viga-
peutischen Plasmaspiegeln auftreten. Außer- batrin nur noch Bedeutung als Reservemittel bei
dem besteht die Gefahr schwerer Nebenwirkun- der Behandlung des West-Syndroms.
gen an der Haut (Stevens-Johnson-Syndrom)
Tiagabin. Tiagabin (Gabitril®) hemmt selektiv
sowie – v. a. bei Überdosierung – einer lebensbe-
die Wiederaufnahme von GABA aus dem syn-
drohlichen Atemdepression.
aptischen Spalt und verstärkt damit die GABA-
Bei akuten Intoxikationen mit zentral-
Wirkung (Ⴜ Abb. 16.1). Es ist zur Zusatzbehand-
dämpfenden Stoffen, schweren Leber-, Myo-
lung bei Patienten mit fokalen und sekundär ge-
kard- und Nierenstörungen, Porphyrie und
neralisierten tonisch-klonischen Anfällen zuge-
Schockzuständen ist Phenobarbital kontraindi-
lassen, die mit anderen Antikonvulsiva nicht
ziert. Als starker Enzyminduktor verringert es
ausreichend behandelbar sind.
infolge beschleunigter Biotransformation u. a.
Als Nebenwirkungen treten häufig zen-
die Wirkung von Carbamazepin, Lamotrigin,
tralnervöse Störungen (z. B. Müdigkeit, Schwin-
Phenytoin, Tiagabin und Valproinsäure, ferner
del, Tremor, Konzentrationsstörungen, emotio-
die von oralen Antikoagulanzien, Doxycyclin,
nale Labilität) sowie Diarrhö und kleinflächige
Verapamil, Theophyllin und Steroiden.
Hautblutungen (Ekchymosen) auf. Da die Bio-
174 16 Antikonvulsiva

transformation vor allem durch CYP3A4 er- len. Außerdem verstärkt es GABAA-Rezeptor-
folgt, kann es zu CYP3A4-bedingten Interaktio- vermittelte GABA-Wirkungen, ohne jedoch mit
nen kommen. Tiagabin ist jedoch kein CYP-En- der Benzodiazepin- oder Barbiturat-Bindungs-
zyminduktor. stelle zu interagieren.
Topiramat wird bei fokalen sowie generali-
16.2.4 Antikonvulsiva mit weiteren sierten Epilepsien als Mono- oder Zusatzthera-
Wirkungsmechanismen peutikum angewandt. In klinischen Studien war
Levetiracetam. Levetiracetam (z. B. Keppra®) es bei verschiedenen Formen der Epilepsie wirk-
bindet an das synaptische Vesikelprotein 2A sam, aber auch relativ schlecht verträglich. Ne-
(SV2A), das an der Vesikelfusion und der Exo- ben Epilepsien ist es zur Prophylaxe von Migrä-
zytose von Neurotransmittern beteiligt ist ne-Kopfschmerzen zugelassen.
(Ⴜ Abb. 16.1). Außerdem bewirkt Levetiracetam Als Nebenwirkungen wurden häufig zen-
in verschiedenen Hirnarealen eine Blockade tralnervöse Störungen (z. B. Parästhesie, Müdig-
spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle (v. a. N- keit, Schwindel, Ataxie, kognitive Beeinträchti-
Typ), eine Hemmung verzögert gleichrichten- gungen, Tremor, Sehstörungen), psychische Er-
dender K+-Kanäle sowie eine Inhibition der krankungen (z. B. Depression), gastrointestinale
Ca2+-Freisetzung aus intrazellulären Speichern. Störungen, eine z. T. ausgeprägte Gewichtsab-
Das Pharmakon ist zur Monotherapie und nahme und – gelegentlich – die Bildung von
Zusatztherapie fokaler Anfälle indiziert. Außer- Nierensteinen beschrieben. Daher sollte auf eine
dem dient es der Zusatzbehandlung von myo- ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet wer-
klonischen und tonisch-klonischen Anfällen. den.
In klinischen Studien war Levetiracetam als Carbamazepin und Phenytoin beschleunigen
Monotherapeutikum bei neu diagnostizierter den Abbau von Topiramat. Andererseits werden
fokaler Epilepsie genauso wirksam wie Carb- die Plasmaspiegel von Phenytoin durch Topira-
amazepin, aber besser verträglich. Als Zusatz- mat erhöht.
therapeutikum bewirkte es bei sonst therapiere- Im Tierversuch war Topiramat teratogen und
sistenten fokalen Epilepsien eine deutliche Sen- Säuglinge, die im ersten Trimester einer Mono-
kung der Anfallshäufigkeit. Daher stellt Levetir- therapie mit Topiramat ausgesetzt waren, zeig-
acetam ein Mittel der ersten Wahl zur Therapie ten ein erhöhtes Risiko für kongenitale Fehlbil-
fokaler Epilepsien dar. dungen (z. B. Lippen-/Gaumenspalte). Daher
Levetiracetam wird teilweise durch enzyma- sollte Topiramat bei Frauen im gebärfähigen Al-
tische Hydrolyse metabolisiert und überwie- ter nur eingesetzt werden, wenn andere Arznei-
gend renal ausgeschieden. In-vivo-Interaktio- mittel unverträglich oder nicht wirksam sind,
nen mit dem Cytochrom-P450-System sind und es muss eine wirksame Verhütungsmethode
nicht beschrieben. sichergestellt sein.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind zen-
Perampanel. Perampanel (Fycompa®) ist ein
tralnervöse Störungen (z. B. Somnolenz, Kopf-
nicht-kompetitiver Antagonist an AMPA-Re-
schmerzen, Schwindel, Tremor), psychiatrische
zeptoren. In klinischen Studien war es als Zu-
Erkrankungen (z. B. Depression, Angst, Aggres-
satztherapeutikum bei Patienten mit therapiere-
sion), gastrointestinale Störungen (z. B. Abdo-
fraktärer Epilepsie wirksam. Dementsprechend
minalschmerzen, Diarrhö), Rash und Nasopha-
ist es angezeigt zur Zusatztherapie bei fokalen
ryngitis.
Anfällen und primär generalisierten tonisch-
Topiramat. Die anfallsunterdrückende Wir- klonischen Anfällen.
kung von Topiramat (z. B. Topamax®) basiert Die Metabolisierung erfolgt maßgeblich über
auf einer Hemmung von AMPA-Glutamatre- CYP3A4, insofern sind CYP3A4-bedingte
zeptoren und spannungsabhängigen Na+-Kanä- Wechselwirkungen zu beachten. Perampanel ist
16.3 Strategien der Pharmakotherapie der Epilepsien 175

kein Induktor von CYP-Enzymen. Die häufigs- Felbamat. Felbamat (Taloxa®) ist ein Antikon-
ten Nebenwirkungen betreffen das ZNS (Mü- vulsivum mit bisher nicht eindeutig geklärtem
digkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Ataxie, Wirkmechanismus. Es ist zugelassen zur Zu-
Sehstörungen), Gewichtszunahme und Übel- satztherapie von Patienten mit refraktärem
keit. Lennox-Gastaut-Syndrom, wenn keine alterna-
tive Behandlung zur Verfügung steht.
Retigabin. Retigabin (Trobalt®) wirkt vorwie-
Gefährliche, teilweise lebensbedrohliche Ne-
gend durch Öffnung der neuronalen K+-Kanäle
benwirkungen sind aplastische Anämien (Häu-
KCNQ2 und KCNQ3, die bei mehreren Epilep-
figkeit 1:4000) und toxische Hepatopathien
sieformen mutiert sind. Als Folge wird das
(Häufigkeit etwa 1:7000). Daher sind Blutbild-
Ruhemembranpotenzial stabilisiert und es
und Transaminasenkontrollen alle zwei Wochen
kommt zur Kontrolle der elektrischen Erregbar-
erforderlich. Außerdem kommen Müdigkeit,
keit unterhalb der Erregungsschwelle. Dadurch
Schwindel, Ataxie, Kopfschmerzen und Schlaf-
wird die Auslösung von epileptiformen Aktions-
störungen sowie Appetitlosigkeit vor. Bei Pati-
potenzialentladungen verhindert. Angezeigt ist
enten mit in der Anamnese bekannten Blut-
Retigabin als Zusatztherapie bei fokalen
oder Lebererkrankungen sowie bei Patienten
Anfällen.
mit Niereninsuffizienz ist Felbamat kontraindi-
Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel,
ziert.
Müdigkeit, Verwirrtheitszustände, Aphasie,
Tremor, Koordinations-, Gleichgewichts-, Ge-
dächtnis- und Gangstörungen sowie Ver-
16.3 Strategien der Pharmako-
schwommensehen und Obstipation. Das Poten-
therapie der Epilepsien
zial für Wechselwirkungen mit anderen Wirk-
stoffen ist gering.
Bei selten auftretenden epileptischen Anfällen 16
Sultiam. Sultiam (Ospolot®) ist ein Antikonvul- (< 2 pro Jahr) oder geringfügigen, die Lebens-
sivum ohne sedativ-hypnotische Komponente. qualität wenig belastenden Anfällen ist eine
Als Hemmstoff der Carboanhydratase beruht medikamentöse Behandlung nicht zwingend er-
seine Wirkung wahrscheinlich zumindest teil- forderlich. Nach mehreren Anfällen oder bei
weise auf einem Stoffwechseleffekt in Richtung Vorliegen einer erhöhten Epileptogenität sollte
auf eine azidotische Stoffwechsellage. Sultiam dagegen eine Pharmakotherapie mit Antikon-
wird bei der Rolando-Epilepsie, einer im Klein- vulsiva begonnen werden, da mit einer chroni-
kindes- und Schulalter auftretenden Epilepsie- schen Anfallsdisposition gerechnet werden
form mit großer Selbstheilungstendenz einge- muss und das Unterlassen der Therapie mit ei-
setzt, wenn die Behandlung mit anderen Anti- nem hohen Gefährdungsrisiko einhergeht.
konvulsiva erfolglos war. Die Behandlung sollte grundsätzlich mit ei-
Als Nebenwirkungen werden häufig Magen- ner Monotherapie eingeleitet werden. Das Anti-
beschwerden, Parästhesien, Schwindel, Kopf- konvulsivum muss dabei für jeden Patienten in-
schmerzen, Gewichtsverlust, Tachykardie, sowie dividuell ausgewählt werden, wobei Wirkstärke,
Atemstörungen (Tachy-, Hyper-, Dyspnoe) be- Pharmakokinetik, Nebenwirkungsprofil und
obachtet. Sultiam ist kontraindiziert bei bekann- Teratogenität der Wirkstoffe ebenso zu berück-
ter akuter Porphyrie, bei Patienten mit Hyper- sichtigen sind wie Komedikation, Begleiterkran-
thyreose oder arterieller Hypertonie. Bei einer kungen und Lebensstil des Patienten.
Kombination von Sultiam mit Phenytoin wird Bei fokalen Epilepsien ist die antikonvulsive
der Phenytoinabbau in der Leber gehemmt und Wirksamkeit von Carbamazepin, Lamotrigin,
dadurch der Phenytoin-Plasmaspiegel erhöht. Levetiracetam, Oxcarbazepin, Phenobarbital,
176 16 Antikonvulsiva

Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure und Zoni- Ist eine Therapie auch mit einer Kombination
samid als Monotherapeutika weitgehend ver- nicht erfolgreich, ist die Frage der Operabilität
gleichbar. Starke Enzyminduktoren wie Carb- zu prüfen. Eine Indikation für einen Epilepsie-
amazepin, Phenobarbital und Phenytoin sind chirurgischen resektiven Eingriff besteht prin-
jedoch grundsätzlich von Nachteil, da nicht nur zipiell bei Patienten mit ausgeprägter, pharma-
mit zahlreichen pharmakologischen Interaktio- koresistenter Epilepsie.
nen sondern auch mit negativen Effekten auf Bei (geplanter) Schwangerschaft von Epilep-
den Knochenstoffwechsel gerechnet werden siepatientinnen ist zu beachten, dass das Risiko
muss. Unter Berücksichtigung des Interaktions- einer teratogenen Schädigung bei Kindern von
potenzials, der Verträglichkeit und der Evidenz unbehandelten Epileptikerinnen höher ist als
aus klinischen Studien werden derzeit Lamotri- bei Kindern gesunder Frauen. Da andererseits
gin und Levetiracetam als Mittel der ersten auch Antikonvulsiva ein teratogenes Potenzial
Wahl bei fokalen Epilepsien empfohlen. besitzen, ist es nicht verwunderlich, dass die
Bei generalisierten oder unklassifizierbaren Häufigkeit von Missbildungen bei Kindern von
Epilepsien sind Valproinsäure und Topiramat behandelten Epileptikerinnen höher ist als bei
vergleichbar gut wirksam, während Lamotrigin der Gesamtbevölkerung. Eine Nicht-Behand-
etwas schwächer aktiv ist. Aufgrund der etwas lung birgt für den Embryo allerdings meist ein
besseren Verträglichkeit wird Valproinsäure als höheres Risiko als die medikamentöse Behand-
Mittel der ersten Wahl empfohlen. lung der Epilepsie. Eine Schwangerschaft ist so-
Absence-Epilepsien des Schulalters können mit keine generelle Indikation zum Abbruch ei-
mit Ethosuximid oder Valproinsäure therapiert ner Therapie mit Antikonvulsiva.
werden, wobei Ethosuximid meist besser ver- Der Status epilepticus stellt einen lebensbe-
träglich ist. drohlichen Notfall dar, der mit einer erhebli-
Bei inadäquatem Ansprechen auf ein erstes chen Morbidität und Letalität einhergeht. Er er-
Monotherapeutikum wird ein zweites Präparat fordert eine sofortige intravenöse Therapie mit
oder eine Kombinationstherapie mit zwei einem Benzodiazepin, präferenziell Lorazepam
Wirkstoffen versucht. Eine Monotherapie mit (0,05 mg/kg). Falls eine intravenöse Applikation
einem zweiten Antikonvulsivum hat vor allem nicht möglich ist, wird die intranasale oder buk-
dann Aussicht auf Erfolg, wenn das erste Phar- kale Verabreichung von Midazolam (0,15–
makon nebenwirkungsbedingt nicht ausrei- 0,2 mg/kg) oder Lorazepam, alternativ die rekta-
chend hoch dosiert werden konnte. Bei der le Gabe von Diazepam (0,5 mg/kg) empfohlen.
Kombination sind vorzugsweise Wirkstoffe mit Bei Nichtansprechen auf die initiale Therapie
unterschiedlichem Wirkmechanismus einzuset- mit Benzodiazepinen können alternativ Phe-
zen. Mit dem ersten Antikonvulsivum kann bei nytoin (20 mg/kg), Valproinsäure (20–30 mg/
ca. 50 % der Patienten eine Anfallsfreiheit erzielt kg), Levetiracetam (30–60 mg/kg) oder Pheno-
werden, nach Änderungen der Medikation barbital (20 mg/kg) intravenös verabreicht wer-
(Mono- oder Kombinationstherapie) bei weite- den. Kann der Status epilepticus auch damit
ren ca. 20 %. Etwa 60 % aller Patienten müssen nicht durchbrochen werden, sollten eine Intuba-
lebenslang Antikonvulsiva einnehmen. tion und Narkose erwogen werden.
177

17 Antiparkinsonmittel

17.1 Pathophysiologische Nucleus subthalamicus die Folge. Dies bewirkt


Grundlagen ein Ungleichgewicht zu Gunsten anderer Über-
trägerstoffe wie GABA und Glutamat, ferner
Das Parkinson-Syndrom ist nach dem Morbus wird die inhibitorische GABAerge Aktivität der
Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerati- zum Thalamus projizierenden Neurone ver-
ve Erkrankung. Die Erkrankungshäufigkeit stärkt. Infolgedessen nimmt die exzitatorische
nimmt mit dem Lebensalter zu (Prävalenz ca. glutamaterge Aktivität der vom Thalamus auf
0,3 % in der Gesamtbevölkerung und ca. 1 % bei den Cortex projizierenden Bahnen ab.
den über 60-Jährigen). Mit der allgemein stei- Ein bei Morbus Parkinson beginnender Ver-
genden Lebenserwartung werden diese Zahlen lust dopaminerger Neurone kann zunächst noch
weiter ansteigen. funktionell ausgeglichen werden, obwohl die 17
Ätiopathogenetisch entscheidend ist (mit absterbenden Zellen nicht ersetzt werden. Ab ei-
Ausnahme der durch Pharmaka ausgelösten nem gewissen Stadium gelingt dies jedoch nicht
Form, s. u.) ein fortschreitender Verlust dop- mehr, sodass die motorischen Kontrollinstanzen
aminhaltiger Neurone, v. a. in der Substantia im Thalamus, in den Basalganglien und im Cor-
nigra. Diese wegen des hohen Eisen- und Mela- tex nicht mehr als koordiniertes Ganzes funktio-
ningehalts dunkel gefärbte Region im Mittelhirn nieren und die Symptome des Parkinson-Syn-
ist ein Bestandteil der Basalganglien, die maß- droms auftreten.
geblich an der spezifischen Selektion und Pro- Zu den Kardinalsymptomen des Parkinson-
zessierung von motorischen und nicht-motori- Syndroms zählen Akinese sowie Rigor, Ruhetre-
schen Handlungsmustern beteiligt sind sowie mor und/oder posturale Instabilität (Standunsi-
aktuell nicht geforderte Aktivierungsmuster un- cherheit). Zusätzlich treten fakultative Begleit-
terdrücken. symptome auf, insbesondere vegetative (z. B.
Einen wichtigen Modulationsweg innerhalb Störungen von Blutdruck, Temperaturregulati-
der Basalganglien stellt die von den Neuronen on, Blasen- und Darmfunktion, vermehrter
der Substantia nigra ausgehende dopaminerge Speichelfluss), sensorische (z. B. Dysästhesien,
Projektion zum Putamen dar. Deren Störung Schmerzen), psychische Symptome (z. B. De-
infolge einer Degeneration von Neuronen löst pression), Schlafstörungen, sowie kognitive Be-
das Parkinson-Syndrom aus. Tritt ein Dop- einträchtigungen bis hin zur Demenz.
aminmangel auf, sind Alterationen der Entla- Die verschiedenen Formen des Parkinson-
dungsaktivität von Putamen-Neuronen und Syndroms werden im Wesentlichen unterteilt in
nachgeschalteter Neurone im Pallidum und das idiopathische mit unklarer Ursache (ca.
178 17 Antiparkinsonmittel

75 % aller Erkrankungsfälle), das genetisch be- carboxylaseblocker (Levodopa plus Benserazid,


dingte, das atypische im Rahmen anderer neu- z. B. Madopar®; Levodopa plus Carbidopa, z. B.
rodegenerativer Erkrankungen und das sympto- Nacom®) kann nicht nur die sonst erforderliche
matische (sekundäre) Parkinson-Syndrom, das Levodopa-Dosis auf ein Fünftel reduziert wer-
u. a. infolge von Vergiftungen (z. B. mit Kohlen- den, sondern es lassen sich auch periphere Ne-
monoxid), Enzephalitis, Tumoren, posttrauma- benwirkungen von Levodopa deutlich verrin-
tisch oder medikamenteninduziert (z. B. durch gern (Ⴜ Abb. 17.2). Das Ansprechen auf die Gabe
Antipsychotika, Lithium, Valproat, Cinnarizin, von Levodopa gehört auch zu den bestätigenden
Flunarizin) auftritt. Im Gegensatz zu den ande- diagnostischen Kriterien für ein idiopathisches
ren Formen ist das medikamenteninduzierte Parkinson-Syndrom (Levodopa-Test).
Parkinson-Syndrom nach Absetzen des Phar- Unter einer mehrjährigen Behandlung än-
makons meist reversibel. dert sich allerdings die Wirksamkeit von Levo-
dopa. Während in den ersten Behandlungsjah-
ren die Levodopa-Gabe eine anhaltende und
17.2 Antiparkinsonmittel weitgehend gleichmäßige Beweglichkeit ge-
währleistet, kommt es bei den meisten Patienten
Zur symptomatischen Pharmakotherapie des nach einigen Jahren zu sog. Fluktuationen, d. h.
Parkinson-Syndroms werden verschiedene zu Wirkungsschwankungen. Kennzeichnend ist
Wirkstoffgruppen verwendet, deren wichtigste der plötzliche Wechsel von guter Beweglichkeit
Vertreter in Ⴜ Abb. 17.1 und ႒ Tab. 17.1 darge- und Akinese (On-off-Phänomen). Zusätzlich zu
stellt sind. den Fluktuationen können Dyskinesien mit
choreatischen Bewegungsstörungen (Levodo-
17.2.1 Levodopa (l-Dopa) pa-induzierten Dyskinesien) auftreten. Als Ur-
Das wirksamste Pharmakon zur Therapie des sache der Wirkungsschwankungen wird neben
idiopathischen Parkinson-Syndroms ist Levo- dem fortschreitenden Verlust dopaminerger
dopa (l-Dopa). Die naheliegende Behandlung Neurone, der durch Levodopa nicht aufgehalten
mit dem nicht mehr ausreichend gebildeten wird, auch eine geänderte Rezeptorsensibilität
Neurotransmitter Dopamin ist deshalb nicht und -kinetik diskutiert. Trotz dieser Einschrän-
möglich, weil dieses die Blut-Hirn-Schranke kungen wird durch Levodopa die Lebenserwar-
nicht überwinden kann. Für die Aminosäure tung der Parkinsonkranken infolge der Abnah-
Levodopa, der endogenen Dopamin-Vorstufe, me krankheitsbedingter Komplikationen gestei-
existiert dagegen ein aktiver Transporter, der gert.
diese durch die Blut-Hirn-Schranke in das Ge- Levodopa konkurriert bei der Aufnahme ins
hirn transportiert (Ⴜ Abb. 17.1). Dort wird Levo- Blut und ins ZNS mit neutralen Aminosäuren
dopa in noch intakte dopaminerge Neurone, um aktive Transportmechanismen in der Darm-
daneben aber auch in andere Hirnareale, auf- wand und der Blut-Hirn-Schranke. Proteinrei-
genommen. Durch Einwirkung von Dopa- che Nahrung kann daher zu niedrigeren Plas-
Decarboxylase entsteht dann die eigentliche maspiegeln von Levodopa und einer verminder-
Wirksubstanz Dopamin. Da bei alleiniger Gabe ten zerebralen Verfügbarkeit führen. Levodopa
von Levodopa jedoch über 90 % der applizierten sollte daher immer zeitlich versetzt von der
Dosis bereits in der Peripherie decarboxyliert Mahlzeit eingenommen werden.
werden, verhindert man diese Biotransformati- Als von der Dosis und der Behandlungsdauer
onsreaktion außerhalb des Zentralnervensys- abhängige Nebenwirkungen treten motorische
tems mittels Benserazid oder Carbidopa, wel- Symptome (Dys- und Hyperkinesien), vegetati-
che die Blut-Hirn-Schranke nicht permeieren ve Störungen (Übelkeit, Brechreiz, orthostati-
können. Durch die gleichzeitige Gabe von Levo- sche Beschwerden) und neuropsychiatrische
dopa mit einem dieser peripher wirkenden De- Veränderungen (Schlaflosigkeit, Unruhe, Tages-
17.2 Antiparkinsonmittel 179

Striatum

dopaminerge
nigrostriatales Neuron Agonisten

K+

Substantia
nigra Selegilin, Ca2+
Rasagalin, cAMPൻ
Safinamid MAO- Hemmung
B AC

Gi
D2
striatales GABAerges
Dopamin Neuron, cholinerges
Interneuron
DDC
Benserazid,
Carbidopa DAT
Levodopa

Gs
Entacapon, striatales GABAerges
Tolcapon D1 Neuron
AC
DDC Exzitation
Levodopa Levodopa cAMP൹
COMT
3-OMD

periphere Gewebe 17
Aminosäure-Transport über
die Blut-Hirn-Schranke
Niere

Levodopa
Leber

Ⴜ Abb. 17.1 Wirkungsmechanismen wichtiger Antiparkinsonmittel. Dopamin hemmt GABAerge Neurone


und cholinerge Interneurone über D2-Rezeptoren (D2) und aktiviert GABAerge Neurone über D1-Rezepto-
ren (D1). Dopaminerge Agonisten stimulieren bevorzugt D2-Rezeptoren. Benserazid und Carbidopa hem-
men in peripheren Geweben (Ⴜ Abb. 17.2) durch Blockade der Dopamindecarboxylase (DDC) die Um-
wandlung von Levodopa in Dopamin. Entacapon und Tolcapon verhindern durch COMT-Hemmung den
Abbau von Levodopa in 3-O-Methyldopa (3-OMD). Selegilin, Rasagilin und Safinamid hemmen durch
Blockade von Monoaminoxidase-B (MAO-B) den Abbau von Dopamin in Neuronen des ZNS. AC Adenylyl-
cyclase, DAT Dopamin-Transporter

müdigkeit, Psychosen, dopaminerges Dysregu- krankungen sowie Schizophrenien. Antipsycho-


lationssyndrom sowie – selten – Impulskontroll- tika schwächen die Levodopa-Wirkung ab, An-
störungen, Ⴉ Kap. 17.2.4.1) auf. tihypertonika können vermehrt orthostatische
Kontraindikationen sind dekompensierte en- Störungen auslösen. Die Gabe von Vitamin B6
dokrine, renale, hepatische und kardiale Er- führt infolge gesteigerter Decarboxylaseaktivität
180 17 Antiparkinsonmittel

႒ Tab. 17.1 Antiparkinsonmittel


INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)

Levodopa-Kombinationen Apomorphin 3–30 s. c. mg (0,5 h)


(z. B. APO-go®)
Levodopa + Benserazid 50 + 12,5 mg bis
(z. B. Madopar®) 800 + 200 mg (1,5 h) Dopaminerge Agonisten: Ergot-Derivate

Levodopa + Carbidopa 50 + 12,5 mg bis Bromocriptin 2,5–30 mg (1–38 h)


(z. B. Nacom®) 800 + 200 mg (1,5 h) (z. B. Pravidel®)

COMT-Hemmer
Cabergolin 0,5–3 mg (63–68 h)
Entacapon (Comtess®) 200–2000 mg (z. B. Cabaseril®)
(22,5 h)
Lisurid (Dopergin®) 0,1–2 mg (10–23 h)
Tolcapon (Tasmar®) 300–600 mg
Pergolid (z. B. Parkotil®) 0,05–3 mg (7–16 h)
(1,5–3 h)

MAO-B-Hemmer Zentral wirksame Anticholinergika

Selegilin 5–20 mg (1 h) Biperiden 6–12 mg (18 h)


(z. B. Antiparkin®) (z. B. Akineton®)

Rasagilin (AZILECT®) 1 mg (1 h) Bornaprin (Sormodren®) 6–12 mg (5 h)

Safinamid (Xadago®) 50–100 mg (20–30 h) Procyclidin (Osnervan®) 10–20 mg (12 h)

Dopaminerge Agonisten: Non-Ergot-Derivate Trihexyphenidyl 6–16 mg (6–10 h)


(Artane®)
Ropinirol (z. B. REQUIP®) 1–24 mg (6 h)

Pramipexol (z. B. Sifrol®) 0,26–3,3 mg (8–12 h) Sonstige

Piribedil (Clarium®) 50–250 mg (12 h) Amantadin (z. B. PK- 200–600 mg (10–


Merz®) 30 h)
Rotigotin (z. B. Neupro®) 2–16 mg transdermal
(5–7 h) Budipin (Parkinsan®) 30–60 mg (31 h)

zu einem teilweisen Wirkungsverlust von Levo- nige Gabe von COMT-Hemmern ist dagegen
dopa. Die Wirkung von Noradrenalin und Ad- wirkungslos.
renalin wird durch Levodopa verstärkt. Entacapon hemmt die COMT in erster Linie
in der Peripherie, während Tolcapon sie sowohl
17.2.2 COMT-Hemmer peripher als auch im ZNS inhibiert. Für die er-
Zu der Stoffgruppe der Catechol-O-Methyl- wünschten Effekte steht bei beiden Wirkstoffen
Transferase (COMT)-Hemmer (Ⴜ Abb. 17.1) ge- jedoch die periphere Wirkung im Vordergrund,
hören Entacapon (z. B. Comtess®) und Tolca- da COMT im ZNS vor allem in Gliazellen loka-
pon (Tasmar®). Durch die Blockade dieses En- lisiert ist und dopaminerge Neurone nur wenig
zyms wird die Methylierung von Levodopa an bis keine COMT-Aktivität aufweisen.
der m-ständigen phenolischen OH-Gruppe zu COMT-Hemmer sind zugelassen zur Kombi-
unwirksamen Metaboliten verhindert und da- nationstherapie mit Levodopa und einem De-
mit die Levodopa-Wirkung verstärkt. Die allei- carboxylaseblocker, falls „end-of-dose“-Fluktu-
ationen auftreten.
17.2 Antiparkinsonmittel 181

Therapie mit Levodopa Therapie mit Levodopa +


Decarboxylasehemmer

DDC
DDC

Blut-Hirn- Blut-Hirn-
Schranke Schranke

Benserazid,
DDC

DDC
Carbidopa

Nebenwirkungen: Nebenwirkungen:
Gastrointestinal: ~50 % Gastrointestinal: ~10 %
Kardiovaskulär: ~20 % Kardiovaskulär: ~5 % 17

Levodopa Dopamin Andere biogene Amine

Ⴜ Abb. 17.2 Unterschiede in der Umwandlung von Levodopa in Dopamin ohne und in Gegenwart eines
peripher wirkenden Dopa-Decarboxylase-(DDC)-Hemmers und Auswirkungen auf die Dosierung und Ne-
benwirkungen. Nach Birkmayer und Kapp

Als Nebenwirkungen einer Therapie mit mittel (einschließlich Entacapon) nicht ausrei-
Entacapon oder Tolcapon sind vor allem ver- chend wirksam sind oder nicht vertragen wer-
stärkte unerwünschte Levodopa-Wirkungen zu den. Wird Tolcapon in diesen Fällen als Mittel
nennen. Weiterhin treten häufig Diarrhöen (oft der 2. Wahl eingesetzt, darf dies nur unter stren-
erst einige Monate nach Therapiebeginn) sowie ger Kontrolle der Leberfunktion erfolgen.
eine dunkle Verfärbung des Urins auf. Bei Leberinsuffizienz, Phäochromozytom
Da es bei Tolcapon zusätzlich zu schweren, und malignem neuroleptischem Syndrom sind
z. T. tödlichen Leberschädigungen kam, wurde COMT-Hemmer kontraindiziert. Außerdem
es vorübergehend aus dem Handel genommen. sollten sie nicht zusammen mit nichtselektiven
Seine Wiederzulassung erfolgte nur für das fort- MAO-Hemmern oder mit Wirkstoffen, die
geschrittene Stadium des idiopathischen Par- durch COMT metabolisiert werden (z. B. Nor-
kinson-Syndroms, wenn andere Antiparkinson- adrenalin oder Adrenalin), angewandt werden.
182 17 Antiparkinsonmittel

17.2.3 MAO-B-Hemmer Muskelschmerzen, grippeähnliche Symptome,


Eine weitere Möglichkeit, die Dopamin-Kon- Rhinitis, Konjunktivitis und Dermatitis be-
zentration an den zentralen dopaminergen Re- schrieben. Bei Kombination mit Levodopa kann
zeptoren zu erhöhen, besteht in der Hemmung eine Verstärkung der durch dieses ausgelösten
der Monoaminoxidase B (MAO-B). Die beiden unerwünschten Effekte auftreten.
bekannten Isoformen MAO-A und MAO-B un- Selegilin ist bei eingeschränkter Leber- und
terscheiden sich hinsichtlich ihrer Gewebeex- Nierenfunktion sowie peptischen Ulzera, Rasa-
pression und Substratspezifität. MAO-B vermit- gilin bei stark eingeschränkter Leberfunktion
telt den Abbau von Dopamin sowie die Deami- kontraindiziert. Beide MAO-B-Hemmer sollten
nierung von Beta-Phenylethylamin, welches die nicht gemeinsam mit anderen MAO-Hemmern,
Dopaminfreisetzung stimuliert und die neuro- Serotonin-Wiederaufnahmehemmern oder Se-
nale Wiederaufnahme von Dopamin inhibiert. rotoninagonisten angewandt werden, da sonst
Eine Hemmung von MAO-B resultiert daher in die Gefahr der Auslösung eines Serotoninsyn-
einem Anstieg der synaptischen Dopamin-Kon- droms besteht.
zentration. Durch die MAO-B-Blockade wird
außerdem die Bildung von reaktiven Sauer- 17.2.3.2 Safinamid
stoffspezies verringert. Safinamid (Xadago®) ist ein reversibler MAO-
Zu den MAO-B-Hemmern (Ⴜ Abb. 17.1) zäh- B-Hemmer, der zusätzlich spannungsgesteuerte
len Selegilin, Rasagilin und Safinamid. Wäh- Natriumkanäle und N-Typ-Calciumkanäle
rend Selegilin und Rasagilin selektive MAO-B- hemmt, wodurch die Freisetzung von Glutamat
Hemmer sind, beeinflusst Safinamid neben inhibiert wird. Inwieweit diese nicht-dop-
MAO-B auch nicht-dopaminerge Effektoren. aminergen Effekte zu den erwünschten klini-
schen Wirkungen dieser Substanz beitragen, ist
17.2.3.1 Selegilin, Rasagilin bisher nicht geklärt.
Die Blockade der MAO-B ist bei Selegilin (z. B. Safinamid ist zugelassen als Zusatztherapeu-
Antiparkin®) zunächst kompetitiv, später durch tikum zu Levodopa bei Patienten mit Parkin-
kovalente Bindung an das Enzym irreversibel, son-Syndrom in mittleren bis späten Krank-
bei Rasagilin (AZILECT®) bereits primär irre- heitsstadien.
versibel. Häufige Nebenwirkungen sind Dyskinesie,
Rasagilin und Selegilin sind zur Monothera- Somnolenz, Schwindel, Kopfschmerzen, Kata-
pie in der Frühphase der Parkinson-Erkrankung rakt, orthostatische Hypotonie und Übelkeit.
sowie als Zusatztherapeutika (zusammen mit Weiterhin können die Nebenwirkungen von Le-
Levodopa) bei Patienten mit „end-of-dose“- vodopa verstärkt werden. Safinamid sollte nicht
Fluktuationen zugelassen. gemeinsam mit anderen MAO-Hemmern, Sero-
Beide Substanzen besitzen eine geringe Halb- tonin-Wiederaufnahmehemmern oder Seroto-
wertszeit (ca. 1 Stunde), jedoch hält die Wirkung ninagonisten eingenommen werden.
infolge irreversibler Blockade der MAO-B über
1–3 Tage an. Nach Einnahme von Selegilin kann 17.2.4 Dopaminerge Agonisten
es zu positiven Befunden beim Drogenscreening Insbesondere bei jüngeren Patienten stellen
kommen, da es zu (–)-Methamphetamin und dopaminerge Agonisten, deren Hauptwirkung
(–)-Amphetamin biotransformiert wird. auf der Stimulation von D2-Rezeptoren beruht,
Als Nebenwirkungen von Selegilin werden das Mittel der ersten Wahl zur Therapie des Par-
häufig Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit kinson-Syndroms dar. Die verschiedenen Wirk-
und Bradykardie beobachtet. Gelegentlich tre- stoffe unterscheiden sich außer in ihren phar-
ten supraventrikuläre Arrhythmien und AV- makokinetischen Eigenschaften in der Affinität
Block auf. Nach Gabe von Rasagilin wurden vor und intrinsischen Aktivität an den verschiede-
allem Schwindel, Kopfschmerzen, Depression, nen Dopamin- und anderen Neurotransmitter-
17.2 Antiparkinsonmittel 183

Rezeptoren. Anhand der chemischen Struktur zentrationen werden ein bis zwei Tage nach der
können die verfügbaren dopaminergen Agonis- Pflasterapplikation erreicht und durch die ein-
ten in Ergot-Derivate (d. h. Derivate des Mut- mal tägliche Anwendung, bei der das Pflaster 24
terkorn-Alkaloids Ergotamin) und Non-Ergot- Stunden lang auf der Haut verbleibt, auf einem
Derivate unterteilt werden. stabilen Niveau gehalten.
Vorsicht ist geboten, wenn Patienten Sedativa
17.2.4.1 Non-Ergot-Derivate oder andere das ZNS (Zentralnervensystem)
Zu den Non-Ergot-Derivaten der dopaminer- dämpfende Substanzen (z. B. Benzodiazepine,
gen Agonisten zählen die oral verabreichten Antipsychotika, Antidepressiva) sowie Alkohol
Wirkstoffe Pramipexol, Ropinirol und Piribe- in Kombination mit Rotigotin einnehmen.
dil, das transdermal applizierbare Rotigotin Apomorphin (z. B. APO-go®) ist ein Agonist
und das subkutan anzuwendende Apomorphin. an D1- und D2-Rezeptoren, der zur Behandlung
Die oral bzw. transdermal verabreichten von Fluktuationen, die durch orale Pharmaka
Non-Ergot-Derivate sind indiziert zur Parkin- nicht ausreichend behandelbar sind, verwendet
son-Behandlung entweder als Monotherapeuti- wird. Die Anwendung erfolgt subkutan entwe-
ka, um den Einsatz von Levodopa hinauszuzö- der kontinuierlich mittels einer Pumpe oder als
gern, oder in Kombination mit Levodopa, wenn „Rettungsmedikation“ in Form eines Autoinjek-
die Wirksamkeit von Levodopa nachlässt bzw. tors. Nach der Applikation wird Apomorphin
unbeständig wird. schnell und vollständig aus dem subkutanen Ge-
Pramipexol (z. B. Sifrol®) bindet stärker an webe resorbiert, was mit dem schnellen Einset-
D3- als an D2-Rezeptoren. Es wird fast vollstän- zen der klinischen Wirkung (nach 4–12 min)
dig unverändert über die Nieren ausgeschieden, korreliert. Die Wirkung hält ca. 1 Stunde an.
daher ist bei reduzierter Nierenfunktion Vor- Da Apomorphin während On-Perioden
sicht angezeigt. Außerdem können Medikamen- schwere Dyskinesien auslösen kann, ist es bei
te, welche die tubuläre Sekretion beeinflussen, Patienten, die bereits auf die Gabe von Levodo-
die Ausscheidung von Pramipexol hemmen. pa mit Dyskinesien oder Dystonien reagieren, 17
Dies ist für Cimetidin nachgewiesen und gilt kontraindiziert.
vermutlich auch für andere Arzneistoffe, die ak-
Nebenwirkungen. Da dopaminerge Agonisten
tiv tubulär ausgeschieden werden, z. B. Amanta-
auch an periphere Dopaminrezeptoren binden,
din, Digoxin, Diltiazem, Trimethoprim und
treten im Vergleich zu Levodopa häufiger peri-
Verapamil.
phere Nebenwirkungen auf. Dementsprechend
Ropinirol (z. B. REQUIP®) ist ein D2- und
werden gastrointestinale Symptome (Übelkeit,
D3-Agonist. Da die oxidative Metabolisierung
Erbrechen, Obstipation) und vaskuläre Störun-
hauptsächlich durch CYP1A2 erfolgt, muss bei
gen (orthostatische Dysregulation, periphere
zusätzlicher Einnahme von CYP1A2-hemmen-
Ödeme) häufig beobachtet. Ebenfalls häufig wer-
den Arzneimitteln (z. B. Ciprofloxacin, Enox-
den psychiatrische Störungen (Halluzinationen,
acin oder Fluvoxamin) die Dosis angepasst
abnorme Träume, Erregung, Zerstreutheit) und
werden.
ZNS-Symptome (Impulskontrollstörungen, Ta-
Piribedil (Clarium®) bindet als Agonist mit
gesmüdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen) be-
hoher Affinität an die Dopaminrezeptor-Subty-
richtet. Insbesondere Impulskontrollstörungen,
pen D2 und D3 sowie als Antagonist an
die sich z. B. als pathologische Spielsucht, Hyper-
α-adrenerge inhibitorische Rezeptoren (α2A und
sexualität, zwanghaftes Geldausgeben oder pa-
α2C).
thologisches Essverhalten äußern, können für die
Rotigotin (z. B. Neupro® transdermales
Betroffenen erhebliche Folgen haben.
Pflaster) ist ein D1/D2/D3-Rezeptoragonist. Es
Zur Reduktion der Nebenwirkungen sollten
wird kontinuierlich aus dem Pflaster abgegeben
dopaminerge Agonisten immer langsam ein-
und über die Haut resorbiert. Steady-state-Kon-
184 17 Antiparkinsonmittel

schleichend dosiert werden. Dadurch kann die muss. Weitere Kontraindikationen sind Eng-
volle Wirkung erst nach einigen Wochen er- winkelglaukom, gastrointestinale Stenosen,
reicht werden. Megakolon und Darmatonie.

17.2.4.2 Ergot-Derivate 17.2.6 Amantadin


Die Ergot-Derivate Bromocriptin (z. B. Pravi- Amantadin (z. B. PK-Merz®) ist eine ursprüng-
del®), Cabergolin (z. B. Cabaseril®), Lisurid lich zur Grippeprophylaxe entwickelte Substanz.
(Dopergin®) stimulieren vorwiegend D2-Rezep- Erst später stellte sich heraus, dass es NMDA-
toren, während Pergolid (z. B. Parkotil®) ein D1- Rezeptoren hemmt und somit Glutamatwirkun-
und D2-Agonist ist. gen inhibiert. Zusätzlich erhöht Amantadin
Die Nebenwirkungen gleichen denen der die extrazelluläre Dopaminkonzentration und
Non-Ergot-Derivate (s. o.). Bei Langzeittherapie hemmt die Acetylcholin-Freisetzung im ZNS.
mit Ergot-Derivaten sind jedoch zusätzlich – Es wird meist zusammen mit Levodopa und an-
wenn auch selten – Fibrosen (Lungen-, Pleura-, deren Antiparkinsonmitteln eingesetzt. Beson-
Retroperitoneal- und Herzklappenfibrosen) ders bewährt hat sich die Substanz bei der akine-
aufgetreten. Daher sollten Ergot-Derivate nur tischen Krise.
noch im Ausnahmefall zur Therapie des Parkin- Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel,
son-Syndroms eingesetzt werden, z. B. bei Un- Schlafstörungen, motorische und psychische
verträglichkeit anderer Antiparkinsonmittel. Unruhe, Übelkeit, Mundtrockenheit, orthostati-
sche Dysregulation und die Ausbildung einer
17.2.5 Zentral wirksame Livedo reticularis (Bild einer marmorierten
Anticholinergika Haut), teilweise in Verbindung mit peripheren
Lipophile, tertiäre Muscarinrezeptor-Antago- Ödemen. Sehr selten kann durch Amantadin
nisten (Ⴉ Kap. 20.2.1) stellen die ältesten noch eine lebensbedrohliche Torsades-de-pointes-
verwendeten Antiparkinsonmittel dar. Aus kli- Kammertachykardie ausgelöst werden. Daher
nischen Studien liegen allerdings keine über- müssen vor sowie in den ersten Wochen nach
zeugenden Daten zur Wirksamkeit beim Par- Therapiebeginn EKG-Kontrollen durchgeführt
kinson-Syndrom vor. Dennoch scheinen Anti- werden, und es besteht eine Kontraindikation
cholinergika bei einigen Patienten mit vorherr- bei Patienten mit vorbestehenden kardialen Er-
schendem Ruhetremor klinisch nützlich zu krankungen und Arrhythmien.
sein. Bei Patienten mit eingeschränkter Nieren-
Für die Parkinson-Therapie zugelassen sind funktion kann es zur Akkumulation kommen.
Biperiden (z. B. Akineton®), Bornaprin (Sor- Da Amantadin nur schlecht dialysierbar ist, soll-
modren®), Procyclidin (Osnervan®) und Trihe- te es dialysepflichtigen Patienten nicht verab-
xyphenidyl (Artane®). Der Einsatz dieser Arz- reicht werden.
neistoffe wird durch zentrale und periphere an-
ticholinerge Nebenwirkungen (z. B. kognitive 17.2.7 Budipin
Störungen, Sehstörungen, Mundtrockenheit, Budipin (Parkinsan®) hemmt NMDA-Rezepto-
Tachykardie, Obstipation, Harnverhalt) limi- ren und ist darüber hinaus ein Antagonist an
tiert, die mit zunehmendem Alter häufiger auf- Muskarinrezeptoren. Es verringert insbesonde-
treten. re den Tremor und ist zugelassen zur Kombina-
Bei Parkinsonkranken, die bereits unter tionstherapie bei Parkinsonpatienten ohne
deutlichen psychoorganischen, insbesondere Fluktuationen.
kognitiven Störungen oder exogen-psychoti- Die Nebenwirkungen wie kognitive Störun-
schen Symptomen leiden, sollten Anticholiner- gen, Sehstörungen, Mundtrockenheit, Obstipa-
gika nicht angewandt werden, da mit einer Ver- tion und Harnverhalt beruhen vorwiegend auf
stärkung dieser Symptomatik gerechnet werden der anticholinergen Wirkungskomponente. In
17.3 Strategie der Pharmakotherapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms 185

Einzelfällen wurde über Herzrhythmusstörun- Wirkung oder nicht tolerierbaren Nebenwir-


gen einschließlich Torsades de pointes berichtet. kungen einer Monotherapie mit einem dop-
Daher müssen – wie bei Amantadin (s. o.) – aminergen Agonisten kann eine Kombinations-
EKG-Kontrollen durchgeführt werden und es therapie mit Levodopa durchgeführt werden.
bestehen Kontraindikationen bei Patienten mit Ziel ist in diesem Fall die ausreichende sympto-
vorbestehenden kardialen Erkrankungen und matische Behandlung bei niedriger, aber wirksa-
Arrhythmien. Darüber hinaus ist Budipin bei mer Levodopa-Dosis.
Verwirrtheitszuständen und Myasthenia gravis
Initiale Therapie bei Patienten mit spätem
kontraindiziert.
Krankheitsbeginn (Alter orientierend über 70
Da Budipin über CYP2D6 metabolisiert
Jahren) oder multimorbiden Patienten jeder Al-
wird, sind Interaktionen mit Arzneistoffen, die
tersgruppe. Die Standardbehandlung ist in die-
mittels CYP2D6 abgebaut werden (z. B. tri- und
sen Fällen zunächst die Levodopa-Monothera-
tetracyclischen Antidepressiva, Neuroleptika,
pie (plus Decarboxylaseblocker). Im Vergleich
Antiarrhythmika, Metoprolol oder Makrolid-
zu dopaminergen Agonisten besitzt Levodopa
Antibiotika), zu erwarten.
eine bessere symptomatische Wirkung und löst
seltener nicht-motorische Nebenwirkungen aus,
insbesondere bei älteren und multimorbiden
17.3 Strategie der Pharmakotherapie
Patienten.
des idiopathischen Parkinson-
Syndroms Initiale Therapie bei Patienten mit milder Sym-
ptomatik. Bei wenig ausgeprägten Symptomen
Das idiopathische Parkinson-Syndrom kann kann initial ein MAO-B-Hemmer (Rasagilin
mit den derzeit verfügbaren Pharmaka nur sym- oder Selegilin) verabreicht werden, der im Ver-
ptomatisch therapiert werden, neuroprotektive gleich zu Levodopa und dopaminergen Agonis-
oder kurative Therapieansätze fehlen weitge- ten zwar schwächer wirksam aber meist besser
hend. Die Therapiestrategie wird individuell un- verträglich ist. 17
ter Berücksichtigung von Alter und Komorbidi-
Therapie bei Auftreten von Fluktuationen und
tät getroffen:
Dyskinesien. Fluktuationen sowie Dyskinesien
Initiale Therapie bei Patienten mit frühem erfordern spezielle therapeutische Maßnahmen.
Krankheitsbeginn (Alter orientierend unter 70 Dazu gehören u. a. die Kombinationstherapie
Jahren) ohne wesentliche Komorbidität. Bei mit mehreren Antiparkinsonmitteln (z. B. zu-
dieser Patientengruppe wird die Behandlung sätzliche Gabe eines COMT-Hemmers bei Levo-
meist als Monotherapie mit einem Non-Ergot- dopa-Therapie), die Anpassung der Dosierung
Dopaminagonisten begonnen. Für eine solche und die intermittierende Gabe von Apomor-
initiale Behandlung mit dopaminergen Agonis- phin. In fortgeschrittenen Stadien können durch
ten bei jüngeren Patienten spricht die im Ver- eine kontinuierliche Applikation von Apomor-
gleich zu einer Levodopa-Therapie verminderte phin oder eine intrajejunale Infusionstherapie
Häufigkeit und Schwere von motorischen Spät- mit Levodopa gleichmäßige Levodopa-Plasma-
komplikationen (v. a. Dyskinesien), die zumin- spiegel erreicht werden.
dest für die ersten Jahre der Therapie belegt ist. Ferner ist die tiefe Hirnstimulation (nach
Andererseits sind dopaminerge Agonisten chirurgischer Implantation von Elektroden im
schwächer wirksam als Levodopa und lösen Bereich des Nucleus subthalamicus bzw. Globus
häufiger als dieses Impulskontrollstörungen, pallidus internus) eine potente Behandlungsme-
Halluzinationen, Tagesmüdigkeit sowie peri- thode der Parkinson-Krankheit im fortgeschrit-
phere Nebenwirkungen aus. Bei unzureichender tenen Stadium.
186 17 Antiparkinsonmittel

Pharmakotherapie des Tremors. Besteht unter zen, Gynäkomastie, Galaktorrhö) sowie eine
der oben genannten Pharmakotherapie weiter- Verlängerung des QT-Intervalls beschrieben.
hin ein therapiebedürftiger Ruhetremor, kön- Tiaprid ist kontraindiziert bei Prolactin-ab-
nen ein Anticholinergikum oder Budipin einge- hängigen Tumoren, Phäochromozytom und ei-
setzt werden. ner gleichzeitigen Behandlung mit Levodopa
oder dopaminergen Agonisten.
Therapie der akinetischen Krise. Die meist erst
in Spätstadien auftretende akinetische Krise ist
17.4.2 Tetrabenazin
durch eine plötzlich eintretende Beeinträchti-
Tetrabenazin (z. B. Tetmodis®) ist ein reversibler
gung der Motorik charakterisiert. Behandelt
Hemmer des vesikulären Monoamintranspor-
wird die akinetische Krise mit Amantadin (i. v.),
ters 2 (VMAT2), wodurch es zu einer Entlee-
Apomorphin (s. c.) oder über eine nasojejunale
rung der Speicher von Dopamin und anderen
Sonde appliziertes Levodopa.
Monoaminen im ZNS kommt. Es wird einge-
setzt bei hyperkinetischen Bewegungsstörungen
bei Chorea Huntington, die auf andere Therapi-
17.4 Pharmaka gegen emaßnahmen nicht angesprochen haben.
Spätdyskinesien und Die Anfangsdosis beträgt täglich 12,5–
hyperkinetische 37,5 mg, die Tagesmaximaldosis 200 mg.
Bewegungsstörungen Häufige Nebenwirkungen sind Depression,
Erregung, Verwirrung, Angstgefühl, Insomnie,
17.4.1 Tiaprid Hypotonie, Dysphagie, Diarrhö und Obstipati-
Tiaprid (z. B. Tiapridex®) hat D2- und D3-Re- on. Ferner kann Tetrabenazin die QT-Zeit ver-
zeptor-antagonistische Eigenschaften und wird längern.
bei Neuroleptika-induzierten Spätdyskinesien Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Ein-
sowie bei Bewegungsstörungen im Rahmen ei- nahme weiterer Medikamente, die zu einer Zu-
ner Chorea Huntington eingesetzt. nahme der QT-Zeit führen können, ebenso bei
Die Tagesdosis beträgt 300–600 mg. Der The- Patienten mit angeborenem langem QT-Syn-
rapieerfolg zeigt sich eventuell erst nach einer drom. Wegen möglicher schwerer Wechselwir-
Behandlungsdauer von 4–6 Wochen. kungen mit der Folge einer hypertensiven Krise
Als Nebenwirkungen wurden ZNS-Sympto- darf Tetrabenazin nicht bei gleichzeitiger Ein-
me (Schwindel, Kopfschmerzen, Tremor, Rigi- nahme von MAO-Hemmern verabreicht wer-
dität, Hypokinesie, vermehrter Speichelfluss, den. Weitere Kontraindikationen sind Depressi-
Benommenheit, Agitiertheit, Schlaflosigkeit, on, Phäochromozytom und Prolactin-abhängi-
Müdigkeit), endokrine Störungen infolge einer ge Tumore.
Erhöhung des Prolactin-Spiegels (Brustschmer-
187

18 Antiemetika

18.1 Pathophysiologische Medulla oblongata gebildet wird. Die Aktivie-


Grundlagen rung des Brechzentrums erfolgt insbesondere
über H1-, M1- und Neurokinin-1-(NK1-)Rezep-
Übelkeit und Erbrechen sind meist uncharakte- toren.
ristische Begleitsymptome zahlreicher Erkran- Vom oberen Gastrointestinaltrakt und Herz
kungen, insbesondere gastrointestinaler Stö- aus kann das Brechzentrum durch Aktivierung
rungen (z. B. Gastroenteritiden, Apendizitis), von Mechano- und Chemorezeptoren des N.
ZNS-Erkrankungen (z. B. Hirndrucksteigerung, glossopharyngeus oder N. vagus sowie durch
Meningitis), vestibulärer Störungen (z. B. Kine- Freisetzung von Serotonin aus enterochromaffi-
tosen, Morbus Menière), Migräne, starker nen Zellen und Aktivierung von 5-HT3-Rezep-
Schmerzen, Urämie, emetogener Arzneimittel toren stimuliert werden. Das vestibuläre System
(z. B. Zytostatika, Opioide), Strahlentherapie kann das Brechzentrum nach übermäßiger Rei-
und Intoxikationen (z. B. durch Alkohol, Le- zung durch Bewegungen oder Erkrankungen
bensmittel). Erbrechen tritt außerdem oft in der (z. B. Labyrinthitis) und Aktivierung von H1- 18
Schwangerschaft in Form der Emesis gravidar- und M1-Rezeptoren erregen. Höhere Zentren
um (meist in den ersten 20 Schwangerschafts- des ZNS können das Brechzentrum sowohl akti-
wochen) auf. vieren als auch hemmen.
Erbrechen kann ausgelöst werden durch
noxische Stimuli in der Chemorezeptor-Trig-
gerzone der Area postrema der Medulla oblon- 18.2 Antiemetisch wirkende
gata, im oberen Gastrointestinaltrakt und Herz, Pharmaka
im vestibulären System sowie in höheren Zen-
tren des ZNS. Antiemetika dienen zur Unterdrückung von
In der Chemorezeptor-Triggerzone ist keine Brechreiz und Erbrechen. Die antiemetogene
Blut-Hirn-Schranke vorhanden, sodass die Che- Wirksamkeit der einzelnen Pharmaka ist je nach
morezeptoren durch im Blut zirkulierende Toxi- zugrunde liegender Ursache unterschiedlich
ne direkt aktiviert werden können. Infolge der stark ausgeprägt. Die Hauptindikationen der
Aktivierung der Chemorezeptoren wird das nachstehend beschriebenen Antiemetika sowie
Brechzentrum stimuliert, das im Hirnstamm deren Halbwertszeiten und Dosierungen sind in
aus Teilen des Nucleus tractus solitarii, der For- ႒ Tab. 18.1 zusammengefasst.
matio reticularis und der Area postrema der
188 18 Antiemetika

18.2.1 Antihistaminika Verbindung der Vestibulariskerne mit dem


Das H1-Antihistaminikum Diphenhydramin Brechzentrum kann die antiemetische Wirkung
(Generika) eignet sich insbesondere zur Pro- erklärt werden.
phylaxe und Behandlung der Symptome der Als Nebenwirkung tritt häufig eine Sedie-
Reise- bzw. Seekrankheit (Kinetose). Gleiches rung auf. Insbesondere in höheren Dosen und
gilt auch für dessen Salz mit 8-Chlortheophyl- bei Älteren kann Cinnarizin extrapyramidal-
lin, dem Dimenhydrinat (z. B. Vomex A®), des- motorische Störungen hervorrufen.
sen pharmakologische Effekte vorwiegend
Flunarizin (z. B. Natil® N) ist zur symptomati-
durch Diphenhydramin hervorgerufen werden.
schen Behandlung von vestibulärem Schwindel
Als Nebenwirkungen treten häufig ZNS- und
infolge von anhaltenden Funktionsstörungen
vegetative Symptome auf. Wegen der sedieren-
des Gleichgewichtsapparates sowie zur Prophy-
den Eigenschaften wird Diphenhydramin auch
laxe von Migräneanfällen indiziert. Es ist ein
als Hypnotikum verwendet (Ⴉ Kap. 11.3.3).
Ca2+-Kanalblocker mit antivertiginöser und se-
Betahistin (z. B. Aequamen®) ist indiziert zur
dierender Wirkung, allerdings sind sein genauer
Behandlung von Schwindelanfällen bei Funkti-
Wirkmechanismus sowie seine Rezeptorspezifi-
onsstörungen des Vestibularapparates im Rah-
tät und -affinität bislang nicht definitiv geklärt.
men von Morbus Ménière, die typischerweise
In Tiermodellen wurde eine Hemmung des
mit Übelkeit und Erbrechen einhergeht. Beta-
Ca2+-Einstroms insbesondere in Zellen der glat-
histin ist ein Agonist an H1- und ein Antagonist
ten Gefäßmuskulatur beobachtet.
an H3-Rezeptoren und überwindet im Gegen-
Häufige Nebenwirkungen sind Benommen-
satz zu Histamin die Blut-Hirn-Schranke. Als
heit, Müdigkeit und Gewichtszunahme. Bei der
H1-Agonist wirkt Betahistin am Innenohr
Langzeitbehandlung mit Flunarizin können ext-
gefäßerweiternd, durch den H3-Antagonismus
rapyramidal-motorische Störungen und depres-
wird zudem die Erregung von Nervenzellen des
sive Symptome auftreten.
Gleichgewichtorgans gehemmt.
Als unerwünschte Wirkungen können hist-
aminartige Effekte wie Magen-Darm Unver- 18.2.3 Antipsychotika und
träglichkeiten, Herzklopfen, Hautreaktionen Prokinetika
oder Hitzegefühl auftreten. Bei gleichzeitiger Antipsychotika. Die klassischen Antipsychotika
Anwendung von H1-Antihistaminika kann (Ⴉ Kap. 10.1.1) Perphenazin (z. B. Decentan®),
Betahistin deren Wirkung abschwächen. Promethazin (z. B. Atosil®), Haloperidol (z. B.
Haldol®-Janssen) und Droperidol (Xomolix®)
18.2.2 Calciumantagonisten wirken besonders stark antiemetisch. Der antie-
Cinnarizin (zusammen mit Dimenhydrinat in metische Effekt beruht vor allem auf der Blocka-
Arlevert®) ist zur Behandlung von Schwindel de von Dopaminrezeptoren in der Area postre-
verschiedener Genese zugelassen. Es wirkt ant- ma, teilweise auch auf der Blockade von H1- und
agonistisch an Calcium-, Histamin-, Dopamin-, Muscarinrezeptoren (z. B. bei Perphenazin). Da
Serotonin- und Bradykinin-Rezeptoren. Die bei Anwendung dieser Antipsychotika häufig
Kombination der beiden Wirkstoffe ist am vesti- Nebenwirkungen auftreten, sollten sie zur The-
bulären System synergistisch wirksam, indem rapie des Erbrechens nur zurückhaltend einge-
Cinnarizin die Aktivierung der Vestibularis- setzt werden.
kerne und die Ausprägung vestibulookulärer Ein weiteres, als Antiemetikum verwendetes
Reflexe bei Stimulation des Vestibularisappara- Antipsychotikum ist Sulpirid (z. B. Dogmatil®,
tes hemmt und Dimenhydrinat die neuronale Ⴉ Kap. 10.1.2), das bei peripher-labyrinthären
Aktivität der in der Medulla oblongata lokali- Schwindelzuständen bei Morbus Menière einge-
sierten Vestibulariskerne direkt senkt. Über die
18.2 Antiemetisch wirkende Pharmaka 189

႒ Tab. 18.1 Antiemetika ႒ Tab. 18.1 Antiemetika


INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)

H1-Antihistaminika 5-HT3-Antagonisten

Diphenhydramin 50–150 mg Granisetron 2 mg


(z. B. Emesan®) (4 h) (z. B. Kevatril®) (9 h)

Dimenhydrinat 50–150 mg Ondansetron 8–16 mg


(z. B. Vomex A®) (4 h) (z. B. Zofran®) (3 h)

H3-Antihistaminika Palonosetron 0,25 mg


(Aloxi®) (40 h)
Betahistin 18–36 mg
(z. B. Aequamen®) (3 h) Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten

Calciumantagonisten Aprepitant 80–125 mg


(EMEND®) (9–13 h)
Cinnarizin 60–100 mg
(Bestandteil von Arlevert®) (4–5 h) Fosaprepitant 150 mg
(IVEMEND®) (9–13 h)
Flunarizin 5–10 mg
(z. B. Natil® N) (18 Tage) Netupitant 300 mg
(Akynzeo®) (88 h)
Antipsychotika
Glucocorticoide
Haloperidol 1–3 mg
(z. B. Haldol®-Janssen) (10–30 h) Dexamethason 10–24 mg
(z. B. Fortecortin®) (5 h)
Perphenazin 12–24 mg
(z. B. Decentan®) (8–12 h)

Promethazin 25–100 mg
(z. B. Atosil®) (10–40 h) setzt wird, wenn auf die Therapie mit anderen 18
Antivertiginosa kein Ansprechen erfolgte.
Sulpirid 150–300 mg
(z. B. Dogmatil®) (7–10 h)
Prokinetika. Metoclopramid (z. B. Paspertin®),
Droperidol 0,9–5 mg Domperidon (z. B. Motilium®) und Alizaprid
(Xomolix®) (2 h) (Vergentan®) wirken wie Antipsychotika antie-
metisch durch Blockade von Dopaminrezepto-
Prokinetika ren in der Area postrema. Außer als Antiemeti-
ka werden Metoclopramid und Domperidon bei
Metoclopramid 25–40 mg
(z. B. Paspertin®) (2,5–4,5 h)
Magenentleerungsstörungen eingesetzt (Ⴉ Kap.
25.7).
Alizaprid 150–300 mg
(Vergentan®) (3 h) 18.2.4 5-HT3-Antagonisten (Setrone)
Zur Prophylaxe und Therapie von Zytostatika-
Domperidon 30–80 mg
(z. B. Motilium®) (7–9 h)
sowie durch Bestrahlung induzierter Übelkeit
und Erbrechen sind 5-HT3-Antagonisten wie
190 18 Antiemetika

Granisetron (z. B. Kevatril®), Ondansetron 18.2.5 Neurokinin-1-(NK1-)


(z. B. Zofran®) und Palonosetron (Aloxi®) Mit- Rezeptorantagonisten
tel der 1. Wahl. Ondansetron ist darüber hinaus Aprepitant (EMEND®), Fosaprepitant (IVE-
zur Vorbeugung und Behandlung von postope- MEND®), ein Prodrug von Aprepitant, das –
rativer Übelkeit und Erbrechen zugelassen. parenteral appliziert – sehr rasch durch ubiqui-
Zytostatika und Bestrahlung setzen Seroto- tär vorkommende Phosphatasen zu Aprepitant
nin (5-HT) aus enterochromaffinen Zellen in gespalten wird, sowie Netupitant (Akynzeo®;
den Dünndarm frei und lösen dadurch mittels fixe Kombination mit Palonosetron) hemmen
5-HT3-Rezeptor-vermittelter Aktivierung vaga- die Stimulation von NK1-Rezeptoren durch
ler Afferenzen einen Brechreflex aus. Setrone Substanz P und verringern dadurch die Sympto-
blockieren die Auslösung dieses Reflexes auf- me des Früherbrechens sowie vor allem die des
grund ihrer antagonistischen Wirkung an peri- verzögerten Erbrechens bei einer hochemetoge-
pheren (und evtl. zentralen) 5-HT3-Rezeptoren. nen Chemotherapie. Sie werden in Kombination
Zur Vermeidung von akuter Emesis bei hoch mit 5-HT3-Antagonisten und Dexamethason
emetogener Chemotherapie werden sie meist eingesetzt.
mit Dexamethason (z. B. Fortecortin®) oder Häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmer-
Methylprednisolon (z. B. Urbason®) kombi- zen, Schluckauf, Müdigkeit, Obstipation und
niert. Dyspepsie.
Als Nebenwirkungen treten häufig Kopf- Die Metabolisierung der NK1-Rezeptorant-
schmerzen, Schlafstörungen und Obstipation agonisten erfolgt überwiegend über CYP3A4.
auf. Sehr selten wurden schwerwiegende Über- Aprepitant ist nicht nur Substrat von CYP3A4,
empfindlichkeitsreaktionen und Herzrhyth- es bewirkt während der Therapie auch eine
musstörungen beobachtet. Patienten mit schwe- Hemmung sowie nach Therapieende eine mo-
rer Beeinträchtigung der Darmmotilität sollten derate Induktion dieses Enzyms. NK1-Rezepto-
keine 5-HT3-Antagonisten erhalten. rantagonisten dürfen daher nicht gleichzeitig
Bei gleichzeitiger Anwendung von Setronen mit Wirkstoffen angewendet werden, die haupt-
mit anderen serotonergen Wirkstoffen (z. B. sächlich über CYP3A4 metabolisiert werden
Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, Ⴉ Kap. und eine geringe therapeutische Breite besitzen
10.2) kann ein Serotoninsyndrom auftreten. (z. B. Ciclosproin, Tacrolimus, Fentanyl).
191

19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

Der Sympathikus ist der Teil des vegetativen ႒ Tab. 19.1 sind wichtige über Adrenozeptoren
Nervensystems, über den ergotrope (d. h. die ausgelösten Sympathikus-Wirkungen zusam-
Leistung steigernde) Reaktionen ausgelöst wer- mengestellt.
den. Sympathische Fasern haben ihren Ur- Adrenozeptoren sind G-Protein-gekoppelte
sprung im zentralen Nervensystem und proji- Rezeptoren, deren Signaltransduktion je nach
zieren zu den sympathischen Ganglien und zum Rezeptortyp unterschiedlich ist (Ⴜ Abb. 19.2).
Nebennierenmark (Ⴜ Abb. 19.1). In den sympa- Die Stimulation von α1-Rezeptoren führt zur
thischen Ganglien wird das Signal durch Frei- Gq-Protein-vermittelten Aktivierung von Phos-
setzung von Acetylcholin auf das postganglio- pholipase C mit Bildung von Inositoltrisphos-
näre Neuron umgeschaltet, dessen Erregung zur phat (IP3) und Diacylglycerol, die an Arterien
Freisetzung von Noradrenalin an den Erfolgs-
organen führt. In Stress- und Notfallsituation
Zentralnervensystem
werden aus den chromaffinen Zellen des Ne-
bennierenmarks Adrenalin sowie untergeord-
net auch Noradrenalin in die Blutbahn freige-
setzt und gelangen auf dem Blutweg zu den Er-
folgsorganen.
Präganglionäres 19
Neuron

Adrenozeptoren. Die Wirkungen von Noradre- Acetylcholin


nalin und Adrenalin werden über Adrenozep-
toren vermittelt, die in drei Familien mit jeweils Sympathisches
Ganglion Neben-
drei Subtypen unterteilt werden: nierenmark
󠀂 α1-Rezeptoren mit den Subtypen α1A, α1B Postganglionäres Ausschüttung von Adre-
und α1D, Neuron nalin und Noradrenalin
in die Blutbahn
󠀂 α2-Rezeptoren mit den Subtypen α2A, α2B
und α2C und Noradrenalin
󠀂 β-Rezeptoren mit den Subtypen β1, β2 und
β 3.
glatte Muskelzellen
Die meisten Zellen des menschlichen Körpers
exprimieren mindestens einen der neun Adre- Ⴜ Abb. 19.1 Erregungsübertragung im sympathi-
nozeptor-Subtypen an ihrer Zelloberfläche. In schen Nervensystem
192 19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

႒ Tab. 19.1 Effekte der Sympathikus-Aktivierung an verschiedenen Organen. Nach Goodman und
Gilman, Ursino

Organ, Sympathikus- Beteiligter Organ, Sympathikus- Beteiligter


Organsystem Wirkungen Rezeptor Organsystem Wirkungen Rezeptor

Auge Gallenwege Erschlaffung β2

M. dilatator Mydriasis α1 Motilität/Tonus Abnahme α 2, β 2


pupillae
Sphinkteren Kontraktion α1
Herz
Pankreas
Sinusknoten Herzfrequenz ↑ β1
Endokrin Insulinsekretion ↓ α2
Kardiomyozyten Kontraktilität ↑ β1
Bronchialsystem
Kontraktilität ↓ β3
Muskulatur Erschlaffung β2
AV-Knoten Überleitungs- β1
geschwindigkeit ↑ Drüsen Hemmung α1

Gefäße Haut

Haut, Schleim- Vasokonstriktion α1 Schweißdrüsen Sekretion Cholinerg


haut
Niere und Harnwege
Skelettmuskel Vasokonstriktion α1
Reninsekretion Steigerung β1
Vasodilatation β 2, β 3
Blasenwand- Erschlaffung β 2, β 3
Abdominal- Vasokonstriktion α1 muskulatur
bereich
Innerer Schließ- Kontraktion α1
Herzkranzgefäße Vasokonstriktion α1 muskel

Vasodilatation β2 Genitalorgane

Gehirn Vasokonstriktion α1 Uterus Kontraktion α1

Genitale Ejakulation α1 Erschlaffung β 2, β 3


(Vas deferens)
Stoffwechsel
Niere Vasokonstriktion α1
Leber Glykogenolyse ↑ β2
Venen Vasokonstriktion α1
Gluconeo- β2
Magen-Darm-Trakt genese ↑

Speicheldrüsen Schwache muköse α 1, β 3 Fettzellen Lipolyse ↑ β 2, β 3


Sekretion
Thermogenese ↑ β3
Verdauungs- Amylase- β1
drüsen aktivierung Skelettmuskel Glykogenolyse ↑ β2
19 Am Sympathikus angreifende Stoffe 193

Ca2+
ER Änderung der L-Typ-
P RhoA Zytoskelett-
Relaxation AT Ca2+-Kanal
Organisation
G
s PKA RyR
cAMP SR
˟2 L Ca2+
PKA
˟2-Agonisten
Noradrenalin
2+
Kontraktion Ca cAMP
Gs
˞2 Gi
˟1
˟1-Blocker
2+ Bronchialbaum Herz
Ca
Noradrenalin, Adrenalin

Blutweg
Sympathikus-
Axonterminale
Sympathikus-
Axonterminale
N-Typ-
Ca2+- Koronarien
Kanal

Ca2+
Arterien,
Arteriolen
˟2 Noradrenalin, Adrenalin
˞2 G
Gi s
Ca2+
ER Relaxation cAMP
Noradrenalin ATP

PKA
19
˞1-Blocker ˞1 Änderung
Gq IP3
der Zytoskelett-
RhoA
Ca2+ Organisation
IP3R
Kontraktion CaM L ER

MLCK

Ⴜ Abb. 19.2 Beispiele physiologischer Wirkungen, die über α- und β-Adrenozeptoren vermittelt werden.
Noradrenalin und Adrenalin aus dem Nebennierenmark und Noradrenalin aus Nervenendigungen sym-
pathischer Neurone führen über Stimulation von β2-Rezeptoren zur Relaxation der Bronchialmuskulatur
und der Koronargefäße. Die Stimulation von β1-Rezeptoren der Herzmuskulatur erhöht die Kontraktions-
kraft des Herzens. Arterien und Arteriolen werden durch Stimulation von α1-Rezeptoren mit Noradrenalin
und Adrenalin kontrahiert. Die Stimulation von α2-Rezeptoren an den Axonterminalen der Sympathikus-
neurone hemmt N-Typ-Ca2+-Kanäle und die Noradrenalinfreisetzung. IP3R Inositoltrisphosphat-Rezep-
tor, MLCK Myosin-Leichtkettenkinase, PKA Proteinkinase A, RhoA kleines G-Protein Rho A, ER Endoplas-
matisches Retikulum, SR Sarkoplasmatisches Retikulum, CaM Calmodulin, RyR Ryanodin-Rezeptor
194 19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

und Arteriolen Ca2+-Ionen aus dem sarkoplas- Noradrenalin (Norepinephrin; z. B. Artere-


matischen Retikulum freisetzen und u. a. durch nol®) wirkt bevorzugt auf α1-, α2- und β1-
Stimulation der Myosin-Leichtkettenkinase Rezeptoren und hat nur eine geringe Affinität zu
(MLCK) eine Vasokonstriktion bewirken. Eine β2- und β3-Rezeptoren. Durch Applikation von
Aktivierung von α2-Rezeptoren bewirkt eine Gi- Noradrenalin wird eine ausgeprägte Vasokonst-
Protein-vermittelte Hemmung der Adenylylcyc- riktion ausgelöst, die im Gegensatz zu Adrenalin
lase sowie von Ca2+-Kanälen, wodurch die Nor- auch die Gefäße der Skelettmuskulatur umfasst.
adrenalinfreisetzung gehemmt wird. Es resultieren ein Anstieg des peripheren Wi-
Die Erregung von β-Rezeptoren führt zur Gs- derstandes und eine Blutdrucksteigerung, die
Protein-vermittelten Aktivierung von Adenylat- durch Stimulation von Barorezeptoren eine pa-
cyclase, wodurch cAMP gebildet und die cAMP- rasympathische Gegenregulation mit Bradykar-
abhängige Proteinkinase (PKA) stimuliert wird. die hervorrufen kann. Aufgrund der β1-
Nach Stimulation von β1-Rezeptoren am Herzen agonistischen Wirkung können jedoch auch
werden durch PKA spannungsabhängige Ca2+- unter Noradrenalin-Therapie – wenn auch sel-
Kanäle phosphoryliert, was zu einem verstärk- ten – Tachykardien und Arrhythmien auftreten.
ten Einstrom von Ca2+-Ionen in die Zelle führt. Adrenalin (Epinephrin; z. B. Suprarenin®)
Außerdem nimmt die Ca2+-Aufnahme in das stimuliert alle α- und β-Rezeptortypen. Nach
sarkoplasmatische Retikulum und damit der Applikation von Adrenalin überwiegen in Ab-
Füllungsgrad der Ca2+-Speicher zu. In vielen hängigkeit von der verwendeten Dosis α-oder
Geweben der glatten Muskulatur wird dagegen β-adrenerge Effekte.
über β2-Rezeptoren durch PKA-abhängige In niedriger Adrenalin-Dosis (< 2 μg pro Mi-
Phosphorylierung des kleinen GTP-bindenden nute beim Erwachsenen) stehen über β1- und
Proteins Rho das Zytoskelett reorganisiert, die β2-Rezeptoren-vermittelte Wirkungen im Vor-
Phosphorylierung der Myosin-Leichtketten ge- dergrund, da β-Rezeptoren auf geringere Adre-
hemmt und die Konzentration der zytosolischen nalin-Dosen ansprechen als α-Rezeptoren. Am
Ca2+-Ionen herabgesetzt, was zu einer Relaxati- Herzen werden durch Stimulation von β1-
on führt. Über β2-Rezeptoren werden auch Rezeptoren Herzkraft und Herzfrequenz gestei-
Stoffwechseleffekte hervorgerufen, die u. a. eine gert (positiv inotrope und chronotrope Wir-
Erhöhung der Serumkonzentrationen von Glu- kung), wodurch das Herzzeitvolumen und der
cose, Lactat und Fettsäuren zur Folge haben. systolische Blutdruck ansteigen. Aufgrund der
Eine Stimulation von β3-Rezeptoren bewirkt β2-agonistischen Wirkung (insbesondere an den
u. a. eine Lipolyse in Adipozyten, die über eine Gefäßen der Skelettmuskulatur) kommt es zur
Gs-Protein-vermittelte Aktivierung der PKA Abnahme des peripheren Gefäßwiderstandes
und eine Gi-Protein-vermittelte Aktivierung der und des diastolischen Blutdrucks, der mittlere
extrazellulär regulierten Kinase (ERK) und arterielle Blutdruck bleibt dabei meist unverän-
nachfolgender Phosphorylierung der Hormon- dert. An den Bronchien wird β2-vermittelt eine
sensitiven Lipase hervorgerufen wird. Bronchodilatation hervorgerufen.
Mit ansteigender Adrenalin-Dosierung tre-
ten zunehmend α-adrenerge Wirkungen auf.
19.1 Noradrenalin und Adrenalin Hohe Dosen (> 10 μg pro Minute beim Erwach-
senen) führen zur ausgeprägten peripheren Va-
Die pharmakologischen Wirkungen von Norad- sokonstriktion und kardialen Stimulation, was
renalin und Adrenalin sind ähnlich, aber nicht mit Zunahme des peripheren Widerstandes,
identisch. Unterschiede ergeben sich daraus, Blutdrucksteigerung, Tachykardie und Arrhyth-
dass die Wirkstärken der beiden Substanzen an mie verbunden ist.
den Adrenozeptor-Typen verschieden sind.
19.2 Direkte Sympathomimetika 195

Indikationen. Noradrenalin ist indiziert beim 19.2.1 α-Adrenozeptor-Agonisten


septischen Schock, der mit einem Verlust des α-Adrenozeptor-Agonisten werden insbesonde-
Gefäßtonus einhergeht. Adrenalin wird bei kar- re aufgrund ihrer vasokonstriktorischen Wir-
diopulmonaler Reanimation und akuten ana- kung eingesetzt.
phylaktischen Reaktionen sowie zur Gefäßver-
Lokal angewendete α-Adrenozeptor-Agonisten.
engung bei chirurgischen Eingriffen und als va-
Die sowohl α1- als auch α2-Adrenozeptoren sti-
sokonstriktorischer Zusatz zu Lokalanästhetika
mulierenden Wirkstoffe Oxymetazolin (z. B.
verwendet.
Nasivin®), Tramazolin (z. B. Rhinospray®) und
Kinetik. Die Halbwertszeit von Noradrenalin Xylometazolin (z. B. Otriven®) werden als Na-
und Adrenalin beträgt 2–3 min. Beide Sub- senspray oder Nasentropfen zur Schleimhautab-
stanzen werden zu Vanillinmandelsäure meta- schwellung bei Schnupfen, allergischer oder va-
bolisiert, die renal eliminiert wird. somotorischer Rhinitis sowie zur Erleichterung
des Sekretabflusses bei Nasennebenhöhlen- und
Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Als
Mittelohrentzündung eingesetzt. Zu beachten
Nebenwirkungen können insbesondere kardio-
ist das nach 4–6 Stunden auftretende Rebound-
vaskuläre (pektanginöse Beschwerden, Myo-
phänomen mit verstärkter Schleimhautschwel-
kardschädigung, Tachykardie, Arrhythmie,
lung, das oft zur wiederholten Anwendung führt
Blutdruckanstieg), metabolische (Hyperglyk-
und bei Dauergebrauch eine medikamentös-in-
ämie, metabolische Azidose), renale (Oligurie,
duzierte Rhinitis bis hin zur Atrophie der Na-
Anurie) und lokale (ischämische Nekrosen im
senschleimhaut bewirken kann. Daher sollte die
Anwendungsgebiet) Störungen auftreten. Ob-
Anwendung auf maximal sieben Tage begrenzt
wohl Noradrenalin und Adrenalin die Blut-
werden.
Hirn-Schranke nicht überwinden, können re-
flektorisch ZNS-Störungen (Unruhe, Angst, Die α1- und α2-Agonisten Naphazolin (z. B. Te-
psychotische Zustände) ausgelöst werden. levis Stulln®) und Tetryzolin (z. B. Berberil®)
Noradrenalin und Adrenalin sind kontrain- sowie der α1-Agonist Phenylephrin (z. B. Visa-
diziert bei Hypertonie, paroxysmaler Tachykar- dron®) werden als abschwellende Augentropfen
die, hochfrequenter Arrhythmie, Koronar- und bei Konjunktivitiden verschiedener Genese ver-
Herzmuskelerkrankungen, Cor pulmonale, wendet (Ⴉ Kap. 27.7).
sklerotischen Gefäßveränderungen, Engwinkel-
Systemisch angewendete α-Adrenozeptor-
glaukom, Hyperthyreose, Phäochromozytom,
Prostataadenom mit Restharnbildung und
Agonisten. Der α1-Agonist Midodrin (Gut- 19
ron®) wird systemisch zur Behandlung neuro-
schweren Nierenfunktionsstörungen. In Not-
gener hypotoner Blutdruckstörungen eingesetzt,
fallsituationen kann jedoch die Applikation
wenn alle verfügbaren sonstigen Maßnahmen
auch bei Vorliegen von Kontraindikationen ge-
ausgeschöpft sind. In gleicher Weise wie Norad-
rechtfertigt sein.
renalin erhöht es den peripheren Gefäßwider-
stand und damit den systolischen und diastoli-
schen Blutdruck.
19.2 Direkte Sympathomimetika
Die übliche Anfangsdosis beträgt 5 mg pro
Tag, die maximale Tagesdosis 30 mg. Als Neben-
Direkte Sympathomimetika erregen wie Norad-
wirkungen können u. a. Juckreiz, Kältegefühl,
renalin und Adrenalin Adrenozeptoren. Je nach
Harnverhalt, Herzklopfen, ventrikuläre Rhyth-
Rezeptorselektivität unterscheidet man zwi-
musstörungen und pektanginöse Beschwerden
schen α- und/oder β-Adrenozeptor-Agonisten.
auftreten. Bei Patienten mit Hyperthyreose,
Phäochromozytom sowie benigner Prostata-
196 19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

hyperplasie mit Restharnbildung ist Midodrin β2-Sympathomimetika. β2-Sympathomimetika


kontraindiziert. dienen vor allem der Therapie des Asthma bron-
Phenylephrin ist in niedriger Dosierung in chiale (Ⴉ Kap. 24.1.1.1) und der COPD (Ⴉ Kap.
einigen Paracetamol-Kombinationspräparaten 24.1.2). Die Wirkstoffe Fenoterol (z. B. Bero-
enthalten, die zur systemischen Anwendung bei tec®), Salbutamol (z. B. Sultanol®), Terbutalin
Erkältungen und grippalen Infekten vermarktet (z. B. Aerodur®), Formoterol (z. B. Oxis® Tur-
werden (z. B. Doregrippin®). Eine sich auf die bohaler®), Indacaterol (Onbrez® Breezhaler®),
Krankheitssymptome positiv auswirkende Olodaterol (Striverdi®) und Vilanterol (Relvar®
α-adrenerge Wirkung ist bei diesen Präparaten Ellipta®) werden inhalativ angewendet, wäh-
zumindest fraglich. rend Wirkstoffe wie Bambuterol (Bambec®)
und Clenbuterol (Spiropent®) in schweren Fäl-
19.2.2 α,β-Adrenozeptor-Agonisten len systemisch gegeben werden. Die β2-
Ein Wirkstoff, der sowohl α- als auch β-Adreno- Selektivität dieser Wirkstoffe ist allerdings nur
zeptoren stimuliert, ist das synthetische Norad- relativ, sodass bei höherer Dosierung mit β1-
renalin-Derivat Etilefrin (z. B. Effortil®). Es ist vermittelten kardialen Nebenwirkungen gerech-
indiziert bei Kreislaufregulationsstörungen mit net werden muss.
Hypotonie. Die Blutdrucksteigerung ist neben Fenoterol wird außerdem als Tokolytikum
der durch α-Adrenozeptorstimulation beding- bei drohendem Abort und vorzeitiger Wehentä-
ten Vasokonstriktion auf die positiv inotrope tigkeit verwendet (Partusisten®). Das Myomet-
und chronotrope Wirkung am Herzen infolge rium besitzt eine relativ hohe β2-Adreno-
des β-adrenergen Effekts zurückzuführen. rezeptorendichte, die in der Schwangerschaft
Die mittlere Tagesdosis beträgt 30 mg. Als weiter erhöht ist. Bei intravenöser Applikation
Nebenwirkungen können u. a. pektanginöse setzt die tokolytische Wirkung von Fenoterol in-
Beschwerden, Tachykardie, Arrhythmie, Hyper- nerhalb weniger Minuten ein, das Wirkungsma-
tonie, Unruhe und Schwindelgefühl auftreten. ximum wird nach etwa 10 min erreicht. Neben-
Die Kontraindikationen entsprechen weitge- wirkungen und Kontraindikationen entspre-
hend denen von Adrenalin. chen – insbesondere bei höherer Dosierung –
denen von Orciprenalin.
19.2.3 β-Adrenozeptor-Agonisten
β3-Sympathomimetika. Das bisher einzige
β-Adrenozeptor-Agonisten mit annähernd
β3-Sympathomimetikum Mirabegron (Betmi-
gleicher β1-und β2-Wirkung. Orciprenalin
gaTM) wird unter Ⴉ Kap. 24.1.1.1 besprochen.
(Alupent®) ist das einzige Pharmakon dieser
Arzneistoffgruppe. Es wird zur parenteralen
Kurzzeittherapie von Akutzuständen bei Asth-
ma bronchiale (z. B. Status asthmaticus) und 19.3 Indirekte Sympathomimetika
bronchopulmonalen Erkrankungen mit asthma-
tischer Komponente angewandt. Die Dosierung Die Wirkung der indirekten Sympathomimetika
muss dem Einzelfall angepasst werden. kommt dadurch zustande, dass sie Noradrenalin
Als Nebenwirkungen treten häufig kardio- aus den Speichergranula der sympathischen
vaskuläre (Tachykardie, Arrhythmie, Palpitatio- Nervenendigungen freisetzen und/oder die
nen), zentralnervöse (Nervosität, Kopfschmer- Wiederaufnahme von Noradrenalin aus dem sy-
zen, Schwindel), respiratorische (Husten, lokale naptischen Spalt in das Axoplasma hemmen.
Irritationen) und muskuläre (Muskelkrämpfe, Durch die gesteigerte Noradrenalinkonzen-
Myalgie) Störungen auf. Bei hypertropher ob- tration an den Rezeptoren wird der Sympathi-
struktiver Kardiomyopathie, Tachyarrhythmie, kustonus erhöht. Bei wiederholten Gaben
schwerer Hyperthyreose und Phäochromozy- nimmt die Wirkung ab, da Noradrenalin nicht
tom ist Orciprenalin kontraindiziert. ausreichend nachgebildet werden kann und so-
19.4 Sympatholytika 197

mit immer weniger Überträgersubstanz freige- Zu den bei essenzieller Hypertonie angewende-
setzt wird (Tachyphylaxie). ten α1-Adrenozeptor-Antagonisten zählt Doxa-
Ephedrin, der Hauptwirkstoff von Ephedra zosin (z. B. Cardular® PP), das die α1-Adreno-
vulgaris, ein indirektes Sympathomimetikum, zeptor-Subtypen α1A, α1B und α1D vergleichbar
besitzt neben den peripheren auch zentral- stark antagonisiert. Eine Analogsubstanz mit
erregende Wirkungen, da es die Blut-Hirn- etwas schwächerer Rezeptor-Affinität ist Tera-
Schranke gut überwinden kann. Wegen der da- zosin (z. B. Heitrin®).
durch bedingten teils ausgeprägten ZNS-Ne- Die übliche Anfangsdosis beträgt jeweils
benwirkungen wird es heute nur noch selten 1 mg, die maximale Tagesdosis 16 mg Doxazosin
eingesetzt. bzw. 20 mg Terazosin. Als Nebenwirkungen tre-
Das schlechter ZNS-gängige Pseudoephe- ten häufig kardiovaskuläre (Hypotonie, Tachy-
drin, ein Diastereomer von Ephedrin, wird u. a. kardie), pulmonale (Bronchitis, Husten, Dys-
in Kombinationspräparaten zur Behandlung pnoe), zentralnervöse (Somnolenz, Benom-
von grippalen Infekten („Erkältungskrankhei- menheit, Kopfschmerzen), gastrointestinale
ten“) angewandt. (Übelkeit, Mundtrockenheit) und renale (Zysti-
Zu den indirekten Sympathomimetika zäh- tis, Harninkontinenz) Störungen sowie Infektio-
len auch die Amphetamine (Ⴉ Kap. 10.5.1) und nen der Atem- und Harnwege, Pruritus und My-
Cocain (Ⴉ Kap. 13.2). algie auf.
Urapidil (z. B. Ebrantil®) weist neben der pe-
ripheren α1-antagonistischen Wirkung eine zen-
19.4 Sympatholytika trale Wirkkomponente auf, die auf eine Stimula-
tion von 5-HT1A-Rezeptoren zurückgeführt
Sympatholytika blockieren adrenerge Rezepto- wird. Durch den zentralen Effekt moduliert
ren. Je nach Rezeptorselektivität unterscheidet Urapidil die Aktivität der Kreislaufregulations-
man zwischen α1- und β-Adrenozeptor-Anta- zentren, sodass der Sympathikustonus gesenkt
gonisten. und eine reflektorische Sympathikusaktivierung
verhindert wird. Neben der oralen Anwendung
19.4.1 α1-Adrenozeptor- bei essenzieller Hypertonie wird intravenös ap-
Antagonisten pliziertes Urapidil zur Therapie von hypertensi-
α1-Adrenozeptor-Antagonisten. Aufgrund ih- ven Notfällen, als Option bei behandlungsresis-
rer peripheren vasodilatierenden Eigenschaften tentem Bluthochdruck sowie zur kontrollierten
werden α1-Adrenozeptor-Antagonisten seit lan- Blutdrucksenkung im Rahmen einer Operation
19
gem zur Therapie der Hypertonie (Ⴉ Kap. 23.2.2) verwendet.
angewandt. Ihr Stellenwert in dieser Indikation Bei einer intravenösen Applikation werden
ist jedoch deutlich zurückgegangen, nachdem in 10–50 mg Urapidil langsam unter ständiger
klinischen Studien beobachtet wurde, dass sie Blutdruckkontrolle verabreicht, wobei der blut-
häufiger kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinsuf- drucksenkende Effekt innerhalb von 5 min zu
fizienz u. a.) auslösen als andere Antihyper- erwarten ist. Häufige Nebenwirkungen sind
tonika. Daher werden α1-Adrenozeptor-Anta- Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen.
gonisten nicht mehr zur Mono- oder Zwei- Neben der Hypertonie sind Blasenentlee-
fachkombinationstherapie der Hypertonie rungsstörungen im Rahmen eines benignen
empfohlen, sondern vorzugsweise als Kombi- Prostatasyndroms (BPS, Ⴉ Kap. 26.3.1) ein wei-
nationspartner in Dreifachkombinationen so- teres Indikationsgebiet von α1-Adrenozeptor-
wie als Option bei therapieresistenter Hyperto- Antagonisten. Die Blockade von α1-Adrenozep-
nie eingesetzt. toren vom Subtyp α1A im Bereich der Prostata
und der Urethra bewirkt eine Relaxation der
glatten Muskulatur, sodass der Urinfluss gestei-
198 19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

gert und das Restharnvolumen gesenkt werden. störungen im Alter angewandt. Seine Wirksam-
Dadurch können die obstruktiven und irritati- keit ist umstritten.
ven Symptome des BPS oft gelindert werden. Als Nebenwirkungen kommen häufig Brech-
Ein bei BPS häufig verwendeter α1-Adreno- reiz und Erbrechen vor. Bei Ergotamin besteht
zeptor-Antagonist ist Tamsulosin (z. B. Alna® bei längerer Anwendung in hoher Dosierung die
Ocas®), der eine besonders hohe Affinität zu Gefahr einer peripheren Durchblutungsstörung
den in der Prostata bevorzugt vorkommenden (Gangrän).
α1A-Rezeptoren besitzt und daher nur unterge- Bromocriptin (z. B. Pravidel®) und andere
ordnet blutdrucksenkend wirkt. Peptid-substituierte Ergotalkaloid-Derivate wir-
Die Dosierung beträgt 0,4 mg Tamsulosin ken in erster Linie als dopaminerge Agonisten
einmal täglich. Schwindel stellt eine häufige Ne- und werden zur Unterdrückung der Laktation
benwirkung dar. Gelegentlich tritt u. a. eine ret- (Ⴉ Kap. 21.2.1.4) sowie bei Morbus Parkinson
rograde Ejakulation (d. h. Ausstoß der Samen- (Ⴉ Kap. 17.2.4.2) eingesetzt.
flüssigkeit in die Harnblase) auf. Bei anamnes-
tisch bekannter Hypotonie ist Tamsulosin kont- 19.4.2 β-Adrenozeptor-Antagonisten
raindiziert. β-Adrenozeptor-Antagonisten (Betablocker,
Ein Analogpräparat mit ebenfalls bevorzug- β-Adrenozeptorblocker, β-Rezeptorenblocker)
ter Blockade von α1A-Rezeptoren ist Silodosin hemmen kompetitiv β-Adrenozeptoren. Durch
(Urorec®), bei dessen Anwendung jedoch we- Blockade von β1-Rezeptoren wird die positiv in-
sentlich häufiger (bei > 10 % der Anwender) mit otrope und chronotrope Wirkung der Catechol-
retrograden Ejakulationen zu rechnen ist. amine am Herzen, durch Hemmung von β2-
Ebenfalls zur symptomatischen Therapie des Rezeptoren deren erschlaffende Wirkung an der
BPS zugelassen sind Alfuzosin (z. B. Urion®), glatten Muskulatur aufgehoben. Außerdem un-
Doxazosin und Terazosin (s. o.), die allerdings terdrücken β-Adrenozeptor-Antagonisten die
aufgrund der jeweils vergleichbaren Affinität zu Stoffwechseleffekte der Catecholamine (Glyko-
α1A-, α1B- und α1D-Rezeptoren häufig orthostati- genolyse, Lipolyse u. a.) und hemmen die Reni-
sche Hypotonien hervorrufen. nausschüttung aus der Niere. Therapeutisch er-
wünscht ist bei den meisten Indikationen vor
Mutterkornalkaloide. Zu den Peptidalkaloiden
allem die β1-Blockade.
des Mutterkorns (Secale-Alkaloiden) gehören
Wichtige β-Adrenozeptor-Antagonisten zur
Ergotamin und die Substanzen der Ergotoxin-
oralen Therapie mit den jeweiligen Dosierungen
gruppe (Ergocristin, Ergocornin, Ergocryptin)
sind in ႒ Tab. 19.2 zusammengefasst.
sowie deren Dihydro-Derivate. Sie weisen ein
Einige β-Adrenozeptor-Antagonisten besit-
komplexes Wirkungsspektrum auf, das darauf
zen eine intrinsische sympathomimetische Ak-
zurückzuführen ist, dass diese Stoffe als partielle
tivität (ISA), d. h. sie wirken dualistisch (partiel-
Antagonisten bzw. partielle Agonisten an
le Agonisten und partielle Antagonisten) mit
α-Adrenozeptoren, aber auch an Dopamin- und
vorwiegend antagonistischer Wirkungskompo-
Serotoninrezeptoren wirken.
nente. In großen kardiovaskulären Studien wa-
Ergotamintartrat (Ergo-Kranit® Migräne)
ren Betablocker mit ISA jedoch reinen β-Adre-
wird aufgrund seiner gefäßkontrahierenden
nozeptor-Antagonisten unterlegen. Daher wer-
Wirkung beim schweren akuten Migräneanfall
den zur Therapie kardiovaskulärer Erkrankun-
verwendet, ist jedoch nicht mehr Mittel der ers-
gen Betablocker ohne ISA empfohlen.
ten Wahl (Ⴉ Kap. 12.1.9.1). Das Gemisch von
Dihydroergocornin, -cristin und -cryptin wird Nichtselektive β-Adrenozeptor-Antagonisten.
unter der Bezeichnung Codergocrin bzw. Dihy- Prototyp der nichtselektiven Betablocker ist
droergotoxin (Hydergin®) bei Hirnleistungs- Propranolol. Nachdem es bei kardiovaskulären
Indikationen großenteils durch β1-selektive
19.4 Sympatholytika 199

Stoffe ersetzt wurde, wird es heute u. a. bei dem werden fast vollständig in der Leber metaboli-
durch Stimulation von β2-Rezeptoren bedingten siert (u. a. über CYP2D6) und ihre Metaboliten
essenziellen Tremor und zur Migräneprophyla- werden über den Urin und/oder die Fäzes aus-
xe (Ⴉ Kap. 12.1.9.2) eingesetzt. Außerdem kann geschieden. Bei eingeschränkter Leberfunktion
es zusammen mit spezifischen therapeutischen muss wegen der verminderten Metabolisie-
Maßnahmen bei Hyperthyreose (Ⴉ Kap. 21.3.4.2) rungsrate mit erhöhten Plasmaspiegeln gerech-
angewandt werden, da es durch β2-Blockade die net und die Dosis evtl. angepasst werden. Eine
Umwandlung von T4 zu T3 hemmt. Dosisanpassung kann auch in Abhängigkeit
Zu den nichtselektiven Betablockern zählen vom CYP2D6-Polymorphismus (Ⴉ Kap. 6.1) er-
auch Penbutolol sowie das als Antiarrhythmi- forderlich sein. Bei stark lipophilen Substanzen
kum (Ⴉ Kap. 23.3.3.2) dienende Sotalol (z. B. So- (v. a. Propranolol) treten vermehrt zentrale (Ne-
talex®), das zusätzlich zur β-Rezeptorblockade ben-)Wirkungen auf, da sie gut ZNS-gängig
auch Kaliumkanäle blockiert. Weitere nichtse- sind.
lektive Betablocker sind die nur in der Augen- Hydrophile Betablocker (z. B. Atenolol) be-
heilkunde (Ⴉ Kap. 27.1.1) lokal eingesetzten Ver- sitzen dagegen nur einen geringen oder keinen
bindungen Timolol (z. B. Arutimol®), Metipra- First-Pass-Effekt, werden nur in geringem Maß
nolol (z. B. Betamann®) und Levobunolol (z. B. metabolisiert und nahezu vollständig renal eli-
Vistagan®). miniert. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis
hydrophiler Betablocker reduziert werden, da
β1-selektive Adrenozeptor-Antagonisten. Die
die Halbwertszeit erheblich verlängert sein
Adrenozeptor-Agonisten Atenolol, Betaxolol,
kann. Keine Dosisanpassung ist dagegen erfor-
Bisoprolol, Metoprolol, Acebutolol und Esmo-
derlich bei lipophilen Betablockern sowie bei
lol besitzen eine höhere Affinität zu β1- als zu
Bisoprolol, das zu etwa gleichen Anteilen über
β2-Rezeptoren. Jedoch ist eine solche Selektivi-
die Leber und Nieren eliminiert wird.
tät nur relativ, bei höherer Dosierung geht sie
meist verloren. Trotz dieser Einschränkung ist Indikationen. Wichtige Indikationen von Beta-
eine β1-Selektivität bei den meisten Indikatio- blockern sind essentielle Hypertonie, koronare
nen für Betablocker von Vorteil, sodass β1- Herzkrankheit, Angina pectoris, akuter Herzin-
präferierende Betablocker ohne ISA (v. a. Biso- farkt, Reinfarktprophylaxe, tachykarde Herz-
prolol und Metoprolol) zu den am häufigsten rhythmusstörungen (z. B. supraventrikuläre Ex-
verordneten Therapeutika bei kardiovaskulären trasystolie und Tachykardie), funktionelle Herz-
Erkrankungen zählen. Kreislauf-Beschwerden, sowie mittelgradige bis 19
schwere chronische Herzinsuffizienz.
β1-Adrenozeptor-Antagonisten mit vasodila-
Einige ZNS-gängige Betablocker (v. a. Prop-
tierender Komponente. Wirkstoffe aus dieser
ranolol und Metoprolol) stellen eine Option zur
Gruppe bewirken zusätzlich zu den aus der β1-
Migräneprophylaxe dar. Gut wasserlösliche Be-
antagonistischen Wirkung hervorgehenden Ef-
tablocker (z. B. Timolol, Metipranolol, Levobu-
fekten eine Vasodilatation. Der gefäßerweitern-
nolol) werden als Augentropfen bei Glaukom
de Effekt von Carvedilol beruht auf der gleich-
und anderen Augenkrankheiten eingesetzt. Das
zeitigen α1-Adrenozeptor-blockierenden Wir-
kurzwirksame Esmolol, das rasch durch Ester-
kung. Nebivolol führt zu einer Gefäßerschlaffung
asen der Erythrozyten abgebaut wird (Halb-
durch Freisetzung von NO. Celiprolol wirkt va-
wertszeit ca. 10 min), wird intravenös zur Kurz-
sodilatierend infolge einer partiellen agonisti-
zeitbehandlung supraventrikulärer Tachykar-
schen Aktivität an β2-Rezeptoren.
dien, zur Kammerfrequenzkontrolle bei Vorhof-
Kinetik. Lipophile Betablocker (z. B. Proprano- flimmern und Vorhofflattern sowie perioperativ
lol, Metoprolol, Carvedilol, Nebivolol) weisen bei Tachykardie und Hypertonie angewandt.
meist einen ausgeprägten First-Pass-Effekt auf,
200 19 Am Sympathikus angreifende Stoffe

Nebenwirkungen. Häufig treten Müdigkeit, Sinusknotenfunktion und die Erregungsleitung


Bradykardie, periphere Durchblutungsstörun- am Herzen zu stark gehemmt werden. Eine
gen, gastrointestinale Störungen, sowie – v. a. zu gleichzeitige Anwendung von CYP2D6-Inhibi-
Behandlungsbeginn – Schwindel und Kopf- toren oder -Induktoren kann die Plasmaspiegel
schmerzen auf. Betablocker mit zusätzlicher va- der über CYP2D6 metabolisierten Betablocker
sodilatierender Komponente lösen darüber hin- beeinflussen.
aus häufig orthostatische Hypotonien aus.
Gelegentlich kann ein latenter Diabetes mel-
litus erkennbar werden, oder ein manifester Di- ႒ Tab. 19.2 β-Adrenozeptor-Antagonisten
abetes mellitus kann sich verschlechtern. Auch
INN ISA1 Handels- HWZ Tagesdo-
die durch Sympathikus-Stimulation ausgelösten präparat sis (p. o.)
Warnsymptome einer Hypoglykämie können
maskiert werden. Bei Patienten mit Neigung zu Nichtselektive β-Adrenozeptor-Antagonisten
bronchospastischen Reaktionen besteht infolge
Penbutolol + Betapres- 1,5 h 20–80 mg
einer möglichen Erhöhung des Atemwegswider-
sin® u. a.
standes die Gefahr, einen Bronchospasmus aus-
zulösen. Besonders ausgeprägt sind diese Ne- Propranolol – Dociton® 3–4 h 80–
benwirkungen bei nichtselektiven Betablockern. u. a. 320 mg
Da unter einer länger dauernden Betablo-
β1-selektive β-Adrenozeptor-Antagonisten
cker-Therapie die Zahl der β-Rezeptoren zu-
nimmt und vermehrt Noradrenalin freigesetzt Acebutolol + Sali-Prent® 4h 100–
wird, können beim plötzlichen Absetzen des Be- 400 mg
tablockers Rebound-Effekte (Blutdruckanstieg,
Atenolol – Tenormin® 6–10 h 25–
Gefahr der Auslösung von Angina-pectoris-An-
u. a. 100 mg
fällen oder eines Herzinfarkts) auftreten. Daher
ist bei Beendigung der Therapie eine langsame Betaxolol – Kerlone® 16–20 h 10–20 mg
Dosisreduktion erforderlich. u. a.

Kontraindikationen. Wichtige Kontraindika- Bisoprolol – Concor® 10–12 h 5–20 mg


tionen von Betablockern sind ausgeprägte u. a.
Hypotonie und Bradykardie, AV-Block II. oder
Esmolol – Brevibloc® 0,15 h parenteral
III. Grades, Sinusknoten-Syndrom, sinuatrialer
Block, dekompensierte Herzinsuffizienz, Schock, Metoprolol – Beloc-Zok® 3–5 h 50–
metabolische Azidose, fortgeschrittene periphere u. a. 200 mg
Durchblutungsstörungen sowie schweres Asth-
ma bronchiale. β-Adrenozeptor-Antagonisten mit vasodilatierender
Komponente
Leichtes bis mittelgradiges Asthma bronchia-
le oder COPD stellen keine Kontraindikationen Carvedilol – Dilatrend® 6–10 h 12,5–
dar, da Patienten mit zusätzlichen kardiovasku- u. a. 50 mg
lären Erkrankungen in klinischen Studien von
β1-selektiven Betablockern deutlich profitierten. Celiprolol + Selectol® 5–7 h 200–
400 mg
Interaktionen. Bei Kombination mit anderen
Antiarrhythmika (v. a. Calciumantagonisten Nebivolol – Nebilet® 10 h 5 mg
u. a.
vom Verapamil- und Diltiazem-Typ) besteht die
Gefahr der Auslösung eines AV-Blocks, falls die 1 ISA intrinsische sympathomimetische Aktivität
19.5 Antisympathotonika 201

19.5 Antisympathotonika Potenz und Libido. Bei plötzlichem Absetzen


besteht die Gefahr erheblicher Blutdrucksteige-
Antisympathotonika verringern die Sympathi- rungen (Rebound-Phänomen). Wichtige Kon-
kusaktivität durch Erregung von α2-Rezeptoren traindikationen sind Bradykardie, Erregungsbil-
oder Blockade des aktiven Transports aus dem dungs- und Erregungsleitungsstörungen des
Axoplasma in die synaptischen Vesikel. Herzens, Herzinsuffizienz und depressive Ver-
stimmung.
19.5.1 α2-Adrenozeptor-Agonisten
Methyldopa. Die Aminosäure α-Methyldopa
Clonidin, Moxonidin. Die Imidazol-Derivate
(z. B. Presinol®) wird durch aktiven Transport in
Clonidin (z. B. Catapresan®) und Moxonidin
das Zentralnervensystem aufgenommen und
(z. B. Cynt®) gelangen aufgrund ihrer Lipophilie
dort in α-Methylnoradrenalin umgewandelt,
rasch ins ZNS und stimulieren postsynaptische
das eine hohe Affinität zu α2-Adrenozeptoren
α2A-Adrenozeptoren an einer zentralen Um-
besitzt.
schaltstelle des Barorezeptorreflexes. Dadurch
Methyldopa dient vor allem als Antihyperto-
kommt es zu einer Verminderung der Sympa-
nikum in der Schwangerschaft, da bei seiner
thikusaktivität und einer Steigerung des Vagus-
Einnahme nicht mit teratogenen Wirkungen zu
tonus. Es resultieren eine Senkung der Herz-
rechnen ist. Die Dosierung beträgt 0,25–2 g/Tag
frequenz und des Herz-Zeit-Volumens sowie
in mehreren Einzeldosen. Die Nebenwirkungen
später auch eine Reduzierung des peripheren
gleichen denen der anderen oben genannten α2-
Gefäßwiderstandes. Die blutdrucksenkende
Agonisten. Weitere unerwünschte Wirkungen
Wirkung wird durch eine Verminderung der
sind Fieber sowie (selten) hämolytische Anämie
Reninfreisetzung und eine α2A-vermittelte prä-
und Leberschädigung.
synaptische Hemmung der Noradrenalinaus-
schüttung unterstützt.
Moxonidin wirkt darüber hinaus als Agonist 19.5.2 Reserpin
an sog. Imidazol-Rezeptoren (Typ I1) in der Das Rauwolfia-Alkaloid Reserpin hebt das Spei-
Medulla oblongata, einer wichtigen Schaltstelle chervermögen der Speichergranula für Cate-
für sympathische Impulse. Die Bindung an diese cholamine auf. Reserpin blockiert die Mg2+-ab-
Rezeptoren bewirkt ebenfalls eine Hemmung hängige ATPase, die aktiv Protonen in die Vesi-
der peripheren Sympathikusaktivität. kel pumpt und dadurch zu einer hohen intrave-
Clonidin und Moxonidin gelten nur als Mit- sikulären Protonenkonzentration führt. Sinkt
tel der 2. Wahl zur Therapie der arteriellen Hy- die H+-Konzentration infolge Blockade der Pro-
19
pertonie, da sie in klinischen Studien anderen tonenpumpe durch Reserpin, können basische
Antihypertonika unterlegen waren. Bei paren- Substanzen (z. B. Noradrenalin, Dopamin) nicht
teraler Anwendung ist Clonidin bei hypertensi- mehr intravesikulär protoniert und damit auch
ver Krise und hypertensivem Notfall indiziert. nicht mehr als Salz in den Vesikeln gespeichert
Außer als Antihypertonikum wird Clonidin zur werden. Diese enthalten dann nach kurzer Zeit
Linderung der Beschwerden des akuten Alko- wenig bis keine Überträgersubstanz mehr.
holentzugssyndroms sowie in Form von Augen- Beim Hypertoniker ruft Reserpin eine anhal-
tropfen zur Glaukom-Therapie (Ⴉ Kap. 27.1.1) tende Blutdrucksenkung hervor, die jedoch mit
angewandt. erheblichen ZNS-Nebenwirkungen verbunden
Die mittleren Einzeldosen betragen von Clo- ist.
nidin 0,075–0,3 mg, von Moxonidin 0,2–0,4 mg.
Häufige Nebenwirkungen sind Müdigkeit,
Kopfschmerzen, Schlafstörungen, depressive
Verstimmungen, orthostatische Dysregulatio-
nen, Mundtrockenheit sowie Abnahme von
202 20 Am Parasympathikus angreifende Stoffe

20 Am Parasympathikus angreifende Stoffe

Durch eine Erregung des Parasympathikus wer- darin, eine Acetylcholinwirkung entfernt vom
den vor allem trophotrope Reaktionen hervor- Freisetzungsort zu verhindern.
gerufen, die der Restitution des Organismus die-
Acetylcholinrezeptoren. Acetylcholin wirkt als
nen. In ႒ Tab. 20.1 sind wichtige Effekte bei Ak-
Neurotransmitter an Synapsen des Zen-
tivierung des Parasympathikus zusammenge-
tralnervensystems, an den parasympathischen
stellt.
Ganglien und am postganglionären Parasympa-
Parasympathische Erregungsübertragung. Vom thikus. Ferner bewirkt es die Erregungsübertra-
Zentralnervensystem ausgehende parasympa-
thische Fasern ziehen zu den parasympathi-
schen Ganglien. Dort wird der Nervenimpuls
durch Ausschüttung von Acetylcholin und Sti-
Zentralnervensystem
mulation von Nicotinrezeptoren auf das post-
ganglionäre Neuron umgeschaltet. Dessen Erre-
gung führt an den Erfolgsorganen wiederum Präganglionäres
zur Freisetzung von Acetylcholin, welches durch Neuron
Stimulation von Muscarinrezeptoren den jewei- Acetylcholin
ligen Effekt auslöst (Ⴜ Abb. 20.1).
Acetylcholinfreisetzung und -abbau. Nach der Parasympathisches
Freisetzung in den synaptischen Spalt wird Ace- Ganglion
tylcholin rasch durch die (spezifische) Acetyl-
cholinesterase, die in der prä- und postsynapti- Postganglionäres
Neuron
schen Membran lokalisiert ist, zu unwirksamem
Cholin und Essigsäure abgebaut. Neben der
membrangebundenen, spezifischen Acetylcho- Acetylcholin
linesterase kommt im Blut und in der Leber eine
unspezifische Cholinesterase (Pseudocholines-
glatte Muskelzellen Kontraktion
terase) vor, durch die neben Acetylcholin auch Drüsen Sekretion
andere Cholinester, z. B. Suxamethoniumchlo-
rid, hydrolysiert werden. Die Funktion der un- Ⴜ Abb. 20.1 Parasympathische Erregungsübertra-
spezifischen Cholinesterase besteht vor allem gung in schematischer Darstellung
20 Am Parasympathikus angreifende Stoffe 203

႒ Tab. 20.1 Effekte bei Aktivierung des Para- gung an den sympathischen Ganglien und an
sympathikus an verschiedenen Organen (Auswahl). den Endplatten der quergestreiften Muskulatur.
Nach Goodman u. Gilman Acetylcholin stimuliert hierbei Nicotin- oder
Organ, Parasympathikus- Muscarinrezeptoren.
Organsystem Wirkungen Bei den Nicotinrezeptoren (n-Cholinozepto-
ren) handelt es sich um Liganden-gesteuerte
Auge Kationenkanäle (v. a. Natrium- und Calcium-
permeabel), die außer durch Acetylcholin auch
M. dilator pupillae Miosis
durch Nicotin erregt werden können. Sie kom-
Ziliarmuskel Nahakkommodation men in Neuronen von ZNS und Ganglien sowie
an der neuromuskulären Endplatte vor. Nicotin-
Tränendrüse Sekretion ↑ rezeptoren bestehen aus fünf Untereinheiten,
Herz
die je nach Gewebe verschieden zusammenge-
setzt sind und unterschiedliche Ionenselektivi-
Sinusknoten Herzfrequenz ↓ täten besitzen.
Die Muscarinrezeptoren (m-Cholinozepto-
Vorhofmuskulatur Kontraktilität ↓
ren) sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die
AV-Knoten Überleitungs- neben Acetylcholin auch durch Muscarin (Be-
geschwindigkeit ↓ standteil des Fliegenpilzes Amanita muscaria
und verschiedener Risspilz-Arten) aktiviert
Gefäße werden können. Von ihnen existieren 5 Subty-
Genitale Vasodilatation
pen: M1-, M3- und M5-Rezeptoren sind an sti-
mulatorische Gq-Proteine, M2- und M4-Rezep-
Magen-Darm-Trakt toren an inhibitorische Gi-Proteine gekoppelt.
Die Muscarinrezeptor-Subtypen weisen eine
Speicheldrüsen Starke seröse Sekretion
gewebespezifische Verteilung auf. M1-, M4- und
Verdauungsdrüsen Sekretionssteigerung M5-Rezeptoren sind überwiegend im ZNS loka-
lisiert, während M2- und M3-Rezeptoren sowohl
Gallenwege Kontraktion im ZNS als auch in peripheren Geweben expri-
miert werden. Die im ZNS vorhandenen Musca-
Motilität/Tonus ↑
rinrezeptoren regulieren zahlreiche kognitive,
Sphinkteren Erschlaffung sensorische, motorische und autonome Prozesse
und sind vermutlich an der Pathogenese von
Bronchialsystem ZNS-Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, 20
Muskulatur Kontraktion
Morbus Parkinson, Depression und Schizophre-
nie maßgeblich beteiligt. Muscarinrezeptoren in
Drüsen Sekretionssteigerung peripheren Geweben vermitteln die Acetylcho-
lin-Wirkungen an den parasympathischen End-
Niere und Harnwege
organen. Hierbei sind M2-Rezeptoren beson-
Blasenwand- Kontraktion ders am Herzen (Erniedrigung der Herzfre-
muskulatur quenz), M3-Rezeptoren an der glatten Muskula-
tur (Kontraktion) und den exokrinen Drüsen
Innerer Schließmuskel Erschlaffung (Sekretion) funktionell bedeutsam.
Stoffwechsel Acetylcholinwirkungen. Nach intravenösen
Acetylcholingaben treten folgende, sehr kurz
Leber (Glykogensynthese)
dauernde Wirkungen auf (႒ Tab. 20.1):
204 20 Am Parasympathikus angreifende Stoffe

󠀂 die Herzfrequenz nimmt ab, ႒ Tab. 20.2 Parasympathomimetika


󠀂 der periphere Gefäßwiderstand sinkt,
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
󠀂 der Tonus der glatten Muskulatur des Magen-
Darm-Kanals, der ableitenden Harnwege Muscarinrezeptor-Agonisten
und der Bronchialmuskulatur nimmt zu,
Bethanechol 80–200 mg p. o.
󠀂 die Speichel-, Magensaft-, Bronchial- und
(Myocholine-Glenwood®) (0,5–1 h)
Schweißsekretion werden gesteigert,
󠀂 die Pupille wird verengt und das Auge auf Carbachol 2,25–4,5 mg okulär
den Nahpunkt akkommodiert. (Isopto®-Carbachol)

Pilocarpin 0,5–1 mg okulär,


(z. B. Pilomann®, Salagen®) 15 mg p. o. (1 h)
20.1 Parasympathomimetika
Cholinesterasehemmer (Carbaminsäure-Derivate)
20.1.1 Muscarinrezeptor-Agonisten
Trotz seiner vielfältigen physiologischen Funkti- Physostigmin 2–4 mg i. v.
(Anticholium®) (0,25 h)
onen besitzt Acetylcholin wegen des raschen Ab-
baus außer als Miotikum bei Augenoperationen Neostigmin 0,5–2 mg i. v.
keine therapeutische Bedeutung. Für die Thera- (z. B. Neostig Carino®) (0,5–1 h)
pie geeignet sind dagegen Muscarinrezeptor-
Agonisten (m-Cholinozeptor-Agonisten, direkte Pyridostigminbromid 30–720 mg p. o.,
(z. B. Mestinon®) 1–3 mg i. v. (1,5 h)
Parasympathomimetika), die wie Acetylcholin
die Muscarinrezeptoren erregen (ohne Selektivi- Distigminbromid 5 mg p. o.,
tät für einen Rezeptor-Subtyp), aber langsamer (Ubretid®) 0,5 mg i. m. (65 h)
als dieses inaktiviert werden (႒ Tab. 20.2).
Hierzu gehört u. a. Bethanechol (Myocholi-
ne-Glenwood®). Es ist bei postoperativem Harn- Sjögren-Syndrom sowie zur Linderung der Be-
verhalt durch Blasenatonie indiziert, um eine schwerden einer Speicheldrüsenunterfunktion
Stimulation des Blasenmuskels zu induzieren. nach Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich (Sala-
Als Nebenwirkungen, die Ausdruck des er- gen®, Dosierung 4-mal tägl. 5 mg).
höhten Parasympathikustonus sind, treten häu-
fig Schweißausbrüche, starker Speichelfluss, Hy- 20.1.2 Cholinesterasehemmer
pothermie, Bradykardie, Blutdruckabfall, Diar- Zur Aufrechterhaltung des normalen Tonus der
rhö und Flush auf. glatten und quergestreiften Muskulatur wird an
Zu den Kontraindikationen zählen Asthma den Ganglien, den postganglionären Nervenen-
bronchiale, koronare Herzkrankheit, Hypoto- digungen und den motorischen Endplatten
nie, Hypertonie, Bradykardie, AV-Überleitungs- ständig Acetylcholin freigesetzt und kurz da-
störungen, Epilepsie, Parkinsonismus, kürzlich nach durch die Acetylcholinesterase hydroly-
erfolgte gastrointestinale Operationen, Obs- siert. Wird das Enzym durch Cholinesterase-
truktionen im Harn- bzw. Gastrointestinaltrakt, hemmer (indirekte Parasympathomimetika)
Hyperthyreose und Ulkuskrankheit. gehemmt, nehmen als Folge der erhöhten
Carbachol (Isopto®-Carbachol), der Carb- Acetylcholinkonzentration der Parasympathi-
aminsäureester von Cholin, und Pilocarpin kustonus und der Tonus der quergestreiften
(z. B. Pilomann®), das Hauptalkaloid der Jabo- Muskulatur zu.
randiblätter, werden lokal als Antiglaukommit- Zu den therapeutisch eingesetzten Cholines-
tel verwendet (Ⴉ Kap. 27.1.1). Pilocarpin dient terasehemmern zählen die Carbaminsäure-De-
außerdem – systemisch angewandt – zur Steige- rivate Physostigmin, Neostigmin, Pyridostig-
rung der Tränen- und Speichelsekretion beim minbromid und Distigminbromid (႒ Tab. 20.2).
20.2 Parasympatholytika 205

Ihr Wirkungsmechanismus besteht darin, dass Weitere therapeutisch verwendete Cholines-


sie durch Reaktion mit dem esteratischen Zent- terasehemmer sind die Antidementiva Donepe-
rum der Acetylcholinesterase unter Ester-Bil- zil, Galantamin und Rivastigmin (Ⴉ Kap. 10.6.1).
dung die Spaltung von Acetylcholin reversibel Neben den reversibel wirkenden Substanzen
hemmen. existieren auch irreversible Cholinesterase-
Physostigmin (Anticholium®), das Hauptal- hemmer, die als Insektizide und chemische
kaloid der Kalabarbohne und Leitsubstanz der Kampfstoffe (z. B. Alkylphosphate) verwendet
Carbaminsäure-Derivate, wird intravenös bei werden.
postoperativ auftretenden Störungen (z. B. bei
zentralem anticholinergem Syndrom und verzö-
gertem postoperativen Erwachen) sowie als An- 20.2 Parasympatholytika
tidot bei Vergiftungen mit parasympatholytisch
wirkenden Verbindungen angewandt. Aufgrund Muscarinrezeptor-Antagonisten (Parasympa-
der guten ZNS-Gängigkeit kann es bei zu tholytika, Anticholinergika, m-Cholinozeptor-
schneller Injektion zu generalisierten Krampf- Antagonisten) blockieren durch kompetitiven
anfällen kommen. Antagonismus die Acetylcholin-vermittelte Er-
Neostigmin (z. B. Neostig Carino®), das als regungsübertragung an Muscarinrezeptoren.
quartäre Ammonium-Verbindung die Blut- Die meisten Wirkstoffe besitzen keine oder eine
Hirn-Schranke nicht überwinden kann, wird nur geringe Selektivität für bestimmte Musca-
intravenös bei Myasthenia gravis und zur Ant- rinrezeptor-Subtypen. Daher sind die Wirkun-
agonisierung der muskelrelaxierenden Wirkung gen und Nebenwirkungen der Parasympatholy-
nichtdepolarisierender Muskelrelaxantien ein- tika grundsätzlich ähnlich. Unterschiede erge-
gesetzt. ben sich insbesondere bzgl. der Resorption und
Pyridostigminbromid (z. B. Mestinon®) ist ZNS-Gängigkeit: Tertiäre Aminoverbindungen
zwar schwächer wirksam als Neostigmin, zeich- werden gut resorbiert und gelangen schnell ins
net sich jedoch durch allmählichen Wirkungs- ZNS, während quartäre Substanzen schlecht re-
eintritt, längere Wirkdauer und größere thera- sorbierbar und kaum ZNS-gängig sind.
peutische Breite aus. Es wird intravenös bzw.
oral in denselben Indikationsgebieten wie Neo- 20.2.1 Tertiäre Aminoverbindungen
stigmin, außerdem beim Lambert-Eaton-Syn- Leitsubstanz der Parasympatholytika ist das in
drom angewandt. der schwarzen Tollkirsche (Atropa belladonna)
Distigminbromid (Ubretid®), eine bisquar- und anderen Nachtschattengewächsen vorkom-
täre Substanz, weist eine ähnliche Wirkung wie mende tertiäre Amin Atropin, das bei oraler
die oben genannten Pharmaka auf. Es besitzt Gabe gut resorbiert wird und sich schnell im ge- 20
jedoch im Vergleich zu diesen Substanzen ei- samten Organismus verteilt. Als i. v. Präparat
nen langsameren Wirkeintritt und eine deut- (z. B. Atropinsulfat B. Braun®) wird es zur Nar-
lich längere Halbwertszeit (65 h), sodass bei koseprämedikation und Kurzzeittherapie akuter
Dauertherapie nur alle 2–3 Tage eine Dosis i. m. bradykarder Rhythmusstörungen sowie als An-
oder oral appliziert wird. Distigminbromid ist tidot bei Vergiftungen mit Parasympathomime-
zugelassen zur Behandlung von neurogenen tika verwendet. Peroral (als Dysurgal®) wird es
Blasenentleerungsstörungen mit hypotonem gegen Koliken im Magen-Darmbereich und der
Detrusor, Myasthenia gravis und postoperati- Gallen- und Harnwege angewandt. Ferner dient
ver Darmatonie. es in Form von Augentropfen als Mydriatikum
Nebenwirkungen und Kontraindikationen (႒ Tab. 20.3).
der Cholinesterasehemmer entsprechen weitge- Die Nebenwirkungen von Atropin sind dosi-
hend denen von Bethanechol. sabhängig. Nach systemischer Applikation tre-
206 20 Am Parasympathikus angreifende Stoffe

႒ Tab. 20.3 Parasympatholytika ten häufig Mundtrockenheit, Abnahme der


Schweißsekretion, Tachykardie sowie Sehstö-
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
rungen auf. Bei höherer Dosierung können Ar-
Tertiäre Aminoverbindungen rhythmien, Muskelschwäche, Miktionsstörun-
gen und Störungen der Darmperistaltik auftre-
Atropin 0,5–1,5 mg i. v.,
ten. Außerdem kann es zu zentralnervösen
(z. B. Atropinsulfat B. 1,5–3 mg p. o.,
Symptomen (z. B. Unruhe- und Erregungszu-
Braun®, Dysurgal®, 0,75 mg okulär
stände, Halluzinationen, Sprachstörungen, Ver-
Atropin-POS®) (12–38 h)
wirrtheitszustände, Krämpfe) und Auslösung
Scopolamin 0,15–0,45 mg okulär eines Glaukomanfalls kommen.
(Boro-Scopol® N) Zu den Kontraindikationen zählen tachykar-
de Herzrhythmusstörungen, Koronarstenose,
Tropicamid 0,25 mg okulär
obstruktive Harnwegserkrankungen, Prostata-
(z. B. Mydriaticum
Stulln®)
hyperplasie mit Restharnbildung, mechanische
Verschlüsse des Magen-Darm-Trakts, paralyti-
Propiverin 15–45 mg p. o. scher Ileus, Megakolon, Engwinkelglaukom,
(z. B. Mictonorm®) (13–22 h) Myasthenia gravis und akutes Lungenödem.
Das ebenfalls in Nachtschattengewächsen
Oxybutynin 7,5–20 mg p. o.
enthaltene Scopolamin (Boro-Scopol® N) sowie
(z. B. Dridase®) (2–3 h)
Tropicamid (z. B. Mydriaticum Stulln®) werden
Tolterodin 2–4 mg p. o. als Augentropfen zur Pupillenerweiterung ein-
(Detrusitol®) (2–10 h) gesetzt (Ⴉ Kap. 27.3).
Einige tertiäre Parasympatholytika werden
Fesoterodin 4–8 mg p. o.
peroral zur symptomatischen Therapie der
(TOVIAZ®) (7 h)
Harninkontinenz mit Dranginkontinenz, Polla-
Solifenacin 5–10 mg p. o. kisurie und/oder imperativem Harndrang ange-
(Vesikur®) (45–68 h) wandt (Ⴉ Kap. 26.3.2). Hierzu zählen Propiverin
(z. B. Mictonorm®), Oxybutynin (z. B. Drida-
Darifenacin 7,5–15 mg p. o.
se®), Tolterodin (Detrusitol®), Fesoterodin
(Emselex®) (13–19 h)
(TOVIAZ®), Solifenacin (Vesikur®) und Dari-
Quartäre Ammoniumverbindungen fenacin (Emselex®). Tolterodin wird durch
CYP2D6 in das äquipotente 5-Hydroxymethyl-
Trospiumchlorid 30–45 mg p. o. tolterodin abgebaut, daher kann die Wirkung in
(z. B. Spasmex®) (5–18 h)
Abhängigkeit vom CY2D6-Polymorphismus
Butylscopolaminium- 20–100 mg i. v., i. m. schwanken. Solifenacin und Darifenacin besit-
bromid oder s. c., zen eine gewisse M3-Selektivität, doch gibt es
(z. B. Buscopan®) 30–60 mg p. o., keine überzeugende Evidenz für eine dadurch
30–40 mg rektal bedingte bessere Verträglichkeit oder Wirkung.
(5 h) Die Nebenwirkungen dieser Wirkstoffe entspre-
chen weitgehend denen von Atropin.
Methantheliniumbromid 150 mg p. o.
Die in der Parkinson-Therapie verwendeten
(Vagantin®) (2 h)
Wirkstoffe Biperiden (z. B. Akineton®), Borna-
Ipratropiumbromid 20–45 mg p. o. prin (Sormodren®), Procyclidin (Osnervan®)
(Itrop®) (4 h) und Trihexyphenidyl (Artane®) sind in
Ⴉ Kap. 17.2.5 dargestellt.
Glycopyrroniumbromid 0,2–0,4 mg i. m.
Pirenzepin (z. B. Gastrozepin®), ein vorwie-
(z. B. Robinul®) oder i. v. (1 h)
gend an M1-Rezeptoren angreifender Antago-
20.3 Muskulotrope Spasmolytika 207

nist, wird unter Ulkustherapeutika besprochen Blockierungen II. Grades und Vorhofflimmern
(Ⴉ Kap. 25.1.2.6). mit bradykarder Überleitung verwendet. Die
absolute Bioverfügbarkeit beträgt 3 %.
20.2.2 Quartäre Glycopyrroniumbromid (Robinul®) wird als
Ammoniumverbindungen intravenöse Injektion in der Anästhesiologie zur
Trospiumchlorid (z. B. Spasmex®), das eine Herabsetzung des Speichelflusses, der Sekretion
hohe Affinität zu M1- und M3-Rezeptoren und im Bronchialsystem sowie zur Blockade vagaler
eine etwas geringere Affinität zu M2-Rezeptoren kardialer Reflexe und dadurch bedingter Brady-
besitzt, dient ebenso wie die oben erwähnten kardie während der Narkoseeinleitung verwen-
Wirkstoffe zur Behandlung der Harninkonti- det. Außerdem wird es zur Verringerung der
nenz. Aufgrund des quartären Stickstoffatoms Nebenwirkungen von Cholinesterasehemmern
erfolgt die Resorption nach oraler Applikation genutzt.
langsam und in geringem Umfang, die absolute Ein weiteres wichtiges Indikationsgebiet der
Bioverfügbarkeit beträgt ca. 10 %. quartären Parasympatholytika sind obstruktive
Häufige Nebenwirkungen sind Mundtro- Lungenerkrankungen (insbesondere COPD),
ckenheit, Dyspepsie, Verstopfung, Bauch- bei denen Ipratropiumbromid (z. B. Atrovent®),
schmerzen und Übelkeit. Von Vorteil ist, dass Glycopyrroniumbromid (Seebri®), Tiotropi-
der Wirkstoff nicht ZNS-gängig ist und daher umbromid (Spiriva®), Aclidiniumbromid (z. B.
nicht mit ZNS-Nebenwirkungen gerechnet wer- Eklira® Genuair®) und Umeclidiniumbromid
den muss. (ANORO®) inhalativ angewendet werden
Butylscopolaminiumbromid (z. B. Busco- (Ⴉ Kap. 24.1.2). Bei der inhalativen Anwendung
pan®), ein halbsynthetisches Scopolamin-Deri- ist die schlechte Resorbierbarkeit dieser Sub-
vat, ist – insbesondere bei parenteraler Anwen- stanzen (ebenso wie ein hoher First-Pass-Effekt)
dung – bei Spasmen der glatten Muskulatur, vor von Vorteil, da dadurch wenig systemische Ne-
allem des Gastrointestinaltrakts und der weibli- benwirkungen auftreten.
chen Geschlechtsorgane, sowie zur Erleichte-
rung endoskopischer Untersuchungen des Ma-
gen-Darm-Kanals indiziert. 20.3 Muskulotrope Spasmolytika
Nach oraler oder rektaler Gabe wird Butyl-
scopolaminiumbromid nur geringfügig resor- Unabhängig von der vegetativen Innervation
biert (zu 8 bzw. 3 %), die absolute Bioverfügbar- kann die glatte Muskulatur auch durch direkte
keit liegt unter 1 %. Es wird postuliert, dass eine Einwirkung auf die glatten Muskelzellen er-
lokale Hemmung von Rezeptoren in der Mus- schlafft werden. Auf diese Weise wirkende Phar-
kelschicht des Gastrointestinaltrakts zur Wir- maka werden als muskulotrope Spasmolytika 20
kung nach oraler/rektaler Applikation beitragen bezeichnet. Leitsubstanz ist das heute nicht
könnte. Dies ist jedoch umstritten. mehr therapeutisch verwendete Opiumalkaloid
Methantheliniumbromid (Vagantin®) ist zu- Papaverin, das alle glatten Muskeln erschlafft.
gelassen zur Therapie von übermäßigem Zu den noch verwendeten muskulotropen
Schwitzen, Reizblase, Ulcus ventriculi, Ulcus Spasmolytika gehört Mebeverin (Duspatal®),
duodeni, Gastritis und Reizmagen. Nach oraler das eine selektive Wirkung auf die glatte Musku-
Anwendung ist die Bioverfügbarkeit sehr ge- latur des Verdauungstrakts besitzen soll. Es wird
ring, außerdem treten große individuelle bei Reizdarmsyndrom angewendet, die Wirk-
Schwankungen der Serumspiegel auf. samkeit ist jedoch nicht eindeutig belegt. Die
Ipratropiumbromid (Itrop®) wird peroral Dosierung beträgt 400 mg/Tag. Anticholinerge
bei vagal-bedingten Sinusbradykardien, AV- Nebenwirkungen treten nicht auf.
208 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

21 Hormone und am hormonellen System


angreifende Pharmaka

Neben dem vegetativen Nervensystem verfügt tive Zentren, die einerseits die Aktivität von
der tierische und menschliche Organismus über Sympathikus und Parasympathikus und ande-
eine weitere Regulationsmöglichkeit seines in- rerseits die Hormonabgabe der Hypophyse be-
neren Milieus, die hormonelle Steuerung. Wäh- einflussen. Hypothalamus und Hypophyse zu-
rend im Nervensystem Informationen auf dem sammen sind somit eine übergeordnete Funkti-
Leitungsweg sowie in den Synapsen chemisch onseinheit für hormonelle Regulationen.
und – seltener – elektrisch übertragen werden, In der Regio intermedia des Hypothalamus
kann man das hormonelle System mit einem werden hierzu Hormone gebildet, die mit dem
„drahtlosen“ Kommunikationssystem verglei- Blutstrom zum Hypophysenvorderlappen ge-
chen. Der Inhalt der Nachricht ist in diesem Fall langen. Dort setzen sie als Releasing-Hormone,
in der chemischen Struktur spezieller Sub- (Liberine, Reline, Freisetzungshormone) die
stanzen verschlüsselt, die – von spezialisierten entsprechenden Hypophysenhormone frei oder
(inkretorischen) Drüsenzellen gebildet und se- blockieren als Release-Inhibiting-Hormone
zerniert – in Zielzellen spezifische Wirkungen (Hemmhormone) deren Ausschüttung. Dazu
hervorrufen. Derartige chemische Informati- gehören Somatotropin- (Somatoliberin), Thyre-
onsträger bezeichnet man als Hormone. otropin- (Thyroliberin), Corticotropin- (Corti-
Während das Nervensystem vorrangig der coliberin) und Gonadotropin-Releasing-Hor-
schnellen und gezielten Informationsübertra- mon (Gonadoliberin) sowie Somatotropin-In-
gung dient, ist das hormonelle System haupt- hibiting-Hormon (Somatostatin) und Prolactin-
sächlich für die längerdauernde und zugleich Release-Inhibiting-Hormon (Prolactostatin =
globale Steuerung der Zellfunktionen zuständig. Dopamin). Mit Ausnahme von Dopamin han-
delt es sich dabei um Peptide mit einer geringen
Zahl von Aminosäuren.
21.1 Hypothalamushormone Einige dieser Hormone werden in syntheti-
scher Form in der Diagnostik, Thyroliberin
Da die Regulationen im Dienste der Erhaltung, (Protirelin; z. B. Antepan®) in der Schilddrüsen-,
Fortpflanzung und Arbeitsbereitschaft des Or- Corticoliberin (Corticorelin; z. B. CRH Ferring)
ganismus sowohl über das endokrine als auch in der Nebennierenrinden-, Gonadoliberin (Go-
über das vegetative Nervensystem vermittelt nadorelin; z. B. Relefact® LH-RH) in der
werden, ist eine enge Koordination der beiden Gonadenfunktionsdiagnostik und Somatoliberin
Systeme erforderlich, für die der Hypothalamus (Somatorelin; GHRH Ferring) bei einem Ver-
zuständig ist. Hier liegen übergeordnete vegeta- dacht auf Wachstumshormonmangel eingesetzt.
21.2 Hypophysenhormone 209

Die Dosierungen betragen von Protirelin Synthetische Somatostatin-Analoga mit hö-


200–400 μg i. v. bzw. 2 mg nasal, von Corticore- herer Aktivität und einer wesentlich längeren
lin und Gonadorelin 100 μg i. v. sowie von Soma- Halbwertszeit als Somatostatin sind Lanreotid
torelin 50 μg einmalig. (Somatuline Autogel®) und Octreotid (z. B.
Als wichtige Nebenwirkung kann ein passa- Sandostatin®). Sie dienen außer zur Akromega-
geres Hitzegefühl auftreten, daneben kommt es lie-Therapie (Ⴉ Kap. 21.2.1.6) der Behandlung
in seltenen Fällen lokal oder systemisch zu aller- von endokrin aktiven gastrointestinalen Tumo-
gischen Reaktionen. Bei schwerwiegenden Un- ren (Karzinoiden, VIPomen, Glucagonomen).
verträglichkeitsreaktionen in vorangegangenen Da Octreotid auch die exokrine Pankreassekre-
Untersuchungen ist die Gabe von Hypothala- tion hemmt, wird es ferner prä- und periopera-
mushormonen kontraindiziert. tiv zur Pankreatitisprophylaxe bei Pankreasope-
Ferner werden vom Hypothalamus – und rationen eingesetzt.
zwar in der Regio anterior – die Hypophysen- Die Dosierung von Lanreotid beträgt initial
hinterlappenhormone Oxytocin und Adiuretin 60 mg s. c. alle 28 Tage, danach wiederum alle 28
(Vasopressin) in Form von Vorläuferhormonen Tage je nach Ansprechen maximal 120 mg s. c.
(Präprohormonen) – Adiuretin als Präproadiu- Von Octreotid werden initial 50–100 μg s. c.
retin, Oxytocin als Präprooxyphysin – gebildet 1–3-mal täglich, danach 10–30 mg in Retard-
und als Neurosekret an den Hypophysenhinter- form (Sandostatin® LAR®-Monatsdepot) i. m.
lappen abgegeben (s. u.). alle 28 Tage appliziert.
Als Nebenwirkungen können neben Störun-
Somatostatin und Somatostatin-Analoga. So-
gen des Blutzuckerspiegels (Hypo- und Hyper-
matostatin (z. B. Somatostatin 3 mg Inresa)
glykämien) Schmerzen am Injektionsort, Kopf-
hemmt insbesondere durch Adenylylcyclase-
schmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbre-
Inhibition nicht nur die Freisetzung von Wachs-
chen, Cholelithiasis, Durchfall oder Steatorrhö
tumshormon, sondern auch die Sekretion von
auftreten. In Schwangerschaft und Stillzeit sind
Peptidhormonen des Gastrointestinaltrakts,
Octreotid und Lanreotid kontraindiziert.
z. B. die von Gastrin, Insulin und Glucagon
(Ⴉ Kap. 21.5.2). Bei der Therapie von Ulkusblu-
tungen und Blutungen infolge einer erosiven
21.2 Hypophysenhormone
Gastritis hat es sich dementsprechend als wirk-
sam erwiesen. Außerdem wird Somatostatin zur
21.2.1 Hypophysenvorderlappen-
Prophylaxe von postoperativen Komplikationen
hormone (HVL-Hormone)
nach chirurgischen Eingriffen am Pankreas so-
21.2.1.1 Thyrotropin
wie zur Sekretionshemmung bei Pankreas- und
Thyrotropin (Thyreotropin, thyreotropes Hor-
oberen Darmfisteln eingesetzt. Aufgrund seiner
mon, TSH = Thyreoidea Stimulating Hormone)
kurzen Halbwertszeit von wenigen Minuten
ist ein aus zwei Untereinheiten, einer α- und ei-
muss es in Form einer Dauertropfinfusion (Do-
ner β-Untereinheit, bestehendes artspezifisches 21
sierung 3,5 μg/kg und Stunde) appliziert wer-
Glykoproteid. Nach Bindung an einen G-Prote-
den.
in-gekoppelten Rezeptor fördert es die Aufnah-
Da es wegen der Beeinflussung der endokrinen me von Iodid aus dem Blut in die Schilddrüse
Pankreasfunktion nach Gabe von Somatostatin (Ⴉ Kap. 21.3.1), beschleunigt die Oxidation von
initial zu einem kurzdauernden Blutzuckerab- Iodid zu Iod und die Biotransformation von
fall und nach 2–3 Stunden zu einer Erhöhung Diiodtyrosin zu Thyroxin und Triiodthyronin.
des Blutzuckerspiegels kommen kann, ist eine Ferner steigert es die enzymatische Freisetzung
Kontrolle der Blutzuckerwerte in kurzen Zeitab- von Thyroxin (bzw. Triiodthyronin) aus Thyreo-
ständen durchzuführen. globulin und damit die Ausschüttung der Hor-
mone ins Blut. Auch wird das Schilddrüsen-
210 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

wachstum geringgradig stimuliert. Die Halb- in einem zirkadianen Rhythmus abgegeben. Die
wertszeit beträgt etwa eine Stunde. Halbwertszeit beträgt etwa 15 min.
Thyrotropin besitzt sowohl diagnostische als Tetracosactid (β1–24-Corticotropin; Synac-
auch therapeutische Bedeutung. Das gentechno- then®) wird anstelle von Corticotropin, das
logisch hergestellte Handelspräparat Thyrogen® nicht mehr im Handel ist, diagnostisch bei
enthält Thyrotropin alfa. Wird es unmittelbar Verdacht auf Nebennierenrindeninsuffizienz
vor einer Radioiod-Ganzkörperszintigraphie (Ⴉ Kap. 21.7.3) eingesetzt. Therapeutisch wird es
appliziert, kann es durch Stimulation des Iod- bei frühkindlichen Epilepsieformen, insbeson-
einbaus zur Diagnose von Schilddrüsenresten dere bei West-Syndrom (Ⴉ Kap. 16.2.3), verwen-
und noch gut differenzierten (Iod-speichern- det. Als Polypeptid muss es parenteral gegeben
den) Schilddrüsenkarzinomen bei thyreoidek- werden.
tomierten Patienten eingesetzt werden. Zusam- Die Nebenwirkungen und Kontraindikatio-
men mit Radioiod (Ⴉ Kap. 21.3.4.1) wird es fer- nen entsprechen großenteils denen der Gluco-
ner therapeutisch zur Ablation (Entfernung, corticoide (Ⴉ Kap. 21.7.1). Im Gegensatz zu die-
Zerstörung) von (restlichem) Schilddrüsenge- sen ist das adrenogenitale Syndrom (s. u.) eine
webe nach Operation eines Schilddrüsenkarzi- weitere Kontraindikation von Tetracosactid.
noms eingesetzt, sofern dieses wiederum noch
gut differenziert ist. 21.2.1.3 Gonadotropine
Die Dosierung beträgt 2-mal 0,9 mg i. m. im Die Besprechung der Gonadotropine erfolgt in
Abstand von 24 Stunden. Die zweite Injektion Ⴉ Kap. 21.8.2.
hat dabei 24 Stunden vor der Radioiod-Gabe zu
erfolgen. 21.2.1.4 Prolactin
Als Nebenwirkungen wurden Übelkeit, Er- Das aus 199 Aminosäuren aufgebaute Prolactin
brechen, Schwindel, Fieber, Grippesymptome (LTH = Lactotropes Hormon) stimuliert die
sowie Jucken und Urtikaria an der Injektions- Milchproduktion (Lactopoese) in der Brustdrü-
stelle beschrieben. Bei Schwangerschaft und in se. Beim Mann sind die physiologischen Funkti-
der Stillzeit ist Thyrotropin alfa kontraindiziert. onen noch weitgehend unklar, bekannt sind Se-
xualstörungen bei einer Hyperprolactinämie,
21.2.1.2 Corticotropin z. B. einem Prolactinom (s. u.).
Corticotropin (ACTH = Adrenocorticotropes Bei Frauen sind die Plasma-Prolactinspiegel
Hormon), ein aus 39 Aminosäuren bestehendes etwa 1,5-mal höher als bei Männern. Bei beiden
Polypeptid, wird aus dem in Proopio-melano- Geschlechtern findet man eine zirkadiane
cortin-(POMC-)Zellen gebildeten Vorläufer- Rhythmik mit maximalen Prolactinspiegeln
hormon Proopiomelanocortin (POMC), der während des Schlafs. In der Schwangerschaft ist
gleichzeitigen Vorstufe von β-Endorphin, Met- physiologischerweise die Prolactinausschüttung
Enkephalin, β-Lipotropin und Melanotropin gesteigert. Außerdem führt eine Reizung von
(s. u.), freigesetzt. Als sog. glandotropes Hor- Mechanorezeptoren in den Brustwarzen durch
mon stimuliert es in der Nebennierenrinde die den Säugling zu einer Zunahme der Prolactinse-
Produktion und Sekretion von Glucocorticoi- kretion.
den sowie schwächer auch die von Mineralocor- Die Rückkopplung zum Hypothalamus er-
ticoiden und Androgenen. folgt durch Prolactin selbst, und zwar wird bei
Sein Wirkungmechanismus besteht vor allem erhöhtem Prolactinspiegel vermehrt Dopamin
darin, dass durch Aktivierung seines Gs-Prote- ausgeschüttet, das die Prolactinsekretion
in-gekoppelten Rezeptors vermehrt cAMP ge- hemmt. Dopamin ist somit mit dem Prolactin-
bildet wird. Release-Inhibiting-Hormon identisch. Die
Corticotropin ist artunspezifisch. Pro Tag Halbwertszeit von Prolactin beträgt weniger als
werden etwa 20 mg ACTH von der Hypophyse
21.2 Hypophysenhormone 211

eine Stunde, eine therapeutische Bedeutung be-


Negative Rückkopplung
sitzt es nicht. Hypothalamus
Eine pathologische Hyperprolactinämie fin- Erhöhung der
det man bei einer Reihe von Krankheitsbildern, Somatotropin- Glucose- und
Releasing- FFS-Konzentra-
insbesondere bei Prolactinomen und als Ne- Hormon tion im Blut
benwirkungen einiger Pharmaka (z. B. Neuro-

Negative Rückkopplung
Somato-
leptika, Metoclopramid). Als Symptome treten statin
Hemmung der
bei Frauen Galaktorrhö (Milchabsonderung) Glucoseaufnahme
Hypophyse und -utilisation
und Zyklusstörungen (Amenorrhö), bei Män-
im Muskel
nern Libidoverlust und Erektionsstörungen auf.
Erhöhte Prolactinspiegel sind daher auch eine Somatropin Fettmobilisierung
wichtige Ursache von Infertilität.
IGF-1 Muskelaufbau
Leber
Pharmakotherapie der Hyperprolactinämie.
Wie oben beschrieben, ist Dopamin mit Prolac- Knochenwachstum
tin-Release-Inhibiting-Hormon identisch. Da-
her kann mit dopaminergen Agonisten, die Knorpelaufbau
vorwiegend als Antiparkinsonmittel (Ⴉ Kap.
17.2) eingesetzt werden, durch Stimulation hy- Ⴜ Abb. 21.1 Stoffwechselwirkungen von Somatro-
pophysärer Dopaminrezeptoren die Prolactin- pin und IGF-1 C. FFS freie Fettsäuren, IGF-1 insu-
Freisetzung effektiv gehemmt und eine Norma- lin-like growth factor 1. Nach Vaupel, Schaible,
lisierung der Hyperprolactinämie sowie eine Mutschler 2015
Tumorregression sowohl bei Mikro- als auch bei
Makroadenomen erreicht werden.
Growth Hormone) ist ein einkettiges Peptidhor-
Neben Bromocriptin (z. B. Pravidel®), mit dem mon aus 191 Aminosäuren.
die meisten Erfahrungen vorliegen, werden Seine Wirkung ist streng artspezifisch, tieri-
Cabergolin (z. B. Dostinex®), Metergolin (Li- sche Wachstumshormone sind beim Menschen
serdol®) und Quinagolid (Norprolac®) als Pro- wirkungslos. Wie Ⴜ Abb. 21.1 zeigt, besitzt So-
lactinhemmer verwendet. Außer zur Therapie matropin ein sehr breites Aktivitätsspektrum.
von Prolactinomen sind sie zur Unterdrückung Allerdings löst es die anabolen und wachstums-
der Laktation nach der Geburt und zum Abstil- fördernden Wirkungen nicht selbst, sondern
len, ferner bei Galaktorrhö, Prolactin-bedingter durch die Synthese von IGF-1 (insulin-like
Amenorrhö und Sterilität sowie Akromegalie growth factor 1), aus. Dieser wird in der Leber,
(s. u.) indiziert. aber auch in anderen Geweben gebildet. Außer-
Die Dosierung beträgt bei Bromocriptin im dem hat er eine kurzdauernde insulinartige
Mittel 5 mg, bei Metergolin 4–8 mg und bei Qui- Wirkung (daher auch die Bezeichnung). Soma-
nagolid 0,05 mg täglich. Von dem langwirken- tropin verhält sich somit einerseits als effektori- 21
den Cabergolin werden bei hyperprolactinämi- sches (selbst wirkendes), andererseits als glan-
schen Störungen 0,5–1 mg wöchentlich gegeben. dotropes Hormon.
Zum primären Abstillen genügt die einmalige Die volle Wirkung des Wachstumshormons
Gabe von 1 mg. Kinetik, Nebenwirkungen, Kon- bzw. von IGF-1 wird nur erreicht, wenn gleich-
traindikationen und Interaktionen Ⴉ Kap. 17.2.4. zeitig Schilddrüsen-, Nebennierenrinden- und
Sexualhormone in physiologischen Konzen-
21.2.1.5 Somatropin trationen vorhanden sind. Umgekehrt ist der
Das Wachstumshormon Somatropin (Somato- wachstumsfördernde Effekt dieser Hormone bei
tropin, STH: Somatotropes Hormon, GH: Fehlen von Somatropin herabgesetzt. Die Halb-
212 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

wertszeit beträgt bei intravenöser Injektion 20– filtrative (z. B. bei Sarkoidose) und regressive
30 min. Veränderungen (z. B. infolge von Durchblu-
Somatropin (z. B. Saizen®) ist zur Behand- tungsstörungen), Entwicklungsstörungen und
lung des hypophysären Minderwuchses (s. u.) Traumen zu nennen. Die klinischen Folgen hän-
sowie der Wachstumsstörung von Mädchen mit gen davon ab, welche Hormone betroffen sind.
Ullrich-Turner-Syndrom (X-Monosomie) indi-
Die Therapie hat sich dementsprechend nach
ziert. Bei Erwachsenen kann es außerdem bei
den betroffenen Hormonen zu richten. Ein hy-
nachgewiesenem Growth-Hormon-Mangel an-
pophysär bedingter Cortisolmangel wird durch
gewandt werden.
die Gabe von Cortisol (15 mg morgens, 5 mg
Aufgrund des beschriebenen Eingriffs in den
abends) ausgeglichen, in Belastungssituationen
Glucosestoffwechsel wirkt Somatropin in höhe-
(z. B. nach Operationen, hohem Fieber) sind hö-
rer Dosierung diabetogen, daher ist bei Diabetes
here Dosen erforderlich.
mellitus Vorsicht geboten. Infolge der beschleu-
Tritt durch verminderte oder fehlende
nigten Zellteilung kann ferner eine Wachstums-
Thyrotropinausschüttung eine Hypothyreose
beschleunigung bei Tumoren nicht ausgeschlos-
(Ⴉ Kap. 21.3.3) auf, ist unter Kontrolle der
sen werden. Bei Tumorerkrankungen ist es da-
Plasmakonzentration der Schilddrüsenhormo-
her kontraindiziert. Die gleichzeitige Gabe von
ne die orale Applikation von täglich 75–150 μg
Glucocorticoiden schwächt die Wirkung von
Levothyroxin indiziert.
Somatropin ab.
Bei einem Gonadotropinmangel werden
Somatropin-Antagonisten. Ein pegyliertes entweder Gonadotropine oder Sexualhormone
Analogon von Somatropin mit antagonistischen (Estrogene, Gestagene, Androgene, Ⴉ Kap. 21.8)
Eigenschaften, das zur Behandlung der Akro- eingesetzt.
megalie (s. u.) eingesetzt wird, ist Pegvisomant Kommt es bei Erwachsenen infolge eines
(SOMAVERT®), das selektiv an Wachstumshor- nachgewiesenen Wachstumshormonmangels
monrezeptoren bindet. Nach s. c. Applikation zu Stoffwechselstörungen und eingeschränkter
wird es langsam resorbiert, maximale Plasma- körperlicher Leistungsfähigkeit, ist die s. c. In-
konzentrationen werden erst nach 1,5–3 Tagen jektion von Somatropin (initial 0,15–0,2 mg bis
erreicht. Die Halbwertszeit wird mit 74–172 max. 1,5 mg täglich, jeweils am Abend) ange-
Stunden angegeben. zeigt.
Die Dosierung beträgt initial 80 mg s. c., da-
Hypophysärer Minderwuchs. Der hypophysäre
nach täglich 10 mg s. c.
Minderwuchs beruht auf einem Mangel an So-
Der Wirkstoff ist im Allgemeinen gut ver-
matropin während der Wachstumsphase. In
träglich. Bei Patienten, die Insulin oder orale
ausgeprägter Form entsteht ein Zwergwuchs
Antidiabetika erhalten, kann zu Therapiebeginn
(Körpergröße < 140 cm), bei dem die Körper-
eine Dosisreduktion der blutzuckersenkenden
proportionen erhalten bleiben. Als Ursache
Pharmaka erforderlich sein.
kommen neben seltenen genetischen Störungen
Missbildungen, Infektionen oder Tumoren des
21.2.1.6 Funktionsstörungen der Zentralnervensystems sowie Schädel-Hirn-Ver-
Adenohypophyse und ihre Therapie letzungen in Betracht. Relativ häufig findet man
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz. Bei die- Hinweise auf ein Geburtstrauma. Das erklärt
sem auch Hypopituitarismus genannten Krank- auch, warum vielfach kein isolierter Somatro-
heitsbild handelt es sich um eine verminderte pinmangel, sondern eine allgemeine Hypophy-
Ausschüttung von Hypophysenvorderlappen- senvorderlappeninsuffizienz mit geringer Aus-
hormonen. Als Ursachen sind vor allem Hypo- prägung sonstiger Hormonmangel-Symptome
physenvorderlappen-Adenome, ferner Hirn- besteht. Kinder mit Wachstumshormonmangel
tumore, genetische Defekte, Entzündungen, in-
21.2 Hypophysenhormone 213

erhalten Somatropin (0,025–0,35 mg/kg s. c.) töse Therapie durchgeführt. Diese besteht in
1-mal täglich vor dem Schlafengehen. der Gabe der Somatostatin-Analoga Lanreotid
und Octreotid (Ⴉ Kap. 21.1) oder, wenn diese
Hypophysärer Riesenwuchs und Akromegalie.
nicht vertragen werden bzw. nicht ausreichend
Ein hypophysärer Riesenwuchs (Gigantismus),
wirksam sind, in der Applikation des Wachs-
der ebenfalls zu einem proportionierten Kör-
tumshormonrezeptor-Antagonisten Pegviso-
perbau führt, entsteht, wenn vor dem Abschluss
mant (s. o). Ferner können dopaminerge Ago-
des Längenwachstums zu viel Somatropin gebil-
nisten (Ⴉ Kap. 17.2.4), die bei Akromegalen im
det wird. Zu diesem Zeitpunkt sind die Epiphy-
Gegensatz zu Gesunden die Somatropinsekreti-
senfugen noch nicht geschlossen, die Knochen
on senken (paradoxe Somatropinsekretions-
können also noch in die Länge wachsen. Der
hemmung), angewandt werden.
Akromegalie liegt zwar wie dem hypophysären
Riesenwuchs eine Somatropin-Überproduktion
21.2.2 Hypophysenhinterlappen-
zugrunde, doch kommt es im Unterschied zum
hormone (HHL-Hormone)
Gigantismus wegen des schon erfolgten Epiphy-
21.2.2.1 Adiuretin und Analoga
senschlusses nur zu einem appositionellen Kno-
Die physiologische Aufgabe von Adiuretin
chenwachstum (Zunahme des Knochendicken-
(ADH = Antidiuretisches Hormon, Vasopres-
wachstums). Daneben tritt eine Wachstums-
sin) besteht darin, die Harnkonzentrierung in
stimulation der Haut, der Hautanhangsgebilde
der Niere zu fördern. Bereits in sehr niedrigen
und teilweise auch der inneren Organe
Konzentrationen erhöht es die Permeabilität für
(Splanchnomegalie) auf. Klinisch beobachtet
Wasser in der Niere und dadurch die Wasserre-
man eine Vergröberung der Gesichtszüge, eine
sorption. Auf dieser Eigenschaft beruht die Be-
Vergrößerung des Schädels, der Hände und
zeichnung Adiuretin. In höheren Dosen kontra-
Füße sowie eine Verdickung von Nase, Zunge
hiert es sämtliche glatte Muskeln, so auch die
und Lippen. Bei etwa 50 % der Patienten ist der
der Gefäße (daher die Bezeichnung Vasopres-
Blutdruck erhöht, bei 40 % findet man wegen
sin). Adiuretin ist außerdem an der Regulation
der Insulin-antagonistischen Wirkung des
der Corticotropin-Freisetzung beteiligt und regt
Wachstumshormons eine Hyperglykämie oder
in höheren Konzentrationen die Synthese des
einen manifesten (hypophysären) Diabetes mel-
von-Willebrand-Faktors und von Faktor VIII
litus (Ⴉ Kap. 21.6.1), bei etwa 30 % eine Struma
(Ⴉ Kap. 23.1.3.1) an.
und Schlafapnoe. Die ebenfalls zu beobachtende
Die Antidiurese und die verstärkte von-
Abnahme von Libido und Potenz sowie das Auf-
Willebrand-Faktor- sowie Faktor-VIII-Synthese
treten einer Amenorrhö sind die Folgen der Er-
wird durch V2-Rezeptoren, die Muskelkontrak-
regung von Prolactinrezeptoren durch sehr
tion (insbesondere die Vasokonstriktion) durch
hohe Wachstumshormon-Konzentrationen. Bei
V1a-Rezeptoren und die ACTH-Sekretion durch
beiden Krankheitsbildern ist die Ursache meist
V1b-Rezeptoren hervorgerufen. V2-Rezeptor-
ein Adenom der Wachstumshormon-produzie-
Erregung stimuliert die Adenylylcyclase, V1a- 21
renden eosinophilen Zellen der Adenohypo-
und V1b-Rezeptor-Eregung bewirkt eine Akti-
physe.
vierung des Phosphoinositol-Wegs.
Therapeutisch kommt vor allem die operative Die Kontrolle der Hormonwirkung erfolgt
Tumorentfernung in Betracht, daneben eine Be- über Volumen-, Presso- und Osmosensoren.
strahlung, die allerdings weniger wirksam und Neben physiologischen Stimuli führen auch
wegen der Gefahr eines vollständigen Hypo- Schmerzen sowie andere sensorische Reize und
physenausfalls auch gefährlicher ist. Bei unzu- Stress zu einer Adiuretin-Sekretion. Außerdem
reichendem Erfolg, bestehenden Kontraindika- kann eine Adiuretin-Freisetzung durch cho-
tionen dieser beiden Methoden sowie zur ope- linerge Stoffe, einige Antiepileptika und tricycl-
rativen Vorbehandlung wird eine medikamen- ische Antidepressiva hervorgerufen werden.
214 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Alkohol, Coffein, Glucocorticoide und Phe- Dosierung beträgt initial 2 mg, dann alle 4 Stun-
nytoin hemmen dagegen die ADH-Sekretion. den 1 mg i. v. Als Nebenwirkungen wurden u. a.
Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften Bradykardie, Konstriktion der Koronararterien,
wurde Adiuretin vor allem als Antidiuretikum Blutdruckanstieg, Bauchschmerzen, Diarrhö
bei Diabetes insipidus (Ⴉ Kap. 26.2.1.1) sowie in- und Spasmen der Uterusmuskulatur beobachtet.
folge des vasokonstriktorischen Effekts bei Öso- In der Schwangerschaft ist Terlipressin kontra-
phagusvarizenblutungen angewandt. Durch Ge- indiziert, bei Patienten mit Asthma bronchiale,
fäßverengung im Splanchnikusgebiet sinkt Hypertonie, fortgeschrittener Arteriosklerose
nämlich der Druck in der Pfortader und damit und Niereninsuffizienz sind die Anwendungs-
auch in den Ösophagusvenen. Nachdem es je- beschränkungen zu beachten.
doch durch Molekülveränderungen gelang, Adi-
Felypressin wurde bereits in Ⴉ Kap. 13 erwähnt.
uretin-Analoga zu entwickeln (s. u.), die vorwie-
gend antidiuretisch oder vasokonstriktorisch
wirken, hat Adiuretin praktisch keine therapeu- 21.2.2.2 Oxytocin
tische Bedeutung mehr. Oxytocin wird in Ⴉ Kap. 21.8.8.1 behandelt.
Adiuretin-Analoga. Desmopressin (z. B. Mini-
rin®) ist ein V2- und V1b-Rezeptor-Agonist und
21.3 Schilddrüsenhormone
ein V1a-Rezeptor-Antagonist. Dies erklärt seine
antidiuretische und zugleich fehlende vasokon-
21.3.1 Levothyroxin, Triiodthyronin
striktorische Wirkung. Im Vergleich mit Adiu-
Die Schilddrüse produziert zwei den Stoffwech-
retin besitzt es zusätzlich den Vorteil der länge-
sel beeinflussende Hormone: Levothyroxin (l-
ren Halbwertszeit von ca. 2 Stunden. Es ist vor
Thyroxin = T4) mit 4 und – in deutlich geringe-
allem bei Diabetes insipidus (Ⴉ Kap. 26.2.1.1)
rer Menge – Triiodthyronin (Liothyronin = T3)
indiziert. Auch kann es – unterstützend zur psy-
mit 3 Iodatomen. Ferner sezerniert die Schild-
chotherapeutischen Behandlung – bei nächtli-
drüse das an der Regulation des Ca2+-Blutspie-
chem Bettnässen gegeben werden. Bei Patienten
gels beteiligte Calcitonin (Ⴉ Kap. 21.4.2).
mit leichter bis mittelschwerer Hämophilie A
Levothyroxin und Triiodthyronin leiten sich
(Ⴉ Kap. 23.1.3) dient Desmopressin (0,3–0,4 μg/
von der Aminosäure Tyrosin ab. Die iodfreie
kg i. v.) ferner zur Behandlung bzw. Prophylaxe
Grundsubstanz der Schilddrüsenhormone wird
von Blutungen im Rahmen operativer Eingriffe.
als Thyronin bezeichnet. Die Schilddrüse sezer-
Als Nebenwirkungen kann es infolge der an-
niert täglich ca. 90 μg T4 und 8 μg T3.
tidiuretischen Wirkung zu Wasserretention, in
schweren Fällen zum Hirnödem kommen. Au- Wirkungsmechanismus und physiologische
ßerdem wurden Übelkeit, Erbrechen, abdomi- Wirkungen der Schilddrüsenhormone. Das ei-
nelle Krämpfe sowie vereinzelt Überempfind- gentlich wirksame Schilddrüsenhormon ist Tri-
lichkeitsreaktionen beschrieben. Kontraindika- iodthyronin. Nach Durchtritt durch die
tionen sind Polydipsie bei Alkoholkranken, Zellmembran bindet es an einen nukleären Re-
Hyponatriämie, Herzinsuffizienz sowie schwere zeptor. Der so gebildete Hormon-Rezeptor-
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts. Komplex ist nach Bindung an spezifische DNA-
Sequenzen durch Beeinflussung der Genexpres-
Terlipressin (z. B. Glycylpressin®) dient zur Be-
sion ein wichtiger Regulator der Transkription
handlung von Ösophagusvarizenblutungen. Es
und damit konsekutiv der Proteinbiosynthese in
stellt ein Prodrug von Lysin-Vasopressin, dem
den Zielzellen (Ⴜ Abb. 21.2). Insbesondere wer-
bei Schweinen vorkommenden Vasopressin,
den die Na+/K+-ATPase und mitochondriale
dar. Der aktive Wirkstoff wird durch Abspaltung
Enzyme (vor allem Enzyme des Kohlenhydrat-
von drei Glycinresten langsam freigesetzt. Die
und Fettstoffwechsels) vermehrt gebildet.
Wirkdauer steigt damit auf 3–4 Stunden. Die
21.3 Schilddrüsenhormone 215

Triiodthyronin bewirkt auf diese Weise eine


Steigerung des Energieumsatzes, des Sauerstoff- T3 T4
verbrauchs und der Wärmebildung im gesamten
Körper (Ausnahme Gehirn). In der Leber wer-
T3
den die Glykogenolyse und Gluconeogenese ge-
steigert (Insulin-antagonistischer Effekt). T3 er-
T3
höht ferner die Zahl der LDL-Rezeptoren Zellkern
(Ⴉ Kap. 23.2.1.2) in der Hepatozytenmembran
und die Dichte der kardialen β1-Rezeptoren. In
physiologischen Konzentrationen wirkt es ana-
bol, in hohen Konzentrationen dagegen auf- Transkription
grund eines beschleunigten Eiweißabbaus in der
Muskulatur katabol. Im Fettstoffwechsel steigert Translation Proteine
T3 einerseits die Lipolyse im Plasma, anderer-
seits fördert es die Lipogenese im Fettgewebe
und in der Leber. Zusammen mit Somatropin Na+/K+-ATPase, Enzyme des
sind physiologische Konzentrationen der Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels u.a.
Schilddrüsenhormone des Weiteren die Voraus-
setzung für ein normales Längenwachstum so- Ⴜ Abb. 21.2 Wirkungsmechanismus der Schilddrü-
wie die normale Organentwicklung. senhormone. T3 Triiodthyronin, T4 Levothyroxin

21.3.2 Strumaprophylaxe und eine Reihe von Wachstumsfaktoren, z. B. epider-


-therapie malem Wachstumsfaktor (EGF) oder IGF-1
Unter einer Struma (Kropf) versteht man eine (Ⴉ Kap. 21.2.1.5), die bei intrathyreoidalem Iod-
Vergrößerung der Schilddrüse durch Vermeh- mangel vermehrt gebildet werden, zurückzu-
rung der Follikelzahl (Schilddrüsenhyperpla- führen. Ist der Iodmangel jedoch nicht mehr
sie). Auf die Schilddrüsenfunktion kann daraus auszugleichen, entwickelt sich eine (manifeste)
aber nicht geschlossen werden: So gibt es Stru- Hypothyreose (s. u.). Bei lange bestehender eu-
men bei normaler Funktion (euthyreote Stru- thyreoter Struma und damit lange vorhande-
ma) sowie bei Unter- und Überfunktion der nem Iodmangel besteht die Gefahr der Entwick-
Schilddrüse (s. u.). lung von kalten, d. h. nicht hormonaktiven, und
heißen Knoten.
Euthyreote Struma. Diese durch normale T3-
Die Prophylaxe der euthyreoten Struma ist
und T4-Spiegel charakterisierte Struma ist die
durch ausreichende Zufuhr von Iodid möglich.
häufigste Schilddrüsenerkrankung (ca. 90 %) in
Der tägliche Iodbedarf beträgt 150–200 μg, in
Deutschland. Sie ist vorwiegend durch die Un-
der Schwangerschaft 230–260 μg. Bei unzurei-
terversorgung mit Iod bedingt (endemische
chender Iodaufnahme mit der Nahrung und 21
Iodmangelstruma). Mehr als 20 % der deut-
dem Trinkwasser ist eine Iodprophylaxe mit 5 g
schen Bevölkerung weisen aufgrund eines Iod-
iodiertem Kochsalz täglich, was einer Zufuhr
mangels eine vergrößerte Schilddrüse auf. So-
von 100 μg Iod entspricht, oder durch Gabe von
lange durch vermehrte Bildung von Schild-
Kaliumiodid-Tabletten, ebenfalls in einer tägli-
drüsengewebe und optimale Nutzung des zuge-
chen Dosierung von 100 μg Iod, erforderlich.
führten Iods die zu niedrige Iodversorgung
Die medikamentöse Therapie eines euthyre-
kompensiert werden kann, kommt es noch nicht
oten Kropfes erfolgt entweder mit Iodid (z. B.
zu Schilddrüsenhormon-Mangelsymptomen,
bei Kindern, Jugendlichen) in einer Dosierung
sondern nur zur Kropfbildung. Diese ist neben
von 200–300 μg/Tag oder mit einer Iodid/Thy-
der erhöhten Ausschüttung von Thyrotropin auf
roxin-Kombination (z. B. bei Patienten > 40 Jah-
216 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

ren, Schwangeren). Innerhalb von 6–12 Mona- sche lymphozytäre Hashimoto-Thyreoiditis),


ten lässt sich damit durchschnittlich eine Volu- Schilddrüsentumoren, Radioiodbehandlung
menreduktion der Schilddrüse um 25–40 % er- oder Thyreostatikagabe (s. u.) verursacht wer-
reichen. Kontraindiziert ist die Gabe von Iodid den. Die T3- und T4-Spiegel sind erniedrigt. Als
bei Schilddrüsenautonomie (s. u.) wegen der Folge davon kommt es auf dem Rückkopplungs-
Gefahr einer Hyperthyreose. weg zu einem Anstieg der TSH-Konzentration.
Bei sehr großen Strumen, die die Funktion Das Vollbild der Erwachsenen-Hypothyreose
benachbarter Organe stören, ist eine Operation wird wegen der eigentümlichen Verdickung und
oder eine Radioiodtherapie (s. u.) notwendig. Schwellung der Haut infolge der Einlagerung
von Glykosaminoglykanen als Myxödem be-
21.3.3 Hypothyreosen und ihre zeichnet. Aufgrund des geringeren Grundum-
Therapie satzes kommt es zu erniedrigter Körpertempe-
Unter einer Hypothyreose (Schilddrüsenunter- ratur und vermindertem geistigem Antrieb mit
funktion) versteht man eine ungenügende Bil- langsamer, heiserer Sprache. Die Patienten sind
dung bzw. Freisetzung oder – selten – eine unge- häufig kälteempfindlich, leicht ermüdbar, bra-
nügende Wirkung von Schilddrüsenhormonen. dykard, obstipiert und übergewichtig. Haare
Eine Neugeborenenhypothyreose (1:5000 und Nägel brechen leicht, es bestehen Libido-
Neugeborene) tritt bei einer Schilddrüsenapla- und Potenzverlust.
sie oder -hypoplasie, genetisch bedingten Stö-
rungen der Hormonsynthese oder unzureichen- 21.3.3.1 Substitutionstherapie mit
der Thyrotropinausschüttung auf. Sie kann aber Levothyroxin bzw. Triiodthyronin
auch durch ausgeprägten, anhaltenden Iodman- Levothyroxin (z. B. Euthyrox®) und Triiodthy-
gel der Schwangeren oder durch Medikamente, ronin (Liothyronin; Thybon®) werden als
die deren Schilddrüsenfunktion unterdrücken, Monosubstanzen oder auch in Kombination
hervorgerufen werden. Sofern allerdings die (z. B. Novothyral®) zur Therapie von Hypothy-
Mutter während der Schwangerschaft ausrei- reosen eingesetzt (Wirkungsmechanismus
chend Schilddrüsenhormone produziert, kann s. o.).
der Bedarf des Feten soweit gedeckt werden,
Kinetik. Peroral zugeführtes Levothyroxin wird
dass beim Neugeborenen, auch wenn es selbst
zu ca. 80 % (gleichzeitige Nahrungszufuhr ver-
intrauterin keine ausreichende Menge an Schild-
ringert die Resorptionsrate deutlich), Triiodthy-
drüsenhormonen synthetisieren konnte, zum
ronin zu 90–100 % resorbiert. Das im Blut zirku-
Zeitpunkt der Geburt keine deutlichen Sympto-
lierende Levothyroxin (ca. 6–12 μg/100 ml) ist
me einer Hypothyreose zu beobachten sind.
nahezu vollständig an Eiweiß, z. B. an Thyroxin-
Nach der Geburt kommt es dagegen, falls keine
bindendes Globulin (TBG), Thyroxin-binden-
Substitution mit Schilddrüsenhormonen er-
des Präalbumin (TBPA, Transthyretin) und an
folgt, zu einer immer stärker in Erscheinung tre-
Albumin gebunden. Der freie Anteil von Triiod-
tenden Verzögerung der körperlichen und geis-
thyronin ist mit 0,5 % etwa zehnmal höher als
tigen Entwicklung. Werden jedoch möglichst
der von l-Thyroxin.
rasch nach der Geburt ausreichende Mengen an
Schilddrüsenhormonen gegeben, entwickeln T4 wird in der Peripherie, vor allem in Leber und
sich die Kinder normal. Daher ist ein Hypo- Niere, durch Monodeiodierung durch die Thy-
thyreose-Screening bei Neugeborenen gesetz- roxindehalogenase größtenteils zu T3 bzw. zu
lich vorgeschrieben. dem inaktiven 3,5,5‘-Triiodthyronin (rT3 = re-
Postnatal erworbene Hypothyreosen, bei verse T3) umgewandelt. Weitere Metabolisie-
denen die Störung in der Schilddrüse selbst rungsreaktionen erfolgen durch erneute Deio-
liegt, können durch anhaltenden Iodmangel, dierung, Konjugation mit aktivierter Glucuron-
entzündliche Prozesse (insbesondere chroni- säure oder aktiviertem Sulfat, Decarboxylierung
21.3 Schilddrüsenhormone 217

und/oder Desaminierung. Diese Metaboliten mone steigern ihrerseits die Wirkung von Anti-
sind unwirksam. Mit der Galle ausgeschiedene koagulanzien des Cumarintyps und verringern
Konjugate von T3 und T4 werden allerdings im oder verstärken den blutzuckersenkenden Ef-
Darm weitgehend dekonjugiert und die freien fekt von Antidiabetika.
Hormone wieder rückresorbiert (enterohepati-
Kontraindikationen. Relative Kontraindikatio-
scher Kreislauf). Die Halbwertszeit von Levo-
nen sind Angina pectoris, Myokardinfarkt,
thyroxin beträgt 7 Tage, die von Triiodthyronin
Myokarditis und tachykarde Herzrhythmusstö-
dagegen nur 1–2 Tage.
rungen.
Indikationen. Schilddrüsenhormone sind indi-
ziert zur Substitution bei allen Arten einer
21.3.4 Hyperthyreosen und ihre
Schilddrüsenunterfunktion, zur Strumaprophy-
Therapie
laxe nach Kropfoperationen sowie zusammen
Bei einer Hyperthyreose (Schilddrüsenüber-
mit Thyreostatika bei Hyperthyreosen zur Ver-
funktion) ist die Ausschüttung von Levothyro-
meidung einer iatrogenen Hypothyreose. Mittel
xin und Triiodthyronin gesteigert. Aufgrund der
der Wahl ist – wegen der ausgeglichenen Hor-
verschiedenen Ursachen muss zwischen nicht-
monspiegel infolge seiner langen Wirkdauer –
immunogenen und immunogenen Hyperthyre-
Levothyroxin (als Monotherapeutikum oder in
osen unterschieden werden. Bei den nicht-im-
Kombination mit Iodid, z. B. Thyronajod®).
munogenen Formen liegt eine uni- oder multi-
Dosierung. Die Dosierung erfolgt individuell fokale funktionelle Autonomie der Schilddrüse
unter entsprechender Kontrolle. Zur Vermei- vor (autonomes Adenom bzw. multiple „heiße“
dung potenzieller kardialer Nebenwirkungen Knoten). Es handelt sich hierbei um ein lokali-
wird die Substitutionstherapie mit niedrigen siertes, tumorartiges Wachstum von Teilen des
Dosen begonnen und alle 2–4 Wochen bis zur Schilddrüsengewebes, die nicht mehr der hypo-
vollen Erhaltungsdosis von 0,1–0,2 mg Levothy- thalamisch-hypophysären Regelung unterlie-
roxin täglich gesteigert. Zur Rezidivprophylaxe gen, sondern autonom vermehrt Schilddrüsen-
der euthyreoten Struma nach Kropfoperationen hormone produzieren und in die Blutbahn
werden meist nur 0,05–0,1 mg T4 benötigt. In abgeben. Weitere mögliche Ursachen einer
der Regel muss die Behandlung lebenslang er- nicht-immunogenen Hyperthyreose sind Ent-
folgen. In der Schwangerschaft ist der normale zündungen, verstärkte TSH-Freisetzung oder
Bedarf an Schilddrüsenhormonen um etwa 40 % die Aufnahme hoher Ioddosen bzw. die über-
erhöht. höhte Zufuhr von Schilddrüsenhormonen.
Die immunogenen Hyperthyreosen sind
Nebenwirkungen. Sofern korrekt dosiert wird,
durch eine diffuse Vergrößerung der Schilddrü-
muss nicht mit Nebenwirkungen gerechnet wer-
se charakterisiert (diffuse toxische Struma). Zu
den. Überdosierung führt zu den Symptomen
ihnen gehören insbesondere solche vom Typ des
einer Hyperthyreose (s. u.).
Morbus Basedow, denen Autoimmunreaktio- 21
Interaktionen. Durch Anionenaustauscherhar- nen zugrunde liegen. Als krankheitsauslösende
ze (z. B. Colestyramin) und Aluminium- oder Stoffe wurden beim Morbus Basedow von B-
Eisen-haltige Verbindungen wird die Resorpti- Lymphozyten gebildete Thyreoidea-stimulie-
on der Schilddrüsenhormone vermindert. Glu- rende Immunglobuline (TSI) vom IgG-Typ
cocorticoide, Propylthiouracil und nicht-selek- nachgewiesen. Diese agonistisch wirkenden, zur
tive Betablocker hemmen die Umwandlung von Hyperplasie führenden Autoantikörper (TSH-
T4 zu T3. Estrogene erniedrigen die freie Plasma- Rezeptor-Antikörper; TRAK) verdrängen Thy-
Thyroxin-Konzentration. Barbiturate und ande- rotropin von dessen Bindungsstellen in der
re Enzyminduktoren können die hepatische Membran der Thyreozyten und rufen eine lang-
Thyroxin-Clearance erhöhen. Schilddrüsenhor- anhaltende Schilddrüsenstimulation hervor.
218 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Bei allen Hyperthyreosen sind der Grund- Wirkungsmechanismus. Durch Blockade der
umsatz und dadurch bedingt die Körpertempe- Peroxidase blockieren diese Wirkstoffe die Um-
ratur, das Herzzeitvolumen und die Herzfre- wandlung von Iodid zu Iod (Iodisationshemm-
quenz erhöht, die Erregbarkeit ist gesteigert, stoffe), ferner unterdrücken sie den Einbau von
und trotz guten Appetits kommt es zur Ge- Iod in Tyrosin-Reste und die Kopplung von Iod-
wichtsabnahme. Die Patienten klagen über Tyrosinen zu Iod-Thyroninen. Propylthiouracil
Herzklopfen, Hitzeunverträglichkeit, Durchfälle verringert ferner die periphere Aktivierung von
und Schwitzen. Aufgrund einer vermehrten Sti- T4 zu T3 durch Deiodierung, allerdings ist die
mulation des ZNS treten Unruhezustände, klinische Relevanz dieses Effekts umstritten.
Schlaflosigkeit und ein feinschlägiger Tremor Auch gibt es Hinweise für eine immunsuppressi-
auf. Bei Morbus Basedow findet man zusätzlich ve Wirkung der Thioharnstoff-Derivate, die vor
häufig eine endokrine Orbitopathie mit beid- allem bei Patienten mit Morbus Basedow von
seitigem Hervortreten der Augäpfel (Exoph- Bedeutung ist. Infolge der genannten Effekte
thalmus). wird der Hormongehalt der Schilddrüse allmäh-
Die thyreotoxische Krise ist die stärkste, akut lich verringert und der Schilddrüsenhormon-
lebensbedrohliche Form einer Hyperthyreose. spiegel des Blutes herabgesetzt. Da die Schild-
Als Folge der schweren Stoffwechselentgleisung drüse zunächst aber noch über genügend im
kommt es zu Tachykardien, Arrhythmien, ho- Thyreoglobulin gespeichertes T3 und T4 verfügt,
hem Fieber, schweren Durchfällen und Erbre- setzt die Wirkung der Thioharnstoff-Derivate
chen sowie zu Bewusstseinsstörungen bis hin erst nach 1–2 Wochen ein. Ein evtl. vorhandener
zum Koma. Exophthalmus geht nicht zurück bzw. kann so-
gar noch verstärkt werden. Wie bei anderen
21.3.4.1 Thyreostatika und Radioiod Thyreostatika besteht durch erhöhte Ausschüt-
Thyreostatika hemmen die Hormonbildung tung von thyreotropem Hormon die Gefahr ei-
bzw. die Hormonfreisetzung in der Schilddrüse ner strumigenen Wirkung (Kropfbildung). Die-
und können daher zur Therapie einer Schild- se kann durch die Gabe von Thyreostatika in
drüsenüberfunktion eingesetzt werden. Nach adäquater, relativ niedriger Dosierung, wodurch
der Art ihres Wirkungsmechanismus unter- die Hormonsynthese nur partiell gehemmt und
scheidet man folgende Gruppen: somit kein hypothyreoter Zustand entsteht, ver-
mieden werden.
󠀂 Thiouracile und Mercaptoimidazol-Derivate
(Iodisationshemmstoffe), Indikationen. Die Thyreostatika vom Thio-
󠀂 Perchlorat-Ionen (Iodinationshemmstoff) harnstofftyp sind zur Therapie von Hyperthyre-
sowie osen, insbesondere bei Morbus Basedow, indi-
󠀂 Iodid-Ionen und Iod-Kaliumiodid. ziert.
Kinetik. Thiouracile und Mercaptoimidazole
Thiouracile und Mercaptoimidazole
werden gut resorbiert. Das Prodrug Carbimazol
Das charakteristische gemeinsame Struktur-
wird vollständig zu Thiamazol aktiviert. Die
merkmal aller Thyreostatika dieses Typs ist der
Halbwertszeiten betragen von Propylthiouracil
Thioharnstoffrest. Aus der Gruppe der Thioura-
1,5–2, von Carbimazol und Thiamazol 6–13
cile wird nur noch Propylthiouracil (Propycil®)
Stunden. Da Thiamazol jedoch in der Schild-
verwendet. Eine qualitativ gleiche, aber erheb-
drüse angereichert wird, ist seine Wirkdauer we-
lich stärkere Wirkung besitzen die Mercapto-
sentlich länger. Wichtige Biotransformationsre-
imidazole Carbimazol (Generika) und dessen
aktionen sind S-Oxidation und Glucuronidie-
aktiver Metabolit Thiamazol (z. B. Favistan®).
rung. Die Ausscheidung aller drei Verbindun-
gen erfolgt sowohl renal als auch biliär.
21.3 Schilddrüsenhormone 219

Dosierung. Die Anfangsdosen betragen für Pro- statikum bei Unverträglichkeit von Thioharn-
pylthiouracil 150–400 mg, für Carbimazol 15– stoff-Derivaten angewandt werden, allerdings
60 mg und für Thiamazol 10–40 mg täglich. Nach wird dabei heute die Radioiodtherapie (s. u.)
Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage meist bevorzugt.
wird auf Erhaltungsdosen übergegangen: Pro- Die Resorption von Perchlorat erfolgt sehr
pylthiouracil 50–150 mg, Carbimazol 5–20 mg rasch, maximale Gewebespiegel in der Schild-
und Thiamazol 2,5–10 mg pro Tag. Bei Morbus drüse werden nach etwa 4 Stunden erreicht. Per-
Basedow kann nach einer einjährigen Therapie chlorat wird nicht metabolisiert und unverän-
ein Auslassversuch unternommen werden. dert renal ausgeschieden. Die Iodaufnahmeblo-
Thyreostatika vom Thioharnstofftyp über- ckierung hält nach einmaliger Gabe nur einige
winden die Plazentaschranke. Wegen der Hypo- Stunden an, die Halbwertszeit ist nicht genau
thyreosegefahr beim Kind müssen sie in der bekannt.
Schwangerschaft (und Stillperiode) daher in der Die Dosierung von Natriumperchlorat be-
niedrigst möglichen Dosis gegeben werden. trägt bei szintigrafischen Untersuchungen 200–
400 (in Einzelfällen bis 1000) mg 4 Tage vor und
Nebenwirkungen. Als (annähernd dosisabhän-
2–3 Wochen nach Applikation des Nuklids. Bei
gige) Nebenwirkungen können Übelkeit und
der Verwendung als Thyreostatikum werden
Geruchsstörungen, ferner allergische Reaktio-
initial in den ersten 1–2 Wochen 4–5-mal täg-
nen (u. a. Erytheme, Urtikaria) und z. T. gefähr-
lich 200 mg, danach als mittlere Erhaltungsdosis
liche Knochenmarkschäden (Leuko-, Thrombo-
4-mal 100 mg/Tag eingesetzt.
penie, Agranulozytose) auftreten. Das Risiko ei-
Als Nebenwirkungen stehen Magen-Darm-
ner solchen Knochenmarkdepression ist bei der
Störungen im Vordergrund. Agranulozytosen,
niedrig dosierten Gabe von Mercaptoimidazo-
aplastische Anämien oder ein nephrotisches
len am geringsten. Da eine Agranulozytose sich
Syndrom treten selten auf. Bei Plummerung
sehr rasch entwickelt, müssen die Patienten auf
(s. u.), retrosternaler Struma und Blutbildverän-
die entsprechenden Anzeichen (Pharyngitis,
derungen unter vorausgegangener Perchlorat-
Tonsillitis, Stomatitis, Fieber) und die Notwen-
Gabe sind Perchlorat-Ionen kontraindiziert.
digkeit des sofortigen Therapieabbruchs hinge-
Iodhaltige Stoffe beeinträchtigen ihre Wirkung.
wiesen werden. Eine wichtige kardiale Neben-
wirkung ist das Auftreten von Vorhofflimmern.
Iod und Radioiod
Interaktion, Kontraindikationen. Iodid beein- Iodid und elementares Iod. In hoher Dosie-
trächtigt die Wirkung der Thyreostatika. Als rung wirken Iodid und elementares Iod als
Kontraindikationen sind retrosternale Strumen Thyreostatika, indem sie u. a. die Freisetzung
wegen der Gefahr einer Luftröhrenkompression der Schilddrüsenhormone aus Thyreoglobulin
zu nennen. hemmen. Indiziert ist die hochdosierte Gabe
von Iodid bzw. Iod jedoch nur bei Unverträg-
Perchlorat-Ionen lichkeit der thyreostatischen Behandlung vor 21
Perchlorat-Ionen unterdrücken kompetitiv die der Operation sehr großer Strumen (bei M. Ba-
Aufnahme von Iodid in die Schilddrüse (Iodi- sedow). Dadurch soll einerseits das Risiko einer
nationshemmstoffe). In Form des Natriumsal- intraoperativen thyreotoxischen Krise gesenkt
zes (Irenat®) sind sie zur Blockade der Radionu- und andererseits die Durchblutung der Schild-
klid-Aufnahme in die Schilddrüse bei szintigra- drüse herabgesetzt werden. Die Vorbehandlung
fischen Untersuchungen anderer Organe mit (Plummerung) wird mit Lugol'scher Lösung
radioaktiv markiertem Iod oder Technetium so- (wässrige Lösung von 5 % Iod, 10 % Kaliumio-
wie mit Radioiod-markierten Antikörpern indi- did; Dosis z. B. 3-mal 5 Tropfen täglich) über
ziert, um die Strahlenbelastung der Schilddrüse 10–14 Tage (Wirkungsmaximum) durchge-
abzusenken. Ferner kann Perchlorat als Thyreo- führt. Bei Verzögerung der Operation besteht
220 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

das Risiko, dass die Hyperthyreose iodinduziert führt. Schwangerschaft und Stillzeit sowie
wieder aufflammt. Wachstumsalter sind Kontraindikationen.
Radioiod (131Iod). Radioaktives Iod wird in
21.3.4.2 Strategie der Therapie von
gleicher Weise wie nicht-radioaktives Iod in die
Hyperthyreosen
Schilddrüse aufgenommen und dort gespeichert
Ziel der Behandlung von Hyperthyreosen ist die
(Halbwertszeit 8 Tage). Seine radioaktive Strah-
Beseitigung von Symptomen und die Vermei-
lung, vor allem die β-Strahlung, kann zur Zer-
dung von Folgeschäden (z. B. einer koronaren
störung von Schilddrüsengewebe und damit zur
Herzkrankheit). Dies ist möglich durch (die
Herabsetzung der Schilddrüsenhormonproduk-
oben beschriebene) Gabe von Thyreostatika,
tion genutzt werden. Wegen der geringen Reich-
Radioiodtherapie oder die chirurgische Entfer-
weite der β-Strahlen ist nahezu ausschließlich
nung von hypersekretorischem Schilddrüsenge-
Schilddrüsengewebe und kaum Nachbargewebe
webe.
betroffen. Der volle Therapieerfolg ist erst nach
Während Thyreostatika nur die Organfunkti-
2–4 Monaten zu erwarten.
on hemmen, bewirken die beiden anderen Ver-
Außer bei malignen Schilddrüsentumoren ist
fahren eine dauerhafte Beseitigung des Gewebes
Radioiod zur Therapie von Hyperthyreosen
und werden daher als definitive Therapie der
(funktioneller Autonomie, Rezidiven eines Mor-
konservativen (medikamentösen) Behandlung
bus Basedow, Unverträglichkeit von Thioharn-
gegenüber gestellt. Letztere eignet sich beson-
stoff-Derivaten) sowie bei Patienten mit be-
ders für den Morbus Basedow, der zu spontanen
handlungsbedürftiger euthyreoter Struma indi-
Remissionen neigt und oftmals nach einer thy-
ziert. In niedriger Dosierung wird Radioiod zur
reostatischen Therapie über ca. 1 Jahr nicht er-
Funktionsdiagnostik der Schilddrüse (Radioi-
neut auftritt. Der Stellenwert einer Thyreosta-
od-Test) verwendet.
tika-Therapie ist hierbei somit hoch.
Die Dosierung erfolgt individuell, die mittle-
Bei den nicht-immunogenen Formen einer
re Dosis zur Behandlung von hyperthyreoter
Hyperthyreose ist dagegen mit Pharmaka kein
Autonomie beträgt 200 Gray (Gy).
therapieüberdauernder Erfolg zu erzielen. In
Vorteilhaft sind die relativ große Wirksam-
diesen Fällen sowie bei Rezidiven des Morbus
keit, das Fehlen lokaler Nebenwirkungen sowie
Basedow ist somit eine definitive Behandlung
die geringe Rezidivrate. Als Nachteile sind die
angezeigt. Auch bei diesen Patienten müssen
lange Latenzzeit bis zum Eintreten der Wirkung,
aber zur Verringerung des Operationsrisikos
die vielfach durch eine thyreostatische Intervall-
bzw. bis zum Eintritt der Wirkung einer Radio-
behandlung überbrückt werden muss, beson-
iodtherapie überbrückend Thyreostatika gege-
ders aber die Gefahr der Entstehung einer Hy-
ben werden.
pothyreose noch nach vielen Jahren (Späthypo-
Bei endokriner Orbitopathie werden zusätz-
thyreose) zu nennen.
lich zu einer Normalisierung der Schilddrüsen-
Insgesamt betrachtet ist aber das Risiko der
funktion Allgemeinmaßnahmen (z. B. Verwen-
Radioiodtherapie einer Hyperthyreose niedrig,
dung von getönten Brillengläsern und Tränen-
auch die Gefahr der Entstehung von Schilddrü-
ersatzmitteln), Retrobulbärbestrahlung sowie in
senkarzinomen oder von Leukämien sowie von
Ausnahmefällen chirurgische Interventionen
Keimdrüsenschädigungen ist bei den therapeu-
durchgeführt. In aktiven Stadien der Erkran-
tisch verwendeten Dosierungen im Gegensatz
kung werden außerdem Glucocorticoide zur
zu den bei Reaktorkatastrophen inkorporierten
Entzündungshemmung eingesetzt (initial
Dosen gering. Daher wird eine Radioiodbe-
1–2 mg/kg Prednisolon täglich über 1–2 Wo-
handlung heute im Gegensatz zu früher auch bei
chen, anschließend Reduktion der Tagesdosis
jüngeren Patienten (ab ca. 25 Jahren) durchge-
um 5 mg/Woche, übliche Erhaltungsdosis
20 mg/Tag während 6 Monaten).
21.4 Die Calciumhomöostase beeinflussende Hormone und Therapeutika 221

Bei der thyreotoxischen Krise werden zur und 2,5 mmol/l und die von anorganischem
Behandlung der Flüssigkeits- und Salzverluste Phosphat (Pi) auf ≈ 1,3 mmol/l gehalten. Etwa
unter strenger Kontrolle Glucose- und Elektro- die Hälfte des Calciums ist gebunden, die andere
lytlösungen infundiert. Störungen der Serum- Hälfte frei.
K+-Konzentration müssen ebenfalls behoben In der Niere fördert PTH die Ca2+- und
werden. Die Hyperthermie-Behandlung erfolgt Mg2+-Resorption im distalen Tubulus, die Aus-
mit physikalischen Methoden (Eisbeuteln, scheidung von HPO2– –
4 und H2PO4 im proxima-
feuchten Wickeln). Sofern eine notfallmäßige len Tubulus und die Synthese von Calcitriol
Schilddrüsenoperation – die Therapie der Wahl (Ⴉ Kap. 29.1.1.2). Ein wesentlicher Teil der Parat-
– nicht durchführbar ist, werden zur Unterdrü- hormonwirkung kommt somit indirekt über die
ckung der weiteren Synthese von Schilddrüsen- vermehrte Calcitriol-Bildung zustande.
hormonen Thyreostatika, z. B. Thiamazol in ei- Im Knochen wirkt PTH einerseits Knochen
ner Dosierung von 160–240 mg pro Tag als abbauend, andererseits Knochen aufbauend,
Dauerinfusion, appliziert. Durch Plasmaphere- wobei insgesamt die Knochen aufbauende
se lassen sich im Blut zirkulierende, plasmapro- Funktion überwiegt. Der Knochenabbau wird
teingebundene Schilddrüsenhormone entfer- durch Aktivierung von Osteoklasten gesteigert.
nen. Wegen der häufig gleichzeitig bestehenden Diese osteolytische Wirkung beruht dabei vor
Nebennierenrindeninsuffizienz ist auch der allem auf der Freisetzung von Interleukin-6 (IL-
Einsatz von Glucocorticoiden in hoher Dosie- 6). Gleichzeitig stimuliert PTH aber die Osteo-
rung günstig (z. B. Prednisolon 100–200 mg i. v. blasten-Proliferation und -Sekretion und regt
täglich). Zur Unterdrückung der peripheren die Freisetzung von osteoanabolen Wachstums-
Hormonwirkungen werden Betablocker faktoren, insbesondere die von IGF-1 (Ⴉ Kap.
(Ⴉ Kap. 19.4.2) gegeben. 21.2.1.5), an. Darüber hinaus verhindert es die
Apoptose von Osteoblasten.
Am Intestinaltrakt erhöht das Hormon –
21.4 Die Calciumhomöostase wiederum indirekt über die vermehrte Calcitri-
beeinflussende Hormone und ol-Bildung – die Resorption von Calcium- und
Therapeutika Phosphationen.
Die Gesamtwirkung von Parathyrin besteht
An der Regulation des Calciumhaushalts sind somit in einer raschen Konzentrationsanhebung
hauptsächlich drei Hormone beteiligt: Parathy- von Ca2+ im Blut und in einer Senkung des
rin (Parathormon), Calcitonin und Calcitriol. Phosphatspiegels um den gleichen Faktor. Die
Ihre Effektororgane sind der Knochen, der Regelgröße für die Ausschüttung von Parathor-
Darm und die Niere. Ziel dieser Regulation ist mon ist die Ca2+-Konzentration im Extrazellu-
die Konstanz der Calciumionen-Konzentration larraum: Niedrige Ca2+-Konzentrationen för-
(≈ 2,5 mmol/l) im Extrazellularraum. dern die PTH-Sekretion, hohe Ca2+-Konzen-
trationen hemmen sie über einen Ca2+-Sensor 21
21.4.1 Parathyrin (Parathormon) (Ca2+-Rezeptor) in der Membran der Hauptzel-
Das in den Nebenschilddrüsen über seine Vor- len. Die Halbwertszeit von PTH beträgt nur ca. 4
stufe Präproparathyrin produzierte, lebenswich- min.
tige Parathyrin (Parathormon, PTH = Parathy- Parathyrin besitzt keine therapeutische Be-
reotropes Hormon) ist ein Polypeptid aus 84 deutung. An seiner Stelle werden Vitamin D3
Aminosäuren, doch sind auch noch einige sei- oder Dihydrotachysterol bei Parathormonman-
ner Bruchstücke (s. u.) wirksam. Durch das Hor- gel eingesetzt (s. u.). Das Parathormon-Frag-
mon wird – cAMP-vermittelt – die Plasmakon- ment Teriparatid (Ⴉ Kap. 21.4.3.4) dient zur Os-
zentration des Gesamt-Calciums zwischen 2,25 teoporosebehandlung.
222 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

21.4.1.1 Hypoparathyreoidismus und seine tration ermitteln. Es muss ein Mittelweg zwi-
Therapie schen einer Unterdosierung mit erhöhter
Dieses Krankheitsbild ist durch einen Parathy- Krampfbereitschaft und einer Überdosierung
rinmangel bedingt. Der seltenen primären mit dem Risiko einer allgemeinen Verkalkung
Form liegen als Ursachen angeborene Störun- gefunden werden. Die durchschnittliche Gabe
gen (aplastische oder hypoplastische Neben- von Dihydrotachysterol beträgt 0,5–1,5 mg
schilddrüsen) oder eine Autoimmunerkran- täglich.
kung mit einer Schädigung der Nebenschild-
drüsen zugrunde. Die wesentlich häufigere iat- 21.4.1.2 Hyperparathyreoidismus
rogen bedingte Form ist die Folge von und seine Therapie
Schilddrüsenoperationen, bei denen die Neben- Als Hyperparathyreoidismus (HPT) werden
schilddrüsen versehentlich teilweise oder ganz sämtliche Formen einer Nebenschilddrüsen-
mitentfernt wurden oder deren Blutversorgung überfunktion mit erhöhten PTH-Plasmakon-
geschädigt wurde. zentrationen bezeichnet.
Der Parathyrinmangel führt zu einer Hypo- Der primären (autonomen) Form, die mit ei-
calcämie (Ⴉ Kap. 26.2.2) und Hyperphosphat- ner Hypercalcämie und einer Hypophosphat-
ämie. Die klinische Manifestation dieser Form ämie einhergeht, liegt in ca. 80 % ein Neben-
der Hypocalcämie wird als parathyreoprive Te- schilddrüsenadenom und in etwa 20 % eine
tanie bezeichnet und äußert sich in (anfallswei- Hyperplasie der Nebenschilddrüsen zugrunde.
se auftretenden) Krämpfen der quergestreiften Die Symptome dieses Krankheitsbildes ergeben
Muskulatur sowie Parästhesien. In typischer sich vorrangig aus dem Ausmaß und der Dauer
Weise sind die Extremitäten betroffen. Es der Hypercalcämie (Hypercalcämie-Syndrom).
kommt zu einer tonischen Kontraktion der Während bei leichteren Fällen der Erkrankung
Hand- und Fußmuskulatur. Ein Laryngospas- viele Patienten asymptomatisch sind, beobach-
mus stellt eine akute Lebensgefahr dar. Vor al- tet man bei ausgeprägten Hypercalcämien ne-
lem bei der primären Form können als weitere ben Adynamie, Nykturie und Polyurie häufig
Symptome trockene und spröde Haut, Haaraus- Nierensteinkoliken infolge der Bildung von Cal-
fall, verdichtete Knochenstrukturen und intra- ciumphosphat-Steinen, seltener eine Nephro-
kranielle Verkalkungsherde hinzukommen. Fer- kalzinose oder Knochenerkrankungen. Außer-
ner können zentralnervöse Symptome (z. B. dem werden vermehrt Magenulzera und Pank-
Reizbarkeit, Ängstlichkeit und depressive Ver- reatitis infolge der durch die Hypercalcämie
stimmung) auftreten. hervorgerufenen erhöhten Gastrinsekretion be-
obachtet.
Therapie. Zur Behandlung dienen Colecalcife-
Beim sekundären (regulatorischen) Hyper-
rol (Vitamin D3, Ⴉ Kap. 29.1.1.2) oder das mit
parathyreoidismus versucht der Organismus,
diesem chemisch nahe verwandte Dihydrota-
durch vermehrte Ausschüttung von Parathyrin
chysterol (z. B. A. T. 10®), die den gleichen Effekt
einen infolge einer anderen Erkrankung erhöh-
wie Parathyrin hervorrufen, aber billiger und
ten Phosphat- und erniedrigten Calciumblut-
peroral applizierbar sind. Mit beiden Substanzen
spiegel auszugleichen. Zu diesen Erkrankungen
ist eine vollständige Substitutionstherapie mög-
gehören die Rachitis (Ⴉ Kap. 29.1.1.2), bei der
lich. Vorteilhaft ist bei Dihydrotachysterol die
nicht ausreichend Vitamin D3 zur Bildung von
im Vergleich mit Vitamin D3 kürzere Halbwerts-
1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3 vorhanden ist, und
zeit und damit bessere Steuerbarkeit (t1/2 von
die chronische Niereninsuffizienz mit verrin-
Vitamin D3 4–5 Tage, von Dihydrotachysterol
gerter Phosphatausscheidung und reduzierter
16–18 Stunden).
Hydroxylierung von 25-Hydroxy-Vitamin-D3
Die individuelle Dosierung lässt sich nur durch zu 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3 (Calcitriol).
laufende Kontrolle der Blutcalcium-Konzen-
21.4 Die Calciumhomöostase beeinflussende Hormone und Therapeutika 223

Therapie des primären Hyperparathyreoidis- rung richtet sich nach der PTH-Plasmakonzen-
mus. Ein primärer Hyperparathyreoidismus tration. Als häufigste Nebenwirkungen wurden
wird bei symptomatischen Patienten meist Hypercalcämie, Hyperphosphatämie, Juckreiz
durch die operative Entfernung des Tumors be- und Geschmacksveränderungen beobachtet.
handelt. Die medikamentöse Therapie besteht Bei Patienten mit Hypercalcämie und bekannter
bei starker Hypercalcämie in Ca2+-senkenden Vitamin-D-Intoxikation ist Paricalcitol kontra-
Maßnahmen. Hierzu gehört die Infusion von indiziert.
physiologischer NaCl-Lösung, wodurch infolge Eine weitere Therapiemöglichkeit bei dialy-
der vermehrten Natriurese auch die Calcium- sepflichtigen Patienten mit sekundärem Hyper-
ausscheidung gesteigert wird. Die Gabe von Fu- parathyreoidismus besteht in der Anwendung
rosemid (Ⴉ Kap. 26.1.2) erhöht diesen Effekt. Ein von Cinacalcet (Mimpara®). Die Substanz wirkt
weiteres wichtiges Therapieprinzip beruht auf calcimimetisch, d. h. sie erhöht die Empfind-
der Hemmung der Osteoklastenfunktion durch lichkeit des Ca2+-sensiblen Rezeptors der
die Gabe eines Bisphosphonats (Ⴉ Kap. 21.4.3.1) Hauptzellen der Nebenschilddrüse auf extrazel-
bis zur Normalisierung der Plasma-Calcium- luläres Calcium und senkt dadurch die Parathy-
Konzentration. Ca2+-retinierende Thiazid- rin-Freisetzung. Sie eignet sich daher auch als
Diuretika (Ⴉ Kap. 26.1.1) und Herzglykoside Bestandteil eines Therapieregimes, das je nach
(Ⴉ Kap. 23.3.2.2) sind kontraindiziert. Bedarf zusätzlich Phosphatbinder und Vitamin
D3 umfasst. Cinacalcet ist oral applizierbar,
Therapie des sekundären Hyperparathyreoidis-
durch gleichzeitige Nahrungszufuhr kann die
mus. Beim sekundären Hyperparathyreoidis-
Bioverfügbarkeit erhöht werden. Die Biotrans-
mus richtet sich die Behandlung nach der Ursa-
formation erfolgt vor allem durch CYP3A4 und
che. Liegt ein Mangel an Vitamin D3 vor, wird
CYP1A2, die Halbwertszeit beträgt 30–40 Stun-
dieses substituiert. Bei dem Krankheitsbild auf-
den. Die empfohlene Anfangsdosierung liegt bei
grund einer Niereninsuffizienz ist die Phosphat-
30 mg 1-mal täglich, sie kann alle 2–4 Wochen
zufuhr auf ca. 600 mg Phosphat/Tag durch Er-
bis auf maximal 180 mg 1-mal täglich erhöht
nährung mit phosphatarmen Lebensmitteln zu
werden. Als Nebenwirkungen wurden u. a.
begrenzen.
Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Schwindel, Par-
Calciumcarbonat (2–3 g/Tag) kann als Phos-
ästhesien, Hautausschläge (Rash), Myalgie, Hy-
phatbinder durch Bildung von nichtresorbierba-
pocalcämie und verringerte Testosteronwerte
rem Calciumphosphat eingesetzt werden. Seve-
beschrieben. Wegen der Hypocalcämie-Gefahr
lamer (Renagel®) ist ein nichtresorbierbares
sind die Calcium-Plasmaspiegel sorgfältig zu
Polymer, das alternativ zu Calciumcarbonat als
kontrollieren. Cinacalcet darf nur mit Vorsicht
(organischer) Phosphatbinder in einer Dosie-
gleichzeitig mit starken Hemmstoffen oder In-
rung von 0,8–1,6 g zu jeder Mahlzeit angewandt
duktoren von CYP3A4 und/oder CYP1A2 ange-
wird.
wandt werden. Außerdem ist es ein starker
Sofern mit den genannten Maßnahmen keine
CYP2D6-Inhibitor, daher ist auf entsprechende 21
Normalisierung der Ca2+-Konzentration im
Interaktionen zu achten.
Blut erzielt werden kann, ist Calcitriol indiziert.
Aluminiumhaltige Phosphatbinder, z. B. Alu-
Bei Dialysepatienten erwies sich darüber hinaus
miniumhydroxid, sollten wegen der Gefahr ei-
das Vitamin-D-Derivat Paricalcitol (Zemplar®)
ner Aluminium-induzierten Osteo- und Enze-
in Bezug auf Lebensverlängerung Calcitriol als
phalopathie nicht mehr verwendet werden.
überlegen. Der Wirkstoff wird während der Dia-
lyse nicht öfter als jeden zweiten Tag als Bolusin-
21.4.2 Calcitonin
jektion appliziert. Die mittlere Halbwertszeit
Calcitonin (Thyreocalcitonin) ist ein Peptidhor-
wird mit ca. 15 Stunden angegeben. Die Initial-
mon, das aus 32 Aminosäuren besteht. Die Bil-
dosis beträgt 0,04–0,1 μg/kg. Die weitere Dosie-
dung erfolgt in den C-Zellen der Schilddrüse,
224 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

der Nebenschilddrüsen und des Pankreas. Tieri- wendet wird vor allem synthetisches Lachs-Cal-
sche Calcitonine sind beim Menschen ebenfalls citonin (Calcitonin Rotexmedica) mit einer
wirksam (s. u.). Halbwertszeit von 50–80 min. Wegen seiner Po-
lypeptidstruktur muss Calcitonin parenteral ap-
Physiologische Wirkungen, Wirkungsmechanis-
pliziert werden.
mus. Calcitonin antagonisiert unter physiologi-
schen Bedingungen teilweise die Wirkungen Dosierung. Die Dosierung beträgt zur Präventi-
von Parathyrin. Da es die Freisetzung von Ca2+ on eines akuten Verlustes an Knochenmasse
und Phosphat aus dem Knochen hemmt und und bei M. Paget 100 IE s. c. oder i. m. pro Tag.
gleichzeitig deren Einbau in den Knochen för- Bei tumorbedingter Hypercalcämie werden
dert, senkt es schnell die Ca2+-Konzentration 100 IE (bis max. 400 IE) s. c. oder i. m. alle 6–8
des Blutes. Diese Wirkung ist teilweise auch da- Stunden gegeben.
durch bedingt, dass Calcitonin die Osteoklasten-
Nebenwirkungen. Sehr häufig treten gastroin-
tätigkeit herabsetzt. An der Niere steigert Calci-
testinale Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbre-
tonin geringfügig die Ausscheidung von Phos-
chen) und vaskuläre Störungen mit Hautrötung
phat, Ca2+ sowie Na+, K+ und Mg2+. Auf die
im Gesicht (10–20 min nach Anwendung) auf.
Erniedrigung der renalen Phosphat-Rückre-
Bei Langzeitanwendung ist das Krebsrisiko er-
sorption wirken somit Parathyrin und Calcito-
höht, die Bildung bösartiger Tumore wird häufig
nin synergistisch. Unabhängig von seinen hor-
beobachtet. Da es sich um ein Peptid handelt,
monellen Effekten hat Calcitonin eine analgeti-
besteht außerdem das Risiko systemischer aller-
sche Wirkung insbesondere bei Knochen-
gischer Reaktionen. Bei Patienten mit Hypocal-
schmerzen.
cämie ist Calcitonin kontraindiziert.
Die Regulation der Calcitonin-Abgabe erfolgt
durch die Calciumionen-Konzentration im Ex-
trazellularraum: Die Zunahme des Calcium- 21.4.3 Osteoporose, Prophylaxe und
spiegels steigert, die Abnahme hemmt die Hor- Therapie
monsekretion. Diese wird ferner nach Nah- Die Osteoporose ist eine durch Störungen des
rungsaufnahme durch gastrointestinale Hormo- Knochenstoffwechsels bedingte Knochener-
ne, z. B. Gastrin und Cholecystokinin, stimuliert. krankung (Osteopathie), die zu einer Abnahme
Auf diese Weise werden die mit der Nahrung der Knochenmasse pro Volumeneinheit (Kno-
aufgenommenen Calciumionen rasch in die chendichte) und zu einer Beeinträchtigung der
Knochendepots eingebaut, sodass es nicht zu ei- Mikroarchitektur des Knochengewebes führt.
nem Anstieg der Blut-Ca2+-Konzentration Infolge der Struktur- und Funktionsverände-
kommt. Das wiederum bedeutet, dass der Para- rungen kommt es häufig zu Knochenbrüchen,
thyrinpiegel nicht abfällt, was eine schnelle Aus- vor allem Wirbel-, Oberschenkelhals- und Un-
scheidung der resorbierten Calciumionen durch terarmfrakturen, ohne ein adäquates Trauma.
die Niere zur Folge hätte (Calcium-konservie- Laut WHO liegt eine Osteoporose vor, wenn die
rende Wirkung von Calcitonin). Die Halbwerts- Knochendichte an Wirbelsäule und Hüfte 2,5
zeit von Calcitonin beträgt ca. 45 min. Standardabweichungen unter dem Mittelwert
für eine normale, gesunde Bevölkerung liegt
Indikationen. Calcitonin ist indiziert zur Prä-
oder wenn eine pathologische Fraktur auftritt.
vention eines akuten Verlustes an Knochenmas-
Zur Bestimmung der Knochendichte stehen
se nach einer plötzlichen Immobilisation, bei
verschiedene densitometrische Messtechniken
Morbus Paget (Osteodystrophia deformans),
(z. B. Dual-X-Ray-Absorptiometry, DXA) zur
wenn andere Therapien unwirksam sind, sowie
Verfügung.
zur Behandlung von Hypercalcämien infolge
Die Osteoporose ist die häufigste Knochen-
maligner Erkrankungen. Therapeutisch ver-
erkrankung beim Menschen (Prävalenz in
21.4 Die Calciumhomöostase beeinflussende Hormone und Therapeutika 225

Deutschland 4–6 Mio, davon 80 % Frauen). Man 21.4.3.1 Bisphosphonate


unterscheidet primäre und sekundäre Formen. Bisphosphonate sind stabile Pyrophosphat-
Analoga. Sie greifen wie Pyrophosphat, das auf-
Primäre Osteoporosen. Besondere Bedeutung
grund seiner raschen Hydrolyse durch Gewebe-
kommt der postmenopausalen Osteoporose
Phosphatasen zu Phosphat nicht für die Thera-
(Typ-I-Osteoporose) der Frau zu. Durch das Sis-
pie geeignet ist, in mehrfacher Weise in den
tieren der Ovarienfunktion fällt der Estrogen-
Calciumstoffwechsel ein. Zu den therapeutisch
blutspiegel ab. Dies bewirkt eine gesteigerte
genutzten Bisphosphonaten zählen Alendronat,
Osteolyse durch verringerte Sekretion von Cal-
Clodronat, Etidronat, Ibandronat, Pamidro-
citonin und Sensibilisierung der Osteoklasten
nat, Risedronat und Zoledronat. Gemäß ihrer
gegen Parathyrin. Die Folge ist ein Anstieg der
chemischen Struktur können sie in verschiede-
Calciumionen-Konzentration im Extrazellular-
ne Gruppen (႒ Tab. 21.1) eingeteilt werden.
raum. Dies wiederum ist die Ursache für eine
verringerte Bildung von Calcitriol und eine des- Wirkungen. Durch Hemmung der Osteo-
halb erniedrigte Calciumresorption aus dem klastentätigkeit blockieren Bisphosphonate die
Darm sowie eine verstärkte renale Calciumaus- Calciumfreisetzung aus dem Knochen sowie
scheidung. Letztendlich wird durch diese Vor- den Knochenabbau (antiresorptive Wirkung).
gänge das Gleichgewicht zwischen Knochenauf- Außerdem hemmen sie die Adhäsion von Tu-
bau und -abbau zugunsten des Abbaus verscho- morzellen an die Knochenmatrix und unterdrü-
ben. cken damit tumorbedingte Osteolysen sowie
Hypercalcämien. Auch verhindern sie Weich-
Bei der senilen Osteoporose (Typ-II-Osteopo-
teilverkalkungen durch Ausfällung von Calci-
rose) ist neben einer genetischen Disposition
umphosphat bei Hyperphosphatämie. Ungüns-
eine erniedrigte Calcitriolkonzentration im
tig ist, dass sie mit dem normalen Ca2+-Einbau
Plasma ein wesentlicher pathogenetischer Fak-
interferieren und damit die Mineralisation der
tor. Alte Patienten nehmen häufig zu wenig Vit-
Knochenmatrix hemmen können.
amin D3, die Vorstufe von Calcitriol, auf. Auch
ist bei dieser Bevölkerungsgruppe meist die en- Obwohl dieses Wirkprofil im Prinzip allen Bis-
dogene Vitamin-D3-Synthese durch mangelnde phosphonaten gemeinsam ist, unterscheiden
Sonnenlicht-Exposition verringert. Außerdem sich die einzelnen Substanzen in der Wirkstärke
ist im höheren Alter häufig die Fähigkeit der und dem Verhältnis der Hemmung von Kno-
Niere zur Bildung von Calcitriol aus 25-Hydro- chenresorption und -mineralisation. Während
xycolecalciferol reduziert. beispielsweise bei dem Alkylbisphosphonat Etid-
ronat eine Resorptions-/Mineralisationshem-
Sekundäre Osteoporosen. Diesen Osteoporose-
mung im Verhältnis 1:1 ermittelt wurde, liegt bei
formen, deren Anteil nur etwa 5 % ausmacht,
dem Aminobisphosphonat Alendronat die the-
liegen u. a. endokrine Störungen (z. B. Hyper-
rapeutisch relevante, den Knochenabbau verhin-
cortisolismus, Hyperthyreose), Immobilisation,
dernde Dosis 6000-fach niedriger als die gerings- 21
Glucocorticoid- oder Zytostatikatherapie sowie
te, die Mineralisation beeinträchtigende Dosis.
Mangelernährung zugrunde. Im Unterschied zu
Der Grund hierfür liegt darin, dass Osteoklasten
den primären Osteoporosen sind Männer häufi-
den Knochen enzymatisch zusammen mit Salz-
ger betroffen als Frauen.
säure abbauen und basisch-substituierte Bis-
Zur Anwendung von Calciumsalzen, Vitamin phosphonate sich als Hydrochloride im sauren
D3, Calcitonin und Estrogenen (einschließlich Milieu des Resorptionsbereichs anreichern.
SERM) zur Osteoporoseprophylaxe bzw. -The-
Wirkungsmechanismus. Der Wirkungsmecha-
rapie vgl. Ⴉ Kap. 21.4.3.6.
nismus auf molekularer Ebene ist nur teilweise
bekannt. Nicht basisch substituierte Bisphos-
226 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.1 Bisphosphonate


INN (Handelsname) Indikation, Dosierung

Nicht basisch substituierte (halogenierte, Alkyl- und Aryl-)Bisphosphonate

Clodronat1 Tumorinduzierte Osteolyse, Hypercalcämie: 1500 mg i. v. (Infusion) einmalig bzw.


(z. B. Bonefos®) 300 mg i. v. 1-mal tgl. über 5–7 Tage bzw. 1600–3200 mg p. o. 1-mal tgl.

Etidronat (Etidronat Osteoporose: 400 mg p. o. 1-mal tgl. über 14 Tage, danach Calcium 500 mg tgl.
2000 JENAPHARM®) über 76 Tage, Wiederholung des Zyklus alle 3 Monate; M. Paget2: 5 mg/kg KG p. o.
tgl. über max. 6 Monate

Aminobisphosphonate

Alendronat Osteoporose: 10 mg p. o. 1-mal tgl. bzw. 70 mg p. o. 1-mal wöchentlich


(z. B. Tevanate®)

Pamidronat1 M. Paget2: 30 mg i. v. (Infusion) 1-mal wöchentlich über 6 Wochen; tumorindu-


(z. B. Aredia®) zierte Hypercalcämie: 15–90 mg i. v. (Infusion) einmalig; tumorinduzierte Osteo-
lyse: 90 mg i. v. (Infusion) alle 4 Wochen

N-substituierte Aminobisphosphonate

Ibandronat Osteoporose: 150 mg p. o. 1-mal monatlich bzw. 3 mg i. v. 1-mal vierteljährlich;


(z. B. Bonviva®) tumorinduzierte Hypercalcämie: 2–4 mg i. v. einmalig; Prävention bei Knochen-
metastasen: 50 mg p. o. 1-mal tgl. bzw. 6 mg i. v. 1-mal monatlich

Bisphosphonate mit einem basischen Heterocyclus

Risedronat Osteoporose: 5 mg p. o. 1-mal tgl. bzw. 35 mg p. o. 1-mal wöchentlich; M. Paget2:


(z. B. Actonel®) 30 mg p. o. 1-mal tgl. über 2 Monate

Zoledronat Osteoporose: 5 mg i. v. (Infusion) 1-mal jährlich; M. Paget2: 5 mg i. v. (Infusion)


(z. B. Aclasta®) einmalig; tumorinduzierte Hypercalcämie: 4 mg i. v. (Infusion) einmalig; Präven-
tion bei Knochenmetastasen: 4 mg i. v. (Infusion) 1-mal monatlich

1 Gemäß Fachinformation nicht zur Osteoporosetherapie indiziert,


2 Ostitis deformans

phonate werden in Osteoklasten mittels einer Clodronat 4–5 %, von Etidronat < 10 %, von N-
Transferase in ATP eingebaut und wirken da- haltigen Substanzen 0,5–2 %). Gleichzeitige
durch, dass die ATP-Derivate nur schwer hydro- Nahrungsaufnahme senkt infolge deren Calci-
lysiert werden können, auf Osteoklasten zytoto- umgehalts – es bilden sich schlecht resorbierba-
xisch. Bei den stickstoffhaltigen (basischen) Bis- re Calcium-Bisphosphonate – die Bioverfügbar-
phosphonaten wurde gefunden, dass sie die keit zusätzlich. Während die im Plasma gemes-
Farnesylpyrophosphat-Synthase hemmen und sene Halbwertszeit von Bisphosphonaten ver-
dadurch die Ankopplung eines Farnesylrestes an hältnismäßig kurz ist (meist wenige Stunden),
für die Osteoklastenfunktion essenzielle kleine beträgt die Verweildauer im Knochen Monate
G-Proteine (z. B. Ras, Rho), die sog. Prenylie- bis (viele) Jahre. Die Ausscheidung erfolgt vor-
rung, unterdrücken. wiegend renal.
Kinetik. Bei oraler Gabe werden Bisphosphona- Indikationen, Dosierungen. Bisphosphonate
te schlecht resorbiert (Resorptionsquote von sind zur Behandlung von Osteoporose und
21.4 Die Calciumhomöostase beeinflussende Hormone und Therapeutika 227

Morbus Paget (Ostitis deformans), zur palliati- Kontraindikationen. Bei Niereninsuffizienz so-
ven Therapie tumorinduzierter Osteolysen und wie in der Schwangerschaft und Stillzeit sind
Hypercalcämien sowie bei Schmerzen infolge Bisphosphonate kontraindiziert. Schwere akute
von Knochenmetastasen angezeigt, wobei sich Entzündungen des Gastrointestinaltrakts schlie-
die einzelnen Substanzen bzgl. der zugelassenen ßen die orale Gabe aus. Etidronat darf außerdem
Anwendungsgebiete teilweise unterscheiden bei Osteomalazie nicht eingesetzt werden.
(႒ Tab. 21.1). Insbesondere bei Osteoporose
wurde ihre Wirksamkeit durch zahlreiche Dop- 21.4.3.2 Denosumab
pelblindstudien nachgewiesen. Beispielsweise Denosumab (z. B. Prolia®) ist der erste zur Os-
reduzierte Alendronat bei postmenopausalen teoporosetherapie eingesetzte humane mono-
Frauen mit mindestens einer Wirbelkörperfrak- klonale Antikörper. Er bindet mit hoher Affini-
tur zu Studienbeginn nach dreijähriger Therapie tät und Spezifität an RANKL, den von Osteo-
die Inzidenz von vertebralen, Hüftgelenk- und blasten gebildeten Liganden des Receptor
Unterarmfrakturen im Vergleich zu Placebo um Activator of Nuclear Factor kappa B (RANK).
etwa 50 %. Die Dosierungen sind in ႒ Tab. 21.1 Dadurch wird RANKL daran gehindert, seinen
zusammengefasst. Rezeptor auf der Oberfläche von Osteoklasten
und deren Vorläuferzellen zu aktivieren. Durch
Bei peroraler Gabe sollen Bisphosphonate zur
die Aufhebung der RANKL/RANK-Wechsel-
Vermeidung einer Ösophagitis bzw. von Öso-
wirkung werden die Differenzierung und Rei-
phaguserosionen nüchtern mindestens 30 min
fung sowie die Funktion der Osteoklasten ge-
vor dem Frühstück mit einem Glas Wasser bei
hemmt, auch wird ihre Lebensdauer verkürzt.
aufrechtem Oberkörper appliziert werden. Au-
Die Folge ist eine verbesserte Knochendichte
ßerdem ist darauf zu achten, dass die Patienten
sowie eine verringerte Knochenresorption (an-
bis 30 min (bei Ibandronsäure bis 60 min) nach
tiresorptive Wirkung) und ein dadurch signifi-
der Einnahme sich nicht wieder hinlegen.
kant geringeres Frakturrisiko. Denosumab be-
Nebenwirkungen. Als unerwünschte Wirkun- sitzt damit das gleiche Wirkprofil und den iden-
gen können gastrointestinale Störungen (insbe- tischen Wirkmechanismus wie das körpereigene
sondere bei peroraler Gabe), allergische Hautre- Osteoprotegerin (OPG), der physiologische
aktionen, Knochen- und Muskelschmerzen, Hemmstoff von RANKL.
grippeartige Symptome, Hypocalcämie und Nach s. c. Injektion von Denosumab werden
Hypophosphatämie, peptische Ulzera und sel- maximale Plasmaspiegel nach ca. 19 Tagen er-
ten Kieferosteonekrosen sowie atypische Fe- reicht, die Halbwertszeit beträgt 26 Tage.
murfrakturen auftreten. Als weitere Nebenwir- Indiziert ist Denosumab zur Osteoporo-
kungen kommen relativ selten zentralnervöse setherapie bei postmenopausalen Frauen sowie
Störungen (Verwirrtheit, Halluzinationen, Seh- bei Männern mit erhöhtem Frakturrisiko (ins-
störungen) vor. Bei i. v. Gabe besteht die Gefahr besondere bei Prostatakarzinom) in einer Do-
einer passageren Proteinurie. Etidronat verzö- sierung von 60 mg s. c. alle 6 Monate. Zur Prä- 21
gert dosisabhängig die Mineralisation von neu- vention skelettbezogener Komplikationen durch
gebildetem Knochengewebe. Bei nicht sachge- Knochenmetastasen werden 120 mg s. c. alle 4
mäßer Anwendung kann es zu einer Ösophagi- Wochen gegeben.
tis sowie zu Ösophagus-Erosionen bzw. -Ulzera Als Nebenwirkungen kommen sehr häufig
kommen. Muskel- und Gliederschmerzen, häufig auch In-
fektionen der Harn- und oberen Atemwege, Ka-
Interaktionen. Calcium-, Eisen- und Magnesi-
tarakt, Obstipation, und Exantheme vor. Bei
umsalze verringern die Resorption von Bisphos-
mangelnder Versorgung mit Calcium und Vit-
phonaten.
amin D wurden Fälle von schwerer Hypocalc-
ämie beobachtet. Ferner können Hautinfektio-
228 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

nen und – wie bei Bisphosphonaten – selten krankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen und
Kieferosteonekrosen sowie atypische Fe- unkontrollierte Hypertonie. In Schwangerschaft
murfrakturen auftreten. Bei Hypocalcämie ist und Stillzeit ist Strontiumranelat ebenfalls kon-
Denosumab kontraindiziert. traindiziert.

21.4.3.3 Strontiumranelat 21.4.3.4 Teriparatid


Ein weiterer Wirkstoff zur Osteoporosetherapie Teriparatid (FORSTEO®) ist ein rekombinant
ist Strontiumranelat (Protelos®). Er besteht aus hergestelltes, humanes Parathormon-Frag-
zwei Strontium-Ionen und einem Molekül Ra- ment, das außer zur Behandlung von Frauen mit
nelicsäure, einer Tetracarbonsäure. Strontium- postmenopausaler Osteoporose bei Männern
ranelat steigert den Knochenaufbau durch Ver- zur Therapie einer primären oder hypogonada-
mehrung der Präosteoblasten sowie durch Stei- len Osteoporose mit hohem Frakturrisiko ein-
gerung der Kollagensynthese (osteoanabole gesetzt wird. Die empfohlene Dosis beträgt
Wirkung) und hemmt gleichzeitig die Kno- 20 μg s. c. pro Tag für maximal 24 Monate (we-
chenresorption durch Verminderung der Osteo- gen eines potenziellen Osteosarkomrisikos).
klastendifferenzierung und deren Resorptions- Durch Bindung an den Parathormon-Rezep-
aktivität (antiresorptive Wirkung). tor (Ⴉ Kap. 21.4.1) regt Teriparatid Osteoblasten
Infolge seiner hohen Polarität ist die orale zur Bildung neuer Knochensubstanz an und
Bioverfügbarkeit relativ gering (nüchtern ca. wirkt damit osteoanabol. Seine Halbwertszeit
25 %; bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme beträgt ca. 1 Stunde.
deutlich reduziert). Die Ausscheidung erfolgt Die häufigsten Nebenwirkungen sind neben
renal und mit den Fäzes. Die Halbwertszeit wird der Gefahr einer Hypercalcämie, Hypercalcurie,
mit 60 Stunden angegeben. und Hyperurikämie, Übelkeit, Kopf- und Glie-
Aufgrund seines ungünstigen Nebenwir- derschmerzen sowie Schwindel. Außerdem sind
kungsprofils wurden die Indikationen von im Tierversuch Osteosarkome aufgetreten.
Strontiumranelat stark eingeschränkt. Es darf Hypercalcämie, schwere Niereninsuffizienz,
nur noch zur Behandlung schwerer Osteoporo- primärer Hyperparathyreoidismus und Morbus
sen mit hohem Frakturrisiko bei postmenopau- Paget sowie vorausgegangene Bestrahlung des
salen Frauen und bei Männern unter einer anti- Skeletts stellen Kontraindikationen dar. Bei Pati-
androgenen Hormontherapie infolge eines Pro- enten, die mit Digitalisglykosiden behandelt
statakarzinoms angewandt werden, für die eine werden, ist wegen vorübergehend erhöhter Blut-
Behandlung mit anderen Osteoporosemitteln calciumspiegel Vorsicht geboten.
nicht möglich ist. Die Dosierung beträgt 2 g p. o.
1-mal täglich vor dem Schlafengehen. 21.4.3.5 Fluorid
Als häufige Nebenwirkungen sind neben Fluorid stimuliert die Osteoblastenproliferation
Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, sowie die Matrixsynthese und fördert auf diese
Schwindel, Übelkeit, Stomatitis, Magen-Darm- Weise den Aufbau neuer Knochensubstanz.
Beschwerden, Hautreaktionen, vor allem Myo- Diese osteoanabole Wirkung beruht zumindest
kardinfarkt und venöse Thromboembolien zu teilweise auf der Hemmung einer Phosphotyro-
nennen. syl-Phosphatase in den Osteoblasten, wodurch
Da die Resorption von Tetracyclinen und die Aktivität einer Mitogen-aktivierten Protein-
Fluorchinolonen durch Strontiumranelat ver- kinase (p44-MAPK) erhöht wird. Dem günsti-
ringert wird, soll während der Behandlung mit gen Effekt steht jedoch als unerwünschte Wir-
diesen Antiinfektiva die Strontiumranelat-Be- kung eine unregelmäßige und verzögerte Mine-
handlung ausgesetzt werden. Kontraindikatio- ralisation der Knochenmatrix sowie eine Verän-
nen sind venöse Thromboembolien, koronare derung der Apatit-Kristallstruktur, in die es
Herzkrankheit, periphere arterielle Verschluss- anstelle einer Hydroxylgruppe eingebaut wird,
21.4 Die Calciumhomöostase beeinflussende Hormone und Therapeutika 229

entgegen: Es bildet sich ein spröder, wenig be- durch calciumreiche Ernährung bzw. durch Ein-
lastbarer Knochen. Aus diesem Grund wurde nahme von Calciumpräparaten sowie insbeson-
die Fluoridtherapie der Osteoporose weitgehend dere bei älteren Patienten in der zusätzlichen
verlassen. Gabe von 500–1000 IE Vitamin D3.
In den Fällen, in denen Fluoride noch ange- Auch bei der Osteoporosebehandlung, die
wandt werden, sollen zur Vermeidung von Plas- das Ziel der Knochenstabilitäts-Verbesserung
maspiegelspitzen retardierte Präparate, z. B. sowie der Verhinderung von (neuen) Frakturen
Ossofortin® plus, das Retardtabletten mit Nat- hat, ist für eine ausreichende Calcium- und Vit-
riumfluorid und gleichzeitig Brausetabletten amin-D3-Versorgung im Sinne einer Basisthe-
mit Calcium (500 mg) und Vitamin D3 (25 μg rapie zu sorgen. Eine Indikation zur Therapie
Colecalciferol) enthält, angewendet werden. mit spezifischen Osteoporosemitteln besteht,
Die Dosierung beträgt 20 mg Fluorid täglich wenn das 10-Jahresfrakturrisiko größer als 30 %
über mind. 2 Jahre. Die Verwendung von Fluo- ist (gemessen anhand eines sog. Trabecular
rid zur Kariesprophylaxe ist unter Ⴉ Kap. 29.2 Bone Score). In ႒ Tab. 21.2 sind die für bestimm-
beschrieben. te Patientengruppen empfohlenen Osteoporose-
Als Nebenwirkungen werden Magenbe- mittel mit nachgewiesener Wirksamkeit zusam-
schwerden sowie Schwellungen und Schmerzen mengefasst.
im Sprung-, Knie- und Hüftgelenkbereich mit Nach ihrer Wirkung lassen sich die Osteopo-
und ohne Mikrofrakturen beobachtet. Die rosemittel in sog. Antiresorptiva (Bisphospho-
gleichzeitige Einnahme von Aluminium-, Calci- nate, Denosumab, Raloxifen), die die verstärkte
um- oder Magnesium-haltigen Präparaten ver- Resorption von Knochengewebe hemmen, und
ringert die Resorption von Natriumfluorid. knochenaufbaufördernde Osteoanabolika (Te-
Bei schweren Leber- und Nierenfunktions- riparatid) einteilen. Strontiumranelat wirkt so-
störungen, Osteomalazie, akuten Gelenkent- wohl antiresorptiv als auch osteoanabol.
zündungen, bei Kindern und Jugendlichen im Bisphosphonate, die am häufigsten verord-
Wachstumsalter sowie bei Frauen im gebärfähi- neten Osteoporosemittel, sind oral und/oder
gen Alter sind Fluoride in der für eine Osteopo- parenteral applizierbar und zeichnen sich durch
rosebehandlung erforderlichen Dosierung kont- eine hohe Affinität zum Knochen, eine lange
raindiziert. Verweildauer im Knochen und eine z. T. lang
anhaltende Wirkung nach Absetzen aus (z. B.
21.4.3.6 Strategie der Osteoporose- bei Zoledronat bis zu 3 Jahre). Eine wirksame
prophylaxe und -therapie Alternative stellt der monoklonale Antikörper
Zu den Risikofaktoren für osteoporotische Frak- Denosumab dar (s. c. Applikation, 2-mal jähr-
turen zählen neben allgemeinen Risiken (z. B. lich), der im Gegensatz zu den Bisphosphonaten
Alter, Geschlecht, multiple Stürze, Immobilität, auch bei stark eingeschränkter Nierenfunktion
Nicotin, Untergewicht, Calciummangel) Risiken angewendet werden kann. Seltene, aber schwer-
durch spezielle Grunderkrankungen (z. B. Dia- wiegende Nebenwirkungen einer hochdosierten 21
betes mellitus, rheumatoide Arthritis, Epilepsie, Behandlung mit Bisphosphonaten und Deno-
Herzinsuffizienz) sowie durch eine medikamen- sumab sind Kieferosteonekrosen und atypische
töse Therapie (z. B. mit Glucocorticoiden, Aro- Femurfrakturen. Raloxifen, ein oraler selektiver
matasehemmern, Antidepressiva, Glitazonen Estrogen-Rezeptor-Modulator (SERM, Ⴉ Kap.
oder PPI bei Langzeiteinnahme). 21.8.4.1), senkt bei postmenopausalen Frauen
Die Prävention der Osteoporose besteht das Frakturrisiko um 30–50 %. Nachteilig ist,
demnach in regelmäßiger Bewegung, Förderung dass die vasomotorischen Symptome in der
von Muskelkraft und Koordination, ausreichen- Frühmenopause verstärkt werden können, von
der Kalorienzufuhr bei Untergewicht sowie der Vorteil ist, dass das Risiko für Estrogen-Rezep-
Zufuhr von mindestens 1000 mg Calcium/Tag tor-positive Mammakarzinome gesenkt wird.
230 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.2 Osteoporosemittel für bestimmte anabol) besitzt, ist wie einige Bisphosphonate
Patientengruppen gemäß Leitlinie Dachverband 1-mal täglich oral anwendbar, zu beachten ist
Osteologie, 2014 das erwähnte erhöhte Herzinfarkt- und Throm-
Patientengruppe Osteoporosemittel boembolierisiko.

Postmenopausale Bisphosphonate (Alen-


Frauen dronat, Ibandronat, Rise- 21.5 Pankreashormone und
dronat, Zoledronat), Blutzuckerregulation
Denosumab, Estrogene
und selektive Estrogen-
21.5.1 Insulin
Rezeptor-Modulatoren
Synthese, Speicherung und Abbau. Insulin ist
(z. B. Raloxifen, Bazedoxi-
fen1), Strontiumranelat, ein Polypeptid, das aus zwei Peptidketten A und
Teriparatid B besteht, die durch zwei Disulfidbrücken mitei-
nander verknüpft sind. Bei der Insulinsynthese
Postmenopausale Bisphosphonate (Alen- entsteht als erstes Translationsprodukt an den
Frauen mit Gluco- dronat, Risedronat, Zole- Ribosomen der B-Zellen das nur aus einer Kette
corticoid-Therapie dronat), Teriparatid
aufgebaute Präproinsulin. Aus diesem wird im
Männer (ab dem Bisphosphonate (Alen- endoplasmatischen Retikulum Proinsulin gebil-
60. Lebensjahr) dronat, Risedronat, Zole- det, in dem die A- und B-Kette des Insulins noch
dronat), Strontium- durch das sog. C-Peptid verbunden sind. Letzte-
ranelat, Teriparatid res wird im Golgi-Apparat abgespalten. Das so
entstandene Insulin wird als Hexamer – an Zink
Männer (ab dem Bisphosphonate (Alen-
gebunden – in Vesikeln gespeichert, aus denen
60. Lebensjahr) mit dronat, Zoledronat),
Glucocorticoid-The- Teriparatid
es bei Bedarf (zusammen mit dem C-Peptid)
rapie durch Exozytose freigesetzt werden kann. Im
Plasma liegt Insulin dann weitgehend ungebun-
1 In Deutschland nicht zugelassen den vor. Die Halbwertszeit beträgt weniger als
10 min, die Wirkhalbwertszeit ca. 40 min. Der
Insulin-Abbau findet vor allem in der Leber und
Wie auch bei der oralen Hormontherapie (HT)
in den Nieren statt. Insgesamt enthält die Bauch-
mit Estrogenen ist das Risiko für venöse Throm-
speicheldrüse etwa 80 IE (s. u.) Insulin, von de-
boembolien durch Raloxifen (leicht) erhöht. Pa-
nen täglich etwa die Hälfte sezerniert wird.
tientinnen, die wegen klimakterischer Be-
schwerden im Rahmen einer HT mit Estroge- Insulinfreisetzung. Der adäquate Reiz der In-
nen behandelt werden, benötigen in der Regel sulinfreisetzung ist ein Anstieg des Blutglucose-
keine weiteren Osteoporosemittel. In der Osteo- spiegels. Daneben ruft eine Erhöhung der
porosetherapie wurde der Einsatz von Estroge- Plasmakonzentration verschiedener Aminosäu-
nen, die sich als sehr wirksam erwiesen haben, ren (z. B. Arginin, Lysin), freier Fettsäuren und
wegen eines erhöhten Brustkrebsrisikos jedoch einiger gastrointestinaler Hormone, insbeson-
streng limitiert. Das stark osteoanabol wirksame dere der Inkretine, des Gastric Inhibitory Pepti-
Teriparatid (s. c. Applikation, 1-mal täglich) de (GIP) und des Glucagon-like Peptide 1 (GLP-
darf wegen eines potenziellen Osteosarkomrisi- 1, s. u.), eine Insulinausschüttung hervor. Deren
kos nur über 2 Jahre angewendet werden, im Ausmaß wird durch das vegetative Nervensys-
Anschluss an die Teriparatid-Behandlung ist in tem moduliert: Parasympathische Impulse stei-
der Regel eine weiterführende antiresorptive gern, sympathische hemmen die Insulinsekreti-
Therapie erforderlich. Strontiumranelat, das on. Glucagon (in hohen Dosen) fördert, Soma-
eine duale Wirkung (antiresorptiv und osteo- tostatin hemmt die Insulinabgabe.
21.5 Pankreashormone und Blutzuckerregulation 231

Die durch einen Anstieg des Blutglucosespie- baut. Außerdem steigt durch Aktivierung der
gels ausgelöste Insulinfreisetzung kommt durch Na+/K+-ATPase die Aufnahme von Kaliumio-
gesteigerte Glucoseoxidation in der B-Zelle und nen in die Zellen.
dadurch vermehrte ATP-Bildung zustande. Als Letztendlich bewirken die beschriebenen
Folge davon werden ATP-gesteuerte Kalium- Vorgänge die Erniedrigung des Blutglucose-
kanäle geschlossen. Dies wiederum führt zu ei- Spiegels infolge verbesserter Glucoseverwer-
ner Abnahme der Kaliumpermeabilität und tung und verringerter Gluconeogenese sowie
dadurch zu einer Abnahme des Membran- gesteigerter Glykogen-, Protein- und Triglyce-
ruhepotenzials von etwa –65 auf –30 mV. Hier- rid-Synthese.
durch werden spannungsabhängige Calciumka-
näle aktiviert, worauf Calciumionen aus dem 21.5.2 Glucagon
Extrazellularraum einströmen und den Exozy- Das in den A-Zellen des Inselorgans gebildete
tosevorgang auslösen. Glucagon ist wie Insulin ein Polypeptid. Die
Speicherung erfolgt in Sekretgranula (α-Gra-
Insulinwirkungen. Insulin ist ein wachstums-
nula). Die Halbwertszeit beträgt infolge rascher
förderndes, anaboles Hormon. Es verbessert die
Hydrolyse in der Leber, den Nieren und im Blut
Aufnahme von Glucose und Aminosäuren in
nur wenige Minuten. Die Freisetzung von Glu-
die Zellen von quergestreifter Muskulatur und
cagon aus den A-Zellen wird durch Hypoglyk-
Fettgewebe, steigert den oxidativen Glucoseab-
ämie (z. B. infolge von Hunger) einen Anstieg
bau, verringert die Gluconeogenese in der Le-
der Konzentration von glucoplastischen Amino-
ber, erhöht die Glykogenbildung in der Leber
säuren im Blutplasma sowie durch schwere kör-
sowie im Muskel, verhindert den Glykogenab-
perliche Arbeit, Stress, Vagusreizung und Akti-
bau und stimuliert die Bildung von Fetten aus
vierung von β-Adrenozeptoren ausgelöst. Hem-
Glucose. Alle diese Vorgänge führen dazu, dass
mend auf die Glucagonsekretion wirken Hyper-
der Blutglucosespiegel sinkt.
glykämie, Insulin, Inkretine und Somatostatin.
Im Fettgewebe, das die Insulinfreisetzung
durch Sekretion von Leptin hemmt, fördert In- Glucagonwirkungen. Glucagon stellt bei der
sulin durch Aktivierung von Lipoproteinlipasen Regulation der Glucosekonzentration des Blutes
die Aufnahme freier Fettsäuren, die dann in und bei vielen Stoffwechselvorgängen in der Le-
Form von Triglyceriden als Depotfett gespei- ber einen Gegenspieler von Insulin dar. Es mo-
chert werden. Auch durch den verstärkten Ab- bilisiert die Energiereserven des Organismus bei
bau von Glucose zu Acetyl-CoA nimmt die Tri- gesteigertem Energiebedarf und drohender Hy-
glyceridbildung zu. Außerdem wirkt Insulin der poglykämie. Wie Adrenalin (Ⴉ Kap. 19.1) stei-
Fettmobilisierung und dem Fettabbau im Fett- gert es den Glykogenabbau in der Leber, jedoch
gewebe entgegen. Auch in der Leber hemmt es – im Gegensatz zu Adrenalin – nicht gleichzeitig
die Lipolyse. Weitere Wirkungen sind die gestei- auch im Muskel. Außerdem fördert Glucagon in
gerte Aufnahme von Kaliumionen in die Zellen der Leber die Gluconeogenese aus Aminosäuren 21
und die Senkung der katabolen Wirkung von und Lactat, sodass insgesamt der Blutzucker-
Glucocorticoiden und Schilddrüsenhormonen. spiegel erhöht wird.
Nach Wechselwirkung des Hormons mit dem Auf den Fettstoffwechsel hat Glucagon eine
Insulinrezeptor kommt es zu dessen Autophos- zweifache Wirkung: Einerseits erhöht es die
phorylierung. Dadurch erlangt der Rezeptor die Fettsäureoxidation und die Bildung von Keton-
Eigenschaften einer aktiven Tyrosinkinase. An- körpern in der Leber, andererseits verstärkt es
schließend wird eine Reihe von Stoffwechselen- die Lipolyse im Fettgewebe und in der Leber. Im
zymen in den Effektorzellen (verstärkt) expri- Proteinstoffwechsel bewirkt Glucagon über ver-
miert und präformierte Glucosetransporter stärkte Proteolyse die Bereitstellung von Ami-
(GLUT4) werden in die Zellmembran einge- nosäuren für die Gluconeogenese.
232 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Diese Stoffwechselwirkungen kommen genese) auftreten. Ferner können Insulin-bil-


durch Stimulation des membranständigen G- dende Inselzelltumoren oder extrapankreatische
Protein-gekoppelten Glucagon-Rezeptors, der Tumoren mit Bildung von Tryptophanabbau-
dadurch induzierten Bildung von cAMP und produkten, welche die periphere Glucosever-
schlussendlich durch die cAMP-Kinase vermit- wertung fördern, einer Hypoglykämie zugrunde
telte Phosphorylierung von Stoffwechsel-Enzy- liegen. Als weitere Ursachen kommen in Frage:
men zustande. schwere Lebererkrankungen mit Glucosebil-
dungsstörungen, angeborene Stoffwechseler-
Therapeutische Verwendung. Außer bei Hypo-
krankungen mit Defekten glykogenolytischer
glykämien (s. u.) wird Glucagon (GlucaGen®)
Enzyme, Hypophysen- und Nebennierenrin-
zur Motilitätshemmung bei Untersuchungen
denunterfunktion sowie erhöhter Glucosever-
des Gastrointestinaltrakts angewandt. Die Do-
brauch durch schwere Muskelarbeit und Gluco-
sierung beträgt bei Hypoglykämien 1 mg s. c.
surie.
oder i. m., zur Motilitätshemmung 0,2–2 mg
i. m. oder langsam i. v. Eine Hypoglykämie führt zu einer Aktivierung
Als Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbre- des Sympathikus und ruft dadurch zahlreiche
chen und Bauchschmerzen sowie sehr selten Symptome wie Unruhe, Angstgefühl, Herzklop-
Überempfindlichkeitsreaktionen beschrieben. fen, Übelkeit, Zittern, Heißhunger und Schwit-
Bei Phäochromozytom ist Glucagon kontraindi- zen hervor. Bei der Diabetestherapie (s. u.)
ziert. Glucagon verstärkt den gerinnungshem- kommt diesen bei Überdosierung eine Warn-
menden Effekt von Warfarin, Indometacin ver- funktion zu. Neurologische Symptome einer
ringert die Glucagon-Wirkung. Hypoglykämie zeigen sich in Schwächegefühl,
Schlaf- und Denkstörungen, Verwirrtheit, Seh-
störungen, Schwindel und Krämpfen. Sehr nied-
21.5.3 Regulation des
rige Blutzuckerwerte (< 1,95 mmol/l bzw. 35 mg/
Blutzuckerspiegels
dl), meist infolge Insulinüberdosierung oder ei-
Die Blutglucosekonzentration wird normaler-
nes Insulinoms, führen zum hypoglykämischen
weise auf einem Nüchternwert von 3,05–
Schock bzw. Koma.
5,55 mmol/l (55–100 mg/dl) gehalten. Sie resul-
Zur medikamentösen Behandlung von Hy-
tiert aus glucoseliefernden und glucoseverbrau-
poglykämien werden Glucagon (s. o.) und Diaz-
chenden Vorgängen im Organismus. Durch
oxid eingesetzt.
Aktivierung oder Hemmung der verschiedenen,
Diazoxid (PROGLICEM®) erhöht (neben
vorwiegend hormonell gesteuerten Vorgänge
seinem blutdrucksenkenden Effekt) den Blut-
wird der Blutglucosespiegel auf den vorgegebe-
glucosespiegel durch Hemmung der Insulinse-
nen Sollwert einreguliert. Trotz wechselnder
kretion und Steigerung der Glucoseabgabe aus
Kohlenhydrataufnahme mit der Nahrung und
der Leber. Der Wirkungsmechanismus besteht
Veränderungen der Glucoseoxidationsrate, die
in der Öffnung von KATP-Kaliumkanälen, wo-
bei Arbeit um ein Vielfaches ansteigen kann, ist
durch die B-Zellmembran hyperpolarisiert und
bei Gesunden das Regelsystem in der Lage, auf-
konsekutiv die Ca2+-Einstrom-vermittelte In-
tretende Abweichungen von diesem Sollwert
sulinfreisetzung unterdrückt wird. Die Dosie-
rasch auszugleichen.
rung erfolgt individuell (initial täglich 5 mg/kg).
Hypopglykämien. Eine Hypoglykämie liegt vor, Als Nebenwirkungen wurden Schmerzen in
wenn der Blutzuckerspiegel unter 2,5 mmol/l der Brust, Angst, Anorexie, Parästhesien,
(45 mg/dl) absinkt. Hypoglykämien können z. B. Thrombozytopenie, Tachykardie u. a. beobach-
durch Fasten, nach nicht korrekter Medikation tet. Bei Herzinfarkt oder eingeschränkter kardi-
mit Insulin oder oralen Antidiabetika sowie aler Reserve ist Diazoxid kontraindiziert.
nach Alkoholabusus (Hemmung der Gluconeo-
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 233

21.6 Pharmaka zur Therapie des hend vollständigen Insulinmangel kommen.


Diabetes mellitus 80 % der Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig!
An der Entstehung beider Typen sind sowohl
21.6.1 Pathophysiologische genetische als auch exogene Faktoren beteiligt.
Grundlagen Bei Typ-1-Diabetikern sind bestimmte HLA-
Unter einem Diabetes mellitus versteht man ein Antigene (z. B. DR3, DR4) genetisch prädispo-
Syndrom, das durch (absoluten oder relativen) nierend, andere HLA-Antigene (z. B. DR2) ha-
Insulinmangel mit chronischer Hyperglykämie ben dagegen eine protektive Wirkung. Bei ent-
(Nüchternglucosekonzentration ≥ 126 mg/dl, sprechender genetischer Disposition sind dann
Blutzuckerwert beim oralen 2-Stunden-Gluco- für die Manifestation eines Typ-1-Diabetes
se-Toleranz-Test > 200 mg/dl, jeweils im venö- meist immunologische Prozesse entscheidend.
sen Plasma zweimal an voneinander unabhängi- Infolge einer T-Zell-vermittelten Autoimmun-
gen Zeitpunkten gemessen) und durch im Ver- reaktion mit lymphozytärer Insulitis (Autoim-
lauf der Erkrankung entstehende Organschäden mun-Inselzellentzündung) kommt es zur selek-
(Spätkomplikationen) gekennzeichnet ist. Ein tiven Zerstörung von B-Zellen und damit zum
absoluter Insulinmangel liegt vor, wenn die Versiegen der Insulinproduktion und -freiset-
Bauchspeicheldrüse infolge der Zerstörung von zung. Als auslösende Faktoren werden virale
Inselzellen nicht mehr in der Lage ist, Insulin zu Infektionen (z. B. mit Coxsackie- oder Mumps-
sezernieren. Von einem relativen Insulinman- viren) oder Umweltnoxen angenommen. Schon
gel wird gesprochen, wenn infolge einer gestör- vor dem Ausbruch der Erkrankung lassen sich
ten Inselzellfunktion die Insulinsekretion den Autoantikörper gegen Insulin und Inselzellpro-
Erfordernissen nicht mehr ausreichend ange- teine, z. B. Glutamat-Decarboxylase, das große
passt werden kann, bzw. durch gestörte intrazel- strukturelle Ähnlichkeit mit Coxsackie-Virus-
luläre Signalübertragung das Ansprechen auf Proteinen besitzt, nachweisen.
Insulin vermindert ist (Insulinresistenz). Beim Typ-2-Diabetes ist die Wahrscheinlich-
Diabetes mellitus ist die häufigste und zu- keit der Vererbung noch deutlich höher als beim
gleich hinsichtlich ihrer Folgen die bedeutsams- Typ 1, doch ist der Erbgang im Einzelnen nicht
te Stoffwechselstörung. In Deutschland sind geklärt. Gesichert ist, dass es sich um ein polyge-
davon 5–8 % der Bevölkerung mit deutlich stei- netisches Geschehen handelt. Als Realisations-
gender Tendenz (!) betroffen. Noch wesentlich faktoren spielen Überernährung und Überge-
häufiger ist eine gestörte Glucosetoleranz (Prä- wicht (Adipositas) sowie körperliche Inaktivität
diabetes, s. u.). eine entscheidende Rolle.
Diabetes-Typen. Unter ätiologischen sowie pa- Eine Vorstufe des manifesten Typ-2-Diabetes
thogenetischen und klinischen Gesichtspunkten (Prädiabetes) ist das sog. metabolische Syn-
wird zwischen verschiedenen Diabetes-Typen drom, das durch Adipositas, Hyperglykämie,
unterschieden. Von diesen entfallen ca. 90 % auf Insulinresistenz, Hypertonie, Dyslipidämie so-
einen Typ-2-Diabetes. wie thrombophile Diathese charakterisiert ist 21
und von dem in Deutschland 8–12 Mio Men-
Beim Typ-1-Diabetes nimmt nach Beginn der schen betroffen sind.
Erkrankung der Insulinmangel kontinuierlich Der beim manifesten Typ-2-Diabetes auftre-
zu, bis schließlich überhaupt kein Insulin mehr tende relative Insulinmangel beruht meist auf
sezerniert wird. Daher ist dann eine Insulinsub- einer Insulinresistenz der Zielzellen, seltener
stitution unumgänglich (und lebensrettend!). auf einer Insulinsekretionsstörung. Bei Insulin-
Beim Typ-2-Diabetes besteht dagegen lange resistenz sprechen die insulinsensitiven Gewebe
nur ein relatives Insulindefizit. Erst in Spätstadi- (Leber, Muskulatur, Fettgewebe) vermindert auf
en der Erkrankung kann es zu einem weitge- Insulin an. In der Leber werden beispielsweise
trotz Hyperglykämie die Gluconeogenese und
234 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Glucoseabgabe ins Blut nicht unterdrückt. Auch akuten diabetischen Stoffwechselentgleisung,


vermag die Skelettmuskulatur, deren Anteil am dem diabetischen Koma, besteht eine extreme
Glucosestoffwechsel wegen ihrer großen Masse Glucoseverwertungsstörung. Es werden zwei
besonders hoch ist, nicht genügend Glucose auf- Formen unterschieden: das wesentlich häufigere
zunehmen. Bei übergewichtigen Typ-2-Diabeti- (ca. 80–90 %) ketoazidotische Koma, das vor al-
kern ist die Ansprechbarkeit peripherer Gewebe lem bei Typ-1-Diabetikern auftritt, und das hy-
auf Insulin stets vermindert und daher bei perosmolare Koma bei Typ-2-Diabetikern.
Krankheitsbeginn die Insulinsekretion zur Auf- Beim klassischen ketoazidotischen Koma
rechterhaltung eines normalen Blutglucosespie- entwickelt sich durch die Bildung größerer Men-
gels sogar erhöht. In späteren Stadien kann gen von Ketonkörpern eine Ketoazidose. Da die
durch die anhaltend gesteigerten Anforderun- Säuren in Form ihrer Natrium- oder Kaliumsal-
gen an die pankreatischen B-Zellen deren Funk- ze ausgeschieden werden, tritt ein Verlust an Na+
tion jedoch erschöpft werden: Die Plasmainsu- und K+ auf. Die Glucoseexkretion im Urin löst
linspiegel sinken, gleichzeitig steigt der Blutglu- darüber hinaus eine osmotische Diurese mit
cosespiegel deutlich an. Wasserverlust aus. Das ketoazidotische Koma ist
Ein Gestationsdiabetes liegt vor, wenn bei ei- somit durch Azidose, Elektrolytverschiebungen,
ner Frau erstmals in der Gravidität eine Hyper- Dehydratation und Minderdurchblutung des
glykämie nachgewiesen wird. Bei etwa 1–3 % al- Gehirns mit Hypoxie gekennzeichnet.
ler Schwangeren ist mit einem Schwanger- Beim hyperosmolaren Koma ist die Blut-
schaftsdiabetes zu rechnen. Unbehandelt nimmt glucosekonzentration mit > 600 mg/dl deutlich
das Risiko von Präeklampsie, Hydramnion, höher als beim ketoazidotischen Koma. Die hy-
Frühgeburten, erhöhtem Geburtsgewicht sowie perosmolare Form entwickelt sich meist allmäh-
gesteigerter Morbidität und Mortalität des Neu- lich über ein Prodromalstadium (Präkoma) mit
geborenen zu. Eine frühzeitige Erkennung und Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Muskel-
Behandlung eines Gestationsdiabetes ist daher schwäche und Schläfrigkeit sowie Polydipsie
zwingend geboten. und Polyurie. Im Koma selbst erscheinen Haut,
Schleimhäute und Zunge trocken, die Augen-
Stoffwechselstörungen durch Insulinmangel.
bulbi sind weich, die Atmung ist vertieft und
Die mangelhafte Glucoseverwertung in den Zel-
verlangsamt. Beim ketoazidotischen Koma
len infolge verringerter Glucoseaufnahme sowie
riecht außerdem die Ausatmungsluft des Patien-
die Steigerung der Gluconeogenese führen zur
ten nach Aceton.
Hyperglykämie und bei Überschreiten der Nie-
renschwelle für Glucose zur Glucosurie. Die ge- (Spät-)Folgen des Diabetes mellitus. Bei unzu-
steigerte Lipolyse im Fettgewebe sowie in der reichend behandeltem Typ-1-Diabetes ist die
Leber und im Muskel bewirkt einen Anstieg der Lebenserwartung erheblich verkürzt. Die Be-
freien Fettsäuren im Plasma. In schweren Fällen handlung mit Insulin führt – abhängig davon,
treten Ketonkörper im Blut wegen verstärkten wie gut dadurch der Glucosestoffwechsel einge-
Abbaus von Fettsäuren und begrenzter Endoxi- stellt wird – zu einer deutlichen Lebensverlänge-
dation von Acetyl-Coenzym A im Citratzyklus rung. Trotzdem tritt durch die sog. Diabetes-
auf (Ketoazidose). Durch das erhöhte Fettsäu- Spätschäden der Tod häufig früher als bei nicht-
renangebot in der Leber nimmt ferner die Bil- diabetischen Personen ein. Zudem beeinträchti-
dung von triglyceridreichen VLDL-Lipoprotei- gen Gefäßerkrankungen und Störungen des
nen und damit der Lipoproteingehalt des Blutes Nervensystems die Lebensqualität erheblich.
zu. Außerdem ist der Eiweißabbau, vor allem in Dies gilt auch für Typ-2-Diabetiker.
der Muskulatur, gesteigert. Der Abbau ketoge- Bei einer erhöhten Blutglucosekonzentration
ner Aminosäuren verstärkt zudem die Keton- kann Glucose mit einer Reihe von körperei-
körperbildung. Bei der schwersten Form der genen Eiweißen nichtenzymatisch reagieren
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 235

(nichtenzymatische Glykierung). Als Folge da- regulation, Herzrhythmusstörungen, Impotenz


von treten Struktur- und Funktionsveränderun- u. a. vor.
gen der betroffenen Proteine auf. Neben Serum- Beim sog. diabetischen Fuß handelt es sich
und Gewebeproteinen ist auch Hämoglobin be- um eine weitere gefürchtete diabetische Spät-
troffen. Es wird u. a. HbA1c gebildet, dessen komplikation mit atrophischen, geschwürigen
Konzentration im Blut ein wichtiger Parameter und gangränösen Hautveränderungen und
bei der Therapiekontrolle ist (anzustrebender deren Komplikationen (z. B. Superinfektionen,
Wert < 6,5 %). Osteomyelitis). Bei etwa 60 % der betroffenen
Die diabetische Mikroangiopathie tritt vor Patienten liegen Infektionen, bei etwa 25 % neu-
allem an der Niere und der Netzhaut auf. Die di- rovegetativ-ischämische und bei dem Rest ma-
abetische Nephropathie ist durch Proteinurie, kroangiopathisch-ischämische Störungen vor,
Hypertonie und fortschreitende Niereninsuffi- die nicht selten die Amputation des betroffenen
zienz infolge einer Glomerulosklerose gekenn- Fußes erfordern.
zeichnet. Sie ist die wichtigste Ursache für eine Infolge der Gefäßschäden und der Neuropa-
dialysepflichtige Niereninsuffizienz. Die Netz- thie des vegetativen Nervensystems können als
hautschädigung (diabetische Retinopathie) äu- sonstige Diabetes-Folgen auch vielfältige Hau-
ßert sich in Mikroaneurysmen und kapillären terkrankungen (z. B. Ekzeme, bakterielle und
Gefäßverschlüssen. Bei hypoxiebedingter Neu- Pilzinfektionen) auftreten. Das hohe Infektions-
bildung retinaler Gefäße besteht wegen deren risiko eines Diabetikers ist jedoch auch Folge
Verletzlichkeit die Gefahr von Blutungen und einer sekundären Immundefizienz bei Hyper-
damit von Erblindung. glykämie mit Einschränkung der Phagozyten-
Die diabetische Makroangiopathie ent- funktionen und der zellulären Immunität. Der
spricht der Arteriosklerose des Nichtdiabeti- herabgesetzte Immunstatus führt zu häufigen
kers. Sie tritt allerdings früher und häufiger als Allgemein-, insbesondere Harnwegsinfektio-
diese auf. Als fördernder Faktor gilt, insbeson- nen.
dere bei Typ-2-Diabetikern, das metabolische
Syndrom (s. o.). Aufgrund der Makroangiopa- 21.6.2 Therapeutisch angewandte
thie kommt es bei Diabetikern gehäuft zu Herz- Insuline
infarkten, arterieller Verschlusskrankheit oder Zur Diabetesbehandlung werden Humaninsu-
Schlaganfällen. Wegen der oft gleichzeitig vor- lin sowie modifizierte Humaninsuline (Insulin-
handenen Neuropathie fehlt vielfach der bei Is- Analoga) eingesetzt. Die Insulin-Analoga wei-
chämien, z. B. koronarer Herzkrankheit, übli- sen besondere pharmakokinetische Eigenschaf-
cherweise auftretende Schmerz (stumme Ischä- ten, z. B. raschen Wirkungseintritt bzw. kurze
mien)! oder lange Wirkdauer auf. Nach der Stärke der
Neuropathien, die neben einer osmotischen Initialwirkung, der Zeit bis zum Wirkungsmaxi-
Zellschädigung die Folge einer Mikroangiopa- mum und der Wirkungsdauer unterscheidet
thie sind, findet man bei 60–90 % der Diabeti- man kurz wirkendes Insulin (Altinsulin, Nor- 21
ker. Am häufigsten entwickelt sich eine periphe- malinsulin, Bolusinsulin), besonders rasch (und
re Polyneuropathie mit sensorischen Sympto- kurz) wirkende Insuline, Basalinsuline (Verzö-
men (u. a. Taubheitsgefühl, Parästhesien, nächt- gerungsinsuline, Basisinsuline, Depotinsuline)
lichen Wadenkrämpfen, Reflexausfällen). oder Kombinationsinsuline (႒ Tab. 21.3).
Seltener kommen motorische Störungen (z. B. Als Altinsulin bezeichnet man Insulinzube-
Muskelschwäche, Paresen) sowie Neuropathien reitungen, die gelöstes Insulin ohne resorptions-
des myenterischen Nervensystems mit Beein- verzögernde Zusätze enthalten. Sie besitzen ei-
trächtigung der gastrointestinalen Motorik (dia- nen raschen Wirkungseintritt (nach ca. 30 min),
betischen Gastroparese mit verzögerter Magen- ein Wirkungsmaximum 1–3 Stunden nach In-
entleerung, Obstipation), orthostatischer Dys- jektion und eine Wirkdauer von 7–8 h. Zu den
236 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.3 Insulinpräparate sie bei nativem Humaninsulin auftritt, unter-


bunden und als Folge davon die Resorptionsge-
INN (Handelspräparat) Wirkungseintritt
(Wirkdauer)
schwindigkeit aus der Subkutis erheblich erhöht:
Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen
Besonders rasch und kurz wirkende Insuline Plasmakonzentration beträgt im Vergleich zu
Humaninsulin nur etwa die Hälfte. Durch den
Insulin aspart (NovoRapid®) 10–20 min (3–5 h)
schnellen Wirkungseintritt können diese drei
Insulin glulisin (Apidra®) 10–20 min (2–3 h) Insulin-Analoga unmittelbar vor den Mahlzei-
ten appliziert werden, der sonst bei Altinsulin
Insulin lispro (HUMALOG®) 15 min (2–5 h)
erforderliche Spritz-Ess-Abstand entfällt.
Kurz wirkende Insuline Basalinsuline sind andererseits dadurch ge-
kennzeichnet, dass durch Komplexbildung oder
Insulin human = Normal- 30 min (7–8 h) partialsynthetische Abwandlung ihre Resorpti-
insulin (z. B. Actrapid®)
onsgeschwindigkeit verringert ist, wodurch eine
Intermediärinsuline längere Wirkdauer erreicht wird. Die Basalinsu-
line können nochmals in Intermediärinsuline
Insulin-Isophan = Insulin 90 min (ca. 24 h) (Wirkdauer < 24 Stunden) und Langzeitinsuline
NPH (z. B. Protaphane®) (Wirkdauer 24–36 Stunden) unterteilt werden.
Intermediärinsuline kombiniert mit schnell wir- Ein schwer löslicher Komplex entsteht in den
kenden Insulinen NPH-Insulinen (NPH = neutrales Protamin
Hagedorn) durch die Bindung von Insulin an
Insulin aspart, biphasisch 10–20 min das basische Protein Protamin. NPH-Insuline
(NovoMix®) (ca. 24 h)
zeichnen sich durch ihre Mischbarkeit mit Alt-
Insulin human-Isophan, 30 min (ca. 24 h) insulin aus, wodurch eine individuelle Zusam-
biphasisch mensetzung der Injektionslösung möglich wird.
(z. B. Actraphane®) Kombinationsinsuline enthalten Altinsulin
bzw. ein rasch wirkendes Insulin-Analogon in
Insulin lispro, biphasisch 15 min (ca. 24 h)
fixer Kombination mit deren Protaminkom-
(HUMALOG® Mix)
plexen als Verzögerungsinsulin.
Langzeitinsuline Aminosäure-Substitution und Verlängerung
der Peptidkette von Insulin führt zu dem lang
Insulin degludec (Tresiba®) 5 h (> 42 h)
wirksamen Insulin-Analogon Insulin glargin
Insulin detemir (Levemir®) 3–4 h (ca. 24 h) (z. B. Lantus®). Bei Insulin detemir (Levemir®)
wird die Wirkungsverlängerung durch Amidie-
Insulin glargin 4–5 h (> 30 h) rung mit Myristinsäure erreicht, bei Insulin de-
(z. B. Lantus®)
gludec (Tresiba®) ist eine C16-Fettsäure ange-
hängt. Infolge dieser Molekülveränderungen
bilden die Langzeitinsuline nach Injektion in
das subkutane Fettgewebe ein Depot aus Multi-
besonders rasch wirkenden Insulinen gehören
Hexameren, aus dem eine langsame, kontinuier-
die gentechnologisch gewonnenen Humaninsu-
liche Freisetzung erfolgt.
lin-Analoga Insulin lispro (z. B. HUMALOG®),
Insulin aspart (NovoRapid®) und Insulin gluli- Insulinbehandlungsformen. Nach dem Appli-
sin (Apidra®). Bei Insulin lispro, Insulin aspart kationsmodus unterscheidet man verschiedene
und Insulin glulisin wurden Aminosäure-Subs- Formen der Behandlung mit Insulin: die kon-
titutionen vorgenommen. Durch diese Verände- ventionelle Insulintherapie (CT), die intensi-
rungen wird die Bildung von Hexameren, wie vierte konventionelle Insulintherapie (ICT), die
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 237

supplementäre Insulintherapie (SIT) mit prä- Die basalunterstützte orale Therapie mit Ba-
prandialen Injektionen ohne Basalinsulin ggf. salinsulin vor dem Schlafengehen wird bei er-
unter Beibehaltung oraler Antidiabetika, die ba- höhten Nüchternblutzuckerwerten in den Mor-
salunterstützte orale Therapie mit Basalinsulin genstunden bei bereits bestehender Therapie
(BOT) unter Beibehaltung oraler Antidiabetika mit oralen Antidiabetika angewendet. Sie eignet
sowie die Insulinpumpen-Therapie. sich gut als Übergangstherapie von oralen Anti-
diabetika zur Insulintherapie für Patienten, bei
Bei der konventionellen Insulintherapie wird
denen eine Normalisierung der morgendlichen
etwa 30 min vor dem Frühstück und dem
Nüchternblutglucosekonzentration mit anderen
Abendessen eine festgelegte Menge eines Kom-
Maßnahmen nicht mehr zu erreichen ist.
binationsinsulins gespritzt (Verhältnis der mor-
Bei der Insulinpumpen-Therapie wird mit
gendlichen zur abendlichen Insulindosis meist
einer tragbaren Infusionspumpe Insulin einer-
2:1 oder 3:2). Aufgrund der zunächst hohen und
seits kontinuierlich und andererseits diskonti-
dann lang anhaltenden, über dem physiologi-
nuierlich in Form zusätzlicher Dosen bei jeder
schen Basalwert liegenden Insulinblutspiegel ist
Mahlzeit zugeführt. Sie kommt wegen der ho-
es erforderlich, dass der Patient die Zeit der In-
hen Kosten nur in ausgewählten Fällen, z. B. bei
jektion, die Zeit der Mahlzeiteinnahme sowie
sehr hohen morgendlichen Blutzuckerwerten
die errechnete Kohlenhydratmenge streng ein-
oder häufigen Hypoglykämien sowie bei sonst
hält. Auch sind Zwischenmahlzeiten erforder-
nur sehr schwer einstellbaren Diabetikern, in
lich.
Betracht.
Die intensivierte konventionelle Insulinthe-
rapie (Basis-Bolus-Therapie) zielt darauf ab, Dosierung. Die Dosierung erfolgt individuell
durch eine ein-, zwei- oder (selten) dreimal täg- und angepasst an die Zeit der Nahrungszufuhr,
liche Injektion eines Verzögerungsinsulins den die Nahrungsmenge, die Begleitmedikation mit
Basalbedarf (ca. 50 % des Gesamtbedarfs) zu de- oralen Antidiabetika (s. u.) sowie den Grad der
cken sowie durch zusätzliche Applikation eines Insulinresistenz. Eine genaue Angabe der durch-
rasch wirkenden Insulins vor bzw. zu jeder schnittlichen täglichen Insulinmenge ist daher,
Mahlzeit die Insulinzufuhr dem physiologi- insbesondere beim Typ-2-Diabetes, nur sehr be-
schen Bedarf besser als bei der konventionellen dingt möglich. Beim Typ-1-Diabetes liegt die
Therapie anzupassen. Voraussetzung ist eine re- mittlere Dosierung (s. c.) im Wachstumsalter bei
gelmäßige, mehrmals tägliche Blutzuckerselbst- 0,8–1 IE/kg Körpergewicht und Tag, im Erwach-
messung durch den Patienten sowie eine den je- senenalter bei 30–70 IE täglich. Der Injektions-
weiligen Bedingungen (Blutzuckerwert, Nah- ort soll wegen des Risikos von Lipodystrophien
rungsmenge) entsprechende Dosierung. Spezi- innerhalb der gewählten Spritzregion (Bauch,
elle Injektionssysteme, sog. Pens, erleichtern die Oberarm, Gesäß, Oberschenkel) gewechselt
erforderlichen häufigen Injektionen. werden.
Bei der supplementären Insulintherapie
Beim Coma diabeticum (Coma hyperglycaemi- 21
werden kurz wirkende Insuline zu den Haupt-
cum) werden 0,1 IE Altinsulin/kg/h sowie
mahlzeiten ohne Verwendung von Basalinsulin
0,9 %ige (0,45 % bei Oligurie) Natriumchlorid-
mit einem oralen Antidiabetikum (z. B. Metfor-
lösung zur Volumenauffüllung infundiert. Der
min) kombiniert. Dieses Therapieregime wird
Zielwert des Blutglucosespiegels beträgt 8–12
angewendet, wenn Blutglucosewerte nüchtern
mM. Um eine Hypokaliämie zu vermeiden,
im Zielbereich vorliegen, diese jedoch insbeson-
muss außerdem Kaliumchlorid (5 bis maximal
dere postprandial erhöht sind und durch andere
20 mval K+) zugeführt werden. (Bei eintretender
Maßnahmen (Lebensstiländerungen und zu-
Insulinwirkung kommt es zum Kaliumtransport
sätzliche orale Antidiabetika) nicht wirksam be-
von extrazellulär nach intrazellulär.) Eine Azi-
seitigt werden können.
238 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

dose (pH-Wert < 7,1) ist durch die Infusion ei- mung der Gluconeogenese und Glykogenolyse),
ner NaHCO3-Lösung auszugleichen. verminderte Glucoseresorption im Darm sowie
durch verbesserte Glucoseverwertung in den
Nebenwirkungen. Bei jeder Insulinbehandlung
peripheren Geweben zustande. HbA1c nimmt
besteht die Gefahr einer Hypoglykämie durch
um 1–2 % ab. Da die Freisetzung von Insulin aus
Überdosierung. Der erfahrene Diabetiker, der
den B-Zellen nicht stimuliert wird, besteht ein
frühzeitig die ersten Anzeichen einer zu starken
Hypoglykämierisiko nur in Ausnahmefällen
Erniedrigung des Blutzuckerspiegels erkennt,
(z. B. bei Verzehr größerer Alkoholmengen).
kann die Überdosierung von Insulin durch ra-
Eine Gewichtszunahme aufgrund der Medikati-
sche orale Zufuhr von Glucose oder kohlenhy-
on tritt nicht auf, die Einhaltung von Diätvor-
dratreicher Nahrungsmittel ausgleichen. Bei
schriften wird wegen eines anorexigenen Effekts
schweren Fällen besteht die Therapie in der par-
erleichtert. Außerdem bewirkt Metformin eine
enteralen Zufuhr von Glucose.
VLDL-und LDL-Senkung sowie eine HDL-Er-
Allergische Reaktionen treten seit der Ein-
höhung (Ⴉ Kap. 23.2.1.1). Durch Hemmung von
führung von Humaninsulin und -Analoga nur
Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 wirkt Metfor-
noch selten auf. Meist sind sie weniger durch das
min ferner antithrombotisch. Aufgrund dieses
entsprechende Insulin als durch Hilfsstoffe be-
Wirkungsspektrums verbessert es die Insulin-
dingt. Davon zu unterscheiden ist die Bildung
sensitivität beim Diabetiker und reduziert so-
von Antikörpern gegen Insulin. Ein Wechsel des
wohl mikro- als auch makrovaskuläre Spätschä-
Insulinpräparats kann in diesem Fall vorteilhaft
den der Erkrankung.
sein, z. T. müssen aber auch sehr hohe Insulin-
dosen zur Überwindung der Insulinresistenz Sein Wirkungsmechanismus auf molekularer
gegeben werden. Ebene ist vielfältig: Metformin hemmt partiell
den Komplex I der mitochondrialen Atmungs-
Interaktionen. Glucocorticoide, Saluretika,
kette. Als Folge davon kommt es zu einer Ab-
Schilddrüsenhormone und Sympathomimetika
nahme der oxidativen Phosphorylierung und
vermindern, nicht β1-selektive β-Rezeptoren-
dadurch zu einer erhöhten Konzentration von
blocker sowie Zytostatika vom Cyclophos-
Adenosinmonophosphat (AMP). Dieses stimu-
phamid-Typ verstärken die Blutzuckersenkung
liert die AMP-Kinase, die ihrerseits Enzyme der
durch Insulin. Nichtselektive Betablocker mas-
Fettsäuren- und Triglyceridsynthese sowie der
kieren außerdem die Symptome einer Hypo-
Gluconeogenese hemmt und die ferner Enzyme
glykämie.
der β-Oxidation von Fettsäuren und Transport-
proteine für die Glucoseaufnahme stimuliert.
21.6.3 Metformin
Durch Inhibition von mTOR (Ⴉ Kap. 31.3.8)
Das Biguanid Metformin (z. B. Glucophage®) ist
kann Metformin außerdem antiproliferative Ef-
aufgrund von Langzeitstudien mit einer Morta-
fekte auslösen, die sich günstig auf das beim Di-
litätssenkung um 36 % – im Vergleich zur allei-
abetiker erhöhte Risiko von Tumorerkrankun-
nigen diätetischen Behandlung – Mittel der 1.
gen auswirken.
Wahl bei Diabetes mellitus Typ 2.
Bei Überdosierung oder ungenügender rena-
Wirkungen und Wirkungsmechanismus. Met- ler Ausscheidung von Metformin sowie bei Er-
formin senkt erst nach einigen Behandlungsta- krankungen mit Hypoxierisiko (COPD, Asth-
gen beim Diabetiker, nicht dagegen beim Stoff- ma, Herzinsuffizienz, KHK u. a.) wird Glucose
wechselgesunden, dosisabhängig den Blutzu- verstärkt anaerob abgebaut. Pyruvat, das nun
ckerspiegel. Diese Abnahme der Blutglucose- vermehrt anfällt und dessen oxidativer Abbau
konzentration kommt durch verringerte gestört ist, wird zu Lactat reduziert. Dieses kann
Glucoseproduktion in der Leber (infolge Hem- nicht wie üblich durch Glucoseneubildung ver-
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 239

wertet werden. Die Folge ist die Gefahr einer le- Interaktionen. Die blutzuckersenkende Wir-
bensbedrohlichen Lactatazidose. kung von Metformin wird durch eine Reihe von
Arzneistoffen vermindert (s. Insuline). In Kom-
Kinetik. Metformin weist eine orale Bioverfüg-
bination mit Diuretika, v. a. Schleifendiuretika,
barkeit von 50–60 % auf, die Halbwertszeit be-
ist eine Einschränkung der Nierenfunktion
trägt 3 Stunden. Der Wirkstoff reichert sich im
möglich und das Risiko einer Lactatazidose er-
Gastrointestinaltrakt, der Leber und den Nieren
höht. Alkoholkonsum erhöht ebenfalls dieses
an. Er wird nicht an Eiweiß gebunden und un-
Risiko und ist daher strikt zu meiden.
verändert renal ausgeschieden.
Indikationen und Dosierung. Metformin ist bei 21.6.4 Insulinotrope Antidiabetika
Typ-2-Diabetikern indiziert, bei denen diäteti- Insulinotrope orale Antidiabetika, zu denen die
sche Maßnahmen mit Gewichtsreduktion sowie Sulfonylharnstoffe und die Glinide gehören, set-
körperliche Aktivität zur Blutzuckernormalisie- zen – vor allem durch Verbesserung der An-
rung nicht ausreichen. Da es keinen Hyperinsu- sprechbarkeit auf physiologische Glucosereize –
linismus hervorruft und das Abnehmen erleich- Insulin aus den B-Zellen des Pankreas frei. Sie
tert, eignet es sich besonders für übergewichtige sind daher nur wirksam, wenn die körpereigene
Typ-2-Diabetiker. Außer als Monotherapeuti- Insulinproduktion wenigstens noch teilweise er-
kum kann Metformin in Kombination mit ande- halten ist. Zwar führen sie in der Regel zur ge-
ren oralen Antidiabetika oder Insulin eingesetzt wünschten Normalisierung des Glucosestoff-
werden. Auch bei übergewichtigen und adipö- wechsels, jedoch bedingt die Mehrsekretion von
sen Typ-1-Diabetikern, insbesondere bei Vor- Insulin als Wirkprinzip beim übergewichtigen
handensein einer Insulinresistenz, senkt Met- Typ-2-Diabetiker eine weitere Gewichtszunah-
formin die erforderliche Insulindosis und beugt me (Insulin-Mastkur). Die Anwendung der in-
einer weiteren Gewichtszunahme vor. sulinotropen Antidiabetika, insbesondere bei
Die Dosierung beträgt initial 500 oder 850 mg übergewichtigen Typ-2-Diabetikern, sollte da-
2- bis 3-mal täglich während oder nach den her sehr zurückhaltend erfolgen.
Mahlzeiten, nach 10–15 Tagen wird sie in Ab-
Wirkungsmechanismus. Insulinotrope Antidia-
hängigkeit vom Blutzuckerspiegel angepasst.
betika blockieren Kaliumkanäle (K+ATP-Kanäle)
Die klinisch maximal wirksame Tagesdosis liegt
von B-Zellen. Als Folge davon nimmt die Kali-
bei 2 g.
umpermeabilität und dadurch das Membran-
Nebenwirkungen. Metformin führt relativ häu- ruhepotenzial ab. Die hierdurch bedingte Öff-
fig zu gastrointestinalen Störungen. Weitere Ne- nung spannungsabhängiger Calciumkanäle
benwirkungen sind metallischer Geschmack führt zu einer erhöhten zytosolischen Calcium-
und (selten) allergische Hautreaktionen sowie in ionen-Konzentration und damit zu einer gestei-
Einzelfällen Störungen der Hämatopoese (me- gerten Exozytose von Insulin.
galoblastäre Anämie durch Hemmung der Re- 21
sorption von Vitamin B12 und Folsäure).
21.6.4.1 Sulfonylharnstoffe
Kontraindikationen. Bei Niereninsuffizienz, Indikationen. Sulfonylharnstoffe sind zur The-
Coma oder Praecoma diabeticum, Ketoazidose, rapie von (vor allem normalgewichtigen) Typ-
respiratorischer Insuffizienz, schweren Herz- 2-Diabetikern (als Monotherapeutika oder in
Kreislauf- oder Leberschädigungen, Alkoholis- Kombination mit Metformin) indiziert. Auch
mus, besonderen Belastungen (Infekten, opera- werden sie bei einer Kontraindikation für Met-
tiven Eingriffen) und reduziertem Allgemeinzu- formin angewandt. Kommt es bei der Behand-
stand sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit lung mit Sulfonylharnstoffen zu einer sekundär-
ist Metformin kontraindiziert. en Insuffizienz der B-Zellen, können sie mit In-
240 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.4 Orale Antidiabetika der Sulfonylharn- Nebenwirkungen. Wie nach Insulininjektionen
stoff-Reihe sind z. T. schwere hypoglykämische Zustände
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
möglich. Die Gefahr besteht insbesondere bei
den stark und lang wirkenden Präparaten (rela-
Glibenclamid 3,5–10,5 mg tiv oft in der Anfangszeit der Therapie mit Gli-
(Euglucon®) (5–9 h) benclamid beschrieben) und bei Patienten mit
Alkoholabusus und Niereninsuffizienz. Nach-
Gliclazid 30–120 mg
(Diamicron Uno®) (12–20 h)
teilig ist ferner, wie oben schon erwähnt, der
durch das freigesetzte Insulin gesteigerte Appe-
Glimepirid 1–6 mg tit. Des Weiteren kommen gastrointestinale Be-
(z. B. Amaryl®) (5–8 h) schwerden sowie allergische Reaktionen, selten
auch Leukopenie und Thrombozytopenie vor.
Gliquidon 15–120 mg
(Glurenorm®) (3–4 h) Kontraindikationen. Sulfonylharnstoffe sind
kontraindiziert bei Typ-1-Diabetes, starker Ace-
tonurie, im diabetischen Präkoma und Koma,
sulin und/oder Inkretinmimetika (s. u.) kombi- in der Schwangerschaft und Stillperiode, bei
niert werden. Bei völligem Sistieren der schwerer Niereninsuffizienz sowie bei allen
Insulinsekretion hat eine komplette Umstellung Stoffwechselentgleisungen im Verlauf von In-
auf Insulin zu erfolgen. fektionskrankheiten, Operationen und anderen
Belastungen, die eine besonders gute Einstel-
Kinetik. Nach oraler Gabe werden Sulfonyl- lung des Diabetes erfordern.
harnstoffe meist schnell und gut resorbiert. Im
Plasma liegen sie zu über 95 % an Plasmaprotei- Interaktionen. Cumarin-Derivate, Betablocker,
ne gebunden vor. Bei der Biotransformation un- Fibrate, Zytostatika vom Cyclophosphamid-
terscheiden sich die verschiedenen Substanzen Typ, Salicylate, Sulfonamide und Tetracycline
dagegen stärker. So wird Glibenclamid durch verstärken die blutzuckersenkende Wirkung
CYP2C9 am Cyclohexylrest hydroxyliert, Gli- aufgrund metabolischer Interaktion in der Le-
quidon überwiegend durch CYP3A4 demethy- ber bzw. Verdrängung aus der Plasmaprotein-
liert und hydroxyliert. Von Glimepirid werden Bindung. Andererseits wird die blutzuckersen-
– wiederum durch CYP2C9-Metabolismus – kende Wirkung von Sulfonylharnstoffen durch
Hydroxy- und Carboxy-Derivate gebildet, wäh- eine Reihe von Arzneistoffen vermindert (s. o.
rend die hepatische Verstoffwechslung von Glic- unter Insuline). Potente CYP2C9-Inhibitoren
lazid über CYP2C19 erfolgt. Gliquidon und (z. B. Fluconazol) erhöhen die AUC für Gliben-
Gliclazid sowie ihre Metaboliten werden zu 95 % clamid und Glimepirid ungefähr 2-fach, Micon-
biliär und nur zu 5 % renal ausgeschieden. Bei azol u. a. CYP2C19-Inhibitoren steigern das
Glibenclamid und Glimepirid erfolgt die Aus- Hypoglykämierisiko von Gliclazid. CYP3A4-
scheidung dagegen jeweils zu 50 % biliär und Inhibitoren (z. B. Clarithromycin) erhöhen die
renal. Bei leichter bis mäßiger Niereninsuffizi- Wirkung von Gliquidon.
enz ist die Gesamtelimination nicht verändert, Insgesamt betrachtet hat die Bedeutung der frü-
und es können dieselben Dosierungsschemata her sehr häufig verwendeten Sulfonylharnstoffe
verwendet werden wie bei Patienten mit norma- in letzter Zeit stark abgenommen. Zwar ist die
ler Nierenfunktion. dosisabhängige Senkung von HbA1c durch Sul-
Dosierung. Die üblichen Tagesdosen der ver- fonylharnstoffe gut belegt, doch lässt ihre Wirk-
schiedenen Präparate, die in der Regel morgens samkeit in der Regel im Behandlungsverlauf
zum Frühstück eingenommen werden, sind in nach, weshalb sie zur Langzeitmonotherapie ei-
႒ Tab. 21.4 angegeben.
nes Typ-2-Diabetes nur bedingt geeignet sind.
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 241

Auch sind die Nebenwirkungen, z. B. die hohe oder ohne Koma und schweren Leberfunktions-
Hypoglykämiegefahr, erheblich. Eine Reduktion störungen.
des mikrovaskulären Risikos konnte bislang nur Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Nate-
für Glibenclamid und Gliclazid nachgewiesen glinid zusammen mit anderen, stärkeren
werden. CYP2C9-Inhibitoren (z. B. Fluconazol, Gemfib-
rozil) gegeben wird, oder bei Patienten, deren
21.6.4.2 Glinide CYP2C9 wenig aktiv ist. Die gleichzeitige Gabe
Die beiden Glinide Nateglinid (STARLIX®) und von CYP2C8-Inhibitoren (z. B. Trimethoprim
Repaglinid (z. B. NovoNorm®) sind zwar che- Deferasirox) führte zu einem Anstieg der syste-
misch von den Sulfonylharnstoffen verschieden, mischen Repaglinid-Exposition. Pharmakoki-
doch sind die Wirkungen, der Wirkungsmecha- netische Interaktionen können zudem mit Arz-
nismus, die Indikationen, Neben- und Wechsel- neistoffen auftreten, die Repaglinid bzw. Nateg-
wirkungen der beiden Substanzgruppen weitge- linid aus ihrer Plasmaprotein-Bindung (höher
hend identisch mit der Ausnahme, dass Nategli- als 95 %) verdrängen.
nid nur für die Kombinationstherapie mit Met-
formin zugelassen ist. 21.6.4.3 Inkretinwirkungen imitierende oder
Glinide werden sehr rasch resorbiert (tmax 30 verstärkende Antidiabetika
min), die Bioverfügbarkeit von Nateglinid be- Zu den (physiologischen) Inkretinen gehören
trägt 75 %, die von Repaglinid 60 %. Die Halb- das Glucose-abhängige insulinotrope Peptid
wertszeiten sind mit 1,5 h für Nateglinid und 1 h (GIP, auch als gastro-inhibitorisches Peptid be-
für Repaglinid kurz im Vergleich zu denen von zeichnet) und das Glucagon-like Peptide 1
Sulfonylharnstoffen. Die Biotransformation von (GLP-1). Diese bei Diabetikern vermindert frei-
Repaglinid erfolgt überwiegend über CYP2C8, gesetzten Enterohormone stimulieren glucose-
in geringerem Ausmaß über CYP3A4, die von abhängig die Insulinsekretion, senken die
Nateglinid vorwiegend über CYP2C9 mit an- Glucagonkonzentration und somit die hepati-
schließender Glucuronidierung. Nateglinid sche Glucoseabgabe, reduzieren den Appetit,
wird renal und fäkal, Repaglinid zu über 90 % verlangsamen die Entleerung des Magens und
biliär ausgeschieden. Die Glinide werden kurz reduzieren dadurch die Geschwindigkeit der
vor den Hauptmahlzeiten eingenommen, die In- Glucoseresorption. Außerdem erhöhen sie die
sulinfreisetzung ist dann aufgrund ihrer Phar- Insulinsensitivität und fördern den Energieum-
makokinetik weitgehend an den physiologi- satz. Dieses Wirkprinzip kann in seiner Gesamt-
schen Bedarf angepasst. Während postprandiale heit erfolgreich bei Typ-2-Diabetikern genutzt
Blutglucosespiegel gesenkt werden, nimmt ei- werden, und zwar mit Inkretinmimetika, die
ne erhöhte Nüchternblutglucosekonzentration die Wirkung von GLP-1 nachahmen und länger
kaum ab. Die Dosierung beträgt, abhängig vom als dieses wirken, sowie mit Enzymhemmstof-
HbA1c-Wert und der zugeführten Kohlenhy- fen, die den GLP-1- und GIP-Abbau blockieren,
dratmenge, von Nateglinid 60–120 (–180) mg den Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren, den 21
und von Repaglinid 0,5–4 mg pro Hauptmahl- sog. Gliptinen.
zeit (maximale Tagesdosis 16 mg).
Als Nebenwirkung besteht die Gefahr von Inkretinmimetika
Hypoglykämien, auch wenn das Risiko für de- Zu den Inkretinmimetika gehören Exenatid
ren Auftreten während der Nacht im Vergleich (ursprünglich aus der Krustenechse Heloderma
zu Sulfonylharnstoffen wohl geringer ist. Im Un- suspectum stammend), Albiglutid, Dulaglutid,
terschied zu Sulfonylharnstoffen sind Glinide Liraglutid und Lixisenatid (႒ Tab. 21.5). Ge-
bei schwerer Niereninsuffizienz nicht explizit meinsam ist diesen Peptiden die hohe Homolo-
kontraindiziert. Gegenanzeigen bestehen dage- gie zu GLP-1. Wie dieses aktivieren sie den GLP-
gen bei Diabetes mellitus Typ 1, Ketoazidose mit 1-Rezeptor, einen Gs-Protein gekoppelten Re-
242 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.5 Inkretinmimetika und Dipeptidyl- Hypoglykämie-Inzidenz. Auch ist eine relevante
Peptidase-4-(DPP-4)-Inhibitoren Verminderung des HbA1c-Werts für die Inkre-
INN (Handelspräparat), Dosierung
tinmimetika gezeigt. Außerdem führen diese
HWZ Arzneistoffe zuverlässig zu einer Gewichtsre-
duktion.
Inkretinmimetika
Indikationen. Inkretinmimetika eignen sich
Albiglutid (Eperzan®), 30–50 mg s. c., zur Behandlung von Typ-2-Diabetikern als Mo-
120 h 1-mal wöchentlich notherapeutika oder in Kombination mit Met-
formin und/oder Sulfonylharnstoffen bzw. Pio-
Dulaglutid (Trulicity®), 0,75–1,5 mg s. c.,
110 h 1-mal wöchentlich
glitazon (s. u.), bei denen mit der maximal ver-
träglichen Dosis der einzelnen oralen Antidia-
Exenatid (BYETTA®), 10–20 μg/Tag s. c. betika die Plasmaglucose-Zielwerte nicht
2,5 h erreicht werden können. Albiglutid, Exenatid
und Lixisenatid sind auch zusammen mit einem
Exenatid (Bydureon®), 2 mg s. c.,
2,5 h 1-mal wöchentlich
Basalinsulin zugelassen. Als Polypeptide werden
Inkretinmimetika s. c. injiziert.
Liraglutid (Victoza®), 0,6–1,8 mg/Tag s. c.
Kinetik. Ihre längere Wirkdauer im Vergleich
12–15 h
zu GLP-1 beruht auf einer langsamen Resorpti-
Lixisenatid (Lyxumia®), 10–20 μg/Tag s. c. on infolge Selbstassoziation (Liraglutid), erhöh-
3h ter Bindung an Plasmaalbumin (Liraglutid), er-
höhter enzymatischer Stabilität gegen DPP-4
Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren
(Albiglutid, Dulaglutid, Exenatid, Lixisenatid,
Linagliptin (Trajenta®), 5–10 mg/Tag p. o. Liraglutid) sowie Fusion mit Albumin (Albiglu-
125–140 h tid) oder einer humanen IgG4-Fc-Domäne (Du-
laglutid). Hinsichtlich der Biotransformation ist
Saxagliptin (Onglyza®), 2,5–5 mg/Tag p. o.
anzunehmen, dass Inkretinmimetika als Poly-
3h
peptide durch ubiquitäre proteolytische Enzyme
Sitagliptin (JANUVIA®), 25–100 mg/Tag p. o. gespalten werden.
12 h
Dosierung. Die Dosierungen und Halbwertszei-
Vildagliptin (Galvus®) 50–100 mg/Tag p. o. ten der Inkretinmimetika sind in ႒ Tab. 21.5 auf-
2–3 h geführt. Für Exenatid ist eine Depot-Injektions-
suspension von 2 mg Exenatid (BYDUREON®)
verfügbar, die nur einmal wöchentlich appliziert
wird.
zeptor (Ⴉ Kap. 3.1.2.1), der über die Erhöhung Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen wur-
der cAMP-Konzentration eine Insulinfreiset- den gastrointestinale Störungen (Übelkeit, Dys-
zung bewirkt. Ein Vorteil dieser Wirkstoffe ge- pepsie, Diarrhö), akute Pankreatitis, Nasopha-
genüber GLP-1 ist ihre Resistenz gegen den Ab- ryngitis und zentralnervöse Beschwerden (u. a.
bau durch die Dipeptidylpeptidase 4 (DPP-4), Kopfschmerzen, Nervosität) beschrieben. Hy-
ein weiterer Vorteil ihre glucoseabhängige Wir- poglykämien treten meist nur bei gleichzeitiger
kung, d. h. bei niedriger Blutglucosekonzen- Sulfonylharnstoff- oder Insulin-Gabe auf. We-
tration (< 70 mg/dl) wird kein Insulin freige- gen unzureichender Daten sollten Inkretinmi-
setzt, und bei < 50 mg/dl wird auch die Gluca- metika nicht bei Schwangeren und während der
gonsekretion nicht mehr gehemmt. Daher zei- Stillzeit angewandt werden. Ob bei langfristiger
gen die Inkretinmimetika keinen Anstieg der Inkretin-basierter Therapie die Gefahr von his-
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 243

tologischen Pankreas-Veränderungen im Sinne Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen kön-


präneoplastischer/neoplastischer Läsionen be- nen Kopfschmerzen, ferner Schwindel, Obstipa-
steht, ist noch nicht geklärt. tion, HNO-Infektionen, Nasopharyngitis und
Arthralgien, bei der Kombination mit einem
Kontraindikationen. Nicht empfohlen werden
Sulfonylharnstoff auch Hypoglykämien auftre-
Inkretinmimetika bei schwerer Nierenfunkti-
ten.
onsstörung sowie bei diabetischer Gastroparese
und eingeschränkter Leberfunktion. Kontraindikationen. Bei Pankreatitis sind Glip-
tine kontraindiziert. Ein Verdacht auf Zunahme
Die antihyperglykämische und gewichtsredu-
von Pankreatitis und Pankreastumoren besteht
zierende Wirkung von z. B. Exenatid oder Lira-
ähnlich wie für Inkretinmimetika. Während der
glutid ist gut belegt. Langzeitdaten aus kontrol-
Schwangerschaft und Stillzeit dürfen Gliptine
lierten Studien zu klinischen Endpunkten (dia-
nicht eingenommen werden
betischen Komplikationen, kardiovaskulärer
Morbidität und Mortalität) und Sicherheit lie- Zwar ist die antihyperglykämische Wirkung von
gen allerdings noch nicht vor. DPP-4-Inhibitoren gut belegt, doch liegen Lang-
zeitdaten zur Wirksamkeit bezüglich klinischer
DPP4-Inhibitoren, Gliptine Endpunkte derzeit nur für Linagliptin vor, das in
Zu den DPP4-Inhibitoren gehören Linagliptin, Deutschland nicht zur Verfügung steht. Bei Mo-
Saxagliptin, Sitagliptin und Vildagliptin notherapie besteht nur ein geringes Hypoglyk-
(႒ Tab. 21.5). Durch Blockade der Dipeptidyl- ämie-Risiko.
Peptidase 4 (DPP-4) hemmen sie den GLP-
1-Abbau und verlängern dadurch die GLP- 21.6.5 SGLT2-Inhibitoren, Gliflozine
1-Wirkung, ohne wie die insulinotropen Sub- Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflo-
stanzen eine Gewichtszunahme zu verursachen. zin sind die ersten Vertreter der Gliflozine
(႒ Tab. 21.6). Sie hemmen den ausschließlich in
Kinetik. Gliptine werden rasch resorbiert, die
der Niere lokalisierten Natrium-abhängigen
Bioverfügbarkeit beträgt von Linagliptin 30 %,
Glucose-Transporter Isotyp 2 (SGLT2, sodium
von Sitagliptin 90 %, von Saxagliptin 75 % und
dependent glucose transporter) im proximalen
von Vildagliptin 85 %. Linagliptin wird kaum
Tubulus der Niere, über den glomerulär filtrier-
biotransformiert und vor allem fäkal, Sitagliptin
te Glucose großenteils reabsorbiert wird. Die
zu ca. 80 % unverändert renal, Saxagliptin zu-
selektive Blockade von SGLT2 reduziert dem-
sammen mit seinem aktiven Hauptmetaboliten
entsprechend die Glucose-Rückresorption und
5-Hydroxy-Saxagliptin renal und hepatisch,
bewirkt damit eine Ausscheidung von Glucose
Vildagliptin nach Hydrolyse der Nitril- und –
mit dem Harn – bei mittlerer Dosierung eines
untergeordnet – der Amidgruppe renal ausge-
Gliflozins ca. 70 g/Tag –, was einen antihyper-
schieden.
glykämischen Effekt zur Folge hat. Aufgrund
Indikationen. Indiziert sind Gliptine bei Typ- dieses Wirkmechanismus kam es bei den ver- 21
2-Diabetikern als Monotherapeutika, bei denen schiedenen Substanzen nach 24 Behandlungs-
Diät und Bewegung allein den Blutzucker nicht wochen neben der Blutglucosesenkung (HbA1c
ausreichend senken und für die Metformin auf- im Vergleich mit Placebo um 0,5–0,7 % vermin-
grund von Kontraindikation oder Unverträg- dert) zu einem Gewichtsverlust um 2–3 kg sowie
lichkeit nicht geeignet ist. Eine Zulassung be- zur Reduktion des Blutdrucks um 4 mmHg sys-
steht auch für die Zweifachtherapie zusammen tolisch und 2 mmHg diastolisch als positiven
mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff, Piogli- Begleiteffekten. Die normale endogene Gluco-
tazon oder Insulin, ebenso für die Dreifachkom- seproduktion als Reaktion auf eine Hypoglyk-
bination mit Metformin und einem Sulfonyl- ämie wurde durch die Gliflozine nicht behin-
harnstoff. dert.
244 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.6 SGLT2-Inhibitoren, Gliflozine nachlassender Wirksamkeit nicht empfohlen


bzw. ist bei starker Niereninsuffizienz kontrain-
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
diziert. Gliflozine sollten auch nicht bei Typ-
Canagliflozin 100–300 mg (11 h) 1-Diabetikern eingesetzt werden.
(Invokana®)
Interaktionen. Bei mit Schleifendiuretika the-
Dapagliflozin 5–10 mg (13 h) rapierten Patienten ist zur Vermeidung einer
(Forxiga®) Volumendepletion die Anwendung von Gliflo-
zinen nicht indiziert.
Empagliflozin 10–25 mg (12 h)
(Jardiance®) Mit Empagliflozin wurde vor Kurzem im Rah-
men der EMPA-REG Outcome®-Studie eine
Verrringerung kardiovaskulärer Todesfälle um
Indikationen. Gliflozine sind zugelassen für 38 % bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und ho-
die Typ-2-Diabetes-Monotherapie bei Unver- hem kardiovaskulärem Risiko gezeigt.
träglichkeit/Kontraindikation von Metformin
sowie in Kombination mit anderen antihyper- 21.6.6 α-Glucosidase-Inhibitoren
glykämisch wirkenden Substanzen inklusive α-Glucosidase-Inhibitoren hemmen im Bürs-
Insulin. tensaum des Dünndarms die enzymatische
Spaltung von Oligo- und Disacchariden. Die Re-
Kinetik. Nach oraler Gabe werden Gliflozine
sorption von Kohlenhydraten wird dadurch ver-
schnell und gut resorbiert. Die maximalen
zögert, als Folge davon lassen sich postprandiale
Plasmakonzentrationen werden innerhalb von 2
Blutzuckerspitzen vermeiden, die vor allem für
Stunden nach Gabe im nüchternen Zustand er-
Patienten mit Typ-2-Diabetes charakteristisch
reicht. Gliflozine werden wenig (Empagliflozin)
sind. Der basale Blutzuckerwert wird etwas ge-
bis extensiv (Dapagliflozin) metabolisiert, wo-
senkt, insgesamt lassen sich niedrigere Blutglu-
bei hauptsächlich inaktive glucuronidierte Me-
cose-Durchschnittswerte erreichen. Das gly-
taboliten entstehen.
kierte Hämoglobin nimmt mit 0,7–1 % aller-
Nebenwirkungen. Im Vergleich zu Placebo be- dings geringer ab als durch die Wirkung von
handelten Patienten ist die Häufigkeit von Harn- Metformin oder insulinotropen Antidiabetika.
wegsinfektionen geringfügig (Placebo 3,7 %,
Acarbose. Das Pseudotetrasaccharid Acarbose
Dapagliflozin 4,3 %), die von Genitalinfektionen
(z. B. Glucobay®) wird nach oraler Gabe nur we-
allerdings deutlich erhöht (Placebo 0,9 %, Dapa-
nig (< 2 %) resorbiert. In tieferen Darmabschnit-
gliflozin 4,8 %). Gliflozine weisen selbst kein
ten wird der Wirkstoff von Darmbakterien und
Hypoglykämierisiko auf, jedoch muss bei der
Verdauungsenzymen hydrolysiert. Der größere
Kombination mit anderen Antidiabetika (Sulfo-
Teil der Abbauprodukte wird mit den Fäzes aus-
nylharnstoffen, Gliniden, Insulinen) darauf ge-
geschieden, ca. 20 % werden resorbiert. Das
achtet und deren Dosierung angepasst werden.
durch Abspaltung eines Moleküls Glucose ent-
Bei der Evaluierung von Karzinomraten einzel-
standene Pseudotrisaccharid besitzt noch etwa
ner Organsysteme zeigte sich, dass Karzinome
1/3 der Aktivität der Muttersubstanz. Die Wirk-
der Harnblase, der Mamma und der Prostata
dauer liegt bei 4–6 Stunden. Acarbose ist als Mo-
unter einer Gliflozin-Therapie numerisch etwas
notherapeutikum oder in Kombination mit an-
häufiger auftreten.
deren oralen Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes
Kontraindikationen. Da die antihyperglykämi- indiziert. Zur Verringerung von Nebenwirkun-
sche Effektivität von Gliflozinen von der Nie- gen (s. u.) hat die Behandlung einschleichend
renfunktion abgängig ist, wird ihre Anwendung mit initial ein- bis maximal zweimal täglich
bei Nierenfunktionseinschränkungen wegen 50 mg unmittelbar zu Beginn einer Mahlzeit zu
21.6 Pharmaka zur Therapie des Diabetes mellitus 245

erfolgen. Danach kann die Dosis pro Woche um den intrazellulären Rezeptoren (Ⴉ Kap. 3.1.2.1)
50 mg bis auf dreimal 100 mg/Tag erhöht wer- gehörende PPARγ dimerisiert mit dem Retino-
den. id-Rezeptor (RXR) und steigert durch Interakti-
on mit der DNA die Bildung von Proteinen, wel-
Die Nebenwirkungen – Blähungen, evtl. Diar-
che die Differenzierung von Fettzellen aus Prä-
rhö – beruhen darauf, dass infolge der Glucosi-
adipozyten und die Glucoseverwertung fördern.
dase-Hemmung Poly- und Disaccharide teilwei-
Als Folge dieser Wirkungen sinken die Plasma-
se erst im Kolon durch Darmbakterien unter
konzentrationen von freien Fettsäuren, Trigly-
Gasbildung abgebaut (vergärt) werden. Durch
ceriden und Glucose, wodurch die Insulinsensi-
einschleichende Dosierung lassen sich diese un-
tivität erhöht und der HbA1c-Wert reduziert
erwünschten Wirkungen deutlich abschwächen.
werden.
Sehr selten kommt es zu einem Anstieg der Le-
Pioglitazon ist zur Typ-2-Diabetes-Behand-
berenzyme im Blut, der durch Metaboliten der
lung als Monotherapeutikum sowie in Kombi-
Acarbose verursacht sein soll. Bei chronischen
nation mit Metformin oder einem Sulfonylharn-
Darmerkrankungen mit Verdauungs- und Re-
stoff indiziert. Auch für die Dreifach-Kombina-
sorptionsstörungen sowie bei Erkrankungen,
tion Pioglitazon, Metformin, Sulfonylharnstoff
die sich durch vermehrte Gasbildung im Darm
besteht eine Zulassung, wenn sonst keine ausrei-
verschlechtern können (z. B. bei Darmulzera
chende Blutzuckerkontrolle erreicht wird. Die
und -stenosen), ist Acarbose kontraindiziert.
Kombination mit Insulin ist wegen der Gefahr
Da Acarbose die Kohlenhydratresorption
einer Herzinsuffizienz nur in Ausnahmefällen
verzögert, muss bei einer Therapie-induzierten
erlaubt.
Hypoglykämie Glucose gegeben werden, deren
Pioglitazon wird gut resorbiert, nahezu voll-
Resorption durch α-Glucosidase-Hemmung –
ständig an Plasmaeiweiße gebunden und hepa-
im Gegensatz zu der von Saccharose – nicht be-
tisch metabolisiert. Die Ausscheidung der Meta-
einträchtigt wird.
boliten erfolgt sowohl renal als auch biliär. Die
Miglitol (Diastabol®) besitzt ähnliche pharma- Halbwertszeit von Pioglitazon wird mit 3–7
kodynamische Eigenschaften wie Acarbose. Im Stunden angegeben. Die Dosierung beträgt 15–
Gegensatz zu dieser wird es zu 60–90 % resor- 30 (–45) mg peroral einmal täglich.
biert und unverändert renal ausgeschieden. Die Als Nebenwirkungen wurden Flüssigkeitsre-
Halbwertszeit beträgt 2–3 Stunden. Die Thera- tention, Ödeme und dadurch bedingte Ge-
pie wird mit einer Dosierung von dreimal täg- wichtszunahme, Auslösen einer Herzinsuffizi-
lich 50 mg begonnen. In Abhängigkeit von enz, Anämie, Fettstoffwechsel- und Leberfunk-
Wirksamkeit und Verträglichkeit kann im Ver- tionsstörungen, Verminderung der Knochen-
lauf eine Dosiserhöhung auf dreimal täglich dichte mit vermehrten peripheren Frakturen,
100 mg erfolgen. Nebenwirkungen, Kontraindi- ferner Kopfschmerzen und erhöhter Appetit so-
kationen und Interaktionen entsprechen denen wie Flatulenz beobachtet. Außerdem wurde ein
von Acarbose. erhöhtes Blasenkrebsrisiko festgestellt. Bei Le- 21
bererkrankungen und Herzinsuffizienz ist Pio-
21.6.7 Pioglitazon glitazon kontraindiziert. Orale hormonelle Kon-
Infolge hepatischer oder kardiovaskulärer Ne- trazeptiva können in ihrer Wirkung durch Pio-
benwirkungen von Thiazolidindionen ist von glitazon abgeschwächt werden.
dieser Stoffklasse nur noch Pioglitazon (Ac- In Anbetracht des Nebenwirkungsspektrums
tos®) im Handel. Dessen blutzuckersenkende und des unzureichenden Wirksamkeitsnach-
Wirkung kommt dadurch zustande, dass es den weises im Hinblick auf klinische Endpunkte ist
γ-Subtyp des Peroxisomen-Proliferator-akti- Pioglitazon nur in Ausnahmen (z. B. Unverträg-
vierten Rezeptors (PPARγ) stimuliert. Der zu lichkeit anderer Antidiabetika) zu empfehlen.
246 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

21.6.8 Strategien der Therapie des oder -Kontraindikation stehen DPP-4-Inhibito-


Diabetes mellitus ren, SGLT2-Inhibitoren, Sulfonylharnstoffe,
Behandlungsziele einer Diabetes-Therapie sind Glinide, α-Glucosidasehemmer oder Pioglita-
die Beseitigung der Diabetes-Symptome unter zon zur Verfügung. Eine Insulinmonotherapie,
Vermeidung von Hypoglykämien und Erhalt meist mit einem Verzögerungsinsulin, ist bereits
der Lebensqualität, ferner die Prophylaxe bzw. in dieser Stufe der Therapie zumindest initial
Verringerung der Spätschäden sowie die Ver- angezeigt, wenn das HbA1c hoch ist und eine ra-
längerung der Lebensdauer. Das bedeutet, dass sche Stoffwechselverbesserung angestrebt wird.
die Gluconeogenese verringert, der Blutzu- Sobald eine Stoffwechselkompensation (Reduk-
ckerspiegel und HBA1c-Wert gesenkt und die tion der Glucose-Toxizität) erreicht ist, kann
Insulinresistenz vermindert werden müssen. nicht selten, insbesondere bei kürzerer Diabe-
Beim (meist normal- bis untergewichtigen) tesdauer, auf Insulin zugunsten eines oralen An-
Typ-1-Diabetiker sind Nahrungszufuhr und tidiabetikums wieder verzichtet werden. Sulfo-
das praktizierte Insulinregime (CT, ICT, Insu- nylharnstoffe und Glinide sind vor allem bei
linpumpentherapie, s. o.) so aufeinander abzu- normal- oder untergewichtigen Typ-2-Diabeti-
stimmen, dass der Patient normoglykämisch ist. kern sowie bei Patienten in Spätstadien eines
Dabei sind das Ausmaß des Insulindefizits, die Typ-2-Diabetes indiziert, da diese Patienten-
Ansprechbarkeit auf die Insulingabe, die Phar- gruppen Insulin dann nicht mehr ausreichend
makokinetik des verwendeten Insulinpräparats sezernieren. In Anfangsstadien eines Typ-2-Di-
und die körperliche Aktivität zu berücksichti- abetes mit Übergewicht sollten insulinotrop
gen. wirkende Sulfonylharnstoffe und Glinide dage-
Beim vielfach übergewichtigen Typ-2-Diabe- gen nicht eingesetzt werden, da sie Übergewicht
tiker müssen dagegen stets diätetische Maß- und Hyperinsulinämie weiter verstärken.
nahmen zur Gewichtsreduktion (bis zur Ge- Wird das individuell angesetzte HbA1c-Ziel
wichtsnormalisierung mit einem BMI < 25) un- (s. o.) durch eine Monotherapie mit Metformin
ternommen werden, da bei entsprechendem Er- oder einem alternativen Antidiabetikum nach 3
folg eine antidiabetische Pharmakotherapie in bis spätestens 6 Monaten wiederum nicht er-
vielen Fällen dann nicht mehr erforderlich ist. reicht, erfolgt in der dritten Stufe eine pharma-
Außerdem ist grundsätzlich bei jedem Diabeti- kologische Zweifach-Behandlung, in der Regel
ker eine Raucherentwöhnung angezeigt. Darü- mit Metformin als Basistherapeutikum plus ei-
ber hinaus ist wichtig darauf hinzuweisen, dass nem anderen Antidiabetikum. Für andere Zwei-
durch regelmäßige körperliche Bewegung die fach-Kombinationen gibt es zwar noch wenig
Insulinresistenz abnimmt. Die genannten Maß- eindeutige Evidenz, doch sind insgesamt gese-
nahmen stellen die Basis jeder Diabetes-Thera- hen Zweifach-Kombination für viele Patienten
pie dar. sowohl erforderlich als auch im Hinblick auf
Wird ein individuell angesetztes HbA1c-Ziel Nebenwirkungen günstiger, da bei den Kombi-
(HbA1c-Zielkorridor 6,5–7,5 %; der Glykie- nationen die Einzelsubstanzen häufig niedriger
rungsgrad von Hämoglobin zeigt – entspre- dosiert werden können. Bei Nichtansprechen
chend der Lebensdauer der Erythrozyten – die einer Therapie ist immer die Therapietreue des
Einstellung der Blutzuckerwerte während der Patienten zu hinterfragen, bevor eine Eskalation
letzten 6–8 Wochen an) durch die o. g. Basisthe- der laufenden Behandlung erfolgt.
rapie der Diabetesbehandlung nach 3–6 Mona- Bei erneutem Nichterreichen des HbA1c-
ten nicht erreicht, wird als zweite Stufe die phar- Zielwerts von 6,5–7,5 % trotz Zweifachkombi-
makologische Behandlung als Monotherapie in- nationen ist in der vierten Stufe ein Insulinre-
itiiert. Metformin ist hierbei, sofern keine Kont- gime erforderlich (SIT, BOT, CT, ICT, s. o.), u. U.
raindikationen vorliegen, Mittel der 1. Wahl. Als zusätzlich zu oralen Antidiabetika, insbesonde-
Alternativen bei Metformin-Unverträglichkeit re Metformin (bei Adipösen) oder auch einem
21.7 Hormone der Nebennierenrinde 247

DPP-4- oder SGLT2-Inhibitor. Welche Form der Wasserhaushalt eingreifende Mineralocorticoi-


Insulintherapie gewählt wird, richtet sich nach de gebildet. In der Zona reticularis werden au-
den Bedürfnissen des Patienten und den Plas- ßerdem Androgene (Ⴉ Kap. 21.8.3.2) – aller-
maglucoseprofilen im Alltag. Oberstes Gebot dings nur in geringen Mengen – synthetisiert.
jeder Insulintherapie ist die Vermeidung von Durch ihre Wirkungen leisten die Gluco- und
schweren Unterzuckerungen und einer signifi- Mineralocorticoide einen wesentlichen Beitrag
kanten Gewichtszunahme. zur Homöostase des Organismus, insbesondere
Die Kontrolle einer guten Diabetes-Einstel- verleihen sie ihm die Fähigkeit, auf innere und
lung erfolgt insbesondere durch die regelmäßige äußere Beanspruchung („Stress“) zu reagieren.
Bestimmung der Nüchtern-Blutglucosekonzen- Ein vollständiger Ausfall der Nebennierenrinde
tration, die Prüfung auf Glucose und Ketonkör- führt – unbehandelt – in kurzer Zeit zum Tode.
per im Urin sowie die Messung von HbA1c. Bei
Glucocorticoide. Das wichtigste endogene Glu-
Diabetikern sowie Patienten mit einem metabo-
cocorticoid ist Cortisol (Hydrocortison). Die
lischen Syndrom ist außerdem eine effektive an-
Basalsekretion beträgt 15–60 mg/Tag. Cortisol
tihypertensive Behandlung mit anzustrebenden
fördert die Gluconeogenese durch vermehrten
Blutdruckwerten von systolisch < 130 mmHg
Proteinabbau (katabole Wirkung) und erhöht
und diastolisch 75–80 mmHg sowie eine Sen-
dadurch den Blutzuckerspiegel sowie die Glyko-
kung der Plasmalipide auf eine LDL-Konzen-
genbildung in der Leber. Außerdem verstärkt es
tration < 100 mg/dl durchzuführen. Um einen
die lipolytischen Effekte der Catecholamine. Bei
diabetischen Fuß zu vermeiden, sind regelmäßi-
vermehrter Sekretion in Belastungssituationen
ge Fußinspektionen, Fußpflege, geeignetes
(bis zu 240 mg Cortisol/Tag) sowie bei therapeu-
Schuhwerk und Schutz vor Verletzungen erfor-
tischer Anwendung von Glucocorticoiden kom-
derlich. Zur Therapie einer diabetischen Poly-
men folgende Wirkungen hinzu:
neuropathie können α-Liponsäure (Thioctsäu-
re) und Benfotiamin (Ⴉ Kap. 29.1.2.1), außerdem 󠀂 Blockade inflammatorischer und immunolo-
zur Behandlung der neuropathischen Schmer- gischer Prozesse durch Suppression der Bil-
zen (Ⴉ Kap. 12.1.8) zusätzlich Amitriptylin, dung von Entzündungsmediatoren und
Carbamazepin, Gabapentin oder Pregabalin Hemmung der angeborenen und erworbe-
eingesetzt werden. Die medikamentöse Behand- nen Immunfunktionen (antiphlogistische
lung einer diabetischen Gastroparese besteht in und immunsuppressive Wirkung),
der Gabe eines Prokinetikums (Ⴉ Kap. 18.2.3), 󠀂 Unterdrückung der Vermehrung von Fibro-
z. B. Domperidon. blasten (antiproliferative Wirkung) sowie der
Bei Coma und Praecoma diabeticum, azido- Kollagensynthese bei gleichzeitig beschleu-
tischer Stoffwechsellage, schweren Infekten so- nigtem Kollagenabbau,
wie bei Hyperglykämien in der Schwangerschaft 󠀂 im Schockzustand verstärktes Ansprechen
sind Altinsulin bzw. rasch wirkende Insuline in- der Gefäße auf Catecholamine und Verbesse-
diziert. rung der Mikrozirkulation. 21
Allerdings erhöhen Glucocorticoide auch die
21.7 Hormone der Nebennierenrinde Thrombozytenzahl und damit das Thrombose-
risiko. Des Weiteren vermindern sie die Gona-
In der Nebennierenrinde werden aus Choleste- dotropinsekretion des Hypophysenvorderlap-
rol über Progesteron als Zwischenstufe in der pens (Ⴉ Kap. 21.2.1) und reduzieren dadurch die
Zona fasciculata und reticularis insbesondere Gonadenfunktion. Außerdem steigern sie die
den Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwech- Erregbarkeit des Gehirns und senken die
sel beeinflussende Glucocorticoide, in der Zona Krampfschwelle. Zudem treten euphorisierende
glomerulosa vor allem in den Elektrolyt- und oder depressionsauslösende Effekte hinzu. Glu-
248 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

cocorticoide behindern ferner die Umwandlung 21.7.1 Glucocorticoide als


von Vitamin D3 in Calcitriol, woraus eine ver- Arzneistoffe
mehrte renale Sekretion von Ca2+-Ionen resul- Außer der Substitution bei einer vergleichsweise
tiert. Bei erforderlicher gleichzeitiger Einnahme seltenen Nebennierenrindeninsuffizienz liegt
von Glucocorticoiden und einem Vitamin-D3- die therapeutische Bedeutung der Glucocortico-
Präparat sollte daher Calcitriol (Ⴉ Kap. 29.1.1.2) ide in ihrer antientzündlichen, antiallergischen
eingesetzt werden. und immunsuppressiven Wirkung. Prednisolon
Für die Bewältigung schwerer Stress-Situati- und Prednison wirken etwa viermal stärker an-
onen (z. B. Infektionen, Traumen, operative Ein- tiphlogistisch als Cortisol bei gleichzeitig gerin-
griffe) sind Glucocorticoide unentbehrlich, da gerer Beeinflussung des Elektrolytstoffwechsels.
sie eine Schädigung des Organismus durch Eine weitere Wirkungssteigerung konnte durch
übermäßige Zytokinbildung (s. u.) hemmen. die Einführung von Halogenatomen erreicht
werden. Die Affinität zum Mineralocorticoid-
Mineralcorticoide. Die Abgabe des Mineralo-
Rezeptor wird durch Ersatz von Wasserstoffato-
corticoids Aldosteron aus der Nebennierenrin-
men durch Hydroxyl- oder Methylgruppen an
de wird vor allem durch Volumenänderungen in
bestimmten Positionen des Steroidgerüsts eli-
den Gefäßen, Änderung der Nierendurchblu-
miniert. Zwar sind die auf diese Weise erhalte-
tung und der NaCl-Konzentration im distalen
nen Glucocorticoide stärker wirksam und be-
Tubulus der Niere geregelt. Bei Na+-Mangel im
einflussen auch den Na+- und K+-Haushalt nur
Blut, Abnahme der Nierendurchblutung und er-
noch wenig, doch haben sich die Erwartungen,
niedrigter Cl–-Ionenkonzentration an der Ma-
dass sich die erwünschten antiphlogistischen
cula densa (Ⴜ Abb. 26.2) setzen die juxtaglome-
Wirkungen von den unerwünschten Wirkungen
rulären Zellen der Niere Renin frei, das – Angio-
auf z. B. den Glucose- und Knochenstoffwechsel
tensin-II-vermittelt – die Aldosteron-Ausschüt-
trennen lassen, nicht erfüllt.
tung stimuliert. Ebenso wird diese durch eine
႒ Tab. 21.7 enthält Glucocorticoide zur syste-
(zu) hohe K+-Konzentration im Blut gesteigert.
mischen Anwendung (Glucocorticoide zur lo-
Bei Blutverlusten kann die Aldosteron-Aus-
kalen Anwendung an Atemwegen Ⴉ Kap. 24.1.1.2
schüttung ferner durch Aktivierung von Volu-
und Haut Ⴉ Kap. 28.3.2.1). Hydrophile Ester-
menrezeptoren ausgelöst werden.
Prodrugs von Betamethason, Prednisolon und
Die Wirkung der Mineralocorticoide besteht in Methylprednisolon (z. B. Hydrogensuccinate)
der Reabsorption von Na+-Ionen und Wasser eignen sich zur i. v. Injektion für die Notfall-
sowie der vermehrten Sekretion von K+-Ionen therapie.
im distalen Tubulus und Sammelrohr der Niere.
Kinetik. Glucocorticoide werden aus dem Gast-
Die Folge ist eine Erhöhung des extrazellulären
rointestinaltrakt gut resorbiert. Während die
Flüssigkeitsvolumens und des Blutdrucks. Au-
Elimination von Cortisol und Prednisolon rela-
ßerdem sind Mineralcorticoide für die Homöo-
tiv rasch erfolgt, werden halogenierte Cortisol-
stase der Serumkalium-Konzentration verant-
Derivate langsamer metabolisiert.
wortlich.
Indikationen. Glucocorticoide sind bei einer
Wirkungsmechanismus. Wie die anderen Stero-
Vielzahl sehr unterschiedlicher Erkrankungen,
idhormone besitzen Gluco- und Mineralocorti-
denen immunologische bzw. entzündliche Re-
coide intrazelluläre Rezeptoren (Ⴉ Kap. 3.1.2.1).
aktionen oder eine Hyperproliferation der Ge-
Während an den Glucocorticoid-Rezeptor nur
webe zugrunde liegen, indiziert. Hierzu zählen
Glucocorticoide binden, stimulieren den Mine-
Hauterkrankungen (z. B. Ekzeme, Psoriasis,
ralocorticoid-Rezeptor viele Gluco- und Mine-
Erythema nodosum, Strahlenerytheme), rheu-
ralocorticoide gleichermaßen.
matische Erkrankungen (z. B. rheumatoide Ar-
thritis, akutes rheumatisches Fieber, Polymyal-
21.7 Hormone der Nebennierenrinde 249

႒ Tab. 21.7 Glucocorticoide zur systemischen Anwendung


INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)

Nicht fluorierte Glucocorticoide Triamcinolonacetonid 10–280 mg i. m.,


(z. B. Volon® A) i. art., intraläsional
Cortisol = Hydrocortison 10–40 mg p. o., i. v. (1,5 h)
(Generika) (1,5 h)
Triamcinolonhexacetonid 2–20 mg i. m., i.art.,
Prednisolon 5–150 mg p. o. (Lederlon®) intraläsional
(z. B. Decortin® H) (3 h) (1,5 h)

Prednison 5–150 mg p. o. Esterprodrugs zur parenteralen Injektion


(z. B. Decortin®) (3 h)
Betamethasondihydro- 2–200 mg i. v.,
Methylprednisolon 4–160 mg p. o. genphosphat i. m., i.art.
(z. B. Urbason®) (2–3 h) (z. B. CELESTAN® solubile) (M 7 h)

Cloprednol 1,25–12,5 mg p. o. Dexamethasondihydro- 4–100 mg i. v.,


(z. B. Syntestan®) (3 h) genphosphat i. m., i. art.
(z. B. Fortecortin® Inject) (M 36 h)
Deflazacort 6–18 mg p. o.
(z. B. Calcort®) (2 h) Methylprednisolon- 250–1000 mg i. v.
21-hydrogensuccinat (M 2–3 h)
Fluorierte Glucocorticoide (z. B. Urbason® solubile)

Betamethason 0,5–15 mg p. o. Prednisolonhydrogen- 40–1000 mg i. v.


(z. B. CELESTAMINE® N) (7 h) succinat (M 3 h)
(z. B. Prednisolut® i. v.)
Dexamethason 4–40 mg p. o.
(z. B. Fortecortin®) (36 h) Triamcinolonacetonid- 10–400 mg i. v.
21-dihydrogenphosphat (M 1,5 h)
Triamcinolon 4–80 mg p. o. (z. B. Volon® A solubile)
(z. B. Volon®) (5 h)
M Aktiver Metabolit

gia rheumatica und Kollagenosen), allergische tis), maligne Tumoren (z. B. akute lymphoblas-
Reaktionen (z. B. Asthma bronchiale, angioneu- tische Leukämie, Morbus Hodgkin, Non-Hodg-
rotisches Ödem, allergische Rhinitis, Insekten- kin-Lymphome, chronisch lymphatische Leuk-
stiche, Urtikaria, anaphylaktischer Schock), ämie, multiples Myelom), Symptomlinderung
Nierenerkrankungen (z. B. nephrotisches Syn- in der Palliativtherapie von Tumoren (z. B. bei 21
drom), hämatologische Erkrankungen (z. B. Inappetenz, Anorexie und allgemeiner Schwä-
hämolytische Anämien, thrombopenische Pur- che im fortgeschrittenen Stadium), Erkrank-
pura), Lungenerkrankungen (z. B. chronisch ungen des Nervensystems (z. B. BNS-Krämpfe,
obstruktive Atemwegserkrankung, Morbus Multiple Sklerose, Myasthenia gravis),
Boeck, toxisches Lungenödem), chronisch-ent- Hirnödem (insbesondere tumorbedingtes
zündliche Darmerkrankungen, Zytostatika- Hirnödem), schwere Schockzustände und
induziertes Erbrechen (in Kombination mit Transplantationen. Glucocorticoide bessern die
NK1- und 5-HT3-Antagonisten, Ⴉ Kap. 18.2.4), Symptomatik dieser Krankheiten aufgrund ih-
Lebererkrankungen (z. B. nicht infektiös-be- rer antientzündlichen, antiproliferativen und
dingte chronisch-aggressive Autoimmunhepati- immunsuppressiven Wirkungen. Da außer Glu-
250 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

cocorticoiden häufig aber auch spezifischer solon können dabei zwischen 30 und 1000 mg
wirksame Arzneistoffe angezeigt und den Glu- schwanken. Die Erhaltungsdosen von Predniso-
cocorticoiden vorzuziehen sind, wird bezüglich lon betragen 5–15 mg pro Tag peroral. Bei akut
der zusammenfassenden Darstellung der Phar- bedrohlichen Zuständen müssen hohe Gluco-
makotherapie dieser Erkrankungen auf die ent- corticoid-Dosen i. v. injiziert oder infundiert
sprechenden Kapitel verwiesen. werden.
Bei Infektionskrankheiten dürfen Glucocortico- Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen der
ide nur gemeinsam mit Antiinfektiva gegeben Glucocorticoide nehmen bei Langzeittherapie
werden. Sie haben dabei die Aufgabe, infekti- mit steigender Dosis zu. Infolge der immunsup-
onsbedingte toxische Reaktionen (z. B. bei Tu- pressiven Wirkung besteht die Gefahr von In-
berkulose, Typhus) zu verhindern. fektionen sowie der Reaktivierung latenter In-
In der Substitutionstherapie bei Nebennie- fekte. Gastrointestinale Ulzera können bei
renrindeninsuffizienz wird präferentiell Corti- gleichzeitiger Anwendung von nichtsteroidalen
sol (Hydrocortison) angewendet. Antiphlogistika (Ⴉ Kap. 12.2.1) erstmals oder er-
neut auftreten, allein rufen Glucocorticoide je-
Anwendungskriterien. Glucocorticoide sollen
doch keine Magen- oder Zwölffingerdarmge-
unter sorgfältiger Beachtung der Nebenwirkun-
schwüre hervor. Die Wundheilung ist verzögert.
gen angewandt werden. Stets ist die für das Er-
Wegen der katabolen bzw. antiproliferativen
reichen des therapeutischen Effekts erforderli-
Wirkungen sind ferner Atrophien von Muskula-
che Dosis individuell zu ermitteln und von Zeit
tur, Haut (Striaebildung) und Fettgewebe mög-
zu Zeit anhand der Aktivität der Erkrankung zu
lich. Bei Kindern tritt eine (in der Regel reversi-
überprüfen. Selbst sehr hohe Einzeldosen eines
ble) Wachstumshemmung auf. Bei Erwachsenen
Glucocorticoids, auch bei einer Behandlung
besteht bei Langzeitanwendung infolge Auflö-
über einige Tage, rufen gewöhnlich keine ge-
sung der mesenchymalen Knochenmatrix und
fährlichen Nebenwirkungen hervor. Wenn
teilweise auch durch die Vitamin-D3-ant-
möglich, sollte die Tagesdosis in einer morgend-
agonistische Wirkung sowie durch die Hem-
lichen Gabe verabreicht werden, da Glucocorti-
mung der Knochenneubildung infolge vermin-
coide dann weniger in den natürlichen Regel-
derter Expression des Prokollagen-I-Gens eine
kreis der Cortisolsekretion eingreifen und die
erhebliche Osteoporosegefahr. Besonders ge-
Gefahr einer Nebennierenrindenatrophie ab-
fährdet sind Patienten mit eingeschränkter mo-
nimmt. Reicht eine einmal tägliche Dosierung
torischer Aktivität.
nicht aus, empfiehlt sich eine zweite Gabe am
frühen Nachmittag bzw. frühen Abend. Bei Be- Wegen des Eingriffs in den Glucosestoffwechsel
endigung einer länger dauernden Therapie mit kann eine Hyperglykämie auftreten und ein la-
Glucocorticoiden darf die Dosis nur langsam tenter Diabetes mellitus manifest werden (dia-
reduziert werden, da sonst mit Komplikationen betogene Wirkung). Der Eingriff in den Lipid-
infolge einer Therapie-bedingten Nebennieren- stoffwechsel führt bei lang dauernder hochdo-
rindenatrophie zu rechnen ist. Diese treten ins- sierter Gabe zu einer charakteristischen Umver-
besondere in Stress-Situationen und dadurch teilung des Fettgewebes mit Stammfettsucht und
erhöhtem Cortisolbedarf auf. Dem muss durch Vollmondgesicht sowie zu Hypercholesterolä-
Gabe von Cortisol in ausreichender Dosierung mie mit erhöhtem Arterioskleroserisiko. Bei
Rechnung getragen werden. den Substanzen, die noch eine mineralcorticoi-
dartige Wirkungskomponente besitzen, tritt
Dosierung. Die Dosierung erfolgt entsprechend
eine Retention von Na+-Ionen und Wasser sowie
den oben genannten Kriterien nach dem An-
eine gesteigerte Exkretion von K+-Ionen auf.
sprechen des Patienten sowie der Schwere der
Durch die Beeinflussung zentralnervöser Funk-
Erkrankung. Die Anfangsdosen für z. B. Predni-
tionen besteht die Gefahr von Schlafstörungen,
21.7 Hormone der Nebennierenrinde 251

Antriebshemmung oder psychischen Alteratio- den. Die therapeutische Bedeutung ist – vergli-
nen. Langzeitbehandlung kann besonders bei chen mit den Glucocorticoiden – gering. Außer
Kindern den Hirndruck erhöhen, wobei die bei einer primären Nebennierenrindeninsuffizi-
Symptome eines Hirntumors vorgetäuscht wer- enz (Morbus Addison, s. u.) ist es bei sonst
den. Weiterhin können Glucocorticoide den int- schwer therapierbaren hypotonen Kreislaufstö-
raokularen Druck erhöhen und dadurch zu rungen indiziert. Zur Hypotoniebehandlung
Glaukom (Ⴉ Kap. 27.1) und schließlich zur Er- werden 0,1–0,3 mg täglich peroral verabreicht.
blindung führen. Dabei haben die Anwendung Als Nebenwirkungen können bei der Hypo-
am Auge selbst und die systemische Gabe den toniebehandlung sowie nach Überdosierung bei
gleichen Effekt. Ferner ist ein erhöhtes Throm- einer Substitutionstherapie Ödeme sowie Kali-
boembolierisiko zu erwähnen. In ihrer Gesamt- umverluste auftreten. Hypertonie, Herzinsuffi-
heit werden diese von Glucocorticoiden hervor- zienz, Leberzirrhose und Nephrosen sind Kont-
gerufenen Nebenwirkungen als Cushing-Syn- raindikationen.
drom bezeichnet. Mit dem Auftreten dieses
Syndroms ist zu rechnen, wenn die interindivi- 21.7.3 Therapie von Funktions-
duell stark schwankende Cushing-Schwelle störungen der Nebenniere
überschritten wird. Bei Tagesdosen von ≤ 7,5 mg Nebennierenrindeninsuffizienz. Die primäre
Prednisolon sind diese Nebenwirkungen meist Form, bei der die Nebennieren selbst geschädigt
wenig bedeutsam. sind, wird als Morbus Addison bezeichnet. Zu
manifesten Funktionsausfällen kommt es erst,
Interaktionen. Glucocorticoide reduzieren die
wenn ca. 90 % der Rindensubstanz zerstört sind.
Wirkung von Antikoagulanzien und oralen An-
Häufigste Ursache der mit ca. 100 Fällen/1 Mio
tidiabetika. Bei gleichzeitiger Gabe von Gluco-
Einwohner seltenen Erkrankung sind Autoim-
corticoiden und nichtsteroidalen Antirheumati-
munreaktionen. Die sekundäre Form der Ne-
ka, insbesondere Salicylsäure-Derivaten, steigt
bennierenrindeninsuffizienz ist die Folge einer
die Gefahr gastrointestinaler Blutungen. Gluco-
verringerten ACTH-Ausschüttung wegen einer
corticoid-bedingte K+-Verluste verstärken die
Hypothalamus- und/oder Hypophysenvorder-
Wirkung von Herzglykosiden. CYP-Enzyme-
lappeninsuffizienz, z. B. infolge eines Tumors.
induzierende Pharmaka verringern die Gluco-
Da die Mineralocorticoid-Produktion von der
corticoid-Wirkungen.
ACTH-Sekretion weitgehend unabhängig ist,
Kontraindikationen. Relative Kontraindikatio- fehlen bei der sekundären NNR-Insuffizienz die
nen, bei denen der zu erwartende Nutzen sorg- Elektrolytstoffwechselstörungen. Zur Vermei-
fältig gegen das Risiko abgewogen werden muss, dung lebensbedrohlicher Krisen und zum Erhalt
sind schwere Infektionserkrankungen (z. B. Sys- der Leistungsfähigkeit ist bei primärer Neben-
temmykosen), Magen-Darm-Ulzera, schwere nierenrindeninsuffizienz die gleichzeitige Gabe
Osteoporose, Psychosen, verschiedene Viruser- eines Glucocorticoids (Cortisol) und eines Mi-
krankungen während der virämischen Phase neralocorticoids erforderlich. Bei sekundärer 21
(z. B. Varizellen) sowie Glaukom. Die Substituti- Nebennierenrindeninsuffizienz ist wegen der
onstherapie bei Cortisolmangel ist jedoch stets noch erhaltenen Aldosteron-Basissekretion
durchzuführen. meist die alleinige Gabe eines Glucocorticoids
ausreichend.
21.7.2 Mineralocorticoide als
Cortisol wird in Tagesdosen von 20–25 mg bei
Arzneistoffe
den primären und 15–20 mg bei der sekundären
Als hochwirksames Mineralocorticoid steht das
Form verabreicht, wobei ca. 2/3 der Dosis mor-
Cortisol-Derivat Fludrocortison (Astonin® H)
gens, ca. 1/3 am frühen Nachmittag gegeben
zur Verfügung. Es wird mit einer Halbwertszeit
werden. Patienten mit Morbus Addison erhalten
von einer Stunde vorzugsweise renal ausgeschie-
252 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

zusätzlich 0,05–0,2 mg Fludrocortison täglich. ren Hyperaldosteronismus (Conn-Syndroms)


Bei moderatem Stress z. B. infolge stärkerer kör- ist ein Nebennierenrindenadenom oder eine
perlicher bzw. seelischer Belastung oder eines -hyperplasie. Bedingt durch den Kaliumverlust
grippalen Infekts ist die Dosis vorübergehend zu kommt es zu Muskelschwäche, Adynamie,
verdoppeln. Schwere Stress-Situationen erfor- Müdigkeit, Polyurie, Nykturie und Parästhesien
dern eine Behandlung mit höheren Cortisoldo- sowie – bedingt durch die Hypervolämie – zu
sen. Ab einer Tagesdosis von 50 mg Hydrocorti- Hypertonie, Kopfschmerzen und tetanischen
son kann auf die Gabe von Fludrocortison ver- Erscheinungen. Ein Aldosteron-produzierendes
zichtet werden. Nebennierenrindenadenom ist operativ zu ent-
fernen. Zur Vorbehandlung sind Aldosteronant-
Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom). Die
agonisten, z. B. Spironolacton (Ⴉ Kap. 26.1.3.1)
Blut-Cortisolkonzentration ist über einen länge-
200–300 mg täglich, indiziert, um den Serumka-
ren Zeitraum erhöht. Beim adrenal bedingten
liumspiegel zu normalisieren. Ein postoperati-
primären Cushing-Syndrom liegen gutartige
ver Hypoaldosteronismus wird mit 0,05–0,2 mg
oder bösartige Nebennierenrindentumoren, bei
Fludrocortison täglich behandelt. Beim sekun-
den häufigeren sekundären Formen meist ein
dären Hyperaldosteronismus beruht die ver-
Mikroadenom der Hypophyse mit vermehrter
mehrte Aldosteronproduktion auf einer
Freisetzung von ACTH oder Tumoren mit ekto-
Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldoste-
per ACTH-Bildung (z. B. Bronchialkarzinom)
ron-Systems (Ⴉ Kap. 23.3.2.1) infolge eines er-
vor. Am häufigsten findet man jedoch ein iatro-
niedrigten Plasmavolumens bzw. renalen Plas-
genes Cushing-Syndrom infolge einer länger-
maflusses (z. B. bei Herzinsuffizienz, Nierenar-
fristigen Gabe von Glucocorticoiden in hoher
terienstenose, nephrotischem Syndrom, Leber-
Dosierung (s. o.). Charakteristisch für das Cus-
zirrhose, chronischem Laxanzienabusus). Die
hing-Syndrom sind das ausdruckslose, runde,
Therapie des sekundären Hyperaldosteronis-
dunkelrot verfärbte Vollmond-Gesicht sowie die
mus besteht in der Ausschaltung bzw. Therapie
Stammfettsucht. Diese entsteht aufgrund der er-
der auslösenden Ursache.
höhten Cortisolkonzentration, die zu Hypergly-
kämie und gesteigerter Lipolyse in den Extremi- Adrenogenitales Syndrom (AGS). Die angebo-
täten führt. Der reaktive Hyperinsulinismus rene Form beruht auf Enzymdefekten, in deren
führt dann zu einer vermehrten Lipogenese am Folge die Nebennierenrinde nicht oder nur un-
Stamm. Unbehandelt beträgt die mittlere Über- zulänglich in der Lage ist, Gluco- und Mine-
lebenszeit 5 Jahre. Die Behandlung von Neben- ralocorticoide zu bilden. Wegen der unzurei-
nierenrindentumoren (primäre Form) oder Hy- chenden Rückkopplung von Cortisol zum Hy-
pophysentumoren (sekundäre Form) erfolgt pothalamus bzw. zur Hypophyse steigt die Pro-
durch Entfernung des hormonbildenden Gewe- duktion von ACTH und – unter Ausbildung
bes. Außerdem kann Ketoconazol (Ketoconazo- einer Nebennierenrindenhyperplasie – von
le HRA®) zur Behandlung eines endogenen Androgenen. Bei Mädchen beobachtet man Vi-
Cushing-Syndroms bei Erwachsenen sowie Ju- rilisierungserscheinungen, bei Knaben kommt
gendlichen angewendet werden. Ketoconazol es zu einer vorzeitigen Ausbildung der sekun-
blockiert als CYP-Hemmer in der Nebenniere dären Geschlechtsmerkmale ohne adäquate
die Cortisolsynthese. Bei iatrogenem Cushing- Entwicklung der Keimdrüsen, da der erhöhte
Syndrom muss die Glucocorticoid-Dosis über- Androgenspiegel die Gonadotropinausschüt-
prüft und eine Dosisreduktion versucht werden. tung hemmt. Auch die Spermatogenese fehlt.
Bei beiden Geschlechtern tritt nach auffallend
Hyperaldosteronismus. Ein Hyperaldosteronis-
schnellem Wachstum in den ersten Lebensjah-
mus ist durch die vermehrte Bildung von Aldos-
ren durch vorzeitigen Epiphysenschluss ein
teron gekennzeichnet. Die Ursache des primä-
frühzeitiger Wachstumsstillstand ein. Die The-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 253

rapie besteht in der Substitution mit Cortisol, während FSH mit einem eigenen, dem FSH-Re-
damit sinkt die pathologisch erhöhte Andro- zeptor, interagiert. Beim Mann fördert LH die
genbildung. Testosteronbildung in den Leydig-Zellen, FSH
stimuliert die Spermienbildung durch die Serto-
li-Zellen. Bei der Frau steigert FSH im Ovar das
21.8 Sexualhormone und davon Wachstum und die Reifung der Follikel, die Ex-
abgeleitete Pharmaka pression von LH-Rezeptoren an Theka- und
Granulosazellen sowie die Aromatasebildung
Wie die Glucocorticoide werden auch die effek- (s. u.) und die Estrogenproduktion in Granulo-
torischen Sexualhormone durch Umwandlung sazellen. LH erhöht ferner die Androgensynthe-
von Cholesterol gebildet. Beim Mann syntheti- se in Thekazellen, löst den Eisprung aus und
sieren die Testes das Androgen Testosteron. Die fördert die Umwandlung des Follikelrests in den
wichtigsten Sexualhormone der Frau sind die Gelbkörper. Da HCG Im Blut bereits 10 Tage, im
vorzugsweise in den Ovarien gebildeten Estro- Urin ca. 2 Wochen nach der Konzeption nach-
gene und das Gestagen Progesteron. Dieses ent- weisbar ist, eignet es sich für Schwangerschafts-
steht insbesondere im Gelbkörper und – bei tests.
schwangeren Frauen – in der Plazenta. Überge-
ordnete Hormone vom Hypothalamus, das Go- 21.8.1 GnRH, GnRH-Analoga und
nadotropin-Releasinghormon (Gonadolibe- GnRH-Antagonisten als
rin), und von der Hypophyse, die Gonadotropi- Arzneistoffe
ne Follikel-stimulierendes Hormon und Lutei- Mit GnRH und GnRH-Agonisten (႒ Tab. 21.8)
nisierendes Hormon, steuern die Bildung dieser kann die Sekretion der Gonadotropine sowohl
Steroidhormone. erhöht als auch reduziert werden. Eine Zunah-
Testosteron und Progesteron sowie in niedri- me erfolgt bei einmaliger bzw. pulsatiler Gabe.
gen Konzentrationen auch Estrogene hemmen Kontinuierliche Applikation der stärker und
die Sekretion der übergeordneten Hormone, vor länger wirksamen GnRH-Agonisten führt dage-
allem die GnRH-Abgabe. Hohe Estrogenkon- gen nach einem initialen Anstieg der FSH- und
zentrationen erhöhen dagegen die LH- und LH-Sekretion zur Down-Regulierung der Gn-
FSH-Sekretion im Sinn einer positiven Rück- RH-Rezeptoren in der Hypophyse, wodurch die
kopplung. Sekretion der Gonadotropine innerhalb von 2–3
Gonadotropin-Releasinghormon (GnRH), Wochen sistiert. In der Folge stellen auch die
ein Decapeptid, wird unter neuronaler Kontrol- Keimdrüsen die Produktion der effektorischen
le vom Hypothalamus pulsatil (beim Mann etwa Sexualhormone ein. Eine ausschließliche und
alle 120 min, bei Frauen alle 90 min) sezerniert. zugleich schnellere Hemmung der Gonadotrop-
Diese pulsatile Freisetzung ist für die physiolo- insekretion bewirken GnRH-Antagonisten.
gische Wirkung essenziell. Durch Aktivierung
hypophysärer, Gq-Protein-gekoppelter GnRH-
Gonadotropin-Releasinghormon (GnRH). Die- 21
ses wird als Diagnostikum und zur Therapie ge-
Rezeptoren werden – IP3- bzw. Ca2+-vermittelt
nutzt. Diagnostisch dient es bei Männern und
– die Bildung und Abgabe von FSH bzw. LH ge-
Frauen gleichermaßen zur Differenzialdiagnose
steigert.
eines Hypogonadismus: Nimmt durch die i. v.
Gonadotropine sind das Follikel-stimulie-
Injektion von GnRH der LH-Plasmaspiegel
rende Hormon (FSH) und das Luteinisierende
nicht zu, liegt ein sekundärer Hypogonadismus
Hormon (LH) aus der Hypophyse sowie das
durch eine Hypophysenschädigung vor, steigt er
(humane) Choriongonadotropin (HCG), wel-
dagegen an, handelt es sich um die primäre
ches – GnRH unabhängig – in der Plazenta ent-
Form, bei der die Ovarien bzw. Hoden betroffen
steht. Die Wirkung von HCG ist der von LH
sind.
sehr ähnlich, beide aktivieren den LH-Rezeptor,
254 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Bei hypothalamisch bedingtem Kryptorchis- bei nicht lebensbedrohlichen Indikationen kon-


mus, bei dem man eine Tagesdosis von 1,2 mg traindiziert.
(Kryptocur®) über 4 Wochen intranasal verab-
GnRH-Antagonisten. Die antagonistisch wir-
reicht, wird die Behandlung am besten zwischen
kenden GnRH-Analoga Abarelix (Plenaxis®),
dem 12. und 24. Lebensmonat durchgeführt. Im
Cetrorelix (Cetrotide®), Degarelix (FIRMA-
Plasma wird GnRH rasch hydrolysiert, die Halb-
GON®) und Ganirelix (Orgalutran®) unter-
wertszeit beträgt 4 min. Häufige Nebenwirkun-
scheiden sich von den GnRH-Agonisten in ihrer
gen sind erhöhte Aktivität einschließlich Schlaf-
Wirkung durch den schnellen Abfall der Bil-
störungen, Unruhe, Agitiertheit.
dung von Gonadotropinen und Sexualhormo-
GnRH-Agonisten. Die stärker und länger wir- nen ohne deren vorausgehenden Anstieg
kenden GnRH-Analoga Buserelin, Goserelin, (႒ Tab. 21.8).
Leuprorelin, Nafarelin und Triptorelin Zugelassen sind Cetrorelix und Ganirelix zur
(႒ Tab. 21.8) hemmen durch komplette Down- Vermeidung eines vorzeitigen LH-Anstiegs bei
Regulation der hypophysären Rezeptoren die kontrollierter ovarieller Hyperstimulation im
Bildung der Sexualhormone vollständig. Da- Rahmen einer assistierten Reproduktion. Sie
durch kann einem hormonabhängigen Wachs- werden dabei zusammen mit rekombinantem
tum von Tumoren entgegengewirkt werden. humanem FSH eingesetzt. Dadurch kommt es
GnRH-Agonisten werden dementsprechend zur auch zu einem schnelleren Follikelwachstum
palliativen Behandlung des metastasierten Pros- und damit zu einer Verkürzung der Behand-
tata- (Ⴉ Kap. 31.9.2) und Mammakarzinoms lungsdauer bis zur Entnahme der reifen Eizellen.
(Ⴉ Kap. 31.9.1) angewandt. Zu beachten ist hier- Degarelix und Abarelix werden zur Palliativ-
bei, dass GnRH-Agonisten bei männlichen Pati- therapie des hormonabhängigen Prostatakar-
enten in den ersten 2–3 Behandlungswochen zu zinoms angewandt (Ⴉ Kap. 31.9.2). Die Neben-
einem vorübergehenden Anstieg der Serumkon- wirkungen entsprechen denen der GnRH-Ago-
zentration von Testosteron und damit zu einer nisten.
Zunahme der tumorbedingten Beschwerden
(Flare-Phänomen) führen. Die zusätzliche Gabe
21.8.2 Gonadotropine als Pharmaka
eines Antiandrogens 3 Tage vor Beginn und in
Auch die Gonadotropine (႒ Tab. 21.9) haben Be-
den ersten 2–3 Wochen der Therapie mit Gn-
deutung als Arzneimittel erlangt. Dies gilt so-
RH-Agonisten ist daher indiziert. Bei Patientin-
wohl für die beiden hypophysären Hormone
nen mit Brustkrebs ist in Kombination mit Tam-
FSH und LH als auch für Choriongonadotropin
oxifen (Ⴉ Kap. 31.5.3.1) die unter der Therapie
(HCG). Ursprünglich konnten diese Arzneistof-
mit GnRH-Analoga allein zu beobachtende Ab-
fe nur durch Extraktion aus Urin gewonnen
nahme der Knochendichte reduziert. Ferner
werden. So enthält der Harn menopausaler
eignet sich die kontinuierliche Gabe von GnRH-
Frauen FSH sowie LH in intakter Form (huma-
Agonisten zur Behandlung von Endometriose,
nes Menopausen-Gonadotropin, HMG, Meno-
Pubertas praecox und präoperativen Verkleine-
tropin), und auch HCG wird in aktiver Form
rung von Myomen. Eine weitere Indikation ist
renal ausgeschieden. Heute werden Gonadotro-
die Ausschaltung der körpereigenen Steuerung
pine jedoch vorwiegend gentechnologisch her-
der Follikelreifung bei der assistierten Repro-
gestellt. Von FSH gibt es zwei solcher Proteine,
duktion (In-vitro-Fertilisation, s. u.).
Follitropin α und Follitropin β, die sich in ihrer
Als Nebenwirkungen sind klimakterische Be-
Glykosylierung und damit in ihrer Wirkstärke
schwerden (vasomotorische Störungen, Libido-
etwas unterscheiden. Als Glykoproteine werden
verlust) sowie Ödeme zu nennen. Langzeitthe-
sie i. m. oder s. c. appliziert. Die Verweildauer im
rapie kann zu Osteoporose führen und ist daher
Körper ist lang.
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 255

႒ Tab. 21.8 Gonadotropin-Releasinghormon (GnRH), GnRH-Analoga und GnRH-Antagonisten


INN Handelspräparat HWZ Indikationen Dosierung

Gonadorelin Lutrelef® u. a. < 10 min Hypogonadismus-Diag- 25–100 μg/Tag i. v.,


nose, Kryptorchismus 1,2 mg/Tag nasal

GnRH-Agonisten

Buserelin Metrelef® u. a. 1–2 h Endometriose, Prostata- 0,9–1,2 mg/Tag nasal


karzinom, In-vitro-Fer-
tilisation

Goserelin Zoladex®-GYN u. a. 2–3 h Endometriose, Myome, 3,6 mg 28-Tage-Im-


Prostata-, Mammakar- plantat; 10,8 mg/3 Mo-
zinom nate s. c.

Leuprorelin Enantone®-Gyn u. a. 3h Endometriose, Myome, 3,75 mg/Monat s. c.,


Mammakarzinom i. m.

Nafarelin Synarela® 4h Endometriose, In-vitro- 0,4–0,8 mg/Tag nasal


Fertilisation

Triptorelin Decapeptyl® Gyn u. a. 20 min Myome, Endometriose, 3,75 mg/Tag s. c., i. m.


In-vitro-Fertilisation

GnRH-Antagonisten

Cetrorelix Cetrotide® 12–30 h Vermeidung eines vor- 0,25 mg/Tag s. c.


zeitigen LH-Anstiegs bei
Ganirelix Orgalutran® 13 h In-vitro-Fertilisation 0,25 mg/Tag s. c.

Abarelix Plenaxis® 13–16 d Prostatakarzinom 100 mg i. m. Tag 1, 15,


29, danach monatlich

Degarelix FIRMAGON® 28–43 d 240 mg s. c. initial, da-


nach 80 mg monatlich

Infolge ihrer Förderung der Follikelreifung reifung injiziert. Ein vorzeitiger Eisprung wird
sind FSH und HMG zur Behandlung der weibli- dabei mit GnRH-Agonisten oder -Antagonisten
chen Infertilität indiziert. Die Dosierung erfolgt (s. o.) unterdrückt.
individuell anhand des sonografisch feststellba- Beruht eine männliche Infertilität auf einer 21
ren Follikelwachstums. Die Ovulation der reifen Hypophysenunterfunktion, ist eine Behandlung
Follikel kann für eine natürliche Konzeption mit FSH (150 IE dreimal/Woche) und HCG
durch Gabe von HCG oder LH ausgelöst wer- (1500–6000 IE einmal wöchentlich) über meh-
den, der Eisprung erfolgt ca. 36 Stunden nach rere Monate möglich. Bei Kryptorchismus er-
der Injektion. Alternativ sind diese Substanzen halten Knaben (s. o.) altersabhängig 500–2000 IE
auch zur Vorbereitung einer In-vitro-Fertilisati- HCG einmal wöchentlich über 5 Wochen. Bleibt
on nutzbar. Zum Heranreifen mehrerer Follikel der Behandlungserfolg aus, ist eine einmalige
sind hohe FSH- bzw. Menotropin-Dosen erfor- Wiederholung sinnvoll. Bei erneutem Therapie-
derlich. Vor der operativen Entnahme der reifen versagen ist eine operative Behandlung (Verle-
Eizellen wird wiederum HCG zur letzten Aus- gung der Hoden in den Hodensack) angezeigt.
256 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.9 Gonadotropine


INN Handelspräparat HWZ Indikationen Dosierung

Follitropin α GONAL-f® u. a. 24 h Stimulation der Follikelreifung, unzurei- 37,5–350 IE


chende Spermatogenese, assistierte Re- s. c./Tag
Follitropin β Puregon® 40 h produktion bei der Frau

Menotropin Menogon® HP 30 h Ovulationsauslösung; ovarielle Hypersti- 75–150 IE/Tag


mulation in assistierter Reproduktions- s. c., i. m.
medizin

Lutropin α Luveris® 12 h Stimulation der Follikelreifung bei Frauen 75 IE/Tag s. c.


mit schwerem LH- u. FSH-Mangel

Choriongo- Predalon® u. a. 30 h Ovulationsauslösung; Reproduktionsme- 5000–10 000 IE


nadotropin dizin: Auslösung der Luteinisierung nach i. m. einmalig
Stimulation des Follikelwachstums
Choriongo- Ovitrelle® 30 h 250 μg s. c. ein-
nadotropin α malig

Ferner dient HCG zur Differenzialdiagnose men mit FSH regulieren sie die Spermienpro-
des Hypogonadismus beim Mann. Bei normaler duktion, in hohen Konzentrationen hemmen sie
Funktion der Keimdrüsen steigt nach i. m. In- dagegen die Spermiogenese. Sie erhöhen ferner
jektion von 5000 IE die Testosteronproduktion. die Libido und Potenz, sind mitbestimmend für
Eine bedeutsame Nebenwirkung einer Ferti- die psychische Verhaltensweise des Mannes,
lisationsbehandlung mit Gonadotropinen ist steigern die Eiweiß- und Nucleinsäuresynthese
eine ovarielle Überstimulation, wodurch bei (anabole Wirkung), stimulieren die Erythrozy-
mehr als 10 % der Schwangerschaften Mehrlin- tenproduktion, verstärken die Talgproduktion,
ge geboren werden. Daneben können als Zei- führen – bei entsprechender genetischer Veran-
chen einer solchen Überstimulation bedrohli- lagung – zum Haarverlust (androgenetischer
che Ödeme im Bauch- und Brustraum, akute Alopezie) und fördern den Knochenaufbau und
Atemstörungen und Oligurie auftreten. Bei der den Abschluss des Knochenwachstums in der
Heranreifung mehrerer großer Follikel ist daher Pubertät (Epiphysenschluss).
die Behandlung abzubrechen. Das Risiko dieser Bei Frauen bewirkt eine verstärkte Andro-
Komplikation ist evtl. bei dem kürzer wirkenden genproduktion der Nebennieren bzw. Ovarien
rekombinanten LH geringer als bei dem länger ebenso wie eine längere Behandlung mit Testos-
wirksamen HCG. teron Virilisierungserscheinungen.
Wirkungsmechanismus. Die Androgene ver-
21.8.3 Männliche Sexualhormone
mitteln ihre Wirkung über einen intrazellulären
und Analoga
Rezeptor (Ⴉ Kap. 3.1.2.1). Die höchste Rezepto-
21.8.3.1 Androgenwirkungen
raffinität, vor allem aber die längste Verweildau-
Testosteron bzw. sein durch 5α-Reduktase er-
er am Androgenrezeptor und damit die stärkste
zeugter Metabolit 5α-Dihydrotestosteron för-
androgene Wirkung besitzt 5α-Dihydro-
dern pränatal die Entwicklung der männlichen
testosteron. Andere Androgene, insbesondere
Sexualorgane und in der Pubertät die der sekun-
die in der Nebennierenrinde gebildeten For-
dären männlichen Geschlechtsmerkmale (and-
men, weisen nur eine geringe Affinität zum An-
rogene Wirkung). Bei Männern halten sie die
drogenrezeptor auf.
Funktion der Sexualorgane aufrecht. Zusam-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 257

21.8.3.2 Androgene als Arzneistoffe ႒ Tab. 21.10 Androgene und antiandrogen wirk-
Testosteron. Infolge eines hohen First-Pass-Ef- same Pharmaka
fekts ist Testosteron bei oraler Applikation weit- INN (Handelspräparat), Dosierung
gehend unwirksam. Die transdermale Applika- HWZ
tion in Form eines Hydrogels (z. B. Androtop
Gel®) ist jedoch möglich (Bioverfügbarkeit ca. Androgene
10 %).
Testosteron 25–50 mg/Tag
Im Plasma ist Testosteron zu etwa 98 % an (z. B. Androtop® Gel), transdermal
Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) 0,5–2 h
gebunden. Nur der freie Wirkstoff ist biologisch
aktiv, seine Konzentration nimmt im Alter durch Testosteronenantat 250 mg i. m.
vermehrte SHBG-Synthese ab. Die Halbwerts- (z. B. Testoviron-Depot®), alle 2–4 Wochen
zeit beträgt etwa 0,5–2 h. Ein wichtiger Meta- 8 Tage

bolit ist das bereits erwähnte 5α-Dihydro- Testosteronundecanoat 40–120 mg/Tag p. o.,
testosteron. Zu einem geringen Teil wird Testo- (z. B. Andriol®), 1000 mg i. m.
steron auch in Estrogene umgewandelt. Die Aus- 2–3 h; i. m. 8 Tage alle 10–14 Wochen
scheidung erfolgt vorwiegend über die Nieren in
Form von Glucuroniden oder Schwefelsäurehal- Androgenrezeptor-Antagonisten

bestern nach hepatischer Verstoffwechslung. Cyproteronacetat 10–300 mg/Tag p. o.,


Testosteron-Derivate. Zur Substitutionsthera- (z. B. Androcur®), 300–600 mg i. m.
2 Tage alle 14 d
pie bei Androgenmangel (Hypogonadismus)
stehen die Testosteronester Testosteronenantat 5α-Reduktase-Hemmer
(z. B. Testoviron®) und Testosteronundecanoat
(z. B. Nebido®) für die i. m. Anwendung, letzte- Finasterid 1–5 mg/Tag p. o.
res auch für die orale Anwendung (Andriol®) (z. B. PROSCAR®),
5–6 h
zur Verfügung (႒ Tab. 21.10). Antrieb, Muskel-
kraft und Libido steigen unter der Therapie Dutasterid 0,5 mg/Tag p. o.
ebenso wie das allgemeine Wohlbefinden. Die (z. B. Avodart®),
Halbwertszeiten bei i. m. Injektion werden mit 8 28 Tage
Tagen angegeben, doch kann die Wirkdauer bis
zu 3 Monaten betragen. Bei oraler Verabrei-
chung gelangt Testosteronundecanoat unter vaten. Bei Männern mit Prostata- oder Mamma-
Umgehung eines hepatischen First-Pass-Effekts karzinom sind Androgene kontraindiziert.
über die Lymphgefäße direkt in den großen
Kreislauf. Für eine ausreichende Resorption
21.8.3.3 Anabolika
(7 %) ist die Einnahme zusammen mit einer
Testosteron-Derivate, z. B. die nicht zur An- 21
Mahlzeit wichtig.
wendung am Menschen bestimmten Substanzen
Bei Behandlung mit hohen Dosen tritt gelegent- Nandrolon, Stanozol und Metenolon, werden
lich ein cholestatischer Ikterus auf. Ferner be- neben Wachstumshormon und β2-Sympa-
steht bei einer Langzeittherapie die Gefahr einer thomimetika (Ⴉ Kap. 19.2.3) missbräuchlich
Retention von Na+-, K+-, Ca2+-, Cl–- und Phos- von Sportlern zur Vermehrung der Muskelmas-
phat-Ionen sowie von Wasser. Eine Atrophie der se (Doping) angewendet. Auch durch Bodybuil-
männlichen Keimdrüsen erklärt sich aus der der erfolgt nicht selten ein Anabolikamissbrauch
Hemmung der hypophysären Gonadotropinse- in sehr hohen Dosen, wobei verschiedene Wirk-
kretion. Androgene verstärken die blutgerin- stoffe nacheinander bzw. in Kombination ange-
nungshemmende Wirkung von Cumarin-Deri- wendet werden. Langfristige Folgen sind eine
258 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Abnahme der Herzleistung, verbunden mit dem pausalen Frauen mit hohem Frakturrisiko, die
Risiko für das Auftreten von Herzversagen und andere Arzneimittel zur Osteoporoseprävention
Sekundentod. Eine häufige Nebenwirkung ist nicht vertragen (s. u.).
zudem die Verkleinerung der Hoden mit Sistie- Die antiandrogene Wirkung ist nach Abset-
ren der Spermienproduktion, die auch nach Ab- zen von Cyproteronacetat reversibel.
setzen noch über Monate bestehen bleiben Die Dosierung variiert zwischen 2 mg/Tag
kann. Bei alkylierten Androgenen können (Aknebehandlung, Osteoporoseprävention) und
schwere Leberfunktionsstörungen, Anstieg der 100–200 mg/Tag (Therapie des Prostatakarzi-
Thrombozytenzahl und Abnahme der HDL- so- noms).
wie Anstieg der LDL-Konzentration im Plasma Als Nebenwirkungen wurden Lebertumoren
sowie psychische Veränderungen und Akne und Meningiome beschrieben. Bei männlichen
hinzukommen. Bei Frauen treten zudem als ers- Patienten wurden zudem Anämie, Antriebs-
te Symptome einer beginnenden Virilisierung hemmung und Gynäkomastie beobachtet. Bei
irreversible Stimmveränderungen (Stimm- Frauen treten Ovulationshemmung und Vergrö-
bruch!) auf, die Körperbehaarung kann masku- ßerung der Mammae auf. Kontraindikationen
line Form annehmen. bestehen bei Lebererkrankungen und thrombo-
embolischen Erkrankungen sowie bei schwerer
21.8.3.4 Androgenrezeptor-Antagonisten Depression.
(Antiandrogene) Die bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom
Androgenrezeptor-Antagonisten (႒ Tab. 21.10) angewandten Antiandrogene Bicalutamid,
heben die Wirkung von Testosteron bzw. Enzalutamid und Flutamid werden in
5α-Dihydrotestosteron durch kompetitiven An- Ⴉ Kap. 31.5.5 beschrieben.
tagonismus an Androgenrezeptoren auf. Sie un-
terdrücken dadurch Libido und Spermiogenese. 21.8.3.5 5α-Reduktasehemmer
Der Prototyp Cyproteronacetat (z. B. Andro- Da bei vielen Organen, z. B. der Prostata und
cur®) ist ein Progesteron-Derivat, das neben der den Haarfollikeln, 5α-Dihydrotestosteron deut-
antiandrogenen auch eine starke gestagene Wir- lich stärker wirkt als Testosteron, kann durch die
kung besitzt. Aufgrund dieser Wirkung hemmt Hemmung des Enzyms 5α-Reduktase in diesen
es die LH-Freisetzung und damit auch die Testo- Organen eine antiandrogene Wirkung erzielt
steronproduktion. Es wird dementsprechend werden. Organe, bei denen die androgene Wir-
beim Prostatakarzinom (Ⴉ Kap. 31.9.2) sowie kung durch Testosteron selbst zustande kommt
bei männlichen Patienten mit abnormaler oder (z. B. Muskulatur, ZNS), werden durch 5α-Re-
krankhaft gesteigerter Sexualität eingesetzt. Au- duktasehemmer dagegen in ihrer Funktion
ßerdem findet es Anwendung zur initialen Ab- nicht beeinträchtigt.
milderung des Flare-Phänomens unter der The- Die 5α-Reduktasehemmer Finasterid (PRO-
rapie mit GnRH-Agonisten (s. o.). SCAR®, Dosierung 5 mg/Tag) und Dutasterid
Bei gebärfähigen Frauen ist Cyproteronace- (Avodart®, Dosierung 0,5 mg/Tag) sind zugelas-
tat, in Kombination mit Ethinylestradiol (z. B. sen zur Behandlung von Patienten mit benig-
Diane®-35), zur Behandlung von ausgeprägtem nem Prostatasyndrom (Ⴉ Kap. 26.3.1).
Hirsutismus bzw. androgenetischer Alopezie Aufgrund seines Eingriffs in den Androgen-
und schwerer Acne vulgaris (bei Versagen einer stoffwechsel eignet sich Finasterid auch in einer
systemischen Antibiotikatherapie) indiziert. Dosierung von 1 mg täglich zur Behandlung der
Ferner dient Cyproteronacetat (z. B. Climen®) androgenetischen Alopezie des Mannes (PRO-
infolge seiner gestagenen Wirkung zur Hor- PECIA®, Ⴉ Kap. 28.9). Während einer solchen
monersatztherapie in der Menopause und zur Behandlung ist das Fortschreiten des Haarver-
Prävention einer Osteoporose bei postmeno- lusts verzögert.
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 259

21.8.3.6 Androgen-Biosynthese-Inhibitor Als Nebenwirkungen treten Hypertonie, Hy-


Abirateronacetat (ZYTIGA®) ist zusammen pokaliämie und Flüssigkeitsretention infolge
mit Prednison oder Prednisolon zur Behand- der beschriebenen gesteigerten Mineralocorti-
lung des metastasierten, kastrationsresistenten coid-Synthese sowie Hepatotoxizität auf. Bei ei-
Prostatakarzinoms nach Versagen der Andro- nem starken Anstieg der Transaminasen (z. B.
genentzugstherapie und bei Patienten, deren Er- von Alanin-Aminotransferase auf das 20-fache
krankung während oder nach einer Docetaxel- des Normwerts) muss die Behandlung vorüber-
haltigen Chemotherapie progredient ist, indi- gehend unterbrochen werden und eine Dosisan-
ziert (Ⴉ Kap. 31.9.2). Eine pharmakologische passung erfolgen.
Kastration mit einem GnRH-Analogon soll
während der Behandlung mit Abirateronacetat 21.8.4 Weibliche Sexualhormone
von Patienten, die nicht orchektomiert sind, 21.8.4.1 Estrogene, SERM und Antiestrogene
fortgeführt werden. Abirateron inhibiert selek- Das biologisch aktivste, in den Follikelepithelien
tiv das Enzym 17α-Hydroxylase/C-17,20-Lyase der Ovarien produzierte estrogene Hormon ist
(CYP17), das in Hoden, Nebennieren und Pros- Estradiol. Daneben werden Estron und Estriol
tata-Tumorgewebe für die Androgen-Biosyn- gebildet. In geringen Mengen synthetisieren
these erforderlich ist. Während eine Behandlung auch Testes, Nebennierenrinde, Brustdrüse, Ge-
mit GnRH-Analoga oder eine Orchiektomie hirn und Knochen Estrogene, nennenswerte
zwar die Androgenproduktion in den Hoden Mengen werden ferner im Fettgewebe herge-
senkt, sich jedoch nicht auf die Androgenpro- stellt. Bei Frauen im gebärfähigen Alter beträgt
duktion in den Nebennieren oder im Tumor die Estrogensekretion (abhängig von der Zy-
auswirkt, hemmt Abirateron in allen betreffen- klusphase) 25–100 μg/Tag. Im Klimakterium
den Organen die Umwandlung von Pregnen- sinkt sie auf 5–10 μg täglich.
olon bzw. Progesteron in die Testosteron-Vor-
Wirkungen. Estrogene, vor allem Estradiol, sind
stufen Dehydroepiandrosteron (DHEA) bzw.
Wachstumsfaktoren, die vorwiegend auf die Ge-
Androstendion. Gleichzeitig kommt es dadurch
schlechtsorgane einwirken, aber auch andere
zu einer erhöhten Mineralocorticoid-Produkti-
Organe beeinflussen. Sie fördern das Wachstum
on in den Nebennieren.
der weiblichen Sexualorgane, prägen die sekun-
Abirateronacetat wird in einer täglichen Do-
dären weiblichen Geschlechtsmerkmale und
sierung von 1000 mg verabreicht. Nach oraler
vergrößern die subkutanen Fettdepots unter
präprandialer Gabe beträgt die Zeit bis zum Er-
Ausbildung der typischen weiblichen Körper-
reichen der maximalen Abirateron-Konzen-
formen. Auch erhöhen sie die Zahl von Proges-
tration im Plasma 2 h. Die Gabe zusammen mit
teronrezeptoren und ermöglichen so die Wir-
Nahrungsmitteln führt im Vergleich zur Gabe
kung von Gestagenen. Neben diesen bewirken
im nüchternen Zustand, abhängig vom Fettge-
sie die zyklischen Veränderungen der Uterus-
halt der Mahlzeit, bis zum 10-fachen Anstieg der
AUC und bis zur 17-fachen Zunahme der syste-
schleimhaut und der Viskosität des Zervikalse- 21
krets (s. u.), beeinflussen Stoffwechselvorgänge
mischen Abirateron-Exposition. Daher darf Ab-
in der Leber (insbesondere die Synthese von
irateronacetat nicht zusammen mit Nahrungs-
Plasmaproteinen, s. u.), im Darm (Förderung
mitteln eingenommen werden.
der Absorption von Ca2+-Ionen) und im Kno-
Nach Hydrolyse von Abirateronacetat zu Ab-
chen (Förderung des Einbaus von Ca2+-Ionen,
irateron wird dieses hydroxyliert und sulfatiert.
Steigerung von Knochenwachstum und in der
Da Abirateron ein CYP3A4-Substrat ist, sollen
Pubertät Epiphysenschluss). Ferner hemmen sie
starke CYP3A4-Inhibitoren oder -Induktoren
die Proliferation von Sebozyten (Abnahme der
während einer Abirateron-Behandlung vermie-
Talgproduktion), senken den peripheren Gefäß-
den werden. Die Halbwertszeit von Abirateron
widerstand (u. a. über eine erhöhte NO-Bil-
beträgt etwa 15 Stunden.
260 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.11 Estrogene und Arzneistoffe mit ein. Estrogene fördern daher auch die Blutgerin-
Estrogenwirkung nung (Thrombosegefahr bei Estrogen-Behand-
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
lung, s. u.).
Wirkungsmechanismus. Estrogene wirken mit-
Natürliche Estrogene und Derivate
tels intrazellulärer Rezeptoren, die im Ligand-
Estradiol, 0,025–0,1 mg (1 h) gebundenen Zustand die Gentranskription be-
(z. B. Estradot®) transdermal einflussen (Ⴉ Kap. 3.1.2.1). Estrogenrezeptoren
Estradiol, 1–2 mg (1 h) p. o.
kommen insbesondere in Uterus, Ovar, Brust-
(z. B. Estrifam®)
drüse, Gefäßen, Lunge, Knochen, Hippocampus
und Hypothalamus vor. Ob es zu einer verstärk-
Estradiolvalerat 2 mg (13 h) p. o. ten oder reduzierten Genexpression kommt,
(z. B. Progynova®) entscheidet die Ausstattung der Zielzelle mit
Konjugierte equine Est- 0,3–0,6 mg p. o. Ko-Aktivatoren und Ko-Repressoren, die im
rogene (z. B. Presomen®) Zellkern mit dem aktivierten Estrogenrezeptor
assoziieren.
Estriol (z. B. Ovestin®) 1–3 mg (3 h)
vaginal, p. o.
Estrogene als Arzneistoffe
Synthetische Estrogene
Hierzu zählen Estradiol, Estradiolester, Ethiny-
Ethinylestradiol 0,025–0,04 mg p. o.; lestradiol und aus Stutenharn isolierte konju-
(Bestandteil oraler 0,015 mg vaginal gierte Estrogene (equine Estrogene). Sie unter-
Kontrazeptiva) (13 h) scheiden sich signifikant in ihren pharmakoki-
netischen Eigenschaften (႒ Tab. 21.11), jedoch
Estrogene mit Organselektivität
nur wenig hinsichtlich ihrer Pharmakodynamik.
Tibolon (Liviella®) 2,5 mg (6 h) p. o. Ethinylestradiol wirkt allerdings an zentralen
Estrogenrezeptoren stärker als Estradiol und
Raloxifen (z. B. Evista®) 56 mg (28 h) p. o.
unterdrückt daher besonders effektiv die Frei-
setzung von Gonadotropinen.
dung), retinieren in pharmakologischen Dosen Kinetik der humanen Estrogene. Estradiol
NaCl und Wasser (Mineralocorticoid-Wirkung (Halbwertszeit 1 h) und Estron unterliegen vor
und vermehrte Angiotensinogenbildung), stei- allem in der Leber einem vielfältigen Metabolis-
gern die Bildung von Serotoninrezeptoren und mus durch Hydroxylierungen und Dehydrie-
besitzen eine stimmungsaufhellende Wirkung. rungen sowie Konjugationen mit aktivierter
Glucuronsäure und aktivem Sulfat. (Ein Meta-
Die vermehrte Synthese von Transportprotei-
bolit, der therapeutische Verwendung bei Ver-
nen (z. B. dem Sexualhormon-bindenden Glo-
änderungen im Genitalbereich nach der Meno-
bulin SHBG und Transcortin) durch Estrogene
pause besitzt, ist Estriol.) Die Estrogen-Konju-
führt zu einer stärkeren Bindung an diese Trans-
gate werden teilweise biliär sezerniert und im
porter und damit zu einer geringeren Wirkung
Dickdarm wieder gespalten. Durch erneute Ab-
von Androgenen und Glucocorticoiden. In den
sorption unterliegen die Estrogene somit einem
Leberstoffwechsel greifen Estrogene durch die
enterohepatischen Kreislauf. Allerdings ist Est-
vermehrte Bildung von HDL und Abnahme von
radiol bei oraler Gabe wegen eines hohen First-
LDL (Ⴉ Kap. 23.2.1.1) sowie durch gesteigerte
Pass-Effekts nur wenig wirksam.
Synthese von Gerinnungsfaktoren (Fibrinogen,
Faktoren VII, VIII, X, XII) bei gleichzeitiger Ab- Kinetik von Depot- und oral wirksamen Estro-
nahme der gerinnungshemmenden Eiweiße genen. Wegen der geringen Wirksamkeit nach
(Protein C und S, Antithrombin, Ⴉ Kap. 23.1.2.1) oraler Gabe wurden Estradiol-Derivate entwi-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 261

ckelt, die besser oral bzw. länger wirksam sind. Postmenopause. Zu den Risiken einer Hormon-
Eine längere Wirkdauer besitzen Estradiolvale- ersatztherapie s. u.
rat und Ethinylestradiol. Letzteres wird in der
Interaktionen. Durch Enzyminduktoren wird
Leber langsam inaktiviert und ist daher auch
die Estrogen-Wirkung herabgesetzt. Bei gleich-
oral gut wirksam (Bioverfügbarkeit 25–65 %).
zeitiger Gabe von Estrogenen und Antidiabetika
Ethinylestradiol ist das am häufigsten oral appli-
ist die Glucose-Toleranz vermindert.
zierte, jedoch nur vor der Menopause verwen-
dete Estrogen. Wie Estradiol werden konjugier- Kontraindikationen. Estrogene sind kontraindi-
tes Estradiolvalerat und Ethinylestradiol nach ziert bei hormonabhängigen Uterus- und Mam-
Dekonjugation im Dickdarm rückresorbiert. matumoren, Endometriose, schweren Leber-
funktionsstörungen, idiopathischem Schwan-
Indikationen. Estrogene sind indiziert bei Ute-
gerschaftsikterus und schwerem Schwanger-
rus-Hypoplasie und deren Folgeerscheinungen
schaftspruritus in der Anamnese, Hyperbilirubi-
(z. B. Dysmenorrhö), bei Estrogenmangel infol-
nämie, thromboembolischen Erkrankungen,
ge Ovarialinsuffizienz, zur Hormonsubstituti-
schwerem Diabetes mellitus sowie schlecht ein-
onstherapie bei Estrogen-Mangelsymptomen
stellbarer Hypertonie bzw. Hyperlipidämie.
nach der Menopause (s. u.), zur Osteoporose-
Prävention bei postmenopausalen Frauen mit
Selektive Estrogenrezeptor-Modulatoren (SERM)
hohem Frakturrisiko, ferner insbesondere zur
Selektive Estrogenrezeptor-Modulatoren (SERM)
Kontrazeption sowie in zyklusgerechter Anwen-
unterscheiden sich von Estrogenen wie Estradi-
dung in Kombination mit Gestagenen bei pri-
ol dadurch, dass sie – substanzspezifisch – nur
märer und sekundärer Amenorrhö.
einen Teil der Estrogenwirkungen auslösen, an-
Dosierung. Die Dosierung erfolgt individuell dere dagegen unterdrücken. Dazu gehören
und abhängig von der Indikation. Zur Estrogen- Raloxifen (z. B. Evista®, ႒ Tab. 21.11), das relativ
substitution, z. B. prä- und postmenopausal selektiv den Knochenabbau hemmt, Clomifen
oder nach Ovarektomie, kann Estradiol oral (Generika), das bei weiblicher Sterilität infolge
(z. B. als Estradiolvalerat 1–2 mg täglich), außer- ausbleibender Ovulation einen Eisprung aus-
dem in sehr viel niedrigerer Dosierung (25– löst, ferner das zur adjuvanten Therapie nach
100 μg pro Tag) – wegen Umgehung des First- Primärbehandlung des Mammakarzinoms ein-
Pass-Effekts – transdermal appliziert werden gesetzte Tamoxifen (Ⴉ Kap. 31.5.3.1).
(Ⴉ Kap. 21.8.6). Die im Vergleich mit Estradiol verschiedenen
Wirkungen der SERM sollen auf unterschiedli-
Nebenwirkungen. Estrogene erhöhen – dosi-
chen Affinitäten zu Estrogenrezeptor-Subtypen
sabhängig – das Thromboembolie-Risiko. Bei
bzw. auf Konformationsänderungen der Trans-
Phlebitiden oder erhöhter Thrombosegefahr
aktivierungsdomänen des Estrogenrezeptors bei
sind sie daher sofort abzusetzen. Bei lang dau-
Bindung eines Estrogens oder eines SERM beru-
ernden Estrogengaben atrophieren ferner die
hen. SERM-Estrogenrezeptor-Komplexe binden 21
Ovarien infolge einer Hemmung der Gonado-
nämlich nicht an alle Estrogen-Response-Ele-
tropinausschüttung. Spannungsgefühl in den
mente in gleicher Weise.
Brüsten, Gewichtszunahme, Übelkeit, Na+-Re-
Raloxifen aktiviert u. a. die Expression von
tention mit Ödembildung (infolge ihrer Mine-
Transformierendem Wachstumsfaktor-β (TGF-β),
ralocorticoid-Wirkung, s. o., und vermehrter
einem starken Hemmstoff der Osteoklastentä-
Angiotensinogenbildung) sowie Hyperpigmen-
tigkeit und damit des Knochenabbaus. Dieser
tierung der Haut können als weitere Nebenwir-
Effekt von Raloxifen auf den Knochen manifes-
kungen hinzukommen. Hinzuweisen ist ferner
tiert sich in einer Zunahme der Knochendichte
auf die vermehrte Bildung von Endometrium-
und Senkung der Frakturinzidenz. Raloxifen ist
karzinomen bei alleiniger Estrogengabe in der
daher zur Osteoporoseprophylaxe und -Thera-
262 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

pie in der Postmenopause indiziert (Ⴉ Kap. rung beträgt 50 mg am 5.–9. Zyklustag. Die Be-
21.4.3.6). Es besitzt keine Estrogen-agonistische handlungsdauer soll sechs Zyklen nicht über-
Wirkung auf die Brustdrüse. Im Gegenteil, wäh- schreiten. Als Nebenwirkungen kann es zu Hit-
rend 4-jähriger Osteoporose-Behandlung redu- zewallungen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen,
zierte Raloxifen das Risiko, an Brustkrebs zu er- Sehstörungen und Spannungsgefühl in den
kranken, um 60 %. Seine Dosierung beträgt ein- Brüsten kommen. In seltenen Fällen wurden
mal täglich 60 mg. zystische Veränderungen der Keimdrüsen beob-
Bei oraler Gabe wird Raloxifen zwar gut re- achtet. Ferner können vermehrt Mehrlings-
sorbiert, jedoch beträgt die Bioverfügbarkeit in- schwangerschaften auftreten.
folge eines ausgeprägten First-Pass-Effekts nur
ca. 2 %. Der Wirkstoff wird wie Estrogene als Tibolon
Glucuronid biliär sezerniert und nach Spaltung Tibolon (Liviella®, ႒ Tab. 21.11) wird zu Meta-
in tieferen Darmabschnitten erneut resorbiert. boliten mit estrogenen sowie gestagenen und
Infolge des enterohepatischen Kreislaufs ist die androgenen Wirkungen biotransformiert. Der
Halbwertszeit mit 28 h vergleichsweise hoch. estrogenartig wirkende Metabolit 3-Hydroxy-
Im Gegensatz zu Tamoxifen induziert Raloxi- Tibolon hemmt z. B. den Knochenabbau. Tibo-
fen keine Endometriumhyperplasie. Doch kön- lon ist zur Behandlung von Estrogenmangel-
nen unter einer Raloxifen-Therapie vermehrt symptomen bei postmenopausalen Frauen, bei
Hitzewallungen auftreten. Als weitere uner- denen die Menopause mehr als 1 Jahr zurück-
wünschte Wirkungen sind tiefe Venenthrombo- liegt, indiziert. Eine Linderung der Wechseljah-
sen zu nennen. Bei thromboembolischen Ereig- resbeschwerden wird im Allgemeinen bereits in
nissen in der Vorgeschichte ist Raloxifen daher den ersten Wochen der Behandlung erzielt. Die
kontraindiziert. Tagesdosis beträgt 2,5 mg. Bei oraler Gabe wird
Clomifen führt zu einer vermehrten Freiset- Tibolon zu einem hohen Prozentsatz resorbiert
zung von GnRH und damit zu einer erhöhten und vorzugsweise in Form von Konjugaten mit
Gonadotropinausschüttung. Bei Frauen mit den Fäzes ausgeschieden.
anovulatorischen Zyklen kann so eine Ovulati- Häufige Nebenwirkungen sind Durchbruch-
on ausgelöst werden. Clomifen ist daher bei blutungen, Hypertrichose und Gewichtszunah-
funktioneller weiblicher Sterilität infolge einer me. Die Behandlung älterer Frauen (> 60 Jahre)
hypothalamisch-hypophysären Dysfunktion in- wegen Osteoporose führt zu einer Verdopplung
diziert. Obwohl Clomifen von Estrogenrezepto- des Schlaganfall-Risikos. Auch steigt das Risiko
ren im Zellkern mit hoher Affinität gebunden eines Mammakarzinoms und Endometriumkar-
wird, löst es nur geringe estrogene Effekte aus zinoms signifikant an, ebenso ist das Risiko für
und stimuliert z. B. nicht die Neusynthese von ein Ovarialkarzinom leicht erhöht. Eine Thera-
Estrogenrezeptoren. Dadurch kommt es zu ei- pie mit Tibolon sollte daher nur begonnen wer-
ner Abnahme der Sensitivität der Zielzellen ge- den, wenn postmenopausale Beschwerden die
gen Estrogene. Im Hypothalamus führt dies zu Lebensqualität stark beeinträchtigen.
einer Abschwächung des negativen Feedbacks
der endogenen Estrogene und so zu einer Steige- Antiestrogene
rung der hypothalamischen GnRH-Freisetzung, Antiestrogene sind Substanzen, die Estrogen-
die ihrerseits eine verstärkte Sekretion von LH wirkungen aufheben. Ein reines Antiestrogen,
und FSH bewirkt. Bei primärer hypophysärer das sich in der Therapie des Mammakarzinoms
oder ovarieller Insuffizienz ist Clomifen daher bewährt hat, ist Fulvestrant (Ⴉ Kap. 31.5.3.1).
nicht wirksam. Bei dieser Indikation werden ferner Aromatase-
Der Wirkstoff wird bei oraler Gabe gut resor- hemmer (Ⴉ Kap. 31.5.3.2), die mit der Estrogen-
biert. Infolge eines enterohepatischen Kreislaufs synthese interferieren, eingesetzt.
liegt die Halbwertszeit bei 5 Tagen. Die Dosie-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 263

21.8.4.2 Gestagene und Antigestagene und stimulieren oder hemmen diese. Dadurch
Das physiologische Gestagen Progesteron wird ergeben sich substanzspezifische Wirkprofile
im Ovar, in der Nebennierenrinde und den Tes- (႒ Tab. 21.13), die bei der Gestagen-Auswahl für
tes gebildet. Die stärkste Abgabe in das Blut er- eine Patientin beachtet werden sollten.
folgt aus dem Corpus luteum bzw. der Plazenta. Die Gestagene Megestrolacetat, Chlormadi-
In der zweiten Zyklushälfte sezerniert der Gelb- nonacetat, insbesondere aber Cyproteronacetat
körper etwa 20 mg Progesteron täglich. Wäh- (s. o.), weisen neben gestagenen auch antiandro-
rend der Schwangerschaft kann die Progeste- gene Eigenschaften auf. Drospirenon wirkt so-
ron-Produktion in der Plazenta bis auf 250 mg wohl antiandrogen als auch antimineralocorti-
täglich ansteigen. Wie Estradiol ist Progesteron coid. Zu den Gestagenen mit agonistischen and-
bei parenteraler Applikation nur kurz, bei oraler rogenen Eigenschaften gehören Norethisteron,
Gabe wegen eines ausgeprägten First-Pass-Ef- Norgestrel bzw. Levonorgestrel und Gestoden.
fekts nur wenig wirksam. Progesteron wird vor Norgestimat und sein Hauptmetabolit Norelge-
allem in der Leber hydroxyliert. Der Hauptme- stromin besitzen dagegen neben hoher gestage-
tabolit ist Pregnandiol, das als Glucuronid im ner Aktivität nur noch eine minimale androgene
Urin ausgeschieden wird. Wirkung. Dydrogesteron hat so gut wie keine
relevante Affinität zum Androgenrezeptor.
Wirkungen. Das nur beim weiblichen Ge-
Desogestrel stellt ein Prodrug von Etonogestrel
schlecht aktive Progesteron senkt die Zahl der
dar.
Estrogenrezeptoren, hemmt die estrogenbe-
dingte Proliferation der Uterusschleimhaut und Indikationen. Wegen ihrer Beeinflussung von
stimuliert die Entwicklung des sekretorischen Endometrium und Ovarien dienen Gestagene
Endometriums. Außerdem erhöht es die Visko- (oft in Kombination mit Estrogenen) zur Kont-
sität des Zervixschleims, unterdrückt die LH- razeption (s. u.), zur Hormonsubstitution in der
Ausschüttung der Hypophyse und damit die Postmenopause (s. u.) und ovariellen Hemmung
Ovulation, fördert die Drüsenbildung in den von Gebärmutterblutungen sowie zur Behand-
Brüsten, steigert die Ruhetemperatur um ca. lung von Dysmenorrhö, Endometriose und fort-
0,5 °C, ist als sog. Schwangerschaftshormon für geschrittenen Uterus-, Mamma- und Nieren-
die Erhaltung einer Schwangerschaft unent- karzinomen. Gestagene können ferner zur Un-
behrlich (z. B. durch Hemmung der Uterus- terdrückung der Menstruation (z. B. bei Sportle-
kontraktilität und Menstruation, stärkere Venti- rinnen) eingesetzt werden.
lation der Schwangeren und damit bessere O2-
Nebenwirkungen. Unerwünschte Wirkungen
Versorgung des Embryos) und verstärkt die
sind bei zyklusgerechter Anwendung in niedri-
Wirkung der Estrogene auf das Skelettsystem.
gen Dosen selten. Bei längerer Anwendung
Durch Progesteron können Estrogen-Wirkun-
können neben der Ovulationshemmung psy-
gen antagonisiert, daneben aber auch verstärkt
chische und körperliche Störungen auftreten,
werden.
z. B. Libidoverlust, Kopfschmerzen, Übelkeit, 21
Wirkungsmechanismus. Progesteron erhöht die Erbrechen, Spannungsschmerzen in der Brust-
Expression von Zielgenen durch Stimulation des drüse. Eine Gewichtszunahme kann Folge der
Progesteronrezeptors, dessen Synthese wieder- Aktivierung von Mineralocorticoidrezeptoren
um durch Estrogene gesteigert wird. sein. Gestagene mit androgenen Eigenschaften
können zusätzlich Virilisierungserscheinungen
Gestagene als Arzneistoffe hervorrufen.
Als Arzneistoffe verwendete Progesteron-Deri-
Interaktionen. Enzyminduktoren (z. B. Barbi-
vate sind in ႒ Tab. 21.12 zusammengefasst. Sie
turate, Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin
weisen zum Teil auch Affinität zu Androgen-
oder Johanniskrautextrakt) beschleunigen die
bzw. Mineralocorticoid-Rezeptoren (s. o.) auf
264 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

႒ Tab. 21.12 Gestagene ႒ Tab. 21.12 Gestagene


INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)

Progesteron-Gruppe Drospirenon (Bestandteil 3 mg (27 h)


von z. B. Petibelle®)
Progesteron 200–300 mg (0,1 h)
(z. B. Utrogest®) Etonogestrel 68 mg alle 3 Jahre
(Implanon NXT®) (30 h)
Chlormadinonacetat 2–4 mg (36 h)
(z. B. Chlormadinon Gestoden (Bestandteil 75 μg (12–15 h)
JENAPHARM®) von z. B. Minulet®)

Dydrogesteron 10–20 mg (36 h) Levonorgestrel 30 μg (26 h)


(z. B. Duphaston®) (z. B. Microlut®)

Medrogeston 2–5 mg (13 h) Norethisteronacetat 0,5 mg (4–13 h)


(in Presomen®) (Bestandteil von z. B. Ac-
tivelle®)
Medroxyprogesteronace- 150 mg alle 3 Monate
tat (z. B. Depo-Clinovir®) (30–60 h) Norelgestromin 0,2 mg (28 h)
(Bestandteil von EVRA®,
Megestrolacetat 80–320 mg (15–30 h) transdermales Pflaster)
(Megestat®)
Norgestimat 25 μg (45 h)
Nomegestrolacetat 2,5 mg (28–83 h) (Bestandteil von
(Bestandteil von Zoely®) z. B. Cilest®)

Nortestosteron-Derivate Prodrugs von Nortestosteron-Derivaten

Dienogest (Bestandteil 2 mg (9 h) Desogestrel 75 μg (30 h)


von z. B. Climodien®) (z. B. Cerazette®)

Biotransformation von Gestagenen und können Antigestagene


daher die empfängnisverhütende Wirkung Antigestagene hemmen als Progesteronrezep-
(s. u.) verringern. tor-Antagonisten die normale Entwicklung der
Uterusschleimhaut. Die einzige derzeit zur Ver-
Kontraindikationen. Gestagene mit androge-
fügung stehende Substanz dieses Typs ist Mife-
nen Eigenschaften sind in der Schwangerschaft
priston (RU-486; Mifegyne®), ein an C-11 subs-
kontraindiziert, da bei weiblichen Feten die Ge-
tituiertes Norethisteron-Derivat. Bei Einnahme
fahr einer Maskulinisierung besteht. Analog
in der Schwangerschaft kommt es innerhalb we-
dürfen Gestagene mit antiandrogener Wir-
niger Stunden zu einer Degeneration der Ute-
kungskomponente wegen der Gefahr einer
russchleimhaut und einer Störung der Plazenta-
Feminisierung männlicher Feten in der Schwan-
funktion. Anwendung in den ersten Schwanger-
gerschaft nicht eingesetzt werden. Kontra-
schaftswochen führt in der Mehrzahl der Fälle
indikationen für alle Gestagene sind schwere
zum Abort. Mifepriston dient daher als Aborti-
Leberschäden, Hyperbilirubinämie sowie
vum in der Frühschwangerschaft (bis zum 49.
thromboembolische Erkrankungen.
Tag). Aufgrund der langen Halbwertszeit reicht
eine einmalige Gabe von 600 mg Mifepriston
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 265

႒ Tab. 21.13 Partialwirkungen ausgewählter Gestagene


Gestagen Antiestrogen Androgen Antiandrogen Antimineralcorticoid

Progesteron + – (+) +

Chlormadinonacetat + – + –

Dienogest + – + –

Drospirenon + – + +

Dydrogesteron + – – (+)

Etonogestrel + + – –

Levonorgestrel + + – –

Medrogeston + – – –

Medroxyprogesteron + (+) – –

Nomegestrolacetat + – (+) –

Norethisteronacetat + + – –

+ Partialwirkung vorhanden, (+) evtl. schwache Partialwirkung, – keine Partialwirkung

aus. Um jedoch einen sicheren Schwanger- Ulipristalacetat wird desacetyliert und außer-
schaftsabbruch zu erzielen, wird nach 48 Stun- dem durch CYP3A4 metabolisiert. Nebenwir-
den zusätzlich ein Prostaglandin-Derivat (z. B. kungen sind u. a. Bauchschmerzen, Menstruati-
Sulproston, Ⴉ Kap. 22.3.1.1) gegeben. onsstörungen, Krankheitsgefühl, Fieber, Durst
Als Nebenwirkungen können schwere Blu- und Schüttelfrost. Ulipristalacetat ist kontrain-
tungen, Übelkeit, Erbrechen, starke Bauch- diziert bei schweren Leberfunktionsstörungen
schmerzen und Müdigkeit auftreten. und schwerem Asthma.

Selektive Progesteronrezeptor-Modulatoren 21.8.5 Der ovarielle Zyklus


Das mit Mifepriston strukturverwandte Ulipris- Am monatlichen Zyklus der geschlechtsreifen
talacetat (ellaOne®) ist ein peroral applizierter Frau wirken in komplexer Weise der Hypothala-
selektiver Progesteron-Rezeptor-Modulator mit mus, die Hypophyse, die Ovarien und der Ute-
sowohl antagonistischen als auch partiell ago- rus zusammen. Gonadotropin-Releasing-Hor-
nistischen Eigenschaften, der das Andocken von mon bewirkt, wie oben beschrieben, die Aus- 21
Progesteron an seinen Rezeptor verhindert. schüttung von Follikel-stimulierendem Hormon
Hauptwirkungen sind die Unterdrückung oder (FSH, Follitropin) und luteinisierendem Hor-
Verzögerung der Ovulation sowie die Hem- mon (LH, Lutropin) aus der Adenohypophyse.
mung der Nidation (s. u.). Ulipristalacetat ist Unter dem Einfluss von FSH reift dann eine Ko-
aufgrund dieser Eigenschaften zur Notfallkont- horte von Follikeln heran, die mit zunehmender
razeption innerhalb von 5 Tagen nach unge- Reifung vermehrt Estrogene, insbesondere Est-
schütztem Geschlechtsverkehr bzw. Versagen radiol, bilden (Ⴜ Abb. 21.3). Die Estrogene erhö-
von kontrazeptiven Maßnahmen zugelassen. hen die Zahl von FSH-Rezeptoren auf der Folli-
Die Dosis beträgt einmal 30 mg. Das Präparat ist keloberfläche, deren Stimulation die Follikelrei-
rezeptfrei erhältlich. fung fördert. Schließlich wird der Follikel mit
266 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

gesteronproduktion aufnimmt, während der


A Estradiolspiegel fällt. Unter dem Einfluss einer
Follikel-
stimulierendes nunmehr verstärkten negativen Rückkopplung
Luteinisierendes
Hormon Hormon sinken die LH- und FSH-Konzentrationen wie-
der auf basale Werte.
Ovulation Von entscheidender Bedeutung für diesen
normalen Ablauf des ovariellen Zyklus und
5 10 15 20 25
Menstruation damit für die Fertilität der Frau ist die schon
B erwähnte pulsatile GnRH-Freisetzung (Ⴉ Kap.
21.8).
C
Follikelphase Gelbkörperphase 21.8.6 Hormonelle Kontrazeption
Pro- Die Konzeptionsverhütung bei Frauen erfolgt
Estradiol gesteron
meist durch orale, z. T. aber auch transdermale,
intrauterine oder intramuskuläre Applikation
weiblicher Sexualhormone. Wegen ihrer hohen
5 10 15 20 25
Zuverlässigkeit wurde die hormonelle Kontra-
D Menstruation zeption (႒ Tab. 21.14) zur wichtigsten Möglich-
Uterusschleimhaut
keit der Geburtenkontrolle. Als Wirkstoffe ent-
halten die Präparate – bezogen auf den jeweili-
5 10 15 20 25 Zyklus- gen gesamten Zyklus – entweder eine Kombina-
tage
tion von einem Estrogen mit einem Gestagen
Ⴜ Abb. 21.3 A Zyklische Veränderung der oder ausschließlich ein Gestagen.
Gonadotropinkonzentration, B davon abhängige Einphasen-Methode. Bei der Einphasen-Me-
Wirkungen auf den Funktionszustand der Follikel,
thode wird 21 Tage lang eine fixe Estrogen-Ges-
C auf die Konzentrationen der Sexualhormone,
tagen-Kombination eingenommen, gefolgt von
D auf die Proliferation und Differenzierung der
Uterusschleimhaut einer Pause über 7 Tage. 3–4 Tage nach Absetzen
des Präparats tritt eine Abbruchblutung (Hor-
monentzugsblutung) ein, die ungefähr einer
den meisten FSH-Rezeptoren zur endgültigen Menstruation entspricht. Der Wirkungsmecha-
Ausreifung selektiert: Die vermehrte Estrogen- nismus der (oral, transdermal, vaginal) appli-
synthese sowie vom dominanten Follikel sezer- zierten Einphasenpräparate beruht auf der Un-
niertes Inhibin unterdrücken die FSH-Produk- terdrückung der Ovulation durch Hemmung
tion, wodurch die Stimulation der Begleitfollikel der Gonadotropin-Freisetzung, insbesondere
abnimmt. durch Vermeidung des Konzentrationsgipfels
Interessanterweise nimmt in der Zyklusmitte von LH, der für die Ovulation entscheidend ist
mit steigenden Estrogenkonzentrationen die (Ⴜ Abb. 21.3). Außerdem verhindern sie, selbst
GnRH-, die LH- und später auch die FSH-Aus- wenn noch eine Ovulation stattfinden sollte, die
schüttung nicht ab, sondern zu; d. h. in dieser Einnistung des Eis (es unterbleibt die volle se-
Phase kommt es vorübergehend zu einer positi- kretorische Umwandlung des Endometriums)
ven Rückkopplung mit einem LH-Gipfel, durch und hemmen das Penetrationsvermögen der
den der Eisprung (Ovulation, d. h. das Platzen Spermien durch Viskositätserhöhung des Zer-
des reifen Follikels unter Ausstoßung der Eizel- vixschleims. Insgesamt ist dementsprechend
le) ausgelöst wird. ihre Zuverlässigkeit hoch.
Nach der Ovulation wandelt sich der geplatz- Präparate mit niedriger Estrogendosis
te Follikel zum Corpus luteum um, das die Pro- (< 50 μg; sog. Mikropille) sind zu bevorzugen.
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 267

႒ Tab. 21.14 Hormonelle Kontrazeptiva (mit Tagesdosen)


Estrogen Gestagen Handels- Estrogen Gestagen Handels-
präparate präparate

Gestagen-haltige Präparate Ethinyl- Levonorgestrel Gravistat®


estradiol (0,12 mg) u. a.
– Levonorgestrel Microlut® (50 μg)
(0,03 mg) u. a.
Estradiol Nomegestrolacetat Zoely®
– Desogestrel Cerazette® (1,5 mg) (2,5 mg) u. a.
(0,075 mg) u. a.
Zweiphasenpräparate

– Etonogestrel Implanon
Ethinyl- Desogestrel Biviol®
(0,03–0,07 mg) NXT®
estradiol (0,025/0,12 mg) u. a.
3-J-Implantat
(40–50 μg)
Chlormadinonacetat Neo-
– Medroxyprogestero- Depo- (1/2 mg) Eunomin®
nacetat (150 mg1 Clinovir® u. a.
i. m., „3-Monats-
spritze“) Dreistufenpräparate

– Norethisteronenan- Noristerat® Ethinyl- Levonorgestrel Triquilar®


tat (200 mg, i. m.) u. a. estradiol (0,05/0,075/ u. a.
(30–40–30 μg/ 0,12 mg)
Einphasenpräparate 35–30–30 μg)
Norethisteron TriNovum®
(0,5/0,75/1 mg) u. a.
Ethinyl- Norethisteron EVE® 20
estradiol (0,5–1 mg) u. a. Desogestrel Novial®
(20–35 μg) (0,05/0,1/0,15 mg) u. a.
„Mikropille“ Norgestimat Cilest®
(0,25 mg) u. a. Norgestimat Pramino®
(0,18/0,215/ u. a.
Levonorgestrel Microgy- 0,25 mg)
(0,1–0,15 mg) non® u. a.
Estradiol- Dienogest Qlaira®
Desogestrel Marvelon® valerat (3-2- (0/2/3/0 mg)
(0,15 mg) u. a. 2-1 mg)

Dienogest Valette® Transdermale Systeme


(2 mg) u. a.
Ethinyl- Norelgestromin EVRA® 21
estradiol (0,2 mg)
Gestoden Bsp. Mi-
(34 μg)
(0,075 mg) nulet®
Vaginale Freisetzungssysteme
Chlormadinonacetat Belara®
(2 mg) u. a. Ethinyl- Etonogestrel NuvaRing®
estradiol (0,12 mg)
Drospirenon Petibelle® (15 μg)
(3 mg) u. a.
1 Dosis für 3 Monate
268 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Zweiphasen-Methode. Bei der Zweiphasen- Gestagenpräparate. Eine Antikonzeption ist


Methode werden in der ersten Zyklusphase nur auch mit der alleinigen Gabe von Gestagenen
Estrogene oder Estrogene zusammen mit einem möglich (႒ Tab. 21.14). Unter der Minipille ver-
niedrig dosierten Gestagen, in der zweiten Pha- steht man solche niedrig dosierte, reine Gesta-
se die übliche Estrogen-Gestagen-Kombination genpräparate, die kontinuierlich eingenommen
gegeben. Im ersten Fall spricht man von Se- werden. Ihre kontrazeptive Wirkung beruht
quenz-, im zweiten Fall von Zweistufenpräpa- vorwiegend auf der Viskositätserhöhung des
raten. Zervixschleims, bei einem Teil der Frauen (ca.
30 %) wird aber auch die Ovulation gehemmt.
Dreiphasen-Methode. Bei dieser Methode sind
Der Pearl Index, definiert als die Zahl der
die Präparate noch stärker als bei der Zweipha-
Schwangerschaften („Versagerrate“) bezogen auf
sen-Methode dem weiblichen Zyklus angepasst.
100 empfängnisfähige Frauenjahre, liegt erheb-
Entsprechend dem Hormonspiegelverlauf wäh-
lich höher als bei den Ein- bzw. Zweiphasenprä-
rend eines Zyklus enthalten die Präparate für die
paraten. Auch ist die empfängnisverhütende Si-
ersten sechs Tage nach Beginn der Regelblutung
cherheit bei Einnahmefehlern eingeschränkt:
eine niedrige Estrogen- und Gestagendosis, für
Wird z. B. die Minipille mit Levonorgestrel drei
die anschließenden 5 Tage eine erhöhte Estro-
Stunden später als gewöhnlich eingenommen,
gen- und Gestagenmenge und für die restlichen
besteht kein sicherer Empfängnisschutz mehr.
10 Tage eine wieder auf den ursprünglichen
Desogestrel erlaubt dagegen ein größeres Zeit-
Wert erniedrigte Estrogen- sowie eine nochmals
fenster bei der Einnahme. Hier sind Verzöge-
gesteigerte Gestagendosis.
rungen von bis zu 12 Stunden möglich.
Zweistufen- sowie Dreiphasenpräparate ent-
sprechen in ihrer Zuverlässigkeit annähernd Bei der Dreimonatsspritze werden 150 mg Me-
den Einphasenpräparaten. droxyprogesteronacetat (Depo-Clinovir®) bzw.
200 mg Norethisteronenantat (Noristerat®) im
Transdermale Systeme. Als Kontrazeptivum zur
Abstand von 3 Monaten intramuskulär appli-
transdermalen Applikation steht ein Ethinylest-
ziert. Ein Etonogestrel-haltiges subkutanes Im-
radiol- und Norelgestromin- (aktiver Metabolit
plantat (Implanon NXT®) setzt den Wirkstoff
von Norgestimat, s. o.) haltiges Pflaster (EVRA®)
sogar über 3 Jahre frei.
zur Verfügung, dessen tägliche Hormonabgabe
20 μg Ethinylestradiol und 150 μg Norelgestro- Neben den genannten Präparaten werden gesta-
min beträgt. Das Pflaster wird nach 7 Tagen ge- genhaltige Intrauterinspiralen, die über längere
wechselt und nach insgesamt 21 Behandlungsta- Zeit kleine Gestagenmengen abgeben, als Kont-
gen erfolgt wie bei den oralen Kontrazeptiva razeptiva eingesetzt. Sie verhüten wie die Mini-
eine Applikationspause von 7 Tagen. Die Sicher- pille eine Fertilisation durch Verdickung des
heit soll der von oralen Kontrazeptiva entspre- Zervixschleims, ferner stören sie den Endomet-
chen. riumaufbau. Die Zuverlässigkeit ist hoch. Mire-
na® ist beispielsweise ein solches Levonorgest-
Vaginalring. Ein mit Ethinylestradiol und Eto-
rel-haltiges Präparat, das allerdings nach neue-
nogestrel beladener Vaginalring (NuvaRing®),
ren Daten, wenngleich selten, nicht unerhebli-
der am 1. Zyklustag in die Vagina eingeführt
che Risiken (Uterusperforation, erhöhte
und dort für 21 Tage belassen wird, bewirkt ei-
Brustkrebsinsidenz, ektope Schwangerschaft)
nen ebenso sicheren Konzeptionsschutz wie
aufweist. In älteren Systemen ist elementares
Einphasenpräparate. Die täglich abgegebenen
Kupfer das kontrazeptive Agens (z. B. Nova T®).
Hormonmengen (15 μg Ethinylestradiol, 120 μg
Etonogestrel) sind bei guter Zyklusstabilität ge- Notfallkontrazeption. Bei der postkoitalen
ring. Kontrazeption („Pille danach“) wird, wie oben
beschrieben, einmal 30 mg Ulipristalacetat (el-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 269

laOne®) innerhalb von 5 Tagen nach unge- nicht mit hormonellen Kontrazeptiva verhüten,
schütztem Geschlechtsverkehr eingenommen. vor allem dann nicht, wenn mehrere Risiken zu-
Alternativ steht Levonorgestrel in einer Dosis sammentreffen. Bei Frauen, die längere Zeit
von 1,5 mg (PiDaNa®) für diese Indikation zur hormonelle Kontrazeptiva einnehmen, kann au-
Verfügung. Allerdins muss es dann innerhalb ßerdem eine Hypertonie auftreten. Zunehmen-
von 72 Stunden nach ungeschütztem Ge- des Lebensalter erhöht das Risiko kardiovasku-
schlechtsverkehr angewendet werden. Levonor- lärer Komplikationen.
gestrel wirkt über eine Verzögerung der Ovulati-
Unerwünschte androgene Effekte (Seborrhö,
on bzw. eine Ovulationsblockade durch Unter-
Akne) lassen sich durch die Gabe eines Gesta-
drückung des LH-Peaks. Im Gegensatz zu
gens ohne intrinsische androgene Aktivität oder
Ulipristalacetat interferiert es mit dem Ovulati-
mit antiandrogener Wirkung vermeiden. Eine
onsprozess nur, wenn es vor dem Anstieg des
Gewichtszunahme ist bei Gabe von Gestagenen
LH-Spiegels verabreicht wird. Wird es später im
mit antimineralcorticoider Wirkung, z. B. von
Zyklus verabreicht, hat es keinen Notfallverhü-
Drospirenon, gering (႒ Tab. 21.13). Meist treten
tungseffekt mehr.
Nebenerscheinungen ohnehin in stärkerem
Die Versagerrate wird für Ulipristalacetat mit Maß nur bei der erstmaligen Verwendung auf.
1 %, für Levonorgestrel mit 2 % angegeben. Dies gilt auch für Zyklusanomalien. Als weitere
Nebenwirkung hormoneller Kontrazeptiva
Nebenwirkungen. Befindlichkeitsstörungen
kann es zu einer Erniedrigung der Glucosetole-
(nachlassende Libido, Müdigkeit, Übelkeit, Er-
ranz kommen. Eine kanzerogene, d. h. krebsaus-
brechen, Spannungsgefühl in den Brüsten) sind
lösende Wirkung besitzen die genannten Präpa-
bei modernen, niedrig dosierten Estrogen/Ges-
rate dagegen nicht. Doch dürfen sie, wie alle Es-
tagen-Kombinationen mit 20–35 μg Ethinylest-
trogen-haltigen Medikamente, bei Patientinnen
radiol pro Pille sehr gering. Das Risiko für venö-
mit einem estrogenabhängigen Tumor wegen
se Thromboembolien ist dagegen erhöht und
ihrer tumorpromovierenden Wirkung nicht ge-
steigt mit Überschreiten der Ethinylestradioldo-
geben werden.
sis von 30 μg/Tag deutlich an. Bei den heute üb-
Bei der oralen Gabe von Gestagen-Monoprä-
lichen kombinierten oralen Kontrazeptiva mit
paraten (Minipille) liegt häufig eine mangelhaf-
niedrigem Estrogengehalt wird das venöse
te Zyklusstabilität vor. Es kann zu Zwischenblu-
Thromboembolierisiko allerdings hauptsäch-
tungen (Durchbruchblutungen), Abweichungen
lich vom Gestagenbestandteil beeinflusst. Bei
von der Menstruationsstärke und -dauer sowie
Frauen, die kein hormonelles Kontrazeptivum
– seltener – zu Amenorrhö kommen. Auch bei
einnehmen, geht man von einer Häufigkeit von
gestagenhaltigen Intrauterinsystemen nimmt
5–10 Thromboembolien pro 100 000 Frauen
die Menstruationsstärke ab, teilweise hört die
und Jahr aus. Diese steigt bei Kontrazeptiva, die
Menstruation auf. Bei der postkoitalen Kontra-
Levonorgestrel enthalten, auf 20 Fälle/100 000
Frauen/Jahr, bei Gestoden-, Drospirenon- oder
zeption sind Übelkeit und Erbrechen, gastroin- 21
testinale Schmerzen sowie Blutungen unabhän-
Desogestrel enthaltenden Präparaten nochmal
gig von der Menstruation, z. T. verspätet, als sehr
auf das Doppelte. Am höchsten ist das thrombo-
häufige unerwünschte Wirkungen zu nennen.
embolische Risiko (Anstieg um den Faktor 9!)
Hinzu kommen Kopfschmerz und Schwindel als
bei der Kombination Rauchen und Einnahme
häufige Nebenwirkungen.
von Kontrazeptiva. Thrombosen ereignen sich
Wie eine Untersuchung an > 20 000 Frauen
aber auch vermehrt bei übergewichtigen Frau-
gezeigt hat, die – z. T. über 25 Jahre – orale Kon-
en, bei Frauen mit Bluthochdruck, Diabetes
trazeptiva einnahmen, liegt deren Gesamtmor-
mellitus, Blutgerinnungsstörungen, Thrombo-
talität nicht höher als bei Frauen, die keine hor-
se-Erkrankungen und Herzkrankheiten in der
monelle Kontrazeption vornahmen. Ferner
Familie. Diese Frauen sollten normalerweise
270 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

wurde beim Vergleich mit einem Kontrollkol- Gonadotropinausschüttung stark an. Als Meno-
lektiv ohne hormonelle Kontrazeption ein bes- pause wird der Zeitpunkt der letzten Menstrua-
serer Gesundheitsstatus, insbesondere hinsicht- tion, als Prämenopause der Zeitraum drei Jahre
lich der Eisenversorgung, bei Frauen nachge- vor und als Postmenopause der Zeitraum 7 Jah-
wiesen, die oral hormonell verhüteten. re nach der Menopause bezeichnet.
Zwar ist das Erlöschen der Funktion der
Interaktionen. Die Wirkung der hormonellen
weiblichen Keimdrüsen ein physiologischer
Kontrazeptiva wird unsicher bei der gleichzeiti-
Prozess ist, doch treten bei etwa zwei Drittel der
gen Gabe von Enzyminduktoren (s. o. bei Gesta-
Frauen klimakterische Ausfallerscheinungen
genen). Ferner können Breitbandantibiotika,
auf. Diese beruhen vor allem auf dem Abfall der
z. B. Aminopenicilline und Tetracycline, wegen
Estrogensekretion. Sie äußern sich in Form von
Unterbrechung des enterohepatischen Kreis-
reversiblen vasomotorischen (z. B. Hitzewallun-
laufs der weiblichen Sexualhormone infolge feh-
gen, Tachykardien) und anderen vegetativen
lender Dekonjugierung der Phase-II-Metaboli-
Symptomen (z. B. Schwindel, Schwitzen), in der
ten durch Darmbakterien die Zuverlässigkeit
Regel ebenfalls reversiblen psychischen Sympto-
des Konzeptionsschutzes beeinträchtigen. Dies
men (z. B. Angstgefühlen, depressiver Verstim-
trifft vor allem für die niedrig dosierten Präpa-
mung) und metabolischen Dysfunktionen (z. B.
rate zu. Außerdem kann wegen verringerter
Osteoporose, Hyperlipoproteinämien, Atrophie
Glucosetoleranz der Bedarf an Antidiabetika
von Haut und Schleimhaut).
steigen.
Durch Estrogenersatz bessern sich die va-
Kontraindikationen. Bestehende und vorausge- somotorischen Störungen, die psychischen
gangene Thrombosen (Gestagene als Monothe- Symptome und die atrophischen Veränderun-
rapeutika nur bei bestehenden Thrombosen), gen im Urogenitaltrakt. Ferner beugen Estro-
entzündliche und degenerative Gefäßleiden, gene bei Langzeitanwendung der Osteoporose
schwere Leberfunktionsstörungen, Schwanger- vor. Durch die Kombination eines Estrogens
schaftsikterus und -pruritus in der Anamnese mit einem Gestagen kann ein vermehrtes Auf-
sowie Hyperbilirubinämie sind Kontraindikati- treten von Endometriumkarzinomen durch
onen. Bei erstmals unter der Behandlung mit die Hormonersatztherapie vermieden werden.
Kontrazeptiva auftretenden migräneartigen Diese Kombination ist daher bei allen Frauen
Kopfschmerzen oder akuten Sehstörungen mit noch vorhandenem Uterus angezeigt, bei
(Verdacht auf thromboembolische Komplikati- hysterektomierten Frauen kann dagegen eine
onen), Cholestase und stärkerem Blutdruckan- alleinige Estrogensubstitution vorgenommen
stieg sowie vor Operationen sind die Präparate werden.
sofort abzusetzen. Allerdings wird derzeit eine (längerfristige)
Hormonersatztherapie (hormone replacement
21.8.7 Hormonersatztherapie in der therapy, HRT) kontrovers diskutiert. Große Un-
Postmenopause tersuchungen (z. B. HERS, WHI-Studie, Milli-
Klimakterium. Während des Klimakteriums, on-Women-Studie) haben neben den positiven
den sog. Wechseljahren, d. h. in der Übergangs- Effekten auch deutliche Risiken einer HRT ge-
phase von der vollen Geschlechtsreife in das Se- zeigt. So traten vermehrt kardiovaskuläre Kom-
nium, stellen die weiblichen Keimdrüsen ihre plikationen, insbesondere Schlaganfälle, koro-
Funktion ein. Diese erlischt im Mittel mit 51 ± 3 nare Herzerkrankungen sowie Lungenembolien
Jahren. Zunächst werden die Menstruationsblu- bei einer Estrogen/Gestagen-Kombination
tungen unregelmäßiger und schwächer, Ovula- (0,625 mg konjugierte Estrogene, 2,5 mg Medro-
tionen und Gelbkörperbildungen bleiben aus. xyprogesteronacetat) und bei reiner Estrogen-
Mit dem Abfall der Estrogen- und Gestagen- Therapie auf. Mit Estrogen/Gestagen-Kombina-
spiegel steigt andererseits für einige Jahre die tionen, aber auch bei mit Tibolon (s. o.) behan-
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 271

႒ Tab. 21.15 Arzneimittel zur Hormonersatztherapie (mit Tagesdosen)


Estrogen Gestagen Handelspräparate

Estrogene

Estradiol, p. o. (1–2 mg) – Estrifam® u. a.

Estradiolvalerat, p. o. (1–2 mg) – Progynova®

Estradiol, transderm. (25–50 μg) – Dermestril® u. a.

Estriol, p. o. (2 mg) – Estriol JENAPHARM® u. a.

Konj. Estrogene, p. o. (0,3–0,6 mg) – Presomen® u. a.

Kombinationspräparate zur oralen Anwendung

Estradiol (1–2 mg) Norethisteronacetat (0,5 mg) Activelle® u. a.

Dydrogesteron (5–10 mg) Femoston® u. a.

Drospirenon (2 mg) Angeliq® u. a.

Estradiolvalerat (1–2 mg) Norethisteron (0,7 mg) Merigest® u. a.

Medroxyprogesteronacetat (2,5–5 mg) Indivina® u. a.

Levonorgestrel (0,15 mg) Klimonorm® u. a.

Dienogest (2 mg) Velbienne® u. a.

Cyproteronacetat (1 mg) Climen® u. a.

Konjugierte Estrogene (0,3–0,6 mg) Medrogeston (5 mg) Presomen® 28 comp. u. a.

Medroxyprogesteronacetat (2,5–5 mg) Climopax® u. a.

Kombinationen, transdermale Systeme

Estradiol (0,05 mg) Norethisteronacetat (0,25 mg) Sequidot® u. a.

Levonorgestrel (0,01 mg) Fem7® Combi u. a.

21
delten Frauen, wurden zudem häufiger Mam- und unter sorgfältiger Nutzen/Risiko-Abwä-
makarzinome als in der Kontrollgruppe gung eingeleitet werden. Estrogene sind in mög-
diagnostiziert. Die WHI-Studie wurde daher lichst geringer Dosis zu geben (z. B. Estradiol
vorzeitig abgebrochen. Kritisch ist allerdings an- oder Estradiolvalerat 2 mg täglich, ႒ Tab. 21.15).
zumerken, dass in dieser Studie ein Gemisch Ferner ist zu beachten, dass die zyklische An-
equiner Estrogene und keine reinen humanen wendung von Gestagenen mit Entzugsblutun-
Estrogene verwendet wurden. gen verbunden ist. Diese können durch konti-
Vor diesem Hintergrund sollte eine Hormon- nuierliche Anwendung vermieden werden, ohne
ersatztherapie im Klimakterium und in der dass damit das Risiko eines Endometriumkarzi-
Postmenopause nur bei deutlicher Symptomatik noms steigt.
272 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Durch eine Lokaltherapie mit Estriol Milchausschüttung ausreichend (1 IE = 0,002 mg


(႒ Tab. 21.15) können Symptome im Vaginalbe- Oxytocin).
reich (Juckreiz, starke Austrocknung) gebessert Oxytocin wird vorwiegend in Niere und Le-
werden. ber, während des Stillens außerdem in der
Den Anforderungen an eine moderne Arz- Brustdrüse inaktiviert. Die Halbwertszeit be-
neimittelprüfung genügende klinische Studien trägt wenige Minuten. Bei Schwangeren wurde
mit Phytoestrogenen fehlen bislang, sodass kei- außerdem im Plasma ein Oxytocin abbauendes
ne exakten Aussagen über Wirksamkeit und Ri- Enzym, die Oxytocinase, nachgewiesen.
siken dieser Präparate möglich sind. Oxytocin (Oxytocin-Rotexmedica) ist indi-
ziert zur Einleitung der Geburt am Termin so-
wie aus medizinischen Gründen (z. B. bei vor-
21.8.8 Uteruswirksame Substanzen zeitigem Blasensprung, Präeklampsie und Ek-
21.8.8.1 Oxytocin lampsie), während der Geburt bei Wehenschwä-
Das Hypophysenhinterlappenhormon Oxyto- che, zur Blutungsprophylaxe nach Abort und in
cin ist die physiologische uteruskontrahierend der Nachgeburtsperiode – wenn Methylergome-
wirkende Substanz. Die Empfindlichkeit der trin (Methergin®) und Prostaglandin-Derivate
Uterusmuskulatur gegen Oxytocin ist allerdings kontraindiziert sind – zur Lösung der Plazenta,
sehr unterschiedlich und hängt vor allem vom Verringerung des partalen Blutverlusts (s. o.)
Estrogen-Gestagen-Quotienten ab. Estrogene und Prophylaxe bzw. Beseitigung einer Uterusa-
steigern die Erregbarkeit und die Spontanakti- tonie.
vität des Uterus, Gestagene machen ihn für Die Dosierung beträgt zur Einleitung der Ge-
Oxytocin unempfindlicher. Gegen Ende der burt und Wehenstimulation als Dauertropfinfu-
Schwangerschaft produziert die Plazenta in stei- sion 0,5–2 × 20–3 IE/min. Die Dauertropfinfusi-
gendem Maß Estrogene, welche die Gebärmut- on hat den Vorteil der exakten Steuerung der
termuskulatur gegen Oxytocin durch Stimulati- Wehentätigkeit.
on der Oxytocinrezeptor-Synthese sensibilisie- Als Nebenwirkung kann eine zu starke und
ren. Außerdem führt die Dehnung der Uterus- damit sehr schmerzhafte Wehentätigkeit auftre-
wand durch das schnelle Wachstum des Feten ten. Insbesondere bei Überdosierung besteht die
reflektorisch zu einer vermehrten Oxytocinaus- Gefahr einer Dauerkontraktion des Uterus.
schüttung. In physiologischen Dosen löst Oxy- Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Blut-
tocin rhythmische Kontraktionen des Uterus druckabfall sowie Übelkeit und Erbrechen. Bei
aus. Dauerkontraktionen (Tetanus uteri) treten Krampfwehen, schweren Schwangerschaftstoxi-
nur bei hoher Dosierung oder direkter Injektion kosen, mechanischen Geburtshindernissen,
in die Gebärmutter auf. Oxytocin löst ferner die drohender Uterusruptur und vorzeitiger Lösung
Nachwehen aus und stillt dadurch die durch der Plazenta ist Oxytocin kontraindiziert. We-
den Geburtsvorgang ausgelöste intrauterine gen verstärkter Uteruskontraktionen ist die
Blutung. gleichzeitige Gabe von Prostaglandinen (s. u.)
Oxytocin kontrahiert nicht nur die Uterus- nicht möglich.
muskulatur, sondern auch die myoepithelialen
Zellen der Milchdrüse. Dadurch wird nach der 21.8.8.2 Carbetocin
Geburt die Milch aus den Endstücken in die grö- Zur Vorbeugung von Uterusatonie nach Kaiser-
ßeren Ausführungsgänge ausgepresst. Die Aus- schnittgeburt steht mit Carbetocin (PABAL®
schüttung von Oxytocin aus der Hypophyse er- Injektionslösung) ein langwirksamer Oxytocin-
folgt reflektorisch beim Saugen des Kindes. Die Agonist zur Verfügung. Die Halbwertszeit be-
Oxytocin-Wirkung ist dabei außerordentlich trägt etwa 40 min. In der Regel reicht eine ein-
hoch: schon 0,01 IE sind für die Stimulation der malige intravenöse Dosis von 100 μg aus. Die
21.8 Sexualhormone und davon abgeleitete Pharmaka 273

Wirkung ist vergleichbar mit der einer Oxyto- Prostaglandin E2 kann auch intravaginal appli-
cin-Infusion über mehrere Stunden. ziert werden.
Carbetocin darf nicht während Wehen vor Als Nebenwirkungen treten dosisabhängig
der Geburt und nicht zur Wehenauslösung an- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Hitzewallungen
gewendet werden. Grundsätzlich sollte es mit und Kopfschmerzen auf. Ferner werden Asth-
Vorsicht bei Migräne, Asthma und kardiovasku- maanfälle, Muskelkrämpfe und epileptische An-
lären Erkrankungen eingesetzt werden. fälle beobachtet. Überdosierung kann einen Te-
tanus uteri auslösen. Bei Asthma, Glaukom,
21.8.8.3 Prostaglandin-Derivate Krampfleiden sowie akuten Magen-Darm-Stö-
Weitere physiologische uteruskontrahierende rungen dürfen Prostaglandine, wenn überhaupt,
Substanzen sind die Prostaglandine (Ⴉ Kap. nur mit größter Vorsicht angewandt werden.
22.3.1.1). Bei Nichtgraviden ist insbesondere
Prostaglandin F2α an der Menstruationsauslö- 21.8.8.4 Methylergometrin
sung beteiligt. Dysmenorrhoische Beschwerden Methylergometrin greift wie Oxytocin direkt an
werden z. T. durch erhöhte Prostaglandinbil- der Uterusmuskulatur an und ruft rhythmische
dung hervorgerufen. Bei einer Schwangerschaft Kontraktionen hervor. Indikationen für Methyl-
nimmt die Prostaglandinsynthese um den Ge- ergometrin (z. B. Methergin®) in der Geburts-
burtstermin deutlich zu. hilfe, und zwar ausschließlich in der Nachge-
Therapeutisch werden Prostaglandine zur burtsperiode, sind verzögerte Lösung der Pla-
Zervixerweichung bei einer Ausräumung der zenta, Blutungen nach Lösung der Plazenta,
Uterusschleimhaut bei Nichtschwangeren und Stauung des Wochenflusses und mangelhafte
bei Schwangeren bis zur 12. Schwangerschafts- Rückbildung des Uterus im Wochenbett. Die
woche zur Abortauslösung, ferner zur Geburt- Dosierung beträgt 0,1–0,2 mg peroral oder pa-
seinleitung am normalen Schwangerschaftsende renteral.
und zur Einleitung einer Schwangerschaftsbe- Bei hoher Dosierung kann es zu Übelkeit, Er-
endigung im zweiten Trimenon eingesetzt. brechen und Schmerzen im Unterbauch sowie
Bei der Geburt wird, bedingt durch die zervi- zu Schwindel, Kopfschmerzen, Tachy- oder Bra-
xerschlaffende Wirkung und damit die raschere dykardien kommen.
Eröffnung des Muttermundes sowie unterstützt
durch den uteruskontrahierenden Effekt, vor al- 21.8.8.5 Tokolytika
lem die Eröffnungsperiode beschleunigt. Als Tokolytika (Wehenhemmer) werden eingesetzt
Wirkstoffe stehen Prostaglandin E2 (Dinopros- zur Uteruserschlaffung bei drohender Frühge-
ton; z. B. MINPROSTIN® E2) sowie die Prostag- burt, bei operativen Eingriffen in der Schwan-
landin-E2- bzw. -E1-Derivate Sulproston (Nala- gerschaft (z. B. Cerclage, Myomenukleation),
dor®) und Gemeprost (Cergem®) zur Verfü- vorzeitig einsetzenden Wehen, geburtshilflichen
gung. Notfällen (z. B. Sectio) sowie äußerer Wendung
Die Dosierung der Prostaglandine ist stets in- des Feten aus der Beckenendlage in die Schädel- 21
dividuell. Zur Abortauslösung sind wesentlich lage. Allerdings kann oftmals durch eine Toko-
höhere Dosen als zur Geburtseinleitung am lyse das Eintreten der Geburt lediglich um 24–
Ende der Schwangerschaft erforderlich. Die Ap- 48 h herausgeschoben werden. Doch kann diese
plikation erfolgt bei Verwendung als Abortivum Zeit für eine Lungenreifung des Kindes durch
vorwiegend intrauterin (extraamnial), wegen Gabe von Glucocorticoiden an die Mutter sowie
der schlechteren Verträglichkeit seltener intra- zur Verlegung der Schwangeren in eine Klinik
venös. Zur Geburtseinleitung werden die Sub- mit Neugeborenen-Intensivstation genutzt wer-
stanzen wegen der dabei erforderlichen geringe- den, wodurch die Überlebenschancen des Kin-
ren Dosis dagegen vielfach intravenös gegeben. des steigen.
274 21 Hormone und am hormonellen System angreifende Pharmaka

Fenoterol. Die Dosierung des β2-Sympatho- 6,75 mg als Bolus, danach 300 μg/min als Dauer-
mimetikums (Ⴉ Kap. 19.2.3) Fenoterol (Partu- infusion während 3 h, an die sich eine weitere
sisten®) beträgt 0,5–3 μg/min. Die Patientinnen Dauerinfusion mit 100 μg/min anschließt). Die
müssen vor allem zu Behandlungsbeginn streng Halbwertszeit beträgt 1,7 h.
überwacht werden (Kontrolle von Puls, Blut- Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit,
druck und Urinausscheidung). Wegen der erfor- Kopfschmerzen und Schwindel, selten treten
derlichen hohen Dosierung ist trotz der rela- Fieber und Exantheme auf. Kontraindikationen
tiven β2-Selektivität mit kardialen Nebenwir- sind vorzeitiger Blasensprung sowie gestörte
kungen (Tachykardie, ventrikulären Rhythmus- Herzfrequenz des Fetus, pränatale Blutungen,
störungen, pektanginösen Beschwerden) zu Präeklampsie oder Eklampsie, die eine sofortige
rechnen. Gleichzeitige Gabe von β1-selektiven Entbindung notwendig machen, intrauteriner
Rezeptorblockern (z. B. Atenolol oder Metopro- Fruchttod sowie Situationen von Mutter oder
lol) kann diese unerwünschten Wirkungen un- Fetus, bei denen die Fortführung der Schwan-
terdrücken oder zumindest abschwächen. gerschaft ein Risiko bedeutet.
Bei obstruktiver Kardiomyopathie, Herz- Mg2+-Ionen. Für eine Tokolyse werden
klappenstenosen, Tachykardien, Thyreotoxiko- Mg2+-Ionen in hoher Dosis infundiert (initial
se und pulmonaler Hypertonie sind Tokolytika 4–6 g; Erhaltungsdosis 2–4 g stündlich). Als Ne-
dieses Typs kontraindiziert. benwirkungen treten Herzklopfen, Kopfschmer-
zen, Schwindel und Übelkeit auf. Zeichen einer
Atosiban. Atosiban (Tractocile®) ist ein kompe-
Überdosierung sind Hyporeflexie, EKG-Verän-
titiver Oxytocin-Rezeptor-Antagonist zum Hi-
derungen bis zum Herzstillstand sowie Atem-
nauszögern einer drohenden Frühgeburt. Die
depression.
Substanz wird i. v. infundiert (Dosierung
275

22 Mediatoren

Mediatoren (Autakoide) sind aus bestimmten und Plasmaersatzmittel (z. B. Hydroxyethylstär-


Zellen bzw. Zellverbänden freigesetzte Sub- ke). Ein weiterer Histaminliberator ist Mastopa-
stanzen. Hierzu werden insbesondere Histamin, ran, ein Bestandteil des Wespengifts, das G-Pro-
Serotonin und die Stoffe der Arachidonsäure- teine aktiviert und dadurch ebenfalls zu einer
kaskade (Prostaglandine, Thromboxan A2, IgE-unabhängigen Histaminfreisetzung führt.
Prostacyclin, Leukotriene) sowie Kinine gerech-
Histaminrezeptoren und -wirkungen. Hist-
net.
amin greift an vier verschiedenen, G-Protein-
gekoppelten Rezeptoren an, die als H1-, H2-, H3-
und H4-Rezeptoren bezeichnet werden.
22.1 Histamin
Stimulation von H1-Rezeptoren bewirkt durch
Aktivierung der NO-Bildung über Ca2+/Calmo-
Vorkommen, Freisetzung und Abbau. Histamin
dulin in Endothelzellen und dessen Diffusion in
kommt als Decarboxylierungsprodukt der Ami-
die glatte Muskulatur des Gefäßes einen Blut-
nosäure Histidin im menschlichen Organismus
druckabfall infolge Vasodilatation von Arterio-
in allen Geweben vor. Die höchsten Konzen-
len. Zudem ermöglicht Histamin – über RhoA-
trationen findet man in den Lungen, der Haut
Aktivierung und Ausbildung von Stressfasern
und im Magen-Darm-Kanal. In den Mastzellen
sowie src-Kinase-abhängige Phosphorylierung
und basophilen Granulozyten wird Histamin in
von Cadherin – eine Öffnung der Kittleisten,
protonierter Form, an Anionen – z. B. an Hepa-
was die parazelluläre Permeabilität erhöht und
rin oder Proteoglykane – gebunden und gespei-
damit den Übertritt von Plasmaproteinen, Plas-
chert. Seine Freisetzung aus dieser Speicherform
mawasser und zellulären Blutbestandteilen in
erfolgt bei Zerstörung von Zellen (z. B. bei Ver-
das Gewebe hervorruft. Vasodilatation und er-
letzungen), IgE-vermittelt bei Überempfindlich-
höhte parazelluläre Permeabilität tragen zur 22
keitsreaktionen sowie IgE-unabhängig durch
Entwicklung eines anaphylaktischen Schocks
verschiedene chemische Substanzen, sog. Hist-
(s. u.) bei. Weiterhin erleichtert Histamin die
aminliberatoren (s. u.).
Einwanderung von Leukozyten, indem es die
Histaminliberatoren. Einige Arzneistoffe sind Expression von Adhäsionsproteinen an der
in der Lage, Histamin freizusetzen. Hierzu ge- Oberfläche der Endothelzellen stimuliert, wo-
hören Morphin, periphere Muskelrelaxantien durch Pathogene in infiziertem Gewebe ange-
(z. B. Rocuroniumbromid und Suxamethoni- griffen und entzündliche Reaktionen begünstigt
umchlorid), iodhaltige Röntgenkontrastmittel werden. Durch Stimulation afferenter Neurone
276 22 Mediatoren

löst Histamin ferner Juckreiz aus. Außerdem an peripheren H1-Rezeptoren. Weiterentwick-


kontrahiert es, durch Erhöhung der zytosoli- lungen dieser H1-Antihistaminika der 2. Gene-
schen Ca2+-Konzentration, die glatte Muskula- ration sind Levocetirizin, Desloratadin und Fe-
tur von Bronchien und Darm. Im ZNS sind H1- xofenadin. Levocetirizin ist das aktive Enantio-
Rezeptoren am Erhalt des Wachzustands sowie mer von Cetirizin, im Vergleich zu Cetirizin
an der Regulation der Nahrungsaufnahme be- kann die Dosis von Levocetirizin daher halbiert
teiligt. werden. Levocetirizin besitzt gegenüber Cetiri-
Erregung von H2-Rezeptoren führt durch zin keine relevanten therapeutischen Vorteile.
Aktivierung der Adenylylcyclase zur Erhöhung
Wirkungen. H1-Antihistaminika heben kompe-
der Herzfrequenz und Zunahme der Kontrakti-
titiv die Wirkungen von Histamin an H1-Rezep-
lität des Herzens sowie zur Steigerung der Drü-
toren auf. Wirkstoffe der 1. Generation, deutlich
sensekretion, insbesondere in der Magen-
weniger dagegen die der 2. Generation, wirken
schleimhaut. H2-Rezeptoren regulieren ferner
infolge der Blockade zentraler H1-Rezeptoren
die Zellproliferation und -differenzierung. Im
sedierend (vgl. H1-Antihistaminika als Schlaf-
Immunsystem verschiebt Histamin, vorwiegend
mittel). Reaktionsvermögen, Psychomotorik
durch eine Stimulation von H2-Rezeptoren, die
und Kognition sind beeinträchtigt, Alkohol ver-
TH1/TH2-Balance zugunsten einer TH2-Ant-
stärkt diese Nebenwirkungen erheblich.
wort (Ⴉ Kap. 32.1). Zudem wird durch H2-Re-
Außer ihren H1-antihistaminischen Eigen-
zeptoren die Suppressoraktivität regulatorischer
schaften besitzen einige Antihistaminika, z. B.
T-Zellen angeregt, wodurch die immunologi-
Promethazin oder Diphenhydramin, zusätzlich
sche Toleranz aufrechterhalten wird. Neuronal
eine anticholinerge, in sehr hohen Dosen auch
werden über postsynaptische H2-Rezeptoren
eine lokalanästhetische Wirkung. Ferner konnte
und zytosolischem cAMP-Anstieg exzitatori-
bei einigen Verbindungen, z. B. Azelastin, Ceti-
sche Wirkungen vermittelt.
rizin und Ketotifen, ein Mastzellmembran-sta-
Bei den H3-Rezeptoren handelt es sich um
bilisierender Effekt nachgewiesen werden. Cy-
präsynaptische Histamin-Rezeptoren von ZNS-
proheptadin blockiert auch 5-HT2A- und
Neuronen, deren Erregung die Histamin-, Nor-
5-HT2B-Rezeptoren und ruft als Nebenwirkung
adrenalin-, Serotonin-, und Acetylcholinfreiset-
eine Appetitsteigerung hervor.
zung hemmt. H3-Rezeptoren sind ferner an
zahlreichen neuronalen Funktionen wie Kogni- Indikationen. H1-Antihistaminika sind indi-
tion, Schlaf-Wach-Status und Regulation der ziert bei allen Erkrankungen, die auf einer
Energiehomöostase beteiligt. Freisetzung von Histamin beruhen, wie z. B. all-
Der H4-Rezeptor wird vornehmlich in T- ergischer Rhinitis und Konjunktivitis, (Kälte-)
Lymphozyten, eosinophilen Granulozyten und Urtikaria, Insektenstichen, Pruritus, Quincke-
Mastzellen exprimiert und stimuliert deren Ödem, Arzneimittelallergien oder Serumkrank-
Chemotaxis, woraus sich seine pro-inflammato- heit. Einige Substanzen mit stärker sedierender
rische Rolle ableiten lässt. Auch spielt er eine Wirkung, z. B. Promethazin, Diphenhydramin,
Rolle bei der Differenzierung myeloischer Doxylamin oder Hydroxyzin sind bei Schlafstö-
Stammzellen und der Auswanderung reifer Im- rungen indiziert. Diphenhydramin und insbe-
munzellen aus dem Knochenmark. sondere dessen Salz mit 8-Chlortheophyllin, das
Dimenhydrinat, eignen sich zur Prophylaxe und
22.1.1 H1-Antihistaminika Behandlung von Übelkeit und Erbrechen, letz-
Während die sog. 1. Generation der H1-Antihis- teres auch bei Kinetosen (Ⴉ Kap. 18.2.1).
taminika (႒ Tab. 22.1) nicht nur periphere, son-
Anwendung. Im Allgemeinen genügt die lokale
dern auch zentrale H1-Rezeptoren blockiert,
oder orale Anwendung. Bei schweren allergi-
wirken die Antihistaminika der 2. Generation
schen Reaktionen, insbesondere bei allergisch
aufgrund geringerer Lipophilie nahezu selektiv
22.1 Histamin 277

႒ Tab. 22.1 H1-Antihistaminika ႒ Tab. 22.1 H1-Antihistaminika


INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ) INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)

Antihistaminika der 1. Generation zur Behand- Cyproheptadin (Peritol®) 12–32 mg p. o. (7 h)


lung von Schlafstörungen
Dimetinden (Fenistil®) 3–8 mg p. o., i. v.
Diphenhydramin 25–50 mg p. o. (4 h) (6 h)
(z. B. Dolestan®)
Emedastin (Emadine®) 0,1 mg okulär (–)
Doxylamin 25–50 mg p. o. (10 h)
(z. B. Gittalun®) Ketotifen (z. B. Zaditen®) 1–2 mg p. o.; 0,05 mg
okulär (20 h)
Hydroxyzin 25–75 mg p. o.
(z. B. Atarax®) (7–20 h) Antihistaminika der 2. Generation zur Behand-
lung von Allergien, Juckreiz, Urtikaria
Promethazin 25–50 mg p. o.
(z. B. Prothrazin®) (10–14 h) Azelastin (Allergodil®) 0,03 mg okulär;
0,3 mg nasal; 4 mg
Antihistaminika der 1. Generation zur Behand- p. o. (20 h)
lung von Übelkeit und Erbrechen
Cetirizin (z. B. Zyrtec®) 10 mg p. o. (7 h)
Diphenhydramin 25–50 mg p. o. (4 h)
(z. B. Diphenhydramin- Levocetirizin (z. B. XUSAL) 5 mg p. o. (7 h)
Hevert®)
Desloratadin 5 mg p. o. (27 h)
Dimenhydrinat 50–400 mg p. o., i. v. (z. B. AERIUS®)
(8-Chlortheophyllinsalz (4 h)
von Diphenhydramin, Ebastin (z. B. Ebastel®) 10–20 mg p. o.
Vomex A®) (15–19 h1)

Promethazin 25–50 mg p. o. Fexofenadin 120–180 mg p. o.


(z. B. Prothrazin®) (10–14 h) (z. B. Telfast®) (11–15 h)

Antihistaminika der 1. Generation zur Behand- Levocabastin (Livocab®) 0,2 mg okulär;


lung von Allergien, Juckreiz, Urtikaria 0,5–1 mg nasal (–)

Bamipin (Soventol®) 2% iges Gel topisch Mizolastin (z. B. Zolim®) 10 mg p. o. (13 h)


(–)
Rupatadin 10 mg p. o. (6 h)
Clemastin (Tavegil®) 1–2 mg p. o., i. v. (z. B. Urtimed®)
(35–40 h)
1 Aktiver Metabolit

bedingtem Schock, kommt auch die intramus- nem Teil der neueren Substanzen begrenzt die
kuläre oder intravenöse Injektion in Betracht. rasche und weitgehende Biotransformation zu 22
hydrophilen H1-wirksamen Metaboliten die
Kinetik. Bei oraler Gabe werden H1-Antihist-
Möglichkeit zur Überwindung der Blut-Hirn-
aminika rasch und gut resorbiert. Die meisten
Schranke. Cetirizin und Fexofenadin weisen
Verbindungen unterliegen in der Leber einer
selbst nur eine geringe Lipophilie und damit
ausgeprägten Biotransformation und werden
eine geringe Penetration ins ZNS auf.
vor allem in Form von Metaboliten ausgeschie-
den. Vorzugsweise unverändert exkretiert wer- Nebenwirkungen. Die häufigste Nebenwirkung
den dagegen Cetirizin und Fexofenadin. Bei ei- von H1-Antihistaminika der 1. Generation ist
278 22 Mediatoren

das beeinträchtigte Reaktionsvermögen durch 22.1.1.1 Therapie der allergischen Rhinitis


den zentral dämpfenden Effekt. Als weitere Ne- und Konjunktivitis
benwirkungen können Obstipation, Mundtro- Die H1-Antihistaminika der 2. Generation sind
ckenheit und Miktionsstörungen sowie ventri- bei guter Verträglichkeit wirksam gegen die
kuläre Arrhythmien durch Verlängerung der Symptome der allergischen Rhinitis und Kon-
QT-Zeit infolge der Blockade des K+-Kanals junktivitis, allerdings sind sie weniger effektiv
vom HERG-Typ auftreten, besonders bei einer bei nasaler Obstruktion. Neben H1-Antihist-
bestehenden Hypokaliämie und bei Patienten aminika stellen nasal applizierte Glucocorticoi-
mit manifesten Herzerkrankungen. Die topische de (Ⴉ Kap. 21.7.1) einen guten Therapieansatz
Applikation an Auge und Nasenschleimhaut bei diesen Krankheitsbildern dar, da sie zu einer
kann zu lokalen Reizungen (z. B. Brennen) füh- wesentlichen Besserung der Nasen- und Augen-
ren. H1-Antihistaminika mit anticholinergen beschwerden führen. Auch wird die Konzen-
Wirkungen sind bei Engwinkelglaukom kontra- tration von Entzündungsmediatoren in der Na-
indiziert. senschleimhaut nachhaltig verringert. Intrana-
sale Glucocorticoide können dementsprechend
Interaktionen. Die Wirkung von Analgetika,
zur Steigerung der antiallergischen Wirkung mit
Hypnotika, Narkotika, zentraldämpfenden Psy-
topischen oder oralen Antihistaminika sowie
chopharmaka und Alkohol kann durch sedie-
Cromoglicinsäure (DNCG; Ⴉ Kap. 24.1.1.2)
rende H1-Antihistaminika verstärkt werden.
kombiniert werden.
Anticholinerge Wirkungen von H1-Antihist-
aminika und Parasympatholytika sowie trizykli-
22.1.2 H2-Antihistaminika
schen Antidepressiva verstärken sich. Überdo-
Diese Substanzgruppe wird in Ⴉ Kap. 25.1.2.2
sierungen einiger Antihistaminika, ihre Kome-
besprochen.
dikation mit QT-Zeit verlängernden Arzneistof-
fen (u. a. Makroliden oder Azol-Antimykotika),
eine deutlich eingeschränkte Leberfunktion
22.2 Serotonin
oder gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Hemm-
stoffen, können lebensbedrohliche ventrikuläre
Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) entsteht
Tachyarrhythmien (u. a. Torsades de pointes)
im Organismus aus der essenziellen Aminosäure
hervorrufen.
Tryptophan durch Hydroxylierung zu 5-Hydro-
Vergiftungen. In toxischen Dosen führen zen- xytryptophan und anschließende Decarboxylie-
tralgängige H1-Antihistaminika mit lokalanäs- rung. Es kommt sowohl neuronal als auch extra-
thetischer bzw. anticholinerger Wirkungskom- neuronal vor. Das neuronal gespeicherte Seroto-
ponente zu Erregungszuständen, tonisch-kloni- nin, das in weiten Teilen des Gehirns, vor allem
schen Krämpfen, Mydriasis, Akkommodations- in den Raphe-Kernen, sowie im gesamten Gast-
und Miktionsstörungen sowie Tachy- und rointestinaltrakt gebildet wird, wirkt als Neuro-
Stenokardien. Der Tod erfolgt durch Atem- transmitter. Extraneuronal wird Serotonin in
lähmung oder Herz-Kreislaufversagen. Beson- großen Mengen in den enterochromaffinen Zel-
ders gefährdet sind Kinder. Die Therapie besteht len des Dünndarms synthetisiert und gespei-
in resorptionsverhindernden Maßnahmen chert. Eine Dehnung der Darmwand infolge ei-
(Ⴉ Kap. 34.1.2), bei Krämpfen wird ferner Diaz- nes Druckanstiegs im Lumen setzt daraus 5-HT
epam gegeben, bei Atemlähmung assistiert be- frei. Daneben geben die enterochromaffinen
atmet. Als Antidot gegen die anticholinergen Zellen Serotonin an Thrombozyten ab, wenn
Effekte kann Physostigmin appliziert werden. diese die Darmgefäße passieren.
22.3 Eicosanoide (Prostaglandine, Thromboxan A2, Prostacyclin, Leukotriene) 279

Therapeutischer Einsatz von 5-HT1-, 5-HT2- kung von Setronen können häufig Kopfschmer-
und 5-HT4-Rezeptoragonisten und -antagonis- zen und schwere Obstipation auftreten.
ten. Agonismus an 5-HT1A-Rezeptoren des Die Wirksamkeit beim frühen Erbrechen (in-
dorsalen Raphenukleus bzw. der Amygdala wird nerhalb der ersten 24 Stunden nach Gabe von
als Teilwirkung der Blutdrucksenkung durch z. B. Cisplatin), nicht jedoch bei spätem Erbre-
Urapidil (Ⴉ Kap. 19.4.1) sowie der anxiolytischen chen (nach 2–5 Tagen) übertrifft die der ande-
Wirkung von Buspiron (Ⴉ Kap. 10.4) angesehen. ren Antiemetika.
5-HT1B/5-HT1D-Agonisten (Triptane, Ⴉ Kap. Auch Metoclopramid blockiert neben Dop-
12.1.9.1) eignen sich besonders zur Therapie des aminrezeptoren in hohen Dosen 5-HT3-Rezep-
akuten Migräneanfalls. Bei der Migränebehand- toren im Bereich der Area postrema des Brech-
lung mit dem Mutterkornalkaloid Ergotamin zentrums und des Darms. Allerdings ist seine
(Ⴉ Kap. 12.1.9.1) tragen serotonerge Effekte zur Wirksamkeit geringer als die der Setrone.
Wirkung bei. Der 5-HT2-Antagonismus von
Cyproheptadin hat als Begleitwirkung eine Ap-
petitsteigerung und Gewichtszunahme zur Fol- 22.3 Eicosanoide (Prostaglandine,
ge. Der 5-HT2A-und 5-HT2C-Antagonismus Thromboxan A2, Prostacyclin,
trägt ferner wesentlich zur Besserung der Nega- Leukotriene)
tivsymptomatik bei der Behandlung der Schizo-
phrenie mit atypischen Neuroleptika wie Eicosanoide sind an zahlreichen physiologi-
Clozapin bei (Ⴉ Kap. 10.1.2). Weitere am sero- schen und pathophysiologischen Prozessen, ins-
tonergen System angreifende Pharmaka sind die besondere an entzündlichen Reaktionen, betei-
als Antidepressiva bedeutsamen Serotoninwie- ligt. Anders als Histamin und Serotonin werden
deraufnahmehemmer (Ⴉ Kap. 10.2.1.2). Der sie nicht vesikulär gespeichert, sondern entste-
5-HT4-Agonist Prucaloprid (Ⴉ Kap. 22.6.5) ist hen erst bei Bedarf aus ihrer Vorstufe, der Ara-
zur symptomatischen Behandlung der chroni- chidonsäure. Diese ist in die Phospholipide der
schen Verstopfung bei Erwachsenen indiziert, Zellmembranen eingebaut. Auf Reize der ver-
bei denen Laxanzien keine ausreichende Wir- schiedensten Art, insbesondere nach zellschädi-
kung erzielen. genden Noxen, wird Arachidonsäure durch Ak-
tivierung von Phospholipase A2 freigesetzt und
5-HT3-Antagonisten. Setrone erlangten als po-
anschließend oxidativ biotransformiert, wobei
tente 5-HT3-Antagonisten große Bedeutung
folgende Produkte entstehen:
beim Zytostatika-, Strahlen-induzierten und
postoperativen Erbrechen (Ⴉ Kap. 18.2.4). Zu 󠀂 Prostaglandine (PGD, PGE, PGF), Prostacyc-
diesen gehören Granisetron (Kevatril® u. a.), lin (PGI) und Thromboxan A2 (TXA2) auf
Ondansetron (Zofran® u. a.) sowie Palono- dem Cyclooxygenase-Weg und
setron (Aloxi®). Unterschiede innerhalb dieser 󠀂 Leukotriene (LTB, LTC und LTD) auf dem
Substanzgruppe ergeben sich vor allem hin- Lipoxygenase-Weg (s. u.).
sichtlich der Halbwertszeiten (Ondansetron 3 h,
Granisetron 4–10 h, Palonosetron 40 h) und der
22.3.1 Substanzen des 22
Tagesdosierung (Palonosetron 0,25 mg, Grani-
Cyclooxygenase-Wegs
setron 2 mg, Ondansetron 8–16 mg).
Katalysiert durch die Cyclooxygenase mit den
Granisetron wird vorwiegend durch CYP3A4
beiden Isoformen COX-1 und COX-2 entsteht
und Ondansetron durch CYP3A4, CYP2D6 und
aus Arachidonsäure zunächst Prostaglandin-
CYP1A2 verstoffwechselt, Palonosetron haupt-
endoperoxid PGG2, das in PGH2 überführt
sächlich durch CYP2D6 metabolisiert. CYP-
wird. Aus PGH2 können dann Prostaglandine
Hemmer haben jedoch keine signifikanten Aus-
(PG) in zahlreichen Geweben, Thromboxan A2
wirkungen auf deren Clearance. Als Nebenwir-
(TXA2) in Thrombozyten und Prostacyclin
280 22 Mediatoren

(PGI2) im Gefäßendothel gebildet werden. eines Aborts in der Frühschwangerschaft. Wäh-


Durch den Prostaglandin-Transporter Multi rend der Geburt beschleunigen sie die Öffnung
Drug Resistance Protein 4 werden die syntheti- des Muttermundes, im Anschluss an die Geburt
sierten Prostaglandine aus den Zellen freige- dienen sie der Behandlung atonischer Uterus-
setzt. blutungen. Die Applikation erfolgt intravenös
oder vaginal/intrazervikal.
22.3.1.1 Prostaglandine Misoprostol wird zur Ulkusprophylaxe (Do-
Wirkungen. Neben der in Ⴉ Kap. 12.1.1 be- sierung 0,2–0,6 mg, Halbwertszeit 0,6 h) bei
schriebenen Beteiligung der Prostaglandine an Therapien mit NSAIDs (Ⴉ Kap. 12.2.1) infolge
Schmerz und Entzündung sind die Effekte von seiner Wirkungen auf die Säure- und Schleimse-
PGE2 auf die Säure- und Schleimsekretion im kretion im Magen in fixer Kombination mit Dic-
Magen, die antiaggregatorische und vasodilatie- lofenac (Arthotec® forte) eingesetzt.
rende Wirkung von PGI2 und PGE2, die Nieren- Latanoprost, Tafluprost, Travoprost und Bi-
durchblutung fördernde und tubuläre Na+-Re- matoprost senken bei lokaler Anwendung am
sorption hemmende Wirkung von PGE2 sowie Auge den Augeninnendruck und dienen daher
die uteruskontrahierende Wirkung von PGE2 zur Glaukombehandlung (Ⴉ Kap. 27.1).
und PGF2α von therapeutischer Relevanz.
Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen kön-
Therapeutische Anwendung. Wegen ihrer Wir- nen Übelkeit, Diarrhö, Flush, Kopfschmerzen
kung auf die Uterus- und Gefäßmuskulatur wer- und heftige Schmerzen im Unterbauch auftre-
den natürliche und synthetische Vertreter der ten. Diese sind bei systemischer Gabe stärker
Gruppen PGE und PGF als Arzneistoffe einge- ausgeprägt als bei lokaler Anwendung. Am Ap-
setzt. plikationsort können Prostaglandine zudem Ke-
ratitis, Iritis und Schmerzen auslösen. Eine Im-
Alprostadil ist aufgrund seiner vasodilatieren-
potenzbehandlung mit Alprostadil kann zu Pri-
den Wirkung bei erektiler Dysfunktion (z. B.
apismus führen.
CAVERJECT®, Dosierung 10–40 μg, Ⴉ Kap.
23.2.8) und bei schweren Formen der arteriellen Interaktionen. Die abortive Wirkung der Pros-
Verschlusskrankheit (prostavasin®, Dosierung taglandinderivate wird durch Mifepriston
20–80 μg) indiziert. Die Anwendung erfolgt lo- (Ⴉ Kap. 21.8.4.2) erhöht.
kal durch Injektion in den Schwellkörper bzw.
systemisch durch intravenöse Infusion. Eine 22.3.1.2 Prostacyclin und Derivate
weitere Indikation ist die vorübergehende Of- Das körpereigene Prostacyclin (PGI2) wirkt
fenhaltung des Ductus arteriosus Botalli (Min- stark vasodilatierend und thrombozytenaggre-
prog®, Dosierung 3–6 μg/kg/h) zur Steigerung gationshemmend und wird im Gefäßendothel
der pulmonalen Durchblutung bei Neugebore- durch Prostacyclin-Synthase gebildet. Ein stabi-
nen mit angeborenen Herzfehlern bis eine korri- leres synthetisches Prostacyclin-Analogon ist
gierende Operation durchgeführt werden kann. Iloprost (Ⴉ Kap. 23.2.3). Es ist – parenteral appli-
Die Halbwertszeit von Alprostadil beträgt 0,1– ziert – zur Behandlung der Thrombangiitis obli-
0,2 h. terans indiziert. Eine inhalative Applikation er-
Dinoproston (z. B. PROPRESS®, Dosierung folgt bei primärer pulmonaler Hypertonie. Die
3–10 mg, Halbwertszeit 0,02–0,05 h), Geme- Nebenwirkungen sind ähnlich wie bei Prostag-
prost (Cergem®, Dosierung 1–5 mg, Halbwerts- landin-E-Derivaten.
zeit 0,75–1 h), Misoprostol (MISODEL, Dosie-
rung bis zu 200 μg, Halbwertszeit 0,6 h) und 22.3.1.3 Cyclooxygenase-Hemmer
Sulproston (Nalador®, Dosierung bis zu 0,5– Wie in Ⴉ Kap. 12.1.3.1 beschrieben, beruht die
1 mg, Halbwertszeit 2 h) dienen aufgrund ihrer Wirkung der nichtsteroidalen Antirheumatika
uteruskontrahierenden Wirkung zur Auslösung bzw. Antiphlogistika (NSAIDs) großenteils auf
22.4 Kinine 281

einem Eingriff in die Arachidonsäurekaskade auf der zumindest ein Teil seiner Wirkung und
durch Hemmung der Cyclooxygenasen. Die der seiner Vorstufen Olsalazin und Sulfasalazin
Blockade des Cyclooxygenase-Wegs kann zu ei- beruht. Auch in der Basistherapie der rheuma-
ner verstärkten Bildung von Leukotrienen (s. u.) toiden Arthritis könnte diese Wirkung von Sul-
und damit zu unerwünschten Wirkungen füh- fasalazin von Bedeutung sein.
ren (z. B. Auslösung von sog. Analgetika-Asth-
ma durch NSAIDs).
22.4 Kinine
22.3.2 Substanzen des Lipoxygenase-
Wegs Zu den Kininen gehört insbesondere das Nona-
Außer durch Cyclooxygenasen kann Arachi- peptid Bradykinin. Kinine werden im Blutplas-
donsäure durch Lipoxygenasen (LOX) zu Hyd- ma aus einem α2-Globulin durch die Protease
roperoxiden oxidiert werden. Dadurch entste- Kallikrein gebildet.
hen verschiedene Hydroperoxy-eicosatetraen-
Wirkungen. Die Kinine sind außerordentlich
säuren (HPETE), die anschließend mittels
wirksame Verbindungen. Sie erhöhen das Herz-
Peroxidase zu Hydroxy-eicosatetraensäuren
zeitvolumen, bewirken eine periphere Vasodila-
(HETE) und zu Leukotrienen (LT) umgewan-
tation und senken dadurch den Blutdruck. Fer-
delt werden.
ner steigern sie die Kapillarpermeabilität und
Die Cysteinyl-Leukotriene (LTC4, LTD4,
können so zu Ödemen führen, haben eine starke
LTE4) bilden gemeinsam die sog. slow-reacting
bronchokonstriktorische Wirkung und sind in
substance of anaphylaxis.
der Lage, die glatte Muskulatur des Darms so-
Physiologische und pathophysiologische Be- wohl zu kontrahieren als auch zu relaxieren.
deutung. LTB4 wirkt chemotaktisch auf Leuko-
Ihre Wirkung kommt durch Stimulation von
zyten, Fibroblasten und Keratinozyten und ist
Bradykinin-Rezeptoren zustande, von denen
daher für die Wundheilung wichtig. Eine Betei-
zwei Subtypen – B1 und B2 – bekannt sind. Für
ligung von LTB4 an der Entstehung entzündli-
die oben genannten Effekte ist der B2-Rezeptor
cher Darmerkrankungen, der rheumatoiden
verantwortlich. Unter therapeutischen Gesichts-
Arthritis und der Psoriasis wird angenommen.
punkten relevant ist die Auslösung von Reizhus-
LTC4, LTD4 und LTE4 sind an der Auslösung
ten durch Bradykinin bei einer Behandlung mit
von Asthma beteiligt. Sie wirken außerordent-
ACE-Hemmern (Ⴉ Kap. 23.2.2.2).
lich stark bronchokonstriktorisch
Aprotinin. Das Polypeptid ist ein Inhibitor von
Kallikrein und anderer Proteasen (z. B. Trypsin,
22.3.2.1 Leukotrienrezeptor-Antagonisten
Chymotrypsin, Plasmin). Es wird in der Chirur-
In der Asthmatherapie eingesetzte Leukotrien-
gie als Bestandteil von Gewebeklebern einge-
rezeptor-Antagonisten wie Montelukast werden
setzt (Beriplast® P Combi-Set). Dabei verhin-
in Ⴉ Kap. 24.1.1.2 beschrieben.
dert es aufgrund seiner antifibrinolytischen Ei-
genschaften einen zu raschen Abbau von Fibrin-
22.3.2.2 Lipoxygenasehemmer 22
gerinnseln durch Plasmin.
Für das bei der Behandlung der Colitis ulcerosa
bewährte Mesalazin (Ⴉ Kap. 25.3.2) konnte eine
Lipoxygenasehemmung nachgewiesen werden,
282 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Das Herz-Kreislauf-System ist eine funktionale Symptome sind Kurzatmigkeit, Schwindel und
Einheit, zu der Schwarzwerden vor den Augen sowie rasche Er-
müdbarkeit.
󠀂 das Blut als Transportmittel,
Einer medikamentösen Therapie sind vor al-
󠀂 die Gefäße als Transportwege,
lem die nachstehend beschriebenen Eisen-, Ery-
󠀂 das Herz als Pumpe und
thropoetinmangel- und makrozytären Anämien
󠀂 eine nervale, hormonelle und endotheliale
zugänglich.
(lokale) Steuerung gehören.
23.1.1.1 Eisenmangelanämien
23.1 Blut Die Eisenmangelanämien sind die häufigsten
Anämieformen. Der Hämoglobingehalt ist bei
23.1.1 Anämien und Antianämika diesen Anämieformen stärker erniedrigt als die
Der Begriff Anämie bezeichnet einen Hämo- Erythrozytenzahl, der Hämoglobingehalt pro
globin- oder Erythrozytenmangel. Eine Hämo- Erythrozyt somit geringer als normal. Es han-
globinmangelanämie liegt vor, wenn der Hä- delt sich somit um hypochrome Anämien. Ur-
moglobingehalt des Blutes beim Mann unter sächlich liegen diesen ein erhöhter Eisenbedarf
130 g/l und bei der Frau unter 120 g/l liegt. Für (z. B. während des Wachstums oder der Schwan-
eine exakte Diagnose der Anämieform müssen gerschaft sowie bei Infektionen), ein erhöhter
außer dem Hämoglobingehalt auch die Ery- Eisenverlust (z. B. bei verstärkten Regelblutun-
throzytenzahl, -form und -größe sowie der gen oder Blutungen aus dem Gastrointestinal-
Hämatokrit bestimmt werden. Ist die Hämo- trakt) oder eine verminderte Eisenzufuhr (z. B.
globinkonzentration des einzelnen Erythro- wegen eines ungenügenden Eisengehalts der
zyten normal, liegt eine normochrome Anämie Nahrung bei vorwiegender Milchernährung im
vor. Ist sie erniedrigt, spricht man von einer Kindesalter sowie bei Vegetariern oder infolge
hypochromen, ist sie erhöht von einer hyper- von Eisenresorptionsstörungen bei Magen-
chromen Anämie. Darm-Erkrankungen) zugrunde.
Die allgemeinen Symptome sind blasse Farbe Aufgrund des Eisenmangels besteht die The-
von Haut und Schleimhäuten. Bei hoher körper- rapie der Eisenmangelanämie in der oralen oder
licher Belastung kommt es aufgrund der zur – wesentlich seltener – parenteralen Zufuhr von
ausreichenden Sauerstoffversorgung erforderli- Eisensalzen. Bei der oralen Applikation von Ei-
chen Steigerung der Blutzirkulation zu einer senpräparaten sollten wegen der in der Regel
starken Zunahme der Herzfrequenz. Weitere schlechten Bioverfügbarkeit von dreiwertigem
23.1 Blut 283

Eisen solche mit zweiwertigem Eisen verwendet ႒ Tab. 23.1 Oral und parenteral applizierte Eisen-
werden (႒ Tab. 23.1). salze

Eisenpräparate. Die im Handel befindlichen Eisensalz Handelspräparat


oralen Eisenpräparate mit zweiwertigem Eisen
Orale Anwendung
(႒ Tab. 23.1) enthalten häufig Stabilisatoren, z. B.
Ascorbinsäure, welche die Oxidation zu drei- Eisen(II)-fumarat Ferrum Hausmann®
wertigem Eisen verhindern. Zusatz von organi- u. a.
schen Säuren, z. B. Bernsteinsäure, erhöht die
Eisen(II)-gluconat Eisen Verla® u. a.
Resorptionsfähigkeit des zugeführten Eisens
nicht. Die parenterale Eisentherapie ist wegen Eisen(II)-glycinsulfat ferro sanol®
der Gefahr einer akuten Eisenvergiftung
(Ⴉ Kap. 34.2.6) und einer Gefäßwandschädigung Eisen(II)-succinat Ferrlecit® 2

an der Injektionsstelle nur dann gerechtfertigt, Eisen(II)-sulfat Tardyferon®


wenn orale Eisengaben sehr schlecht vertragen
werden oder entzündliche Darmerkrankungen Parenterale Anwendung
(z. B. Colitis ulcerosa) durch eine orale Eisen-
Eisen(III)-natriumgluco- Ferrlecit®
therapie verschlimmert werden können. Allge- nat-Komplex
mein wird dreiwertiges, komplexgebundenes
Eisen (z. B. Eisen(III)-natriumgluconat oder Eisen(II)-chlorid in Tracutil®
Eisen(III)-carboxymaltose) verwendet (႒ Tab.
Eisen(III)-carboxymaltose FERINJECT®
23.1). Kombinationspräparate von Eisen mit an-
deren Stoffen, z. B. Vitaminen, verbessern den Eisen(III)-hydroxid-Sac- Venofer® u. a.
therapeutischen Effekt von Eisen nicht und sind charose-Komplex
daher überflüssig.
Eisen(III)-hydroxid- MonoFer®
Bei der Dosierung ist zu berücksichtigen,
oxid-citrat-Isomalto-
dass neben dem akuten Eisenmangel auch der
oligosaccharidalkohol-
Speichereisenmangel beseitigt werden muss. Bei Hydrat-Komplex
oraler Applikation werden täglich ca. 100–
300 mg Eisen gegeben. Bei parenteraler Gabe
liegt die Dosierung zwischen 20 und 100 mg Ei-
ken Blutdruckabfalls (Schocks). Bei chronischer
sen täglich.
Zufuhr überhöhter Eisenmengen wird Eisen im
Als Nebenwirkungen der oralen Eisenmedi-
Retikuloendothel abgelagert (Hämosiderose).
kation werden vor allem Magen-Darm-Störun-
Durch Antazida, insbesondere wenn diese
gen (bei bis zu 50 % der Patienten) in Form von
Magnesium-, Calcium- oder Aluminiumioonen
Übelkeit, Erbrechen, Durchfällen, aber auch
enthalten, wird die Eisenresorption beeinträch-
Obstipation und Krämpfen beobachtet. Einnah-
tigt. Durch Bildung eines schwerlöslichen Kom-
me zu den Mahlzeiten schwächt die Nebenwir-
plexes hemmen Eisenverbindungen die Resorp-
kungen ab, hat aber auch stärkere Schwankun-
tion von einigen Tetracyclinen und Fluorchino-
gen der Resorptionsquote zur Folge.
lonen.
Bei parenteraler Applikation von Eisenpräpa-
raten kann es zu Gefäßwandschädigung, Übel-
23.1.1.2 Erythropoetinmangel-Anämie 23
keit und Erbrechen, ferner zu Muskel- und Ge-
(renale Anämie)
lenkbeschwerden sowie allergischen Reaktionen
Für die Erythropoese im roten Knochenmark ist
kommen. Besonders bei Überdosierung und
Erythropo(i)etin (EPO) erforderlich, das vor al-
damit Überschreiten der Plasma-Transferrin-
lem in den peritubulären Zellen des distalen Tu-
Bindungskapazität besteht die Gefahr eines star-
bulus der Niere gebildet wird (Molekularmasse
284 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

34 000 Da). Durch einen Hypoxie-induzierten Als Nebenwirkungen von Erythropoetin-


Faktor (HIF-1) wird die Genexpression von Präparaten können grippeähnliche Beschwer-
EPO reguliert. Dieses entfaltet seine Wirkung den und Blutdrucksteigerungen (insbesondere
nach Bindung an einen Rezeptor auf der Zel- bei Langzeitgaben im Rahmen einer Nierenin-
loberfläche von Erythrozytenvorläufern. Kann suffizienz) auftreten. Auch kann es zu einem
das Hormon infolge einer Nierenerkrankung Verschluss des arterio-venösen Shunts bei Dia-
(Niereninsuffizienz) nicht mehr ausreichend lysepatienten kommen. Vereinzelt wurden fer-
synthetisiert und freigesetzt werden, entwickelt ner Thrombozytose, Thrombose, Aplasie der
sich als Folge eine Anämie. Deren Behandlung roten Blutzellen durch Autoantikörperbildung,
ist durch die Gabe von rekombinantem Erythro- Hautveränderungen und zentralnervöse Stö-
poetin (Epoetin) möglich, das innerhalb von rungen, u. a. epileptiforme Krämpfe, beobachtet.
2–6 Wochen zu einem Anstieg der Erythro- Bei schwer kontrollierbaren Hypertonien ist
zytenzahl führt. Eine Zunahme des Hämoglo- Epoetin kontraindiziert.
binwerts um mehr als 2 g/dl innerhalb von vier Auch bei Personen mit normalem Hämato-
Wochen ist zu vermeiden. krit kann die Erythropoetin-Gabe die Zahl der
Außer bei renaler Anämie wird Epoetin bei Erythrozyten und damit die der Sauerstoffträger
Anämien infolge von therapeutischen Maßnah- im Blut erhöhen. Daher wird Epoetin von Leis-
men bei Tumorerkrankungen sowie Virus-Infek- tungssportlern als „Doping“ missbräuchlich
tionen (hier besonders wichtig bei HIV-Infektio- verwendet.
nen) sowie zur Vorbereitung einer Eigenblut-
spende eingesetzt. Therapeutisch verwendet 23.1.1.3 Makrozytäre Anämien
werden als verschiedene rekombinante Erythro- Die makrozytären (synonym megaloblastären)
poetinformen Epoetin alfa (z. B. ERYPO®), Epo- Anämien beruhen auf einer gestörten Erythro-
etin beta (NeoRecormon®), Epoetin theta (z. B. zyten-Bildung infolge eines Mangels an Vitamin
Biopoin®) und Epoetin zeta (z. B. Retacrit®). Die B12 oder Folsäure. Beide Vitamine sind an der
Halbwertszeiten werden mit 4–12 Stunden ange- Synthese der Desoxyribonucleinsäuren in un-
geben. Die Dosierung beträgt 150–300 Einhei- reifen Knochenmarkzellen beteiligt und beein-
ten/kg i. v. oder s. c. dreimal wöchentlich. flussen die Zellteilung. Ihr Mangel führt im
Darbepoetin alfa (Aranesp®) ist ein weiteres Knochenmark zu einer Verzögerung bei der Tei-
rekombinantes Erythropoetin mit einer deutlich lung der Erythrozyten-Stammzellen. Diese rei-
längeren Halbwertszeit (ca. 25 Stunden), die da- fen im Knochenmark nicht zu normalen Ery-
rauf zurückzuführen ist, dass es einen höheren throzyten (Normozyten) aus, sondern es werden
Glykosilierungsgrad als andere rekombinante sog. Megalozyten gebildet. Bei diesen unter-
Erythropoetine besitzt. Die Substanz kann in bleibt eine Reihe von Teilungsschritten, wo-
wöchentlichen Abständen gegeben werden. durch die Zahl der ins strömende Blut abgegebe-
Mit dem Epoetin-beta-Derivat Methoxy- nen roten Blutkörperchen vermindert wird. Die
Polyethylenglycol-Epoetin beta (MIRCERA®) Megalozyten enthalten – bezogen auf die Nor-
konnte durch Bindung von Erythropoetin an mozyten – zuviel Hämoglobin, weshalb man
Methoxy-Polyethylenglycol eine noch stärkere von einer makrozytären hyperchromen Anämie
Erhöhung der Wirkhalbwertszeit auf 130 Stun- spricht.
den erreicht werden, sodass die Substanz in ei- Perniziöse Anämie (Vitamin-B12-Mangel-
ner Dosierung von 120–360 mg nur noch ein- Anämie). Diese wichtigste Form der makrozy-
mal monatlich gegeben werden muss. Methoxy- tären Anämie, auch als Perniziosa oder Morbus
Polyethylenglycol-Epoetin beta ist derzeit aller- Biermer bezeichnet, entsteht durch langdauern-
dings nur zur Behandlung der renalen Anämie den Vitamin-B12-Mangel. Voraussetzung für ihr
bei Patienten mit chronischen Nierenerkran- Auftreten ist die Unfähigkeit der Magenschleim-
kungen zugelassen. haut zur Produktion von Magensaft (Achylia
23.1 Blut 285

gastrica) bei Typ-A-Gastritis. Es wird dann auch re Eiweißbindung besitzt als Cyanocobalamin
kein sog. Intrinsic-Faktor, ein Mucoprotein, in und eine natürliche Depotform darstellt. Die
den Belegzellen der Magenschleimhaut gebildet, Gefahr einer Überdosierung besteht bei Vit-
der für die Resorption von Vitamin B12, dem amin-B12-Präparaten auch bei Anwendung ho-
Extrinsic-Faktor, notwendig ist. Der zwischen her Dosen nicht.
Vitamin B12 und dem Intrinsic-Faktor gebildete Bei zahlreichen anderen, neben der Behand-
Komplex wird durch Endozytose in die Mukosa- lung der perniziösen Anämie für Vitamin B12
zellen aufgenommen. Dort wird der Intrinsic- genannten Indikationen (z. B. Neuritiden, Mig-
Faktor gegen Transcobalamin II, ein Transport- räne, Zoster, Leberparenchymschäden, Leis-
protein, ausgetauscht und anschließend der neu tungssteigerung) ist dessen Wirksamkeit sehr
entstandene Komplex exozytotisch aus der Zelle fraglich bzw. nicht vorhanden.
ausgeschleust. Cyanocobalamin ist z. B. in B12 „ANKER-
Da der tägliche Bedarf an Vitamin B12 ledig- MANN“®, Hydroxocobalamin z. B. im VIT-
lich 1 μg beträgt und im Leberdepot 1000– AMIN B12 DEPOT ROTEXMEDICA enthalten
2000 μg gespeichert sind, dauert es nach Unter-
Folsäuremangel-Anämie. Neben der perniziö-
brechung der Vitamin-B12-Resorption 2–5 Jah-
sen Anämie ist eine Reihe weiterer makrozytärer
re, bis sich eine megaloblastäre Anämie entwi-
Anämien bekannt, die nicht auf einem Vit-
ckelt. Die Erkrankung, die unbehandelt zum
amin-B12-, sondern auf einem Folsäure-Mangel
Tode führt, ist durch Blässe, strohgelbe Verfär-
beruhen. Alle diese Anämieformen sprechen
bung der Haut, Glossitis und Durchfälle ge-
gut auf eine Folsäurebehandlung an.
kennzeichnet. Daneben beobachtet man in etwa
Folsäure gehört wie Vitamin B12 zu den Vit-
20–30 % der Fälle neurologische Ausfallerschei-
aminen der B-Gruppe. Unter Beteiligung von
nungen infolge einer Schädigung von Neuronen
Ascorbinsäure wird sie im Organismus zu Tet-
des Rückenmarks (s. u.) mit Parästhesien und
rahydrofolsäure reduziert, die als wichtige
Muskelparesen.
Überträgersubstanz für Methylgruppen („akti-
Vitamin B12 (Cyanocobalamin) ist erforder-
vierter Formaldehyd“) und Formylgruppen
lich für die normale Rückgewinnung von Tetra-
(„aktivierte Ameisensäure“; N10-Formyl-tetra-
hydrofolsäure aus N-Methyltetrahydrofolsäure
hydrofolsäure), also von Ein-Kohlenstoff-Frag-
(sekundärer Folsäuremangel bei perniziöser
menten, dient.
Anämie). Der resultierende Mangel an Nucleo-
Obwohl Folsäure von den Darmbakterien im
tiden stört die Erythrozytenneubildung. Zudem
Kolon synthetisiert wird, können Folsäure-
ist die Lipidsynthese unzureichend, wodurch die
Hypovitaminosen durch Mangelernährung ex-
Myelinscheiden mangelhaft ausgebildet werden.
perimentell hervorgerufen werden. Dies spricht
Folglich treten neben der makrozytären Anämie
dafür, dass die von den Darmbakterien gebildete
schwere neurologische Ausfallerscheinungen
Folsäure aus dem Kolon nur schlecht aufgenom-
auf (funikuläre Myelose). Außerdem kommt es
men werden kann. Dagegen wird mit der Nah-
zur Atrophie der Schleimhaut des Magen-
rung zugeführte Folsäure im Dünndarm durch
Darm-Kanals.
aktiven Transport resorbiert. Die im Organis-
Die kausale Therapie dieser Störungen be-
mus normalerweise gespeicherte Folsäure-Men-
steht in der parenteralen Applikation von Vit-
ge von ca. 15 mg deckt den Bedarf für etwa 3–4
amin-B12-Präparaten.
Monate.
Die Dosierung beträgt zunächst 100 μg täg- 23
Folsäuremangel ist bei normaler Ernährung
lich i. m. oder i. v. während zwei Wochen, dann
selten und tritt nur bei Verdauungsstörungen,
bis zur Normalisierung des Hämatokrits 100 μg
mangelhafter Resorption bzw. Verwertung,
zweimal wöchentlich. Zur Dauerbehandlung
nach Anwendung von Folsäure-Antimetabo-
genügen 100 μg einmal pro Monat. Besonders
liten sowie u. U. bei einer Therapie mit Pyri-
geeignet ist Hydroxocobalamin, das eine stärke-
methamin, Antiepileptika (Barbituraten, Primi-
286 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

don, Phenytoin) sowie nach Gabe von oralen mit Albumin und Immunglobuline. Beide Arten
Kontrazeptiva infolge einer Hemmung der Di- von Lösungen sind bei allen Formen des Volu-
hydrofolatreduktase auf. Einen Folsäuremangel menmangels, bei Hypoalbuminämie, Hyperglo-
findet man ferner bei Alkoholikern (infolge ei- bulinämie und zur normovolämischen Hämodi-
ner Ernährungsstörung und einer direkten An- lution indiziert. In seltenen Fällen kann es zu
tifolatwirkung von Ethanol). In der Schwanger- febrilen und allergischen Reaktionen kommen.
schaft liegt ein erhöhter Bedarf vor, eine Folsäu-
re-Prophylaxe in der Schwangerschaft ist daher 23.1.2.2 Körperfremde kolloidale
indiziert. Plasmaersatzmittel
Eine Folsäure-Hypovitaminose äußert sich in Wegen des hohen Preises und der beschränkt
einer Störung der Zellteilung, von der haupt- zur Verfügung stehenden Menge können anstel-
sächlich das blutbildende Gewebe betroffen ist. le körpereigener Plasmapräparate körperfremde
(Im Blutbild ist eine durch Folsäuremangel be- kolloidale Lösungen als Plasmaersatzflüssigkei-
dingte makrozytäre Anämie von einer perniziö- ten eingesetzt werden. Sie sollen nicht antigen,
sen Anämie nicht zu unterscheiden.) Ferner tre- einfach herstellbar, sterilisierbar, haltbar und
ten Diarrhö und Gewichtsverlust auf. Bei einem auch bei Temperaturschwankungen stabil sein.
Folsäuremangel in der Frühschwangerschaft Diese Forderungen werden allerdings nur teil-
kommt es beim Feten zu Dysraphien, insbeson- weise erfüllt. Alle Plasmaersatzmittel können –
dere zu Spaltbildungen in der Wirbelsäule (Spi- in unterschiedlicher Häufigkeit bei den einzel-
na bifida). nen Präparaten und in unterschiedlicher Schwe-
Zur Therapie der oben genannten Anämie- re – zu anaphylaktischen Reaktionen führen. Die
formen werden Folsäure-Präparate in einer Do- Patienten müssen daher zu Infusionsbeginn
sierung von 10–20 mg oral oder 1–5 mg parente- streng überwacht werden. Bei schwerer Herzin-
ral täglich gegeben (z. B. Folsan®). Die parente- suffizienz, Hypervolämie und Hyperhydratation
rale Gabe ist nur bei Malabsorptionssyndrom sind Plasmaersatzmittel kontraindiziert.
oder nach Resektion oberer Dünndarmab-
Hydroxyethylstärke (HAES). Wegen des ra-
schnitte indiziert. Überdosierungserscheinun-
schen Abbaus durch α-Amylase ist lösliche
gen von Folsäure sind nicht bekannt, doch kön-
Stärke nicht als Plasmaersatzmittel einsetzbar.
nen hohe Folsäuredosen die antiepileptische
Durch Einführung von Hydroxyethylgruppen
Wirkung von Barbituraten, Primidon und Phe-
in Amylopektin-Hydrolysate wurden jedoch für
nytoin stark reduzieren bis aufheben.
den Volumenersatz geeignete Biopolymere er-
halten, deren enzymatischer Abbau durch die
23.1.2 Plasmaersatzflüssigkeiten
Substitution verzögert ist. Im Handel sind heute
23.1.2.1 Homologe Plasmapräparate
nur noch Hydroxyethylstärke-Präparate mit ei-
Von den körpereigenen Plasmabestandteilen
ner mittleren Molekularmasse von 130 kDa
haben sich Humanalbumin und pasteurisierte
(z. B. Vitafusal®). Neben ihrer Volumenwirkung
Plasma-Protein-Lösungen zum Volumenersatz
verringern sie die Blutviskosität und sollen da-
bewährt. Humanalbumin-Lösungen werden
durch die Mikrozirkulation verbessern. Die
meist aus gepooltem Plasma durch Alkoholfrak-
Blutgerinnung wird nur wenig beeinflusst. Die
tionierung nach Cohn hergestellt. Im Handel
intravasale Verweildauer beträgt 2–3 Stunden.
sind 5 %ige isoonkotische und 20- bzw. 25 %ige
Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend renal und
hyperonkotische Lösungen (z. B. Humanal-
daneben mit den Fäzes. Insbesondere die wie-
bin®). Da diese keine Antikörper bzw. Aggluti-
derholte Infusion von Hydroxyethylstärke kann
nine enthalten, ist eine sofortige Verwendung
zu schwer therapierbarem Juckreiz führen.
ohne Blutgruppenbestimmung möglich. Pas-
teurisierte Plasma-Protein-Lösungen (Bise- Gelatine-Präparate. Für die Verwendung in
ko®) enthalten humane Serumproteine und so- Plasmaersatzflüssigkeiten steht Gelatinepoly-
23.1 Blut 287

succinat (flüssiges Gelatine-Polymerisat aus ab- dert oder in seiner Funktion gestört. Die klassi-
gebauter, succinylierter Gelatine; z. B. Gelafu- schen Gerinnungstests und die Thrombozyten-
sal®) mit einer mittleren Molekularmasse von zahl sind normal, die Blutungszeit ist dagegen
30 kDa zur Verfügung. Die intravasale Verweil- typischerweise verlängert.
dauer und die Beeinflussung der Hämostase Zu den angeborenen Koagulopathien gehö-
entsprechen denen der HAES-Präparate. Die ren außerdem die Hämophilien. Die häufigste
Hauptmenge der Gelatine-Derivate wird mit und zugleich wichtigste Hämophilie A beruht
dem Urin, ein geringer Teil über den Darm aus- auf einem Mangel an Antihämophilem Globulin
geschieden. Durch Peptidasen erfolgt außerdem A (Faktor VIII), die seltenere Hämophilie B auf
in gewissem Umfang eine enzymatische Spal- einem Mangel an Antihämophilem Globulin B
tung. (Christmas-Faktor, Faktor IX). Wegen der Ge-
rinnungsstörung können selbst geringe Trau-
23.1.3 Hämostase men zu schwersten Blutungen, vor allem in
Ein normal funktionierendes Blutstillungssys- Muskeln und Gelenken, führen. Ferner besteht
tem ist für den Organismus lebensnotwendig, die Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen im
da beim Ausbleiben der Hämostase schon klei- Magen-Darm-Bereich und im Gehirn.
nere Verletzungen zu schweren Blutungen füh- Den erworbenen Koagulopathien liegt meist
ren können. Andererseits ist bei erhöhter Gerin- ein Vitamin-K-Mangel, eine Leberparenchym-
nungsneigung die Bildung von Thromben be- schädigung und damit eine verminderte Synthe-
günstigt und damit die Thrombose- und Embo- se von Gerinnungsfaktoren oder eine intravasa-
liegefahr erhöht. le Blutgerinnung in größerem Umfang (dissemi-
nierte intravasale Gerinnung, s. u.) zugrunde.
Störungen der Hämostase (hämorrhagische
Die Blutungs- und Gerinnungszeiten sind dabei
Diathese). Eine Störung der Blutstillung kann
verlängert.
bedingt sein durch Veränderung der Thrombo-
zytenzahl oder Beeinträchtigung der Thrombo- Thrombose und Embolie. Unter einem Throm-
zytenfunktion, Mangel an Gerinnungsfaktoren bus versteht man ein intravital und intravasal
(Koagulopathien) sowie vaskuläre Veränderun- entstandenes Blutgerinnsel. Man unterscheidet
gen. weiße (Plättchenthromben) und rote Throm-
Eine thrombozytär bedingte hämorrhagi- ben. Weiße Thromben entstehen nach Throm-
sche Diathese beruht am häufigsten auf einer bozytenaggregation und -zerfall durch Einlage-
Verminderung der Plättchenzahl (Thrombozy- rung von Fibrinfäden zwischen die sich aggre-
topenie, Thrombopenie). Störungen der Plätt- gierenden Thrombozyten vor allem in Arterien.
chenfunktion (Thrombasthenie) sind dagegen Im stagnierenden, meist venösen Blut sowie in
verhältnismäßig selten. Charakteristisch für durch Plättchenthromben stenosierten Arterien
sämtliche thrombozytär bedingten Hämostase- bilden sich dagegen die roten (Erythrozyten-
störungen ist die petechiale Blutung. Schwere bedingten) Gerinnungsthromben. Begünstigt
Blutungen treten bei einer Verringerung der wird die Thrombenbildung durch Gefäßwand-
Thrombozytenzahl unter 10 000/μl auf. schädigungen (Plaques), verlangsamte Zirkula-
Bei den Koagulopathien unterscheidet man tion (häufig bei längerer Immobilisation), Wir-
angeborene und erworbene Formen. Die bei belbildung (Vorhofflimmern) und Hyperkoagu-
weitem häufigsten angeborenen Koagulopathi- labilität (bei Thrombozytosen, postoperativ,
23
en sind die dominant vererbten von-Wille- nach Traumen, arteriellen und venösen Ver-
brand-Erkrankungen. Bei diesen Krankheiten schlusskrankheiten, Infekten, erhöhten Gluco-
ist der von-Willebrand-Faktor, der für die Adhä- corticoid-Blutspiegeln, bösartigen Geschwüls-
sion von Thrombozyten an die subendotheliale ten sowie während der Schwangerschaft bzw.
Matrix verletzter Gefäße benötigt wird, vermin- Einnahme von Ovulationshemmern).
288 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Die klinischen Folgen einer Thrombose hän- amine und der Fette selbst, an die Anwesenheit
gen von der Lokalisation und der Ausdehnung von Galle im Darm gebunden, d. h. sie erfolgt
ab. Besonders gefährlich sind Thrombosen in nicht, wenn die Gallesekretion in den Darm un-
sog. Endarterien (Arterien ohne Kollateralen), möglich oder stark behindert ist. Dies ist bei-
die zu einer ischämischen Nekrose (vgl. Herzin- spielsweise beim Gallengangverschluss, bei ei-
farkt, ischämischem Schlaganfall) führen. Wird ner schweren Cholangitis und bei Stauungsikte-
ein Thrombus losgerissen und mit dem Blut- rus der Fall. Man beobachtet dann einen zu ge-
strom verschleppt, spricht man von einem Em- ringen Prothrombingehalt des Blutes und als
bolus. Dieser kann eine Embolie, d. h. einen dessen Folge eine erhöhte Blutungsneigung.
akuten Gefäßverschluss, auslösen. Auch die Faktoren VII, IX und X werden dabei
in der Leber nur noch in unzureichender Menge
23.1.3.1 Hämostase fördernde Stoffe gebildet. Vitamin-K-Mangelzustände mit der
Diese werden bei hämorrhagischer Diathese so- Gefahr von Hirnblutungen können auch bei
wie bei akuten Blutungen benötigt. Eine sinn- Neugeborenen auftreten, wenn die Mutter nicht
volle Therapie hat sich nach den Ursachen der ausreichend mit Vitamin K versorgt wurde (Me-
Hämostasestörungen zu richten. laena neonatorum).
Indiziert sind Vitamin-K-Präparate (z. B.
Vitamin-K-Gruppe (Phyllochinone) Konakion® MM) bei allen Vitamin-K-Mangel-
Das physiologische K-Vitamin ist Menachinon zuständen. Sie dienen außerdem als Antidot bei
(Vitamin K2). Es kann durch Phytomenadion Überdosierungen von Antikoagulanzien vom
(Vitamin K1), das in grünen Pflanzenteilen vor- Coumarol-Typ (s. u.).
kommt, ersetzt werden. Durch Abspaltung des Erwachsene erhalten als Substitutionsthera-
Phytylrestes von Phytomenadion durch Darm- pie 10–20 mg Vitamin K1 täglich oral. Nur bei
bakterien entsteht Menadion (Vitamin K3), das lebensbedrohlichen Blutungen im Rahmen von
im Organismus teilweise zu Menachinon umge- Überdosierungen mit Antikoagulanzien ist die
wandelt wird. Der tägliche Bedarf an Vitamin K intravenöse Gabe zusätzlich zur Applikation
liegt bei 1 mg. von Gerinnungsfaktoren indiziert (Gefahr von
Vitamin K ist für die Synthese der Blutgerin- schockartigen Zwischenfällen). Neugeborenen
nungsfaktoren II, VII, IX und X sowie von werden prophylaktisch 1–2 mg oral, bei solchen
Protein C und S in der Leber erforderlich. Es mit bestehendem Risiko auch i. m. oder i. v., ge-
wirkt dabei als Coenzym bei der γ-Carboxy- geben.
lierung von Glutaminsäure-haltigen Seitenket- Vitamin K kann den Prothrombingehalt des
ten. Die so entstandenen γ-Carboxyglutamyl- Blutes nur dann erhöhen, wenn die Leber diese
Verbindungen sind in der Lage, Calciumionen Substanz noch zu bilden vermag. Ist sie schwer
komplex zu binden, was zu einer Konformati- geschädigt, z. B. bei Leberzirrhose oder Leber-
onsänderung der Gerinnungsfaktoren führt, die atrophie, sind Vitamin-K-Präparate unwirksam.
Voraussetzung für deren Funktion ist. Die ei-
gentliche Wirkform von Vitamin K stellt das Faktor-VIII-, -IX- und -VIIa-Präparate
entsprechende Hydrochinon-Derivat dar, das Die wirksame Therapie und Prophylaxe von
bei der γ-Carboxylierung von Glutaminsäure zu Blutungsepisoden infolge einer Hämophilie ist
Vitamin-K-2,3-epoxid oxidiert und durch eine die Gabe von Frischplasma bzw. bei der Hämo-
Epoxidreduktase mit NADH als Coenzym wie- philie A von Antihämophilem Globulin A,
der regeneriert wird. meist in Form von Präparaten, die Faktor VIII in
Ein Vitamin-K-Mangel ist selten, solange das angereicherter Form (Faktor-VIII-Konzentrate;
mit der Nahrung zugeführte Vitamin K resor- z. B. Beriate®) oder rekombinantes Antihämo-
biert werden kann. Dessen Resorption ist aber, philes Globulin A (Octocog alfa; z. B. KOGENA-
ebenso wie die der anderen fettlöslichen Vit- TE Bayer) enthalten. Moroctocog alfa (ReFac-
23.1 Blut 289

to® AF), Simoctocog alfa (Nuwiq) und Turocto- Fibrinogen


cog alfa (NovoEight®) sind rekombinante Fak- Plötzliche Fibrinmangelzustände treten bei dis-
tor-VIII-Präparate mit verkürzten Domänen. seminierter intravasaler Gerinnung (Ver-
Simoctocog alfa wird im Unterschied zu Moroc- brauchskoagulopathie) auf, d. h. durch einen
tocog alfa und Turoctocog alfa statt in tierischen akuten Verbrauch zirkulierender Gerinnungs-
in humanen Zellen produziert. Simoctocog alfa faktoren bei ausgedehnten Gefäßwandschäden,
besitzt daher auch Glykosylierungen, wie sie ty- Strömungsverlangsamung des Blutes (z. B. im
pisch für den humanen Faktor VIII sind. Auf Schock), bestimmten Geburtskomplikationen
Materialen tierischen Ursprungs wird während (z. B. vorzeitiger Plazentalösung, Fruchtwasser-
der Herstellung und Aufreinigung von Simocto- embolie) sowie u. U. bei Hirn- und Lungenope-
cog alfa komplett verzichtet, was das Risiko der rationen. Auch eine angeborene Hypofibrino-
Antikörperbildung (Auftreten von „Hemmkör- genämie kommt vor. Die daraus resultierenden
pern“) minimieren soll. Blutungen können durch Infusion von Fibrino-
Bei der Hämophilie B gibt man Faktor-IX- gen (Haemocomplettan® P) zum Stehen ge-
Konzentrat (z. B. AlphaNine®) oder das rekom- bracht werden. Zur Gewebeklebung und Blut-
binante Protein Nonacog alfa (BeneFIX). Für stillung steht dem Chirurgen eine Mischung aus
Patienten mit Faktor-VII-Mangel steht Faktor- Fibrinogen, Fibronectin, Faktor XIII, Aprotinin
VII (Immuseven) bzw. rekombinanter aktivier- und Thrombin sowie CaCl2 (z. B. TISSUCOL
ter Faktor VII als Eptacog alfa (NovoSeven®) zur Duo) als biologischer Zweikomponentenkleber
Verfügung. Letzterer ist auch indiziert bei Hä- zur Verfügung.
mophilie-Patienten mit Hemmkörpern gegen
Blutgerinnungsfaktoren VIII oder IX. Bei Thrombozyten
schweren Blutungen aufgrund eines Mangels an Für die Blutungsstillung und Blutgerinnung
den Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfakto- (s. u.) erfüllen sie folgende Aufgaben: Auch im
ren (II, VII, IX, X), z. B. durch Überdosierungen nicht verletzten Gewebe dichten sie Gefäßlü-
mit Antikoagulanzien vom Dicoumarol-Typ, cken in den Kapillaren ab, bilden bei Gefäßver-
können Prothrombinkomplexpräparate (z. B. letzungen durch Zusammenballung einen me-
Octaplex® 500) gegeben werden. Bei kongenita- chanischen Verschluss (Trombozytenpfropf),
lem Mangel an Faktor XIII (Fibrinstabilisieren- führen zu einer raschen Vasokonstriktion im
dem Faktor) kann mit Fibrogammin® P ein ent- verletzten Gefäßbezirk, lösen bei ihrer Aktivie-
sprechendes Substitutionspräparat eingesetzt rung zusammen mit plasmatischen Faktoren die
werden. Eine hämorraghische Diathese auf- Blutgerinnung aus und fördern die Zusammen-
grund eines fehlenden oder fehlerhaften von- ziehung (Retraktion) des Thrombus.
Willebrand-Faktors kann mit humanem von-
Wirkstoffe zur Erhöhung der Thrombozyten-
Willebrand-Faktor (WILLFACT®) behandelt
zahl. Ähnlich wie Erythropoetin die Zahl der
werden, wenn Desmopressin kontraindiziert
Erythrozyten im Blut vermehrt, ist Thrombo-
oder unwirksam ist (s. u.).
poetin (TPO) eine endogene Substanz, die
Eine Substitutionstherapie mit Gerinnungs-
hauptsächlich in Leber, Niere und Knochen-
faktoren sollte jedoch nur dann erfolgen, wenn
mark gebildet wird und zu einer beschleunigten
sie aufgrund des Schweregrades der Gerin-
Entwicklung der Megakaryozyten, den Vor-
nungsstörung erforderlich ist. Bei leichteren
läuferzellen der Thrombozyten, führt.
Blutungen genügen häufig lokale Maßnahmen 23
Niedermolekulare Substanzen mit TPO-ana-
(Drucktamponade, Verschorfung, Anwendung
loger Wirkung sind Eltrombopag und Romiplo-
von Thrombinpräparaten). Ferner kann in we-
stim. Eltrombopag (Revolade®) interagiert als
niger schweren Fällen auch Desmopressin gege-
Agonist mit einer Membrandomaine des
ben werden, das die Freisetzung von Faktor VIII
menschlichen TPO-Rezeptors. Dadurch wird
aus dem Gefäßendothel fördert.
290 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

ein TPO-ähnliches Wachstumssignal erzeugt. Wirkstoffe zur Erniedrigung der Thrombozyten-


Etwa ein Fünftel einer Dosis wird über CYP1A2 zahl. Wie eine Thrombozytopenie kann auch
und CYP2C8 verstoffwechselt. Die Halbwerts- eine erhöhte Thrombozytenzahl medikamentös
zeit liegt zwischen 21 und 32 Stunden. beeinflusst werden. Mittel der Wahl bei jünge-
Eltrombopag ist zugelassen zur Therapie er- ren Patienten ist Interferon alfa (Ⴉ Kap. 32.3.1),
wachsener, splenektomierter Patienten mit bei älteren Patienten Hydroxyurea. Anagrelid
chronischer immun(idiopathischer-)thrombo- (Xagrid®) wird bei Risikopatienten mit essenzi-
zytopenischer Purpura (ITP), bei denen andere eller Thrombozythämie eingesetzt, die eine vor-
Therapien versagten. Auch bei nicht splenekto- angegangene Therapie nicht vertragen oder de-
mierten, inoperablen Patienten kann Eltrombo- ren erhöhte Thrombozytenzahl nicht ausrei-
pag zur Second-Line-Therapie verwendet wer- chend gesenkt werden konnte. Anagrelid hemmt
den. Die Anfangsdosis beträgt 50 mg einmal die Thrombozytenbildung über eine Verzöge-
täglich und wird individuell so angepasst, dass rung der Megakaryozytenreifung und eine Ver-
die Thrombozytenzahl bei ≥ 50 × 109/l liegt. El- ringerung ihrer Größe und Ploidie. Es wird mit-
trombopag kann Leberfunktionsstörungen her- tels CYP1A2 verstoffwechselt und mit einer
vorrufen. Ein engmaschiges Monitoring ist da- Halbwertszeit von 1,3 Stunden ausgeschieden.
her geboten. Da Eltrombopag ein Hemmstoff Die Anfangsdosis beträgt 1 mg/Tag, die Erhal-
von OATP1B1 ist, kann die Kombination mit tungsdosis erfolgt, der Thrombozytenzahl ent-
anderen Substraten dieses Transporters, z. B. sprechend, individuell.
Repaglinid oder Fexofenadin, deren Konzen- Bei Blutungsneigung infolge Thrombozyten-
trationen erhöhen. mangels durch Autoantikörper (Autoimmun-
Romiplostim (Nplate®) aktiviert TPO-Re- thrombozytopenie) können Glucocorticoide
zeptor-vermittelt intrazelluläre Transkriptions- angewandt werden. Sie führen zu einer – aller-
prozesse zur Steigerung der Thrombozytenpro- dings oft nur vorübergehenden – Zunahme der
duktion. Es besitzt keine Homologie zu endoge- Thrombozyten im Blut, verhindern die Bildung
nem TPO. Kreuzreaktionen zwischen Antikör- von Autoantikörpern und verringern die Mem-
pern gegen Romiplostim und endogenem TPO branpermeabilität der Kapillaren. Bei Thrombo-
treten daher nicht auf. Die Eliminations-Halb- zytopenien aufgrund einer Thrombozytenbil-
wertszeit von Romiplostim beträgt 3,5 Tage. Es dungsstörung sind Glucocorticoide dagegen
ist bei immun(idiopathischer-)thrombozytope- nicht indiziert.
nischer Purpura indiziert, die gegen Corticoste-
roid- und (Anti-D-)Immunglobulin-Therapien 23.1.3.2 Thrombozytenfunktionshemmer
refraktär ist. Die Anfangsdosis beträgt 1 μg/kg Einer wirksamen Prophylaxe und Therapie
Körpergewicht s. c. Die Thrombozytenzahl soll- thrombo-embolischer Erkrankungen – in den
te so lange wöchentlich bestimmt werden, bis westlichen Industrienationen die häufigste To-
eine stabile Thrombozytenzahl von ≥ 50 × 109/l desursache – kommt eine außerordentliche Be-
für mindestens 4 Wochen ohne Dosisanpassung deutung zu. Da arterielle Thrombosen, die sich
erreicht wurde. meist auf dem Boden arteriosklerotischer Ver-
Die Progression vorbestehender myelodys- änderungen oder auf körperfremden Oberflä-
plastischer Syndrome wird durch Romiplostim chen (z. B. künstlichen Aortenklappen) entwi-
stimuliert. Weitere unerwünschte Wirkungen ckeln, zumindest initial vorwiegend durch
sind erneutes Auftreten von Thrombozytopenie Plättchenthromben bedingt sind, werden
und Blutungen nach Absetzen der Behandlung, Thrombozytenfunktionshemmer (Thrombo-
Retikulinvermehrung im Knochenmark sowie zytenaggregationshemmer) zur Verhütung ar-
thrombotische/thromboembolische Komplika- terieller Thromben und deren Komplikationen
tionen bei Therapiefehlern (Überdosierung). eingesetzt.
23.1 Blut 291

Cyclooxygenasehemmstoffe Clopidogrel (z. B. Plavix®) ist ein Prodrug,


Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®, Ⴉ Kap. 12.1.3.1) das durch Oxidation und nachfolgende Hydro-
ist noch immer der am häufigsten eingesetzte lyse bioaktiviert wird. Dieser Aktivierungs-
Thrombozytenaggregationshemmer. Der Wir- schritt, der wesentlich mittels CYP3A4 und
kungsmechanismus beruht auf der Acetylierung CYP2C19 erfolgt, betrifft im Mittel nur 15 % ei-
von Plättchenmembran- und Plasmaproteinen ner oral verabreichten Dosis. Die restlichen 85 %
sowie vor allem – ebenfalls durch Acetylierung werden durch hepatische Esterasen zu unwirk-
– auf der irreversiblen Hemmung der Cyc- samen Metaboliten abgebaut. Potente Hemm-
looxygenase-1 (COX-1). Dabei ist von Vorteil, stoffe von CYP2C19, z. B. verschiedene Antide-
dass die thrombozytenaggregationshemmende pressiva oder Omeprazol, können daher sehr
Wirkung von Acetylsalicylsäure wesentlich län- wahrscheinlich die Bioaktivierung von Clopido-
ger anhält als die – ebenfalls durch COX-1-Blo- grel und damit dessen Wirksamkeit einschrän-
ckade vermittelte – Hemmung der Prostacyclin- ken. Außerdem gibt es genetische Varianten von
synthese im Endothel. Im Gegensatz zu den CYP2C19, die mit einer reduzierten Aktivität
Prostacyclin-bildenden Endothelien können des Enzyms einhergehen (CYP2C19*2) und da-
nämlich Blutplättchen, deren COX-1 acetyliert mit zu einer geringeren Bioaktivierung führen.
wurde, kein neues Enzym und damit auch kein Diese Varianten treten bei bis zu 25 % der Pati-
die Thrombozytenaggregation auslösendes enten auf. Die Halbwertszeit von Clopidogrel
Thromboxan A2 mehr synthetisieren, da sie kei- beträgt acht Stunden. Allerdings bindet der akti-
nen Zellkern zur Transkription von mRNA auf- ve Metabolit irreversibel an den P2Y12-Rezeptor,
weisen. Eine Thrombozytenaggregation ist so- sodass es nach Absetzen von Clopidogrel etwa
mit erst wieder durch neu entstandene Plättchen 5–7 Tage dauert, bis die normale Thrombozy-
möglich. tenfunktion wieder hergestellt ist.
Weiterhin ist günstig, dass resorbierte Acetyl- Clopidogrel ist indiziert zur Prävention
salicylsäure bereits im Pfortaderblut die COX-1 atherothrombotischer Ereignisse nach Myo-
der Blutplättchen acetyliert. Durch rasche kardinfarkt oder ischämischem Schlaganfall so-
Deacetylierung der Acetylsalicylsäure im Blut- wie bei peripherer arterieller Verschlusskrank-
kreislauf wird die Prostacyclinsynthese an den heit. Die Dosierung beträgt 75 mg pro Tag. Eine
Endothelien der Gefäße weniger beeinflusst. Für weitere Indikation ist das akute Koronarsyn-
die Thrombozytenaggregationshemmung sind drom (s. u.), bei dem Clopidogrel zusammen
100 mg pro Tag ausreichend, d. h. dass dazu we- mit Acetylsalicylsäure eingesetzt wird. Hierbei
sentlich niedrigere Mengen Acetylsalicylsäure wird initial eine deutlich höhere „loading dose“
als für die analgetische Wirkung erforderlich von Clopidogrel (300 mg) verabreicht. Ebenso
sind. ist eine duale Plättchenaggregationshemmung
mit Clopidogrel und Acetylsalicylsäure erfor-
ADP-Hemmstoffe derlich, wenn Stentthrombosen nach akuter Ko-
Diese Substanzklasse hemmt selektiv die Bin- ronarintervention verhindert werden sollen. So
dung von Adenosindiphosphat (ADP) an dessen ist bei der Implantation eines Drug-eluting Stent
Thrombozyten-Rezeptoren P2Y1 und P2Y12 (s. u.) die duale Plättchenhemmung für 6–12
(Ⴜ Abb. 23.1), die beide G-Protein-gekoppelt Monate, bei einem unbeschichteten Stent min-
sind (Gq im Falle von P2Y1 und Gi im Falle von destens 1 Monat durchzuführen.
P2Y12.). Durch Blockade dieser Rezeptoren un- Als Nebenwirkungen treten aufgrund des 23
terbleibt die ADP-induzierte Vernetzung der Wirkmechanismus vermehrt Blutungen auf, so-
Thrombozyten über den GP-IIb/IIIa-Rezeptor- dass die gleichzeitige (chronische) Gabe anderer
komplex (s. u.), wodurch die Thrombozytenag- Substanzen, die die Hämostase hemmen (z. B.
gregation gehemmt wird. Heparine, Phenprocoumon, neue orale Antiko-
agulanzien) nur bei eindeutiger Indikation er-
292 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Thrombin Aktivator Rezeptor/Zielstruktur


A PAF (Plättchen- ADP (Adenosindiphosphat)
aktivierender Faktor)
ak
TXA2 (Thromboxan A2) ADP P2Y12; P2Y1
Adrenalin ˞2
Vasopressin Adrenalin
PAFR PAR-1 P2
Y12 TxA
˞2 Gi Gi Gi 2 Kollagen Glykoprotein VI
Gi G q

V1
Serotonin
Gq

PAF PAFR
5HT2A

Kolla-

G q GpV
gen Serotonin 5 HT2A

G
I
Thrombozyt Thrombin PAR-1; PAR-4

GP-IIb/IIIa Thromboxan TXA2

Vasopressin V1
B
Plättchen aktiviert
Fibrinogen
Thrombozyt
GP IIb
Entleerung der Granula

GP IIIa
Endothel
GP Ib

Subendothel vWF vWF Endotheldefekt

Ⴜ Abb. 23.1 A Mechanismus der Plättchenaktivierung, B Plättchenaggregation über GP-IIb/IIIa-Rezepto-


ren. vWF von Willebrandt-Faktor

folgen sollte. Veränderungen des Blutbildes typen gibt. Daraus resultiert eine geringere in-
(Leukopenie) wurden weniger häufig als bei terindividuelle Variabilität der Prasugrel-Wir-
Ticlopidin (s. u.) beobachtet. Auch gastrointesti- kung im Vergleich zu der von Clopidogrel. Die
nale Nebenwirkungen sind seltener als unter der Halbwertszeit des aktiven Metaboliten beträgt 7
Therapie mit Acetylsalicylsäure. Stunden, die Wirkhalbwertszeit aufgrund der
Prasugrel (Efient®) wird ebenso wie Clopi- irreversiblen Bindung an den Rezeptor mehrere
dogrel als Prodrug eingesetzt. Auch hier bindet Tage.
der mittels CYP3A4, CYP2B6 und in geringe- Prasugrel ist in einer Dosierung von 10 mg/
rem Ausmaß über CYP2C9 und CYP2C19 ge- Tag (Initialdosis 60 mg) in Kombination mit
bildete aktive Metabolit irreversibel an den Acetylsalicylsäure zur Prävention atherothrom-
P2Y12-Rezeptor. Der Anteil der Dosis, der bio- botischer Ereignisse bei Patienten mit akutem
aktiviert wird, ist bei Prasugrel aber deutlich Koronarsyndrom zugelassen, bei denen eine
größer als bei Clopidogrel. Außerdem ist der perkutane Katheterintervention durchgeführt
Beitrag von CYP2C19 zur Bildung des aktiven wurde. Das Nebenwirkungsspektrum entspricht
Metaboliten so klein, dass es keinen relevanten dem von Clopidogrel, das Blutungsrisiko ist et-
Unterschied zwischen den verschiedenen Geno- was erhöht. Bei Patienten, die älter sind als 75
23.1 Blut 293

Jahre oder weniger als 60 kg wiegen, beträgt die dert wird. Fibrinogen bildet dann zwischen
Erhaltungsdosis 5 mg. mehreren aktivierten Thrombozyten Brücken
Ticlopidin (Ticlopidin-neuraxpharm®) ist aus und induziert so die Bildung eines Plätt-
eine mit Clopidogrel strukturell eng verwandte chenthrombus (Ⴜ Abb. 23.1).
Substanz. Auch diese erfordert eine Bioaktivie- GP-IIb/IIIa-Antagonisten zeigen in Kombi-
rung über CYP3A4 und bindet irrreversibel an nation mit Acetylsalicylsäure und Heparin ins-
den P2Y12-Rezeptor. Es wird bei Hämodialyse- besondere bei Patienten mit akutem Koronar-
patienten mit Shuntkomplikationen sowie zur syndrom sowie bei perkutaner Koronarinter-
Apoplexprophylaxe eingesetzt, wenn Acetylsali- vention günstige Effekte. Die wichtigste Neben-
cylsäure wegen Unverträglichkeit nicht verwen- wirkung sind Blutungen.
det werden kann. Die Dosierung beträgt 250– Abciximab (ReoPro®) ist das Fab-Fragment
500 mg pro Tag. eines chimären monoklonalen Antikörpers ge-
Als Nebenwirkungen kommen Blutungen, gen GP-IIb/IIIa, der an dieses sowie an andere
Thrombo- und Leukopenie, evtl. auch Agranu- Rezeptoren (z. B. Vitronectin) bindet. Die Sub-
lozytose, Magen-Darm-Störungen, Urtikaria stanz wird parenteral appliziert und hat in freier
und Leberschädigungen vor. Die gefährlichste Form eine initiale und eine sekundäre Halb-
Nebenwirkung ist die thrombotisch-thrombo- wertszeit von 10 bzw. 30 min. Da Abciximab in
zytopenische Purpura. Aufgrund des etwas die Thrombozyten aufgenommen und aus die-
günstigeren Nebenwirkungsprofiles werden sen wieder freigesetzt werden kann, ist der
heute überwiegend Clopidogrel oder Prasugrel Wirkstoff jedoch noch länger als eine Woche
an Stelle von Ticlopidin eingesetzt. nachweisbar. So ist bis etwa 24 Stunden nach
Ticagrelor (Brilique®) ist im Gegensatz zu Ende der Infusion die Plättchenaggregation ein-
Clopidogrel, Prasugrel und Ticlopidin ein rever- geschränkt.
sibler Inhibitor des P2Y12-Rezeptors, der keine Die Dosierung beträgt 0,25 mg/kg als intrave-
Bioaktivierung benötigt. Allerdings wird es nöser Bolus 10–60 min vor dem Beginn einer
durch CYP3A4 zu einem ebenfalls wirksamen perkutanen Koronarintervention (PCI), gefolgt
Metaboliten verstoffwechselt. Die Wirkung tritt von einer Dauerinfusion von 0,125 μg/kg/min
rasch ein und klingt entsprechend der Halb- (maximal 10 μg/min) während 12 Stunden. Als
wertszeit der aktiven Wirkstoffe ab (Ausgangs- Nebenwirkung sind für Abciximab Thrombozy-
substanz 7 Stunden, aktiver Metabolit 8,5 Stun- topenien bei etwa 2 % der behandelten Patienten
den). Die Indikation ist analog zu der von Prasu- beschrieben. Diese beruhen möglicherweise auf
grel bei einer Dosierung von zweimal 90 mg/Tag der Bildung eines antigenen Epitops durch Bin-
(einmalige Initialdosis 180 mg). Das Nebenwir- dung des Antikörpers an den Rezeptor.
kungsspektrum entspricht ebenfalls dem der an- Eptifibatid (Integrilin®), ein synthetisch her-
deren Inhibitoren des P2Y12-Rezeptors. Zusätz- gestelltes cyclisches Heptapeptid, ist ein spezifi-
lich trat in Studien bei 14 % der Patienten eine scher GP-IIb/IIIa-Antagonist, der wie Abci-
Dyspnoe auf. ximab intravenös verabreicht wird (180 μg/kg
als Bolus, gefolgt von einer Dauerinfusion von
Glykoprotein-(GP-)IIb/IIIa-Antagonisten 2,0 μg/kg/min bis zu 72 Stunden). Die Wirkdau-
Thrombozyten tragen auf der Zelloberfläche er ist mit 6–12 Stunden kürzer als die von Abci-
etwa 30 000–50 000 GP-IIb/IIIa-Rezeptoren pro ximab.
Zelle. Diese zu den sog. Integrinen gehörenden Tirofiban (AGGRASTAT®) ist dagegen ein 23
Rezeptoren (Integrin αIIb, β3) bestehen aus einer nicht-peptidischer, niedermolekularer GP-IIb/
α- und einer β-Untereinheit und binden ihren IIIa-Hemmer. Auch diese Substanz muss paren-
endogenen Liganden Fibrinogen erst nach Akti- teral eingesetzt werden (initiale Infusionsrate
vierung, z. B. durch Thrombin, ADP oder Nor- 0,4 μg/kg/min über 30 min, Erhaltungsdosis
adrenalin, wodurch ihre Konformation geän- 0,1 μg/kg/min). Die Halbwertszeit beträgt 2 Stun-
294 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

den. Die Substanz wird zum größten Teil in un- dementsprechend zu vermeiden. Cilostazol ist
veränderter Form über die Niere ausgeschieden. indiziert bei Patienten mit Claudicatio intermit-
Die Behandlung sollte mindestens 48 Stunden tens ohne Ruheschmerz und Gewebsnekrosen.
dauern und ist auf maximal 108 Stunden be- Die maximale und schmerzfreie Gehstrecke
grenzt. wird verlängert. Die Dosierung beträgt zweimal
täglich 100 mg peroral 30 min vor oder 2 Stun-
Dipyridamol den nach Frühstück und Abendessen. Als häu-
Dipyridamol hemmt die Aufnahme von Adeno- figste Nebenwirkung werden Kopfschmerzen
sin in Erythrozyten, Thrombozyten und Endo- angegeben.
thelzellen. Dadurch kommt es zu einem Anstieg
der Adenosinkonzentration mit Auswirkungen 23.1.3.3 Blutgerinnungshemmende Stoffe
auf den thrombozytären Adenosin-A2-Rezep- (Antikoagulanzien)
tor: Die thrombozytäre Adenylylcyclase wird Antikoagulanzien dienen wie die Thrombozy-
stimuliert, und die cAMP-Spiegel in den Throm- tenaggregationshemmer der Prophylaxe und
bozyten steigen an. Auf diese Weise wird die Therapie thrombo-embolischer Prozesse. Sie
durch unterschiedliche Stimuli – u. a. Plättchen- werden ferner bei der Herstellung von Blutkon-
aktivierenden Faktor (PAF), Kollagen und Ade- serven sowie bei extrakorporalem Kreislauf und
nosindiphosphat (ADP) – ausgelöste Thrombo- Dialyse benötigt Nach ihrem Wirkungsmecha-
zytenaggregation gehemmt. nismus unterscheidet man direkte Antikoagu-
Dipyridamol wird in Kombination mit 25 mg lanzien, die selbst mit den Gerinnungsfaktoren
Acetylsalicylsäure (Aggrenox®) in einer Dosis interagieren, und indirekte Antikoagulanzien,
von 2-mal 200 mg täglich zur Sekundärpräventi- welche die Biosynthese von Gerinnungsfaktoren
on ischämischer Schlaganfälle sowie transitori- hemmen.
scher ischämischer Attacken eingesetzt. Die
Substanz wird langsam resorbiert, die Bioverfüg- Heparine
barkeit wird mit 30–64 %, die Halbwertszeit mit Das körpereigene direkte Antikoagulans Hepa-
10 Stunden angegeben. Hauptmetabolit ist ein rin kommt zusammen mit Histamin in Granula
Glucuronid. Die Ausscheidung erfolgt vorwie- von Mastzellen und basophilen Granulozyten
gend biliär. Als Nebenwirkungen des Kombina- vor. Es ist genuin (unfraktioniert) ein Gemisch
tionspräparats sind neben den unerwünschten polyanionischer Polysaccharide mit einer Mole-
Wirkungen von Acetylsalicylsäure Benommen- kularmasse von 6–30 kDa, die Carboxylgruppen
heit, Muskelschmerzen, Hitzewallungen, Hypo- und Sulfatreste enthalten, die Heparin zu einer
tonie, Tachykardie sowie Verschlechterung einer der stärksten im menschlichen Organismus vor-
koronaren Herzerkrankung beschrieben. kommenden Säuren machen. Parenteral zuge-
führt verhindert es die Blutgerinnung durch
Cilostazol Angriff an verschiedenen Stellen des Gerin-
Cilostazol (Pletal®) ist ein Phosphodiesterase- nungssystems. Der wesentliche Wirkungsme-
3-Inhibitor mit Thrombozytenaggregations- chanismus ist die Aktivierung von Antithrom-
hemmenden und vasodilatierenden Eigenschaf- bin, das seinerseits Thrombin und andere Serin-
ten. Ferner soll die Substanz einen hemmenden Proteasen hemmt. Die Antithrombin-Aktivie-
Einfluss auf die Proliferation glatter Muskelzel- rung erfolgt durch einen Pentasaccharid-Anteil
len haben. Nach Bioaktivierung zum aktiven im Heparin-Molekül, dessen Bindung an Anti-
Metaboliten Dehydro-Cilostazol wird der Wirk- thrombin zur Konformationsänderung und da-
stoff mit einer Halbwertszeit von 10 Stunden mit Aktivierung führt. Für die Thrombinhem-
mittels CYP3A4, CYP2C19 und CYP1A2 elimi- mung ist die Bildung eines ternären Komplexes
niert. Die Kombination von Cilostazol mit In- aus Heparin, Antithrombin und Thrombin er-
duktoren oder Hemmstoffen dieser Enzyme ist forderlich.
23.1 Blut 295

Diese erfolgt jedoch nur dann, wenn das ver- dermolekulare Heparine gewonnen werden,
wendete Heparin eine Kettenlänge von mehr als wobei verschiedene Herstellungswege zu Präpa-
18 Monomeren besitzt. Für die ebenfalls auftre- raten mit unterschiedlicher Molekularmasse,
tende Hemmung der Gerinnungsfaktoren Xa aber ähnlichen pharmakodynamischen Eigen-
und IXa ist dagegen lediglich die Bindung von schaften führen, u. a. Certoparin mit 5,4 kDa
Heparin an Antithrombin notwendig, die auch (Mono-Embolex®), Dalteparin mit 6,1 kDa
bei kurzkettigen Heparinen auftritt. Dieser Me- (Fragmin®), Enoxaparin mit 4,5 kDa (Clexa-
chanismus erklärt, warum unfraktioniertes He- ne®), Nadroparin mit 4,3 kDa (Fraxiparin®),
parin Faktor Xa und Thrombin hemmt, wäh- Reviparin mit 4,4 kDa (Clivarin®) und Tinza-
rend niedermolekulare Heparine (low molecu- parin mit 6,5 kDa (innohep®). LMWH binden
lar weight heparins; LMWH, s. u.) ihre gerin- auch in geringerem Ausmaß als Standard-Hepa-
nungshemmende Wirkung insbesondere über rin an Plasmaproteine, Thrombozyten und das
den Faktor Xa entfalten. Endothel. Trotzdem ist ihre Halbwertszeit deut-
Ein wesentlicher Vorteil von Heparin besteht lich länger (ca. 2–4 Stunden nach intravenöser
darin, dass es sofort nach Applikation wirkt. Al- Gabe, 4–6 Stunden nach subkutaner Gabe). Der
lerdings wird es wie die meisten natürlich vor- relative Anteil der für die Wirkung verantwortli-
kommenden polymeren Substanzen im Orga- chen Pentasaccharidstruktur ist höher als bei
nismus schnell abgebaut, sodass seine Wirkung UFH. Aus diesen Eigenschaften folgt eine besse-
nur einige Stunden anhält. Wegen seiner hohen re Vorhersagbarkeit des gerinnungshemmenden
Molekularmasse und der negativen Ladungen, Effekts. Daher kann beim Einsatz von LMWH
wodurch die Resorption bei oraler Gabe verhin- auf ein regelmäßiges Monitoring bei den meis-
dert wird, kann es zur systemischen Anwendung ten Patienten verzichtet werden (Ausnahme z. B.
nur parenteral (intravenös, subkutan) gegeben bei Niereninsuffizienz).
werden.
Fondaparinux. Ausgehend von der Anthi-
Standard-Heparin (unfraktioniertes Heparin, thrombin-bindenden Region des Heparins wur-
UFH). Das unfraktionierte Produkt wird als de das Pentasaccharid Fondaparinux (Arixtra®)
Standard-Heparin bezeichnet. Die Dosierung synthetisiert, das, ähnlich wie niedermolekula-
erfolgt meist nach Internationalen Einheiten res Heparin, eine selektive Faktor-Xa-Hem-
und nicht in mg. Dabei entspricht 1 mg Stan- mung ohne Thrombin-Beeinflussung ermög-
dard-Heparin (z. B. Calciparin®) etwa 170 IE licht. Fondaparinux verstärkt die durch Anti-
Unfraktioniertes Heparin ist hinsichtlich seiner thrombin vermittelte Faktor-Xa-Wirkung um
Molekularmasse sehr heterogen (5–30 kDa mit den Faktor 300, indem es selektiv an Antithrom-
einem Mittelwert von 15 kDa, was etwa 50 Mo- bin bindet. Die Substanz soll eine bessere Steu-
nomeren entspricht). Da langkettige Heparine erbarkeit der Therapie ermöglichen und außer-
schneller eliminiert werden als solche mit einer dem aufgrund einer fehlenden Bindung an den
kurzen Kettenlänge, ist die Pharmakokinetik der Plättchenfaktor 4 keine Heparin-induzierte
verschiedenen Fraktionen von Standard-Hepa- Thrombozytopenie (HIT, s. u.) auslösen. Doch
rin sehr unterschiedlich. Außerdem enthält nur konnte gezeigt werden, dass Antikörper gegen
ein Teil des Heparins (ca. 30 %) die für die Wir- den Pättchenfaktor 4 mit gleicher Frequenz nach
kung verantwortliche Pentasaccharidstruktur, Gabe von Fondaparinux wie nach Anwendung
sodass insgesamt der Einfluss auf die Gerinnung von Enoxaparin auftreten, trotzdem kam es in
keinem Fall zu einer HIT. Fondaparinux wird
23
schwer abzuschätzen ist. Ein häufiges Monito-
ring ist daher erforderlich. unverändert über die Niere ausgeschieden. Die
Halbwertszeit von 15 Stunden ermöglicht eine
Niedermolekulare Heparine (low molecular
einmal tägliche Gabe. Die Dosierung von
weight heparins; LMWH). Durch begrenzten
Fondaparinux beträgt 2,5 mg s. c. einmal täglich.
Abbau können aus dem Nativprodukt sog. nie-
296 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Indikationen von Heparinen. Grundsätzlich chend bei Heparin-induzierten Komplikatio-


gibt es keinen wesentlichen Unterschied bei den nen, am Ende einer Operation mit extrakorpo-
Indikationen für Standard-Heparin oder nie- ralem Kreislauf oder nach Abschluss einer Aus-
dermolekulare Heparine. Sie sind ähnlich effek- tauschtransfusion verwendet.
tiv bei der prä- und postoperativen Thrombose- Zur (insbesondere postoperativen) Thrombo-
und Embolieprophylaxe, bei instabiler Angina se- und Lungenembolieprophylaxe wird heute
pectoris, bei perkutaner Koronarintervention, vor allem die subkutane Gabe niedriger Heparin-
in der Akutphase eines Herzinfarkts (zusammen dosen bevorzugt (Low-dose-Heparin). Hierbei
mit einem Fibrinolytikum), zur Reduktion erhalten die Patienten präoperativ 2–5 Stunden
thrombo-embolischer Komplikationen, bei dis- vor der Operation sowie postoperativ während
seminierter intravasaler Gerinnung, extrakor- 5–10 Tagen in 6-, 8- und später 12-stündlichen
poralem Kreislauf oder Dialyse. Aufgrund der Intervallen 3000–5000 IE Standard-Heparin oder
beschriebenen besseren pharmakokinetischen einmal täglich eine entsprechende Dosis von nie-
Eigenschaften besitzen niedermolekulare Hepa- dermolekularem Heparin. Die Zahl der Throm-
rine jedoch im Vergleich zu Standard-Heparin bosen kann dadurch erheblich verringert wer-
bei gleicher Wirksamkeit eine Reihe klinischer den, während andererseits bei dieser Dosierung
Vorteile. Wesentlich sind vor allem die längere die Gerinnungstests kaum beeinflusst werden.
Wirkung mit der Option der einmal täglichen
Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen kön-
Gabe sowie die Möglichkeit, die Therapie ohne
nen Blutungen, z. B. Haut- und Schleimhaut-
intensives Monitoring durchzuführen. LMWH
blutungen, auftreten. Eine weitere wichtige Ne-
werden daher vermehrt eingesetzt. Andererseits
benwirkung ist die Heparin-induzierte Throm-
haben LMWH auch Nachteile: Erstens kann das
bozytopenie (HIT). Die HIT Typ I ist eine früh-
Monitoring nicht über den partiellen Thrombo-
zeitig nach Therapiebeginn auftretende,
plastinzeit-Test (PTT) erfolgen, sondern erfor-
komplikationslos verlaufende, nichtimmunoge-
dert eine Bestimmung der Faktor-Xa-Aktivität,
ne Thrombozytopenie, bei der sich die Throm-
die nicht in allen Krankenhäusern und in der
bozytenzahl trotz weiterer Gabe von Heparin
Regel auch nicht als Notfalluntersuchung mög-
rasch normalisiert. Wesentlich bedeutsamer ist
lich ist. Zweitens kann die Wirkung der kleine-
die HIT Typ II. Sie tritt häufig am Anfang der
ren LMWH-Moleküle im Falle einer Überdosie-
Behandlung mit einer Latenz von 5–10 Tagen
rung nicht durch Protaminsulfat (s. u.) antago-
auf und beruht auf einer IgG-vermittelten Plätt-
nisiert werden.
chenaktivierung, wobei ein Komplex aus Hepa-
Dosierung. Die Dosierung hängt davon ab, ob, rin und Plättchenfaktor 4 (PF4) als Zielantigen
wie oben beschrieben, eine vollständige Antiko- identifiziert wurde. Die Plättchenaktivierung
agulation erreicht werden muss oder aber nur erklärt die bei einer HIT II auftretenden throm-
eine Hyperkoagulabilität erniedrigt werden soll. bo-embolischen Komplikationen, die auf den
Zur vollständigen Antikoagulation (z. B. bei ext- ersten Blick bei Thrombozytopenie paradox er-
rakorporalem Kreislauf) werden – nach einer scheinen. Diese Form der HIT persistiert bis
Bolusinjektion von 5000–10 000 IE – als Dauer- zum Absetzen von Heparin. Ihre Häufigkeit
tropfinfusion 20 000–30 000 IE Standard-Hepa- wurde mit ca. 3 % für Standard-Heparin und mit
rin appliziert. Die Wirkung ist durch Bestim- etwa 0,3 % für niedermolekulares Heparin bei
mung der Thrombin- und Rekalzifizierungszeit Patienten mit großen orthopädischen Eingriffen
zu kontrollieren. ermittelt. Um bei gegebener Indikation (z. B. ei-
Mit Protaminsulfat steht ein sofort wirken- ner erforderlichen Thromboseprophylaxe) Pati-
des Antidot zur Verfügung. Dieses ist ein stark enten, die infolge einer Heparintherapie eine
basisches Protein, das Heparin durch Komplex- HIT II entwickelten, trotzdem mit einem Gerin-
bildung inaktiviert. Protamin wird dementspre- nungshemmer behandeln zu können, wurde als
23.1 Blut 297

Alternative eine Reihe anderer Substanzen (z. B. charid auf pflanzlicher Basis (1,4-β-d-Xylan-2,3-
Hirudin oder Danaparoid, s. u.) entwickelt. bishydrogensulfat), das selektiv den Faktor Xa
Als weitere Nebenwirkungen einer Heparin- hemmt. Es ist zur Behandlung von peripheren
behandlung wurden allergische Reaktionen arteriellen Durchblutungsstörungen indiziert.
(Urtikaria, Rhinitis u. a.), Hautnekrosen, rever- Dazu werden 6-stündlich 50 mg s. c. injiziert, mit
sibler Haarausfall und bei Langzeittherapie Os- dem Nachlassen der akuten Symptome erfolgt
teoporosen beobachtet. In Einzelfällen wurde eine stufenweise Reduktion der Injektionen bis
ein Heparin-induzierter Hypoaldosteronismus auf 100 mg täglich für die Dauer von 10 Tagen.
beschrieben. Nach dem Absetzen von Heparin
kann es zu einem Rebound kommen. Heparine und Heparinoide zur lokalen
Anwendung
Kontraindikationen. Bei Blutungsneigung, Ma-
In einer Reihe von Handelspräparaten sind He-
gen-Darm-Ulzera, Abortus imminens sowie
parin (z. B. Thrombophob®) oder Heparinoid
schweren Leber-, Nieren- und Pankreaserkran-
(z. B. Thrombocid®) zur lokalen Applikation bei
kungen ist Heparin kontraindiziert.
geschlossenen Sport- und Unfallverletzungen,
Interaktionen. Gleichzeitige Gabe von Throm- Blutergüssen, varikösem Symptomenkomplex,
bozytenaggregationshemmern sowie einigen oberflächlichen Thrombosen oder Thrombo-
Penicillinen oder Cephalosporinen verstärkt die phlebitiden enthalten. Die Wirksamkeit der
Blutungsgefahr. Antihistaminika, Digitalis-Gly- genannten Präparate bei der Prophylaxe ober-
koside und Tetracycline vermindern die Hepa- flächlicher Thrombosen und bei Venenerkran-
rinwirkung. kungen ist stark umstritten. Etwas besser wer-
den sie bezüglich der Behandlung von ober-
Heparinoide flächlichen Blutergüssen und stumpfen Trau-
Unter Heparinoiden versteht man Präparate mit men beurteilt.
heparinartiger Wirkung, die – parenteral appli-
ziert – insbesondere zur Behandlung von Pati- Hirudin und Hirudin-Derivate
enten mit Heparin-induzierter Thrombozyto- Das Drüsensekret des Blutegels (Hirudo medici-
penie erheblich an Bedeutung gewonnen haben. nalis) enthält eine hochpotente gerinnungshem-
Danaparoid-Natrium (Orgaran®) ist ein Ge- mende Substanz, das Hirudin. Das Polypeptid
misch niedermolekularer Glykosaminglykane ist im Gegensatz zu Heparin ein direkter
aus Schweinedarmmukosa. Das Präparat besteht Thrombinhemmer, d. h. es wirkt ohne Beteili-
zu 84 % aus Heparansulfat, zu 12 % aus Derma- gung von Antithrombin.
tansulfat und zu 4 % aus Chondroitinsulfat. Die Das Hirudin-Derivat Bivalirudin (Angiox®)
Wirkung wird durch eine Hemmung von Faktor besteht aus zwanzig Aminosäuren, von denen
Xa (Heparansulfatfraktion) und von Thrombin die ersten vier an das katalytische Zentrum von
(Dermatansulfatfraktion) erreicht. Die Halb- Thrombin binden. Die Substanz wird renal mit
wertszeit beträgt 24 Stunden, die Ausscheidung einer Halbwertszeit von 25 min eliminiert, wo-
erfolgt zu 40–50 % renal. Danaparoid ist indi- bei die Wirkung auch dadurch terminiert wird,
ziert zur Thromboseprophylaxe bei Patienten dass Thrombin in der Lage ist, Bivalirudin lang-
mit HIT II in der Anamnese, zur Antikoagulati- sam katalytisch zu spalten. Die Substanz kann
on bei manifester Thrombose und HIT II sowie als Alternative zu Heparin bei perkutanen Koro-
zur Thromboseprophylaxe bei Heparinunver- narinterventionen eingesetzt werden. Die Do- 23
träglichkeit. Die Dosierung bei der Prophylaxe sierung erfolgt als initiale intravenöse Bolusgabe
venöser Thromben beträgt 750 Anti-Xa-Einhei- von 0,75 mg/kg Körpergewicht und einer sich
ten 2-mal täglich während 7–10 Tagen. daran unmittelbar anschließenden intravenösen
Pentosanpolysulfat (z. B. Fibrezym®) ist ein Infusion mit einer Dosis von 1,75 mg/kg/Stun-
heparinähnliches, niedermolekulares Polysac- de, mindestens für die Dauer des Eingriffs.
298 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Argatroban im Stoffwechsel der Substanz zurückzuführen.


Argatroban (Argatra®) ist ebenso wie Bivaliru- Phenprocoumon wird in geringerem Ausmaß
din ein direkter, parenteral anzuwendender als Warfarin durch CYP2C9, dafür vermehrt
Thrombininhibitor. Es wirkt unabhängig von durch CYP3A4 abgebaut. Ein Teil der Substanz
Antithrombin III, hemmt die Bildung von Fib- wird unverändert im Urin ausgeschieden.
rin und die Aktivierung der Gerinnungsfakto-
Wirkungsmechanismus. Die Vitamin-K-Antago-
ren V, VIII, XIII und Protein C sowie die Stimu-
nisten greifen in die posttranslationale Prozes-
lation der Thrombozytenaggregation. Die Indi-
sierung bestimmter Gerinnungsfaktoren ein. Sie
kation besteht in der Antikoagulation bei Pati-
verhindern die Vitamin-K-vermittelte γ-Carb-
enten mit HIT II (s. o.), die eine parenterale
oxylierung von Glutaminsäure in Vorstufen von
antithrombotische Therapie benötigen.
Gerinnungsfaktoren (u. a. die Umwandlung von
Die Dosierung richtet sich nach dem indivi-
Decarboxy-Prothrombin in Prothrombin). Da-
duellen Zustand des Patienten. Bei postoperati-
bei blockieren sie die für einen normalen Ablauf
ven Patienten werden 0,05–0,1 μg/kg/min als
der Carboxylierungsprozesse notwendige Rege-
Dauerinfusion verabreicht. Die Überwachung
nerierung von Vitamin-K-Hydrochinon aus
der Antikoagulation kann mit der aktivierten
Vitamin-K-Epoxid durch Hemmung der Vit-
partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) erfolgen,
amin-K-Epoxid-Reduktase. Dies betrifft neben
die Ziel-aPTT liegt bei 50–60 Sekunden.
den beschriebenen Gerinnungsfaktoren auch
Der Metabolismus erfolgt durch Hydroxylie-
Protein C und Protein S.
rung und Aromatisierung mit konsekutiver bili-
Dieser Mechanismus macht verständlich, wa-
ärer Sekretion in die Fäzes. Die Halbwertszeit
rum die Wirkung dieser Substanzen nicht so-
beträgt knapp 1 h.
fort, sondern erst nach einer Latenz eintritt. Erst
wenn die Konzentration der im Blut vorhande-
Vitamin-K-Antagonisten
nen Gerinnungsfaktoren unter einen kritischen
Dicoumarol und Dicoumarol-Analoga hemmen
Wert absinkt, wird die verringerte oder fehlende
als Vitamin-K-Antagonisten die Synthese von
Neubildung in der Leber manifest. Die Halb-
funktionstüchtigem Prothrombin sowie die der
wertszeiten der betroffenen Gerinnungsfakto-
Faktoren VII, IX und X in der Leber. Sie sind so-
ren sind dabei sehr unterschiedlich. Neben den
mit indirekte Antikoagulanzien. Therapeutisch
Gerinnungsfaktoren benötigt eine Reihe weite-
eingesetzt werden Warfarin (Coumadin®) und
rer Proteine die Carboxylierung für ihre norma-
Phenprocoumon (z. B. Marcumar®).
le Funktion.
Warfarin (Halbwertszeit 40 Stunden) wirkt
mittellang. Es handelt sich um ein Racemat, wo- Kinetik. Nach oraler Gabe werden die Vitamin-
bei das S-Enantiomer eine wesentlich stärkere K-Antagonisten gut resorbiert. Bemerkenswert
antikoagulatorische Wirkung als das R-Enantio- ist ihre hohe Plasmaeiweißbindung (Phenpro-
mer besitzt. Warfarin wird über CYP2C9 ver- coumon über 99 %, Warfarin ca. 90 %).
stoffwechselt, das einen genetischen Polymor-
Indikationen. Vitamin-K-Antagonisten sind
phismus aufweist. Es gibt Hinweise, dass Patien-
wie Heparin zur Prophylaxe und Therapie von
ten mit verringerter CYP2C9-Aktivität bei Gabe
Thromboembolien indiziert und eignen sich vor
von Standarddosen einem höheren Blutungsri-
allem zur Langzeittherapie.
siko ausgesetzt sind.
Phenprocoumon (Halbwertszeit 150 Stun- Bei der Einleitung der Therapie mit Vitamin-K-
den) ist ein Präparat mit Langzeitwirkung. Da- Antagonisten muss immer zusätzlich ein paren-
bei ist zu berücksichtigen, dass die Elimina- terales Antikoagulans gegeben werden, z. B. ein
tionsgeschwindigkeit interindividuell stark LMWH. Neben den prokoagulatorischen Ge-
schwankt. Diese Schwankungen sind zumindest rinnungsfaktoren II, VII, IX und X sind nämlich
teilweise auf eine interindividuelle Variabilität auch die antikoagulatorischen Gerinnungsfak-
23.1 Blut 299

toren Protein C und Protein S Vitamin-K- toren eine gewisse Zeit (ca. 6–12 Stunden) erfor-
abhängig. Vor allem Protein C hat eine sehr viel dert. Ist eine sofortige Wiederherstellung der
kürzere Halbwertszeit (wenige Stunden) als z. B. Blutgerinnungsfähigkeit notwendig, müssen
Faktor X (mehrere Tage). Hierdurch wird zu Be- Gerinnungsfaktoren gegeben bzw. bei schweren
ginn der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten Blutungen Bluttransfusionen vorgenommen
ein Protein-C-Mangel induziert, während die werden.
Werte für Faktor X und Faktor II noch normal
sind. In dieser prokoagulatorischen Phase ist das ႒ Tab. 23.2 Verstärkung und Abschwächung der
Risiko für einen Gefäßverschluss deutlich er- Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten durch Zweit-
höht, wenn die Gerinnung nicht durch ein par- pharmaka (Auswahl)
enterales Antikoagulans gehemmt wird. Bei Pa- Pharmakodynamische Pharmakokinetische
tienten mit schwerem angeborenem Protein-C- Interaktionen1 Interaktionen
Mangel, die bei Einleitung einer Therapie mit
Verstärkung
Vitamin-K-Antagonisten besonders gefährdet
sind, kann Protein C (CEPROTIN) substituiert 󠀂 Antikoagulanzien, 󠀂 CYP2C9-Inhibitoren,
werden. z. B. Heparine, NOAK z. B. Amiodaron,
(z. B. Rivaroxaban), Fluconazol, Fluva-
Dosierung. Die Dosierung der Vitamin-K-Ant- 󠀂 Thrombozytenag- statin, Metronid-
agonisten erfolgt individuell (übliche Erhal- gregationshemmer, azol, Phenylbuta-
tungsdosen von Phenprocoumon 1,5–6 mg/Tag, z. B. Clopidogrel, zon,
von Warfarin 5–15 mg/Tag). Eine Überwachung ASS, NSAIDs (z. B. 󠀂 CYP3A4-Inhibito-
der Behandlung erfolgt durch Bestimmung des Naproxen), ren, z. B. Azol-Anti-
󠀂 SSRI2 (z. B. Escitalo- mykotika, Makrolid-
International-Normalized-Ratio-(INR-)Werts.
pram), SNRI (z. B. Antibiotika, Grape-
Für die wichtigsten Indikationen wird ein INR-
Venlafaxin), tricycli- fruit,
Wert von 2–3 angestrebt, ein INR-Wert von 4,5 sche Antidepressiva 󠀂 Fibrate, Phenylbu-
sollte wegen Blutungsgefahr nicht überschritten (z. B. Amitriptylin), tazon (u. a. Ver-
werden (Normalwert 1). Tramadol, drängung der
󠀂 Antibiotika3, Cumarine aus der
Nebenwirkungen, Kontraindikationen. Die un- 󠀂 Levothyroxin4 Plasmaprotein-
erwünschten Wirkungen und Gegenanzeigen bindung)
sind ähnlich wie bei Heparin. Zusätzlich können
Abschwächung
bei den Vitamin-K-Antagonisten, vor allem bei
Frauen nach einer Geburt und im Klimakteri- 󠀂 Vitamin-K-reiche 󠀂 CYP-Induktoren
um, Hautnekrosen (Prädilektionsstellen Ober- Nahrungsmittel, z. B. Rifampicin,
schenkelinnenseite, Bauch, Brustdrüsen) auftre- z. B. Grünkohl, Carbamazepin,
ten, insbesondere nach Gabe hoher Anfangsdo- Rosenkohl, Glucocorticoide,
Brokkoli, Spinat Johanniskraut,
sen. Auch dürfen Cumarin-Derivate im Gegen-
Phenobarbital,
satz zu Heparin nicht in der Schwangerschaft
Phenytoin
und während des Stillens gegeben werden, da sie 󠀂 Colestyramin
die Plazentaschranke passieren und auch in die (Hemmung der
Milch übergehen können. Resorption)

Vitamin K als Antidot. Durch hohe Dosen von 1

Vitamin K ist die Wirkung der Dicoumarol-De-


Schwerwiegende Blutungen werden hauptsächlich durch pharma-
kodynamische Interaktionen hervorgerufen. 23
2 SSRI, SNRI, tricyclische Antidepressiva und auch Tramadol hemmen

rivate aufhebbar. Doch muss wie beim Wir- die Aufnahme von Serotonin in Thrombozyten und damit die
Thrombozytenfunktion.
kungseintritt der Vitamin-K-Antagonisten mit 3 Evtl. reduzierte Vitamin-K-Resorption und reduzierte Bildung von

einer Latenz gerechnet werden, da die Synthese Vitamin K2 durch Darmbakterien; bestimmte Cephalosporine hem-
men außerdem das Vitamin-K-Recycling ähnlich wie Cumarine.
einer ausreichenden Menge von Gerinnungsfak- 4 Gesteigerte Metabolisierung der Gerinnungsfaktoren.
300 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Interaktionen. Die Gabe von Vitamin-K-Ant- Dabigatranetexilat, Apixaban, Edoxaban und


agonisten zusammen mit anderen Wirkstoffen Rivaroxaban sind Substrate für die Efflux-Trans-
kann wegen der geringen therapeutischen Breite porter P-gp (ABCB1) und BCRP (ABCG2). So-
der Cumarin-Derivate zu schweren Wechselwir- mit steigt die Bioverfügbarkeit, wenn gleichzei-
kungen führen. Die wichtigsten sind in tig starke P-gp-Inhibitoren eingenommen wer-
႒ Tab. 23.2 zusammengefasst. den. Hieraus erwächst ein Interaktionspotenzial
mit Inhibitoren und Induktoren von P-gp. Dem-
Selektive orale Thrombin- und Faktor-Xa- zufolge sollten NOAK nicht mit z. B. Verapamil,
Inhibitoren Clarithromycin, Azol-Antimykotika oder HIV-
Auch wenn der klinische Nutzen der Vitamin- Proteaseinhibitoren kombiniert werden. Das
K-Antagonisten zweifelsfrei nachgewiesen wer- gleiche gilt für z. B. Rifampicin, Johanniskraut
den konnte, ist ihr Einsatz durch die beschriebe- und Carbamazepin.
nen Neben- und Wechselwirkungen sowie die Dabigatranetexilat (Pradaxa®) ist ein Pro-
Notwendigkeit eines regelmäßigen Therapeuti- drug, das rasch durch plasmatische und hepati-
schen Drugmonitorings erschwert. Mit den sche Esterasen zu Dabigatran bioaktiviert wird.
neuen direkten Thrombin- und Faktor-Xa-Inhi- Dabigatran verhindert die Thrombin-induzierte
bitoren stehen nun Alternativen unter der Be- Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin sowie
zeichnung NOAK (neue orale Antikoagulanzi- die Thrombin-abhängige Thrombozytenaggre-
en) zur Verfügung. Hierzu gehören der kompe- gation und damit die Entstehung von Throm-
titive und reversible Thrombinhemmer Dabi- ben. Neben freiem wird auch Fibrin-gebunde-
gatranetexilat sowie die selektiven und nes Thrombin durch Dabigatran gehemmt. Die
reversiblen Faktor-Xa-Hemmer Apixaban, Dosierung beträgt bei Knie- und Hüftgelenko-
Edoxaban und Rivaroxaban. perationen einmal täglich 220 mg, bei Vorhof-
flimmern mit normaler Nierenfunktion zwei-
Indikationen. Die NOAK sind derzeit zugelas-
mal täglich 150 mg. Patienten > 80 Jahre sowie
sen bei erwachsenen Patienten zur Prophylaxe
mit erhöhter Blutungsgefahr erhalten zweimal
und Therapie von tiefen Venenthrombosen
täglich 110 mg peroral.
(TVT) und Lungenembolien (LE), insbesondere
Die orale Bioverfügbarkeit von Dabigatran
nach elektiven Hüft- oder Kniegelenkoperatio-
liegt bei nur 6.5 %. Es wird überwiegend unver-
nen. Weiterhin sind sie indiziert zur Prophylaxe
ändert renal ausgeschieden. Nur ein kleiner Teil
von Schlaganfällen und systemischen Embolien
wird zu Acylglucuroniden verstoffwechselt. Die
bei nicht valvulärem Vorhofflimmern. Dies
Halbwertszeit beträgt 12–14 Stunden. Aufgrund
trifft insbesondere bei Patienten zu, die bereits
dieser pharmakokinetischen Eigenschaften ist
einen Schlaganfall oder eine transitorische isch-
verständlich, dass bei Patienten mit einge-
ämische Attacke erlitten haben, bzw. die eine
schränkter Nierenfunktion mit einer Kumulati-
Herzinsuffizienz oder eine linksventrikuläre
on von Dabigatran und dadurch mit einer ver-
Auswurffraktion von weniger als 40 % aufwei-
stärkten Wirkung zu rechnen ist.
sen.
Rivaroxaban (Xarelto®) greift wie Apixaban
Nebenwirkungen, Interaktionen. Ihren Wir-
und Edoxaban (s. u.) durch Hemmung von Fak-
kungen entsprechend sind Haut-, Weichteil-,
tor Xa an einer zentralen Stelle in die Gerin-
Hirn-, Nasen- sowie Vaginalblutungen die wich-
nungskaskade ein, da Faktor Xa, der die Um-
tigsten Nebenwirkungen der NOAK. Bei schwe-
wandlung von Prothrombin zu Thrombin kata-
rer Beeinträchtigung der Nieren- und Leber-
lysiert, sowohl für den intrinsischen als auch für
funktion sind sie kontraindiziert. Durch andere
den extrinsichen Weg der Gerinnung benötigt
Antikoagulanzien sowie durch Thrombozyten-
wird. Die Faktor-Xa-Hemmung ist konzen-
aggregationshemmer wird die Blutungsgefahr
trationsabhängig und klingt mit einer Halb-
erhöht.
23.1 Blut 301

wertszeit von 7–11 Stunden ab. Die Bioverfüg- ren, sodass Rückschlüsse auf Veränderungen
barkeit beträgt 80–100 %. der Hämostase nur bedingt möglich sind. Die
Die perorale Dosierung beträgt einmal täg- herkömmlichen Gerinnungstests (INR, aPTT)
lich 10 mg bei Patienten mit Hüft- und Kniege- werden daher nicht zur Beurteilung der phar-
lenkoperationen sowie einmal täglich 20 mg bei makodynamischen Wirkungen von NOAK
Vorhofflimmern. Zur Behandlung von tiefen empfohlen. In klinischen Laboratorien sind al-
Venenthrombosen (TVT) sowie zur Sekundär- lerdings mittlerweile spezifische Tests für das
prophylaxe von TVT und Lungenembolie (LE) Monitoring von Rivaroxaban, Apixaban und
nach TVT werden während drei Wochen zwei- Edoxaban (Anti-Xa-Aktivität) und Dabigatran
mal täglich 15 mg, anschließend einmal täglich (modifizierte Thrombinzeit, z. B. Hemoclot-
20 mg pro Tag eingenommen. Für die Dosierung Thrombin) etabliert. Das Ausmaß und die Leta-
zweimal täglich 2,5 mg, zusätzlich eingenom- lität von NOAK-induzierten zerebralen Blutun-
men zu Acetylsalicylsäure (eventuell plus Clopi- gen können durch Gabe von Prothrombinkom-
dogrel), besteht eine Indikation für die Prophy- plexpräparaten (s. o.) reduziert werden. Ein
laxe atherothrombotischer Ereignisse nach aku- spezifisches Antidot bei Überdosierung bzw.
tem Koronarsyndrom mit erhöhten kardialen Blutungen von Dabigatran ist Idarucizumab
Biomarkern. (Praxbind®), ein humanisiertes Antikörper-
Zwei Drittel einer Dosis von Rivaroxaban Fragment (Fab), das Dabigatran spezifisch bin-
werden mittels CYP3A4 metabolisiert, das letzte det und somit inhibiert. Mit Idarucizumab ist
Drittel wird unverändert renal ausgeschieden. somit eine rasche Aufhebung der gerinnungs-
Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion ist da- hemmenden Wirkung von Dabigatran möglich.
her Vorsicht geboten und bei einer Kreatinin-
Clearance unter 15 ml/min sollte die Substanz 23.1.3.4 Fibrinolytika (Thrombolytika)
nicht eingesetzt werden. Ist es zur Thrombenbildung in den Gefäßen ge-
kommen, können die Gerinnsel durch die be-
Apixaban (Eliquis®) besitzt eine Bioverfügbar-
schriebenen Antikoagulanzien nicht mehr auf-
keit von 50 %. Es wird mit einer Halbwertszeit
gelöst werden. Dagegen gelingt eine Fibrinolyse
von 12 Stunden zu etwa einem Drittel unverän-
und damit eine Thrombolyse in einem hohen
dert über die Niere ausgeschieden. Ein signifi-
Prozentsatz mit Thrombolytika (Plasminogen-
kanter Anteil wird über CYP3A4 verstoffwech-
aktivatoren, indirekten Fibrinolytika), insbe-
selt.
sondere wenn die Therapie möglichst rasch
Die Dosierung beträgt zur Prophylaxe von
nach der Thrombenbildung eingeleitet wird. Sie
TVT und LE 2,5 mg zweimal täglich. Zur Pro-
ist angezeigt bei frischem Myokardinfarkt, wenn
phylaxe von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern
keine Möglichkeit zur sofortigen Koronarinter-
sind 5 mg zweimal täglich erforderlich, ebenso
vention besteht, ischämischem Hirninfarkt
bei der Therapie von TVT und LE.
(Apoplex), akuten Verschlüssen von Extremitä-
Edoxaban (Lixiana®) weist eine Bioverfügbar- tenarterien, frischen Venenthrombosen des Be-
keit von 60 % auf, die durch Nahrung nicht be- ckens und der Extremitäten, Lungenembolien
einflusst wird. Die Halbwertszeit liegt bei 10–14 sowie Thrombosierung von arteriovenösen
Stunden. Für alle Indikationen beträgt die Dosis Shunts bei Dialysepatienten.
60 mg einmal täglich. Häufig treten Anämie und Bei Herzinfarktpatienten kann eine Rekanali-
Leberfunktionsstörung auf. sation verschlossener Koronargefäße in etwa 23
60–80 % der Fälle erreicht werden, doch ist eine
Die Interpretation von Laborwerten ist bei einer
Lysetherapie nur sinnvoll, wenn sie spätestens 6
Therapie mit NOAK erschwert, da die bei den
Stunden nach dem Infarkt durchgeführt wird.
therapeutischen Dosen beobachteten Verände-
Besonders gute Erfolge werden bei gleichzeitiger
rungen der Gerinnungsparameter sehr variie-
302 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Gabe eines Fibrinolytikums mit Thrombozyten- Reteplase (Rapilysin®) besteht aus einer Teil-
aggregationshemmern erreicht. Bei Patienten sequenz von t-PA (355 Aminosäuren) und be-
mit Hirninfarkten kann eine systemische Thera- sitzt eine längere Halbwertszeit als Alteplase.
pie mit Alteplase (s. u.) in entsprechend dafür Das Protein wird überwiegend renal eliminiert.
ausgerüsteten Abteilungen („stroke units“) Die Dosierung beträgt für Reteplase bei Ver-
durchgeführt werden. dacht auf Herzinfarkt mit anhaltender ST-He-
Die wichtigsten unerwünschten Wirkungen bung oder frischem Linksschenkelblock zwei-
sind Blutungskomplikationen. Bei Gabe von mal 560 mg als Bolusinjektion im Abstand von
Streptokinase (s. u.) ist außerdem mit allergi- 30 min.
schen Reaktionen zu rechnen. Die Gegenanzei- Tenecteplase (Metalyse®) hat durch struktu-
gen sind die gleichen wie bei einer Antikoagu- relle Änderungen eine längere Halbwertszeit als
lanzientherapie. t-PA und wird in geringerem Ausmaß durch den
Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) in-
Als Thrombolytika werden Urokinase und Ge-
aktiviert. Von der Substanz werden körperge-
webeplasminogenaktivator bzw. dessen Analog-
wichtsabhängig maximal 50 mg als Einmalbolus
substanzen Reteplase und Tenecteplase, als kör-
gegeben. (Patienten mit einem Körpergewicht
perfremder Stoff Streptokinase verwendet.
< 60 kg erhalten maximal 30 mg.)
Urokinase (Urokinase HS medac) ist als re-
Streptokinase (Streptase®) wird von β-hämo-
kombinante, endogen im Urin vorkommende,
lysierenden Streptokokken gebildet und besitzt
Serinprotease in der Lage, Plasminogen in Plas-
selbst keine enzymatische Aktivität. Erst der aus
min umzuwandeln. Die Standarddosen für Uro-
Streptokinase mit Plasminogen gebildete Kom-
kinase betragen 3500–4500 IE/kg Körperge-
plex wirkt aufgrund einer Konformationsände-
wicht initial, anschließend gleiche Dosis stünd-
rung von Plasminogen als Plasminogenaktiva-
lich als Dauertropfinfusion.
tor. Die Dosierung für Streptokinase bei tiefer
Gewebeplasminogenaktivator (tissue-type
Venenthrombose, Lungenembolie, Thrombosen
plasminogen activator = t-PA), ein in Endothel-
der peripheren Arterien und Verschluss der
zellen vorkommender Plasminogenaktivator,
Zentralgefäße des Auges sowie arteriellen Ver-
wird gentechnologisch hergestellt (Alteplase;
schlusskrankheiten in der Langzeitlyse beträgt
rekombinanter Plasminogen-Aktivator = rt-PA;
250 000 IE initial während 30 min, dann stünd-
Actilyse®). Obwohl rt-PA im Gegensatz zu den
lich 100 000 IE. Beim akuten Myokardinfarkt
anderen Plasminogenaktivatoren erst durch
werden in der Kurzzeitlyse 1,5 Mio IE während
Bindung an Fibrin seine volle enzymatische Ak-
einer Stunde appliziert. Die Streptokinase-Dosis
tivität gewinnt – fibringebundenes rt-PA hat
ist zu Behandlungsbeginn deswegen so hoch,
eine wesentlich höhere Affinität zu Plasminogen
weil bei nahezu allen Patienten infolge voraus-
als nicht gebundenes – und dadurch eine hohe
gegangener Streptokokkeninfektionen Antikör-
Thrombusselektivität besteht, ist auch bei An-
per gegen Streptokinase vorliegen, deren inhibi-
wendung dieses Stoffs eine systemische Aktivie-
torische Wirkung zu Behandlungsbeginn erst
rung des Fibrinolysesystems möglich. Das Pro-
aufgehoben werden muss.
tein hat eine kurze Halbwertszeit von 5–10 min
(rasche Inaktivierung durch Plasminogen-Akti-
23.1.3.5 Antifibrinolytika
vator-Inhibitor-1).
Eine gesteigerte Fibrinolyse (Hyperfibrinolyse)
Bei Myokardinfarkt wird zunächst ein Bolus
findet man bei zahlreichen pathologischen Zu-
von 15 mg i. v. appliziert, gefolgt als Infusion von
ständen, u. a. bei verschiedenen Schockformen,
50 mg in 30 min und abschließend 35 mg in 60
nach Operationen im Urogenitalbereich (Uroki-
min (Gesamtdosis 100 mg). Bei Hirninfarkt be-
nase-Freisetzung), bei Leukosen, Karzinomen
trägt die Dosierung 0,9 mg/kg (maximal 90 mg)
und Leberzirrhosen. Auch im Rahmen einer fib-
i. v. innerhalb von 60 min.
rinolytischen Therapie kann es zu Hyperfibri-
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 303

nolyse mit der Gefahr von Blutungen kommen. Ablagerung in der Gefäßwand (Plaque) bilden.
Therapeutisch können in solchen Fällen unter Eine LDL-Reduktion durch Lipidsenker führt
strenger Kontrolle des Gerinnungsstatus daher zu einer reduzierten Progredienz der Bil-
Hemmstoffe der Fibrinolyse (Antifibrinolytika) dung von arteriosklerotischen Ablagerungen in
verabreicht werden. Dazu gehören Tranexam- der Gefäßwand.
säure (Cyklokapron®) und p-Aminomethyl-
Hyperlipoproteinämien. Störungen im Lipid-
benzoesäure (Pamba®). Diese Substanzen be-
stoffwechsel treten bei einem Drittel der Ge-
setzen die Lysinbindungsstellen am Plasmino-
samtbevölkerung auf. Sie äußern sich vor allem
gen und verhindern so dessen Bindung an Fib-
als Hyperlipoproteinämien, d. h. in einer Ver-
rin. Weiterhin hemmen sie irreversibel die
mehrung einer oder mehrerer Lipoproteinfrak-
physiologischen Plasminogenaktivatoren und
tionen. Den primären Hyperlipoproteinämien
dadurch die Spaltung von Peptidbindungen, an
liegen (mono-)genetisch bedingte Störungen
denen Lysin beteiligt ist. Auf diese Weise blo-
des Lipidstoffwechsels, den sekundären For-
ckieren sie die Umwandlung von Plasminogen
men Krankheiten wie Hypothyreose, Diabetes
zu Plasmin.
mellitus, Gicht oder nephrotisches Syndrom zu-
Bei einer Halbwertszeit von zwei Stunden
grunde. Die ernährungsbedingte oder reaktive
hält die Wirkung etwa 4–6 Stunden an. Der
Hyperlipidämie entsteht durch übermäßige Zu-
überwiegende Teil der Substanzen wird unver-
fuhr von Fetten sowie Übergewicht und Alko-
ändert über die Niere ausgeschieden. Die Dosie-
holabusus. Die häufigste Form jedoch ist die
rung beträgt von Tranexamsäure 250–500 mg
sog. polygene Hyperlipoproteinämie, die 70 %
langsam i. v., dann 125 mg/Stunde als Dauer-
der Patienten mit zu hohem Cholesterol betrifft.
tropfinfusion, von p-Aminomethylbenzoesäure
Sie entsteht durch ein Zusammenspiel mehrerer
500–750 mg/Tag oral. Als Nebenwirkungen tre-
disponierender Genveränderungen, deren Aus-
ten orthostatische Dysregulation sowie Übel-
wirkung durch zusätzliche – typischerweise
keit, Erbrechen und Diarrhö auf.
durch die zuvor genannten – Risikofaktoren
Bei schweren Nierenfunktionsstörungen sind
verstärkt wird.
die Verbindungen wegen Kumulationsgefahr
kontraindiziert. Bei Thromboseneigung und Therapie von Hyperlipoproteinämien. Grund-
während einer Schwangerschaft dürfen sie nur lage jeder Behandlung einer Hyperlipoproteinä-
bei strengster Indikationsstellung eingesetzt mie ist eine entsprechende Diät. Es muss für
werden. eine Gewichtsnormalisierung eine geeignete
Nahrungszusammensetzung (ca. 55 % der Nah-
rungsenergie als Kohlenhydrate, bis zu 30 % als
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf Fette – davon je 10 % mit gesättigten, einfach
ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fett-
23.2.1 Hyperlipoproteinämien säuren – sowie 10–20 % als Proteine) und eine
(Hyperlipidämien) tägliche Ballaststoffzufuhr (Gemüse, Früchte
23.2.1.1 Pathophysiologische Grundlagen u. a.) von mindestens 35 g gesorgt werden. Die
Die Entstehung der Arteriosklerose ist eng mit Cholesterolaufnahme sollte 300 mg/Tag nicht
den Lipidblutspiegeln assoziiert. Besondere Be- überschreiten. Ist mit den diätetischen Maßnah-
deutung kommt dabei den Low-density-Lipo- men allein keine ausreichende Normalisierung
proteinen (LDL) zu. LDL kann in die Gefäß- des Lipidblutspiegels möglich und besteht da- 23
wand eingelagert werden und wird dort teilweise durch ein erhöhtes Arterioskleroserisiko, sind
in oxidiertes LDL umgewandelt. Vor allem die- zusätzlich lipidsenkende Medikamente in Erwä-
ses wird durch Makrophagen phagozytiert, die gung zu ziehen.
sich anschließend in Schaumzellen umwandeln Angestrebt wird – neben einem HDL
und damit den Kern einer arteriosklerotischen > 35 mg/dl bei Männern und > 40 mg/dl bei
304 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Frauen – bei Patienten ohne weitere Risikofak- ႒ Tab. 23.3 Statine


toren eine LDL-Konzentration < 155 mg/dl, eine
INN (Handelspräparat) Dosierung (HWZ)
Gesamtcholesterolkonzentration < 215 mg/dl
und eine Triglyceridkonzentration < 200 mg/dl. Atorvastatin (z. B. Sortis®) 10–80 mg (14 h)
Bei Patienten mit weiteren Risikofaktoren
Fluvastatin (LOCOL®) 40–80 mg (2 h)
(HDL-Konzentration < 35 mg/dl, männliches
Geschlecht, Zigarettenrauchen, familiäre Belas- Lovastatin (Generika) 10–80 mg (1–2 h)
tung, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, korona-
re Herzkrankheit) sollte eine LDL-Konzen- Pravastatin (Pravasin®) 10–40 mg (2 h)
tration < 100 mg/dl, eine Gesamtcholesterolkon- Rosuvastatin (CRESTOR®) 5–20 mg (19 h)
zentration < 180 mg/dl und eine Triglyceridkon-
zentration < 150 mg/dl erreicht werden. Bei Simvastatin (z. B. ZOCOR®) 5–80 mg (2 h)
Patienten mit sehr hohem Risiko ist eine LDL-
Konzentration von < 70 mg/dl anzustreben.
Pleiotrope Effekte. Außer der Lipidsenkung
23.2.1.2 Lipidsenker werden Statinen zahlreiche zusätzliche, sog.
Statine (CSE-Hemmer) pleiotrope Effekte zugeschrieben z. B. verstärkte
Eine besonders effektive Möglichkeit zur Sen- Expression der NO-Synthase mit der Folge einer
kung eines erhöhten Cholesterol-Blutspiegels Vasodilatation, ferner antientzündliche und an-
besteht in der Blockade der HMG-CoA-Reduk- tioxidative Wirkungen, die sehr wahrscheinlich
tase, dem Schrittmacherenzym der endogenen wesentlich an der Wirksamkeit der Statine betei-
Cholesterolsynthese. Sinkt durch die Hemmung ligt sind.
des Enzyms, insbesondere in der Leber, die in-
Kinetik. Nach oraler Gabe werden CSE-Hem-
trahepatozytäre Cholesterolkonzentration, wer-
mer nur teilweise resorbiert und unterliegen ei-
den im Sinne eines Feedback-Mechanismus
nem ausgeprägten First-Pass-Effekt, woran ver-
mehr LDL-Rezeptoren gebildet, damit mehr
schiedene CYP-Enzyme beteiligt sind. Dieser
Cholesterol aus dem Blut aufgenommen werden
oxidative Stoffwechsel führt mit Ausnahme von
kann. Als Folge davon nehmen die LDL-Kon-
Fluvastatin und Pravastatin zu aktiven Metabo-
zentration sowie die des Gesamt-Cholesterols im
liten. Die Bioverfügbarkeit der einzelnen Sub-
Blut ab. Außerdem wird durch CSE-Hemmer die
stanzen ist sehr unterschiedlich. Bei Simvastatin
HDL-Konzentration etwas erhöht und die
nimmt bei gleichzeitiger Nahrungszufuhr die
Triglycerid-Konzentration in Abhängigkeit vom
Resorptionsquote zu, bei Pravastatin ab. Die
Ausgangswert gesenkt. In Langzeitstudien mit
Ausscheidung erfolgt renal und mit den Fäzes.
Statinen konnte sowohl eine signifikante Abnah-
me der Herzinfarktrate als auch eine Senkung Nebenwirkungen und Interaktionen. CSE-
der Gesamtmortalität nachgewiesen werden. Hemmer sind im Allgemeinen gut verträglich.
Die Statine (႒ Tab. 23.3) unterscheiden sich Als unerwünschte Wirkungen werden gastroin-
erheblich in ihrer Pharmakokinetik und in ihrer testinale Störungen, Kopfschmerzen, Müdig-
Wirkstärke. Die Senkung von LDL- sowie die keit, Schlafstörungen, Juckreiz und Mundtro-
des Gesamtcholesterols variiert dosis- und sub- ckenheit, Überempfindlichkeitsreaktionen, fer-
stanzabhängig zwischen 20 und 60 %. Bei Sim- ner Anstieg der Serum-Transaminasenwerte
vastatin handelt es sich um ein inaktives Lacton und der Bilirubin-Plasmakonzentration sowie
(Prodrug), das vor allem in der Leber in die akti- Myalgien, Myopathien und selten auch Linsen-
ve ringoffene Form, die Hydroxysäure, über- trübungen beobachtet.
führt wird. Die anderen CSE-Hemmer werden Überdosierung oder Interaktionen mit ande-
dagegen in Form der aktiven Hydroxysäure ren Pharmaka können zu Myopathie und im Ex-
appliziert. tremfall zu Rhabdomyolyse (Auflösung der
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 305

quergestreiften Muskulatur) führen, da hohe system abgebaut, sondern durch Glucuronyl-


Gewebekonzentrationen von CSE-Hemmern transferasen zum Glucuronid verstoffwechselt,
den myozytären Energiestoffwechsel blockie- das ebenfalls die Cholesterolresorption hemmt.
ren. Solche Wechselwirkungen treten besonders Die Plasmaproteinbindung beträgt 99,7 %, die
dann auf, wenn Statine mit niedriger Bioverfüg- Halbwertszeit der Ausgangssubstanz bzw. die
barkeit und hohem CYP3A4-vermitteltem First- des Metaboliten 22 Stunden. Ezetimib kann da-
Pass-Stoffwechsel mit Substanzen kombiniert her einmal täglich gegeben werden (Standard-
werden, die CYP3A4 hemmen. Außerdem dosis 10 mg).
konnte gezeigt werden, dass ein genetischer Po- Als Nebenwirkung von Ezetimib wurde in
lymorphismus im hepatischen Aufnahmetrans- Einzelfällen eine Erhöhung der Serumtransami-
porter OATP1B1 die hepatische Statinabsorpti- nasen beobachtet, die im Allgemeinen asympto-
on herabsetzt und dadurch den Plasmaspiegel matisch und reversibel war. Außerdem wurde
von Statinen und die Häufigkeit muskulärer Ne- über gastrointestinale Störungen berichtet.
benwirkungen erhöht. Das Vorkommen des po- Da die Hemmung der Cholesterolresorption
lymorphen Allels liegt bei 15 % in der europäi- zu einer gesteigerten endogenen Cholesterol-
schen Bevölkerung. synthese führt, erschien die Kombination von
Bei gleichzeitiger Gabe von CSE-Hemmern Ezetimib mit einem Statin sinnvoll. Additive
mit Antikoagulanzien vom Cumarin-Typ kann LDL-Cholesterol-senkende Effekte wurden
deren antikoagulierende Wirkung verstärkt dann tatsächlich für die Kombination von Ezeti-
werden. (Dies ist in besonderem Maß bei Flu- mib mit allen Statinen nachgewiesen. Günstig
vastatin zu erwarten, da dieses ebenso wie die ist auch, dass aufgrund der unterschiedlichen
Cumarin-Antikoagulanzien durch CYP2C9, Metabolisierungswege der beiden Wirkstoffe
verstoffwechselt wird.) Da aber die Kompetition keine pharmakokinetischen Interaktionen bei
um verstoffwechselnde Enzyme nur einen Teil der Kombination auftreten. Eine fixe Kombina-
der Wechselwirkungen erklärt, sind vermutlich tion von Ezetimib mit Simvastatin ist beispiels-
auch andere Prozesse für das Wechselwirkungs- weise INEGY®. Allerdings gibt es für die Ezeti-
potenzial der CSE-Hemmer von Bedeutung. mib/Statin-Kombinationen aus großen kontrol-
lierten klinischen Studien bisher keine Daten,
Kontraindikationen. Bei Lebererkrankungen,
die im Vergleich mit der alleinigen Statingabe
vorbestehenden Myopathien sowie in der
eine signifikante Verringerung kardiovaskulärer
Schwangerschaft und Stillperiode sind CSE-
Ereignisse oder eine Erniedrigung der kardio-
Hemmer kontraindiziert.
vaskulären Mortalität zeigen.

Cholesterol-Resorptionshemmer Ionenaustauscher und Omega-3-Säurenethyl-


Die Resorption von Cholesterol im Dünndarm, ester
das entweder mit der Nahrung zugeführt oder Colestyramin (z. B. Quantalan®) ist ein basi-
in die Galle sezerniert wurde, ist ein wichtiger sches Ionenaustauscherharz, das Gallensäuren
Prozess, der die Menge des im Organismus be- bindet. Dadurch kann die wegen des enterohe-
findlichen Cholesterols mitbestimmt. Ezetimib patischen Kreislaufs normalerweise geringe Gal-
(EZETROL®) blockiert selektiv das für die intes- lensäurenausscheidung bis fast auf das Zehnfa-
tinale Resorption von Cholesterol verantwortli- che gesteigert werden. Das Gallensäure-Defizit
che Protein NPC1L, das auch an der Resorption wird durch Neusynthese aus Cholesterol ausge- 23
von verwandten Phytosterolen beteiligt ist. Eze- glichen und damit dessen intrazelluläre Konzen-
timib ist indiziert (allein oder in Kombination tration gesenkt. Die Folge ist eine Zunahme der
mit Statinen) zur Behandlung von Hypercholes- LDL-Rezeptoren auf den Hepatozyten, wodurch
terolämien sowie einer Sitosterolämie. Nach mehr LDL aus dem Blut in die Leber aufgenom-
oraler Gabe wird es nicht über das P450-Enzym- men wird und damit der Blutcholesterol-Spiegel
306 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

abnimmt. Colestyramin ist indiziert zur Kombi- chend wurden sie mit Ausnahme der nachste-
nationstherapie mit einem Statin, um eine addi- hend beschriebenen Verbindungen vom Markt
tive Reduktion des LDL-Cholesterolspiegels bei genommen.
primärer Hypercholesterolämie zu erzielen. Fer- Bezafibrat (Befibrat®) und dessen Analogon
ner ist es als Monotherapeutikum für Hypercho- Gemfibrozil (Gevilon®) senken den Triglyce-
lesterolämie-Patienten zugelassen, bei denen ein rid-Blutspiegel durch Steigerung der Aktivität
Statin nicht vertragen wird. Daneben wird es bei der Lipoproteinlipase und damit vermehrter
chologener Diarrhö angewandt. Die Dosierung Umwandlung von VLDL – über IDL – zu LDL
beträgt 12–24 g pro Tag. Als Nebenwirkungen um 30–50 %. Außerdem werden die VLDL-Frei-
sind Obstipation, Steatorrhö als Folge einer Fett- setzung aus der Leber und die hepatische Cho-
resorptionsstörung und andere gastrointestinale lesterolbildung verringert. Der HDL-Spiegel
Beschwerden sowie bei längerer Anwendung steigt. Die letzteren Effekte der Fibrate sind
auch Hypovitaminosen der fettlöslichen Vit- durch Stimulation des nukleären Transkripti-
amine zu nennen. Wird Colestyramin gleichzei- onsfaktors PPARα vom Typ der Peroxisomen-
tig zusammen mit Cumarin-Derivaten, Digita- Proliferator-aktivierten Rezeptoren erklärbar.
lis-Glykosiden, Schilddrüsenhormonen oder Bezafibrat und Gemfibrozil sind nur indiziert
Tetracyclinen eingenommen, verringert es deren bei schwerer Hypertriglyceridämie sowie bei ge-
Resorption. Durch die neueren Lipidsenker hat mischten Hyperlipidämien, wenn ein Statin
die Bedeutung von Colestyraminn erheblich ab- nicht vertragen wird. Der therapeutische Nut-
genommen. zen einer Senkung der Triglyceride wird aller-
Mit Colesevelam (Cholestagel®) steht ein dings kontrovers diskutiert. Unumstritten ist,
weiteres Gallensäure-bindendes Polymer für die dass sehr hohe Triglyceridkonzentrationen zu
genannten Indikationen zur Verfügung. Außer- einer Pankreatitis führen können und daher be-
dem kann es auch in Kombination mit Ezetimib handelt werden müssen.
(und/oder einem Statin) eingesetzt werden. Die Die Halbwertszeiten der beiden Lipidsenker
Dosierung beträgt 4–6-mal 625 mg pro Tag. betragen 1–2 h, die Tagesdosen belaufen sich auf
Omega-3-Säurenethylester (z. B. Omacor®) 400–600 mg (Bezafibrat) und 900–1200 mg
enthält die Ethylester von Eicosapentaen- (EPA; (Gemfibrozil). Als Nebenwirkungen kann es
46 %) und Docosahexaensäure (DHA; 38 %), die u. a. zu Anämien, Leukopenien, Übelkeit, Erbre-
als „falsche“ Substrate der Triglyceride-syntheti- chen, Urtikaria, Dermatitis sowie Muskelbe-
sierenden Enzyme eine Senkung der VLDL be- schwerden kommen, die im Extremfall zu einer
wirken. Das Präparat wird zur Kontrolle der Rhabdomyolyse führen können. Gemfibrozil
Triglyceride adjuvant in der Sekundärprophyla- hemmt CYP-Enzyme mit der Gefahr ausgepräg-
xe nach Herzinfarkt – zusätzlich zu Statinen, ter Interaktionen.
Thrombozytenaggregationshemmern, Betablo-
ckern und ACE-Hemmern (einmal täglich 1 g Proprotein-Convertase-Subtilisin/Kexin-9-
p. o.) – weiterhin bei endogenen Hypertriglyce- (PCSK9-)Hemmer
ridämien (zweimal täglich 1–2 g) angewandt. Bindet LDL-Cholesterol an seinen zellulären
Häufig treten gastrointestinale Nebenwirkun- Rezeptor, wird es zusammen mit diesem inter-
gen und Erhöhung der Transaminasen auf. nalisiert und abgebaut. Danach kehrt der Rezep-
tor in die Zellmembran zurück. PCSK9 reguliert
Fibrate und Analoga den LDL-Cholesterolspiegel, indem es ebenfalls
Vor Einführung der Statine waren diese Stoffe an den LDL-Rezeptor bindet und auch mit ihm
die wichtigsten Lipidsenker. Danach haben sie von Hepatozyten internalisiert wird. PCSK9-
ihre Bedeutung vor allem wegen der relativ ge- gebundene LDL-Rezeptoren werden jedoch
ringen LDL-Senkung und zahlreicher Neben- proteolysiert und gelangen deshalb nicht wieder
wirkungen weitgehend verloren. Dementspre- an die Zelloberfläche. Sie stehen daher nicht
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 307

mehr für eine Bindung von LDL zur Verfügung. wicht von 50 kg sind z. B. 34 0,5-ml-Spritzen an
Dadurch steigt der LDL-Cholesterolspiegel im ebenso vielen Injektionsstellen notwendig. Auf-
Plasma. Ein neues Therapieprinzip der Lipid- grund der erforderlichen Anzahl von Injektio-
senkung besteht nun darin, dass der Antikörper nen wird eine Spinal- oder Regionalanästhesie
Evolocumab (Repatha®) an von Hepatozyten vor der intramuskulären Anwendung empfoh-
freigesetztes PCSK9 bindet, wodurch dieses len. Drei Tage lang vor der Behandlung und
nicht mehr mit LDL-Rezeptoren interagieren zwölf Wochen lang danach werden die Patienten
kann. Als Folge davon nimmt der LDL-Chole- immunsuppressiv behandelt, um Reaktionen
sterol-Blutspiegel ab. des Immunsystems gegen die Behandlung zu re-
Evolocumab ist als Monotherapeutikum oder duzieren. Dazu werden Ciclosporin und Myco-
in Kombination mit anderen Lipidsenkern bei phenolatmofetil empfohlen. Zudem wird gera-
Patienten zugelassen, die Statin-intolerant sind ten, eine halbe Stunde vor Injektion eine intra-
oder bei denen Statine kontraindiziert sind. Der venöse Gabe von Methylprednisolon vorzuneh-
PCSK9-Hemmer kann auch mit einem Statin men.
kombiniert werden, wenn Patienten ihren LDL- Die am häufigsten berichtete Nebenwirkung
Cholesterol-Wert trotz maximal tolerierter Sta- von Alipogentiparvovec sind Schmerzen im
tin-Dosis nicht ausreichend senken können. Bei Bein, die bei etwa einem Drittel der Patienten
primärer Hypercholesterolämie oder gemisch- auftreten. Auch Kopfschmerz, Müdigkeit, er-
ter Dyslipidämie werden entweder alle zwei Wo- höhte Körpertemperatur und blaue Flecken tra-
chen 140 mg Evolocumab oder einmal im Mo- ten sehr häufig auf. Thrombozytenaggregations-
nat 420 mg s. c. verabreicht. Häufigste Neben- hemmende oder andere gerinnungshemmende
wirkungen sind Nasopharyngitis, Infektionen Arzneimittel dürfen nicht zeitgleich angewendet
der oberen Atemwege, Rückenschmerzen, Arth- werden.
ralgien, Grippe und Übelkeit.
23.2.2 Hypertonie und
Gentherapie bei Lipoproteinlipasedefizienz Antihypertonika
Alipogentiparvovec (Glybera®) ist das erste in 23.2.2.1 Pathophysiologische Grundlagen
Europa zugelassene Gentherapeutikum, das zur Als Bluthochdruck (Hypertonie) bezeichnet
Behandlung Erwachsener mit familiärem Lipo- man jede die Norm überschreitende, anhaltende
proteinlipase-Mangel, bei denen trotz fettarmer Steigerung des arteriellen Blutdrucks: systolisch
Ernährung schwere oder multiple Pankreatitis- ≥ 140 mmHg, diastolisch ≥ 85 mmHg. Da der
Schübe aufgetreten sind, indiziert ist. Der Aus- Blutdruck die Resultante aus Herzzeitvolumen
fall des Enzyms führt zu einem verminderten und peripherem Widerstand ist, kann eine Hy-
Abbau der Chylomikronen und damit zu einer pertonie durch ein erhöhtes Herzzeitvolumen,
ausgeprägten Hypertriglyzeridämie. Die Dia- einen erhöhten peripheren Widerstand oder
gnose muss durch einen Gentest abgesichert durch eine Erhöhung beider Parameter bedingt
sein. Mit Alipogentiparvovec kann der Enzym- sein. Während man bei Jüngeren bevorzugt ei-
defekt korrigiert werden, indem mittels eines nen Herzzeitvolumenhochdruck findet, liegt
viralen Vektors ein hochaktives Lipoproteinli- bei Älteren häufiger ein Widerstandshoch-
pase-Gen in Myozyten eingeschleust wird. Die- druck vor. Nicht selten findet man auch eine iso-
se werden in die Lage versetzt, Lipoproteinlipase lierte Erhöhung des systolischen Blutdrucks,
zu produzieren. dessen Gefährdungspotenzial in der Vergangen- 23
Alipogentiparvovec wird in einer Sitzung heit stark unterschätzt wurde.
mittels zahlreicher intramuskulärer Injektionen
Hypertoniefolgen. Hypertonie ist eine der
in die Beine verabreicht. Das Injektionsvolumen
wichtigsten Ursachen der Arteriosklerose, als
und die Anzahl der Spritzen hängen vom Ge-
deren Folge es zum apoplektischen Insult
wicht des Patienten ab. Bei einem Körperge-
308 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

(Schlaganfall), zur koronaren Herzkrankheit, eine Hypertonie als bei Normalgewichtigen, be-
Linksherzhypertrophie sowie Herzinsuffizienz sonders wenn eine Insulinresistenz und – da-
und Niereninsuffizienz kommen kann. durch bedingt – eine Hyperinsulinämie, d. h. ein
metabolisches Syndrom (Ⴉ Kap. 21.6.1) vorliegt.
Hypertonieformen. Nach klinischen und or-
ganpathogenetischen Gesichtspunkten werden
Prognostische Faktoren. Das kardiovaskuläre
die primäre (essenzielle) Hypertonie sowie se-
Gesamtrisiko von Hypertonikern erhöht sich
kundäre Hypertonieformen als Folge pathologi-
durch zahlreiche beeinflussbare (z. B. Rauchen,
scher Organveränderungen unterschieden. An
Dyslipoproteinämie, Diabetes mellitus, Adiposi-
der Entstehung der zahlenmäßig bedeutsamsten
tas, körperliche Inaktivität) und nicht beein-
Hypertonieform, der essenziellen Hypertonie
flussbare Risikofaktoren (z. B. positive Familien-
(ca. 90 %), ist eine Vielzahl auslösender Faktoren
anamnese, männliches Geschlecht, Postmeno-
beteiligt, z. B. familiäre Belastung, Bewegungs-
pause, Alter). Durch gemeinsame Betrachtung
armut, häufige Stress-Situationen oder Überer-
des Schweregrads der Hypertonie und der Risi-
nährung. Die sekundäre Hypertonie wird unter-
kofaktoren lassen sich Rückschlüsse auf die Pro-
teilt in
gnose der Erkrankung ziehen. So ist beispiels-
󠀂 renale Formen mit renovaskulärer Ursache weise eine schwere Hypertonie (> 180 mmHg
infolge Stenosierung der Arteria renalis oder systolisch, > 110 mmHg diastolisch) bei gleich-
renoparenchymaler Ursache (u. a. bei chro- zeitigem Vorliegen einer Herzinsuffizienz oder
nischer Glomerulonephritis, pyelonephriti- einer koronaren Herzkrankheit mit einem sehr
scher Schrumpfniere, Zystenniere, Amyloi- hohen Risiko verbunden (Wahrscheinlichkeit,
dose, Panarteriitis nodosa, Schwanger- innerhalb der nächsten 10 Jahre zu versterben
schaftsnephropathie), > 30 %).
󠀂 endokrine Formen (u. a. bei Phäochromozy-
tom, Conn-Syndrom, Akromegalie, Cus- 23.2.2.2 Therapeutische Maßnahmen bei
hing-Syndrom, Hyperthyreose), Hypertonie
󠀂 kardiovaskuläre Formen (u. a. bei Aorten- Vor bzw. zusätzlich zur Anwendung von Arznei-
isthmusstenose, Aortensklerose, totalem mitteln (s. u.) sind bei der Hochdrucktherapie
Herzblock, hyperkinetischem Herzsyndrom) folgende Maßnahmen vorzunehmen: Einstellen
sowie des Rauchens, Senkung des Alkoholkonsums
󠀂 neurogene Formen (u. a. ZNS-Tumoren, En- auf < 30 g/Tag, verstärkte körperliche Betätigung
zephalitis, Meningitis, Kohlenmonoxid- und und Abbau von Stressfaktoren, Einschränkung
Thalliumvergiftungen). der Kochsalzzufuhr, Gewichtsreduktion bei
Übergewichtigen und sorgfältige Überprüfung
Zu den sekundären Hypertonien wird ferner
der Indikation für eine Therapie mit nichtstero-
der Medikamenten-induzierte Hochdruck, z. B.
idalen Antiphlogistika, Glucocorticoiden oder
durch hormonelle Kontrazeptiva und nichtste-
Kontrazeptiva. Eine Verminderung des kardio-
roidale Antirheumatika, gerechnet.
vaskulären Gesamtrisikos wird außerdem durch
Für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der die konsequente Behandlung eines Diabetes
essenziellen Hypertonie sind Veränderungen mellitus erreicht.
zentralnervöser Funktionen, insbesondere ein Die medikamentöse Therapie eines Blut-
erhöhter Sympathikustonus, bedeutsam. Außer- hochdrucks ist – der komplexen Blutdruckregu-
dem wird eine verminderte Bildung körpereige- lation entsprechend – mit zahlreichen, sehr un-
ner vasodilatierender Substanzen (u. a. NO, Pro- terschiedlich wirkenden Substanzen möglich.
staglandin E2, Bradykinin) mit der Hochdruck- Ihre Angriffsorte sind schematisch in Ⴜ Abb. 23.2
pathogenese in Verbindung gebracht. Bei Über- dargestellt.
gewichtigen entwickelt sich signifikant häufiger
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 309

˞-Methyldopa,
Clonidin

Hirnstamm Barorezeptoren

ൻSympathikotonus൹
˟-Blocker NA൹

ൻBlutvolumen൹ ൻHZV൹ ൻArterieller


Druck

Aldosteron-
antagonisten Peripherer
Diuretika
Natriumaus-
൹scheidung ൻ ൻWiderstand൹
ൻAldosteron൹
AT1-Blocker

˟-Blocker ൻAngiotensin II൹


NA൹ ൻRenin൹ ACE-Hemmer ൻVasokon-
striktion ൹ NA൹
˞-Blocker
(renal)
ൻAngiotensin I൹
Calciumkanal-
Renin-Inhibitoren blocker, Vaso-
dilatatoren

Ⴜ Abb. 23.2 Angriffsorte von Antihypertonika. HZV Herzzeitvolumen, NA Noradrenalin

Am Sympathikus angreifende Antihypertonika hochdruck – nimmt die Wirksamkeit von Beta-


Der blutdrucksenkende Effekt von α1-Adreno- blockern ab, doch können sie in vielen Fällen
zeptorblockern (Ⴉ Kap. 19.4.1) beruht auf ihrer auch bei alten Patienten erfolgreich eingesetzt
Vasodilatation. Aufgrund orthostatischer Ne- werden. Ihr blutdrucksenkender Effekt beruht
benwirkungen sowie wegen des fehlenden auf der Erniedrigung des Herzzeitvolumens, der
Nachweises einer Lebensverlängerung durch Verringerung der Renin-Ausschüttung in den
eine Therapie mit α-Blockern gehört diese Stoff- Nieren mit der Folge der verringerten Bildung
gruppe nicht mehr zu den Hochdruckmitteln von Angiotensin II und der erniedrigten Freiset-
der 1. Wahl. zung von Aldosteron. Die mit Betablockern er-
β-Adrenozeptorblocker (Ⴉ Kap. 19.4.2) wer- reichbare Blutdrucksenkung ist bei allen Ver-
den aufgrund eindeutig positiver Studienergeb- bindungen, unabhängig von ihren physiko-che-
nisse bezüglich Lebensverlängerung und ihrer mischen Eigenschaften und ihrem Wirkprofil,
insgesamt guten Verträglichkeit (sofern die gleich.
Kontraindikationen beachtet werden) sehr häu- Antisympathotonika (Ⴉ Kap. 19.5), zu denen
fig zur Blutdrucksenkung eingesetzt. Besonders die zentral wirksamen α2-Sympathomimetika 23
wirksam sind sie bei Patienten mit gesteigerter bzw. Imidazolinrezeptor-Agonisten sowie Re-
Sympathikusaktivität, d. h. in der Regel bis zu ei- serpin gehören, werden vor allem dann ange-
nem Alter von 55–60 Jahren. Mit zunehmen- wandt, wenn Kontraindikationen gegen Beta-
dem Alter – aus einem Herzzeitvolumenhoch- blocker vorliegen.
druck wird dann immer mehr ein Widerstands-
310 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Diuretika stellen. Die α1c-Untereinheit besteht aus vier re-


Eine weitere, für die Hochdrucktherapie beson- petitiven Teilstücken, die ihrerseits die Mem-
ders bedeutsame Substanzgruppe sind die Diu- bran jeweils sechsmal (S1 bis S6) durchqueren.
retika (Ⴉ Kap. 26). Die Blutdrucksenkung nach Die vier Teilstücke sind ringförmig angeordnet.
Applikation dieser Stoffe verläuft in zwei Pha- Die ionenleitende Pore wird von den Zwischen-
sen. Die initiale Druckabnahme ist die Folge der segmentbereichen S5/S6 dieser vier Teilstücke
gesteigerten Natriumionenausscheidung. Da- gebildet.
durch sinken Plasma- und Herzzeitvolumen, Calciumkanalblocker werden unterteilt in
der periphere Widerstand nimmt dagegen (re- den 1,4-Dihydropyridin- (Nifedipin-), Verapa-
flektorisch) etwas zu. Die Aufrechterhaltung der mil- und Diltiazem-Typ. Pharmakodynamisch
Blutdrucksenkung in der zweiten Phase, bei der ist den drei Typen gemeinsam, dass sie infolge
das Plasmavolumen wieder weitgehend norma- der Abnahme der zytosolischen Ca2+-Konzen-
lisiert ist und auch die Na+-Ausscheidung annä- tration – allerdings unterschiedlich stark ausge-
hernd dem Wert vor Therapiebeginn entspricht, prägt – an der glatten Gefäßmuskulatur zu einer
beruht vermutlich vor allem auf einem vermin- Erniedrigung des Gefäßmuskeltonus und damit
derten Ansprechen der glatten Gefäßmuskula- zu einer Vasodilatation führen. Am Herzen set-
tur auf vasokonstriktorische Reize infolge des zen sie die Kontraktilität herab, wodurch der
verringerten Natriumionengehalts der Gefäß- Umsatz an energiereichem Phosphat und gleich-
wand. Diskutiert wird ferner eine gesteigerte zeitig der Sauerstoffbedarf abnehmen. Dadurch
Nierendurchblutung infolge einer Prostaglan- sinken der periphere Gefäßwiderstand sowie
din-Freisetzung in der Niere durch (Schleifen-) das Herzzeitvolumen und folglich der Blut-
Diuretika. druck. Unterschiedlich verhalten sich die ver-
Diuretika sind zur Hochdrucktherapie als schiedenen Stoffgruppen dagegen hinsichtlich
Monotherapeutika sowie insbesondere in Kom- der Beeinflussung der Erregungsbildung im Si-
bination mit anderen Antihypertonika Mittel nus- und der Erregungsleitung im AV-Knoten.
der 1. Wahl. Dies gilt nicht zuletzt für ältere Hy- Calciumkanalblocker vom Verapamil-Typ so-
pertoniker. Verbindungen mit längerer Wirk- wie Diltiazem wirken am Sinusknoten negativ
dauer (z. B. Thiazide), sind kurz wirksamen chronotrop und am AV-Knoten negativ dromo-
Stoffen (z. B. Schleifendiuretika) bei dieser In- trop. Bei den Substanzen vom Nifedipin-Typ,
dikation in der Regel vorzuziehen. Um Kalium- die in therapeutischer Dosierung vor allem va-
und Magnesiumverluste zu vermeiden, können sodilatierend wirken, kann es im Gegensatz
diese bei Patienten mit normaler oder allenfalls dazu bei schnell freisetzenden, kurzwirkenden
geringgradig eingeschränkter Nierenfunktion Präparaten durch die rasche Blutdrucksenkung
mit kaliumsparenden Diuretika, z. B. Amilorid wegen einer dadurch bedingten Sympathikusak-
oder Triamteren, kombiniert werden. Jedoch tivierung zu einer reflektorischen Herzfre-
wird heute bei der sehr häufig eingesetzten quenzsteigerung kommen.
Kombination von Diuretika mit ACE-Hemmern Trotz der strukturellen Heterogenität der
oder Sartanen (s. u.) der Kaliumverlust bereits Substanzen gibt es bemerkenswerte pharmako-
weitgehend vermieden. kinetische Gemeinsamkeiten: Die meisten Cal-
ciumkanalblocker, mit Ausnahme von Clevidi-
Calciumkanalblocker (Calciumantagonisten) pin, werden durch CYP3A4 verstoffwechselt. Es
Calciumkanalblocker hemmen den Einstrom besteht somit die Möglichkeit von Arzneimittel-
von Calciumionen durch den spannungsabhän- interaktionen mit allen Substanzen, die dieses
gigen L-Typ-Calciumkanal. Alle Calciumkanal- Enzym hemmen oder induzieren. Die gleichzei-
blocker binden an die α1c-Untereinheit des L- tige Gabe von Grapefruitsaft bewirkt z. B. eine
Typ-Calciumkanals, jedoch in Abhängigkeit erhöhte Bioverfügbarkeit dieser Calciumkanal-
vom Strukturtyp an unterschiedliche Bindungs- blocker.
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 311

1,4-Dihydropyridine. Vertreter dieser Stoff- ႒ Tab. 23.4 1,4-Dihydropyridine


gruppe sind in ႒ Tab. 23.4 zusammengefasst.
INN (Handelspräparat) Dosierung (HWZ)
Alle hier aufgelisteten Dihydropyridine sind
zur Hochdruckbehandlung, Amlodipin und Ni- Amlodipin 5–10 mg (35–50 h)
soldipin außerdem bei koronarer Herzkrankheit (z. B. Norvasc®)
zugelassen. Clevidipin ist für die rasche Blut-
Clevidipin (Cleviprex®) 4–6 mg/h i. v. (0,25 h)
drucksenkung in perioperativen Situationen be-
stimmt. Felodipin (Modip®) 5–10 mg (18 h)
Als Nebenwirkungen der Dihydropyridine,
die vor allem bei schnell- und kurzwirkenden, Isradipin (vascal®) 5–10 mg (8 h)

nicht retardierten Präparaten auf der raschen Lercanidipin 10–20 mg (8–10 h)


und ausgeprägten Vasodilatation beruhen, kann (z. B. Corifeo®)
es zu unerwünschtem starkem Blutdruckabfall,
reflektorischer Herzfrequenzsteigerung, Kopf- Manidipin (Manyper®) 10–20 mg (22–24 h)
schmerzen, Schwindel, Übelkeit, gastrointesti- Nifedipin (z. B. Adalat®) 30–60 mg (2–3 h)
nalen Störungen, Hautrötung und Knöchelöde-
men kommen. Insbesondere die Herzfrequenz- Nilvadipin (Escor®) 8–16 mg (15–20 h)
steigerung ist therapeutisch ungünstig und wird
Nisoldipin (Baymycard®) 10–40 mg (10–12 h)
mit einer erhöhten Inzidenz von Herzinfarkten
in Verbindung gebracht. Wegen teratogener Ef- Nitrendipin 10–20 mg (8–12 h)
fekte sind Dihydropyridine während der gesam- (z. B. Bayotensin®)
ten Schwangerschaft kontraindiziert. Schwere
Hypotonie ist eine weitere Kontraindikation.
Eine Sonderstellung unter den Dihydropyri-
miert wird. Ferner wird Verapamil durch
dinen nimmt Nimodipin (z. B. Nimotop®) ein.
CYP1A2 metabolisiert. Die Ausscheidung der
Aufgrund seiner hohen Lipophilie und der da-
Metaboliten erfolgt vorwiegend renal. Außer bei
durch bedingten raschen Penetration ins Zen-
Hypertonie ist Verapamil bei koronarer Herz-
tralnervensystem wird es zur Prophylaxe und
krankheit und supraventrikulären Tachykardien
Therapie ischämiebedingter neurologischer
indiziert. Die durchschnittliche Tagesdosis bei
Ausfallerscheinungen infolge zerebraler Vaso-
Hypertonie beträgt 120–240 mg, die Halbwerts-
spasmen nach Subarachnoidalblutungen einge-
zeit 4 h.
setzt (Dosierung initial für die Dauer von 2
Als Nebenwirkungen wurden Überleitungs-
Stunden 1 mg/Stunde, danach bei guter Verträg-
störungen (AV-Block), Bradykardien, uner-
lichkeit 2 mg/Stunde als Infusion während ca. 10
wünschter Blutdruckabfall, Verstärkung einer
Tagen; orale Anschlussbehandlung während 7
Herzinsuffizienz, Hautrötung, Obstipation
Tagen mit sechsmal täglich 60 mg). Des Weite-
(häufig) und allergische Hautreaktionen beob-
ren wird die Substanz bei hirnorganisch beding-
achtet. Bei AV-Block II. und III. Grades, dekom-
ten Leistungsstörungen im Alter verwendet, die
pensierter Herzinsuffizienz, Sinusknotensyn-
Wirksamkeit ist hierbei umstritten. Die Halb-
drom, frischem Herzinfarkt (besonders bei Bra-
wertszeit beträgt 1,5 h.
dykardie) und schwerer Hypotonie ist Verapa-
Verapamil. Das Phenylalkylamin Verapamil mil kontraindiziert. 23
(Generika) wird wie Nifedipin bei oraler Appli- Bei gleichzeitiger Gabe von Verapamil mit
kation nahezu quantitativ resorbiert. Es unter- anderen Antiarrhythmika sowie mit Herzglyko-
liegt einem ausgeprägten stereoselektiven First- siden ist die Gefahr einer Überleitungsstörung
Pass-Effekt durch CYP3A4, wobei das stärker oder einer Bradykardie erhöht; Betablocker ver-
wirkende S-Enantiomer bevorzugt biotransfor- stärken die kardiodepressive, Antihypertonika
312 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

die blutdrucksenkende Wirkung. Bei gemeinsa- hung des Sympathikustonus durch zentralen
mer Applikation von Verapamil und Theophyl- Angriff an der Area postrema vasokonstringie-
lin kommt es durch Kompetition um CYP1A2 rend.) Außerdem kommt es durch die Abnahme
zu einem signifikanten Anstieg der Theophyllin- der Angiotensin-II-Bildung zu einer verringer-
Plasmakonzentration. Die Hemmung von P- ten Freisetzung von Aldosteron und damit zu
Glykoprotein durch Verapamil erklärt Interakti- einer schwachen diuretischen Wirkung. ACE-
onen mit Arzneistoffen, die zwar nicht verstoff- Hemmer verzögern ferner den Abbau der vaso-
wechselt, aber durch P-Glykoprotein transpor- dilatierend wirkenden Kinine, da das Angioten-
tiert werden. Ein klinisch relevantes Beispiel ist sin-Konversionsenzym mit der Kininase II, dem
die Wechselwirkung von Verapamil mit Dig- für die Biotransformation von Kininen verant-
oxin, die zu einer signifikanten Erhöhung der wortlichen Enzym, identisch ist. Der Anstieg
Digoxin-Plasmakonzentrationen führt. der Konzentrationen dieser Peptide (Bradykinin
und Kallidin) trägt zur antihypertensiven Wir-
Diltiazem. Das Benzothiazepin-Derivat Diltia-
kung bei.
zem (Dilzem®) ist in seinem pharmakodynami-
Mit Ausnahme von Lisinopril handelt es sich
schen Wirkprofil dem von Verapamil ähnlich.
bei den ACE-Hemmern um Prodrugs, aus de-
Nach oraler Gabe wird es praktisch vollständig
nen durch Esterhydrolyse die eigentlichen
resorbiert. Die Bioverfügbarkeit liegt wegen ei-
Wirksubstanzen mit der Endung -at (z. B. Bena-
nes deutlichen First-Pass-Effekts durch CYP3A4
zeprilat) entstehen. Wiederum außer Lisinopril
jedoch nur bei etwa 50 %. Die Substanz mit einer
werden ACE-Hemmer gut resorbiert und wei-
Halbwertszeit von 4–5 Stunden wird im Orga-
sen orale Bioverfügbarkeiten von 25–65 % auf.
nismus desacetyliert und außerdem oxidativ O-
Aufgrund rascher Dissoziation vom Enzym und
und N-demethyliert. Die Ausscheidung erfolgt
geringer Halbwertszeit wirkt Quinapril nur
fast ausschließlich in Form von Metaboliten re-
kurz. Die übrigen ACE-Hemmer besitzen dage-
nal und daneben auch biliär. Die mittlere Tages-
gen infolge einer langsamen Dissoziation vom
dosierung beträgt 180 mg, die Halbwertszeit 6 h.
Zielenzym eine hohe Wirkhalbwertszeit, sodass
Die Nebenwirkungen, Kontraindikationen und
eine einmal tägliche Gabe trotz kurzer Plasma-
Interaktionen entsprechen weitgehend denen
halbwertszeit ausreicht. Die Ausscheidung des
von Verapamil. Wegen teratogener Wirkungen
resorbierten Wirkstoffs erfolgt bei den meisten
im Tierversuch muss vor der Gabe von Diltia-
Verbindungen vorwiegend renal, Fosinopril
zem bei Frauen im gebärfähigen Alter eine
wird zu gleichen Teilen renal und biliär elimi-
Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
niert.
Übliche Tagesdosen von ACE-Hemmern bei
Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer Hypertonie enthält ႒ Tab. 23.5. Bei Patienten
(ACE-Hemmer) mit aktiviertem Renin-Angiotensin-Aldosteron-
ACE-Hemmer sind Antihypertensiva, deren System (u. a. Diuretika-Vorbehandlung, stärke-
Wirkung auf der Hemmung des Angiotensin- ren Wasser- und Salzverlusten, schwerer Herzin-
Konversionsenzyms beruht, das Angiotensin I suffizienz) kann es bei Gabe von ACE-Hemmern
in Angiotensin II überführt. Dadurch wird die zu einer massiven Blutdrucksenkung kommen.
Bildung von Angiotensin II, einer der stärksten In diesen Fällen muss einschleichend mit beson-
blutdrucksteigernden Substanzen, unterdrückt ders niedrigen Dosen therapiert werden.
und als Folge davon der periphere Widerstand Vor allem Reizhusten (bei etwa 10 % der Be-
gesenkt. (Angiotensin II wirkt nicht nur direkt, handelten), ferner Übelkeit, Kopfschmerzen,
sondern auch indirekt durch Freisetzung von Schwindelgefühl, hypotone Dysregulationen,
Catecholaminen aus dem Nebennierenmark, Geschmacksstörungen, Diarrhö, Muskelkrämp-
Erleichterung der Noradrenalinfreisetzung aus fe, Photosensibilisierung und allergische Haut-
sympathischen Nervenendigungen und Erhö- reaktionen sind als Nebenwirkungen beschrie-
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 313

႒ Tab. 23.5 ACE-Hemmer


Nierenperfusionsdruckൻ
INN (Handelspräparat) Dosierung (HWZ)
Angio- Renin- Sympathikus-
Benazepril (Cibacen®) 10–40 mg (11 h) tensinogen freisetzung hormone

Cilazapril (Dynorm®) 1,25–5 mg (9 h) Bradykininab- Angiotensin I


bauprodukte
Enalapril (z. B. XANEF®) 5–20 mg (11 h)
ACE ACE-Hemmer
Fosinopril (Fosinorm®) 10–40 mg (11 h)
Bradykinin AT1-Blocker
Lisinopril (z. B. Acerbon®) 10–20 mg (12 h) Angiotensin II

Moexipril (Fempress®) 7,5–30 mg (10 h) BK AT2 AT1


Gq Gi Gq
Perindopril (Coversum®) 2–8 mg (5 h)
Periphere Proliferations- Vasokonstriktion,
Quinapril (Accupro®) 10–40 mg (3 h) Vasodilatation, hemmung, Natriumretention,
Zunahme der Vasodilatation Proliferation
Ramipril (z. B. Delix®) 2,5–10 mg (15 h) Kapillarper-
meabilität,
Reizhusten,
Angioödem

ben. Schwerwiegender ist die (allerdings selte-


ne) Gefahr eines akuten Nierenversagens, eines Ⴜ Abb. 23.3 Angriffspunkte von ACE-Hemmern
und AT1-Blockern. BK Bradykinin-Rezeptor
angioneurotischen Ödems sowie von Leukope-
nien. Von diesen letztgenannten unerwünsch-
ten Wirkungen sind insbesondere Patienten mit Angiotensin-II-Typ1-Rezeptor-Antagonisten
eingeschränkter Nierenfunktion betroffen. Pati- (AT1-Blocker, Sartane)
enten mit Nierenfunktionsstörungen müssen Neben der Verhinderung der Umwandlung von
daher gründlich überwacht werden. Angiotensin I in Angiotensin II durch ACE-
Bei Patienten mit Nierenarterienstenose Hemmer kann das Renin-Angiotensin-Aldoste-
(beidseitig oder einseitig bei Einzelniere), nach ron-System durch Angiotensin-II-Rezeptor-
Nierentransplantation und mit primärem Hy- Antagonisten blockiert werden. Diese Wirkstof-
peraldosteronismus sind ACE-Hemmer kontra- fe vermeiden die durch Hemmung des Bradyki-
indiziert, ebenso trifft dies auf Schwangerschaft ninabbaus bedingten Nebenwirkungen von
und Stillzeit zu. Relative Kontraindikationen ACE-Hemmern. Außerdem führen Sartane
sind schwere Autoimmun- und Kollagenkrank- nicht wie ACE-Hemmer zu einem Angiotensin-
heiten. Vorsicht ist auch bei Patienten mit ob- Escape-Phänomen infolge der Bildung von An-
struktiven Lungenerkrankungen geboten. giotensin II durch lokale Enzymsysteme (z. B.
Wegen der Gefahr von Hyperkaliämien sollen Chymase, Chymostatin like angiotensin genera-
ACE-Hemmer – zumindest in der Allgemein- ting enzyme und t-PA). Wie in Ⴜ Abb. 23.3 dar-
praxis – nicht mit Kalium-sparenden Diuretika gestellt, werden die Wirkungen von Angiotensin
kombiniert werden. Hemmstoffe der Prostaglan- II über zwei Rezeptortypen, die AT1- und AT2-
dinsynthese (nichtsteroidale Antiphlogistika) Rezeptoren, vermittelt. Während für die Blut-
schwächen die blutdrucksenkende Wirkung von druckerhöhung und die Zellproliferation der 23
ACE-Hemmern ab, allerdings beeinträchtigt die AT1-Rezeptor verantwortlich ist, bewirkt eine
Kombination von niedrig dosierter Acetylsali- Stimulation des AT2-Rezeptors eine Proliferati-
cylsäure mit ACE-Hemmern deren Wirkung onshemmung.
nicht. Narkosemittel verstärken die antihyper- Alle AT1-Blocker sind bei essenzieller Hyper-
tensiven Effekte von ACE-Hemmern. tonie indiziert. Einige von ihnen, z. B. Candesar-
314 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

႒ Tab. 23.6 AT1-Blocker Aliskiren


Der direkte Reninhemmer Aliskiren (Rasilez®)
INN (Handelspräparat) Dosierung (HWZ)
ist ein weiterer Wirkstoff, der in das Renin-An-
Azilsartan-medoxomil 40–80 mg (11 h) giotensin-Aldosteron-System eingreift. Das
(Edarbi®) Peptidomimetikum besitzt eine Bioverfügbar-
keit von nur 3 %, die für den klinischen Effekt in
Candesartan-cilexetil 8–16 mg (9 h)
der Regel jedoch offensichtlich ausreicht. Zuge-
(z. B. Atacand®)
lassen ist Aliskiren zur Behandlung der essenzi-
Irbesartan 150–300 mg (13 h) ellen Hypertonie entweder als Monotherapeuti-
(z. B. Aprovel®) kum oder in Kombination mit anderen Antihy-
pertensiva, nicht jedoch mit ACE-Hemmern
Losartan 50–100 mg
und Sartanen. Diarrhö ist die häufigste Neben-
(z. B. LORZAAR®) (2 h, M1 7 h)
wirkung.
Olmesartan-medoxomil 10–40 mg (15 h) Nach Gabe von 150–300 mg/Tag wird die
(Olmetec®) Substanz mit einer Halbwertszeit von 40 Stun-
den größtenteils unverändert ausgeschieden. Da
Telmisartan 20–80 mg (24 h)
die geringe Bioverfügbarkeit zumindest teilwei-
(z. B. Micardis®)
se auf eine Elimination durch gastrointestinales
Valsartan (z. B. DIOVAN®) 80–160 mg (9 h) P-Glykoprotein zurückzuführen ist, sollte die
1
gleichzeitige Gabe von P-Glykoprotein-Induk-
Aktiver Metabolit
toren oder -Inhibitoren vermieden werden. Ins-
gesamt betrachtet ist der klinische Nutzen von
Aliskiren noch nicht abschließend zu beurtei-
tan, Valsartan, Losartan, sind zusätzlich zur len.
Herzinsuffizienzbehandlung zugelassen. Die
Halbwertszeiten und Dosierungen von Sartanen Sonstige Vasodilatatoren
sind in ႒ Tab. 23.6 angegebenen. Hierzu gehören Dihydralazin, Hydralazin und
Als Nebenwirkungen treten erwartungsge- Minoxidil. Dihydralazin und Hydralazin senken
mäß Reizhusten und Angioödem unter der The- den peripheren Widerstand und damit den Blut-
rapie mit AT1-Blockern deutlich seltener als bei druck vor allem durch Angriff an kleineren
ACE-Hemmern auf, weil das Bradykinin abbau- Arterien und Arteriolen. Minoxidil steigert
ende Enzym nicht gehemmt wird. Insgesamt lie- die Öffnungswahrscheinlichkeit ATP-abhängi-
gen die meisten unerwünschten Wirkungen auf ger Kaliumkanäle. Es bewirkt dadurch eine Hy-
Placebo-Niveau. Selten kann es zu Somnolenz, perpolarisation der Zellmembran und als Folge
Schwindel, Obstipation, Hyperkaliämie, Trans- davon einen verringerten Einstrom von Calci-
aminasen- oder Kreatinin-Anstieg sowie Ge- umionen durch spannungsabhängige Calcium-
schmacksstörungen kommen. Gegenanzeigen kanäle. Dies vermindert den Tonus von Arterio-
von AT1-Blockern sind schwere Leber- und Nie- len und damit den Blutdruck. Dihydralazin,
reninsuffizienz, hypertrophe Kardiomyopathie Hydralazin und Minoxidil werden als Reserve-
sowie Schwangerschaft und Stillzeit. antihypertonika für die orale Hochdruckbe-
Derzeit werden AT1-Blocker vor allem bei handlung eingesetzt. Dihydralazin dient ferner
Neueinstellungen sowie bei Patienten einge- zur Therapie von Schwangeren mit einer hyper-
setzt, die ACE-Hemmer nicht vertragen. Ob tensiven Gestose.
bzw. inwieweit die selektive Blockade der An- Dihydralazin (Nepresol®) wird nach oraler
giotensin-II-Rezeptoren einer ACE-Hemmung Applikation rasch resorbiert, doch unterliegt es
therapeutisch überlegen ist, ist nach wie vor um- durch Acetylierung einem First-Pass-Effekt, der
stritten. bei Schnell- und Langsam-Acetylierern unter-
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 315

schiedlich stark ausgeprägt ist. In Abhängigkeit hydralazin beruhen, sprechen gut auf Gaben
von der genetisch variablen Acetylierung liegt von Vitamin B6 an.
die Halbwertszeit zwischen einer und acht Stun- Minoxidil (Lonolox®) wirkt stärker und län-
den, die Wirkdauer zwischen 6–8 Stunden. Die ger anhaltend blutdrucksenkend als Dihyd-
Bioverfügbarkeit bei schnellen Acetylierern be- ralazin und Hydralazin. Infolge seiner ebenfalls
trägt 22–30 %, bei langsamen Acetylierern ist sie bedeutsamen Nebenwirkungen ist es aber nur
auf 38–50 % erhöht. Die Dosierung ist initial bei Hochdruckpatienten indiziert, bei denen an-
zweimal täglich 12,5 mg und kann unter intensi- dere Antihypertonika – auch kombiniert ange-
ver Beobachtung auf zweimal 25 mg gesteigert wandt – nicht ausreichend wirksam sind. Wegen
werden. der bei alleiniger Gabe auftretenden erheblichen
Hydralazin muss wegen seiner Nebenwir- Gegenregulationen (Sympathikusaktivierung,
kungen (s. u.) mit anderen Antihypertonika Salz- und Wasserretention) muss es wie Hyd-
kombiniert werden (z. B. in pertenso® mit Pro- ralazin zusammen mit einem Diuretikum und
pranolol und Bendroflumethiazid). Dadurch einem Betablocker oder einem zentral wirksa-
kann die Einzeldosis von sonst 25 mg auf 10 mg men α2-Sympathomimetikum eingesetzt wer-
erniedrigt werden. 90 % einer Dosis werden als den.
Hydrazonmetaboliten über die Niere ausge- Bei oraler Gabe wird Minoxidil fast vollstän-
schieden. Ohne Ermittlung des Acetylierer-Sta- dig resorbiert. Die Halbwertszeit beträgt ca. 4
tus sollte eine Tagesdosis von 50 mg nicht über- Stunden, der blutdrucksenkende Effekt hält
schritten werden. über 24 Stunden an. Der quantitativ wichtigste
Als Nebenwirkungen können bei beiden Metabolit ist das Glucuronid. Ferner wird in der
Wirkstoffen, sofern sie als Monotherapeutika Leber Minoxidilsulfat gebildet, das maßgeblich
angewandt werden, infolge der Blutdrucksen- zur Wirkung beitragen soll. Die Ausscheidung
kung reflektorisch durch Aktivierung des Sym- der Metaboliten erfolgt vorwiegend renal. Die
pathikus sowie des Renin-Angiotensin-Aldoste- üblichen Tagesdosen für Erwachsene liegen zwi-
ron-Systems eine Steigerung der Herzfrequenz schen 5 und 40 mg. Man beginnt mit einer An-
und eine Erhöhung des Schlagvolumens sowie fangsdosis von 5 mg/Tag und erhöht dann die
eine Natrium- und Wasserretention mit der Bil- Dosis langsam bis zur ausreichenden Blutdruck-
dung lokaler Ödeme, ferner Kopfschmerzen, senkung (maximale Tagesdosis 100 mg). Eine
Schwindel- und Schwächegefühl, Übelkeit, Ma- außergewöhnliche Nebenwirkung ist die Hy-
gen-Darm-Beschwerden und Diarrhö auftreten. pertrichose, die häufig im Gesicht beginnt und
Außerdem werden allergische Reaktionen beob- sich nach Absetzen des Wirkstoffs wieder zu-
achtet. Durch die Kombination mit einem Beta- rückbildet. (Minoxidil ist in topischer Anwen-
blocker und einem Diuretikum lässt sich ein dung deshalb zur Therapie der androgeneti-
großer Teil dieser unerwünschten Wirkungen schen Alopezie bei Frauen und Männern zuge-
vermeiden. lassen). Ferner wurden, vor allem bei Patienten
Bei längerdauernder Anwendung hoher Do- mit eingeschränkter Nierenfunktion, Perikar-
sen kann sich eine rheumatoide Arthritis entwi- dergüsse beobachtet.
ckeln. Falls die Behandlung dann nicht abgebro-
chen wird, besteht die Gefahr, dass es insbeson- 23.2.2.3 Therapie hypertensiver Notfälle
dere bei langsamen Acetylierern sowie Trägern Ein plötzlicher starker Anstieg des systolischen
eines HLA-DR4-Antigens zu einem Lupus-ery- und diastolischen Blutdrucks sowie Komplika- 23
thematodes-acutus-ähnlichen Syndrom kommt, tionen einer chronischen Hypertonie, z. B. eine
das nach Absetzen des Präparats mit Nebennie- Hirnblutung oder eine akute Linksherzinsuffi-
renrindenhormonen behandelt werden kann. zienz mit Lungenödem, erfordern eine rasche
Evtl. auftretende Parästhesien oder Neuritiden, Blutdrucksenkung. Initial werden 0,5–1,0 mg/h
die auf einer Antivitamin-B6-Wirkung von Di- Glyceroltrinitrat als Infusion gegeben. Eine Al-
316 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

ternative besteht in der oralen Gabe von 5 mg blocker sind wegen embryotoxischer und tera-
Nifedipin oder Nitrendipin in einer schnell re- togener Effekte in Tierversuchen ebenfalls
sorbierbaren Form. Ferner können 25 mg kontraindiziert.
Urapidil i. v. verabreicht werden. Schließlich Hypertensive Notfälle in der Schwanger-
kann Clonidin (Dosierung 0,075 mg) langsam schaft können mit Dihydralazin (5 mg i. v.) oder
i. v. gegeben werden. Der Wirkungseintritt ist Urapidil (6,25 mg i. v.) behandelt werden. Bei
jeweils innerhalb weniger Minuten zu erwar- Krampfbereitschaft werden zusätzlich Magne-
ten. Durch den starken Blutdruckabfall treten siumsulfat (4 g i. v.) oder Diazepam (5–10 mg
als Nebenwirkungen Kopfschmerzen und Pal- i. v.) gegeben.
pitationen auf. Wird damit keine ausreichende Zur Behandlung einer Hypertonie während
Wirkung erzielt oder steigt der Blutdruck er- der Stillperiode sind mit Ausnahme der auch
neut rasch an, werden i. v. Dauerinfusionen mit hier kontraindizierten Diuretika alle Substanzen
Glyceroltrinitrat sowie alternativ mit Clonidin, geeignet, die im Rahmen der üblichen Blut-
Urapidil und Dihydralazin durchgeführt, wo- hochdruckbehandlung in Frage kommen. Beim
bei eine Intensivüberwachung gewährleistet Einsatz von Betablockern ist zu beachten, dass
sein muss. Liegen keine Kontraindikationen hohe Konzentrationen im kindlichen Organis-
vor, können zusätzlich 20–40 mg Furosemid i. v. mus erreicht werden können, die in Einzelfällen
gegeben werden. Bei immer noch unbefriedi- zu einem Abfall des Blutdrucks bzw. einer rele-
gendem Therapieerfolg und nicht sicherem vanten Reduktion der Herzfrequenz führen.
Ausschluss eines Phäochromozytoms empfiehlt
sich ein nochmaliger Versuch mit 25 mg Urapi- 23.2.2.5 Hochdrucktherapie bei Diabetikern
dil i. v. Ein hypertensiver Diabetiker besitzt im Ver-
gleich zu einer Kontrollperson ein vierfach er-
23.2.2.4 Hochdrucktherapie in höhtes kardiovaskuläres Morbiditäts- und Leta-
Schwangerschaft und Stillzeit litätsrisiko. Ein Zielwert von < 130/80 mmHg ist
Eine Blutdruckerhöhung bei einer Schwange- anzustreben. Besonders geeignet bei diesem Pa-
ren (mehrfache Überschreitung eines Blut- tientenkollektiv sind ACE-Hemmer (alternativ
drucks von 140/90 nach der 20. Schwanger- AT1-Blocker), mit denen in mehreren Studien
schaftswoche) bedeutet für den Feten ein er- gezeigt werden konnte, dass ein Fortschreiten
höhtes Risiko. Liegen die Blutdruckwerte über der diabetischen Nephropathie durch sie ver-
170 mmHg systolisch und 110 mmHg diasto- langsamt wird. Bei Patienten mit metabolischem
lisch, ist die perinatale Kindersterblichkeit Syndrom ist ebenfalls eine sorgfältige Einstel-
stark erhöht. Wegen der Gefahr einer vermin- lung des Blutdrucks wichtig.
derten utero-plazentaren Perfusion soll der
erhöhte Blutdruck langsam auf einen Zielblut- 23.2.2.6 Strategie der Hypertoniebehandlung
druck < 140 mmHg systolisch und < 90 mmHg Eine antihypertensive Therapie wird mit dem
diastolisch gesenkt werden. Besonders geeig- Ziel der Normalisierung des Blutdrucks (< 140
nete Antihypertonika in der Schwangerschaft und < 90 mmHg) durchgeführt. Der optimale
sind α-Methyldopa sowie β1-Blocker (z. B. Bereich für den diastolischen Blutdruck liegt bei
Atenolol, Bisoprolol oder Metoprolol). Ein 80–85 mmHg. Insbesondere bei Hypertonikern
Einsatz von Dihydralazin kann ebenfalls, ins- mit koronarer Herzkrankheit ist allerdings dar-
besondere bei hypertensiver Gestose (s. u.) er- auf zu achten, dass der Blutdruck nicht zu stark
wogen werden. Kontraindiziert sind Diureti- gesenkt wird. Werte < 120 und < 70 mmHg soll-
ka, ACE-Hemmer und AT1-Blocker wegen ten bei diesen Patienten vermieden werden, da-
Verringerung des zirkulierenden Blutvolu- mit der Perfusionsdruck in den Koronarien
mens und dadurch Verschlechterung der ute- nicht zu stark abnimmt. Bei Patienten mit Nie-
ro-plazentaren Durchblutung. Calciumkanal- reninsuffizienz sollte dagegen ein Blutdruck von
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 317

< 130 und < 80 mmHg angestrebt werden. Bei ist ein schweres Krankheitsbild mit schlechter
gleichzeitiger Proteinurie ≥ 1 g/Tag werden noch Prognose (5-Jahres-Überlebensrate ca. 50 %).
niedrigere Werte von ≤ 125 und < 75 mmHg Eine Heilung ist nur durch Transplantation
empfohlen. möglich. Die Pharmakotherapie der pulmona-
Bei leichter Hypertonie kann zunächst eine len Hypertonie basiert auf dem Versuch, durch
Monotherapie mit Betablockern, ACE-Hem- vasodilatierende Substanzen das (Rest-)Lumen
mern, AT1-Blockern, Diuretika oder Calcium- der pulmonalen Gefäße zu erhöhen und damit
kanalblockern versucht werden. Gelingt bei der die Blutversorgung zu verbessern.
Anwendung üblicher Dosen eines Monothera- Iloprost (Ventavis) und Treprostinil (RE-
peutikums – auch bei Wechsel des Antihyper- MODULIN®) sind Prostacyclin-Analoga mit
tensivums – keine befriedigende Einstellung des gefäßerweiternder Wirkung. Iloprost, das als
Blutdrucks, wird eine der folgenden Zweier- Aerosol in Einzeldosierung von 2,5–5 μg appli-
kombinationen eingesetzt: Diuretikum + ACE- ziert wird (6–9 Einzeldosen/Tag), besitzt eine
Inhibitor bzw. AT1-Blocker, Dihydropyridin- Halbwertszeit von 30 min. Bei Treprostinil, s. c.
Calciumkanalblocker + Betablocker, Calcium- oder als i. v. Dauerinfusion verabreicht, variiert
kanalblocker + ACE-Inhibitor bzw. AT1-Ant- die Halbwertszeit zwischen 1,5 und 4,5 h mit der
agonist, Calciumkanalblocker + Diuretikum Infusionsdauer. Die Initialdosis von 1,25 ng/kg/
und Betablocker + Diuretikum (nicht bei Pati- min kann zur Aufrechterhaltung der Wirkung
enten mit metabolischem Syndrom). Bei wiede- wöchentlich um 2,5 ng/kg/min gesteigert wer-
rum nicht ausreichender Wirkung ist eine Drei- den. In klinischen Studien betrugen die nach 12,
erkombination, bestehend aus Diuretikum + 24 und 48 Monaten erreichten mittleren Dosen
Betablocker + Vasodilatator, Diuretikum + 26, 36 bzw. 42 ng/kg/min.
ACE-Hemmer (oder AT1-Blocker) + Calcium- Bosentan (Tracleer®) wurde als erster Vertre-
kanalblocker oder Diuretikum + α2-Sympatho- ter der Endothelinrezeptor-Antagonisten zur
mimetikum + Vasodilatator indiziert (Vasodila- Behandlung der pulmonalen Hypertonie einge-
tator bedeutet hierbei die Auswahl einer der fol- führt. Es ist ein nichtselektiver, dualer Antago-
genden Substanzen: Dihydropyridin-Calcium- nist an ETA- und ETB-Rezeptoren. Die Biover-
kanalblocker, ACE-Hemmer, α1-Blocker, Dihy- fügbarkeit beträgt ca. 50 %, die Plasmaprotein-
dralazin oder Minoxidil). Mit solchen Dreier- bindung mehr als 98 % und die Halbwertszeit
kombinationen ist in ca. 90 % der Fälle eine aus- etwa 5,5 Stunden. Die Therapie wird mit einer
reichende Blutdrucksenkung möglich. Dosierung von 62,5 mg pro Tag über vier Wo-
chen begonnen, die anzustrebende Erhaltungs-
23.2.3 Therapie der pulmonalen dosis beträgt zweimal 125 mg pro Tag.
Hypertonie Die Clearance erfolgt durch hepatischen Me-
Die pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH) ist tabolismus mittels CYP3A4 und CYP2C9. Durch
durch einen mittleren pulmonalarteriellen Blut- Autoinduktion der verstoffwechselnden Enzyme
druck von > 21 mmHg in Ruhe oder > 28 mmHg nimmt unter einer Dauertherapie die Clearance
unter Belastung gekennzeichnet. Bei einer PAH von Bosentan zu (Rückgang der Plasmakonzen-
liegt ein Ungleichgewicht zwischen gefäßerwei- trationen auf 50–65 % der ursprünglichen Wer-
ternden und -verengenden Botenstoffen vor. te). Ferner tritt eine ausgeprägte Hemmung eines
Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Vasokon- hepatischen Transportproteins, der Gallensalz-
striktor Endothelin-1. Die daraus resultierende export-Pumpe (ABCB11) auf, wodurch die Le- 23
Einschränkung des Gefäßlumens führt zur berenzymwerte unter Behandlung ansteigen
Druckerhöhung im kleinen Kreislauf, zur Erhö- können. Bei gleichzeitiger Gabe von Bosentan
hung der Nachlast im rechten Ventrikel und und Warfarin sollte der INR-Wert engmaschig
schließlich zum Cor pulmonale mit Rechtsherz- kontrolliert werden. Bei hormonellen Kontra-
versagen. Die pulmonale arterielle Hypertonie zeptiva besteht die Möglichkeit eines Verlusts der
318 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

kontrazeptiven Wirkung durch die CYP-induzie- ckenvenenthrombose – zu einer Lungenembo-


rende Wirkung von Bosentan. Wegen des hem- lie, bei der sich der Thromboembolus nicht voll-
menden Einflusses von Glibenclamid auf ständig auflöst und die Erkrankung in ein chro-
ABCB11 sollte diese Substanz nicht gleichzeitig nisches Stadium übergeht. Die orale Bioverfüg-
mit Bosentan verwendet werden. barkeit von Riociguat ist hoch (94 %), die
Außer zur Behandlung einer pulmonalen Halbwertszeit beträgt 7 h. Die Dosis von Rioci-
Hypertonie wurde Bosentan bei Patienten mit guat soll langsam auf maximal dreimal täglich
Sklerodermie zur Verringerung der Zahl von 2,5 mg auftitriert werden.
Ulzera an Fingern und Zehen zugelassen. Die durch CYP1A1, CYP3A4, CYP2C8 und
Als Endothelinrezeptor-Antagonisten mit CYP2J2 katalysierte N-Demethylierung ist der
Selektivität für den ETA-Rezeptor sind Ambri- wichtigste Metabolisierungsweg. Zu einer phar-
sentan (Volibris®) und Macitentan (Opsumit®), makodynamischen Interaktion mit Riociguat
in einer Dosierung von 5–10 mg bzw. 10 mg/Tag kommt es bei gleichzeitiger Behandlung mit Ni-
zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie zu- traten und PDE5-Inhibitoren. Häufige Neben-
gelassen. Ambrisentan wird mit einer Halb- wirkungen sind Kopfschmerz, Schwindel, Dys-
wertszeit von 15 Stunden im Wesentlichen über pepsie, periphere Ödeme, Übelkeit, Diarrhö
eine Glucuronidierungsreaktion eliminiert, Ma- und Erbrechen.
citentan mit einer Halbwertszeit von 16 h über
CYP3A4 zu einem aktiven Metaboliten trans- 23.2.4 Hypotonie, orthostatische
formiert (Halbwertszeit 48 h). Als Nebenwir- Dysregulation und
kungen von Bosentan, Ambrisentan und Maci- Antihypotonika
tentan treten sehr häufig Kopfschmerzen, Naso- Eine Hypotonie liegt vor, wenn der systolische
pharyngitis, periphere Ödeme, Hypotonie und Blutdruck unter Ruhebedingungen unter 100
Diarrhö auf. (– 110) mmHg liegt. Bei der primären (essenzi-
Auch das Therapieprinzip der cGMP-vermit- ellen, konstitutiven) Hypotonie ist eine Ernied-
telten Vasodilatation durch PDE5-Hemmer hat rigung des Sollwerts in den Kreislaufregulations-
Eingang in die Behandlung der pulmonalen Hy- zentren anzunehmen. Sekundäre Hypotonien
pertonie gefunden. Für das ursprünglich zur Be- können kardiovaskulär (z. B. durch Herzinsuffi-
handlung der erektilen Dysfunktion entwickelte zienz, Myokarditis, Herzinfarkt, Herzrhythmus-
Sildenafil und Tadalafil (s. u.) besteht nunmehr störungen, Hypovolämie, Lungenembolie), en-
auch eine Zulassung bei PAH (Revatio® bzw. dokrin (z. B. durch Nebennierenrindeninsuffizi-
ADCIRCA®) in einer Dosierung von dreimal enz, Hypothyreose, Hypophyseninsuffizienz)
täglich 20 mg bzw. einmal täglich 40 mg. oder neurogen (z. B. durch diabetische oder Al-
Den NO/cGMP-Signalweg stimuliert auch kohol bedingte Neuropathie, apoplektischen In-
Riociguat (Adempas®), ein Aktivator der lösli- sult, Morbus Parkinson) bedingt sein. Auch tre-
chen Guanylatcyclase (sGC; Ⴉ Kap. 3.2.2). Rioci- ten sie während und nach Infektionskrankheiten
guat verfügt über einen dualen Wirkmechanis- auf. Eine sekundäre Hypotonie kann ferner eine
mus. Durch Stabilisierung der NO-sGC-Bin- Nebenwirkung zahlreicher Medikamente sein.
dung erhöht es die Empfindlichkeit von sGC So können z. B. Betablocker, Nitrate, Diuretika,
gegen endogenes NO. Außerdem stimuliert es Psychopharmaka wie MAO-Hemmer, Sedativa,
sGC auch direkt und unabhängig von NO. Rio- Antihistaminika und Zytostatika wie Vincristin
ciguat führt so zu einer erhöhten cGMP-Pro- als Nebenwirkung Hypotonien induzieren.
duktion und damit Vasodilatation pulmonaler Die asymptomatische chronische Hypoto-
Gefäße. Indikationen bestehen für PAH und nie stellt eine Variante der normalen Kreislauf-
ihre Sonderform der chronisch thromboemboli- regulation ohne Beschwerden dar, die keiner
schen pulmonalen Hypertonie; hierbei kommt Behandlung bedarf. Bei der chronischen Hypo-
es – ausgehend von einer tiefen Bein- oder Be- tonie findet man subjektive Symptome wie z. B.
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 319

Schwindel, Kältegefühl und Wetterfühligkeit. 23.2.5 Medikamentöse Schock-


Unter der regulativen Hypotonie versteht man therapie
orthostatische Dysregulationen, d. h. Störungen, Der Kreislaufschock ist durch eine akute Min-
die beim Lagewechsel vom Liegen zum Stehen derperfusion lebenswichtiger Organe meist in-
auftreten. Eine Sonderform ist die vasovagale folge eines Blutdruckabfalls charakterisiert.
(Fehl-)Reaktion, bei der es infolge einer Vaguss- Wegen des verminderten Sauerstoffangebots
timulation – häufig als Folge einer Stress-Situa- kommt es zu einer Gewebsazidose und Funkti-
tion mit Angst – zu Bradykardie und Blutdruck- onsstörung der betroffenen Organe. Als Ursa-
abfall bis zur Synkope (Ohnmacht) kommen chen eines Schocks kommen in Betracht: unzu-
kann. reichende Gefäßfüllung und damit Verminde-
Behandlungsbedürftig ist eine Hypotonie rung des Rückstroms durch Volumenmangel
z. B. bei alten Patienten (Gefahr von Synkopen), infolge von Blutungen, Plasma- oder Flüssig-
Diabetikern und Alkoholikern (Gefahr stark keitsverlusten (Volumenmangelschock), Beein-
ausgeprägter orthostatischer Dysregulationen) trächtigung der Herztätigkeit entweder durch
sowie Schwangeren (Gefahr vermehrter Aborte, Insuffizienz des linken Ventrikels infolge von
Frühgeburten und Missbildungen, Wachstums- Herzinfarkt, Myokarditis, Herzrhythmusstö-
hemmung des Feten, erhöhter perinataler kind- rungen, Klappenfehlern, Herzbeuteltamponade
licher Mortalität). In diesen Fällen ist vor oder oder Lungenembolie (kardiogener Schock) und
zusätzlich zu einer medikamentösen Therapie abnorme Weitstellung der Gefäße in der Kör-
den Patienten zu empfehlen, rasches Aufstehen, perperipherie durch Endotoxine bei einer Sepsis
besonders morgens nach längerem Liegen, zu (septischer Schock), infolge allergischer Reakti-
vermeiden. Als günstig erweisen sich auch kör- onen (anaphylaktischer Schock) oder neurogen
perliches Training und physikalische Maßnah- aufgrund außergewöhnlich starker Schmerzen,
men wie Wechselduschen, Trockenbürstungen Kopf- oder Rückenmarksverletzungen oder
oder Stützstrümpfe, ferner – nicht bei Schwan- stumpfer Traumen (neurogener Schock).
geren! – kochsalzreiche Kost (Vermehrung des Allen Schockformen ist das Missverhältnis
Plasmavolumens) und Coffein-haltige Getränke. von Gefäßkapazität und zirkulierendem Blutvo-
Ansatzpunkte einer medikamentösen Thera- lumen gemeinsam. Auf den Blutdruckabfall
pie hypotoner Störungen sind die Erhöhung des durch den Volumenverlust reagiert das Kreis-
Venentonus und damit Verbesserung des venö- laufzentrum in der Medulla oblongata mit einer
sen Rückstroms, Steigerung der Kontraktilität allgemeinen Aktivierung des Sympathikus.
des Herzens und damit Gewährleistung eines Durch diese sympathisch bedingte Gegenregu-
ausreichenden Herzzeitvolumens auch bei rela- lation wird das Blut umverteilt: Die Peripherie
tiv niedrigem Füllungsdruck, Erhöhung des pe- wird weitgehend von der Blutversorgung zu-
ripheren Widerstands und damit des Ausgangs- gunsten der lebenswichtigen Organe Gehirn,
blutdrucks sowie Reduktion der Ausscheidung Herz und Lungen ausgeschlossen (Zen-
von Natriumionen und damit Erhöhung des zir- tralisation). In den schlecht durchbluteten Be-
kulierenden Plasmavolumens mittels Fludro- zirken werden ferner, ebenfalls als Folge der
cortison (Ⴉ Kap. 21.7.2). Zur Erhöhung des peri- mangelhaften Sauerstoffversorgung, gefäßdila-
pheren Widerstands und zur Steigerung der tierende Substanzen freigesetzt, die vor allem im
Kontraktilität werden (nur bei Formen mit ver- Arteriolengebiet wirksam werden. Das bedeu-
mindertem Sympathikustonus!) Sympathomi- tet, dass der Blutzustrom, nicht aber der Blutab- 23
metika eingesetzt. Wird eine solche Therapie strom wieder möglich ist. Flüssigkeit tritt daher
erwogen, sind nur Substanzen geeignet, die ins Gewebe aus. Wegen der geringen Strö-
α- und β-Rezeptoren gleichzeitig stimulieren. mungsgeschwindigkeit des Blutes aggregieren
Hierzu gehören direkte α,β-Sympathomimetika, zudem die Erythrozyten, wodurch die Viskosität
z. B. Etilefrin (Ⴉ Kap. 19.2.2). des Blutes stark zunimmt. Schließlich sistiert die
320 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Blutströmung in den Kapillaren durch Throm- 75 % einer Dosis von Dopamin werden zu der
bosierung völlig. Der ursprünglich noch reversi- pharmakologisch inaktiven Homovanillinsäure
ble Schock geht in den irreversiblen Schock abgebaut, die übrigen 25 % in Noradrenalin um-
über. Besonders gefährdet im Schock sind die gewandelt und u. a. zu Vanillinmandelsäure me-
Nieren, da sie zu den am stärksten durchblute- tabolisiert. Bei längerer Anwendung nimmt die
ten Organen gehören und daher besonders Wirkung wegen Desensibilisierung ab. Wegen
empfindlich auf Durchblutungsstörungen re- der Auslösung von Herzrhythmusstörungen so-
agieren. Ziel der Schocktherapie ist die mög- wie von immunsuppressiven Wirkungen hat
lichst rasche Wiederherstellung der gestörten Dopamin in der Schocktherapie an Bedeutung
Gewebeperfusion und die Beseitigung der scho- verloren.
ckauslösenden Ursache.
Die positive Inotropie von Dobutamin (Generi-
Volumensubstitution. Die wichtigste Maßnah- ka) erklärt sich durch die agonistische Wirkung
me bei den meisten Schockformen (Ausnahme an kardialen β1-Rezeptoren, wodurch es zu posi-
kardiogener Schock) ist die Volumensubstituti- tiver Chronotropie und Kontraktilitätssteige-
on. Die zirkulierende Flüssigkeitsmenge muss rung mit Anstieg des Herzminutenvolumens
dadurch möglichst schnell zum Normalwert er- kommt. Dobutamin besitzt ferner eine agonisti-
höht werden, und zwar durch Elektrolyt- sche Wirkung an β2- und – in geringerem Maß
lösungen, Plasmaersatzflüssigkeiten, Plasmap- – α2-Rezeptoren in der Peripherie. Der systemi-
räparate oder Blut (nur in Ausnahmefällen, sche Gefäßwiderstand, bei höheren Dosen auch
wenn Sauerstoffträger unbedingt erforderlich der pulmonale Gefäßwiderstand, nehmen ab.
sind). Bei kardiogenem Schock (s. u.) ist Dobutamin
Mittel der 1. Wahl.
Die Hämodynamik beeinflussende Pharmaka in
Die Metabolisierung führt zu Glucuroniden
der Schocktherapie. Neben der Volumenauffül-
sowie zu dem pharmakologisch inaktiven 3-O-
lung kommt kreislauf- und herzwirksamen Sub-
Methyl-Dobutamin. Die übliche Dosierung liegt
stanzen große Bedeutung zu. In der Zen-
bei 2,5–10 μg/kg/min. Bei kontinuierlicher Gabe
tralisations- sowie in der Spätphase des Schocks
kommt es nach etwa 2 Tagen wie bei Dopamin
sind nach ausreichender Volumenauffüllung
durch Desensibilisierung zu einer Wirkungsab-
u. U. gefäßerweiternde Stoffe günstig.
schwächung.
Dopamin (Generika) ist, wie in Ⴉ Kap. 17 be-
Sonstige Sympathomimetika. Bei Schockfor-
schrieben, ein biogenes Amin aus der Gruppe
men mit Erniedrigung des peripheren Wider-
der Catecholamine. In Dosierungen von 1–2 μg/
stands in der Anfangsphase werden Adrenalin
kg/min dilatiert es durch Stimulation dop-
(z. B. Emerade®) bei anaphylaktischem und
aminerger Rezeptoren die Mesenterial- und
Noradrenalin (Arterenol®) bei septischem
Nierengefäße, wodurch eine vermehrte Nieren-
Schock eingesetzt.
durchblutung und eine gesteigerte Diurese re-
sultieren. Bei Dosierungen von 2–10 μg/kg KG/ Antikoagulanzien, Fibrinolytika. Zur Prophy-
min kommt es zusätzlich zu einer Erregung von laxe und/oder Therapie der beim protrahierten
β-Rezeptoren mit Zunahme des Herzminuten- Schock auftretenden Gerinnungsstörungen
volumens. Bei Dosierungen von mehr als 10 μg/ werden Antikoagulanzien (s. o.) und Fibrinoly-
kg KG/min tritt durch Stimulation von tika (s. o.) angewandt.
α-Rezeptoren außerdem eine periphere Vaso-
Therapie des kardiogenen Schocks. Beim kar-
konstriktion auf, die in Kombination mit dem
diogenen Schock handelt es sich um eine kriti-
erhöhten Herzminutenvolumen zu einem An-
sche Verringerung des Herzzeitvolumens trotz
stieg des Blutdrucks führt.
ausreichenden Kreislaufvolumens. Neben den
besonders wichtigen Bemühungen, die Schock-
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 321

ursachen zu beseitigen, z. B. durch Ballondila- sklerose entsteht durch eine fortschreitende Ste-
tation und Stent-Implantation beim Myokard- nosierung bzw. den Verschluss der arteriellen
infarkt oder Fibrinolyse bei Lungenembolie, Beingefäße. Im Stadium I werden nur nach ex-
muss die Herzarbeit durch Vor- und/oder tremer Belastung Beschwerden angegeben. Im
Nachlast-senkende Substanzen (Nitrate, ACE- Stadium II ist durch die fortgeschrittene Arte-
Hemmer, Diuretika, Vasodilatatoren) ökono- riosklerose die Durchblutung und damit die
misiert, die Kontraktionskraft durch positiv in- Sauerstoffversorgung vor allem in den unteren
otrope Substanzen (Dobutamin, β-Agonisten, Extremitäten so stark reduziert, dass beim
PDE3-Hemmer) erhöht und eine Herzrhyth- Gehen wegen der Anreicherung saurer Stoff-
musstörung behoben werden. Bei akuten bra- wechselprodukte Schmerzen auftreten, die zum
dykarden Herzrhythmusstörungen besteht die Stehenbleiben zwingen („Schaufensterkrank-
Therapie in der Gabe eines Parasympatholyti- heit“). Nach kurzer Ruhe verschwinden die
kums oder β-Sympathomimetikums, alternativ Schmerzen wieder. Man bezeichnet diesen Zu-
in der Implantation eines Herzschrittmachers. stand als Claudicatio intermittens (intermittie-
Bei tachykarden Herzrhythmusstörungen rendes Hinken). Beim Stadium III treten
steht die Terminierung der Tachykardie durch Schmerzen in den Extremitäten bereits in Ruhe
Kardioversion oder Antiarrhythmika (s. u.) im auf. Im Stadium IV findet man zusätzlich Haut-
Vordergrund. Elektrolyt- und Säure-Basen-Stö- schädigungen mit Nekrosen, nicht selten besteht
rungen sind auszugleichen. Außerdem sind die Notwendigkeit zur Amputation.
eine Schmerzbehandlung mit Morphin und Die Grundlage der konservativen Behand-
eine Sedierung mit einem Benzodiazepin lung einer PAVK ist neben der Ausschaltung
durchzuführen. von Risikofaktoren die gezielte aktive Bewe-
gungstherapie in Form eines progressiven In-
23.2.6 Therapie arterieller tervalltrainings bis zur Schmerzgrenze. Vor al-
Durchblutungsstörungen lem im Stadium II können damit gute Erfolge
23.2.6.1 Periphere Durchblutungsstörungen erzielt werden: Durch die reaktive Hyperämie
Die Raynaud-Krankheit ist durch eine erhöhte wird die Ausbildung von Kollateralen gefördert,
Verengungsbereitschaft bestimmter Bezirke des die beeinträchtigte Gehfähigkeit verbessert und
Gefäßsystems (insbesondere im Finger- und Ze- die Progredienz der Erkrankung verzögert.
henbereich) charakterisiert. Als Folge der da- Als instrumentelles lumeneröffnendes Ver-
durch bedingten Vasospasmen kommt es zu ei- fahren kann die perkutane Katheterangioplas-
ner länger anhaltenden, intermittierenden Man- tie plus Einführung eines Stents vor allem bei
geldurchblutung mit Taubheitsgefühl und star- kurzen isolierten Stenosen bzw. Verschlüssen
ken Schmerzen. Bevorzugt betroffen sind junge eingesetzt werden. Die medikamentöse Thera-
Frauen. Die Anfälle werden meist durch Kälte pie peripherer arterieller Durchblutungsstörun-
oder seelische Erregung ausgelöst. Auch Ergot- gen umfasst:
amin (Ⴉ Kap. 19.4.1) kann einen Anfall hervor-
rufen. Die Therapie besteht neben der Vermei- 󠀂 Thrombozytenaggregationshemmer: Die
dung auslösender Noxen und autogenem Trai- günstige Wirkung von z. B. Acetylsalicylsäure
ning in der Gabe von vasodilatierend wirkenden bei PAVK wurde in großen Studien zweifels-
Pharmaka. Als geeignet haben sich Calciumka- frei nachgewiesen.
nalblocker, z. B. Nifedipin, in einer Dosierung 󠀂 ACE-Hemmer: Der ACE-Hemmer Ramipril 23
von dreimal täglich 10–30 mg erwiesen. Außer- ist auch bei der peripheren arteriellen Ver-
dem können α1-Antagonisten, z. B. Doxazosin schlusskrankheit wirksam. Noch nicht unter-
(Dosierung 4 mg/Tag), gegeben werden. sucht ist, ob andere ACE-Hemmer eine ähn-
Die periphere arterielle Verschlusskrank- liche Wirkung erzielen. Möglich ist, dass Ra-
heit (PAVK) mit zugrunde liegender Arterio- mipril die Durchblutung in den kleineren
322 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Blutgefäßen verbessert oder sich günstig auf beschrieben. Bei frischem Myokardinfarkt,
den Stoffwechsel in der Muskulatur auswirkt. Herz- und Koronarinsuffizienz, arteriellen Blu-
󠀂 Vasodilatatoren: Gefäßerweiternde Sub- tungen sowie orthostatischer Dysregulation ist
stanzen bei PAVK beinhalten die Gefahr ei- Naftidrofuryl kontraindiziert. Antihypertonika,
ner noch weiter verschlechterten Durchblu- Betablocker und Antiarrhythmika werden in ih-
tung in den gefährdeten Arealen, und zwar rer Wirkung durch Naftidrofuryl verstärkt.
entweder durch einen wegen der allgemeinen Pentoxifyllin (z. B. Trental®) verbessert die
Gefäßerweiterung bedingten Blutdruckabfall Fließeigenschaften des Blutes durch eine Sen-
oder – bei gleichbleibendem Blutdruck – kung der erhöhten Blutviskosität. Der Wir-
durch Vasodilatation gesunder Bezirke (Ste- kungsmechanismus basiert auf einer Inhibition
al-Effekt). Im Stadium III und IV der PAVK der Phosphodiesterase mit konsekutiver, cAMP-
hat sich allerdings Prostaglandin E1 (Alpros- vermittelter Hemmung der Erythrozyten- und
tadil; z. B. prostavasin®) bewährt. Neben der Thrombozytenaggregation. Außerdem werden
gefäßerweiternden und aggregationshem- pathologisch erhöhte Plasmafibrinogenspiegel
menden Wirkung von PGE1 ist an dessen gesenkt und die Aktivierung sowie endotheliale
günstigem therapeutischem Effekt wahr- Adhäsion von Leukozyten vermindert. Die Do-
scheinlich eine Hemmung der Proliferation sierung beträgt zur Einleitung einer Behandlung
glatter Gefäßmuskelzellen beteiligt. Die Do- bei PAVK im Stadium II 1–2mal täglich 100–
sierung beträgt intraarteriell mittels Perfusor 300 mg als Infusion, ergänzt durch die orale
10–20 μg ein- bis zweimal täglich; intravenös Gabe von 400–600 mg/Tag. Die Therapie wird
als Infusion 40 μg zweimal täglich. danach mit 3mal täglich 400 mg p. o. fortgesetzt.
Wegen der Gefahr einer aplastischen Anämie
Auch das Prostacyclin-Derivat Iloprost (Ilome-
sind regelmäßig Blutbildkontrollen durchzu-
din®) wird bei fortgeschrittener Thrombangiitis
führen. Als Nebenwirkungen kann es zu Flush,
obliterans – einer durch Rauchen induzierten
Schwindel Tremor, Fieber oder Magen-Darm-
entzündlichen Sonderform der PAVK – in Fäl-
Beschwerden kommen. Kontraindikationen
len, bei denen eine Revaskularisierung nicht
sind akuter Herzinfarkt, hämorrhagische Dia-
möglich ist, intravenös als Infusion in einer Do-
these und Magen-Darm-Ulzera. Die Wirkung
sierung von 0,5–2 ng/kg/min während 6 Stun-
von Antikoagulanzien und Antidiabetika wird
den angewandt. Die Halbwertszeit beträgt 0,5
durch Pentoxifyllin verstärkt.
Stunden. Die Substanz wird über Oxidation der
Carboxylseitenkette metabolisiert. Die Metabo- Fibrinolyse von thrombotischen oder emboli-
liten werden überwiegend renal ausgeschieden. schen Gefäßverschlüssen. Bei akuten bis sub-
akuten thrombotischen Gefäßverschlüssen, die
Verbesserung der Fließeigenschaften des Blu-
nicht länger als 1–2 Monate bestehen, kommt
tes. Zur Verlängerung der Gehstrecke bei
eine Therapie mit Fibrinolytika (s. o.) in Be-
PAVK-Patienten im Stadium II, wenn andere
tracht. Neben der Auflösung des Thrombus
Maßnahmen wie z. B. ein Gehtraining, gefäßlu-
führt eine solche Behandlung auch zur Erniedri-
meneröffnende und/oder rekonstruktive Ver-
gung der Blutviskosität durch Senkung des Fib-
fahren nicht angezeigt sind, sind einsetzbar:
rinogenspiegels.
Naftidrofuryl (z. B. Dusodril®), ein 5-HT2-Re-
zeptor-Blocker, antagonisiert die vasokonstrik-
23.2.6.2 Medikamentöse Behandlung
torischen und Plättchenaggregation-fördernden
zerebraler Durchblutungsstörungen
Wirkungen von Serotonin. Die Tagesdosis liegt
Wie die peripheren beruhen auch die zentralen
bei dreimal 200 mg. Als Nebenwirkungen sind
(akuten und chronischen) Durchblutungsstö-
zentralnervöse und gastrointestinale Störungen,
rungen zu ca. 90 % auf arteriosklerotischen Ver-
periphere Ödeme und Miktionsbeschwerden
23.2 Gefäßsystem und Kreislauf 323

änderungen der betreffenden Gefäße. Die arte- hen Rekanalisation bei proximalen intrakraniel-
rielle Hypertonie stellt einen wesentlichen Risi- len Gefäßverschlüssen.
kofaktor sowohl für erstmalige als auch für Rezi- Bei Patienten mit akutem ischämischem
divschlaganfälle dar. Apoplex ist häufig der Blutdruck erhöht, was
Bei den akuten ischämischen Durchblu- aber bis zu einer Grenze von 180–220/105–120
tungsstörungen unterscheidet man transitori- zur Aufrechterhaltung der zerebralen Perfusion
sche ischämische Attacken (TIA), bei denen in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall nicht
sich die neurologischen Symptome innerhalb therapiert wird. Höhere Werte sind dagegen be-
von 24 Stunden komplett zurückbilden, prolon- handlungsbedürftig, wobei Urapidil, Clonidin
gierte reversible ischämische neurologische sowie Dihydralazin plus Metoprolol (s. o.) emp-
Defizite (PRIND) mit ebenfalls kompletter fohlen werden. Starke Blutdruckschwankungen
Rückbildung der Symptome, allerdings erst in- sind zu vermeiden.
nerhalb einer Woche, den Hirninfarkt (akuten Zur Behandlung eines Hirnödems bzw. des
zerebralen Insult; Apoplex) mit nur teilweiser erhöhten intrakraniellen Drucks bei einem
Rückbildung der neurologischen Symptome Apoplex werden Osmodiuretika (Ⴉ Kap. 26.1.5),
und den progredienten Hirninfarkt mit zuneh- z. B. 25–50 g Mannitol als Infusion alle 3–6 h in
mender Symptomatik oder fehlender Rückbil- den ersten 48 Stunden nach dem Insult einge-
dungstendenz. Bei der chronischen zerebrovas- setzt.
kulären Insuffizienz kommt es wegen der gene- Zur Sekundärprävention von ischämischen
ralisierten arteriosklerotischen Veränderungen Schlaganfällen und transitorischen ischämi-
der Hirnarterien zu zahlreichen, initial symp- schen Attacken (TIA) hat sich die Kombination
tomlosen, kleinen, lakunären Hirninfarkten, von Dipyridamol mit Acetylsalicylsäure (z. B.
die allmählich zu einer Multiinfarktdemenz Aggrenox®) in Studien als nützlich erwiesen.
(Ⴉ Kap. 10.7) führen. Patienten mit arterieller Hypertonie nach ischä-
Therapeutisch werden bei transitorischen is- mischem Schlaganfall oder TIA sollen langfris-
chämischen Attacken und prolongierten ischä- tig, vorzugsweise mit einem ACE-Hemmer, an-
mischen neurologischen Defiziten Thrombozy- tihypertensiv behandelt werden.
tenaggregationshemmer, insbesondere Acetyl-
salicylsäure, in einer Dosierung von 0,1–0,3 g 23.2.7 Venenerkrankungen und
täglich, eingesetzt. Bei einer Thrombolysethera- Venentherapeutika
pie (s. u.) oder während 24 Stunden danach soll- Neben der akuten Entzündung oberflächlicher
te Acetylsalicylsäure dagegen nicht gegeben Venen (Thrombophlebitis), der tiefen Venen-
werden. Wichtig sind ferner Maßnahmen zur thrombose (Phlebothrombose) und der Vari-
Aufrechterhaltung eines ausreichenden Perfusi- kose (Krampfadern) kommt der chronisch ve-
onsdrucks (z. B. Behandlung einer Herzinsuffi- nösen Insuffizienz (CVI) als Folgeerkrankung
zienz oder von hämodynamisch sich auswirken- von Veränderungen des oberflächlichen und
den Herzrhythmusstörungen). tiefen Venensystems große Bedeutung zu. Die-
Auch beim ischämischen Apoplex bilden die- ses Krankheitsbild ist durch einen Symptomen-
se allgemein-internistischen Maßnahmen die komplex mit Schweregefühl und Schmerzen in
Basis der Behandlung. Nur wenn der Patient in- den Beinen nach längerem Stehen oder Sitzen
nerhalb der ersten 4,5 Stunden nach Eintritt des sowie Ödemneigung besonders im Knöchelbe-
Schlaganfalls in eine Spezialklinik (stroke unit) reich charakterisiert. Es beruht auf einer venö- 23
eingeliefert wird und eine Hirnblutung ausge- sen Abflussstörung mit Erhöhung des Venen-
schlossen werden konnte, kann wie bei einem drucks infolge Obstruktion oder Klappeninsuf-
Herzinfarkt eine systemische Fibrinolyse mit rt- fizienz der tiefen Venen nach Phlebothrombose,
PA durchgeführt werden. Endovaskuläre Reka- insuffizienter Perforansvenen und/oder ober-
nalisationsverfahren erhöhen die Rate der frü- flächlicher Varikose. Dem pathophysiologi-
324 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

schen Geschehen entsprechend ist neben chir- 23.2.8 Erektionsfördernde Pharmaka


urgischen Eingriffen (Varizenentfernung, Liga- Unter einer erektilen Dysfunktion versteht man
tur insuffizienter Perforansvenen) die wichtigste eine unzureichende Erektion, die einen norma-
therapeutische Maßnahme bei CVI eine korrekt len befriedigenden Geschlechtsverkehr unmög-
durchgeführte Kompressionsbehandlung mit lich macht (Impotentia coeundi). Die Inzidenz
Stütz- bzw. Kompressionsstrümpfen oder Kom- steigt mit zunehmendem Alter. Mit 65 Jahren
pressionsverbänden. Als günstig erweist sich beträgt sie 25–30 %. Als Ursachen sind zu nen-
auch die Anregung der venösen Zirkulation nen: verringerter arterieller Einstrom in die
durch Gehübungen, Bewegungsbäder, Radfah- Schwellkörper oder verstärkter venöser Ab-
ren und Beingymnastik sowie nächtliches strom, zu geringe Testosteronproduktion, Hy-
Hochlagern der Beine. Zur medikamentösen perprolactinämie, Querschnittslähmung, Multi-
Therapie venöser Rückflussstörungen werden ple Sklerose, Polyneuropathie infolge Diabetes
angewandt: mellitus sowie psychogene und durch Arznei-
mittel (Antiandrogene, Antidepressiva, Antihy-
Diuretika. Zur initialen Ausschwemmung ve-
pertensiva, Tranquillanzien) bedingte Störun-
nös bedingter Ödeme (z. B. vor Anpassen eines
gen. Therapeutisch kann bei nachgewiesenem
Kompressionsstrumpfes oder gleichzeitig mit
Androgenmangel Testosteron angewandt wer-
dem Anlegen eines Kompressionsverbandes)
den. Bei Diabetikern ist auf eine gute Stoffwech-
können Thiazid-Diuretika, die eine protrahier-
seleinstellung zu achten.
te Diuresesteigerung hervorrufen, in niedriger
Injektion des vasodilatierend wirkenden Pro-
Dosierung angewandt werden. Eine Dauerthe-
staglandins Alprostadil (CAVERJECT®) in die
rapie ist nicht indiziert. Schleifendiuretika soll-
Schwellkörper ist wirksam, jedoch für die Pati-
ten wegen der Gefahr einer Erhöhung der Blut-
enten erheblich belastend.
viskosität vermieden werden.
Mit Sildenafil (z. B. VIAGRA®), Vardenafil
Ödemprotektiva. Hierzu gehören Präparate, die (LEVITRA®), Avanafil (Spedra®) und Tadalafil
Extrakte aus Samen von Aesculus hippocasta- (CIALIS®) stehen nunmehr im Unterschied zu
num, oder daraus isolierte Triterpenglykoside Alprostadil oral anwendbare Pharmaka zur Be-
(Aescin), Extrakte aus roten Weinlaubblättern handlung der erektilen Dysfunktion zur Verfü-
oder Flavon-Derivate, u. a. Rutin bzw. partial- gung. Als Hemmstoffe der Phosphodiesterase 5
synthetisch aus diesem gewonnenes Trihydroxy- (PDE5) blockieren sie den Abbau von cGMP.
ethyl-rutin (Troxerutin) bzw. O-(β-Hydroxy- cGMP erschlafft die den Penis versorgenden ar-
ethyl)-Rutoside, enthalten. Diese Stoffe sollen teriellen Gefäße und die sinusoidalen glatten
die Kapillarpermeabilität und damit die Kapil- Muskelfasern der Schwellkörper. Durch erhöh-
larfiltration herabsetzen, das lokale Ödem da- ten Bluteinstrom in das Corpus cavernosum
durch verhindern oder zumindest verringern und dessen konsekutive Schwellung wird der
und gleichzeitig den venösen Rückstrom verbes- Blutabfluss über intrakavernöse Venen behin-
sern. Die klinische Wirksamkeit ist umstritten. dert. Die verschiedenen PDE5-Hemmer unter-
Rosskastaninenextrakt enthält z. B. Venostasin®; scheiden sich im Wesentlichen durch ihre phar-
Extrakt aus roten Weinlaubblättern Antistax®; makokinetischen Eigenschaften und damit im
Troxerutin z. B. Troxeven®; Hydroxyethyl-Ruto- Wirkungseintritt sowie der Wirkdauer. Die
side z. B. Venoruton®. Halbwertszeiten für Sildenafil, Vardenafil, Ava-
nafil und Tadalafil betragen 3–5, 4–5, 10–17
Venenmittel zur lokalen Anwendung. Topisch
bzw. 18 h bei Dosierungen von 25–100, 5–20,
angewandte Venenmittel enthalten vor allem
100–200 bzw. 10–20 mg.
Heparin. Eine über den Massageeffekt hinausge-
Sie werden sämtlich durch CYP3A4 biotrans-
hende Wirksamkeit ist nicht belegt.
formiert. Sildenafil wird darüber hinaus durch
23.3 Herz 325

CYP2C9 zum noch aktiven Hauptmetaboliten seltener einen Herzinfarkt erleiden und bei ein-
N-Desmethyl-Sildenafil umgewandelt. Die getretenem Herzinfarkt eine dreimal größere
gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Hemmstoffen Überlebenschance haben als Untrainierte.
kann daher zu erheblichen Arzneimittelinterak-
tionen führen. Als Nebenwirkungen werden häu- Angina pectoris
fig Kopfschmerzen und Flush sowie gelegentlich Bei einer Angina pectoris liegt ein Missverhält-
Dyspepsie, Sehstörungen, verstopfte Nase und nis von Sauerstoffangebot und Sauerstoffver-
Schwindel beobachtet. Auch kann es zu Priapis- brauch (Koronarinsuffizienz) bei reduzierter, in
mus kommen. Bei Patienten, die Nitrate oder an- fortgeschrittenen Fällen weitgehend aufgehobe-
dere NO-Donatoren einnehmen, sind PDE5- ner Koronarreserve vor. Als kontinuierlich ar-
Hemmer wegen der Gefahr erheblicher, u. U. beitendes Organ, das keine Sauerstoffschuld
tödlicher Nebenwirkungen kontraindiziert. Wei- eingehen kann, reagiert der Herzmuskel emp-
tere Kontraindikationen sind schwere kardiovas- findlich auf eine mangelhafte Sauerstoffversor-
kuläre und hepatische Erkrankungen. gung. Den Angina-pectoris-Anfall erlebt der
Patient mit einem charakteristischen Druckge-
fühl hinter dem Brustbein, so als werde der
23.3 Herz Brustkorb von Fassreifen eingeengt oder in ei-
nen Schraubstock gespannt (daher die Bezeich-
23.3.1 Koronare Herzkrankheit nung Angina pectoris = Enge der Brust). Viel-
23.3.1.1 Pathophysiologische Grundlagen fach strahlt der Schmerz bis in die linke Schulter
Vor allem die größeren Koronararterienäste und den Oberarm aus, gelegentlich werden die
können von einer Arteriosklerose betroffen Beschwerden auch im Nacken und im Schlüssel-
sein. Die Koronarsklerose, die zu einer Einen- beinbereich oder vor allem bei Frauen als Ma-
gung der koronaren Strombahn oder durch genverstimmung angegeben. Außer durch eine
eventuelle zusätzliche Thrombenbildung zu teil- Koronarsklerose, der weitaus wichtigsten Ursa-
weisem oder vollständigem Verschluss von Ko- che einer Angina pectoris, kann diese durch ve-
ronararterienästen führt, ist die wichtigste Ursa- getative Fehlsteuerung, Arrhythmien oder
che der koronaren Herzkrankheit (KHK), de- Herzinsuffizienz sowie überhöhten Sauerstoff-
ren Spektrum von der asymptomatischen Form bedarf infolge gesteigerter Herzleistung (z. B. bei
über die stabile Angina pectoris bis zum Aku- Hochdruck, Herzklappenfehlern) oder zu nied-
ten Koronarsyndrom reicht (s. u.). Etwa 1/3 al- rigem Sauerstoffgehalt des Blutes (z. B. bei An-
ler Todesfälle ist dadurch bedingt. Rechtzeitige ämien, Methämoglobinämie, Kohlenmonoxid-
Präventivmaßnahmen, deren Ziel es ist, die Ko- vergiftung) bedingt sein.
ronarsklerose-fördernden Risikofaktoren zu er- Besonders betroffen sind bei einem Angina-
kennen und – soweit möglich – auszuschalten, pectoris-Anfall die endokardnahen Schichten
sind daher dringend erforderlich. Als Risikofak- des linken Herzens, da im Anfall der linksvent-
toren sind gesichert: Rauchen, Adipositas, Hy- rikuläre enddiastolische Ventrikeldruck an-
pertonie, Hyperlipoproteinämie und Diabetes steigt, dadurch die myokardiale Komponente
mellitus. Häufig treten diese Faktoren kombi- des Koronarwiderstands zunimmt und als Folge
niert, insbesondere beim metabolischen Syn- davon die endokardnahe Durchblutung sinkt.
drom (Ⴉ Kap. 21.6.1), auf. Ferner können unge- Interessanterweise kommt es bei einer mangel-
nügende körperliche Bewegung, hektische Le- haften Durchblutung des Herzens nicht immer 23
bensweise und anhaltende psychische Frustrati- zu pektanginösen Beschwerden. Fehlen diese
onen eine koronare Herzkrankheit begünstigen. trotz einer – z. B. mittels Belastungs-EKG nach-
Daher ist eindringlich zu betonen, dass Men- weisbaren – koronaren Durchblutungsstörung,
schen, die regelmäßig Sport treiben, wesentlich liegt eine stumme Myokardischämie vor.
326 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Akutes Koronarsyndrom Es gibt jedoch auch Infarkte, die stumm verlau-


Die lebensbedrohlichen Formen der koronaren fen. Häufigste Ursache eines Herzinfarkts ist ein
Herzkrankheit werden heute unter dem Begriff thrombotischer Verschluss eines Koronararte-
Akutes Koronarsyndrom (acute coronary syn- rienastes infolge der Ruptur einer arteriosklero-
drome, ACS) zusammengefasst. Dieses schließt tischen Plaque. Interessanterweise sind von die-
die instabile Angina pectoris, den nicht-trans- sen Verschlüssen häufig solche Gefäße betroffen,
muralen und den transmuralen Myokardin- deren Lumen durch die Plaque erst geringgradig
farkt ein. Mittels EKG-Untersuchungen können verengt war. Dies ist darauf zurückzuführen,
die entsprechenden Unterscheidungen vorge- dass die dort befindlichen Plaques noch instabil
nommen werden. So liegt bei Infarkt-Patienten, sind und daher an ihrer Schulter einreißen kön-
deren EKG keine ST-Streckenhebung aufweist, nen. Die Folge ist dann ein durch einen Throm-
ein nicht-transmuraler (non ST-elevation myo- bozyten- und nachfolgend einen Gerinnungs-
cardial infarction, NSTEMI), bei Patienten, bei thrombus hervorgerufener akuter Gefäßver-
denen eine Hebung der ST-Strecke nachweisbar schluss. Eine präventive Therapie zielt somit
ist, dagegen ein transmuraler Infarkt (ST-eleva- nicht zuletzt auf eine Plaque-Stabilisierung.
tion myocardial infarction, STEMI) vor. Besonders gefährlich ist ein Myokardinfarkt,
wenn Komplikationen hinzukommen. Von die-
Instabile Angina pectoris. Bei der instabilen
sen sind die wichtigsten: Herzrhythmusstörun-
Angina pectoris wechseln im Gegensatz zur sta-
gen (insbesondere ventrikuläre Arrhythmien),
bilen Angina Häufigkeit und Schwere der Symp-
mechanisches Versagen des Herzmuskels mit
tome. So können an einem Tag spontan sehr hef-
der Gefahr eines Lungenödems oder eines kar-
tige Angina-pectoris-Attacken auftreten, wäh-
diogenen Schocks, Ausbildung eines Herzwan-
rend am darauffolgenden Tag ein Anfall erst
daneurysmas, Entstehung von Herzwandthrom-
durch erhebliche körperliche Belastung auslös-
ben im Bereich des Aneurysmas, die als Emboli
bar ist. Als Ursache der unterschiedlich stark
in Organe des großen Kreislaufs (z. B. ins Gehirn
ausgeprägten Symptome werden in ihrer Größe
oder in die Peripherie) weggeschwemmt werden
wechselnde thrombotische Auflagerungen auf
können, und die fast immer tödliche Herzrup-
atheromatösen Plaques, Plaqueruptur mit
tur, d. h. der Einriss im Infarktbereich mit Blu-
Thrombusbildung sowie Koronarspasmen ange-
tung in den Herzbeutel (Herzbeuteltamponade),
nommen. Die spastische Gefäßverengung ist so
oder der Abriss eines Papillarmuskels und da-
zu erklären, dass bei exzentrisch gelegener Ste-
durch Zerstörung des Mitralklappen-Halteap-
nose der nicht betroffene Gefäßwandanteil spas-
parats. Sofern solche Komplikationen nicht auf-
tisch reagieren kann. In allen Fällen einer insta-
treten bzw. überlebt werden, vernarbt der In-
bilen Angina pectoris sind die Patienten stark
farktbezirk, d. h. er wird bindegewebig umge-
herzinfarktgefährdet, eine stationäre Aufnahme
baut. Das Herz kann dann entweder den
mit invasiver Diagnostik ist indiziert.
Alltagsanforderungen wieder genügen oder es
Herzinfarkt (Myokardinfarkt). Wird die Koro- entsteht eine chronische Herzinsuffizienz.
nardurchblutung akut in einem Teil des Herzens
unterbrochen, kommt es in diesem Gebiet zum 23.3.1.2 Koronartherapeutika (Antianginosa)
Untergang von Herzmuskelgewebe (Myokard- Eine wirksame antianginöse Therapie lässt sich
nekrose) und damit zum Herzinfarkt (Myokard- auf folgende Weise erreichen (Ⴜ Abb. 23.4): Sen-
infarkt), der in der Regel unter einem vernich- kung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs
tenden Druck- und Schmerzgefühl zu Blut- durch Erniedrigung der Kontraktilität, der
druckabfall, Fieber, Leukozytose, Blutzucker- Herzfrequenz und/oder der myokardialen
anstieg und Auftreten erhöhter Muskelenzym- Wandspannung, Erhöhung des Sauerstoffange-
konzentrationen im Serum sowie typischen bots vor allem in den Innenwandschichten des
Veränderungen im Elektrokardiogramm führt. Herzens durch Verlängerung der Diastolendau-
23.3 Herz 327

er und Senkung der extravasalen Komponente


des Koronarwiderstands und Beseitigung von Calciumantagonisten, Betablocker
(Betablocker)
Koronarspasmen.
Auf diese Weise wird das Missverhältnis zwi-
schen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf Erniedrigung der Herz-
Erniedrigung der
aufgehoben oder zumindest herabgesetzt. Beim Kontraktilität frequenz, Verlängerung
Angina-pectoris-Anfall ist das Ziel der Behand- der Diastolendauer
lung dessen rasche Kupierung, die Prophylaxe
oder wenigstens die Reduzierung neuer Angina-
Senkung des Verbesserung des
pectoris-Anfälle und die Verbesserung der Pro- Sauerstoffangebots
myokardialen
gnose, insbesondere die Verringerung der Ge- Sauerstoffbedarfs (vor allem in den
Innenwandschichten)
fahr eines Herzinfarkts.

Nitrate Erniedrigung der


Die verschiedenen Nitrate wirken pharmakody- Wandspannung
namisch weitgehend gleich und unterscheiden
sich somit vor allem in ihrer Pharmakokinetik,
Verringerung des Reduzierung des
d. h. vor allem im Wirkungseintritt und in der Füllungsvolumens peripheren Widerstands
Wirkdauer, sowie in der Nitrattoleranz (s. u.). („Preload“-Reduktion) („Afterload“-Reduktion)
Durch Angriff an der Venenmuskulatur führen
sie zu einer Venenerweiterung und damit zu ei-
ner vermehrten Blutaufnahme im venösen Teil Nitrate
Calciumantagonisten,
des Gefäßsystems (venous pooling). Als Folge (Nitrate)
davon wird der venöse Rückstrom zum Herzen
Ⴜ Abb. 23.4 Erniedrigung des myokardialen Sau-
vermindert, das Füllungsvolumen herabgesetzt
erstoffverbrauchs und Verbesserung des Sauer-
und die diastolische Wandspannung erniedrigt stoffangebots durch Koronartherapeutika
(Preload-Reduktion = Vorlastsenkung). Gleich-
zeitig wird – allerdings untergeordnet und nur
kurzfristig – durch Dilatation der großen Arte- Nitrate werden im Organismus durch redu-
rienstämme der Aortendruck erniedrigt, der pe- zierende Biotransformation in die eigentlichen
riphere Widerstand und die systolische Wand- Wirksubstanzen, insbesondere Stickstoffmon-
spannung nehmen ab (Afterload-Reduktion = oxid (NO), überführt. Nitrate sind somit typi-
Nachlastsenkung). Außerdem dilatieren Nitrate sche Prodrugs. NO stimuliert die lösliche Gua-
die epikardialen Koronararterien und heben nylylcyclase (sGC), welche die Bildung von
Koronarspasmen auf. Durch die Vor- und Nach- cGMP katalysiert. cGMP bewirkt dann über die
last-Reduktion und die dadurch bedingte Ver- Proteinkinase G (PKG) eine Abnahme der intra-
ringerung der Herzarbeit sinkt der Sauerstoff- zellulären Calciumionen-Konzentration und
bedarf des Herzens, außerdem wird durch dadurch eine Erniedrigung des Gefäßtonus.
Abnahme der extravasalen Komponente des Abhängig von dem angewandten Nitrat, des-
Koronarwiderstands eine Verbesserung des Sau- sen Dosierungshöhe und -dauer wird nach eini-
erstoffangebots erreicht. Besonders günstig ist ger Zeit – meist schon innerhalb von 24 Stunden
die Wirkung bei Koronarkranken unter Belas- – eine deutliche Abschwächung der hämodyna- 23
tung. Als Ausdruck der verbesserten myokardi- mischen Nitratwirkung (Nitrattoleranz) beob-
alen Leistung steigt die Belastbarkeit des Patien- achtet. Als Ursache wird diskutiert, dass nach
ten. Trotz dieser erwünschten Wirkungen der einer Nitratgabe vermehrt reaktive Sauer-
Nitrate konnte eine Erniedrigung der Mortalität stoffspezies gebildet werden. Diese bewirken
jedoch bisher nicht belegt werden. eine verstärkte Umwandlung von NO in Peroxy-
328 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

nitrit und damit eine geringere Aktivierung der von blutdrucksenkenden Substanzen wird
Guanylylcyclase. Daneben wird diskutiert, dass durch Nitrate verstärkt.
infolge der durch NO ausgelösten Vasodilatati- Glyceroltrinitrat (z. B. Nitrolingual®) ist
on verstärkt Angiotensin II gebildet und aus nach wie vor das wichtigste Mittel zur Therapie
dem Endothel vermehrt Endothelin freigesetzt des akuten Angina-pectoris-Anfalls. Sublingu-
wird. Außerdem wurde neuerdings beschrieben, al gegeben, wirkt es innerhalb von Sekunden bis
dass eine Nitrattoleranz auch durch die Hem- wenigen Minuten. Intravenös appliziertes Gly-
mung der mitochondrialen Aldehyd-Dehydro- ceroltrinitrat schwächt die Wirkung von Hepa-
genase (ALDH 2), die für die Bioaktivierung rin ab. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn
von Nitraten bedeutsam ist, erklärt werden Nitrate gleichzeitig mit PDE5-Hemmern verab-
kann. Durch ein geeignetes Dosierungsregime reicht werden. In diesem Fall kommt es zu einer
kann die Entstehung einer hämodynamischen massiven Verstärkung der Vasodilatation mit
Nitrattoleranz, nicht jedoch die Bildung von en- ausgeprägtem Blutdruckabfall.
dothelschädigenden reaktiven Sauerstoffspezies Isosorbiddinitrat (ISDN; z. B. isoket®) kann
vermieden werden. Zu einem solchen Dosie- sowohl im akuten Anfall, wo es allerdings etwas
rungsschema zählt die sog. „exzentrische Gabe“ langsamer wirkt als Glyceroltrinitrat, als auch
(zwei Dosen am Tag im Abstand von sieben als sog. Langzeitnitrat zur Angina-pectoris-Pro-
Stunden) von lang wirkenden Nitraten. Im phylaxe eingesetzt werden. Bei oraler Gabe wird
nächtlichen Nitrat-freien Intervall können dann es zwar schon bei der ersten Leberpassage gro-
allerdings vermehrt Angina-pectoris-Anfälle ßenteils biotransformiert, doch sind die dabei
auftreten. entstehenden Mononitrate (ISMN), das Isosor-
Bei oraler – Glyceroltrinitrat und Isosorbid- bid-2- und das Isosorbid-5-mononitrat, noch
dinitrat (s. u.) auch bei sublingualer – Applikati- biologisch aktiv und besitzen außerdem eine
on werden Nitrate gut resorbiert. Insbesondere längere Wirkdauer (Halbwertszeit von 5-ISMN
in der Leber werden sie nach Esterspaltung ca. 4 Stunden).
durch Konjugation zu inaktiven Metaboliten Isosorbidmononitrat (ISMN; z. B. Ismo®)
biotransformiert, die vorwiegend renal ausge- wurde aufgrund seiner langen Halbwertszeit
schieden werden. Die mittleren Einzeldosen der und hohen Bioverfügbarkeit als eigener Wirk-
Nitrate betragen 0,2–2,4 mg von Glyceroltrinit- stoff in den Handel gebracht. Wegen seiner ge-
rat, 20–60 mg von Isosorbiddinitrat und-mono- ringeren Lipophilie und des dadurch bedingten
nitrat sowie 50–80 mg von Pentaerythrityltetra- verzögerten Wirkungseintritts kann es nur zur
nitrat. Angina-pectoris-Prophylaxe, nicht dagegen zur
Die Nebenwirkungen sind weitgehend die Anfallskupierung verwendet werden.
Folge der gefäßerweiternden Wirkung. So kön- Pentaerythrityltetranitrat (PETN; Penta-
nen – vor allem zu Behandlungsbeginn – häufig long®) wird ebenfalls ausschließlich als Lang-
Kopfschmerzen („Nitratkopfschmerz“), ferner zeitnitrat verwendet. Bereits im Gastrointesti-
Schwindel, Übelkeit, Schwächegefühl und Haut- naltrakt wird es großenteils durch unspezifische
rötung auftreten. Bei höherer Dosierung besteht Esterasen in das aktive Trinitrat überführt. Die-
die Gefahr eines stärkeren Blutdruckabfalls mit ses wird nach Resorption zu den ebenfalls akti-
reflektorischer Tachykardie. Außerdem wurde, ven Metaboliten Pentaerythrityldi- und -mono-
wie oben erwähnt, von einer Endothelschädi- nitrat (Halbwertszeit 4 bzw. 10 h) verstoffwech-
gung (endothelialer Dysfunktion) durch Nitrate selt. Die Metaboliten werden mit Glucuronsäure
berichtet. Bei schweren hypotonen Zuständen, konjugiert und unterliegen einem enterohepati-
insbesondere im Schock, sowie bei hypertro- schen Kreislauf. Die Nitrattoleranz von PETN
pher obstruktiver Kardiomyopathie sind Nitrate ist im Vergleich zu den anderen Nitraten viel
kontraindiziert. Die antihypertensive Wirkung schwächer ausgeprägt. Als Ursache hierfür wur-
de gefunden, dass es durch Hämoxygenase-In-
23.3 Herz 329

duktion und verstärkte Ferritin-Expression an- Bisher wurden vier Isoformen des If-Kanals klo-
tioxidativ wirkt sowie die mitochondriale Alde- niert. Sie gehören zur HCN-Familie (hyperpola-
hyd-Dehydrogenase (ALDH2) im Gegensatz zu rization-activated, cyclic nucleotide-gated chan-
z. B. Glyceroltrinitrat nicht inaktiviert. Auch die nels; HCN1–HCN4).
Häufigkeit des Nitratkopfschmerzes ist bei Ivabradin (Procoralan®) hemmt hauptsäch-
PETN geringer. lich den HCN4-Kanal sinuatrialer Zellen im
durch Hyperpolarisation aktivierten Zustand.
β-Adrenozeptorblocker Der Arzneistoff weist dabei eine „use depen-
Betablocker eignen sich zur Anfallsprophylaxe dence“ auf (vgl. Klasse-I-Antiarrhythmika),
bei Angina pectoris. Infolge der Hemmung der d. h., dass seine Wirkung von der Herzfrequenz
β-Rezeptoren schirmen sie das Herz gegen über- abhängt, da er nur bei geöffnetem Kanal an sei-
höhte sympathisch-adrenerge Impulse ab, ver- nen Wirkort im Kanalinneren gelangen kann.
langsamen die Herzfrequenz und reduzieren in Ivabradin ist indiziert zur Behandlung der chro-
geringerem Maß auch die Kontraktilität. Da- nischen stabilen Angina pectoris bei Patienten
durch sinkt der Sauerstoffbedarf des Herzens. mit normalem Sinusrhythmus, bei denen Beta-
Besonders ausgeprägt sind diese Wirkungen bei blocker kontraindiziert, unverträglich oder
körperlicher und emotionaler Belastung. Nach- nicht ausreichend wirksam sind. Die Dosierung
teilig ist die initiale Zunahme des enddiastoli- beträgt zweimal täglich 5 mg. Die Bioverfügbar-
schen Drucks und Volumens und dadurch die keit liegt aufgrund eines ausgeprägten First-
Erhöhung der myokardialen Komponente des Pass-Stoffwechsels nur bei 40 %. Ivabradin wird
Koronarwiderstands. Bei Patienten mit latenter über CYP3A4 zu einem N-demethylierten, akti-
Herzinsuffizienz kann diese durch die Gabe ei- ven Metaboliten verstoffwechselt, die gleichzei-
nes Betablockers manifest werden. Bei gesicher- tige Gabe von Ivabradin und CYP3A4-Hemm-
ter Diagnose einer vasospastischen Angina stoffen ist daher kontraindiziert. Induktoren
pectoris sollten Betablocker nur zusammen mit von CYP3A4 können die Wirkung abschwä-
vasodilatierenden Substanzen (Calciumkanalb- chen. Die Halbwertszeit beträgt 11 Stunden.
lockern, Nitraten) eingesetzt werden. Auch bei Als Nebenwirkung können, wie zu erwarten,
der Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts ha- Bradykardien auftreten. Als spezifische Ivabra-
ben sich Betablocker als sehr wirksam erwiesen din-Nebenwirkung wurden sog. Phosphene be-
(kardioprotektive Wirkung). Dementsprechend schrieben. Darunter wird verstärkte Helligkeit
sind sie bei Patienten mit koronarer Herzkrank- in einem begrenzten Bereich des Gesichtsfeldes,
heit unverzichtbar. Dosierungen, Nebenwirkun- insbesondere bei plötzlichem Helligkeitswechsel
gen und Kontraindikationen sind in Ⴉ Kap. 19.4.2 verstanden. Diese bei etwa 15 % der Patienten
aufgeführt. auftretende Nebenwirkung wird darauf zurück-
geführt, dass auch retinale Ih-Kanäle durch Iva-
If-Kanal-Blocker bradin gehemmt werden. Bei Herzfrequenz in
Der sowohl für Na+, K+ und Ca2+ durchlässige Ruhe unter 60 Schlägen/min, AV-Block III. Gra-
Schrittmacher-Kanal (pacemaker current; If ) des, Sick-Sinus-Syndrom, instabiler Angina
löst in selbst-depolarisierenden Zellen Aktions- pectoris, akutem Myokardinfarkt, kardiogenem
potenziale und dadurch Herzaktionen aus. Eine Schock sowie schwerer Leberinsuffizienz ist Iva-
Hemmung des If-Kanals führt deshalb zu einer bradin kontraindiziert.
Reduktion der Herzfrequenz ohne Beeinflus- 23
sung des adrenergen Systems und damit ohne Ranolazin
negativ inotrope Wirkung. Die ungewöhnliche Als Zusatzmedikation bei stabiler Angina pecto-
Tatsache, dass diese Kanäle durch Hyperpolari- ris ist Ranolazin (Ranexa®) indiziert, wenn die
sation und intrazelluläres cAMP aktiviert wer- Erkrankung durch die übliche Standardmedika-
den, hat zur Bezeichnung If (f = funny) geführt. tion nicht voll kontrollierbar ist oder damit Un-
330 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

verträglichkeiten auftreten. Die antianginöse chronotropen Effekte sowie seine Thrombozy-


Wirkung von Ranolazin beruht auf einer Hem- tenaggregationshemmung, wozu die in höheren
mung des späten Natriumeinstroms in Kardio- Konzentrationen von Trapidil beobachtete
myozyten. Dieser ist unter den Bedingungen ei- nicht-selektive Hemmung der Phosphodiester-
ner myokardialen Ischämie erhöht. Durch Ra- asen 1–4 beiträgt. Nach oraler Applikation –
nolazin wird die intrazelluläre Natriumakku- Dosierung 2–3mal täglich 200 mg – wird Trapi-
mulation reduziert und infolge dessen die dil rasch und vollständig resorbiert. Die Halb-
intrazelluläre Calciumüberladung, vermittelt wertszeit beträgt 2–4 Stunden. Die inaktiven, in
durch die Aktivität des Na+/Ca2+-Austauschers, der Leber gebildeten Metaboliten werden inner-
verringert. Diese Reduktion der zytosolischen halb 24 Stunden fast vollständig und überwie-
Calciumkonzentration verbessert die myokardi- gend renal eliminiert. Seltene Nebenwirkungen
ale Relaxation und vermindert dadurch die dias- sind Kopfschmerzen, Schwindel, Magen-Darm-
tolische linksventrikuläre Steifigkeit. Beschwerden, Überempfindlichkeitsreaktionen
Die Resorption von Ranolazin ist sehr varia- wie Hautrötung, Juckreiz, Ausschlag und Quad-
bel, die mittlere Bioverfügbarkeit liegt bei 55 %, delbildung.
die Halbwertszeit bei etwa 1,5 Stunden. Ranola-
zin wird durch CYP3A4 und CYP2D6 verstoff- Calciumkanalblocker
wechselt und ist seinerseits ein Hemmstoff von Die bereits oben beschriebenen Calciumkanal-
CYP3A4 und P-Glykoprotein. Die Ausschei- blocker bewirken eine direkte Verringerung der
dung erfolgt zu ca. 25 % mit den Fäzes und zu Herzarbeit durch Hemmung der elektrome-
etwa 75 % renal. Die Dosierung beträgt zweimal chanischen Kopplung und eine dadurch beding-
375–750 mg/Tag. te Erniedrigung der Kontraktilität (negativ ino-
Als häufigste Nebenwirkungen wurden trope Wirkung), ferner eine indirekte Entlas-
Schwindel, Kopfschmerzen, Asthenie und Übel- tung des Herzens durch Reduktion der Nachlast
keit beobachtet. Bei stark eingeschränkter Le- und – weniger deutlich – auch der Vorlast
ber- oder Nierenfunktion ist Ranolazin nicht (Ⴜ Abb. 23.4). An den Koronarien greifen sie vor
indiziert. Da die Hemmung des späten Nat- allem an den größeren Arterienästen an und
riumeinstroms durch Ranolazin zu einer verlän- sind dort in der Lage, diese zu erweitern sowie
gerten kardialen Repolarisationszeit führt, soll- Koronarspasmen aufzuheben. Aufgrund dieser
ten Substanzen, die ihrerseits das QTc-Intervall Eigenschaften können sie zur Angina-pectoris-
verlängern (z. B. Sotalol), nicht mit Ranolazin Anfallsprophylaxe und zur Therapie der vaso-
kombiniert werden. Das Wechselwirkungsrisiko spastischen (Prinzmetal-)Angina eingesetzt
ist ebenso groß bei Kombination mit Inhibito- werden.
ren und Induktoren von CYP3A4 und CYP2D6,
P-gP-Hemmstoffen (z. B. Atorvastatin) und Thrombozytenaggregationshemmer
-Substraten (z. B. Digoxin). Bei der Therapie des akuten Koronarsyndroms
(ACS) sind – der beschriebenen Pathogenese
Trapidil entsprechend – thrombozytenaggregationshem-
Trapidil (Rocornal®), zugelassen für die Be- mende Substanzen (Ⴉ Kap. 23.1.3.2) von beson-
handlung der chronisch stabilen Angina pecto- derer Bedeutung. So lässt sich durch die Gabe
ris, wenn andere antianginöse Arzneistoffe von Acetylsalicylsäure eine signifikante Verrin-
nicht ausreichend wirksam sind, bewirkt in the- gerung der Mortalität erreichen. Bei Patienten
rapeutischen Konzentrationen eine Aktivierung mit ASS-Unverträglichkeit können ADP-Hem-
der Proteinkinase A und die konsekutive Phos- mer wie Clopidogrel, Prasugrel oder Ticagrelor
phorylierung zentraler Signalmoleküle. Dies ist gegeben werden. Die nur i. v. verfügbaren GP-
vermutlich die mechanistische Grundlage für IIb/IIIa-Inhibitoren Tirofiban und Eptifibatid
seine vasodilatierenden, positiv inotropen und werden ebenfalls bei akutem Koronarsyndrom
23.3 Herz 331

eingesetzt. Darüber hinaus ist zur ACS-Behand-


Klinische Untersuchung, 12-Kanal-EKG,
lung Heparin (unfraktioniertes Heparin oder Monitoring, Blutentnahme
LMWH, s. o.) indiziert. Bei Kombinationen die-
ser Pharmaka (z. B. Acetylsalicylsäure plus GP-
IIb/IIIa-Hemmer plus Heparin) ist das erhöhte Keine persistierende ST-Hebung (NSTEMI)
Blutungsrisiko zu beachten.

Medikamenten-beschichtete Stents ASS/ADP-Hemmer, Heparin, Betablocker,


(Drug-eluting stents) Glyceroltrinitrat, Morphin, evtl. Diazepam
Eine Standardtherapie beim akuten Koronar-
syndrom besteht in der Ballonangioplastie mit
Hohes Risiko Niedriges Risiko
nachfolgender Stentimplantation (Perkutane
Koronarintervention, PCI). Allerdings kann Primär konservative
eine Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen zu Strategie
einer Einengung des Stentlumens führen (In- Primär invasive
Stent-Stenose). Daher wurden Stents entwi- Strategie Troponin-Kontrolle
ckelt, die im Unterschied zu Bare-metal stents 6-12 Std.
(BMS) im Gefäß Pharmaka freisetzen, welche
die Zellproliferation verhindern sollen (Drug-
eluting stents; DES). Derzeit sind zwei solche
Gp IIb/IIIa- 2x
Systeme im Gebrauch. Der CYPHER®-Stent Hemmer, Koronar-
positiv
negativ
setzt Sirolimus und der TAXUS®-Stent Paclita- angiographie
xel frei. Beide Systeme führen zu einer lang-
fristigen Verhinderung der Restenose. Ver- ungeignet zur Übliche
schiedentlich kam es jedoch zu einer lebensbe- Revaskularisation: Koronar-
ADP-Hemmer Therapeutika
drohlichen, in einem hohen Prozentsatz sogar
tödlichen „In-Stent-Thrombose“. Besonders Ballondilatation, Stentimplantation
wichtig ist daher eine langfristige Hemmung oder Bypass-Operation
der Thrombozytenaggregation mit Acetylsali-
cylsäure plus Clopidogrel bzw. Prasugrel (6–12 Ⴜ Abb. 23.5 Therapeutisches Vorgehen beim
Monate nach DES-, mindestens 4 Wochen nach akuten Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung
BMS-Implantation). Nobori®-Stents aus bio- (NSTEMI)
degradierbaren Marterialien und Beschichtung
mit Umirolimus, einem Sirolimus-Derivat, das
ausschließlich auf der abluminalen Seite des nerhalb von 48 Stunden) eine invasive Diagnos-
Stents freigesetzt wird, repräsentieren die tik anzustreben. Die Vorgehensweise ist in
Nachfolgetechnologie. Gemäß Studien zeigen Ⴜ Abb. 23.5 zusammengefasst.
diese Stents Vorteile hinsichtlich Wirksamkeit Alle Patienten erhalten sofort Acetylsalicylsäu-
und Sicherheit. re (250–500 mg i. v.); die Medikation ist lebens-
länglich mit einer Dosierung von 100 mg/Tag
23.3.1.3 Therapie des akuten weiterzuführen. Zusätzlich zu ASS wird bei in-
Koronarsyndroms stabiler Angina intravenös unfraktioniertes 23
Bei Vorliegen eines akuten Koronarsyndroms oder niedermolekulares Heparin appliziert. Zur
ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) wird nach hämodynamischen Entlastung des Herzens wird
den derzeit geltenden Leitlinien folgenderma- ferner häufig Glyceroltrinitrat (0,8–2,4 mg sub-
ßen vorgegangen: Unabhängig von der Sympto- lingual; nicht bei ausgeprägter Hypotonie!) ver-
matik ist so schnell wie möglich (spätestens in- abreicht. (Es liegen allerdings keine Studien vor,
332 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

die dadurch einen Überlebensvorteil zeigen.) meisten Fällen ACE-Hemmer oder alternativ
Besonders bei hohem Blutdruck und hoher Fre- AT1-Blocker indiziert. Außerdem ist die Gabe
quenz wird Metoprolol (oder ein anderer Beta- von Statinen erforderlich. Die Blutglucose-Kon-
blocker) intravenös verabreicht. Bei der meist zentration soll nüchtern < 6 mmol/l betragen.
erforderlicher kardiologischen Intervention Zur Thrombozytenaggregationshemmung wird
(Herzkatheter, Ballondilatation mit Stentim- Acetylsalicylsäure, bei ASS-Gegenanzeigen
plantation) wird ein intravenöser Glykoprotein- oder nicht tolerierbaren Nebenwirkungen Clo-
IIb/IIIa-Antagonist eingesetzt (bei unbekann- pidogrel, Prasugrel oder Ticagrelor angewandt.
tem Koronarstatus Tirofiban oder Eptifibatid, Bei Patienten mit Vorhofflimmern (s. u.) sind
sonst Abciximab). Alle Patienten bekommen Antikoagulanzien erforderlich.
außerdem vor der Koronarangiographie oder
unmittelbar im Anschluss daran einen ADP- 23.3.2 Herzinsuffizienz
Rezeptor-Antagonisten, der für 1 Jahr weiterge- 23.3.2.1 Pathophysiologische Grundlagen
führt wird. Zur Schmerzbekämpfung werden Unter einer Herzinsuffizienz versteht man eine
stark wirkende Analgetika (z. B. 10 mg Mor- eingeschränkte körperliche Belastbarkeit auf-
phinsulfat langsam i. v. oder s. c., (Ⴉ Kap. 12.1.5) grund einer nachweisbaren kardialen Funkti-
und zur psychischen Ruhigstellung Tranquil- onsstörung. Das bedeutet, dass das Herz bei aus-
lanzien (z. B. Diazepam 5–10 mg langsam i. v. reichendem venösem Angebot nicht in der Lage
oder s. c. (Ⴉ Kap. 10.4) angewandt. ist, die für die Versorgung des Körpers erforder-
Ein akutes Koronarsyndrom mit ST-Stre- liche Pumpleistung zu erbringen, das Herzzeit-
ckenhebung (STEMI) wird leitlinienkonform volumen somit zu gering ist. Je nachdem, welche
folgendermaßen behandelt: Innerhalb der ers- Teile des Herzens betroffen sind, spricht man
ten 12 Stunden ist eine Reperfusionstherapie von Rechts-, Links- oder globaler Insuffizienz.
indiziert, hierbei ist die PCI die bevorzugte Be- Nach der Zeitspanne, in der die Herzinsuffizi-
handlungsstrategie. Eine medikamentöse Fibri- enz sich entwickelt bzw. besteht, wird die akute
nolyse ist nur angezeigt, wenn eine PCI im Ver- von der chronischen Insuffizienz unterschie-
gleich zum Lysebeginn erst mit einer Verzöge- den. 2–5 % der Bevölkerung zwischen dem 65.
rung von mehr als 90 min erfolgen kann. Als und 75. Lebensjahr und nahezu 10 % der über
Begleittherapie sollen ASS (250–500 mg i. v.) 80-jährigen leiden an einer Herzinsuffizienz.
und Heparin (in der Regel 60 IE/kg als i. v. Bo- Die 1-Jahresletalität kann bei hochgradiger
lus, max. 5000 IE) gegeben werden. Betablocker Herzinsuffizienz 50 % betragen und liegt damit
sind bei fehlenden Kontraindikationen ebenfalls im Bereich fortgeschrittener Tumorerkrankun-
frühzeitig einzusetzen. Die Therapie mit An- gen.
algetika und Tranquillanzien erfolgt wie oben Dem Schweregrad entsprechend kann zwi-
beschrieben. schen einer Belastungsinsuffizienz und einer
Ruheinsuffizienz oder zwischen Insuffizienzen
23.3.1.4 Sekundärprophylaxe der koronaren I. bis IV. Grades (NYHA I-IV) differenziert wer-
Herzkrankheit (KHK) den (NYHA I: Alltägliche körperliche Belastung
Für die Sekundärprävention der KHK gelten verursacht keine inadäquate Erschöpfung, Luft-
hinsichtlich der Vermeidung bzw. Beeinflussung not oder Angina pectoris; NYHA II: Keine Be-
der Risikofaktoren die gleichen Kriterien wie bei schwerden in Ruhe, stärkere körperliche Belas-
der Primärprävention. Der systolische und dia- tung ruft Erschöpfung, Rhythmusstörungen,
stolische Blutdruck ist auf Werte von maximal Luftnot oder Angina pectoris hervor; NYHA
130 mmHg systolisch bzw. 85 mmHg diastolisch III: Höhergradige Einschränkung der körperli-
einzustellen. Betablocker sollen, sofern keine chen Leistungsfähigkeit bei gewohnter Tätig-
Kontraindikationen vorliegen, bei allen KHK- keit, schon geringe Belastung löst Erschöpfung,
Patienten eingesetzt werden. Ebenso sind in den Rhythmusstörungen, Luftnot und/oder Angina
23.3 Herz 333

pectoris aus; NYHA IV: Beschwerden bei allen der Erkrankung: Je höher diese ist, desto
körperlichen Aktivitäten und in Ruhe, Bettläge- schlechter die Prognose.
rigkeit). Je nach Schweregrad, vermindert sich Gleichzeitig wird durch eine Stimulation des
die Ejektionsfraktion von normalen Werten Hypophysenhinterlappens vermehrt Adiuretin
(≥ 55 %) über leichtgradig (45–54 %), mittelgra- (Vasopressin) ausgeschüttet, das über eine Akti-
dig (30–44 %) hin zu hochgradig eingeschränkt vierung von V2-Rezeptoren in den Sammelroh-
(< 30 %). ren der Nephrone eine Wasserretention bewirkt.
Als Ursache einer akuten Herzinsuffizienz Die Stimulation von V1-Rezeptoren der glatten
kommt vor allem ein größerer Ausfall von Herz- Gefäßmuskulatur trägt zur allgemeinen Vaso-
muskelgewebe durch einen Myokardinfarkt konstriktion bei.
oder – seltener – eine Myokarditis in Betracht. Ferner ist die Plasmakonzentration von Al-
Außerdem kann eine akute Überbelastung des dosteron bei Patienten mit Herzinsuffizienz
Herzens, z. B. bei plötzlichem Druckanstieg im stark erhöht. Der Grund hierfür ist neben der
Lungenkreislauf durch Lungenembolie oder bei Aktivierung des RAAS die durch den verringer-
Abriss einer Herzklappe, eine akute Herzinsuffi- ten Leberblutfluss bedingte Abnahme der hepa-
zienz auslösen. Komplikationen im Verlauf ei- tischen Aldosteron-Clearance. Darüber hinaus
ner chronischen Herzerkrankung (z. B. hohes ist die Dauer der Aldosteronwirkung bei Herz-
Fieber, Thyreotoxikose) sind weitere Ursachen insuffizienz verändert. Während bei Gesunden
für ein akutes Herzversagen. die durch Aldosteron ausgelöste Natriumreten-
Einer chronischen Herzinsuffizienz liegen tion innerhalb kurzer Zeit sistiert, bleibt sie bei
insbesondere koronare Herzerkrankung, Hy- einer Herzinsuffizienz lange erhalten.
pertonie, Kardiomyopathien und Herzrhyth- Ein weiteres wesentliches Merkmal einer
musstörungen zugrunde. Seltenere Ursachen chronischen Herzinsuffizienz ist die Barorezep-
sind angeborene und erworbene Herzfehler, to- tor-vermittelte Erhöhung der Sympathikusak-
xische Schädigungen (z. B. durch Alkohol, tivität. Die hohen Catecholaminspiegel führen,
Quecksilber, Arsen, Zytostatika) sowie Behinde- auch durch zusätzliche Aktivierung des RAAS,
rung der Füllung oder Auswurfleistung (z. B. bei zu einer Erhöhung der Nachlast. In den Herz-
Perikarderguss oder konstriktiver Perikarditis). muskel- und Sinusknotenzellen induziert die
Als Folgen der durch diese Ursachen bedingten Hypercatecholaminämie Hypertrophie und su-
ungenügenden Pumpleistung werden verschie- praventrikuläre Tachykardie. Viele Patienten
dene Kompensationsmechanismen in Gang ge- mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz verster-
setzt, die für das Verständnis der Herzinsuffizi- ben am plötzlichen Herztod infolge einer ventri-
enz als einer progredienten Erkrankung wichtig kulären Rhythmusstörung. Darüber hinaus be-
sind (Ⴜ Abb. 23.6). wirkt die Hypercatecholaminämie eine Down-
So geht die chronische Herzinsuffizienz in- regulation der β1-Rezeptoren. Die gesteigerte
folge der erniedrigten Auswurfleistung des Aktivität der β-Adrenozeptorkinase entkoppelt
Herzens, die zu einem reduzierten arteriellen die Rezeptoren von der nachgeschalteten Sig-
zirkulierenden Blutvolumen sowie zu einem naltransduktion. Inhibitorische G-Proteine wer-
verminderten renalen Blutfluss führt, mit einer den vermehrt gebildet und die Adenylylcycla-
langanhaltenden Aktivierung des Renin-An- seaktivität wird verringert. Diesen Effekten
giotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) einher. kann durch Gabe von Betablockern entgegenge-
Die Aktivierung des RAAS bewirkt eine Vaso- wirkt werden. Wie die Zunahme der Plasmare- 23
konstriktion mit Nachlasterhöhung sowie eine ninaktivität ist somit auch der erhebliche An-
Retention von Natriumchlorid und Wasser, wo- stieg der Plasmacatecholamin-Konzentration
durch auch die Vorlast erhöht und eine Ödem- prognostisch ungünstig.
bildung begünstigt wird. Die Plasmareninaktivi- Die gesteigerte Aktivität des RAAS und die
tät ist ein prognostischer Marker für den Verlauf dadurch bedingte Stimulation des AT1-Rezep-
334 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

KHK, Hypertonie,
Kardiomyopathie,
Klappenfehler u.a.

Systolische und/oder
Herzglykoside diastolische ventrikuläre
Funktionsstörung

Erhöhte Vorlast,
Verminderte
erhöhter venöser Druck
Tachykardie Auswurfleistung
(Rückwärtsversagen)

Vaso-
konstriktion Reduzierte
Herz- Ödembildung
Organperfusion
glykoside
(Vorwärtsversagen),
Barorezeptordysfunktion
Diuretika
AT1-Blocker

Sympathikus- RAAS- Natrium- und


aktivierung Aktivierung Wasserretention
˟-Blocker
ACE-Hemmer
Down-Regulation von
˟-Rezeptoren,
Up-Regulation der
˟-Adrenozeptorkinase, Angiotensin II൹
Up-Regulation inhibi-
torischer G-Proteine AT1-Blocker

Aldosteron-
Aldolsteron൹ antagonisten

Kardiales Remodeling,
Fibrosierung

Ⴜ Abb. 23.6 Pathomechanismen der chronischen Herzinsuffizienz mit pharmakologischen Interventions-


möglichkeiten. RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteronsystem

tors führt über transkriptionelle Aktivierung Proliferation von Fibroblasten hervor, die zu ei-
der Expression einer Vielzahl von Genen zu ei- ner myokardialen Fibrose führt.
ner fortschreitenden Hypertrophie des Herzens, Darüber hinaus sezernieren Kardiomyozyten
verbunden mit Umbauprozessen und Kollagen- als Antwort auf eine Dehnung der Herzräume
einlagerung. Die stark erhöhten Konzentra- das Brain Natriuretic Peptide (BNP), das vaso-
tionen von Aldosteron (bis zum Zwanzigfachen dilatatorische und natriuretische Eigenschaften
des Normwerts) rufen im Zusammenwirken mit besitzt. BNP-Plasmaspiegel korrelieren mit dem
erhöhten Angiotensin II-Konzentrationen eine Schweregrad der Herzinsuffizienz. BNP kann
23.3 Herz 335

auch als wichtiger klinischer Marker für die Dia- stauungsbedingter Bronchitis. Wie die Rechts-
gnose der Herzinsuffizienz herangezogen wer- herzinsuffizienz führt sie zu einer Dilatation des
den, insbesondere zur Erstdiagnose bei Patien- Herzmuskels und zu einer Zunahme des end-
ten mit z. B. Dyspnoe. Natriuretische Peptide diastolischen Blutvolumens (s. o.). Zusätzlich
wie BNP werden über die neutrale Endopepti- kann – bei einer mangelhaften O2-Versorgung
dase Neprilysin abgebaut. Der Neprilysin-Inhi- der Organe – eine Polyglobulie auftreten, die
bitor Sacubitril zeigt dementsprechend in Kom- über eine Viskositätszunahme des Blutes die
bination mit Valsartan (Entresto®) einen günsti- Belastung des Herzens weiter steigert. Das häu-
gen Effekt bei der Reduktion der kardiovaskulä- figste Endstadium einer chronischen Linksherz-
ren Mortalität von Herzinsuffizienz-Patienten. insuffizienz ist der Übergang in eine Globalin-
suffizienz, da eine langfristige ausgeprägte
Symptome der Herzinsuffizienz. Eine Rechts-
Druckerhöhung im kleinen Kreislauf bei Lun-
herzinsuffizienz führt zu einer Drucksteige-
genstauung sekundär auch das rechte Herz be-
rung im rechten Vorhof und in den großen Ve-
lastet.
nen des Körperkreislaufs, d. h. zu einer Stauung
des Blutes im großen Kreislauf. Ödeme in den
23.3.2.2 Therapie der Herzinsuffizienz
abhängigen Körperpartien sind die Folge. Insbe-
Primär werden Arzneistoffe verwendet, die die
sondere treten Knöchelödeme auf, u. U. entwi-
deletären humoralen Kompensationsreaktionen
ckelt sich eine stauungsbedingte Flüssigkeitsan-
(erhöhte Aktivität von Sympathikus und RAAS)
sammlung in der Bauchhöhle (Aszites). Typisch
aufheben. Neben der Verwendung von Arznei-
sind auch eine Vergrößerung der Leber (Stau-
mitteln sollten bei der Herzinsuffizienzbehand-
ungsleber) sowie eine Eiweißausscheidung im
lung auch alle nichtmedikamentösen Therapie-
Urin (Stauungsproteinurie). Beim Liegen wird
maßnahmen ausgeschöpft werden: Reduktion
die Ödemflüssigkeit „mobilisiert“. Dies führt –
von Übergewicht, Begrenzung der Flüssigkeits-
unterstützt durch eine bessere Nierendurchblu-
zufuhr auf 1,5 l/Tag, Normalisierung der Cho-
tung – zu einer vermehrten Urinbildung und
lesterolwerte, Vermeidung von Alkohol- und
nächtlichem Harndrang (Nykturie). Durch die
Nicotinkonsum sowie regelmäßige, der Herzin-
stark verminderte Auswurfleistung des rechten
suffizienz angepasste körperliche Betätigung.
Herzens bei schwerer Rechtsinsuffizienz sinkt
auch das Blutangebot an das linke Herz, eine
Diuretika
Abnahme des Herzzeitvolumens ist die unmit-
Aufgrund ihrer Kochsalz- und flüssigkeitsaus-
telbare Folge. Der arterielle Blutdruck im Kör-
schwemmenden und damit ihrer Vor- und
perkreislauf kann deshalb u. U. absinken, wor-
Nachlast-senkenden Wirkung gehören Diureti-
aus dann zusätzlich eine Minderdurchblutung
ka (Ⴉ Kap. 26.1) zu den Standardtherapeutika bei
im Bereich des großen Kreislaufs resultiert.
Herzinsuffizienz. Bei akuter Herzinsuffizienz
Bei einer akuten Linksherzinsuffizienz steigt sind Schleifendiuretika gut wirksam. Durch
der Druck im linken Vorhof und in den Lungen- eine noch vor dem diuretischen Effekt einset-
venen. Durch den Rückstau des Blutes in der zende Venendilatation wird die Vorlast redu-
Lungenstrombahn tritt eine Drucksteigerung ziert. Die Venendilatation kommt indirekt über
im kleinen Kreislauf auf, die eine vermehrte Fil- Prostaglandine, die in der Niere freigesetzt und
tration aus den Lungenkapillaren ins Interstiti- in die Blutbahn abgegeben werden, zustande.
um und in die Alveolen zur Folge hat. Es entwi- Bei schwer niereninsuffizienten sowie nephrek- 23
ckelt sich ein Lungenödem, das schwere Störun- tomierten Patienten sind daher Schleifendiure-
gen der Ventilation und des Atemgasaustauschs tika bei akuter Herzinsuffizienz nicht sofort
verursacht und starke Atemnot auslöst. wirksam. Später ist auch die Abnahme des Plas-
Die chronische Linksherzinsuffizienz äu- mavolumens durch die starke Diurese an der
ßert sich in Dyspnoe, ferner in Zyanose und Vorlast-senkenden Wirkung beteiligt. Die Do-
336 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

sierung von z. B. Furosemid beträgt bei dieser cke im Herzen und im kleinen Kreislauf sowie
Indikation 20–40 (–100) mg i. v. der Abnahme des peripheren Widerstands steigt
Auch bei chronischer Herzinsuffizienz sind die Belastungstoleranz.
alle Diuretikagruppen von großem Wert, bei
Vorliegen von Ödemen insbesondere wiederum Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer
Schleifendiuretika. Infolge der Besserung der (ACE-Hemmer)
Stauungssymptome, der Erniedrigung der Drü- In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass
ACE-Hemmer (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) bei Patienten
mit chronischer Herzinsuffizienz (NYHA I-IV)
႒ Tab. 23.7 Dosierungen bei chronischer Herz- die Symptomatik verbessern, die Zahl der Kran-
insuffizienz1 kenhausaufenthalte verringern und die Letalität
Gruppe Initialdosis/Tag Zieldosis/Tag
signifikant reduzieren. Auch bei asymptomati-
schen Patienten oder Kollektiven, die zwar ein
ACE-Hemmer hohes Risiko durch andere kardiovaskuläre Er-
krankungen haben, aber (noch) nicht herzinsuf-
Benazepril 2,5 mg 2 × 5–10 mg
fizient sind, erweisen sich ACE-Hemmer als
Enalapril 2,5 mg 2 × 10 mg vorteilhaft. Dementsprechend sind ACE-Hem-
mer Medikamente der 1. Wahl bei allen Patien-
Fosinopril 10 mg 20 mg ten mit eingeschränkter linksventrikulärer
Lisinopril 2,5 mg 5–20 mg Funktion, unabhängig von der Symptomatik.
Aufgrund des bei Herzinsuffizienz stimulier-
Perindopril 2 mg 4 mg ten RAAS ist die Anfangsdosis niedrig zu wäh-
len und der Patient während der ersten Stunden
Quinapril 2,5–5 mg 5–10 mg
nach Einnahme zu überwachen. Start- und Ziel-
Ramipril 1,25–2,5 mg 10 mg dosen von ACE-Hemmern bei chronischer
Herzinsuffizienz sind in ႒ Tab. 23.7 angegeben.
AT1-Blocker
Bei vielen Patienten steigt das Serum-Kreatinin
Candesartan 4 mg 32 mg zunächst an, bleibt dann aber in aller Regel kon-
stant. Die Nierenfunktion sollte daher anfäng-
Irbesartan 75 mg 150–300 mg lich kontrolliert werden.
Losartan 12,5 mg 50–100 mg
AT1-Rezeptorblocker (Sartane)
Olmesartan 10 mg 40 mg Alternativ zu ACE-Hemmern können AT1-Re-
zeptorblocker (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) bei Herzinsuffizi-
Telmisartan 20 mg 40–80 mg
enz eingesetzt werden, insbesondere dann, wenn
Valsartan 2 × 40 mg 2 × 160 mg starke ACE-Hemmer-Nebenwirkungen infolge
der Blockade des Bradykinin-Abbaus (z. B. Reiz-
Betablocker husten) auftreten (Dosierung s. ႒ Tab. 23.7).
Metoprolol 12,5–25 mg 200 mg
Aldosteronantagonisten
Bisoprolol 1,25 mg 10 mg (Spironolacton, Eplerenon)
Da selbst bei Gabe eines ACE-Hemmers die
Carvedilol 2 × 3,125 mg 2 × 25 mg
Produktion von Aldosteron in der Nebenniere
Nebivolol 1,25 mg 10 mg nicht vollständig unterdrückt wird und darüber
1
hinaus Aldosteron auch durch andere Mecha-
Die schrittweise Anhebung nach mindestens 2 Wochen Therapie bis
auf die Zieldosis basiert auf dem klinischen Ansprechen und der
nismen freigesetzt werden kann (z. B. Kalium-
Verträglichkeit. abhängige Aldosteron-Sekretion), ist der Ein-
23.3 Herz 337

satz eines Aldosteronantagonisten (Spironolac- Außerdem wird die adrenerg hervorgerufene


ton oder Eplerenon, Ⴉ Kap. 26.1.3.1) bei der Reninausschüttung reduziert und auf diese Wei-
Therapie der Herzinsuffizienz pathophysiolo- se indirekt das RAAS beeinflusst. Die positiven
gisch begründet. Wichtig ist dabei eine Kontrol- Effekte dieser Substanzklasse sind somit über-
le des Serum-Kalium-Spiegels in den ersten Wo- wiegend auf die „Normalisierung“ der humora-
chen der Behandlung. Bei Patienten mit Herzin- len Homöostase zurückzuführen und treten da-
suffizienz NYHA III oder IV reduzieren Aldos- her erst mit einer gewissen Verzögerung ein.
teronantagonisten die Mortalität um 30 %. In Nach etwa drei Monaten Therapie nimmt die
den ersten Wochen einer Therapie mit Aldoste- Auswurffraktion bei gleichzeitiger Abnahme
ronantagonisten ist eine Kontrolle der Kalium- des enddiastolischen Ventrikeldrucks zu (Öko-
spiegel wegen der Gefahr einer Hyperkaliämie nomisierung der Herzarbeit).
erforderlich. Ob ein Betablocker mit zusätzlich α-blo-
ckierender und damit vasodilatierender Wir-
β-Adrenozeptorblocker (Betablocker) kungskomponente wie z. B. Carvedilol gegen-
Lange Zeit galt die Verwendung von Betablo- über reinen Betablockern bei Herzinsuffizienz
ckern (Ⴉ Kap. 19.2.3) wegen deren negativ ino- Vorteile besitzt, ist nicht abschließend geklärt.
troper Wirkung bei Herzinsuffizienz als kontra- Diskutiert wird auch, ob Betablocker, die eine
indiziert. Nachdem jedoch durch mehrere klini- Gefäßerweiterung durch Freisetzung von NO
sche Studien eine deutliche Senkung der Letali- bewirken, z. B. Nebivolol, zur Behandlung älte-
tät um ca. 30 % durch die Gabe von Betablockern rer Patienten besonders geeignet sind.
ohne partielle agonistische Aktivität zusätzlich
zur üblichen Standardtherapie gezeigt werden Herzwirksame Glykoside (Herzglykoside)
konnte, gehören β-Adrenozeptorblocker nun- Herzglykoside waren lange Zeit Mittel der 1.
mehr zu den bei Herzinsuffizienz unverzichtba- Wahl bei Herzinsuffizienz, da sie die einge-
ren Pharmaka. Die zunächst paradox erschei- schränkte myokardiale Funktion durch eine Er-
nende Tatsache, dass ein initial negativ inotro- höhung der Auswurfleistung verbessern. Klini-
per Arzneistoff langfristig die Auswurfleistung sche Untersuchungen relativieren diese Auffas-
des Herzens sowie die Prognose verbessert, lässt sung jedoch stark, da Herzglykoside keinen po-
sich folgendermaßen erklären: Unmittelbar sitiven Effekt auf die Mortalität zeigten. Die
nach Beginn der Therapie, die unter sorgfältiger heute therapeutisch noch verwendeten Herzgly-
Kontrolle mit sehr niedrigen Dosen (ca. 10 % koside Digoxin (z. B. Lanicor®), Acetyldigoxin
der anzustrebenden Enddosis; ႒ Tab. 23.7) ein- (z. B. Novodigal®), Metildigoxin (Lanitop®) und
schleichend erfolgen muss, nehmen Auswurf- Digitoxin (z. B. Digimerck®) gehören zur Grup-
fraktion und Blutdruck zunächst – wie erwartet pe der Digitalis-Glykoside und werden aus Di-
– ab. In der Folge normalisiert sich jedoch unter gitalis purpurea und lanata isoliert.
dem Einfluss des Betablockers die aufgrund der
Wirkprofil. Alle Herzglykoside wirken pharma-
Sympathikusüberstimulation erniedrigte Zahl
kodynamisch gleich und unterscheiden sich nur
der β-Rezeptoren wieder (Umkehr der Downre-
in ihrer Pharmakokinetik. Sie steigern die Kon-
gulation), auch nehmen die Entkopplung der
traktionskraft der Herzmuskulatur (positiv ino-
β-Rezeptoren von ihrem Signaltransduktions-
trope Wirkung), verlangsamen die Schlagfre-
weg sowie die Expression inhibitorischer G-Pro-
quenz (negativ chronotrope Wirkung), er-
teine ab. Zudem wird die meist pathologisch er- 23
schweren die Erregungsleitung (negativ dromo-
höhte Herzfrequenz durch Betablocker gesenkt,
trope Wirkung) und begünstigen durch
wodurch die Diastolendauer verlängert und da-
Senkung der Reizschwelle eine heterotope Erre-
mit die Durchblutung des Myokards verbessert
gungsbildung (positiv bathmotrope Wirkung),
wird.
338 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

die zu Extrasystolen und nach toxischen Dosen membranständigen Na+/Ca2+-Austauscher, der


zu Kammerflimmern führen kann. unter physiologischen Bedingungen drei extra-
Beim insuffizienten Herzen wird durch Herz- zelluläre Na+ gegen ein intrazelluläres Ca2+ aus-
glykoside das Herzzeitvolumen erhöht, die tauscht, weniger Calciumionen aus der Zelle in
überdehnten Muskelfasern verkürzen sich und den Extrazellularraum transportiert. Dadurch
das pathologisch vergrößerte Herz wird kleiner. werden in der Diastole mehr Calciumionen im
Die Kammern werden wieder besser entleert, sarkoplasmatischen Retikulum gespeichert und
d. h. die in der Systole in den Kammern verblei- in der folgenden Systole auch mehr Calciumio-
bende Restblutmenge nimmt ab. Gleichzeitig nen aus dem Speicher freigesetzt. Die Folge ist
wird die diastolische Füllung des Herzens ver- eine positive Inotropie.
größert und damit der venöse Blutdruck ge- Die Abnahme der intrazellulären K+-Kon-
senkt. Die Verbesserung der Auswurfleistung zentration und damit die Verringerung des
des Herzens bewirkt auch eine Abnahme des Membran-Ruhepotenzials bewirken die ernied-
beim Herzinsuffizienten erhöhten Sympathi- rigte Leitungsgeschwindigkeit. Auch die toxi-
kustonus und damit eine Erniedrigung der schen Symptome lassen sich durch die Beein-
Herzfrequenz sowie eine periphere Vasodilatati- flussung des Ionentransports durch die Zell-
on. Entscheidend für den therapeutischen Nut- membran erklären: Infolge der nun noch stärke-
zen ist aber vor allem, dass die Herzfrequenz ren Hemmung der Na+/K+-ATPase wird der
durch eine Erhöhung des Parasympathikusto- intrazelluläre Gehalt an Kaliumionen weiter er-
nus abnimmt. niedrigt und der an Calciumionen so stark er-
Diese Herzfrequenzreduktion stellt eine höht, dass die Speicherkapazität des sarkoplas-
Ökonomisierung der Herzarbeit und damit matischen Retikulums überschritten wird und
eine Entlastung des Herzens dar. Sie ist insbe- Nachpotenziale auftreten, die zu Extrasystolen
sondere dann günstig, wenn eine supraventriku- führen können.
läre Tachykardie oder -arrhythmie besteht. Die
Kinetik. Die therapeutisch eingesetzten Herz-
Erschwerung der Erregungsleitung, die negativ
glykoside unterscheiden sich vor allem in der
dromotrope Wirkung, erweist sich oft beim
Resorptionsquote, der Halbwertszeit (und da-
Vorhofflattern/Vorhofflimmern als günstig
mit der Abklingquote, die den Wirkverlust pro
(evtl. Rückkehr zum Sinusrhythmus), kann je-
Tag angibt), der Wirkdauer und Kumulationsge-
doch andererseits die normale Erregungsüber-
fahr sowie dem hauptsächlichen Ausschei-
tragung vom Vorhof auf die Kammern stören.
dungsweg (႒ Tab. 23.8).
Erwünschte und unerwünschte Wirkungen lie-
Die wichtigsten Biotransformationsreaktio-
gen also eng zusammen, die therapeutische
nen von Digitoxin sind die Umwandlung in Di-
Breite der Substanzklasse ist gering.
goxin, Abspaltung von Digitoxosemolekülen,
Wirkungsmechanismus. Durch Bindung eines Hydrierung der Doppelbindung im Lactonring
Herzglykosids an die Magnesium-abhängige zum nur noch schwach wirksamen Dihydro-
Na+/K+-ATPase wird diese – abhängig von der Digitoxin und Konjugation zu Glucuroniden
Glykosid-Konzentration – teilweise blockiert oder Schwefelsäurehalbestern. Die hydroxylier-
und damit der Natriumionen-Transport von in- ten sowie die zuckerärmeren Metaboliten sind
tra- nach extrazellulär sowie der Kaliumionen- noch biologisch aktiv, die biliär sezernierten
Transport von extra- nach intrazellulär ge- Konjugate werden im Darm durch die Darm-
hemmt. Die Folge ist eine Zunahme der intrazel- bakterien teilweise wieder gespalten. Das freige-
lulären Na+-Konzentration, während die intra- setzte Glykosid kann dann erneut absorbiert
zelluläre K+-Konzentration abnimmt. Aufgrund werden (enterohepatischer Kreislauf), was die
des Anstiegs der intrazellulären Natriumionen- lange Wirkdauer Digitoxin erklärt.
Konzentration werden nunmehr durch den
23.3 Herz 339

႒ Tab. 23.8 Kennzahlen von Digitalisglykosiden


Glykosid Erhaltungsdosis HWZ Bioverfügbarkeit Eliminationsweg

Digoxin 0,25 mg/Tag 40 h 60–80 % Renal (80 %), fäkal (20 %)

β-Acetyldigoxin 0,3 mg/Tag 40 h 90 % Renal (80 %), fäkal (20 %)

Metildigoxin 0,2 mg/Tag 48 h 80 % Renal (60 %), Metabolismus zu


Digoxin

Digitoxin 0,05–0,07 mg/Tag 175 h > 90 % Renal (60 %), fäkal (40 %)

Bei Digoxin sind wie bei Digitoxin Hydrie- kaliämie (in diesem Fall ist die Affinität von
rung der Doppelbindung im Lactonring, Herzglykosiden zur Na+/K+-ATPase stark er-
Zuckerabspaltung sowie Konjugation möglich. höht), Hypercalcämie, Ausscheidungsstörungen
β-Acetyldigoxin wird in der Darmwand und/ der Herzglykoside bei Niereninsuffizienz (vor
oder der Leber deacetyliert und dann wie Dig- allem bei Digoxin-Präparaten), Myokarditis, ko-
oxin weiter biotransformiert. Metildigoxin ronarer Herzkrankheit, Lebensalter > 70 Jahre
(β-Methyl-Digoxin), das nur teilweise demethy- und Untergewicht.
liert wird, besitzt eine etwas andere Kinetik als
Nebenwirkungen. Selbst wenn der angestrebte
Digoxin. Aufgrund der hohen Lipophilie der
Wirkspiegel noch nicht erreicht ist, besteht die
Muttersubstanz gelangt diese leicht in das ZNS,
Gefahr von Arrhythmien, Benommenheit,
wodurch die Gefahr zentraler Nebenwirkungen
Kopfschmerzen, Sehstörungen (insbesondere
erhöht ist.
Störungen des Farbsehens) sowie – vorwiegend
Indikationen. Herzglykoside sind indiziert bei zentral ausgelöster – Übelkeit und Erbrechen.
mittelschwerer und schwerer Herzmuskelinsuf- Bei älteren Patienten können auch Verwirrt-
fizienz (zusammen mit Diuretika, ACE-Hem- heitszustände und Halluzinationen auftreten.
mern bzw. Sartanen und Betablockern), Tachy- Die Nebenwirkungshäufigkeit wird mit etwa
arrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern/Vor- 20 % angegeben.
hofflattern und paroxysmalem Vorhofflim-
Kontraindikationen. Bei schweren Bradykar-
mern/Vorhofflattern. Wegen ihrer geringen
dien, ventrikulären Rhythmusstörungen (insbe-
therapeutischen Breite hat ihre Verordnung be-
sondere ventrikulären Tachykardien), Aorten-
sonders verantwortungsvoll zu erfolgen und er-
stenose und hypertrophisch obstruktiver Kar-
fordert genaue Kenntnisse über die Eigenschaf-
diomyopathie sind Herzglykoside kontraindi-
ten des eingesetzten Glykosids.
ziert.
Dosierung. Die Dosierung (႒ Tab. 23.10 mit
Interaktionen. Saluretika, Laxanzien, Neben-
Richtwerten) hat individuell zu erfolgen, ggf.
nierenrindenhormone, Insulin und Amphoteri-
unter Kontrolle der Plasmakonzentrationen, die
cin B erhöhen die Herzglykosidwirkung wegen
allerdings die sorgfältige klinische Beobachtung
der durch sie hervorgerufenen Kaliumverluste.
nicht ersetzt. Bei Niereninsuffizienz muss die
Auch parenteral applizierte Calciumsalze stei-
Digoxin-Dosierung der Kreatinin-Clearance 23
gern den Glykosideffekt. Dagegen wird durch
entsprechend reduziert werden, bei Digitoxin ist
Triamteren und Amilorid aufgrund der ver-
dies in der Regel nicht erforderlich. Besonders
stärkten Kaliumretention sowie durch Cole-
vorsichtig muss dosiert werden, wenn die Emp-
styramin infolge verminderter Glykosidresorp-
findlichkeit gegenüber Digitalisglykosiden er-
tion die Wirkung herabgesetzt. Chinidin erhöht
höht ist. Dies trifft zu für Patienten mit Hypo-
340 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

die Plasmaspiegel von Digoxin und Digoxin- die ektope Erregungsbildung fördern und den
Derivaten durch Kompetition um P-Glykopro- Sauerstoffverbrauch des Myokards steigern. Au-
tein im Darm. Auf dem gleichen Mechanismus ßerdem tritt rasch ein Wirkungsverlust infolge
beruht die Erhöhung der Digoxin-Plasmakon- Desensibilisierung auf. Bei akuter Herzinsuffizi-
zentration durch Verapamil und Nifedipin, enz, insbesondere bei kardiogenem Schock,
ebenfalls Inhibitoren von P-Glykoprotein. En- wird unter strenger Überwachung der Herz-
zyminduktoren, wie z. B. Rifampicin, können Kreislauf-Parameter vor allem Dobutamin
andererseits durch Induktion von P-Glykopro- (s. o.) angewandt.
tein die Plasmakonzentrationen von Digoxin
stark erniedrigen. Phosphodiesterase-3-Hemmer
Zur kurzzeitigen Therapie von Patienten mit
Herzglykosidvergiftung. Bereits beim Über-
akuter, schwerer Herzinsuffizienz, die mit ande-
schreiten der für den vollen therapeutischen Ef-
ren Pharmaka nicht befriedigend behandelbar
fekt erforderlichen Dosis um das 1,5- bis 3-Fa-
sind, können unter strenger Überwachung die
che ist mit toxischen Erscheinungen zu rechnen.
Phosphodiesterase-3-Hemmstoffe Milrinon
Dabei treten die genannten Nebenwirkungen in
(Generika) und Enoximon (Perfan®) eingesetzt
verstärkter Form auf. In schweren Fällen kommt
werden. Durch die Blockade der Phosphodiester-
es zu partiellem bis totalem AV-Block, Brady-
ase 3 kommt es zum Anstieg von cAMP und da-
kardie oder Kammertachykardie, evtl. auch zu
durch zu einer positiv inotropen und positiv
Delirien und Krämpfen. Durch Kammerflim-
chronotropen Wirkung am Herzen sowie zu ei-
mern kann der Tod eintreten. Bei schweren In-
ner Erweiterung der Gefäße. Schlag- und Herz-
toxikationen werden Maßnahmen zur Resorpti-
zeitvolumen nehmen zu, das linksventrikuläre
onsverhinderung und Unterbrechung des en-
enddiastolische Volumen und der periphere Wi-
terohepatischen Kreislaufs (z. B. Gabe von Ak-
derstand dagegen ab. Aufgrund dieses Wirkpro-
tivkohle oder Colestyramin) vorgenommen.
fils werden diese Substanzen auch als Inodilata-
Eine beschleunigte Elimination durch Hä-
toren bezeichnet. Sie eignen sich allerdings we-
moperfusion ist nur bei Digitoxin, nicht aber bei
gen ihrer erheblichen Nebenwirkungen nicht
Digoxin möglich. Außerdem hat sich bei schwe-
zur Langzeittherapie: In allen bisher durchge-
ren Digitalisglykosidvergiftungen die Gabe von
führten klinischen Langzeitstudien traten ver-
Digitalis-Antitoxin vom Schaf (Fab-Antikör-
mehrt Todesfälle unter der Therapie mit Phos-
perfragmenten) bewährt. Bei bradykarden
phodiesterase-3-Hemmstoffen auf.
Rhythmusstörungen ist Atropin und bei Versa-
Als Initialdosis werden von Milrinon 50 μg/
gen dieser medikamentösen Therapie der vorü-
kg während 10 min gegeben, dann folgt eine Er-
bergehende Einsatz eines Schrittmachers indi-
haltungsinfusion mit 0,375–0,75 μg pro kg und
ziert. Treten tachykarde Rhythmusstörungen
Minute. Die Halbwertszeit von Milrinon beträgt
auf, werden unter ständiger EKG- und Elektro-
2–3 Stunden. Die Substanz wird überwiegend
lytkontrolle Kaliumionen (10 mmol KCl in 1
unverändert renal ausgeschieden (83 %), ein ge-
Stunde) infundiert (kontraindiziert bei Hyper-
ringerer Anteil der Dosis glucuronidiert. Bei Pa-
kaliämie und AV-Block!).
tienten mit Niereninsuffizienz ist demzufolge
die Dosis anzupassen.
Catecholamine bei akuter Herzinsuffizienz Von Enoximon werden initial 0,5–1 mg/kg –
Die positiv inotrope Wirkung von Catecholami- ebenfalls langsam i. v. – verabreicht (weitere
nen wurde bereits früher erläutert. Für die The- Gabe von 0,5 mg/kg im Abstand von 30 min),
rapie einer Herzinsuffizienz eignen sich Cate- alternativ kann die Initialdosis auch als Infusion
cholamine jedoch nur in besonderen Fällen in (90 μg pro kg und Minute) appliziert werden.
der Intensivmedizin, da sie nicht nur positiv in- Enoximon wird mit einer Halbwertszeit von 4–6
otrop, sondern auch positiv chronotrop wirken,
23.3 Herz 341

Stunden überwiegend als Sulfoxidmetabolit re- können bis zu 9 Tagen beobachtet werden. Die
nal ausgeschieden. Halbwertszeit beträgt 1 h.
Als Nebenwirkungen können wie bei ande- Levosimendan wird hauptsächlich durch
ren Wirkstoffen, welche die cAMP-Konzen- Konjugation zu inaktivem zyklischem oder N-
tration erhöhen, infolge ektoper Erregungsbil- acetyliertem Cysteinylglycin metabolisiert. Bei
dung Herzrhythmusstörungen auftreten. Be- schnellen Acetylierern ist die Konzentration
sonders häufig ist mit ventrikulären, seltener acetylierter Metaboliten geringgradig höher als
mit supraventrikulären Arrhythmien zu rech- bei langsamen Acetylierern. Häufige Nebenwir-
nen. Durch die Vasodilatation besteht die Ge- kungen sind ventrikuläre Tachykardie, Vorhof-
fahr einer Hypotonie. Weitere unerwünschte flimmern, ventrikuläre Extrasystolen, Herzver-
Wirkungen sind Thrombozytopenie, Fieber, sagen, Myokardischämie, Hypotonie und Hypo-
gastrointestinale Störungen, Kopfschmerzen, kaliämie. In Kombination mit anderen i. v. zu
Myalgien und Transaminasenerhöhungen. Bei verabreichenden vasoaktiven Substanzen ist das
Enoximon wurden Oligurie und Thrombophle- Hypotonierisiko erhöht.
bitiden an der Injektionsstelle beobachtet. Kont-
raindikationen sind schwere obstruktive Kar- Nitrate
diomyopathie, ausgeprägte Hypovolämie, Ta- Von den organischen Nitraten (s. o.) wird Glyce-
chykardien, Ventrikel-Aneurysma sowie roltrinitrat bei akuter Herzinsuffizienz mit Lun-
Schwangerschaft. genstauung in einer Dosierung von 0,8–1,6
(–2,4) mg alle 5–10 min sublingual oder bei
Levosimendan nicht ausreichender Wirkung 0,5–3 (–6) mg/
Wie PDE-3-Hemmer ist Levosimendan Stunde mittels Perfusor i. v. unter strenger Über-
(Simdax®) zur Kurzzeit-Behandlung bei akut wachung des Patienten eingesetzt. Der günstige
dekompensierter schwerer chronischer Herzin- Effekt ist vor allem durch den verringerten ve-
suffizienz indiziert, wenn eine konventionelle nösen Rückstrom und die daraus resultierende
Therapie nicht (mehr) ausreichend ist. Es stei- Vorlastsenkung, daneben auch durch eine (ge-
gert die Calciumsensitivität der kontraktilen ringer ausgeprägte) Nachlastsenkung bedingt.
Proteine durch Calcium-abhängige Bindung an Isosorbiddinitrat, Isosorbidmononitrat und
kardiales Troponin C. Levosimendan erhöht da- Pentaerythrityltetranitrat können, insbesondere
durch die Kontraktionskraft, beeinträchtigt aber wenn gleichzeitig eine Koronarinsuffizienz be-
nicht die ventrikuläre Entspannung. Zusätzlich steht, unterstützend bei chronischer Herzinsuf-
öffnet es ATP-sensitive Kaliumkanäle in der fizienz verwendet werden.
glatten Gefäßmuskulatur, was zu Vasodilatation
von arteriellen Widerstands- und venösen Ka- 23.3.2.3 Behandlung von Herzrhythmus-
pazitätsgefäßen führt. Außerdem ist Levosi- störungen bei Herzinsuffizienz
mendan wie z. B. Milrinon ein selektiver Phos- Ein großes Problem im Rahmen einer progre-
phodiesterase-3-Inhibitor. Bei Patienten mit dienten Herzinsuffizienz sind ventrikuläre
Herzinsuffizienz resultiert aus der positiv ino- Herzrhythmusstörungen mit der Gefahr des
tropen und vasodilatorischen Aktivität von Le- plötzlichen Herztodes. Außerdem ist ein bei äl-
vosimendan eine gesteigerte Kontraktionskraft teren Patienten häufig auftretendes Vorhofflim-
und eine Reduktion von Vor- und Nachlast. Die mern (s. u.) in Verbindung mit einer chroni-
Behandlung solle mit einer Initialdosis von schen Herzinsuffizienz behandlungsbedürftig. 23
6–12 μg/kg über einen Zeitraum von 10 min be- Bei letzterem sind zur Frequenzkontrolle Herz-
ginnen, gefolgt von einer kontinuierlichen Infu- glykyoside indiziert. Während die meisten klas-
sion von 0,1 μg/kg/min. Nach Beendigung einer sischen Antiarrhythmika die Prognose von
24-Stunden-Infusion halten die hämodynami- Herzinsuffizienten eher verschlechtern, unter-
schen Effekte mindestens weitere 24 h an und drücken Betablocker und Amiodaron (s. u.) die
342 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

Herzrhythmusstörungen ohne Erhöhung der Schläge/min je 1 °C Temperatursteigerung er-


Letalität. Zu den erfolgreichen nichtmedika- höht. Eine kompensatorische, meist sympa-
mentösen Verfahren zur Beseitigung von be- thisch ausgelöste Tachykardie findet man im
drohlichen ventrikulären Herzrhythmusstörun- Schock, nach Herzinfarkt, bei Herzinsuffizienz
gen gehört die Implantation eines Defibrilla- (Ⴜ Abb. 23.6), Herzmuskelentzündung und An-
tors. Bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizi- ämie. Tachykardie ist ferner ein wichtiges Symp-
enz und Linksschenkelblock hat sich ein tom bei der Schilddrüsenüberfunktion. Folge
biventrikulärer Schrittmacher zur Resynchro- der Sinustachykardie ist zunächst eine Steige-
nisation bewährt. rung des Herzzeitvolumens. Überschreitet je-
doch die Herzfrequenz einen Grenzwert (210
23.3.3 Herzrhythmusstörungen und Schläge/min minus Alter des Patienten in Jah-
Antiarrhythmika ren), tritt eine Verschlechterung der Hämody-
23.3.3.1 Pathophysiologische Grundlagen namik (infolge verminderter Ventrikelfüllung)
Veränderungen der Herzschlagfolge beruhen und der Koronardurchblutung (wegen der ver-
auf einer Beeinflussung der Erregungsbildung kürzten Diastole) auf.
und/oder der Erregungsleitung. Überschreitet
Sinusbradykardien sind bei ausdauertrainier-
die Herzfrequenz in Ruhe 100 Schläge/min, liegt
ten Hochleistungssportlern, deren Training eine
eine Tachykardie vor; eine Herzfrequenz < 60
Erhöhung des Vagustonus zur Folge hat, Aus-
Schläge/min wird als Bradykardie bezeichnet.
druck eines physiologischen Anpassungsprozes-
Unter einer Arrhythmie versteht man eine un-
ses. Eine pathologische Senkung der Herzfre-
regelmäßige Herzschlagfolge. Eine Extrasystole
quenz findet man bei Patienten mit einem aus
ist eine außerhalb des normalen Herzrhythmus
anderen Ursachen erhöhten Vagustonus, z. B.
ausgelöste Erregung, die eine Extrakontraktion
infolge eines Druckanstiegs im Schädelinnen-
zur Folge hat und vorübergehend den Grund-
raum bei Hirntumoren oder nach Hirntraumen.
rhythmus verändert.
Eine Erniedrigung der Herzfrequenz tritt ferner
Erregungsbildungsstörungen. Vom Sinuskno- bei Schilddrüsenunterfunktion und nach eini-
ten ausgehende Erregungsbildungsstörungen gen Infektionen auf. Eine Bradykardie hat, so-
werden als nomotop, solche, die in sekundären fern das Schlagvolumen nicht entsprechend an-
bzw. tertiären Zentren oder auch in der Arbeits- steigt, eine Verminderung des Herzzeitvolu-
muskulatur entstehen, als ektop (heterotop) be- mens zur Folge.
zeichnet. Die ektopen Störungen können in den
Pathologische Sinusarrhythmien entstehen bei
Vorhöfen (supraventrikulär) oder den Kam-
koronarer Herzkrankheit, akuter Myokarditis,
mern (ventrikulär) ihren Ursprung haben. Zu
schwerer Herzinsuffizienz und extrem gestei-
den nomotopen Erregungsbildungsstörungen
gerter Schilddrüsenfunktion (Thyreotoxikose).
gehören die Sinustachykardie, -bradykardie und
Eine Sonderform der pathologischen Sinusar-
-arrhythmie, zu den heterotopen Erregungsbil-
rhythmien ist das Sinusknotensyndrom (Sick-
dungsstörungen die verschiedenen Formen der
Sinus-Syndrom), bei dem u. a. anhaltende Si-
Extrasystolie, die supraventrikuläre paroxysma-
nusbradykardie, Wechsel zwischen Tachykardie
le Tachykardie, die Kammertachykardien sowie
und Bradykardie und mangelnder Frequenzan-
das Flattern oder Flimmern von Vorhöfen oder
stieg unter Belastung auftreten.
Kammern.
Supraventrikuläre paroxysmale Tachykardien
Sinustachykardien kommen bei körperlicher
(anfallsweises Herzjagen) mit einer Herzfre-
Belastung und Aufregung vor. Vor allem das un-
quenz von 150–220 Schlägen/min sind entwe-
trainierte Herz reagiert auf eine erhöhte Anfor-
der erblich bedingt oder treten nach Herzmus-
derung mit unökonomischer Tachykardie.
kelentzündungen, bei Sauerstoffmangel, Hypo-
Durch Fieber wird die Herzfrequenz um etwa 10
23.3 Herz 343

kaliämie und einer mit Vorhofstauung einherge- führt werden kann, und permanentem Vorhof-
henden Herzinsuffizienz auf. Diastole und flimmern, das trotz Kardioversion bestehen
Systole sind infolge der hohen Herzfrequenz so bleibt. Vorhofflimmern ist vor allem deswegen
kurz, dass die Förderleistung des Herzens ab- gefährlich, weil sich dadurch Thromben im lin-
nimmt. Häufig ist daher die Durchblutung le- ken Vorhofohr bilden können, wodurch die Ge-
benswichtiger Organe, insbesondere die des Ge- fahr besteht, dass diese als Emboli zu einem
hirns und der Nieren, eingeschränkt. Apoplex oder zur Verlegung peripherer Arteri-
en führen. Etwa 20 % aller Schlaganfälle sind auf
Vorhofflattern und insbesondere Vorhofflim-
Vorhofflimmern zurückzuführen! Patienten mit
mern sind häufige Erregungsbildungsstörungen
Vorhofflimmern sollen daher, sofern der
der Vorhöfe mit besonders hoher Erregungsbil-
CHA2DS2-VASc-Score (႒ Tab. 23.9 und ႒ Tab.
dungsfrequenz. Beim Vorhofflattern mit einer
23.10) mindestens zwei Punkte aufweist, antiko-
Frequenz von 200–300/min ist die Vorhoftätig-
aguliert werden, da bei ihnen das statistische Ri-
keit zwar noch koordiniert, doch wird nur ein
siko eines Schlaganfalls höher ist als das einer
Teil der Vorhoferregungen auf die Kammern
Schädigung (Hämorrhagie) durch die Antiko-
übergeleitet (z. B. 2:1- oder 3:1-Überleitung).
agulation. Der CHA2DS2-VASc-Score dient der
Die partielle AV-Blockierung (s. u.) ist dabei
Abschätzung des Schlaganfallrisikos bei Vorhof-
durch die Refraktärzeit des ventrikulären Erre-
flimmern. Dabei steht C für Congestive Heart
gungsleitungssystems bedingt. Vorhofflattern
Failure, H für Hypertension, A für Age von 65–
entsteht fast immer aufgrund organischer Herz-
70 Jahren, D für Diabetes mellitus, S für Stroke,
erkrankungen, vor allem bei Koronarsklerose
VA für Gefäßerkrankungen und SC für Sex Ca-
und nach Herzinfarkt. Außerdem tritt Vorhof-
tegory. Die 2 bedeutet, dass dafür 2 Punkte ver-
flattern bei Klappenfehlern durch Überdehnung
wendet werden.
der Vorhofwand auf. Bei dem im Vergleich zum
Um wiederum das Blutungsrisiko für Patien-
Vorhofflattern wesentlich häufigeren Vorhof-
ten abzuschätzen, die wegen Vorhofflimmerns
flimmern (Frequenz 350–600/min), von dem ca.
prophylaktisch antikoaguliert werden sollen,
3–5 % der über 65-Jährigen betroffen sind, ist
kann eine ähnlich aufgebaute Risikoevaluation
durch die sehr hohe Erregungsfrequenz jede
mittels des sog. HAS-BLED-Scores vorgenom-
wirksame Vorhofkontraktion aufgehoben. Kam-
men werden: Hypertonie, abnormale Nieren-
merkontraktionen treten wegen wechselnder
funktion/Leberfunktion, Schlaganfall in der
Überleitungsblockierung in irregulären Abstän-
Anamnese, Blutung in der Anamnese, labile
den auf (absolute Arrhythmie). Außer bei Hy-
INR-Einstellung, Alter ≥ 65 (elderly), Medika-
pertonie, koronarer Herzerkrankung, Herzin-
mente/Alkohol (drugs). Die höchstmögliche
suffizienz oder Hyperthyreose findet man Vor-
Punktzahl ist 9, bei einem Punktwert von 1 je
hofflimmern vor allem bei linksseitigen Klap-
Risikofaktor. Bei einer Punktzahl von 3 oder
penfehlern, insbesondere bei Mitralstenosen.
mehr ist von einem erhöhten Blutungsrisiko
(Durch die verengte Mitralklappe erhöht sich
durch die Antikoagulation auszugehen, was ge-
der Druck im linken Vorhof, die Vorhofüber-
gen ihren präventiven Effekt abzuwägen ist.
dehnung löst die Erregungsbildungsstörung
aus.) Nach Häufigkeit und Dauer der Rhyth- Ventrikuläre Extrasystolen kommen außer bei
musstörung wird unterschieden zwischen vegetativen Störungen bei organischen Herzer-
paroxysmalem Vorhofflimmern, das innerhalb krankungen (z. B. Koronarsklerose, Myokard-
von Stunden bis maximal wenigen Tagen spon-
23
schädigung) vor. Die klinischen Folgen hängen
tan sistiert, persistierendem Vorhofflimmern, davon ab, ob die Extrasystolen vereinzelt (max.
das auch nach mehreren Tagen nicht selbstlimi- 10/min), gehäuft (über 10/min) oder salvenartig
tierend ist und nur medikamentös oder durch und ob sie monotop, d. h. von einem Zentrum,
Kardioversion wieder in Sinusrhythmus über- oder polytop, d. h. von mehreren Zentren ausge-
344 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

႒ Tab. 23.9 Bewertung der Risikofaktoren für das ႒ Tab. 23.10 CHA2DS2-VASc-Score und jährliches
CHA2DS2-VASc-Scoring Schlaganfallrisiko

Risikofaktoren Punktwert CHA2DS2-VASc Score Apoplexrisiko/Jahr

Herzinsuffizienz oder 1 1 1,3 %


links-ventrikuläre Dysfunktion
2 2,2 %
Hypertonie 1
3 3,2 %
Alter > 75 Jahre 2
4 4,0 %
Diabetes mellitus 1
5 6,7 %
Schlaganfall oder TIA oder 2
Thromboembolie 6 9,8 %

Vaskuläre Erkrankung 1 7 9,6 %

Alter 65–74 Jahre 1 8 6,7 %

Weibliches Geschlecht 1 9 15,2 %

hend, auftreten. Monotope Extrasystolen spre- Erregungsleitungsstörungen. Bei diesen Herz-


chen für eine lokale, polytope Extrasystolen für rhythmusstörungen ist die Fortleitung bzw. Aus-
eine diffuse Myokardschädigung. Besonders ge- breitung der Depolarisation im Vorhof- und/
fährlich sind ventrikuläre Extrasystolen, wenn oder Kammerbereich beeinträchtigt. Die Erre-
sie in die sog. vulnerable Phase, d. h. in den ers- gungsleitung kann dabei verzögert, partiell oder
ten Teil der T-Welle des EKGs fallen, da dadurch total blockiert sein. Dementsprechend unter-
leicht Kammerflimmern (s. u.) ausgelöst werden scheidet man drei Schweregrade der Erregungs-
kann. leitungsstörungen: I. Grad: Verzögerung der Er-
regungsleitung, II. Grad: Gelegentlicher Ausfall
Ventrikuläre Tachykardien, die bei schweren
der Erregungsleitung vom Vorhof auf die Kam-
organischen Herzschädigungen, z. B. beim
mer (partieller Block), III. Grad: Vollständige
Herzinfarkt, vorkommen, sind stets lebensbe-
Unterbrechung der Überleitung (totaler Block).
drohlich, da sie vielfach in Kammerflattern
Die Übergänge vom I. zum III. Grad sind flie-
oder Kammerflimmern übergehen. Dabei ist
ßend. Als Ursachen von Erregungsleitungsstö-
eine geordnete Kontraktion der Ventrikel nicht
rungen sind Koronarsklerose, Herzinfarkt, Hy-
mehr möglich. Beim Kammerflattern wird zwar
perkaliämie, Herzmuskelentzündung sowie
noch ein geringes Blutvolumen gefördert, trotz-
Überdosierung mit Digitalis-Glykosiden zu
dem tritt Bewusstlosigkeit und Schock ein.
nennen.
Kammerflimmern führt dadurch, dass über-
haupt kein Blut mehr ausgeworfen wird (funkti-
23.3.3.2 Antiarrhythmika
oneller Herzstillstand), nach kurzer Zeit zum
Antiarrhythmika sind Substanzen, die zur Nor-
Tode, sofern nicht durch sofortige externe Herz-
malisierung der Herzschlagfolge angewandt
massage die Zeit bis zu weiteren therapeutischen
werden. Je nach Art der Rhythmusstörung soll
Maßnahmen (Defibrillation) überbrückt wird.
der eingesetzte Wirkstoff die Herzfrequenz stei-
Kammerflattern bzw. Kammerflimmern kann
gern oder erniedrigen, die ektope Erregungsbil-
auch durch Sauerstoffmangel, Unterkühlung,
dung unterdrücken und/oder die Überleitungs-
Überdosierung von Narkosemitteln u. a. ausge-
geschwindigkeit erhöhen oder erniedrigen. Es
löst werden.
23.3 Herz 345

ist jedoch eindringlich darauf hinzuweisen, dass normaler und insbesondere bei Überdosierung
Antiarrhythmika, insbesondere Klasse-I-Anti- von Adrenalin besteht die Gefahr von Arrhyth-
arrhythmika (s. u.), auch pro-arrhythmogen mien durch erhöhte Erregbarkeit der Kammer-
wirken mit der Folge einer erhöhten Mortalität. muskulatur (Förderung ektoper Schrittmacher-
Dabei ist zu beachten, dass viele Patienten mit aktivität). Weitere unerwünschte Wirkungen
Herzrhythmusstörungen – insbesondere solche sind Tremor, Angstzustände und verstärktes
mit isolierten Extrasystolen – herzgesund sind Schwitzen.
und keiner Behandlung mit Antiarrhythmika Auch durch Parasympatholytika kann die
bedürfen. Herzfrequenz gesteigert werden. Therapeutisch
Zur Behandlung schwerer Herzrhythmusstö- verwendet werden (Ⴉ Kap. 20.2) Atropin (Ein-
rungen werden zunehmend nichtmedikamen- zeldosis 0,5 mg) sowie Ipratropiumbromid (It-
töse Therapieformen eingesetzt. Dazu gehört rop®; Dosierung initial 5–15 mg oral, Dauerthe-
z. B. die Implantation eines implantierbaren rapie täglich 20–45 mg oral). Letzteres ist für
Defibrillators (ICD), der Rhythmusstörungen vagal-bedingte Sinusbradykardien zugelassen.
über ein Sensorsystem erkennt und bei Bedarf Die orale Bioverfügbarkeit liegt bei 3,3 %, die
einen defibrillierenden Impuls abgibt. Die Ver- Halbwertszeit beträgt 1,6 Stunden bei überwie-
wendung dieser Geräte verbessert signifikant gend biliärer Ausscheidung.
die Prognose. Neue Untersuchungen haben au-
ßerdem gezeigt, dass der kombinierte Einsatz Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen
eines ICD mit einem Antiarrhythmikum (z. B. und Extrasystolien
Sotalol) die Häufigkeit der Elektroschockauslö- Aufgrund der unterschiedlichen Wirkungsme-
sung durch den ICD verringert (Verbesserung chanismen wurde eine Einteilung in verschie-
der Lebensqualität), ohne die Mortalität zu er- dene Antiarrhythmikaklassen vorgenommen
höhen. Ferner gelingt die Elektrokonversion von (Einteilung nach Vaughan Williams). Danach
Vorhofflimmern (s. u.) leichter bei gleichzeitiger unterscheidet man Klasse-I- (Natriumkanal-
Gabe von Antiarrhythmika (z. B. von einem blocker), Klasse-II- (Betablocker), Klasse-III-
Klasse-III-Antiarrhythmikum). (Kaliumkanalblocker), und Klasse-IV-Antiar-
rhythmika (Calciumkanalblocker). Ⴜ Abb. 23.7
Pharmaka zur Therapie bradykarder Herz- verdeutlicht ihre Angriffspunkte am Aktionspo-
rhythmusstörungen tenzial und am EKG.
Zur kurzfristigen medikamentösen Behandlung
bradykarder Herzrhythmusstörungen (ein- Klasse-I-Antiarrhythmika
schließlich AV-Blockierungen) und zur kardio- Den Klasse-I-Antiarrhythmika ist gemeinsam,
pulmonalen Reanimation bei Herzstillstand wer- dass sie durch Blockade des schnellen Natrium-
den Parasympatholytika bzw. Adrenalin einge- kanals (INa) eine Abnahme der Aufstrichge-
setzt. Führt die medikamentöse Therapie mit die- schwindigkeit und damit eine Verringerung der
sen Substanzen nicht zum Erfolg oder bestehen Leitungsgeschwindigkeit bewirken. Darüber hi-
stärkere Störungen über längere Zeit, muss ein naus führen sie zu einem langsameren Anstieg
elektrischer Schrittmacher implantiert werden. des Generatorpotenzials, einer Erhöhung der
Adrenalin steigert die Anstiegssteilheit des Depolarisationsschwelle und einer Zunahme
Aktionspotenzials, außerdem verkürzt es die der Gesamtrefraktärzeit. Außerdem wirken sie
Aktionspotenzialdauer und die Refraktärzeit. negativ inotrop. 23
Die Wirkungen beruhen vor allem auf einer Er- Unterschiedlich ist dagegen bei den verschie-
höhung des Calciumionen-Einstroms in der denen Stoffen die Beeinflussung der Aktionspo-
Plateauphase und in einer Beschleunigung des tenzialdauer durch Hemmung repolarisierender
Kaliumionen-Auswärtsstromes in der Repolari- K+-Kanäle (verlängerte QT-Zeit im Oberflä-
sationsphase des Aktionspotenzials. Schon bei chen-EKG), das Ausmaß und die Dauer der
346 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

gativ inotroper Effekt wenig bedeutsam ist, kann


A C bei Herzinsuffizienten die Herzleistung weiter
1 bedrohlich abnehmen. Deshalb ist bei Herzin-
2 Schrittmacher-
potenzial Klasse suffizienten vor der Gabe negativ inotroper An-
(Phase 4) II
Phase
0 tiarrhythmika, die bei diesem Patientenkollektiv
3
4 ohnehin nur besonders vorsichtig verwendet
Schnelle Klasse werden sollten, eine ausreichende Behandlung
Depolarisation I
QRS (Phase 0) der Herzinsuffizienz erforderlich.
B Gemeinsame Nebenwirkungen der Klasse-
T IA-Antiarrhytmika sind im Zusammenhang mit
P Plateauphase Klasse
(Phase 2) IV der Erniedrigung der Kontraktilität Blutdruck-
senkung sowie gastrointestinale Störungen,
Repolarisation Klasse Cholestase, Blutbildveränderungen, Arthralgien
PQ QT (Phase 3) III u. a. Bei Überdosierungen können Erregungs-
leitungsstörungen (evtl. AV-Block) und poly-
Ⴜ Abb. 23.7 A Kardiales Aktionspotenzial, B Ober- tope Extrasystolen, evtl. Asystolie auftreten.
flächen-EKG und C Hauptangriffspunkte von Anti- Kontraindikationen sind dekompensierte Herz-
arrhythmika
insuffizienz, Bradykardie, Erregungsleitungs-
störungen, Digitalis-Intoxikation sowie das
Hemmung des schnellen Natriumeinstroms in 1. Schwangerschaftstrimenon. Durch tricycli-
der Phase 0 des Aktionspotenzials (verlängertes sche Antidepressiva und Neuroleptika wird der
QRS-Intervall im Oberflächen-EKG) und die antiarrhythmische Effekt dieser Antiarrhyth-
Frequenzabhängigkeit der Wirkung („use de- mika erhöht.
pendence“). Ajmalin (Gilurytmal®), ein Nebenalkaloid
Der Natriumkanal liegt wie andere Ionen- von Rauvolfia serpentina, wird i. v. in einer Do-
känäle in drei Funktionszuständen (offen, inak- sierung von 10–50 mg verwendet. Ajmalin wird
tiv, geschlossen) vor, die im Rahmen eines Akti- durch CYP2D6 metabolisiert und inhibiert die-
onspotenzials nacheinander durchlaufen wer- ses Enzym. Die Halbwertszeit ist 1,5 h. Prajma-
den. Klasse-I-Antiarrhythmika binden an den lium (Neo-Gilurytmal®), ein Derivat von Ajma-
Natriumkanal im offenen Zustand. Ist die Bin- lin, wird trotz der quartären Ammoniumstruk-
dungszeit einer Substanz an den Kanal nur kurz tur nach oraler Applikation gut resorbiert. Die
(z. B. bei Lidocain), macht sich der Effekt (Hem- Dosierung beträgt 60–100 mg, die Halbwertszeit
mung des Einstroms von Natrium) nur bei hohen 4–7 h.
Frequenzen bemerkbar. Pharmaka mit langen
Klasse-IB-Antiarrhythmika. Zu den Klasse-IB-
Bindungszeiten (z. B. Propafenon) sind dagegen
Antiarrhythmika gehört nur noch Lidocain,
auch bei Ruhefrequenz wirksam. Unter diesen
z. B. Xylocain® (Kardiologie). Es blockiert span-
Gesichtspunkten werden die Klasse-I-Antiar-
nungsabhängige Natriumkanäle sowohl im offe-
rhythmika nochmals in Klasse-IA-, Klasse-IB-
nen als auch im inaktivierten, nicht dagegen im
und Klasse-IC-Antiarrhythmika untergliedert.
Ruhezustand. Der vorwiegend an den Kammern
Klasse-IA-Antiarrhythmika. Klasse-IA-Antiar- und weniger im Vorhofbereich angreifende
rhythmika können mit den oben genannten Wirkstoff beeinflusst die Dauer des Aktionspo-
Einschränkungen bei Vorhofflattern und Vor- tenzials nur wenig. Lidocain verringert ferner
hofflimmern, supraventrikulären und (lebens- die Depolarisationsgeschwindigkeit bei niedri-
bedrohlichen) ventrikulären Tachykardien so- gerem (weniger negativem) Membranruhe-
wie Extrasystolien eingesetzt werden. Während potenzial stärker als bei normalem Membranru-
bei Patienten ohne Myokardschädigung ihr ne- hepotenzial und verlängert die Erholungszeit
23.3 Herz 347

der Natriumkanäle besonders bei hohen Fre- ren paroxysmalen Tachykardien, Vorhofflim-
quenzen. Es wird daher bei tachykarden ventri- mern und ventrikulären Extrasystolen. Diese
kulären Arrhythmien eingesetzt. Wegen eines Substanzklasse ist neben Amiodaron (s. u.) die
hohen First-Pass-Effekts ist es oral nicht an- Gruppe von Antiarrhythmika, für die eine Re-
wendbar. Die Dosierung beträgt 50–100 mg i. v., duktion der Mortalität gezeigt werden konnte.
dann 200 mg/h als Dauerinfusion. Die Halb- Wegen ihrer guten Verträglichkeit gelten sie als
wertszeit wird mit 0,8 h angegeben. Als Neben- Basisantiarrhythmika. Zu beachten ist, dass sie
wirkungen können in hohen Dosen zentrale Er- die AV-Überleitung herabsetzen.
regung und Krämpfe auftreten (vgl. Lokalanäs-
thetika-Komplikationen, Ⴉ Kap. 13). Gegenan- Klasse-III-Antiarrhythmika
zeigen sind AV-Block II. und III. Grades. Die Substanzen dieser Gruppe sind dadurch ge-
kennzeichnet, dass sie vorrangig durch Blocka-
Klasse-IC-Antiarrhythmika. Flecainid (Tambo-
de von Kaliumkanälen die Aktionspotenzial-
cor®) und Propafenon (z. B. Cuxafenon®) be-
dauer verlängern. Eine bedeutsame Nebenwir-
einflussen die Aktionspotenzialdauer kaum,
kung ist das Risiko einer Torsades-de-pointes-
blockieren aber wegen der langen Interaktions-
Arrhythmie, die durch Verlängerung des
zeiten mit dem Natriumkanal den schnellen Na-
QTc-Intervalls hervorgerufen wird und lebens-
triumeinstrom in der Phase 0 des Aktionspoten-
bedrohlich sein kann.
zials sehr stark und führen somit zu einer QRS-
Sotalol (z. B. Sotalex®) weist als bisher einzi-
Verlängerung bei Ruhefrequenzen. Die Indika-
ger Betablocker neben der β-blockierenden
tionen wurden vor allem bei ventrikulären
Wirkung typische Eigenschaften eines Klasse-
tachykarden Arrhythmien stark eingeschränkt.
III-Antiarrhythmikums auf. Bei oraler Gabe
Flecainid und Propafenon werden vorwiegend
wird es praktisch vollständig resorbiert. Die
eingesetzt, um bei Patienten mit supraventriku-
Halbwertszeit wird mit 7–18 Stunden angege-
lären Tachyarrhythmien, insbesondere solchen
ben, die Elimination erfolgt renal. Die Dosie-
mit Vorhofflimmern, wieder Sinusrhythmus zu
rung beträgt initial 160 mg pro Tag und kann –
erreichen.
unter Beachtung der Herzfrequenz, die nicht
Flecainid und Propafenon werden durch
unter 55 Schläge pro Minute abfallen sollte –,
CYP2D6 biotransformiert. Da Flecainid aber
falls erforderlich, auf 320–480 mg täglich gestei-
auch großenteils unverändert renal ausgeschie-
gert werden.
den wird – Halbwertszeit 20 h –, weisen langsa-
Amiodaron (Generika) wirkt sowohl bei su-
me Metabolisierer mit normaler Nierenfunkti-
praventrikulären als auch bei ventrikulären
on keine deutlich erhöhten Plasmakonzen-
Rhythmusstörungen. Es blockiert eine Vielzahl
trationen auf. Propafenon kann dagegen wegen
von repolarisierenden und depolarisierenden
einer ausgeprägten nicht-linearen Pharmako-
Ionenkanälen, daher ist es bisher nicht gelun-
kinetik (Halbwertszeit 3–17 h) bei langsamen
gen, die antiarrhythmische Gesamtwirkung nur
Metabolisierern zu erhöhten Plasmakonzen-
einem molekularen Wirkmechanismus zuzu-
trationen und signifikant mehr Nebenwirkun-
ordnen („Multikanalblocker“). Hervorzuheben
gen führen. Die Substanz zeigt insbesondere bei
ist vor allem seine Wirksamkeit bei Arrhythmi-
langsamen Metabolisierern auch β-blockierende
en, die mit anderen Antiarrhythmika nicht be-
Eigenschaften. Die Dosierung für Flecainid be-
handelt werden können (Sättigungs-Dosierung
trägt 100–200 mg, Propafenon wird in einer Do-
sierung von 450–900 mg verwendet.
8–10 Tage lang 600 mg täglich, Erhaltungsdosis 23
200 mg/Tag mit Pausen am Wochenende, bei ei-
ner Bioverfügbarkeit von 45 %). Neben diesen
Klasse-II-Antiarrhythmika positiven Eigenschaften weist Amiodaron je-
Betablocker (Ⴉ Kap. 19.4.2) eignen sich zur The- doch auch erhebliche Nachteile auf. So ist die
rapie von Sinustachykardien, supraventrikulä- Halbwertszeit mit 20–100 Tagen sehr hoch, au-
348 23 Herz-Kreislauf-Pharmaka

ßerdem wird Amiodaron im Gewebe stark an- schrieben. Ferner wurde von seltenen, aber
gereichert. Die Steuerbarkeit ist daher gering. schwerwiegenden Leberschäden berichtet.
Die Substanz wird selbst über CYP3A4 verstoff-
wechselt, ist aber zusätzlich ein potenter Hemm- Klasse-IV-Antiarrhythmika
stoff von CYP1A2, CYP2C9, CYP2D6 und Dazu gehören die Calciumkanalblocker Verapa-
CYP3A4. Hauptmetabolit ist N-Desethyl-Ami- mil und Diltiazem (Ⴉ Kap. 23.2.2.2). Sie hem-
odaron. Daneben werden deiodierte Metaboli- men den langsamen, spannungsabhängigen Cal-
ten gebildet. ciumkanal, vermindern dadurch die Depolarisa-
Unter den erheblichen Nebenwirkungen sind tionsgeschwindigkeit langsamer Aktionspoten-
Ablagerungen in der Hornhaut des Auges ziale im Sinus- und AV-Knoten und verlängern
besonders häufig. Außerdem kann es zu Photo- die atrioventrikuläre Überleitung. Außerdem
sensibilität, Schilddrüsenfunktionsstörungen erhöhen sie die effektive Refraktärzeit und un-
(sowohl Hypo- als auch Hyperthyreosen), Über- terdrücken Nachpotenziale, die zu Herzrhyth-
empfindlichkeitsreaktionen sowie zu Verände- musstörungen führen können. Klasse-IV-Anti-
rungen im Interstitium der Lungen (Lungenfib- arrhythmika sind aufgrund dieser pharmakody-
rose) mit Atembeschwerden und Leberfunk- namischen Eigenschaften bei supraventrikulä-
tionsstörungen kommen. Amiodaron erhöht ren tachykarden Rhythmusstörungen indiziert.
bei gleichzeitiger Gabe mit Digoxin dessen Die Dosierung von Verapamil beträgt bei paren-
Plasmakonzentration, was vermutlich auf einer teraler Gabe 5 mg langsam i. v., bei oraler Appli-
Hemmung von P-Glykoprotein beruht. Außer- kation dreimal täglich 40–80 mg. Von Diltiazem
dem kann der gerinnungshemmende Effekt von werden dreimal täglich 60–120 mg gegeben.
Dicoumarol-Derivaten durch Amiodaron ver-
stärkt werden. Bei Sinusbradykardie, Leitungs- Sonstige Antiarrhythmika
verzögerungen, vorbestehender QT-Verlänge- Vernakalant (BRINAVESS®) ist zugelassen zur
rung und Hyperthyreose ist Amiodaron kontra- Konversion eines kürzlich aufgetretenen Vor-
indiziert. hofflimmerns. Dessen Dauer vor Anwendung
Ein Amiodaron-Analogon ist Dronedaron von Vernakalant sollte weniger als sieben Tage
(MULTAQ®), das keine Iod-Atome mehr ent- betragen (bei Patienten mit einem kardiochirur-
hält und aufgrund seiner im Vergleich zu Amio- gischen Eingriff weniger als drei Tage).
daron deutlich geringeren Lipophilie eine kür- Vernakalant blockiert elektrische Ströme in
zere Halbwertszeit (25–30 Stunden) aufweist. allen Phasen des atrialen Aktionspotenzials, ein-
Ebenso wie Amiodaron hemmt Dronedaron schließlich der beiden Kaliumströme, die nur im
den schnellen Natriumeinstrom und repolari- Vorhof vorkommen: den ultraschnellen verzö-
sierende Kaliumkanäle (IKR) und führt somit zu gert gleichrichtenden sowie den Acetylcholin-
einer Verlängerung des QTc-Intervalls. Es wird abhängigen Kaliumstrom. Die Blockade dieser
über CYP3A4 verstoffwechselt, hemmt zusätz- Kaliumkanäle verlangsamt die Repolarisation
lich CYP2D6 und ist zum Erhalt des Sinusrhyth- der atrialen Myokardzellen und vermindert so-
mus nach erfolgreicher Kardioversion bei kli- mit deren Erregbarkeit. Außerdem hemmt Ver-
nisch stabilen Patienten mit paroxysmalem oder nakalant frequenzabhängig myokardiale Natri-
persistierendem Vorhofflimmern indiziert. Ziel umkanäle. Während des Vorhofflimmerns ist
der Behandlung ist es, das Wiederauftreten von seine Wirkung daher auf die hochfrequent akti-
Vorhofflimmern zu verhindern. Gleichzeitig vierenden Natriumkanäle des Vorhofgewebes
soll die ventrikuläre Herzfrequenz gesenkt wer- fokussiert und nicht auf den Ventrikel, der mit
den. Die Dosierung beträgt zweimal täglich einer niedrigeren Herzfrequenz schlägt.
400 mg. Als Nebenwirkungen sind u. a. Ge- Zur Konversion in den Sinusrhythmus wer-
schmacksstörungen, Bradykardien, gastrointes- den 3 mg/kg Vernakalant i. v. appliziert. Falls in-
tinale Beschwerden, Juckreiz und Asthenie be- nerhalb von 15 min keine Kardioversion erreicht
23.3 Herz 349

wird, besteht die Möglichkeit einer zweiten In- 23.3.3.3 Strategie der Pharmakotherapie des
fusion mit 2 mg/kg. Vorhofflimmerns
Vernakalant wird mittels CYP2D6 verstoff- Ziele der medikamentösen Behandlung von
wechselt. Die Halbwertszeit von 2–3 Stunden ist Vorhofflimmern sind die Therapie der Rhyth-
bei langsamen Metabolisierern deutlich verlän- musstörung, die Verhinderung von Rezidiven
gert. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Ge- (nach erfolgter Rhythmisierung) sowie die Pro-
schmacksstörungen und Parästhesien, ferner phylaxe von durch Emboli aus dem linken Herz-
können Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörun- ohr hervorgerufenen Schlaganfällen. Bei der
gen und QT-Verlängerung auftreten. Therapie der Rhythmusstörung können zwei
prognostisch gleichwertige Behandlungsstrate-
Adenosin (Generika) eignet sich zur Therapie
gien unterschieden werden: die Rhythmus- und
behandlungsbedürftiger paroxysmaler supra-
Frequenzkontrolle.
ventrikulärer Tachykardien. Es ist vor allem
Medikamentöse Maßnahmen zur Rhyth-
dann indiziert, wenn andere Antiarrhythmika
muskontrolle kommen fast ausschließlich beim
(z. B. Verapamil) nicht in Betracht kommen.
paroxysmalen Vorhofflimmern in Betracht. Da-
Durch Angriff an A1-Rezeptoren öffnet Adeno-
bei wird versucht, dieses mit Klasse-Ic-, Klasse-
sin Kaliumkanäle im Sinusknoten. Außerdem
III-Antiarrhythmika, Betablockern oder, wenn
werden am Atrioventrikularknoten durch Ade-
es erst kürzlich aufgetreten ist, mit Vernakalant
nosin Calciumkanäle blockiert und dadurch ein
(s. o.) wieder in den Sinusrhythmus zu überfüh-
negativ dromotroper Effekt ausgelöst. Als Folge
ren. Dies gelingt vor allem dann, wenn keine
davon nimmt das Membranruhepotenzial zu,
fortgeschrittene kardiale Grunderkrankung vor-
andererseits wird die AV-Überleitung unter-
liegt, der linke Vorhof nicht stark erweitert ist,
drückt und die Herzfrequenz sinkt. An den
kein Sick-Sinus-Syndrom besteht und behandel-
Herzkammern wirkt Adenosin nicht.
bare Ursachen des Vorhofflimmerns (z. B. Elek-
Wegen der sehr raschen Desaminierung zu
trolytstörungen, Hyperthyreose) beseitigt sind.
Inosin sowie der Aufnahme in Erythrozyten be-
Frequenzkontrolle bedeutet, dass die bei den
trägt die Halbwertszeit nur wenige Sekunden.
verschiedenen Formen von Vorhofflimmern
Adenosin muss daher als Bolus intravenös inji-
(paroxysmalem, persistierendem, permanentem
ziert werden. Die Initialdosis beträgt 3 mg, sie
Vorhofflimmern) die erhöhte Herzfrequenz
kann bei nicht ausreichender Wirkung bis auf
durch die Medikation normalisiert wird. Dazu
maximal 12 mg gesteigert werden. Als Neben-
können neben Betablockern auch Calciumka-
wirkungen werden häufig Flush, Dyspnoe,
nalblocker vom Verapamil-Typ und Herzgly-
Bronchospasmus, Übelkeit und Schwindel, gele-
koside angewandt werden.
gentlich Schwitzen, Palpitationen, Hitzegefühl
Eine Rezidivverhinderung nach Wiederher-
und Benommenheit beobachtet. Sehr selten
stellung des Sinusrhythmus kann mit Betablo-
kann es zu lebensbedrohlichen Asystolien oder
ckern sowie mit Amiodaron und dessen Analo-
ventrikulären Arrhythmien kommen. Bei AV-
gon Dronedaron versucht werden. Zur Apo-
Block II. oder III. Grades sowie obstruktiven
plexprophylaxe ist ab einem CHA2DS2-VASc-
Lungenerkrankungen ist Adenosin kontraindi-
Score von 2 (s. o) zu antikoagulieren.
ziert. Xanthin-Derivate schwächen den Adeno-
sin-Effekt ab.
Die Verwendung von Magnesiumionen als Anti- 23
arrhythmikum ist in Ⴉ Kap. 26.2.2.1 beschrieben.
350 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

Krankhafte Veränderungen des Respirations- dor, pfeifende und giemende Geräusche bei der
trakts führen in vielen Fällen zu Ventilationsstö- Auskultation, Brustenge sowie Husten und Ab-
rungen. Man unterscheidet obstruktive und re- husten von glasig-zähem Schleim. Die Einen-
striktive Ventilationsstörungen. gung der Atemwege wird dabei durch Entzün-
dungsmediatoren hervorgerufen, die einen
Spasmus der Bronchialmuskulatur, eine ödema-
24.1 Obstruktive Ventilations- töse Schwellung der Bronchialwand sowie eine
störungen gesteigerte Sekretion (Hyperkrinie) von Schleim
zäher Konsistenz (Dyskrinie) hervorrufen.
Bei den obstruktiven Ventilationsstörungen ste- Nach den auslösenden Ursachen unterscheidet
hen eine Einengung der Atemwege und Erhö- man das allergische (extrinsische) Asthma und
hung des Strömungswiderstandes im Vorder- das intrinsische (nichtallergische) Asthma mit
grund. verschiedenen Unterformen, z. B. dem Anstren-
Hierzu gehören vor allem gungsasthma, dem Infektasthma oder dem me-
dikamentös bedingten Asthma. Die beiden For-
󠀂 das Asthma bronchiale,
men sind jedoch selten rein ausgeprägt, meis-
󠀂 die chronisch obstruktive Bronchitis (chronic
tens treten sie als Mischformen auf.
obstructive pulmonary disease, COPD) und
Das allergische Bronchialasthma beruht vor
󠀂 das Lungenemphysem.
allem auf einer IgE-vermittelten Überempfind-
Beim Asthma bronchiale ist die Atemwegsob- lichkeitsreaktion (Ⴉ Kap. 4.2.1) und betrifft oft
struktion meist reversibel, bei der COPD selbst entsprechend prädisponierte Personen, die sog.
unter optimalen Therapiebedingungen irrever- Atopiker. Allergene (z. B. Pollen, Ausscheidun-
sibel. gen von Hausstaubmilben, Tierhaarepithelien)
induzieren bei diesen Patienten zunächst die
24.1.1 Therapie des Asthma Bildung von IgE-Antikörpern (Sensibilisie-
bronchiale (Antiasthmatika) rung), die sich auf der Oberfläche von Mastzel-
Asthma bronchiale ist eine chronische Entzün- len festsetzen. Werden beim erneuten Allergen-
dung der Atemwege mit Hyperreagibilität des kontakt zwei benachbarte IgE-Antikörper durch
Bronchialsystems und variabler Atemwegsob- das Allergen überbrückt, tritt eine Degranulati-
struktion. Typische Symptome sind anfallsweise on dieser Zellen und somit eine Freisetzung von
auftretende Atemnot (insbesondere nachts und Entzündungsmediatoren ein, welche die für
am frühen Morgen) mit exspiratorischem Stri- einen Asthmaanfall typischen Symptome wie
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 351

Bronchokonstriktion, Hyperkrinie und Dyskri- Omalizumab (Xolair®) ist gegen ein Epitop im
nie sowie bei längerer Dauer Mukosaödem aus- Fc-Anteil von IgE gerichtet. Durch Komplexbil-
lösen. dung mit den frei zirkulierenden IgE-Molekülen
Beim intrinsischen Bronchialasthma sind wird deren Bindung an den IgE-Rezeptor auf
keine spezifischen Allergene bekannt. Voraus- den Mastzellen verhindert. Omalizumab ist in-
setzung für die Entwicklung der Erkrankung ist diziert als Zusatzbehandlung bei Patienten (ab 6
eine Hyperreagibilität des Bronchialsystems, Jahren) mit schwerem, persistierendem, IgE-
durch die bereits primär unspezifische Reize, vermitteltem allergischen Asthma, die einen po-
wie z. B. Infekte, die Inhalation von Tabakrauch, sitiven Hauttest gegen ein ganzjährig auftreten-
Kaltluft, Nebel oder Luftverunreinigungen, zu des Aeroallergen zeigen und trotz hochdosierter
einer überschießenden Reaktion des Bronchial- inhalativer Glucocorticoid- und β2-Sympatho-
systems führen. mimetika-Therapie immer noch unter schweren
Eine Bronchialobstruktion kann außerdem Asthma-Exazerbationen leiden. Es wird subku-
durch Pharmaka wie β-Adrenozeptorblocker tan injiziert. Seine Metabolisierung erfolgt CYP-
(Ⴉ Kap. 19.4.2) oder nichtsteroidale Antiphlogis- unabhängig mit einer mittleren Halbwertszeit
tika (Ⴉ Kap. 12.1.3.1) hervorgerufen werden. von 26 Tagen.
In der Vergangenheit wurde Asthma bron- Die Dosierung und Behandlungsfrequenz
chiale nach der Schwere der Symptome in 4 Stu- richten sich nach dem IgE-Basiswert und dem
fen eingeteilt. Diese Einteilung ist jedoch nur für Körpergewicht. Da der Körper ständig IgE wei-
nicht therapierte Patienten sinnvoll und hat sich terproduziert, muss Omalizumab alle 2–4 Wo-
deshalb nicht für die Therapieverlaufskontrolle chen nachinjiziert werden, um den IgE-Spiegel
bewährt. Aktuell wird für die Behandlung und niedrig zu halten. Die Maximaldosis beträgt
die langfristige Verlaufskontrolle eine Eintei- 600 mg alle 2 Wochen.
lung in drei klinisch leicht erfassbare Grade der Als Nebenwirkungen wurden Kopfschmer-
Asthmakontrolle herangezogen: zen, Reaktionen und Schmerzen an der Injekti-
onsstelle, Schwellungen, Erythem, Pruritus und
󠀂 Kontrolliertes Asthma,
anaphylaktische Reaktionen berichtet.
󠀂 teilweise kontrolliertes Asthma und
󠀂 unkontrolliertes Asthma.
Symptomatische Therapie des
Um zu beurteilen, ob das Therapieziel (kontrol- Bronchialasthmas
liertes Asthma) erreicht wurde oder eine Anpas- Die symptomatische Behandlung des Asthma
sung der Therapie (Intensivierung oder Reduk- bronchiale ist in der Regel eine Langzeittherapie
tion) zu erfolgen hat, ist der Grad der und setzt sich aus einer Bedarfsmedikation und
Asthmakontrolle in regelmäßigen Abständen zu einer Dauermedikation zusammen.
dokumentieren. Die Bedarfsmedikation kommt einer Bron-
chospasmolyse gleich und dient zur symptoma-
Kausale Therapie. Diese ist begrenzt möglich
tischen Behandlung der akuten Atemwegsobst-
durch
ruktion und Dyspnoe.
󠀂 Karenzmaßnahmen, Meidung von An- Die Dauermedikation soll die asthmatische
fallsauslösern wie Rauchen, Umweltallerge- Entzündungsreaktion unterdrücken, die bron-
nen, Betablockern oder nichtsteroidalen An- chiale Hyperreagibilität senken, um dadurch
tiphlogistika, langfristig eine Kontrolle der Symptome zu er-
󠀂 eine allergenspezifische subkutane Immun- reichen.
therapie (SCIT) und
󠀂 Abfangen von IgE mit dem monoklonalen
24
Anti-IgE-Antikörper Omalizumab.
352 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

24.1.1.1 Bronchospasmolytika
Als Bronchospasmolytika werden folgende ˟2-Sympathomimetika
K+
Substanzgruppen eingesetzt: 2+
Ca -aktivierter
K+-Kanal
󠀂 β2-Sympathomimetika,
󠀂 Theophyllin sowie ˟2 L
󠀂 Muscarinrezeptor-Antagonisten (Parasym- Gs Adenylyl- PP
cyclase
patholytika).
β2-Sympathomimetika (Ⴉ Kap. 19.2.3) führen Bronchodilatation
durch Erregung G-Protein-gekoppelter β2-
Rezeptoren zu einer Erschlaffung der Bronchial- ATP
muskulatur (Ⴜ Abb. 24.1). Sie heben damit einen AMP cAMP +
IP3ൻ/[Ca2 ]ൻ
Bronchospasmus auf und steigern durch Anre-
gung der Flimmerbewegungen der Zilien die PDE PKA MLCKൻ
mukoziliäre Clearance. Sie sind allerdings nicht
antiphlogistisch wirksam und können deshalb Na+/K+-
auch bei Dauertherapie eine inhalative Gluco- Theophyllin ATPase൹
corticoidtherapie nicht ersetzen. Die Substanzen
werden vorzugsweise inhalativ appliziert, weil Ⴜ Abb. 24.1 Angriffspunkte und Wirkungen von
sich dadurch systemische Nebenwirkungen β2-Sympathomimetika und Theophyllin. MLCK
(Tremor, Tachykardie, ventrikuläre Rhythmus- Leichtketten-Myosinkinase, PDE Phosphodiestera-
störungen, Blutdrucksteigerung) weitgehend se, PKA Proteinkinase A, IP3 Inositoltrisphosphat.
vermeiden lassen. Bei den meisten inhalativ ap- Nach Barnes
plizierten Substanzen sind außerdem die orale
Bioverfügbarkeit und die Dosis so gering, dass
auch beim normalen teilweisen Verschlucken Inhalative langwirkende β2-Sympathomi-
des Arzneistoffs eine systemische Wirkung nicht metika (LABA „long acting beta-2-agonists“)
zu erwarten ist. wie Salmeterol (z. B. Serevent®) und Formote-
Bei den β2-Sympathomimetika unterscheidet rol (z. B. Oxis® Turbohaler®) haben eine Wirk-
man Bedarfstherapeutika zur raschen Therapie dauer von 12–24 h und sind zur Prophylaxe von
und Langzeittherapeutika zur Prophylaxe von Asthmaanfällen ab Therapiestufe 3 (s. u.) indi-
Asthmaanfällen. Inhalative raschwirkende ziert. Aufgrund des verzögerten Wirkungsein-
(RABA „rapid acting beta-2-agonists“) und zu- tritts (Salmeterol) und der langen Wirkdauer
gleich kurzwirkende β2-Sympathomimetika (Salmeterol, Formoterol) sind LABA nicht zur
(SABA „short acting beta-2-agonists“) sind Mit- bedarfsorientierten Therapie einer Bronchial-
tel der 1. Wahl zur bedarfsorientierten Behand- obstruktion geeignet. Ferner sollten langwir-
lung einer akuten Bronchialobstruktion. Die kende β2-Sympathomimetika wegen Hinweisen
Broncholyse tritt innerhalb weniger Minuten auf eine unter Monotherapie beobachteten er-
nach Applikation ein und hält ca. 3–6 h an. Zu höhten Mortalität nie als Monotherapie, son-
den RABA und SABA zählen die β2-Sympa- dern immer zusammen mit inhalativen Gluco-
thomimetika Fenoterol (z. B. Berotec®), Salbut- corticoiden eingesetzt werden. Zur Verbesse-
amol (z. B. Sultanol®) und Terbutalin (z. B. Ae- rung der Compliance sind deshalb auch fixe
rodur®). Formoterol (z. B. Oxis® Turbohaler®) Kombinationen (s. u.) auf dem Markt.
ist zwar raschwirkend, aber eignet sich aufgrund Die lang wirksamen, inhalativ applizierten
seiner langen Wirkdauer nicht zur Bedarfsthe- β2-Sympathomimetika Indacaterol (Onbrez®
rapie (s. u.). Breezhaler®) und Olodaterol (Striverdi®) sind
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 353

für die Therapie des Asthma bronchiale nicht, Grund wird oft ein Therapeutisches Drugmoni-
sondern derzeit nur bei COPD (s. u.) zugelassen. toring durchgeführt. Die therapeutisch günsti-
Die systemische Dauertherapie mit β2- gen Plasmaspiegel liegen bei 5–15 μg/ml.
Sympathomimetika ist nur in Ausnahmefällen Aufgrund dieser Schwierigkeiten und des im
indiziert, wenn die Asthmasymptomatik mit in- Vergleich zu β2-Sympathomimetika geringeren
halativen Formulierungen nicht ausreichend be- bronchospasmolytischen Effekts ist der Stellen-
herrscht werden kann. Hierbei kommen das wert von Theophyllin in der Asthmatherapie
Prodrug Bambuterol (Bambec®, wird in Terbu- (auch bei der Therapie des Status asthmaticus)
talin umgewandelt) oder β2-Sympathomimetika deutlich zurückgegangen.
mit langer Halbwertszeit (z. B. Clenbuterol, Spi- Theophyllin kann intravenös oder peroral in
ropent®) zum Einsatz. Tropfen- oder retardierter Form eingesetzt wer-
Clenbuterol hat zusätzlich eine anabole Wir- den.
kung und steht deshalb auf der Dopingliste. Die Dosierung erfolgt individuell. Die Erhal-
Die Dosierung soll so niedrig wie möglich tungsdosis beträgt 200–800 mg. Besondere Vor-
gewählt werden. Eine Dosisreduktion kann viel- sicht ist bei Patienten mit Epilepsie, Hyperthyre-
fach durch eine Kombination mit anderen Anti- ose, Herzrhythmusstörungen, hypertropher ob-
asthmatika erreicht werden. struktiver Kardiomyopathie und Lebererkran-
Typische Nebenwirkungen von β2-Sympa- kungen geboten.
thomimetika wie Tremor, Unruhe, Tachykardie, Als (dosisabhängige) Nebenwirkungen, ins-
Herzrhythmusstörungen, Blutdrucksteigerun- besondere bei Plasmaspiegeln > 20 μg/ml, kön-
gen und Schlafstörungen treten bei korrekter nen gastrointestinale Beschwerden, zen-
inhalativer Applikation eher nicht, sondern tralnervöse Störungen (Unruhe, Schlaflosigkeit,
meist nur bei systemischer Gabe oder bei sehr Übelkeit, Kopfschmerzen), Tachykardien und
hohen inhalativ applizierten Dosen auf. Tachyarrhythmien auftreten. Nach zu rascher
i. v. Injektion wurden Todesfälle beschrieben.
Das Xanthin-Derivat Theophyllin (z. B. Euphy-
Theophyllin wird in der Leber u. a. über
long®) besitzt einen geringeren bronchospas-
CYP1A2 metabolisiert. Makrolid-Antibiotika,
molytischen Effekt als die β2-Sympathomi-
Cimetidin, Ciprofloxacin und Enoxacin erhö-
metika. Der Wirkungsmechanismus von Theo-
hen, Enzyminduktoren (z. B. Barbiturate oder
phyllin ist nur teilweise geklärt. In hohen Kon-
Carbamazepin, aber auch Rauchen) erniedrigen
zentrationen hemmt es Phosphodiesterasen,
die Theophyllinplasmaspiegel.
welche cyclische Nukleotide spalten, und führt
so zu erhöhten intrazellulären Konzentrationen Muscarinrezeptor-Antagonisten (Parasympa-
von cAMP und cGMP (Ⴜ Abb. 24.1). Dies hat tholytika, Ⴉ Kap. 20.2). Bei Asthma bronchiale
eine Bronchodilatation zur Folge. Darüber hin- wird die quartäre Verbindung Ipratropiumbro-
aus blockiert Theophyllin Adenosin-Rezepto- mid (Atrovent®) in Form eines Dosieraerosols
ren, deren Stimulation zu Bronchokonstriktion lokal zur Bronchospasmolyse eingesetzt. Eine
und Histaminfreisetzung führt. Außerdem akti- Resorption muss möglichst vermieden werden,
viert Theophyllin Histondeacetylasen, wodurch da sonst aufgrund der parasympatholytischen
die Expression proinflammatorischer Gene ge- Wirkung die Bronchialsekretion gehemmt und
hemmt wird. die Flimmerepithelbewegungen erschwert wer-
Zu beachten sind die geringe therapeutische den. Dadurch würde die Dyskrinie verstärkt
Breite mit erheblichen Nebenwirkungen bei hö- und die Expektoration erschwert werden.
heren Plasmaspiegeln (s. u.) und die großen in- Die Wirkung tritt 3–5 min nach Inhalation
terindividuellen Unterschiede in der Halbwerts- ein und hält durchschnittlich 4–6 Stunden an. 24
zeit (Raucher: 4–5 h; Nichtraucher: 7–9 h; Herz- Die bronchodilatatorische Wirkung ist schwä-
oder Leberinsuffiziente: > 24 h). Aus diesem cher als die der β2-Sympathomimetika.
354 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

Kürzlich wurde auch der bisher nur bei Epithelzerstörung und verstärken durch ver-
COPD eingesetzte langwirkende Muscarinre- mehrte Expression von β-Adrenozeptoren die
zeptor-Antagonist (LAMA, „long-acting mus- Wirkung von β2-Sympathomimetika (beta-per-
carinic antagonist“) Tiotropiumbromid (Spiri- missiver Effekt). Erst in sehr hohen Dosen wir-
va® Respimat®) für die Therapie des Asthma ken sie auch direkt bronchospasmolytisch.
bronchiale zugelassen, allerdings nur als Zusatz-
Inhalative Glucocorticoide. In inhalativer Form
therapie bei Patienten, die bereits eine Kombi-
sind Glucocorticoide Mittel der Wahl für die
nation aus einem inhalativen Glucocorticoid
Langzeittherapie des Asthma bronchiale. Einge-
und einem lang wirksamen β2-Sympathomime-
setzt werden insbesondere Beclometason-di-
tikum erhalten und in den letzten 12 Monaten
propionat (z. B. Ventolair®), Budesonid (z. B.
mindestens eine Exazerbation hatten. Andere
Pulmicort®), Ciclesonid (Alvesco®), Flutica-
LAMA (Ⴉ Kap. 24.1.2) sind bisher noch nicht bei
son-17-propionat (z. B. Flutide®) und Mometa-
Asthma zugelassen.
son-furoat (Asmanex®).
Als Nebenwirkungen werden in seltenen Fäl-
Beclometason-dipropionat und Ciclesonid
len Mundtrockenheit als Ausdruck einer Spei-
sind Prodrugs und werden durch Lungen-Ester-
chelsekretionshemmung und ein Anstieg der
asen zu ihrer Wirkform hydrolysiert. Dadurch
Herzfrequenz (besonders bei hohen Dosen) be-
werden sowohl systemische als auch lokale Ne-
obachtet. Bei Engwinkelglaukom und Miktions-
benwirkungen vermindert.
störungen sind Muscarinrezeptor-Antagonisten
Die übliche Dosierung (mittlere Dosis) be-
kontraindiziert.
trägt pro Tag für Beclometason-dipropionat
0,5–1 mg, für Budesonid 0,4–0,8 mg, für Cicle-
24.1.1.2 Antientzündlich wirkende sonid 0,16 mg, für Fluticason-17-propionat
Antiasthmatika 0,25–0,5 mg und für Mometason-furoat 0,2–
Eine Verminderung der entzündlichen Reaktion 0,4 mg.
der Bronchialschleimhaut ist beim Bronchial- Mit einem Behandlungserfolg, der von der
asthma durch den Einsatz von richtigen Inhalationstechnik (möglichst gerin-
ges Verschlucken des Wirkstoffs) und der regel-
󠀂 Glucocorticoiden,
mäßigen Anwendung abhängt, kann erst nach
󠀂 Cysteinyl-Leukotrien1-Rezeptorantagonisten
einigen Tagen gerechnet werden.
und
Systemische Nebenwirkungen fehlen auf-
󠀂 Hemmstoffen der Mediatorfreisetzung
grund der lokalen Anwendung relativ niedriger
möglich. Mit Ausnahme der hochdosierten sys- Dosen weitgehend. Selbst wenn der Wirkstoff
temischen Gabe von Glucocorticoiden haben aufgrund einer falschen Inhalationstechnik ver-
diese auch als „Controller“ bezeichneten Phar- sehentlich verschluckt wird, ist das Risiko syste-
maka einen langsamen Wirkungseintritt. Sie mischer Nebenwirkungen minimal, da die zur
eignen sich daher nur zur Anfallsprophylaxe inhalativen Therapie verwendeten Glucocorti-
und werden unabhängig vom aktuellen Befin- coide einen relativ hohen First-Pass-Effekt und
den regelmäßig über einen längeren Zeitraum somit eine geringe Bioverfügbarkeit besitzen.
eingesetzt, um die Entzündung der Atemwege Da Mundhöhle und Rachen relativ hohen
zu verringern. Wirkstoffkonzentrationen ausgesetzt sind, sind
wichtige lokale Nebenwirkungen Heiserkeit (in-
Glucocorticoide folge Myopathie der Kehlkopfmuskulatur),
Glucocorticoide (Ⴉ Kap. 21.7.1) reduzieren bei Mundtrockenheit und orale Kandidose. Bei
Asthmapatienten die Schleimbildung und das Auftreten von Heiserkeit muss entweder die Do-
Bronchialödem, verbessern die mukoziliäre sis reduziert, die Inhalationstechnik verändert
Clearance, hemmen teilweise die bronchiale oder das Präparat vorübergehend abgesetzt wer-
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 355

den. Unter einer Ciclesonidtherapie wird Hei- algetika-induzierten Asthma wirksam. Inhalati-
serkeit als Nebenwirkung seltener berichtet, da ve Glucocorticoide können sie jedoch nicht er-
die Substanz erst in der Lunge aktiviert wird setzen. In Deutschland ist nur Montelukast
(s. o.). Eine orale Kandidose kommt nur relativ (z. B. SINGULAIR®) als sog. „Add-on-Antiasth-
selten vor und lässt sich mit einem Antimykoti- matikum“ zugelassen. Es ist indiziert zur oralen
kum (z. B. Nystatin, Ⴉ Kap. 30.3.3) beseitigen. Zusatzbehandlung bei Patienten, die mit einem
Durch Applikation der inhalativen Glucocorti- inhalativen Glucocorticoid nicht ausreichend
coide vor den Mahlzeiten kann vor allem die kontrolliert und auch durch die bedarfsweise
Pilzinfektion, aber auch die Heiserkeit weitge- Anwendung von kurzwirkenden β2-Sympa-
hend vermieden werden. Bei längerfristiger An- thomimetika (s. u.) nicht ausreichend behandelt
wendung hoher Dosen muss allerdings auch mit werden können. Außerdem eignet sich Monte-
systemischen Nebenwirkungen wie Suppression lukast zur Prophylaxe von Belastungsasthma.
der Nebennierenrinde, Osteoporose und Kata- Zur Behandlung eines akuten Asthmaanfalls ist
raktbildung gerechnet werden. In diesem Fall ist es nicht geeignet.
eine Osteoporoseprophylaxe mit Calciumsalzen Da es hauptsächlich durch CYP3A4 metabo-
und Vitamin D indiziert. lisiert wird, ist Vorsicht geboten, wenn die Sub-
stanz gleichzeitig mit Arzneistoffen gegeben
Systemisch eingesetzte Glucocorticoide. Eine
wird, welche CYP3A4 induzieren oder hemmen.
langdauernde systemische Gabe von Glucocor-
Die Halbwertszeit wird mit 3–5 Stunden ange-
ticoiden ist wegen der erheblichen Nebenwir-
geben.
kungen nur indiziert, wenn der Patient mit an-
Die Dosierung (oral) beträgt (vor dem Schla-
deren Maßnahmen nicht erfolgreich behandelt
fengehen) bei Erwachsenen 10 mg und bei Kin-
werden kann. Die inhalative Applikation von
dern zwischen 6 Monaten und 5 Jahren 4 mg (als
Glucocorticoiden sollte trotzdem auch in diesen
Granulat oder Kautablette) und bei Kindern
Fällen beibehalten werden, um die systemisch
zwischen 6 und 14 Jahren 5 mg täglich.
erforderliche Dosis möglichst gering zu halten.
Als Nebenwirkungen werden Kopf- und
Üblicherweise wird eine systemische Glucocor- Bauchschmerzen, Husten, Unruhe, Halluzinati-
ticoid-Therapie bei Asthma bronchiale – wenn onen, Durchfall, Dyspepsie und Fieber beob-
indiziert – mit Prednisolon (z. B. Decortin® H) achtet. Auch sind Einzelfälle von granulomatö-
oral durchgeführt. Die (Erhaltungs-)Dosis liegt sen Vaskulitiden (Churg-Strauss-Syndrom) und
bei 5–10 mg täglich. Überempfindlichkeitsreaktionen (Anaphylaxie,
Hohe intravenöse Dosen von Glucocorticoi- Angioödem, Urtikaria) beschrieben. Ob Kinder
den sind bei schweren Asthmaanfällen sowie und Jugendliche ein besonderes Risiko für psy-
insbesondere beim Status asthmaticus (s. u.) un- chiatrische Nebenwirkungen (Aggressionen,
entbehrlich und wirken dabei oft lebensrettend. Halluzinationen bis hin zu Suizidgedanken) ha-
Zu Nebenwirkungen und Kontraindikatio- ben, konnte noch nicht abschließend geklärt
nen Ⴉ Kap. 21.7.1. werden.

Cysteinyl-Leukotrien1-Rezeptorantagonisten Hemmstoffe der Mediatorfreisetzung


(„Lukaste“) Cromoglicinsäure (DNCG, z. B. Cromo-ratio-
Diese Substanzen besetzen selektiv den CysLT1- pharm®, inhalative Applikation) wird nur noch
Rezeptor und verhindern so die durch Cystei- relativ selten bei Kindern mit reinem allergi-
nyl-Leukotriene ausgelöste Mukusproduktion, schem Asthma prophylaktisch eingesetzt, bei
Ödembildung, Bronchokonstriktion und Schä- erwachsenen Asthmatikern ist es meist ohne
digung des Bronchialepithels. Sie sind bei An- ausreichenden Effekt. Als Wirkungsmechanis-
24
strengungsasthma, Asthma nach Provokation mus wird eine Blockade spannungsabhängiger
mit kalter Luft oder Allergenen sowie beim An- Calciumkanäle und Calcium-abhängiger Chlo-
356 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

ridkanäle von aktivierten Mastzellen und damit bei Kindern normale Entwicklung. Bei allergi-
eine Hemmung der Mastzelldegranulation dis- schem Asthma ist eine Allergenkarenz (z. B. Ver-
kutiert. meidung von Tierhaarkontakt, Milben, Pollen)
Als Nebenwirkungen werden beim Einatmen anzustreben. Da die unterschiedlichen Therapie-
des Pulvers vereinzelt lokale Reizungen im Res- stufen (Ⴜ Abb. 24.2) nicht einem Asthmaschwe-
pirationstrakt beobachtet, die bis zum Broncho- regrad zuzuordnen sind, bestimmen das Aus-
spasmus führen können. maß der Asthmakontrolle (s. o.) und die ent-
Weitere Indikationen von Cromoglicinsäure sprechende Vorbehandlung die Auswahl der
sind allergisch bedingte Konjunktivitiden und entsprechenden Arzneimittel. Ist der Grad „kon-
Rhinitiden sowie allergische Manifestationen trolliertes Asthma“ noch nicht erreicht, wird die
im Gastrointestinaltrakt, z. B. Nahrungsmittel- Therapie intensiviert. Ist der Grad „kontrollier-
allergien (Handelspräparat Colimune®). tes Asthma“ erreicht und über mehrere Monate
stabil, kann die Therapie auch wieder reduziert
24.1.1.3 Kombinationspäparate werden. Die Bedarfstherapie des Asthma bron-
Langwirkende β2-Sympathomimetika sollen chiale mit einem rasch- und kurzwirkenden β2-
wegen einer unter Monotherapie beobachteten Sympathomimetikum ist Bestandteil aller The-
erhöhten Mortalität nur in Kombination mit in- rapiestufen. Es soll akute Atembeschwerden
halativen Glucocorticoiden gegeben werden. schnell lindern und wird deshalb auch „Relie-
Dies hat zur Einführung fixer Kombinationen ver“ genannt. Hierfür eignen sich nur β2-Sym-
von Salmeterol/Fluticason (z. B. Viani®), For- pathomimetika mit schnellem Wirkungseintritt
moterol/Budesonid (Symbicort®) und Formo- und kurzer Halbwertszeit (s. o.), um eine Akku-
terol/Beclometason (z. B. Foster®) geführt. Das mulation im Körper und somit systemische Ne-
langwirkende β2-Sympathomimetikum Vilante- benwirkungen zu verhindern. Da „Reliever“ rein
rol ist bisher nur in Kombination mit dem Glu- symptomatisch wirksam sind und keinen pro-
cocorticoid Fluticason-furoat (Relvar® Ellip- phylaktischen Nutzen haben, müssen bereits ab
ta®) verfügbar. Aus Gründen mangelnder Do- Stufe 2 inhalative Glucocorticoide als Dauerthe-
sierungsflexibilität sind fixe Kombinationen je- rapie („Controller“) zusätzlich zum Einsatz
doch nicht zur Ersteinstellung sowie auch nicht kommen. Wird damit der Grad „kontrolliertes
bei Patienten mit instabilem Asthma geeignet. Asthma“ nicht erreicht, wird die Therapie inten-
Die Kombination des quartären Parasympa- siviert und zunächst die Dosis des inhalativen
tholytikums Ipratropiumbromid mit dem β2- Glucocorticoids erhöht und/oder das Glucocor-
Sympathomimetikum Fenoterol (Berodual® N) ticoid mit anderen Antiasthmatika kombiniert
ermöglicht zwar eine Dosisreduktion des Sym- (Details Ⴜ Abb. 24.2). Theophyllin hat aufgrund
pathomimetikums, ist aber nur in bestimmten seiner geringen therapeutischen Breite in der
Fällen, z. B. bei gleichzeitiger chronisch obstruk- Dauertherapie an Stellenwert verloren.
tiver Bronchitis, sinnvoll.
Die verfügbaren fixen Kombinationen eines
24.1.1.5 Therapie des Status asthmaticus
β2-Sympathomimetikums mit Cromoglicinsäu-
Ein Status asthmaticus ist eine anhaltend
re (z. B. Allergospasmin® N) sind nicht sinnvoll,
schwere Atemwegsobstruktion, die stets lebens-
da Cromoglicinsäure in diesen Kombinationen
bedrohlich ist. Sie erfordert daher neben physi-
meist zu niedrig dosiert ist.
kalischen Maßnahmen (z. B. mechanischer Se-
kretentfernung) eine intensivmedizinische The-
24.1.1.4 Stufenschema der Asthmatherapie
rapie. Der nationalen Versorgungsleitlinie ent-
Hauptziel der Asthmatherapie ist es, den Grad
sprechend werden mehrere Pharmaka – stets
„kontrolliertes Asthma“ (s. o.) zu erreichen. Das
unter Berücksichtigung der vorangegangenen
bedeutet Symptomfreiheit, Vermeidung von
Therapie – wie folgt angewendet:
Exazerbationen, normale Lungenfunktion und
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 357

Reduktion, wenn möglich

Intensivierung, wenn nötig

Stufe 5

Stufe 4 Zusätzlich zu
Stufe 4:
Bevorzugt: Orale
Stufe 3 Glucocorticoide
ICS mittlerer bis
Bevorzugt: hoher Dosisbe- (niedrigste zur
Stufe 2 Kontrolle
ICS mittlere Dosis reich plus LABA
Bervorzugt: oder Ggf.plus: notwendige
ICS niedrigdosiert ICS niedrigdosiert Montelukast Dosis)
plus LABA und/oder
Stufe 1 Theophyllin Bei IgE-
Alternative in Alternativen in vermittelter
RABA1 bei Bedarf begründeten begründeten Pathogenese:
Alternativen Omalizumab
Fällen: Fällen: zu LABA in
Montelukast ICS niedrigdosiert begründeten
plus Montelukast Fällen:
1 Formoterol wird oder Montelukast
zur Bedarfs- ICS niedrigdosiert und/oder
therapie in Stufe 1 plus Theophyllin Theophyllin
nicht empfohlen
Rasch- und kurzwirkendes β2-Sympathomimetikum

Cave: Keine Langzeitmonotherapie mit einem LABA !


ASTHMASCHULUNG
ALLERGIE-/UMWELTKONTROLLE
ALLERGIE /UMWELTKONTROLLE
Bedarfsmedikation Langzeittherapeutika
RABA (rapid acting beta-2-agonist) LABA (long acting beta-2-agonist) ICS (inhalatives Glucocorticoid)

Ⴜ Abb. 24.2 Stufenplan für die Langzeittherapie des Asthma bronchiale bei Erwachsenen. Nach nationa-
ler Versorgungsleitlinie

󠀂 Sauerstoff (2–4 l/min) per Nasensonde (cave gener Theophyllintherapie erst Blutspiegel-
Hyperkapnie), kontrolle, dann Dosisanpassung!),
󠀂 2–4 Hübe eines SABA (in Intervallen von 󠀂 Magnesiumsulfat i. v. (Einzelinfusion von 2 g
10–15 min wiederholen), in 20 min).
󠀂 ein Glucocorticoid i. v. (je nach Bedarf z. B.
Sedativa, Tranquillanzien, Expektoranzien und
50–100 mg Prednisolon in 4- bis 6-stündigen
eine Hydratation mit großen Flüssigkeitsvolu-
Abständen),
mina sollen beim Status asthmaticus nicht ein-
󠀂 Ipratropiumbromid (Verneblung von 3 ml ei-
gesetzt werden.
ner Lösung mit 0,5 mg Ipratropiumbromid).
Bei unzureichendem Ansprechen muss eine
24.1.2 Therapie der COPD
Krankenhauseinweisung erfolgen. Dort kann
(chronisch obstruktiven
die Therapie intensiviert werden mit
Lungenerkrankung)
󠀂 einem parenteralen β2-Sympathomimetikum Die COPD (chronic obstructive pulmonary di-
(z. B. Terbutalin 0,25–0,5 mg s. c.), sease) ist durch zähen Auswurf, morgendlichen
󠀂 Theophyllin i. v. (initial bei Patienten ohne Husten und zunehmende Atemnot während
24
Theophyllin-Vorbehandlung bis zu 5 mg/kg) körperlicher Belastung gekennzeichnet. Die Di-
in Form einer Kurzinfusion (bei vorangegan- agnose COPD bedarf stets des Ausschlusses ei-
358 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

Schweregrad 0: Risikogruppe I: leicht II: mittel III: schwer IV: sehr schwer

• FEV1/VK < 70%


• FEV1 ≤ 30% oder
• FEV1/VK < 70% • FEV1/VK < 70%
normale • FEV1/VK < 70% • FEV1 < 50% und
• 50% ≤ FEV1 • 30% ≤ FEV1
Spirometrie, Spirometrie, • FEV1 ≥ 80% chronische respi-
< 80 % < 50%
Symptome mit ersten • mit/ohne ratorische Insuffi-
• mit/ohne • mit/ohne
Symptomen Symptomatik zienz, Zeichen
Symptomatik Symptomatik
der Rechtsherz-
insuffizienz

Vermeidung von Risikofaktoren, Grippe-und Pneumokokken-Schutz-


impfung. Zusätzlich bei Bedarf kurzwirkender Bronchodilatator.
Zusätzlich Dauertherapie mit einem oder mehreren
langwirkenden Bronchodilatatoren, Rehabilitation.
Zusätzlich inhalative Glucocorticoide
bei wiederkehrenden Exazerbationen.
Zusätzlich Langzeit-
sauerstofftherapie
bei respiratorischer
Insuffizienz. Prüfen,
ob chirurgische Be-
handlung angezeigt ist.

Ⴜ Abb. 24.3 Schweregradeinteilung nach GOLD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease)
und Stufenplan für die Langzeittherapie der stabilen COPD. Der Schweregrad wird nach der Einsekun-
denkapazität (FEV1), dem Verhältnis FEV1/VK und der Symptomatik beurteilt. Die Behandlung orientiert
sich am Schweregrad der Erkrankung. VK inspiratorische Vitalkapazität. Nach nationaler Versorgungs-
leitlinie

ner Reihe anderer kardiopulmonaler Krankhei- for Chronic Obstructive Lung Disease, Ⴜ Abb.
ten, die ähnliche Symptome hervorrufen (z. B. 24.3). Bestandteil jeder Therapie sollte darüber
Bronchiektasen, Bronchialkarzinom, Lungentu- hinaus sein, das Rauchen einzustellen.
berkulose, Asthma bronchiale, Linksherzinsuf- Neben β2-Sympathomimetika (s. o.) werden
fizienz). Als auslösende Ursache ist an erster – anders als beim Asthma bronchiale – haupt-
Stelle Rauchen zu nennen. sächlich quartäre Muscarinrezeptor-Antagonis-
Die Hyperreagibilität des Bronchialsystems ten wie Ipratropiumbromid (z. B. Atrovent®)
bewirkt reflektorisch eine Freisetzung von Ace- und besonders die langwirkenden Substanzen
tylcholin, das die Mastzellen der Bronchialwand (LAMA, „long-acting muscarinic antagonists“)
degranuliert und somit Entzündungsmediato- Tiotropiumbromid (Spiriva®), Glycopyrroni-
ren freisetzt. Acetylcholin und andere Mediato- umbromid (Seebri® Breezhaler®), Umeclidini-
ren sind gemeinsam an der Bronchokonstrikti- umbromid (Incruse®) oder Aclidiniumbromid
on, der Hypersekretion von zähem Schleim und (z. B. Bretaris® Genuair®) per inhalationem ein-
an der Ausbildung des Wandödems beteiligt. gesetzt, da sie bei COPD mindestens genauso
Der Retention des Schleims folgt oft eine sekun- bzw. besser bronchodilatatorisch wirksam sind
däre bakterielle Infektion mit Haemophilus in- als β2-Sympathomimetika. Diese quartären
fluenzae, Pneumokokken, Staphylokokken so- Ammonium-Verbindungen sind nur schlecht
wie bestimmten gramnegativen Keimen. bioverfügbar und Blut-Hirn-Schranken-gängig,
Die Therapie der COPD richtet sich nach sodass systemische und zentralnervöse Neben-
dem Schweregrad nach GOLD (Global Initiative wirkungen gering sind. Aclidiniumbromid und
24.1 Obstruktive Ventilationsstörungen 359

Tiotropiumbromid sind sogenannte kinetisch beträgt und mindestens zwei Exazerbationen


selektive M3-Rezeptor-Antagonisten, d. h. dass pro Jahr auftreten. Allerdings sollen inhalative
sie deutlich langsamer von M3- als von anderen Glucocorticoide nur individuell nach nachge-
Muscarinrezeptoren der Lunge dissoziieren, wiesenem Therapieeffekt eingesetzt werden, da
weshalb eine langanhaltende bronchodilatatori- das Ansprechen der COPD-Patienten wesent-
sche Wirkung zustande kommt. Demzufolge lich schlechter ist als bei Asthmapatienten.
muss Tiotropiumbromid nur 1 × täglich und Beträgt die FEV1 weniger als 50 % des Soll-
Aclidiniumbromid nur 2 × täglich appliziert werts und kam es bei dem Patienten zu häufigen
werden. Auch Glycopyrroniumbromid und Exazerbationen, kann auch der antiinflammato-
Umeclidiniumbromid werden nur 1 × täglich in- risch wirksame selektive Phosphodiesterase-
haliert. Das kurz wirksame Ipratropiumbromid 4-Hemmer (PDE4-Hemmer) Roflumilast (Da-
muss dagegen bis zu 4 × am Tag gegeben werden. xas®) bei Patienten mit schwerer COPD ange-
Als häufigste Nebenwirkung (> 10 %) wurde wandt werden. Als Wirkungsmechanismus wird
Mundtrockenheit berichtet. Andere „atropin- vermutet, dass die Hemmung der PDE4 beson-
ähnliche“ Nebenwirkungen traten weniger häu- ders in Entzündungszellen zu erhöhten intrazel-
fig auf. lulären Konzentrationen von cAMP führt, das
Außerdem werden zur COPD-Behandlung seinerseits die Ausschüttung von Entzündungs-
die langwirkenden und nur 1 × täglich anzu- mediatoren wie Leukotrien B4, reaktiven Sauer-
wendenden β2-Sympathomimetika Indacaterol stoffspezies oder Tumornekrosefaktor-α unter-
(Onbrez® Breezhaler®) und Olodaterol (Stri- drückt. Die Halbwertszeit liegt bei ca. 17 Stun-
verdi®) eingesetzt. Sie sind lipophiler als andere den und die des ebenfalls wirksamen N-Oxid-
β2-Sympathomimetika und reichern sich des- Metaboliten bei ca. 30 Stunden.
halb im Fettgewebe an. Die Dosierung von Roflumilast beträgt
Häufigste Nebenwirkungen sind Husten, Na- 0,5 mg täglich (oral).
sopharyngitis, Schwindel, Kopfschmerzen und Als häufige Nebenwirkungen wurden bisher
Infektionen der oberen Atemwege. hauptsächlich Gewichtsverlust, Schlafstörun-
Kürzlich wurden auch inhalative Fixkombi- gen, Kopfschmerzen und Diarrhö festgestellt.
nationen bestehend aus einem langwirkenden Da Roflumilast hauptsächlich mittels
β2-Sympathomimetikum und einem langwir- CYP3A4 und CYP1A2 metabolisiert wird,
kenden Muscarinrezeptor-Antagonisten zur kommt es zu Wechselwirkungen mit Inhibitoren
Therapie der mittelschweren und schweren von CYP3A4 (z. B. Erythromycin, Itraconazol)
COPD auf den Markt gebracht. Beispiele sind und CYP1A2 (z. B. Fluvoxamin). Andererseits
die Kombinationen Indacaterol/Glycopyrroni- führen entsprechende CYP-Induktoren (z. B.
umbromid (Ultibro® Breezhaler®), Vilanterol/ Rifampicin, Rauchen) zu einer reduzierten
Umeclidiniumbromid (ANORO®), Formote- Wirksamkeit von Roflumilast.
rol/Aclidiniumbromid (z. B. Duaklir® Genu- Bei schweren Leberfunktionsstörungen darf
air®) und Olodaterol/Tiotropiumbromid (Spi- die Substanz nicht eingesetzt werden.
olto® Respimat®). Da Patienten mit einer COPD häufig an In-
Die Gabe von Theophyllin (s. o.) soll wegen fekten leiden, wird auch eine Impfung gegen
der geringen therapeutischen Breite und der ge- Influenza und Pneumokokken empfohlen. Da-
ringeren Wirksamkeit bei COPD-Patienten erst rüber hinaus sollte jede beginnende bakterielle
dann erfolgen, wenn mit β2-Sympathomimetika Superinfektion antibiotisch behandelt werden.
und/oder Muscarinrezeptor-Antagonisten kein Der zusätzliche Einsatz von Expektoranzien
ausreichender Therapieerfolg mehr erzielbar ist. wird nicht allgemein empfohlen. Bei produkti-
Der Einsatz von inhalativen Glucocorticoi- vem Husten dürfen keine Antitussiva angewen-
24
den (s. o.) wird ab Schweregrad III der COPD det werden, da sonst das Abhusten des Schleims
empfohlen, wenn die FEV1 < 50 % des Sollwerts behindert werden könnte.
360 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

24.2 Restriktive Die Halbwertszeit von Pirfenidon liegt bei ca.


Ventilationsstörungen 2,5 Stunden.
Die empfohlene Tagesdosis beträgt an den
Die wichtigste Ventilationsstörung dieser Art ist Tagen 1–7 dreimal 267 mg, an den Tagen 8–14
die Lungenfibrose, bei der zusätzliches Binde- dreimal 534 mg und ab Tag 15 dreimal 801 mg.
gewebe in das Lungengewebe eingelagert wird. Als Nebenwirkungen können u. a. Übelkeit,
Dadurch wird der Gasaustausch gestört und die Hautausschlag, Müdigkeit, Durchfall, Dyspep-
Lunge verliert ihre Elastizität. Die Folgen sind sie, Schwindel, Infektionen der Atem- oder
erhöhte Anstrengung beim Einatmen, trockener Harnwege und Photosensibilitätsreaktionen
Reizhusten, progrediente Dyspnoe und Sauer- auftreten. Die Patienten sollten sich deshalb vor
stoffmangel im Blut, der sich in Form einer Zya- Sonneneinstrahlung schützen.
nose mit Trommelschlegelfingern und Uhr- Bei Patienten mit schwerer Leber- oder Nie-
glasnägeln bemerkbar machen kann. Eine Lun- renfunktionsstörung ist Pirfenidon kontraindi-
genfibrose kann durch eingeatmeten Quarz- ziert.
staub (Silikose), intensive Röntgenbestrahlung Die idiopathische Lungenfibrose wird außer-
oder bestimmte Pharmaka (z. B. Amiodaron, dem mit Glucocorticoiden, evtl. in Kombinati-
Bleomycin, Busulfan) ausgelöst werden. Bei ver- on mit Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin
schiedenen entzündlichen Systemerkrankungen oder Cyclophosphamid), therapiert. Da aller-
wie Vaskulitiden, Kollagenosen, Sarkoidose dings deren Wirkung nicht zweifelsfrei gesichert
(Morbus Boeck) oder rheumatoider Arthritis ist, müssen weitere Studien abgewartet werden,
kann es im fortgeschrittenen Stadium ebenfalls um letztendlich entscheiden zu können, welche
zu einer Lungenfibrose kommen. Bei der idio- Therapieoption (Pirfenidon oder Glucocorti-
pathischen Lungenfibrose ist die Ursache unbe- coide) die bessere ist.
kannt. Die Prognose der idiopathischen Lungenfi-
brose ist schlecht, die mittlere Überlebenszeit
24.2.1 Therapie der Lungenfibrose beträgt nur wenige Jahre.
Das Immunsuppressivum Pirfenidon (Esbriet®) Eine andere interstitielle Lungenerkrankung,
wurde speziell zur Therapie von Erwachsenen die „respiratory bronchiolitis interstitial lung di-
mit leichter bis mittelschwerer idiopathischer sease“ spricht hingegen sehr gut auf Glucocorti-
Lungenfibrose zugelassen. Der molekulare coide an. Diese Patienten haben dadurch eine
Wirkungsmechanismus ist noch nicht bekannt. fast normale Lebenserwartung.
Vermutet wird, dass es durch Hemmung der
Synthese von Transforming-growth-factor-β
(TGF-β) und anderen Zytokinen antiinflamma- 24.3 Therapie der allergischen
torisch und antifibrotisch wirkt. Pirfenidon wird Rhinitis
oral zum Essen eingenommen, da sich dadurch
seine Resorptionsgeschwindigkeit verlangsamt Die allergische Rhinitis gehört zum Formen-
und deshalb Nebenwirkungen wie Übelkeit und kreis atopischer Erkrankungen und stellt eine
Schwindel weniger häufig auftreten. durch IgE vermittelte Entzündungsreaktion der
Da die Metabolisierung hauptsächlich über Nasenschleimhaut dar, der eine Sensibilisie-
CYP1A2 und teilweise auch über CYP2C9, rungsphase gegen ein Allergen vorausgeht.
CYP2C19 und CYP2D6 erfolgt, sollte insbeson- Die saisonale allergische Rhinitis wird durch
dere eine gleichzeitige Einnahme mit CYP1A2- Pollen, die perenniale durch Allergene verur-
Inhibitoren (z. B. Fluvoxamin, Ciprofloxacin) sacht, denen der Patient das ganze Jahr über aus-
nicht erfolgen. Auch dürfen die Patienten vor gesetzt ist (z. B. Hausstaub). Da bei chronischem
und während einer Behandlung mit Pirfenidon Verlauf Komplikationen und Langzeitfolgen
nicht rauchen, weil Rauchen CYP1A2 induziert. (Nasenschleimhautveränderungen, chronische
24.4 Expektoranzien 361

Pansinusitis, Otitis media, Störung des Geruch- Drogen mit ätherischen Ölen, z. B. Anisi
sinns) auftreten können, sollte eine allergische fructus (Anisfrüchte), Menthae piperitae folium
Rhinitis konsequent behandelt werden. Es wer- (Pfefferminzblätter), Thymi herba (Thymian-
den hauptsächlich H1-Antihistaminika (Ⴉ Kap. kraut) oder reine ätherische Öle z. B. Oleum
22.1.1), Cromoglicinsäure (Ⴉ Kap. 24.1.1.2), Ne- Anisi (Anisöl), Oleum Eucalypti (Eukalyptusöl),
docromil bei Augenbeteiligung als Irtan® Au- Oleum Menthae (Pfefferminzöl), Oleum Thymi
gentropfen und Glucocorticoid-Nasensprays (Thymianöl), Oleum Terebinthinae aetherole-
(Budesonid z. B. in Pulmicort® Topinasal®, Be- um (Terpentinöl), steigern die Bronchialsekreti-
clometason-dipropionat z. B. in Beclorhinol® on direkt. Prospan® beispielsweise enthält einen
aquosum, Dexamethason-21-isonicotinat z. B. Trockenextrakt aus Efeublättern, Aspecton® DS
in Dexa-Rhinospray® Mono, Fluticason-17-pro- Hustensaft einen Dickextrakt aus Thymian-
pionat z. B. in Flutide® Nasal, Triamcinolonace- kraut, Bronchipret® Saft TE eine Kombination
tonid z. B. in Nasocort®, Mometason-furoat z. B. aus Thymiankraut- und Efeublätter-Fluidex-
in Nasonex® und Flunisolid z. B. in Syntaris®) trakt sowie Bronchicum® einen Trockenextrakt
eingesetzt. aus Thymiankraut und Primelwurzel. Ein Ge-
misch verschiedener ätherischer Öle kommt
Antitussiva. Die Antitussiva wurden bereits un-
u. a. in GeloMyrtol® vor.
ter Ⴉ Kap. 12.1.7 besprochen.
Bei Säuglingen und Kleinkindern ist die An-
wendung von ätherischen Ölen wegen der unzu-
verlässigen Wirksamkeit und einer eventuellen
24.4 Expektoranzien Verschlechterung des Zustands durch einen La-
ryngospasmus oder eine zentrale Erregung pro-
Expektoranzien sollen die Entfernung von blematisch.
Bronchialsekret aus den Bronchien und der Tra- Bromhexin (z. B. Bisolvon®) und sein aktiver
chea erleichtern bzw. beschleunigen und da- Metabolit Ambroxol (z. B. Mucosolvan®) beein-
durch auch den Hustenreiz zumindest teilweise flussen peribronchiale Drüsen, wodurch die
verringern. Der therapeutische Stellenwert vie- Viskosität sowohl des serösen als auch des mu-
ler dieser Stoffe ist allerdings umstritten. Wich- kösen Bronchialschleims reduziert und der mu-
tig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr koziliäre Transport gesteigert wird.
während der Behandlung. Die Halbwertszeiten betragen etwa 1 Stunde
Folgende Substanzen, Substanzgemische (Bromhexin) bzw. 10 Stunden (Ambroxol).
bzw. -gruppen werden als Expektoranzien ver- Die mittlere Tagesdosis beträgt für Bromhe-
wendet: xin 36 mg und für Ambroxol 60–90 mg.
Als Nebenwirkungen wurden Magen-Darm-
󠀂 Pflanzen-Auszüge, insbesondere von saponin-
Beschwerden, Überempfindlichkeitsreaktionen
haltigen und Brechen erregenden Drogen,
an der Haut und Schleimhaut, Atemnot und
󠀂 Drogen mit ätherischen Ölen und reine äthe-
Temperaturanstieg mit Schüttelfrost beschrie-
rische Öle sowie
ben.
󠀂 als synthetische Wirkstoffe Ambroxol, Brom-
Acetylcystein (z. B. Fluimucil®) bzw. sein akti-
hexin, Acetylcystein und Carbocistein.
ver Metabolit Cystein erniedrigen die Viskosität
Saponinhaltige Drogen, z. B. Primulae radix des Bronchialschleims durch Spaltung von Disul-
(Schlüsselblumenwurzel), Senegae radix (Senega- fidbrücken im Proteinanteil der Schleimmolekü-
wurzel), Hederae folium (Efeublätter) und Bre- le. Infolge eines hohen First-Pass-Effekts errei-
chen erregende Drogen bzw. Substanzen, z. B. chen nur 10 % des Wirkstoffs unverändert den
Ipecacuanhae radix (Brechwurzel) oder Emetin, Kreislauf. Die Halbwertszeit liegt bei 1 Stunde.
24
wirken vermutlich rein reflektorisch durch Sti- Die Tagesdosis liegt bei 400–600 mg.
mulation afferenter parasympathischer Fasern.
362 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

Als seltene Nebenwirkungen wurden gastro- erleichtert den Austausch von Sauerstoff und
intestinale Störungen, Kopfschmerzen, Tinni- Kohlendioxid und verbessert den Schleimtrans-
tus, Sodbrennen und allergische Reaktionen be- port.
richtet. Sollen bestimmte orale, antibakteriell Mangel an pulmonalem Surfactant ist die Ur-
wirksame Arzneistoffe (Penicilline, Tetracycli- sache für die Entstehung des Atemnotsyndroms
ne, Cephalosporine, Aminoglykoside) mit Ace- bei unreifen Neugeborenen, das durch schwere
tylcystein kombiniert werden, ist auf eine zeit- postpartale Atemstörungen und hohe Mortalität
verschobene Einnahme (mindestens 2 Stunden) gekennzeichnet ist. Besonders gefährdet sind
zu achten, da Acetylcystein diese Substanzen Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g
inaktivieren kann. (Geburt vor der 30. Schwangerschaftswoche).
Außer als Expektorans ist Acetylcystein zur Durch die intratracheale Instillation von aus
Behandlung einer akuten Paracetamolvergif- Rinderlungen gewonnenem Surfactant (Survan-
tung (Ⴉ Kap. 12.1.3.2) indiziert. ta®) kann die Mortalität von Frühgeborenen
Carbocistein (Transbronchin®), das im Ge- deutlich gesenkt, die mittlere Beatmungsdauer
gensatz zu Acetylcystein keine reaktive Thi- stark verringert und eine niedrigere Inzidenz
olgruppe besitzt, kann nicht direkt mit den bronchopulmonaler Dysplasien, die bei längerer
Schleimmolekülen reagieren. Es wird angenom- künstlicher Beatmung auftreten können, er-
men, dass es die Bildung von niederviskosem reicht werden.
Schleim fördert und gleichzeitig die Synthese Die Dosierung beträgt 50–100 mg Phospholi-
von hochviskosem Schleim unterdrückt. Insge- pid/kg als intratracheale Instillation sofort nach
samt gesehen nimmt die Sekretproduktion ab. der Geburt. Falls erforderlich kann die Gabe von
Die Substanz wird in einer Dosis bis maximal Surfactant wiederholt werden.
2250 mg/Tag gegeben. Als Nebenwirkungen können eine vorüber-
Eine sekretomotorische Wirkung, d. h. ver- gehende Verlegung der Atemwege und pulmo-
stärkte Sekretbewegung und besseres Abhusten, nale Blutungen auftreten. Mit Surfactant behan-
lässt sich durch Anregung der Zilientätigkeit er- delte Kinder erkranken häufiger an Infektionen
reichen. Hierzu eignen sich β2-Sympathomi- oder einer Sepsis als unbehandelte.
metika, deren günstige Wirkung bei obstrukti-
ven Atemwegserkrankungen neben der Bron-
cholyse vermutlich teilweise auch auf einer Stei- 24.6 Therapie von Infektionen
gerung der Zilienmotilität beruht. mit dem Respiratory-Syncytial-
Virus

24.5 Surfactant Infektionen mit dem Respiratory-Syncytial-Vi-


rus (RSV) sind die häufigste Ursache für Atem-
Die Oberflächenspannung der Alveolen ist er- wegsinfektionen bei Neu- und insbesondere
heblich geringer, als dies für eine wässrige Frühgeborenen sowie Kleinkindern. Zwischen
Grenzschicht theoretisch zu erwarten wäre. Der den Monaten September und April (RSV-Sai-
Flüssigkeitsfilm, der die Oberfläche der Alveo- son) sind in Europa mehr als 50 % aller Hospita-
len bedeckt, muss somit Substanzen enthalten, lisierungen bei Kindern unter 2 Jahren mit
welche die Oberflächenspannung herabsetzen. Atemwegserkrankungen auf RSV zurückzufüh-
Diese Stoffe werden als Surfactant bezeichnet. ren. Neugeborene, die in der 35. Schwanger-
Surfactant besteht zu 90 % aus einem Gemisch schaftswoche oder früher geboren wurden und
von Phospholipiden, neutralen Lipiden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als 6 Monate
Proteinen. Surfactant schützt die Lungenbläs- sind, sowie Kleinkinder unter 2 Jahren, die in-
chen vor dem Kollabieren am Ende der Ausat- nerhalb der letzten 6 Monate wegen einer bron-
mung, ermöglicht eine homogene Belüftung, chopulmonalen Dysplasie therapiert wurden,
24.7 Therapie der Mukoviszidose 363

können mit Palivizumab (Synagis®) präventiv an Organen mit exokrinen Drüsen, insbesonde-
behandelt werden. Palivizumab ist ein humani- re an der Lunge und am Pankreas.
sierter IgG1κ-monoklonaler Antikörper, der an Aufgrund der verminderten Cl–-Sekretion
das A-Epitop des RSV bindet. wird vermehrt Na+ rückresorbiert. Dadurch
Palivizumab wird monatlich in einer Dosis nimmt der Wassergehalt des Bronchialsekrets ab
von 15 mg/kg intramuskulär appliziert. Die und seine Viskosität zu. Darüber hinaus enthält
Halbwertszeit beträgt ungefähr 20 Tage. das Sekret vermehrt DNA und F-Aktin aus auto-
Als Nebenwirkungen werden Fieber, Reakti- lysierten neutrophilen Granulozyten, was eben-
onen an der Injektionsstelle, Nervosität, Infekti- falls zur Viskositätssteigerung beiträgt. Da der
onen der oberen Atemwege und Husten beob- hochviskose Schleim nicht abtransportiert wer-
achtet. den kann und dadurch die mukoziliäre Clea-
Sog. RSV-Fusionsinhibitoren befinden sich rance vermindert ist, kommt es zu einem Circu-
zurzeit in der klinischen Prüfung. lus vitiosus: Sekretstau, Atemwegsobstruktion,
Zur Behandlung von schweren, bereits beste- Infektion mit Entzündung, Sekretstau. Von be-
henden RSV-Infektionen der unteren Atemwege sonderer Bedeutung ist auch die exokrine Pan-
wird das Virustatikum Ribavirin eingesetzt. Bei kreasinsuffizienz, die aus der Sekretionsstörung
Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Er- der Bauchspeicheldrüse resultiert und zu einer
wachsenen werden 6 g Ribavirin-Trockensub- Ernährungsstörung führt.
stanz (Virazole®) in 300 ml Aqua ad iniectabilia Die derzeitige Behandlung umfasst physio-
aufgelöst (2 %ige Lösung) und dann mithilfe ei- therapeutische Maßnahmen, eine Optimierung
nes Spezialverneblers 12–18 Stunden pro Tag der Ernährung, die Gabe von Broncholytika, Se-
über einen Zeitraum von 3–7 Tagen per inhala- kretolytika und antibakteriell wirksamen Sub-
tionem appliziert. stanzen, eine Beeinflussung des transmem-
Ribavirin kumuliert in phosphorylierter branären Cl–- und Na+-Transports sowie die
Form vor allem in Erythrozyten. Nach inhalati- Bekämpfung der lokalen Entzündung durch
ver Applikation reichert sich die Substanz auch Antiphlogistika.
im Lungengewebe an. Die Halbwertszeit beträgt
Physiotherapie. Atemphysiotherapeutische und
9–10 (–24) Stunden.
krankengymnastische Maßnahmen dienen dem
Als Nebenwirkungen sind u. a. Kopfschmer-
Abhusten des Bronchialsekrets, der Entlastung
zen, Konjunktivitis, Pharyngitis, Laryngitis und
der Atemmuskulatur und der Erhaltung der
Exantheme beschrieben.
Thoraxbeweglichkeit.
Eine Schwangerschaft stellt eine absolute
Kontraindikation dar. Ernährung. Infolge der exokrinen Pankreasin-
suffizienz besteht bei den meisten Mukoviszido-
se-Patienten die Gefahr der Malnutrition. Die
24.7 Therapie der Mukoviszidose Patienten müssen deshalb fettreich ernährt wer-
den, wobei auf eine entsprechende Substitution
Die Mukoviszidose, die auch als zystische Fib- mit Pankreasenzymen und fettlöslichen Vita-
rose bezeichnet wird, ist die häufigste autoso- minen (A, D, E, K) zu achten ist.
mal-rezessiv vererbte Erkrankung, die zum
Broncholytika. Mithilfe von β2-Sympathomi-
Tode führt. Es handelt sich um einen Defekt ei-
metika (Ⴉ Kap. 19.2.3) und anticholinergen Sub-
nes Proteins, das als „cystic fibrosis transmem-
stanzen (Ⴉ Kap. 20.2), die meist mithilfe eines
brane conductance regulator“ (CFTR) bezeich-
Verneblers appliziert werden, soll das Bronchi-
net wird und in der apikalen Basalmembran von
Epithelzellen als Cl–-Kanal fungiert. Die Folgen
alsystem erweitert und damit die mukoziliäre 24
Clearance verbessert werden. Der tatsächliche
des CFTR-Defektes manifestieren sich vor allem
364 24 Am Respirationstrakt angreifende Pharmaka

Nutzen dieser Therapie wird kontrovers disku- CFTR-potenzierende Substanzen. Ivacaftor


tiert. Theophyllin wird relativ selten eingesetzt. (Kalydeco®) wurde als erste oral applizierbare
CFTR-potenzierende Substanz bei Patienten (ab
Sekretolytika. Aufgrund der erhöhten Viskosi-
6 Jahren) mit einer Mutation im CFTR-Gen und
tät des Bronchialsekrets ist bei Patienten mit
einer FEV1, die kleiner 40 % des Normwerts ist,
Mukoviszidose eine Sekretolyse indiziert. Die
zugelassen. Bei dieser Mutation (G551D), nach-
Wirksamkeit von Acetylcystein oder anderen
weisbar bei ca. 4–5 % der Mukoviszidose-Pati-
Sekretolytika ist allerdings umstritten. Wegen
enten, ist an Position 551 der Aminosäurese-
des hohen DNA-Gehalts des Bronchialsekrets
quenz des CFTR-Proteins die Aminosäure Gly-
kann die Gabe von rekombinant hergestellter
cin (G) durch Asparaginsäure (D) ersetzt. Iva-
humaner Desoxyribonuclease (rhDNase, Dor-
caftor erhöht die Öffnungswahrscheinlichkeit
nase alfa; Pulmozyme®, täglich 2500 E. bei Pati-
des defekten Chloridkanals und verbessert so
enten über 5 Jahren per inhalationem) versucht
die Lungenfunktion dieser Patienten. Die Sub-
werden. Nebenwirkungen dieser Therapie sind
stanz wird auch noch bei Trägern anderer
Pharyngitis, Laryngitis, Heiserkeit, Brust-
CFTR-Mutationen getestet.
schmerzen, Hautausschläge, Bildung von IgG-
Die Dosis beträgt 150 mg 2 × tgl. mit einer
oder IgM-Antikörpern.
fettreichen Mahlzeit.
Antibakteriell wirksame Substanzen. Durch die Als häufige Nebenwirkungen wurden Naso-
verminderte mukoziliäre Clearance wird eine pharyngitis, Kopfschmerzen, Diarrhö, Hautaus-
Keimbesiedlung des Bronchialsystems begüns- schlag, Schwindel, Ohrenschmerzen beschrie-
tigt. Häufige Keime sind Pseudomonas aerugino- ben.
sa, Staphylococcus aureus, Haemophilus influen- Ivacaftor ist ein CYP3A4-Substrat, weshalb
zae u. a. Die antibakterielle Therapie, die erst eine Dosisanpassung bei Koapplikation mit
nach Untersuchung des Sputums und Anferti- CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Itraconazol, Clari-
gung eines Antibiogramms erfolgen soll, ist thromycin) oder CYP3A4-Induktoren (z. B. Rif-
schwierig, da Resistenzentwicklungen u. U. fata- ampicin, Johanniskrautextrakt) erfolgen muss.
le Folgen haben. Es werden deshalb auch Kom- Die Substanz selbst ist ein CYP2C9-Hemmer.
binationen verschiedener antibakteriell wirksa- Kürzlich wurde auch Lumacaftor, das die Ex-
mer Substanzen eingesetzt. Speziell für die The- pression von Chloridkanälen induzieren soll, als
rapie von durch Pseudomonas aeruginosa verur- Fixkombination mit Ivacaftor (Orkambi®
sachten chronischen Lungeninfektionen bei 200 mg/125 mg) zugelassen. In klinischen Studi-
Mukoviszidose-Patienten wurden Tobramycin en war die Kombination aus Ivacaftor (als sog.
(z. B. TOBI®, ab 6 Jahren) und Aztreonam (Ca- „CFTR-Potentiator“) mit Lumacaftor (als sog.
yston®, ab 18 Jahren) zur inhalativen Anwen- „CFTR-Korrektor“) besser wirksam als die je-
dung zugelassen. In letzter Zeit wird zuneh- weilige Monotherapie. Die Dosis des Kombina-
mend Colistin (Colistin Grünenthal) inhalativ tionspräparats beträgt 400 mg Lumacaftor/
eingesetzt, da bisher keine Resistenzen gegen 250 mg Ivacaftor 2 × tgl. Die bisher gemeldeten
diese Substanz aufgetreten sind. Nebenwirkungen entsprechen im Wesentlichen
denen von Ivacaftor (s. o.). Lumacaftor wird
Beeinflussung des Cl–- und Na+-Transports.
größtenteils unverändert mit den Fäzes ausge-
Eine Viskositätsverminderung des Bronchialse-
schieden, ist aber ein starker CYP3A-Induktor,
krets kann durch die Gabe von Amilorid ver-
sodass Interaktionen mit CYP3A-Substraten zu
sucht werden, da durch Blockade der Natrium-
beachten sind (Metabolisierung von Ivacaftor
kanäle mehr Wasser im Bronchialsekret ver-
s. o.).
bleibt. Die Gabe von Uridintriphosphat (UTP),
welches spezielle Cl–-Kanäle aktivieren soll, ist
ebenfalls noch nicht sicher etabliert.
365

25 Magen-Darm-Mittel

25.1 Gastroduodenale Ulkus- und Keim wird bei ca. 95 % der Patienten mit Ulcus 25
gastroösophageale duodeni, bei ca. 70 % der Patienten mit Ulcus
Refluxkrankheit ventriculi, aber auch bei ca. 50 % der gesunden
Erwachsenen gefunden. Eine HP-Besiedlung ist
25.1.1 Pathophysiologische weltweit die häufigste Infektion. Der Mensch
Grundlagen stellt das wichtigste Keimreservoir dar, der
Peptische Erkrankungen sind Erkrankungen, Übertragungsweg ist sowohl fäkal-oral als auch
an deren Entstehung ein Ungleichgewicht zwi- oral-oral. Rezidive eines Duodenalulkus treten
schen aggressiven Faktoren (z. B. gesteigerter nahezu ausschließlich bei HP-Befall auf. Aller-
HCl- und Pepsinogensekretion, Helicobacter- dings entwickelt nur ein kleiner Teil der HP-Trä-
pylori-Besiedlung, s. u.) und der schützenden ger ein peptisches Ulkus. Therapie der Wahl bei
Barrierefunktion der Schleimhaut (z. B. durch HP-positiven Ulcera ist dementsprechend die
intaktes Oberflächenepithel, ausreichende Eradikation des Keims.
Schleimproduktion) ursächlich ist. Sie betreffen Bei HP-negativen Ulcera ist die häufigste Ur-
den oberen Verdauungstrakt, also Speiseröhre, sache die Einnahme von nichtsteroidalen Anti-
Magen und Duodenum. phlogistika (NSAIDs, Ⴉ Kap. 12.1.3.1), die die
Gemäß der Lokalisation und auch der Patho- Synthese von protektiv wirksamen Prostaglan-
genese unterscheidet man die gastroösophagea- dinen hemmen. Entgegen früherer Auffassun-
le Refluxkrankheit (Gastroesophageal Reflux gen verursacht die alleinige Gabe von Glucocor-
Disease, GERD), das Ulcus ventriculi (Magen- ticoiden dagegen meist keine Ulzerationen. Al-
geschwür) sowie das Ulcus duodeni (Dünn- lerdings erhöhen Glucocorticoide das durch
darmgeschwür). Bei einem peptischen Ge- NSAIDs hervorgerufene Risiko bis zum 10-Fa-
schwür handelt es sich um einen scharf begrenz- chen. Weitere Risikofaktoren sind fortgeschrit-
ten Gewebedefekt, der die Schleimhaut und tenes Lebensalter, eine gleichzeitige Therapie
außerdem auch darunter liegende Gewebe- mit Antikoagulanzien (z. B. Phenprocoumon),
schichten betrifft. Thrombozytenaggregationshemmern (z. B.
Die wichtigste Rolle bei der Entstehung der Acetylsalicylsäure niedrig dosiert, Clopidogrel)
Ulkuskrankheit spielt – neben einer erblichen oder mit SSRI (z. B. Citalopram). Darüber hin-
Veranlagung (Menschen der Blutgruppe 0 sind aus können auch Stressfaktoren (z. B. Verbren-
häufiger betroffen) – die Besiedlung der nungen, Sepsis, Polytraumen) gastrointestinale
Schleimhaut mit Helicobacter pylori (HP) als Ulzerationen als akutes Ereignis hervorrufen.
Folge einer chronischen HP-Gastritis. Dieser
366 25 Magen-Darm-Mittel

Die Beschwerden infolge eines Ulkus treten ႒ Tab. 25.1 Protonenpumpeninhibitoren (PPI)
oft periodisch als krampfartige Schmerzen im
INN (Handelspräparat) Tagesdosis1
Epigastrium auf. Sie können verschieden lang
dauern und sind häufig von der Nahrungsauf- Esomeprazol2 20–40 mg p. o., i. v.
nahme abhängig. Die Schwere der Beschwerden (z. B. Nexium® mups)
korreliert jedoch nicht mit dem Ausmaß der
Lansoprazol 15–30 mg p. o.
Schleimhautveränderung. So können besonders
(z. B. Agopton®)
NSAID-induzierte Ulzera sogar symptomlos
sein. Eine Diagnose aufgrund klinischer Be- Omeprazol 20–40 mg p. o., i. v.
schwerden ist somit nicht möglich. (z. B. Antra MUPS®)
Wichtige Komplikationen eines peptischen
Pantoprazol 20–40 mg p. o., i. v.
Ulkus sind Blutungen (ca. 20 % aller Ulkuspati-
(z. B. Pantozol®)
enten), Perforation (Durchbruch in den Bauch-
raum, bis zu 5 % aller Ulkuspatienten) und Pe- Rabeprazol (z. B. Pariet®) 10–20 mg p. o.
netration, z. B. in die Bauchspeicheldrüse. 1 Zur Behandlung des Zollinger-Ellison-Syndroms sind die Dosierun-
Eine gastroösophageale Refluxkrankheit gen höher.
(GERD) liegt vor, wenn infolge des Refluxes von 2 S-Enantiomer von Omeprazol (Racemat), dessen pharmakodynami-

Mageninhalt in die Speiseröhre ein Risiko für sche Aktivität sich nicht vom Racemat unterscheidet

Komplikationen oder eine signifikante Störung


der Lebensqualität besteht. In den westlichen
25.1.2.1 H+/K+-ATPase-Blocker
Industrieländern leiden ca. 20 % der Bevölke-
(Protonenpumpeninhibitoren, PPI)
rung darunter.
Durch Blockade der H+/K+-ATPase (Protonen-
Arzneistoffe, die die Funktion des gastroöso-
pumpe) kann eine quasi vollständige Unterdrü-
phagealen Verschlussmechanismus und der
ckung der Salzsäuresekretion erreicht werden.
ösophagealen Säure-Clearance beeinträchtigen,
Dem vereinfachten Grundsatz – ohne Säure
können die Symptomatik der GERD verstärken.
kein Ulkus bzw. keine Refluxösophagitis – ent-
Zu diesen Substanzen gehören unter anderem
sprechend, sind Protonenpumpeninhibitoren
Calciumantagonisten, Nitrate, Theophyllin, An-
(PPI) Mittel der 1. Wahl bei der Therapie von
ticholinergika und orale Kontrazeptiva.
peptischen Ulcera und der Refluxösophagitis.
Alle zurzeit verfügbaren PPI – Omeprazol, des-
25.1.2 Pharmaka zur Therapie der
sen linksdrehendes Enantiomer Esomeprazol,
Ulkus- und Refluxkrankheit
Lansoprazol, Pantoprazol und Rabeprazol –
Zur Behandlung der Ulkus- und Refluxkrank-
sind Benzimidazol-Derivate.
heit werden in erster Linie Protonenpumpenin-
hibitoren und H2-Antihistaminika eingesetzt, Wirkungsmechanismus. Die Benzimidazol-De-
ferner sind Antazida, Sucralfat, Misoprostol und rivate sind Prodrugs, die im sauren Milieu der
Pirenzepin für diese Indikation zugelassen. Eine Canaliculi der Belegzelle über Zwischenstufen
kausale Therapie von HP-positiven Ulzera ist in die entsprechenden aktiven cyclischen Sul-
durch eine HP-Eradikation (s. u.) möglich. fenamide umgewandelt werden. Diese reagieren
Zu Beginn einer medikamentösen Therapie mit der α-Einheit der H+/K+-ATPase unter Aus-
sind die Patienten darüber aufzuklären, dass bildung einer Disulfidbrücke, wodurch das En-
sich Rauchen, übermäßiger Genuss von Kaffee zym irreversibel blockiert wird. Dadurch wird
und konzentriertem Alkohol, unregelmäßige sowohl die basale als auch die stimulierbare Säu-
Nahrungszufuhr sowie die Einnahme bestimm- resekretion verringert. Eine Enzymregeneration
ter Pharmaka (z. B. von NSAIDs) ungünstig auf ist nur durch Enzymneubildung möglich, sodass
das Ulkusleiden oder die Refluxösophagitis aus- die Wirkung der PPI trotz ihrer kurzen Halb-
wirken. wertszeit über ca. 1 Tag anhält.
25.1 Gastroduodenale Ulkus- und gastroösophageale Refluxkrankheit 367

Pharmakokinetik. Wegen ihrer Instabilität im pliziert. Die Einnahme erfolgt in der Regel vor
sauren Milieu müssen PPI als magensaftresis- dem Frühstück. Falls damit keine ausreichende
tente Arzneiformen verabreicht werden. Die 24-stündige Säurehemmung erreicht wird, kann
Resorption erfolgt im Dünndarm. In die Canali- die Tagesdosis auch auf eine morgendliche und
culi der Belegzelle gelangen sie über den Blut- abendliche Dosis aufgeteilt werden. Bei Patien-
weg. Nicht in die Belegzelle aufgenommene ten mit schwerer Leberinsuffizienz werden
Wirkstoffe werden in der Leber durch CYP2C19 niedrigere Dosen gegeben.
und in geringerem Umfang durch CYP3A zu
Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen aller
den entsprechenden Hydroxyl-Derivaten und
PPI sind nahezu identisch, wobei mit Omepra-
Sulfonen biotransformiert, die vorzugsweise re-
zol die längsten Erfahrungen bestehen. Es wer-
nal ausgeschieden werden. Die Halbwertszeiten
den gastrointestinale Störungen (Diarrhö, Übel-
der PPI sind kurz (etwa 1 Stunde).
keit, Völlegefühl u. a.), ferner Schwindel, Müdig-
Indikationen. PPI sind indiziert zur keit, Kopfschmerzen, Erhöhung der Leberenzy-
me sowie Hautveränderungen beobachtet.
󠀂 Therapie des Ulcus duodeni, Ulcus ventricu-
Schwere Seh- und Hörstörungen wurden insbe-
li, der Refluxösophagitis und des Zollinger-
sondere nach zu schneller parenteraler Gabe
25
Ellison-Syndroms,
(z. B. in der Intensivmedizin) beschrieben. Bei
󠀂 Rezidivprophylaxe bei Ulcera duodeni und
Anwendung in hoher Dosierung und über län-
ventriculi,
gere Zeit (> 1 Jahr) besteht ein erhöhtes Risiko
󠀂 Behandlung und Prophylaxe von NSAIDs-
von Knochenbrüchen sowie von schweren Hy-
bedingten gastroduodenalen Ulcera und
pomagnesiämien (mit Erschöpfungszuständen,
󠀂 Eradikation von Helicobacter pylori in
Tetanie, Delir u. a.).
Kombination mit geeigneten Antibiotika
(Ⴉ Kap. 25.1.2.7). Interaktionen. Da PPI hauptsächlich mittels
CYP2C19 metabolisiert werden und darüber hi-
Trotz der potenziellen Gefahren durch die per-
naus CYP2C19 (Omeprazol > Pantoprazol)
manente Unterdrückung der Salzsäureprodukti-
hemmen, sind Interaktionen mit Diazepam und
on (z. B. anhaltende Hypergastrinämie, bakteri-
Phenytoin sowie anderen, über CYP2C19 bio-
elle Besiedlung des Magens) sind sie auch für die
transformierten Arzneistoffen möglich. Der kar-
Langzeittherapie geeignet.
dioprotektive Effekt von Clopidogrel (Throm-
Bei akut blutenden Magenulcera werden PPI
bozytenaggregationshemmer, Ⴉ Kap. 23.1.3.2),
(neben anderen Maßnahmen) eingesetzt, da die
der über CYP2C19 zu seinem aktiven Metaboli-
Thrombozyten im leicht sauren bis neutralen
ten aktiviert wird, kann beispielsweise reduziert
Milieu besser aggregieren als unter stark sauren
sein. Omeprazol soll dabei den stärksten, Panto-
pH-Bedingungen. Hierfür stehen für Omepra-
prazol einen schwächeren Hemmeffekt auf die
zol, Pantoprazol und Esomeprazol intravenöse
Clopidogrel-Aktivierung ausüben.
Formulierungen zur Kurzinfusion zur Verfü-
PPI vermindern ferner die Resorption von
gung.
Vitamin B12 und auch von Arzneistoffen, deren
Zur Behandlung von Sodbrennen und sau-
Resorption vom pH-Wert abhängig ist (z. B.
rem Aufstoßen sind Omeprazol (z. B. Busco-
Azol-Antimykotika wie Itraconazol oder Posa-
gast®) und Pantoprazol (z. B. PANTOZOL-
conazol).
Control®) in einer maximalen Tagesdosis von
20 mg auch rezeptfrei erhältlich. Kontraindikationen. Eine gleichzeitige Anwen-
dung von PPI und den HIV-Proteaseinhibitoren
Dosierung. Die Dosierungen sind in ႒ Tab. 25.1
Atazanavir und Nelfinavir ist zu vermeiden, da
angegeben. Um eine rasche Abheilung von z. B.
PPI deren (pH-abhängige) Resorption verrin-
Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren zu
gern.
erreichen, werden initial oft höhere Dosen ap-
368 25 Magen-Darm-Mittel

25.1.2.2 H2-Antihistaminika (H2-Blocker, ႒ Tab. 25.2 H2-Antihistaminika


H2-Rezeptorantagonisten)
INN (HWZ) Tagesdosis
Zu den H2-Antihistaminika (႒ Tab. 25.2) zählen
Cimetidin (z. B. Cimetidin-CT), Ranitidin (z. B. Cimetidin (1,5–2 h) 400–1000 mg p. o.,
Zantic®) und Famotidin (z. B. PEPDUL®). 400–2000 mg i. v.

Wirkungsmechanismus. H2-Antihistaminika Famotidin (2,5–4 h) 40 mg p. o.


blockieren kompetitiv die H2-Rezeptoren von
Ranitidin (2–3 h) 150–300 mg p. o.,
Histamin an den Belegzellen der Magenschleim-
50–200 mg i. v.
haut. Sie hemmen sowohl die basale als auch die
Histamin-stimulierte Säuresekretion. Darüber
hinaus unterdrücken sie nichtkompetitiv die Va-
einer Einzeldosis von 75 mg auch rezeptfrei er-
gus- und Gastrin-induzierte Säurefreisetzung.
hältlich.
Pharmakokinetik. Nach oraler Gabe werden
Dosierung. Das übliche Dosierungsregime be-
H2-Antihistaminika rasch aus dem Magen-
steht beim peptischen Ulkus in der abendlichen
Darm-Kanal resorbiert. Die Substanzen werden
Gabe des H2-Blockers (႒ Tab. 25.2). Bei Nieren-
in unterschiedlichem Ausmaß metabolisiert,
insuffizienz ist eine Dosisanpassung erforder-
vorwiegend jedoch in unveränderter Form renal
lich.
ausgeschieden. Die Halbwertszeiten sind in
႒ Tab. 25.2 zusammengefasst. Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen wer-
den Kopfschmerzen (besonders nach Gabe von
Indikationen, Dosierung. H2-Blocker sind zur
Famotidin), Müdigkeit, Schwindel, Durchfälle
Ulkustherapie und -rezidivprophylaxe indiziert.
oder auch Verstopfung, Geschmacksstörungen
Allerdings sind sie den PPI bezüglich der Hei-
(Cimetidin), Gelenk- und Muskelschmerzen so-
lungsraten unterlegen und bei der Therapie pep-
wie vorübergehende Anstiege der Serumtrans-
tischer Ulcera daher nur noch Mittel der 2.
aminasen beobachtet.
Wahl. Bei Einnahme der üblichen Einzeldosis
Infolge der (dosisabhängigen) antiandroge-
am Abend liegt ein Magen-pH-Wert > 4 für 4–6
nen Wirkung kann es unter der Gabe von Cime-
Stunden vor. Für eine schnelle und zuverlässige
tidin zu Potenzstörungen, Oligospermie und
Abheilung von Ulcera und insbesondere der Re-
Gynäkomastie kommen. Diese Nebenwirkun-
fluxösophagitis sollte aber der Magensaft-pH-
gen kommen bei den anderen H2-Antagonisten
Wert für mindestens 15 Stunden pro Tag auf ei-
bedeutend seltener vor. Cimetidin, vor Einfüh-
nen Wert von > 4 erhöht werden.
rung der PPI das weltweit am meisten verordne-
Cimetidin und Ranitidin werden ferner zur
te Pharmakon (!), wird daher heute praktisch
Prophylaxe eines Säureaspirationssyndroms
nicht mehr eingesetzt.
(vor Operationen) und von stressbedingten Blu-
tungen von Magen und Duodenum i. v. appli- Interaktionen. Cimetidin hemmt Cyto-
ziert. Im intensivmedizinischen Bereich werden chrom-P450-abhängige Reaktionen (CYP1A2,
H2-Antagonisten den PPI oft vorgezogen, da sie CYP2C19, CYYP2D6, CYP3A4). Klinisch rele-
zu keiner kompletten Säureblockade führen und vant sind u. a. insbesondere die Wirkungsver-
damit die Säurebarriere im Magen zum Schutz stärkung und -verlängerung oxidativ biotrans-
vor bakterieller Besiedlung (→ Besiedlung des formierter Benzodiazepine, von Warfarin (nicht
tracheobronchialen Systems → Atemwegsinfek- Phenprocoumon), Lidocain, Phenytoin und
te) intakt bleibt. Theophyllin sowie die verstärkten Nebenwir-
Zur Behandlung von Sodbrennen und sau- kungen tricyclischer Antidepressiva. Die Hem-
rem Aufstoßen ist Ranitidin (z. B. Zantic®) in mung mikrosomaler Enzyme durch Ranitidin
25.1 Gastroduodenale Ulkus- und gastroösophageale Refluxkrankheit 369

und Famotidin ist sehr viel geringer und daher ႒ Tab. 25.3 Antazida (Auswahl)
weniger relevant.
INN Handelspräparat
Kontraindikationen. Absolute Kontraindikatio-
Aluminiumhydroxid Aludrox® u. a.
nen sind nicht bekannt. Strenge Indikationsstel-
lung besteht während der Schwangerschaft und Aluminium-Natrium- Kompensan® u. a.
der Stillzeit. carbonatdihydroxid

Aluminiumphosphat Phosphalugel® u. a.
25.1.2.3 Antazida
Antazida sind Substanzen, die (Magen-)Salzsäu- Calciumcarbonat, Rennie® u. a.
Magnesiumcarbonat
re neutralisieren oder binden. Sie können bei
Hyperazidität und deren akuten Folgen, z. B. Aluminium-Magnesium- Riopan® u. a.
Sodbrennen und säurebedingten Magenbe- hydroxidsulfathydrat
schwerden, sowie zur raschen symptomatischen
Behandlung bei Ulcus ventriculi und Ulcus Aluminium-Magnesium- Talcid® u. a.

duodeni kurzfristig angewendet werden. hydroxidcarbonathydrat 25


Als Einzeldosis für eine effektive Anhebung
des pH-Werts wird eine Antazidum-Menge
empfohlen, die ca. 25 mmol Salzsäure zu neutra- wird. Bei Nierenfunktionsstörungen besteht
lisieren vermag. Darüber hinaus wird diskutiert, deshalb nach längerer Anwendung die Gefahr
dass Antazida zusätzlich zu ihrer puffernden einer Hypermagnesiämie. Magnesiumionen
Wirkung Gallensäuren binden, die Prostaglan- wirken ferner durch ihren osmotischen Effekt
dinsynthese stimulieren und einen lokalen laxierend.
Schutzeffekt besitzen. Aluminiumhydroxid neutralisiert Salzsäure
Hinsichtlich der Abheilung von Ulcera ven- unter Bildung von Aluminiumchlorid, außer-
triculi oder duodeni und bei Refluxösophagitis dem bindet es diese auch teilweise adsorptiv. Die
sind sie den PPI und H2-Antagonisten deutlich Resorptionsquote der Aluminiumionen beträgt
unterlegen. Daher werden sie bei diesen Erkran- ca. 1 %, säurehaltige Getränke fördern die Re-
kungen nur noch akut zur sofortigen Schmerz- sorption. Bei eingeschränkter Nierenfunktion
linderung eingesetzt, bis z. B. PPI ihre volle Wir- sind die Aluminiumblutspiegel erhöht und es
kung entfalten. besteht die Gefahr einer Aluminium-Enzepha-
Gut wirksame und verträgliche Antazida lopathie. Die hochdosierte Einnahme über ei-
sind Magnesium- und Aluminium-Verbindun- nen längeren Zeitraum kann auch bei normaler
gen bzw. Kombinationen davon. In ႒ Tab. 25.3 Nierenfunktion aufgrund der phosphatbinden-
sind einige Handelspräparate mit Inhaltsstoffen den Eigenschaften zu einer Verarmung an Phos-
als Beispiele zusammengestellt. phaten mit dem Risiko einer Osteomalazie
Die Applikation sollte 1–3 Stunden nach den (schmerzhaften Knochenerweichung) führen.
Mahlzeiten sowie vor dem Schlafengehen oder Aufgrund einer Verlängerung der intestinalen
bei Bedarf erfolgen. Wegen adsorptiver Eigen- Passagezeit durch adsorptive Bindung von Gal-
schaften sollten Antazida nie gleichzeitig mit lensäuren wirkt Aluminiumhydroxid schwach
anderen Medikamenten eingenommen werden. obstipierend.
Magnesiumoxid und -hydroxid sind in Was- Die Wirkung von Aluminium-Magnesium-
ser schlecht löslich und reagieren langsam mit Silikaten (Almasilat) entspricht ungefähr der
Magensalzsäure unter Bildung von Magnesium- einer Kombination von Magnesium- und Alu-
chlorid. Aus diesem entstehen im Dünndarm miniumhydroxid. Die Wirkungen auf die intes-
Phosphate und Carbonate, aus denen Mg2+ zu tinale Passagezeit heben sich gegenseitig auf. Bei
etwa 10 % resorbiert und renal ausgeschieden lang dauernder Applikation muss allerdings mit
370 25 Magen-Darm-Mittel

der Bildung silikathaltiger Nierensteine ge- fahr systemischer Nebenwirkungen durch re-
rechnet werden. sorbierte Aluminiumionen (s. o.) kontraindi-
Die Bedeutung von Calciumcarbonat als ziert. Bei gleichzeitiger Gabe von Tetracyclinen,
Antazidum ist zurückgegangen. Es reagiert wie Tobramycin, Phenytoin, Digoxin, Ranitidin,
Natriumhydrogencarbonat (s. u.) mit der Ma- Ketoconazol, Theophyllin u. a. kann deren Re-
gensalzsäure unter Kohlendioxidentwicklung, sorption vermindert sein.
allerdings ist die dabei gebildete CO2-Menge
deutlich geringer und daher weniger störend. 25.1.2.5 Prostaglandin-E-Derivate
Im Dünndarm entstehen Carbonate und Phos- Das Prostaglandin-E-Derivat Misoprostol för-
phate, die Resorptionsquote von Ca2+ beträgt dert protektive Faktoren und bewirkt über Pros-
10–35 %. Die wichtigste Nebenwirkung nach taglandin-Rezeptoren vom Typ EP3 an der Be-
längerer Anwendung ist eine Hypercalcämie so- legzelle eine Hemmung der Säuresekretion.
wie die Ablagerung von Kalksalzen in verschie- Nach oraler Gabe wird es schnell resorbiert und
denen Geweben, vor allem in der Niere (Neph- zur eigentlich wirksamen Misoprostolsäure bio-
rokalzinose). Calciumcarbonat wirkt außerdem transformiert. Die Halbwertszeit wird mit 20–40
schwach obstipierend. min angegeben. Die Ausscheidung erfolgt in
Das früher viel gebrauchte Natriumhydro- Form von Metaboliten hauptsächlich renal. We-
gencarbonat hat ebenfalls stark an Bedeutung gen erheblicher Nebenwirkungen wird Miso-
verloren, da bei der Neutralisation von Salzsäure prostol (0,2 mg) in Deutschland nur noch als
mit Hydrogencarbonat rasch große Mengen von Begleittherapeutikum in Form einer Fixkombi-
Kohlendioxid frei werden, das erhebliche Blä- nation (Arthotec® forte) mit Diclofenac (75 mg,
hungen hervorrufen kann. Außerdem werden Ⴉ Kap. 12.1.3.1) eingesetzt. Neben Durchfällen
bei oraler Applikation von Natriumhydrogen- (20–40 %) und Bauchschmerzen (bis 20 %)
carbonat die Natriumionen praktisch vollstän- kommen als Nebenwirkungen Übelkeit, Kopf-
dig resorbiert, wodurch die Alkalibelastung des schmerzen und Benommenheit, selten Mens-
Organismus zunimmt. truationsstörungen vor. Wegen der Gefahr einer
Antazida mit mehrwertigen Kationen kön- Uteruskontraktion und damit eines Aborts ist
nen die Resorption von Eisensalzen, Tetracycli- Misoprostol bei Schwangeren kontraindiziert.
nen und Fluorchinolonen durch Adsorption Auch bei entzündlichen Darmerkrankungen
oder Komplexbildung herabsetzen. darf es nicht gegeben werden.

25.1.2.4 Sucralfat 25.1.2.6 Parasympatholytika


Sucralfat (z. B. Ulcogant®), basisches Alumini- Parasympatholytika unterdrücken durch kom-
um-Saccharose-Sulfat, bildet auf der Ulkusober- petitive Blockade von Muscarinrezeptoren die
fläche Komplexverbindungen mit basischen Salzsäure- und Pepsinogensekretion. Dieser Ef-
Proteinen und verhindert dadurch den Angriff fekt kann jedoch mit den klassischen Parasym-
aggressiver Faktoren wie Salzsäure, Pepsin und patholytika wie z. B. Atropin erst in Dosen er-
Galle. Ferner verstärken Sucralfat und freige- reicht werden, die bereits zu stärkeren Neben-
setzte Aluminiumionen die Prostaglandinsyn- wirkungen (Mundtrockenheit, Akkommodati-
these. Sowohl Ulcera ventriculi als auch duode- onsstörungen, Tachykardie u. a.) führen.
ni heilen nach Gabe von Sucralfat schneller ab. Pirenzepin (Gastrozepin®) besitzt eine höhe-
Die Substanz ist jedoch den PPI und H2-Ant- re Affinität zu ganglionären (M1-Rezeptoren)
agonisten hinsichtlich der Abheilungsrate un- als zu postganglionären Muscarinrezeptoren
terlegen. Die Dosierung beträgt 4-mal täglich (M2- und M3-Rezeptoren) und verringert da-
1 g. Als Nebenwirkung kann es zu Obstipation durch die Magensaftsekretion selektiver als At-
kommen. Bei Patienten mit stark eingeschränk- ropin. Nach oraler Gabe beträgt die Bioverfüg-
ter Nierenfunktion ist Sucralfat wegen der Ge- barkeit ca. 15 % (nüchtern) bis 25 % (nicht nüch-
25.1 Gastroduodenale Ulkus- und gastroösophageale Refluxkrankheit 371

tern). Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend in (40 mg), Clarithromycin (500 mg) und Amoxi-
unveränderter Form renal und fäkal (Halb- cillin (1000 mg). Die entsprechenden Pharmaka
wertszeit ca. 10–12 Stunden). Die Dosierung be- werden jeweils früh und abends vor den Mahl-
trägt 2-mal 50 mg täglich. Die Nebenwirkungen zeiten eingenommen.
(Kopfschmerzen, Akkommodationsstörungen, Zunehmende Resistenzen gegen Clarithro-
Mundtrockenheit, Diarrhö, Obstipation, Haut- mycin (in D ca. 10 %, bei Rezidiven nach zu-
ausschlag, Harnverhalt etc.) sind prinzipiell nächst erfolgreicher Eradikation 60 %) und
gleich wie bei anderen Parasympatholytika, aber Metronidazol (in Europa 30–60 %) erschweren
weniger stark ausgeprägt. Insgesamt sind jedoch die Eradikation. In Regionen mit einer Clari-
Verträglichkeit und Wirksamkeit schlechter als thromycinresistenz über 20 % wird eine se-
bei PPI oder H2-Antihistaminika, sodass Pirenz- quenzielle Therapie über 10 Tage empfohlen.
epin zur Ulkustherapie heute nur noch selten An den ersten 5 Tagen wird Amoxicillin zusam-
eingesetzt wird. Pirenzepin darf u. a. nicht bei men mit einem PPI gegeben, an den nächsten 5
Patienten mit einem paralytischen Ileus ange- Tagen Clarithromycin und Metronidazol wie-
wendet werden. derum zusammen mit einem PPI. Alternativ
kann eine Quadrupeltherapie, bestehend aus 25
25.1.2.7 Eradikationstherapie von einem PPI, Clarithromycin, Metronidazol und
Helicobacter pylori (HP) Amoxicillin über 5–7 Tage, oder eine bismut-
Die HP-positive Ulkuskrankheit kann durch basierte Quadrupeltherapie, bestehend aus ei-
eine HP-Eradikation, d. h. durch die vollständi- ner Bismut-Verbindung, Metronidazol, Tetra-
ge Elimination von Helicobacter pylori, kausal cyclin (Kombinationspräparat Pylera®) und
therapiert werden. In der Regel führt sie zur Omeprazol über 10 Tage durchgeführt werden.
Ausheilung der Ulkuskrankheit (Rezidivrate Der Wirkungsmechanismus von Bismut ist
< 10 %). Ohne HP-Eradikation kommt es dage- nicht genau bekannt, diskutiert wird u. a. eine
gen in 70–80 % der Fälle zu einem Ulkusrezidiv. toxische Wirkung auf die bakterielle Mem-
Obwohl Helicobacter pylori in vitro gegen branfunktion sowie eine Hemmung der bakte-
eine Vielzahl von Antibiotika empfindlich ist, riellen Protein- und Zellwandsynthese. Bei län-
erweist sich seine Eradikation in der Magen- gerer Anwendung hoher Dosen bismuthaltiger
schleimhaut als schwierig. Präparate sind reversible Enzephalopathien be-
Für die Erstbehandlung einer HP-Infektion schrieben. Ein Nachteil der bismutbasierten
ist eine 7-tägige Tripletherapie (႒ Tab. 25.4) be- Quadrupeltherapie ist die hohe Tablettenlast (4
stehend aus einem Protonenpumpeninhibitor × 3 Kapseln Pylera® plus 2 × 1 Omeprazol-Tab-
(s. o.) und Clarithromycin (Ⴉ Kap. 30.1.3.3) plus lette pro Tag).
Metronidazol (Ⴉ Kap. 30.1.4.3, sog. Italienische Weitere Antibiotika als Kombinationspartner
Tripletherapie) oder plus Amoxicillin (Ⴉ Kap. für die Zweitlinientherapie bei HP-Resistenz
30.1.2.1, sog. Französische Tripletherapie) The- sind Fluorchinolone (Levofloxacin, Moxifloxa-
rapie der 1. Wahl. Die so erzielte HP-Eradikati- cin, Ⴉ Kap. 30.1.4.1) oder Rifabutin (Ⴉ Kap.
onsrate liegt > 90 % (bei niedriger Resistenzrate 30.2.1.1).
gegen Clarithromycin und Metronidazol). Rau- Der Erfolg der Eradikationstherapie wird ca.
chen erniedrigt die Eradikationsraten. 6–8 Wochen nach Behandlung mit dem 13C-
Zur Verbesserung der Compliance ist eine Harnstoff-Atemtest (orale Gabe von 50 mg 13C-
Kombinationspackung (ZacPac®, französische Harnstoff, z. B. Diabact UBT) oder durch Gas-
Tripletherapie) mit 7 Blisterstreifen im Handel. troskopie und HP-Nachweis überprüft.
Jeder Blisterstreifen enthält die Tagesdosis be-
stehend aus jeweils 2 Tabletten mit Pantoprazol
372 25 Magen-Darm-Mittel

႒ Tab. 25.4 Therapieschemata1 zur Eradikation von Helicobacter pylori (Tagesdosis)


Französische Tripletherapie2

PPI Clarithromycin (1000 mg) Amoxicillin (2000 mg)

Italienische Tripletherapie

PPI Clarithromycin (500–1000 mg) Metronidazol (800–1000 mg)

Sequenzielle Therapie

1.–5. Tag PPI Amoxicillin (2000 mg) –

6.–10. Tag PPI Clarithromycin (1000 mg) Metronidazol (1000 mg)

Quadrupeltherapie

PPI Clarithromycin (500–1000 mg) Metronidazol (800 mg) Amoxicillin (2000 mg)

Bismutbasierte Quadrupeltherapie

PPI Bismutoxid (480 mg) Metronidazol (1500 mg) Tetracyclin (1500 mg)

1 PPI-Standarddosis: 2 × tgl. Omeprazol 20 mg, Lansoprazol 30 mg, Pantoprazol 40 mg, Rabeprazol 20 mg, Esomeprazol 20 mg
2 Bei HP-Resistenz kann Clarithromycin durch Levofloxacin (1000 mg/Tag) oder Moxifloxacin (800 mg/Tag) ersetzt werden (Zweitlinientherapie)

25.2 Gastritis und Gastritis-Therapie tion, Ⴉ Kap. 23.1.1.3) gebildet. Ist die Vitamin-
B12-Resorption gestört, muss Vitamin B12 par-
Als Gastritis wird ein Entzündungsprozess der enteral substituiert werden, um eine perniziöse
Magenschleimhaut mit oberflächlichen Epithel- Anämie (infolge eines Vitamin-B12-Mangels) zu
defekten (aber ohne Ulzerationen) bezeichnet, vermeiden.
der akut oder chronisch verlaufen kann. Die Typ-B-Gastritis (relativ häufig), ist bak-
Die akute Gastritis kann durch Stress (z. B. teriell, meist durch eine Helicobacter-pylori-In-
nach Operationen, Leistungssport, Verbrennun- fektion, induziert. Bei stärkerer Ausprägung
gen), übermäßigen Alkoholkonsum, nichtstero- und positivem Nachweis von Helicobacter pylori
idale Antiphlogistika oder Infektionen (z. B. muss eine Eradikation des Keims erfolgen
durch Salmonellen, Staphylokokken) verursacht (s. o.).
werden. Häufige Beschwerden sind Völlegefühl, Die Typ-C-Gastritis, die chemisch-toxische
Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit und Erbre- Form, ist oft durch längerdauernde Einnahme
chen. Die akute Gastritis heilt nach Ausschalten von nichtsteroidalen Antiphlogistika oder Gal-
der Noxen fast immer innerhalb weniger Tage lereflux verursacht. Falls eine Änderung der Me-
spontan aus (u. U. beschleunigt durch Gabe ei- dikation bei medikamentös bedingter Gastritis
nes PPI, s. o.). nicht möglich ist, sind PPI indiziert. Bei durch
Bei der chronischen Gastritis lassen sich Gallereflux bedingter Gastritis sind Prokinetika
ätiologisch drei Hauptformen unterscheiden; (Ⴉ Kap. 25.7) und zusätzlich Gallensäure-bin-
die Therapie erfolgt je nach Art der Gastritis. dende Substanzen, z. B. Antazida (s. o.), geeig-
Die Typ-A-Gastritis (relativ selten) tritt oft in net.
Kombination mit Autoimmunerkrankungen Je nach Ausmaß und Lokalisation der chroni-
auf. Es werden Antikörper gegen die Belegzel- schen Entzündung der Magenschleimhaut be-
len, die H+/K+-ATPase und evtl. den Intrinsic steht ein erhöhtes Risiko für Magen- und Dünn-
Factor (erforderlich zur Vitamin-B12-Resorp- darmgeschwüre (s. o.) und für Magenkrebs.
25.3 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) 373

25.3 Chronisch entzündliche 25.3.2 Pharmakotherapie von Colitis


Darmerkrankungen (CED) ulcerosa und Morbus Crohn
Die medikamentösen Behandlungsstrategien
25.3.1 Pathophysiologische von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind
Grundlagen sehr ähnlich. Sie richten sich u. a. jeweils nach
Unter dem Begriff chronisch entzündliche Krankheitsaktivität (z. B. Schwere des akuten
Darmerkrankungen (CED) werden die beiden Schubs) und Ausbreitung der Erkrankung. Fol-
Krankheiten Colitis ulcerosa und Morbus gende Arzneistoffe, bzw. Arzneistoffgruppen,
Crohn zusammengefasst. Die Häufigkeit beider kommen zum Einsatz:
Erkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten
󠀂 5-Aminosalicylsäure (5-ASA) und 5-ASA-
deutlich zugenommen. Die Ätiologie und Pa-
Derivate (vor allem bei Colitis ulcerosa),
thogenese der CED ist komplex und immer
󠀂 Glucocorticoide (lokal und systemisch),
noch nicht vollständig geklärt. Man nimmt an,
󠀂 Immunsuppressiva: Azathioprin, 6-Mercap-
dass bestimmte genetische und umweltbedingte
topurin, Methotrexat (nur bei Morbus
Faktoren zu einem Zusammenbruch der intes-
Crohn), Ciclosporin und Tacrolimus (nur bei
tinalen Barriere und die dann eindringenden
Colitis ulcerosa),
25
Bakterienantigene zu einer pathologischen Ak-
󠀂 TNF-α-Inhibitoren: Infliximab, Adalimumab
tivierung des intestinalen Immunsystems mit
sowie Golimumab (bislang nur bei Colitis ul-
proinflammatorischer Zytokinproduktion füh-
cerosa zugelassen) und
ren.
󠀂 Integrinantagonisten: Vedolizumab.
Gemeinsamkeiten von Colitis ulcerosa und
Morbus Crohn stellen die Altersverteilung (be- Pharmakotherapie der Colitis ulcerosa. Bei
troffen sind meist junge Menschen zwischen akuten Schüben mit leichter bis mittlerer Akti-
dem 15. und 30. Lebensjahr), intestinale Leit- vität sind Aminosalicylate mit der wirksamen
symptome (Diarrhö, Abdominalschmerzen), Komponente 5-Aminosalicylsäure (5-ASA, Me-
das Auftreten extraintestinaler Symptome (z. B. salazin; z. B. Claversal®) Mittel der 1. Wahl. Ein
an Haut oder Gelenken) sowie der chronisch re- Therapieerfolg tritt u. U. erst nach 2–4 Wochen
zidivierende Verlauf dar. ein. 5-Aminosalicylsäure ist in Form verschie-
Unterschiede zwischen Colitis ulcerosa und dener galenischer Formulierungen auf dem
Morbus Crohn zeigen sich in der Lokalisation Markt, was eine an die Lokalisation der Erkran-
und im Ausbreitungsmuster. Während die Coli- kung adaptierte Therapie erlaubt, z. B. in Form
tis ulcerosa immer im Rektum beginnt und die von magensaftresistent überzogenen Tabletten,
Entzündung sich von dort aus kontinuierlich in Suppositorien, als Klysma oder Schaum. Kova-
proximal gelegene Kolonabschnitte ausbreitet, lent an ein zweites Molekül 5-ASA (Olsalazin)
findet man bei Morbus Crohn eine diskontinu- oder Sulfapyridin (Sulfasalazin) gebunden,
ierliche, segmentale Verteilung der Entzündung, wird 5-ASA durch bakterielle Spaltung erst im
die den gesamten Verdauungstrakt (vom Mund Dickdarm freigesetzt.
bis zum Anus, meist jedoch Ileum, Coecum) be- Der Wirkungsmechanismus von 5-ASA-Prä-
treffen kann. Außerdem sind bei Morbus Crohn paraten ist komplex. Als wesentlich wird eine
alle Wandschichten (auch die tiefen) betroffen Stimulierung des γ-Subtyps des Peroxisomal
und die transmurale Entzündung kann zu Fis- Proliferator Activated Receptors (PPARγ, Ⴉ Kap.
tel- und Abszessbildung führen. Bei Colitis ul- 3.1.2.1) angenommen, der als Transkriptions-
cerosa sind dagegen nur die oberflächlichen faktor auch bei der intestinalen Integrität eine
Schleimhautschichten (Mukosa, Submukosa) Rolle spielt. Darüber hinaus soll über eine
des Darmes entzündet. Hemmung des Transkriptionsfaktors NF-κB die
Zytokinproduktion und durch Hemmung der
5-Lipoxygenase die Leukotriensynthese blo-
374 25 Magen-Darm-Mittel

ckiert werden. Die Dosierungen sind in Der humanisierte monoklonale Antikörper bin-
႒ Tab. 25.5 zusammengefasst. det an das zelluläre Adhäsionsmolekül α4β7-
Als Nebenwirkungen kommen für 5-ASA Integrin, das auf bestimmten T-Lymphozyten
und Olsalazin Diarrhö, Kopfschmerzen, exprimiert wird, die in den Magen-Darm-Trakt
Schwindel, Exantheme, Transaminasenanstieg, migrieren und dort eine chronische Entzün-
Myokarditis, Pankreatitis, Blutbildveränderun- dung verursachen. Vedolizumab verhindert die
gen und Nephritiden vor. Für Sulfasalazin sind Adhäsion dieser T-Lymphozyten an das muko-
zusätzlich Oligospermie und Agranulozytosen sale Adressin-Zelladhäsionsmolekül (Mad-
(selten) beschrieben. Die Kontraindikationen CAM-1) auf Darm-Endothelzellen und damit
und Interaktionen entsprechen denen von Sali- deren Einwanderung in Gewebe im Magen-
cylaten bzw. bei Sulfasalazin auch denen von Darm-Trakt. Die Halbwertszeit von Vedoli-
Sulfonamiden. zumab beträgt ca. 25 Stunden. Es ist bei mittel-
Bei schwerem, akutem Schub werden Gluco- schwerer und schwerer Colitis ulcerosa und
corticoide (oral oder parenteral, Ⴉ Kap. 21.7.1) Morbus Crohn indiziert, wenn eine konventio-
mit oder ohne 5-ASA gegeben. Bei Remission nelle Therapie oder eine Behandlung mit TNF-
erfolgt ein stufenweises Ausschleichen über ca. 2 α-Inhibitoren nicht angesprochen hat. Häufige
Monate. Sind nur distale Kolonsegmente betrof- Nebenwirkungen sind Übelkeit, Nasopharyngi-
fen, können die systemischen Nebenwirkungen tis, Infektionen der oberen Atemwege, Arthral-
durch eine Lokaltherapie (z. B. mit Schaum-Zu- gie, Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen und
bereitungen) verringert werden. Das bevorzugt Husten. Infusionsbedingte Reaktionen und
verwendete Budesonid wird entweder lokal als Überempfindlichkeitsreaktionen, meist mild bis
Klysma oder oral als magensaftresistent überzo- mittelschwer ausgeprägt, sind häufig. Bei akti-
gene Kapsel gegeben. Es wirkt wegen des ausge- ven schweren Infektionen (z. B. Tuberkulose) ist
prägten First-Pass-Effekts auch bei oraler Gabe Vedolizumab kontraindiziert.
hauptsächlich lokal im Darm, die Metaboliten Nach erfolgreicher Remissionsinduktion ist
besitzen nur eine geringe Steroidrezeptor-Affi- auch bei unkompliziertem Verlauf für alle Pati-
nität. enten eine langfristige (≥ 2 Jahre) remissionser-
Bei steroidrefraktärem Schub kann ein The- haltende Therapie mit einem 5-ASA-Präparat
rapieversuch mit Ciclosporin, alternativ mit Ta- (z. B. 5-ASA 1–2 g täglich p. o.; bei distalem Be-
crolimus (Ⴉ Kap. 32.4.1) erfolgen. Aufgrund der fall auch lokal) indiziert. Dadurch wird auch das
geringen therapeutischen Breite von Ciclospo- Risiko, dass sich ein Kolonkarzinom entwickelt,
rin ist ein Drugmonitoring angezeigt. reduziert.
Eine weitere Alternative stellen die TNF-α- Bei 5-ASA-Unverträglichkeit haben sich Pro-
Inhibitoren (Ⴉ Kap. 12.2.3.2) Infliximab, Adali- biotika wie E. coli-Präparate Stamm Nissle 1917
mumab und Golimumab dar. Dieses Thera- (z. B. MUTAFLOR® mite, magensaftresistent
pieprinzip stützt sich auf die Beobachtung, dass überzogen) zur Remissionserhaltung bewährt.
die entzündlich veränderten Darmabschnitte Nach einem fulminanten Schub sollte eine
von CED-Patienten große Mengen des proin- immunsuppressive Therapie mit Azathioprin
flammatorischen Zytokins TNF-α freisetzen. oder 6-Mercaptopurin (Ⴉ Kap. 32.4.5) zur Re-
Bei längerer Anwendung kann aufgrund einer missionserhaltung (≥ 2 Jahre) erfolgen. Dabei
Antikörperbildung gegen die TNF-α-Inhi- sind Blutbild, γ-GT und Pankreasenzyme zu
bitoren eine höhere Dosis erforderlich werden. kontrollieren. Systemische Glucocorticoide sind
Spricht auch eine Therapie mit TNF-α-Inhi- zur Remissionserhaltung nicht indiziert. Falls
bitoren nicht hinreichend an, kann der Integrin- die pharmakologischen Therapiemaßnahmen
antagonist Vedolizumab eingesetzt werden. nicht zur Besserung führen, ist eine Operation
Vedolizumab entfaltet seine immunsuppres- zu erwägen.
sive Wirkung selektiv im Gastrointestinaltrakt.
25.3 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) 375

႒ Tab. 25.5 Arzneistoffe zur Therapie von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn (Auswahl)
INN (Handelsname) Tagesdosis INN (Handelsname) Tagesdosis

Aminosalicylate TNF-α-Inhibitoren

Mesalazin, 5-ASA 1–2 g rektal, 3–4 g p. o. Infliximab 5 mg/kg KG i. v. nach 2,


(z. B. Claversal®) (REMICADE®) 6 und dann alle 8 Wo-
chen
Olsalazin Bis 4 g p. o.
(Dipentum®) Adalimumab 40 mg s. c. alle 2 Wo-
(Humira®) chen
Sulfasalazin Bis 6 g p. o.
Golimumab 200 mg s. c. initial,
(z. B. Azulfidine®)
(Simponi®)1 100 mg nach 2 Wochen,
Lokale Glucocorticoide (Auswahl) und dann 50 mg alle
4 Wochen
Hydrocortisonacetat 100–200 mg rektal
(Colifoam®)
Integrinantagonisten 25
Vedolizumab 300 mg i. v., nach 2, 6
Budesonid (Entocort® 2 mg rektal, 9 mg p. o.
(ENTYVIO®) und dann alle 8 Wochen
rektal, Budenofalk®)
1 Nur bei Colitis ulcerosa zugelassen,
2 nur bei Morbus Crohn zugelassen
Systemische Glucocorticoide (Auswahl)

Prednison 0,5–1 mg/kg KG p. o.,


(z. B. Decortin®) i. v.
Pharmakotherapie des Morbus Crohn. Bei ileo-
Prednisolon 0,5–1 mg/kg KG p. o., zökalem Befall und leichter bis mäßiger Entzün-
(z. B. Decortin® H) i. v. dungsaktivität ist orales Budesonid (s. o.) Mittel
der Wahl. Bei Kolonbefall kommt alternativ
Methylprednisolon Initial 40–80 mg p. o., auch eine Therapie mit Sulfasalazin (3–6 g täg-
(z. B. Urbason®) i. v., dann langsamer
lich) in Betracht, ggf. in Kombination mit
Abbau der Dosis
Suppositorien, Klysmen oder Schäumen. Bei
Immunsuppressiva ausgedehntem Dünndarmbefall (cave Mangel-
ernährung!) und/oder Befall des Magens und
Azathioprin 2,0–2,5 mg/kg KG p. o. Ösophagus wird primär mit systemischen Glu-
(z. B. Imurek®) cocorticoiden behandelt.
Auch Patienten mit schweren Schüben und
6-Mercaptopurin 1,0–1,5 mg/kg KG p. o.
hoher Entzündungsaktivität erhalten bereits ini-
(z. B. Puri-Nethol®)
tial eine systemische Glucocorticoidtherapie.
Ciclosporin 2–4 mg/kg KG i. v.
Bei nur mäßigem bzw. schlechtem Ansprechen
(z. B. Sandimmun®)1 und hoher Krankheitsaktivität ist der Einsatz
von TNF-α-Inhibitoren und/oder der Thiopuri-
Tacrolimus 0,1 mg/kg KG p. o., ne Azathioprin und 6-Mercaptopurin indiziert.
(z. B. Prograf®)1 0,01 mg/kg KG i. v. Bei Nebenwirkungen oder Unverträglichkeit ge-
gen Azathioprin kann auch Methotrexat gege-
Methotrexat Bis 25 mg i. m., i. v.,
ben werden. Eine neue Alternative bei Therapie-
(z. B. Metex®)2 s. c./Woche,
versagen stellt der oben bereits beschriebene In-
nach 8–12 Wochen
15 mg/Woche
tegrinantagonist Vedolizumab dar. Die Dosie-
rungen sind jeweils in ႒ Tab. 25.5 aufgelistet.
376 25 Magen-Darm-Mittel

Die Indikation zur remissionserhaltenden Frauen sind ca. 2-mal häufiger betroffen als
Therapie erfolgt unter Berücksichtigung des in- Männer.
dividuellen Krankheitsverlaufs und des Risiko- Die Therapie orientiert sich an den Leitsymp-
profils des Patienten, mit dem Ziel, das Risiko tomen. Steht eine Obstipation im Vordergrund,
eines erneuten Schubes zu minimieren. Raucher werden Ballaststoffe und Laxanzien (z. B. Floh-
müssen unbedingt das Rauchen einstellen, da samenschalen, Macrogol, s. u.) gegeben. Diar-
dadurch die langfristige Rezidivrate halbiert rhöen werden mit Antidiarrhoika (z. B. Lopera-
werden kann. Bei Patienten mit komplexem mid, s. u.) behandelt. Das gegen Reisediarrhö
Krankheitsverlauf sollte als remissionserhalten- zugelassene Lokalantibiotikum Rifaximin
de Therapie Azathioprin oder 6-Mercaptopu- (Ⴉ Kap. 25.5.4) kann die Beschwerden des Reiz-
rin langfristig (ggf. über Jahre) eingesetzt wer- darmsyndroms mit Durchfall wahrscheinlich
den. Systemische Glucocorticoide sind wie bei aufgrund einer Änderung der Darmflora bes-
Colitis ulcerosa nicht zur Remissionserhaltung sern. Der Einsatz erfolgt derzeit (noch) „off-la-
geeignet. bel“. Eine Therapie mit Probiotika kann zu Bes-
Bei Wirkungslosigkeit oder Unverträglich- serung von Meteorismus und Flatulenz führen.
keit der Thiopurine oder bei besonderer Risiko- Gegen eine übermäßige Gasbildung können
konstellation kann ein TNF-α-Inhibitor (z. B. (physikalische) Entschäumer wie z. B. Simeticon
Infliximab), mit nachfolgender Priorität auch (Lefax®) eingesetzt werden. Zur Linderung der
Methotrexat, evtl. auch in Kombination, ver- Schmerzen helfen Spasmolytika (z. B. Butylsco-
sucht werden. Ist mit einer dualen Immunsup- polamin, Ⴉ Kap. 20.2.2), oft sind auch tricycli-
pression (z. B. mit Azathioprin und Infliximab) sche Antidepressiva (z. B. Amitriptylin,
eine stabile Remission erreicht, muss wegen des Ⴉ Kap. 10.2.1) oder SSRI (z. B. Paroxetin,
erhöhten Nebenwirkungsrisikos bei der Kombi- Ⴉ Kap. 10.2.2) wirksam.
nation ein Kombinationspartner abgesetzt Eine große Bedeutung haben ferner nichtme-
werden. dikamentöse Maßnahmen wie Psychotherapie,
Bei stabiler Remissionsphase ohne Steroidab- Entspannungsübungen, Stressbewältigung und
hängigkeit und ohne nachweisbare Entzündung Ernährungsberatung.
können die remissionserhaltenden Pharmaka
vollständig abgesetzt werden. Bei therapiere-
fraktärem Verlauf sollte frühzeitig eine Indikati- 25.5 Antidiarrhoika
on zur Operation überprüft werden.
Antidiarrhoika werden zur symptomatischen
Therapie von Durchfällen mit unkompliziertem
25.4 Therapie des Krankheitsbild eingesetzt.
Reizdarmsyndroms
Pathophysiologie der Diarrhö. Als Diarrhö wird
die gehäufte Entleerung (mehr als 3-mal täglich)
Das Reizdarmsyndrom (Colon irritabile) gehört
wässriger oder breiiger Stühle bezeichnet.
zu den häufigsten gastroenterologischen Krank-
heiten. Mit diesem Begriff werden vom Dick- Eine osmotische Diarrhö kann auf einem Mal-
darm ausgehende Funktionsstörungen und digestions- oder einem Malabsorptions-Syn-
Schmerzen zusammengefasst, denen keine er- drom sowie auf der Einnahme schwer resorbier-
kennbare organische Darmerkrankung zugrun- barer Substanzen (Osmolaxanzien, z. B. enthal-
de liegt. Hauptsymptome sind Stuhlunregelmä- ten in „zuckerfreien“ Bonbons, Diabetikermar-
ßigkeiten (Obstipation oder Diarrhö), Völlege- melade u. a.) beruhen. Bei Nahrungskarenz
fühl, Blähungen und abdominelle Schmerzen. sistieren osmotisch bedingte Durchfälle.
Reizdarmsyndrompatienten leiden ferner oft Eine sekretorische Diarrhö ist sehr häufig
auch unter Schlaf- und/oder Angststörungen. durch Bakterientoxine bedingt. Neben Cholera-
25.5 Antidiarrhoika 377

toxin lösen auch Toxine von Salmonellen und Anstieg der Loperamid-Plasmakonzentrationen
Shigellen sowie von Staphylokokken und patho- führen.
genen Coli-Stämmen sekretorische Diarrhöen Kontraindikationen sind Ileus, Megacolon,
aus. Ein großer Teil der Reisediarrhöen wird Durchfälle, die mit Fieber und blutigem Stuhl
durch ein Enterotoxin von E. coli hervorgerufen. einhergehen, bakterielle Enterokolitis (Gefahr
Ferner kann eine gesteigerte Permeabilität der verzögerten Toxinausscheidung durch Ru-
der Darmschleimhaut schwere Durchfälle ver- higstellung des Darms), Antibiotika-assoziierte
ursachen, z. B. im Rahmen chronisch entzündli- Kolitis, Colitis ulcerosa, Kinder unter 2 Jahren
cher Darmerkrankungen oder bei einem Kolon- und Schwangerschaft.
karzinom.
Racecadotril. Racecadotril (Vaprino®) ist ein
Eine gesteigerte intestinale Motilität als Di-
Prodrug. Der aktive Metabolit Thiorphan ist ein
arrhö-Ursache findet man beispielsweise bei ei-
Inhibitor der Enkephalinase, die insbesondere
ner Hyperthyreose.
im Dünndarmepithel lokalisiert ist. Dadurch
werden die Enkephaline vor ihrem enzymati-
25.5.1 Loperamid und Racecadotril
schen Abbau geschützt, der bei akutem Durch-
Zur kurzdauernden symptomatischen Therapie
fall verstärkt stattfindet, ihre Wirkung an den
25
der Diarrhö können Loperamid und Racecado-
enkephalinergen Synapsen im Dünndarm wird
tril eingesetzt werden.
verlängert und die Hypersekretion verringert.
Loperamid. Der Opioidrezeptoragonist Lopera- Nach p. o. Gabe wird Racecadotril rasch re-
mid (z. B. Imodium®) greift an peripheren Opi- sorbiert und zum aktiven Metaboliten hydroly-
oidrezeptoren (Ⴉ Kap. 12.1.5) des Dünndarms siert, der weiter zu inaktiven Substanzen meta-
an. Dadurch wird die Peristaltik gehemmt sowie bolisiert wird. Unverändertes Thiorphan und
der Analsphinkertonus erhöht (und dadurch inaktive Metaboliten werden überwiegend renal
der Stuhldrang reduziert). ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt ca. 3
Die Wirkung erfolgt lokal im Darm. Zen- Stunden (gemessen als Plasma-Enkephalinase-
tralnervöse Wirkungen treten praktisch nicht Hemmung).
auf, da einerseits aufgrund eines hohen First- Racecadotril ist zur symptomatischen Be-
Pass-Metabolismus die orale Bioverfügbarkeit handlung des akuten Durchfalls bei Erwachse-
von Loperamid sehr gering ist und andererseits nen indiziert. Die Dosierung beträgt am 1. Be-
die Substanz rasch durch P-gp aus dem ZNS handlungstag 200 mg p. o. unabhängig von der
ausgeschleust wird. Resorbiertes Loperamid Tageszeit, dann jeweils 100 mg p. o. vor den
wird zu etwa 2/3 metabolisiert (hauptsächlich Mahlzeiten (max. Tagesdosis 400 mg). Am 2.
durch CYP3A4) und zu 1/3 unverändert über und 3. Behandlungstag werden 3 × 100 mg p. o.
den Stuhl ausgeschieden. Die Halbwertszeit be- jeweils vor den Mahlzeiten gegeben.
trägt 7–15 Stunden. Als Nebenwirkungen treten häufig Kopf-
Erwachsene erhalten als Anfangsdosis 4 mg schmerzen und gelegentlich Hautausschläge auf.
Loperamid p. o., dann nach jedem ungeformten Interaktionen sind bislang nicht bekannt. Die
Stuhl 2 mg (max. Tagesdosis 12 mg). Kontraindikationen entsprechen denen von
Als häufigste Nebenwirkungen treten Obsti- Loperamid.
pation und Blähungen auf. Über Hautausschlag,
Pruritus, Müdigkeit und Schwindel wurde nur
25.5.2 Antidiarrhoika aus
sehr selten berichtet.
Mikroorganismen (Probiotika)
Da Loperamid ein P-gp-Substrat ist, kann die
Probiotika sind Zubereitungen mit vermeh-
gleichzeitige Gabe mit P-gp-Inhibitoren (z. B.
rungsfähigen apathogenen Mikroorganismen
Chinidin, Ritonavir) zu einem signifikanten
(meist Bakterien), die die Darmflora besiedeln.
Dadurch sollen sie die Barriere-, Immun- und
378 25 Magen-Darm-Mittel

Stoffwechselfunktion des Darmes regenerieren. Im Vordergrund der Behandlungsmaßnah-


Im Handel sind verschiedene Bakterienstämme men steht der Flüssigkeits- und Elektrolytersatz
z. B. von apathogenen E. coli, Bifidobacteria spp. (Orale Rehydratationstherapie). Besonders
(in Omniflora® N), Lactobacillus spp. (z. B. Lac- Säuglinge, Kleinkinder und alte Patienten sind
teol®) sowie der Hefepilz Saccharomyces boular- sehr schnell durch Dehydratation gefährdet.
dii (z. B. Perenterol®). Eine orale Substitution mit Flüssigkeit und Elek-
Die Datenlage zur Wirksamkeit ist hetero- trolyten ist möglich, da die Resorptionsmecha-
gen. Für die Bakterienkultur mit dem Escheri- nismen nicht gestört sind. Sie erfolgt mit der
chia coli Stamm Nissle 1917 (z. B. MUTA- WHO-Lösung, die 13,5 g Glucose, 2,6 g NaCl,
FLOR®) konnte eine immunmodulierende Wir- 2,9 g Natriumcitrat und 1,5 g KCl in 1 l Wasser
kung gezeigt werden. Darüber hinaus bildet die enthält (z. B. Elotrans®). Der günstige Effekt der
Kultur antimikrobiell wirksame Substanzen, in- kombinierten Verabreichung von Natriumio-
duziert die Synthese von antimikrobiell wirken- nen und Glucose beruht darauf, dass diese ge-
den Defensinen in den Darmzellen und hemmt meinsam aktiv aus dem Darmlumen in die En-
die Invasion von enteroinvasiven Krankheitser- terozyten transportiert werden und daher die
regern in die Darmepithelzellen. MUTAFLOR® simultane Applikation eine Resorptionssteige-
ist u. a. bei Diarrhö von Säuglingen und Klein- rung und damit gleichzeitig – osmotisch bedingt
kindern indiziert. – eine verstärkte Aufnahme von Wasser bewirkt.
Auch für S. boulardii konnte in vitro eine Eine kurzdauernde symptomatische Thera-
wachstumshemmende Wirkung für bestimmte pie mit Loperamid oder Racecadotril ist bei un-
Erreger nachgewiesen werden. kompliziertem Verlauf möglich, bei schwerem
Krankheitsbild (z. B. mit blutigen Durchfällen,
25.5.3 Adsorbenzien und Fieber) sowie bei einer Infektion mit Salmonel-
Adstringenzien len, Shigellen, Campylobacter, Amöben oder
Unterstützend oder für die Behandlung leichte- Clostridium difficile soll wegen der Gefahr eines
rer Fälle von Diarrhö sind Adsorbenzien, insbe- toxischen Megakolons darauf verzichtet werden.
sondere Aktivkohle (Carbo medicinalis) und Probiotika können als supportive Maßnah-
Adstringenzien (Gerbstoff-haltige Präparate, me eingesetzt werden, für die Wirksamkeit von
z. B. Tannin-Eiweiß) im Handel. Als Mechanis- Adsorbenzien und Adstringenzien gibt es dage-
mus der (schwachen) antidiarrhoischen Wir- gen keine eindeutige Evidenz.
kung wird eine Hemmung der Toxinbindung an Zur Schmerztherapie kommen Paracetamol,
die Darmmukosa angenommen. Adstringenzi- Metamizol oder Opioide in Betracht, eine spas-
en sollen ferner eine Verdichtung des kolloida- molytische Therapie kann mit Butylscopolamin
len Gefüges der Oberfläche der entzündlich ver- durchgeführt werden.
änderten Darmschleimhaut und eine Schlie- Eine empirische Antibiotikatherapie kann
ßung kleinster Kapillaren bewirken, sodass die bei Diarrhö mit Fieber und/oder Blutabgängen
Hypersekretion aus dem entzündeten Gewebe oder bei Patienten mit einem Risiko für Kompli-
abnimmt. kationen (z. B. bei Immunsupprimierten, Senio-
ren) sowie bei fehlender klinischer Besserung
25.5.4 Behandlungsstrategien der indiziert sein. Zur Anwendung kommen z. B.
Diarrhö Azithromycin (1000 mg p. o. als Einzeldosis,
Eine akute, viral oder bakteriell bedingte Diar- Ⴉ Kap. 30.1.3.3), Ciprofloxacin (2 × 500 mg p. o.
rhö, einschließlich der Reisediarrhö, sistiert in für 3 Tage, Ⴉ Kap. 30.1.4.1) oder das für die Rei-
der Regel nach 2–3 Tagen spontan. Daher ist bei sediarrhö zugelassene Rifaximin.
unkompliziertem Verlauf eine spezifische medi- Rifaximin (Xifaxan®) ist ein halbsyntheti-
kamentöse Therapie meist nicht notwendig. sches Rifamycin-Derivat (Ⴉ Kap. 30.2.1.1). Wie
dieses hemmt es die DNA-abhängige RNA-Poly-
25.6 Laxanzien (Laxativa) 379

merase und dadurch die bakterielle RNA-Pro- Wirkprinzipien der Laxanzien. Quellstoffe, Os-
duktion. Es hat ein breites antimikrobielles molaxanzien sowie antiresorptiv und hydragog
Spektrum. Bei oraler Applikation wird die Sub- wirkende Laxanzien (႒ Tab. 25.6) wirken (un-
stanz nur minimal resorbiert (Lokalantibioti- spezifisch) dadurch, dass sie das intraluminale
kum), sodass systemische Wirkungen, Neben- Volumen vermehren und damit durch Erhö-
wirkungen und Arzneimittelinteraktionen sehr hung des Innendrucks im Darm peristaltische
unwahrscheinlich sind. Rifaximin ist außer zur Wellen auslösen. Prucaloprid, Methylnaltrexo-
Therapie der Reisediarrhö bei hepatischer Enze- niumbromid und Naloxon greifen dagegen se-
phalopathie indiziert, da es die Vermehrung lektiv über entsprechende Rezeptoren in die
ammoniakbildender Bakterien hemmt. Bei Darmperistaltik ein.
Reizdarmsyndrom mit Diarrhö wird es „off-la-
Rektale Entleerungshilfen enthalten entweder
bel“ eingesetzt. Die Dosierung beträgt 3 × täg-
Substanzen, die den Stuhl erweichen (z. B. Do-
lich 200 mg bis maximal 2 × täglich 400 mg
cusat-Natrium, Phosphate) oder solche, die die
(max. 3 Tage). Häufig beobachtete Nebenwir-
Defäkation reflektorisch auslösen (z. B. Glyce-
kungen waren meist Symptome, die denen der
rol, CO2-Bildner) oder auch Kombinationen
Reisediarrhö entsprechen. Eine Rotfärbung des
von beiden.
25
Urins ist trotz der geringen Resorption möglich.
Indikationen. Laxanzien sind zur Darmentlee-
rung vor diagnostischen oder operativen Ein-
25.6 Laxanzien (Laxativa) griffen, ferner bei schmerzhafter Stuhlentlee-
rung (z. B. infolge von Analfissuren), chroni-
Laxanzien (Abführmittel) sind Arzneimittel, die scher Obstipation (s. u.) oder bei chronischer
die Stuhlentleerung beschleunigen. Opioidgabe (z. B. im Rahmen einer chronischen
Schmerztherapie) indiziert. Sie können außer-
Pathophysiologie der Obstipation. Unter einer
dem bei bestimmten Krankheiten (z. B. Herzin-
Obstipation versteht man die verzögerte Entlee-
farkt) zur Reduktion des abdominellen Drucks
rung von trockenem und hartem Stuhl. Sie ist
bei der Bauchpresse notwendig sein.
entweder auf eine verlangsamte Darmpassage
(Transitstörung) oder einen gestörten Entlee- Nebenwirkungen. Die Einnahme von Abführ-
rungsreflex zurückzuführen. mitteln verursacht nur sehr selten schwerwie-
Als Ursachen für die verzögerte Darmpassa- gende Störungen (z. B. Dehydratation nach An-
ge kommen diätetische Faktoren (ungenügende wendung salinischer Abführmittel bei unzurei-
Füllung des Darms durch ballaststoffarme Nah- chender Wasserzufuhr oder Darmverschluss
rung), Darmwandveränderungen (z. B. durch nach Einnahme von Quellmitteln). Auch die
Tumoren, chronische Entzündungen), endokri- Langzeitanwendung führt bei bedarfsadaptier-
ne Störungen (z. B. bei Hypothyreose) sowie ter Obstipationsbehandlung weder zu Wasser-
funktionelle und organische Störungen des Ner- und Elektrolytverlusten noch zu Gewöhnung,
vensystems (z. B. Stress, Wirbelsäulenverletzun- Abhängigkeit oder Sucht. Bei übermäßigem
gen) in Betracht. Auch Arzneistoffe, z. B. Sedati- Gebrauch können allerdings Elektrolytverschie-
va, tricyclische Antidepressiva (anticholinerge bungen (z. B. Hypokaliämie) auftreten.
Wirkung), Verapamil oder insbesondere Opio-
Wechselwirkungen. Bei gleichzeitiger Gabe von
ide, können obstipierend wirken.
Diuretika und Corticosteroiden ist das Risiko
Einen gestörten Defäkationsmechanismus
für Elektrolytverschiebungen bei übermäßigem
findet man bei Erkrankungen des Analkanals
Gebrauch erhöht, die Empfindlichkeit gegen
(z. B. bei Hämorrhoiden, Analfissuren), bei Ver-
Herzglykoside kann dann gesteigert sein.
lust des rektalen Dehnungsreflexes oder bei
Schwäche der Bauchpresse.
380 25 Magen-Darm-Mittel

႒ Tab. 25.6 Einteilung der Laxanzien nach ihrem (Plantaginis ovatae semen, z. B. in Agiolax®)
Wirkprinzip und Weizenkleie.
Wirkprinzip Laxans
Die übliche Dosierung beträgt mehrere
Gramm (1–2 Teelöffel) abends nach dem Essen
Quellstoffe Leinsamen, Indischer mit reichlich Flüssigkeit. Auf eine ausreichende
Flohsamen, Weizenkleie Flüssigkeitszufuhr (1,5–2 l/Tag) ist zu achten,
um eine Verkleisterung des Darminhalts und
Osmolaxanzien Salinische Abführmittel:
Magnesium- und
die damit verbundene Ileusgefahr zu vermeiden.
Natriumsulfat; Als unangenehme Begleitsymptome können oft
Zuckeralkohole: Mannit, Blähungen und abdominelle Krämpfe auftreten.
Sorbit; Um die Menge der für die laxierende Wirkung
Zucker: Lactulose, Lactitol erforderlichen Quellstoffe verringern zu kön-
nen, werden diese häufig mit anderen Laxanzien
Wasserbindende Macrogol (Polyethylen-
kombiniert.
Laxanzien glycol 3350)

Antiresorptiv und Rizinusöl, 25.6.2 Osmotisch wirkende Laxanzien


hydragog wirkende Anthraglykoside (z. B. in Setzt man Wasser schwer resorbierbare Stoffe
Laxanzien Aloe, Faulbaumrinde), zu, wird entsprechend dem osmotischen Druck
Bisacodyl, Natriumpico- dieser Substanzen bei der Einnahme von nor-
sulfat motonen Lösungen die Resorption von Wasser
Selektive 5-HT4- Prucaloprid
aus dem Darm verringert, bei der Einnahme
Rezeptoragonisten von hypertonen Lösungen Wasser in das Darm-
lumen abgegeben und dadurch die Entleerung
Peripher wirksame Methylnaltrexoniumbro- reichlicher Kotmengen erreicht. Der Wirkungs-
Opioidrezeptor- mid, Naloxon1, Naloxegol eintritt hängt von der Menge und der Konzen-
Antagonisten tration der Salzlösung ab.
Rektale Entlee- Defäkations-stimulierende Salinische Abführmittel. Hierzu gehören Mag-
rungshilfen Suppositorien, Rektal- nesium- und Natriumsulfat (Bitter- und Glau-
lösungen oder Mikro-
bersalz), Natriumphosphat und Natriumcit-
klysmen (z. B. mit Glycerol,
rat. Am gebräuchlichsten sind Bitter- und
CO2-freisetzenden Sub-
stanzen)
Glaubersalz, von denen 10–20 g in normotoner
Lösung (MgSO4 · 7 H2O 3,3%ig, Na2SO4 · 10
1 In Fixkombination mit Oxycodon in retardierter Form H2O 4,2%ig) eingenommen werden.
Da die Salze teilweise resorbiert werden,
Kontraindikationen. Bei Darmperforation oder kann es bei längerer Anwendung Natriumio-
Obstruktion, Ileus sowie schweren entzündli- nen-haltiger Abführmittel zu einer Flüssigkeits-
chen Erkrankungen des Darmtrakts (z. B. Mor- retention und Hypertonie kommen. Nach Gabe
bus Crohn, akute Appendizitis) sind Laxanzien Magnesiumionen-haltiger Laxanzien muss ins-
kontraindiziert. besondere bei niereninsuffizienten Patienten
infolge unzureichender Ausscheidung von Mag-
nesiumionen mit Muskelschwäche, Reflexaus-
25.6.1 Quellstoffe
fällen und Blutdruckabfall gerechnet werden.
Als milde Laxanzien eignen sich natürlich vor-
Dementsprechend ist bei Hypertonikern und
kommende oder partialsynthetisch abgewan-
herzinsuffizienten Patienten Glaubersalz und
delte quellfähige, nicht verdaubare Polysaccha-
bei niereninsuffizienten Patienten Bittersalz
ride. Hierzu gehören u. a. Inhaltsstoffe von Lein-
kontraindiziert.
samen (Lini semen), Indischem Flohsamen
25.6 Laxanzien (Laxativa) 381

Zuckeralkohole und Zucker. Weitere Osmola- chem Ausmaß den Einstrom von Elektrolyten
xanzien sind die schwer resorbierbaren Zucker- und Wasser in das Darmlumen (hydragoge Wir-
alkohole Mannit und Sorbit sowie die Zucker kung), und zwar vor allem dadurch, dass sie die
Lactulose und Lactitol. Durchlässigkeit im Bereich der „tight junctions“
Das aus d-Galactose und Fructose bestehen- erhöhen.
de Disaccharid Lactulose (z. B. Bifiteral®) sowie
Rizinusöl. Rizinusöl (z. B. Laxopol®) besteht
Lactitol (Importal®) wirken ferner dadurch la-
vorwiegend aus dem Triglycerid der Ricinolsäu-
xierend, dass sie im Kolon von Darmbakterien
re (12-Hydroxyölsäure). Aus dem unwirksamen
zu Säuren (Essig-, Propion-, Butter- bzw. Milch-
Triglycerid wird im Dünndarm durch Lipasen
säure) vergärt werden, die die Peristaltik anre-
der eigentliche Wirkstoff, die Ricinolsäure, frei-
gen. Die dabei entstehende Gasbildung wirkt oft
gesetzt. Die Wirkung tritt nach etwa 8 Stunden
störend.
ein. Die übliche Dosis beträgt 1,5–6 g, die Be-
Darüber hinaus reagiert Ammoniak (NH3)
handlungsdauer sollte 14 Tage nicht überschrei-
mit den oben genannten Säuren zu nichtresor-
ten. Da es aufgrund der stark abführenden Wir-
bierbaren Ammoniumionen (NH4+), sodass
kung zu krampfartigen Bauchschmerzen kom-
Lactulose bei Patienten mit einer hepatischen
men kann, hat es an Bedeutung verloren.
25
Enzephalopathie (z. B. im Rahmen einer Leber-
zirrhose) den Ammoniakspiegel erniedrigen Anthraglykoside. In Extrakten von Aloe, Faul-
und so zu einer Verbesserung der Symptomatik baumrinde (Frangulae cortex), Kreuzdornbee-
führen kann. ren (Rhamni catharticae fructus), Sennesblät-
tern oder -früchten (Sennae folium, Sennae
25.6.3 Wasserbindende Laxanzien fructus), Rhabarber (Rhei radix) und anderen
Macrogol (Polyethylenglycol 3350, z. B. Movi- Drogen kommen chemisch nahe verwandte Hy-
col®) bindet das Wasser, mit dem es eingenom- droxyanthrachinonglykoside (Anthraglykoside)
men wird, und transportiert es bis in den Dick- vor. Sie wirken sekretagog (antiresorptiv und
darm. Der Stuhl wird dadurch erweicht, und in- hydragog) und prokinetisch. Die genannten
folge des erhöhten Darminhaltvolumens nimmt Substanzen werden erst nach Spaltung der Gly-
die Peristaltik zu. Macrogol wird weder resor- kosidbindungen im Darm und nach Reduktion
biert noch metabolisiert. Es wird meist in Kom- zu Anthronen bzw. Anthranolen (durch Coli-
bination mit Elektrolyten (Kalium- und Natri- Bakterien) wirksam. Bei oraler Gabe tritt die
umchlorid, Natriumhydrogencarbonat) einge- Wirkung nach etwa 8–10 Stunden ein. Die
setzt. Neben Obstipation ist die Darmreinigung Hauptmenge der Anthrachinon-Derivate wird
vor diagnostischen Untersuchungen (z. B. Kolo- mit dem Stuhl ausgeschieden. Nur ein kleiner
skopien) und operativen Eingriffen am Darm Teil erscheint im Harn, der dadurch dunkel ge-
eine wichtige Indikation (z. B. Endofalk® Clas- färbt ist. Die Dosierung hängt vom Wirkstoffge-
sic). Dafür müssen beispielsweise 3–4 l Lösung halt der Extrakte ab. Die akuten Nebenwirkun-
(z. B. 105 g Macrogol/l Wasser) in Portionen von gen sind gering, krampfartige Bauchschmerzen
200–300 ml über einen Zeitraum von 4 Stunden können auftreten, eine (reversible) Pigmentie-
getrunken werden, bis der rektale Ausfluss klar rung der Darmschleimhaut ist möglich.
ist.
Triarylmethane. Wirkstoffe dieser Substanz-
gruppe sind Bisacodyl (z. B. Dulcolax®) und
25.6.4 Antiresorptiv und hydragog
Natriumpicosulfat (z. B. Laxoberal®). Es han-
wirkende Laxanzien
delt sich um Prodrugs der gleichen Wirksub-
Laxanzien dieses Typs hemmen die Natriumio-
stanz Bis-(p-Hydroxyphenyl)-pyridyl-2-me-
nen- und Wasserresorption durch Blockade der
than (BHPM), die zusätzlich zur antiresorptiven
Na+/K+-abhängigen ATPase (antiresorptive
und hydragogen Wirkung auch die propulsive
Wirkung). Zugleich fördern sie in unterschiedli-
382 25 Magen-Darm-Mittel

Motilität des Colons stimuliert. Die Wirkung er- wenn herkömmliche Laxanzien nicht ausrei-
folgt lokal im Darm. chend wirken. Erwachsene nehmen 1-mal täg-
lich 2 mg ein, bei Niereninsuffizienz und für äl-
Bisacodyl, der Essigsäureester von BHPM, wird
tere Patienten (> 65 Jahre) wird die Dosis hal-
nach oraler Applikation durch Esterasen der en-
biert.
terischen Mucosa zum Diphenol-Derivat
Zu Behandlungsbeginn (besonders am 1. Be-
BHPM hydrolysiert. Handelsübliche orale For-
handlungstag) können Kopfschmerzen, Übel-
mulierungen sind magensaftresistent überzo-
keit, Durchfall, Bauchschmerzen, Schwindel,
gen, sodass der Wirkstoff pH-abhängig vor al-
Erbrechen, Dyspepsie, Rektalblutung, häufiger
lem im Dickdarm freigesetzt wird. Es werden
Harndrang und Müdigkeit auftreten.
nur geringe Mengen resorbiert und in der
Prucaloprid ist ein schwaches P-gp-Substrat.
Darmwand und der Leber zum unwirksamen
Wechselwirkungen mit P-gp-Inhibitoren (z. B.
Glucuronid konjugiert.
Verapamil, Ciclosporin, Chinidin) sind mög-
Natriumpicosulfat, der Schwefelsäureester
lich. Mit klinisch relevanten, CYP-vermittelten
von BHPM, wird im Gegensatz zu Bisacodyl
Interaktionen ist dagegen nicht zu rechnen, da
ausschließlich durch Bakterien im Dickdarm in
Prucaloprid nur geringfügig metabolisiert wird.
die Wirkform überführt. Spezielle Arzneifor-
Bei dialysepflichtiger Beeinträchtigung der
mulierungen für eine gezielte Freisetzung im
Nierenfunktion und während einer Schwanger-
Darm sind daher nicht erforderlich, Natrium-
schaft darf Prucaloprid nicht eingenommen
picosulfat ist z. B. auch in Form von Tropfen er-
werden. Frauen im gebärfähigen Alter sollen auf
hältlich. Allerdings kann die gleichzeitige Gabe
eine wirksame Empfängnisverhütung achten
von Antibiotika zum Wirkverlust führen. Natri-
(orale Kontrazeptiva können bei starken Durch-
umpicosulfat selbst wird kaum resorbiert.
fällen unwirksam sein).
Der Wirkungseintritt der Triarylmethane er-
folgt 6–12 Stunden nach oraler Einnahme, nach
25.6.6 Peripher wirksame
rektaler Applikation (nur Bisacodyl) dagegen
Opioidrezeptor-Antagonisten
schon nach ca. 20 min. Die Dosis beträgt bei bei-
Zu den peripher wirksamen Opioidrezeptor-
den Substanzen 5–10 mg.
Antagonisten gehören Methylnaltrexonium-
bromid und Naloxegol. Sie sind zur Behandlung
25.6.5 Selektive 5-HT4- der Opioid-induzierten Obstipation (die fast
Rezeptoragonisten immer als Nebenwirkung einer Schmerzthera-
Prucaloprid (Resolor), die derzeit einzige Sub- pie mit Opioiden auftritt) indiziert, wenn ande-
stanz aus dieser Gruppe, löst durch die Stimulie- re Laxanzien nicht wirken. Auch der Opioid-
rung von 5-HT4-Rezeptoren peristaltische Re- rezeptor-Antagonist Naloxon (Ⴉ Kap. 12.1.5.1)
flexe aus, beschleunigt dadurch die Magen- ist nur peripher wirksam, sofern er oral appli-
Darm-Passage und fördert die Bewegung des ziert wird.
Darminhalts im Dickdarm mit nachfolgender
Methylnaltrexoniumbromid. Methylnaltrexoni-
Verbesserung der Entleerung.
umbromid (Relistor®) ist ein Opioidrezeptor-
Nach oraler Gabe wird Prucaloprid rasch re-
Antagonist, der als quartäre Ammoniumverbin-
sorbiert. Die absolute orale Bioverfügbarkeit ist
dung die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden
> 90 %. Die Substanz wird nur geringfügig meta-
kann. Dementsprechend werden nur die peri-
bolisiert und hauptsächlich durch passive Filtra-
pheren, für die Obstipation verantwortlichen,
tion und aktive Sekretion unverändert über die
nicht aber die zentralnervösen Opioid-Wirkun-
Niere ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt
gen (insbesondere Analgesie) antagonisiert.
ca. 24 Stunden.
Methylnaltrexoniumbromid wird nach s. c.
Prucaloprid ist für die symptomatische Be-
Gabe rasch resorbiert. Die Substanz wird haupt-
handlung chronischer Verstopfung zugelassen,
25.6 Laxanzien (Laxativa) 383

sächlich unverändert renal und biliär ausge- Die Dosierung beträgt 25 mg p. o. täglich.
schieden, es findet nur eine mäßige Biotransfor- Sehr häufige Nebenwirkungen sind abdomina-
mation zu teils noch schwach aktiven Metaboli- ler Schmerz und Diarrhö. Starke CYP3A4-In-
ten statt. Die Halbwertszeit liegt bei 7–8 Stun- hibitoren sind kontraindiziert.
den.
Die empfohlene Dosis beträgt je nach Ge- 25.6.7 Rektale Entleerungshilfen
wicht der Patienten 8–12 mg s. c. jeden zweiten Rektale Entleerungshilfen wirken lokal im Darm
Tag (max. 4 Monate). Bei schwerer Niereninsuf- und sind in Form von Suppositorien, Rektallö-
fizienz ist eine Dosisreduktion erforderlich. sungen oder Mikroklysmen verfügbar. Während
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkun- Glycerol und CO2-Bildner den Defäkationsre-
gen sind abdominelle Schmerzen, Schwindel, flex direkt stimulieren, weichen Docusat-Natri-
Übelkeit, Durchfall und Hyperhidrose. Fälle von um wie auch Phosphate oder Sorbit den Stuhl
gastrointestinalen Perforationen wurden eben- auf, wodurch die Defäkation ausgelöst wird. Der
falls berichtet. Wirkungseintritt erfolgt normalerweise nach
15–20 min.
Naloxon und Naloxegol. Zur Verringerung der
Opioideffekte lokal im Darm wird außerdem
Glycerol (z. B. Glycilax®) wirkt dehydratisie- 25
rend und irritierend auf die Rektalschleimhaut.
das Opioid Oxycodon mit dem Opioidantago-
Die Defäkation wird reflektorisch durch Kon-
nisten Naloxon kombiniert (Handelspräparat
takt der hypertonen Glycerollösung mit der
Targin®), das nach oraler Gabe wegen eines sehr
Schleimhaut ausgelöst. Die Dosierung beträgt
ausgeprägten First-Pass-Effekts in der Leber
1–2 g Glycerol 85 %.
praktisch nicht systemisch verfügbar wird und
CO2-Bildner wie Natriumhydrogencarbonat
somit die zentralnervösen Oxycodon-Effekte
(z. B. 500 mg mit 680 mg Natriumdihydrogen-
nicht bzw. kaum antagonisiert.
phosphat in Lecicarbon®) setzen CO2 im Darm
Naloxegol (Moventig®) ist ein pegyliertes Nalo- frei, das reflektorisch die Peristaltik aktiviert
xon-Derivat, das als relativ hydrophiles Makro- und den Entleerungsreflex auslöst.
molekül die Blut-Hirn-Schranke (im Gegensatz Docusat-Natrium (Natriumdioctylsulfosuc-
zu Naloxon) nicht überwindet und somit die cinat) setzt als anionisches Detergens die Ober-
Opioidwirkung (Analgesie) nicht antagonisiert. flächenspannung herab und bewirkt so eine Er-
Durch Pegylierung ist es zu einem Substrat des höhung des Wassergehalts des Stuhls und damit
Effluxtransporters P-gp geworden, der u. a. in dessen Erweichung. In dem Handelspräparat
der Blut-Hirn-Schranke exprimiert wird. Ob Norgalax® Rektalgel ist zusätzlich zu Docusat-
dieser wesentlich dazu beiträgt, dass Naloxegol Natrium Glycerol (s. o.) enthalten. Die Dosie-
im ZNS keine relevanten Konzentrationen er- rung beträgt 0,12 g Docusat-Natrium und 3 g
reicht, ist fraglich, da die gleichzeitige Gabe von Glycerol.
P-gp-Inhibitoren die Penetration der Blut-Hirn- Phosphathaltige Klistiere (z. B. Klistier®,
Schranke (gemessen am Effekt der Morphin-in- Klysma®) binden osmotisch Wasser und wirken
duzierten Miosis) praktisch nicht erhöht. dadurch Stuhl aufweichend. Falls keine schnelle
Naloxegol wird rasch resorbiert und ist (im Defäkation erfolgt, werden die in den Klistieren
Gegensatz zu Naloxon) systemisch verfügbar. Es enthaltenen Phosphat- und Natriumionen aller-
wird vorwiegend über CYP3A4 zu verschiede- dings z. T. resorbiert und können dann zu
nen Metaboliten verstoffwechselt und mit einer schweren Elektrolytstörungen (Hyperphos-
Halbwertszeit von 6–11 Stunden vor allem mit phatämie, Hypernatriämie, Azidose) führen. Bei
den Fäzes ausgeschieden. Säuglingen und Kleinkindern dürfen sie daher
nicht angewendet werden.
384 25 Magen-Darm-Mittel

25.6.8 Behandlungsstrategie der Bei oraler Gabe wird Metoclopramid rasch


chronischen Obstipation resorbiert, die Bioverfügbarkeit beträgt ca. 60–
Die chronische Obstipation wird nach einem 80 %. Die Substanz überwindet die Blut-Hirn-
Stufenschema behandelt. Die Therapie sollte Schranke und wird teils unverändert, teils meta-
sich zunächst auf Allgemeinmaßnahmen wie bolisiert (via CYP2D6) und konjugiert (als
z. B. ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Be- Glucuronid, Sulfat) renal ausgeschieden. Die
wegung sowie ballaststoffreiche Ernährung be- Halbwertszeit liegt bei ca. 2,5–4,5 Stunden.
schränken. Bei unzureichender Wirksamkeit Es ist indiziert zur Motilitätssteigerung des
werden zusätzlich Ballaststoffe (z. B. Flohsa- oberen Magen-Darm-Trakts, bei Übelkeit und
menschalen) gegeben. Wird kein ausreichendes Erbrechen (z. B. bei Migräne, Leber- und Nie-
Ergebnis erzielt, sieht die 2. Stufe Macrogol oder renerkrankungen, Schädel- und Hirnverletzun-
Bisacodyl oder Natriumpicosulat als Mittel der gen, Arzneimittelunverträglichkeit) sowie bei
1. Wahl vor, ggf. in Kombination mit Ballaststof- diabetischer Gastroparese. Die Dosierung be-
fen. Alternativ kommen oral applizierte Zucker trägt 10 mg 3–4-mal täglich (für max. 3 Monate).
(z. B. Lactulose) oder Anthraglykoside in Be- Als Nebenwirkungen können wegen der Blo-
tracht, zusätzlich können Suppositorien oder ckade zentraler Dopaminrezeptoren Müdigkeit,
Klysmen angewendet werden. Bei Wirkungslo- Schwindel, depressive Verstimmung und wie bei
sigkeit kommt auf der 3. Stufe Prucaloprid zur der Gabe von Antipsychotika extrapyramidal-
Anwendung. Eine Alternative stellt – gemäß motorische Störungen auftreten. Da die dopa-
Leitlinie – der Wasser- und Chlorid-Sekretions- minerge Hemmung der Prolactinsekretion weg-
stimulator Lubipriston dar, der allerdings in fällt, kann insbesondere bei längerer Behand-
Deutschland (noch) nicht zugelassen ist. Ist die lung eine Hyperprolactinämie (z. B. mit Galak-
Wirksamkeit immer noch unzureichend, kön- torrhö, Menstruationsstörungen) entstehen.
nen schließlich alle Therapiestufen miteinander Aufgrund der prokinetischen Wirkung be-
kombiniert werden. Im Fall einer Opioid-be- einflusst Metoclopramid die Resorption von an-
dingten Obstipation können dann außerdem deren Arzneistoffen: So wird die Resorption von
periphere Opioidantagonisten eingesetzt wer- z. B. Digoxin und oralen Kontrazeptiva vermin-
den. dert, die von Ciclosporin dagegen leicht erhöht.
Antipsychotika verstärken die extrapyramidalen
Nebenwirkungen von Metoclopramid. Bei
25.7 Prokinetika gleichzeitiger Gabe von SSRI (besonders von
solchen, die CYP2D6 inhibieren, z. B. Fluoxetin
Zur Beschleunigung der Magenentleerung und oder Paroxetin) wurden Fälle eines Serotonin-
gleichzeitig der Dünndarmpassage bei funktio- syndroms beobachtet.
nellen Magen-Darm-Beschwerden und Magen- Kontraindikationen sind Phäochromozy-
entleerungsstörungen werden Metoclopramid tom, Prolactin-abhängige Karzinome, mechani-
und Domperidon angewandt. Prucaloprid, ein scher Ileus, Blutungen im Magen-Darm-Be-
weiteres Prokinetikum, ist als Laxans zugelassen reich, Epilepsie und Patienten mit extrapyrami-
(Ⴉ Kap. 25.6.5). dalen Störungen sowie Säuglinge und Kleinkin-
der (< 1 Jahr).
Metoclopramid. Metoclopramid (z. B. Pasper-
tin®) wirkt antagonistisch an Dopaminrezepto- Domperidon. Domperidon (z. B. Motilium®)
ren (D2-Rezeptoren), weshalb es auch als Anti- blockiert nur periphere Dopaminrezeptoren, da
emetikum genutzt wird. Ferner wirkt es antago- es die Blut-Hirn-Schranke quasi nicht überwin-
nistisch an 5-HT3-Rezeptoren und agonistisch det.
an 5-HT4-Rezeptoren.
25.8 Sonstige Magen-Darm-Mittel 385

Bei oraler Gabe wird es rasch resorbiert. In- 25.8 Sonstige Magen-Darm-Mittel
folge eines First-Pass-Effekts in der Darmwand
und der Leber liegt die Bioverfügbarkeit aber 25.8.1 Verdauungsenzyme zur
nur bei etwa 15 %. Die Halbwertszeit beträgt Substitutionstherapie
etwa 7–9 Stunden. Die Ausscheidung erfolgt Die Gabe von Verdauungsenzymen, insbeson-
großenteils nach Metabolisierung (durch dere die von Pankreasenzymen (Pankreatin), ist
CYP3A4, CYP1A2, CYP2E1) renal und biliär. bei exokriner Pankreasinsuffizienz (z. B. als Fol-
Die Substanz wird bei Erwachsenen und Ju- ge einer chronischen Pankreatitis, einer Pankre-
gendlichen über 12 Jahren zur Besserung von atektomie oder bei Mukoviszidose) indiziert.
Übelkeit, Erbrechen, epigastrischem Völlege- Pankreatin ist ein Pankreas-Pulver aus Säuge-
fühl und Oberbauchbeschwerden eingesetzt. tierpankreas, zumeist vom Schwein. Neben Li-
Die tägliche Dosis sollte 30 mg nicht überschrei- pasen, Amylasen sind die Proteasen Trypsin
ten, die Behandlung nicht länger als 1 Woche und Chymotrypsin sowie Carboxypeptidasen
dauern. und noch andere Enzyme enthalten. Empfohlen
Nebenwirkungen sind Hyperprolactinämie wird eine Dosis mit einem Lipaseanteil von
(s. Metoclopramid; die Hypophyse liegt außer- 20 000–40 000 Ph.-Eur.-Einheiten pro Mahlzeit. 25
halb der Blut-Hirn-Schranke!) und Herzrhyth- Da Proteine im sauren Magensaft denaturiert
musstörungen (QT-Intervall-Verlängerung). werden, müssen alle Verdauungsenzympräpara-
Extrapyramidal-motorische Störungen sind ge- te magensaftresistent überzogen sein.
ring ausgeprägt, sie wurden hauptsächlich bei
Neugeborenen und Kleinkindern beobachtet. 25.8.2 Peripher wirkende
Da Domperidon vor allem über CYP3A4 me- Antiadiposita
tabolisiert wird, kommt es bei gleichzeitiger Orlistat (z. B. Xenical®) hemmt lokal gastroin-
Gabe von CYP3A4-Hemmern (z. B. Ritonavir, testinale Lipasen durch kovalente Bindung an
Erythromycin) zu einer Hemmung des First- den Serin-Rest im aktiven Zentrum der Enzy-
Pass-Effekts und somit zu erhöhten Domperi- me. Folglich können die Triglyceride nicht in
don-Plasmaspiegeln. resorbierbare freie Fettsäuren und Monoglyceri-
Bei Patienten mit Prolactin-produzierendem de gespalten werden und etwa ein Drittel des
Hypophysentumor, schwerer Leberinsuffizienz zugeführten Nahrungsfetts wird unverdaut aus-
sowie QT-Intervall-Verlängerung ist Domperi- geschieden. Die Gewichtsabnahme ist im Ver-
don kontraindiziert. Auch die gleichzeitige Gabe gleich zu Placebo mit ca. 3 kg nach 2 Jahren al-
starker CYP3A4-Inhibitoren sowie von Sub- lerdings recht gering.
stanzen, die das QT-Intervall verlängern, ist Orlistat ist in Verbindung mit einer leicht hy-
nicht erlaubt. pokalorischen Kost zur Behandlung von adipö-
sen Patienten indiziert (BMI ≥ 30 bzw. 28, wenn
Motilin-Agonisten. Bereits in subantibiotischen
gleichzeitig Risikofaktoren vorliegen). Die Do-
Dosen ruft Erythromycin (Ⴉ Kap. 30.1.3.3)
sierung beträgt 3-mal täglich 120 mg unmittel-
durch Stimulation von Motilinrezeptoren kräfti-
bar vor, während oder bis 1 Stunde nach jeder
ge Kontraktionen von Antrum und Duodenum
Hauptmahlzeit. In der 60 mg-Dosierung ist Or-
hervor. Erythromycin-Analoga ohne antimikro-
listat (alli®) rezeptfrei erhältlich.
bielle Wirkung befinden sich in der Entwick-
Sehr häufige Nebenwirkungen sind gastroin-
lung als Prokinetika.
testinale Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen,
Diarrhöen, fettige, ölige Stühle, Stuhlinkonti-
nenz), vor allem nach fettreicher Mahlzeit, fer-
ner Infektionen der Atem- und Harnwege. Au-
ßerdem besteht das Risiko einer Hyperoxalurie
386 25 Magen-Darm-Mittel

durch eine gesteigerte Resorption von Oxalat (→ Cholekinetika. Diese werden bei Störungen des
Oxalat-Nephropathie → Nierenversagen) sowie Gallenabflusses (Dyskinesien) aus der Gallen-
einer Hypothyreose (evtl. wegen verminderter blase und den Gallengängen sowie bei der rönt-
Resorption von Iodsalzen). genologischen Prüfung der Entleerungsfähig-
Die Resorption gleichzeitig gegebener (lipo- keit der Gallenblase gegeben. Lösungen von Ma-
philer) Arzneimittel (z. B. Ciclosporin, Antiepi- gnesiumsulfat (10–30%ig) oder Sorbit (80%ig)
leptika) und fettlöslicher Vitamine kann ver- führen reflektorisch zu einer Entleerung der
mindert sein. Gallenblase. Bei Motilitätsstörungen der Gallen-
wege unterstützen Spasmolytika den Effekt.
25.8.3 Choleretika, Cholekinetika
Gallensteine (Cholelithiasis). Das Gallenstein-
und Stoffe zur Auflösung von
leiden ist die häufigste Erkrankung der Gallen-
Gallensteinen
wege und der Gallenblase (Prävalenz etwa 10 %).
Choleretika erhöhen die Galleproduktion in der
Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen
Leber, Cholekinetika fördern die Entleerung der
wie Männer. Nach ihren Hauptkomponenten
Gallenblase. Die therapeutische Bedeutung die-
unterscheidet man Cholesterolsteine, die vor-
ser Substanzgruppe ist trotz häufiger Verord-
wiegend Cholesterol und daneben Calciumsalze
nung sehr gering.
sowie Matrixproteine enthalten (Häufigkeit ca.
Choleretika. Choleretisch wirken Gallensäuren, 75 %), und Pigmentsteine (Bilirubinsteine;
die nach der Resorption aus dem Dünndarm als Häufigkeit etwa 25 %). Prädisponierende Fakto-
gallepflichtige Substanzen die Sekretion von ren für eine Gallensteinbildung sind Hypercho-
Galleflüssigkeit hervorrufen. Neben Ochsengal- lesterolämie und Entleerungsstörungen der Gal-
le (Fel tauri) wird Dehydrocholsäure verwen- lenblase. Nur bei etwa 25 % aller Steinträger tre-
det. Choleretika sind nur indiziert, wenn ein ten Gallenkoliken auf.
vermehrter Gallefluss in den ableitenden Gal-
Medikamentöse Auflösung von Gallensteinen.
lenwegen notwendig ist (z. B. beim Vorliegen
Die medikamentöse Gallensteinauflösung hat
von Gallensteingrieß).
an Bedeutung verloren und wurde durch chirur-
Kontraindikationen für alle Choleretika sind
gische Methoden (z. B. laparoskopische Chole-
akute Hepatitis, Gallenblasenempyem und me-
cystektomie) fast vollständig verdrängt. Zur me-
chanischer Verschluss der Gallenwege, z. B.
dikamentösen Auflösung von relativ kleinen
durch Gallensteine oder Tumoren.
(< 15 mm Durchmesser) Cholesterol-Gallen-
Eine Substanz mit spasmolytischen und cho-
steinen (Pigmentsteine können nicht aufgelöst
leretischen Eigenschaften ist Hymecromon
werden) sind Chenodesoxycholsäure (Cheno-
(z. B. Chol-Spasmoletten®). Nach nahezu voll-
diol, z. B. Xenbilox®) oder Ursodesoxycholsäu-
ständiger oraler Resorption wird es in der Leber
re (Ursodiol, z. B. Ursofalk®) oder Kombinatio-
glucuronidiert und renal sowie biliär ausge-
nen aus beiden Substanzen (Lithofalk®) zugelas-
schieden. Die Halbwertszeit wird mit 1–3 Stun-
sen.
den angegeben. Hymecromon ist bei funktionel-
Die Wirkung beruht auf einer Hemmung der
len Störungen im rechten Oberbauch sowie bei
biliären Cholesterolsekretion (Ursodiol, Cheno-
Beschwerden nach Gallenblasenentfernung zu-
diol), der Cholesterolsynthese durch Blockade
gelassen. Die übliche Dosierung beträgt 3-mal
der HMG-CoA-Reduktase (Chenodiol) und der
täglich 1200 mg. Seltene Nebenwirkungen sind
intestinalen Cholesterolresorption (Ursodiol).
Völlegefühl, Durchfall, aber auch Verstopfung.
Bei etwa 60 % der behandelten Patienten kann
Hymecromon ist bei schwerer Niereninsuffizi-
innerhalb von 6–24 Monaten mit einer Steinauf-
enz, Darmverschluss, entzündlichen Darmer-
lösung gerechnet werden. Die Gefahr von Rezi-
krankungen und schweren Leberfunktionsstö-
divsteinen nach Absetzen der Therapie liegt bei
rungen kontraindiziert.
etwa 40 % nach 5 Jahren. Die Dosierung von
25.8 Sonstige Magen-Darm-Mittel 387

Chenodiol beträgt 15 mg/kg, die von Ursodiol Beide Substanzen sind bei entzündlichen Er-
10 mg/kg täglich. Als Nebenwirkungen wurden krankungen der Gallenwege und des Magen-
gastrointestinale Störungen, insbesondere Diar- Darm-Trakts, Choledochus- oder Zystikusver-
rhöen, ferner ein vorübergehender Anstieg der schluss, schweren Leber- und Nierenstörungen,
Serumtransaminasen beschrieben. häufigen Koliken sowie während einer Schwan-
Colestyramin und Aluminium-haltige Anta- gerschaft kontraindiziert.
zida vermindern die Resorption von Chenodiol
und Ursodiol.

25
388 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-


Basen-Haushalt sowie am Urogenitaltrakt
angreifende Pharmaka

26.1 Diuretika Tolvaptan (s. u.) zur Verfügung steht, wird im


ärztlichen Alltag meist anstatt Saluretikum die
Mit dem Überbegriff Diuretika werden Sub- Bezeichnung Diuretikum verwendet.
stanzen bezeichnet, die eine vermehrte Harn-
Physiologische Grundlagen der Harnbildung –
ausscheidung bewirken. Ist mit der gesteigerten
Basis für das Verständnis der Wirkung von Diu-
Wasser- auch eine erhöhte Salzausscheidung
retika. Die Harnproduktion erfolgt in den etwa
verbunden, spricht man von Saluretika oder
1 Mio. Nephronen der Nieren (Ⴜ Abb. 26.1). Je-
Natriuretika. Aquaretika sind Wirkstoffe, die
des Nephron besteht aus einem Nierenkörper-
nur die Wasserausscheidung, nicht dagegen die
chen (Ⴜ Abb. 26.2) und dem Tubulusapparat.
Natriumchloridexkretion erhöhen. Da jedoch
Saluretika therapeutisch bedeutsamer sind als Aus dem die Nieren durchfließenden Blut wird
Aquaretika und derzeit als Aquaretikum nur im Glomerulus des Nierenkörperchens ein na-
hezu eiweißfreies Ultrafiltrat, der Primärharn,
in die Bowman-Kapsel, den Anfang des Tubu-
Pars Glomerulus
convoluta Vas afferens lusapparats, abgepresst (filtriert). Uneinge-
Vas efferens

Pars Macula densa


convo- Distaler
Proxi- luta Epitheloid- Tubulus
maler zellen Vas
Tubulus efferens
Pars
recta Vas
afferens
Distaler
Tubulus

Henle-
Schleife
Sammel- Bowman-
Glomerulus-
rohr Kapsel
kapillare

Überlei- Proximaler
tungs- Tubulus
stück
Ⴜ Abb. 26.2 Nierenkörperchen mit Macula densa.
Ⴜ Abb. 26.1 Nephron in schematischer Darstellung Das Vas afferens ist eröffnet. Nach Kristic
26.1 Diuretika 389

schränkt filtrierbar sind Stoffe mit einer Mole- und damit eine Zunahme der Konzentration der
kularmasse bis zu etwa 5000 Da, niedermoleku- drei Ionen in diesen Nierenzellen. Durch Spal-
lare Bestandteile liegen daher im Primärharn in tung von ATP und ADP wird nun vermehrt
der gleichen Konzentration wie im Blutplasma Adenosin gebildet. Dieses stimuliert Adenosin-
vor. Für Substanzen mit einer Molekularmasse (A1-)Rezeptoren, wodurch die Ca2+-Konzen-
zwischen 5000 Da und 50 000 Da besteht be- tration in der Gefäßmuskulatur erhöht und wie
schränkte Filtrierbarkeit. Da aber bereits die beim Bayliss-Effekt eine Konstriktion der Vasa
kleinsten Plasmaeiweißkörper, die Albumine, afferentia bewirkt wird. Dadurch wird die Blut-
eine Molekularmasse von etwa 70 000 Da besit- zufuhr in den Glomeruluskapillaren reduziert
zen, können Proteine das intakte Nierenfilter sowie der intrakapilläre Druck erniedrigt. Dane-
praktisch nicht passieren. ben spielen noch weitere Faktoren eine Rolle.
Das pro Zeiteinheit in sämtlichen Glomeruli Diskutiert wird u. a. ein lokales Renin-Angio-
abgepresste Filtratvolumen wird als glomerulä- tensin-Aldosteron-System.
re Filtrationsrate (GFR) bezeichnet. Sie beträgt Aus der Bowman-Kapsel gelangt der Primär-
im frühen Erwachsenenalter beim Mann harn in die verschiedenen Abschnitte des Tubu-
125 ml/min und bei der Frau 110 ml/min. Pro lus- und Sammelrohrapparats und verändert
Tag werden somit etwa 180 l Primärharn produ- sich auf diesem Wege durch Resorptions- und
ziert! Sekretionsprozesse grundlegend: Der größte
Voraussetzung für eine gleichmäßige glome- Teil der gelösten Bestandteile und 99 % des Was-
26
ruläre Filtration ist eine weitgehende Konstanz sers werden (rück)resorbiert und dem Blut-
der Durchblutung bzw. des glomerulären Kapil- kreislauf wieder zugeführt. Aus dem Primär-
lardrucks. Sie wird durch Autoregulation ge- harn wird der Endharn (Urin). Um diese Trans-
währleistet, an der sowohl das zuführende (Vas portprozesse zu bewältigen, benötigen die
afferens) als auch das abführende (Kapillar-)Ge- Nieren ca. 7 % des Gesamtkörper-Sauerstoffver-
fäß (Vas efferens) beteiligt sind. brauchs.
Die myogene Komponente der Autoregulati- Im proximalen Tubulus werden – neben
on besteht darin, dass bei einer Steigerung des Glucose und Aminosäuren – von dem glomeru-
arteriellen Drucks in den Nierenarteriolen infol- lär filtrierten Natriumchlorid (filtrierte Menge
ge Öffnung von Calciumkanälen und dadurch ca. 600 g/Tag) und vom Wasser ca. 60–70 % re-
bedingter Erhöhung der intrazellulären Cal- sorbiert. Auch Kaliumionen werden zu einem
ciumionen-Konzentration der Tonus der glatten hohen Prozentsatz in diesem Tubulusabschnitt
Gefäßmuskulatur zunimmt und damit die glo- aus dem Primärharn wieder in die Blutbahn auf-
meruläre Durchblutung gedrosselt wird (Bay- genommen.
liss-Effekt). Im Bereich der Henle-Schleife, vorwiegend
Ein weiterer an der Autoregulation beteiligter im dicken aufsteigenden Schleifenschenkel,
Mechanismus ist die tubuloglomeruläre Rück- werden ca. 20–30 % des filtrierten Natrium-
kopplung (tubuloglomeruläres Feedback, TGF), chlorids, aber nur ca. 10 % Wasser resorbiert.
d. h. die Rückwirkung vom Tubulus auf den Ge- Zwar erfolgt (wie im gesamten Tubulusapparat)
fäßpol des Nierenkörperchens. Bei steigendem auch in diesem Tubulusabschnitt der aktive Io-
Druck in den Glomeruluskapillaren nehmen die nentransport durch die Na+/K+-Pumpe in der
Filtrationsrate und damit auch die tubuläre peritubulären Membran, doch werden luminal
Flussrate zu. Als Folge davon kann nicht genü- mithilfe eines durch Adiuretin (Ⴉ Kap. 21.2.2.1)
gend NaCl aus der Tubulusflüssigkeit rückresor- in seiner Expression stimulierbaren Symporters
biert werden, die NaCl-Konzentration im früh- 1 Natriumion, 1 Kaliumion und 2 Chloridionen
distalen Tubulus steigt. Dies bewirkt in den Ma- (Na+/K+/2Cl–-Symporter) gemeinsam aus dem
cula-densa-Zellen (Ⴜ Abb. 26.2) eine erhöhte Lumen in die Tubuluszelle eingeschleust. Die
Aktivität des Na+/K+/2Cl–-Symporters (s. u.)
390 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

Kaliumionen rezirkulieren über die luminale Tubulusapparat 99–99,5 % des Filtratvolumens


Membran durch Kaliumkanäle. wieder in die Blutbahn aufgenommen. Muss je-
Der dicke aufsteigende Schleifenschenkel ist doch nach starker Flüssigkeitszufuhr viel Was-
auch der bevorzugte Ort der Magnesiumresorp- ser ausgeschieden werden, wird die distale Re-
tion. Neben Calciumionen werden hier etwa sorption eingeschränkt. Wegen dieser Variati-
zwei Drittel der filtrierten Magnesiumionen onsmöglichkeit bezeichnet man die Resorption
passiv und vorwiegend parazellulär aus dem Tu- von Wasser im distalen Konvolut und im Sam-
buluslumen in die Blutbahn aufgenommen. melrohr als fakultativen Wassertransport.
Im frühdistalen Tubulus werden nur noch
Einteilung der Diuretika. Heute gebräuchliche
etwa 5 % des filtrierten Natriumchlorids und
Diuretika bzw. Diuretikagruppen sind die
10–20 % des Wassers resorbiert. Für die NaCl-
Resorption wurde ein Na+/Cl–-Kotransportsys- 󠀂 Thiazide (einschließlich Thiazid-Analoga),
tem nachgewiesen, das in seiner Aminosäurese- 󠀂 Schleifendiuretika,
quenz zu 60 % mit der des Na+/K+/2Cl–-Sym- 󠀂 kaliumsparende Diuretika und
porters in der Henle-Schleife übereinstimmt. 󠀂 Tolvaptan.
Im spätdistalen Tubulus und im Sammel-
Carboanhydratasehemmer und Osmodiuretika
rohr gelangen Natriumionen durch Natriumka-
werden, von wenigen speziellen Indikationen
näle (epithelial Na+ channel, ENaC) in die sog.
abgesehen, heute kaum noch eingesetzt (s. u.).
Hauptzellen dieser Nephronabschnitte. Die Öff-
nungswahrscheinlichkeit und -dauer der Natri- Wirkungen. Saluretika erhöhen die Ausschei-
umkanäle und damit die Natriumionen-Resorp- dung bestimmter Ionen, insbesondere die von
tion wird von der Aldosteronkonzentration Na+ und Cl– und steigern damit gleichzeitig die
(Ⴉ Kap. 21.7) bzw. von der Konzentration der Exkretion von Wasser. Optimal wäre ein Wirk-
Aldosteron-induzierten Proteine bestimmt: Je stoff, der dem Organismus Elektrolyte in dem
mehr Aldosteron aus der Nebennierenrinde Konzentrationsverhältnis entzieht, wie dieses in
ausgeschüttet wird, desto mehr offene Natrium- der interstitiellen Flüssigkeit vorliegt. Ein sol-
kanäle stehen zur Verfügung. Die neben den ches Diuretikum gibt es – zumindest als
Hauptzellen vorkommenden Zwischenzellen se- Monosubstanz – nicht: Thiazide und Schleifen-
zernieren aktiv H+-Ionen mittels luminal lokali- diuretika führen außer der gewünschten gestei-
sierter ATPasen und resorbieren außerdem Hy- gerten Kochsalzausscheidung zu einem Verlust
drogencarbonationen. an K+ und Mg2+, kaliumsparende Diuretika zu
Bei den Kaliumionen ist im distalen Konvo- einer Retention von K+ und untergeordnet auch
lut die Transportrichtung von der Situation des von Mg2+. Durch die gleichzeitige Gabe eines
Kaliumhaushalts abhängig. Bei K+-armer Er- Thiazids oder eines Schleifendiuretikums mit
nährung erfolgt eine Resorption, bei reichlicher einem kaliumretinierenden Wirkstoff kann al-
K+-Aufnahme dagegen eine Sekretion in das lerdings versucht werden, eine möglichst neut-
Tubuluslumen. Die Kaliumsekretion ist umso rale Kalium- und Magnesiumbilanz zu errei-
größer, je höher im distalen Tubulus die chen. Entsprechende Fixkombinationen befin-
Natriumionen-Konzentration, der Aldosteron- den sich im Handel.
spiegel und der pH-Wert sind (Kaliumverluste
Neben den beschriebenen (direkten) renalen Ef-
bei Alkalose!).
fekten weisen Diuretika, je nach Art der Diureti-
Das Ausmaß der Wasserresorption in diesen
kagruppe unterschiedlich, auch indirekte renal-
Tubulusabschnitten hängt von der Flüssigkeits-
vermittelte Wirkungen auf, die extrarenal in
bilanz ab: Ist es für den Gesamtorganismus er-
Erscheinung treten: So beruht der nach intrave-
forderlich, Wasser zu retinieren und somit we-
nöser Applikation sehr rasch – noch vor Einset-
nig Endharn zu bilden, ist die Resorptionsrate
zen der Diurese – auftretende günstige Effekt
groß. Insgesamt werden dann im (gesamten)
26.1 Diuretika 391

von Schleifendiuretika bei der akuten Herzin-


suffizienz (Ⴉ Kap. 23.3.2.1) auf einer durch die Kaliumretinierende
Carboanhydratase- Diuretika
Freisetzung von Prostaglandinen hervorgerufe- hemmstoffe
nen Venendilatation.
Das kaliumretinierende Diuretikum Triam-
teren besitzt eine echte extrarenale antiarrhyth- Thiazide Cortex
mische Wirkungskomponente, die sich nicht Medulla
mit der Kaliumretention begründen lässt, da das
zur gleichen Diuretikagruppe gehörende Ami-
Schleifendiuretika
lorid diese Eigenschaft nicht besitzt.
Angriffsorte. Die Angriffsorte der verschiede-
nen Diuretikagruppen an der Niere sind in Ⴜ Abb. 26.3 Angriffsorte der Diuretika innerhalb
des Nephrons
Ⴜ Abb. 26.3 angegeben. Carboanhydratasehem-
mer greifen vorwiegend am proximalen Tubu-
nen Kochsalzkonzentration ab. Bei Erkrankun-
lus, Schleifendiuretika am dicken Teil der auf-
gen mit verringertem effektivem zirkulierendem
steigenden Henle-Schleife, Thiazide am frühdis-
Blutvolumen (z. B. bei Herzinsuffizienz mit
talen Tubulus, kaliumsparende Diuretika am
Ödemen oder Leberzirrhose mit Aszites) nimmt
spätdistalen Tubulus sowie am Sammelrohr,
die proximale Natrium- und Wasserresorption
26
Aquaretika ebenfalls am distalen Tubulus und
– vorwiegend durch Stimulation des Renin-An-
am Sammelrohr an.
giotensin-Aldosteron-Systems – auf 80 % und
Wirkungsmechanismen. Die Wirkungsmecha- mehr zu. Dadurch wird das Natrium- und Was-
nismen der Diuretika sind in Ⴜ Abb. 26.4 zusam- serangebot an die weiter distal gelegenen Tubu-
mengestellt sowie bei den einzelnen Diuretika- lusabschnitte reduziert und gleichzeitig die Ef-
Gruppen nochmals genauer beschrieben. fektivität aller dort angreifenden Diuretika ge-
mindert, in schweren Fällen sogar aufgehoben
Wirkstärke, High- und Low-ceiling-Diuretika.
(Diuretikaresistenz).
Saluretika, die über einen weiten Dosisbereich
Bei Nierenkranken ist die Mehrausscheidung
eine annähernd lineare Dosis-Wirkungs-Bezie-
von Kochsalz und Wasser nach Gabe einer be-
hung aufweisen, mit denen somit bei Dosisstei-
stimmten Dosis eines Diuretikums der Abnah-
gerung eine immer stärkere Diurese erreicht
me der Nierenfunktion entsprechend verrin-
werden kann, werden als High-ceiling-Diureti-
gert.
ka bezeichnet. Hierzu gehören die Schleifendiu-
Da ein Diuretikum jeweils nur an einem Teil
retika.
des Tubulussystems angreift, ist eine sequenzi-
Saluretika, bei denen die Dosis-Wirkungs-Kur- elle Nephronblockade durch zwei (oder mehr)
ve dagegen rasch abflacht, also schnell ab einem Diuretika mit unterschiedlichen Angriffsorten
gewissen Punkt durch Dosissteigerung keine ein einleuchtendes Konzept zur Wirkungsver-
deutliche Wirkungszunahme mehr zu erreichen stärkung. Eine Kombination bestehend aus ei-
ist, werden Low-ceiling-Diuretika genannt. ner niedrigen Dosis eines Thiazids und eines
Dazu zählen die Thiazide sowie deren Analoga Schleifendiuretikums ist dabei wirksamer und
und die kaliumsparenden Diuretika. zugleich nebenwirkungsärmer als die früher üb-
Die Wirkstärke und der mit einem Diureti- liche und heute (weitgehend) verlassene hoch-
kum erreichbare Maximaleffekt hängen jedoch dosierte Monotherapie mit einem Schleifendiu-
nicht allein vom Wirkstoff, sondern ebenso und retikum. Ferner lässt sich durch die kurzfristige
u. U. noch stärker von der Nierenfunktion und Gabe eines proximal angreifenden Carboanhyd-
dem Krankheitszustand des Patienten, d. h. von ratasehemmers zusammen mit einem Schleifen-
der am jeweiligen tubulären Wirkort vorhande- diuretikum in einer Reihe von Fällen die oben
392 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

Carboanhydratase- Carboan- Na+-Ausscheidung൹


hemmer hydratase
K+-, Bicarbonat-Ausscheidung൹,
2 Cl - Azidose
Na+ K+
Na+-, Cl--Ausscheidung൹
Schleifendiuretika
K+-, Mg2+-, Ca2+-Ausscheidung൹

Na+ Cl-
Thiazide, Na+-, Cl--Ausscheidung൹
Thiazid-Analoge K+-, Mg2+-Ausscheidung൹
Ca2+-Ausscheidungൻ

Amilorid, Na+-, Cl--Ausscheidung൹


L
Triamteren K+-, Mg2+-Ausscheidungൻ

Na+
Eplerenon, A Aldosteron-induzierte Proteineൻ
Spironolacton
AR Na+-, Cl--Ausscheidung൹
K+-, Mg2+-Ausscheidungൻ

Tolvaptan V2 H2O-Ausscheidung൹
Gs

Ⴜ Abb. 26.4 Wirkungsmechanismen der Diuretika. A Aldosteron, AR Aldosteron-Rezeptor, V2 Vasopressin-


Rezeptor-2;·→ direkter Effekt, --→ indirekter Effekt

beschriebene, durch proximale Hyperresorpti- Eine bedeutsame Nebenwirkung von Schleifen-


on bedingte Diuretikaresistenz durchbrechen. diuretika, Thiaziden und Thiazid-Analoga ist
der Verlust an Kaliumionen (Symptome vgl. Hy-
Indikationen. Hauptindikationen von Salureti-
pokaliämie Ⴉ Kap. 26.2.2), daneben werden ver-
ka sind
mehrt Magnesiumionen ausgeschieden. Diese
󠀂 Ödeme infolge Erkrankungen des Herzens, Störeffekte beruhen einerseits auf einem gestei-
der Leber oder der Nieren, gerten Austausch von Natriumionen gegen Kali-
󠀂 arterielle Hypertonie und umionen im spätdistalen Tubulus und im Sam-
󠀂 akute sowie chronische Herzinsuffizienz. melrohr (infolge der verringerten Rückresorpti-
on von Natriumionen in den oberen Tubulusab-
Als Nebenindikationen sind forcierte Diurese
schnitten ist dort das Natriumionen-Angebot
bei Vergiftungen (Ⴉ Kap. 34.1.4), Diabetes insi-
erhöht), andererseits auf einer durch den Koch-
pidus (s. u.) und für Carboanhydratasehemmer
salzverlust bedingten Aktivierung des Renin-
Glaukom sowie Vermeidung von Höhenkrank-
Angiotensin-Aldosteron-Systems.
heit (Ⴉ Kap. 26.1.4) zu nennen. Aquaretika sind
Bei den kaliumsparenden Diuretika ist die
bei Patienten mit hyper- oder normovolämi-
wichtigste Nebenwirkung die Kaliumretention
scher Hyponatriämie (s. u.) angezeigt.
mit der Gefahr einer Hyperkaliämie (die Symp-
Nebenwirkungen. Alle Saluretika können zu tome ähneln einer Hypokaliämie).
Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts Als Folge der Elektrolyt- und Flüssigkeitsver-
führen, bei Langzeittherapie ist demzufolge eine luste kann sich bei Therapie mit den genannten
Kontrolle der Serumelektrolyte erforderlich. Diuretika eine metabolische Alkalose entwi-
26.1 Diuretika 393

ckeln, die Therapie mit kaliumsparenden Diure- Die gleichzeitige Gabe von kaliumsparenden
tika und Carboanhydratasehemmern führt da- Diuretika und kaliumhaltigen bzw. kaliumreti-
gegen zu einer azidotischen Stoffwechsellage nierenden Präparaten (z. B. ACE-Hemmer)
(s. u.). kann zu u. U. lebensgefährlichen Hyperkaliämi-
Bei rascher Ödemausschwemmung mit stark en führen.
wirkenden Diuretika kommt es infolge von Ver-
Kontraindikationen. Als Kontraindikationen
lusten an intravasaler Flüssigkeit, die nicht
sind bei Schleifendiuretika, Thiaziden und de-
schnell genug aus dem Extravasalraum ersetzt
ren Analoga Hyponatriämie, außerdem wegen
werden kann, zu einer Dehydratation (s. u.) mit
ihrer Kaliumionen-eliminierenden Wirkung
einer Erhöhung des Hämatokrits (Hämokon-
Praecoma und Coma hepaticum, Hypokaliämi-
zentration) und damit zu einer Zunahme der
en sowie eine Überempfindlichkeit gegen Sul-
Blutviskosität, wodurch die Thromboseneigung
fonamide zu beachten. Ferner sind Thiazide und
steigt.
Analoga bei schwerer Niereninsuffizienz kon-
Insbesondere durch Thiazide, Thiazid-Ana-
traindiziert.
loga und Schleifendiuretika kann ein latenter
Diabetes mellitus manifest oder bei bestehen- Kontraindikationen von kaliumretinierenden
dem Diabetes ein auf orale Antidiabetika einge- Diuretika sind Hyperkaliämien und schwere
stellter Patient insulinpflichtig werden. Beim Nierenfunktionsstörungen.
insulinpflichtigen Diabetiker kann der Insulin-
26
bedarf steigen. Weitere Nebenwirkungen betref- 26.1.1 Thiazide und analoge
fen den Lipidstoffwechsel: Die Plasmakonzen- Verbindungen
tration der Triglyceride kann ebenso wie die der Die in ႒ Tab. 26.1 angegebenen Thiazide mit Hy-
Low- und Very-low-density-Lipoproteine im drochlorothiazid als Prototyp und deren Analo-
Plasma zunehmen. Schließlich besteht bei ent- ga sind Sulfonamid-Derivate. Sie haben ein
sprechend disponierten Patienten durch Erhö- identisches Wirkprofil und unterscheiden sich
hung des Blutharnsäurespiegels die Gefahr ei- in ihrer klinischen Anwendung praktisch nicht.
nes Gichtanfalls. Diese Nebenwirkungen sind Die Unterschiede bei den verschiedenen Sub-
allerdings in hohem Maß dosisabhängig. Wird, stanzen betreffen vornehmlich die Eliminati-
den heutigen Erkenntnissen folgend (z. B. bei ei- onskinetik. So besitzt beispielsweise Chlortali-
ner Hypertoniebehandlung), wesentlich niedri- don eine wesentlich längere Halbwertszeit als
ger als früher dosiert, sind sie meist wenig be- das weltweit am meisten eingesetzte Hydrochlo-
deutsam. rothiazid.
Interaktionen. Nichtsteroidale Antiphlogistika Wirkungen. Thiazide und Thiazid-Analoga
erniedrigen den Effekt der meisten Diuretika. steigern die Ausscheidung von Natrium-, Kali-
um-, Magnesium und Chloridionen. Dagegen
Infolge der vermehrten Kaliumausscheidung
nimmt die Exkretion von Calcium- und Phos-
verstärken Schleifendiuretika, Thiazide und
phationen ab. Hierin unterscheiden sich diese
Thiazid-Analoga die Wirkung von Herzglykosi-
Substanzen qualitativ von allen anderen Diure-
den und stabilisierenden Muskelrelaxanzien.
tikagruppen.
Glucocorticoide oder Laxanzien erhöhen die
Gefahr einer Hypokaliämie bei gleichzeitiger Bei einer Dauerbehandlung wird der salureti-
Applikation. sche Effekt durch Gegenregulationen des Orga-
Schleifendiuretika, Thiazide und Thiazid- nismus (erhöhte Reninfreisetzung, vermehrte
Analoga vermindern außerdem die Lithiumaus- Bildung von Angiotensin II und gesteigerte Aus-
scheidung und führen so zu einer Verstärkung schüttung von Aldosteron) rasch deutlich abge-
der kardio- und neurotoxischen Wirkung von schwächt (Escape-Phänomen). Die antihyper-
Lithium. tensive Wirkung bleibt dagegen erhalten.
394 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

႒ Tab. 26.1 Thiazide und Thiazid-Analoga insbesondere durch aktive Sekretion im proxi-
malen Tubulus ausgeschieden. Ihre Biotransfor-
INN (Handelspräparat) Tagesdosis (HWZ)
mation ist sehr unterschiedlich. Während z. B.
Thiazide Hydrochlorothiazid praktisch nicht verstoff-
wechselt wird und auch Chlortalidon zu über
Bemetizid 10–50 mg (3–6 h)
70 % unverändert renal eliminiert wird, erschei-
(z. B. in diucomb®)
nen von Xipamid etwa 30–40 % und von In-
Bendroflumethiazid 2,5–5 mg (3 h) dapamid und Bemetizid nur wenig in unverän-
(z. B. in Tensoflux®) derter Form im Endharn. Die Halbwertszeiten
sind in ႒ Tab. 26.1 angegeben.
Hydrochlorothiazid 12,5–50 (-100) mg
(z. B. Esidrix®) (6–12 h) Indikationen. Thiazide und Thiazid-Analoga
können bei allen oben für Diuretika angegebe-
Thiazid-Analoga
nen Hauptindikationen angewandt werden.
Chlortalidon 12,5–50 mg (50 h) Wegen ihrer guten Wirksamkeit und Verträg-
(z. B. Hygroton®)
lichkeit, ihrer relativ langen Wirkdauer und da-
Indapamid 2,5 mg (14–15 h) mit ihrer Eignung zu einmal täglicher Gabe zäh-
(Natrilix®) len sie bei der Langzeittherapie der Hypertonie
sowohl in Form von Monopräparaten als auch
Xipamid 10–20 (-80) mg in Kombination mit anderen Antihypertonika
(Aquaphor®) (5–8 h)
zu den Mitteln der 1. Wahl. Es befinden sich
zahlreiche Fixkombinationen insbesondere von
Hydrochlorothiazid mit diversen ACE-Hem-
mern, AT1-Antagonisten und Betablockern im
Wirkungsmechanismus. Thiazide und Thiazid-
Handel.
Analoga verringern im frühdistalen Tubulus die
Ferner sind Thiazide und ihre Analoga bei
Aufnahme von Kochsalz aus dem Tubuluslumen
chronischer systolischer Herzinsuffizienz mit
in die Tubulusepithelzellen durch Hemmung
Flüssigkeitsretention (ab NYHA-Klasse II) zur
des Na+/Cl–-Kotransports (Ⴜ Abb. 26.4). Der
Verbesserung der Symptomatik zusätzlich zu
Blutdrucksenkung (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) liegen wahr-
ACE-Hemmern oder Sartanen indiziert
scheinlich folgende Mechanismen zugrunde:
(Ⴉ Kap. 23.2.2.2).
Die rasch auf eine Thiazid-Medikation folgende
Bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR
initiale Blutdruckabnahme beruht auf der ge-
< 30 ml/min) sind diese Diuretika dagegen nur
steigerten Na+-Ausscheidung und der dadurch
in Kombination mit Schleifendiuretika im Rah-
bedingten Verringerung des Plasma- und Herz-
men einer konsekutiven Nephronblockade
zeitvolumens. Die bei Fortführung der Therapie
(s. o.) einsetzbar.
trotz Normalisierung der Na+-Exkretion und
des Plasmavolumens anhaltende Blutdrucker- Dosierung. Die üblichen Tagesdosen sind in
niedrigung kann durch eine verringerte Emp- ႒ Tab. 26.1 angegeben. Da bei höherer Dosie-
findlichkeit der glatten Gefäßmuskulatur auf rung nur die unerwünschten, nicht aber die er-
gefäßverengende Reize infolge des verringerten wünschten Wirkungen zunehmen (Low-ceiling-
Natriumionengehalts der Gefäßwände erklärt Diuretika), ist bei unzureichender Effektivität
werden. eine Dosissteigerung über den angegebenen Do-
sierungsbereich hinaus nicht sinnvoll.
Kinetik. Thiazide und ihre Analoga werden zu
einem hohen Prozentsatz aus dem Darm resor- Neben- und Wechselwirkungen sowie Kontra-
biert und durch glomeruläre Filtration sowie indikationen wurden bereits oben besprochen.
26.1 Diuretika 395

26.1.2 Schleifendiuretika Kinetik. Um vom Tubuluslumen her angreifen


Prototyp dieser Diuretika-Klasse ist Furosemid zu können, müssen Schleifendiuretika aus der
(z. B. Lasix®). Analogsubstanzen sind Torase- Blutbahn in die Tubulusflüssigkeit gelangen.
mid (z. B. Unat®) und Piretanid (Arelix®). Auch Der Transport erfolgt wie bei den anderen Salu-
die Schleifendiuretika haben wie die Thiazide retika außer durch glomeruläre Filtration vor-
eine Sulfonamidstruktur. wiegend durch proximal-tubuläre Sekretion
mittels eines Säurecarriers. Dies erklärt zumin-
Wirkungen. Charakteristisch für diese Sub-
dest teilweise, warum bei Niereninsuffizienz, bei
stanzen ist die außerordentlich intensive,
der die Sekretionsprozesse beeinträchtigt sind,
schnelle und kurze Wirkung. Bei parenteraler
höhere Dosen erforderlich werden und der Wir-
Applikation ist der unmittelbar nach der Injekti-
kungseintritt verzögert ist.
on erfolgende Anstieg der Na+-, Cl–- und Was-
serausscheidung größer als bei allen sonstigen Furosemid wird nach oraler Applikation im
Diuretika. Durch Dosiserhöhung lässt sich, wie Mittel zu 60–70 % resorbiert (hohe intra- und
oben erwähnt, der Effekt über einen weiten Do- interindividuelle Variabilität!). Bei chronischer
sisbereich steigern, theoretisch könnten bei ent- Herzinsuffizienz sowie bei nephrotischem Syn-
sprechender Dosierung bis zu 30 % der filtrier- drom sind die Resorptionsquoten deutlich nied-
ten Natriumionen zur Ausscheidung gebracht riger (< 30 %). Furosemid wird nur mäßig (zu ca.
werden. 10 %) in der Leber glucuronidiert und mit einer 26
Da die Wirkung aber wegen der kurzen Halb- Halbwertszeit von 0,5–1,5 Stunden überwie-
wertszeiten nur kurz anhält, beobachtet man, gend unverändert renal (etwa ⅔) und biliär
sofern das Schleifendiuretikum nicht rechtzeitig (etwa ⅓) ausgeschieden. Bei Niereninsuffizienz
erneut appliziert wird, relativ rasch ein Absin- kann die Halbwertszeit auf bis zu 24 Stunden an-
ken der Ausscheidungsrate (Rebound-Phäno- steigen, die Proteinbindung (normalerweise
men), vielfach sogar unter den Kontrollwert 95 %) kann um 10 % reduziert sein.
(postdiuretische Retention). Torasemid wird fast vollständig resorbiert. Es
Wie durch Thiazide bzw. Thiazid-Analoga wird am Phenylring hydroxyliert und außerdem
werden durch Schleifendiuretika neben Na+- an der Methylgruppe stufenweise zu noch diure-
und Cl– – jedoch im Verhältnis zur Na+-Exkreti- tisch aktiven Metaboliten oxidativ biotransfor-
on deutlich weniger – K+- und Mg2+ vermehrt miert, die vorwiegend renal ausgeschieden wer-
ausgeschieden. Die Ca2+-Ausscheidung wird – den (Halbwertszeit 3–4 Stunden). Durch Nie-
im Unterschied zu den Thiazid- und thiazidana- reninsuffizienz wird die Ausscheidungsge-
logen Diuretika – erhöht. Diese Eigenschaft schwindigkeit nicht beeinflusst.
kann bei Hypercalcämien (Ⴉ Kap. 26.2.2) ge- Die Resorptionsquote von Piretanid beträgt
nutzt werden. 80–90 %. Es wird mit einer Halbwertszeit von
0,5–1,5 Stunden überwiegend unverändert über
Wirkungsmechanismus. Schleifendiuretika blo-
die Nieren ausgeschieden. Bei Niereninsuffizi-
ckieren im dicken aufsteigenden Schleifen-
enz ist die Halbwertszeit daher auf bis zu 9 Stun-
schenkel von der Lumenseite rasch und reversi-
den verlängert.
bel den Na+/K+/2Cl–-Carrier und hemmen auf
diese Weise die Resorption von Na+, K+, Mg2+ Indikationen. Schleifendiuretika sind beson-
und Cl– (Ⴜ Abb. 26.4). Durch Angriff an den Ma- ders dann indiziert, wenn eine rasche und inten-
cula-densa-Zellen, und zwar ebenfalls am Na+/ sive Wirkung erforderlich ist. Sie werden bei-
K+/2Cl–-Carrier, heben sie außerdem den tubu- spielsweise zur forcierten Diurese, z. B. bei Ver-
lo-glomerulären Feedback (s. o.) auf. Das ist der giftungen (Ⴉ Kap. 34.1.4), bei Lungenödem (z. B.
Grund dafür, dass durch diese Gruppe von Diu- bei akuter Herzinsuffizienz), unterstützend bei
retika die glomeruläre Filtrationsrate nicht er- Hirnödem oder bei akutem Nierenversagen (zur
niedrigt wird. Steigerung der Diurese) eingesetzt. Auch bei Pa-
396 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

tienten mit chronischer Niereninsuffizienz, bei 26.1.3 Kaliumsparende Diuretika


denen Thiazide allein nicht mehr ausreichend Diuretika, die trotz einer (allerdings nicht sehr
wirksam sind, werden sie häufig gegeben. Dabei ausgeprägten) Erhöhung der Na+-Exkretion die
erhöhen sie zwar nicht die Ausscheidung harn- Ausscheidung von K+ und Mg2+ verringern,
pflichtiger Substanzen, doch ermöglichen sie werden als kaliumsparende oder kaliumretinie-
(auch bei Dialysepatienten) eine weniger rest- rende Diuretika (Antikaliuretika) bezeichnet.
riktive Wasser- und Salzzufuhr und verbessern Man unterscheidet Aldosteronantagonisten
dadurch die Lebensqualität der Patienten. und die cyclischen Amidin-Derivate Triamte-
ren und Amilorid.
Bei der Hypertonietherapie werden sie vor allem
Der saluretische Effekt (ca. 2–4 % des filtrier-
bei niereninsuffizienten Patienten eingesetzt.
ten NaCl) dieser am spätdistalen Tubulus und
Ansonsten sind sie den Thiaziden bzw. Thiazid-
am Sammelrohr angreifenden Stoffe ist deswe-
Analoga wegen deren längerer Wirkung sowie
gen wenig ausgeprägt, weil in diesen Nephron-
der vor allem bei älteren Patienten günstigen
abschnitten die Rückresorption von Na+ und
verringerten Calciumausscheidung mit dadurch
Cl– bereits weitgehend abgeschlossen ist und
erniedrigter Osteoporosegefahr unterlegen.
somit hier nur noch eine Feinregulierung der
Darüber hinaus sind Schleifendiuretika bei
Elektrolytausscheidung erfolgt. Kaliumsparende
herzinsuffizienten Patienten mit Zeichen einer
Diuretika werden daher mit Ausnahme der Al-
Flüssigkeitsretention, insbesondere mit Lungen-
dosteronantagonisten (s. u.) nicht allein, son-
stauung, indiziert. Zur Wirkungsverstärkung
dern in Kombination mit Thiaziden oder Schlei-
werden sie hierbei, wie erläutert, häufig mit
fendiuretika eingesetzt.
Thiaziden bzw. Thiazid-Analoga kombiniert
(sequenzielle Nephronblockade, s. o.). Außer-
26.1.3.1 Aldosteronantagonisten
dem eignen sich Schleifendiuretika als Kombi-
Zur Gruppe der Aldosteronantagonisten gehö-
nationspartner von kaliumsparenden Diuretika.
ren Spironolacton (z. B. Aldactone®), Kalium-
Dosierung. Die üblichen oralen Tagesdosen canrenoat (Aldactone® 10 ml Canrenoat) sowie
(z. B. bei Hypertonie, chronischer Herzinsuffizi- die Analogsubstanz Eplerenon (Inspra®). Ihre
enz) betragen für Furosemid 20–40 (–80 mg), Wirkung setzt relativ langsam ein (teilweise erst
für Torasemid 2–5 (–20) mg und für Piretanid am zweiten Tag) und hält lange an. Während
3–6 (–12) mg. Zur Aufrechterhaltung einer Spironolacton außer an Aldosteron- auch an
Restdiurese bei terminaler Niereninsuffizienz Sexualhormon-Rezeptoren, z. B. Androgenre-
(GFR < 20 ml/min) sind die Tagesdosen wesent- zeptoren, bindet und dadurch hormonelle Ne-
lich höher (z. B. Furosemid: 500 mg p. o. bzw. benwirkungen (z. B. antiandrogene Effekte) her-
250–1500 mg i. v.). vorruft, ist Eplerenon ein selektiver Aldosteron-
antagonist.
Interaktionen. Bei der Kombination von Schlei-
fendiuretika mit Aminoglykosid-Antibiotika Wirkungsmechanismus. Aldosteronantagonis-
und Platin-Derivaten wurde – vor allem bei ten blockieren im spätdistalen Tubulus und im
nicht ausreichender Flüssigkeitszufuhr – eine Sammelrohr kompetitiv die Bindung von Aldo-
erhöhte Nephrotoxizität gefunden. Auch das steron an dessen zytoplasmatischen Rezeptor
ototoxische Risiko ist bei der gleichzeitigen (Ⴜ Abb. 26.4). Dadurch kann Aldosteron nicht
Gabe eines hochdosierten, rasch verabfolgten zusammen mit diesem in den Zellkern eindrin-
Schleifendiuretikums mit einem Aminoglyko- gen, und es unterbleibt die Synthese der Aldo-
sid-Antibiotikum gesteigert. steron-induzierten Proteine (AIPs), d. h. von
Natriumkanälen und Na+/K+-ATPase. Die Folge
Allgemeine Diuretika-Interaktionen, -Neben-
ist eine verringerte Na+-Resorption und gleich-
wirkungen und -Kontraindikationen s. o.
zeitig eine erniedrigte K+-Ausscheidung. Dieser
26.1 Diuretika 397

Wirkungsmechanismus erklärt auch, warum Kaliumcanrenoat werden täglich 200–400 mg


Aldosteronantagonisten erst nach einer Latenz langsam i. v. oder als i. v. Kurzinfusion appliziert.
von einigen Stunden wirken.
Die Behandlung mit Eplerenon wird innerhalb
Kinetik. Spironolacton und Eplerenon werden von 3–14 Tagen nach einem Myokardinfarkt mit
rasch und gut resorbiert. Als Steroide unterlie- 25 mg 1-mal täglich begonnen und unter Kon-
gen sie einer ausgeprägten Biotransformation. trolle der Serumkaliumkonzentration auf die
Hauptmetabolit von Spironolacton ist das noch Ziel- und Erhaltungsdosis von 50 mg 1-mal täg-
wirksame 7α-Thiomethylspironolacton, ein lich gesteigert.
weiterer aktiver Metabolit ist Canrenon. Dessen
Nebenwirkungen. Außer der schon beschriebe-
Lactonring kann ohne Wirkverlust geöffnet und
nen Hyperkaliämie können zentralnervöse und
mit der entstandenen Hydroxysäure das lösliche
Magen-Darm-Störungen sowie Exantheme auf-
Kaliumsalz, das Kaliumcanrenoat, gebildet wer-
treten. Aufgrund der antiandrogenen Wirkung
den. Dieses ist im Gegensatz zu dem schwer lös-
von Spironolacton, die bei Eplerenon weitge-
lichen Spironolacton zur intravenösen Applika-
hend fehlt, wurden bei Männern Gynäkomastie
tion geeignet. Interessanterweise entstehen aus
und Potenzstörungen, bei Frauen Amenorrhö,
Canrenon, nicht jedoch aus Spironolacton, kan-
Hirsutismus und Spannungsgefühl in den Brüs-
zerogene Epoxide. Die Verwendung von Kali-
ten sowie Stimmveränderungen beobachtet.
umcanrenoat wurde daher erheblich einge- 26
schränkt. Interaktionen. Nichtsteroidale Antiphlogistika
sowie ACE-Hemmer und Sartane verstärken das
Eplerenon wird vor allem durch CYP3A4 meta-
Risiko einer Hyperkaliämie, der Digoxin-Blut-
bolisiert, aktive Metaboliten wurden nicht ge-
spiegel steigt bei paralleler Gabe von Aldostero-
funden.
nantagonisten. Wird Eplerenon gleichzeitig mit
Die Halbwertszeiten betragen für Spironolacton Wirkstoffen, die CYP3A4 hemmen (z. B. Clari-
ca. 1–2 Stunden, für das Thiomethyl-Derivat thromycin, Itraconazol oder Ritonavir), ange-
etwa 3 und für Canrenon ca. 20 Stunden. Eplere- wandt, nimmt seine AUC erheblich zu. Die
non hat eine Halbwertszeit von 3–5 Stunden. gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Induktoren
Die Ausscheidung der Aldosteronantagonisten (z. B. Carbamazepin, Johanniskrautextrakt oder
bzw. von deren Metaboliten erfolgt vorwiegend Phenobarbital) führt dagegen zu einer Verringe-
renal. rung der Eplerenon-AUC.
Indikationen. Spironolacton ist bei Ödemen, Die Kontraindikationen sind bereits oben be-
die mit einem Hyperaldosteronismus (z. B. bei schrieben.
Patienten mit Leberzirrhose und Aszites) ein-
hergehen, indiziert. Ferner wird es bei chroni- 26.1.3.2 Triamteren und Amilorid
scher Herzinsuffizienz (Ⴉ Kap. 23.3.2.1) und bei Zu den nur noch in fixer Kombination mit ei-
schwer einstellbaren Hypertonikern eingesetzt. nem Thiazid oder einem Schleifendiuretikum
Eplerenon reduziert, zusätzlich zur üblichen eingesetzten Diuretika mit Cycloamidin-Struk-
Standardtherapie angewandt, signifikant die tur gehören Triamteren (z. B. in Dytide® H) und
Mortalität von Patienten mit linksventrikulärer Amilorid (z. B. in Diaphal®). Ihre Wirkung be-
Dysfunktion und Herzinsuffizienz-Symptomen ruht auf einer Blockade von Natriumkanälen im
nach einem kürzlich aufgetretenen Herzinfarkt. spätdistalen Tubulus und im Sammelrohr
(Ⴜ Abb. 26.4).
Dosierung. Die Dosierung von Spironolacton
Infolge der zunehmenden Anwendung von
beträgt initial 100–200 (–400) mg täglich, bei
Thiaziden zusammen mit kaliumretinierenden
Dauertherapie 50–100 (–200) mg pro Tag. Von
ACE-Hemmern oder Sartanen haben Triamte-
398 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

ren und Amilorid als Kombinationspartner an im Blut. Dadurch nimmt die Wirkung der Car-
Bedeutung verloren. boanhydratasehemmer rasch ab.
Carboanhydratasehemmer werden daher
Kinetik. Nach oraler Gabe werden Triamteren
kaum noch als Diuretika (mit Ausnahme als
und Amilorid rasch und zu einem hohen Pro-
Kombinationspartner von weiter distal wirken-
zentsatz aus dem Gastrointestinaltrakt resor-
den Saluretika bei Diuretikaresistenz), sondern,
biert. Die diuretische Wirkung tritt nach etwa
wie eingangs beschrieben, vor allem zur Glau-
einer Stunde ein und erreicht nach 3–4 Stunden
komtherapie (Ⴉ Kap. 27.1.1) – systemisch Acet-
ihr Maximum.
azolamid, lokal Dorzolamid und Brinzolamid
Triamteren wird sehr schnell über Hydroxytri- – eingesetzt. Darüber hinaus kann mit Acetazol-
amteren zu dem interessanterweise noch wirk- amid die Höhenkrankheit, die auf einer Alkalo-
samen Phase-II-Metaboliten Hydroxytriamte- se infolge Hyperventilation beruht, behandelt
ren-Schwefelsäure-(halb-)ester biotransfor- werden.
miert. Amilorid wird dagegen nur geringgradig Als Nebenwirkungen bei systemischer An-
metabolisiert. Die Halbwertszeit von Triamteren wendung wurden neben der schon genannten
liegt bei 4–6 Stunden, die von Amilorid bei 18– Azidose z. B. Hörstörungen, Hypercalcurie, Hä-
20 Stunden. Beide Substanzen werden renal und maturie und Leberfunktionsstörungen be-
biliär ausgeschieden. schrieben.
Niereninsuffizienz, hyperchlorämische Azi-
Dosierung. Die tägliche Dosierung von Triam-
dose, Gicht, Hypercalcurie und Nephrokalzino-
teren beträgt 25–50 (–100) mg und von Ami-
se sowie Schwangerschaft und Stillzeit stellen
lorid 2,5–5 (–10) mg.
Kontraindikationen dar.
Nebenwirkungen. Außer Hyperkaliämien kom-
men gastrointestinale Beschwerden, Übelkeit, 26.1.5 Osmodiuretika
Erbrechen, metabolische Azidose, Exantheme Als Osmodiuretika, zu denen die Zuckeralkoho-
sowie Schwindelgefühl vor. Bei besonders prä- le Mannitol (Mannit; z. B. Osmofundin®) und
disponierten Patienten (z. B. mit schwerer Leber- (das weniger häufig verwendete) Sorbitol (Sor-
zirrhose) kann nach Gabe von Triamteren auf- bit) gehören, bezeichnet man Substanzen, die
grund einer schwachen Folsäure-antagonisti- nach intravenöser Injektion zwar glomerulär
schen Wirkung selten eine megaloblastäre Anä- filtriert, aber nicht tubulär rückresorbiert wer-
mie auftreten. den. Ihrem osmotischen Druck entsprechend
halten sie Wasser im Tubuluslumen zurück und
Interaktionen. Wie bei den Aldosteronantago-
führen dadurch zu einer gesteigerten Diurese.
nisten wird die Gefahr einer Hyperkaliämie
Elektrolyte werden durch sie nur geringggradig
durch die gleichzeitige Gabe von ACE-Hem-
vermehrt ausgeschieden.
mern und Sartanen erhöht.
Osmodiuretika können zur Aufrechterhal-
tung des Harnflusses bei drohendem Nierenver-
26.1.4 Carboanhydratasehemmer sagen, zur Behandlung eines Hirnödems und
Die Hemmung der Carboanhydratase verrin- eines erhöhten Augeninnendrucks eingesetzt
gert die tubuläre Rückresorption von Natrium- werden. Allerdings hat ihre Bedeutung deutlich
ionen, da weniger Wasserstoffionen an das Lu- abgenommen.
men abgegeben werden und dadurch weniger Die Dosierung von Mannitol beträgt 0,3 g/
Natriumionen im proximalen Tubulus mittels kg/h, die von Sorbitol 0,6 g/kg/h – intermittie-
des Na+/H+-Antiporters resorbiert werden. Als rend und nach Bedarf – mehrmals täglich.
Folge davon steigt die renale Ausscheidung von Als Nebenwirkungen wurden z. B. Dehydra-
Na+, K+ und HCO–3 und damit von Wasser an. tation, Störungen des Elektrolyt- und Wasser-
Die Basenverluste führen zu einer Azidose (s. u.)
26.2 Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts 399

haushalts, Kopfschmerzen, Thrombophlebitis Bei SIADH wird die Behandlung mit Tolvap-
und Krämpfe beschrieben. tan mit einer oralen Dosis von 15 mg 1-mal täg-
Bei Oligurie/Anurie ist durch eine Probein- lich begonnen, falls erforderlich, kann sie auf
fusion zu testen, ob die Diurese in Gang kommt. 60 mg, ebenfalls 1-mal täglich, erhöht werden.
Ist das nicht der Fall, darf die Infusion nicht Bei ADPKD beträgt die empfohlene Tagesdo-
fortgesetzt werden (Gefahr einer Volumenver- sierung initial 45 mg morgens und 15 mg 8 Stun-
schiebung vom Extra- in den Intrazellular- den später. Danach wird je nach Verträglichkeit
raum). über 60 mg/30 mg auf maximal 90 mg/30 mg pro
Tag gesteigert.
26.1.6 Tolvaptan Als Nebenwirkungen sind u. a. Übelkeit,
Tolvaptan (Samsca®) ist ein selektiver Vasopres- Durst, Pollakisurie, Polydipsie, Hypernatriämie,
sin-(V2-)Rezeptor-Antagonist, ein sog. Vaptan. Hyperurikämie und Mundtrockenheit beschrie-
Durch die V2-Rezeptorblockade bewirkt Tol- ben. Da ein zu schneller Anstieg der Serum-
vaptan eine deutlich erhöhte Ausscheidung von Natriumkonzentration eine osmotische Demye-
elektrolytfreiem Wasser (Aquarese) und damit linisierung (z. B. mit Dysarthrie, Lethargie, af-
eine erniedrigte Urinosmolarität sowie eine er- fektiven Störungen, Krampfanfällen, Koma oder
höhte Serum-Natriumkonzentration (Aquareti- sogar Tod) auslösen kann, wird insbesondere
kum). bei sehr niedrigen Serum-Natrium-Ausgangs-
Nach oraler Gabe wird Tolvaptan rasch resor- konzentrationen (< 120 mmol/l) sowie bei hypo-
26
biert und in hohem Maß vor allem mittels xischen oder mangelernährten Patienten eine
CYP3A4 zu inaktiven Metaboliten biotransfor- engmaschige Überwachung des Serum-Natri-
miert. Weniger als 1 % der unveränderten Sub- umspiegels empfohlen.
stanz wird renal ausgeschieden. Die Bioverfüg- CYP3A4-Hemmer (z. B. Grapefruitsaft, Azol-
barkeit beträgt ca. 55 %, die Halbwertszeit etwa 8 Antimykotika) erhöhen, CYP3A4-Induktoren
Stunden. Tolvaptan ist sowohl ein Substrat als (z. B. Carbamazepin, Phenytoin) erniedrigen
auch ein Inhibitor von P-Glykoprotein. signifikant die Plasmakonzentrationen von Tol-
Während es in den USA aufgrund seines vaptan. Bei hohen täglichen Tolvaptan-Dosen
Wirkprofils generell bei hyper- oder euvolämi- nehmen die Steady-state-Spiegel von gleichzeitig
scher Hyponatriämie (z. B. infolge Herzinsuffi- eingenommenem Digoxin zu.
zienz oder Leberzirrhose) angewandt wird, war Bei Anurie, Volumendepletion, hypovolämi-
es bis vor Kurzem in Deutschland nur zur Be- scher Hyponatriämie, Patienten ohne Durstge-
handlung von Erwachsenen mit Schwartz-Bart- fühl sowie in Schwangerschaft und Stillzeit ist
ter-Syndrom (Syndrom der inadäquaten Sekre- Tolvaptan kontraindiziert.
tion des antidiuretischen Hormons, SIADH),
einem hypotonen Hyperhydratations-Syndrom,
zugelassen. Dieses kann u. a. nach Schädel- 26.2 Störungen des Wasser-,
Hirn-Traumen, bei Meningitis, intrakraniellen Elektrolyt- und Säure-Basen-
Tumoren oder Lungenkarzinomen auftreten. Haushalts
Als neue Indikation von Tolvaptan kam nun
unter dem Handelsnamen Jinarc® die autosomal 26.2.1 Störungen des
dominante polyzystische Nierenerkrankung Wasserhaushalts
(ADPKD) hinzu, bei der Tolvaptan durch Ver- Da unter den Bestandteilen des Körpers Wasser
ringerung der cAMP-Bildung die Progression den größten Anteil einnimmt, können Störun-
der Zystenbildung signifikant verringert und gen des Wasserhaushalts erhebliche Beeinträch-
gleichzeitig die Nierenfunktion länger aufrecht tigungen verschiedener Körperfunktionen be-
erhält. wirken. Eine negative Wasserbilanz löst eine
Dehydratation (Wasserdefizit), eine positive
400 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

Wasserbilanz eine Hyperhydratation (Wasser- tinsekretion. Die übermäßige Wasserzufuhr


überschuss) des Organismus aus. Den osmoti- bzw. die zu starke Wasserretention können Übel-
schen Verhältnissen entsprechend unterscheidet keit, Erbrechen, Apathie, Herzinsuffizienz und
man isotone (isoosmolare), hypertone (hyper- in schweren Fällen ein Lungenödem auslösen.
osmolare) und hypotone (hypoosmolare) Hyd-
ratationsstörungen. 26.2.1.1 Diabetes insipidus
Bei der infolge Durchfall, Erbrechen, Blutver- Eine besonders bedeutsame Störung des Was-
lusten oder Brandverletzungen auftretenden serhaushalts ist der Diabetes insipidus.
isotonen Dehydratation kommt es durch Verar- Dem Diabetes insipidus centralis (neuro-
mung an Wasser und osmotisch wirkenden Sub- hormonalis) liegt eine mangelhafte Produktion
stanzen (vor allem an Natriumchlorid) zu einer oder Ausschüttung von Adiuretin (Ⴉ Kap
Abnahme des Plasmavolumens, zu Tachykardie, 21.2.2.1) zugrunde. Als Ursache kommen Hirn-
Blutdruckabfall und eventuell Schock. oder Hypophysentumoren, Hypophysektomie
Die hypertone Dehydratation ist durch man- oder entzündliche Erkrankungen (z. B. Menin-
gelhafte Wasserzufuhr, chronische Nierener- gitis), seltener angeborene, erbliche Störungen
krankungen, Diabetes mellitus oder Diabetes der Adiuretinbildung in Frage. Bei etwa 50 % der
insipidus (s. u.) bedingt und damit durch ver- Patienten ist die Ursache unbekannt (idiopathi-
minderte Wasseraufnahme oder gesteigerten scher Diabetes insipidus).
Wasserverlust charakterisiert. Als Symptome Infolge der verringerten Rückresorption von
treten Unruhe, Delir, Koma und eventuell Wasser in den Tubuli der Niere werden große
Schock auf. Bei einem Verlust von mehr als 40 % Mengen (in der Regel 4–12 l/Tag, in Extremfäl-
des Körperwassers tritt der Tod ein. len bis zu 40 l/Tag) eines stark verdünnten Urins
Ursachen einer hypotonen Dehydratation ausgeschieden. Der Wasserverlust und der da-
sind neben einer Nebenniereninsuffizienz unge- durch bedingte Anstieg der Plasmaosmolarität
nügende Salzaufnahme oder alleinige Wasser- rufen starkes Durstgefühl hervor. Das verlorene
zufuhr nach Erbrechen, Durchfällen oder star- Wasser muss durch vermehrtes Trinken (Poly-
kem Schwitzen. Der extrazelluläre Na+-Mangel dipsie) ersetzt werden, da der Patient andern-
und die Flüssigkeitsverlagerung in den Interzel- falls rasch in eine hypertone Dehydratation
lularraum bewirken eine Verringerung des Plas- (s. u.) geraten würde.
mavolumens und einen Blutdruckabfall, der Pa- Vom zentralen Diabetes insipidus ist der re-
tient wird apathisch und eventuell komatös. nale Diabetes insipidus zu unterscheiden. Bei
Die durch generalisierte Ödeme oder die In- dieser Form ist nicht die Adiuretin-Bildung bzw.
fusion großer Mengen isotoner Lösungen ausge- -Ausschüttung, sondern die Ansprechbarkeit
löste isotone Hyperhydratation ist durch einen der distalen Tubulusabschnitte und der Sam-
extrazellulären Flüssigkeitsüberschuss gekenn- melrohre auf freigesetztes Adiuretin gestört. Die
zeichnet. Die zu beobachtenden Symptome sind Ursachen sind entweder ein X-chromosomal
von der Grundkrankheit, z. B. einer Herzinsuffi- vererbter Defekt des tubulären Adiuretin-Re-
zienz, abhängig. zeptors (V2-Rezeptors), eine (meist) autosomal-
Die mit einem extrazellulären Na+-Über- rezessive Mutation des Aquaporin-2-Wasserka-
schuss einhergehende hypertone Hyperhydra- nals oder eine erworbene tubuläre Schädigung
tation entsteht bei einer Nebennierenrinden- (z. B. infolge chronischer Nierenerkrankungen,
überfunktion oder durch exogene Zufuhr von Vergiftungen, Sichelzellanämie u. a.).
Mineralocorticoiden. Als Folge treten Ödeme, Beim Diabetes insipidus centralis kann mit
eventuell eine akute Herzinsuffizienz auf. Desmopressin, einem Adiuretin-Analogon und
Eine hypotone Hyperhydratation findet man hochpotenten Antidiuretikum, eine wirksame
bei Zufuhr zu großer Mengen an elektrolytfreien Substitutionstherapie zur Verringerung der er-
Infusionslösungen oder bei verstärkter Adiure- höhten Harnausscheidung durchgeführt wer-
26.2 Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts 401

den. Die Bioverfügbarkeit beträgt nach oraler zellulären Natriumtransports (z. B. infolge
Applikation (z. B. Minirin®; Tagesdosis 0,2– schwerer Stoffwechselstörungen oder Kalium-
1,2 mg) nur 0,08–0,16 %, nach Anwendung des mangels) der Fall. Eine Verdünnungshyponatri-
Nasensprays (Desmospray®; Tagesdosis 10– ämie findet man ferner bei generalisierten Öde-
20 μg) etwa 5 %, die Halbwertszeit liegt bei ca. 3 men, insbesondere bei Ödemen aufgrund von
Stunden. Um die Gefahr einer Wasserretention Herzinsuffizienz, nephrotischem Syndrom oder
(Gewichtskontrolle!) und Hyponatriämie (in Leberzirrhose.
schweren Fällen mit Hirnödem, Krampfanfäl- Klinisch überwiegen bei einer Verlusthypo-
len, Koma) zu reduzieren, muss die Flüssigkeits- natriämie hypotone Kreislaufstörungen, bei ei-
zufuhr beschränkt werden. Kontraindikationen ner Verdünnungshyponatriämie stehen neuro-
für die Desmopressin-Therapie sind z. B. Hypo- logische Symptome (z. B. Übelkeit, Kopfschmer-
natriämie, Niereninsuffizienz und das Syndrom zen, Apathie, Verwirrtheit) im Vordergrund.
der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH, s. o.).
Hypernatriämie. Bei einer Hypernatriämie ist
Beim Diabetes insipidus renalis werden dage-
die Natriumionen-Konzentration des Serums
gen, da Adiuretin-Analoga nicht wirksam sind,
größer als 150 mmol/l. Das im Verhältnis zu
Diuretika vom Thiazid-Typ (s. o.) gegeben. Wie
hyponatriämischen Zuständen seltenere Krank-
diese (paradoxe) Wirkung zustande kommt, ist
heitsbild wird durch erhöhte Natriumzufuhr
noch nicht eindeutig geklärt. Diskutiert werden
u. a. ein Vasopressin-ähnlicher Effekt sowie ein
oder Natriumretention sowie negative Wasser- 26
bilanz verursacht. Erhöhte Natriumzufuhr und
verringertes Durstgefühl durch Erniedrigung
Natriumretention führen zu hypertoner Hyper-
der Na+-Konzentration im Plasma.
hydratation. Eine negative Wasseraufnahme
oder Wasserverluste ohne wesentliche Natrium-
26.2.2 Störungen des
verluste lösen dagegen eine hypertone Dehydra-
Elektrolythaushalts
tation aus.
Elektrolytstörungen können sowohl als Folge
von Nierenerkrankungen auftreten als auch ex- Hypokaliämie. Bei einer Hypokaliämie beträgt
trarenal, z. B. durch hormonelle Dysregulatio- die Kaliumionenkonzentration des Serums we-
nen (u. a. Nebennierenrindeninsuffizienz), be- niger als 3,5 mmol/l. Als Ursachen kommen ne-
dingt sein. ben unzureichender Kaliumzufuhr renale oder
gastrointestinale Kaliumverluste sowie Störun-
Hyponatriämie. Eine Hyponatriämie liegt vor,
gen des extra-intrazellulären Kaliumtransports
wenn die Natriumionen-Konzentration des Se-
in Betracht.
rums < 135 mmol/l ist. Klinisch relevant sind
Konzentrationen < 130 mmol/l, bedrohlich Eine unzureichende Kaliumzufuhr findet man
Konzentrationen < 125 mmol/l. Bei einer Ver- z. T. bei chronischen Alkoholikern sowie bei Pa-
lusthyponatriämie ist die Natriumbilanz infolge tienten mit Anorexia nervosa. Renale Kalium-
hoher Natriumverluste oder nicht ausreichender verluste treten bei erhöhtem Aldosteron- oder
Natriumzufuhr negativ. Es kommt zu einer iso- Cortisol-Blutspiegel (bei primärem und sekun-
tonen oder hypotonen Dehydratation. därem Hyperaldosteronismus oder Cushing-
Von einer Verdünnungs- oder Verteilungs- Syndrom, Ⴉ Kap 21.7.3), bei Therapie mit Thia-
hyponatriämie spricht man, wenn bei norma- zid- und Schleifendiuretika sowie bei einigen
lem oder sogar erhöhtem Natriumbestand des chronischen Nierenerkrankungen auf. Kalium-
Organismus die Natriumionen-Konzentration verluste aus dem Gastrointestinaltrakt beruhen
im Extrazellularraum erniedrigt ist. Dies ist bei auf Diarrhöen oder chronischem Laxanzien-
verminderter Wasserausscheidung (z. B. wegen abusus.
Oligo- bzw. Anurie oder erhöhter Adiuretinaus- Kalium-Verteilungsstörungen sind u. a. die
schüttung) sowie bei Störungen des intra-extra- Folge von akuten Alkalosen, Insulin-Überdosie-
402 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

rungen oder gesteigerter β-adrenerger Aktivität Filtration die Phosphatkonzentration im Plasma


(Einstrom von K+ in die Zellen im Austausch und auch im Darmlumen nimmt die Phosphat-
gegen H+). konzentration zu, wodurch die Calciumresorp-
Als Symptome einer Hypokaliämie werden tion sinkt; außerdem wird in der Niere unzurei-
Muskelschwäche, gastrointestinale Beschwer- chend Calcitriol (1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3)
den (Magenatonie, Obstipation), Apathie, Nie- gebildet und dadurch die Phosphatausschei-
renfunktionsstörungen (z. B. verringertes Kon- dung und Ca2+-Resorption verringert.
zentrierungsvermögen), metabolische Alkalose
Das wichtigste Symptom einer Hypocalcämie
sowie Störungen der Herzfunktion mit EKG-
ist die gesteigerte Erregbarkeit des gesamten
Veränderungen beobachtet. Die Toxizität von
Nervensystems, die sich klinisch als Tetanie,
Herzglykosiden wird erhöht.
d. h. in tonischen Muskelkrämpfen, Parästhesi-
Hyperkaliämie. Bei einer Hyperkaliämie liegt en und Spasmen der glatten Muskulatur, äußert.
die Kaliumkonzentration des Serums über Das QT-Intervall im EKG ist verlängert.
5,0 mmol/l. Ursachen sind vermehrte K+-Zu-
Hypercalcämie. Eine Hypercalcämie (Serum-
fuhr, renale K+-Retention oder K+-Austritt aus
Ca2+-Konzentration > 2,7 mmol/l) kann u. a. auf
den Zellen ins Interstitium.
einer Überfunktion der Nebenschilddrüsen
Hyperkaliämien durch vermehrte exogene
(primärer, sekundärer Hyperparathyreoidis-
Zufuhr entstehen in der Regel durch fehlerhafte
mus, Ⴉ Kap. 21.4.1.2), Immobilisation, Vitamin-
therapeutische Maßnahmen, z. B. durch zu
D-Intoxikation, Sarkoidose sowie (selten) auf
schnelle Infusion Kaliumionen-haltiger Lösun-
einem Morbus Addison (Ⴉ Kap. 21.7.3) oder ei-
gen. Zu einer verminderten Kaliumexkretion
ner Hyperthyreose (Ⴉ Kap. 21.3.4) beruhen. Eine
kommt es bei chronischer Niereninsuffizienz,
weitere häufige Ursache sind bösartige Tumo-
akutem Nierenversagen, Mineralocorticoid-
ren, insbesondere Bronchial-, Mamma- und
Mangel (Ⴉ Kap. 21.7.3) und Therapie mit kali-
weibliche Genitalkarzinome, bei denen entwe-
umsparenden Diuretika (z. B. Amilorid oder
der osteoklastische Metastasen zu einer ver-
Spironolacton). Ein verstärkter Übertritt von K+
mehrten Calciumfreisetzung aus dem Knochen
aus dem Intrazellularraum in den Extrazellular-
führen oder parathormonartige Substanzen ge-
raum wird z. B. durch Azidosen oder Vergiftun-
bildet werden (Tumorhypercalcämie).
gen mit Herzglykosiden hervorgerufen.
Die durch eine Hyperkaliämie ausgelösten Symptome einer Hypercalcämie sind Gewichts-
Symptome entsprechen annähernd denen einer abnahme, Appetitlosigkeit, Obstipation, Meteo-
Hypokaliämie. rismus, Polyurie und Herzrhythmusstörungen.
Außerdem kann eine Hypercalcämie Psychosen
Hypocalcämie. Von einer Hypocalcämie wird
auslösen und in schweren Fällen komatöse Zu-
gesprochen, wenn die Serum-Calciumkonzen-
stände verursachen. Ferner besteht durch die
tration unter 2,0 mmol/l sinkt. Als Ursachen
vermehrte renale Calciumausscheidung die Ge-
kommen in Betracht: unzureichende Ca2+-Zu-
fahr einer Nierensteinbildung.
fuhr mit der Nahrung, insbesondere in der
Schwangerschaft und Stillzeit, Vitamin-D3- Hypomagnesiämie. Eine Hypomagnesiämie
Mangel, Nebenschilddrüsenunterfunktion (pri- (Serum-Magnesiumspiegel < 0,7 mmol/l) tritt
märer und sekundärer Hypoparathyreoidismus, häufig auf bei Alkoholismus, ferner bei chroni-
Ⴉ Kap. 21.4.1.1), Bildung von schwer resorbier- schen Darmerkrankungen (z. B. Kolitis), Hyper-
baren Kalkseifen bei akuter Pankreatitis und thyreose, Hyperparathyreoidismus und Hyper-
verminderte Resorption bei Malabsorptions- aldosteronismus. Auch Azidosen führen durch
syndrom sowie bei Niereninsuffizienz. Bei die- eine verstärkte renale Ausscheidung von Mag-
ser steigt infolge der verringerten glomerulären nesiumionen zu einer Hypomagnesiämie.
26.2 Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts 403

Die klinische Symptomatik ähnelt der einer Hy- Hypertonie, sehr häufig mit kaliumretinieren-
pocalcämie (tetaniforme Zeichen, Waden- den ACE-Hemmern (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) oder Sar-
krämpfe), daneben werden Tachykardie und tanen (Ⴉ Kap. 23.2.2.2) kombiniert werden. Zur
andere Herzrhythmusstörungen angegeben. Da Prophylaxe eines Diuretika-bedingten Kalium-
ein Magnesiummangel aber stets mit anderen mangels ist neben einer kaliumreichen Kost der
Stoffwechselstörungen einhergeht, ist die exakte Einsatz von kaliumsparenden Diuretika einer
Zuordnung der Symptome nur schwer möglich. Kaliumsubstitution mit Kaliumpräparaten vor-
zuziehen, da während einer Salurese die exogen
Hypermagnesiämie. Bei einer Hypermagnesi-
zugeführten Kaliumionen rasch durch die Nie-
ämie liegt der Serum-Magnesiumspiegel über
ren wieder ausgeschieden werden.
1,6 mmol/l. Klinisch relevant wird eine Hyper-
magnesiämie allerdings erst ab einer Serumkon- Calciumpräparate. Calciumpräparate werden
zentration über 2 mmol/l. Ursachen sind neben (außer als Antazida, Ⴉ Kap. 25.1.2.3) bei ernäh-
iatrogenen Maßnahmen (Zufuhr großer Men- rungs- oder malabsorptionsbedingtem Calci-
gen Magnesium-haltiger Infusionslösungen, ummangel sowie bei Osteoporose (Ⴉ Kap. 21.4.3)
Gabe hoher Magnesiumsulfat-Dosen zum Ab- und Hypoparathyreoidismus verwendet.
führen) Niereninsuffizienz, Hypothyreose sowie
Zur parenteralen Applikation (z. B. bei akuten,
Morbus Addison.
mit Tetanie einhergehenden Hypocalcämien)
Als Symptome beobachtet man eine herabge- werden Calciumsalze mit organischen Carbon-
26
setzte Erregbarkeit der quergestreiften Muskula- säuren, insbesondere Calciumgluconat, in einer
tur (Curare-ähnliche Wirkung), Obstipation Dosierung von 2,25–4,5 mmol Ca2+ angewandt.
und eine Hemmung zentralnervöser Funktio- Wegen der Gefahr eines starken Blutdruckab-
nen. Bei Serumkonzentrationen über 5 mmol/l falls bei zu rascher Anflutung von Ca2+ hat die
kommt es zu Atemlähmung und diastolischem intravenöse Injektion langsam zu erfolgen, der
Herzstillstand. Herzrhythmus ist laufend zu überwachen.
Für die orale Gabe eignet sich wegen des ho-
26.2.2.1 Therapeutische Anwendung von hen Calciumgehalts von ca. 40 % vor allem Cal-
Kalium-, Calcium- und ciumcarbonat, daneben kommt Calciumlactat
Magnesiumsalzen (z. B. Ospur® Ca 500) mit 13 % Calcium in Be-
Kaliumpräparate. Kaliumpräparate (z. B. Kali- tracht. Die Dosierung liegt bei 1000 mg Ca2+/
nor®-retard P) sind indiziert zur Beseitigung Tag.
eines manifesten Kaliummangels (Kalium- Insbesondere zur Osteoporoseprophylaxe
serumkonzentration < 3,5 mmol/l). Wenn mög- und -therapie (Ⴉ Kap. 21.4.3) sind Calciumprä-
lich, sollte die Substitution peroral (obwohl ora- parate in Kombination mit Vitamin D3 (z. B.
le Kaliumpräparate schlecht verträglich sind) Calcium-Sandoz® D Osteo) von therapeutischer
und nur in Ausnahmefällen, z. B. im Coma dia- Bedeutung.
beticum (Ⴉ Kap. 21.6.1), intravenös erfolgen. Die
Magnesiumpräparate. Die Verwendung von
übliche Einzeldosis beträgt 20–40 mmol (Tages-
Magnesiumsalzen als Antazida und Laxanzien
dosis maximal 150 mmol). Wegen der lokal rei-
wurde bereits in Ⴉ Kap. 25.1.2.3 und Ⴉ Kap. 25.6.2
zenden Wirkung von Kaliumionen empfiehlt
besprochen.
sich die Gabe von Retardpräparaten oder von
verdünnten (mittels Brausetabletten hergestell- Intravenös werden Magnesiumpräparate außer
ten) Lösungen. zur Beseitigung von Magnesiummangelzustän-
den meist in Form von Magnesiumsulfat bei be-
Die Bedeutung von Kaliumpräparaten hat deut-
stimmten Formen von Herzrhythmusstörun-
lich abgenommen, seit Diuretika, wie oben er-
gen, vor allem bei Torsades de pointes und
wähnt, bei einer ihrer Hauptindikationen, der
Herzglykosid-bedingten Rhythmusstörungen,
404 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

sowie bei Präeklampsie und Eklampsie einge- zeichnung nichtrespiratorische Azidose bzw.
setzt (Dosierung mindestens 10 mmol Mg2+ täg- Alkalose zusammen.
lich). Stärkere pH-Verschiebungen lösen schwere,
Die Indikationen für orale Magnesiumprä- u. U. lebensbedrohliche Symptome aus. So
parate sind – von Magnesiummangelzuständen kommt es bei einer Erniedrigung des pH-Werts
und deren Folgen, z. B. Magnesiummangel-be- unter 7,20 zu einer Verminderung des Herzzeit-
dingten Wadenkrämpfen, abgesehen – noch im- volumens, Herzrhythmusstörungen, Hypotonie
mer umstritten. Zwar gibt es Hinweise dafür, (bis zum Schock), Bewusstseinsstörungen und
dass sich oral applizierte Magnesiumionen zur schließlich zum Koma.
Behandlung verschiedener Arrhythmieformen
eignen sowie (schwache) antihypertensive Ei- 26.2.4 Infusionstherapie bei
genschaften besitzen, doch steht ein definitiver Störungen des Wasser-,
Wirksamkeitsnachweis aus. Prophylaktisch ein- Elektrolyt- oder Säure-Basen-
gesetzt verringert die Gabe von Magnesium bei Haushalts
Schwangeren die Gefahr einer Präeklampsie. Ziel einer Infusionstherapie bei Störungen des
Beispiele für Magnesiumpräparate: Magnesi- Wasser- und Elektrolythaushalts oder des Säure-
umaspartat (Magnesiocard®), Magnesiumcar- Basen-Gleichgewichts ist die Wiederherstellung
bonat + Magnesiumoxid (Lösnesium®), Magne- der Homöostase. Dabei ist zu unterscheiden
siumcitrat (Magnesium-Diasporal® 100), Mag- zwischen dem Basis-(Erhaltungs-) und Korrek-
nesiumhydrogenaspartat (z. B. Magium®), Mag- turbedarf.
nesiumbishydrogenglutamat + Magnesiumcitrat Der Basisbedarf umfasst die normalen Was-
(Magnesium Verla® N Dragees), Magnesiumo- ser- und Elektrolytverluste (durch Urinaus-
rotat (magnerot® CLASSIC), Magnesiumoxid scheidung, Fäzes, Schwitzen, transepidermalen
(z. B. Magnesium-Diasporal® 150), Magnesium- Wasserverlust). Er beträgt für einen erwachse-
sulfat (z. B. Cormagnesin® 200/400). nen Patienten pro Tag ungefähr 2,5 l Wasser,
85–120 mmol Natrium und 60–90 mmol Kali-
26.2.3 Störungen des Säure-Basen- um.
Haushalts Der Korrekturbedarf ergibt sich aus der ak-
Kommt es krankheitsbedingt zu einem beson- tuellen Wasser- und Elektrolytsituation und aus
ders starken Anfall von Säuren oder Basen, sind pathologischen Verlusten (z. B. durch Erbre-
die Puffersysteme des Organismus nicht mehr chen, Durchfälle, Fistelflüssigkeit).
in der Lage, den pH-Wert des Blutes auf dem Um eine zu geringe oder eine zu große Zu-
Normalwert von pH 7,40 konstant zu halten. fuhr (Unter- oder Überinfusion) zu vermeiden,
Entsprechend der dann auftretenden pH-Ver- ist eine exakte Bilanzierung durch Bestimmung
schiebung unterscheidet man Azidosen (pH der zugeführten und ausgeschiedenen Mengen
< 7,35) und Alkalosen (pH > 7,45). sowie eine Überprüfung der Serumwerte erfor-
Beruht die pH-Veränderung auf einer Lun- derlich.
genfunktionsstörung, spricht man von einer
Infusionslösungen. Grundlösungen sind elek-
respiratorischen, liegt ihr eine Stoffwechselstö-
trolytfreie Kohlenhydratlösungen mit unter-
rung (z. B. bei Diabetes mellitus oder Leber-
schiedlichem Kohlenhydratgehalt (5–10 %).
zirrhose) zugrunde, von einer metabolischen
Azidose bzw. Alkalose. Da auch Nierenfunkti- Basislösungen (bilanzierende Lösungen) sind
onsstörungen zu pH-Veränderungen führen so zusammengesetzt, dass 2–3 l Infusionsflüs-
können – beispielsweise hat eine Anurie eine sigkeit den täglichen Normbedarf an Wasser
Azidose zur Folge – fasst man die renal und me- und Elektrolyten decken.
tabolisch bedingten Störungen unter der Be- Isotone Elektrolytlösungen sind in ihrem os-
motischen Druck dem des Plasmas angeglichen.
26.3 Am Urogenitaltrakt angreifende Pharmaka 405

Elektrolytkonzentrate enthalten die erfor- Besteht bereits eine Hypernatriämie, ist die
derlichen Ionen in konzentrierter Lösung. Sie Gabe von NaHCO3 kontraindiziert. Alternativ
werden Grundlösungen zugesetzt. lässt sich in solchen Fällen Trometamol (Tris-
Vollelektrolytlösungen enthalten Elektrolyte Puffer, THAM; z. B. THAM-Köhler 3 M) einset-
in plasmaähnlicher oder plasmagleicher Kon- zen. Dies gilt jedoch nicht für Patienten mit res-
zentration. piratorischer Insuffizienz, da Trometamol, sehr
Halbelektrolytlösungen weisen dagegen nur wahrscheinlich infolge einer Erniedrigung der
den halben Elektrolytgehalt des Plasmas auf. CO2-Konzentration im Blut, atemdepressiv
Durch Zusatz von Kohlenhydraten können sie wirkt.
plasmaisoton gemacht werden. Sie dienen vor Respiratorische Alkalosen lassen sich in
allem zum Ersatz von Wasserverlusten. akuten Fällen (z. B. bei Hyperventilationsteta-
Als Ersatzlösungen bezeichnet man Infusi- nie) durch Rückatmung in einen Plastikbeutel
onslösungen zum Ersatz von (saurem) Magen- (Anstieg der CO2-Konzentration im Blut), bei
saft oder (alkalischem) Dünndarmsekret. chronischen Störungen, z. B. bei Lungenerkran-
Korrekturlösungen mit alkalisierenden oder kungen, nur durch die Therapie der Grund-
azidifizierenden Eigenschaften sind zur Korrek- krankheit behandeln.
tur von pH-Verschiebungen im Organismus be- Metabolische Alkalosen führen zu renalen
stimmt. Ersatz- und Korrekturlösungen werden K+-Verlusten und damit zur Hypokaliämie, die
unter der Bezeichnung korrigierende Lösungen sich durch die Gabe von Kaliumchlorid beseiti-
26
zusammengefasst. gen lässt. Die Applikation azidifizierender Lö-
sungen, die verstoffwechselbare Kationen (z. B.
Therapie von Störungen des Wasser- und Elek-
Arginin oder Lysin) enthalten, oder die Infusion
trolythaushalts. Die Behandlung von Störun-
von stark verdünnter HCl-Lösung sind nur in
gen des Wasser- und Elektrolythaushalts hat sich
Ausnahmefällen erforderlich.
nach der jeweiligen Art der Störung zu richten.
Die entsprechenden Maßnahmen sind in
႒ Tab. 26.2 zusammengestellt.
26.3 Am Urogenitaltrakt angreifende
Therapie von Störungen des Säure-Basen- Pharmaka
Haushalts. Bei einer respiratorischen Azidose
muss die Ventilation gesteigert werden. 26.3.1 Benignes Prostata-Syndrom
Bei einer metabolischen Azidose ist die (BPS)
Grundkrankheit und damit die Ursache der Azi- In höherem Alter (ca. vom 65. Lebensjahr an)
dose zu behandeln (z. B. Applikation von Insulin kommt es bei Männern in einem hohen Pro-
bei einer diabetischen Ketoazidose, Ⴉ Kap. zentsatz zu einer gutartigen, knotigen Vergröße-
21.6.1). Sind zur Therapie einer bedrohlichen rung der Prostata infolge einer Hyperplasie des
Azidose Puffersubstanzen erforderlich (in der Epithels sowie des fibromuskulären Gewebes im
Regel bei einem pH-Wert < 7,15–7,2), eignen inneren Drüsenbereich, während die äußeren
sich besonders Natriumhydrogencarbonat-Lö- Drüsenbezirke durch multiple Knoten ver-
sungen. Ihre Zufuhr sollte unter Kontrolle der drängt und zu einer dünnen Gewebeschicht zu-
Säure-Basen-Werte erfolgen, wobei zur Vermei- sammengedrückt werden. Die früher als benig-
dung einer durch Überinfusion hervorgerufe- ne Prostatahyperplasie (BPH), heute besser als
nen Alkalose zunächst nur ein pH-Wert > 7,2, benignes Prostatahyperplasie-Syndrom (BPS)
jedoch keine vollständige Korrektur der Azidose bezeichnete Erkrankung ist bei 75–100 % aller
anzustreben ist. Als Nebenwirkungen einer Nat- Männer über 75 Jahren nachweisbar, führt je-
riumhydrogencarbonat-Zufuhr können Hyper- doch nur in 30–40 % der Fälle zu manifesten Be-
natriämie und Hyperosmolalität auftreten. schwerden unterschiedlicher und zeitlich
schwankender Intensität. Sowohl Dihydrotesto-
406 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

႒ Tab. 26.2 Therapeutische Maßnahmen bei Wasser- und Elektrolytstoffwechselstörungen


Art der Störung Behandlungsmaßnahme

Dehydratation

Isotone Infusion von Vollelektrolytlösungen

Hypertone Infusion von Glucose-Lösungen bzw. von Halbelektrolytlösungen mit Kohlenhy-


dratzusatz; nach Verstoffwechslung des Kohlenhydratanteils steht das zugeführte
Wasser als sog. „osmotisch freies Wasser“ zur Verfügung

Hypotone Langsame Zufuhr von hypertoner NaCl-Lösung unter ständiger Überwachung des Pa-
tienten oder p. o. Kochsalzzufuhr

Hyperhydratation

Isotone Behandlung mit Diuretika

Hypertone Bei nicht gestörter Nierenfunktion Gabe von Diuretika; bei Niereninsuffizienz Hämo-
dialyse zur Entfernung von Natriumionen; Infusion von Halbelektrolytlösungen, um
osmotisch freies Wasser zuzuführen

hypotone Langsame Zufuhr hypertoner NaCl-Lösung wie bei hypotoner Dehydratation

Hypokaliämie

Zufuhr von Kaliumchlorid p. o. oder parenteral (maximal 20–30 mmol/Stunde unter EKG- und Plasmakalium-
Kontrolle)

Hyperkaliämie

Injektion von komplexen Calciumsalzen, Glucose-Insulin-Infusion zur intrazellulären Bindung von Kalium-
ionen; evtl. Hämodialyse, Elimination von Kaliumionen durch p. o. applizierte Kationenaustauscher (z. B. Re-
sonium® A)

Hypocalcämie

P. o. Gabe von Calciumsalzen; bei schweren Fällen (tetanischen Erscheinungen) intravenöse Zufuhr von Calci-
umgluconat

Hypercalcämie

Infusion von 0,9 %iger Kochsalzlösung und eines Schleifendiuretikums; bei lebensbedrohlicher Hypercalcämie
Infusion von Natriumedetat oder Hämodialyse

Hypomagnesiämie

In leichten Fällen tägliche p. o. Gabe von 10 mmol Mg2+ ; bei schwerer Hypomagnesiämie mit Krampfanfällen
langsame intravenöse Gabe von Magnesiumsulfat

Hypermagnesiämie

Sofern eine Atemdepression auftritt oder Herzrhythmusstörungen bestehen, intravenöse Gaben von Ca2+,
eventuell Hämodialyse
26.3 Am Urogenitaltrakt angreifende Pharmaka 407

steron (Ⴉ Kap. 21.8.3.1) als auch Estradiol α1-Blocker sind besonders bei jüngeren Patien-
(Ⴉ Kap. 21.8.4.1) sind als pathogenetische Fakto- ten mit vorwiegend irritativen Symptomen indi-
ren bedeutsam. Dihydrotestosteron (DHT) sti- ziert, ferner bei solchen Patienten, die eine Pro-
muliert insbesondere das Wachstum der Epi- stata-Operation ablehnen bzw. nicht operierbar
thelzellen der Prostata, Estrogene verstärken sind oder die bis zu einer Operation wegen star-
diesen Effekt. (Bei älteren Männern ist die ker Beschwerden symptomatisch behandelt
Estradiolkonzentration im Blut im Vergleich zu werden müssen. Vorteilhaft ist der schnelle Wir-
jüngeren deutlich höher.) kungseintritt mit rascher Besserung der Symp-
Nach den Symptomen unterscheidet man ir- tome, nachteilig, dass die Prostata durch die Be-
ritative und obstruktive Beschwerden sowie drei handlung nicht verkleinert wird.
Stadien des BPS: Im Stadium I ist die Stärke des
5α-Reduktasehemmer. Finasterid (z. B. PROS-
Harnstrahls deutlich abgeschwächt und der
CAR®) sowie dessen Analogsubstanz Dutaste-
Miktionsbeginn verzögert. Der Patient klagt
rid (Avodart®) blockieren die Umwandlung von
über häufigen Harndrang am Tag und während
Testosteron in 5α-Dihydrotestosteron (Ⴉ Kap.
der Nacht. Im Stadium II besteht bei weiter ge-
21.8.3.1). Während Finasterid nur mit der
steigerter Miktionsfrequenz schon kurz nach
5α-Reduktase vom Typ 1 interagiert, hemmt
dem Wasserlassen das Gefühl, dass die Blase
Dutasterid sowohl die Typ-1- als auch die aller-
nicht völlig entleert werden kann. Es kommt zur
Restharnbildung (ca. 100–150 ml). Im Stadium
dings für das BPS weniger bedeutsame Typ-2– 26
5α-Reduktase. Nach Gabe eines 5α-Reduktase-
III liegt eine Überlaufinkontinenz (unwillkürli-
hemmers sinkt bei annähernd gleichbleibendem
cher Harnabgang bei übervoller Blase) oder
Serumtestosteronblutspiegel die Dihydrotesto-
komplette Harnverhaltung bei ständigem Harn-
steron-Konzentration in der Prostata um etwa
drang vor, außerdem treten Rückstauschäden
70–80 %, gleichzeitig nimmt der Wert des Pros-
(progrediente Niereninsuffizienz) auf.
tata-spezifischen Antigens (PSA) um ca. 50 %
Das Prostata-spezifische Antigen (PSA) ist
ab. Diese Änderung eines wichtigen Laborpara-
im Gegensatz zum Prostatakarzinom (Ⴉ Kap.
meters muss bei der Diagnostik, insbesondere
31.9.2) beim BPS allenfalls geringgradig erhöht.
bei der Ausschlussdiagnostik eines Prostatakar-
zinoms, unbedingt beachtet werden.
26.3.1.1 Prostatamittel
Der hauptsächliche Effekt einer Therapie mit
α1-Adrenozeptorblocker. Blockade von α1-Re-
5α-Reduktasehemmern, die Verringerung des
zeptoren führt zu einer Erschlaffung der glatten
Prostatavolumens um 20–30 % sowie die Ver-
Muskulatur des Blasenhalses, der Harnröhre
langsamung bzw. Verhinderung eines weiteren
und der Prostata. Mit α1-Adrenozeptorblockern
Wachstums, ist meist erst nach mehreren Mona-
(Ⴉ Kap. 19.4.1) lässt sich dementsprechend ein
ten ausgeprägt.
erleichterter Harnabfluss, insbesondere durch
Die Bioverfügbarkeit beider Substanzen wird
eine Verringerung des intraprostatischen Harn-
mit 60–65 % angegeben. Die Ausscheidung von
röhrenwiderstands, erreichen. Im Prinzip kön-
Finasterid erfolgt in Form seiner Metaboliten zu
nen alle α1-Blocker zur Behandlung eines BPS
etwa 40 % renal und zu ca. 60 % mit den Fäzes,
verwendet werden, doch setzten sich bei dieser
die Halbwertszeit liegt bei 6 Stunden. Dutasterid
Indikation verstärkt solche Substanzen durch,
wird unter Beteiligung von CYP3A intensiv me-
die eine gewisse Präferenz zum Adrenozeptor-
tabolisiert, die Metaboliten werden über die Fä-
Subtyp α1A besitzen und deshalb weniger stark
zes ausgeschieden, die Halbwertszeit beträgt 3–5
blutdrucksenkend wirken. Hierzu gehören, wie
Wochen.
in Ⴉ Kap. 19.4.1 beschrieben, Alfuzosin (z. B.
5α-Reduktasehemmer sind vor allem bei äl-
Urion®) und Tamsulosin (z. B. Alna® Ocas®).
teren Patienten mit deutlich vergrößerter Pros-
tata indiziert. Außer bei benigner Prostatahy-
408 26 Diuretika, Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt

perplasie wird Finasterid bei androgenetischer gen, Treppensteigen, Tragen schwerer Lasten)
Alopezie (Ⴉ Kap. 28.9) eingesetzt. geht Urin unfreiwillig ab.
Die Dosierung von Finasterid beträgt 1-mal Bei der Dranginkontinenz (Urge-Inkonti-
täglich 5 mg, die von Dutasterid 1-mal täglich nenz) kommt es unvermittelt zu nicht unter-
0,5 mg. drückbaren Detrusorkontraktionen und da-
Als Nebenwirkungen kommen Störungen durch bedingtem Urinabgang. Häufig verbun-
der Sexualfunktion (verringerte Libido, vermin- den mit Dranginkontinenz sind Nykturie und
dertes Ejakulatvolumen, Impotenz) sowie selten Pollakisurie. Ursächlich kommen entzündliche
Gynäkomastie und Überempfindlichkeitsreak- und obstruktive Veränderungen der unteren
tionen vor. Bei Patienten mit eingeschränkter Harnwege sowie neurologische Störungen (z. B.
Leberfunktion ist Finasterid kontraindiziert. beim Parkinson-Syndrom oder bei Multipler
CYP3A4-Hemmstoffe (z. B. Itraconazol, In- Sklerose) in Betracht.
dinavir oder Ritonavir) erhöhen die Plasmakon-
Behandlung der Stressinkontinenz. Bei der Be-
zentration von Dutasterid.
handlung einer Stressinkontinenz steht – neben
Phytopharmaka. In Deutschland werden Phy- einer Operation in schweren Fällen – Beckenbo-
topharmaka in großem Umfang zur Therapie denmuskulaturtraining durch Beckenboden-
des BPS verwendet. Hierzu gehören Extrakte gymnastik oder Elektrostimulation der Becken-
aus Brennnesselwurzel (z. B. Bazoton® uno), bodenmuskulatur im Vordergrund. Pharmako-
Sägepalmenfrüchten (z. B. Prostagutt® uno), therapeutisch können diese Maßnahmen durch
Kürbissamen (Prosta Fink® Forte) und Roggen- α-Adrenozeptor-Agonisten (z. B. Midodrin,
pollen (Cernilton®) sowie Phytosterolgemische Ⴉ Kap 19.2.1), Cholinesterasehemmer (z. B. Di-
mit β-Sitosterol als Hauptbestandteil (z. B. Har- stigminbromid, Ⴉ Kap. 20.1.2) sowie auch mit
zol®). Außerdem sind Kombinationen dieser dem vor allem als Antidepressivum eingesetzten
Extrakte im Handel (z. B. enthält Prostagutt® Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer
forte Brennnesselwurzel- und Sägepalmen- Duloxetin (YENTREVE®, Dosierung 2-mal
früchte-Extrakt). Während es lange keine den täglich 40 mg) unterstützt werden.
heutigen Anforderungen entsprechende Studien
Behandlung der Dranginkontinenz. Die Thera-
zum Wirksamkeitsnachweis dieser Präparate
pie einer Dranginkontinenz erfolgt dagegen
gab, liegen jetzt neuere Daten vor, die eine ge-
vorwiegend medikamentös mit m-Cholinozep-
wisse Wirksamkeit bestimmter Extrakte zeigen.
tor-Antagonisten (neurotropen Spasmolytika,
Doch ist – insgesamt betrachtet – die Studienla-
Ⴉ Kap. 20.2) und neurotrop-muskulotrop wir-
ge (noch) nicht befriedigend. Insbesondere feh-
kenden Spasmolytika (Ⴉ Kap. 20.3).
len häufig kontrollierte Langzeitstudien.
Aus der Gruppe der m-Cholinozeptor-Antago-
nisten, die den Parasympathikus-bedingten De-
26.3.2 Harninkontinenz
trusortonus senken und (indirekt) den
Harninkontinenz (unwillkürlicher Harnab-
α-adrenergen Sphinktertonus erhöhen, galt
gang) tritt als Symptom bei verschiedenen Stö-
Oxybutinin (z. B. Dridase®) lange als
rungen des Harnblasenverschlussapparats und/
Standardsubstanz. Wegen seiner im Vergleich
oder des Detrusors auf. Besonders häufig ist sie
zu den nachfolgend genannten Substanzen je-
bei Frauen, vor allem nach der Menopause.
doch stärkeren Speichelsekretionshemmung hat
Bei der Stressinkontinenz (Belastungsinkon-
es an Bedeutung verloren. Vorwiegend werden
tinenz) ist die Beckenbodenmuskulatur – meist
heute Trospiumchlorid (z. B. Spasmex®), Tol-
durch Dehnung der entsprechenden Muskeln
terodin (Detrusitol®) sowie als neuere Sub-
während einer Schwangerschaft – geschwächt.
stanzen Darifenacin (Emselex®), Solifenacin
Bei Belastung (z. B. beim Niesen, Husten, Sprin-
(Vesikur®) und Fesoteridin (TOVIAZ®) einge-
26.3 Am Urogenitaltrakt angreifende Pharmaka 409

setzt. Ob die drei letztgenannten Substanzen, bei Mit Mirabegron (BetmigaTM), einem starken
denen es sich um M3-Rezeptoren-präferierende und selektiven β3-Adrenozeptor-Agonisten,
Antagonisten handelt, Vorteile gegenüber den wurde 2013 ein neues Therapieprinzip zur Be-
anderen neurotropen Spasmolytika besitzen, ist handlung der Dranginkontinenz eingeführt.
fraglich. Trospiumchlorid, die einzige quartäre Mirabegron bewirkt eine Entspannung der glat-
Ammoniumverbindung dieser Stoffgruppe, ten Harnblasenmuskulatur, ein erhöhtes mittle-
zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz res Entleerungsvolumen je Miktion und eine
zu den anderen Substanzen, bei denen es sich verringerte Miktionshäufigkeit (ohne das Rest-
um tertiäre Amine handelt, so gut wie keine zen- harnvolumen zu beeinflussen). Die Halbwerts-
tralnervösen Nebenwirkungen aufweist. zeit beträgt ca. 50 Stunden, die Dosierung 50 mg
Bei guter Compliance können mit diesen 1-mal täglich. Bei leichter Nieren- und Leberin-
Präparaten der pathologisch erhöhte Harndrang suffizienz muss sie auf die Hälfte reduziert wer-
und die Miktionsfrequenz signifikant gesenkt den. Häufige Nebenwirkungen sind Harn-
werden. Wegen der häufig als Nebenwirkung wegsinfektionen und Tachykardie, gelegentlich
auftretenden Mundtrockenheit ist die Einnah- kommen Blutdruckerhöhungen vor. Bei schwe-
metreue jedoch häufig nicht sehr hoch. rer Hypertonie ist Mirabegron kontraindiziert,
Die Dosierungen betragen von Oxybutinin bei Patienten mit Blasenausgangsobstruktion ist
3-mal täglich 2,5–5 mg, von Trospiumchlorid wegen des Risikos eines Harnverhalts Vorsicht
3-mal täglich 10–15 mg oder 1-mal täglich geboten.
26
45 mg, von Tolterodintartrat 2-mal täglich (1–) Da das Institut für Qualität und Wirtschaft-
2 mg, von Darifenacin 7,5–15 mg, von Solifen- lichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Mira-
acinsuccinat 5(–10) mg und von Fesoteridinfu- begron keinen Zusatznutzen bescheinigte, wur-
marat 4–8 mg jeweils 1-mal täglich. de es in Deutschland von der Herstellerfirma
Von den neurotrop-muskulotrop wirkenden aus dem Markt genommen.
Substanzen ist bei dieser Indikation vor allem
Propiverin (z. B. Mictonorm®) in einer Dosie-
rung von 30–45 mg/Tag, verteilt auf 2–3 Einzel-
gaben, gebräuchlich.
410 27 Ophthalmika

27 Ophthalmika

Die Anwendung von Arzneimitteln in der Oph- ten bleiben und das Sehvermögen möglichst we-
thalmologie erfolgt vorwiegend lokal in Form nig beeinträchtigen. Häufig werden sie während
von Augentropfen (Oculoguttae) oder Augen- der Nacht eingesetzt.
salben (Oculenta) sowie Injektionsflüssigkeiten
Pharmakokinetische Besonderheiten. Sollen
zur Injektion ins Auge. Wesentlich seltener ist
lokal applizierte Augenarzneimittel nicht ins
eine systemische Gabe, z. B. beim Einsatz von
Augeninnere eindringen, müssen sie hydrophil
Immunsuppressiva, erforderlich. Durch die lo-
sein und dürfen allenfalls geringgradige lipophi-
kale Applikation lassen sich am Wirkort Auge in
le Eigenschaften besitzen. Somit wird man aus
der Regel höhere Arzneistoffkonzentrationen
einer bestimmten Stoffgruppe für solche Indika-
als bei systemischer Verabreichung erzielen.
tionen die wasserlöslichen Vertreter auswählen.
Augentropfen sind sterile, wässrige oder öli-
Andererseits ist für Ophthalmika, die intraoku-
ge Lösungen bzw. Suspensionen zum Eintropfen
lär (Im Augeninnern) wirken sollen, ein am-
in den Bindehautsack. Um Reizungen zu ver-
phiphiles Verhalten erforderlich, da sie sowohl
meiden, sollen sie tränenisoton sein und soweit
hydrophile als auch lipophile Kompartimente
möglich auf den physiologischen pH-Wert (iso-
(z. B. Kornea, vordere Augenkammer) überwin-
hydrisch) eingestellt werden. Durch viskositäts-
den müssen.
erhöhende Substanzen (z. B. Methylzellulose,
Polyvinylalkohol) lässt sich bei wässrigen Au- Da selbst bei korrekter Anwendung von Augen-
gentropfen die Verweildauer und damit die tropfen ein relativ großer Anteil des applizierten
Wirkdauer erhöhen. Die Einzeldosis sollte 1 Pharmakons über den Tränenkanal in die Nase
Tropfen (ca. 50 μl) enthalten, da die Tränenflüs- abfließt und im Nasen-Rachen-Raum resorbiert
sigkeit pro Auge nur etwa 10 bis maximal 30 μl werden kann, besteht eine nicht geringe Gefahr
beträgt, und es daher bei Applikation von mehr systemischer Nebenwirkungen. So wurden bei-
als einem Tropfen zum Überlaufen auf die Haut spielsweise nach Applikation von Betablocker
oder zum Abfluss in die Nase mit erhöhter Ge- enthaltenden Augentropfen (s. u.) bei einer Rei-
fahr von unerwünschten systemischen Neben- he von Patienten die für diese Substanzgruppe
wirkungen kommt. typischen unerwünschten Effekte beschrieben.
Augensalben stellen eine Alternative zu Au- Arzneistoffe können außerdem können auch
gentropfen dar. Sie sollen reizlos sein, sich so- direkt über das Auge resorbiert werden und un-
wohl in Form eines feinen Films rasch über den ter Umgehung des First-Pass-Effekts (Ⴉ Kap.
Augapfel ausbreiten (spreiten) als auch gut haf- 2.5.5) in die Blutbahn gelangen.
27.1 Glaukom 411

27.1 Glaukom
A Hornhaut
Trabekel-
Unter dem Begriff Glaukom (Grüner Star) wer- maschenwerk
den verschiedene, besonders bedeutsame und
häufige Formen einer Augenerkrankung zusam-
mengefasst, die zu einer Schädigung der Sehner- Vene
venpapille mit Gesichtsfeldausfällen führt.
Schlemm-
Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines Kanal
Glaukoms ist ein individuell zu hoher Augenin-
nendruck. Tritt ein Glaukom ohne eine voraus- weiter
Kammer-
gehende Augenerkrankung auf, spricht man von winkel
Ziliarkörper Iris
einem primären Glaukom. Ein sekundäres
Glaukom ist dagegen die Folge einer bestehen- Hornhaut
B
den oder vorausgegangenen Augen- oder Allge- Trabekel-
meinerkrankung, z. B. einer intraokulären Ent- maschenwerk
zündung.
Nach der Weite des Kammerwinkels werden
Vene
Glaukome in das Offenwinkel- und Engwinkel-
glaukom unterteilt. Schlemm-
Beim (chronischen) Offenwinkelglaukom Kanal
(Weitwinkelglaukom, Glaucoma simplex), der enger 27
mit über 90 % weitaus häufigsten Glaukomform, Kammer-
winkel
kann das Kammerwasser das Trabekelmaschen- Ziliarkörper Iris
werk (Ⴜ Abb. 27.1) durch den weiten Kammer-
winkel zwar ungehindert erreichen, infolge ei- Ⴜ Abb. 27.1 A Weiter und B enger Kammerwinkel.
ner strukturellen Veränderung der Trabekel je- Das Trabekelmaschenwerk ist ein schwammartiges
doch nur schwer hindurchtreten. Als weitere Gebilde, das den Kammerwinkel auskleidet. Durch
Abflusshindernisse kommen ein erhöhter Wi- seine Poren gelangt das Kammerwasser in den
derstand im Schlemm-Kanal sowie eine Druck- Schlemm-Kanal und von dort aus weiter in venöse
Gefäße. Nach Leydhecker und Krieglstein
steigerung in den Venen, die das Kammerwasser
ableiten, in Betracht. Dabei wird nochmals zwi-
schen einem Hochdruck- und einem Normal- Namen bereits hervorgeht – auf der Verlegung
druckglaukom unterschieden. Beim Hoch- des Kammerwinkels durch die Iriswurzel bei
druckglaukom ist der Augeninnendruck höher Pupillenerweiterung und einem aus diesem
als 21 mmHg, beim Normaldruckglaukom liegt Grund blockierten Kammerwasserabfluss. Es
er dagegen im Normbereich (10–21 mmHg). entwickelt sich rasch ein schweres Krankheits-
Wahrscheinlich liegt dem Normaldruckglau- bild, der akute Glaukomanfall, mit Augenin-
kom eine besondere Vulnerabilität der Sehner- nendruckwerten von 60–80 mmHg, starken
venfasern, z. B. durch Störungen der Mikrozir- Kopf- und Augenschmerzen, Übelkeit und häu-
kulation, zugrunde, sodass typische Schäden an fig auch Erbrechen. Wegen eines Ödems des
der Papille und im Gesichtsfeld schon bei Auge- Hornhautepithels sowie infolge der Mangel-
ninnendruckwerten < 20 mmHg auftreten. durchblutung der Netzhaut durch den stark er-
Beim akuten, mit weniger als 5 % wesentlich höhten Augeninnendruck ist das Sehvermögen
selteneren, bei Patienten mit angeborenem en- erheblich herabgesetzt.
gen Kammerwinkel auftretenden Winkelblock- Die Bedeutung des Glaukoms geht daraus
glaukom (Engwinkelglaukom) beruht die Stei- hervor, dass es zusammen mit der Makula-De-
gerung des intraokulären Drucks – wie aus dem generation (s. u.) und der diabetischen Retino-
412 27 Ophthalmika

pathie zu den drei häufigsten Ursachen der Er- auf. Trotz der lokalen Anwendung kann es, wie
blindung in den Industrieländern gehört. Etwa oben erwähnt, auch zu Betablocker-typischen
1–2 % der Bevölkerung über 40 Jahre sind davon systemischen Nebenwirkungen, wie z. B. AV-
betroffen, mit zunehmendem Alter nimmt die Überleitungsstörungen, Bradykardie oder asth-
Häufigkeit zu. Da zu Beginn der Erkrankung moiden Beschwerden, kommen.
subjektive Symptome meist fehlen, wird der Pa- Bei Asthma bronchiale, COPD, AV-Überlei-
tient auf seine Krankheit oft erst aufmerksam, tungsstörungen und Sinusbradykardie sowie bei
wenn bereits erhebliche Gesichtsfeldausfälle schwerer allergischer Rhinitis sind daher Beta-
aufgetreten sind. Die Prognose hängt deshalb blocker enthaltende Augentropfen kontraindi-
entscheidend von der Früherkennung durch ziert.
entsprechende Vorsorgeuntersuchungen und ei-
Sympathomimetika. Aus der Gruppe der Sym-
ner rechtzeitig eingeleiteten Therapie ab. Diese
pathomimetika werden die α2-Agonisten
besteht primär in einer medikamentösen Be-
(Ⴉ Kap. 19.2.1) Clonidin (z. B. Isoglaucon®) so-
handlung, deren Ziel die Verringerung der
wie dessen Analoga Apraclonidin (Iopidine®)
Kammerwasserproduktion, die Verbesserung
und Brimonidin (z. B. Alphagan®) als Glau-
des Kammerwasserabflusses über das Trabekel-
kommittel angewandt. Diese senken Wie Beta-
maschenwerk oder den Schlemm-Kanal und/
blocker senken sie den Augeninnendruck durch
oder die Steigerung des uveoskleralen Kammer-
Reduktion der Kammerwasserproduktion.
wassertransports (über die Gefäße des Ziliar-
Clonidin und Brimonidin werden entweder
körpers und der Iris) ist. Zu den Glaukommit-
allein oder zusammen mit einem Betablocker in
teln zählen β-Adrenozeptorblocker, α2-Sym-
der Langzeittherapie von Patienten mit Offen-
pathomimetika, Parasympathomimetika, Car-
winkelglaukom eingesetzt.
boanhydratasehemmer und Prostaglandin-De-
Apraclonidin eignet sich vor allem zur Ver-
rivate. Wenn Pharmaka unzureichend wirksam
hinderung von intraokularen Druckanstiegen
sind, kommen außerdem chirurgische Verfah-
nach chirurgischen Eingriffen am Auge (z. B.
ren in Betracht.
Laser-Iridotomie) sowie wegen seines raschen
Wirkungseintritts zur Anwendung beim akuten
27.1.1 Glaukommittel
Glaukomanfall (s. u.).
β-Adrenozeptorblocker. Die Wirkung der
Von Apraclonidin wird eine 0,5 %ige Lösung
β-Adrenozeptorblocker (Ⴉ Kap. 19.4.2 beruht
3-mal täglich, von Brimonidin eine 0,2 %ige Lö-
auf der Verringerung der Kammerwasserpro-
sung 2-mal täglich und von Clonidin eine 1/16–
duktion. In der Augenheilkunde werden die
1/8 %ige Lösung 2–3-mal täglich appliziert.
nichtselektiven Betablocker Timolol (z. B. Aru-
Als Nebenwirkungen können okuläre Stö-
timol®), mit dem die meisten Erfahrungen vor-
rungen (z. B. Augenbrennen, Fremdkörperge-
liegen, Carteolol (Arteoptic®), Levobunolol
fühl), ferner als systemische Effekte gelegentlich
(Vistagan®) und Metipranolol (z. B. Beta-
Müdigkeit, Schwindel, Blutdruckabfall u. a. vor-
mann®) sowie das β1-selektive Betaxolol (Bet-
kommen.
optima®) eingesetzt. In 0,1–0,5 %iger Lösung
Kontraindikationen sind schwere Herz-
sind sie bei Offenwinkelglaukomen indiziert.
Kreislauf-Erkrankungen sowie eine bestehende
Ihre Hauptvorteile bestehen darin, dass sie – lo-
Therapie mit MAO-Hemmern, anderen Sympa-
kal appliziert – bei guter Augeninnendruck-sen-
thomimetika oder tricyclischen Antidepressiva.
kender Wirkung die Pupillenweite und die Ak-
Auch bei Kleinkindern sollten diese Wirkstoffe
kommodation nicht beeinflussen. Außerdem
wegen der genannten Nebenwirkungen nicht
müssen sie wegen ihrer relativ langen Wirkdau-
angewandt werden.
er nur 2-mal täglich appliziert werden. Als loka-
le Nebenwirkungen treten Reizerscheinungen Parasympathomimetika (Miotika). Bei lokaler
am Auge, trockene Augen sowie Sehstörungen Anwendung am Auge lösen Parasympathomi-
27.1 Glaukom 413

metika (Ⴉ Kap. 20.1) eine Dauerkontraktion des mit®) und die lokal anwendbaren Substanzen
Musculus sphincter pupillae und des Ziliarmus- Dorzolamid (z. B. TRUSOPT®) und Brinzol-
kels aus. Dadurch wird einerseits die Pupille ver- amid (AZOPT®).
engt (miotische Wirkung), andererseits durch Acetazolamid wird fast nur noch beim aku-
Erweiterung der Abflusswege des Kammerwas- ten Glaukomanfall eingesetzt (Dosierung
sers (Spreizung der Maschen des Trabekelwerks) 500 mg i. m., i. v. oder p. o.). Dorzolamid und
der intraokulare Druck für einige Stunden ge- Brinzolamid eignen sich als Monotherapeutika
senkt. Dies bedingt ihre günstige Wirkung ins- oder in Kombination mit einem Betablocker zur
besondere bei Patienten mit Winkelblockglau- Dauertherapie bei allen Glaukomformen. Wie
kom (Engwinkelglaukom). Betablocker führen sie zu keiner Pupillenverän-
Die aus dieser Stoffgruppe bei Glaukom vor- derung oder Akkommodationsstörung. Dorzol-
wiegend verwendete Substanz ist Pilocarpin amid wird in 2 %iger Lösung 3-mal täglich,
(z. B. Pilomann®). Es wird in 0,5–3 %iger Lö- Brinzolamid in 1 %iger Lösung 2-mal täglich,
sung 4-mal täglich appliziert. angewandt.
Nachteilig ist, dass durch die Kontraktion des Als Nebenwirkungen von Dorzolamid und
Ziliarmuskels das Auge auf den Nahpunkt ak- Brinzolamid können u. a. vorübergehendes Ver-
kommodiert wird, wodurch vor allem bei jünge- schwommensehen, okuläre Missempfindungen,
ren Patienten vorübergehende Sehstörungen im Geschmacksstörungen, Kopfschmerzen, Paräs-
Sinne einer Kurzsichtigkeit (Myopie) auftreten. thesien sowie allergische Reaktionen auftreten.
Wegen der dauerhaften Pupillenverengung ist Bei bekannter Überempfindlichkeit gegen
ferner das Sehvermögen bei Dämmerung und Sulfonamide sowie bei schwerwiegenden Nie- 27
nachts herabgesetzt, was insbesondere bei älte- renfunktionsstörungen und hyperchlorämi-
ren Patienten mit beginnender Linsentrübung scher Azidose sind Carboanhydratasehemmer
(Katarakt) sehr störend sein kann. kontraindiziert.
Als weitere Nebenwirkungen können gestei-
Prostaglandin-Derivate. Die Ester-Prodrugs La-
gerte Tränensekretion, Augenrötung und Ziliar-
tanoprost (z. B. XALATAN®), Travoprost (z. B.
muskelspasmen mit Augen- und Kopfschmer-
TRAVATAN®) und Tafluprost (Taflotan®) sind
zen auftreten. Außerdem besteht bei Lang-
Prostaglandin-F2α-Derivate (Ⴉ Kap. 22.3.1.1). Sie
zeitanwendung die Gefahr von Netzhauteinris-
senken nach Esterhydrolyse als Agonisten von
sen oder -ablösung. Daher hat die Anwendung
Prostaglandin-F-Rezeptoren den intraokulären
von Parasympathomimetika bei der Glaukom-
Druck durch Verbesserung des uveoskleralen
therapie mit Ausnahme der Behandlung des
Kammerwasserabflusses. Dieser trägt bei jünge-
akuten Winkelblockglaukoms stark abgenom-
ren Personen bis ca. 30 % zum Kammerwasser-
men.
transport bei und nimmt mit zunehmendem Al-
Bei linsenbedingten Sekundärglaukomen,
ter deutlich ab, wodurch das Glaukomrisiko
akuter Iritis und Hornhautverletzungen sind Pa-
steigt.
rasympathomimetika kontraindiziert.
Indiziert sind die Prostaglandin-Derivate bei
Carboanhydratasehemmer. An der Kammer- Patienten mit Offenwinkelglaukom. Aufgrund
wassersekretion ist die Carboanhydratase der günstigen, nur einmal täglichen Applikation
(Ⴉ Kap. 26.1.4 maßgeblich beteiligt. Durch Hem- (in 0,03 %iger Lösung) sowie der stark druck-
mung dieses Enzyms lässt sich daher eine effek- senkenden Wirkung werden sie vermehrt als
tive Verringerung der Kammerwasserbildung First-Line-Therapeutika eingesetzt. Die Appli-
erreichen. Zu dieser Substanzgruppe, den Car- kation erfolgt bei allen drei Wirkstoffen 1-mal
boanhydratasehemmern, gehören das syste- täglich abends.
misch zu applizierende Acetazolamid (z. B. Ace-
414 27 Ophthalmika

Eine charakteristische Nebenwirkung ist die 27.1.2 Strategie der Glaukomtherapie


Zunahme des braunen Pigmentanteils der Iris Ziel der medikamentösen Offenwinkelglau-
durch erhöhten Melaningehalt der Iris-Melano- komtherapie ist die Verlangsamung der Pro-
zyten, vorwiegend bei Patienten mit gemischt- gression der Erkrankung durch eine effektive
farbiger (z. B. blau-, grau- oder grün-brauner) und anhaltende Senkung des Augeninnen-
Regenbogenhaut. Als weitere unerwünschte drucks auf einen für den jeweiligen Patienten
Wirkungen sind Fremdkörpergefühl in den Au- festzulegenden Zieldruck. Dieses Ziel kann mit
gen, Hyperämie der Bindehaut, Wimpernverän- den zur Verfügung stehenden Glaukommitteln
derungen, periorbitale und Hornhaut-Ödeme erreicht und damit bei rechtzeitiger Therapie
sowie (selten) Iritis und Exantheme beschrieben. eine Erblindung vermieden werden. Mit der se-
In Schwangerschaft und Stillzeit sind Prosta- lektiven Laser-Trabekuloplastik steht außerdem
glandin-Derivate kontraindiziert. eine schmerzlose Lasertherapie zur Verfügung,
Bimatoprost (Lumigan®), ein Prostamid- wenn die medikamentöse Behandlung unbefrie-
F2α-Analogon, ist zwar mit Latanoprost che- digend ist.
misch verwandt, doch ist es kein Ester, sondern Üblicherweise wird beim Weitwinkelglau-
ein Amid. Auch interagiert es praktisch nicht kom mit einer Monotherapie begonnen. Sofern
mit Prostaglandin-, sondern mit sog. Prost- keine Kontraindikationen (z. B. Asthma bron-
amid-Rezeptoren (strukturell noch nicht voll- chiale) bestehen, gehören Betablocker nach wie
ständig aufgeklärt). Prostamide sind Prostaglan- vor zu den Mitteln der 1. Wahl. Allerdings wer-
din-Ethanolamide, die an der Regulation des den auch vermehrt Prostaglandin-Derivate oder
Augeninnendrucks beteiligt sind. (lokale) Carboanhydratasehemmer eingesetzt.
Bimatoprost verbessert sowohl den trabeku- Wird mit einem Monopräparat keine ausrei-
lären als auch den uveoskleralen Kammerwas- chende Drucksenkung erreicht, ist die Kombi-
serabfluss und senkt daher den intraokulären nation eines Betablockers (meist Timolol) mit
Druck etwas stärker als Latanoprost, Travoprost einem Glaukommittel einer anderen Sub-
oder Tafluprost. Es wird wie die beiden anderen stanzgruppe indiziert.
Prostaglandin-Derivate 1-mal täglich abends (in Beim Winkelblockglaukom, das einen drin-
0,03 %iger Lösung) appliziert. genden Notfall darstellt, wird meist Pilocarpin
Die Nebenwirkungen und Kontraindikatio- (1–2 %ig lokal) zusammen mit 500 mg Acetazol-
nen entsprechen weitgehend denen der amid (i. v. oder i. m.) und 1,5 ml/kg/Stunde einer
Prostaglandin-F2α-Derivate. 20 %igen Mannitol-Lösung als Infusion einge-
setzt. Ferner kommt die Gabe eines Betablo-
Osmodiuretika. Mit einem Osmodiuretikum,
ckers und/oder von Apraclonidin in Betracht.
z. B. einer 20 %igen Mannitol-Lösung, kann ein
Ist der Anfall beseitigt, kann als potenzielles
rascher Anstieg der Serumosmolarität um ca.
operatives Verfahren eine chirurgische Iridekto-
20–30 mosmol erreicht und damit Wasser aus
mie oder eine Laser-Iridotomie angeschlossen
dem Augeninneren in die Blutgefäße des Auges
werden.
abtransportiert werden. Als Folge davon nimmt
der Augeninnendruck rasch ab. Außerdem führt
die Volumenverringerung des Glaskörpers und
27.2 Makuladegeneration
die dadurch bedingte Verlagerung der Linse und
der Iris nach hinten zu einer Öffnung des Kam-
Die altersabhängige Makuladegeneration
merwinkels. Dies erklärt die günstige Wirkung
(AMD), bei der durch degenerative Prozesse das
von Osmodiuretika (in Kombination mit den
Zentrum der Netzhaut zerstört wird, ist die häu-
oben genannten Substanzen) bei der Therapie
figste Ursache einer erheblichen Visusminde-
eines akuten Winkelblockglaukoms (Glaukom-
rung (bis zur Erblindung!) bei Patienten über 65
anfalls).
27.2 Makuladegeneration 415

Jahren. Zwei Formen, die trockene und die Außerdem wird Bevacizumab (Avastin®), ein
feuchte Form, sind dabei zu unterscheiden. rekombinanter humanisierter VEGF-Antikör-
Bei der trockenen Form, die etwa 80 % der per (Ⴉ Kap. 32.4.6) off-label angewandt.
Erkrankungen ausmacht, kommt es durch Alte- Die vier Wirkstoffe werden intravitreal (in
rungsprozesse zu einer Atrophie des Pigmente- den Glaskörper) appliziert. Die Dosierung be-
pithels sowie der sensorischen Netzhaut, bei der trägt für Pegaptanib 0,3 mg alle 6 Wochen, für
feuchten Form zur Exsudation aus den Kapilla- Ranibizumab 0,5 mg alle 4 Wochen, für Bevaci-
ren der Chorioidea (daher feuchte Form) sowie zumab 1–1,25 mg alle 4 Wochen und für Afli-
zu einer subfovealen chorioidalen Neovaskulari- bercept zu Behandlungsbeginn 3-mal 2 mg im
sation (Einsprossung von chorioidalen Blutgefä- monatlichen Abstand, danach ebenfalls 2 mg
ßen unter die Netzhaut) mit Blutungen aus den alle zwei Monate.
brüchigen Gefäßen. Als Nebenwirkungen wurden u. a. Augenirri-
Die medikamentöse Therapie der trockenen tationen, erhöhter Augeninnendruck, Konjunk-
Form ist bisher wenig befriedigend. Empfohlen tivalblutungen oder Korneaödem beschrieben.
wird die tägliche Gabe von Vitaminen bzw. Vit- Bei Augeninfektionen sind Angiogenesehem-
amin-Vorstufen (z. B. Vitamin C 500 mg, Vit- mer kontraindiziert.
amin E 400 IE, Betacarotin 15 mg) sowie von Während, wie oben erwähnt, die Pharmako-
Spurenelementen (z. B. Zinkorotat 80 mg, Kup- therapie der trockenen Makuladegeneration
feroxid 2 mg), um den Übergang einer trocke- unbefriedigend bis wirkungslos ist, gelang bei
nen in die feuchte Form der Makuladegenerati- der feuchten Form mit den VEGF-Inhibitoren
on zu verhindern und damit deren Progression ein deutlicher Fortschritt. Zwar kann die Er- 27
zu verringern. Die Ergebnisse sind umstritten krankung damit nicht geheilt, jedoch ihr Fort-
bzw. wenig befriedigend. Ähnliches gilt für die schreiten verzögert und zumindest bei einem
intraokuläre Applikation eines Glucocorti- Teil der Patienten eine – wenn auch nur vorü-
coids. bergehende – Visus-Verbesserung erreicht wer-
den.
Antineovaskuläre Mittel. Zur Behandlung der
feuchten Form werden vor allem Angiogenese- Photodynamische Therapie. Eine weitere Mög-
hemmer eingesetzt. Dabei handelt es sich um lichkeit zur Behandlung einer feuchten Makula-
Wirkstoffe, die durch Blockade des vaskulären degeneration, die allerdings seit der Einführung
endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) die der Angiogenesehemmer stark an Bedeutung
chorioidale Gefäßneubildung verhindern oder verloren hat, ist die photodynamische Therapie
zumindest verringern. Offiziell für diese Indika- (PDT). Bei dieser wird Verteporfin (Visudy-
tion zugelassen sind ne®), ein lichtaktivierbares Benzoporphyrin-
Derivat, intravenös in einer Dosierung von
󠀂 Pegaptanib (Macugen®), ein pegyliertes Oli-
6 mg/m2 Körperoberfläche infundiert. Im Blut
gonucleotid,
bindet Verteporphin an Lipoproteine (LDL)
󠀂 Ranibizumab (Lucentis®), ein humanisier-
und lagert sich als Komplex mit LDL vor allem
tes, rekombinantes gegen VEGF gerichtetes
an schnell proliferierende Zellen, damit auch in-
Antikörperfragment, das neuerdings auch
traokulär an das Endothel von neugebildeten
zur Behandlung einer Visusbeeinträchtigung
Gefäßen an. Ca. 15 min nach Beginn der Infusi-
infolge eines diabetischen Makulaödems an-
on wird der Farbstoff gezielt im Auge mit rotem
gewandt wird, sowie
Laserlicht aktiviert. Die bei der Rückkehr in den
󠀂 Aflibercept (Eylea®), ein rekombinantes Fu-
Grundzustand freiwerdende Energie führt zur
sionsprotein, bei dem Fragmente der extra-
Bildung von Singulettsauerstoff, der durch die
zellulären Domänen der humanen VEGF-
lokale Zellschädigung und anschließende
Rezeptoren 1 und 2 mit dem Fc-Fragment
Thrombosierung die krankhaften Gefäße ver-
des humanen IgG1 fusioniert wurden.
416 27 Ophthalmika

schließt. Nach der Behandlung sind Augen und mal täglich und Scopolamin (0,3%ig) 1–2-mal
Haut 2 Tage lang vor starker Lichteinwirkung zu täglich gegeben.
schützen. Als Nebenwirkungen sind u. a. Akkommoda-
Als Nebenwirkungen wurden Sehstörungen tionsstörungen, Bindehautreizung und trockene
(z. B. unklares, verschwommenes Sehen), Übel- Nase beschrieben.
keit, Pruritus und Rückenschmerzen während Bei Winkelblockglaukom und Rhinitis sicca
der Infusion sowie allergische Reaktionen be- sind Mydriatika kontraindiziert. Auch beim Of-
schrieben. Bei Porphyrie und schweren Leber- fenwinkelglaukom erhöhen Parasympatholytika
funktionsstörungen ist Verteporfin kontra- durch Erschlaffung des Ziliarmuskels den Au-
indiziert. geninnendruck.

27.3 Mydriatika 27.4 Lokalanästhetisch wirkende


Ophthalmika
Mydriatika (pupillenerweiternde Wirkstoffe)
werden zur diagnostischen Pupillenerweiterung Mit Lokalanästhetika enthaltenden Augentrop-
und zur Ruhigstellung von Iris und Ziliarkörper fen lässt sich Schmerzfreiheit von Binde- und
bei intraokulären Entzündungen angewandt. Hornhaut erreichen. Unter Tropfanästhesie
Mydriatisch wirken durch Angriff am M. können dementsprechend Augenoperationen
sphincter pupillae Parasympatholytika (Ⴉ Kap. im vorderen Augenabschnitt, z. B. die Entfer-
20.2), z. B. Atropin, Cyclopentolat, Scopolamin nung eines oberflächlichen Fremdkörpers
oder Tropicamid, sowie durch Angriff am M. di- durchgeführt werden. Ein häufig verwendeter
latator pupillae das α-Sympathomimetikum Wirkstoff ist Oxybuprocain (z. B. Novesine®).
Phenylephrin (Ⴉ Kap. 19.2.1). Bei Kataraktoperationen wird das stärker wir-
Tropicamid (z. B. Mydrum®) eignet sich be- kende Tetracain (Ophtocain®-N; Ⴉ Kap. 13.2)
sonders, wenn – wie bei der diagnostischen Pu- bevorzugt. Für größere Eingriffe sind die übli-
pillenerweiterung – nur eine relativ kurze Wirk- chen Lokalanästhetika zur Infiltrations- bzw.
dauer erforderlich ist. Soll eine besonders starke Leitungsanästhesie (Ⴉ Kap. 13) erforderlich.
Mydriasis erreicht werden, kombiniert man Bei den Nebenwirkungen sind vor allem all-
Tropicamid mit Phenylephrin (Neosynephrin- ergische Reaktionen zu erwähnen.
POS®). Cyclopentolat (z. B. Zyklolat EDO®) Da Lokalanästhetika enthaltende Augentrop-
wird vor allem zur kurzzeitigen Akkommodati- fen bei mehrfacher Anwendung eine Lockerung
onslähmung (Zykloplegie) bei Refraktionsbe- des Hornhautepithels (mit Gefahr einer Horn-
stimmungen (Ermittlung der Brillenstärke) bei hautperforation und eines eventuellen Augen-
Kindern angewandt. Atropin (z. B. Atropin- verlustes) bewirken, dürfen sie nicht zu Händen
POS®) und Scopolamin (Boro-Scopol® N) wei- des Patienten verordnet werden.
sen eine besonders lange Wirkdauer auf, die bei
Entzündungen des Augeninneren (Iritis, Irido-
zyklitis) erwünscht ist. 27.5 Antiinfektiv wirkende
Die Dosierung – appliziert wird jeweils 1 Ophthalmika
Tropfen – erfolgt von Tropicamid (0,5%ig) zur
diagnostischen Mydriasis einmalig, zur Zyklo- Für bakterielle, virale oder durch Pilze bedingte
plegie 6-mal in Abständen von 6–12 min, von Augenentzündungen werden die auch bei ande-
Phenylephrin (5%ig bzw. 10%ig) 1–2-mal täg- ren Infektionskrankheiten (Ⴉ Kap. 30) eingesetz-
lich und von Cyclopentolat (0,5 bzw. 1%ig) zur ten Antiinfektiva benutzt.
Zykloplegie 2-mal im Abstand von 5–10 min. Bei den lokal applizierten Antibiotika gelten
Bei Entzündungen wird Atropin (0,5%ig) 1–3- die Aminoglykoside Gentamicin (z. B. Refoba-
27.7 Sonstige Ophthalmika 417

cin®) und Tobramycin (z. B. Tobramaxin®) auf- viraler oder durch Pilze hervorgerufener Horn-
grund ihres breiten Wirkungsspektrums in der hautgeschwüre.
Ophthalmologie als Standardantibiotika. Ein Indikationen sind beispielsweise allergische
weiteres Aminoglykosid ist Kanamycin (z. B. Konjunktivitis, Chorioretinitis, Iritis, Iridozykli-
Kanamytrex®). Im Gegensatz zur kaum noch tis, Uveitis oder postoperative Entzündungen.
gebräuchlichen systemischen Therapie wird Eine besondere Darreichungsform von Dexa-
auch Chloramphenicol (Posifenicol®) noch als methason wird als intravitreales Implantat
lokales Breitspektrumantibiotikum in der Au- (Ozurdex®) in einer Dosierung von 700 μg zur
genheilkunde verordnet. Die Fluorchinolone Behandlung eines Makulaödems infolge eines
Ofloxacin (z. B. Floxal®), Levofloxacin (Ofta- retinalen Venenverschlusses angewandt.
quix®) und Moxifloxacin (Avalox®) haben in Bei Verletzungen und ulzerösen Prozessen
den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. der Hornhaut, Glaukom, Conjunctivitis sicca,
Tetracycline, z. B. Chlortetracyclin (Aureomy- starker Myopie sowie Erreger-bedingten Ent-
cin®), dienen u. a. zur Behandlung von Chla- zündungen und Glaukom sind Glucocorticoide
mydieninfektionen, insbesondere von Tra- kontraindiziert.
chom, bei Erwachsenen. Ein ebenfalls bei Tra- Nichtsteroidale Antiphlogistika (Ⴉ Kap.
chom sowie bei bakterieller Konjunktivitis ver- 12.1.3.1), z. B. Diclofenac (z. B. Voltaren® oph-
wendeter Wirkstoff ist das Makrolid tha), Flurbiprofen (Ocuflur®) oder Ketorolac-
Azithromycin (z. B. Azyter®). Das Antisepti- Trometamol (z. B. Acular®), werden wie Gluco-
kum Bibrocathol (Posiformin®) wird zur The- corticoide lokal bei nichtinfektiösen Augenent-
rapie eines Hordeolums (Gerstenkorns) sowie zündungen, insbesondere in subakuten Krank- 27
einer infektiösen Blepharitis und Konjunktivi- heitsphasen, angewandt.
tis eingesetzt.
Von den Virustatika eignen sich Aciclovir
(z. B. Zovirax®), Ganciclovir (Virgan®) und 27.7 Sonstige Ophthalmika
Trifluridin (Triflumann®) zur lokalen Behand-
lung von Herpes-simplex-Infektionen des Au- Zur Prophylaxe und Therapie allergisch beding-
ges. ter akuter und chronischer Bindehautentzün-
Als Lokalantimykotika werden am Auge Na- dungen eignen sich die H1-Antihistaminika
tamycin (Infectomyk®), Nystatin und Amphote- (Ⴉ Kap. 22.1.1) Azelastin (z. B. Allergodil®),
ricin B (auf Rezept hergestellt) angewandt. Emedastin (Emadine®), Levocabastin (Livo-
cab®) sowie die Mediatorfreisetzungshemm-
stoffe (Ⴉ Kap. 24.1.1.2) Cromoglicinsäure (z. B.
27.6 Steroidale oder nichtsteroidale Allergo-COMOD®) und Lodoxamid (Alomi-
Antiphlogistika enthaltende de®).
Ophthalmika Weitere bei allergischer Konjunktivitis und
Augenreizungen – vielfach auch in Kombina-
Bei nicht durch Erreger bedingten Augenent- tion – angewandte Substanzen sind die
zündungen sind Glucocorticoide (Ⴉ Kap. 21.7), α-Sympathomimetika (Ⴉ Kap. 19.2.1) Naphazo-
u. a. Dexamethason (z. B. Isopto®-Dex), Hydro- lin (z. B. Televis-Stulln®), Tetryzolin (z. B. Ber-
cortison-acetat (z. B. Ficortril®) oder Predniso- beril® N) oder Tramazolin (z. B. Biciron®). We-
lonacetat (z. B. Inflanefran®), zwar sehr gut gen der Gefahr einer Gewöhnung sowie einer
wirksam, jedoch mit Risiken behaftet, da sie den reaktiven Hyperämie bei mehrfachem Gebrauch
Augeninnendruck steigern und bei längerer An- sind sie jedoch nur zur Kurzzeitbehandlung in-
wendung zu Glaukom und Katarakt führen. diziert. Nebenwirkungen und Kontraindikatio-
Auch besteht wegen ihrer immunsuppressiven nen entsprechen weitgehend denen von Mydria-
Wirkung die Gefahr vermehrter bakterieller, tika.
418 27 Ophthalmika

Dexpanthenol (z. B. Bepanthen®), eines der 󠀂 synthetische Polymere wie Polyvinylalkohol


am häufigsten verordneten Ophthalmika, dient (Liquifilm), Povidon (z. B. Oculotect® Fluid)
in 5 %igen Zubereitungen (als Salbe, Gel, Trop- und Carbomer (z. B. Vidisic®),
fen) zur adjuvanten Therapie bei Haut- und 󠀂 Cellulosederivate wie Carmellose (z. B.Cellu-
Schleimhautläsionen des Auges, z. B. Hornhaut- visc®) und Hypromellose (z. B. Artelac®),
erosionen oder -entzündungen. Die Anwen- und
dung erfolgt ein- bis mehrmals täglich je nach 󠀂 Hyaluronsäure (z. B. Vislube®).
Art und Verlauf der Erkrankung.
Sie bilden einen hydrophilen Schutzfilm auf der
Ophthalmika mit Filmbildnern als Wirkstoffen Augenoberfläche, der ein weiteres Austrocknen
sind als sog. künstliche Tränen bzw. Tränener- verhindern kann. Bei leichteren Beschwerden
satzmittel beim Syndrom des trockenen Auges werden in der Regel wässrige Polymerlösungen
(Sicca-Syndrom, Keratoconjunctivitis sicca) empfohlen, bei mäßigen Beschwerden höher
und zur Pflege von Horn- und Bindehaut in der viskose Cellulosederivate und bei starken Prob-
Abheilungsphase oberflächlicher Läsionen so- lemen schließlich hochviskose Augentropfen
wie als Benetzungsmittel für Kontaktlinsen in- mit Hyaluronsäure (0,3%ig). Insbesondere bei
diziert. Die zur Befeuchtung der Augen einge- häufiger Anwendung sind Präparate ohne Kon-
setzten Filmbilder lassen sich in 3 Gruppen ein- servierungsmittel in Einzeldosen (EDO) indi-
teilen: In ziert.
419

28 Dermatika

Die Haut ist das größte Organ, das die äußere und anderer Gelenke kombiniert (Psoriasis-Ar-
Oberfläche des Organismus und damit die thritis), wobei die arthritischen Beschwerden
Schranke zwischen Umwelt und innerem Milieu meist erst viele Jahre nach Beginn der Hautver-
bildet. Ihre vor allem in der Epidermis lokali- änderungen auftreten.
sierte Schutzfunktion gegen chemische und Genetische Faktoren, Adipositas und Um-
physikalische Schädigungen sowie gegen das welteinflüsse wie Infekte, Rauchen und die Ein-
Eindringen von Mikroorganismen (mittels nahme bestimmter Medikamente (z. B. ACE-
Hornschicht und immunkompetenter Zellen), Hemmer, Betablocker) wirken bei der Patho-
aber auch gegen einen übermäßigen transepi- genese der Psoriasis zusammen. Insbesondere 28
dermalen Wasserverlust kann durch zahlreiche ist das humane Leukozytenantigen-(HLA-)Allel
Hauterkrankungen beeinträchtigt werden. Cw*0602 stark mit der Psoriasiserkrankung as-
soziiert (9-fach erhöhtes Risiko von heterozygo-
ten, 23-fach erhöhtes Risiko von homozygoten
28.1 Psoriasis Trägern).

Die Psoriasis (Schuppenflechte), eine erythe- 28.1.1 Antipsoriatika


matosquamöse Dermatose mit mehreren Unter- Antipsoriatika, die zur topischen Therapie ein-
formen (Psoriasis vulgaris, pustulosa, arthropa- gesetzt werden, sind Dithranol, Glucocorticoi-
tica) und einer Gesamtprävalenz von ca. 3 %, ist de, die Calcineurininhibitoren Pimecrolimus
durch eine erheblich beschleunigte Vermehrung und Tacrolimus, Tazaroten sowie Vitamin D
und gestörte Reifung der Keratinozyten gekenn- und Analoga.
zeichnet. Hinzu kommt eine Infiltration der Zur systemischen Therapie der Psoriasis sind
Haut mit Entzündungszellen. Es handelt sich Acitretin, Ciclosporin, Fumarsäureester, Me-
um eine multifaktorielle, großenteils vererbte thotrexat, Secukinumab sowie bei Therapiever-
Autoimmunerkrankung, die zusätzlich von Um- sagen die TNF-α-Inhibitoren Adalimumab,
weltfaktoren wesentlich beeinflusst wird. Infliximab, Etanercept und außerdem Usteki-
Besonders häufig sind die Ellenbogen, die numab und Apremilast indiziert.
Streckseiten der Knie, der Bauchnabel, der be- Außerdem kann Psoralen – topisch oder sys-
haarte Kopf, die Sakral- und Analregion sowie temisch – zusammen mit UVA-Bestrahlung
die Nägel befallen. In etwa 25 % der Fälle ist die (PUVA) angewendet werden.
Psoriasis mit einer Arthritis der Fingergelenke
420 28 Dermatika

28.1.1.1 Topische Antipsoriatika Von Psoriasis-Herden wird Dithranol schnel-


Calcineurininhibitoren. Calcineurininhibitoren ler resorbiert als von gesunder Haut. Dement-
(Ⴉ Kap. 32.4.1) sind Immunsuppressiva, die in sprechend können mittels sog. Kurzzeitthera-
der Dermatologie zunächst zur Therapie des pie, bei welcher die Dithranol-Zubereitung nach
atopischen Ekzems (s. u.) zugelassen wurden. 10–30 min wieder entfernt wird, die Reizwir-
Bei ihrem weiteren Einsatz in der Induktions- kung (Brennen) sowie die unerwünschte Verfär-
therapie bei Psoriasis zeigte sich eine sehr gute bung von Haut und Wäsche durch Oxidations-
Wirkung von Pimecrolimus (Elidel®; 10 mg/g produkte von Dithranol („Cignolin-Braun“) ver-
Creme) und Tacrolimus (Protopic®; 0,03 %ige ringert werden, ohne dass die Wirksamkeit ab-
bzw. 0,1 %ig Salbe) bei der Therapie von Psoria- nimmt.
sis-Läsionen im Gesichts-, intertriginösen und Die Therapie wird mit niedrigen Dithranol-
Genitoanal-Bereich („off-label“-Anwendung). Konzentrationen (z. B. 1 %) begonnen und in-
Mit dem Wirkungseintritt ist nach ca. 2 Wochen nerhalb einer Woche auf 3 % gesteigert. Mit ei-
zu rechnen. Als Nebenwirkungen sind Brennen ner Wirkung ist nach 2–3 Wochen zu rechnen.
der Haut und eine erhöhte Rate an Hautinfektio- Für die Langzeittherapie wird Dithranol nicht
nen zu nennen. Während der Behandlung muss empfohlen.
auf Lichtschutz geachtet werden. Bei bestehen- Im Gesichtsbereich, in Hautfalten und unter
den Hautinfektionen und immunsupprimierten Okklusion ist die Anwendung von Dithranol
Patienten sollten die Calcineurininhibitoren wegen verstärkter Reizwirkung kontraindiziert.
nicht eingesetzt werden.
Glucocorticoide. Topische Glucocorticoide
Dithranol. Dithranol (Cignolin; MICANOL®), (႒ Tab. 28.2) der Wirkstoffklasse III (z. B. Beta-
ein synthetisches Teerderivat, übt einen starken methason oder Mometason) sowie unter Abwä-
Reizeffekt auf die Haut aus. In Psoriasis-Herden gung von stärkerer Wirksamkeit und erhöhtem
verlangsamt es die beschleunigte Zellteilung. Nebenwirkungsrisiko auch der Klasse IV (z. B.
Dithranol reichert sich in Mitochondrien an Clobetasol) werden zur Induktionstherapie bei
und ruft dort nach Umwandlung zu freien Radi- leichter bis mittelschwerer Psoriasis vulgaris
kalen morphologische und funktionelle Verän- empfohlen. Bei Therapieerfolg (in der Regel
derungen hervor, die die zelluläre Energiever- nach 2–3 Wochen) erfolgt ein Ausschleichen des
sorgung beeinträchtigen. Dadurch werden ener- Glucocorticoids. Nebenwirkungen sind u. a.
gieabhängige Prozesse wie z. B. die DNA-Repli- vom Anwendungsort abhängig. Besonders emp-
kation gehemmt. Außerdem normalisiert es in findlich sind Gesicht, Hals, Genitalregion und
den hyperproliferierenden Zellen der Epidermis intertriginöse Räume. Im Vordergrund stehen
erhöhte Spiegel von cGMP, das bei der epider- Hautatrophie (vor allem bei längerer Anwen-
malen Zellteilung eine wichtige Rolle spielt. dung), Superinfektionen und im Gesicht Rosa-
Dithranol ist instabil, die durch Dimerisie- cea und Steroidakne. Bei Hautinfektionen durch
rung und Oxidation von Dithranol gebildeten Bakterien, Pilze oder Viren sollen Glucocortico-
Produkte (dimeres Dithranol und Danthron) ide nicht angewendet werden.
sind inaktiv.
Tazaroten. Von der Substanzgruppe der Retino-
Bei Anwendung in Form von Harnstoff- (als
ide (Ⴉ Kap 28.2.1) wird zur Psoriasistherapie Ta-
Psoradexan®) oder Salicylsäure-haltigen Präpa-
zaroten (Zorac®) topisch und Acitretin (s. u.)
raten (als Psoralon MT) wird die Wirkung ver-
systemisch angewandt. Die Retinoide erniedri-
stärkt. Als Ursache wird eine bessere Penetrati-
gen die erhöhte Zellteilungsrate der Keratinozy-
on in die Haut angenommen, Salicylsäure soll
ten und lockern durch Eingriff in die Keratinbil-
außerdem Dithranol vor oxidativem Abbau
dung die Hornschicht auf, wodurch oberflächli-
schützen.
che Zellen leichter abgeschilfert werden können.
Außerdem hemmen sie die intraepidermale
28.1 Psoriasis 421

Einwanderung neutrophiler Granulozyten und Glucocorticoiden in den ersten 4 Wochen kann


die IL-6 bedingte Induktion von TH17-Zellen, das klinische Ansprechen beschleunigen.
die eine wichtige Rolle in der Psoriasispathoge- Als Nebenwirkungen kommen vor allem lo-
nese spielen. kale Reizerscheinungen, speziell bei Anwen-
Tazaroten steht als Gel mit 0,1 % Wirkstoff dung im Gesicht, vor. Hypercalcämien durch die
zur Therapie leichter bis mittelschwerer Psoria- Vitamin-D3-Präparate treten dagegen sehr sel-
sisformen zur Verfügung. Aufgrund der uner- ten auf, die perkutane Resorption ist gering. Erst
wünschten hautirritierenden Wirkung wird es ein Überschreiten der zulässigen Höchstmen-
häufig mit topischen Glucocorticoiden der gen und die Langzeitanwendung hoher Dosen
Wirkstoffklasse III kombiniert. Während der können zu erhöhter Ca2+-Resorption aus dem
Schwangerschaft ist es wegen Teratogenität kon- Darm (→ Hypercalcämie und Kalzifikationen in
traindiziert. den Nieren) führen.
Zu beachten ist die Gefahr einer Wirkungs-
Vitamin-D3-Analoga. In der Psoriasistherapie
abschwächung bei gleichzeitiger Anwendung
topisch eingesetzte Vitamin-D3-Derivate sind
salicylathaltiger Keratolytika (s. u.) oder Dithra-
neben Calcitriol vor allem Calcipotriol und Ta-
nol sowie eine mögliche Steigerung lokal irritie-
calcitol.
render Effekte bei Kombination mit Tazaroten.
Calcipotriol (Daivonex®) und Tacalcitol
(Curatoderm®) unterscheiden sich von Calci-
28.1.1.2 Systemische Antipsoriatika
triol (Silkis®), der aktiven Form von Vitamin D3
Acitretin. Das bei schwerer Psoriasis und ande-
(Ⴉ Kap. 29.1.1.2), nur durch eine geänderte Sei-
ren schweren Verhornungsstörungen (z. B. Ich-
tenkette. Die Vitamin-D3-Derivate unterdrü-
thyosis vulgaris) indizierte Acitretin (z. B. Aci-
cken die Produktion pro-entzündlicher Cytoki-
cutan) bessert psoriatische Hautläsionen dosis-
ne wie IL-8 und induzieren gleichzeitig die Bil-
abhängig, die Zunahme von Nebenwirkungen 28
dung anti-entzündlich wirkender Cytokine wie
bei steigender Dosierung erschwert jedoch eine
IL-4 und IL-10. Außerdem interferiert die Vit-
Behandlung mit ausreichend effektiven Acitre-
amin-D3-Signaltransduktion mit anderen
tin-Dosen. Da es andererseits in niedriger Do-
Transkriptionsfaktoren wie NFAT und NF-κB,
sierung als Monotherapeutikum bei mittel-
die für die vermehrte Bildung von Entzün-
schwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris nicht
dungsmediatoren bei der Psoriasis bedeutsam
zufriedenstellend wirksam ist, wird es als Kom-
sind. Daraus resultieren immunmodulatorische
binationspartner bei der PUVA-Therapie (s. u.)
Effekte auf T-Lymphozyten, Langerhans-Zellen
sowie zusammen mit Etanercept oder Calcipo-
und Monozyten. Ein Hauptteil der antipsoriati-
triol (s. o.) angewandt.
schen Wirkung der Vitamin-D3-Präparate be-
Die Dosierung ist der klinischen Wirksam-
ruht wahrscheinlich darauf, dass die Keratino-
keit sowie der Verträglichkeit anzupassen (mitt-
zytenproliferation unterdrückt und der Diffe-
lere Erhaltungsdosen 30–75 mg täglich).
renzierungsgrad der Zellen erhöht wird.
Wegen der erheblichen Nebenwirkungen
Bei Calcipotriol sollen bei täglicher Anwen-
darf eine Behandlung mit Acitretin nur nach
dung nicht mehr als 15 g der 0,005 %igen Creme
sorgfältiger Indikationsstellung erfolgen. Neben
oder Salbe auf maximal ca. 30 % der Körperober-
Lippenentzündung (nahezu obligat), Pruritus,
fläche aufgetragen werden. Für Tacalcitol gelten
Desquamation an Handflächen und Fußsohlen,
als tägliche Höchstmenge 10 g der 0,0004 %igen
Reizung und Austrocknung von Haut- und
Salbe oder Emulsion auf ca. 15 % der Körper-
Schleimhäuten werden dosisabhängig ein rever-
oberfläche, für Calcitriol 30 g der 0,0003 %igen
sibler Haarausfall und irreversible Hyperostosen
Salbe täglich auf maximal 35 % der Körperober-
beobachtet. Gelegentlich kann es zu einer Erhö-
fläche. Eine zusätzliche Therapie mit topischen
hung der Transaminasen und der Lipide im Se-
rum kommen.
422 28 Dermatika

Wegen seiner Teratogenität ist die Anwen- Apremilast. Der oral applizierbare Phospho-
dung von Acitretin bei Frauen im gebärfähigen diesterase-4-Hemmer ist zur Behandlung der
Alter kontraindiziert. Kann auf die Gabe nicht mittelschweren bis schweren Plaque-Psoriasis
verzichtet werden, ist während der Einnahme bei unzureichender Therapie mit Standardthe-
und darüber hinaus bis zur Elimination des rapeutika sowie insbesondere bei aktiver Psoria-
Wirkstoffs auf strikte Kontrazeption zu achten. sis-Arthritis indiziert. Er wird daher in
Der Eintritt einer Schwangerschaft muss bei Ⴉ Kap. 12.2.6 behandelt.
Acitretin sogar für 2 Jahre nach Therapieende
Biologika. Einige Biologika (Biologicals, Ⴉ Kap.
ausgeschlossen werden, da dieses teilweise in
12.2.3.2) werden erfolgreich bei mittelschwerer
Etretinat, den Acitretinethylester, umgewandelt
und schwerer Psoriasis sowie bei Psoriasis-Ar-
wird (Ethanol begünstigt diese Biotransformati-
thritis angewandt. Zu diesen gehören die primär
onsreaktion). Infolge seiner hohen Lipophilie
zur Therapie rheumatischer Erkrankungen ent-
weist Etretinat eine besondere Affinität zum
wickelten TNF-α-Blocker Adalimumab (Humi-
Fettgewebe auf und wird aus diesem nur äußerst
ra®), Infliximab (z. B. REMICADE®) und Eta-
langsam mit einer Halbwertszeit von 119 Tagen
nercept (Enbrel®), ferner die gegen andere Zyto-
eliminiert (Halbwertszeit von Acitretin 50 Stun-
kine gerichteten monoklonalen Antikörper Us-
den). Das ist die Ursache, weshalb die kontra-
tekinumab (STELARA®) und Secukinumab
zeptiven Maßnahmen bis ca. zwei Jahre nach
(Cosentyx®).
Therapieende einzuhalten sind.
Die Dosierungen betragen von Adalimumab
Ciclosporin. Der Calcineurininhibitor Ciclo- 1-mal 80 mg s. c. zu Behandlungsbeginn, 40 mg
sporin (z. B. Sandimmun®, Ⴉ Kap. 32.4.1), der eine Woche später und dann 40 mg jede zweite
vor allem bei Transplantationen verwendet Woche, von Etanercept 2-mal wöchentlich
wird, ist bei Patienten mit schweren Formen ei- 25 mg s. c. oder 1–2mal wöchentlich 50 mg, von
ner Psoriasis indiziert. Er wird zur Intervallthe- Infliximab jeweils 5 mg/kg KG i. v. in Woche 0,
rapie in einer Tagesdosis von 2,5–3 (max. 5) mg/ nach 2, 6 und danach regelmäßig alle 8 Wochen.
kg KG jeweils über 8–16 Wochen angewendet. Ustekinumab bindet mit hoher Spezifität
Am Ende der Induktionstherapie erfolgt eine und Affinität an die gemeinsame p40-Unterein-
ausschleichende Dosisreduktion um z. B. heit der Zytokine IL-12 und IL-23. Deren Bin-
0,5 mg/kg KG alle 14 Tage. Auch eine kontinu- dung an den IL-12-Rezeptor natürlicher Killer-
ierliche Langzeittherapie über einen Zeitraum zellen und T-Lymphozyten wird dadurch ver-
von ein bis maximal zwei Jahren ist möglich. hindert und somit unterbleibt die Differenzie-
(Schwerwiegende) Nebenwirkungen treten do- rung und Proliferation von TH1- und
sisabhängig auf, außerdem müssen zahlreiche TH17-Zellen. Die Dosierung beträgt 45 mg s. c.
Interaktionen beachtet werden. initial, nach 4 und schließlich alle 12 Wochen.
Die Häufigkeit schwerer Infektionen unter einer
Methotrexat. Bei mittelschweren und schweren
Usekinumab-Therapie ist mit < 1 % relativ nied-
Formen der Psoriasis hat sich auch Methotrexat
rig. Auch das Risiko für Malignome und schwe-
(MTX, z. B. Metex®, Ⴉ Kap. 12.2.3.1) bewährt.
re kardiovaskuläre Ereignisse scheint nicht sig-
Die Initialdosis beträgt 7,5–15 mg (p. o., s. c.,
nifikant erhöht zu sein.
i. m., i. v.) 1-mal wöchentlich, zur Verringerung
Secukinumab ist ein IL-17A-Antagonist, der
der MTX-Toxizität wird am Tag nach der MTX-
als erster Antikörper zur systemischen Erstlini-
Gabe Folsäure (5 mg) appliziert. Nach Remissi-
entherapie der Psoriasis zugelassen wurde. (Die
onsinduktion kann eine Langzeittherapie mit
anderen Biologika dürfen nur nach Versagen
einer möglichst niedrigen Methotrexat-Dosis
der anderen Therapieoptionen eingesetzt wer-
(5–22,5 mg 1-mal wöchentlich) erfolgen, die im
den.) Die Dosierung beträgt 1-mal 300 mg s. c.
Vergleich mit der Tumortherapie niedriger und
(verteilt auf zwei Injektionen zu je 150 mg) in
deshalb wesentlich besser verträglich ist.
28.1 Psoriasis 423

den Wochen 0, 1, 2 und 3, gefolgt von monatli- 28.1.1.3 Phototherapie


chen Erhaltungsdosen von wiederum 2-mal Psoralene, PUVA. Psoralene sind photoaktive
150 mg s. c. Als Nebenwirkungen wurden vor Furocumarin-Derivate, die unter Lichteinfluss
allem Infektionen der oberen Atemwege, Diar- mit Pyrimidinbasen der DNA unter Bildung von
rhöen und allergische Reaktionen beschrieben. Addukten und Strangvernetzungen reagieren
und dadurch antimitotisch wirken. Bei der PU-
Fumarsäureester. Dimethyl- und Monoethyles-
VA-Therapie (Psoralen plus UVA) der Psoriasis
ter der Fumarsäure eignen sich zur oralen The-
folgt auf die lokale oder perorale Applikation ei-
rapie der schweren Psoriasis. Fumaderm® ent-
nes Psoralens eine Teil- oder Ganzkörperbe-
hält ein Gemisch aus Ethylhydrogenfumarat
strahlung mit UVA-Licht. Dadurch wird die Hy-
und Dimethylfumarat (DMF), das seit einiger
perproliferation von Keratinozyten gehemmt.
Zeit auch zur Oraltherapie bei Multipler Sklero-
Außerdem wird durch die Phototherapie die
se (Ⴉ Kap. 32.4.8) eingesetzt wird.
Mobilität antigenpräsentierender Langerhans-
Dimethylfumarat hat entzündungshemmende Zellen reduziert, die Aktivierung von T-Zellen
und immunmodulierende Eigenschaften. Bei gehemmt, die Apoptose aktivierter T-Zellen in-
Psoriasis-Patienten konnte gezeigt werden, dass duziert und so ein entzündungshemmender
DMF entzündungsfördernde Zytokine runter- Effekt erreicht.
und entzündungshemmende dagegen hochre- Eine PUVA-Therapie ist bei mittelschwerer
guliert. Der zugrunde liegende Mechanismus ist und schwerer Psoriasis, vor allem bei großflä-
noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermu- chiger Erkrankung, indiziert. Zur Verbesserung
tet, dass DMF den Transkriptionsfaktor Nuclear der Ansprechrate kann zusätzlich ein Vitamin-
factor erythroid 2-related factor 2 (Nrf2) akti- D3-Derivat, Dithranol, Acitretin oder ein Glu-
viert, der dann in den Zellkern wandern kann cocorticoid eingesetzt werden.
und dort die Expression von antioxidativen und Das am häufigsten angewandte Psoralen ist 28
antiinflammatorischen Genprodukten aktiviert. Methoxsalen (8-Methoxypsoralen; z. B. Meladi-
Fumarsäureester werden nahezu vollständig nine®). Infolge geringer Wasserlöslichkeit und
aus dem Darm resorbiert. Dimethylfumarat damit problematischer Freisetzung sowie wegen
wird rasch zu Methylhydrogenfumarat hydroly- eines ausgeprägten First-Pass-Effekts in der Le-
siert, dieses zu Fumarsäure und weiter zu CO2 ber schwankt die Bioverfügbarkeit bei oraler
und H2O abgebaut. Die orale Behandlung wird Gabe erheblich inter- und intraindividuell. Bei
mit einer Dosierung von 1-mal täglich 30 mg topischer Anwendung penetriert Methoxsalen
Dimethylfumarat plus 67 mg Ethylhydrogenfu- in die Epidermis; im Blut liegen keine messba-
marat eingeleitet und wöchentlich bis zur aus- ren Konzentrationen vor.
reichenden Wirksamkeit bzw. Verträglichkeits- Methoxsalen kann bei ausgedehnten Hauter-
grenze langsam gesteigert. Die Maximaldosis scheinungen innerlich (0,6 mg/kg 2 Stunden vor
beträgt 1,2 g Fumarsäureester täglich. Bestrahlung), als Creme (Rezepturherstellung)
Als häufige Nebenwirkungen sind gastroin- oder in Form eines kurzen Bades (0,4 mg/l un-
testinale Störungen (insbesondere Diarrhö), mittelbar vor Bestrahlung) angewandt werden.
Flush und zentralnervöse Beschwerden, aber Infolge der bei äußerlicher Anwendung geringe-
auch Leukopenie zu nennen. Leukopenische Pa- ren Gefahr systemischer Nebenwirkungen wird
tienten haben dann ein erhöhtes Risiko für PML diese heute bevorzugt.
(Progressive multifokale Leukenzephalopathie). Bei oraler Gabe von Methoxsalen tritt relativ
Ferner können Nierenfunktionsstörungen auf- häufig Übelkeit auf. Zur Vermeidung von Kata-
treten. rakten müssen die Patienten bis 6–8 Stunden
Blutbildstörungen sowie Schwangerschaft nach der Behandlung eine auch das langwellige
und Stillzeit sind Kontraindikationen. UV-Licht abschirmende Sonnenbrille tragen.
Infolge der ausgeprägten Photosensibilisierung
424 28 Dermatika

führt bereits eine vergleichsweise geringe Über- Analoga oder Dithranol (jeweils ca. 45 % PASI-
dosierung von UV-Licht zu schweren Verbren- Reduktion > 75 %), Calcineurininhibitoren und
nungen. Wegen einer mutagenen und karzino- Tazaroten (jeweils ca. 30 % PASI-Reduktion
genen Wirkung, vor allem bei Langzeitbehand- > 75 %) angewandt.
lung, muss die Indikation sehr streng gestellt Schwere Verlaufsformen der Psoriasis, bei
werden. Insbesondere bei Patienten mit hohen denen mehr als 10 % der Körperoberfläche be-
kumulativen UV-Dosen sollte lebenslang eine troffen sind, werden in der Induktionsphase sys-
regelmäßige Hautkrebsfrüherkennungs-Unter- temisch entweder mit Ciclosporin (ca. 50–70 %
suchung durchgeführt werden. PASI-Reduktion > 75 %), Fumaraten (ca. 50 %
Eine Behandlung mit phototoxischen Phar- PASI-Reduktion > 75 %), Methotrexat (ca. 30–
maka, z. B. Phenothiazinen, Johanniskraut, 50 % PASI-Reduktion > 75 % nach 16 Wochen),
Tetracyclinen, Sulfonamiden, Amiodaron oder Acitretin (ca. 30 % PASI-Reduktion > 75 %)
Furosemid, erhöht die Empfindlichkeit gegen oder dem monoklonalen Antikörper Secuki-
Sonnenlicht. numab (ca. 70–80 % der Patienten PASI-Reduk-
Kontraindikationen bestehen bei Patienten tion > 75 % nach 12–16 Wochen) behandelt.
mit sehr heller Hautfarbe, Xeroderma pigmen- Werden die Therapieziele nicht erreicht, kön-
tosum, dysplastischen Naevus-Zell-Naevi, nen auch weitere Biologika eingesetzt werden.
Hauttumoren in der Vorgeschichte sowie Licht- Mit Infliximab erreichen ca. 70–90 % der Pati-
induzierten Dermatosen. enten eine PASI-Reduktion > 75 % bereits nach
10 Wochen, mit Ustekinumab und Adali-
28.1.2 Behandlungsstrategie der mumab ca. 70 %, mit Etanercept ca. 30–50 %
Psoriasis nach jeweils 12 Wochen. Mit Apremilast hatten
Je nach Schweregrad wird die Psoriasis topisch in klinischen Studien ca. 30 % der Patienten eine
oder systemisch behandelt. Die Auswahl des PASI-Reduktion > 75 %, ca. 20 % der Patienten
Antipsoriatikums bzw. der antipsoriatischen waren nahezu befallsfrei.
Therapie richtet sich u. a. nach dem klinischen Insbesondere bei großflächiger Erkrankung
Subtyp, nach Begleiterkrankungen sowie nach wird zur Induktionstherapie bei mittelschwerer
Präferenzen des Patienten. und schwerer Psoriasis eine Schmalspektrum
Der Schweregrad kann mit dem Psoriasis UV-B-Therapie oder eine PUVA-Therapie
Area and Severity Index (PASI) definiert wer- (s. o.) empfohlen, bei der sehr gute Ansprechra-
den. Bei einer leichten Psoriasis ist der PASI ten erzielt werden, die durch die gleichzeitige
< 10, d. h. dass weniger als 10 % der Körperfläche Gabe von topischen Vitamin-D3-Präparaten
von der Psoriasis betroffen sind, bei mittel- noch gesteigert werden können.
schwerer bis schwerer Psoriasis ist der PASI > 10. Neben den genannten Wirkstoffen zählen
Das Therapieziel ist das Erreichen einer mind. zur Basistherapie der Psoriasis wirkstofffreie
75 %igen Reduktion des Ausgangswerts, eine Salbengrundlagen sowie topische Zubereitun-
sog. PASI-75-Antwort. Wird das Mindestziel ei- gen von Harnstoff (3–10 %-ig) und Salicylsäure
ner PASI-50-Antwort (50 %ige Reduktion des (ebenfalls 3–10 %-ig). Aufgrund ihrer keratoly-
Ausgangswerts) nicht erreicht, muss eine Do- tischen Wirkung gehören sie bei der begleiten-
sissteigerung, eine Kombinationstherapie oder den Behandlung sowie bei der Intervalltherapie
eine Umstellung auf ein anderes Antipsoriati- zum anerkannten Therapiestandard.
kum erfolgen. Die dauerhafte Heilung einer Psoriasis ist bis-
Bei leichtem bis mittlerem Schweregrad wer- her in den meisten Fällen nicht möglich, viel-
den in der Induktionstherapie für einen Zeit- mehr kommt es nach symptomfreien Phasen
raum von 10–16 Wochen topisch entweder Glu- meist zum erneuten Auftreten der Hauterschei-
cocorticoide (ca. 60 % der Patienten erreichen nungen.
eine PASI-Reduktion > 75 %), Vitamin-D3-
28.2 Akne 425

28.2 Akne 28.2.1 Aknemittel


Benzoylperoxid. Das lokal anzuwendende Ben-
Eine neben der Psoriasis weitere hyperprolifera- zoylperoxid (BPO) ist in den üblichen Handels-
tive und gleichzeitig Androgen-abhängige Der- präparaten (z. B. Benzaknen®) in 3–10 %iger
matose stellen die verschiedenen Formen der Konzentration enthalten. Es wirkt durch Frei-
Akne dar. Mit diesem Begriff werden Erkran- setzung von atomarem Sauerstoff desinfizierend
kungen der Talgdrüsenfollikel bezeichnet. Sis- und entzündungshemmend. Mikromolare
tiert infolge einer follikulären Verhornungsstö- BPO-Konzentrationen hemmen die Freisetzung
rung (follikulären Keratose) bei gleichzeitiger reaktiver Sauerstoffspezies aus neutrophilen
starker Talgproduktion (Seborrhö) der Talgab- Granulozyten und damit einen wichtigen Schritt
fluss, entstehen als Primäreffloreszenz der Akne bei der Akne-bedingten entzündlichen Hautre-
Komedonen (Mitesser). Später treten – als ent- aktion. Die Verarmung an Vitamin E und die
zündliche Effloreszenzen – Papeln, Pusteln und dadurch folgende Oxidation von Lipiden und
Knoten hinzu. Proteinen der Hautzellen erklärt die häufig auf-
Die Disposition zur Akne ist erblich, zusätzli- tretenden Nebenwirkungen wie trockene und
che Faktoren spielen jedoch bei der Manifestati- schuppige Haut.
on eine erhebliche Rolle. So wird die Proliferati- Benzoylperoxid wird in der Haut zu Benzoe-
on des Talgdrüsenfollikelepithels durch Andro- säure biotransformiert, die in geringem Umfang
gene gesteigert, durch Estrogene gehemmt. Ob- resorbiert und nach Konjugation mit Glycin als
wohl die Akne keine primäre Pyodermie ist, Hippursäure rasch ausgeschieden wird.
sind Bakterien, insbesondere Propionibacterium Als Nebenwirkung werden Juckreiz und
(P.) acnes, an der Pathogenese beteiligt, da bak- Brennen der Haut beobachtet. Eine tumorpro-
terielle Stoffwechselprodukte die entzündliche movierende Wirkung kann nicht mit absoluter
Umwandlung der Komedonen fördern. Eine Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Patien- 28
Akne kann ferner durch chemische oder physi- ten sollten auf die Möglichkeit einer Phototoxi-
kalische Noxen ausgelöst werden. Dementspre- zität bei intensiver Sonnenexposition hingewie-
chend unterscheidet man die endogene und sen werden.
exogene Akne.
Antibiotika. Zur topischen Behandlung mit an-
Die endogene Akne (Acne vulgaris) kann
tibakteriell wirkenden Substanzen dienen vor
nach Schweregrad weiter in Acne comedonica,
allem Erythromycin (z. B. Aknefug®-EL, in
Acne papulo-pustulosa und Acne conglobata
Kombination mit Zinkionen Bestandteil von Zi-
differenziert werden. Die mit der Pubertät be-
neryt®), Clindamycin (Basocin® Akne-Gel und
ginnende und 40 % der Jugendlichen in leichter
-Lösung) sowie Nadifloxacin (Nadixa® Creme).
und weitere 30 % in schwerer Form betreffende
Systemisch werden neben Erythromycin auch
Erkrankung bessert sich meist spontan im 3. Le-
Tetracycline, vor allem Doxycyclin und Mino-
bensjahrzehnt.
cyclin, angewandt.
Bei der exogenen Akne sind vor allem die
Die Behandlung sollte so lange dauern, bis
Chlorakne, die durch chlorierte aromatische
das pustulöse Stadium sicher beseitigt wurde (in
Kohlenwasserstoffe hervorgerufen wird, die
der Regel 2–6 Wochen). Eine längere Behand-
Kosmetikaakne und die medikamentös be-
lung ist im Hinblick auf die Resistenzbildung
dingte Akne zu nennen. Letztere kann z. B. nach
von P. acnes nicht sinnvoll. Die zunehmende Re-
Gabe von Bromverbindungen (Bromakne), Iso-
sistenz und Kreuzresistenz von P. acnes erfor-
niazid, Phenytoin, Kontrazeptiva (mit andro-
dern langfristig betrachtet ohnehin eine erneute
genbetonter Gestagenkomponente) oder Gluco-
Nutzen/Risiko-Abwägung für den Einsatz von
corticoiden (Steroidakne) auftreten.
Antibiotika in der Aknetherapie.
426 28 Dermatika

Retinoide. Von den Retinoiden werden zur Ak- zem) und die seborrhoische Dermatitis (sebor-
netherapie lokal Tretinoin (z. B. Airol® Creme rhoisches Ekzem).
und Lösung) sowie Adapalen (Differin® Creme) Histologisch ist eine Dermatitis durch ent-
eingesetzt. Isotretinoin wird sowohl lokal (ISO- zündliche Reaktionen im Stratum papillare und
TREX® Creme und Gel) als auch peroral (z. B. in der Epidermis charakterisiert, wobei die Epi-
Aknefug® Iso) angewandt. dermis in den Entzündungsprozess durch ein
Wegen der entzündlichen Umwandlung der intra- und interzelluläres Ödem (Spongiose)
Komedonen in den ersten Wochen der Akne- und Einwanderung von Entzündungszellen
therapie mit Retinoiden entstehen häufig ver- (vorwiegend Lymphozyten) einbezogen ist.
mehrt Papeln und Pusteln (Aufblühen der
Kontaktdermatitis. Die toxisch bedingten Kon-
Akne), außerdem kann es zu Hautreizungen
taktdermatitiden beruhen entweder auf starken
kommen. Trotzdem ist die Behandlung – u. U.
akuten oder längerfristigen geringgradigen
unter Verringerung der Dosierung – konse-
Schädigungen durch im Einzelnen unterschwel-
quent weiterzuführen, da die Hauterscheinun-
lige Reize, z. B. durch verdünnte Alkalien, Gips,
gen nach einiger Zeit abklingen und die Haut
Zement oder organische Lösemittel (kumulativ
dann regeneriert erscheint. Bezüglich der loka-
toxisches Ekzem). Den allergischen Kontaktek-
len Verträglichkeit ist Adapalen Tretinoin über-
zemen liegt dagegen eine Allergie vom Spättyp
legen.
(Ⴉ Kap. 4.2.2) zugrunde, der bisweilen eine Schä-
Peroral appliziertes Isotretinoin ist beson-
digung der Hornschicht vorausgeht. Dadurch
ders bei sehr schweren Formen der Akne (z. B.
können Allergene die in tieferen Hautschichten
Acne conglobata) indiziert. Seine Dosierung ist
befindlichen Immunzellen erreichen und somit
der klinischen Wirksamkeit sowie der Verträg-
eine Sensibilisierung hervorrufen.
lichkeit anzupassen (mittlere Erhaltungsdosen
Neben- bzw. nacheinander treten bei der
0,5 mg/kg KG täglich). Wegen erheblicher Ne-
Kontaktdermatitis Erytheme, Papeln und Bläs-
benwirkungen (sehr häufig: trockene Haut und
chen auf, denen Krusten- und Schuppenbildung
Augen, Lippenentzündung, erhöhte Transami-
folgen können. Bei länger bestehender Erkran-
nasen und Triglyceride, Anämie, Arthralgie,
kung kommt es zur Lichenifikation, d. h. zu ei-
Myalgien; Risiko einer Rhabdomyolyse) darf
ner Vergröberung der Hautfelderung.
der Einsatz nur nach sorgfältiger Indikations-
stellung erfolgen. Da systemisch applizierte Re- Atopische Dermatitis. Die atopische Dermatitis
tinoide teratogen wirken, ist die Anwendung in (synonym Neurodermitis, atopisches Ekzem) ist
der Schwangerschaft kontraindiziert und bei im Gegensatz zur konditionellen Kontaktderma-
Frauen in gebärfähigem Alter nur unter be- titis eine konstitutionelle, d. h. genetisch fixierte
stimmten Bedingungen (z. B. wirksamer Emp- Hauterkrankung. Sie beginnt meist mit dem en-
fängnisverhütung einschließlich Barriereme- dogenen Gesichtsekzem der Säuglinge, dem
thode, monatlichen Kontrolluntersuchungen) Milchschorf, und geht beim Heranwachsenden
möglich. häufig in das Eczema flexurarum (Ellenbeugen-
und Kniekehlenekzem) mit lichenifizierten Her-
den in den Beugen der großen Gelenke und im
28.3 Atopische bzw. allergische Erwachsenenalter in ein pruriginöses Stadium
Hauterkrankungen (Prurigoform, gekennzeichnet durch juckende
Knötchen) über. In Industrieländern sind von
28.3.1 Dermatitiden einer atopischen Dermatitis 8–16 % der Kinder
Bei den Dermatitiden (Ekzemen) unterscheidet mit einem Inzidenzgipfel in den ersten beiden
man die toxische oder allergische Kontaktder- Lebensjahren und 1–3 % der Erwachsenen be-
matitis (Kontaktekzem), die atopische (endoge- troffen. Synchron oder alternierend hierzu kann
ne) Dermatitis (Neurodermitis, atopisches Ek- der Patient an Asthma bronchiale oder an einer
28.3 Atopische bzw. allergische Hauterkrankungen 427

Rhinitis allergica leiden. Das Risiko, dass ein ႒ Tab. 28.1 Topische Glucocorticoide. Nach Nied-
Kind eine atopische Dermatitis entwickelt, ist ner
am höchsten (60–80 %), wenn beide Elternteile INN Handelspräparat
ebenfalls daran erkrankt sind. Vom 5. Lebens-
jahr an tritt vielfach eine wesentliche Besserung I Schwache Wirkung
ein. Auch ist im Sommer gewöhnlich eine Besse-
Hydrocortison Ebenol® u. a.
rung, im Winter eine Verschlechterung der
Hauterscheinungen zu beobachten. II Mittelstarke Wirkung

Seborrhoisches Ekzem. Bei dieser Form der Clobetasonbutyrat Emovate®


Dermatitis findet man meist scharf begrenzte,
runde oder ovale, schuppende Erytheme, dane- Flumetason-21-pivalat LOCACORTEN® u. a.
ben können Papeln vorkommen. Bevorzugte Lo- Flupredniden-21-acetat Decoderm®
kalisationen sind der behaarte Kopf (Seborrhoea
capitis), die Nasolabialfalten, die Hautpartie Hydrocortisonbuteprat Neuroderm® Akut
über dem Brustbein und die Schweißrinne des
Triamcinolonacetonid Volon® A u. a.
Rückens. Als Ursache der Erkrankung wird eine
inadäquate Reaktion auf die auch auf gesunder III Starke Wirkung
Haut verbreitete Hefe Malassezia furfur (andere
Bezeichnung: Pityrosporum ovale) im Rahmen Amcinonid Amciderm®

eines partiellen Immundefekts vermutet. Betamethason-17-valerat CELESTAN®-V u. a.

Desoximetason Topisolon®
28.3.2 Antientzündlich wirkende
Dermatika Diflucortolon-21-valerat Nerisona® 28
28.3.2.1 Glucocorticoide
Fluocinolonacetonid Jellin u. a.
Die pharmakologischen Eigenschaften der Glu-
cocorticoide, die bei zahlreichen Hauterkran- Fluocinonid Topsym®
kungen indiziert sind, wurden bereits unter
Fluticason-17-propionat Flutivate®
Ⴉ Kap. 21.7.1 näher beschrieben. Bei topischer
Anwendung stehen ihre antiphlogistischen und Methylprednisolonaceponat Advantan®
antiproliferativen Effekte im Vordergrund. Posi-
tiv kommen die immunsuppressiven, antipruri- Mometasonfuroat ECURAL® u. a.
ginösen (juckreizstillenden) und vasokonstrik-
Prednicarbat Prednitop® u. a.
torischen Wirkungen hinzu.
IV Sehr starke Wirkung
Einteilung. Nach ihrer Wirkstärke werden topi-
sche Glucocorticoide in vier Klassen (I – IV) Clobetasol-17-propionat Dermoxin® u. a.
eingeteilt (႒ Tab. 28.1). Darüber hinaus wird die
Intensität erwünschter und unerwünschter Ef-
fekte anhand eines Algorithmus quantifiziert Kinetik. Die Resorption von Glucocorticoiden
und daraus die Nutzen/Risiko-Relation (Thera- bei topischer Anwendung wird wesentlich von
peutischer Index) ermittelt. Glucocorticoide mit dem Hautareal und der Form der galenischen
einem besonders günstigen Verhältnis von Wir- Zubereitung bestimmt. So wird bei der Anwen-
kung und Nebenwirkungen (Therapeutischen dung von Salben in der Regel mehr Wirkstoff
Index > 2) sind Prednicarbat, Methylpredniso- resorbiert als bei dem Auftragen in Form von
lonaceponat, Hydrocortisonbuteprat sowie Mo- Cremes und Gelen. Im Allgemeinen werden
metasonfuroat. 1–10 % der Dosis lokal aufgenommen und über
428 28 Dermatika

mehrere Tage in der Hornschicht gespeichert. fahr systemischer Nebenwirkungen durch Sup-
Die resorbierte Substanz wird vorwiegend renal pression der Hypophysen-Nebennierenrinden-
ausgeschieden, Esterbindungen werden – teil- Achse bzw. in Form eines Cushing-Syndroms
weise bereits in der Haut – hydrolytisch gespal- (Ⴉ Kap. 21.7.3). Bei Kindern droht u. U. eine
ten. Wachstumshemmung.
Die nur schwach wirksamen, aber anders als
Indikationen und Dosierung. Eine topische
die anderen topischen Glucocorticoide nicht
Behandlung mit Glucocorticoiden ist bei zahl-
verschreibungspflichtigen 0,25- und 0,5 %igen
reichen Hauterkrankungen, insbesondere
Hydrocortison-Zubereitungen gelten als insge-
nichtinfizierten Ekzemen, Psoriasis, Autoim-
samt besonders gut verträglich.
munerkrankungen (Lupus erythematodes, Pem-
phigus-Erkrankung), entzündlichen Lichtder-
28.3.2.2 Calcineurininhibitoren
matosen und Prurigoerkrankungen indiziert.
Von den Calcineurininhibitoren (Ⴉ Kap. 32.4.1)
Zur Vermeidung von Nebenwirkungen soll
werden topisch zur Therapie der atopischen
stets ein Wirkstoff mit der geringst möglichen
Dermatitis Pimecrolimus als 1 %ige Creme
Wirkstärke gewählt werden. Beim atopischen
(Elidel®) und Tacrolimus als 0,03 und 0,1 %ige
Ekzem beispielsweise wird es sich dabei in der
Salbe (Protopic®) angewandt. Im Gegensatz zu
Regel um ein mittelstarkes Glucocorticoid han-
Glucocorticoiden verringern sie die Aktivität
deln. Nur eine großflächige Erkrankung erfor-
von Fibroblasten nicht, daher kommt es auch
dert eine systemische Glucocorticoidtherapie.
nach längerer Anwendung zu keiner Hautatro-
Möglichst rasch soll von einer kontinuierlichen
phie. Auch führen sie nicht zu den für Glucocor-
Behandlung (ein- oder mehrmals täglicher An-
ticoide charakteristischen Nebenwirkungen im
wendung) zu einer Tandem- oder Intervallthe-
Gesichtsbereich (steroidinduzierter Rosacea,
rapie (alternierendem Auftragen des Glucocor-
perioraler Dermatitis).
ticoid-haltigen Präparats und einer entspre-
Indiziert sind Tacrolimus und Pimecrolimus
chenden corticoidfreien sog. Basissalbe bzw.
bei atopischem Ekzem, wenn eine andere Be-
-creme, z. B. im täglichen oder wöchentlichen
handlung nicht ausreichend wirksam war oder
Wechsel) übergegangen werden. Allerdings ist
nicht angebracht bzw. nicht möglich ist. Auch
beim zu Rezidiven neigenden atopischen Ekzem
Kinder können ab einem Alter von 2 Jahren da-
eine Rezidivprophylaxe mit z. B. 2-mal wöchent-
mit behandelt werden.
lich 0,05 %iger Fluticasonpropionat-Creme ef-
Als Nebenwirkungen dominieren bei Pimec-
fektiver als eine wirkstofffreie Basistherapie.
rolimus Wärmegefühl auf der Haut, bei Tacroli-
Nebenwirkungen. Abhängig von der Behand- mus Juckreiz und Brennen.
lungsdauer, der Wirkstärke des Glucocorticoids Die systemische (orale) Gabe von Ciclospo-
und der Art der Anwendung kommen als lokale rin (Ⴉ Kap. 32.4.1) ist bei schwersten, therapiere-
Nebenwirkungen Hautatrophien (z. B. in Form sistenten Formen von atopischer Dermatitis in-
von Striae), Teleangiektasien, periorale Derma- diziert. Die Dosierung von Sandimmun® Opto-
titis und Pigmentverschiebungen vor. Gelegent- ral beträgt täglich 2,5 mg/kg KG verteilt auf zwei
lich treten Purpura, Follikulitis (nach Okklusiv- Einzeldosen.
verbänden) sowie Kontaktallergien auf. Mani-
feste Hautatrophien sind bei der Behandlung 28.3.2.3 Sonstige entzündungshemmende
mit Wirkstoffen, deren Therapeutischer Index Wirkstoffe
> 2 ist, selten. Neben Glucocorticoiden werden noch andere
Stoffe zur topischen Behandlung nichtinfektiö-
Beim Einsatz hochpotenter Glucocorticoide, bei
ser entzündlicher Reaktionen der Haut einge-
großflächiger Anwendung, Okklusivverbänden
setzt. Dazu gehören neben Phytopharmaka wie
und geschädigter Hornschicht besteht die Ge-
Kamillen- und Hamamelis-Zubereitungen (z. B.
28.4 Urtikaria und Angioödem 429

Kamillosan®, Hametum®) der synthetische aminika (z. B. Bilastin, Desloratadin, Ebastin,


Gerbstoff Tamol (z. B. Tannolact®), ein Phenol- Levocetirizin), die zunächst in Standarddosie-
Formaldehyd-Harnstoff-Polykondensat. Bei rung eingenommen werden (Stufe 1). Tritt in-
ausgeprägten Entzündungen sind diese Stoffe nerhalb von 2 Wochen keine Beschwerdefreiheit
jedoch nicht ausreichend wirksam. ein, sollte das H1-Antihistaminikum bis zur ma-
ximal 4-fachen Standarddosis aufdosiert wer-
den (off-label, Stufe 2). Bei weiterhin unzurei-
28.4 Urtikaria und Angioödem chender Wirksamkeit sieht die 3. Stufe (nach
1–4 Wochen) den zusätzlichen Einsatz des IgE-
Urtikaria. Als Urtikaria (Nesselsucht) bezeich- Antikörpers Omalizumab (Ⴉ Kap. 24.1.1) vor.
net man das Auftreten von meist rasch entste- Alternativ können Ciclosporin (Ⴉ Kap. 32.4.1)
henden und auch rasch vergehenden juckenden oder der Leukotrienantagonist Montelukast
Quaddeln. Ausgelöst wird eine Urtikaria durch (Ⴉ Kap. 24.1.1.2) gegeben werden (off-label). Bei
eine IgE-vermittelte Degranulation kutaner akuten Exazerbationen ist außerdem eine kurz-
Mastzellen sowie durch Komplementaktivie- zeitige orale Glucocorticoid-Therapie (für 7–10
rung, Zytokine, nervale Faktoren (Substanz P) Tage) möglich (Ⴉ Kap. 21.7.1).
oder direkte Histaminliberatoren. Die freige-
Angioödem. Das bevorzugt bei jüngeren Frau-
setzten Mediatoren führen dann zur Quaddel-
en auftretende Angioödem (angioneurotisches
bildung.
Ödem, Quincke-Ödem) ist eine akute, sich in-
An einer akuten Urtikaria, die innerhalb von
nerhalb von 72 Stunden rückbildende Schwel-
1–2, maximal 6 Wochen spontan ausheilt, leiden
lung der Haut infolge eines Ödems in der Sub-
ca. 25 % aller Menschen zumindest einmal in ih-
kutis, die durch Degranulation von Mastzellen
rem Leben. Es handelt sich damit um eine der
häufigsten Hauterkrankungen. Sie kann durch
in der tieferen Dermis und der Schleimhaut ent- 28
steht. Bevorzugt manifestiert sich die Erkran-
Nahrungs- und Genussmittel, Insektenstiche
kung an Augenlidern, Lippen und im Genitalbe-
und Arzneistoffe – insbesondere Betalactam-
reich; Erstickungsgefahr besteht bei einem aku-
Antibiotika, Sulfonamide, Blutbestandteile oder
ten Glottis- oder Larynxödem. Auslöser sind
Allergene enthaltende Pflanzenextrakte – her-
häufig Nahrungsmittel, Nahrungszusatzstoffe
vorgerufen werden. Das auslösende Agens bleibt
oder Arzneimittel (z. B. ACE-Hemmer, β-Adre-
dabei allerdings oft unbekannt.
nozeptorblocker, Acetylsalicylsäure, Histamin-
Eine chronische Urtikaria liegt vor, wenn die
freisetzende oder den Histaminabbau hemmen-
Krankheit mehr als 6 Wochen dauert. Sie betrifft
de Pharmaka). Zur Therapie eignet sich die
meist Erwachsene, das quälende Jucken kann
Kombination eines H1-Antihistaminikums mit
über Monate und Jahre anhalten. Zum Teil tre-
einem Glucocorticoid.
ten neben Quaddeln Zeichen eines Angioödems
(s. u.) auf. Mit zunehmender Erkrankungsdauer Dem hereditären Angiödem liegt ein Mangel an
sinken die Heilungsaussichten. dem C1-Esteraseinhibitor des Komplementsys-
Zu den therapeutischen Maßnahmen bei ei- tems zugrunde. Hereditäre Angioödem-Atta-
ner Urtikaria gehört neben dem Identifizieren cken gehen mit einer erhöhten Ausschüttung
und Vermeiden der Provokationsfaktoren eine von Bradykinin einher und äußern sich in Form
symptomatische Pharmakotherapie (Stufen- subkutaner oder submukosaler Ödeme der obe-
schema), ein kausaler Behandlungsansatz ist ren Atemwege, der Haut und des Magendarm-
nicht verfügbar. trakts mit einer Dauer von 2–5 Tagen. Der C1-
Als Mittel der 1. Wahl gelten die nicht sedie- Esteraseinhibitor ist der wichtigste Regulator
renden H1-Antihistaminika der 2. Generation der Aktivierung des Kallikrein-Kinin-Systems
(Ⴉ Kap. 22.1.1), z. B. Cetirizin, Loratadin und Fe- (Ⴉ Kap. 22.4). Bei akuten Attacken eines heredi-
xofenadin, sowie weitere neuere H1-Antihist- tären Angioödems wird Kallikrein durch den
430 28 Dermatika

Mangel an C1-Esteraseinhibitor nicht ausrei- Immer angezeigt ist eine topische Behand-
chend gehemmt, und am Ende der Kallikrein- lung mit kühlenden Grundlagen (Cremes, Loti-
Kinin-Kaskade entsteht lokal vermehrt Brady- onen). Sie kann durch Wirkstoffe verstärkt wer-
kinin. den, die wie Harnstoff (z. B. in BALISA®) durch
Eine wirkungsvolle Therapie ist mit dem Bra- erhöhte Wasserbindungskapazität der Horn-
dykinin-(B2-)Rezeptor-Antagonisten Icatibant schicht oder wie Lokalanästhetika (Ⴉ Kap. 13),
(Firazyr®) möglich. Bei Icatibant handelt es sich insbesondere Polidocanol (synonym Lauromac-
um ein synthetisches Dekapeptid mit einer ähn- rogol, Macrogollaurylether; z. B. Anaesthesulf®
lichen Struktur wie Bradykinin, aber mit 5 nicht Lotio), durch Senkung der Empfindlichkeit der
proteinogenen Aminosäuren. Es wird in einer sensiblen Hautnerven das Jucken verringern
Dosis von 30 mg s. c. einmalig verabreicht. Haut- bzw. aufheben. Bei unzureichender Wirksamkeit
irritationen an der Einstichstelle treten fast im- sind Glucocorticoide und Calcineurininhibito-
mer auf. Besondere Vorsichtsmaßnahmen gel- ren (s. o.) weitere topische Therapieoptionen.
ten für die Anwendung bei akuter ischämischer Systemisch können H1-Antihistaminika
Herzkrankheit, instabiler Angina pectoris und (Ⴉ Kap. 22.1.1) sowie bei sehr schwerem Pruritus
Schlaganfall. Glucocorticoide (kurzfristig) gegeben werden.
Alternativ zu Icatibant stehen für die Be- Darüber hinaus können Antidepressiva (SSRI,
handlung des hereditären Angioödems C1- Doxepin, Mirtazapin, Ⴉ Kap. 10.2.1.4) oder bei
Esteraseinhibitor-Konzentrat (Berinert® P) neuropathischen Schmerzen eingesetzte Anti-
und rekombinanter humaner C1-Esteraseinhi- konvulsiva (Gabapentin, Pregabalin, Ⴉ Kap.
bitor (Ruconest®) zur Verfügung. 16.2.2) verordnet werden.

28.5 Antipruriginosa 28.6 Infektionskrankheiten der Haut

Jucken (Pruritus) ist ein bei zahlreichen Hauter- 28.6.1 Bakterielle Infektionen
krankungen (z. B. bei der atopischen Dermatitis, Eine Vielzahl von Haut- und Schleimhautinfek-
cholestatischen Lebererkrankungen, chroni- tionen von oberflächlichen Hautinfektionen bis
scher Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, hin zu tiefen Weichgewebeinfektionen werden
Leukämien, Morbus Hodgkin) auftretendes bei Kindern und Erwachsenen durch S. aureus
Symptom, das oft für den Patienten quälender verursacht.
ist als Schmerz. Die Inzidenz beträgt etwa 7 %.
Oberflächliche S.-aureus-Infektionen (Beispie-
Das durch den Juckreiz ausgelöste Kratzen führt
le). Bei leichten Fällen einer Impetigo conta-
zu einem Circulus vitiosus infolge Hautschädi-
giosa (Bläschen mit honigfarbenen Krusten)
gung und nachfolgender Verstärkung von Pruri-
wird die topische Anwendung von Fusidinsäure
tus-fördernden Entzündungsprozessen.
(Creme, Salbe, Gaze) empfohlen, die sehr gut
Wegen der Komplexität der einem Pruritus
gegen S. aureus (einschließlich MRSA, Ⴉ Kap.
zugrunde liegenden Ursachen und der unter-
30.1.2.1) wirksam ist, selten sensibilisierend
schiedlichen Patientengruppen (z. B. Kinder,
wirkt und keine Kreuzresistenzen aufweist. Bei
Schwangere, multimorbide Patienten) ist nach
häufiger Anwendung können sekundäre Resis-
eingehender Diagnostik ein individueller The-
tenzen auftreten. Alternativen sind Retapamu-
rapieplan unter Berücksichtigung von Alter,
lin (Altargo® Salbe) oder Tyrothricin (Tyrosur®
nachgewiesenen Erkrankungen, Pruritus-Inten-
Gel). Die direkte lokale Anwendung hat grund-
sität sowie Einschränkung der Lebensqualität zu
sätzlich den Vorteil, dass wesentlich höhere
erstellen. Eine dem Pruritus zugrunde liegende
Konzentrationen im Gewebe erreicht werden als
Erkrankung sollte kausal behandelt werden,
nach systemischer Antibiotika-Gabe. Bei meh-
Kontaktallergene sind zu vermeiden.
28.6 Infektionskrankheiten der Haut 431

reren Läsionen ist dennoch eine systemische 28.6.3 Virusinfektionen


Behandlung mit z. B. Cefalexin (Celalexin-ra- Infektionen durch Herpesviren (z. B. Herpes
tiopharm®, Cephalosporin der Gruppe 1) erfor- zoster, Herpes simplex) werden in Ⴉ Kap. 30.4.3
derlich. Alternativ kommen Clindamycin (Ge- behandelt.
nerika) oder Makrolide (Ⴉ Kap. 30.1.3.3) zum
Einsatz. 28.6.3.1 Warzen (Virusakanthome)
Bei den Virusakanthomen (infektiösen Warzen)
Ein Furunkel ist eine schmerzhafte, abszessarti-
handelt es sich um infektiöse Epithelhyperpla-
ge Infektion des Haarfollikels. Die Behandlung
sien, die durch humane Papillomviren (HPV,
erfolgt systemisch mit Cefalexin (Cephalexin-
Papova-Viren) hervorgerufen werden.
ratiopharm®) oder Flucloxacillin (z. B. Staphy-
lex®), bei Penicillinallergie alternativ mit Clin- Verrucae vulgares, planae juveniles. Allgemein
damycin (z. B. Sobelin®). Bei ausgedehntem Be- bekannt sind die gewöhnlichen Warzen (Verru-
fund wird die parenterale und stationäre Be- cae vulgares), die einzeln oder in Gruppen an
handlung empfohlen. Händen und Füßen oder auch am Kopf auftre-
ten. Verrucae planae juveniles finden sich außer
Tiefe S.-aureus-Infektionen (Beispiele). Eine
an den Akren vor allem im Gesichtsbereich als
Phlegmone (eitrige Infektion der Haut bis in tie-
flache, meist unauffällige Papeln.
fer gelegenes Weichgewebe) ist eine komplizier-
te Haut-/Weichgewebeinfektion, die parenteral Bei der Therapie dieser Warzen ist zu berück-
mit Flucloxacillin (s. o.) oder Cefazolin (z. B. sichtigen, dass sie sich, insbesondere vulgäre
Basocef®-Actavis) behandelt werden muss. Bei Warzen, häufig selbst zurückbilden und keine
chronischen Infektionen (z. B. bei Dekubitus) Narben hinterlassen. Eingreifende, mit Narben-
hat eine Erregerbestimmung zu erfolgen. bildung einhergehende Therapiemaßnahmen
sind daher mit Ausnahme von ausgedehnten 28
Schwere Weichgewebeinfektionen erfordern
Warzenbeeten an den Händen nicht indiziert.
eine chirurgische Intervention. Die zusätzliche
Zur Erweichung des Hornmaterials können Sa-
Antibiotikatherapie besteht aus der Kombinati-
licylsäure-haltige Pflaster (z. B. Guttaplast®)
on eines Acylaminopenicillins (Piperacillin)
oder Lösungen (z. B. Verrucid®) aufgetragen
mit einem Betalactamase-Inhibitor oder einem
werden. Alternativen sind Ätzungen mit ver-
Carbapenem, jeweils zusammen mit Clindamy-
schiedenen Säuren (z. B. Milchsäure, Trichlores-
cin (s. o.), das durch die Hemmung der Protein-
sigsäure), die Vereisung mit flüssigem Stickstoff
biosynthese grampositiver Bakterien Komplika-
oder das Abtragen der Warze mit dem CO2-La-
tionen durch aus den Bakterien freigesetzte To-
ser.
xine reduziert.
Verrumal® ist ein Salicylsäure und Fluorou-
Besteht ein Verdacht auf MRSA, kommt Li-
racil enthaltendes Kombinationspräparat (100 g
nezolid (ZYVOXID®) zum Einsatz. Mögliche
Lösung enthalten 10 g Salicylsäure und 0,5 g Flu-
Alternativen sind Daptomycin, Doxycyclin,
orouracil, ႩKap. 28.7.2, ႩKap. 31.1.1.2). Es wird
Fosfomycin, Fusidinsäure, Rifampicin (nur in
während ca. 6 Wochen 2–3-mal täglich auf jede
Kombination mit Glykopeptiden), Tigecyclin
Warze aufgetragen. Dabei darf es nur auf die
und die Glykopeptide Teicoplanin und Vanco-
Warzen und nicht auf die gesunde Haut der
mycin. Es gilt zu beachten, dass die Glykopepti-
Warzenumgebung gelangen.
de bei MSSA wesentlich schwächer wirken als
Betalactame. Condylomata acuminata. Condylomata acumi-
nata (Feigwarzen) werden durch humane Papil-
lomviren (HPV) verursacht und treten vorwie-
28.6.2 Dermatomykosen
gend bei Erwachsenen im Anogenitalbereich
Mykosen der Haut werden in Ⴉ Kap. 30.3.9 be-
auf. Bei der Frau kann sich aus der sexuell über-
sprochen.
432 28 Dermatika

tragenen HPV-Erkrankung der Zervix ein Zer- kos einer möglichen Organabstoßung mit Vor-
vixkarzinom entwickeln. Dies ist insbesondere sicht angewendet werden.
bei einer Infektion mit den Typen HPV-16 und Die Impfung gegen humane Papillomviren
HPV-18 der Fall. In Zukunft sollte deren Häu- ist in Ⴉ Kap. 32.2.1.1 beschrieben.
figkeit durch Impfung (Ⴉ Kap. 32.2.1.1) abneh-
men. 28.6.4 Parasitosen der Haut
Skabies. Die Skabies (Krätze) wird durch weib-
Während einzelne Feigwarzen mit Lokalthera-
liche Milben (Sarcoptes scabei), die blind enden-
peutika konservativ behandelt werden können,
de Gänge in die Hornschicht bohren, hervorge-
müssen ausgedehnte Kondylombeete und blu-
rufen. Befallen sind vor allem Interdigitalräume,
menkohlartige Tumoren sowie vor allem auch
Achselfalten, Brustwarzen und Penis. Aufgrund
intrarektale bzw.intraanale Kondylome operativ
des starken Juckreizes kommt es zu Kratzeffek-
behandelt werden.
ten und bakteriellen Sekundärinfektionen an
Zur topischen Behandlung eignet sich Podo-
den aufgekratzten Hautstellen.
phyllotoxin (z. B. Condylox®), der Hauptwirk-
stoff von Podophyllum peltatum. Podophylloto- Zur Therapie der Krätze dienen u. a. die Pyreth-
xin besitzt antimitotische Eigenschaften durch roide (Ⴉ Kap. 34.2.11) Permethrin (z. B. Infec-
Angriff an Tubulin. Infolge der Blockade der toscab 5 %) und Allethrin (in Spregal®). In den
Zellteilung in der Metaphase wird eine Nekrose meisten Fällen ist eine einmalige Behandlung
des Warzengewebes ausgelöst. Daneben wird der betroffenen Partien ausreichend. Als Neben-
eine Wechselwirkung mit dem Nucleosidtrans- wirkungen können Hautirritationen auftreten.
port als Wirkungsursache von Podophyllotoxin Bei Schwangeren, Stillenden und Kleinkin-
diskutiert. dern kann eine Skabies auch mit Benzylbenzoat
Ebenfalls für diese Indikation zugelassen ist (Antiscabiosum) behandelt werden. Die Zube-
Imiquimod (z. B. Aldara® 5 % Creme), das die reitung (25 % für Erwachsene, 10 % für Kinder)
Synthese von Interferon alfa (IFN-α), Tumor- wird dafür auf den ganzen Körper an drei aufei-
nekrosefaktor-α (TNF-α) und anderen Zytoki- nander folgenden Tagen aufgetragen. Außer zur
nen stimuliert. Dadurch werden Typ-1-Helfer- Krätzetherapie dient Benzylbenzoat zur Ver-
T-Zellen und zytotoxische T-Zellen aktiviert, nichtung der Hausstaubmilbe in Sitzmöbeln,
dendritische Zellen wandern in die Lymphkno- Teppichen usw. (Handelspräparat Acarosan®).
ten und reifen zu antigenpräsentierenden Lan- Durch diese Maßnahme kann eine Hausstaub-
gerhans-Zellen. Als Folge davon wird die Ab- milbenallergie gebessert werden.
wehr viraler Infektionen verbessert. Vermittelt
Läuse. Kopf-, Kleider- und Filzläuse sind den
werden diese Wirkungen durch die Stimulation
Menschen befallende blutsaugende Ektoparasi-
von Toll-like-Rezeptoren, speziell von TLR-7.
ten. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu
Die Anwendung von Imiquimod erfolgt 3-mal
Mensch.
wöchentlich. Die Behandlung ist so lange fort-
zusetzen, bis alle sichtbaren Feigwarzen im Ge- Als Mittel gegen Läuse werden wie bei Krätze
nital- oder Perianalbereich verschwunden sind. Permethrin (InfectoPedicul®) und Allethrin (in
Imiquimod ist außerdem zur Behandlung von Jacutin® Pedicul Spray) angewandt, ein weiteres
kleinen oberflächlichen Basalzellkarzinomen Läusemittel auf Pyrethrinbasis enthält Pyreth-
(s. u.) und nicht hyperkeratotischen aktinischen rumextrakt (Goldgeist® forte). Die Präparate
Keratosen im Gesicht oder auf der Kopfhaut von werden auf die gewaschene behaarte Kopfhaut
immunkompetenten Erwachsenen zugelassen. oder andere befallene Körperstellen aufgetragen
Als Nebenwirkungen können lokale Reizer- und nach der angegebenen Einwirkzeit abgewa-
scheinungen auftreten; bei organtransplantier- schen. Die Behandlung ist ggf. nach 8–10 Tagen
ten Patienten sollte Imiquimod wegen des Risi-
28.7 Tumorerkrankungen der Haut 433

zu wiederholen, bei Permethrin beseitigt meist ruierend, metastasieren jedoch in der Regel
jedoch schon eine Einmaltherapie die Parasiten. nicht (semimaligne Tumoren). Sie finden sich
Im Gegensatz zu den oben genannten Sub- insbesondere bei Personen mit sonnenempfind-
stanzen wirkt Dimeticon (Polydimethylsiloxan; licher Haut.
z. B. in Jacutin® Pedicul Fluid) rein physikalisch.
Melanom. Die zumeist tiefbraun bis blau-
Durch Verlegung der Atemöffnungen der Läuse
schwärzlich gefärbten malignen Melanome, von
werden diese ebenso wie ihre Larven und Nis-
denen mehrere Unterformen (primär knotiges
sen, ohne toxische Effekte für die betroffenen
Melanom, superfiziell spreitendes Melanom,
Personen, zuverlässig abgetötet.
Lentigo-maligna-Melanom u. a.) existieren, ent-
wickeln sich meist auf klinisch normaler Haut.
In etwa 30 % der Fälle entstehen sie jedoch auf
28.7 Tumorerkrankungen der Haut
der Basis eines seit langem bestehenden Mutter-
mals (Nävuszellnävus). Aufgrund ihrer ausge-
28.7.1 Hauttumorformen
prägten und früh einsetzenden lymphogenen
Die wichtigsten Tumoren der Haut entstehen
und/oder hämatogenen Metastasierung (vor-
durch Entartung epithelialer Zellen (heller
rangig in Lunge und Gehirn) gehören Melano-
Hautkrebs) bzw. von Melanozyten (dunkler bzw.
me zu den besonders bösartigen Tumoren. Da-
schwarzer Hautkrebs). Es handelt sich dabei um
für verantwortlich könnte die Tatsache sein,
das Plattenepithelkarzinom der Haut, Basalzell-
dass auch normale Melanozyten Wanderzellen
karzinom und Melanom. Diese Tumoren, am
sind, die nicht im Gewebeverbund wachsen und
häufigsten der helle Hautkrebs, werden vor al-
keine interzellulären Kontakte ausbilden. Die
lem durch UV-Licht (intensive Sonnenbestrah-
Inzidenz dieser Erkrankung in Europa liegt der-
lung mit häufigen Sonnenbränden) induziert.
zeit bei ca. 15 Neuerkrankungen pro 100 000 28
Plattenepithelkarzinom der Haut. Das Platten- Einwohnern jährlich. Anders als bei den beiden
epithelkarzinom (spinozelluläre Karzinom, Sta- anderen Hauttumoren, die bevorzugt bei älteren
chelzellkarzinom), das außer durch Sonnenlicht Patienten gefunden werden, sind vor allem Per-
auch durch Röntgenstrahlung bzw. langfristige sonen im mittleren Lebensalter betroffen.
PUVA-Therapie (Ⴉ Kap. 28.1.1.3) induziert wird
und unbehandelt zum Tod führen kann, beginnt
28.7.2 Therapie von Hauttumoren
oft als aktinische Keratose (lichtbedingtes Car-
Die Therapie von Melanomen wird in
cinoma in situ). Erstes Symptom dieser auch in
Ⴉ Kap. 31.9.4 beschrieben. Zur medikamentösen
Europa zahlenmäßig erheblich zunehmenden
Behandlung der aktinischen Keratose und des
Erkrankung ist oft eine unauffällige, leicht erha-
Plattenepithelkarzinoms sind 5-Fluorouracil
bene, warzenähnliche Hyperkeratose („raue
(5-FU), Imiquimod, topisches Diclofenac und
Lichtschwiele“). Die Prävalenz in Mitteleuropa
Aminolävulinsäure zugelassen, zur Behandlung
liegt für Männer über 70 Jahren bei 34 %, bei
des nicht operablen Basalioms kann Vismode-
Frauen bei 18 %.
gib eingesetzt werden.
Basalzellkarzinom. Das relativ häufige Basal-
5-Fluorouracil. Der Thymidilatsynthesehem-
zellkarzinom (Basaliom) nimmt seinen Ausgang
mer 5-Fluorouracil (Ⴉ Kap. 31.1.1.2) wird bei ak-
von den basalen Epidermisschichten und Haar-
tinischen Keratosen als 5 %-ige Creme (Efu-
follikeln. Es handelt sich um langsam wachsen-
dix®) 2-mal täglich topisch appliziert. Die übli-
de, der Haut breit aufsitzende oder im Zentrum
che Behandlungsdauer beträgt 2–4 Wochen,
eingesunkene Knötchen von derber Konsistenz.
doch soll die Behandlung so lange fortgesetzt
Teleangiektasien (durch die Oberhaut scheinen-
werden, bis die entzündliche Reaktion das Ero-
de feine, blutrote Gefäßreiser) sind erkennbar.
sionsstadium erreicht hat. Dann ist 5-FU abzu-
Basaliome wachsen lokal infiltrierend und dest-
434 28 Dermatika

setzen bis zur Reepithelisierung dauert es im kleinflächig auf der betroffenen Hautregion. Die
Allgemeinen 4–6 Wochen. Heilungsrate ist bei oberflächlichen Tumoren
Häufige Nebenwirkungen sind lokale Miss- besser als bei solchen, die in die Tiefe der Haut
empfindungen wie Schmerzen und Brennen. reichen.
Nach 2–4 Wochen Behandlung erscheinen übli-
Vismodegib. Bei einem lokal fortgeschrittenen
cherweise ausgeprägte Erosionen an den betrof-
oder metastasierten Basaliom, bei dem eine chi-
fenen Stellen. Außerdem treten Erytheme sowie
rurgische Behandlung oder eine Bestrahlung
gelegentlich Blasen und Nekrosen auf.
nicht (mehr) möglich ist, besteht die Option,
Die in dem Kombinationspräparat Actike-
den oral applizierbaren Hegehog-Signaltrans-
rall® – mit der gleichen Zusammensetzung wie
duktionshemmer Vismodegib (Erivedge®,
Verrumal® (s. o.) – neben Fluorouracil zusätz-
Ⴉ Kap. 31.4) einzusetzen. Der sog. Hegehog-
lich enthaltene Salicylsäure soll als keratolyti-
Signalweg, ist häufig bei Patienten mit einem
sche Substanz die mit aktinischen Keratosen
Basalkarzinom signifikant aktiviert.
einhergehenden Hyperkeratosen reduzieren
Die Dosierung von Vismodegib beträgt
und die Penetration von 5-Fluorouracil verbes-
1-mal täglich 150 mg. Als Nebenwirkungen
sern. Dementsprechend ist die Fluorouracil-
wurden vor allem Muskelspasmen, Alopezie,
Konzentration auf 0,5 % reduziert.
Geschmacksstörung, Gewichtsverlust, Müdig-
Imiquimod. Eine 5 %ige Imiquimod-Creme keit und Übelkeit beschrieben.
(Aldara®, s. o.) wird zur Behandlung kleiner su-
Photodynamische Hauttumortherapie. Dieses
perfizieller Basalzellkarzinome bei Erwachse-
Verfahren wird unter Ⴉ Kap. 31.7 beschrieben
nen eingesetzt. Die Creme wird 6 Wochen lang
5-mal wöchentlich aufgetragen und für ca. 8
Stunden auf der Haut belassen.
28.8 Lichtschutzsubstanzen
Topisches Diclofenac. Da Läsionen von aktini-
schen Keratosen Cyclooxygenase-2 (COX-2) Natürlicher Lichtschutz wird physiologischer-
überexprimieren, wurde ein Gel (Solaraze®), be- weise durch eine verstärkte Hornschicht (Hy-
stehend aus dem COX-Inhibitor Diclofenac perkeratose) und vor allem durch Melanin-Bil-
(Ⴉ Kap. 12.1.3.1) und Hyaluronsäure entwickelt. dung in der Haut erreicht. Künstlicher Licht-
Die Kombination mit Hyaluronsäure soll zu hö- schutz ist außer durch entsprechende Kleidung
heren Diclofenac-Konzentrationen in der Haut durch Auftragen von lichtabsorbierenden („che-
führen. Eine komplette Heilung durch das gut mischen“) oder lichtreflektierenden („physikali-
verträgliche Gel mit 3 % Diclofenac/2,5 % Hy- schen“) Lichtschutzsubstanzen möglich.
aluronsäure ist innerhalb von 12 Wochen bei ca. Bei den lichtabsorbierenden Stoffen, die auch
50 % der Patienten zu erzielen. Lichtfilter genannt werden, unterscheidet man
je nach Lage des Absorptionsmaximums bzw.
Aminolävulinsäure. Aminolävulinsäure
der Absorptionsbande verschiedene Typen:
(5-Amino-4-oxopentansäure) ist in Form des
Methylesters, wodurch die Gewebepenetration 󠀂 UV-B-Filter (p-Aminobenzoesäure-, Zimt-
erhöht wird, als Photosensibilisator im Rahmen säure- und Benzimidazol-Derivate),
einer photodynamischen Therapie (z. B. mit 󠀂 UV-A-Filter (Substanzen mit Dibenzoylme-
Rotlicht) für die Behandlung von aktinischen thanstruktur) und
Keratosen und Basaliomen indiziert (Handels- 󠀂 Breitbandfilter (Benzophenon-Derivate).
präparat Metvix®). Nach topischer Anwendung
Lichtreflektierend wirkt insbesondere Titandi-
reichern sich photoaktive Porphyrine intrazellu-
oxid (Microsun® 19), aber auch Zinkoxid.
lär in den behandelten Hautläsionen an bzw.
Die Lichtschutzwirkung wird durch den sog.
werden dort gebildet. Die Anwendung erfolgt
Lichtschutzfaktor angegeben. Dieser besagt,
28.9 Pharmakotherapie der androgenetischen Alopezie und des Hirsutismus 435

um wie viel Mal länger die Haut mit Lichtschutz- Therapie überdauernden Effekt besitzt diese
mittel als ohne Lichtschutzmittel einer Sonnen- Substanz allerdings nicht.
bestrahlung ausgesetzt werden kann, bis ein Wirksam bei androgenetischer Alopezie bei
Erythem auftritt. Ab einem Lichtschutzfaktor Frauen und Männern ist ferner der Vasodilata-
von > 15 spricht man von „Sonnenblockern“. tor Minoxidil (Ⴉ Kap. 23.2.2.2, z. B. Regaine®),
Als Beispiel für ein modernes Lichtschutz- der in unterschiedlicher lokaler Dosierung bei
mittel sei Daylong® 16 genannt, das die Wirk- Frauen (2-mal täglich 19 mg) und Männern (2-
stoffe p-Methoxyzimtsäure-2-ethylhexylester mal täglich 50 mg) das Haarwachstum fördert
sowie 2-Hydroxy-4-methoxybenzophenon ent- und dem Fortschreiten der Alopezie entgegen
hält. Liposomen als Wirkstoffträger gewährleis- wirkt.
ten die Verfügbarkeit der Lichtschutzsubstanzen Ein übermäßiger Haarwuchs im Gesicht von
im Stratum corneum über einen vollen Tag Frauen kann als Begleitsymptom der verstärkten
selbst bei Wassereinwirkung (z. B. durch Schwit- Androgenproduktion im Rahmen polyzysti-
zen, Baden). scher Ovarien auftreten und bessert sich mit
Ähnliche Kombinationen mehrerer Licht- deren antiandrogener Behandlung (Ⴉ Kap.
schutzfaktoren, die im UV-A und UV-B Bereich 21.8.3.4). Zur Lokaltherapie des Hirsutismus im
absorbieren (z. B. Daylong® actinica), eignen sich Gesicht eignet sich – auch bei der hereditären
zur Prävention von verschiedenen Formen des Form – ferner Eflornithin.
hellen Hautkrebs bei Risikopatienten (z. B. Im- Eflornithin (Vaniqa 11,5 % Creme), ursprüng-
munsupprimierten) und bei Lichtdermatosen. lich zur Behandlung der Schlafkrankheit
(Ⴉ Kap. 30.5.2.1) entwickelt, ist ein irreversibler
Hemmstoff der Ornithindecarboxylase, welche
28.9 Pharmakotherapie der die Umwandlung von Ornithin zu Putrescin kata-
androgenetischen Alopezie lysiert. Dieses die Zellteilung stimulierende Poly- 28
und des Hirsutismus amin ist auch an der Regulation des Haarwachs-
tums wesentlich beteiligt. Dementsprechend re-
Die androgenbedingte Alopezie ist bei Männern duziert die Verringerung der Putrescinbildung
und Frauen gleichermaßen die häufigste Ursa- das Haarwachstum unabhängig von der zugrun-
che eines Haarverlusts. Männer sind häufiger de liegenden Ursache. Der Behandlungserfolg
betroffen (ca. jeder 2. Mann), Frauen leiden sel- wird nach 8 Wochen sichtbar, eine Dauertherapie
tener darunter, ca. 10 % vor und 20–30 % nach ist erforderlich. Die Creme wird 2-mal täglich auf
der Menopause. die betroffene Gesichtshaut aufgetragen.
Bei Männern kann Finasterid (Ⴉ Kap. 26.4.1; Als Nebenwirkungen können Akne sowie
z. B. PROPECIA®) als Hemmstoff der Entzündungen des Haarfollikels und der Haut
5α-Reduktase Typ II, die in den das Haar bilden- auftreten. Aufgrund reproduktionstoxischer Ef-
den Zellen vorkommt, das Fortschreiten des fekte im Tierversuch ist Eflornithin in der
Haarausfalls verzögern oder sogar aufhalten. Schwangerschaft kontraindiziert.
Die Dosierung beträgt 1 mg täglich. Einen die
436 29 Vitamine und Spurenelemente

29 Vitamine und Spurenelemente

29.1 Vitamine tendem Vitamin-A-Mangel). Die Speicherfähig-


keit des Körpers für das jeweilige Vitamin be-
Vitamine sind lebensnotwendige, in niedriger stimmt, wie schnell eine unzureichende Vit-
Dosis (μg- oder mg-Bereich) physiologisch aminversorgung manifest wird. So liegt bei-
wirksame organische Verbindungen, die im spielsweise die Zeitdauer bis zur Erschöpfung
menschlichen Organismus nicht oder nur unzu- des Vorrats bei Vitamin B1 zwischen 4 und 10
reichend (z. B. bei Mangel an UV-Licht) gebildet Tagen, bei Vitamin B12 dagegen bei bis zu meh-
werden können. Sie müssen daher dem Orga- reren Monaten.
nismus als solche oder in Form von Vorstufen, Aufgrund ihrer verschiedenen Löslichkeit
den Provitaminen, mit der Nahrung zugeführt werden die Vitamine in zwei Gruppen, die fett-
werden. Vitamine sind an katalytischen Prozes- löslichen und wasserlöslichen Vitamine unter-
sen (als Coenzyme) oder an Steuerungsvorgän- teilt. Fettlösliche Vitamine können nur dann re-
gen (als Prohormone) beteiligt. sorbiert werden, wenn die Fettresorption intakt
Eine vollwertige Nahrung enthält ausrei- ist, d. h. wenn ausreichend Galle sezerniert wird.
chende Vitaminmengen, ein Vitamindefizit tritt Außerdem kann eine Überdosierung fettlösli-
nur selten auf. Durch Fehlernährung bzw. fal- cher Vitamine, vor allem von Vitamin A und D,
sche Nahrungszubereitung sowie durch Rau- schwere Gesundheitsschäden hervorrufen, wäh-
chen oder Alkoholabusus wird ein Vitamin- rend Überdosierungen wasserlöslicher Vit-
mangel allerdings begünstigt. Am häufigsten amine (bei normaler Nierenfunktion) keine
besteht ein Mangel an den Vitaminen A, D, B1, nachteiligen Folgen haben.
B6 und Folsäure. Bei zunehmender Unterversor-
Indikationen für zusätzliche Vitaminzufuhr. Vit-
gung kommt es zu einer Funktionsstörung von
amingaben sind nur erforderlich, wenn eine ne-
Enzymen, gefolgt von zunächst unspezifischen
gative Vitaminbilanz besteht infolge ungenü-
Mangelsymptomen (z. B. eingeschränkte kör-
gender Vitaminzufuhr (bei einseitiger oder
perliche und geistige Leistungsfähigkeit). Ein
nicht ausreichender Ernährung), erhöhten Vit-
noch stärkerer Mangel (Hypovitaminose) löst
aminbedarfs (z. B. im Säuglingsalter, während
dann meist charakteristische Krankheitssymp-
der Schwangerschaft, Stillzeit, bei Hochleis-
tome aus, die durch Zufuhr des betreffenden
tungssport, Fieber, Alkoholabusus), verminder-
Vitamins beseitigt werden können. Im Endsta-
ter Vitaminresorption (z. B. bei fehlendem In-
dium eines schweren Vitaminmangels (Avit-
trinsic-Faktor, Ⴉ Kap. 23.1.1.3; Behandlung mit
aminose) können schlussendlich irreversible
Breitspektrum-Antibiotika, welche die Darm-
Schäden entstehen (z. B. Erblindung bei anhal-
29.1 Vitamine 437

႒ Tab. 29.1 Fettlösliche Vitamine – Tagesbedarf, Vorkommen, Funktionen und Mangelkrankheiten


Vit- Name Tagesbedarf1, Vorkommen2 Funktionen Mangelkrankheit
amin

A Retinol, 0,8–1 mg, Vitamin A: Leber, Bestandteil des Sehpurpurs; Nachtblindheit,


Provitamin: Butter, Eigelb; Betacarotin: Regulation der Genexpressi- Xerophthalmie,
Betacarotin Karotte, Süßkartoffel, on vieler Proteine, Aufbau Schleimhautver-
Grünkohl, Getreideflocken, von Haut und Schleimhäu- änderungen,
Spinat, Kürbis, Aprikose ten Hyperkeratose

D Calciferole 0,02 mg, Lebertran, Matjes- Erhöhung der Calcium-Blut- Rachitis,


hering, Lachs, Kalbfleisch, spiegel; Knochenstabilität Osteomalazie
Avocado, Eier, Champignons,
Leber, Butter, Käse

E Tocopherole 12–15 mg, Pflanzenöle, Radikalfänger, Zellschutz vor Muskelschwäche,


z. B. Sonnenblumenöl, freien Radikalen neurologische
Getreide, Milch, Eier Störungen

K Phyllochinon 0,06–0,08 mg, Grünkohl, Bildung aktiver Gerinnungs- Blutgerinnungs-


(K1), Mena- Spinat, Traubenkernöl, faktoren II, VII, IX, X (Pro- störungen
chinon (K2), Rosenkohl, Fenchel, thrombinkomplex) und en-
Menadion (K3) Brokkoli, Linsen, dogener Gerinnungsinhibi-
Sauerkraut toren (Protein C und S); Re-
gulation der Blutgerinnung

1 Erwachsene,
2 angegeben ist eine Auswahl an Lebensmitteln mit besonders hohem Gehalt

flora schädigen), verstärkter Biotransformati-


29
Bei Bedarf wird Vitamin A aus den Speichern
on von Vitaminen (z. B. bei Rauchern) oder Stö- hydrolytisch freigesetzt und ins Plasma abgege-
rungen der Aktivierung von Vitamin D (z. B. ben, wo es als sehr lipophile Substanz in Form
bei Niereninsuffizienz). Zur Prophylaxe gibt von Proteinkomplexen, bestehend aus Retinol-
man bis zum Dreifachen, bei manifestem Man- bindendem Protein (RBP) und Transthyretin
gel bis zum Zehnfachen des Tagesbedarfs (TTR), gebunden transportiert wird. Ausschei-
(႒ Tab. 29.1, ႒ Tab. 29.2). dungsprodukte sind u. a. Retinolglucuronid so-
wie die freie oder konjugierte Vitamin-A-Säure
29.1.1 Fettlösliche Vitamine (all-trans-Retinsäure, Tretinoin).
Zu den fettlöslichen Vitaminen zählen die Vit- Das wichtigste Provitamin ist Betacarotin
amine A, D, E und das in Ⴉ Kap. 23.1.3.1 be- (s. u.), aus dem formal zwei Moleküle Vitamin A
schriebene Vitamin K. entstehen können. Doch wird Betacarotin nicht
quantitativ ausgenutzt (6 μg Betacarotin sind
29.1.1.1 Vitamin A (Retinol) 1 μg Retinol äquivalent). Wird Betacarotin in
Vitamin A (႒ Tab. 29.1), ein licht- und sauer- Mengen aufgenommen, die den aktuellen Be-
stoffempfindlicher Diterpenalkohol, wird in der darf an Vitamin A übersteigen, erfolgt keine
Darmwand durch oxidative Spaltung von Spaltung zu Vitamin A, vielmehr wird das
Provitaminen, den Carotinen, oder durch Hyd- Provitamin im Gewebe gespeichert. Daher kann
rolyse von Retinylestern (aus tierischen Produk- durch Betacarotin keine Hypervitaminose aus-
ten) gebildet. Die Speicherung erfolgt haupt- gelöst werden.
sächlich in der Leber nach (Re-)Veresterung.
438 29 Vitamine und Spurenelemente

Physiologische Bedeutung, Wirkungsmechanis- lich zu einer verringerten Freisetzung von Glut-


mus. Vitamin A ist notwendig für das Wachs- amat führt, das an den Synapsen zwischen den
tum des gesamten Körpers, die Differenzierung Photorezeptorzellen und den Bipolarzellen (af-
von Epithelzellen, die Reproduktion (Spermio- ferenten Neuronen) der Retina das „Dunkelsig-
genese), die embryonale Entwicklung und die nal“ vermittelt. Fehlt Glutamat melden die Neu-
Sehfunktion. Die Epithelzellen der Schleimhaut rone die Veränderung als Signal für Licht an das
werden von Vitamin A vor der Verhornung ge- Gehirn. Die Regenerierung des Sehpurpurs er-
schützt (Epithelschutzfunktion). Durch Abdich- folgt im Dunkeln durch Isomerisierung von all-
tung der Epithelien und Stimulation der trans-Retinal in 11-cis-Retinal.
Schleimproduktion verhindert Vitamin A das
Vitamin-A-Mangel und Therapie. Außer bei
Eindringen von Krankheitserregern (antiinfek-
unzureichender Zufuhr von Vitamin A oder Ca-
tiöse Funktion). An der Haut fördert Vitamin A
rotinen mit der Nahrung kann ein Vitamin-A-
dagegen die Verhornung.
Mangel bei Störungen der Fettresorption (z. B.
Retinol wird Rezeptor-vermittelt von den
bei Pankreaserkrankungen) auftreten. Für eine
Zielzellen aufgenommen, intrazellulär an das
Substitutionstherapie (z. B. mit Vitamin A
zelluläre Retinol-bindende Protein (CRBP, Cel-
30 000 IE JENAPHARM®) bei Nachtblindheit
lular Retinol Binding Protein) gebunden und zu
sind 10–15 mg täglich über 2–3 Wochen ausrei-
all-trans- und 9-cis Retinsäure oxidiert, die an
chend.
ein weiteres Protein, das zelluläre Retinsäure-
bindende Protein (CRABP, Cellular Retinoic Überdosierungssymptome. Eine akute Überdo-
Acid Binding Protein) gebunden werden. Nach sierung wird bei Personen beobachtet (z. B. Po-
Translokation in den Zellkern interagiert Retin- larforschern), die sich einseitig mit Robbenleber
säure mit nukleären Retinsäurerezeptoren ernähren. Als Symptome treten Übelkeit, Erbre-
(RAR, RXR), die als Transkriptionsfaktoren chen, Kopfschmerzen und Hirndruckzeichen
fungieren. Die Retinsäure-Rezeptor-Komplexe auf. Chronische Überdosierungen, vor allem
beeinflussen dann nach Dimerisierung bzw. He- bei Kindern (täglich > 10 mg), äußern sich u. a.
terodimerisierung die Genexpression und damit in Appetitverlust, Austrocknung der Haut,
die Proteinsynthese. Auf diese Weise wird die Haarausfall, Mundwinkelrhagaden, Knochen-
Bildung von mehr als 40 verschiedenen Protei- und Gelenkschmerzen und Wachstumsverzöge-
nen (z. B. von Rezeptoren des epidermalen rungen. Die toxischen Dosen liegen allerdings
Wachstumsfaktors) gesteuert. so hoch, dass bei den üblichen Vitamin-A-
Beim Sehvorgang stellt der Aldehyd Retinal Gaben keine Überdosierung zu befürchten ist.
die Wirkform von Vitamin A dar: Vitamin A Missbildungen können außer durch einen Vit-
(all-trans-Retinol) wird dabei zunächst zum amin-A-Mangel auch durch eine überhöhte Vit-
11-cis-Retinol isomerisiert und anschließend amin-A-Zufuhr (> 3 mg/Tag) bedingt sein. Zur
zum entsprechenden Aldehyd, dem 11-cis-Reti- Vermeidung einer Schädigung des Kindes soll
nal, dehydriert. Dieser bindet an Opsin-Protei- daher in der Frühschwangerschaft die aufge-
ne und bildet so in den Stäbchenzellen der Netz- nommene Retinol-Dosis 3 mg/Tag nicht über-
haut das Sehpigment Rhodopsin (Sehpurpur), schreiten. Die Behandlung von Frauen im ge-
bei dem es sich um einen G-Protein gekoppelten bärfähigen Alter mit Dosen > 8 mg erfordert ei-
Rezeptor handelt. Bei Belichtung wird 11-cis- nen sicheren Konzeptionsschutz.
Retinal in all-trans-Retinal umgewandelt, wo-
Therapeutische Bedeutung von Betacarotin.
durch es zu einer allosterischen Konformations-
Wie die Vitamine C und E inaktiviert auch Beta-
änderung und Aktivierung von Rhodopsin (zu
carotin (Betacaroten; Carotaben®) Singulett-
Metarhodopsin II) kommt, sodass nun Transdu-
Sauerstoff und freie Radikale. Aufgrund dieser
cin, ein G-Protein, andocken kann. Dadurch
Eigenschaft wirkt es der Photosensibilisierung
wird eine Signalkaskade ausgelöst, die letztend-
29.1 Vitamine 439

durch Hämatoporphyrin entgegen und verbes- rend, und zwar wird die Aktivität von T-Lym-
sert die Lichttoleranz. Daher wird es bei Proto- phozyten gehemmt, die von Makrophagen dage-
porphyrie, polymorphen Lichtdermatosen und gen gefördert. Darüber hinaus hat sich gezeigt,
Pigmentanomalien angewandt. Die Dosierung dass Vitamin D die Insulinsensitivität- und se-
beträgt 25–50 (–200) mg/Tag. Durch Ablage- kretion verbessern und so die Blutzuckerstoff-
rung von Betacarotin kommt zu einer rötlichen wechsellage bei Diabetikern verbessern kann.
Färbung der Haut.
Der Wirkungsmechanismus von Calcitriol äh-
nelt dem von Vitamin A. Nach Bindung an ei-
29.1.1.2 Vitamin D
nen spezifischen zytosolischen Rezeptor und
Colecalciferol (Vitamin D3), das physiologische
Transfer des Hormon-Rezeptor-Komplexes in
D-Vitamin, kann im Körper selbst synthetisiert
den Zellkern stimuliert 1,25-Dihydroxy-D3 die
werden. Durch Einwirkung von UV-Strahlen
Bildung von Proteinen, u. a. von Calbindin D,
entsteht es in den Keratinozyten der Haut aus
die am Calciumtransport und Calciumstoff-
7-Dehydrocholesterol, das in der Leber aus
wechsel beteiligt sind. Außer Nieren- und
Cholesterol gebildet wird. Diese Eigenprodukti-
Darmepithelien sowie Osteozyten besitzen zahl-
on reicht jedoch während der ersten beiden Le-
reiche andere Zellen Vitamin-D-Hormon-
bensjahre wegen des hohen Bedarfs in der
Rezeptoren. Ihr Vorkommen in Keratinozyten,
Wachstumsphase meist nicht aus. Daher muss
Fibroblasten sowie Monozyten, Makrophagen
eine konsequente Behandlung aller Säuglinge
und aktivierten B- und T-Lymphozyten erklärt
und Kleinkinder mit Vitamin D3 durchgeführt
den Einfluss von Calcitriol auf die Haut und das
werden, um die Vitamin-D-Mangelkrankheit,
Immunsystem.
die Rachitis, zu verhindern.
Vitamin D3 selbst ist praktisch nicht wirk- Vitamin-D-Mangel und Therapie. Vitamin-D-
sam, sondern ein Prodrug (Prohormon). Die Mangel, der ohne prophylaktische Gabe des Vit-
eigentliche Wirkform ist Calcitriol (1,25-Dihy- amins häufig wäre, verursacht bei Säuglingen
droxycolecalciferol). Die Hydroxylgruppe an und Kleinkindern die schon erwähnte Rachitis, 29
C-25 von Calcitriol wird in der Leber, die an C-1 bei der die Kalkarmut und abnorme Weichheit
in der Niere eingeführt. Aufgrund der Bildung des Knochensystems zu Deformierungen des
der eigentlichen Wirksubstanz in einem speziel- Skeletts führt. Sinkt der Blutcalciumspiegel wei-
len Organ, der Abgabe ins Blut und der Wirkung ter ab, treten tetanische Krämpfe auf. Bei Er-
entfernt vom Bildungsort ist Calcitriol als Hor- wachsenen bewirkt ein ausgeprägter Vitamin-
mon (D3-Hormon) zu bezeichnen. D-Mangel Osteomalazie.
Physiologische Bedeutung, Wirkungsmechanis- Zur Rachitisprophylaxe werden Säuglingen und
mus. Vitamin-D3-Hormon ist zusammen mit Kleinkindern 1–1,5 Jahre lang täglich 500 IE
Parathormon (Ⴉ Kap. 21.4.1) für die Aufrechter- (0,0125 mg) Vitamin D3 (z. B. Vigantoletten®)
haltung der physiologischen Calciumionen- gegeben. Bei der Rachitistherapie werden
Konzentration im Blut erforderlich. Durch Stei- 10 000 IE täglich oder als Stoß einmal 15 mg ver-
gerung der Calciumresorption aus dem Darm, abreicht. Gleichzeitig müssen Calcium- und
der Rückresorption von Calciumionen in den Phosphationen angeboten werden, da deren Re-
Nierentubuli mittels der Transient-Rezeptor- sorption gestört war und keine ausreichenden
Potenzial-(TRP-)Kanäle sowie der Osteoklas- Vorräte für den nun schnell einsetzenden Ver-
tentätigkeit im Knochen erhöht es den Blutcalci- knöcherungsprozess vorhanden sind. Zur Os-
umspiegel. Neuere Untersuchungen ergaben, teoporoseprophylaxe (Ⴉ Kap. 21.4.3) werden
dass Calcitriol außerdem auch für die normale fixe Kombinationspräparate von Vitamin D3 mit
Proliferation und Differenzierung der Hautzel- Calciumcarbonat verwendet (z. B. Calcium-
len wichtig ist. Ferner wirkt es immunmodulie- Sandoz® D Osteo).
440 29 Vitamine und Spurenelemente

Überdosierungssymptome. Überdosierungen qualitativ wie α-Tocopherol (s. u.) wirken, das


von Vitamin D3 können schwere Intoxikationen die wichtigste in der Natur vorkommende Sub-
hervorrufen, die sich auf einen zu hohen Blut- stanz mit Vitamin-E-Aktivität ist. Die Resorpti-
calciumspiegel zurückführen lassen („Calcino- on von Vitamin E erfolgt wie bei anderen fettlös-
se-Wirkung“). Sie entsprechen damit dem lichen Vitaminen in Abhängigkeit von der Art
Krankheitsbild einer Parathormonvergiftung. und Menge der Nahrungsfette sowie der Anwe-
Als klinische Symptome treten Erbrechen, senheit von Gallensäuren. Vitamin-E-Ester
Durchfälle, Kopf- und Gelenkschmerzen auf. müssen vor der Resorption hydrolysiert werden.
Nierenversagen kann zum Tode führen. Bei Ausgeschieden wird Vitamin E vor allem in
rechtzeitigem Absetzen der Vitamin-D3-Zufuhr Form des glucuronidierten Hydrochinon-Deri-
sind die Vergiftungserscheinungen reversibel, vats über die Galle sowie als Tocopheronsäure
auch die Gefäßverkalkungen gehen zurück. und dessen Lacton über die Nieren.
Hydroxylierte Vitamin-D-Derivate. Bei chroni- Physiologische Bedeutung. Vitamin E ist an
scher Niereninsuffizienz und der genetisch de- Oxidations-Reduktions-Vorgängen des Inter-
terminierten sog. Vitamin-D-resistenten Rachi- mediärstoffwechsels beteiligt. Als lipophiler
tis wird Colecalciferol nicht genügend in Calci- Radikalfänger vermindert es die Peroxidbil-
triol umgewandelt. Als Folge davon ist die Calci- dung von höher ungesättigten Fettsäuren in den
umaufnahme durch den Darm vermindert, und Membranlipiden, in die es aufgrund seiner lan-
im Knochen kann es zu einer Demineralisierung gen Seitenkette integriert wird. Dabei entsteht
(renalen Osteopathie) kommen. Diese ist mit ein relativ stabiles α-Tocopherol-Radikal, das an
hydroxylierten Vitamin-D-Derivaten, insbeson- der Membranoberfläche durch Transfer auf
dere mit Calcitriol selbst, behandelbar (mittlere wasserlösliches Vitamin C im Zytosol) zu
Anfangsdosis 0,25 μg pro Tag; z. B. Rocaltrol®). Vitamin E regeneriert wird. Auch lagert sich To-
Auch das rasch in der Leber zu Calcitriol bio- copherol in Low-density-Lipoproteine (LDL,
transformierte Alfacalcidol (1-Hydroxycolecal- Ⴉ Kap. 23.2.1.1) ein, deren Bestandteile es eben-
ciferol; z. B. Bondiol®) ist geeignet. Dieses wird falls vor oxidativer Zerstörung schützt. Hinzu
außerdem in Kombination mit Alendronat (Te- kommt – wie bei Vitamin C – eine Hemmung
vabone®) zur Osteoporosetherapie angewandt der Nitrosaminbildung. Ferner wird ein Einfluss
(Ⴉ Kap. 21.4.3). von Vitamin E auf die Membranfluidität, die
Aktivität verschiedener Enzyme (z. B. Hem-
Sonstige Vitamin-D-Derivate. Das Calcitriol-
mung der Phospholipase A2) sowie die Nuclein-
Derivat Paracalcitol (Zemplar®) dient zur Prä-
säure- und Eiweißsynthese diskutiert.
vention und Therapie eines sekundären Hy-
perparathyreoidismus (Ⴉ Kap. 21.4.1.2). Thera- Vitamin-E-Mangel und Therapie. Der Vitamin-
peutisch eingesetzt werden ferner das Ergoste- E-Bedarf ist erhöht bei vermehrter Zufuhr un-
rol-Derivat Dihydrotachysterol (DHT; z. B. gesättigter Fettsäuren sowie bei stärkerer kör-
A. T. 10®) zur Behandlung eines Hypoparathy- perlicher oder geistiger Belastung. Ein Vitamin-
reoidismus (Ⴉ Kap. 21.4.1.1) sowie Calcipotriol E-Mangel ist dennoch selten. Wie bei anderen
(z. B. Psorcutan®) und Tacalcitol (Curato- fettlöslichen Vitaminen kann er infolge unzurei-
derm®) zur Lokaltherapie der Psoriasis chender Gallensekretion in den Dünndarm, au-
(Ⴉ Kap. 28.1.1). ßerdem bei Patienten mit A-β-Lipoproteinämie
oder chronisch-entzündlichen Darmerkran-
29.1.1.3 Vitamin E kungen vorkommen. Die Folgen (Verkürzung
Unter dem Sammelbegriff Vitamin E (႒ Tab. der Erythrozytenlebensdauer, Kreatinurie, ver-
29.1) werden alle natürlichen und synthetischen mehrte Lipofuscinbildung, Muskelschwäche,
Tocopherole (Mono-, Di- und Trimethyl-To- neurologische Störungen) treten bei Erwachse-
cole) und Tocotrienole zusammengefasst, die nen erst nach ca. 10 Jahren, bei Kindern dagegen
29.1 Vitamine 441

bereits nach 18–24 Monaten einer andauernden lierung in Acyl-Coenzym-A-Verbindungen um-


Fett- und Vitamin-E-Malabsorption auf. gewandelt werden. Aufgrund dieser Funktion
Orale Vitamin-E-Gaben (z. B. Optovit®) bis hat Thiamindiphosphat für den Kohlenhy-
100 mg/Tag gelten als (noch) physiologisch. dratstoffwechsel große Bedeutung. Vitamin B1
100–200 (–400) mg/Tag werden ohne Neben- ist ferner für die Transketolase-Reaktion wich-
wirkungen vertragen. Bei höheren täglichen tig, bei der es Glycolaldehyd auf einen C5-Zu-
Dosen wurde jedoch entgegen den Erwartungen cker, z. B. Ribose oder Erythrose, überträgt.
ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkran- Außerdem ist Vitamin B1 maßgeblich an der Er-
kungen festgestellt. Auch haben sich die Hoff- regungsleitung im peripheren Nervensystem
nungen auf eine tumorverhindernde Wirkung sowie am Stoffwechsel verschiedener Neuro-
durch hohe Vitamin-E-Dosen nicht erfüllt. transmitter beteiligt.
Vitamin-B1-Mangel und Therapie. Reiner Vit-
29.1.2 Wasserlösliche Vitamine
amin-B1-Mangel äußert sich beim Menschen
Zu den wasserlöslichen Vitaminen zählen die
u. a. in verminderter geistiger und körperlicher
Vitamine B1, B2, B6, Niacin, Biotin, Pantothen-
Leistungsfähigkeit. Die Beri-Beri, ein Krank-
säure und Vitamin C sowie Vitamin B12 und Fol-
heitsbild, das seit dem Altertum bei der haupt-
säure, die in Ⴉ Kap. 23.1.1.3 besprochen werden.
sächlich von Reis lebenden Bevölkerung ostasia-
tischer Länder bekannt war, ist eine komplexe
29.1.2.1 Vitamin B1 (Thiamin)
Avitaminose, an der neben einem Vitamin-B1-
Vitamin B1 (႒ Tab. 29.2) ist empfindlich gegen
Mangel auch noch der Mangel an anderen
Oxidations- und Reduktionsmittel, auch wird es
B-Vitaminen beteiligt ist. Die voll ausgeprägte
in alkalischen, wässrigen Lösungen rasch ge-
Erkrankung ist durch eine Polyneuritis mit Par-
spalten. Durch aktiven Transport wird Thiamin
ästhesien und Paresen, psychische Veränderun-
nach Gabe niedriger Dosen (< 1 mg) nahezu
gen und Muskelatrophie charakterisiert. Einen
vollständig resorbiert. Bei einer Dosis von 5 mg
schweren Vitamin-B1-Mangel findet man auch
beträgt die Resorptionsquote dagegen nur noch 29
bei der Alkoholabusus-bedingten Polyneuro-
33 %. Die Halbwertszeit liegt zwischen 9,5 und
pathie.
18,5 Tagen. Die Ausscheidung erfolgt als unver-
Die Substitution von Thiamin ist nur bei er-
ändertes Thiamin sowie in Form verschiedener
höhtem Vitamin-B1-Bedarf, z. B. während der
Metaboliten (u. a. Thiamin-Schwefelsäureester,
Schwangerschaft, bei Alkoholikern und bei ein-
Thiaminsäure) über die Niere.
seitiger Kohlenhydraternährung indiziert. Im
Um auch bei höherer Dosierung (bis 300 mg/
Allgemeinen genügt die orale Zufuhr von 10
Tag) eine gute Bioverfügbarkeit zu erreichen,
(–40) mg Vitamin B1 (z. B. in Betabion®) täglich.
wurde Benfotiamin entwickelt, das als fettlösli-
Bei Resorptionsstörungen ist die parenterale
che Verbindung gut resorbiert und nach Re-
Gabe (mit dem Risiko anaphylaktoider Reaktio-
sorption in Vitamin B1 umgewandelt wird. Bei
nen) oder die Applikation des Vitamin-B1-
Patienten mit diabetischer Neuropathie konnte
Derivats Benfotiamin (z. B. milgamma® mono)
mit Benfotiamin u. a. eine Verbesserung der
notwendig.
Nervenleitgeschwindigkeit gezeigt werden.
Physiologische Bedeutung. Vitamin B1 wird im
29.1.2.2 Vitamin B2 (Riboflavin)
Organismus phosphoryliert und geht dabei in
Riboflavin (႒ Tab. 29.2) ist sehr lichtempfindlich
seine wirksame Form, das Thiamindiphosphat
und in alkalischer Lösung auch unbeständig ge-
(TDP), über. TDP ist das Coenzym der 2-Oxo-
gen Erhitzen. Es kommt in allen tierischen und
säuren-Dehydrogenase-Komplexe. Dabei han-
pflanzlichen Zellen vor. Die Resorption erfolgt
delt es sich um Multienzymkomplexe, bei denen
bei niedriger Dosierung mittels aktiven Trans-
2-Oxosäuren (2-Ketosäuren) unter Decarboxy-
ports, bei höheren Konzentrationen durch pas-
442 29 Vitamine und Spurenelemente

႒ Tab. 29.2 Wasserlösliche Vitamine – Tagesbedarf, Vorkommen, Funktionen und Mangelkrankheiten


Vit- Name Tagesbedarf1, Vorkommen2 Funktionen Mangelkrank-
amin heiten

B1 Thiamin 1,0–1,2 mg, Weizenkeime, Coenzym von 2-Oxosäuren-Dehy- Beri-Beri,


Sonnenblumenkerne, Hefe, drogenasekomplexen; Kohlenhy- Polyneuritis,
Sojabohnen, Vollkorngetrei- dratstoffwechsel, Erregungslei- Herzinsuffizienz
de, Erbsen, Schweinefleisch tung im peripheren Nervensystem

B2 Riboflavin 1,2–1,5 mg, Leber, Hefe, Coenzym der Flavinenzyme; Oxi- Stomatitis,
Getreidekeime, Hülsen- dations-und Reduktionsprozesse, Dermatitis u. a.
früchte, Brokkoli, Grünkohl, Energiewinnung; Aminosäure-
Spinat, Steinpilze, Fisch, und Fettsäurestoffwechsel
z. B. Makrele, Fleisch

B6 Pyridoxin 1,2–1,6 mg, Sojabohnen, Coenzym von Transaminasen; Polyneuropa-


Hummer, Lachs, Walnüsse, Aminosäurestoffwechsel thie, Dermatitis
Sonnenblumenkerne, Hefe,
Fleisch, Bananen

B12 Cobalami- 0,003 mg, Leber, Fisch, Coenzym der Methionin-Synthase Perniziöse
ne Fleisch, Eier, Käse, Milch und der Methylmalonyl-CoA-Mu- Anämie,
tase; Zellteilung, Blutbildung, neurologische
Nervensystem Störungen

(B3) Niacin 13–15 mg, Hefe, Erdnüsse, Redoxvorgänge, ATP-Gewinnung; Pellagra


Hühnerleber, Fleisch, Reis, Kohlenhydrat-, Fettsäure- und
Pilze, Hülsenfrüchte Aminosäurestoffwechsel

(B9) Folsäure 0,4 mg, Hefe, Hülsenfrüchte, Übertragung von C1-Bausteinen Megaloblastäre
grünes Blattgemüse, z. B. z. B. bei der Synthese von Purin- Anämie, erhöhte
Rosenkohl, Schweineleber, basen; Zellteilung Missbildungsrate
Eier, Käse, Erdbeeren, in der Schwan-
Fleisch gerschaft

(B5) Panto- 6 mg, Butter, Schweineleber, Bestandteil von Coenzym A; Fett-, Fußschmerzen,
thensäure Hefe, Erdnüsse, Milch, Eier, Kohlenhydrat-, Eiweißstoffwech- „burning-feet-
Fisch, Pilze, Hülsenfrüchte, sel; Zellwachstum- und differen- Syndrom“
Fleisch zierung

H Biotin 0,03–0,06 mg, Sojabohnen, Prosthetische Gruppe von Enzy- Dermatitis


Erdnüsse, Hefe, Schweine- men, die Carboxylgruppen über-
leber, Milch, Eier, Hafer- tragen; Fett-, Kohlenhydrat-, Ei-
flocken weißstoffwechsel

C Ascorbin- 100 mg, Acerola, Sanddorn- Redoxsystem, Hydroxylierung von Skorbut,


säure beeren, schwarze Johannis- Nebennierenhormonen, Amino- Infekt-
beeren, Erdbeeren, Zitronen, säuren u. a., Aktivierung von anfälligkeit
Paprika, Brokkoli, Meerret- Thrombin; Antioxidanswirkung
tich

1 Erwachsene,
2 angegeben ist eine Auswahl an Lebensmitteln mit besonders hohem Gehalt
29.1 Vitamine 443

sive Diffusion. Der Körperbestand beträgt ca. scheidungsprodukt im Urin ist 4-Pyridoxin-
120 mg. Riboflavin wird unverändert sowie in säure.
Form verschiedener Hydroxy- und anderer Me-
Physiologische Bedeutung. Die eigentlich wirk-
taboliten renal ausgeschieden.
same Verbindung ist Pyridoxal-5-phosphat, das
Physiologische Bedeutung. Vitamin B2, das zu- als Coenzym von Aminosäuretransferasen
sammen mit Dihydro-Riboflavin ein Redoxsys- (Transaminasen), Aminosäuredecarboxylasen
tem bildet, wird nach der Resorption aus dem und Aminosäurelyasen für den Aminosäure-
Dünndarm in der Darmschleimhaut zu Ribofla- stoffwechsel unentbehrlich ist. Neben der Bil-
vin-5-phosphorsäure (FMN = Flavinmononuc- dung von Delta-Lävulinsäure und Sphingomye-
leotid) phosphoryliert. Flavinmononucleotid lin ist es auch an der Umwandlung von Methio-
und Flavin-Adenin-Dinucleotid (FAD), das aus nin zu Cystein beteiligt. Erhöhte Blutspiegel an
FMN und Adenosinmonophosphat entsteht, Homocystein, das als Zwischenprodukt der Re-
sind Coenzyme der Flavinenzyme (Flavoprotei- aktion auftritt, werden mit einer gefäßschädi-
de). Diese sind für die Wasserstoffübertragung genden Wirkung in Verbindung gebracht (s. u.).
in der Atmungskette, die Dehydrierung von
Vitamin-B6-Mangel und Therapie. Ein isolier-
Fettsäuren, die oxidative Desaminierung von
ter Vitamin-B6-Mangel (mit Neuritiden, epilep-
Aminosäuren und für weitere Oxidations-Re-
tiformen Krämpfe, hypochromen Anämien und
duktions-Vorgänge (z. B. mittels Aldehydoxida-
Hauterkrankungen) ist relativ selten. Bei Lang-
sen) unentbehrlich.
zeitbehandlung mit Isoniazid, Protionamid oder
Vitamin-B2-Mangel und Therapie. B2-Mangel- Penicillamin können Neuritiden infolge eines
erscheinungen treten beim Menschen selten auf. B6-Mangels entstehen, der dadurch bedingt ist,
Hauptsächlich kommen sie bei älteren Men- dass NH2-Gruppen dieser Stoffe mit der Alde-
schen, bei chronischem Alkoholabusus und hydgruppe von Pyridoxal reagieren und dieses
nach anhaltender Diarrhö bzw. zusammen mit damit seiner Funktion entziehen. Vitamin-B6-
einer allgemeinen Unterernährung vor und äu- Mangelerscheinungen findet man ferner bei Al- 29
ßern sich dann in einer Gesichtsdermatitis koholikern infolge von Resorptionsstörungen
(Mundwinkelrhagaden, Gesichtsekzem, Cheili- sowie aufgrund der Reaktion von Acetaldehyd
tis), Glossitis, Konjunktivitis und Vaskularisie- mit Pyridoxal.
rung der Hornhaut. In Tierversuchen wurden
Bei langfristiger Einnahme oraler Kontrazepti-
bei B2-Mangel Embryopathien (z. B. Extremitä-
va, eiweißreicher Ernährung, in der Gravidität,
tenmissbildungen) beobachtet.
bei Stillenden und Hämodialysepatienten ist der
Bei Mangelerscheinungen werden 10–20 mg
Vitamin-B6-Bedarf erhöht. Eine prophylakti-
(z. B. Vitamin B2 JENAPHARM®) täglich gege-
sche Gabe von 1,5–25 mg Vitamin-B6 (z. B. Vit-
ben.
amin B6-Hevert®) täglich ist sinnvoll, sofern
eine ausreichende Zufuhr durch die Nahrung
29.1.2.3 Vitamin B6 (Pyridoxin)
nicht gesichert ist. Es ist beschrieben, dass ein
Unter dem Begriff Vitamin B6 oder Pyridoxin
Mangel an Vitamin B6, Folsäure und Vitamin
(႒ Tab. 29.2) werden die drei Stoffe Pyridoxol,
B12 zu einem Anstieg der Homocystein-Plasma-
Pyridoxal und Pyridoxamin zusammengefasst,
spiegel führen kann. Da eine Hyperhomo-
die vom Organismus in gleicher Weise verwertet
cysteinämie einen Risikofaktor für Atheroskle-
werden können. Therapeutisch wird meist Pyr-
rose, Makuladegeneration und andere Erkran-
idoxol benutzt, das gegen Wärme, Alkalien und
kungen darstellt, wird zurzeit diskutiert, diese
Säuren beständig ist. Vitamin B6 kommt in allen
erhöhten Spiegel durch Gabe eines Vitamin-B-
lebenden Zellen vor. Pyridoxin, Pyridoxal und
Komplexes (Vitamin B6, Folsäure, Vitamin B12;
Pyridoxamin werden rasch und gut im oberen
z. B. Medyn® forte) zu senken. In hohen Dosen
Jejunum und Ileum passiv resorbiert. Hauptaus-
444 29 Vitamine und Spurenelemente

(100–300 mg täglich) wird Vitamin B6 auch bei rungsmittel verwendet wurde. Sie ist durch eine
Strahlenschäden (mit gesteigertem Eiweißab- Dermatitis an belichteten Hautstellen, Verdau-
bau), Neuritis nach Isoniazid-, Protionamid- ungsstörungen und degenerative Veränderun-
oder Penicillamingaben sowie bei genetisch gen des Zentralnervensystems (infolge unzurei-
bedingten Aminosäurestoffwechselstörungen chender Serotoninbildung) gekennzeichnet
(z. B. Homocystinurie, Histidinämie, Hypergly- („3-D-Krankheit“: Dermatitis, Diarrhö, De-
cinämie) gegeben. menz). Symptome eines Nicotinamid-Mangels
können auch durch Isoniazid (Ⴉ Kap. 30.2.1.1)
29.1.2.4 Nicotinamid (Niacin) hervorgerufen werden. Dieses wird dabei anstel-
Nicotinamid (Nicotinsäureamid, ႒ Tab. 29.2), le von Nicotinamid als falscher Baustein in das
eine gegen Wärme und Oxidationsmittel un- Coenzym eingebaut.
empfindliche Substanz, wird immer mit der Zur Behandlung von Nicotinamid-Mangel-
Nahrung aufgenommen, auch kann es im Säu- zuständen werden 200 mg (z. B. Nicobion®)
getierorganismus aus Tryptophan gebildet wer- 1-mal täglich gegeben.
den. Mangelzustände treten daher nur unter
besonderen Voraussetzungen, z. B. bei Trypto- 29.1.2.5 Pantothensäure
phan-armer Ernährung (Mais), auf. Nicotinsäu- Pantothensäure (႒ Tab. 29.2) ist ein Bestandteil
re ist wie Nicotinamid selbst zur Substitutions- von Coenzym A. In neutraler Lösung ist sie
therapie geeignet, da sie nach der Resorption weitgehend beständig, wird aber in saurem oder
amidiert und als Nucleotid gespeichert wird. alkalischem Milieu insbesondere beim Erhitzen
Beide Substanzen werden bei oraler Applikation zerstört. Bei oraler Gabe wird Pantothensäure
gut resorbiert. Die Halbwertszeit beträgt nur ca. rasch und nahezu vollständig resorbiert und in
1 Stunde. Hauptausscheidungsprodukte sind am den Körperzellen in Coenzym A umgewandelt.
Stickstoff methylierte quartäre Ammoniumver- Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend renal in
bindungen. unveränderter Form sowie als 4-Phosphopanto-
thenat.
Physiologische Bedeutung. Nicotinamid ist ein
Baustein der Pyridinnucleotide, die wasserstoff- Physiologische Bedeutung. Coenzym A dient
übertragende Coenzyme der Oxidoreduktasen zur Aktivierung der Essigsäure sowie längerket-
sind. In diesen Coenzymen, dem Nicotinamid- tiger Fettsäuren und besitzt damit eine funda-
Adenin-Dinucleotid (NAD+) und dem Nicotin- mentale Bedeutung für den gesamten Stoff-
amid-Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADP+) wechsel. Die Fettsäure wird als Thioester an Co-
ist Nicotinamid N-glycosidisch mit Ribose ver- enzym A gebunden (Bildung von Acyl-CoA,
knüpft. Ihre Funktion besteht in der reversiblen insbesondere Acetyl-CoA) und ist durch die
Aufnahme von Wasserstoff. NADP+ ist an Re- hohe Bindungsenergie der Thioestergruppe be-
doxvorgängen zahlreicher körpereigener und sonders reaktionsfähig. Da Acetyl-CoA durch
körperfremder Stoffe, NAD+ bevorzugt an de- Acetylierung von Proteinen, vor allem Histo-
nen der Atmungskette beteiligt und dient damit nen, die Genexpression beeinflusst, ist Panto-
zur ATP-Gewinnung. thensäure auch an Zellwachstum und -differen-
zierung beteiligt. Hierauf ist auch die Förderung
Nicotinamid-Mangel und Therapie. Die typi-
der Neubildung von Granulationsgewebe und
sche Nicotinamid-Avitaminose ist die Pellagra,
damit eine bessere Wundheilung zurückzufüh-
an deren Entstehen allerdings auch noch der
ren. Mangelerscheinungen sind beim Menschen
Mangel an anderen Vitaminen beteiligt ist. Zur
nicht bekannt.
Therapie werden daher Vitamin-B-Komplex-
Präparate (z. B. Vitamin B-Komplex forte He- Dexpanthenol (z. B. Bepanthen®), der der Pan-
vert®) gegeben. Pellagra trat früher häufig in tothensäure entsprechende Alkohol, wird par-
Ländern auf, in denen Mais (s. o.) als Hauptnah- enteral (i. v., i. m.) zur Prophylaxe und Therapie
29.1 Vitamine 445

der postoperativen Blasen- und Darmatonie 29.1.2.7 Vitamin C (Ascorbinsäure)


(Anregung der Peristaltik) sowie lokal zur För- Vitamin C (႒ Tab. 29.2) besitzt außer dem Säure-
derung der Wundheilung benutzt. charakter ein starkes Reduktionsvermögen.
Während es in kristallisierter Form gegen Luft-
29.1.2.6 Biotin (Vitamin H) sauerstoff beständig ist, wird es in Lösung von
Vitamin h (႒ Tab. 29.2) ist eine hitze-, säure- und Oxidationsmitteln rasch zu Oxalsäure abgebaut.
alkalibeständige Substanz. Dagegen wird sie Vitamin C wird nicht nur von Pflanzen, sondern
durch Oxidationsmittel und UV-Licht zerstört. auch von den meisten tierischen Organismen
Biotin kommt in allen Zellen vor. In der Nah- selbst synthetisiert. Nur der Mensch, der Affe
rung liegt Biotin vor allem proteingebunden vor. und das Meerschweinchen können es nicht bil-
Im Magen-Darm-Kanal wird es durch die Bioti- den, da ihnen ein dafür nötiges Flavoprotein
nidase abgespalten. Die Resorption erfolgt im fehlt. Vitamin C wird infolge zunehmender Sät-
niedrigen Konzentrationsbereich durch aktiven tigung der Transporter dosisabhängig begrenzt
Transport, bei hohen Konzentrationen durch resorbiert, mit steigenden Einzeldosen nimmt
Diffusion, die Ausscheidung vorwiegend als die Resorptionsquote ab. Bei oraler Gabe beträgt
freies Biotin. diese bei Dosen bis etwa 200 mg 70–80 %, dage-
gen nur noch 40 % bei einer Dosis von 3 g. Der
Physiologische Bedeutung. Biotin ist die pros-
Gesamtkörperpool liegt bei 1,5 bis maximal 3 g.
thetische Gruppe von Enzymen, die Carboxyl-
Nach Anwendung physiologischer Dosen wer-
gruppen übertragen. In einer ATP-abhängigen
den 10–20 % als unveränderte Ascorbinsäure, je
Reaktion wird Kohlendioxid von Biotin aufge-
ca. 20 % als Dihydroascorbinsäure und Dioxo-
nommen („aktives Carboxyl“) und danach an
gulonsäure sowie etwa 40 % als Oxalsäure ausge-
das jeweilige Substrat abgegeben.
schieden.
Biotin-Mangel und Therapie. Mangelerschei-
Physiologische Bedeutung. Ascorbinsäure ge-
nungen treten beim Menschen normalerweise
hört zu den biochemischen Redoxsystemen. Sie
nicht auf, zumal auch Darmbakterien Biotin 29
ist beteiligt an der Hydroxylierung von Neben-
produzieren. Durch Einnahme großer Mengen
nierenrindenhormonen, biogenen Aminen und
von rohem Eiklar kann allerdings (theoretisch)
Aminosäuren (Bildung von Noradrenalin aus
eine Biotin-Mangeldermatitis ausgelöst werden.
Dopamin bzw. 5-Hydroxytryptophan, Hydroxy-
Eiklar enthält ein spezifisches Protein, das Avi-
prolin und Hydroxylysin aus den entsprechen-
din, durch das Biotin gebunden und inaktiviert
den Aminosäuren), dem Abbau cyclischer Ami-
wird. Außerdem kann es bei langfristiger paren-
nosäuren, der Umwandlung von Folsäure in Te-
teraler Ernährung zu einem Biotin-Mangel
trahydrofolsäure, der Abdichtung der Kapillaren
kommen. Auch verarmt beim seltenen, vererb-
(Antihyaluronidaseeffekt) und der Aktivierung
ten Biotinidase-oder Holocarboxylase-Synthe-
von Thrombin (Gerinnungsbeschleunigung).
tase-Mangel der Körper an Biotin bzw. an
Ferner steigert es Immunitätsvorgänge, wahr-
biotinhaltigen Enzymen. Als Folge kommt es zu
scheinlich durch Hemmung der oxidativen
schweren Stoffwechselstörungen, die unbehan-
Selbstzerstörung der Phagozyten durch aktive
delt zum Tod führen. Bei rechtzeitiger Diagnose
O2-Spezies (Antioxidanswirkung), und fördert
können durch die lebenslange tägliche Gabe von
die Eisenresorption durch Reduktion von drei-
10–15 mg Biotin (z. B. Biotin IMPULS®) irrepa-
wertigem zu zweiwertigem Eisen.
rable Schäden vermieden werden. Biotin wird
außerdem bei erhöhter Brüchigkeit von Nägeln Vitamin-C-Mangel und Therapie. Die klassi-
und Haaren mit fraglicher Wirksamkeit ange- sche Vitamin-C-Mangelkrankheit des Erwach-
wandt (z. B. BIO-H-TIN®, Dosierung: 2,5–5 mg/ senen, der Skorbut, der früher immer dann auf-
Tag). trat, wenn ein Mangel an frischen Nahrungsmit-
teln (z. B. bei langen Schiffsreisen) bestand, ist
446 29 Vitamine und Spurenelemente

sehr selten geworden. Skorbut ist durch abnor- rung empfehlenswert. Entgegen zahlreichen
me Müdigkeit, Muskelschwäche, Blutungen, Lo- Werbeaussagen gibt es jedoch keine überzeu-
ckerwerden und Ausfallen der Zähne sowie star- genden Daten, dass zusätzliche Vitamingaben
ke Infektanfälligkeit charakterisiert. Das Krank- bei Personen, die auf eine ausgewogene, vit-
heitsbild beruht nicht zuletzt auf der unzu- aminreiche Kost achten, Krankheiten verhin-
reichenden Biotransformation von Prolin zu dern oder sogar heilen können. Bei zahlreichen
Hydroxyprolin und der dadurch gestörten Indikationen, die z. B. für Vitamin E – vor allem
Kollagensynthese. Geringergradige C-Hypovit- in der Laienpresse – angegeben werden (z. B. Tu-
aminosen können bei Fehlernährung und morprophylaxe, Lebererkrankungen, Durchblu-
mangelnder Resorption infolge einer anaziden tungsstörungen, Myopathien), ist die Wirksam-
Gastritis oder Leberzirrhose auftreten. Wie bei keit nicht belegt. Als nicht überzeugend, son-
anderen Vitaminen ist ein erhöhter Vitamin-C- dern teilweise sogar negativ erwies sich ferner
Verbrauch bei schweren körperlichen Anstren- die Anwendung sog. Megadosen von Vitamin C
gungen (z. B. Hochleistungssport), malignen und E.
Tumoren, Röntgenbestrahlungen, akuten und
chronischen Infektionskrankheiten, Stoffwech-
selerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), bei 29.2 Essenzielle Spurenelemente
Rauchern sowie während der Schwangerschaft
und Stillperiode möglich. Er übersteigt jedoch Als Spurenelemente bezeichnet man Mineral-
300 mg täglich nicht. Die Einnahme von 1 g Vit- stoffe, die nur in sehr geringen Mengen im Or-
amin C oder mehr pro Tag ist daher überflüssig. ganismus (Gehalt im Gewebe < 0,005 %) vor-
Überschüssiges Vitamin C wird schnell im Urin kommen und durch ihren geringen Tagesbedarf
ausgeschieden. Bei prädisponierten Personen (< 100 mg) charakterisiert sind. Zu den essenzi-
können als Nebenwirkung Nierensteine (infolge ellen Spurenelementen, die eine definierte bio-
der verstärkten renalen Ausscheidung des Meta- chemische Funktion ausüben und täglich mit
boliten Oxalsäure) auftreten, sofern die Tages- der Nahrung aufgenommen werden müssen,
dosis 2–3 g übersteigt. Von Hypo- und Avit- gehören Eisen als Baustein von Häm
aminosen abgesehen, ist die therapeutische Be- (Ⴉ Kap. 23.1.1.1), Cobalt als Bestandteil von Vit-
deutung von Vitamin C deutlich geringer als amin B12 (Ⴉ Kap. 23.1.1.3.), Chrom, Kupfer,
vielfach angenommen. Dies gilt nicht zuletzt Mangan, Molybdän, Selen und Zink als Zen-
auch für die Prophylaxe (und Therapie) viraler tralatome von Enzymen, Iod, das für die Biosyn-
Infektionen. Bei Hyperurikämie ist hochdosier- these von Schilddrüsenhormonen benötigt wird
tes Vitamin C (500–1000 mg täglich, z. B. Cebi- (Ⴉ Kap. 21.3.1), und Fluor, das für den Aufbau
on®) allerdings in der Lage, den Harnsäurespie- des Zahnschmelzes und der Knochen bedeut-
gel zu senken. sam ist. Möglicherweise essenziell sind außer-
dem Aluminium, Arsen, Nickel, Silicium, Vana-
29.1.3 Therapeutischer Stellenwert dium und Zinn, deren biochemische Funktio-
von Vitaminpräparaten nen noch nicht eindeutig aufgeklärt sind.
Bei Vitaminmangel ist eine Vitaminsubstitution Wie bei den Vitaminen kann auch bei den es-
therapeutisch wertvoll und angezeigt. Bei Säug- senziellen Spurenelementen in Einzelfällen, ins-
lingen und Kleinkindern ist generell die Gabe besondere bei Personen mit Mangel- bzw. Feh-
von Vitamin D zur Rachitisprophylaxe erforder- lernährung, eine unzureichende Versorgung ge-
lich. Bei älteren Personen hat sich zur Osteopo- geben sein, die zu Mangelsymptomen führt.
rosevorbeugung und -therapie die Zufuhr von
Fluor. Fluor kommt in Form von Fluorid in ge-
Vitamin D3 zusammen mit Calcium bewährt.
ringen Konzentrationen ubiquitär vor. Nach Re-
Bei Schwangeren ist zur Vermeidung von Neu-
sorption im Gastrointestinaltrakt wird es im
ralrohrdefekten eine Folsäure-Supplementie-
29.2 Essenzielle Spurenelemente 447

Austausch gegen Hydroxylionen von Hydro- verfügbares Zink sind Nüsse, Hülsenfrüchte,
xylapatit in Zahnschmelz und Knochen eingela- Fleisch und Krustentiere. Symptome eines
gert. Fluorapatit erhöht die Kariesresistenz, da Zinkmangels sind u. a. Hypogonadismus,
die Zahnoberflächen deutlich weniger von Säu- Wachstums-, Geschmacks- und Geruchsstörun-
ren, die durch bakteriellen Abbau von Kohlen- gen. Der Tagesbedarf wird für Männer mit 10–
hydraten im Mundraum entstehen, angegriffen 15 mg, für Frauen mit 7–12 mg angegeben. Bei
werden. Dementsprechend ist Natriumfluorid Zinkmangel wird Zink (z. B. in Unizink®) in ei-
zur Kariesprophylaxe und Kariestherapie indi- ner Dosierung von 10–25 mg p. o. täglich substi-
ziert. Der größte Erfolg der Kariesprophylaxe tuiert. Seine Anwendung zur Prophylaxe von
wird durch die perorale Behandlung (0,25–1 mg Erkältungskrankheiten wird kontrovers disku-
täglich, z. B. Fluoretten®) vor und während der tiert.
Zahndurchbrüche erzielt, anschließend kann
Sonstige essenzielle Spurenelemente. Eine un-
der hohe Fluoridgehalt der Zähne durch topi-
zureichende Versorgung mit Kupfer äußert sich
sche Applikation von Fluorid-haltigen Lösun-
vor allem in Blutbildungsstörungen, ein Mangel
gen oder Gelen (z. B. elmex®) erhalten werden.
an Mangan führt zu Sterilität und Wachstums-
Bei einer Fluorid-Überdosierung können weiße
verzögerung. Erniedrigte Selenspiegel (z. B. bei
Flecken auf der Zahnoberfläche auftreten. Zur
Tumorpatienten) können neben einer gestörten
Verwendung von Fluorid bei der Osteoporose-
Spermienreifung Kardiomyopathien und Os-
behandlung Ⴉ Kap. 21.4.3.5.
teoarthritiden auslösen. Ein Mangel an Chrom
Zink. Als Bestandteil zahlreicher Enzyme (z. B. wird mit einer erniedrigten Glucosetoleranz
von Dehydrogenasen, Transferasen) ist Zink am und insulinresistenter Hyperglykämie in Ver-
Protein-, Kohlenhydrat-, Fett- und Nucleinsäu- bindung gebracht, eine Unterversorgung mit
re-Stoffwechsel, ferner an Immun- und Hor- Molybdän führt zu neurologischen und Stoff-
mon-Reaktionen sowie an der Regelung der wechselstörungen.
Genexpression beteiligt. Gute Quellen für bio-
29
448 30 Antiinfektiva

30 Antiinfektiva

Der Grundgedanke der antiinfektiven Therapie terschiedlichen Angriffspunkten in letzter Zeit


ist das Ehrlich'sche Prinzip der selektiven Toxi- auch bei der Behandlung der HIV-Infektion so-
zität: Unter einem Antiinfektivum versteht man wie anderer Viruserkrankungen (z. B. Hepatitis
demnach einen Stoff, der Mikroorganismen im C) großartige Fortschritte erzielt worden.
Körper in Konzentrationen, die für den Men-
schen weitgehend untoxisch sind, abtöten oder
zumindest schädigen kann. 30.1 Antibiotika
Diese selektive Toxizität der Antiinfektiva für
einen Mikroorganismus beruht auf dem Angriff 30.1.1 Grundlagen
an Strukturen, die beim Menschen nicht oder in Als Antibiotika werden heute alle antibakteriel-
wesentlich anderer Form vorkommen, z. B. durch len Wirkstoffe (unabhängig von ihrer Herkunft)
Hemmung der Zellwandsynthese (bei Bakterien bezeichnet. Früher dagegen verstand man unter
und Pilzen) oder Unterdrückung der Nuclein- Antibiotika nur natürlich vorkommende, von
säuresynthese (bei Bakterien und Viren). Pilzen und Bakterien produzierte Substanzen
Der Wirkungsbereich der Antiinfektiva er- und grenzte davon die chemisch synthetisierten
streckt sich dementsprechend auf bakterielle In- antibakteriellen Wirkstoffe als Chemotherapeu-
fektionskrankheiten, Mykosen, Viruserkran- tika ab.
kungen, Protozoenerkrankungen und im weite- Antibiotika gehören zu den verordnungs-
ren Sinn auf Wurmkrankheiten. stärksten Arzneimittelgruppen. Obgleich eine
Während bei bakteriellen Infektionen, Myko- Vielzahl von Antibiotika mit unterschiedlichen
sen und Protozoenerkrankungen sowie bei Angriffspunkten zur Verfügung steht (႒ Tab.
Wurmbefall eine Heilung mit Arzneimitteln 30.1), ist aufgrund zunehmender Resistenzen
häufig möglich ist, sind Viruserkrankungen die Entwicklung neuer antibakterieller Wirk-
schwerer medikamentös therapierbar. So steht stoffe dringend notwendig.
z. B. für den Erreger von AIDS (Acquired Im-
Wirkungsspektrum. Das Wirkungsspektrum ei-
muno-Deficiency Syndrome), d. h. für das Hu-
nes Antibiotikums besagt, gegen welche Erreger
mane Immundefizienz-Virus (HIV) bislang
die Substanz wirksam ist. Stoffe, die gegen eine
kein Antiinfektivum zur Verfügung, das zur
Vielzahl verschiedener Bakterien – insbesonde-
vollständigen Eradikation des Virus führt, eben-
re gramnegative Stäbchen und grampositive
so fehlt ein entsprechender Impfstoff. Allerdings
Kokken – aktiv sind, werden als Breitspektrum-
sind mit der Entdeckung neuer Wirkstoffe und
Antibiotika bezeichnet.
durch die Kombination von Virustatika mit un-
30.1 Antibiotika 449

႒ Tab. 30.1 Einteilung der Antibiotika nach Wirkungsmechanismen


Antibiotika mit Hemmung der Zellwandsynthese Antibiotika mit Wirkung auf Nucleinsäuren

Betalactame Fluorchinolone (Gyrasehemmer): Norfloxacin,


Enoxacin, Ciprofloxacin, Ofloxacin, Levofloxacin,
Penicilline:Benzylpenicillin, Phenoxymethyl- Moxifloxacin, Nadifloxacin
penicillin, Flucloxacillin, Ampicillin, Amoxicillin,
Piperacillin Folsäureantagonisten: Sulfadiazin,
Sulfamethoxazol, Trimethoprim, Co-trimoxazol
Cephalosporine: Cefazolin, Cefaclor, Cefadroxil,
Cefalexin, Cefuroxim, Cefotaxim, Ceftriaxon, Metronidazol, Fidaxomicin
Cefixim, Cefpodoxim, Ceftibuten, Ceftazidim,
Cefepim, Ceftarolin, Ceftobiprol Antibiotika mit Störung der bakteriellen
Zellmembran
Carbapeneme: Imipenem, Meropenem, Ertapenem
Colistin, Rifampicin, Daptomycin
Monobactame: Aztreonam

Glykopeptide: Vancomycin, Teicoplanin,


Telavancin (Dalbavancin, Oritavancin) Bakterizid wirkende Stoffe führen dagegen
Fosfomycin zu einer Keimzerstörung, wobei auch in diesem
Fall die wirtseigene Abwehr eine wesentliche
Antibiotika mit Hemmung der ribosomalen Voraussetzung für den Therapieerfolg darstellt.
Proteinsynthese Anhand des Wirkungstyps lassen sich die Anti-
Aminoglykoside: Streptomycin, Neomycin, biotika in drei Klassen einteilen, nämlich in An-
Paromomycin, Kanamycin, Amikacin, Gentamicin, tibiotika mit stark konzentrationsabhängiger
Tobramycin Bakterizidie (z. B. Aminoglykoside, Fluorchino-
lone), Antibiotika mit zeitabhängiger Bakteri-
Tetracycline: Tetracyclin, Doxycyclin, Minocyclin,
zidie (die meisten Betalactam-Antibiotika) und
Tigecyclin
bakteriostatisch wirksame Antibiotika (z. B. äl-
tere Makrolide, Tetracycline, Sulfonamide).
Makrolide: Erythromycin, Clarithromycin,
Roxithromycin, Spiramycin, Azithromycin, Die beschriebenen Unterschiede müssen bei
30
Telithromycin der Erstellung des Therapieregimes berücksich-
tigt werden. So sind Antibiotika mit konzen-
Lincosamide: Clindamycin
trationsabhängiger Bakterizidie am besten wirk-
Streptogramine: Dalfopristin, Quinupristin sam, wenn kurzfristig hohe Konzentrationen
erreicht werden, bei den beiden anderen Grup-
Oxazolidinone: Linezolid, Tedizolid
pen ist dagegen eine möglichst konstante
Chloramphenicol, Fusidinsäure, Mupirocin, Wirkstoffkonzentration oberhalb der MHK
Retapamulin (s. u.) vorteilhaft.
Wirkstärke. Die Wirkstärke eines Antibioti-
kums bestimmt, welche Konzentration für einen
Wirkungstyp. Hinsichtlich der antibakteriellen antiinfektiven Effekt erforderlich ist. Sie wird
Wirkung können sowohl in vitro als auch in vivo durch die minimale Hemmkonzentration
zwei Wirkungstypen unterschieden werden, die (MHK) bzw. minimale bakterizide Konzen-
Bakteriostase und die Bakterizidie (႒ Tab. 30.2). tration (MBK) angegeben. Man versteht darun-
Bakteriostatisch wirksame Substanzen hemmen ter die geringsten Konzentrationen eines Anti-
die Keimvermehrung, töten die Erreger aber infektivums, die in vitro das Wachstum eines
nicht ab. bestimmten Erregerstamms unterbinden bzw.
450 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.2 Wirkungstypen der Antibiotika zen durch den Selektionsdruck eines einzigen
Antibiotikums aufrechterhalten werden.
Bakterizid Bakteriostatisch
Die Übertragung des genetischen Materials
Aminoglykoside, Chloramphenicol, erfolgt vor allem bei gramnegativen Bakterien
Betalactame, Colistin, Clindamycin, Co-trim- durch Konjugation (Zell-zu-Zell-Kontakt über
Daptomycin, Fidaxo- oxazol, Fusidinsäure, eine Proteinröhre) nicht speziesspezifisch, d. h.
micin, Fluorchinolone, Linezolid1, Makrolide2, die Resistenz kann auch auf eine andere Bakteri-
Fosfomycin, Glyko- Mupirocin3, Retapa- enart übertragen werden. Bei der Transduktion
peptide, Metronidazol, mulin, Tetracycline,
übertragen Phagen (Viren, die Bakterien infizie-
Streptogramine4; Tigecyclin;
ren) speziespezifisch (z. B. bei Staphylokokken,
Antituberkulotika: Antituberkulotika:
Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol
Salmonellen) die Resistenzgene. Manche Bakte-
Pyrazinamid rien (z. B. Streptococcus pneumoniae, Neisseria
meningitidis, Haemophilus influenzae, Helico-
1

2
In Abhängigkeit von Erreger und Konzentration bakterizid, bacter pylori) können DNA-Moleküle (u. U. mit
neuere Makrolide in höheren Konzentrationen bakterizid,
3 in höheren Konzentrationen bakterizid, Resistenzgenen), die sich beispielsweise nach
4 gegen Enterokokken bakteriostatisch lytischen Prozessen außerhalb von Bakterien-
zellen befinden, durch Rekombination in das
Genom integrieren (Transformation).
diesen abtöten. Eine klinisch relevante Bakteri- Resistenzmechanismen auf Proteinebene. Das
zidie besitzen Antibiotika, die in vitro innerhalb durch Gentransfer übertragene Material kann in
von 4–8 Stunden mindestens 99 % aller Bakteri- der Bakterienzelle folgende Reaktionen auslö-
en abtöten. Die meisten Antibiotika sind nur gut sen:
gegen proliferierende Keime wirksam, nur we-
󠀂 Bildung inaktivierender Enzyme (z. B. Be-
nige (z. B. Polypeptide, Daptomycin) töten auch
talactamasen, die den β-Lactam-Ring öff-
nicht proliferierende (ruhende) Keime ab.
nen),
Resistenz Ein Keim ist resistent, wenn die mini- 󠀂 Verminderung der Zellpermeabilität, z. B. bei
male Hemmkonzentration (MHK) höher liegt gramnegativen Bakterien durch Strukturän-
als die höchste in vivo erreichbare, nicht toxi- derung der Porine (Kanalproteine) der äuße-
sche Serum- bzw. Gewebekonzentration. ren Membran, durch die die Antibiotika zum
Wirkort penetrieren,
Resistenzmechanismen auf Genebene. Die
󠀂 Synthese von Transportern (Effluxpumpen),
chromosomale Resistenz gegen ein Antiinfekti-
die die Wirkstoffe aus der Zelle ausschleusen
vum beruht ausschließlich auf der in der chro-
und
mosomalen DNA des Bakteriums vorhandenen
󠀂 Abnahme der Bindungsfähigkeit an die Ziel-
Erbinformation und wird auf die nachfolgenden
strukturen der Antibiotika.
Generationen (vertikaler Gentransfer), nicht
aber auf andere Bakterien übertragen. Parallelresistenz. Von einer Parallelresistenz
(Kreuzresistenz) wird gesprochen, wenn eine
Die extrachromosomale Resistenz ist durch ge-
Resistenz gegen zwei oder mehrere Antibiotika
netisches Material, das in Form von Resistenz-
auftritt, die chemisch verwandt sind und/oder
plasmiden (ringförmigen doppelsträngigen
den gleichen Wirkungsmechanismus besitzen.
DNA-Molekülen mit Resistenzgenen; autonom
replizierbar) vorliegt, zwischen verschiedenen Persistenz. Als Persistenz bezeichnet man das
Bakterien übertragbar (horizontaler Gentrans- unbeeinflusste Überleben eigentlich sensibler
fer). Durch die gemeinsame Lokalisation meh- Keime bei einer antiinfektiven Behandlung. Ur-
rerer Resistenzgene auf einem Plasmid können sache dafür kann eine schlechte Penetration des
sämtliche durch diese Gene kodierten Resisten- Antiinfektivums in das betroffene Gebiet, z. B.
30.1 Antibiotika 451

infolge von Abszess- oder Nekrosenbildung stark ausgeprägt, bei Penicillin/Betalactamase-


sein. Ferner kann die Bildung bakterieller Bio- Kombinationen dagegen vergleichsweise nied-
filme an Grenzflächen, z. B. auf Implantaten, rig. Werden Patienten z. B. mit Fluorchinolonen
eine unzureichende Aufnahme des Antibioti- behandelt, haben sie ein erhöhtes Risiko für das
kums in die Bakterienzelle bewirken, da in Bio- Auftreten Fluorchinolon-resistenter E. coli bei
filmen Bakterien von einer dünnen, viskosen einer nachfolgenden Behandlung. Darüber hin-
Schleimschicht umgeben sind. Dann ist ein bis aus ist der Fluorchinolon-Einsatz auch mit ei-
zu 1000-facher Anstieg der MHK möglich (s. o.). nem erhöhten Risiko für Methicillin-resistente
Besonders häufig werden Persister bei intrazel- Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) und
lulärer Lokalisation der Bakterien gefunden, ESBL-bildende Enterobacteriaceae assoziiert
z. B. bei Mykobakterien und Chlamydien. Auch (s. u.). Die Kollateralschäden durch Antibiotika
bestimmte Staphylococcus-aureus-Stämme kön- können nur durch einen rationalen (restrikti-
nen durch intrazellulär persistierende sog. ven) Antibiotikaeinsatz begrenzt werden.
„Small colony variants“ (SCVs) einer Antibioti-
Allgemeine Interaktionen. Der enterohepati-
kabehandlung widerstehen und so über längere
sche Kreislauf von Arzneistoffen, deren Konju-
Zeit im Organismus verbleiben. Eine Erreger-
gate im Darm bakteriell gespalten werden, kann
persistenz erschwert die vollständige Keimeli-
durch Antibiotika unterbrochen werden, wo-
mination und kann chronisch rezidivierende
durch niedrigere Plasmaspiegel resultieren. Dies
Infektionen auslösen.
kann u. U. insbesondere bei niedrig dosierten
Allgemeine Nebenwirkungen. Gemeinsam ist oralen Kontrazeptiva zu einem Wirkverlust
allen Antibiotika, dass sie die physiologische führen. In Kombination mit Vitamin-K-Ant-
Bakterienflora (Mikrobiom) z. B. im Darm be- agonisten ist häufig das Blutungsrisiko erhöht,
einträchtigen, weshalb häufig Durchfälle auf- möglicherweise, weil die Bildung von Vitamin
treten. Auch Superinfektionen mit nicht emp- K2 durch Darmbakterien vermindert ist.
findlichen Erregern oder Pilzen sind möglich
(Kollateralschäden). Die Jarisch-Herxheimer-
30.1.2 Antibiotika mit Angriff an der
Reaktion (z. B. bei Infektionen mit Borrelia
Zellwandsynthese
burgdorferi) ist eine immunologische Reaktion
des Organismus auf bakterielle Endotoxine, die
Zu den Antibiotika, die die Zellwandsynthese 30
hemmen, zählen
durch massiven Zerfall der Bakterien im Rah-
men der Antibiotikatherapie freigesetzt wer- 󠀂 Betalactame,
den. 󠀂 Glykopeptide und
󠀂 Fosfomycin.
Kollateralschäden. Die mikrobiologischen bzw.
ökologischen (Neben-)Wirkungen der Antibio- Aufbau und Synthese der Bakterienzellwand.
tika werden als Kollateralschäden bezeichnet. Das Grundgerüst der bakteriellen Zellwand be-
Darunter versteht man die Selektion von Anti- steht aus Murein (Peptidoglykan), das bei
biotika-resistenten Mikroorganismen (Resis- grampositiven Keimen ca. 50 % der Zellwand
tenzselektion) in der Normalflora, die Be- ausmacht und das gesamte Bakterium als ein
siedlung und Infektion mit multiresistenten einziges großes Makromolekül in Form eines
Erregern und das Auftreten der Clostridium-dif- dreidimensionalen Netzwerks umgibt. Bei
ficile-assoziierten Diarrhö (nach Paul-Ehrlich- gramnegativen Keimen bestehen dagegen nur
Gesellschaft für Chemotherapie e. V.). ca. 5–10 % der Zellwand aus Murein. Die
Das Resistenzselektionspotenzial der ver- Grundbausteine von Murein sind Glykane
schiedenen Antibiotikagruppen ist unterschied- (Aminozuckerketten) und Oligopeptide, die
lich hoch. Bei Fluorchinolonen und Cephalo- die Glykanstränge miteinander verbinden
sporinen (der Gruppe 3/4, s. u.) ist es relativ (Ⴜ Abb. 30.1). Die Glykanketten sind abwech-
452 30 Antiinfektiva

aktiven Zentrum der Transpeptidase und blo-


M ckieren diese dadurch irreversibel. Eine Öff-
M
nung der Peptidoglykanstränge im Rahmen der
G
Zellteilung führt dann zur Bakteriolyse.
G
G Die an der Peptidoglykansynthese beteiligten
M Enzyme Transglykosylase und Transpeptidase
M
M sind Serin-Peptidasen. Sie werden aufgrund ih-
rer Eigenschaft, Penicillin und weitere Betalac-
G
G tam-Antibiotika zu binden, als Penicillin-bin-
G
G dende Proteine (PBP) bezeichnet. Alle Bakteri-
M
M en mit Mureingerüst besitzen jeweils einen spe-
M zifischen Satz an PBP, der innerhalb einer
M
Spezies relativ konstant ist. Zwischen den Spezi-
es bestehen Unterschiede bzgl. der Anzahl an
PBP (z. B. E. coli 12), der Molekularmasse,
G N-Acetylglucosamin Aminosäuren Struktur und Funktion sowie auch bzgl. ihrer
M N-Acetylmuraminsäure d-Alanin Sensibilität gegen die unterschiedlichen Betalac-
Aminosäure mit Glycin tam-Antibiotika (→ unterschiedliche Wirkungs-
Verzweigungsstelle
spektren).
Ⴜ Abb. 30.1 Murein-Grundgerüst Wirkungstyp. Der Wirkungstyp der Betalac-
tam-Antibiotika ist zeitabhängig bakterizid, d. h.
selnd aus N-Acetylglucosamin und N-Acetyl- die Wirksamkeit korreliert mit der Zeitspanne
muraminsäure zusammengesetzt. im Dosierungsintervall, während der die Plas-
maspiegel die MHK bzw. MBK übersteigen. Ab-
Bei der Mureinsynthese werden die Disacchari-
getötet werden nur proliferierende Keime, da
de zunächst im Zytosol gebildet, anschließend
nur bei diesen die Mureinsynthese stattfindet.
mittels eines hochlipophilen Lipid-Carriers an
die Außenseite der Zellmembran transferiert, Resistenzmechanismen. Eine Resistenzent-
wo dann die Polymerisation durch Transglyko- wicklung gegen Betalactam-Antibiotika erfolgt
sylasen zu den Polyglykansträngen stattfindet entweder durch Mutationen der Zielstruktur,
und die Quervernetzung der einzelnen Polygly- Bildung von Betalactamasen oder Membran-
kanstränge durch Transpeptidasen erfolgt. veränderungen.
Mutationen der Zielstruktur: Methicillin-resis-
30.1.2.1 Betalactam-Antibiotika
tente Stämme von S. aureus (MRSA) weisen ein
Zu den Betalactam-Antibiotika, charakterisiert
zusätzliches, durch Mutation entstandenes
durch einen viergliedrigen β-Lactam-Ring, ge-
PBP2a mit sehr niedriger Affinität zu Betalacta-
hören die Penicilline, Cephalosporine und Car-
men auf. Da die Transpeptidase-Funktion nicht
bapeneme sowie Aztreonam.
beeinträchtigt ist, kann die Mureinbiosynthese
Wirkungsmechanismus. Der Wirkungsmecha- auch in Gegenwart sämtlicher Betalactam-Anti-
nismus der Betalactam-Antibiotika besteht in biotika stattfinden.
der Hemmung der Transpeptidase und damit Betalactamasen: Dabei handelt es sich um
des letzten Schritts der Peptidoglykansynthese. eine heterogene Gruppe von Enzymen (Serin-
Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit d- Peptidasen), die vor allem bei der Resistenzent-
Alanyl-d-Alanin im Oligopeptid der Glykanket- wicklung gramnegativer Bakterien eine wichtige
te binden Betalactam-Antibiotika unter Öff- Rolle spielen. Sie heben durch Öffnung des
nung des β-Lactam-Rings kovalent an Serin im β-Lactam-Rings die antibakterielle Wirkung der
30.1 Antibiotika 453

Antibiotika auf. In ihrer Struktur und Wirkung Penicilline


sind sie eng mit den Transpeptidasen verwandt. Das Grundgerüst aller Penicilline ist die 6-Ami-
Anhand der Substratspezifität unterscheidet nopenicillansäure, aus der zahlreiche Penicilline
man folgende Betalactamasen: Penicillinasen partialsynthetisch hergestellt werden konnten.
(z. B. bei S. aureus) und Cephalosporinasen so- Von den natürlich vorkommenden Penicillinen,
wie Breitspektrum-Betalactamasen, die sowohl isoliert aus dem Schimmelpilz Penicillium nota-
Penicilline als auch Cephalosporine der Gruppe tum, hat nur Benzylpenicillin praktische Be-
1/2 hydrolysieren. Betalactamasen mit erwei- deutung erlangt.
tertem Spektrum, sog. ESBL (extended spect-
Wirkungsspektrum Aufgrund ihrer Eigenschaf-
rum betalactamases) inaktivieren zusätzlich
ten und ihres Wirkungsspektrums werden heute
auch Cephalosporine der Gruppe 3 und verur-
folgende Penicilline unterschieden:
sachen häufig nosokomiale Infektionen. Carba-
penemasen spalten sämtliche Betalactame, wer- 󠀂 Benzylpenicillin (Penicillin G) und dessen
den aber in der Regel durch Betalactamase-Inhi- Salze (→ Depotpenicilline, s. u.) sind säurelabil
bitoren gehemmt. Sog. AmpC-Betalactamasen (→ nur parenterale Applikation) und werden
inaktivieren Penicilline und Cephalosporine durch Penicillinasen inaktiviert. Das Wir-
(außer Cefepim) und lassen sich nicht mit Be- kungsspektrum umfasst grampositive Kokken
talactamase-Inhibitoren hemmen; Carbapene- (z. B. Streptokokken, inkl. Pneumokokken),
me spalten sie nicht. Metallo-Betalactamasen grampositive Stäbchen (aerobe, z. B. Diphthe-
und Oxacillinasen inaktivieren alle Betalactame riebakterien; anaerobe z. B. Clostridien),
(auch Carbapeneme) einschließlich Betalacta- gramnegative Kokken (z. B. Meningokokken)
mase-Inhibitoren. Werden Metallo-Betalacta- und Spirochäten (z. B. Borrelia burgdorferi,
masen oder Oxacillinasen in Enterobacteria- Treponema pallidum). Unempfindlich sind
ceae, Acinetobacter baumannii oder Pseudomo- Staphylokokken (Penicillinase-Bildner!) und
nas aeruginosa exprimiert, ist eine Behandlung die meisten gramnegativen Stäbchen.
mit sämtlichen verfügbaren Betalactamen wir- 󠀂 Oralpenicilline: Phenoxymethylpenicillin
kungslos. (Penicillin V) ist säurestabil, wird aber durch
Membranveränderungen: Bei gramnegati- Penicillinasen inaktiviert. Sein Wirkungs-
ven Bakterien befinden sich in der äußeren spektrum entspricht dem von Benzylpeni- 30
Membran porenbildende Transmembranpro- cillin.
teine zum Stoffaustausch, die sog. Porine. Durch 󠀂 Penicillinasestabile Penicilline (Isoxazolyl-
die wassergefüllten Porinkanäle erfolgt der penicilline): Flucloxacillin ist penicillinase-
Transport kleiner hydrophiler Moleküle. Wer- und säurestabil, besitzt aber nur einen Bruch-
den diese Porinkanäle durch Mutationen verän- teil der Wirkstärke von Benzylpenicillin, die
dert bzw. wird deren Anzahl vermindert, gelan- Anwendung ist auf Staphylokokken-Infektio-
gen die Betalactame nicht mehr an ihr Target. nen beschränkt.
󠀂 Breitspektrum-Penicilline (Penicilline mit
Allergische Reaktionen. Die bei Betalactam-
erweitertem Wirkungsspektrum):
Antibiotika auftretenden allergischen Reaktio-
󠀂 Aminopenicilline: Ampicillin und Am-
nen sind vorwiegend durch die β-Lactam-
oxicillin sind säurestabil, von Penicillina-
Struktur bedingt. Unter Öffnung des β-Lactam-
sen werden sie jedoch inaktiviert. Ihr Wir-
Rings kann eine kovalente Bindung des Antibio-
kungsspektrum umfasst – zusätzlich zu
tikums mit Aminogruppen körpereigener
dem von Benzylpenicillin – gramnegative
Proteine geknüpft und so ein Vollantigen gebil-
Stäbchen, z. B. E. coli, Proteus mirabilis,
det werden. Da die Sensibilisierungsgefahr bei
Haemophilus influenzae und weitere
lokaler Applikation besonders groß ist, ist diese
grampositive Keime z. B. Enterokokken
kontraindiziert.
454 30 Antiinfektiva

(E. faecalis) und Listerien. Unwirksam ႒ Tab. 30.3 Penicilline


sind sie gegen Betalactamase-Bildner.
INN (Handelsname) Dosierung, ED
󠀂 Acylaminopenicilline: Piperacillin ist
säurelabil und wird durch Penicillinasen Benzylpenicillin-Na 1–5 Mio. IE/Tag in
inaktiviert. Das Wirkungsspektrum ist im (INFECTOCILLIN®) 4–6 ED i. m., i. v.
Vergleich zu den Aminopenicillinen um
Benzylpenicillin- 1,2–2,4 Mio. IE/Wo-
gramnegative Problemkeime, z. B. Kleb-
Benzathin che bzw. Monat bzw.
siella pneumoniae, Pseudomonas aerugino- (z. B. Pendysin®) einmalig i. m.
sa, erweitert.
Oralpenicilline
Kinetik. Die verschiedenen Penicilline haben
ein sehr ähnliches pharmakokinetisches Profil. Phenoxymethylpenicillin 1,5–6 Mio. IE/Tag in
Säurelabile Penicilline müssen parenteral appli- (z. B. Isocillin®) 3–4 ED p. o.
ziert werden, säurestabile Penicilline sind oral
Penicillinasestabile Penicilline
anwendbar. Penicilline sind gut gewebegängig,
sie erreichen in den meisten Organen und Kör- Flucloxacillin 3–4 g/Tag in 3 ED
perflüssigkeiten wirksame Konzentrationen, al- (z. B. Staphylex®) i. m., i. v., p. o.
lerdings ist die Diffusion in Muskulatur und
Breitspektrum-Penicilline
Knochen sowie auch die Liquorgängigkeit ge-
ring, bei Meningitiden ist sie deutlich erhöht. Ampicillin 1,5–6 g/Tag in 3–4 ED
Die Ausscheidung erfolgt sehr rasch, vorwie- (Ampicillin-ratiopharm®) i. m., i. v., p. o.1
gend renal durch glomeruläre Filtration und tu-
buläre Sekretion der unveränderten Substanz. Amoxicillin 1,5–3 g/Tag in 3–4 ED
(Generika) p. o.
Die Halbwertszeiten sind kurz, im Fall von Ben-
zylpenicillin nur 30–40 min, bei den übrigen Pe- Sultamicillin 0,75–1,5 g/Tag in
nicillinen ca. 1 Stunde. Bei Niereninsuffizienz (Unacid® PD p. o.) 2 ED p. o.
sind die Halbwertszeiten verlängert.
Piperacillin 6–12 g/Tag in 2–4 ED
Eine längere Wirkdauer ist mit Depotpenicilli- (Generika) i. m., i. v.
nen zu erreichen. Durch Salzbildung von Ben-
1 Resorptionsquote nur 40 %, daher erhöhtes Risiko gastrointestina-
zylpenicillin mit organischen Basen (z. B. Benz- ler Nebenwirkungen
athin) entstehen Salze mit schlechter Wasserlös-
lichkeit, die nach i. m. Applikation nur langsam
aus der Muskulatur resorbiert werden, sodass
Dosierung und Anwendungsdauer. Die Höhe
ausreichende Blutspiegel über 8–24 Stunden, bei
der Dosis (႒ Tab. 30.3) richtet sich nach der
hochempfindlichen Erregern sogar noch länger
Schwere der Infektion. Die Tagesdosis muss we-
aufrechterhalten werden können.
gen der kurzen Halbwertszeiten und der zeitab-
Indikationen. Sofern keine Penicillinallergie hängigen Bakterizidie (Ⴉ Kap. 30.1.1) auf mehre-
(s. u.) vorliegt, sind Penicilline wegen der prak- re Einzeldosen aufgeteilt werden. Die Anwen-
tisch fehlenden akuten Toxizität und ihrer bak- dungsdauer ist vom Ansprechen der Erreger ab-
teriziden Wirkung Mittel der 1. Wahl bei allen hängig, in der Regel sollte das Penicillin-Derivat
Infektionen mit Penicillin-sensiblen Erregern. noch 2–3 Tage nach Abklingen der Krankheits-
Unwirksam sind Penicilline gegen Betalactama- erscheinungen (z. B. Fieber) angewendet wer-
se-bildende Keime, MRSA (s. u.) und aufgrund den. Ist nach 3 Tagen kein Therapieeffekt er-
ihrer Hydrophilie gegen intrazelluläre Bakterien kennbar, ist eine Sensibilitätsbestimmung bzw.
(z. B. Chlamydien, Legionellen, Mykoplasmen). ein Antibiotikawechsel erforderlich.
30.1 Antibiotika 455

Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwir- Als fixe Kombinationen von einem Betalacta-
kungen der Penicilline sind allergische Reaktio- mase-Inhibitor mit einem nicht Betalactamase-
nen, die in unterschiedlicher Häufigkeit und stabilen Betalactam sind Clavulansäure zusam-
Schwere (von leichten Hauterscheinungen bis zu men mit Amoxicillin (z. B. Augmentan®), Tazo-
anaphylaktischem Schock mit tödlichem Aus- bactam mit Piperacillin (z. B. Tazobac®) und
gang) vorkommen können. Bei extrem hohen Sulbactam mit Ampicillin (z. B. Unacid®) im
Dosen oder bei intrathekaler Applikation kön- Handel. Bei Sultamicillin (Unacid® PD oral)
nen neurologische Nebenwirkungen vor allem sind Sulbactam und Ampicillin diesterartig zu
bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Meningitis einem Prodrug verbunden.
oder Epilepsie auftreten. Nach Gabe von Ami- Die Zulassung von Avibactam, einem neuen
nopenicillinen treten 5–10 Tage nach Behand- Betalactamase-Inhibitor ohne β-Lactam-Struk-
lungsbeginn außerdem relativ häufig (vor allem tur, der reversibel an die Betalactamase bindet
bei Ampicillin) makulo-papulöse Exantheme und gegen ESBL und bestimmte Carbapenema-
(masernartiger Ausschlag) insbesondere bei Pa- sen wirksam sein soll, ist beantragt.
tienten mit Pfeiffer'schem-Drüsenfieber (Ep-
stein-Barr-Virus-Infektion) auf. Eine gleichzei- Cephalosporine
tige Virusinfektion stellt daher eine Kontraindi- Cephalosporine sind partialsynthetische Deri-
kation dar. vate der 7-Aminocephalosporansäure.
Interaktionen. Probenecid und andere Arznei- Wirkungsspektrum und Cephalosporin-Grup-
stoffe (z. B. Salicylate, Phenylbutazon), die mit pen. Cephalosporine haben ein breites anti-
Penicillinen um die tubuläre Sekretion konkur- bakterielles Spektrum. Gemäß den Vorschlägen
rieren, führen zu einer Erhöhung der Penicillin- der Paul-Ehrlich-Gesellschaft teilt man sie an-
Plasmaspiegel und einer Verlängerung der hand ihres Wirkungsspektrums in fünf Grup-
Halbwertszeit. Andererseits können auch Peni- pen ein (႒ Tab. 30.4).
cilline die Plasmaspiegel von Kombinations-
Cephalosporine sind unwirksam gegen ESBL-
partnern mit renaler Elimination (z. B. Metho-
bildende Bakterien, Enterokokken (Ausnahme
trexat) erhöhen und die Nebenwirkungen ver-
Ceftobiprol), intrazelluläre Erreger (z. B. Chla-
stärken.
mydien) und meist ungenügend wirksam gegen 30
Kontraindikationen. Bei nachgewiesener Peni- Anaerobier. Gegen MRSA sind nur die neuen
cillinallergie sind Penicilline kontraindiziert, auf Gruppe-5-Cephalosporine Ceftarolin und Cef-
Kreuzallergien ist zu achten. Eine topische Ap- tobiprol wirksam.
plikation von Penicillinen auf Haut oder
Kinetik. Orale Gruppe-1-Cephalosporine und
Schleimhaut ist verboten, da sie das Entstehen
Ceftibuten werden rasch und fast vollständig re-
einer Penicillinallergie begünstigt.
sorbiert. Bei Cefuroximaxetil, Cefixim und Cef-
Kombinationen von Penicillinen mit Betalacta- podoximproxetil beträgt die Resorptionsquote
mase-Inhibitoren (BLI). Die Betalactamase-In- dagegen nur 40–60 %. Cephalosporine verteilen
hibitoren Clavulansäure, Sulbactam und Tazo- sich wie die Penicilline extrazellulär. Sie sind gut
bactam sind Strukturanaloga der Penicillansäu- gewebegängig, die Liquorgängigkeit ist bei nicht
re (des Grundgerüsts der Penicilline) und re- entzündeten Meningen gering. Cephalosporine
agieren mit Serin im aktiven Zentrum der werden überwiegend in unveränderter Form re-
Betalactamase unter Öffnung des β-Lactam- nal und z. T. auch biliär eliminiert. Die Halb-
Rings zu einem inaktiven Enzymkomplex (sta- wertszeiten sind mit Ausnahme von Ceftriaxon
bile Acylierung des Enzyms). Sie hemmen vor relativ kurz (႒ Tab. 30.5). Bei Niereninsuffizienz
allem Penicillinasen, Cephalosporinasen und ist die Ausscheidung der meisten Cephalospori-
z. T. ESBL (s. o.). ne verzögert, bei Gabe hoher Dosen muss die
456 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.4 Einteilung der Cephalosporine nach ihrem Wirkungsspektrum. Nach Empfehlungen der
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie

Gruppe Cephalosporin Wirkungsspektrum

1 Parenteral: Cefazolin Streptokokken, Staphylokokken

Oral: Cefaclor, Cefadroxil,


Cefalexin

2 Parenteral: Cefuroxim Streptokokken, Staphylokokken,


erweitertes Spektrum im gramnegativen Bereich, z. B. Haemophi-
Oral: Cefuroximaxetil1 lus influenzae, Moraxella catarrhalis, Klebsiella-Spezies, Proteus
mirabilis, E. coli (evtl. Resistenzentwicklung)

3a Parenteral: Cefotaxim, Ausgeprägte Aktivität im gramnegativen Bereich,


Ceftriaxon weniger wirksam gegen grampositive Erreger (z. B. Staphylokok-
ken) als Gruppe 1, 2,
Oral: Cefixim, Cefpod- Ceftibuten: „Pneumokokkenschwäche“
oximproxetil1, Ceftibuten

3b Parenteral: Ceftazidim Ausgeprägte Aktivität im gramnegativen Bereich,


zusätzlich gute Pseudomonas-Wirksamkeit,
unwirksam gegen Streptokokken, Pneumokokken, Staphylokokken

4 Parenteral: Cefepim Ausgeprägte Aktivität im gramnegativen Bereich,


gute Pseudomonas-Wirksamkeit,
zusätzlich wirksam gegen AmpC-Betalactamasen-produzierende
Enterobacteriaceae (Enterobacter spp, Citrobacter spp.),
Staphylokokken-Wirksamkeit vergleichbar mit Gruppe 3a

5 „MRSA-Cephalosporine“ Ausgeprägte Aktivität gegen grampositive Kokken, einschließlich


Parenteral: Ceftarolinfo- MRSA, Penicillin-resistente Pneumokokken, Ceftobiprol zusätzlich
samil1, Ceftobiprolmedo- gegen E. faecalis,
caril1 ausgeprägte Aktivität im gramnegativen Bereich (z. B. E. coli,
Haemophilus influenzae, Klebsiella pneumoniae), Ceftobiprol zu-
sätzlich gegen Pseudomonas und Acinetobacter spp. (falls keine
ESBL-Bildung erfolgt)

1 Prodrugs

Dosierung daher der Nierenfunktion angepasst sich nach der Schwere der Infektion
werden. (႒ Tab. 30.5).
Indikationen, Dosierungen. Cephalosporine Nebenwirkungen. Wie die Penicilline sind Ce-
sind bei bakteriellen Infektionen (siehe Erre- phalosporine sehr wenig toxisch. Eine niedrige
gerspektrum in ႒ Tab. 30.4) unterschiedlicher orale Bioverfügbarkeit sowie eine biliäre Elimi-
Lokalisation und Intensität indiziert. Parente- nation können eine Beeinträchtigung der Darm-
rale Cephalosporine können bei schweren In- flora begünstigen. Bei Patienten mit Nierenin-
fektionen wie z. B. Meningitis eingesetzt wer- suffizienz und solchen, die mit hohen Dosen
den, Oralcephalosporine eignen sich u. a. für behandelt werden, sollte eine Kontrolle der Nie-
die konsekutive antibakterielle Therapie (orale renfunktion durchgeführt werden. Mit allergi-
Sequenztherapie). Die Dosierungen richten schen Reaktionen ist in etwa 1–4 % der Fälle zu
30.1 Antibiotika 457

႒ Tab. 30.5 Cephalosporine ႒


INN (Handelsname), HWZ Tagesdosis, ED INN (Handelsname), HWZ Tagesdosis, ED

Parenterale Cephalosporine Oralcephalosporine

Gruppe 1 Gruppe 1

Cefazolin 1,5–4 g (max. Cefaclor 0,75–3 g in 3 ED


(z. B. Basocef® Actavis), 2 h 12 g) in 2–3 ED (z. B. Panoral®), 1 h

Gruppe 2 Cefadroxil 1–2 g (max. 4 g)


(Grüncef®), 1,5–2 h in 1–2 ED
Cefuroxim 1,5–4,5 g (max.
(z. B. Elobact®), 1–2 h 12 g) in 2–4 ED Cefalexin 1–3 g (max. 4 g)
(Generika), 1 h in 3–4 ED
Gruppe 3a
Gruppe 2
Cefotaxim 2–4 g (max. 12 g)
(z. B. Claforan®), 1–1,5 h in 2–4 ED Cefuroximaxetil 0,5–1 g in 2 ED
(z. B. Elobact®), 1–2 h
Ceftriaxon 1–2 g (max. 4 g)
(z. B. Rocephin®), 6–9 h 1 × tgl. Gruppe 3a

Gruppe 3b Cefixim 0,4 g in 1–2 ED


(z. B. Cephoral®), 2–4 h
Ceftazidim 2–6 g in 2–3 ED
(z. B. Fortum®), 2 h Cefpodoximproxetil 0,2–0,4 g in 2 ED
(z. B. Orelox®), 2,4 h
Gruppe 4
Ceftibuten 0,4 g 1 × tgl.
Cefepim 4–6 g in 2–3 ED (KEIMAX®), 2,5 h
(z. B. Maxipime®), 2 h
1 als Ceftarolinfosamil, 2 als Ceftobiprolmedocaril, ED Einzeldosen
Gruppe 5
30
Ceftarolin1 1,2 g in 2 ED Kontraindikationen. Bei Überempfindlichkeit
(Zinforo™), 2,5 h gegen Cephalosporine sind diese kontraindi-
ziert.
Ceftobiprol2 1,5 g in 3 ED
(Zevtera), 3 h
Carbapeneme
Zu den Carbapenemen gehören Ertapenem
(INVANZ®), Imipenem (in ZIENAM®) und
rechnen, ein anaphylaktischer Schock ist jedoch
Meropenem (z. B. Meronem®). (Doripenem ist
sehr selten. Auch Kreuzallergien mit Penicilli-
zurzeit außer Handel.)
nen werden nur selten beobachtet.
Carbapeneme besitzen aufgrund ihrer Affi-
Interaktionen. Wie bei Penicillinen können bei nität zu nahezu allen Penicillin-bindenden Pro-
einigen Cephalosporinen Wechselwirkungen teinen ein besonders breites Wirkungsspek-
aufgrund der Konkurrenz um die tubuläre Se- trum, das die meisten grampositiven und gram-
kretion auftreten. Diese werden z. T. auch kli- negativen Bakterien sowie Anaerobier umfasst.
nisch genutzt, z. B. wird Cefaclor bei gonorrhoi- Gegen MRSA und E. faecium sind sie allerdings
scher Urethritis zusammen mit Probenecid (1 g) unwirksam.
gegeben, um erhöhte Cefaclor-Plasmaspiegel zu Die Empfindlichkeit der Carbapeneme gegen
erzielen. Betalactamasen ist sehr gering. Carbapenema-
458 30 Antiinfektiva

sen-bildende Stämme sind bei nosokomialen dert Probenecid die renale Clearance der Carba-
Infektionen derzeit noch selten. Daher hat der peneme durch Hemmung der tubulären Sekreti-
therapeutische Stellenwert der Carbapeneme in on. Eine Kontraindikation stellt die Überemp-
den letzten Jahren deutlich zugenommen. findlichkeit gegen den jeweiligen Wirkstoff dar.
Aufgrund ihres pharmakokinetischen Ver-
haltens und ihres Wirkungsspektrums lassen Monobactame
sich die Carbapeneme in zwei Gruppen eintei- Monobactame sind durch Bakterien gebildete
len: monocyclische Betalactam-Antibiotika. Das
Zur Gruppe 1 zählen Imipenem/Cilastatin derzeit einzige im Handel befindliche Monobac-
(s. u.), Meropenem und Doripenem. Sie haben tam ist Aztreonam (Cayston®). Die gegen Be-
eine geringe Proteinbindung (bis zu 25 %) und talactamasen stabile Substanz wirkt gegen fast
eine kurze Halbwertszeit von etwa 1 Stunde. alle gramnegativen Stäbchen (einschließlich
Zur Gruppe 2 gehört Ertapenem, das zu Serratien und vieler Stämme von Pseudomonas
mehr als 90 % an Proteine gebunden ist und eine aeruginosa), jedoch nicht gegen grampositive
Halbwertszeit von ca. 4 Stunden aufweist. Im Bakterien und Anaerobier. Aztreonam wird
Gegensatz zu Gruppe-1-Carbapenemen zeigt es heute nur noch bei Mukoviszidose-Patienten
keine Wirksamkeit bei Infektionen mit Entero- zur Behandlung chronischer Lungeninfektionen
kokken, Pseudomonas- und Acinetobacter-Spe- durch Pseudomonas aeruginosa eingesetzt. Die
zies. Anwendung erfolgt mittels eines Verneblers
Carbapeneme sind nur parenteral verfügbar. (0,225 g/Tag inhalativ).
Sie werden hauptsächlich renal ausgeschieden,
teilweise in metabolisierter Form. Daher ist bei 30.1.2.2 Glykopeptide
Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung erfor- Zu den großmolekularen Glykopeptid-Antibio-
derlich. tika gehören Vancomycin (Generika) und die
Imipenem muss mit Cilastatin, einem kom- wegen ihrer lipophilen Seitenkette auch als Li-
petitiven, reversiblen Hemmer der renalen De- poglykopeptide bezeichneten Substanzen Teico-
hydropeptidase-I kombiniert werden, da dieses planin (Targocid®) und Telavancin (VIBA-
Enzym Imipenem metabolisiert und inaktiviert. TIV®).
Carbapeneme stellen eine Alternative zu
Wirkungsspektrum. Glykopeptide wirken bak-
Antibiotika-Kombinationen dar, die zur Inter-
terizid gegen aerobe und anaerobe grampositive
ventionstherapie bei schweren bzw. lebensbe-
Keime. Von besonderer Bedeutung ist die Wir-
drohlichen bakteriellen Infektionen (auch
kung gegen Staphylokokken (einschließlich
Mischinfektionen) eingesetzt werden, z. B. bei
MRSA), Enterokokken und Clostridium difficile.
komplizierten intraabdominellen Infektionen,
Gegen gramnegative Bakterien sind sie unwirk-
nosokomialen Pneumonien und komplizierten
sam, da sie aufgrund ihrer Molekülgröße die äu-
Harnwegsinfektionen.
ßere Zellmembran gramnegativer Bakterien
Die übliche Tagesdosis beträgt für Imipenem
nicht durchdringen können. Aufgrund des häu-
2–3 g, für Meropenem 1,5–3 g und für Ertape-
figen Einsatzes der Glykopeptide insbesondere
nem 1 g. Die Applikation erfolgt üblicherweise
bei MRSA-Infektionen ist eine zunehmende Re-
als intravenöse Infusion 3-mal täglich, Ertape-
sistenzentwicklung zu beobachten, z. B. bei En-
nem kann aufgrund der längeren Halbwertszeit
terokokken (VRE, Vancomycin resistenten En-
1-mal täglich verabreicht werden.
terokokken) und Staphylococcus aureus (VISA,
Die Nebenwirkungen entsprechen denen der
vancomycin intermediate sensitive S. aureus).
anderen Betalactam-Antibiotika. Eine Kreuzal-
lergie zu Penicillinen ist selten. Eine dosisabhän- Wirkungsmechanismus. Glykopeptide hem-
gige epileptogene Wirkung tritt am häufigsten men die Mureinsynthese dadurch, dass sie Was-
bei Imipenem auf. Wie bei Penicillinen vermin- serstoffbrückenbindungen zu dem endständi-
30.1 Antibiotika 459

gen d-Alanyl-d-Alanin der Mureinvorstufe aus- ႒ Tab. 30.6 Glykopeptide


bilden. Durch sterische Hinderung aufgrund
INN (HWZ) Tagesdosis in Einzeldosen
der Größe der gebundenen Glykopeptid-Mole-
küle können die Transglykosylase und Trans- Vancomycin 2 g in 2–3 ED i. v.,
peptidase ihre Zielstrukturen nicht mehr errei- (6 h) 500 mg–2 g in 4 ED p. o.1
chen, sodass die Elongation der Peptidoglykan-
Teicoplanin 0,8–1,6 g in 2 ED i. m., i. v.,
ketten und ihre Quervernetzung verhindert
(150 h) 200–400 mg in 2 ED p. o.1
werden. Telavancin stört zusätzlich die bakteri-
elle Membranfunktion durch Depolarisation. Telavancin 10 mg/kg i. v. 1 × tgl.
(8 h)
Resistenzmechanismen. Hochgradige Resis-
tenz von Enterokokken (insbesondere E. faeci- 1 Lokale Wirkung im Darm

um) gegen Vancomycin entsteht durch Verände-


rung der Zielstruktur. Über eine modifizierte
Bei Niereninsuffizienz ist eine Dosisanpassung
Biosynthese wird das endständige d-Alanin der
erforderlich.
Mureinvorstufe durch d-Lactat ersetzt. Diesem
fehlt im Vergleich zu d-Alanin ein Wasserstoff- Nebenwirkungen. Besonders schwerwiegend
atom zur Ausbildung einer Wasserstoffbrücken- ist die (konzentrationsabhängige) Ototoxizität
bindung mit den Glykopeptiden, wodurch das (am Hör- und Gleichgewichtsorgan), vor allem
Bindungsvermögen von Vancomycin sehr stark bei längerfristiger Anwendung oder einge-
sinkt. Bei Staphylokokken beruht die Resistenz schränkter Nierenfunktion. Auch Nierenschädi-
auf der Überproduktion von Murein-Vorstufen, gungen treten dosisabhängig auf. Weitere Be-
an die die Glykopeptide gebunden werden. Zwi- gleiterscheinungen sind allergische Hautreak-
schen den Glykopeptiden besteht partielle Paral- tionen („Red-man-Syndrom“) und Entzündun-
lelresistenz. gen am Injektionsort. Telavancin kann
außerdem in seltenen Fällen zu einer Verlänge-
Kinetik. Bei oraler Applikation werden Glyko-
rung der QT-Zeit führen.
peptide nicht resorbiert. Sie müssen für eine sys-
temische Therapie parenteral gegeben werden. Interaktionen. Die Kombination von Glyko-
Die Gewebepenetration ist gut, die Liquorgän- peptiden mit potenziell oto- oder nephroto- 30
gigkeit jedoch gering. Die Elimination erfolgt xischen Pharmaka (z. B. Aminoglykosiden,
überwiegend renal in unveränderter Form Schleifendiuretika, Ciclosporin und Cisplatin)
(Halbwertszeiten ႒ Tab. 30.6). erhöht die Gefahr von Hör- und Gleichge-
wichtsstörungen.
Indikationen und Dosierung. Glykopeptide
sind bei schweren Staphylokokken- und Entero- Kontraindikationen. Bei akutem Nierenversa-
kokken-Infektionen indiziert, bei denen risiko- gen, Schwerhörigkeit sowie in der Schwanger-
ärmere Antibiotika nicht gegeben werden kön- schaft sind Glykopeptide kontraindiziert.
nen. Telavancin ist bislang ausschließlich zur
Die halbsynthetischen lipophilen Glykopeptide
Therapie der nosokomialen Pneumonie durch
Dalbavancin (Xydalba™) und Oritavancin (Or-
MRSA zugelassen.
bactiv™) wurden vor Kurzem von der EMA bei
Vancomycin und Teicoplanin werden ferner zur bakteriellen Haut- und Weichgewebeinfektio-
Behandlung der pseudomembranösen Kolitis nen zugelassen, sind allerdings noch nicht auf
durch Clostridium difficile (CDAD) oral einge- dem Markt.
setzt. Die Wirkung erfolgt lokal im Darm. Die
Behandlungsdauer beträgt 7–10 Tage. Die Ta-
gesdosen sind in ႒ Tab. 30.6 zusammengefasst.
460 30 Antiinfektiva

30.1.2.3 Sonstige in die Zellwandsynthese Lokalantibiotikums sind Infektionen der Haut


eingreifende Antibiotika und Schleimhaut. In Kombination mit Neomy-
Fosfomycin (1,2-Epoxypropyl-Phosphonsäure) cin ist Bacitracin als Augen-, Ohren- und Na-
ist ein bakterizid wirkendes Antibiotikum. Sein sensalbe im Handel (Polyspectran®).
Wirkungsspektrum umfasst Staphylokokken,
Streptokokken und einige gramnegative Keime 30.1.3 Antibakterielle Hemmstoffe
(z. B. E. coli) und schließt auch MRSA, VRE und der ribosomalen
ESBL-Bildner ein. Proteinsynthese
Fosfomycin hemmt den ersten Schritt der Folgende Antibiotika greifen in die bakterielle
Peptidoglykansynthese. Es ist strukturverwandt Proteinsynthese ein (Ⴜ Abb. 30.2):
mit Phosphoenolpyruvat und bindet irreversibel
󠀂 Aminoglykoside,
an das aktive Zentrum des Enzyms, das die Syn-
󠀂 Tetracycline,
these von N-Acetylmuraminsäure aus UDP-N-
󠀂 Makrolide, Lincosamide und Streptogramine
Acetylglucosamin und Phosphoenolpyruvat ka-
(MLS-Antibiotika),
talysiert (s. o.). Eine Resistenzentwicklung kann
󠀂 Oxazolidinone,
durch Veränderung des Transportsystems, über
󠀂 Chloramphenicol,
das Fosfomycin in die Bakterienzelle gelangt,
󠀂 Fusidinsäure, Retapamulin und Mupirocin
oder durch die Bildung eines spezifischen Prote-
(Lokalantibiotika).
ins, das die Metabolisierung von Fosfomycin be-
wirkt, erfolgen.
Fosfomycin besitzt eine gute Gewebepenetra- 30.1.3.1 Aminoglykoside
tion (z. B. auch in Knochen). Seine Halbwerts- Bei den Aminoglykosiden handelt es sich um
zeit beträgt etwa 2 Stunden. Die Ausscheidung Substanzen mit tri- oder tetrasaccharidartiger
erfolgt fast ausschließlich in unveränderter Struktur. Aminoglykoside, die systemisch ein-
Form renal. Bei Niereninsuffizienz ist deshalb gesetzt werden, sind
eine Dosisanpassung erforderlich.
󠀂 Amikacin (z. B. Amikacin Fresenius),
Die orale Formulierung (Fosfomycin-Tro-
󠀂 Gentamicin (z. B. Refobacin®),
metamol, Monuril®) ist zurzeit Mittel der Wahl
󠀂 Tobramycin (z. B. Gernebcin®) und
bei akuten, unkomplizierten Harnwegsinfektio-
󠀂 Streptomycin (STREPTO-Fatol).
nen bei Frauen (3 g als Einmaltherapie). In par-
enteraler Zubereitung (6–16 g/Tag) dient Fos- Kanamycin (z. B. Kanamytrex®), Neomycin (z. B.
fomycin (Infectofos®) als Reserveantibiotikum, Myacyne®-Salbe) und Paromomycin (Huma-
z. B. bei Staphylokokken-Osteomyelitis. Außer- tin®) werden ausschließlich lokal angewendet.
dem ist es ein geeigneter Partner in antimikrobi-
Wirkungsspektrum. Mit Ausnahme von Strep-
ellen Kombinationstherapien z. B. mit Merope-
tomycin besitzen Aminoglykoside ein breites
nem oder Levofloxacin zur Behandlung von
Wirkungsspektrum. Klinisch relevant ist ihre
Pseudomonas-Infektionen.
Wirkung gegen Enterobakterien, Staphylokok-
Als Nebenwirkungen werden gastrointesti-
ken und bei Amikacin und Tobramycin zusätz-
nale Beschwerden, Kopfschmerzen, Erhöhung
lich gegen Pseudomonaden. Streptokokken, An-
von Leberenzymen sowie allergische Reaktio-
aerobier und Haemophilus-Arten sind meist
nen, nach i. v. Gabe häufig Phlebitiden beobach-
unempfindlich. Innerhalb der Gruppe besteht
tet.
partielle Parallelresistenz.
Bacitracin ist ein Polypeptid-Komplex, der
die Zellwandsynthese dadurch hemmt, dass er Der Wirkungstyp der Aminoglykoside ist kon-
die Reaktivierung des Lipidcarriers verhindert. zentrationsabhängig bakterizid (Ⴉ Kap. 30.1.1.).
Sein Wirkungsspektrum gleicht dem von Peni- Sie haben außerdem einen ausgeprägten post-
cillin (Ⴉ Kap. 30.1.2.1). Hauptindikationen des antibiotischen Effekt. Dieser bezeichnet eine
30.1 Antibiotika 461

1 4
1 2 3 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4
tRNA

50S

mRNA 30S

Ausbildung des Zutritt der Aminoacyl- Anlagerung der Transpeptidierung: Translokation:


Initiations- tRNA zur Akzeptor- zum mRNA-Trip- Anknüpfung Verlagerung der
komplexes seite des Ribosoms let passenden der neuen Amino- die Aminosäuren-
tRNA an die säure (4) an die kette tragenden
Bindungsstelle bestehende Kette tRNA zur Donorseite

Linezolid AG, TC AG CA Makro, Linco

Ⴜ Abb. 30.2 Eingriff der Antibiotika in die Proteinsynthese. AG Aminoglykoside, TC Tetracycline, CA Chlor-
amphenicol, Makro Makrolide, Linco Lincosamide, 1–4 Aminosäuren

verminderte Vermehrung von Bakterien auch Nach i. m. Injektion werden sie dagegen rasch
mehrere Stunden nach Unterschreiten der mini- resorbiert. Die Halbwertszeiten betragen ca. 2
malen Hemmkonzentration (MHK). Da die hy- Stunden, die Ausscheidung erfolgt vorwiegend
drophilen Substanzen praktisch nicht in Kör- renal durch glomeruläre Filtration. Bei Nieren-
perzellen – mit Ausnahme der Haarzellen des insuffizienz ist wegen der geringen therapeuti-
Innenohrs und der proximalen Tubuluszellen schen Breite eine Dosisanpassung und ggf. ein
der Nieren (s. u.) – eindringen können, sind sie Therapeutisches Drugmonitoring erforderlich. 30
ausschließlich gegen extrazelluläre Keime wirk-
Indikationen. Streptomycin ist heute nur noch
sam.
als Antituberkulotikum von Bedeutung (Ⴉ Kap.
Wirkungsmechanismus, Resistenzmechanismen. 30.2.1). Gentamicin ist in Kombination mit ei-
Sowohl der Initiationsprozess der Proteinsyn- nem synergistisch wirkenden Betalactam-Anti-
these als auch die Elongation der Peptidketten biotikum (z. B. Piperacillin) bei schweren Infek-
werden gehemmt (Ⴜ Abb. 30.2). Außerdem wer- tionen (z. B. Sepsis) vor allem durch gramnegati-
den aufgrund von Lesefehlern falsche Amino- ve Problemkeime indiziert, wenn eine Behand-
säuren in die Peptidketten eingebaut. Defekte lung mit besser verträglichen Antibiotika nicht
Enzym- und Strukturproteine („Nonsense“- möglich ist. Eine Kombination mit Ampicillin
Proteine) lösen irreversible Membranschäden gilt als Standardtherapie bei Listerien-Meningi-
aus, die für die bakterizide Wirkung verantwort- tis. Außerdem steht Gentamicin zur Lokalthera-
lich sind. Eine Resistenzentwicklung, die unter pie von Augen- und Hautinfektionen (Sulmy-
der Therapie sehr rasch eintreten kann, beruht cin®), als implantierbare Kette (z. B. Septopal®)
meistens auf der Bildung inaktivierender Enzy- für infizierte Knochen und Weichteile zur Verfü-
me, z. B. von Acetyltransferasen. gung und kann bei der Implantation von künstli-
chen Gelenken dem Knochenzement beigefügt
Kinetik. Bei oraler Gabe sind Aminoglykoside
werden. Amikacin wird von Aminoglykosid-in-
wegen fehlender Resorption nur lokal wirksam.
462 30 Antiinfektiva

aktivierenden Enzymen weniger angegriffen greifen können und so bei der Translation Able-
und ist z. T. noch gegen Gentamicin-resistente sefehler verursachen, die ein Absterben der
Keime wirksam. Es wird vor allem bei Infektio- Haarzellen bewirken.
nen durch Pseudomonas aeruginosa, Serratia Während die Nierenschäden infolge der Re-
marcescens oder Proteus-Arten eingesetzt, die generationsfähigkeit des Tubulusepithels meist
auf Gentamicin nicht ansprechen. Auch Tobra- reversibel sind, werden die Gleichgewichts- (do-
mycin wirkt oft noch gegen Gentamicin-resis- minierend bei Gentamicin) bzw. Hörstörungen
tente Keime. Seine Hauptindikationen sind In- (vor allem bei Amikacin-Gabe) nach einer initi-
fektionen mit Pseudomonas aeruginosa. Es wird alen reversiblen Phase bei Fortsetzung der The-
dabei wie Gentamicin mit einem Pseudomonas- rapie irreversibel. Die Gefahr solcher Schäden
aktiven Betalactam-Antibiotikum kombiniert. steigt proportional zur Gesamtdosis und der
Für Mukoviszidose-Patienten ist zur Langzeitbe- Höhe der Plasmaspiegel am Ende des Dosie-
handlung chronischer Infektionen mit Pseudo- rungsintervalls.
monas aeruginosa eine Lösung zur Inhalation Aufgrund des postantibiotischen Effekts der
(mittels Vernebler, z. B. TOBI®) im Handel. Aminoglykoside ist eine 1-mal tägliche Gabe
Neomycin wird wegen seiner hohen Oto- der Gesamttagesdosis (anstelle von 3-mal täg-
und Nephrotoxizität ausschließlich lokal bei lich) möglich. Dadurch kann die Toxizität bei
Haut-, Schleimhaut- (u. a. Vaginalschleimhaut) Erhalt der antibakteriellen Wirkung verringert
sowie Augeninfektionen angewandt. Auch Ka- werden. Günstig ist außerdem eine Kurzzeitthe-
namycin wird nur lokal am Auge eingesetzt rapie von 3–5 Tagen. Dauert die Therapie länger
(Ⴉ Kap. 27.5). Paromomycin ist indiziert zur als 8 Tage oder wird der Patient innerhalb von 6
Darmdekontamination, z. B. bei hepatischer En- Wochen wiederholt behandelt, ist das Risiko für
zephalopathie (zum Abtöten von Ammoniak Oto- und Nephrotoxizität erhöht. Bei Neugebo-
bildenden Bakterien) oder präoperativ sowie bei renen, Patienten mit eingeschränkter Nieren-
Amöbenbefall des Darmlumens. Seine systemi- funktion und hochdosierter Therapie bei le-
sche Verfügbarkeit nach oraler Applikation bensbedrohlichen Infektionen wird eine Über-
(1–2 g) ist gering. wachung des Serumspiegels empfohlen.
Dosierungen. Bei normaler Nierenfunktion be- Interaktionen. Betalactam-Antibiotika wirken
trägt die Erhaltungsdosis von Gentamicin durch eine verbesserte Aufnahme von Amino-
3–6 mg/kg KG i. v. oder i. m. (Anfangsdosis 1,5– glykosiden in die Bakterienzelle synergistisch.
2 mg/kg KG). Amikacin wird in einer Tagesdosis Ototoxische Pharmaka, z. B. Schleifendiuretika,
von 15 mg/kg KG (max. 1,5 g/Tag) und Tobra- steigern die Gefahr einer Schädigung des Hör-
mycin von 3 mg/kg KG (bis max. 5 mg/kg KG) vermögens, nephrotoxische Substanzen, wie
jeweils als Infusion gegeben. Bei eingeschränk- z. B. Amphotericin B oder Cisplatin, verstärken
ter Nierenfunktion ist eine Dosisreduktion die Nephrotoxizität der Aminoglykoside. Ami-
zwingend erforderlich. noglykoside haben neuromuskulär-blockieren-
de Eigenschaften und verstärken die Wirkung
Nebenwirkungen. Im Vordergrund stehen die
stabilisierender Muskelrelaxanzien.
Ototoxizität (am Hör- und Gleichgewichtsor-
gan) sowie die Nephrotoxizität, bedingt durch Kontraindikationen. Bei fortgeschrittener Nie-
eine selektive Anreicherung der Aminoglykosi- reninsuffizienz, vorbestehender Innenohrschä-
de im Innenohr und in der Nierenrinde. Für die digung, in der Schwangerschaft sowie bei un-
ototoxische Wirkung gibt es eine genetische mittelbar vorausgegangener Aminoglykosid-
Prädisposition (z. B. A1555G-Mutation), bei der Behandlung dürfen Aminoglykoside nur bei le-
die ribosomale RNA humaner Mitochondrien bensbedrohlichen Infektionen eingesetzt
so verändert ist, dass Aminoglykosid-Antibioti- werden. Besondere Vorsicht ist außerdem gebo-
ka ähnlich wie bei bakteriellen Ribosomen an- ten bei Patienten mit neuromuskulären Erkran-
30.1 Antibiotika 463

kungen (Myasthenia gravis, M. Parkinson) oder ႒ Tab. 30.7 Tetracycline


gleichzeitiger Gabe von Muskelrelaxanzien.
INN (HWZ) Tagesdosis

30.1.3.2 Tetracycline Doxycyclin (16 h) 0,1–0,2 g p. o., i. v.


Tetracycline besitzen ein gemeinsames Grund-
Minocyclin (14–22 h) 0,1–0,2 g p. o.
gerüst aus vier anellierten Sechsringen und un-
terscheiden sich in ihrer chemischen Struktur Tetracyclin (8–9 h) 1–2 g p. o.
nur durch die Ringsubstituenten. Zu diesen ge-
hören Doxycyclin (Generika), Minocyclin (z. B. Tigecyclin (40 h) 0,1 g i. v.
Skid®), Tetracyclin (z. B. Tefilin®) und Tigecyc-
lin (Tygacil®). Letzteres ist ein partialsyntheti-
sches Derivat von Minocyclin, das aufgrund der gestört sein kann. Alternativ kann eine Tetracyc-
Substitution mit einem Glycylrest in die Unter- linresistenz auf einem aktiven Auswärtstrans-
gruppe der Glycylcycline eingeordnet wird. port (durch Tetracyclin-spezifische und Multi-
drug-Effluxpumpen) oder einer Strukturände-
Wirkungsspektrum. Tetracycline wirken bak-
rung der ribosomalen Bindungsstelle beruhen.
teriostatisch gegen grampositive Bakterien
Tigecyclin weist keine Affinität zu Tetracyc-
(Streptokokken inkl. Pneumokokken, Staphylo-
lin-spezifischen Effluxpumpen auf, daher sind
kokken inkl. MRSA) und zahlreiche gramnega-
solche Keime gegen Tigecyclin nicht resistent.
tive Bakterien (Neisserien, Yersinien, Fran-
Auch bei Mutationen der ribosomalen Bin-
cisella, Haemophilus, Brucellen, Bordetella per-
dungsstelle soll die Aktivität von Tigecyclin
tussis, Campylobacter jejuni) sowie Spirochäten
nicht abnehmen.
(Borrelien, Treponemen, Leptospiren). Klinisch
relevant ist insbesondere ihre Wirkung gegen Kinetik. Mit Ausnahme von Tigecyclin werden
intrazelluläre Keime (Legionellen, Listerien, die Tetracycline nach p. o. Gabe nahezu voll-
Mykoplasmen, Rickettsien und Chlamydien). ständig aus dem Darm resorbiert. Durch Kom-
Proteus- und Enterobacter-Arten, Serratien und plexbildung mit 2- oder 3-wertigen Kationen,
Pseudomonas aeruginosa sind weitgehend resis- z. B. Ca2+ (in Milch), kann die Resorption ver-
tent. Doxycyclin wirkt darüber hinaus gegen mindert sein. Die Gewebeverteilung ist ausge-
Plasmodium falciparum, Minocyclin gegen My- prägt. Im Knochen werden die Tetracycline als
30
kobakterien und Toxoplasmen. Tigecyclin be- Calcium-Komplexe gespeichert. Die relativ lan-
sitzt ein breites Wirkungsspektrum, das zusätz- gen und interindividuell schwankenden Halb-
lich multiresistente grampositive Erreger (z. B. wertszeiten werden u. a. durch einen enterohe-
VRE Ⴉ Kap. 30.1.7), sowie multiresistente gram- patischen Kreislauf verursacht (႒ Tab. 30.7). Bei
negative Bakterien (z. B. ESBL-bildende Entero- eingeschränkter Nierenfunktion verlängern sich
bacteriaceae) erfasst. Auch Anaerobier sind die Halbwertszeiten von Tetracyclin und Tige-
empfindlich. Resistent sind Pseudomonaden cyclin, bei Lebererkrankungen die von Minocyc-
und Proteus-Arten. lin und Tigecyclin.
Wirkungsmechanismus, Resistenzmechanismen. Indikationen, Dosierungen. Tetraycline werden
Tetracycline hemmen die Proteinsynthese, in- zur ambulanten Therapie von Atemwegsinfek-
dem sie die Verlängerung der Peptidkette ver- tionen, Infektionen im Urogenital- und Magen-
hindern. Für einen antimikrobiellen Effekt sind Darm-Trakt (z. B. Cholera), der Gallenwege und
ausreichend hohe Konzentrationen in den Bak- Haut (schwere Formen der Akne, Rosacea) so-
terien erforderlich. In gramnegative Bakterien wie bei Borreliose und seltenen Infektionen
gelangen Tetracycline durch Porine in der äuße- (z. B. Listeriose oder Pest) eingesetzt. Doxycyc-
ren Membran und aktiven Transport durch die lin ist das meistverordnete Tetracyclin. Bei Ly-
innere Membran, der bei resistenten Bakterien me-Borreliose und Q-Fieber-Pneumonie ist es
464 30 Antiinfektiva

Mittel der Wahl. Minocyclin dient hauptsäch- an die 50S-Untereinheit der bakteriellen Ribo-
lich zur Therapie schwerer Formen von Akne. somen binden.
Tigecyclin ist als Reserveantibiotikum zur Be- Die Resistenzentwicklung von Staphylokok-
handlung von komplizierten Haut- und Weich- ken und Streptokokken gegen alle MLS-Anti-
gewebeinfektionen sowie intraabdominellen In- biotika (MLSB-Resistenz) beruht auf der Methy-
fektionen zugelassen. Bei Superinfektionen ist lierung (Mono- oder Dimethylierung) einer
das nur bakteriostatisch wirkende Tigecyclin Adenin-Base im Bereich des Peptidyltransfe-
u. U. bakterizid wirkenden Antibiotika unterle- rase-Zentrums und führt dazu, dass die Affini-
gen und sollte daher nicht zur Monotherapie tät der Antibiotika zu ihrer Bindungsstelle sehr
verabreicht werden. Die üblichen Tagesdosen stark vermindert ist und daher die Proteinsyn-
sind in ႒ Tab. 30.7 angegeben. these nicht mehr gehemmt werden kann.
Nebenwirkungen. Wegen irreversibler Verän-
Makrolide und Analoga
derungen der Zähne – gelbliche Verfärbungen,
Makrolide sind komplex aufgebaute Antibiotika
Zahnschmelzhypoplasie – sollen Tetracycline
mit 14–16-gliedrigem Lactonring und glykosi-
während der Schwangerschaft sowie Kindern
disch gebundenen Zuckern. Auch die gleichar-
bis zum 8. Lebensjahr nicht gegeben werden.
tig wirkenden ringsubstituierten Azalide und
Sonneneinstrahlung ist wegen Photosensibili-
Ketolide werden – obgleich chemisch nicht kor-
sierung mit Erythem- und Ödembildung zu ver-
rekt – zu den Makroliden gezählt.
meiden. Leberschäden wurden nach Gabe ho-
Zu dieser Substanzgruppe gehören Clari-
her Dosen, insbesondere bei schwangeren Frau-
thromycin (z. B. Klacid®), Erythromycin (z. B.
en, beobachtet. Allergische Reaktionen sind sel-
InfectoMycin®), Roxithromycin (z. B. Romyk®)
ten. Doxycyclin kann zu lokalen Schädigungen
und Spiramycin (Rovamycine®), ferner das
z. B. Ulzerationen der Speiseröhre bzw. Venen-
Azalid Azithromycin (z. B. Zithromax®) und
reizung bei i. v. Gabe führen.
das Ketolid Telithromycin (Ketek®).
Interaktionen. Arznei- und Nahrungsmittel,
Wirkungsspektrum. Makrolide wirken (zeitab-
die mehrwertige Metallionen (z. B. Ca2+) sowie
hängig) vorwiegend bakteriostatisch auf aerobe
Colestyramin enthalten, vermindern die Re-
(z. B. Streptokokken) und anaerobe grampositi-
sorption der Tetracycline. Tetracycline verstär-
ve (Bacillus anthracis, Propionibakterien) sowie
ken die Wirkung von Cumarin-Derivaten und
einige gramnegative Keime (Bordetella, Haemo-
Sulfonylharnstoffen, und erhöhen die Toxizität
philus) und intrazelluläre Bakterien (Listerien,
von Methotrexat und Ciclosporin. Infolge einer
Mykoplasmen, Legionellen, Chlamydien). Dar-
Schädigung der Darmbakterien, die durch Kon-
über hinaus besitzen sie eine mäßige Wirkung
jugatspaltung zum enterohepatischen Kreislauf
gegen Toxoplasma gondii. Clarithromycin, Roxi-
weiblicher Sexualhormone wesentlich beitra-
thromycin, Azithromycin und Telithromycin
gen, kann die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva
wirken in höheren Konzentrationen oft auch
unsicher sein.
bakterizid.
Kontraindikationen. Bei schweren Leber- und
Wirkungsmechanismus, Resistenzmechanismen.
Nierenfunktionsstörungen sind Tetracycline
Makrolid-Antibiotika hemmen die Proteinsyn-
kontraindiziert.
these in der Elongationsphase durch Blockade
des ribosomalen Kanals, durch den das entste-
30.1.3.3 Antibiotika der Makrolid-Lincos- hende Peptid bei der Translokation hindurchtre-
amid-Streptogramin-Gruppe (MLS) ten muss (Ⴜ Abb. 30.2). Die an tRNA gebundene
Makrolide, Lincosamide und Streptogramine Peptidkette kann dadurch nicht mehr von der
hemmen die Proteinsynthese dadurch, dass sie Akzeptor- zur Donorposition gelangen. Neben
in der Nähe des Peptidyltransferase-Zentrums der MLSB-Resistenz durch Methylierung der ri-
30.1 Antibiotika 465

bosomalen RNA (s. o.) spielen bei grampositiven ႒ Tab. 30.8 Makrolide und Analoga
Kokken vor allem Effluxpumpen, die die Kon-
INN (HWZ) Tagesdosis
zentration des Antibiotikums im Bakterium ver-
ringern, eine wesentliche Rolle. Clarithromycin (5 h) 0,5–1 g p. o., 1 g i. v.
Bei Telithromycin sind Resistenzen durch
Erythromycin1 (1–2 h) 1,5–2 g p. o.,
einfache Methylierung der ribosomalen RNA
15–25 mg/kg i. v.
weniger wahrscheinlich, weil Ketolide durch
eine zweite Bindungsstelle eine erhöhte Affinität Roxithromycin (6–16 h) 0,3 g p. o.
zum Ribosom haben. Erst bei einer Dimethylie-
rung ist die Bindung nicht mehr möglich und es Spiramycin (3–4 h) 6–9 Mio. IE p. o.

droht der Wirkungsverlust. Azalide


Kinetik. Vorteilhaft bei allen Makroliden ist die
Azithromycin (48–96 h) 0,5–1 g p. o., 0,5 g i. v.
gute Gewebepenetration, auch in Makrophagen
werden sie angereichert. Lediglich die Liquor- Ketolide
gängigkeit ist gering. Makrolide unterliegen ei-
Telithromycin (2–3 h) 0,8 g p. o.
ner ausgeprägten Metabolisierung und werden
vorwiegend mit den Fäzes ausgeschieden (Halb- 1 Bei oraler Gabe in veresterter Form, da säurelabil
wertszeiten ႒ Tab. 30.8).
stoffwechsel und den Efflux-Transporter P-Gly-
Indikationen. Makrolide (mit Ausnahme von
koprotein (P-gp) hemmen. Gleichzeitig appli-
Spiramycin) sind bei Infektionen mit gramposi-
zierte Arzneistoffe, die Substrate für CYP3A4
tiven Erregern, vor allem bei Resistenz oder Al-
oder P-gp sind, erreichen dadurch höhere Plas-
lergie gegen Penicilline indiziert. Ferner dienen
maspiegel und verstärkte therapeutische sowie
sie zur Behandlung von Mycoplasma- und Legio-
unerwünschte Wirkungen. Daher ist z. B. die
nella-Pneumonien, urogenitalen Chlamydien-
gleichzeitige Gabe von Pimozid, Astemizol und
Infektionen und Infektionen der Haut (z. B. Im-
Terfenadin (→ QT-Zeit-Verlängerung), Ergot-
petigo, Erysipel, Akne). Mit Azithromycin ist
amin und Dihydroergotamin (→ Vasospasmus,
eine Einmalbehandlung der Chlamydien-Ure-
Ischämien in den Extremitäten) sowie von
thritis möglich. Clarithromycin ist außerdem
HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (insbeson-
30
Bestandteil der Tripletherapie zur Eradikation
dere Simvastatin, Lovastatin → Rhabdomyolyse)
von Helicobacter pylori (Ⴉ Kap. 25.1.2.7). Spira-
kontraindiziert. Eine sorgfältige Überwachung
mycin wird zur Monotherapie der Toxoplasmo-
der Patienten ist außerdem bei Gabe oraler An-
se (Ⴉ Kap. 30.5.3) bis zur 16. Schwangerschafts-
tidiabetika (Hypoglykämiegefahr!) und oraler
woche eingesetzt.
Antikoagulanzien (Verlängerung der Prothrom-
Dosierung. Die üblichen Tagesdosen sind in binzeit → Blutungen) notwendig.
႒ Tab. 30.8 angegeben. CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin, Carb-
amazepin, Johanniskraut) können die Plasma-
Nebenwirkungen. Gastrointestinale Störungen,
spiegel von Makroliden, insbesondere von Teli-
Transaminasenanstiege, Verlängerung der QT-
thromycin (um 80 %) so stark senken, dass ggf.
Zeit im EKG, Überempfindlichkeitsreaktionen
nur subtherapeutische Konzentrationen erreicht
sowie – nach Überdosierung – reversibler Hör-
werden. CYP-Inhibitoren (z. B. Itraconazol,
verlust können auftreten. Für Telithromycin
HIV-Proteaseinhibitoren) erhöhen dagegen die
sind zudem Sehstörungen beschrieben.
Makrolidplasmaspiegel (bidirektionale Interak-
Interaktionen. Makrolide und auch Telithro- tion).
mycin haben ein sehr hohes Interaktionspoten- Das Interaktionspotenzial ist bei Erythromy-
zial, da sie den CYP3A4-basierten Arzneimittel- cin und Clarithromycin am höchsten, am nied-
466 30 Antiinfektiva

rigsten ist es bei Azithromycin, das CYP3A4 Leberschädigungen. Gelegentlich treten neuro-
praktisch nicht hemmt. muskulär-blockierende Wirkungen auf (Vor-
Antazida reduzieren die orale Bioverfügbar- sicht bei M. Parkinson, Myasthenia gravis), der
keit von Makroliden. Effekt von Muskelrelaxanzien wird durch Clin-
damycin verstärkt.
Lincosamide
Aus der Gruppe der Lincosamide wird nur noch Streptogramine
Clindamycin (z. B. Sobelin®) therapeutisch ge- Die partialsynthetischen Derivate Dalfopristin
nutzt. Es ist mit anderen Antibiotika nicht struk- und Quinupristin sind im Kombinationspräpa-
turverwandt. rat Synercid® (USA) enthalten. Die allein nur
Clindamycin wirkt bakteriostatisch und zwar schwach aktiven Substanzen wirken zusammen
überwiegend im grampositiven Bereich (Sta- gegen eine Vielzahl grampositiver Erreger, u. a.
phylokokken, z. T. MRSA, Streptokokken). Von gegen Penicillin- bzw. Vancomycin-resistente
Bedeutung ist seine Wirkung auf zahlreiche An- Staphylokokken und Enterokokken (nur E. fae-
aerobier. Unwirksam ist es u. a. gegen Entero- cium!) und außerdem gegen Legionellen, Chla-
kokken, Listerien, E. coli, Haemophilus influen- mydien und Mykoplasmen. Sie sind als Reserve-
zae, Klebsiella, Pseudomonas aeruginosa und antibiotika bei potenziell lebensgefährlichen
Clostridium difficile. Infektionen mit multiresistenten Staphylo-
Clindamycin hemmt die Proteinbiosynthese kokken, Vancomycin-resistenten Enterokokken
durch Bindung an die 50S-Untereinheit der bak- und Pneumokokken indiziert, wenn andere An-
teriellen Ribosomen. Eine Resistenz gegen Clin- tibiotika nicht wirksam sind.
damycin beruht auf einer Veränderung der Ziel-
struktur (s. o.). 30.1.3.4 Oxazolidinone
Nach oraler Gabe wird Clindamycin gut re- Zu den Oxazolidinonen zählen Linezolid (ZY-
sorbiert. Es erreicht hohe Wirkstoffkonzen- VOXID®) und das Prodrug Tedizolidphosphat
trationen in vielen Geweben, insbesondere im (Sivextro®).
Knochen, ist aber nicht liquorgängig. Clindamy-
Wirkungsspektrum. Oxazolidinone wirken ins-
cin wird teilweise zu antibakteriell wirksamen
besondere gegen grampositive Bakterien, d. h.
Metaboliten metabolisiert. Die Halbwertszeit
gegen Streptokokken, Staphylokokken und En-
beträgt ca. 3 Stunden. Die Ausscheidung erfolgt
terokokken, einschließlich MRSA und VRE
renal und mit den Fäzes.
(Ⴉ Kap. 30.1.7). Auch Anaerobier werden erfasst.
Clindamycin ist u. a. bei Infektionen der
Knochen und Gelenke, des Becken- und Bauch- Wirkungsmechanismus, Resistenzmechanismen.
raums, der Haut (auch Acne vulgaris) und Oxazolidinone verhindern die Bildung des 70S-
Weichgewebe indiziert und stellt eine wichtige Initiationskomplexes (Ⴜ Abb. 30.2) durch Bin-
Alternative bei Penicillinallergie dar. Wegen sei- dung an die 23S-rRNA der 50S-Untereinheit.
ner guten Wirksamkeit gegen Anaerobier und Die antibiotische Wirkung ist zeitabhängig. Re-
seiner guten Knochengängigkeit ist es bedeut- sistenzen werden selten, bislang nur nach langen
sam bei der Behandlung von Infektionen im Therapiezyklen beobachtet. Sie beruhen auf ei-
Zahn-Kiefer-Mundbereich. Die übliche Dosie- ner Punktmutation der Zielstruktur. Oxazolidi-
rung beträgt 0,6–1,2 g (bis max. 1,8 g) täglich. none wirken auch gegen Bakterien, die gegen
Bei stark eingeschränkter Nieren- oder Leber- andere Antibiotikaklassen resistent sind, z. B.
funktion ist eine Dosisreduktion erforderlich. MRSA, VRE, Penicillin- und Erythromycin-re-
Gastrointestinale Störungen (Diarrhö, Übel- sistente Streptokokken.
keit) werden häufig beobachtet, lebensbedrohli-
Kinetik. Oxazolidinone sind oral verfügbar. Das
che, pseudomembranöse Kolitiden sind sehr
Prodrug Tedizolidphosphat wird durch Plasma-
selten. Selten kommt es zu Leukopenien und
30.1 Antibiotika 467

phosphatasen rasch in das mikrobiologisch akti- 30.1.3.5 Chloramphenicol


ve Tedizolid umgewandelt. Die Gewebepenetra- Chloramphenicol ist in Deutschland nur noch
tion der Oxazolidinone ist gut. Sie werden teil- als Augensalbe (Posifenicol® C 1 %) im Handel.
weise metabolisiert (CYP-unabhängig). Die Es hat ein breites Wirkungsspektrum, das u. a.
Ausscheidung von Linezolid (Halbwertszeit 5–7 Anaerobier, Salmonellen, Rickettsien, Chlamy-
Stunden) und seiner Metaboliten erfolgt renal, dien und Mykoplasmen umfasst. Daher kann es
die von Tedizolid (Halbwertszeit ca. 12 Stunden) als Reserveantibiotikum (Tagesdosis 0,25 g p. o.
und seiner Metaboliten überwiegend über die für max. 14 Tage) dienen, falls besser verträgli-
Fäzes. che Antibiotika nicht gegeben werden können.
Chloramphenicol hemmt die Proteinsynthese
Indikationen und Dosierungen. Linezolid ist
durch Bindung an das Peptidyltransferase-Zen-
zur Behandlung von nosokomialen und ambu-
trum (Ⴜ Abb. 30.2). Der Wirkungstyp ist bakte-
lant erworbenen Pneumonien sowie zur Thera-
riostatisch. Plasmidkodierte Chloramphenicol-
pie von Haut- und Weichteilinfektionen mit
Resistenz beruht auf der Induktion von Acetyl-
grampositiven Bakterien indiziert. Die Dosis
transferasen, die zur Veresterung der Hydro-
beträgt 2-mal täglich 600 mg (p. o., i. v.) über
xylgruppen von Chloramphenicol führen.
maximal 28 Tage. Anwendungsgebiete von Tedi-
Chloramphenicol ist gut gewebegängig, es pene-
zolid sind akute bakterielle Haut- und Weichge-
triert u. a. die Kornea des Auges. Sogar bei topi-
webeinfektionen in einer Dosierung von 200 mg
scher Applikation können, wenn auch sehr sel-
(p. o., i. v.) 1-mal täglich über 6 Tage.
ten, schwere Knochenmarksschädigungen (irre-
Nebenwirkungen. Schlaflosigkeit, Kopfschmer- versible Panzytopenie, aplastische Anämie, Leu-
zen, Geschmacksstörungen, Hypertonie (vor al- kozytopenie, Thrombozytopenie) auftreten. Bei
lem bei Linezolid-Gabe) und Hautausschläge einer Schädigung des Knochenmarks, bei
sowie Krampfanfälle treten gelegentlich bis häu- schweren Lebererkrankungen und bei Kindern
fig auf. Außerdem liegen Berichte über Myelo- unter 3 Jahren (Gefahr eines sog. Grey-Syn-
suppression (z. B. Thrombozytopenie) vor. Bei droms) ist Chloramphenicol kontraindiziert.
längerer Anwendung besteht das Risiko einer
peripheren und optischen Neuropathie (evtl. 30.1.3.6 Fusidinsäure
mit Verlust des Sehvermögens) sowie einer Fusidinsäure (z. B. Fucidine®) ist ein Steroidan- 30
Lactatazidose. tibiotikum, das gegen eine Reihe von gramposi-
tiven und gramnegativen Bakterien, einschließ-
Interaktionen. Oxazolidinone hemmen rever-
lich Penicillinase-Bildnern und MRSA wirkt.
sibel die Monoaminoxidasen (Linezolid > Tedi-
Gegen gramnegative Stäbchen (z. B. Enterobac-
zolid), die u. a. Serotonin abbauen. Bei gleichzei-
teriaceae, Pseudomonas aeruginosa u. a.) ist Fu-
tiger Gabe von Substanzen, die die Serotonin-
sidinsäure unwirksam.
konzentration erhöhen (z. B. SSRI, Tramadol)
Die Wirkung beruht auf der Hemmung der
kann ein sog. Serotoninsyndrom auftreten.
Proteinbiosynthese in der Elongationsphase.
Auch Tyramin (ein indirektes Sympathomime-
Der Wirkungstyp ist bakteriostatisch. Parallelre-
tikum) wird von Monoaminoxidasen abgebaut.
sistenz zu anderen Antibiotika besteht nicht.
Übermäßige Mengen tyraminreicher Nah-
Derzeit sind in Deutschland nur topische Arz-
rungsmittel (z. B. Käse, Rotwein, Schokolade)
neiformen mit Fusidinsäure zur lokalen Be-
sind vor allem bei Linezolid-Therapie zu mei-
handlung von infektiven Hauterkrankungen
den. Tedizolid (aber nicht Linezolid) ist außer-
(z. B. durch Staphylokokken) und von Infektio-
dem ein Enzyminduktor (CYP3A4, CYP2B6,
nen der Bindehaut im Handel. Fusidinsäure pe-
CYP2C9, P-gp) und ein BCRP- und OATP1B1-
netriert ähnlich wie Glucocorticoide in die Haut
Inhibitor, sodass bei entsprechenden Substraten
und kann in Abhängigkeit vom Vehikel auch
mit Wechselwirkungen zu rechnen ist.
tiefer liegende Infektionsbereiche erreichen. In
468 30 Antiinfektiva

Kombination mit anderen Antibiotika ist Fusi- nen der 1 %igen Salbe sind Impetigo, infizierte
dinsäure bei systemischer Gabe außerdem eine Hautverletzungen und Schürfwunden.
Option für die Behandlung von MRSA. Als Ne-
benwirkungen können gastrointestinale Be- 30.1.4 Antibiotika mit Wirkung auf
schwerden, in seltenen Fällen auch Leberfunkti- Nucleinsäuren
onsstörungen auftreten. Folgende Antibiotika wirken auf bakterielle
Nucleinsäuren:
30.1.3.7 Mupirocin
󠀂 Fluorchinolone,
Mupirocin wirkt in höheren Konzentrationen
󠀂 Sulfonamide und Diaminobenzylpyrimi-
bakterizid auf Staphylokokken, einschließlich
dine,
MRSA und Streptokokken. Es wird ausschließ-
󠀂 die Nitroverbindungen Metronidazol und
lich topisch appliziert. Als Wirkungsmechanis-
Nitrofurantoin sowie
mus wurde eine Blockade der Proteinsynthese
󠀂 das lokal wirksame Fidaxomicin.
durch kompetitive Hemmung der Isoleucin-
tRNA-Synthetase gefunden. Dadurch unter-
30.1.4.1 Fluorchinolone (Gyrasehemmer)
bleibt die Verknüpfung dieser Aminosäure mit
Fluorchinolone sind synthetische, niedermole-
der tRNA. Resistenzen sind selten. Kreuzresis-
kulare Substanzen mit einem Chinolin-Grund-
tenzen gegenüber anderen Antibiotika treten
gerüst. Sie greifen in die bakterielle DNA-Syn-
nicht auf. Von intakter Haut wird Mupirocin zu
these ein, indem sie die Topoisomerase II (Gyra-
weniger als 1 % resorbiert. Im Plasma wird der
se) – daher die Bezeichnung Gyrasehemmer –
Wirkstoff rasch hydrolysiert, die Spaltprodukte
und Topoisomerase IV hemmen.
sind nicht antibakteriell wirksam. Eine systemi-
In Deutschland sind derzeit Ciprofloxacin
sche Anwendung ist daher nicht möglich. Mupi-
(z. B. Ciprobay®), Enoxacin (Enoxor®), Lev-
rocin ist außer zur lokalen Behandlung von bak-
ofloxacin (z. B. Tavanic®), Moxifloxacin (z. B.
teriellen Hautinfektionen (InfectoPyoderm®)
Avalox®), Norfloxacin (z. B. Norflosal®) und
als Nasensalbe (Turixin®) zur Elimination von
Ofloxacin (z. B. Tarivid®) zur systemischen Ap-
Staphylokokken, einschließlich MRSA aus der
plikation im Handel. Nadifloxacin (Nadixa®)
Nasenschleimhaut (Anwendung 5–7 Tage), in-
steht zur topischen Anwendung zur Verfügung.
diziert. Eine nasale Eradikation kann die Häu-
figkeit postoperativer Wundinfektionen stark Wirkungsspektrum und Indikationen. Fluor-
reduzieren (um ca. 50 %). chinolone haben eine ausgeprägte konzen-
trationsabhängige Bakterizidie auf sich teilende
30.1.3.8 Retapamulin Erreger und einen postantibiotischen Effekt.
Retapamulin (Altargo® 1 % Salbe) wirkt bakte- Von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemo-
riostatisch gegen Staphylococcus aureus und therapie werden die systemisch anwendbaren
Streptococcus pyogenes. Der Wirkungsmechanis- Fluorchinolone gemäß ihres Wirkungsspek-
mus beruht auf der Hemmung der bakteriellen trums in vier Gruppen eingeteilt:
Proteinsynthese in der Elongationsphase über
󠀂 Gruppe 1: Norfloxacin wird peroral als
eine spezifische Bindungsstelle, die sich von der
Harnwegstherapeutikum eingesetzt. Sein Er-
anderer Antibiotika unterscheidet. Eine Wirk-
regerspektrum umfasst im Wesentlichen En-
ort-spezifische Kreuzresistenz mit anderen An-
terobacteriaceae.
tibiotika ist daher unwahrscheinlich. Resisten-
󠀂 Gruppe 2: Ciprofloxacin, Enoxacin und
zen wurden an klinischen Isolaten bislang nicht
Ofloxacin zeichnen sich durch eine stärkere
beobachtet. Die Resorption durch die Haut ist
Wirkung und ein breiteres Wirkungsspek-
gering. Resorbiertes Retapamulin wird in der
trum aus, das viele gramnegative Erreger
Leber durch CYP3A4 metabolisiert. Indikatio-
(Haemophilus- und Salmonella-Spezies), bei
30.1 Antibiotika 469

Ciprofloxacin zusätzlich Pseudomonaden


einschließt. Ciprofloxacin kann auch bei DNA- A B
schweren, systemischen Infektionen einge- Doppel-
helix Topoiso-
setzt werden, wegen der „Pneumokokkenlü- B A merase II
cke“ eignet es sich allerdings nicht zur empi-

Topoisomerase II
rischen Behandlung von Atemwegsinfektio- ATP
nen. Enoxacin und Ofloxacin haben heute
praktisch keine klinische Bedeutung mehr.
󠀂 Gruppe 3: Levofloxacin, das aktive Enantio-
mer von Ofloxacin, wirkt deutlich stärker als
das Racemat gegen grampositive Erreger
(z. B. Staphylokokken, Streptokokken, ein- +
A ADP + P B
schließlich Pneumokokken) sowie gegen
Chlamydien, Mykoplasmen und Legionellen.
Die Wirksamkeit gegen gramnegative Erreger Ⴜ Abb. 30.3 A Mechanismus der Superspiralisie-
rung der DNA durch die Topoisomerase II. Die A-
ist vergleichbar mit der von Ciprofloxacin. Untereinheiten der Topoisomerase (Zielstruktur der
Levofloxacin ist z. B. indiziert bei komplizier- Fluorchinolone) führen unter Energieverbrauch ei-
ten Harnwegsinfektionen. Bei Atemwegsin- nen Doppelstrangbruch der DNA durch, gefolgt von
fektionen und komplizierten Haut- und Ge- einer Konformationsänderung und dem Wieder-
webeinfektionen kann es eingesetzt werden, verschluss der DNA durch das Enzym. B Entstehung
wenn andere Antibiotika nicht wirken. eines verdrillten DNA-Strangs
󠀂 Gruppe 4: Moxifloxacin besitzt eine noch-
mals erhöhte Wirksamkeit gegen grampositi- durch Bildung eines stabilen, ternären Fluor-
ve und intrazelluläre Erreger und eine zusätz- chinolon-Topoisomerase-DNA-Komplexes. To-
liche Wirkung gegen grampositive und gram- poisomerasen sind Enzyme, die die räumliche
negative Anaerobier. Im gramnegativen Be- Anordnung der DNA regulieren und für den
reich ist seine Effektivität dagegen geringer ordnungsgemäßen Ablauf der Replikation, Re-
als die von Levofloxacin und Ciprofloxacin, kombination, Transkription und Reparatur der
gegen P. aeruginosa ist es nicht hinreichend bakteriellen DNA verantwortlich sind (Ⴜ Abb. 30
wirksam. Moxifloxacin ist u. a. indiziert bei 30.3).
ambulant erworbener Pneumonie und akuter
Infolge der andersartigen Struktur und Funkti-
bakterieller Sinusitis, wenn andere Antibioti-
onsweise der Topoisomerasen bei höheren Or-
ka nicht gegeben werden können oder bereits
ganismen ist die Wirkung der Fluorchinolone
versagt haben.
auf Bakterien beschränkt. Erst bei mindestens
Levofloxacin und Moxifloxacin werden außer- 100-fach höheren Konzentrationen wirken sie
dem bei multiresistenter Tuberkulose (MDR- auch auf die eukaryontischen Topoisomerasen.
TB) eingesetzt (Ⴉ Kap. 30.2.1.4). Nadifloxacin
Resistenz. Der häufigste Resistenzmechanis-
wird zur topischen Behandlung der Acne vulga-
mus gegen Fluorchinolone besteht in der Verän-
ris als 1 %ige Creme angewendet. Es hat ein brei-
derung der Zielstruktur. Durch chromosomale
tes antimikrobielles Spektrum, das u. a. Propio-
Mutation entstehen Topoisomerase-A-Unter-
nibacterium acnes und Staphylococcus epidermi-
einheiten mit geringerer Empfindlichkeit. Zu-
dis, aber auch MSSA und MRSA umfasst. Dane-
sätzlich ist meistens die Aufnahme des Antibio-
ben dienen einige Fluorchinolone zur
tikums in die Zelle durch eine reduzierte Anzahl
Lokalbehandlung von Augeninfektionen.
von Porinen vermindert bzw. der Efflux auf-
Wirkungsmechanismus. Fluorchinolone hem- grund der vermehrten Bildung von Effluxpum-
men die Topoisomerasen II (Gyrase) und IV pen erhöht. Außerdem kann eine enzymatische
470 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.9 Fluorchinolone Hemmkonzentration (MHK) von Bedeutung.


Auch die Substanzmenge (AUC0–24h) im Ver-
INN (HWZ) Tagesdosis
hältnis zur MHK gilt als relevanter Parameter
Gruppe 1 für den Therapieerfolg. Je größer die entspre-
chenden Quotienten sind, umso wirksamer ist
Norfloxacin (3–4 h) 0,8 g p. o.
das Fluorchinolon. Die üblichen Dosierungen
Gruppe 2 sind in ႒ Tab. 30.9 enthalten. Bei stärkeren Nie-
renfunktionsstörungen sollte (außer bei Moxi-
Ciprofloxacin (3–5 h) 0,5–1,5 g p. o.; floxacin) das Dosierungsintervall verlängert
0,8–1,2 g i. v. bzw. die Dosis reduziert werden.
Enoxacin (4–6 h) 0,4 g p. o. Nebenwirkungen. Am häufigsten treten gastro-
Ofloxacin (6–7 h) 0,2–0,4 g p. o.;
intestinale Beschwerden und ZNS-Reaktionen
0,1–0,4 g i. v.
(z. B. Kopfschmerzen, Schlaf- und Sehstörun-
gen, Benommenheit) auf. Auch Krampfanfälle
Gruppe 3 sind möglich. Das Reaktionsvermögen kann be-
einträchtigt sein. Die neurologischen Nebenwir-
Levofloxacin (6–8 h) 0,25–1 g p. o., i. v.
kungen werden wahrscheinlich durch eine In-
Gruppe 4 teraktion der Fluorchinolone mit GABA-Bin-
dungsstellen im ZNS verursacht. Alle Fluorchi-
Moxifloxacin (12 h) 0,4 g p. o., i. v.
nolone haben ein gewisses phototoxisches
Potenzial, sodass eine direkte Exposition mit
Sonnenlicht unterbleiben sollte. Sehnenentzün-
Inaktivierung mittels einer plasmidkodierten
dungen- und rupturen (z. B. der Achillessehne)
N-Acetyltransferase erfolgen. Besonders bei E.
können auftreten (selten), das Risiko wird durch
coli ist eine Zunahme der Resistenz zu verzeich-
die gleichzeitige Gabe von Glucocorticoiden er-
nen (bis zu 30 %), wobei Fluorchinolon-resis-
höht. Außerdem besteht das Risiko einer QT-
tente Stämme häufig multiresistent sind. Inner-
Zeit-Verlängerung mit der Gefahr schwerer Ar-
halb der Fluorchinolone besteht in der Regel
rhythmien, eines lebensbedrohlichen Leberver-
Parallelresistenz.
sagens sowie schwerwiegender Hautreaktionen
Kinetik, Dosierung. Fluorchinolone werden bei (z. B. Stevens-Johnson-Syndrom).
oraler Gabe gut (meist > 90 %) resorbiert (Aus-
Interaktionen. Die Resorption der Fluorchino-
nahme Norfloxacin). Sie verteilen sich extra-
lone kann aufgrund der Bildung von Chelat-
und intrazellulär und penetrieren gut in viele
komplexen mit mehrwertigen Kationen (z. B. in
Gewebe. Die Liquorgängigkeit ist nicht ausrei-
Magnesium- bzw. Aluminium-haltigen Antazi-
chend. Das Ausmaß der Metabolisierung ist re-
da, Eisenpräparaten) gestört sein. Ciprofloxacin
lativ niedrig, z. T. werden jedoch aktive Metabo-
ist ein moderater, Enoxacin ein stärkerer Inhibi-
liten gebildet. Die Ausscheidung von Levoflox-
tor von CYP1A2, sodass die Clearance von
acin und Ofloxacin erfolgt hauptsächlich renal,
CYP1A2-Substraten (z. B. Theophyllin) redu-
die von Enoxacin und Ciprofloxacin renal, he-
ziert wird. Die gleichzeitige Einnahme von Anti-
patisch und intestinal. Moxifloxacin wird in
arrhythmika oder Arzneistoffen, die das QT-In-
konjugierter Form biliär-fäkal ausgeschieden.
tervall verlängern können (z. B. H1-Antihista-
Die Halbwertszeiten sind in ႒ Tab. 30.9 zusam-
minika), erhöht das Risiko für Torsades de Poin-
mengefasst.
tes. Bei Patienten, die mit oralen Antidiabetika
Wegen der konzentrationsabhängigen bakterizi- oder Insulin behandelt werden, kann durch die
den Wirkung (Ⴉ Kap. 30.1.1) ist das Verhältnis gleichzeitige Einnahme von Fluorchinolonen
der maximalen Plasmaspiegel zur minimalen die Blutzuckerkonzentration verändert werden.
30.1 Antibiotika 471

Kontraindikationen. Wegen der Gefahr irrever- Kinetik. Sulfonamide werden bei oraler Gabe
sibler Schäden des Gelenkknorpels sollen Fluor- rasch und vollständig resorbiert. Durch N-Ace-
chinolone vorsichtshalber nicht bei Kindern tylierung oder Oxidation werden sie im Orga-
und Jugendlichen vor Abschluss der Wachstums- nismus teilweise metabolisiert, die Acetyl-Deri-
phase verordnet werden (Ausnahme Mukoviszi- vate sind schlechter löslich und stärker nephro-
dose-Patienten). Weitere Gegenanzeigen sind toxisch als die Ausgangssubstanzen. Die Aus-
Epilepsie und Sehnenerkrankungen im Zusam- scheidung erfolgt fast ausschließlich renal. Die
menhang mit einer früheren Fluorchinolon- Halbwertszeit von Sulfadiazin beträgt 8–17
Therapie sowie Schwangerschaft und Stillzeit. Stunden, die von Sulfamethoxazol etwa 10 Stun-
Vorsicht ist ferner bei Patienten mit Arrhythmi- den.
en und eingeschränkter Leberfunktion geboten.
Indikationen und Dosierung. Sulfadiazin (Ta-
gesdosis 2–4 g p. o.) ist zusammen mit Pyrimeth-
30.1.4.2 Folsäureantagonisten
amin (s. u.) zur Behandlung der Toxoplasmose
Sulfonamide
bei Erstinfektion während der Schwangerschaft
Sulfonamide (chemisch korrekt Sulfanilamide)
(nur im 2. und 3. Trimenon) sowie bei Reakti-
sind antibakteriell und antiparasitär wirkende
vierung latenter Infektionen bei Immunsuppri-
Antiinfektiva. Die fortgeschrittene Resistenz-
mierten (z. B. AIDS-Patienten) indiziert.
entwicklung und die erheblichen unerwünsch-
ten Wirkungen haben ihre therapeutische An- Nebenwirkungen. Relativ häufig kommen gas-
wendung stark eingeschränkt. Eingesetzt wer- trointestinale Beschwerden und allergische
den nur noch Sulfadiazin (Sulfadiazin-Heyl®) Reaktionen vor. Schwerwiegende, selten auftre-
und Sulfamethoxazol in Kombination mit Tri- tende Überempfindlichkeitsreaktionen sind
methoprim (s. u.). Stevens-Johnson- und Lyell-Syndrom, ferner
hämolytische Anämie und hämorrhagische
Wirkungsspektrum. Die inzwischen erfolgte
Diathese.
Resistenzentwicklung beschränkt das Wir-
kungsspektrum im Wesentlichen auf Strepto- Interaktionen. Sulfonamide verstärken die
kokken (einschließlich Pneumokokken), Akti- blutzuckersenkende Wirkung von Sulfonyl-
nomyzeten, Nocardien und Chlamydien. Außer harnstoffen und erhöhen die Toxizität von Me-
gegen Bakterien sind Sulfonamide auch gegen thotrexat durch Verdrängung aus der Eiweiß-
30
einige Protozoen (z. B. Toxoplasma gondii, Plas- bindung.
modien) sowie gegen den Pilz Pneumocystis jiro-
Kontraindikationen. Sulfonamide sind kontra-
veci wirksam.
indiziert bei schweren Leber- oder Nierenfunk-
Wirkungsmechanismus. Sulfonamide hemmen tionsstörungen, schweren Blutbildveränderun-
die Folsäuresynthese. Aufgrund ihrer struktu- gen, akuter Porphyrie, Glucose-6-phosphat-De-
rellen Verwandtschaft mit p-Aminobenzoesäu- hydrogenase-Mangel sowie bei Neugeborenen
re blockieren sie die Dihydropteroinsäuresyn- (Gefahr eines Kernikterus).
thetase kompetitiv und damit die Bildung der
Dihydrofolsäure, der Vorstufe der Tetrahy- Diaminobenzylpyrimidine
drofolsäure, die für die Synthese von Purinnuc- Vertreter der bakteriostatisch wirksamen Dia-
leotiden nötig ist. Dafür sind hohe Sulfonamid- minobenzylpyrimidine sind Trimethoprim (In-
Konzentrationen und folglich hohe Dosen er- fectotrimet®) und Pyrimethamin (Daraprim®).
forderlich. Der Wirkungstyp der Sulfonamide
Wirkungen. Das Wirkungsspektrum von Tri-
ist bakteriostatisch. Beim Menschen können
methoprim umfasst zahlreiche aerobe grampo-
Sulfonamide keinen Folsäuremangel hervorru-
sitive und gramnegative Bakterien, in höheren
fen, da Folsäure nicht synthetisiert, sondern als
Konzentrationen auch andere Mikroorganis-
Vitamin mit der Nahrung aufgenommen wird.
472 30 Antiinfektiva

men, z. B. Pneumocystis jiroveci. Allerdings be- Wirkungen. Durch die Blockade des Folsäure-
steht die Gefahr einer Resistenzentwicklung un- stoffwechsels an zwei verschiedenen Stellen –
ter der Therapie. Pyrimethamin ist gegen Toxo- Hemmung der Dihydrofolsäuresynthese durch
plasma gondii und Malaria-Plasmodien wirk- das Sulfonamid, Hemmung der Dihydrofolsäu-
sam. rereduktase durch Trimethoprim – kommt es zu
einem synergistischen Effekt. Die Wirksamkeit
Wirkungsmechanismus. Diaminobenzylpyrimi-
wird verstärkt, die Resistenzentwicklung verzö-
dine hemmen die Dihydrofolsäurereduktase
gert und das Wirkungsspektrum erweitert. In-
und damit die Bildung der Tetrahydrofolsäure,
folge des breiten Einsatzes in den vergangenen
der biologisch aktiven Form der Folsäure. Folg-
Jahren ist heute ein erheblicher Teil vormals ge-
lich ist die für die Zellteilung erforderliche Syn-
gen Co-trimoxazol sensibler Bakterien resistent.
these von Thymidin und Purinnucleosiden
Die Resistenzquoten bei E. coli liegen über 20 %,
nicht mehr möglich. Die Affinität zum bakteri-
weshalb eine empirische Therapie mit Co-trim-
ellen Enzym ist dabei um mehrere Zehnerpo-
oxazol nicht mehr möglich ist.
tenzen höher als zum entsprechenden Enzym
bei Säugern. Indikationen und Dosierungen. Co-trimoxazol
wird heute vor allem zur Therapie von Harn-
Kinetik. Bei oraler Gabe werden Trimethoprim
wegsinfektionen eingesetzt, sofern die Resis-
und Pyrimethamin gut resorbiert. Trimetho-
tenzsituation es zulässt (< 20 %). Die durch-
prim wird überwiegend unverändert renal aus-
schnittliche Dosis beträgt 1600 mg Sulfamethox-
geschieden. Seine Halbwertszeit beträgt ca. 10
azol und 320 mg Trimethoprim täglich. Außer-
Stunden. Pyrimethamin wird hauptsächlich in
dem ist es gegen MRSA wirksam und wird hier
der Leber metabolisiert und mit einer Halb-
in Kombination mit Rifampicin bei Haut- und
wertszeit von ca. 85 Stunden renal eliminiert.
Weichgewebeinfektionen angewendet. Zur Be-
Indikationen und Dosierungen. Eine Monothe- handlung der Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie
rapie mit Trimethoprim ist nur bei unkompli- bei Patienten mit Immundefekten ist Co-trim-
zierten Harnwegsinfekten möglich (Tagesdosis oxazol in 4-mal höherer Dosierung als bei den
0,3–0,4 g p. o.). Pyrimethamin (Tagesdosis 25– oben genannten Indikationen Mittel der Wahl
50 mg p. o.) wird in Kombination mit Sulfadi- (Ⴉ Kap. 30.3.8).
azin zur Behandlung der Toxoplasmose einge-
Nebenwirkungen. Schwere Nebenwirkungen
setzt. Dabei sollte zusätzlich Calciumfolinat
treten vor allem in hoher Dosierung auf,
bzw. Folsäure gegeben werden, um die Gefahr
z. B. Hautveränderungen, Fieber, Neutropenie,
einer Blutbildungsstörung im Knochenmark zu
Thrombozytopenie sowie ein Anstieg der Le-
reduzieren.
berenzyme.
Nebenwirkungen, Kontraindikationen. Bei län-
Kontraindikationen. Bei schweren Leber- und
gerer Anwendung können Blutbildveränderun-
Nierenparenchymschäden, Sulfonamid-Über-
gen auftreten. Bei Thrombo- und Granulozyto-
empfindlichkeit, bei Patienten mit allergischer
penie, megaloblastärer Anämie und während
Diathese und bei Früh- und Neugeborenen ist
der Schwangerschaft (teratogener Effekt bei Fol-
Co-trimoxazol kontraindiziert.
säuremangel) ist Trimethoprim kontraindiziert.

Co-trimoxazol 30.1.4.3 Nitroverbindungen


Trimethoprim hat vor allem als Co-trimoxazol Metronidazol
(z. B. Kepinol®) in fixer Kombination mit Sulfa- Metronidazol (z. B. Arilin®), ein Nitroimidazol-
methoxazol Bedeutung erlangt. Derivat, interferiert mit dem Stoffwechsel von
Mikroorganismen, die in Körperregionen mit
30.1 Antibiotika 473

schlechter Sauerstoffversorgung vorkommen. Interaktionen. Die gleichzeitige Einnahme von


Sein Wirkungsspektrum umfasst obligat anae- Alkohol ist wegen der Hemmung der Aldehyd-
robe und mikroaerophile Bakterien (Bactero- oxidase kontraindiziert. Metronidazol hemmt
ides-, Clostridium-, Helicobacter- und Campy- die Elimination von Vitamin-K-Antagonisten,
lobacter-Arten) und Protozoen (Entamoeba Phenytoin, 5-Fluorouracil und Lithiumionen
histolytica, Trichomonas vaginalis und Giardia und verstärkt damit ihre Wirkung. Phenytoin
lamblia). Metronidazol hat eine konzen- und Phenobarbital beschleunigen, Cimetidin
trationsabhängige bakterizide Wirkung. verzögert die Elimination von Metronidazol.
Wirkungsmechanismus. Durch Nitroradikal- Kontraindikationen. In der Schwangerschaft ist
anionen werden DNA-Addukte gebildet, die zu Metronidazol kontraindiziert.
Strangbrüchen führen. Dies erklärt auch die
mutagenen Effekte von Metronidazol (z. B. posi-
Nitrofurane
tiver Ames-Test, Kanzerogenität im Tierver-
Nitrofurantoin (z. B. Nifurantin®) ist Mittel der
such). Da Sauerstoff eine Aktivierung der Sub-
1. Wahl zur Therapie der akuten unkomplizier-
stanz zu Nitroradikalanionen hemmt, sind
ten Zystitis der Frau (100 mg 2–3-mal täglich für
menschliche Zellen sowie aerobe und fakultativ
5–7 Tage). Es wird von bakteriellen Nitroreduk-
anaerobe Bakterien deutlich weniger empfind-
tasen zur aktiven Verbindung reduziert, die u. a.
lich als Anaerobier. Eine Resistenzentwicklung
nach Adduktbildung mit der DNA zu Strang-
unter der Therapie ist klinisch nicht relevant.
brüchen führt und zahlreiche Stoffwechselakti-
Kinetik. Metronidazol wird überwiegend in der vitäten der Bakterien durch Elektronenentzug
Leber oxidiert und glucuronidiert, die Hydroxy- hemmt. Die Ausscheidung erfolgt renal mit ei-
methylverbindung ist ebenfalls antibakteriell ner Halbwertszeit von 20–90 min. Das Neben-
wirksam. Die Metaboliten werden mit dem Urin wirkungsspektrum ist vor allem bei längerer
ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt 6–10 Anwendung erheblich und umfasst z. B. akute
Stunden, Lebererkrankungen führen zu einer und chronische Lungenreaktionen, Leberschä-
verzögerten Elimination (→ Dosisreduktion). den, Polyneuropathien und schwere Hautreak-
tionen. Bei Vorliegen eines Glucose-6-Phos-
Indikationen. Metronidazol ist indiziert zur
Behandlung von Anaerobierinfektionen z. B.
phat-Dehydrogenase-Mangels sind hämolyti- 30
sche Reaktionen möglich.
bei pseudomembranöser Kolitis durch Clostridi-
Nitrofurazon (Nitrofural, FURACIN®) ist
um difficile (als Alternative zu Vancomycin), fer-
ein Lokaltherapeutikum, das wegen seiner
ner zur Helicobacter-pylori-Eradikation (in
schweren Nebenwirkungen (u. a. Kontaktek-
Kombination mit Clarithromycin und PPI,
zem) nur ausnahmsweise und kurz bei schweren
Ⴉ Kap. 25.1.2.7), bei Protozoenerkrankungen
Haut- und Wundinfektionen angewendet wer-
(z. B. Amöbiasis, Trichomoniasis Ⴉ Kap. 30.5.2),
den sollte.
sowie zur perioperativen Prophylaxe bei großen
gynäkologischen und Dickdarm-Operationen.
Nitroxolin
Dosierung. Die mittleren Tagesdosen bei Anae- Das synthetische Hydroxychinolin-Derivat Ni-
robierinfektionen betragen 0,5–2 g, die Behand- troxolin (z. B. Nilox®), das als Chelatbildner für
lungsdauer soll 10 Tage nicht überschreiten. zweiwertige Kationen durch Hemmung be-
stimmter Enzyme (z. B. der RNA-Polymerase)
Nebenwirkungen. Dosisabhängig treten gastro-
bakterizid und antimykotisch (z. B. gegen Can-
intestinale Störungen und eine metallische Ge-
dida-Spezies) wirkt, ist ein Harnwegstherapeuti-
schmacksempfindung sowie Kopfschmerzen,
kum. Die Dosierung beträgt 150–250 mg 3-mal
Schwindel, Parästhesien, Exantheme, selten
täglich über 7–10 Tage. Die Resistenzquote ist
auch eine reversible Leukopenie auf.
niedrig. Als Nebenwirkungen werden häufig
474 30 Antiinfektiva

Magen-Darm-Beschwerden, gelegentlich aller- Vancomycin-intermediär-empfindlicher Sta-


gische Hauterscheinungen und selten Blutbild- phylococcus-aureus-Stämme (MRSA, VRSA,
veränderungen sowie (reversible) Gelbfärbung VISA), ferner gegen Vancomycin-resistente En-
der Haut beobachtet. Bei Leber- und Nierenin- terokokken (VRE) und grampositive Anaerobi-
suffizienz ist Nitroxolin kontraindiziert. er (u. a. Clostridium difficile). Gramnegative
Bakterien sind dagegen unempfindlich, da
30.1.4.4 Fidaxomicin Daptomycin deren äußere Membran nicht
Fidaxomicin (DIFICLIRTM) ist ein lokal wirksa- durchdringen kann.
mes Antibiotikum, das eine hohe strukturelle
Wirkungsmechanismus. Aufgrund seiner Struk-
Ähnlichkeit zu den Makrolid-Antibiotika auf-
tur (hydrophiler Ring, lipophile Seitenkette)
weist und als erster Vertreter der neuen Klasse
kann sich Daptomycin in Anwesenheit von Cal-
der Makrozykline gilt. Es wurde speziell zur
ciumionen in die Zellmembran der Bakterien
Behandlung von Clostridium-difficile-Infektio-
inserieren. Mehrere Daptomycin-Moleküle oli-
nen (Clostridium-difficile-assoziierter Diarrhö,
gomerisieren anschließend zu Membranporen,
CDAD) entwickelt und hat ein enges Wirkungs-
aus denen Kaliumionen ausströmen, wodurch
spektrum, gramnegative Erreger sind nicht
das Membranpotenzial zusammenbricht und
empfindlich. Dadurch ist die Störung der nor-
zum Zelltod führt. Die bakterizide Wirkung er-
malen Darmflora gering. Fidaxomicin wirkt
folgt schnell und ist konzentrationsabhängig.
bakterizid durch Hemmung der RNA-Polyme-
Sie betrifft auch ruhende Bakterien und Bakte-
rase und damit der RNA-Synthese. Resistenzen
rien in Biofilmen, die für Antibiotika oft nur
und Kreuzresistenzen mit anderen Antibiotika
schwer zugänglich sind. Daptomycin hat einen
sind nicht bekannt. Die systemische Resorption
postantibiotischen Effekt, Resistenzen sind
nach oraler Gabe ist gering, die lokalen Wirk-
selten.
spiegel sind dadurch hoch. Die Dosierung be-
trägt 200 mg 2-mal täglich über 10 Tage. Gastro- Kinetik. Oral wird Daptomycin nicht resorbiert.
intestinale Nebenwirkungen werden häufig be- Nach intravenöser Applikation verteilt es sich
obachtet. Fidaxomicin ist ein Substrat und mo- hauptsächlich extrazellulär. Die Blut-Hirn- und
derater Inhibitor von P-gp. Die gleichzeitige Plazentaschranke werden nicht penetriert. Die
Gabe von starken P-gp-Inhibitoren (z. B. Ciclo- Substanz wird überwiegend renal ausgeschieden
sporin, Erythromycin) sollte vorsichtshalber (zu etwa 50 % unverändert), die Halbwertszeit
vermieden werden. beträgt 8–9 Stunden.
Indikationen. Daptomycin ist zur Behandlung
30.1.5 An der Zellmembran
komplizierter Haut- und Weichteilinfektionen
angreifende Antibiotika
sowie zur Behandlung einer von Staphylococcus
Antibiotika, die an der Zellmembran angreifen,
aureus hervorgerufenen Bakteriämie oder En-
sind Daptomycin und die Polypeptide Polymy-
dokarditis zugelassen. Bei Pneumonie ist Dapto-
xin B, Colistin und Tyrothricin.
mycin nicht wirksam, da es durch den Surfac-
tant-Faktor in der Lunge inaktiviert wird.
30.1.5.1 Daptomycin
Daptomycin (Cubicin®) ist der erste Vertreter Dosierung. Die Dosis beträgt je nach Indikation
der neuen Klasse der cyclischen Lipopeptide. 4 bzw. 6 mg/kg KG i. v. (30-minütige Infusion)
Die Substanz ist strukturell den Polypeptiden alle 24 Stunden. Bei schwerer Niereninsuffizienz
(z. B. Colistin, s. u.) ähnlich. muss die Dosis angepasst werden.
Wirkungsspektrum. Daptomycin wirkt gegen Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen wer-
zahlreiche grampositive Keime einschließlich den häufig Gliederschmerzen und erhöhte Se-
Methicillin- und Vancomycin-resistenter sowie rum-Kreatinphosphokinase(CPK)-Werte, gele-
30.1 Antibiotika 475

gentlich Muskelschmerzen und Muskelschwä- (z. B. auf Verbrennungsintensivstationen) syste-


che beobachtet. Da auch Fälle von Rhabdomyo- misch (i. v. Applikation) zum Einsatz.
lyse beschrieben sind, sollten die CPK-Werte
Tyrothricin. Dabei handelt es sich um ein Ge-
kontrolliert werden. Selten wurde von schwer-
misch aus Tyrocidinen und Gramicidinen, das
wiegenden eosinophilen Pneumonien (Husten,
hauptsächlich gegen grampositive Mikroorga-
Fieber, Dyspnoe) berichtet.
nismen wirksam ist. Wie die Polymyxine schä-
digt Tyrothricin die Zytoplasmamembran. Par-
30.1.5.2 Polypeptid-Antibiotika
allelresistenzen mit anderen Antibiotika sind
Zu den aus Bakterien isolierten cyclischen Poly-
nicht bekannt. Wegen seiner hämolytischen Ei-
peptid-Antibiotika mit Angriff an der Zellmem-
genschaften darf Tyrothricin nur lokal (Tyro-
bran gehören Polymyxin B, Colistin und Ty-
sur®, 0,1 %iges Gel bzw. Puder) angewandt wer-
rothricin.
den.
Polymyxin B und Colistin. Die chemisch nahe
verwandten basischen Cyclopolypeptide sind
30.1.6 Allgemeine Anwendungs-
ausschließlich gegen gramnegative Erreger, vor
kriterien für Antibiotika
allem gegen Haemophilus influenzae, Pseudomo-
Strenge Indikationsstellung. Die unkritische
nas aeruginosa und Enterobakterien (E. coli, Sal-
Anwendung von Antibiotika kann die Resistenz-
monellen, Shigellen) wirksam. Die Wirkung ist
entwicklung fördern, die Mund- und/oder
bakterizid und betrifft sowohl sich teilende als
Darmflora des Patienten schädigen und ver-
auch ruhende Erreger.
meidbare allergische oder toxische Nebenwir-
Als Wirkungsmechanismus wurde eine Schädi- kungen hervorrufen. Der Erfolg einer Antibioti-
gung der mikrobiellen Zytoplasmamembran katherapie ist grundsätzlich nach 3–4 Tagen zu
festgestellt, wobei die Polypeptide als kationi- überprüfen.
sche Detergenzien wirken. Als solche haben sie
Mikrobiologische Diagnostik. Insbesondere bei
eine hohe Affinität zu den Phosphatgruppen der
schweren Infektionen sollte eine Empfindlich-
Lipopolysaccharide in der äußeren Bakterien-
keitsprüfung (Antibiogramm) nach standardi-
membran. Die Resistenzhäufigkeit ist nicht be-
sierten Testverfahren vorgenommen werden. Je
kannt. Es besteht keine Kreuzresistenz zu ande-
nach Ergebnis wird der Erreger als sensibel, in-
30
ren Antibiotika.
termediär oder resistent gegen die getesteten
Ausgeprägte neuro- und nephrotoxische Ne-
Antibiotika eingestuft. Die MHK-Grenzwerte
benwirkungen beschränken den Einsatz der Po-
(Breakpoints) sind für jeden Erreger und jedes
lypeptide weitgehend auf die Lokaltherapie. Von
Antibiotikum festgelegt.
intakter Haut bzw. Schleimhaut werden sie
praktisch nicht resorbiert, allerdings erfolgt eine Auswahl von Wirkstoff- und Applikationsart.
deutliche Resorption aus Wunden. Die Auswahl der geeigneten Wirkstoffe erfolgt
Polymyxin wird als Kombinationspartner in gemäß Wirkungsspektrum des Antiinfektivums
Augenpräparaten (z. B. Isopto-Max®) eingesetzt, und erwartetem bzw. nachgewiesenem Erreger-
Colistin wird peroral zur Darm-Dekontamina- spektrum. Grundsätzlich sind bakterizide Anti-
tion (Diarönt®) und inhalativ bei Mukoviszido- biotika bakteriostatisch wirkenden überlegen.
se-Patienten verwendet. Aufgrund der zuneh- Weniger toxische Wirkstoffe (z. B. Betalactame,
menden Multiresistenzen von gramnegativen Makrolide) sind gegenüber solchen mit schwe-
Erregern (z. B. Pseudomonas aeruginosa, Acine- ren Nebenwirkungen (z. B. Oto-und Nephroto-
tobacter baumanni) gewinnt Colistin außerdem xizität bei Aminoglykosiden) zu bevorzugen.
als Reserveantibiotikum an Bedeutung und Substanzen mit einem geringen Interaktionspo-
kommt in Einzelfällen bei Schwerstkranken tenzial (z. B. Betalactame) sind insbesondere bei
476 30 Antiinfektiva

multimorbiden Patienten geeigneter als solche nahmen zur Vermeidung einer Resistenzent-
mit einem hohen Wechselwirkungsrisiko (z. B. wicklung sollen sowohl den Selektionsdruck
Makrolide). Auch pharmakokinetische Aspekte senken als auch die Übertragung von Erregern
sind zu berücksichtigen. Es muss sichergestellt verhindern:
sein, dass das vorgesehene Antibiotikum ausrei-
󠀂 Kalkulierte Initialtherapie (s. o.); nach Anti-
chende Konzentrationen in den zu behandeln-
biotika-Empfindlichkeitsprüfung (Antibio-
den Organen erreicht. Schwer erreichbare Kom-
gramm) frühzeitige Anpassung und Opti-
partimente sind z. B. Infektionsherde bei Abs-
mierung der Therapie (gezielte Behandlung).
zessen, Osteomyelitiden, Meningitiden und
󠀂 Adäquate (individuelle) Dosierung (zu nied-
nekrotisierende Infektionen. Bei ambulant be-
rige Dosierung kann Resistenzentwicklung
handelbaren Infektionen sind oral applizierbare
fördern) und angemessene Therapiedauer
Substanzen und zwar solche mit längerer Halb-
(unnötig lange Behandlungsdauer → unnötig
wertszeit (bessere Patientencompliance!) vorzu-
hoher Selektionsdruck).
ziehen. Günstig ist außerdem eine hohe orale
󠀂 Ausgewogener Einsatz unterschiedlicher An-
Bioverfügbarkeit (geringere Darmbelastung).
tibiotika oder Antibiotikagruppen im Kran-
Kalkulierte Initialtherapie. Initial ist bei lebens- kenhaus (Antibiotika-Diversität, „Mixing“),
bedrohlichen Infektionen eine sog. Interventi- Vermeidung einer Dominanz von Cephalo-
onstherapie unumgänglich, bei der Antibiotika sporinen der Gruppe 3, 4 und Fluorchinolo-
mit möglichst breitem Wirkungsspektrum, ggf. nen.
auch Kombinationen aufgrund des raschen 󠀂 Substanzwechsel bei vorausgegangener Anti-
Handlungsbedarfs ohne vorheriges Antibio- biotikatherapie in den letzten 3 Monaten.
gramm eingesetzt werden. Das erwartete Erre- 󠀂 Hygienische (Vorsichts-)Maßnahmen (z. B.
gerspektrum und die lokale Resistenzsituation Händedesinfektion, Entkeimung der Raum-
müssen berücksichtigt werden. Bei einer Kom- luft, Desinfektion der Fußböden etc.).
binationstherapie ist zu beachten, dass die Ein-
zelkomponenten in vollwirksamer Dosierung
30.1.7 Multiresistente Erreger (MRE)
gegeben werden, dass sie einen unterschiedli-
Häufig sind multiresistente Erreger die Ursache
chen Wirkungsmechanismus bzw. unterschied-
für nosokomiale, d. h. bei einem Krankenhaus-
liche Targets besitzen und keine Parallelresis-
aufenthalt (bzw. in einer Arztpraxis) erworbene
tenz aufweisen.
Infektionen. Von einer endogenen Infektion
Sobald mikrobiologische Befunde vorliegen,
spricht man, wenn es sich bei den Erregern um
sollte die initiale Therapie durch die gezielte Be-
fakultativ pathogene Mikroorganismen handelt,
handlung mit einem Antibiotikum mit schmale-
die den Menschen normalerweise besiedeln,
rem Spektrum ersetzt werden (Deeskalation),
ohne eine Krankheit zu verursachen. Unter be-
um den Selektionsdruck vor allem in Bezug auf
stimmten Umständen können diese Erreger
multiresistente Erreger zu reduzieren. Die in der
dann, z. B. durch einen Wechsel des Erregers in
Klinik parenteral begonnene Behandlung kann
ein anderes Organ und bei stark geschwächter
ambulant mit einem oralen Antiinfektivum
Immunabwehr, u. U. lebensbedrohliche Krank-
fortgesetzt werden (Oralisierung, orale Se-
heiten verursachen. Eine exogene Infektion
quenztherapie).
liegt vor, wenn der Infektionserreger aus der
Maßnahmen gegen eine zunehmende Resis- Umgebung z. B. durch direkten oder indirekten
tenzentwicklung. Die Hauptursache für die Kontakt mit Personen oder kontaminierten Ge-
Resistenzentwicklung während einer Therapie genständen aufgenommen wird.
ist neben der genetischen Variabilität der Bakte- Risikofaktoren für eine Infektion mit multi-
rien (s. o.) die Selektion resistenter Varianten resistenten Pathogenen sind z. B. Immunsup-
durch den Antibiotikaeinsatz. Folgende Maß- pression, schwere Grunderkrankung, invasive
30.1 Antibiotika 477

Eingriffe, langer Krankenhausaufenthalt (ins- behandlung (z. B. mit Mupirocin, Ⴉ Kap.


besondere auf Intensivstationen), Dauerkathe- 30.1.3.7) durchgeführt werden.
ter sowie eine vorausgegangene Antibiotika-
therapie. Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE)
Vancomycin- bzw. Glykopeptid-resistente Ente-
MRSA rokokken haben in den letzten Jahren als multi-
Obwohl Methicillin heute nicht mehr therapeu- resistente Erreger an Bedeutung zugenommen,
tisch eingesetzt wird, ist dieses Penicillin noch weil die Verwendung von Vancomycin als Re-
immer namensgebend für diese Form des Wir- serveantibiotikum zur Behandlung von MRSA-
kungsverlusts, der bei Methicillin erstmals be- und Clostridium-difficile-Infektionen stark an-
obachtet wurde. Methicillin-resistente Staphylo- gestiegen ist. Multiresistenzen finden sich vor
coccus-aureus-Stämme (MRSA) haben auf- allem bei E. faecium, E. faecalis weist dagegen
grund eines veränderten Penicillin-Bindeprote- kaum Resistenzen gegen Glykopeptide, Ampi-
ins eine stark verminderte Affinität zu cillin oder Imipenem auf.
Betalactam-Antibiotika und sind daher gegen Enterokokken gehören zur normalen Darm-
alle Betalactame mit Ausnahme der neuen flora. Sie sind sehr widerstandsfähig gegen Um-
MRSA-Cephalosporine resistent. Häufig findet welteinflüsse und haben aufgrund der primären
sich auch eine Co-Resistenz gegen Fluorchino- Resistenzen gegen verschiedene Antibiotika ei-
lone und andere Nicht-Betalactame (z. B. Eryth- nen Selektionsvorteil. Nicht zuletzt durch in-
romycin, Clindamycin). Aufgrund des hohen kontinente Patienten und solche mit Diarrhö
Selektionsdrucks durch den häufigen Antibioti- können VRE bei unzureichenden Hygienemaß-
kaeinsatz im Krankenhaus stellen sie bislang nahmen (z. B. bei fehlender Händedesinfektion)
hauptsächlich ein krankenhausspezifisches Pro- auf andere Personen übertragen werden und vor
blem dar (HA-MRSA, hospital acquired MRSA). allem bei immunsupprimierten Patienten noso-
MRSA verursachen Wundinfektionen, Pneu- komiale Harnwegs- und Wundinfektionen so-
monien, Septikämien und Endokarditiden. wie Septikämien auslösen, und zwar besonders
MRSA-Stämme sind weltweit verbreitet, das bei Anwendung von Antibiotika mit „Entero-
Ausmaß ist lokal und regional unterschiedlich. kokkenlücke“ (z. B. Cephalosporinen).
Der Anteil von MRSA an Krankenhausinfektio- Mittel der Wahl sind Linezolid, Daptomycin 30
nen liegt in Deutschland derzeit bei ca. 16 % mit und Tigecyclin. Vancomycin-resistente Stämme
leicht rückläufiger Tendenz, in Skandinavien ist sind außerdem z. T. Teicoplanin-sensibel. Da die
er weit niedriger, in Südosteuropa dagegen we- Vancomycin- bzw. Glykopeptid-Resistenz auch
sentlich höher. auf andere grampositive Kokken übertragbar ist,
Bislang gilt Vancomycin als Mittel der Wahl müssen VRE- und MRSA-Patienten räumlich
für die Therapie von MRSA-Infektionen. Tige- voneinander getrennt werden, um die Entste-
cyclin, Daptomycin, Linezolid, die Streptogra- hung eines Vancomycin-resistenten S. aureus-
mine (in D nicht im Handel) sowie die Glyko- Stamms zu verhindern.
peptide Teicoplanin und Telavancin und die
neuen MRSA-Cephalosporine (Ceftarolin, Cef- Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö (CDAD)
tobiprol) stellen weitere Therapieoptionen dar. Clostridium difficile (CD) ist ein Sporen- und
Auch Rifampicin, Co-trimoxazol, Fusidinsäure Toxin-bildendes grampositives Stäbchenbakte-
und Fosfomycin zeigen sehr niedrige Resistenz- rium, das in der Umwelt ubiquitär und auch in
raten gegen MRSA. Um das Risiko für eine der Darmflora des Menschen (vor allem bei
MRSA-Infektion bei einem Krankenhausauf- Säuglingen und Kleinkindern) vorkommt. Seine
enthalt (z. B. nach einer Operation) zu reduzie- Sporen sind umweltresistent und unempfindlich
ren, kann bei asymptomatischer MRSA-Besie- gegen alkoholische Desinfektionsmittel. Die
delung der Nasenschleimhaut eine Sanierungs- Übertragung erfolgt fäkal-oral. Bei einer Anti-
478 30 Antiinfektiva

biotikatherapie besteht die Gefahr, dass es auf- durch besiedelte oder infizierte Patienten eine
grund der ausgeprägten Resistenzeigenschaften untergeordnete Rolle, im Vordergrund steht die
zu einer sehr starken Vermehrung des Bakteri- endogene Infektion.
ums im Darm kommt. Die Freisetzung darm- Auch bei Besiedelung mit P. aeruginosa (ubi-
wandschädigender Toxine kann dann leichte bis quitär in der Umwelt, auch auf Lebensmitteln)
sehr schwere Diarrhöen (pseudomembranöse besteht das Risiko einer endogenen systemi-
Colitis, toxisches Megacolon), u. U. mit letalem schen Infektion. Eine Übertragung kann im
Ausgang (sehr selten) verursachen. Krankenhaus von Person zu Person und aus
Die erste Maßnahme zur Behandlung der dem Umgebungsreservoir (z. B. wiederum aus
CDAD ist das Absetzen der antibiotischen The- Feuchtbereichen) sowie durch kontaminierte
rapie (falls möglich). Gegen Clostridium difficile Geräte (z. B. Bronchoskope) erfolgen. Besonders
wirksame Antibiotika sind Metronidazol, Van- gefährdet sind Mukoviszidose-Patienten (hohe
comycin oder Fidaxomicin, das speziell zur Letalität).
Therapie der CDAD entwickelt wurde. A. baumannii ist ein ausgesprochen umwelt-
resistentes gramnegatives Stäbchen, dessen Re-
Multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN) servoir insbesondere die unbelebte Umgebung
Gramnegative Stäbchen, die häufig nosokomiale (z. B. medizinische Geräte) darstellt. Daneben
Infektionen (z. B. postoperative Wundinfektio- ist ein erheblicher Anteil der Patienten asympto-
nen, Harnwegsinfektionen, Pneumonie, Sepsis) matisch kolonisiert, ein häufiges Reservoir ist
verursachen, sind die Enterobakterien E. coli, dann die Haut. Die Übertragung erfolgt durch
Klebsiella pneumoniae und Enterobacter spp. so- direkten oder indirekten Kontakt, ggf. auch ae-
wie die sog. Nonfermenter (gramnegative Stäb- rogen.
chen oder Kokken, die nicht in der Lage sind, Gramnegative Stäbchen werden gemäß Ro-
Glucose zu fermentieren) Pseudomonas aerugi- bert-Koch-Institut (RKI) auf Basis ihrer phäno-
nosa und Acinetobacter baumannii. typischen Resistenzeigenschaften gegenüber 4
Enterobakterien besiedeln als fakultativ pa- bakteriziden Antibiotikagruppen, die üblicher-
thogene Mikroorganismen die normale Darm- weise bei schweren Infektionen eingesetzt wer-
flora von Mensch und Tier ohne klinische den, klassifiziert. Die 4 Gruppen umfassen:
Symptomatik. 4–8 % der gesunden Menschen
󠀂 Penicilline mit einem erweiterten Spektrum
tragen z. B. ESBL-bildende E. coli als Darmbe-
(Piperacillin),
siedler, auch bei Nutz- und Haustieren und auf
󠀂 Cephalosporine der Gruppe 3a/3b (Cefota-
Lebensmitteln konnten sie nachgewiesen wer-
xim, Ceftazidim),
den. Bei Besiedelung mit multiresistenten E. coli
󠀂 Carbapeneme (Imipenem, Meropenem) und
und Klebsiella pneumoniae erleiden ca. 30 % –
󠀂 Fluorchinolone (Ciprofloxacin).
40 % der Patienten eine endogene Infektion im
Rahmen eines Krankenhausaufenthalts (bei ge- Klinisch relevant wird eine Resistenz gegen
schwächtem Immunsystem), bei Enterobacter mehr als 2 Antibiotikagruppen: Multiresistente
etwa 10–25 %. Die Übertragung von multiresis- gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 3
tenten E.-coli-Bakterien erfolgt durch Kontakt der 4 Antibiotikagruppen werden als 3MRGN,
mit Lebensmitteln oder multiresistenten E.-coli- mit Resistenz gegen alle 4 der 4 Antibiotika-
Trägern (fäkal-oral), wenn Basishygienemaß- gruppen als 4MRGN bezeichnet.
nahmen nicht eingehalten werden. Auch Kleb- Der Multiresistenz-Typ 3MRGN nimmt bei
siella-Spezies werden direkt oder indirekt von E. coli stetig zu. Carbapenemase-bildende E. coli
Person zu Person oder auch aus der unbelebten sind dagegen hierzulande noch selten (< 1 %),
Umgebung (z. B. aus Feuchtbereichen) übertra- allerdings steigt das Risiko durch den zuneh-
gen. Neugeborene sind am häufigsten betroffen. menden Carbapenem-Einsatz im Krankenhaus.
Bei Enterobacter spp. spielt die Übertragung Auch bei Enterobacter spp. ist die Carbapenem-
30.1 Antibiotika 479

Resistenz bislang gering (< 1 %), bei Klebsiella- Bildnern) wird bevorzugt Ertapenem (ggf. plus
Isolaten wird jedoch eine Zunahme beobachtet. Makrolid), bei Verdacht auf Pseudomonas-aeru-
Zur Therapie multiresistenter 4MRGN-En- ginosa-Infektionen eine Kombination aus einem
terobakterien werden Kombinationen von Co- Pseudomonas-wirksamen Betalactam (Pipera-
listin, Tigecyclin und ggf. Gentamicin in hoher cillin/Tazobactam, Cefepim, Imipenem, Mero-
Dosierung eingesetzt. Eine deutliche Zunahme penem) und einem Pseudomonas-wirksamen
von 4MRGN-P.-aeruginosa und von 4MRGN- Fluorchinolon (Levofloxacin, Ciprofloxacin)
A.-baumannii ist insbesondere auf den Intensiv- über 8–15 Tage eingesetzt.
stationen zu verzeichnen. Colistin stellt dann Bei nosokomialer Pneumonie mit Verdacht
oft die einzige therapeutische Option dar auf MRSA wird zusätzlich Vancomycin gege-
(Ⴉ Kap. 30.1.5.2). ben. Bei niereninsuffizienten Patienten ist Line-
Ein Import multiresistenter gramnegativer zolid eine geeignete Alternative zu Vancomycin.
Stäbchen aus Endemiegebieten (z. B. Indien, Vancomycin und Linezolid erfassen nur gram-
Südostasien, Italien, Griechenland, Israel, Nord- positive Erreger, eine Monotherapie ist deshalb
afrika) ist durch Reisende möglich, besonders nur dann möglich, wenn gramnegative oder aty-
hoch ist das Risiko bei im Ausland hospitalisier- pische Bakterien ausgeschlossen werden kön-
ten Patienten. Etwa 30 % der Reisenden sind bei nen. Ceftobiprol, ein für nosokomiale Pneumo-
ihrer Rückkehr asymptomatische Träger von nie indiziertes MRSA-Cephalosporin, hat dage-
MRGN (70 % der Indien-Urlauber), nach 6 Mo- gen ein breites antimikrobielles Spektrum
naten sind es noch etwa 10 %. (႒ Tab. 30.4).

30.1.8 Therapiebeispiele bakterieller Harnwegsinfektionen


Erkrankungen Die akute unkomplizierte Zystitis wird über-
Atemwegsinfektionen wiegend durch E. coli verursacht. Mittel der
Bei leichten ambulant behandelbaren Verläufen Wahl ist bei ansonsten gesunden Frauen die Ein-
einer ambulant erworbenen Pneumonie ist der malgabe von Fosfomycin-Trometamol, das gut
häufigste Erreger Streptococcus pneumoniae. Bei gegen E. coli wirksam ist und nur geringe Resis-
Patienten ohne besondere Risikofaktoren ist ein tenzraten (< 10 %) aufweist. Es kann auch bei
hoch dosiertes Aminopenicillin (Amoxicillin Schwangeren eingesetzt werden. Nitrofuranto- 30
bzw. Amoxicillin/Clavulansäure) in der Regel in (Behandlungsdauer 7 Tage) wird aufgrund
über 5–7 Tage, bei Penicillinunverträglichkeit der günstigen Resistenzsituation trotz erhebli-
ein Makrolid oder Doxycyclin Mittel der Wahl. cher Nebenwirkungen als gleichwertige Alterna-
Auch Cefuroximaxetil oder Cefpodoximproxetil tive erachtet.
kommen alternativ in Betracht. Bei ambulanten Zweitrangig werden Fluorchinolone (außer
Patienten mit Risikofaktoren (z. B. bei Patienten Moxifloxacin), Cefpodoximproxetil sowie Co-
in Pflegeheimen, multimorbiden Patienten) trimoxazol (falls die lokale Resistenzsituation
kann bei Unverträglichkeit von Amoxicillin/ dies erlaubt) über 3 Tage eingesetzt.
Clavulansäure auch Levofloxacin oder Moxi- Bei Männern sind Fluorchinolone und Cef-
floxacin eingesetzt werden. podoximproxetil Mittel der Wahl.
Hospitalisierte Patienten mit schwerer ambu- Erreger der akuten unkomplizierten Pyelo-
lant erworbener Pneumonie werden mit Pipera- nephritis sind wiederum hauptsächlich E. coli.
cillin/Tazobactam (oder Ceftriaxon bzw. Cefo- Leichte und mittelschwere Infektionen werden
taxim) in Kombination mit einem Makrolid bei Männern und Frauen oral, schwere Infektio-
oder alternativ mit Levofloxacin oder Moxi- nen mit Kreislaufinstabilität initial parenteral
floxacin behandelt. Bei Risikofaktoren für eine mit Ciprofloxacin (7–10 Tage) oder Levofloxa-
Infektion mit Enterobacteriaceae (inkl. ESBL- cin (5 Tage, hohe renale Ausscheidung!) behan-
480 30 Antiinfektiva

delt. Mittel der 2. Wahl sind Cephalosporine der 30.2 Antimykobakteriell wirksame
Gruppe 3/4, Aminopenicillin/BLI, Aminogly- Antiinfektiva
koside (Amikacin, Gentamicin) sowie Carbape-
neme (bei ESBL-Bildnern). Zu den obligat pathogenen Arten der Gattung
Mycobacterium gehören u. a. Mycobacterium tu-
Lyme-Borreliose berculosis und M. leprae. Fakultativ pathogene
Die Lyme-Borreliose wird durch Borrelia burg- Arten, sog. atypische Mykobakterien, lösen tu-
dorferi, die zu den Spirochäten gehören, hervor- berkuloseähnliche Erkrankungen ausschließlich
gerufen. Die Übertragung erfolgt durch Zecken- bei immungeschwächten Menschen (z. B. AIDS-
stiche (von Ixodes ricinus, dem gemeinen Holz- Patienten) aus.
bock). Eine antibiotische Therapie sollte unver- Mykobakterien werden den grampositiven
züglich, insbesondere nach Diagnose eines Bakterien zugeordnet, da ihnen die äußere
Erythema migrans (Wanderröte) erfolgen, das Membran fehlt. Charakteristisch ist ihre extrem
für eine Borreliose beweisend ist. Standardthe- dicke, wachsartige Zellwand mit einem sehr ho-
rapie des Erythema migrans ist die orale Appli- hen Lipidgehalt durch sog. Mykolsäuren, die
kation von Doxycyclin (nicht bei Kindern unter eine geringe Permeabilität und große Wider-
9 Jahren) oder Amoxicillin über etwa 2 Wochen standsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse und die
(bei Lyme-Arthritis über 4 Wochen). Alternativ meisten Antibiotika bewirken.
kann Cefuroximaxetil, bei Allergien gegen Be-
talactame auch Azithromycin gegeben werden. 30.2.1 Antituberkulotika
Patienten mit schweren Verläufen der Spät- Die Tuberkulose (meldepflichtig) ist die häu-
form Neuroborreliose werden in der Regel mit figste Infektionskrankheit weltweit mit etwa 9
einem parenteralen Cephalosporin oder alter- Mio. Neuinfektionen und mehr als 1,5 Mio To-
nativ mit Penicillin G jeweils über 2–4 Wochen desfällen pro Jahr, wobei es sich bei fast einem
behandelt. Ceftriaxon und Cefotaxim erreichen Viertel um Menschen mit HIV-Koinfektion
vergleichbare Liquorspiegel und sind gleichwer- (vor allem in Afrika) handelt. Die Tuberkulose
tige Alternativen. Ceftriaxon wird häufig bevor- betrifft meistens die Lunge, jedoch sind tuber-
zugt, weil es aufgrund seiner langen Halbwerts- kulöse Veränderungen auch in allen anderen
zeit eine 1-mal tägliche Gabe ermöglicht. Organen möglich (extrapulmonale Tuberkulo-
se). Die Infektion erfolgt aerogen über bakteri-
30.1.9 Antibiotika in der enhaltige Aerosoltröpfchen (z. B. beim Husten).
Schwangerschaft Die Mykobakterien können sowohl extrazel-
Mittel der 1. Wahl, bei denen kein Verdacht auf lulär in Granulomen oder verkäsenden Herden
embryotoxische und teratogene Wirkung be- als auch intrazellulär in Makrophagen vorliegen,
steht, sind die Penicilline (Penicillin V, Fluclo- wo sie sich auch vermehren können. Infolge der
xacillin, Ampicillin, Amoxicillin), Erythromy- mangelhaften Sauerstoffversorgung findet in
cin und Fosfomycin. Auch Cephalosporine den betroffenen nekrotisierenden Geweben und
können eingesetzt werden, allerdings ist insbe- in den Makrophagen ein sehr langsames bzw. in-
sondere im 1. Trimenon eine strenge Indikati- termittierendes Keimwachstum statt. Da Anti-
onsstellung erforderlich. tuberkulotika jedoch hauptsächlich in der Proli-
Wegen eines möglichen embryotoxischen und ferationsphase der Tuberkelbakterien wirken,
teratogenen Risikos nicht geeignet sind dagegen besteht die Gefahr, dass Keime persistieren und
Tetracycline, Clindamycin, Fluorchinolone, Co- nach dem Therapieende zu Rezidiven führen.
trimoxazol, Telithromycin und Metronidazol. Ein weiteres Problem der Tuberkulose stellt die
Auch Aminoglykoside sind kontraindiziert. besonders hohe Keimzahl vor allem in offenen
Kavernen (= Hohlräume in der Lunge, die ent-
stehen, wenn zerfallenes Lungengewebe abge-
30.2 Antimykobakteriell wirksame Antiinfektiva 481

hustet wurde) dar, die das Risiko einer Resistenz- Meningen und im Liquorraum (→ Anwendung
entwicklung unter der Therapie erhöht. bei tuberkulöser Meningitis). Bei der Metaboli-
Antituberkulotika sind relativ spezifisch ge- sierung von INH kann ein reaktives Zwischen-
gen Mykobakterien wirksam. Man unterschei- produkt entstehen, das für seine Hepatotoxizität
det Erstrang-Antituberkulotika (Isoniazid, Rif- verantwortlich ist. Die Halbwertszeit beträgt ab-
ampicin, Rifabutin, Rifapentin, Ethambutol, hängig vom Metabolisierungstyp (schnelle,
Pyrazinamid), die im Regelfall eingesetzt wer- langsame Acetylierer) 1 bzw. 3 Stunden, die
den, und Zweitrang-Antituberkulotika, (Proti- Ausscheidung von INH und seinen Metaboliten
onamid, Terizidon, p-Aminosalicylsäure, Strep- erfolgt renal.
tomycin), die insbesondere dann verwendet
Indikationen und Dosierung. INH ist in Kom-
werden, wenn Resistenzen gegen die erste Grup-
bination mit anderen Antituberkulotika zur
pe vorliegen. Außerdem wurden kürzlich Beda-
Therapie von pulmonalen und extrapulmonalen
quilin und Delamanid zur Therapie der multi-
Tuberkuloseformen, außerdem zur Chemopro-
resistenten Tuberkulose zugelassen. Neben den
phylaxe bei tuberkulosegefährdeten Kindern
Antituberkulotika im engeren Sinn werden bei
und AIDS-Patienten indiziert (Tagesdosis 200–
resistenter Tuberkulose auch (andere) Amino-
300 mg).
glykoside, Fluorchinolone (vor allem Moxi-
floxacin) und Linezolid oder Clarithromycin Nebenwirkungen. In etwa 10 % der Fälle treten
eingesetzt. aufgrund eines Antagonismus zu Vitamin B6
Störungen des zentralen und peripheren Ner-
30.2.1.1 Orale Erstrang-Antituberkulotika vensystems (z. B. Schwindel, Kopfschmerzen,
Isoniazid Benommenheit, Hyperreflexie, Neuritiden) auf,
Isoniazid (Isonicotinsäurehydrazid, INH; z. B. die durch die Gabe von Vitamin B6 (10 mg täg-
Isozid®) ist aufgrund seiner ausgeprägten Bakte- lich) vermieden werden können. Transamina-
rizidie das bedeutendste Tuberkulosemittel. senanstiege sind sehr häufig, schwere Leber-
schäden selten.
Wirkungsmechanismus, Resistenz. INH hemmt
ein Schlüsselenzym der Mykolsäuresynthese Interaktionen. INH verstärkt die hepatotoxi-
(Enoyl-Reduktase, InhA) und zwar in Form ei- schen Effekte anderer Pharmaka, z. B. von Ri-
nes NAD-Adduktes, das nach Aktivierung von fampicin, steigert die Wirkung von Barbitura-
30
INH zu einem Acyl-Radikal entsteht. Da nur die ten, Phenytoin, Carbamazepin sowie Disulfiram
Zellwand von Mykobakterien Mykolsäuren ent- und vermindert die Alkoholtoleranz.
hält, ist die Wirkung selektiv. Darüber hinaus
Kontraindikationen. Bei Psychosen und Epilep-
greift INH auch in die DNA-, RNA- und Prote-
sien sowie Neuritiden und akuten Hepatitiden
insynthese von Mykobakterien ein. Aufgrund
ist Isoniazid kontraindiziert.
dieser Eigenschaften wirkt es bakterizid auf pro-
liferierende extra- und intrazelluläre Mykobak-
Pyrazinamid
terien (M. tuberculosis). Gegen andere Bakterien
Pyrazinamid (z. B. PYRAFAT®) weist struktu-
ist es nicht wirksam. Eine Resistenz entwickelt
relle Ähnlichkeiten mit Isoniazid auf. Es ist
sich unter Monotherapie sehr schnell (nach 6–8
hochwirksam gegen persistierende Bakterien in
Monaten 100 %ige Erregerresistenz). Resistente
saurer Umgebung, z. B. in Makrophagen.
Bakterien sind nicht mehr zur enzymatischen
Der Wirkungsmechanismus ist nicht voll-
Aktivierung von Isoniazid befähigt, auch eine
ständig geklärt. Pyrazinamid diffundiert passiv
Mutation der InhA reduziert die Wirksamkeit.
in das Mykobakterium und wird dort zu Pyr-
Kinetik. INH diffundiert in nekrotische Gewe- azincarbonsäure hydrolysiert. Diese soll ver-
be und Alveolarmakrophagen und erreicht hohe hindern, dass die Proteinbiosynthese bei „schla-
Konzentrationen in entzündlich veränderten fenden“ Bakterien wieder starten kann, und
482 30 Antiinfektiva

zwar durch Bindung an das ribosomale Protein kansasii, M. avium und M. marinum) und M.
S1, das bei der Trans-Translation eine Rolle leprae sowie zahlreiche Kokken und gramnega-
spielt. Durch Ausschaltung potenzieller Persis- tive Bakterien umfasst. Sie sind auch gegen lang-
ter senkt Pyrazinamid die Rezidivrate. Unter sam bzw. intermittierend wachsende intra- und
Monotherapie erfolgt eine sehr rasche Resistenz- extrazelluläre Keime wirksam. Rifabutin besitzt
entwicklung. In resistenten Keimen ist die Pyr- eine besonders starke Wirkung gegen M. avium.
azinamidase inaktiviert, die die Aktivierung von
Wirkungsmechanismus, Resistenz. Rifamycine
Pyrazinamid zur bakterizid wirkenden Pyrazin-
hemmen die DNA-abhängige RNA-Polymerase
carbonsäure bewirkt.
und damit die bakterielle Transkription. Eine
Pyrazinamid erreicht in allen Körperflüssig-
optimale Wirkung wird in neutralem oder alka-
keiten, inklusive Liquor, ausreichend hohe Kon-
lischem Milieu erzielt, in saurer Umgebung (z. B.
zentrationen. Die Ausscheidung erfolgt über-
in käsigem Gewebe) nimmt die Wirksamkeit ab.
wiegend renal in Form von Pyrazincarbonsäure
Eine Resistenz, die meist auf einer veränderten
und 5-Hydroxy-Pyrazincarbonsäure. Die Halb-
Zielstruktur beruht, entwickelt sich bei gramne-
wertszeit beträgt 4–17 Stunden.
gativen Kokken sehr rasch, bei Mykobakterien
Pyrazinamid wird im Rahmen der Standard-
jedoch erst nach einer mehrwöchigen Therapie
therapie in Kombination mit anderen Antitu-
(Resistenzrate in Deutschland etwa 2 %). Inner-
berkulotika während der Initialphase (8 Wo-
halb der Gruppe der Rifamycine besteht weitge-
chen) einer Tuberkulosebehandlung gegeben
hende Parallelresistenz, nicht aber zu anderen
(Tagesdosis 1,5–2,5 g).
Antituberkulotika.
Als Nebenwirkungen stehen gastrointestinale
Beschwerden, Hyperurikämie sowie Photosen- Kinetik. Die Gewebepenetration der Rifamyci-
sibilisierung im Vordergrund. In seltenen Fällen ne übertrifft die vieler anderer Antiinfektiva.
können auch Leberschäden bzw. eine Störung Hohe Konzentrationen finden sich u. a. in der
der Hämatopoese eintreten. Lunge und in Makrophagen. Die Metabolisie-
Pyrazincarbonsäure interferiert mit der rung erfolgt primär durch Desacetylierung, die
Harnsäureausscheidung und schwächt die Wir- Metaboliten sind teilweise aktiv. Die Halbwerts-
kung von Urikosurika ab, Pyrazinamid verstärkt zeit von Rifampicin beträgt zu Beginn der The-
die Blutzuckersenkung oraler Antidiabetika. rapie 2,5–5 Stunden, die von Rifapentin etwa 13
Bei schwerer Leberschädigung und Gicht so- Stunden, die von Rifabutin 35–40 Stunden.
wie in der Schwangerschaft ist Pyrazinamid Durch Induktion des eigenen Metabolismus
kontraindiziert. verkürzt sich die Halbwertszeit vor allem von
Rifampicin nach Mehrfachgabe.
Rifamycine (Ansamycine)
Indikationen. Rifamycine dienen in erster Linie
Neben Isoniazid kommt dem Rifamycin Rifam-
zur Tuberkulosebehandlung, ferner zur Thera-
picin (Rifampin; z. B. EREMFAT®) unter den
pie von atypischen Mykobakteriosen und der
verschiedenen Antituberkulotika die größte Be-
Lepra (jeweils Kombinationstherapie). Außer-
deutung zu. Weitere Vertreter der Wirkstoff-
dem wird Rifampicin zur Prophylaxe der
gruppe der Rifamycine sind Rifabutin (Myco-
Meningokokken-Meningitis (Monotherapie, 2
butin®) und Rifapentin (Priftin®), das von der
Tage) und als Kombinationspartner bei der
EMA als Orphan Drug gegen Tuberkulose zuge-
Therapie von MRSA-Infektionen sowie bei Pro-
lassen ist. Rifalazil und Rifamentan befinden
theseninfektionen mit Staphylokokken einge-
sich in klinischer Prüfung.
setzt.
Wirkungen. Rifamycine besitzen ein breites
Dosierung. Die mittlere Tagesdosis von Rifam-
Wirkungsspektrum, das neben Tuberkelbakteri-
picin beträgt 450–600 mg, die von Rifabutin
en auch einige atypische Mykobakterien (M.
150 mg. Rifapentin wird in einer Dosierung von
30.2 Antimykobakteriell wirksame Antiinfektiva 483

600 mg während der Initialphase 2-mal wö- Transferase beruht, erfolgt vergleichsweise lang-
chentlich, während der Stabilisierungsphase nur sam.
1-mal pro Woche gegeben. Ethambutol verteilt sich gut in verschiedene
Gewebe (z. B. Lunge) und reichert sich in Ery-
Nebenwirkungen. Die Verträglichkeit ist im
throzyten und Makrophagen an. Obwohl
Allgemeinen gut, mögliche Nebenwirkungen
Ethambutol schlecht liquorgängig ist, scheinen
sind Leberfunktionsstörungen, gastrointestinale
bei tuberkulöser Meningitis ausreichende Kon-
Beschwerden, Überempfindlichkeitsreaktionen
zentrationen im Liquor erreicht zu werden. Die
(Flu-Syndrom) sowie Verfärbungen von Urin
Ausscheidung erfolgt vorwiegend unverändert
und Haut. Im Tierversuch sind Rifamycine tera-
über die Nieren mit einer Halbwertszeit von 4
togen.
Stunden.
Interaktionen. Rifamycine (Rifampicin > Rifa- In Kombination mit anderen Tuberkulose-
pentin > Rifabutin) vermindern durch Enzym- mitteln ist Ethambutol zur Behandlung der pul-
induktion die Wirkung von Arzneistoffen, die monalen und extrapulmonalen Tuberkulose in-
durch das CYP-System metabolisiert werden diziert. Die Dosierung beträgt 1-mal täglich
(z. B. von hormonellen Kontrazeptiva, Azol-An- 15–25 mg/kg. Bei Patienten mit Niereninsuffizi-
timykotika). Ferner verstärken sie die Hepatoto- enz ist das Dosierungsintervall zu verlängern.
xizität von Isoniazid und Paracetamol durch Häufig treten dosisabhängig zunächst rever-
vermehrte Bildung toxischer Metaboliten. Rif- sible, später irreversible Sehstörungen sowie
ampicin ist einer der stärksten Induktoren der Sensibilitätsstörungen (Taubheitsgefühl) auf.
CYP-Enzyme in Leber (CYP3A4, CYP1A2, Erhöhte Harnsäurewerte werden bei etwa der
CYP2C9, CYP2C8) und Darm (CYP3A4) und Hälfte der Behandelten, vor allem bei Gichtpati-
des P-Glykoprotein-Transportsystems. Die in- enten, gefunden.
duzierenden Wirkungen können bis 14 Tage Bei einer Vorschädigung des Nervus opticus
nach Absetzen der Therapie anhalten. ist Ethambutol kontraindiziert. Ebenso soll es
nicht bei Kindern unter 10 Jahren angewandt
Kontraindikationen. Bei schweren Leberfunkti-
werden, da in diesem Alter ophthalmologische
onsstörungen und gleichzeitiger Gabe potenziell
Kontrollen nur bedingt möglich sind.
leberschädigender Pharmaka sind Rifamycine
kontraindiziert.
30
30.2.1.2 Orale Zweitrang-Antituberkulotika
Protionamid (z. B. PETEHA®) hemmt ähnlich
Ethambutol wie Isoniazid die Mykolsäuresynthese und infol-
Das Wirkungsspektrum von Ethambutol (z. B. gedessen den Zellwandaufbau. Das Wirkungs-
EMB-Fatol®) umfasst ausschließlich Mykobak- spektrum umfasst die Mykobakterien im enge-
terien (M. tuberculosis, M. bovis, M. microti und ren Sinn sowie einige atypische Mykobakterien-
M. africani). arten. Protionamid wirkt auf proliferierende
Ethambutol stört den Zellwandaufbau und Keime bakterizid. Die Resistenzentwicklung
macht die Zellwand u. a. auch für andere Antitu- tritt sehr rasch ein (80–100 % in 1–3 Monaten).
berkulotika durchlässiger (Synergismus). Es Parallelresistenz zu den meisten anderen Anti-
blockiert die Arabinosyl-Transferase und tuberkulotika besteht nicht, zu Isoniazid ist sie
hemmt dadurch die Biosynthese von Arabino- möglich. Protionamid ist gut liquorgängig. Die
galactanen, über die Mykolsäuren mit Peptido- Ausscheidung erfolgt renal, die Halbwertszeit
glykanen verknüpft sind. Ethambutol wirkt liegt bei 2 Stunden. Protionamid ist bei Tuber-
konzentrationsabhängig bakteriostatisch oder kulose und Lepra indiziert, die Tagesdosis be-
bakterizid auf extra- und intrazelluläre (in Ma- trägt 0,75–1 g. Als Nebenwirkungen kommen
krophagen) proliferierende Keime. Die Resis- gastrointestinale Beschwerden, Leberschädi-
tenzentwicklung, die auf einer Mutation dieser gungen, neurotoxische Symptome infolge eines
484 30 Antiinfektiva

Vitamin-B6-Mangels sowie allergische Reaktio- kung ist bakterizid in sich teilenden und sich
nen vor. nicht teilenden Tuberkulosebakterien. Bedaqui-
p-Aminosalicylsäure (PAS; GRANUPAS) lin verteilt sich in die meisten Gewebe (außer
wirkt bakteriostatisch gegen M. tuberculosis. Gehirn), aus denen es nur sehr langsam wieder
Der Wirkungsmechanismus ist nicht vollständig freigesetzt wird. Es wird über CYP3A4 metabo-
aufgeklärt. Es wird angenommen, dass PAS die lisiert (→ Interaktionen). Die Halbwertszeit be-
Synthese von sog. Mycobactinen hemmt, die für trägt ca. 5 Monate. Es ist in einer Dosierung von
die Eisenaufnahme der Mykobakterien wichtig 400 mg/Tag p. o. über 2 Wochen, danach 200 mg
sind. Eine Resistenzentwicklung wird in Kombi- p. o. 3-mal wöchentlich, zur Kombinationsthe-
nation mit anderen Tuberkulosemitteln selten rapie bei pulmonaler resistenter Tuberkulose
beobachtet. Parallelresistenz zu anderen Antitu- indiziert. Nebenwirkungen sind Gelenk- und
berkulotika besteht nicht. Die Gewebegängig- Kopfschmerzen, Transaminasenanstiege sowie
keit von PAS ist begrenzt. Die Halbwertszeit be- z. T. schwerwiegende QT-Intervall-Verlänge-
trägt ca. 1 Stunde. Die Ausscheidung erfolgt re- rungen.
nal, vorwiegend in Form des inaktiven Acetyl- Delamanid (Deltyba) hemmt die Mykolsäu-
Derivats. Die Dosierung ist mit 4 g p. o. 3-mal resynthese und ist zur Kombinationstherapie
täglich bzw. 10–15 g als Infusion (Handelsname der multiresistenten Tuberkulose indiziert,
PAS-Fatol N) 1-mal täglich sehr hoch. Als Ne- wenn andere Therapieoptionen nicht möglich
benwirkungen treten gastrointestinale und he- sind. Delamanid wird durch Plasmaalbumin
patische Störungen, allergische Reaktionen so- und in geringerem Ausmaß durch CYP3A4 me-
wie selten eine Hemmung der Schilddrüsen- tabolisiert. Die Dosierung beträgt 100 mg p. o.
funktion auf. 2-mal täglich über 24 Wochen. Zu den wichtigs-
Terizidon (TERIZIDON RIEMSER), ein ten Nebenwirkungen zählen QT-Intervall-Ver-
Prodrug von d-Cycloserin (in Deutschland längerungen, Angstzustände, Parästhesien und
nicht im Handel), wirkt gegen Bakterien des Tremor, zu den häufigsten Übelkeit, Erbrechen
Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes durch und Schwindel. Bei gleichzeitiger Gabe starker
Beeinträchtigung der Zellwandsynthese. Cyclo- CYP3A4-Inhibitoren sowie bei Hypoalbuminä-
serin hemmt zwei Enzyme, die an der Synthese mie sind häufige EKG-Kontrollen erforderlich.
der Peptidvorstufe beteiligt sind, nämlich die Starke CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin)
Alanin-Racemase und die d-Alanyl-d-Alanyl- sind wegen erniedrigter Delamanid-Plasma-
Ligase. Eine Resistenzentwicklung erfolgt durch spiegel kontraindiziert.
Überexpression der Alanin-Racemase und/oder
Mutation im Gen der d-Alanyl-d-Alanyl-Liga- 30.2.1.4 Tuberkulosetherapie
se. Parallelresistenz zu anderen Antituberkuloti- Um eine Resistenzentwicklung zu vermeiden,
ka besteht nicht. Wegen der neurotoxischen Ne- wird die Behandlung der Tuberkulose immer in
benwirkungen (z. B. Schwindel, Kopfschmer- Form einer Kombinationstherapie durchge-
zen, Konzentrationsschwäche, epileptiforme führt. Bei nichtresistenter Tuberkulose emp-
Anfälle), die schon in therapeutischen Dosen fiehlt die WHO als Standardtherapie für die Ini-
(3–4-mal täglich 250 mg) auftreten können, tialphase (2 Monate) eine Vierfach-Medikation
wird Terizidon nur in Ausnahmefällen ange- mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und
wandt. Ethambutol, für die Stabilisierungs- bzw. Kon-
tinuitätsphase (4 Monate) eine Zweierkombina-
30.2.1.3 Neue Antituberkulotika gegen tion mit Isoniazid und Rifampicin. Bei sehr
multiresistente Tuberkulose schwerem Krankheitsverlauf kann u. U. ein Flu-
Bedaquilin (SIRTURO®) hemmt selektiv die orchinolon (z. B. Moxifloxacin) ergänzt werden.
ATP-Synthase in Mykobakterien und unterbin- Besteht der Verdacht auf Einfachresistenz ge-
det dadurch die Energiegewinnung. Die Wir- gen Isoniazid, muss die Standardtherapie um
30.2 Antimykobakteriell wirksame Antiinfektiva 485

Ethambutol in der Stabilisierungsphase erwei- ႒ Tab. 30.10 Gruppeneinteilung der Antituber-


tert werden, um eine faktische Monotherapie kulotika. Nach WHO 2010
mit Rifampicin zu verhindern und somit einer Nr. Gruppe Arzneistoff
Resistenzentwicklung vorzubeugen. Multiresis-
tente (MDR-TB) und extensiv-resistente Myko- Erstrang-Antituberkulotika
bakterien-Stämme (XDR-TB) sind vor allem in
1 Orale Erstrang-Anti- Isoniazid, Rifampi-
China, Indien und Russland auf dem Vor-
tuberkulotika cin1, Ethambutol,
marsch, in Deutschland sind sie bislang selten. Pyrazinamid
Die MDR-TB (Resistenz gegen Isoniazid und
Rifampicin) und insbesondere die XDR-TB Zweitrang-Antituberkulotika
(Resistenz zusätzlich gegen Fluorchinolone und
2 Injizierbare Anti- Amikacin, Capreo-
mindestens ein injizierbares Antituberkuloti-
tuberkulotika mycin2, Kanamycin,
kum) erfordern den zusätzlichen Einsatz von Streptomycin
mind. 3–4 Zweitrang-Antituberkulotika über
einen Zeitraum von mind. 20 Monaten. 3 Fluorchinolone Levofloxacin, Moxi-
Der Gruppeneinteilung der WHO floxacin
(႒ Tab. 30.10) liegt ein hierarchisches Prinzip
4 Orale Zweitrang- p-Aminosalicylsäure,
zugrunde. Höchste Priorität haben immer Antituberkulotika Cycloserin2, Ethion-
Erstrang-Antituberkulotika. Stehen im Fall ei- amid2, Protionamid,
ner XDR-TB nicht genügend (mindestens 4) Terizidon
wirksame Antituberkulotika aus den Gruppen
1–4 zur Verfügung, kann auf Substanzen der 5 Zweitrang-Anti- Amoxicillin/Clavulan-
Gruppe 5 bzw. die neuen Antituberkulotika Be- tuberkulotika mit säure, Clarithromycin,
unklarer Wirkung Clofazimin2, Hoch-
daquilin oder Delamanid ausgewichen werden.
gegen M. tubercu- dosis-Isoniazid,
Grundsätzlich ist die Medikamentenkombinati-
losis (Anwendung Imipenem/Cilastatin,
on an die individuelle Resistenzsituation des Pa- nur bei Multiresis- Linezolid, Thiacet-
tienten anzupassen. Nach Beginn der Therapie tenzen) azon2
ist in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die
Erreger gegen die verabreichten Antituberkulo- 1 Die Rifamycine Rifabutin und Rifapentin werden von der WHO der 30
Gruppe 1 oder 4 zugeordnet,
tika noch sensibel sind. 2 in Deutschland nicht im Handel

Schwangerschaft. Für die Behandlung der Tu-


berkulose während der Schwangerschaft wird
thromycin und Azithromycin sowie Ciprofloxa-
eine Kombination aus Isoniazid und Ethambu-
cin, Ofloxacin und Moxifloxacin gegen atypi-
tol empfohlen, im 2. Trimenon kann auch Rif-
sche Mykobakterien, vor allem gegen M. avium.
ampicin gegeben werden, das allerdings wegen
Die bei AIDS-Patienten auftretenden Infektio-
der Gefahr von Blutungen in den letzten Wo-
nen mit M. avium werden zunächst meist mit
chen vor dem errechneten Geburtstermin abge-
einer Kombination aus Ethambutol, Rifabutin
setzt werden sollte.
(oder Rifampicin) und Protionamid behandelt,
bei Resistenzen oder Unverträglichkeit kann auf
30.2.2 Antiinfektiva gegen atypische die anderen genannten Antiinfektiva ausgewi-
Mykobakteriosen chen werden.
Zur Behandlung von Infektionen mit atypischen
Mykobakterien (mycobacteria other than tuber- 30.2.3 Antiinfektiva gegen Lepra
culosis, MOTT) dienen insbesondere Rifabutin Die Lepra, verursacht durch Mycobacterium lep-
und Rifampicin, Clofazimin, Ethambutol und rae, ist eine Infektionserkrankung der Haut und
Protionamid (s. o.). Ferner wirken auch Clari- des Nervengewebes. Je nach Krankheitsbild
486 30 Antiinfektiva

lassen sich die keimreiche (multibazilläre) lep- 30.3 Antimykotika


romatöse Lepra und die keimarme (paucibazil-
läre) tuberkuloide Lepra unterscheiden. Ge- Antimykotika sind Wirkstoffe zur Behandlung
fürchtet ist die akute Exazerbation der Lepra, die von Pilzinfektionen (Mykosen). Medizinisch
man als Leprareaktion (Typ I und II) bezeichnet. wichtige Pilze werden nach dem DHS-System in
Eine Leprareaktion vom Typ II (Erythema no- Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze ein-
dosum leprosum) kann durch die Lepra-Medi- geteilt.
kamente selbst ausgelöst werden. Dermatophyten (z. B. Trichophyton, Micro-
sporum, Epidermophyton) führen hauptsächlich
Therapie. Eine Kombinationstherapie aus Dap-
zu oberflächlichen Pilzinfektionen, z. B. der
son, Clofazimin und Rifampicin ist bei multi-
Haut (Tinea), Nägel (Onychomykosen) und
bazillärer Lepra erforderlich, bei paucibazillärer
Haare. Sie kommen auch bei gesunden Personen
Form genügt die Zweierkombination aus Dap-
vor.
son und Rifampicin.
Hefen (z. B. Candida-Spezies, Cryptococcus)
Dapson (DAPSON-Fatol) wirkt auf M. leprae
können außerdem Schleimhäute und innere Or-
durch Hemmung der Folsäuresynthese bakte-
gane befallen und systemische Mykosen verur-
riostatisch. Es ist zur Behandlung aller Formen
sachen, die hauptsächlich bei immungeschwäch-
und Stadien der Lepra geeignet. Bei richtiger
ten Patienten beispielsweise nach Organtrans-
Dosierung und Kontrolle der Nierenfunktionen
plantationen auftreten.
sind Nebenwirkungen (hämolytische Anämien,
Schimmelpilze (z. B. Aspergillus-Spezies, Zy-
zentralnervöse Störungen u. a.) selten. Aller-
gomyzeten, Pneumocystis jiroveci) führen zu In-
dings führt Dapson vergleichsweise häufig zu
fektionen der inneren Organe und sind ebenfalls
einer Leprareaktion. Außerdem ist Dapson ge-
nahezu ausschließlich bei immungeschwächten,
gen einige Pilze (Pneumocystis jiroveci) und Pro-
tozoen (Plasmodien) wirksam.
Clofazimin (Lampren®, in D nicht im Han-
Zellwand
del) wirkt bakteriostatisch und schwach bakteri-
zid gegen M. leprae, indem es an die DNA der Manno-
proteine
Mykobakterien bindet. Ferner wirkt es gegen ei-
˟-(1,6)-Glucan
nige atypische Mykobakterien (z. B. M. avium). ˟-(1,3)-Glucan
Clofazimin hat sich bei allen Formen und allen
Stadien der Lepra bewährt, zudem beugt es dem Chitin
Auftreten einer Leprareaktion vor. Resistenzen Phospholipid-
Doppelschicht
wurden bislang nur vereinzelt beobachtet. Sehr Zell- ˟-(1,3)-Glucan-
häufig ist bei einer Therapie mit Durchfall und membran Synthase
Amphotericin B
Verfärbungen der Haare, Körperflüssigkeiten Echinocandine
und Sekrete zu rechnen.
Dosierungsschema. Bei multibazillärer Lepra Ergosterol
wird Clofazimin 1-mal pro Monat in einer Do-
sierung von 300 mg und dann täglich (50 mg)
Azol-
eingenommen. Rifampicin (600 mg) wird 1-mal Antimykotika Squalen
pro Monat, Dapson (100 mg) täglich gegeben Membranpore
(Therapiedauer 12 Monate).
Ⴜ Abb. 30.4 Pilzzellwand und -membran sowie
Angriffspunkte von Antimykotika
30.3 Antimykotika 487

schwerstkranken Patienten anzutreffen, Haut


und Nägel befallen sie seltener. Acetyl-CoA
Invasive Mykosen haben in den letzten Jah-
ren stetig zugenommen. Meist werden diese
durch Candida-Spezies (vor allem C. albicans)
verursacht. Aspergillen (vor allem A. fumigatus) Squalen
sind als Erreger wesentlich seltener, allerdings
sind entsprechende Infektionen mit einer höhe- Squalen-
Allylamine
Epoxidase
ren Letalität (teilweise bis zu 50 %) verbunden.
Die Erfolgsrate von 60–70 % bei der Behandlung
2,3-Epoxysqualen
systemischer Mykosen ist im Vergleich zur anti-
biotischen Therapie relativ schlecht, da in der
Regel stark immungeschwächte Patienten be-
Lanosterol
troffen sind, deren körpereigene Abwehr die Er-
regerelimination nicht hinreichend bewältigt. Lanosterol-
Azole Demethylase
Angriffspunkte wichtiger Antimykotika (Ⴜ Abb.
30.4) sind die
14-Demethyllanosterol
󠀂 Zellmembran durch Hemmung der Ergoste-
rolsynthese (Azol-Derivate, Allylamine, ˂14-
Morpholine
Amorolfin, Ⴜ Abb. 30.5) oder Störung der Reduktase
Membranfunktion (Polyene),
4,4-Dimethylzymosterol
󠀂 Zellwand durch Hemmung der Glucansyn-
these (Echinocandine),
󠀂 Nucleinsäuresynthese (Hemmung durch Flu-
cytosin). Fecosterol

Ähnlich wie Bakterien können auch Pilze Biofil- ˂8, ˂7-


Morpholine
me (z. B. an Kathetern) ausbilden sowie durch Isomerase 30
morphologische Veränderungen sowohl dem
Immunsystem als auch einer Antimykotika- Episterol
Therapie schwerer zugänglich sein.
Ergosterol
30.3.1 Antimykotisch wirksame Azol-
Derivate
Als Breitspektrum-Antimykotika erfassen die Ⴜ Abb. 30.5 Beeinflussung der Ergosterolsynthese
Azole einen Großteil der klinisch relevanten durch Antimykotika
Mykosen. Während die älteren Imidazol-Deri-
vate heute nur noch lokal bei Pilzbefall der Haut
ner Schlüsselkomponente der Zellmembran von
und Schleimhäute angewendet werden, stehen
Pilzen. Der Angriff erfolgt an der Lanosterol-
die neueren Triazole zur systemischen Applika-
Demethylase (CYP51), einem Cytochrom-
tion zur Verfügung.
P450-abhängigen Enzym (Ⴜ Abb. 30.5). Ist das
Wirkungsmechanismus. Alle Azol-Antimykoti- zytoplasmatische Ergosterol aufgebraucht,
ka hemmen die Biosynthese von Ergosterol, ei- kommt es zur Einlagerung falscher Sterole in die
488 30 Antiinfektiva

Zellmembran. Dadurch werden die Membran- rol-Demethylase nicht exprimiert wird und er
integrität und die normale Membranfunktion somit kein Ergosterol bildet.
gestört sowie die Membranpermeabilität verän-
Resistenz. Mögliche Ursachen einer Resistenz
dert. Azol-Antimykotika wirken in Abhängig-
gegen Azol-Antimykotika, die vor allem wäh-
keit von der Konzentration und der Pilzspezies
rend einer Langzeitbehandlung (z. B. bei AIDS-
fungistatisch oder fungizid.
Patienten) auftritt, sind eine Überexpression
von ERG11 (Gen, das für die Lanosterol-Deme-
30.3.1.1 Azol-Antimykotika zur lokalen
thylase kodiert), Punktmutationen in ERG11 (→
Anwendung
verminderte Affinität zu Azol-Antimykotika)
Imidazol-Antimykotika werden nur (noch) to-
sowie eine Überexpression von Effluxpumpen
pisch angewendet, u. a Clotrimazol (z. B. Ca-
(aktiver Transport des Antimykotikums aus der
nesten®) zur Therapie der Vaginalkandidose,
Zelle). Verglichen mit der Resistenzentwicklung
Miconazol (z. B. Daktar®) gegen Mundsoor und
von Bakterien gegen Antibiotika scheint sich
Ketoconazol (z. B. Terzolin®) zur Elimination
eine Resistenz gegen Azol-Antimykotika in Pil-
der Hefe Malassezia furfur, die zu Kleienpilz-
zen relativ langsam durch mehrere Punktmuta-
flechte und seborrhoischem Ekzem sowie der
tionen zu entwickeln. Eine horizontale Übertra-
Kopfschuppenkrankheit führen kann. Weitere
gung von Resistenzgenen zwischen den Erre-
Azol-Derivate zur lokalen Anwendung sind Bi-
gern (auch unterschiedlicher Spezies) ist nicht
fonazol (z. B. Mycospor®), Econazol (z. B. Epi-
bekannt. Kreuzresistenzen sind allerdings be-
Pevaryl®), Fenticonazol (z. B. Lomexin®), Ser-
schrieben.
taconazol (z. B. Mykosert®) und Tioconazol
(Mykontral®). Kinetik. Fluconazol und Voriconazol werden
bei oraler Anwendung gut resorbiert. Die Re-
30.3.1.2 Systemisch applizierbare Azol- sorption von Itraconazol kann durch saure Ge-
Antimykotika tränke (z. B. Cola), die von Posaconazol durch
Die Triazol-Antimykotika Fluconazol (z. B. Di- eine fetthaltige Mahlzeit gesteigert werden.
flucan®), Itraconazol (z. B. Sempera®), Posa- Alle Triazole weisen eine ausgeprägte Gewe-
conazol (Noxafil®) und Voriconazol (VFEND®) beverteilung auf, sie reichern sich u. a. im Stra-
werden systemisch eingesetzt. tum corneum der Haut an. Therapeutische Kon-
zentrationen von Itraconazol in der Haut blei-
Wirkungsspektrum. Fluconazol und alle ande-
ben nach einer 4-wöchigen Behandlung noch
ren Triazole wirken gut fungistatisch gegen Can-
über 2–4 Wochen erhalten, die Elimination aus
dida albicans und Cryptococcus neoformans.
der Haut erfolgt wahrscheinlich nur über die
Itraconazol wirkt zusätzlich fungizid gegen As-
Hauterneuerung.
pergillus-Arten. Voriconazol und Posaconazol
Itraconazol (durch CYP3A4) und Voricona-
sind noch effektiver gegen Aspergillus-Spezies.
zol (durch CYP2C19, CYP2C9, CYP3A4) wer-
Außerdem sind sie gegen seltenere Schimmel-
den hepatisch metabolisiert. Fluconazol und
pilze wie Fusarium- und Scedosporium, die als
Posaconazol werden dagegen nur in sehr gerin-
sog. Emerging Pathogens zunehmend häufiger
gem Umfang vom CYP-Enzymsystem verstoff-
schwere Infektionen bei immunsupprimierten
wechselt (Halbwertszeiten ႒ Tab. 30.11).
Patienten hervorrufen, sowie auch gegen selte-
nere Candida-Arten (einschließlich C. glabrata, Indikationen. Triazol-Antimykotika werden bei
C. krusei) wirksam. Posaconazol hat zudem eine Haut- und Schleimhautmykosen, die lokal nicht
ausreichende Aktivität gegen Zygomyzeten (sy- ausreichend behandelt werden können, sowie
nonym Glomeromyzeten). Unwirksam sind alle bei Systemmykosen eingesetzt. Isavuconazol
Azol-Antimykotika gegen den Schimmelpilz (Cresemba®) ist neu zugelassen bei invasiver
Pneumocystis jiroveci, da in diesem die Lanoste- Aspergillose sowie bei Mukormykose, wenn
30.3 Antimykotika 489

Amphotericin B nicht gegeben werden kann (Er- ႒ Tab. 30.11 Triazol-Antimykotika


haltungsdosis 0,2 g p. o., i. v., 1-mal tgl.).
INN (HWZ) Übliche Tagesdosis
Dosierungen. Die üblichen Dosierungen der
Fluconazol (30 h) 0,05–0,4 g p. o., i. v.
systemisch applizierbaren Azol-Antimykotika
sind in ႒ Tab. 30.11 angegeben. Itraconazol (15–36 h)1 0,1–0,4 g p. o.,
0,2 g i. v.
Nebenwirkungen. Neben gastrointestinalen
Störungen stehen vor allem Lebererkrankungen Posaconazol (35 h) 0,1–0,8 g p. o.
(häufig Transaminasenanstiege, selten Hepatitis
und akutes Leberversagen) im Vordergrund, so- Voriconazol (6–9 h)2 0,4 g p. o.,
8 mg/kg i. v.
dass während einer Therapie die Leberfunkti-
onsparameter kontrolliert werden müssen. Als 1 Itraconazol hemmt seinen eigenen Metabolismus, HWZ nach Mehr-
Begleiterscheinungen einer Voriconazol-Thera- fachgabe ca. 36 h,
2 HWZ dosisabhängig
pie treten darüber hinaus Verwirrtheitszustän-
de und vorübergehende Sehstörungen auf.
Interaktionen. Azole haben ein sehr starkes In-
teraktionspotenzial. Auch wenn das fungale her ebenfalls kontraindiziert. Bei Lebererkran-
CYP51-Enzym (s. Wirkungsmechanismus) ein kungen ist Vorsicht geboten.
relativ spezifisches Target für Azol-Antimykoti-
ka darstellt, haben sie dennoch auch eine gewis-
30.3.2 Allylamine
se Affinität zu humanen CYP-Enzymen. Alle
(Squalenepoxidasehemmer)
Azol-Antimykotika hemmen CYP3A4 (Flucon-
Die Allylamin-Derivate Terbinafin und Naftifin
azol am geringsten), Dosisanpassungen sind da-
hemmen die Squalenepoxidase und blockieren
her während einer Therapie mit Azol-Antimy-
die Umwandlung von Squalen in Lanosterol, ei-
kotika bei allen CYP3A4-Substraten mit enger
ner Ergosterolvorstufe (Ⴜ Abb. 30.5). Sie wirken
therapeutischer Breite (z. B. Ciclosporin, Tacro-
auf zahlreiche Pilze fungistatisch. Ihre bei Der-
limus) notwendig.
matophyten fungizide Wirkung kommt durch
Besonders hoch ist das Interaktionsrisiko von
Itraconazol und Voriconazol, die selbst CYP-
die Akkumulation von Squalen zustande. 30
Terbinafin (z. B. Lamisil®) wirkt trotz eines
Substrate sind, sodass bei gleichzeitigem Einsatz
breiten Wirkungsspektrums in vitro bei syste-
anderer CYP-Inhibitoren oder CYP-Induktoren
mischer Gabe nahezu ausschließlich gegen Der-
mit bidirektionalen Wechselwirkungen zu rech-
matophyten. Terbinafin wird mittels CYP2C9
nen ist.
und CYP3A4 metabolisiert, seine Halbwertszeit
Fluconazol und Voriconazol inhibieren au-
beträgt ca. 17 Stunden.
ßerdem CYP2C9 und CYP2C19. Itraconazol
Die orale Gabe ist bei Dermatophytosen der
hemmt ferner das Transportprotein P-Glyko-
Haut- und Schleimhaut, die lokal nicht ausrei-
protein (P-gp). Bei einer Kombination der Azole
chend behandelt werden können, sowie bei
mit Substraten der entsprechenden Enzyme und
Onychomykosen indiziert. Die Dosis beträgt
Transporter ist deshalb Vorsicht geboten.
250 mg 1-mal täglich. Als Nebenwirkungen
Kontraindikationen. Eine gleichzeitige Anwen- können bisweilen auch schwerwiegende Haut-
dung von CYP3A4-Substraten, die das QT-In- reaktionen und Geschmacksstörungen auftre-
tervall verlängern (z. B. Terfenadin, Erythromy- ten.
cin) ist wegen der Gefahr von Torsades de Poin- Als starker Inhibitor von CYP2D6 interfe-
tes bei erhöhten Plasmaspiegeln kontraindiziert. riert Terbinafin mit dem Abbau entsprechender
Azol-Derivate wirken teratogen, ihre systemi- Substrate (z. B. Amitriptylin, Nortriptylin, Co-
sche Anwendung in der Schwangerschaft ist da- dein).
490 30 Antiinfektiva

Auch auf eine Lokaltherapie mit 1 % Terbina- die sehr schlechte Verträglichkeit (Nephrotoxi-
fin (z. B. Lamisil® Creme) sprechen zahlreiche zität) stark beeinträchtigt.
Dermatophytosen gut an. Speziell für die Tinea Um die Verträglichkeit zu erhöhen, wurden
pedis (Fußpilz) wurde eine Lösung entwickelt, Amphotericin-B-Lipidformulierungen (z. B.
die mittels eines bioadhäsiven Films eine sehr Liposomales Amphotericin B, AmBisome®;
starke Penetration in die Haut und damit die Amphotericin-B-Lipid-Komplex, Abelcet®) ent-
Einmaltherapie ermöglicht (Lamisil® Once). wickelt. Die verminderte Nephrotoxizität lässt
Naftifin (Exoderil®) wird nahezu vollständig sich mit niedrigeren Wirkstoffkonzentrationen
bei der ersten Leberpassage inaktiviert und kann in der Niere erklären (unterschiedliche Pharma-
daher nicht oral, sondern nur lokal bei Derma- kokinetik!).
tophyten-Infektionen der Haut bzw. Schleim-
Kinetik. Konventionelles Amphotericin B wird
haut angewandt werden.
zur systemischen Applikation in Form einer kol-
loidalen Lösung mit Natriumdesoxycholat
30.3.3 Polyen-Antimykotika
intravenös infundiert. Im Blut wird es an Lipo-
Zu den Polyen-Antimykotika, deren Grund-
proteine gebunden transportiert. Seine Gewebe-
struktur ein amphiphiles Makrolid mit 4–7
gängigkeit (z. B. Penetration ins ZNS) ist
Doppelbindungen bildet, gehören die fungizi-
schlecht. 2–5 % der Dosis werden in biologisch
den Substanzen Amphotericin B und Nystatin
aktiver Form renal, ein Teil (ca. 40 %) wird biliär
sowie das fungistatische Natamycin.
ausgeschieden. Erhebliche Mengen werden im
Polyen-Antimykotika bilden durch hydro-
Körper über längere Zeit gespeichert. Die Halb-
phobe Wechselwirkungen ihres lipophilen Mo-
wertszeit beträgt etwa 15 Tage.
lekülteils mit Sterolen der Zellmembran Kom-
plexe, wobei Poren entstehen, durch die Kalium- Indikationen und Dosierungen. Amphotericin
ionen, andere Kationen und schließlich auch B wird zur Notfalltherapie lebensbedrohlicher
Aminosäuren und sonstige Moleküle die Zelle Pilzinfektionen eingesetzt. Die Tagesdosis be-
verlassen können (Ⴜ Abb. 30.4). Polyen-Antimy- trägt bei Monotherapie mit konventionellem
kotika haben zwar zu Ergosterol der Pilzzell- Amphotericin B (z. B. Amphotericin B Bristol-
membran eine höhere Affinität als zu Choleste- Myers Squibb) 0,75–1 mg/kg Körpergewicht
rol in tierischen Zellen, dennoch sind sie bei (max. Tagesdosis 1,5 mg/kg). Liposomales
parenteraler Gabe relativ toxisch. Amphotericin B und der Amphotericin-B-Li-
pid-Komplex werden mit 1–3 bzw. 5 mg/kg Kör-
30.3.3.1 Amphotericin B pergewicht höher dosiert. Daher ist Vorsicht
Amphotericin B (z. B. AmBisome®, Abelcet®) geboten, um Verwechslungen und eine Überdo-
ist das einzige Polyen, das auch systemisch (par- sierung (→ Atem- und Herzstillstand!) mit kon-
enteral) gegeben werden kann. ventionellem Amphotericin B zu vermeiden.
Außerdem wird Amphotericin B lokal bei
Wirkungsspektrum. Amphotericin B hat ein
Mundsoor und gastrointestinalen Hefemykosen
breites Wirkungsspektrum mit nur wenigen Lü-
(z. B. als Ampho-Moronal®) eingesetzt. Mit sys-
cken (z. B. Pneumocystis jiroveci). Es ist bei Kan-
temischen Nebenwirkungen ist wegen fehlender
didosen, Aspergillosen, Kryptokokkosen, Histo-
Resorption nicht zu rechnen, die Verträglichkeit
plasmosen und Infektionen mit Blastomyces-
ist in der Regel gut.
und Mucor-Arten sowie bei Protozoen-Erkran-
kungen (z. B. Leishmaniose) gut wirksam und Nebenwirkungen. Im Vordergrund steht die
zeichnet sich durch eine rasch einsetzende Fun- Nephrotoxizität (→ ggf. akutes Nierenversagen,
gizidie aus. Allerdings ist seine systemische An- Dialysepflicht), die durch eine separate Infusion
wendbarkeit durch die geringe Löslichkeit und physiologischer Kochsalz-Lösung gesenkt wer-
den kann. Außerdem können Fieber und Schüt-
30.3 Antimykotika 491

telfrost, eine Thrombophlebitis an der Injekti- den Aufbau einer wichtigen Komponente der
onsstelle und in seltenen Fällen neurotoxische Pilzzellwand (Ⴜ Abb. 30.4) mit der Folge der os-
und allergische Reaktionen sowie Leberparen- motischen Instabilität der Zelle bis hin zur Zell-
chymschäden auftreten. lyse.
Insbesondere die Zellwand von Candida-
Interaktionen. Die gleichzeitige Gabe anderer
und Aspergillus-Arten ist reich an β-(1,3)-d-
nephrotoxischer Substanzen erhöht das Poten-
Glucan. Da Glucane in Säugetierzellen nicht
zial für Nierenschäden. Durch die von Ampho-
vorkommen, handelt es sich bei dem Angriffs-
tericin B ausgelöste Hypokaliämie, die durch
punkt der Echinocandine um ein selektives Tar-
Glucocorticoide verstärkt werden kann, kann
get. Echinocandine wirken gegen Candida-Spe-
u. a. die Wirkung von Herzglykosiden und Anti-
zies fungizid, gegen Aspergillen fungistatisch.
arrhythmika zunehmen.
Sie haben einen postantifungalen Effekt, der bei
Kontraindikationen. Bei drohendem Leber- Candida-Spezies bis zu 12 Stunden anhalten
und Nierenversagen ist Amphotericin B kontra- kann, bei Aspergillen ist er wesentlich kürzer.
indiziert.
Resistenz. Resistenzen während einer Behand-
lung sind selten. Candida-Spezies mit vermin-
30.3.3.2 Nystatin und Natamycin
derter Empfindlichkeit sind beschrieben. Mög-
Nystatin (z. B. Biofanal®) ist vor allem gegen
liche Ursachen sind Mutationen des Enzym-
Candida-Arten wirksam und ist bei oberflächli-
komplexes für die Glycansynthese oder eine
chen Candida-albicans-Infektionen indiziert,
Überexpression von Effluxpumpen.
die besonders häufig bei Säuglingen, kachekti-
schen Patienten, Diabetikern sowie nach lang- Kinetik. Nach oraler Applikation werden Echi-
dauernder Antibiotika- oder Glucocorticoid- nocandine nicht resorbiert, sie müssen intrave-
Behandlung z. B. in der Mundhöhle, der Vagina, nös gegeben werden. Ihre Gewebeverteilung ist
perianal oder an den Fingernägeln auftreten. Bei ausgeprägt, Anidulafungin penetriert auch ins
peroraler Gabe wird es praktisch nicht resor- ZNS. Caspofungin wird durch N-Acetylierung
biert. und spontane Hydrolyse inaktiviert. In gerin-
Natamycin (Infectomyk®) wird ähnlich wie gem Umfang sind auch Cytochrom-P450-Enzy-
Nystatin bei Candida-albicans-Infektionen ein- me an seinem Metabolismus beteiligt, die Halb- 30
gesetzt. Daneben ist es gegen eine Reihe weiterer wertszeit beträgt 9–11 Stunden. Micafungin
Pilze und gegen Trichomonaden wirksam. wird durch die hepatische Arylsulfatase, die Ca-
techol-O-Methyltransferase und zu einem ge-
30.3.4 Echinocandine ringen Teil durch CYP3A4 verstoffwechselt und
Echinocandine sind wasserlösliche cyclische Li- mit einer Halbwertszeit von 10–17 Stunden
popeptide. Im Handel befinden sich derzeit überwiegend fäkal ausgeschieden. Anidulafun-
Anidulafungin (Ecalta®), Caspofungin (CAN- gin wird nicht hepatisch metabolisiert, sondern
CIDAS®) und Micafungin (Mycamine). durch chemische Ringöffnung (spontane De-
gradation) im Plasma inaktiviert und durch un-
Wirkungsspektrum. Echinocandine sind gegen
spezifische Peptidasen abgebaut. Mit einer
klinisch relevante Candida-Spezies (z. B. C. albi-
Halbwertszeit von 24–40 Stunden wird es über
cans, vor allem aber auch C. glabrata und C.
die Fäzes ausgeschieden.
krusei), Aspergillen und Pneumocystis jiroveci
wirksam. Sie können auch gegen Biofilm-bil- Indikationen. Echinocandine sind bei invasi-
dende Candida-Arten erfolgreich angewandt ven Kandidosen indiziert. Caspofungin ist darü-
werden. ber hinaus zur Therapie von Aspergillosen bei
Neutropenie zugelassen. Micafungin darf wegen
Wirkungsmechanismus. Echinocandine hem-
des Risikos von Lebertumoren nur dann einge-
men die β-(1,3)-d-Glucansynthese und damit
492 30 Antiinfektiva

setzt werden, wenn andere Antimykotika nicht renal ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt
in Frage kommen. 3–6 Stunden, bei Niereninsuffizienz ist sie auf
30–250 Stunden verlängert.
Dosierung. Von Caspofungin beträgt die Nor-
Flucytosin ist bei Systemkandidosen, Kryp-
maldosierung 50–70 mg/Tag, von Anidulafun-
tokokken-Meningitis und Chromoblastomyko-
gin nach einer Initialdosis (200 mg/Tag) 100 mg/
sen indiziert. Zur Verzögerung der Resistenz-
Tag und von Micafungin in Abhängigkeit von
entwicklung empfiehlt sich die Kombination
der Indikation 50–150 mg/Tag.
mit Amphotericin B oder einem Azol-Antimy-
Nebenwirkungen. Leberfunktionsstörungen kotikum (z. B. Fluconazol). Die Standarddosis
(Anstieg der Leberenzyme), Fieber, Schüttel- beträgt 100–150 mg/kg KG täglich. Bei Patien-
frost und Hautreaktionen treten relativ häufig ten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist eine
auf. Histamin-induzierte Reaktionen können Dosisreduktion erforderlich.
durch eine langsame Infusion reduziert werden. Als Nebenwirkungen können Übelkeit, Er-
Für Micafungin wurden im Tierversuch hepato- brechen, Diarrhö und Ekzeme und bei überhöh-
zelluläre Tumoren nachgewiesen, weshalb die ten Plasmakonzentrationen Leuko- und Throm-
Anwendung stark eingeschränkt ist. bopenien vorkommen.
Irreversible Inhibitoren des 5-Fluorouracil
Interaktionen. Das Interaktionspotenzial der
abbauenden Enzyms Dihydropyrimidin-Dehy-
Echinocandine ist vergleichsweise gering. Cas-
drogenase (z. B. Brivudin, Ⴉ Kap. 30.4.3.1) kön-
pofungin und Anidulafungin sind weder CYP-
nen zu einer starken Erhöhung der Plasmaspie-
Inhibitoren noch CYP-Induktoren. Micafungin
gel von 5-Fluorouracil und damit zu toxischen
ist in geringem Umfang Substrat und Inhibitor
Reaktionen führen. Ein zeitlicher Abstand von
von CYP3A4, daher erfordert insbesondere die
mindestens 4 Wochen ist daher zwischen den
gleichzeitige Anwendung mit z. B. Sirolimus, Ni-
Behandlungen erforderlich. Flucytosin ist tera-
fedipin und Itraconazol Vorsicht.
togen und daher in der Schwangerschaft kontra-
indiziert.
30.3.5 Flucytosin
Flucytosin (Ancotil®) hat ein relativ schmales 30.3.6 Griseofulvin
Wirkungsspektrum, das insbesondere Crypto- Griseofulvin (Griseo-CT) ist ausschließlich ge-
coccus neoformans, einige Candida- und Asper- gen Dermatophyten (Trichophyton-, Microspo-
gillus-Arten und die Erreger der Chromomyko- ron- und Epidermophyton-Arten) fungistatisch
se umfasst. Da 20–50 % der Candida-Arten eine wirksam. Aufgrund einer Störung der Mikrotu-
primäre Resistenz gegenüber Flucytosin aufwei- buli-Funktion hemmt es die Mitose und den zel-
sen und sich außerdem häufig eine sekundäre lulären Stofftransport, wodurch die Zellwand-
Resistenz unter der Therapie entwickelt, sind synthese beeinträchtigt wird.
Sensibilitätsprüfungen vor und während der Be- Die Resorption der schlecht wasserlöslichen
handlung erforderlich. Substanz lässt sich durch Mikronisierung (ge-
Flucytosin-empfindlich sind nur solche Pilze, ringere Teilchengröße) sowie durch fettreiche
die das Enzym Cytosindesaminase bilden, das Mahlzeiten verbessern. Griseofulvin reichert
Flucytosin zu 5-Fluorouracil metabolisiert. Die- sich im Stratum corneum der Epidermis an. Es
ses blockiert in Form seines Metaboliten 5-Flu- wird hepatisch metabolisiert und in Form seines
ordesoxyuridin-monophosphat die Thymidilat- aktiven Metaboliten renal ausgeschieden (Halb-
Synthetase und wird als falscher Baustein in Ri- wertszeit ca. 20 Stunden).
bonucleinsäuren eingebaut. Griseofulvin ist bei Dermatomykosen durch
Nach intravenöser Infusion verteilt sich Flu- die oben genannten Erreger indiziert, sofern
cytosin rasch und gleichmäßig. Die gut liquor- eine Lokaltherapie nicht ausreichend wirksam
gängige Substanz wird vorwiegend unverändert ist. Erwachsene erhalten üblicherweise 0,5–1 g
30.3 Antimykotika 493

Griseofulvin (mikronisiert) täglich, aufgeteilt Mittel der 1. Wahl ist die hochdosierte i. v.
auf 2–4 Einzeldosen. Gabe von Co-trimoxazol (Ⴉ Kap. 30.1.4.2) für 21
Als Nebenwirkungen können zentralnervöse Tage. Aufgrund der erforderlichen hohen Do-
und gastrointestinale Störungen, allergische Re- sierung (Trimethoprim 15–20 mg/kg/Tag, Sulfa-
aktionen sowie Neutropenie auftreten. Durch methoxazol 75–100 mg/kg/Tag) ist die Therapie
Enzyminduktion kann Griseofulvin die Zuver- oftmals mit schweren Nebenwirkungen (Mye-
lässigkeit oraler Kontrazeptiva beeinträchtigen. lo-, Leber- und Nierentoxizität, Arzneimittel-
Bei schweren Leberfunktionsstörungen und exanthem, „Drug-Fever“) verbunden. Bei respi-
Porphyrien ist Griseofulvin kontraindiziert. ratorischer Insuffizienz wird die adjuvante Gabe
Wegen der im Tierversuch embryotoxischen von Prednisolon empfohlen. Als Therapiealter-
und mutagenen Wirkungen sollte es nicht bei nativen bei Resistenz oder Unverträglichkeit
Frauen mit Kinderwunsch oder in der Früh- (z. B. Sulfonamid-Allergie) kommen Pentami-
schwangerschaft eingesetzt werden. din (s. u.), Atovaquon (Wellvone®) und Clin-
damycin in Kombination mit Primaquin (in D
30.3.7 Sonstige Antimykotika zur nicht mehr im Handel) oder Dapson in Kombi-
lokalen Anwendung nation mit Trimethoprim in Betracht, wobei
Amorolfin (Loceryl®) ist durch Hemmung der alle Alternativen weniger wirksam sind als Co-
Ergosterolsynthese gegen zahlreiche humanpa- trimoxazol.
thogene Pilze wirksam, insbesondere gegen Pentamidin (Pentacarinat®), das fungizid auf
Dermatophyten sowie dimorphe, d. h. sowohl in P. jiroveci wirkt, ist Mittel der 2. Wahl. Sein Wir-
ein- als auch in mehrzelliger Form vorkommen- kungsspektrum umfasst außerdem einige Try-
de Pilze. Amorolfin wird ausschließlich topisch panosomen und Leishmanien (Ⴉ Kap. 30.5.2).
angewandt, der Wirkstoffgehalt beträgt 0,25 % Bei oraler Gabe wird Pentamidin nur in gerin-
bei der Creme bzw. 5 % bei einem Lack zur Be- gem Umfang resorbiert. Nach intravenöser In-
handlung von Nagelpilzinfektionen. fusion verteilt es sich rasch in die Gewebe, bei
Das Pyridon-Derivat Ciclopirox (z. B. Batra- inhalativer Applikation findet man nur in der
fen®) ist ein Breitspektrum-Antimykotikum, Lunge hohe Konzentrationen. Insbesondere bei
dessen fungizide Wirkung durch vermehrte Bil- parenteraler Gabe ist das Nebenwirkungsprofil
dung reaktiver Sauerstoffspezies zustande sehr ungünstig. Sehr häufig kommt es zu Nie- 30
kommt. Ciclopirox penetriert gut in die tieferen ren- und Pankreasschäden und zu schweren
Hornhautschichten und die Nägel. Die Konzen- Elektrolyt- und Blutzuckerentgleisungen. Au-
tration in Lösungen und Cremes beträgt 1 %; für ßerdem besteht das Risiko eines schweren Blut-
die Therapie der Onychomykose steht ein Lack druckabfalls und von Herzrhythmusstörungen
zur Verfügung. (QT-Verlängerung). Die Dosierung beträgt
4 mg/kg KG täglich als Infusion über mindes-
30.3.8 Pharmaka mit Wirkung auf tens 5 Tage, danach 2 mg/kg KG täglich. Da die
Pneumocystis jiroveci Pneumocystis-Pneumonie häufig von bakteriel-
Eine Infektion der Lunge mit dem fakultativ pa- len Superinfektionen begleitet ist und Pentami-
thogenen Pilz Pneumocystis jiroveci, d. h. eine din im Gegensatz zu Co-trimoxazol nicht anti-
Pneumocystis-Pneumonie (PcP), war die häu- bakteriell wirkt, ist eine zusätzliche antibiotische
figste opportunistische Infektion bei HIV-Pati- Prophylaxe notwendig.
enten (Ⴉ Kap. 30.4.5). Aufgrund der nunmehr
hochaktiven antiretroviralen Therapie erkran- 30.3.9 Therapie oberflächlicher und
ken heute allerdings fast nur noch unbehandelte systemischer Mykosen
Patienten mit fortgeschrittenem Immundefekt Tinea. Unter dem Begriff Tinea werden die
daran. Dermatophyteninfektionen der Haut, Nägel und
Haare zusammengefasst. Die wichtigsten Erre-
494 30 Antiinfektiva

ger sind Trichophyton rubrum, Trichophyton Auch Vulvovaginale Candida-Infektionen


mentagrophytes und Microsporum canis. werden in der Regel topisch mit Azol-Antimy-
Besonders oft kommt die Tinea pedis, die kotika (z. B. Clotrimazol) oder Polyenen (Am-
Fußpilzerkrankung, vor. Die Behandlung erfolgt photericin B, Nystatin) über mindestens 7 Tage
im Regelfall als Lokaltherapie, beispielsweise behandelt. Alternativ kann eine systemische
mit Imidazol-Antimykotika (z. B. Clotrimazol, Therapie mit Fluconazol oder Itraconazol (1–3
Miconazol), Ciclopirox, Naftifin, Terbinafin Tage) durchgeführt werden. Bei rezidivierenden
oder Amorolfin. Um Rezidive zu vermeiden Kandidosen ist eine prolongierte Behandlung
wird die Therapie in der Regel 3–4 Wochen über erforderlich.
das Abklingen der Symptome hinaus fortgesetzt.
Systemmykosen. Mit der steigenden Anzahl
Eine Ausnahme bildet die einmalige Anwen-
von immunsupprimierten Patienten (z. B. durch
dung einer 1 %igen filmbildenden Terbinafin-
HIV-Infektion, Transplantationen, Chemothe-
Lösung (z. B. Lamisil® ONCE). Bei Versagen der
rapie) haben auch invasive Pilzerkrankungen in
Lokaltherapie ist eine systemische Behandlung
den letzten Jahren zugenommen. Da für den
mit Itraconazol (7 Tage) oder Fluconazol (2–7
Therapieerfolg ein möglichst frühzeitiger Ein-
Wochen), Terbinafin (2–6 Wochen) oder Gri-
satz von Antimykotika ausschlaggebend ist,
seofulvin (3–6 Wochen, bei Befall von Haaren
Pilzinfektionen aber relativ schwierig zu dia-
> 6 Monate) indiziert.
gnostizieren sind, ist eine empirische Therapie
Nagelpilzerkrankungen (Tinea unguium,
(ohne histologischen Nachweis) und bei Hoch-
Onychomykosen) können lokal behandelt wer-
risikopatienten häufig sogar eine Primärpro-
den, wenn ein Mitbefall der Nagelmatrix ausge-
phylaxe erforderlich.
schlossen ist und der Befallsgrad weniger als
Für die empirische Initialtherapie ist liposo-
50 % beträgt. Die Lokalbehandlung erfolgt mit
males Amphotericin B (3 mg/kg KG) Mittel der
Nagellacken (z. B. Ciclopirox-, Amorolfin-, Bi-
1. Wahl, bei Unverträglichkeit oder Kontraindi-
fonazol-Nagellack). Für die systemische Thera-
kationen (z. B. Niereninsuffizienz) wird Caspo-
pie stehen die gleichen Antimykotika wie zur
fungin empfohlen. Liegt ein Erregernachweis
Behandlung der Tinea der freien Haut zur Ver-
vor, kann gezielt behandelt werden. Zur Erstthe-
fügung. Die Behandlung ist langwierig, eine
rapie der invasiven Aspergillose werden Vori-
vollständige Heilung wird in weniger als 50 %
conazol und liposomales Amphotericin B als
der Fälle erreicht und Rezidive sind häufig.
gleichwertig eingestuft. Für die ZNS-Aspergillo-
Mukokutane Pilzinfektionen (Kandidosen). Die se ist Voriconazol Mittel der Wahl. Als Zweitthe-
unkomplizierte orale Kandidose (Mundsoor), rapie kommen Caspofungin, Posaconazol, Itra-
meist durch Candida albicans verursacht, wird conazol oder Amphotericin-B-Lipidkomplex in
mit topischen Polyenen (Nystatin, Amphoteri- Frage. Bei systemischen Candida-Infektionen
cin B) oder mit topischen Azol-Antimykotika (Kandidämien) sind Fluconazol und die Echi-
(z. B. Miconazol) behandelt. Nystatin, Ampho- nocandine Mittel der 1. Wahl. Bei Candida-In-
tericin B und Miconazol sind auch für Säuglinge fektionen des zentralen Nervensystems wird
zugelassen. Führt die lokale Therapie nicht zum aufgrund seiner fungiziden Wirkung Amphote-
Erfolg, ist eine systemische Behandlung vor- ricin B mit Flucytosin, das gut ZNS-gängig ist,
zugsweise mit Fluconazol oder auch Itraconazol kombiniert. Eine Kombination aus Fluconazol,
(7–14 Tage) möglich. Weitere Alternativen sind Amphotericin B und Flucytosin wird außerdem
Posaconazol, Voriconazol und die Echinocandi- zur Behandlung von lebensgefährlichen Kryp-
ne. Eine Prophylaxe der oropharyngealen Kan- tokokken-Infektionen (z. B. Enzephalitis, atypi-
didose mit Fluconazol kann bei HIV-Patienten sche Pneumonie) eingesetzt, die bei dauerhaft
notwendig sein. immungeschwächten Patienten auftreten kön-
nen.
30.4 Virustatika 495

30.4 Virustatika beginnt die Synthese neuer Viruspartikel. Im


letzten Schritt der Virusvermehrung erfolgt der
Viele Viruserkrankungen heilen von selbst aus, Zusammenbau von Proteinen und Nucleinsäure
sodass häufig nur eine symptomatische Thera- zu Viruspartikeln (Reifung, Assemblierung),
pie erforderlich und oft auch nur möglich ist. wodurch die Zelle nunmehr eine Vielzahl intak-
Bei lebensbedrohlichen Virusinfektionen (z. B. ter Virionen enthält. Deren Freisetzung erfolgt
bei einer Herpes-simplex-Enzephalitis oder mittels sog. Exosomen unter Fusion mit der
HIV-Infektion) muss dagegen versucht werden, Zytoplasmamembran.
die Viren direkt zu bekämpfen. Für die Arznei-
Infektionsformen. Eine lytische Virusinfektion
mitteltherapie geeignete Virustatika greifen an
führt nach Virusreplikation zu einer direkten
virusspezifischen Strukturen bzw. an solchen
Zellschädigung durch das Virus und zum Zell-
an, die virusbefallene Zellen deutlich stärker als
untergang. Nichtlytische Viren zerstören dage-
normale Säugerzellen bilden.
gen die infizierten Wirtszellen nicht direkt, die
Aufbau der Viren. Viren sind nicht zu einer ei- Zellschädigung kommt vielmehr durch die
genständigen Existenz befähigt, sondern bedie- wirtseigene Immunabwehr, z. B. aufgrund eines
nen sich bei ihrer Vermehrung (Replikation) des veränderten Zellmetabolismus, zustande. Bei ei-
Stoffwechsels von Wirtszellen. Sie bestehen aus ner latenten Infektion ist die betroffene Zelle
einzel- oder doppelsträngiger Nucleinsäure nicht beeinträchtigt, die Viren (z. B. Herpesvi-
(DNA oder RNA), die von einer Proteinhülle, ren) können symptomlos im Zellkern persistie-
dem Kapsid, sowie teilweise auch von einer Li- ren und unter bestimmten Bedingungen reakti-
pidhülle umschlossen ist. In die Hülle sind Gly- viert werden.
koproteine eingelagert, gegen die Antikörper
gebildet werden können. Ferner enthalten Viren
30.4.1 Wirkprinzipien der Virustatika
für die Virusreplikation essenzielle Enzyme.
Virustatika (႒ Tab. 30.12) greifen in unterschied-
Virusreplikation. Nach Adsorption an spezifi- liche Stadien der Virusreplikation ein. Eine Re-
sche Rezeptoren der Zellmembran erfolgt die sistenzentwicklung kann durch Mutationen der
Penetration in die Wirtszelle durch Endozytose. Zielstrukturen stattfinden.
Die nachfolgende Öffnung der Virushülle führt 30
zur Freisetzung der Virus-Nucleinsäure und vi- 30.4.2 Influenzaviren hemmende
raler Enzyme (Uncoating). Die Transkription Virustatika
der Virus-Nucleinsäure in mRNA bewirkt die Die Influenza (echte Virusgrippe) ist durch ei-
Synthese von Enzymen, den sog. frühen Protei- nen raschen Fieberanstieg, Schüttelfrost, tro-
nen (z. B. Polymerase, Thymidinkinase, Ribo- ckenen Reizhusten, Muskel- und/oder Kopf-
nucleotid-Reduktase), sowie die von Struktur- schmerzen gekennzeichnet. Bei Kindern sind
(Hüll-)Proteinen, die wegen ihrer langsameren auch Fieberkrämpfe möglich. Die saisonale In-
Bildung auch als späte Proteine bezeichnet wer- fluenza tritt meist zwischen November und
den. Meist finden bei DNA-Viren die Transkrip- April auf. Sie dauert normalerweise 5–7 Tage,
tion und die Synthese neuer Nucleinsäure zur verläuft oft komplikationslos und heilt dann
Virus-Replikation im Zellkern statt, während auch von selbst aus. Vor allem bei älteren Pati-
RNA-Viren vorzugsweise im Zytoplasma mRNA enten sowie insbesondere bei Pandemien muss
und genomische RNA mittels viraler Replikasen dagegen mit zahlreichen Todesfällen gerechnet
bilden. Bei Retroviren wird die virale RNA mit- werden.
tels der vom Virus mitgebrachten Reversen Influenzaviren sind durch eine besonders
Transkriptase in DNA umgeschrieben und als rasche Veränderung ihrer Oberflächenstruktur
solche mittels einer Integrase in das Genom der charakterisiert. Durch Punktmutationen der
Wirtszelle integriert. Nach einer Latenzperiode Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und
496 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.12 Übersicht über die Angriffspunkte von Virustatika bei verschiedenen Viren
Viren Angriffspunkte der Virustatika

Influenzaviren 󠀂 Neuraminidasehemmer: Oseltamivir, Zanamivir,


󠀂 Hemmung des Uncoating: Amantadin

Herpesviren 󠀂 Polymeraseinhibitoren:
󠀂 Nucleosid-Analoga: Aciclovir, Valaciclovir, Ganciclovir, Valganciclovir, Brivudin

Hepatitis-B- 󠀂 Polymeraseinhibitoren:
Viren1 󠀂 Nucleosid-Analoga: Lamivudin, Telbivudin, Entecavir,
󠀂 Nucleotid-Analoga: Adefovir, Tenofovir

Hepatitis-C- 󠀂 Ribavirin (Wirkungsmechanismus unklar),


Viren1 󠀂 HCV-Polymeraseinhibitoren (NS5B-Inhibitoren):
󠀂 Nucleotid-Analogon: Sofosbuvir (Prodrug),
󠀂 Nicht-nucleosidischer Inhibitor: Dasabuvir,
󠀂 NS5A-Inhibitoren: Daclatasvir, Ledipasvir, Ombitasvir,
󠀂 HCV-NS3/4A-Proteaseinhibitoren: Boceprevir, Telaprevir, Simeprevir, Paritaprevir

HIV 󠀂 Entryinhibitoren: Maraviroc (CCR5-Antagonist), Enfuvirtid (Fusionshemmer),


󠀂 Reverse-Transkriptase-Inhibitoren:
󠀂 Nucleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI): Lamivudin, Emtricitabin,
Abacavir u. a.,
󠀂 Nucleotid-analoger Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NTRTI): Tenovofir,
󠀂 Nicht-nucleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI): Etravirin, Rilpivirin,
Efafirenz u. a.,
󠀂 Integraseinhibitoren: Raltegravir, Dolutegravir, Elvitegravir,
󠀂 HIV-Proteaseinhibitoren: Atazanavir, Darunavir, Lopinavir u. a.

1 Zur Therapie der Hepatitis B und C werden außerdem Alfa-Interferone eingesetzt (Ⴉ Kap. 32.3.1). Sie induzieren eine Resistenz gegen virale
Infektionen und modulieren das Immunsystem so, dass Viren neutralisiert und infizierte Zellen eliminiert werden.

Neuraminidase (N) entstehen regelmäßig neue 30.4.2.1 Neuraminidasehemmer


Varianten (Antigendrift), die immer wieder zu Für die Freisetzung von Influenzaviren aus den
Grippewellen führen und eine ständige Anpas- infizierten Zellen und ihre Verbreitung in den
sung der Grippeimpfstoffe gegen eine saisonale Atemwegen ist das Enzym Neuraminidase es-
Influenza erforderlich machen. Das Auftreten senziell, das zu den wichtigen Hüllproteinen
schwerer, weltweiter Grippeepidemien (Pande- dieser Viren gehört. Neuraminidase spaltet von
mien) mit Millionen von Todesfällen jeweils im Glykoproteinen und Glykolipiden auf der Ober-
Abstand von einigen Dekaden wird vor allem fläche von Wirtszellen, an die die Viren sich mit-
durch das Auftreten neuer gefährlicher Virus- tels Hämagglutinin anheften, terminale Sialin-
varianten begünstigt, die durch Rekombinati- säurereste ab, wodurch es zur Freisetzung der
on des Erbguts von Erregern entstehen, die pri- Viren kommt. Unterbleibt diese Reaktion, ver-
mär nur Mensch oder Tier infizierten (Anti- klumpen die Viren und können deshalb keine
genshift, Reassortment). weiteren Zellen infizieren.
Pharmaka, welche die Vermehrung von In- Die Neuraminidasehemmer Oseltamivir und
fluenzaviren hemmen, sind die Neuraminidase- Zanamivir sind Sialinsäure-Analoga. Sie hem-
hemmer und Amantadin. men die katalytische Aktivität der Neuramini-
30.4 Virustatika 497

dase durch Bindung im aktiven Zentrum des 30.4.2.2 Amantadin


Enzyms. Resistenzen sind vor allem gegen Osel- Amantadin (z. B. PK-Merz®) ist ein Virustati-
tamivir beschrieben, bei H1N1-Viren der saiso- kum, das mit dem Uncoating der Influenzaviren
nalen Grippe der Jahre 2008/2009 wurde eine interferiert (s. o.). Für dieses sowie für die Ag-
nahezu 100 %ige Resistenz beobachtet. H3N2- gregation der Hüllproteine ist bei Influenza-A-
und Influenza-B-Viren, die Haupterreger der Viren das M2-Protein notwendig, das u. a. in der
saisonalen Influenza in Deutschland, sind dage- Virushülle einen Ionenkanal bildet, über den
gen bislang von der Resistenzentwicklung nicht Protonen in das Virus transportiert werden. Der
betroffen. Abfall des pH-Werts im Viruspartikel führt zur
Oseltamivir (Tamiflu®) ist ein Prodrug, das Fusion der Strukturproteine der Virushülle mit
als Ester zu einem hohen Prozentsatz aus dem der Endosomenmembran und damit zur Frei-
Gastrointestinaltrakt resorbiert wird. Die aktive setzung des viralen Genoms. Als M2-Mem-
Carbonsäure ist gut gewebegängig (z. B. in die branproteinhemmer verhindert Amantadin
Lunge). Die Ausscheidung erfolgt überwiegend diesen Prozess. Es ist prophylaktisch und thera-
renal mit einer Halbwertszeit von ca. 6–10 Stun- peutisch gegen Infektionen mit Grippeviren der
den. Zanamivir (Relenza®), das bereits als akti- Untergruppe A wirksam. Aufgrund der raschen
ve Carbonsäure vorliegt, wird inhalativ ange- Resistenzentwicklung durch Punktmutation
wandt, da seine systemische Resorption bei per- (Austausch einer Aminosäure am M2-Ionenka-
oraler Applikation mit 10–20 % nur gering ist. nal) und der erheblichen neurologischen Ne-
Beide Neuraminidasehemmer sind zur Früh- benwirkungen wird es heute kaum noch als Vi-
therapie der Virusgrippe sowie zur Prophylaxe rustatikum eingesetzt. Die Dosierung von
und Postexpositionsprophylaxe indiziert. Auch Amantadin bei Influenza beträgt bei kurativem
gegen das Schweinegrippevirus A(H1N1)2009 Einsatz 200 mg täglich über 10 Tage. Als Anti-
und das Vogelgrippevirus A(H5N1) sind sie parkinsonmittel (Ⴉ Kap. 17.2.6) findet es aller-
wirksam. Oseltamivir wird über 5 Tage in einer dings weiterhin Anwendung.
Dosierung von 75 mg p. o. 2-mal täglich gege-
ben. Bei Niereninsuffizienz ist eine Dosisanpas- 30.4.2.3 Pharmakotherapie der Influenza
sung erforderlich. Die Dosierung von Zanami- Bei Patienten, die zu keiner Risikogruppe gehö-
vir beträgt 2-mal täglich 10 mg inhalativ eben- ren, ist die Behandlung symptomatisch. Liegen 30
falls über 5 Tage. Risikofaktoren (z. B. chronische Erkrankungen
Als Nebenwirkungen von Oseltamivir treten wie Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, HIV
häufig Übelkeit und Erbrechen, gelegentlich Be- u. a.) für einen besonders schweren Verlauf der
wusstseinsstörungen und Krampfanfälle sowie Erkrankung vor – in Deutschland gibt es etwa
erhöhte Leberenzyme im Blut auf. Außerdem 6000–13 000 Grippe-Todesfälle pro Jahr –, kön-
wurden vor allem bei Kindern und Jugendlichen nen Neuraminidasehemmer eingesetzt werden.
neuropsychiatrische Ereignisse beobachtet. Ihre Wirksamkeit ist allerdings nur belegt, wenn
Zanamivir kann außerdem gelegentlich zu die Virusreplikation noch nicht weit fortge-
Bronchospasmus, Dyspnoe und Enge im Ra- schritten ist. Daher sollte die Behandlung inner-
chenbereich führen (→ Vorsicht bei Patienten halb von 24 Stunden (max. 48 Stunden) nach
mit Asthma bronchiale). Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen
Peramivir, ein Neuraminidasehemmer zur einsetzen. In diesem Fall kann die Symptomatik
parenteralen Applikation, wurde im Rahmen um ca. 40 % gemildert, die Erkrankungsdauer
der Schweinegrippe-Pandemie A(H1N1)2009 um 0,8–1,5 Tage verkürzt und die Häufigkeit
von der FDA als Emergency Use Authorization von Sekundärinfektionen um ca. 50 % reduziert
vorübergehend und schließlich dauerhaft zuge- werden. Insgesamt wird der klinische Nutzen
lassen. der Neuraminidasehemmer derzeit als eher ge-
498 30 Antiinfektiva

ring eingestuft. Für Risikopatienten ist die Grip- Das gut resorbierbare Brivudin unterliegt ei-
peschutzimpfung (Ⴉ Kap. 32.2.1.1) die am besten nem starken First-Pass-Metabolismus zu dem
geeignete prophylaktische Maßnahme. unwirksamen Metaboliten Bromvinyluracil
(s. u.), die Bioverfügbarkeit beträgt daher nur
30.4.3 Antiherpetika 30 %. Die Ausscheidung von Brivudin und sei-
30.4.3.1 Nucleosid-Analoga ner Metaboliten erfolgt überwiegend renal, teil-
Zu den Herpesviren (DNA-Viren), bei denen weise auch mit den Fäzes (Halbwertszeit 16
eine antivirale Behandlung angezeigt ist, gehö- Stunden).
ren Herpes-simplex-Viren (zwei Typen: HSV-1,
Indikationen, Dosierungen. Indikationen und
HSV-2), das Varizella-Zoster-Virus (VZV) und
Dosierungen sind in ႒ Tab. 30.13 zusammenge-
das Zytomegalievirus (CMV). Zur Therapie
fasst. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss
von Herpesinfektionen kommen Nucleosid-
bei allen Nucleosid-Analoga – mit Ausnahme
Analoga und/oder deren Prodrugs zum Einsatz
von Brivudin – die Dosis der Kreatinin-Clea-
(႒ Tab. 30.13).
rance entsprechend angepasst werden.
Wirkungsmechanismus. Aciclovir, Penciclovir
Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen von
(aus Famciclovir) und Brivudin werden selektiv
Aciclovir/Valaciclovir und Famciclovir/Penci-
durch die virale Thymidinkinase, die nur von
clovir werden Kopfschmerzen, gastrointestinale
infizierten Zellen gebildet wird, zum Mono-
Beschwerden und Exantheme beobachtet. Bei
phosphat umgewandelt. Auch Ganciclovir wird
einer zu raschen i. v. Applikation von Aciclovir
überwiegend von viruseigenen Proteinkinasen
sowie bei Niereninsuffizienz besteht die Gefahr
aktiviert. Aus den Monophosphaten der Nucleo-
einer Nierenschädigung durch im Harn auskris-
sid-Analoga entstehen dann mittels zellulärer
tallisierende Substanz. Auch eine gleichzeitige
Enzyme aktive Triphosphate, die kompetitiv die
Gabe nephrotoxischer Pharmaka, z. B. von Cic-
DNA-Polymerase hemmen und nach Einbau in
losporin, erhöht das Risiko von Nierenschäden
die Virus-DNA zum Kettenabbruch führen.
durch die Nucleosid-Analoga. Unter der Gabe
Resistente Herpesviren werden fast ausschließ- von Ganciclovir treten zusätzlich sehr häufig
lich bei Langzeitsuppressionstherapie gefunden. Neutro- und Thrombopenien auf, auch Fieber
Den resistenten Stämmen fehlt meist die Thy- und Anämie sind häufig.
midinkinase, sodass die Aktivierung des Nuc- Als Nebenwirkungen von Brivudin wurden
leosids zum Monophosphat ausbleibt. Transaminasenanstiege sowie Blutbildverände-
rungen beobachtet. Eine längere Behandlungs-
Pharmakokinetik. Bei p. o. Gabe werden die
dauer (> 7 Tage) erhöht das Risiko für die Ent-
Nucleosid-Analoga Aciclovir, Ganciclovir und
stehung einer Hepatitis.
Penciclovir nur schlecht resorbiert, oral besser
resorbierbar sind sie in Form ihrer Prodrugs Interaktionen. Probenecid verzögert die Elimi-
Valaciclovir, Valganciclovir (beides Esterpro- nation der Guanosin-Analoga.
drugs) und Famciclovir, das durch die Alde-
Kontraindikationen. Die gleichzeitige Einnah-
hydoxidase in das wirksame Penciclovir umge-
me von Brivudin mit 5-Fluorouracil (5-FU)
wandelt wird. Da die Ausscheidung der Sub-
oder anderen 5-Fluoropyrimidinen (z. B. Flucy-
stanzen vorwiegend unverändert renal erfolgt,
tosin) ist kontraindiziert, da sie zu einer u. U.
ist bei Niereninsuffizienz eine Dosisreduktion
tödlichen Fluoropyrimidin-Toxizität führen
unbedingt erforderlich. Die Halbwertszeiten be-
kann. Bromvinyluracil, der Hauptmetabolit von
tragen 3 Stunden für Aciclovir und Valaciclovir,
Brivudin, hemmt nämlich irreversibel die Dihy-
2 Stunden für Penciclovir/Famciclovir und 3–4
dropyrimidin-Dehydrogenase (DPD), die
Stunden für Ganciclovir und Valganciclovir.
5-Fluorouracil metabolisiert. Die vollständige
30.4 Virustatika 499

႒ Tab. 30.13 Antiherpetika


INN (Handelspräparat) Indikationen, Dosierungen

Guanosin-Analoga

Aciclovir 󠀂 HSV-Infektionen: 0,2 g p. o. 5-mal tgl., bzw. 5 mg/kg KG i. v. 3-mal tgl.,


(z. B. Zovirax®) 󠀂 Herpes zoster: 0,8 g p. o. 5-mal tgl., bzw. 5–10 mg/kg KG i. v. 3-mal tgl.,
󠀂 Herpes-labialis (Creme 50 mg/g), Augeninfektionen (Salbe 30 mg/g) jeweils
5-mal tgl.

Valaciclovir1 󠀂 HSV-Infektionen: 0,5 g p. o. 2-mal tgl.,


(z. B. Valtrex®) 󠀂 Herpes zoster: 1 g p. o. 3-mal tgl.,
󠀂 Prophylaxe von CMV-Infektion und -Erkrankung: 2 g p. o. 4-mal tgl.

Famciclovir1 󠀂 Herpes genitalis: 250 mg p. o. 3-mal tgl.,


(Famvir®) 󠀂 Herpes zoster: 500 mg p. o. 3-mal tgl.

Ganciclovir 󠀂 CMV-Erkrankungen: initial 5 mg/kg KG i. v. 2-mal tgl., dann 6 mg/kg KG i. v.


(Cymeven®) 1-mal tgl. an 5 Tagen der Woche

Valganciclovir1 󠀂 CMV-Retinitis: initial 0,9 g p. o. 2-mal tgl. (über 21 Tage), dann 1-mal tgl.,
(Valcyte®) 󠀂 Prophylaxe von CMV-Erkrankungen: 0,9 g p. o. 1-mal tgl.

Thymidin-Analogon

Brivudin2 (Zostex®) 󠀂 Herpes zoster: 125 mg p. o. 1-mal tgl.

1 Prodrugs,
2 nur bei immunkompetenten Erwachsenen

Enzymaktivität ist erst wieder nach etwa 18 Ta- Zoster-, Hepatitis-B-, Zytomegalie-, Epstein-
gen hergestellt. Barr-Viren und HIV. Es ist zur topischen
Bei neutropenischen Patienten sowie in der Anwendung bei HSV-Infektionen (Herpes labi- 30
Schwangerschaft (wegen teratogener Wirkung alis) als 2 %ige Creme (6-mal tgl.) im Handel.
im Tierversuch) und Stillzeit ist Ganciclovir
kontraindiziert. 30.4.3.3 Therapie von Herpesinfektionen
(Beispiele)
30.4.3.2 Lokaltherapeutika Herpes-simplex-Infektionen. Herpes-simplex-
Trifluridin (Triflumann®-Augentropfen), ein Viren (HSV) persistieren lebenslang in Gangli-
Thymidin-Analogon, kann aufgrund der feh- enzellen und können rezidivierende Sekundär-
lenden Selektivität für virale und zelleigene infektionen auslösen (z. B. bei Stress, Fieber,
Polymerasen nur topisch appliziert werden. In- UV-Strahlen). Während Herpes labialis (Lip-
dikationen sind durch Herpes-simplex-Viren penbläschen) hauptsächlich durch HSV-1 ver-
ausgelöste Keratitiden. Außerdem wird Tro- ursacht wird, wird Herpes genitalis (Genital-
mantadin (Viru-Merz® Serol Gel), ein Amanta- herpes) überwiegend durch HSV-2 ausgelöst.
din-Derivat (s. o.), bei Herpes-simplex-Infektio- Bei leichten Herpes-labialis-Infektionen ist eine
nen lokal auf der Haut angewendet. Nachteilig lokale Therapie mit Virustatika (z. B. Aciclovir,
ist, dass häufig Kontaktallergien auftreten. Fos- Foscarnet) ausreichend. Bei schwerem Verlauf
carnet (Triapten® Antiviralcreme), ein Phos- (z. B. mit multiplen Bläschen) und bei Herpes
phonsäure-Derivat, hemmt reversibel die DNA- genitalis ist eine systemische (orale) virustati-
Polymerase von Herpes-simplex-, Varizella- sche Therapie indiziert. Mittel der Wahl ist
500 30 Antiinfektiva

Aciclovir. Valaciclovir und Famciclovir sind net (in der Schweiz als Foscavir® im Handel)
gleichwertige Alternativen. Sie haben eine bes- oder des sehr nephrotoxischen Nucleotid-Ana-
sere orale Bioverfügbarkeit als Aciclovir und logons Cidofovir (in D seit 2014 nicht mehr im
müssen weniger häufig eingenommen werden. Handel), das zur Senkung der Nephrotoxizität
Die Behandlungsdauer beträgt 5–10 Tage. nur in Kombination mit Probenecid (→ Sen-
Schwere Herpeserkrankungen (z. B. Herpesen- kung der tubulären Cidofovir-Sekretion) und
zephalitis), die vor allem bei AIDS-Patienten unter reichlicher Flüssigkeitszufuhr gegeben
auftreten, erfordern eine parenterale Therapie werden darf, möglich.
mit Aciclovir (10 mg/kg KG i. v. täglich, mind.
14 Tage). 30.4.4 Virustatika mit Wirkung gegen
Hepatitisviren
Herpes zoster. Die Gürtelrose ist eine durch das
Eine Hepatitis kann durch primär hepatotrope
Varizella-Zoster-Virus (VZV) verursachte neu-
(Hepatitis A, B, C, D und E), die ca. 95 % aller
rokutane Erkrankung, die durch starke Schmer-
Virushepatitiden verursachen, oder von nicht
zen gekennzeichnet ist. Schwer zu behandeln ist
primär hepatotropen Viren (z. B. Epstein-Barr-
die postherpetische Neuralgie (PHN). Um ei-
Virus, Zytomegalievirus) ausgelöst werden. Die
ner Chronifizierung der Schmerzen vorzubeu-
enteral übertragenen Formen (Hepatitis A und
gen, ist neben der möglichst raschen antiviralen
E) können durch konsequente Hygiene oder im
Therapie eine frühzeitige Schmerztherapie
Fall der Hepatitis A durch Impfung vermieden
(neuropathische Schmerzen Ⴉ Kap. 12.1.8) emp-
werden. Infektionen mit dem Hepatitis-B-, -C-
fehlenswert. Bei Patienten über 50 Jahren oder
und -D-Virus werden hauptsächlich parenteral
mit Abwehrschwäche, bei Manifestation im
und sexuell übertragen, können chronisch ver-
Kopf-Hals-Bereich sowie bei ausgedehntem
laufen und erhöhen das Risiko für die Ausbil-
Bläschenbefall ist eine systemische antivirale
dung eines hepatozellulären Karzinoms. Virus-
Therapie über 5–7 Tage indiziert. Zur oralen Be-
hepatitiden sind laut Infektionsschutzgesetz
handlung stehen die Virustatika Aciclovir, Vala-
meldepflichtige Erkrankungen.
ciclovir, Famciclovir und Brivudin zur Verfü-
gung. Brivudin hat aufgrund seiner langen
30.4.4.1 Hepatitis A
Halbwertszeit den Vorteil der 1-mal täglichen
Die Hepatitis A wird durch das Hepatitis-A-Vi-
Applikation (Aciclovir 5-mal täglich).
rus (HAV), ein RNA-Virus, hervorgerufen, das
Zytomegalieviruserkrankungen. Die Primärin- hauptsächlich durch kontaminierte Lebensmit-
fektion mit dem Zytomegalievirus (CMV) ver- tel, Trinkwasser, aber auch durch Schmierinfek-
läuft bei immunkompetenten Personen zumeist tionen übertragen wird. Eine HAV-Infektion
asymptomatisch. Schwere Krankheitsverläufe hinterlässt eine lebenslange Immunität. Sie zeigt
(z. B. mit Ikterus, Hepatosplenomegalie, Chorio- keinen chronischen Verlauf und heilt auch ohne
retinitis, neurologischen Störungen) können je- Behandlung meist aus. Zur Prophylaxe einer
doch bei Primärinfektion oder Reaktivierung Hepatitis-A-Infektion kann eine aktive Immu-
des latenten Virus bei Immunsupprimierten, nisierung mit inaktivierten Hepatitis-A-Viren
insbesondere bei Transplantatempfängern und (Havrix®) oder mit hochgereinigtem Protein
HIV-Infizierten, ferner bei Neugeborenen (kon- von Hepatitis-A-Viren (VAQTA®) durchgeführt
genitale Infektion) auftreten. Mittel der Wahl werden (Ⴉ Kap. 32.2.1). Sie ist u. a. indiziert bei
zur Therapie der CMV-Retinitis bei HIV-Pati- beruflich exponierten Personen (medizini-
enten sowie der CMV-Infektionsprophylaxe schem Personal, Kanalarbeitern etc.) und bei
nach Organtransplantationen (über 100–200 Reisenden in Länder mit hoher Hepatitis-A-
Tage) ist Valganciclovir, alternativ kann Gan- Durchseuchung. Kann eine aktive Immunisie-
ciclovir gegeben werden (႒ Tab. 30.13). Bei Re- rung nicht mehr rechtzeitig erfolgen (z. B. nach
sistenzen ist die intravenöse Gabe von Foscar- engem Kontakt mit HAV-Infizierten oder kurz-
30.4 Virustatika 501

fristig geplanten Reisen in tropische Länder), ist Kontraindikationen sind Schwangerschaft


eine passive Immunisierung mit humanem Im- und Stillzeit, fortgeschrittene Leberzirrhose,
munglobulin (Beriglobin®) möglich. vorbestehende schwere Herzkrankheiten, eine
gleichzeitig durchgeführte Immunsuppression
30.4.4.2 Hepatitis B sowie psychiatrische oder Autoimmunerkran-
Die Hepatitis B gehört weltweit zu den häufigs- kungen.
ten Infektionskrankheiten. Sie wird hauptsäch-
Nucleosid- oder Nucleotid-Analoga. Zu den
lich parenteral, sexuell und perinatal übertra-
zur Therapie der chronischen Hepatitis B zuge-
gen. Das Hepatitis-B-Virus (HBV) gehört im
lassenen Nucleosid-Analoga gehören das Des-
Gegensatz zu allen anderen Hepatitisviren zu
oxycytidin-Analogon Lamivudin (Zeffix®), das
den DNA-Viren (Hepadnaviren). Es ist ca. 100-
Guanosin-Analogon Entecavir (Baraclude®)
mal infektiöser als das HI-Virus. Bei ca. 30 % der
und das Thymidin-Analogon Telbivudin (Sebi-
erwachsenen Infizierten kommt es zu einer aku-
vo®). Die Nucleotid-Analoga Adefovirdipivoxil
ten Hepatitis mit konsekutiver Heilung und Vi-
(Hepsera®) und Tenofovirdisoproxil (Viread®)
ruselimination, ca. 2 % entwickeln jedoch eine
sind Prodrugs, die nach Resorption in die mit
chronische Hepatitis. Leberzirrhose und Leber-
Adenosinmonophosphat strukturell verwandten
zellkarzinom stellen Spätkomplikationen der
Nucleotide Adefovir und Tenofovir umgewan-
chronischen Hepatitis B dar.
delt werden. Im Gegensatz zu einer Interferon-
Da eine akute Hepatitis-B-Infektion bei Er-
alfa-Therapie ist eine antivirale Behandlung mit
wachsenen zu einem hohen Prozentsatz spontan
einem Nucleosid- oder Nucleotid-Analogon in
ausheilt, wird im akuten Stadium normalerwei-
der Regel lebenslang durchzuführen.
se keine Therapie empfohlen. Eine Infektion, die
Die Nucleosid- und Nucleotid-Analoga wer-
nach 6 Monaten nicht ausgeheilt ist und damit
den in die Zellen aufgenommen und durch zel-
einer chronischen Hepatitis B entspricht, erfor-
luläre Kinasen zu den wirksamen Triphosphaten
dert dagegen eine antivirale Behandlung. Zur
phosphoryliert, die die HBV-DNA-Polymerase
Anwendung kommen Interferon alfa und nuc-
hemmen und als falsche Substrate Kettenabbrü-
leosidische bzw. nucleotidische Polymeraseinhi-
che bei der viralen Nucleinsäuresynthese her-
bitoren.
vorrufen (Ⴉ Kap. 30.4.3). Die Nucleosid- bzw.
Interferon alfa. Standard ist eine Interferon- Nucleotid-Analoga unterscheiden sich vor al-
30
alfa-Monotherapie mit pegyliertem Interferon lem im Risiko einer Resistenzentwicklung, die
alfa-2a (Peginterferon alfa-2a, Pegasys®) in ei- sich durch einen Anstieg der HBV-DNA im Blut
ner Dosierung von 1-mal 180 μg s. c./Woche für um mindestens 1 log-Stufe manifestiert. Resis-
48 Wochen (Ⴉ Kap. 32.3.1). Pegylierte Interfero- tente Patienten (meist unter einer Therapie mit
ne werden langsamer metabolisiert und elimi- Lamivudin, Telbivudin oder Adefovirdipivoxil)
niert als nicht pegylierte und müssen deshalb werden auf Substanzen mit niedrigerer Resis-
nur 1-mal pro Woche injiziert werden. Bei ca. tenzrate (z. B. Entecavir, Tenofovirdisoproxil)
40 % der Patienten kommt es unter einer Interfe- umgestellt.
ron-alfa-Therapie zu einer Remission, bei nur Die Halbwertszeiten und Dosierungen sind
5 % zu einer Ausheilung der Erkrankung. in ႒ Tab. 30.14 zusammengefasst. Die intrazellu-
Häufige Nebenwirkungen sind grippeartige lären Halbwertszeiten der Triphosphate betra-
Symptome (Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen, gen ca. 15–20 Stunden, sodass eine Einmalgabe
Myalgie, Schüttelfrost), Gewichtsverlust, Haar- pro Tag ausreicht. Alle Substanzen werden
ausfall, Thrombopenie, Leukopenie, Neuropa- hauptsächlich renal in unveränderter Form aus-
thie, Depressionen und Beeinträchtigungen der geschieden, metabolische Interaktionen sind
bakteriellen Abwehr. unwahrscheinlich. Bei Niereninsuffizienz ist
eine Dosisreduktion erforderlich.
502 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.14 Nucleosid- und Nucleotid-Analoga pen mit ca. 100 Subtypen bekannt sind. Die
zur Therapie der chronischen Hepatitis B Übertragung erfolgt parenteral, das sexuelle und
INN (HWZ) Tagesdosis
perinatale Übertragungsrisiko ist gering. In
Deutschland sind etwa eine halbe Mio. Men-
Nucleosid-Analoga schen infiziert, vor allem Patienten mit Hämo-
philie, Drogenabhängige und Dialysepatienten.
Entecavir (ca. 130 h) 0,5–1,0 mg p. o.
Weltweit wird die Zahl der HCV-Infizierten auf
Lamivudin1 (5–7 h) 100 mg p. o. 130–150 Mio. geschätzt.
Die akute Hepatitis C verläuft meist asymp-
Telbivudin (ca. 42 h) 600 mg p. o. tomatisch. Unbehandelt geht sie bei mehr als
Nucleotid-Analoga der Hälfte der Infizierten in eine chronische
Verlaufsform über (positiver Nachweis von
Adefovirdipivoxil (5–10 h) 10 mg p. o. HCV-Antikörpern und von HCV-RNA im Se-
rum ≥ 6 Monate). Etwa 20 % der Patienten mit
Tenofovirdisoproxil1 (12–18 h) 245 mg p. o.
chronischer Hepatitis C entwickeln nach ca.
1 Hemmen auch die Reverse Transkriptase von HIV (Ⴉ Kap. 30.4.5.1) 20–25 Jahren eine Leberzirrhose, davon wiede-
rum ca. 4 % pro Jahr ein hepatozelluläres Karzi-
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkun- nom.
gen sind allgemeines Krankheitsgefühl, Müdig- Eine Chronifizierung der akuten Hepatitis C
keit, Infektionen der Atemwege, Kopfschmer- kann durch eine Monotherapie mit Interferon
zen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, erhöhte Le- alfa in nicht pegylierter oder pegylierter Form
berenzymwerte und Muskelschmerzen. (Ⴉ Kap. 32.3.1) über 24 Wochen verhindert wer-
Arzneistoffe, die die Nierenfunktion beein- den.
flussen (z. B. Aminoglykoside), können zu ver-
Arzneistoffe zur Therapie der chronischen
änderten Plasmakonzentrationen der Nucleo-
Hepatitis C
sid- bzw. Nucleotid-Analoga führen.
Bei einer Schwangerschaft sind Entecavir Die Behandlung der chronischen Hepatitis C
und Adefovirdipivoxil kontraindiziert, eine La- erfolgt generell mit einer Kombinationstherapie.
mivudin- oder Tenofovirdisoproxil-Gabe kann, Zur Anwendung kommen Ribavirin und die
falls notwendig, in Betracht gezogen werden. neuen sog. „Direct Acting Antivirals“ (DAA;
႒ Tab. 30.15).
Impfung. Eine Impfung (Ⴉ Kap. 32.2.1) mit gen-
technisch hergestelltem Impfstoff (Engerix®-B) Zu den „Direct Acting Antivirals“ zählen die
gehört bei Kindern zu den Standardimpfungen 󠀂 HCV-Proteaseinhibitoren (Suffix -previr),
und sollte auch bei Erwachsenen mit erhöhtem 󠀂 NS5A-Inhibitoren (Suffix -asvir) und die
Infektionsrisiko durchgeführt werden. Außer- 󠀂 HCV-Polymeraseinhibitoren (Suffix -buvir).
dem ist ein Kombinationsimpfstoff gegen Hepa-
titis A und B auf dem Markt (TwinrixTM). Bei Pegyliertes Interferon (Ⴉ Kap. 32.3.1) spielt we-
bereits erfolgter Exposition mit HBV-infizier- gen der nebenwirkungsärmeren Alternativen
tem Blut ist eine passive Immunisierung mit heute nur noch eine untergeordnete Rolle.
Hyperimmungammaglobulin (Hepatitis-B-Im-
Ribavirin. Ribavirin (z. B. Copegus®) ist ein Nu-
munglobulin Behring) erforderlich.
cleosid-Analogon, das in vitro die Replikation
einiger RNA- und DNA-Viren hemmt. Der Wir-
30.4.4.3 Hepatitis C
kungsmechanismus ist bislang nur teilweise be-
Die Hepatitis C beruht auf einer Infektion mit
kannt. Ribavirin wird intrazellulär zum Mono-,
dem zur Gruppe der RNA-Viren gehörenden
Di- und Triphosphat umgewandelt. Das Mono-
Hepatitis-C-Virus (HCV), von dem 6 Genoty-
30.4 Virustatika 503

phosphat blockiert (u. a.) die Inosin-5'-Mono- ႒ Tab. 30.15 Arzneistoffe zur Therapie der chroni-
phosphat-Dehydrogenase und damit die Bil- schen Hepatitis C
dung von Guanosin-Nucleotiden sowie als Folge INN (HWZ) Dosierung
auch die Nucleinsäuresynthese.
Ribavirin verteilt sich intensiv aus dem Plas- Peginterferon alfa-2a 180 μg/Woche s. c.
ma in andere Kompartimente und reichert sich (ca. 80 h)
beispielsweise in Erythrozyten an. Es wird teils
Peginterferon alfa-2b 1,5 μg/kg/KG/Woche
unverändert, teils nach Riboseabspaltung renal (ca. 30 h) s. c.
ausgeschieden. Die pharmakokinetischen Para-
meter unterliegen einer sehr hohen intra- und Ribavirin (140–160 h) 0,8–1,2 g/Tag p. o.
interindividuellen Variabilität. Halbwertszeit
HCV-NS3/4A-Proteaseinhibitoren
und Dosierung sind ႒ Tab. 30.15 zu entnehmen.
Ribavirin ist zur Kombinationstherapie der Boceprevir (3–4 h) 800 mg p. o. 3 × tgl.
chronischen Hepatitis C indiziert (s. u.). Ferner
ist es zur Behandlung von schweren Infektionen Paritaprevir1 (5,5 h)2 150 mg p. o. 1 × tgl.

der unteren Atemwege, die durch Respiratori- Simeprevir (41 h) 150 mg p. o. 1 × tgl.
sche-Synzytial-Viren (RSV) verursacht werden,
sowie gegen das in Westafrika endemische Las- Telaprevir (4–10 h) 750 mg p. o. 3 × tgl.
safieber (Infektion mit Arenaviren) zugelassen.
NS5A-Inhibitoren
Bei den Nebenwirkungen dominieren grip-
peähnliche Beschwerden, außerdem kann Riba- Daclatasvir (12–15 h) 60 mg p. o. 1 × tgl.
virin dosisabhängig eine reversible hämolyti-
Ledipasvir3 (47 h) 90 mg p. o. 1 × tgl.
sche Anämie (infolge der Anreicherung in Ery-
throzyten) auslösen. Im Tierversuch ist es tera- Ombitasvir1 (21–25 h) 25 mg p. o. 1 × tgl.
togen und kanzerogen. Aufgrund der langen
Halbwertszeit muss dementsprechend bis zu 6 HCV-Polymeraseinhibitoren (NS5B-Inhibitoren)
Monate nach der Behandlung eine zuverlässige Dasabuvir (6 h) 250 mg p. o. 2 × tgl.
Kontrazeption gewährleistet sein.
HCV-Proteaseinhibitoren. Die im Jahr 2011 zu-
Sofosbuvir (Prodrug)4 400 mg p. o. 1 × tgl. 30
gelassenen HCV-Proteaseinhibitoren Bocepre- 1 In Fixkombination Viekirax®,

vir (Victrelis®) und Telaprevir (INCIVO®) ha-


2 geboostert mit Ritonavir,
3 in Fixkombination mit Sofosbuvir (Harvoni®),

ben die Therapie der chronischen Hepatitis C 4 HWZ des aktiven Metaboliten nicht bekannt

vom Genotyp 1 revolutioniert. Im Vergleich zur


Standardtherapie Peginterferon/Ribaverin führ-
te die Dreifachkombination zu einer signifikan- spaltung bestimmter sog. Nichtstrukturproteine
ten Verbesserung des virologischen Anspre- (z. B. NS3/4A) aus dem viralen Polyprotein ver-
chens von ca. 40 % auf ca. 70 %. Durch die kürz- antwortlich (das HCV-Genom codiert für ein
liche Einführung von Simeprevir (OLYSIO®) einziges Polyprotein, das durch Proteasen ge-
und Paritaprevir (in Viekirax®), Proteasehem- spalten wird). Die Nichtstrukturproteine sind
mer der 2. Generation mit niedrigerer Neben- essenziell an der Entstehung des viralen RNA-
wirkungsrate und Tablettenlast, haben Bocepre- Replikationskomplexes beteiligt. Fehlen sie,
vir und Telaprevir ihre Bedeutung heute aller- kann keine virale Replikation stattfinden. Muta-
dings bereits wieder weitgehend verloren. tionen in der Nähe der Bindungsstelle können
HCV-Proteaseinhibitoren binden reversibel insbesondere bei Monotherapie relativ rasch zur
an die Seringruppe im aktiven Zentrum der Resistenzentwicklung führen, mit Kreuzresis-
HCV-NS3/4A-Protease. Diese ist für die Ab- tenzen innerhalb der Gruppe ist zu rechnen.
504 30 Antiinfektiva

HCV-Proteaseinhibitoren werden haupt- ßerdem starke CYP3A4-Inhibitoren, sodass die


sächlich über CYP3A4 metabolisiert, bei der Gefahr zahlreicher Interaktionen mit CYP3A4-
Metabolisierung von Telaprevir und vor allem Substraten, -Induktoren und -Inhibitoren be-
von Boceprevir sind zusätzlich Aldo-Keto-Re- steht. CYP3A4-Substrate mit geringer therapeu-
duktasen beteiligt. Die Ausscheidung erfolgt tischer Breite (z. B. Amiodaron, Astemizol, Ter-
überwiegend biliär/fäkal, die Halbwertszeiten fenadin, einige Statine) sind deshalb kontraindi-
und Dosierungen sind in ႒ Tab. 30.15 zusam- ziert. (Simeprevir hemmt dagegen die hepatische
mengefasst. Aktivität von CYP3A4 nicht.)
Boceprevir und Telaprevir werden (bzw. wur- Paritaprevir und Ritonavir sind darüber hin-
den) in Kombination mit Peginterferon alfa/Ri- aus Inhibitoren von BCRP und UGT1A1. Bei
bavirin angewendet. Simeprevir wird darüber gleichzeitiger Gabe von BCRP-Substraten (z. B.
hinaus mit dem NS5B-Polymeraseinhibitor So- einigen Statinen) und Arzneistoffen, die über
fosbuvir (s. u.) kombiniert. Die Fixkombination UGT1A1 metabolisiert werden, insbesondere
Viekirax® aus Paritaprevir, Ritonavir (als bei solchen mit enger therapeutischer Breite
CYP3A4-Inhibitor zur Verlängerung der Pari- (z. B. Levothyroxin), ist eine Dosisanpassung er-
taprevir-Halbwertszeit, sog. Booster Ⴉ Kap. forderlich.
30.4.5.4) und Ombitasvir wird zusammen mit
NS5A-Inhibitoren. Daclatasvir (Daklinza®),
Dasabuvir (± Ribavirin) gegeben.
Ledipasvir (in Harvoni®) und Ombitasvir (in
Das Nebenwirkungsprofil wurde für Boce-
Viekirax®) hemmen das multifunktionelle
previr, Telaprevir und Paritaprevir nicht einzeln
Nichtstrukturprotein 5A (NS5A), das u. a. ein
untersucht, sondern nur in der Kombinations-
wesentlicher Bestandteil des HCV-Replikations-
therapie erfasst. Häufige, zusätzlich zur Zwei-
komplexes ist. Resistenzen entstehen durch Sub-
fachkombination Peginterferon/Ribavirin beob-
stitutionen am NS5A-Protein.
achtete Nebenwirkungen sind u. a. eine ver-
Daclatasvir wird vor allem via CYP3A4 me-
stärkte Anämie durch Boceprevir und Telapre-
tabolisiert und überwiegend über die Fäzes aus-
vir. Darüber hinaus dominieren bei Boceprevir
geschieden. Bei gleichzeitiger Gabe starker
Geschmacksstörungen, bei Telaprevir schwere
CYP3A4-Inhibitoren ist eine Dosisreduktion
Hautausschläge.
erforderlich, starke CYP3A4-Induktoren sind
In der Kombinationstherapie mit Paritapre-
kontraindiziert. Ledipasvir und Ombitasvir
vir, Ritonavir, Ombitasvir und Dasabuvir wurde
werden hauptsächlich unverändert mit dem
Pruritus häufig beobachtet. Außerdem sind vor-
Stuhl ausgeschieden. Die Halbwertszeiten und
übergehende ALT-Anstiege vor allem bei gleich-
Dosierungen sind in ႒ Tab. 30.15 aufgelistet.
zeitiger Anwendung Ethinylestradiol-haltiger
Daclatasvir und Ledipasvir werden zur The-
Arzneimittel (z. B. hormonelle Kontrazeptiva)
rapie der chronischen Hepatitis C jeweils mit
aufgetreten, die gleichzeitige Anwendung ist da-
Sofosbuvir kombiniert. Ombitasvir wird in
her kontraindiziert.
Kombination mit geboostertem Paritaprevir
Bei Simeprevir kommen Photosensitivitätsre-
(s. o.) und Dasabuvir eingesetzt. Auch eine
aktionen (→ Sonnenschutzmaßnahmen), Haut-
Kombination mit Ribavirin ist jeweils möglich.
ausschläge und Bilirubinerhöhungen vor.
Die häufigsten Nebenwirkungen der Dacla-
Das Wechselwirkungsrisiko der HCV-Prote-
tasvir- und Ledipasvir-Kombinationen mit So-
aseinhibitoren ist relativ hoch. Sie sind alle Sub-
fosbuvir sind Ermüdung, Kopfschmerzen und
strate von CYP3A4 und P-gp sowie Inhibitoren
Übelkeit. In Kombination mit Ribavirin domi-
von P-gp (Substrat ist z. B. Digoxin) und weite-
nieren die Nebenwirkungen des Kombinations-
ren Transportern z. B. OATP1B1 (Substrate sind
partners. Die Nebenwirkungen der Ombitasvir-
z. B. Statine).
Kombination sind unter Paritaprevir (s. o.) be-
Boceprevir und das in Viekirax® enthaltene
schrieben.
Ritonavir (als Booster für Paritaprevir) sind au-
30.4 Virustatika 505

Die NS5A-Inhibitoren sind Substrate und In- nur in Kombination mit Ribavirin oder Ribavi-
hibitoren von P-gp und anderen Transportern. rin plus Peginterferon alfa untersucht wurde.
Die gleichzeitige Gabe starker P-gp-Induktoren Die dabei beobachteten Nebenwirkungen ent-
(z. B. Rifampicin, Carbamazepin) ist wegen ver- sprachen im Wesentlichen denen der Kombina-
ringerter Plasmaspiegel zu vermeiden. Ombitas- tionspartner. Die Nebenwirkungen von Dasabu-
vir hemmt außerdem UGT1A1. vir in Kombination mit Paritaprevir/Ritonavir
Daclatasvir ist im Tierversuch teratogen und und Ombitasvir sind unter Paritaprevir (s. o.)
embryotoxisch, eine Anwendung in der Schwan- beschrieben.
gerschaft ist daher kontraindiziert. Eine Emp- Sofosbuvir ist P-gp-Substrat und darf nicht
fängnisverhütung sollte bis 5 Wochen nach The- gleichzeitig mit starken P-gp-Induktoren (z. B.
rapieende fortgeführt werden. Johanniskraut) angewendet werden, da diese zu
stark erniedrigten Plasmakonzentrationen füh-
HCV-Polymeraseinhibitoren. Sofosbuvir (Soval-
ren.
di®, in Harvoni®) ist ein Nucleotid-Prodrug, das
Dasabuvir ist ein Inhibitor von BCRP
in der Leber metabolisch über mehrere Schritte
(Transportersubstrate sind z. B. Imatinib, einige
zu einem Uridin-Analogon und durch zelluläre
Statine) und von UGT1A1 (→ Dosisanpassung
Kinasen weiter zum Triphosphat aktiviert wird.
z. B. von Levothyroxin).
Dieses hemmt die RNA-abhängige Polymerase
NS5B, die entscheidend für die Replikation des
Therapie der chronischen Hepatitis C
Virusgenoms ist (zum Mechanismus vgl. Nucleo-
Um das Risiko der Resistenzentwicklung zu mi-
sid-Analoga Ⴉ Kap. 30.4.3.1, Ⴉ Kap. 30.4.5.1).
nimieren, ist die Behandlung der chronischen
Dasabuvir (Exviera®) ist ein nicht-nucleosidi-
Hepatitis C stets eine Kombinationstherapie aus
scher Inhibitor desselben Enzyms. Resistenzmu-
Arzneistoffen mit unterschiedlichen Targets
tationen scheinen beim NS5B-Protein seltener
und unterschiedlichen Resistenzprofilen. Die
aufzutreten als bei der HCV-NS3/4A-Protease
aktuelle Empfehlung (Addendum zur Hepatitis-
und beim NS5A-Protein.
C-AWMF-Leitlinie, 2015) sieht für die in
Das aus Sofosbuvir gebildete Nucleosid-Ana-
Deutschland am häufigsten vorkommende
logon-Triphosphat wird in dephosphorylierter
HCV-Genotyp-1-Infektion folgende gleichwer-
Form hauptsächlich renal ausgeschieden.
Dasabuvir wird in erster Linie durch CYP2C8
tige, Interferon-freie (und damit nebenwir- 30
kungsärmere) Therapieoptionen vor:
metabolisiert, Metaboliten und die unveränder-
te Substanz werden mit dem Stuhl ausgeschie- 󠀂 Ledipasvir plus Sofosbuvir ± Ribavirin für 8
den. Die gleichzeitige Anwendung von Gemfib- oder 12 Wochen,
rozil (CYP2C8-Inhibitor) sowie von Enzymin- 󠀂 Paritaprevir (mit Ritonavir als Booster) plus
duktoren ist kontraindiziert. Ombitasvir plus Dasabuvir ± Ribavirin für
Die Halbwertszeiten und Dosierungen sind 12 Wochen,
in ႒ Tab. 30.15 zusammengefasst. 󠀂 Simeprevir plus Sofosbuvir ± Ribavirin für
Sofosbuvir kann je nach HCV-Genotyp ent- 12 Wochen oder,
weder in Kombination mit Ribavirin, mit Riba- 󠀂 Daclatasvir plus Sofosbuvir ± Ribavirin für
virin plus Peginterferon oder auch mit einem 12 Wochen.
NS5A-Inhibitor (Daclatasvir, Ledipasvir) ange-
Die Auswahl des Therapieregimes hängt u. a.
wendet werden.
vom Vortherapiestatus, von viralen Resistenzen
Dasabuvir wird in der 3DAA-Kombination
und vom Zirrhosestatus ab. Die Behandlungs-
(3 „Direct Acting Antivirals“) mit Paritaprevir/
dauer kann sich bei Patienten mit kompensier-
Ritonavir und Ombitasvir eingesetzt.
ter und dekompensierter Zirrhose bzw. vor oder
Sofosbuvir-spezifische Nebenwirkungen
nach Organtransplantation auf 24 Wochen ver-
konnten bisher nicht identifiziert werden, da es
längern. Durch die neuen Therapieansätze ist
506 30 Antiinfektiva

eine Heilung der Hepatitis C bei fast allen Pati- 30.4.5 HIV, AIDS und antiretrovirale
enten möglich, die dauerhafte virologische An- Wirkstoffe
sprechrate liegt bei Ersttherapie bei über 95 %. Die zu Beginn der 80iger Jahre entdeckte lebens-
Auch bei vorgeschädigter Leber oder bei Patien- bedrohende Infektion mit dem zu den Retrovi-
ten, die auf eine Therapie mit Ribavirin und In- ren gehörenden Humanen Immundefizienz-
terferon alfa nicht ansprachen (Non-Responder) Virus (HIV) erforderte die sofortige Suche nach
sind die Therapieerfolge sehr gut. Nachteilig geeigneten Behandlungsmethoden. Neben anti-
sind allerdings die bislang sehr hohen Therapie- retroviralen Wirkstoffen waren bzw. sind hierzu
kosten. auch Pharmaka zur Therapie der bei diesen Pa-
Ähnliche, meist interferonfreie Therapie- tienten häufigen, schweren zusätzlichen Infekti-
schemata werden auch für die Behandlung der onskrankheiten notwendig. Diese opportunisti-
anderen HCV-Genotypen angewendet. schen Infektionen beruhen auf dem HIV-be-
Weitere HCV-Proteaseinhibitoren (z. B. Asu- dingten Defekt der zellulären Immunfunktion,
naprevir, Grazoprevir), NS5A-Inhibitoren (z. B. insbesondere einer Zerstörung der T-Helferzel-
Elbasvir, Samatasvir) und HCV-Polymerasein- len. Das Endstadium der HIV-Erkrankung, das
hibitoren (z. B. Beclabuvir) stehen vor der Zulas- Vollbild von AIDS (Acquired Immuno-Defici-
sung. ency Syndrome), ist durch erhöhte Anfälligkeit
Ein Impfstoff gegen Hepatitis C steht wegen gegen solche opportunistische Erreger sowie
der hohen Variabilität von HCV (mehrere Ge- durch ein vermehrtes Auftreten maligner Tu-
notypen) derzeit nicht zur Verfügung. moren (Kaposi-Sarkomen) und Störungen des
Nervensystems charakterisiert (႒ Tab. 30.16).
30.4.4.4 Hepatitis D und E Letztere beruhen auf einem Virusbefall des Ge-
Das Hepatitis-D-(delta-)Virus (HDV) ist ein in- hirns.
komplettes RNA-Virus, das für seine Replikati- Als Retroviren enthalten HI-Viren ihre gene-
on die Hülle von HBV benötigt. Voraussetzung tische Information in Form von RNA. Mit sei-
für eine durch HDV ausgelöste Hepatitis ist des- nem Oberflächenprotein gp120 heftet sich das
halb eine gleichzeitige akute oder persistierende HI-Virus an das CD4-Oberflächenprotein der
Infektion mit HBV. Die Prognose ist schlechter Zielzellen an, dann fusionieren unter Beteili-
als die der Hepatitis B, die Therapieerfolge z. B. gung von Korezeptoren (CCR5, CXCR4) Virus-
mit Interferon alfa, Nucleosid-Analoga oder hülle und Zellmembran. Aus der viralen RNA
auch Ribavirin sind bislang unbefriedigend. bildet die Reverse Transkriptase daraufhin
Eine Impfung gegen Hepatitis B verhindert auch DNA, die von der Integrase in das humane Ge-
die Infektion mit Hepatitis D. nom inkorporiert wird und dort lebenslang ver-
Die Übertragung des Hepatitis-E-Virus bleibt. Die Virus-befallenen Zellen produzieren
(RNA-Virus) erfolgt wie bei der Hepatitis A fä- nunmehr virale RNA und funktionelle Vi-
kal-oral, meist durch verseuchtes Trinkwasser. rusproteine, die aus einem hochmolekularen
HEV kommt vor allem in Südostasien sowie in Vorläuferprotein mittels einer HIV-Protease ab-
Teilen von Afrika, Mittel- und Südamerika, aber gespalten werden.
auch in der Türkei vor. Chronische Fälle treten Die besondere Schädigung von T-Helferzel-
nur bei immunsupprimierten Patienten auf. len sowie von Makrophagen beruht auf deren
Mangels einer spezifischen Therapie kann nur starker Expression von CD4-Molekülen. Fallen
symptomatisch behandelt werden. Ein Impfstoff diese für die spezifische Immunabwehr beson-
befindet sich in klinischer Prüfung. ders bedeutsamen Zellen durch die HIV-Infekti-
on aus, bricht die körpereigene Abwehr zusam-
men. Für die Stadieneinteilung der HIV-Infekti-
30.4 Virustatika 507

႒ Tab. 30.16 Klinische Kategorien der HIV-Infektion. Nach CDC-Klassifikation1 1993


Kategorie Erkrankung

A Akute, symptomatische (primäre) HIV-Infektion oder asymptomatische HIV-


Infektion

B Zeichen der Immun- Herpes zoster (z. B. Befall mehrerer Dermatome oder Rezidive), Kandidose
schwäche (Beispiele) (oropharyngeale, vulvovaginale), Listeriose, periphere Neuropathie

C AIDS-definierende CMV-Erkrankungen (z. B. CMV-Retinitis), HSV-Infektionen (z. B. Pneumonie),


Erkrankungen (Bei- Histoplasmose, Kandidose (z. B. Bronchien, Lunge), Kaposi-Sarkom, Krypto-
spiele) kokkose, Lymphome, Mykobakteriosen, Pneumocystis-Pneumonie, Toxoplas-
mose (zerebral), Tuberkulose, Wasting-Syndrom

1 Centers for Disease Control, USA

on stellt dementsprechend die CD4-Zellzahl die 30.4.5.1 Nucleosidische Reverse-


Grundlage dar. Transkriptase-Inhibitoren
Die erforderliche lebenslange Einnahme der (Nucleosid-Analoga, NRTI)
antiretroviralen Wirkstoffe stellt hohe Anforde- Nucleosid-Analoga, die zur HIV-Therapie ein-
rungen an die Langzeitverträglichkeit der Sub- gesetzt werden, sind
stanzen einerseits und an die Compliance der
󠀂 Zidovudin (Azidothymidin, AZT; Retrovir®)
Patienten andererseits. Ein weiteres Problem
und Stavudin (D4T; Zerit®), beides Thymi-
stellt die Resistenzentwicklung dar, wobei ein
din-Analoga,
entscheidender Fortschritt durch die Kombina-
󠀂 Abacavir (ABC; Ziagen®), ein Adenosin-
tion mehrerer Wirkstoffe gelang. Durch die
Analogon,
Entwicklung neuer Substanzen ist es heute trotz
󠀂 Didanosin (Didesoxyinosin, DDI; VIDEX®),
z. T. jahrzehntelanger Vorbehandlung meistens
sowie
möglich, antiretroviral wirksame Kombinatio-
󠀂 die Cytidin-Analoga Emtricitabin (FTC;
nen zusammenzustellen. Als Parameter der 30
Emtriva®) und Lamivudin (3TC; Epivir®).
Wirksamkeit wird die Veränderung der CD4-
Zellzahlen und von HIV-mRNA-Kopien (Virus- Wirkungsmechanismus. Die gegen HIV wirksa-
last) herangezogen. men Nucleosid-Analoga („Nukes“) bedürfen
Folgende Substanz- bzw. Wirkstoffgruppen der intrazellulären Phosphorylierung durch
werden zur HIV-Therapie eingesetzt: Kinasen, die für die jeweiligen natürlichen Nuc-
leoside spezifisch sind (z. B. durch die Thymi-
󠀂 Nucleosidische bzw. Nucleotid-analoge
dinkinase). Zielenzym der Triphosphate ist die
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI;
Reverse Transkriptase, eine RNA-abhängige
NTRTI),
DNA-Polymerase. Die Bindungsstelle der Nuc-
󠀂 nicht-nucleosidische Reverse-Transkriptase-
leoside am Enzym ist mit der Substrat-
Inhibitoren (NNRTI),
bindungsstelle identisch (kompetitive Hem-
󠀂 Proteaseinhibitoren (PI),
mung). Die zur Replikation von Retroviren er-
󠀂 Entryinhibitoren (CCR5-Antagonisten, Fusi-
forderliche Umschreibung der genetischen In-
onshemmer),
formation von RNA in DNA wird dadurch
󠀂 Integraseinhibitoren (INI).
blockiert. Die Selektivität der nucleosidischen
Hemmstoffe der Reversen Transkriptase beruht
auf ihrer höheren Affinität zu diesem Enzym als
zu den DNA-abhängigen DNA-Polymerasen
508 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.17 Nucleosidische Reverse- tionen in der antiretroviralen Kombinationsthe-


Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) rapie indiziert. Zidovudin ist darüber hinaus bei
INN (HWZ) Tagesdosis
HIV-positiven Schwangeren zur Prävention der
HIV-Transmission sowie zur Primärprophylaxe
Abacavir (1,5 h) 600 mg p. o. bei Neugeborenen zugelassen. Die erforderli-
chen Tagesdosen sind in ႒ Tab. 30.17 angegeben.
Didanosin (1,4 h) 400 mg p. o.
Eine 1-mal tägliche Einnahme (Patientencom-
Emtricitabin (10 h) 200 mg p. o. pliance൹) ist mit Ausnahme von Zidovudin
möglich. Bei Nierenfunktionsstörungen ist eine
Lamivudin (5–7 h) 300 mg p. o. Dosisanpassung erforderlich.
Stavudin (1,3–2,3 h) 80 mg p. o. Nebenwirkungen. Die Verträglichkeit der
Zidovudin (1,2 h) 500–600 mg p. o.
NRTI ist in den ersten Wochen relativ gut. Als
häufige Nebenwirkungen stehen Müdigkeit,
Kopfschmerzen und gastrointestinale Störun-
menschlicher Zellen. Allerdings kann die Hem- gen im Vordergrund. Problematisch sind aller-
mung mitochondrialer Polymerasen beispiels- dings die Langzeitnebenwirkungen wie Myelo-
weise Blutbildschäden, Myopathien und peri- toxizität, (lebensbedrohliche) Lactatazidosen,
phere Neuropathien verursachen (mitochondri- Hepatomegalie, Hepatosteatose, Polyneuropa-
ale Toxizität). thie, Pankreatitiden, metabolische Störungen
Resistenz. Eine Resistenzentwicklung beruht und insbesondere die Lipoatrophie (an Gesicht,
auf Mutationen des Gens, das die Reverse Tran- Gesäß, Extremitäten). Diese Langzeitnebenwir-
skriptase kodiert. Aufgrund einer sterischen kungen werden durch die mitochondriale Toxi-
Hemmung wird der Einbau der NRTI (z. B. La- zität der NRTI erklärt, die durch die Hemmung
mivudin) zugunsten der natürlich vorkommen- der DNA-Polymerase-γ, die für die mitochon-
den Nucleoside verhindert. Innerhalb der Grup- driale Nucleinsäuresynthese zuständig ist, ver-
pe der Nucleoside besteht (partielle) Parallelre- ursacht wird. Diese mitochondriale Toxizität
sistenz. Grundsätzlich gilt, dass die Gefahr der der verschiedenen Nucleosid-Analoga ist unter-
Resistenzentwicklung umso größer ist, je höher schiedlich stark ausgeprägt, besonders hoch ist
die Viruslast unter der Therapie war. Bei einer sie bei Stavudin und Didanosin, deren häufigste
Monotherapie setzt eine Resistenzentwicklung Nebenwirkung eine periphere Neuropathie ist.
meist bereits nach etwa 6 Monaten ein. Durch Eine schwerwiegende Nebenwirkung von Zido-
gleichzeitige Gabe von HIV-Therapeutika mit vudin ist die Knochenmarkdepression. Bei Aba-
unterschiedlichen Angriffspunkten kann die cavir, das ein vergleichsweise geringes Lipoatro-
Resistenzentwicklung deutlich verlangsamt phie-Risiko aufweist, stehen bei einer geneti-
werden. schen Prädisposition (HLA-B*5701) teilweise
lebensbedrohlich verlaufende Überempfind-
Kinetik. Antiretrovirale Nucleoside werden lichkeitsreaktionen, sog. Hypersensitivitätsre-
nach p. o. Gabe hinreichend resorbiert. Sie pene- aktionen, im Vordergrund. Daher ist eine HLA-
trieren gut in das Gehirn. Mit Ausnahme von Testung vor einer Behandlung mit Abacavir
Lamivudin und Emtricitabin ist die Halbwerts- Vorschrift. Lamivudin und Emtricitabin sind
zeit kurz (႒ Tab. 30.17), die intrazelluläre Ver- wegen der besonders hohen Selektivität der
weildauer jedoch deutlich länger. Zidovudin Wirkung auf virale DNA-Polymerasen am bes-
und Abacavir werden als Glucuronide, die ande- ten verträglich.
ren unverändert renal ausgeschieden.
Interaktionen. Nephrotoxische Substanzen (z. B.
Indikationen und Dosierungen. Nucleosid- Aminoglykoside) sowie Probenecid verzögern
Analoga sind zur Behandlung von HIV-1-Infek- die Ausscheidung vorzugsweise renal eliminier-
30.4 Virustatika 509

ter Nucleoside. Interaktionen infolge einer Blo- te Tenofovir nicht eingesetzt werden. Auch Kno-
ckade oder Induktion von CYP-Enzymen sind chenschäden sind bei Langzeitanwendung mög-
nicht zu erwarten. lich.
Kontraindikationen. Bei Pankreaserkrankun-
30.4.5.3 Nicht-nucleosidische Reverse-
gen, Neuropathien, Funktionseinschränkungen
Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)
der Eliminationsorgane sowie Alkoholmiss-
Die nicht-nucleosidischen Hemmstoffe der Re-
brauch sollen NRTI nicht angewandt werden.
versen Transkriptase von HIV-1 Efavirenz
(SUSTIVA®), Nevirapin (Viramune®), Etravi-
30.4.5.2 Nucleotid-analoge Reverse- rin (INTELENCE®) und Rilpivirin (EDU-
Transkriptase-Inhibitoren (NTRTI) RANT®) binden selbst an das Enzym, einer Ak-
Der bislang einzige Nucleotid-analoge Hemm- tivierung bedarf es – anders als bei den NRTI –
stoff der Reversen Transkriptase ist das AMP- nicht.
Analogon Tenofovir. Aufgrund der schlechten
Wirkungsmechanismus. Die allosterische Anla-
Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt und
gerung nahe der Substratbindungsstelle führt zu
der unzureichenden Penetration in Zellen wird
einer Enzymhemmung, da das Substrat keinen
Tenofovir in Form des Prodrugs Tenofovirdiso-
Zugang mehr zu dem aktiven Zentrum findet.
proxilfumarat (Viread®) bzw. als Tenfovir-
Infolge unterschiedlicher Bindungsstellen am
alafenamid (in Genvoya®) eingesetzt.
Enzym wirken NRTI und NNRTI synergistisch.
Nach Esterhydrolyse erfolgt durch zelluläre
Enzyme die Phosphorylierung zum aktiven Resistenz. Eine Resistenzentwicklung tritt
Tenofovirdiphosphat, dessen Wirkungsspekt- durch Veränderungen in der Aminosäurese-
rum neben HI-Viren auch HBV umfasst quenz der Reversen Transkriptase – insbesonde-
(Ⴉ Kap. 30.4.4.2). Nicht nur im Wirkungsme- re bei Efavirenz und Nevirapin – bei Monothe-
chanismus (kompetitive Hemmung der Rever- rapie teilweise schon nach wenigen Tagen ein.
sen Transkriptase, Kettenabbruch nach Einbau Zwischen Efavirenz und Nevirapin besteht voll-
in die DNA), sondern auch hinsichtlich der Re- ständige, zu Nucleosiden partielle Parallelresis-
sistenzentwicklung gleicht Tenofovir den tenz. Etravirin und Rilpivirin sind in vitro gegen
NRTI. die meisten NNRTI-resistenten HIV-Stämme 30
Die Bioverfügbarkeit von Tenofovir beträgt noch wirksam. Um eine Monotherapie mit
bei Einnahme zusammen mit einer Mahlzeit an- NNRTI zu verhindern und einer Resistenzent-
nähernd 40 %. Die Halbwertszeit des vorzugs- wicklung entgegenzuwirken, sollten NNRTI
weise unverändert renal ausgeschiedenen Wirk- aufgrund ihrer langen Halbwertszeit im Fall ei-
stoffs wird mit ca. 15 Stunden angegeben, die ner Therapiepause vorzeitig (z. B. vor den NRTI)
intrazelluläre Verweildauer ist jedoch länger. abgesetzt werden.
Tenofovir ist zur Behandlung von HIV-1-
Kinetik. Etravirin muss nach den Mahlzeiten,
und Hepatitis-B-Infektionen indiziert. Die Do-
Rilpivirin mit einer Mahlzeit eingenommen
sierung beträgt 1-mal täglich 245 mg. Am häu-
werden, um eine optimale Resorption zu erzie-
figsten wird es in Form der Kombinationspräpa-
len. Die Elimination der NNRTI erfolgt unter
rate Truvada® (zusammen mit Emtricitabin),
wesentlicher Beteiligung von CYP3A4, zum Ab-
Atripla® (zusammen mit Emtricitabin, Efavi-
bau von Efavirenz trägt auch CYP2B6, zum Me-
renz) und Stribild® (zusammen mit Elvitegra-
tabolismus von Etravirin in geringem Umfang
vir/Cobicistat, Emtricitabin) eingesetzt.
auch die CYP2C-Familie bei. Die Halbwertszei-
Die Verträglichkeit von Tenofovir ist gut.
ten der NNRTI (႒ Tab. 30.18) sind mit 25–55 h
Nierenfunktionsstörungen können zwar auftre-
sehr lang.
ten, schwere Nierenschäden sind allerdings sel-
ten. Bei Patienten mit Nierenerkrankungen soll-
510 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.18 Nicht-nucleosidische Reverse- führt zu einer verminderten Resorption von Ril-
Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) pivirin.
INN (HWZ) Tagesdosis Kontraindikationen. Die Anwendung von Efa-
virenz in der Schwangerschaft unterliegt wegen
Efavirenz (40–55 h) 600 mg p. o.
der Gefahr von Fehlbildungen der strengsten In-
Etravirin (30–40 h) 400 mg p. o. dikationsstellung. Aufgrund der langen Halb-
wertszeit sind bei Frauen im gebärfähigen Alter
Nevirapin (25–45 h) 200–400 mg p. o.
empfängnisverhütende Maßnahmen bis 12 Wo-
Rilpivirin (45 h) 25 mg p. o. chen nach Therapieende zu empfehlen.

30.4.5.4 HIV-Proteaseinhibitoren (HIV-PI)


Indikationen und Dosierungen. NNRTI sind Ältere HIV-Proteasehemmer (႒ Tab. 30.19) sind
zur Kombinationsbehandlung von HIV-1-infi- Indinavir (CRIXIVAN®), Nelfinavir (VIRA-
zierten Patienten indiziert. Die Dosierungen CEPT®), Ritonavir (Norvir) und Saquinavir
sind in ႒ Tab. 30.18 zusammengefasst. (INVIRASE®). Neuere Vertreter mit günstige-
ren pharmakokinetischen Eigenschaften, vor al-
Nebenwirkungen. NNRTI sind langfristig rela-
lem in Kombination mit niedrig dosiertem Ri-
tiv gut verträglich. Anfangs treten jedoch häufig
tonavir als CYP-Inhibitor zum sog. Boostern
Hautreaktionen (Rash) auf, die vor allem unter
(s. u.), sind Atazanavir (REYATAZ®), Daruna-
einer Nevirapin-Therapie lebensbedrohlich
vir (PREZISTA®), Fosamprenavir (Telzir®), Lo-
(Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syn-
pinavir (in Kaletra®) und der erste nicht pepti-
drom) verlaufen können. Auch schwerwiegende
dische Proteaseinhibitor Tipranavir (Aptivus®).
Hepatitiden sind unter der Therapie mit Nevira-
pin beschrieben. Eine einschleichende Therapie Wirkungsmechanismus. Die Spaltung viraler
kann das Risiko für Nebenwirkungen an Haut Vorläuferproteine durch die HIV-Protease ist
und Leber senken. ein wichtiger Schritt für die Reifung des infekti-
Bei Efavirenz stehen ZNS-Störungen ösen Virus. Die Spaltung erfolgt stets vor einem
(Schwindel, Benommenheit, Albträume) und Prolin, bevorzugt werden Phenylalanin-Prolin-
z. T. schwere psychoseähnliche Störungen, bei Bindungen geöffnet. Proteaseinhibitoren mit
Rilpivirin Hypercholesterolämie und Transami- Strukturähnlichkeit zu diesem Dipeptid hem-
nasenerhöhungen im Vordergrund. men die HIV-Protease kompetitiv, wodurch die
Prozessierung viraler Polyproteinvorstufen blo-
Interaktionen. Efavirenz und Nevirapin indu-
ckiert wird und unreife, nicht infektiöse Virus-
zieren CYP3A4 mäßig stark, Etravirin ist ein
partikel entstehen.
schwacher Induktor von CYP3A4 und ein
schwacher Inhibitor von CYP2C9 und Resistenz. Eine Resistenzentwicklung erfolgt
CYP2C19. Durch die CYP3A4-Induktion kann durch multiple Genmutation. Treten beispiels-
u. a. auch der Abbau von HIV-Proteaseinhibito- weise mindestens 3 Resistenzmutationen der
ren beschleunigt werden. Die gleichzeitige Gabe Protease gleichzeitig auf, nimmt die Wirksam-
anderer CYP3A4-Induktoren (z. B. Carbamaze- keit von Darunavir deutlich ab. Für ein Thera-
pin) kann zu unwirksamen NNRTI-Plasmaspie- pieversagen von Lopinavir, das eine hohe Resis-
geln führen. tenzbarriere hat, sind mindestens 6 kumulative
Rilpivirin hat keinen induzierenden oder in- PI-Resistenzen nötig. Die Abnahme der Emp-
hibitorischen Effekt auf CYP-Enzyme, ist aber findlichkeit der PI erfolgt zwar weniger schnell
ein Inhibitor von P-Glykoprotein in vitro, so- als bei nicht-nucleosidischen, aber rascher als
dass Interaktionen mit P-gp-Substraten zu er- bei den nucleosidischen Inhibitoren der Rever-
warten sind. Ein erhöhter Magen-pH-Wert sen Transkriptase. Innerhalb der Gruppe, nicht
30.4 Virustatika 511

jedoch zu anderen Anti-HIV-Mitteln, besteht ႒ Tab. 30.19 HIV-Proteaseinhibitoren (HIV-PI)


(partielle) Parallelresistenz.
INN (HWZ) Tagesdosis1
Pharmakokinetische Verstärker (Booster).
Atazanavir (12 h) 300 mg p. o.
Durch Inhibition von CYP3A4 hemmt Ritona-
vir den First-Pass-Metabolismus anderer Prote- Darunavir (15 h) 800–1200 mg p. o.
aseinhibitoren und ermöglicht dadurch bei die-
sen eine gute und reproduzierbare Bioverfüg- Fosamprenavir (15–23 h) 1400 mg p. o.

barkeit. Zudem steigt deren Wirkdauer durch Indinavir2 (2 h) 2400 mg p. o.


Reduktion der hepatischen Clearance. Ihre Ein-
zeldosen können daher reduziert und das Do- Lopinavir (5–6 h) 800 mg p. o.
sierungsintervall kann verlängert werden, wo-
Nelfinavir2 (3,5–5 h) 2500 mg p. o.
durch sich das Einnahmeschema vereinfacht. In
Analogie zur Verstärkung einer Immunstimula- Saquinavir (7 h) 2000 mg p. o.
tion wird diese Vorgehensweise als Boostern be-
Tipranavir (5–6 h) 1000 mg p. o.
zeichnet. Sie wird durch ein „/r“ nach dem
Wirkstoffnamen angegeben, z. B. Lopinavir/r 1 Boosterung mit Ritonavir,
(Kaletra®, Fixkombination von Lopinavir mit 2 ungeboostert

Ritonavir).
Die Dosierung von Ritonavir zur Verbesse-
rung der Pharmakokinetik beträgt in der Regel Adipozyten zu Lipidstoffwechselstörungen
100 mg/Dosis, bei Tipranavir 200 mg/Dosis und (Dyslipidämie), metabolischem Syndrom und
liegt je nach Dosierungsintervall des Proteasein- Insulinresistenz. In der Folge ändert sich die
hibitors zwischen 100–400 mg/Tag. Fettverteilung im Körper (Lipodystrophie). Der
Als weiterer pharmakokinetischer Verstär- periphere Abbau von Fettgewebe bei gleichzeitig
ker ohne antiretrovirale Aktivität wird der verstärkter Bildung im Bereich von Brust, Na-
CYP3A-Inhibitor Cobicistat (Tybost™) in einer cken und Stamm trägt wesentlich zu dem cha-
Dosierung von 150 mg eingesetzt (z. B. mit Ata- rakteristischen Erscheinungsbild eines mit ei-
zanavir: „Atazanavir/c“). nem Proteinaseinhibitor behandelten HIV-Pati-
30
enten bei.
Kinetik, Dosierung. Proteaseinhibitoren sind
Atazanavir und Darunavir scheinen sich auf
vor allem in Kombination mit pharmakokineti-
das Lipidprofil weniger ungünstig auszuwirken
schen Verstärkern ausreichend bioverfügbar.
als z. B. Lopinavir oder Tipranavir. Bei Atazana-
Alle HIV-Proteasehemmer unterliegen einer
vir-Patienten kommen allerdings sehr häufig
starken Metabolisierung in der Leber unter we-
Bilirubinerhöhungen vor, die Häufigkeit eines
sentlicher Beteiligung von CYP3A4. Die Halb-
Ikterus liegt bei 10–20 %.
wertszeiten der älteren Substanzen sind kurz,
Bei einer Tipranavir-Therapie stehen deutli-
die neueren Proteasehemmer werden langsamer
che Transaminasenerhöhungen (→ Lebertoxizi-
eliminiert (Halbwertszeiten und Dosierungen
tät) im Vordergrund. Außerdem ist bei einer
႒ Tab. 30.19).
Behandlung mit Tipranavir, Darunavir und Fos-
Nebenwirkungen. Insbesondere zu Therapie- amprenavir mit Hautreaktionen (selten auch
beginn können leichte zentralnervöse und PI- mit schweren, z. B. Stevens-Johnson-Syndrom)
typische gastrointestinale Störungen (z. B. sekre- zu rechnen, die auf ihre Sulfonamidstruktur zu-
torische Diarrhö), aber auch Neuropathien und rückzuführen sind.
Hautausschläge auftreten. Sehr häufig kommt es Bei Saquinavir-Patienten ist insbesondere auf
bei längerer Anwendung durch Interferenz mit QT-Zeit-Verlängerungen zu achten.
dem Lipidstoffwechsel von Hepatozyten und
512 30 Antiinfektiva

Die Behandlung mit Nelfinavir ist von z. T. trope Viren). Bei therapienaiven Patienten fin-
erheblichen Diarrhöen begleitet, eine Indinavir- den sich zu fast 90 % CCR5-trope Viren, bei
Therapie geht sehr häufig mit Nephrolithiasis, Vorbehandelten sind es etwa 50 % (Tropismus-
Hautproblemen (z. B. Alopezie, einwachsenden Shift). Reine CXCR4-trope Viren lassen sich fast
Nägeln) und Hyperbilirubinämie einher. nur bei fortgeschrittener Krankheit nachweisen.
HIV-Isolate, die in vitro gegen NTRI, NNTRI,
Interaktionen. Während die meisten Protease-
PI und den Fusionshemmer Enfuvirtid (s. u.) re-
inhibitoren CYP3A4 hemmen, können Nelfina-
sistent sind, sind noch gegen Maraviroc emp-
vir, Amprenavir (aus Fosamprenavir) und Ti-
findlich.
pranavir CYP3A4 und Glucuronyltransferasen
Nach oraler Applikation beträgt die Biover-
induzieren. CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampi-
fügbarkeit von Maraviroc 20–30 %. Es wird über
cin) fördern den Abbau der Proteaseinhibitoren,
CYP3A4 und nur unwesentlich über CYP2C9,
CYP3A4-Inhibitoren (z. B. systemische Azol-
CYP2D6 und CYP2C19 metabolisiert und so-
Antimykotika) hemmen ihn. Zu beachten sind
wohl in Form der inaktiven Metaboliten als auch
ferner Interaktionen, wenn verschiedene Prote-
unverändert überwiegend über die Fäzes ausge-
asehemmer kombiniert werden.
schieden. Die Halbwertszeit beträgt ca. 13 Stun-
Das hohe Risiko einer Wechselwirkung mit
den.
CYP3A4-Substraten erschwert den Einsatz von
Maraviroc ist in Kombination mit anderen
HIV-Proteaseinhibitoren bei multimorbiden
antiretroviralen Arzneimitteln zur Therapie
Patienten.
vorbehandelter Erwachsener indiziert, bei de-
Kontraindikationen. Relative Kontraindikatio- nen ausschließlich CCR5-trope Viren nachge-
nen sind schwere Leberfunktionsstörungen. wiesen wurden. Dafür ist eine ausreichend vali-
dierte und empfindliche Testmethode erforder-
30.4.5.5 Entryinhibitoren (Eintrittshemmer) lich (Tropismus-Test). Die Dosierung beträgt
Der erste Schritt des Eindringens von Viren in entweder 150 mg (z. B. mit geboosterten PI),
ihre Zielzellen besteht in der Adhäsion an spezi- 300 mg (z. B. mit Integrasehemmern) oder
fische Oberflächenproteine. Bei HIV sind dafür 600 mg (mit Efavirenz und anderen Enzymin-
ein Glykoprotein (gp120) der Virusoberfläche duktoren) 2-mal täglich.
und das CD4-Protein der Zellmembran verant- Maraviroc ist vergleichsweise gut verträglich.
wortlich („Attachment“). HIV infiziert daher Als häufigste Nebenwirkungen treten Übelkeit,
bevorzugt Zellen mit starker CD4-Expression, Bauchschmerzen, Hautausschläge sowie Schlaf-
z. B. T-Helferzellen. Außerdem sind für den Ein- losigkeit auf, Transaminasenanstiege werden ge-
tritt in die Wirtszelle Korezeptoren, z. B. CCR5 legentlich beobachtet. Sein Lipidprofil wird als
und CXCR4, erforderlich. Nach Bindung an die günstig beschrieben. Maraviroc hat keinen inhi-
Korezeptoren fusionieren – vermittelt über das bitorischen oder induzierenden Effekt auf das
nun zugängliche Membranprotein gp41 – Vi- Cytochrom-P450-Enzymsystem, ist aber Sub-
rushülle und Zellmembran. strat von CYP3A4 und P-gp. Die gleichzeitige
Einnahme von Pharmaka, die CYP3A4 inhibie-
Korezeptorantagonisten ren oder induzieren, erfordert daher eine Dosis-
Maraviroc (CELSENTRI®) ist der erste und bis- anpassung.
lang einzige Vertreter der Klasse der CCR5-An-
tagonisten. Es bindet selektiv an den Chemo- Fusionsinhibitoren
kinrezeptor CCR5, wodurch das Eindringen von Als erster, selektiv gegen HIV-1 wirkender Fusi-
HI-Viren, die CCR5 als Korezeptor benötigen, onshemmer wurde das synthetische Peptid
in die Zielzellen unterbunden wird. Keine anti- Enfuvirtid (Fuzeon®) in die HIV-Therapie ein-
virale Aktivität besitzt es gegen Viren, die geführt. Seine antiretrovirale Aktivität beruht
CXCR4 als Korezeptor nutzen können (CXCR4- auf der Bindung an das virale Transmembran-
30.4 Virustatika 513

protein gp41. Dadurch wird die Ausbildung ei- ႒ Tab. 30.20 Integraseinhibitoren (INI)
ner hexahelikalen Struktur von gp41 gestört, die
INN (HWZ) Dosierung
für die Fusion von Virushülle und menschlicher
Zelle essenziell ist und somit das Eindringen der Dolutegravir (14 h) 50 mg p. o. 1 × tgl.1
viralen RNA in die Zielzelle verhindert. Die Re-
Elvitegravir (13 h)2 150 mg p. o. 1 × tgl.
sistenzentwicklung, die auf Mutationen im
gp41-Gen beruht, erfolgt ziemlich schnell, Par- Raltegravir (9 h) 400 mg p. o. 2 × tgl.
allelresistenzen zu anderen HIV-Therapeutika
1 Bei Integraseinhibitor-Resistenz 50 mg 2 × tgl.,
sind jedoch nicht bekannt. 2 geboostert mit Cobicistat
Da Enfuvirtid im Gastrointestinaltrakt zer-
stört wird, muss es parenteral appliziert werden.
Bei s. c. Injektion beträgt die Bioverfügbarkeit
Raltegravir-Therapie auf. Kreuzresistenz besteht
84 %, die Halbwertszeit liegt bei ca. 4 h. Enfuvir-
zwischen Raltegravir und Elvitegravir, Dolute-
tid eignet sich insbesondere für Patienten, bei
gravir scheint ein günstigeres Resistenzprofil zu
denen die Krankheit trotz adäquater Therapie
haben.
mit anderen HIV-Mitteln fortschreitet
(„Salvage-Substanz“). Die Dosierung beträgt Kinetik, Dosierung. Die orale Bioverfügbarkeit
90 mg s. c. 2-mal täglich. der Integraseinhibitoren wird durch die Einnah-
Als Nebenwirkungen treten fast immer me mit einer fettreichen Mahlzeit erhöht. Ralte-
schmerzhafte Lokalreaktionen an der Injekti- gravir und Dolutegravir werden hauptsächlich
onsstelle auf. Sehr häufig sind zudem Kopf- von UDP-Glucuronyltransferasen (UGT1A1) in
schmerzen und Schlaflosigkeit, häufig auch der Leber glucuronidiert und teils renal, teils
schwere zentralnervöse Störungen (z. B. Depres- über die Fäzes ausgeschieden. Elvitegravir wird
sionen). Ferner kommen Infektionen von Haut hauptsächlich über CYP3A metabolisiert, nur in
und Schleimhäuten sowie Pneumonien, Pan- geringem Umfang glucuronidiert und hepatobi-
kreatitis und gastrointestinale Beschwerden vor. liär-fäkal ausgeschieden (Halbwertszeiten
႒ Tab. 30.20). Die Kombination mit dem auch als
30.4.5.6 Integraseinhibitoren (INI) Pharmakoenhancer oder Booster bezeichneten
Neben Raltegravir (ISENTRESS®), dem ersten CYP3A4-Inhibitor Cobicistat führt zu einer hö- 30
Integraseinhibitor, sind nunmehr auch Dolute- heren Bioverfügbarkeit. Die Dosierungen sind
gravir (Tivicay®) und Elvitegravir (in Stribild®) in ႒ Tab. 30.20 angegeben.
im Rahmen einer Kombinationsbehandlung zur
Nebenwirkungen. Die Verträglichkeit der Inte-
Therapie von HIV-Infektionen zugelassen.
graseinhibitoren gilt als vergleichsweise gut.
Wirkungsmechanismus. Die Integrase, die En- Häufige Begleiterscheinungen sind Schwindel,
donuclease- und Nucleotidyltransferase-Aktivi- Schlaflosigkeit (Albträume), Müdigkeit und
tät besitzt, ist eines der Schlüsselenzyme im Bauchbeschwerden. Einzelfälle von schwerwie-
HIV-Replikationszyklus. Sie bindet an die genden, potenziell lebensbedrohlichen Haut-
Wirts-DNA und katalysiert die irreversible ko- und Überempfindlichkeitsreaktionen (ein-
valente Bindung des viralen DNA-Stranges an schließlich Leberversagen) sind beschrieben.
die Wirts-DNA („Strangtransfer“). Integrasein-
Interaktionen. Starke UGT1A1-Induktoren
hibitoren hemmen die katalytische Aktivität der
(z. B. Rifampicin) erniedrigen, starke UGT1A1-
Integrase und blockieren damit die Integration
Inhibitoren (z. B. Atazanavir) erhöhen die Plas-
des HIV-Genoms in das Wirtszellgenom.
maspiegel von Raltegravir und Dolutegravir.
Resistenz. Resistenzen sind durch Mutationen CYP3A-Inhibitoren erhöhen, CYP3A-Indukto-
am katalytischen Zentrum der Integrase be- ren erniedrigen die Plasmaspiegel von Elvitegra-
dingt. Sie treten besonders rasch unter einer vir und Cobicistat.
514 30 Antiinfektiva

Raltegravir und Dolutegravir induzieren langsam, die Plasmaviruslast nimmt wieder zu.
oder inhibieren das Cytochrom-P450-Enzym- Schließlich können aufgrund der gestörten Im-
system nicht. Elvitegravir ist ein mäßiger Induk- munabwehr zunächst verschiedene Infektionen
tor von CYP2C9 und von UGT-Enzymen. Do- wie z. B. oraler Soor oder Herpes zoster auftre-
lutegravir ist ein Inhibitor des OCT-2-Transpor- ten. Ohne antiretrovirale Therapie muss durch-
ters (Ⴉ Kap. 2.1.2.3), bei gleichzeitiger Gabe von schnittlich 5–15 Jahre nach der HIV-Infektion
Metformin ist ggf. eine Dosisanpassung erfor- mit AIDS-definierenden Erkrankungen gerech-
derlich. net werden (႒ Tab. 30.16), meist liegt die CD4-
Zellzahl dann unter 200/μl. Das Vollbild von
Kontraindikationen. CYP3A4-Substrate mit
AIDS manifestiert sich in lebensbedrohlichen
engem therapeutischem Konzentrationsbereich
opportunistischen Infektionen, wie z. B. Pneu-
sind bei Behandlung mit Elvitegravir/Cobicistat
mocystis-jiroveci-Pneumonie, zerebraler Toxo-
kontraindiziert.
plasmose und Reaktivierung von Zytomegalie-
virus-Infektionen. Auch eine aktive Tuberkulose
30.4.5.7 HIV-Infektion und antiretrovirale und maligne Neubildungen z. B. der Haut (Ka-
Therapie (ART) posi-Sarkom) sind typische Folgen der Immun-
In Deutschland leben derzeit etwa 70 000 HIV- schwäche.
1-Infizierte. HIV-2-Infektionen sind dagegen Eine totale Viruselimination und somit eine
sehr selten, sie kommen vor allem in Westafrika Heilung der HIV-Infektion ist bislang nicht
vor (s. u.). möglich, daher hat die antiretrovirale Therapie
Hauptsächlich betroffen sind homosexuelle lebenslang zu erfolgen. Sie kann die Krankheits-
Männer, Personen aus Ländern mit hoher Ver- progression vermindern, eine Wiederherstel-
breitung von HIV (z. B. Subsahara-Afrika, Teile lung der zellulären Immunität bewirken und das
der Karibik, einige Länder Südostasiens) und Transmissionsrisiko reduzieren.
Menschen mit intravenösem Drogenkonsum.
Therapieindikation. Alle symptomatischen Pa-
Die Übertragung (Transmission) der Infektion
tienten sowie asymptomatische Patienten mit
erfolgt entweder sexuell oder über kontaminier-
einem Abfall der CD4-Zellzahl unter 350/μl Blut
tes Blut, z. B. durch gemeinsame Verwendung
sollten möglichst unverzüglich eine antiretrovi-
von Spritzen (Drogenkonsum) bzw. durch
rale Therapie beginnen. Die Kriterien zur The-
Schnitt- oder Stichverletzungen mit kontami-
rapieindikation gelten auch für HIV-positive
nierten Instrumenten (bei medizinischem Per-
Schwangere, die allerdings, auch wenn für sie
sonal) oder von Schwangeren auf ihr Kind (ins-
selbst keine Indikation zur Therapie besteht, ab
besondere während der Geburt). Das Transmis-
der 28. Schwangerschaftswoche eine Transmis-
sionsrisiko korreliert dabei mit der Viruslast im
sionsprophylaxe durchführen müssen, um das
Blut und anderen Sekreten.
Infektionsrisiko des Neugeborenen zu senken.
Nach einer Inkubationszeit von einigen Ta-
gen bis wenigen Wochen nach HIV-Exposition Primärtherapie. Ein entscheidender Fortschritt
äußert sich die akute HIV-Infektion in unspezi- bei der Behandlung der HIV-Infektion ist durch
fischen grippeähnlichen Symptomen. Sie geht die Kombination mehrerer Virustatika gelun-
mit einer hohen Replikationsrate der HI-Viren gen, Dreierkombinationen sind heute Standard
einher, Antikörper sind in diesem frühen Stadi- (HAART, hochaktive antiretrovirale Therapie
um noch nicht nachweisbar. Mit deren Auftre- bzw. CART, Combined Antiretroviral Therapy).
ten (Serokonversion) nimmt die Viruslast im Da bei etwa 10 % der Patienten in Deutschland
Blut ab und erreicht einen über lange Zeit relativ resistente HIV-Varianten auftreten, sollte vor
stabilen Wert. Während dieser Latenzzeit von Therapiebeginn eine Resistenztestung durchge-
mehreren Jahren sind die Patienten klinisch führt werden, nach deren Ergebnis sich die Aus-
asymptomatisch. Die Zahl der CD4-Zellen sinkt wahl des Wirkstoffs zu richten hat.
30.4 Virustatika 515

႒ Tab. 30.21 Empfohlene Dreifachkombinationen zur antiretroviralen Primärtherapie. Nach Deutsch-Ös-


terreichischer Leitlinie zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion, 2014

Kombinationspartner 1 + 2 Kombinationspartner 3

NRTI bzw. NTRTI1: 󠀂 NNRTI1:


󠀂 Tenofovir + Emtricitabin Efavirenz3, Nevirapin, Rilpivirin
󠀂 Abacavir2 + Lamivudin
Alternative: 󠀂 PI/r1:
󠀂 Tenofovir + Lamivudin Atazanavir/r, Darunavir/r, Fosamprenavir/r, Lopinavir/r,
Alternative: Saquinavir/r

󠀂 INI1:
Dolutegravir, Elvitegravir/c4, Raltegravir

1 NRTI: Nucleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, NTRTI: Nucleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, NNRTI: Nicht-nucleosidi-


sche Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, PI/r: Proteaseinhibitoren geboostert mit Ritonavir, INI: Integraseinhibitoren,
2 wegen Hypersensibilitätssyndrom nur bei negativem HLA-B*5701-Screening,

3 wegen zerebraler Fehlbildungen nicht bei Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch,

4 geboostert mit Cobicistat; nur in Fixkombination mit Tenofovir und Emtricitabin

Klassische Standardkombinationen (႒ Tab. vir, Dolutegravir) und Stribild® (Emtricitabin,


30.21) bestehen immer aus zwei unterschiedli- Tenofovir, Elvitegravir/Cobicistat).
chen NRTI (bzw. NTRTI), dem sog. Nuke Back-
Therapieversagen, Folgetherapie. Durch die
bone, und einem NNRTI, oder einem geboos-
antiretrovirale Therapie erfolgt in der Regel eine
terten PI (PI/r) bzw. einem Integraseinhibitor.
Reduktion der HIV-RNA unter die Nachweis-
Kombinationspräparate. Die Nucleosidkombi- grenze (< 20–50 HIV-RNA-Kopien/ml), in der
nation Lamivudin und Abacavir (Kivexa®) und Folge steigt die CD4-Zellzahl in Abhängigkeit
die Nucleosid-Nucleotidkombination Emtrici- von Alter, Begleiterkrankungen u. a. wieder an.
tabin und Tenofovir (Truvada®) haben u. a. den Bei einer wiederholt messbaren Plasmavirämie
Vorteil, dass sie 1-mal täglich eingenommen ist eine Resistenzentwicklung wahrscheinlich, 30
werden können. Die Kombination aus Lamivu- die durch genotypische Resistenztestung über-
din und Zidovudin (Combivir®) muss dagegen prüft werden muss und bei positivem Ergebnis
2-mal täglich appliziert werden und geht stärker einen Therapiewechsel erfordert. Die unwirksa-
mit einer peripheren Lipoatrophie einher, so- men Kombinationspartner der Dreifachkombi-
dass sie für die Primärtherapie nicht erste Wahl nation müssen ausgetauscht und durch neue
ist. Trizivir® (Zidovudin, Lamivudin, Abacavir) Substanzen, bevorzugt aus einer anderen Sub-
enthält drei Nucleosid-Analoga („Triple-Nuke“) stanzklasse, ersetzt werden. Da Therapiepausen
und ist schwächer wirksam als die im Folgenden die Resistenzentwicklung begünstigen können,
genannten Kombinationen aus drei antiretrovi- sollte eine kontinuierliche antiretrovirale Thera-
ralen Wirkstoffen mit unterschiedlichen An- pie angestrebt werden.
griffspunkten. Auch mangelnde Patientencompliance (Ad-
Durch sog. All-in-one-Kombinationen oder härenz) oder Arzneistoffinteraktionen sind
Single-tablet-Regime zur 1-mal täglichen oralen mögliche Ursachen für ein Therapieversagen.
Einnahme hat sich das Einnahmeschema im Insbesondere beim Einsatz von geboosterten
Vergleich zu früher sehr stark vereinfacht. Im Proteaseinhibitoren kann aufgrund ihres kom-
Handel sind z. B. Atripla® (Emtricitabin, Teno- plexen Interaktionspotenzials ein Therapeuti-
fovir, Efavirenz), Eviplera® (Emtricitabin, Teno- sches Drugmonitoring notwendig werden.
fovir, Rilpivirin), Triumeq® (Lamivudin, Abaca-
516 30 Antiinfektiva

Postexpositionsprophylaxe (PEP). Die Infektio- 30.5.1 Malaria


sität von HIV ist mit einer Transmissionswahr- Die Malaria ist die wichtigste und am weitesten
scheinlichkeit von 0,1–1 % um ein Vielfaches verbreitete Protozoenerkrankung und zugleich
niedriger als die von Hepatitis C oder B. Den- eine der bedeutsamsten Infektionskrankheiten
noch ist z. B. bei tiefen Stich- oder Schnittverlet- überhaupt. Mehrere hundert Mio. Menschen le-
zungen mit HIV-haltigem Blut eine Postexposi- ben in malariaverseuchten Gebieten (Endemie-
tionsprophylaxe sinnvoll, wenn sie möglichst gebieten). Die Zahl der jährlichen Erkrankun-
früh, d. h. im optimalen Fall innerhalb von 2 gen wird auf etwa 300 Mio., die Zahl der Todes-
Stunden nach Exposition, eingeleitet wird. Sie fälle auf ca. 1 Mio. geschätzt. In Mitteleuropa
erfolgt derzeit „off-label“, keine antiretrovirale findet man Malaria bei Fernreisenden infolge
Substanz ist bislang dafür zugelassen. einer mangelhaften Malariaprophylaxe. Die
Empfohlen wird eine vierwöchige Kombina- Krankheit äußert sich in regelmäßigen oder un-
tionstherapie mit zwei NRTI bzw. NTRTI und regelmäßigen Fieberschüben, Schüttelfrost und
einem PI oder Efavirenz. 6 Wochen und 3 Mo- Anämie, in schweren Fällen Delir und metaboli-
nate nach Behandlungsende sollte jeweils ein scher Azidose. Multiorganversagen ist die häu-
HIV-Antikörpertest durchgeführt werden. figste Todesursache.
Therapie von HIV-2-Infektionen. In Westafrika Malariaerreger. Die weiteste Verbreitung und
sind etwa 1–2 Mio. Menschen mit HIV-2 infi- zugleich höchste Letalität findet man bei der
ziert. HIV-2 ist weniger infektiös und weniger Malaria tropica, die durch eine Infektion mit
progressiv als HIV-1, und nur 20–25 % der Infi- Plasmodium falciparum bedingt ist. Malaria ter-
zierten entwickeln unbehandelt überhaupt tiana wird durch Plasmodium vivax und Plas-
AIDS. Die Übertragungswege sind allerdings modium ovale-Subspezies, Malaria quartana
identisch. Generell spricht HIV-2 schlechter auf durch Plasmodium malariae und die Knowlesi-
eine antiretrovirale Therapie an als HIV-1 und Malaria durch Plasmodium knowlesi (in Südost-
entwickelt auch schneller Resistenzen. Die asien) hervorgerufen. Die Übertragung der
WHO empfiehlt als Initialtherapie eine Drei- Plasmodien erfolgt durch den Stich weiblicher
fach-Nucleosid-Therapie. Anophelesmücken. Die Malariaparasiten ver-
mehren sich geschlechtlich in der Mücke (Spo-
rogonie) und ungeschlechtlich im Menschen
(Schizogonie). Die einzelnen Phasen sind in
30.5 Antiprotozoika
Ⴜ Abb. 30.6 dargestellt.
Protozoen sind einzellige tierische Lebewesen
30.5.1.1 Malariamittel
mit einem oder mehreren Zellkernen. Pathoge-
Zu den Malariamitteln zählen
ne Protozoen zeichnen sich oft durch parasitäres
Wachstum in verschiedenen Wirten aus. Wäh- 󠀂 die Hemmstoffe der Hämoglobinverwertung
rend des Entwicklungszyklus erfolgt in diesen mit den 4-Aminochinolinen Chloroquin
Fällen ein Wirtswechsel, insbesondere zwischen und Piperaquin sowie den Arylaminoalko-
Tier bzw. Mensch und Insekt. Das Insekt wird holen Chinin, Mefloquin und Lumefantrin,
dann zum Vektor (Überträger) der Erkrankung 󠀂 die Artemisinin-Derivate Artemether, Dihy-
auf das Tier bzw. den Menschen. Zu den human- droartemisinin (Artenimol) und Artesunat,
pathogenen Protozoen gehören verschiedene 󠀂 Proguanil, ein Hemmstoff der Nucleinsäure-
Flagellaten (z. B. Trypanosomen, Leishmanien, synthese,
Lamblien und Trichomonaden), Rhizopoden 󠀂 Atovaquon, ein Hemmstoff der Atmungsket-
(z. B. Amöben) und Sporozoen (z. B. Plasmodi- te, und
en und Toxoplasmen). 󠀂 Primaquin, das als einziges Malariamittel ge-
gen Hypnozoiten (Ruhestadium; bei M. terti-
ana) wirkt.
30.5 Antiprotozoika 517

Malariamittel sind gegen die verschiedenen Ent-


wicklungsstadien der Malariaerreger unter- Anopheles-
mücke Mensch
schiedlich wirksam (Ⴜ Abb. 30.6). Zur Malaria- (2-5 Wochen)
prophylaxe und -therapie dient ferner Doxy- Präerythrozytäre Phase
Leber (2-4 Wochen)
cyclin.

Speichel
Hypnozoiten 3
Resistenzentwicklung. Ein besonderes Problem Sporozoiten
bei der Malariabehandlung und -prophylaxe 3, 4, 5 Gewebeschizonten
stellt die Resistenzentwicklung dar. So ist heute
Merozoiten
z. B. ein großer Teil der Plasmodium-falciparum- Oozyste 3

Gastrointestinaltrakt
Stämme gegen Chloroquin resistent.
Ookinet 1, 2, 5 Blutschizonten

Zygote Tropho-
Hemmstoffe der Hämoglobinverwertung zoiten
m. Gameten m. Gametozyt
Die 4-Aminochinoline Chloroquin und Pipera- 2, 3
w. Gameten
quin sowie die Arylaminoalkohole Chinin, Me- w. Gametozyt
floquin und Lumefantrin wirken gegen Blut- Erythrozytäre
Phase (>Monate)
schizonten durch Hemmung der Hämoglobin-
verwertung.
1 Chloroquin, Piperaquin, Chinin, Mefloquin,
Plasmodien benötigen für ihre Vermehrung Lumefantrin
essenzielle Aminosäuren, die die erythrozytären 2 Artemether, Dihydroartemisinin, Artesunat
Formen der Erreger aus Hämoglobin gewinnen,
3 Primaquin
das in der parasitären Nahrungsvakuole proteo-
4 Proguanil
lytisch gespalten wird. 4-Aminochinoline, die
sich als Dikationen in der sauren Nahrungsva- 5 Atovaquon
kuole anreichern, führen über ein unbekanntes
Membrantarget zu einer Verklumpung der Hä- Ⴜ Abb. 30.6 Entwicklungszyklus der Malariaerreger
moglobintransportvesikel, sodass der für die und Angriffspunkte der Malariamittel
Protozoen essenzielle Hämoglobinabbau nicht
mehr stattfinden kann und diese absterben. Leber, Auge, Erythrozyten) angereichert, aus de- 30
Ähnlich wirken die Arylaminoalkohole, die nen es nur langsam freigesetzt wird. Chloroquin
die Verschmelzung der Hämoglobintransport- wird in der Leber z. T. zu einem aktiven Metabo-
vesikel mit der Nahrungsvakuole, vermutlich liten metabolisiert und zu 40–70 % unverändert
über eine Hemmung der Calciumfreisetzung, renal ausgeschieden. Die Halbwertszeit liegt
verhindern. zwischen 30 und 60 Tagen.
Chloroquin (Resochin®) ist ein Blutschizon- Chloroquin ist in Gebieten ohne Chloroquin-
tenmittel, das gegen alle humanpathogenen Ma- Resistenz (zurzeit nur Mittelamerika, ein-
lariaerreger wirkt. Allerdings sind Chloroquin- schließlich Haiti und Dominikanischer Repub-
resistente Stämme weit verbreitet, die durch eine lik) zur Therapie, notfallmäßigen Selbstbehand-
Mutation an einem Transportergen den Wirk- lung (s. u.) und Prophylaxe der Malaria indi-
stoff rascher als sensible Stämme eliminieren, ziert. Die Dosierungen sind ႒ Tab. 30.22 zu
sodass bei resistenten Parasiten intrazellulär kei- entnehmen. Wird Chloroquin in der Malariabe-
ne wirksamen Konzentrationen erreicht wer- handlung nur kurzfristig oder wie bei der Mala-
den. riaprophylaxe niedrig dosiert eingesetzt, ist es
Nach oraler Applikation wird Chloroquin relativ gut verträglich. Schwerere Nebenwirkun-
rasch und vollständig aus dem Darm resorbiert gen wie Schädigung der Retina treten ab einer
und in zahlreichen Organen und Geweben (z. B. kumulativen Gesamtdosis von über 50 g Chloro-
518 30 Antiinfektiva

quin, z. B. im Rahmen einer Basistherapie rheu- plizierter Malaria tropica). Zur Wirkungsver-
matischer Erkrankungen auf. Chloroquin kann stärkung wird es mit Doxycyclin oder Clin-
zur Malariaprophylaxe in der Schwangerschaft damycin kombiniert (Dosierung ႒ Tab. 30.22).
eingesetzt werden. Als Nebenwirkungen kommen neurotoxi-
Piperaquin (in Eurartesim®), das strukturel- sche Reaktionen (Seh- und Hörstörungen),
le Ähnlichkeit zu Chloroquin aufweist, ist auch Herzrhythmusstörungen, Lebertoxizität sowie
gegen Chloroquin-resistente Plasmodium- Hypoglykämien durch Insulinfreisetzung vor.
Stämme wirksam. Wahrscheinlich hemmt es Außer seiner Antimalaria-Wirkung besitzt Chi-
aufgrund seiner symmetrischen, doppelten Chi- nin muskelrelaxierende Eigenschaften und ist
nolin-Struktur den Transporter, der Chloroquin zur Behandlung von Wadenkrämpfen (Limp-
aus der parasitären Vakuole ausschleust. Resis- tar® N) auf dem Markt.
tenzen können dennoch auftreten, vor allem un- Mefloquin (Lariam®) ist wie Chinin ein
ter Monotherapie. hochwirksames Blutschizontozid, das auch ge-
Piperaquin erreicht hohe Konzentrationen in gen multiresistente Plasmodium-falciparum-
Erythrozyten. Es wird hauptsächlich über Stämme noch aktiv ist. Eine Resistenzentwick-
CYP3A4, in geringem Umfang auch über lung ist vor allem in Südostasien (z. B. Kambod-
CYP2C9 und CYP2C19 metabolisiert und biliär scha) zu beobachten.
ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt etwa Mefloquin wird bei oraler Gabe gut resor-
22 Tage (Dosierung ႒ Tab. 30.22). biert. In Erythrozyten reichert es sich etwa um
Als Nebenwirkungen von Piperaquin stehen den Faktor 2 im Vergleich zur Plasmakonzen-
QT-Zeit-Verlängerungen im Vordergrund. Es tration an. Es wird über CYP3A4 metabolisiert
darf nicht zu den Mahlzeiten eingenommen und mit einer Halbwertszeit von etwa 21 Tagen
werden, da diese die Bioverfügbarkeit vervielfa- in Form inaktiver Metaboliten überwiegend fä-
chen. Außerdem sind leichte phototoxische Re- kal ausgeschieden.
aktionen möglich. Piperaquin ist ein CYP3A4- Die Dosierungen zur Prophylaxe sind in
Inhibitor, auf bidirektionale Interaktionen muss ႒ Tab. 30.22 zusammengefasst. Dank besser ver-
bei gleichzeitiger Gabe anderer CYP3A4-Sub- träglicher Alternativen ist es bei der Malariathe-
strate sowie CYP3A4-Inhibitoren und -Indukto- rapie nicht mehr Mittel der ersten Wahl.
ren geachtet werden. Als Nebenwirkungen treten häufig zen-
Chinin (Chininum hydrochloricum, in D als tralnervöse und psychiatrische Störungen auf.
Malariamittel nicht im Handel), das älteste Ma- Sie sind dosisabhängig und kommen daher bei
lariamittel, gehört ebenfalls zu den Blutschizon- der Therapie häufiger vor als bei der Prophylaxe.
toziden. Es ist vergleichsweise toxisch, dennoch Bei Epilepsie und psychischen Störungen ist
ist es seit Jahrzehnten Mittel der Wahl zur Be- Mefloquin daher kontraindiziert. Auch bei be-
handlung einer komplizierten Malaria tropica, stimmten Berufsgruppen (z. B. Piloten, Tau-
die insbesondere in den Entwicklungsländern chern), für die räumliche Orientierung und un-
nicht selten zum Tod führt. Aufgrund der Resis- gestörte Konzentration unbedingt notwendig
tenzzunahme gegen besser verträgliche Malaria- sind, sollte auf den Einsatz von Mefloquin ver-
mittel hat es außerdem einen gewissen Stellen- zichtet werden.
wert als Reservemittel. Allerdings treten auch Lumefantrin (in Riamet®) wirkt auch gegen
Chinin-resistente P.-falciparum-Stämme auf. Chloroquin-resistente Stämme von Plasmodium
Nach oraler Gabe wird Chinin rasch resor- falciparum sowie gegen die anderen humanpa-
biert. Es wird nahezu vollständig biotransfor- thogenen Plasmodienarten. Aus dem Gastroin-
miert, die Metaboliten werden renal ausgeschie- testinaltrakt wird Lumefantrin nur bei Einnah-
den. Die Halbwertszeit beträgt ca. 11 Stunden. me zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit
Chinin ist indiziert zur intravenösen und gut resorbiert. Die Biotransformation erfolgt
oralen Therapie schwerer Malariaformen (kom- über CYP3A4, die Halbwertszeit beträgt 4–6
30.5 Antiprotozoika 519

Tage. Als gefährliche Nebenwirkung ist die QT- Hemmstoffe der Nucleinsäuresynthese
Intervall-Verlängerung zu beachten. Bei Patien- Eine Unterdrückung der Vermehrung der Mala-
ten mit verlängertem QT-Intervall ist Lume- riaerreger gelingt ferner durch Eingriff in den
fantrin dementsprechend kontraindiziert. We- Folsäurestoffwechsel. Proguanil (Paludrine®)
gen seiner Eigenschaft als CYP2D6-Inhibitor ist ist ein Prodrug, dessen aktiver Metabolit Cyclo-
auf entsprechende Interaktionen zu achten. guanil (s. u.) die Dihydrofolatreduktase hemmt.
Lumefantrin wird in fixer Kombination mit Ar- Er lagert sich durch Wasserstoffbrückenbindun-
temether (s. u.) eingesetzt. gen in der Substratbindetasche des Zielenzyms
an und verhindert so die Reduktion der Dihyd-
Artemisinin-Derivate rofolsäure zur Tetrahydrofolsäure. Diese dient
Artemisinin ist ein Pflanzeninhaltsstoff von als wichtiger Überträger von Ein-Kohlenstoff-
Artemisia annua, dem einjährigen Beifuß. Zu Fragmenten, die zum Aufbau der Purinnucleoti-
den besser löslichen Derivaten zählen Artem- de für die Nucleinsäuresynthese benötigt wer-
ether, Dihydroartemisinin (aktiver Metabolit den. Cycloguanil entsteht oxidativ aus Proguanil
von Artemether) und Artesunat (႒ Tab. 30.22). durch CYP2C19. Möglicherweise werden lang-
Die Wirkung beruht auf der Spaltung ihres en- same Metabolisierer (Ⴉ Kap. 6.1) nicht in ausrei-
docyclischen Peroxids. Die dabei entstehenden chendem Umfang gegen eine Malariainfektion
reaktiven Radikale zerstören durch Alkylierung geschützt. Die Halbwertszeit von Cycloguanil
Makromoleküle des Parasiten, z. B. eine Ca2+- beträgt 20 Stunden. Der Wirkstoff und seine
ATPase des endoplasmatischen Retikulums. Metaboliten werden renal ausgeschieden. Pro-
Außerdem wird die Nucleinsäure- und Protein- guanil, das sehr wirksam gegen die präerythro-
biosynthese in Malariaparasiten gehemmt. Ar- zytären, intrahepatischen Formen von Plasmo-
temisinine wirken gegen die erythrozytären dium falciparum ist, dient zusammen mit Chlo-
Formen und Gametozyten von P. falciparum roquin zur Malariaprophylaxe bei Reisen in Ge-
und P. vivax, ferner auch gegen Leishmanien. biete mit mäßiger Chloroquin-Resistenz (auch
Artemether wird über CYP3A4/5 zum wirksa- bei Schwangeren). In Kombination mit Ato-
men Dihydroartemisinin demethyliert, das wei- vaquon (s. u.) wird es außerdem zur Malariathe-
ter durch die UDP-Glucuronyltransferase (CYP- rapie empfohlen (Dosierungen ႒ Tab. 30.22). Bei
unabhängig) metabolisiert wird. Da die Halb- Monotherapie ist es infolge einer Resistenzent- 30
wertszeiten der Artemisinine kurz sind (ca. 2 wicklung nur unzureichend wirksam. Proguanil
Stunden), müssen sie mit Wirkstoffen mit länge- wird im Allgemeinen gut toleriert. Gastrointes-
rer Halbwertszeit kombiniert werden. Bei länge- tinale Beschwerden können insbesondere zu Be-
rer Anwendung hoher Dosen können Artemisi- handlungsbeginn auftreten.
nin-Derivate neurotoxische Wirkungen auslö-
sen. Hemmstoffe der Atmungskette
Atovaquon, das keine Strukturverwandtschaft
Artemisinin-basierte Kombinationspräparate zu anderen Malariamitteln aufweist, ist ein wei-
Das Kombinationspräparat Riamet® mit Arte- teres Blutschizontenmittel (Ⴜ Abb. 30.6). Es
mether (schnell, aber kurz wirksam) und Lume- wirkt kausalprophylaktisch gegen Plasmodien,
fantrin (lang wirksam, s. o.) ist zur Therapie der da es auch die primären Leberstadien der Schi-
unkomplizierten Malaria tropica sowie zur zonten tötet. Außerdem ist es gegen Toxoplasma
Akutbehandlung anderer Malariaformen indi- gondii und den Pilz Pneumocystis jiroveci wirk-
ziert. Das Kombinationspräparat Eurartesim® sam. Infolge struktureller Ähnlichkeit mit Ubi-
enthält das schnell wirkende Dihydroartemisi- chinon hemmt Atovaquon den Ubichinon-ver-
nin und das lang wirkende Piperaquintetra- mittelten Elektronentransport auf einen be-
phosphat (s. o.) und wird zur Behandlung der stimmten Cytochromkomplex (Cytochrom-
unkomplizierten Malaria tropica eingesetzt. bc1-Komplex) in der Mitochondrienmembran
520 30 Antiinfektiva

႒ Tab. 30.22 Malariaprophylaxe (nach Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, DGT 2013) und Therapie
der Malaria tropica (DGT 2015)

INN Dosierung INN Dosierung

Malariaprophylaxe Therapie der komplizierten Malaria tropica

Atovaquon/Progua- 1 Tabl. tgl. Artesunat4 2,4 mg/kg KG i. v.


nil (1 Tag vor Ein- bis 1 Woche zu Beginn, nach 12, 24,
(250 mg/100 mg) nach Ausreise) 48 und 72 h

Chloroquin 2 Tabl. 1 × wöchentl. Chininhydrochlorid 20 mg/kg KG i. v. über 4 h


(250 mg Chloro- (1 Woche vor Ein- bis 4 (in Kombination mit (Loading dose),
quinphosphat)1 Wochen nach Ausreise) Doxycyclin bzw. nach Therapiepause (4 h)
Clindamycin) 10 mg/kg KG i. v. alle 8 h
Doxycyclin 1 Tabl. tgl.
(100 mg)2 (1 Tag vor Ein- bis 4 Wo- 1 Nicht in Asien, Afrika, Südamerika wegen Chloroquin-Resistenz,
2 „off-label“-Anwendung,
chen nach Ausreise)
3 vor allem zur Therapie der Malaria quartana (bei Malaria tropica
wegen Resistenzen nicht mehr Mittel der Wahl); 250 mg Chloro-
Mefloquin (250 mg) 1 Tabl. 1 × wöchentl.
quinphosphat ฬ 155 mg Chloroquin-Base
(2–3 Wochen vor Ein- bis 4 in Deutschland nicht zugelassen.

4 Wochen nach Ausreise)

Proguanil (100 mg) 2 Tabl. tgl. tion mit einem synergistischen Malariamittel
in Kombination mit (1 Woche vor Ein- bis 4
z. B. mit Proguanil (z. B. Kombinationspräparat
Chloroquin Wochen nach Ausreise)
Malarone®) erforderlich. Die Kombination ist
Therapie der unkomplizierten Malaria tropica zur Prophylaxe und Behandlung der Malaria
tropica indiziert. Die Einnahme von Atovaquon
Artemether/ 4 Tabl. zu Beginn, 4 Tabl. zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit be-
Lumefantrin nach 8 h, jeweils 2 × 4
günstigt die Resorption der hochlipophilen Sub-
(20 mg/120 mg) Tabl. an Tag 2 und 3
stanz wesentlich. Die Ausscheidung erfolgt in
Atovaquon/Progua- 4 Tabl. tgl. (Einmaldosis) unveränderter Form fäkal mit einer Halbwerts-
nil (250 mg/100 mg) über 3 Tage zeit von 2–3 Tagen (Dosierung ႒ Tab. 30.22).
Atovaquon ist gut verträglich, gastrointestinale
Dihydroartemisinin/ 3–4 Tabl. tgl. (Einmal-
Störungen und Kopfschmerzen sind die häufigs-
Piperaquin dosis) über 3 Tage
ten Nebenwirkungen.
(40 mg/320 mg)
Primaquin. Das 8-Aminochinolin-Derivat Pri-
Chloroquin-Base3 10 mg/kg KG zu Beginn,
maquin (in D z. Zt. nicht im Handel) ist das ein-
5 mg/kg KG jeweils nach 6,
24, 48 h
zige Malariamittel, das gegen Hypnozoiten von
Plasmodium ovale und P. vivax wirkt. Ferner be-
sitzt es gewebeschizontozide und gametozide,
jedoch keine blutschizontoziden Effekte. Als
von Protozoen. Dies führt zum Zusammen- Wirkungsmechanismus wird ein Eingriff in die
bruch des mitochondrialen Membranpotenzials, mitochondriale Atmungskette der Plasmodien
wodurch der gesamte mitochondriale Stoff- ähnlich wie bei Atovaquon angenommen. Nach
wechsel sowie sämtliche Transportprozesse der oraler Applikation wird Primaquin vollständig
Mitochondrienmembran zum Erliegen kom- resorbiert. Es wird in der Leber oxidiert und mit
men und die Parasiten absterben. Infolge einer einer Halbwertszeit von 4–10 Stunden ausge-
raschen Resistenzentwicklung durch Punktmu- schieden. Die Metaboliten führen bei Personen
tationen im Cytochrom-b-Gen ist die Kombina- mit einem Glucose-6-phosphat-Dehydrogena-
30.5 Antiprotozoika 521

se-Mangel zu einer Verarmung an reduziertem selbstbehandlung (Stand-by-Therapie) emp-


Glutathion mit der Folge einer lebensbedrohli- fohlen, wenn innerhalb von 24 Stunden nach
chen Hämolyse. Primaquin ist indiziert zur voll- Auftreten der ersten Symptome (z. B. Fieber
ständigen Ausheilung der Malaria tertiana (Re- > 38°) keine fachgerechte medizinische Versor-
zidivprophylaxe). Die Nebenwirkungen (Appe- gung möglich ist. Zur Anwendung kommen Ar-
titlosigkeit, Brechreiz, Methämoglobinbildung) temether/Lumefantrin, Atovaquon/Proguanil,
sind im Allgemeinen gering. Bei Personen mit in bestimmten Regionen auch Chloroquin.
einem genetisch bedingten Glucose-6-phos-
Malariatherapie. Die akute Erkrankung wird
phat-Dehydrogenase-Mangel und bei Schwan-
durch direkten mikroskopischen Nachweis der
geren ist es kontraindiziert.
Plasmodien im Blut diagnostiziert. Die Therapie
richtet sich danach, welche Form der Malaria
30.5.1.2 Prophylaxe und Therapie der
vorliegt. Sie ist außerdem vom Infektionsgebiet
Malaria
(Resistenzen) und von einer evtl. durchgeführ-
Malaria tritt nach einem infektiösen Mücken-
ten Malariaprophylaxe, bei der Malaria tropica
stich frühestens 6 Tage nach Einreise in ein En-
zusätzlich vom Schweregrad der Erkrankung
demiegebiet auf. Nach Verlassen des Malariage-
abhängig.
bietes muss innerhalb von 3 Monaten mit einer
Die unkomplizierte Malaria tropica (Falcipa-
Malaria tropica und innerhalb eines Jahres (in
rum-Malaria) wird oral entweder mit Ato-
Einzelfällen bis zu 5 Jahren) mit einer Malaria
vaquon/Proguanil, Artemether/Lumefantrin
tertiana und quartana gerechnet werden, sofern
oder Dihydroartemisinin/Piperaquin behan-
keine wirksame Chemoprophylaxe durchge-
delt (႒ Tab. 30.22). Bei der komplizierten Mala-
führt wurde.
ria tropica wird zunächst Artesunat (Import aus
Malariaprophylaxe. Neben der Vermeidung China) oder Chinin (Import aus dem Ausland),
von Insektenstichen (Expositionsprophylaxe) meist in Kombination mit Doxycyclin oder
ist bei höherem Infektionsrisiko eine medika- Clindamycin, intravenös eingesetzt. Nach min-
mentöse Malariaprophylaxe (Chemoprophyla- destens 24-stündiger intravenöser Behandlung
xe) indiziert. Sie kann die Infektion mit dem kann bei Besserung des Zustands auf eine orale
Parasiten zwar nicht verhindern, da Sporozoiten Anschlusstherapie, z. B. mit Artemether/Lume-
von keiner der derzeit zur Verfügung stehenden fantrin umgestellt werden. Außerdem sind sup-
30
Substanzen angegriffen werden, aber mittels portive Maßnahmen zur Behandlung von z. B.
Blutschizontoziden (suppressive Prophylaxe) Fieber, Hypoglykämie, Anämie sowie zur Prä-
die Krankheitsentwicklung im Körper und da- vention von Nierenversagen erforderlich.
mit das Auftreten klinischer Symptome unter- Die Malaria tertiana und Knowlesi-Malaria
binden. Hierzu können Atovaquon kombiniert werden wie eine Malaria tropica behandelt. Im
mit Proguanil (Malarone®), Mefloquin, Doxy- Fall einer Malaria tertiana müssen die Hypnozo-
cyclin (in D nicht dafür zugelassen, aber von der iten in der Leber durch die anschließende Gabe
WHO empfohlen), Chloroquin in Kombination von Primaquin eliminiert werden, um Rezidive
mit Proguanil, sowie Primaquin (in D nicht da- zu verhindern (Rezidivprophylaxe). Zur Thera-
für zugelassen) eingesetzt werden (႒ Tab. 30.22). pie der Malaria quartana wird Chloroquin ein-
Eine Langzeitprophylaxe, die bei längerem Auf- gesetzt.
enthalt in einer Hochrisikoregion erforderlich
Prophylaxe und Therapie in der Schwanger-
sein kann, erfolgt „off-label“.
schaft. Eine Malaria in der Schwangerschaft
Notfallmäßige Selbstbehandlung. In Endemie- stellt für Mutter und Kind ein hohes Risiko dar.
gebieten mit niedrigem und mittlerem Risiko, in Ab dem 1. Trimenon wird die Prophylaxe oder
denen keine Chemoprophylaxe durchgeführt Notfallselbstbehandlung mit Mefloquin emp-
wird, wird bei Verdacht auf Malaria eine Notfall- fohlen („off-label“). Doxycyclin und Primaquin
522 30 Antiinfektiva

sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. übertragen wird, ist durch Allgemeinsymptome


Die unkomplizierte Malaria tropica wird im ers- wie Fieber, Übelkeit, Durchfälle, Hepatospleno-
ten Trimenon mit Chinin in Kombination mit megalie sowie Ödeme im Gesicht gekennzeich-
Clindamycin, im zweiten und dritten Trimenon net. In der chronischen Krankheitsphase kommt
mit Artemether/Lumefantrin behandelt. es u. a. zu Kardiomegalie und zu Magen-Darm-
Atonie. Zur Behandlung der akuten Krankheits-
30.5.2 Sonstige durch Protozoen phase dient Nifurtimox. Durch die Substanz
verursachte entstehen toxische Peroxide, die von dem Mi-
Tropenkrankheiten kroorganismus infolge eines Enzymmangels we-
Mehr als eine Milliarde Menschen leiden welt- sentlich langsamer als von menschlichen Zellen
weit unter Tropenkrankheiten, Menschen in abgebaut werden. Außerdem kann Benznidazol
Entwicklungsländern sind in besonderem Maß (Radanil®) eingesetzt werden, dessen antiproto-
davon betroffen. Da es in diesen Ländern weit- zoische Wirkung durch Bildung freier Radikale
gehend an moderner medizinischer Versor- im Rahmen seiner Metabolisierung erfolgt. Die
gung, insbesondere an wirksamen und sicheren Behandlung ist von erheblichen Nebenwirkun-
Medikamenten mangelt, werden die armutsas- gen (z. B. Agranulozytose) begleitet.
soziierten Erkrankungen, zu denen u. a. die
Schlafkrankheit, Chagas oder Leishmaniose ge- 30.5.2.2 Leishmaniosen
hören, als sog. vernachlässigte Tropenkrankhei- Infektionen durch Leishmania-Spezies, die
ten (Neglected Tropical Diseases, NTD) be- durch Sandfliegen übertragen werden, können
zeichnet. als kutane (CL), mukokutane (MCL) und visze-
rale (VL oder Kala-Azar) Leishmaniasis, bei der
30.5.2.1 Trypanosomeninfektionen Milz und Leber befallen sind, auftreten. Die
Die durch eine Infektion mit Trypanosoma bru- nach Deutschland importierten Erkrankungen
cei gambiense (westafrikanische Form) bzw. rho- stammen häufig aus den Urlaubsländern um das
desiense (ostafrikanische Form) bedingte Mittelmeer („Reisedermatose“).
Schlafkrankheit tritt südlich der Sahara auf und Therapiestandard der kutanen (mit komple-
wird durch einen Stich der Tsetsefliege hervor- xen Läsionen) und mukokutanen Leishmanio-
gerufen. Sie ist in ihrem ersten Stadium durch sen sind gemäß WHO Antimonverbindungen
Fieber, lokalisierte Ödeme und Lymphknoten- mit 5-wertigem Antimon (Antimonate, in D
schwellung, im zweiten Stadium durch eine Me- nicht im Handel), z. B. Stibogluconat-Natrium
ningoenzephalitis mit neurologischen und psy- (Pentostam®) oder Meglumin-Antimonat
chischen Störungen (Schlafstadium) charakteri- (Glucantime®). Die Dosierung beträgt 20 mg/kg
siert. Zur Therapie des ersten Stadiums werden KG täglich (für ca. 20–30 Tage). Die schwerwie-
Suramin (Germanin®) und bei Trypanosoma genden kardiotoxischen Nebenwirkungen (z. B.
gambiense Pentamidin (Pentacarinat®) ange- Arrhythmien) korrelieren mit der kumulativen
wendet. Im zweiten Stadium werden das ZNS- Dosis und treten in der Regel erst nach dem 20.
gängige, aber sehr toxische Melarsoprol (Arso- Behandlungstag auf. Antimonate werden häufig
bal®), dessen Wirkung auf der Inaktivierung mit Allopurinol oder Pentoxifyllin kombiniert.
einer Reihe von Enzymen durch Bindung von Allopurinol (Ⴉ Kap. 12.2.7.2), das in den Purin-
Arsen an SH-Gruppen beruht, Eflornithin (Or- stoffwechsel eingreift, hat synergistische Effekte
nidyl®) und Nifurtimox (Lampit®) eingesetzt. zu Antimonaten. Pentoxifyllin (Ⴉ Kap. 23.2.6.1)
Trypanosoma cruzi ist der Erreger der Cha- kann als TNF-α-Inhibitor eine Entzündungs-
gaskrankheit (amerikanische Trypanosomia- hemmung und eine Reduktion der Gewebe-
sis), die in Mittel- und Südamerika sehr verbrei- schädigung bewirken.
tet ist. Zumeist sind Kinder betroffen. Die akute Einfache Läsionen können außerdem lokal
Phase der Erkrankung, die durch Raubwanzen mit dem Aminoglykosid-Antibiotikum Paro-
30.5 Antiprotozoika 523

momycin (Leshcutan®, Israel) oder mit Anti- Die Behandlung intestinaler Amöbiasis er-
monpräparaten (periläsional) behandelt wer- folgt mit Paromomycin (Humatin®, 500 mg p. o.
den. 3-mal täglich über 10 Tage). Das Mittel der Wahl
Pentamidin (Pentacarinat®, s. o.) ist gegen bei invasiver Amöbiasis (z. B. Amöbenleberabs-
bestimmte Leishmania-Spezies wirksam. Schwe- zess) ist Metronidazol (z. B. Arilin®, 0,75 g i. v.,
re Nebenwirkungen (z. B. Nephrotoxizität, Dia- p. o. 3-mal täglich über 10 Tage). Da es nicht
betes mellitus) sind bei nur 3 Einzelinjektionen ausreichend gegen Amöben im Darmlumen
(jeweils 4 mg/kg KG) innerhalb von 7 Tagen zur wirksam ist, muss eine Nachbehandlung mit Pa-
Behandlung kutaner Leishmaniosen seltener als romomycin erfolgen.
bei der Therapie der viszeralen Leishmaniose,
bei der Pentamidin jeden 2. Tag (max. 10 An- 30.5.3 Toxoplasmose
wendungen) appliziert werden muss. Toxoplasma gondii ist ein weitverbreitetes Pro-
Miltefosin (Hexadecylphosphocholin, Impa- tozoon. Die Infektion des Menschen kann durch
vido®) wird zur Behandlung von Leishmanio- Aufnahme von rohem, zystenhaltigem Fleisch
sen in einer Dosierung von 150 mg/Tag (p. o.) oder von mit infektiösen Parasitenstadien konta-
für 28 Tage gegeben. Wegen seiner fetotoxischen minierter Nahrung oder Erde (Katzenkot) erfol-
Wirkung und der langen Halbwertszeit von gen. Bei immunkompetenten Personen verläuft
100–150 Stunden ist während und bis 5 Monate die Toxoplasmainfektion in der Regel asympto-
nach der Behandlung eine zuverlässige Kontra- matisch, okuläre Toxoplasmose und Enzephali-
zeption erforderlich. tis treten äußerst selten auf. Erfolgt jedoch wäh-
Liposomales Amphotericin B kann als Al- rend der frühen Schwangerschaft eine Infektion
ternative zu Stibogluconat in einer Dosierung der Mutter, kann eine pränatale Infektion ent-
von 2–3 mg/kg KG täglich (parenteral) über 2 weder zum Fruchttod oder zu mehr oder weni-
Wochen gegeben werden („off-label“). Auch ger stark ausgeprägten, irreparablen Schäden
Therapieversuche mit Azol-Antimykotika (z. B. beim Kind (intrazerebralen Verkalkungen, Hyd-
Itraconazol, 200 mg/Tag über 6 Wochen) zeigten ro- oder Mikrozephalus, Erblindung) führen.
positive Ergebnisse. Seronegative Schwangere sollten regelmäßig auf
Von den beschriebenen Wirkstoffen ist lipo- eine mögliche Infektion untersucht werden.
somales Amphotericin B Mittel der 1. Wahl zur Wirkstoffe gegen Toxoplasma gondii sind Spi- 30
Therapie der viszeralen Leishmaniose, Mittel ramycin (Ⴉ Kap. 30.1.3.3), Pyrimethamin kom-
der 2. Wahl ist Miltefosin. Antimonpräparate biniert mit Sulfadiazin (Ⴉ Kap. 30.1.4.2) sowie
dienen wegen der oft gravierenden Nebenwir- Clindamycin (Ⴉ Kap. 30.1.3.3) und Atovaquon
kungen und Resistenzen als Reservemittel. (Ⴉ Kap. 30.5.1.1).
Pränatale Toxoplasmose. Zur Behandlung der
30.5.2.3 Amöbiasis
pränatalen Toxoplasmose wird bis zur 16.
Als Amöbiasis bezeichnet man den Befall mit
Schwangerschaftswoche das Makrolid-Antibio-
der Darmamöbe Entamoeba histolytica. Sie
tikum Spiramycin, danach die Kombination mit
kommt vor allem in subtropischen und tropi-
den Folsäureantagonisten Pyrimethamin und
schen Regionen mit schlechten hygienischen
Sulfadiazin bei gleichzeitiger Gabe von Folsäure
Verhältnissen vor. Die Infektion erfolgt durch
(zur Vermeidung schwerer Knochenmarksschä-
die Aufnahme von Zysten mit der Nahrung oder
den) gegeben. Blutbild und Leberwerte müssen
mit Wasser. Die Amöbiasis kann sich äußern als
engmaschig kontrolliert werden. Auch Neuge-
akute oder chronisch-rezidivierende Amöben-
borene werden mit Pyrimethamin/Sulfadiazin
ruhr mit blutig-schleimigen Durchfällen, Ge-
bei gleichzeitiger Gabe von Folsäure behandelt,
webeamöbiasis (z. B. Amöbenhepatitis) oder
die Behandlungsdauer richtet sich nach der
latente Amöbiasis, die in die anderen Formen
Schwere der Erkrankung.
übergehen kann.
524 30 Antiinfektiva

Die okuläre Toxoplasmose kann außerdem Albendazol und Mebendazol sowie Prazi-
mit Clindamycin, die zerebrale Toxoplasmose quantel sind oral bioverfügbar und somit auch
immunsupprimierter Patienten mit Atovaquon bei systemischem Wurmbefall wirksam, wäh-
behandelt werden. rend Niclosamid, Pyrantel und Pyrvinium lo-
kal im Darm wirken und daher nur bei intesti-
30.5.4 Trichomoniasis nalem Wurmbefall eingesetzt werden können.
Infektionen mit Trichomonas vaginalis (Geißel- Indikationen und Dosierungen der Anthel-
tierchen) werden durch Sexualkontakte übertra- minthika sind in ႒ Tab. 30.23 zusammengefasst.
gen. Sie führen bei der Frau zu Vaginitis, Vulvitis
Benzimidazole. Die Benzimidazol-Derivate Al-
und Urethritis bei gleichzeitigem Fluor vagina-
bendazol und Mebendazol wirken gegen die
lis. Beim Mann verläuft die Infektion oft symp-
meisten humanpathogenen Fadenwürmer (Ne-
tomlos. Zur Behandlung von Trichomonas-In-
matoden) und einige Bandwürmer (Zestoden).
fektionen ist Metronidazol (z. B. Arilin®, 2 g
Albendazol (Eskazole®) ist Mittel der Wahl
täglich über 3 Tage) geeignet. Grundsätzlich ist
der zystischen und alveolären Echinokokkose
eine Behandlung des Partners mit durchzufüh-
(Befall mit dem Fuchs- bzw. Hundebandwurm).
ren. In der Schwangerschaft ist Metronidazol
Auch bei einem Trichinen- und Zwergfaden-
kontraindiziert. Bei Schwangeren empfiehlt sich
wurmbefall ist es indiziert. Albendazol wird
eine Lokaltherapie mit Clotrimazol oder Nata-
nach oraler Gabe sehr schlecht resorbiert, fett-
mycin bzw. die orale Gabe von Amoxicillin.
haltige Nahrung verbessert die Bioverfügbarkeit
um das Fünffache. Die aktive Form stellt
Albendazolsulfoxid dar, das infolge eines ausge-
30.6 Anthelminthika (Wurmmittel)
prägten First-Pass-Effekts zu einem hohen Pro-
zentsatz entsteht. Die Halbwertszeit des aktiven
Würmer (Helminthen) sind mehrzellige Orga-
Metaboliten beträgt 8 Stunden. Als Nebenwir-
nismen mit ausdifferenzierten Organen und ei-
kungen treten gastrointestinale Beschwerden,
nem Nervensystem. Im Rahmen ihrer sexuellen
Kopfschmerzen, Schwindel, Haarausfall und
Vermehrung entstehen Eier und Larven, die den
Exantheme auf. Eine längere Behandlung kann
Körper des Wirts verlassen (z. B. über Ausschei-
zu einem Anstieg der Leberenzymwerte und zu
dung mit dem Stuhl). Die humanpathogenen
Myelosuppression (Blutbildkontrollen!) führen.
Würmer lassen sich in Zestoden (Bandwürmer,
In der Schwangerschaft ist Albendazol kontrain-
z. B. Rinder-, Schweine-, Fisch-, Fuchs- und
diziert.
Hundebandwurm), Nematoden (Fadenwürmer,
Mebendazol (z. B. VERMOX®) ist Mittel der
z. B. Spul- und Madenwurm, Hakenwurm, Tri-
Wahl bei Peitschenwurmbefall (weitere Indika-
chine) und Trematoden (Saugwürmer, z. B.
tionen ႒ Tab. 30.23). Seine Bioverfügbarkeit be-
Darmpärchenegel) einteilen. Mehr als 1 Milliar-
trägt nach oraler Gabe nur etwa 20 %. Dement-
de Menschen sind von Wurminfektionen be-
sprechend ist Mebendazol bei niedriger Dosie-
troffen. In Mitteleuropa dominieren intestinale
rung hauptsächlich lokal im Darmlumen wirk-
Infektionen mit Spul- und Madenwürmern und
sam und eignet sich daher besonders zur
Bandwürmern.
Behandlung eines intestinalen Wurmbefalls. Bei
Anthelminthika sind Wirkstoffe, die den
extraintestinalem Parasitenbefall (z. B. bei Tri-
menschlichen und tierischen Organismus vom
chinose, Echinokokkose) sind hohe Dosierun-
Wurmbefall befreien. Sie greifen entweder in
gen erforderlich, um systemische anthelmin-
den Stoffwechsel (→ Energieverlust der Parasi-
thisch wirksame Konzentrationen zu erreichen.
ten: Albendazol, Mebendazol, Niclosamid, Pyr-
Als Nebenwirkungen werden gelegentlich intes-
vinium) oder in neuromuskuläre Übertragungs-
tinale Beschwerden beobachtet. Bei schweren
mechanismen (→ Lähmung der Parasiten: Prazi-
Leberschäden und zugleich erforderlicher hoher
quantel, Pyrantel) ein.
30.6 Anthelminthika (Wurmmittel) 525

႒ Tab. 30.23 Anthelminthika


INN Indikation Dosierung

Albendazol Trichinose 400 mg 2 × tgl. über 6 Tage

Echinokokkose (Befall mit Fuchs- oder Hundeband- 400 mg 2 × tgl. über 28 Tage, dann
wurm) therapiefreies Intervall von 14 Tagen;
2–3 Behandlungszyklen

Zwergfadenwurmbefall 400 mg 1 × tgl. über 3 Tage

Mebendazol Intestinaler Wurmbefall (Spul-, Maden- und 100–600 mg tgl. über 3 Tage, je nach
Hakenwürmer, Schweine- und Rinderbandwurm) Wurmart

Trichinose 1,5 g tgl. über 14 Tage

Zystische Echinokokkose (Befall mit Fuchsband- Bis 4,5 g tgl. über 4–6 Wochen
wurm)

Alveoläre Echinokokkose (Befall mit Hundeband- Bis 4,5 g tgl. bis zu 2 Jahre
wurm)

Niclosamid Rinder-, Schweine-, Fisch-, Zwergbandwurmbefall 2000 mg (einmalig)

Praziquantel Rinder- und Schweinebandwurmbefall 5–10 mg/kg KG (einmalig)

Befall mit Südamerikanischem Fischbandwurm 10 mg/kg KG (einmalig)

Zwergbandwurmbefall 15–25 mg/kg (einmalig)

Befall mit Saugwürmern 40–75 mg/kg KG in 3 ED1 im Abstand


von 4 Stunden

50 mg/kg KG tgl. in 3 ED1 über 15 Tage


Neurozystizerkose (ZNS-Infektion mit Larven des
Schweinebandwurms)
30
Pyrantel Spulwurm-, Madenwurmbefall 10 mg/kg KG (Einmalgabe)

Befall mit Amerikanischem Hakenwurm 10 mg/kg KG tgl. über 3 Tage

Pyrvinium Madenwurmbefall 5 mg/kg KG (max. 400 mg, Einmalgabe)

1 Einzeldosen

Dosierung sollte Mebendazol nicht gegeben oraler Gabe trotz eines ausgeprägten First-Pass-
werden. Außerdem ist die gleichzeitige Gabe Effekts ausreichend bioverfügbar und passiert
von Metronidazol wegen des Auftretens schwe- die Blut-Hirn-Schranke, die Liquorspiegel be-
rer Hautreaktionen (z. B. Stevens-Johnson-Syn- tragen etwa 10–20 % der Plasmaspiegel. Die
drom) kontraindiziert. Ausscheidung erfolgt in Form hydroxylierter
Metaboliten (Beteiligung von CYP-Enzymen)
Praziquantel. Praziquantel wirkt anthelmin- vorwiegend renal mit einer Halbwertszeit von
thisch gegen Bandwürmer (Handelspräparate 1–2,5 Stunden. Als Nebenwirkungen können
Cesol®, Cysticide®) und Saugwürmer (Han- vorübergehend Kopfschmerzen, Schläfrigkeit,
delspräparat Biltricide®). Praziquantel ist nach gastrointestinale Beschwerden und Urtikaria
526 30 Antiinfektiva

auftreten. CYP-Induktoren wie Phenytoin und mit Filarien eingesetzt. Als Nebenwirkungen
Carbamazepin, die bei der Neurozystizerkose kommen entzündliche Reaktionen vor, die
häufig zur Krampfhemmung eingesetzt werden, durch absterbende Parasiten hervorgerufen
beschleunigen die metabolische Inaktivierung werden. Ivermectin (Stromectol™, USA) wirkt
von Praziquantel mit dem Risiko des Therapie- sehr gut gegen zahlreiche Nematoden. Der Wir-
versagens. kungsmechanismus besteht in einer Lähmung
der Parasiten infolge einer Öffnung von Chlo-
Niclosamid. Niclosamid (Yomesan®), das im
ridkanälen. Ivermectin ist zur Behandlung der
Darm nicht resorbiert wird, tötet dort Bandwür-
Onchozerkose (Flussblindheit) und der Lym-
mer zuverlässig ab. Die Bandwurmgliederketten
phatischen Filariose (in Kombination mit Al-
gehen im Ganzen oder auch in einzelnen kleine-
bendazol) indiziert. Oxamniquin (Mansil®,
ren Teilen mit den Stuhlentleerungen ab. Weil
Brasilien) ist bei Infektionen mit Schistosoma
die Bandwurmeier nicht abgetötet werden, muss
mansoni (Darmpärchenegel) wirksam.
bei Befall mit dem Schweinebandwurm zur Ver-
meidung einer Zystizerkose (Gewebeinfektion
mit Larven des Schweinebandwurms) 2 Stunden
30.7 Desinfektionsmittel und
nach der Niclosamid-Applikation ein hochdo-
Antiseptika
siertes salinisches Abführmittel (z. B. Glauber-
salz) gegeben werden, damit auch die unteren,
Als Desinfektionsmittel werden antimikrobiell
reife Eier enthaltenden Glieder des Parasiten
wirksame Substanzen bezeichnet, die zur Infek-
möglichst schnell ausgeschwemmt werden. Als
tionsprophylaxe dienen. Hauptanwendungsge-
Nebenwirkungen treten gelegentlich Magen-
biete im medizinischen Bereich sind die Flä-
Darm-Beschwerden auf.
chen-, Instrumenten- und Händedesinfektion.
Pyrantel. Pyrantelembonat (Helmex®) ist ein Von Antiseptika spricht man, wenn Desinfekti-
Standardmittel bei Befall mit Fadenwürmern onsmittel auf oder im lebenden Gewebe ver-
(z. B. dem Spul-, Maden-, Haken- und Todes- wendet werden (eine Ausnahme stellt der Be-
wurm). Aus dem Magen-Darm-Trakt wird es griff Händedesinfektion dar, man spricht nicht
nur geringfügig resorbiert. Als Nebenwirkungen von Händeantiseptik). Antiseptika werden so-
können häufig gastrointestinale Störungen, wohl prophylaktisch (z. B. präoperativ) als auch
Kopfschmerzen, Schwindel und Transamina- therapeutisch (z. B. Wundantiseptik) eingesetzt.
senerhöhungen auftreten. Bei Leberschäden ist Bei der besonders wichtigen Händedesinfek-
Pyrantel kontraindiziert. tion wird zwischen der hygienischen und der
chirurgischen Händedesinfektion unterschie-
Pyrvinium. Pyrviniumhemiembonat (z. B. Pyr-
den. Mit der hygienischen Händedesinfektion
con®), ein Cyaninfarbstoff, ist ein ebenfalls gut
soll die transiente Hautflora (vorübergehend
verträgliches und hochwirksames Mittel gegen
auf der Haut vorkommende Mikroorganismen)
Madenwürmer. Es wird nicht resorbiert, son-
reduziert werden. Sie gilt als äußerst wirksame
dern nahezu vollständig mit den Fäzes, die es rot
Maßnahme zur Unterbrechung von Infektions-
färbt, ausgeschieden. Die Einmalgabe von 5 mg/
ketten in medizinischen Einrichtungen und da-
kg KG sollte nach 2–4 Wochen wiederholt wer-
mit zur Prophylaxe nosokomialer Infektionen.
den. Häufig müssen auch enge Kontaktpersonen
Mit der chirurgischen Händedesinfektion soll
mitbehandelt werden. Bei Leberschäden, ent-
darüber hinaus auch die residente Flora (stän-
zündlichen Darmerkrankungen und Nierenin-
dig auf der Hornschicht lebende Keime) des
suffizienz ist Pyrvinium kontraindiziert.
Operationspersonals reduziert werden. Eine
Sonstige in Deutschland nicht zugelassene Ant- gute Langzeitwirkung (Remanenzwirkung) er-
helminthika. Diethylcarbamazin (DEC; Het- fordert dabei die Penetration des Desinfektions-
razan®, USA) wird vor allem bei einem Befall mittels in tiefere Hornschichten, die erforderli-
30.7 Desinfektionsmittel und Antiseptika 527

che Einwirkzeit des Desinfektionsmittels ist da- chlorite, die Salze der hypochlorigen Säure (z. B.
her entsprechend länger. NaOCl), haben Bedeutung als billige und gut
wirksame Flächendesinfektionsmittel (sie sind
Wirkungsmechanismen. Zielstrukturen von
z. B. gegen Clostridium difficile sporozid wirk-
Desinfektionsmitteln sind häufig mikrobielle
sam). Tosylchloramid (Chloramin T; z. B. Clori-
Proteine. Halogene führen zur Denaturierung
na®) setzt hypochlorige Säure bzw. Chlor lang-
von Proteinen, z. B. durch Zerstörung der
samer frei als Hypochlorite und greift demzufol-
Struktur von Membranproteinen und Enzymen
ge infizierte Gewebe und die unversehrte Haut
infolge deren Halogenierung. Aldehyde reagie-
weniger stark an. Es dient außer zur Flächen-
ren mit Amino- oder Säureamidgruppen mik-
und Händedesinfektion (0,25–0,5%ig) zur
robieller Proteine und wirken damit ebenfalls
Wundreinigung (2%ig) sowie zu Mund-, Bla-
eiweißdenaturierend. Die dadurch bedingten
sen- und Vaginalspülungen (0,05–0,25%ig).
Störungen der Membranpermeabilität führen
Iod (I2) und Iod-Komplexe gehören noch
zum Zelltod von Mikroorganismen. Da Alde-
immer zu den wichtigsten Desinfektionsmitteln,
hyde jedoch generell auf diese Weise mit Protei-
da sie schnell und zuverlässig wirken, bakterizi-
nen reagieren, erleiden sie durch Serum, Eiter
de, sporozide, fungizide und viruzide Eigen-
u. a. einen Wirkungsverlust (Eiweißfehler).
schaften haben und auch Protozoen abtöten. In
Alkohole und Phenole schädigen Mem-
alkoholischer Lösung (Iodtinktur, Iodgehalt bis
branproteine, Detergenzien infolge ihrer Ober-
zu 10 %) kann Iod zur Desinfektion kleinerer
flächenaktivität auch die geordnete Struktur der
Wunden und vor chirurgischen Eingriffen zur
Membranlipide. Organische und anorganische
Desinfektion des Operationsfeldes eingesetzt
Oxidationsmittel oxidieren Mercaptogruppen
werden. Komplexe von Iod mit amphiphilen Po-
zu Disulfiden. Durch Substanzen mit besonders
lymeren (Iodophore), insbesondere mit Polyvi-
hohem Oxidationspotenzial werden auch Nuc-
nylpyrrolidon (Povidon-Iod; z. B. Betaisodona®:
leinsäuren angegriffen. Auch Säuren und Basen
10 g Povidon-Iod/100 ml), werden zur Haut-,
wirken antimikrobiell. Sie führen pH-abhängig
Schleimhaut- und Instrumentendesinfektion
zur Hydrolyse von Säureamiden und Phosphor-
verwendet. Die Sofort- und Remanenzwirkung
säureestern, Nucleinsäuren werden in ihre Bau-
der Iodkomplexe ist wegen der niedrigeren Kon-
steine gespalten. Bereits im schwach sauren Mi-
zentration an freiem Iod geringer als bei den al- 30
lieu bewirken Säuren ferner eine Eiweißdenatu-
koholischen Iod-Lösungen. Die Verträglichkeit
rierung.
ist im Allgemeinen gut, allerdings kann es zu
Resistenzen sind selten, können aber auftreten. lokalen Reizungen kommen. Insbesondere bei
So sind z. B Proteus-mirabilis-Stämme gegen Anwendung an Schleimhäuten oder auf größe-
Chlorhexidin, Streptokokken gegen quartäre ren Wundflächen besteht infolge von Resorpti-
Ammoniumverbindungen und Chlorhexidin on die Gefahr systemischer Nebenwirkungen
sowie verschiedene Pseudomonas-aeruginosa- (z. B. Nierenschäden). Alle Iod-haltigen Desin-
Spezies gegen Formaldehyd resistent. Die Resis- fektionsmittel dürfen bei Patienten mit Hyper-
tenzquote von Viren, Pilzen und Protozoen ge- thyreose sowie vor oder nach einer Radioiod-
gen Desinfektionsmittel ist insgesamt gering. Behandlung und bei Säuglingen (bei großflächi-
gem Einsatz) nicht angewandt werden.
30.7.1 Halogene
Chlor (Cl2) wird zur Trinkwasserentkeimung 30.7.2 Silberverbindungen
eingesetzt. Die bei der Reaktion mit Wasser ent- Ionisches Silber (z. B. Biatain®) besitzt neben
stehende hypochlorige Säure (HClO) trägt we- bakteriziden adstringierende und ätzende Ei-
sentlich zur mikrobiziden Wirkung bei, da sie genschaften und ist in Verbänden und Wund-
einerseits selbst bakterizid wirkt und anderer- auflagen für exsudierende Wunden enthalten.
seits langsam atomaren Sauerstoff abgibt. Hypo-
528 30 Antiinfektiva

30.7.3 Oxidationsmittel Formaldehyd (Methanal) wirkt bakterizid


Molekularer Sauerstoff kann wegen seiner ge- und stark viruzid, bei längerer Einwirkung auch
ringen Reaktionsfähigkeit nicht als Desinfekti- sporozid. Er dient hauptsächlich zur Raum-,
onsmittel genutzt werden; dagegen sind Sub- Flächen- und Wäschedesinfektion. Das zur Flä-
stanzen, aus denen reaktive Sauerstoffspezies chen- und Wäschedesinfektion eingesetzte Ly-
entstehen, als Desinfizienzien gebräuchlich. Sie soform® enthält 7,5 % Formaldehyd in wässriger
werden zur Haut-, Flächen und Instrumenten- Lösung. Akute Vergiftungen können durch Ein-
desinfektion verwendet. Wasserstoffperoxid atmen der Dämpfe bei der Raumdesinfektion
(H2O2) wird in 3 %iger Lösung und Kaliumper- auftreten. Bei chronischer Formaldehydexposi-
manganat (KMnO4) in der starken Verdünnung tion beobachtet man häufig Konjunktivitiden
von 1:10 000 insbesondere zur Reinigung von und Rhinopharyngitiden. Außerdem kann ein
Wunden und zum Ablösen von Verbänden ein- allergisches Kontaktekzem auftreten. Glutaral-
gesetzt. Auch anorganische (z. B. Peroxomono- dehyd (Glutaral; z. B. Korsolex®-Endo-Des-
schwefelsäure, H2SO5) und organische Persäu- infectant) wirkt bakterizid, viruzid und sporozid
ren sind wirksame Desinfektionsmittel, Peres- und wird zur Instrumentendesinfektion (1–
sigsäure und Magnesiummonoperoxyphthalat 2%ig) verwendet.
(MMPP) wirken u. a. gegen Clostridium difficile
sporozid. 30.7.5 N-haltige Heterocyclen
Die 8-Hydroxychinoline Chinolinolsulfat (z. B.
30.7.4 Alkohole und Aldehyde Chinosol®) und Clioquinol (Linola® Sept) wer-
Die bakterizide Wirkung aliphatischer Alkohole den als Hautantiseptika eingesetzt. Die Sensibi-
nimmt von Ethanol zu Propanol zu, primäre Al- lisierungsrate ist relativ hoch.
kohole sind wirksamer als sekundäre und tertiä- Aus der Acridinreihe wird Ethacridin (Riva-
re. Die bakterizide Wirkung ist an einen gewis- nol®) als Antiseptikum bei der Behandlung infi-
sen Wassergehalt gebunden, absolute Alkohole zierter Wunden und Pyodermien (z. B. Impetigo
hemmen lediglich das Wachstum von Mikroor- contagiosa) verwendet. Salben enthalten 0,2 %
ganismen. Der Wirkungseintritt ist sehr rasch, der Wirksubstanz, für feuchte Verbände oder
selbst Mykobakterien sterben innerhalb einer Spülungen sind 0,025–0,1 %ige Lösungen (auch
Minute ab. Sporen werden dagegen nicht abge- für den Mundbereich, z. B. NeoChinosol®) üb-
tötet. Verwendet werden Ethanol (z. B. Sterilli- lich. Kontaktallergien treten relativ häufig auf.
um® Virugard), n-Propanol (1-Propanol; Skin- Das Hexahydropyrimidin-Derivat Hexeti-
man® clear) und Isopropanol (2-Propanol; z. B. din, das ein breites antimikrobielles Spektrum
Aktivin® DHH). Das Hauptanwendungsgebiet besitzt, wird in 0,1 %iger Lösung als Mund- und
der Alkohole ist die Händedesinfektion (Etha- Rachenantiseptikum (Hexoral®) sowie in Form
nol 70–80%ig, n-Propanol und Isopropanol 60– von Vaginaltabletten (Vagi-Hex®) zur Prophyla-
70%ig). Eingesetzt werden häufig Alkohol- xe und Therapie von Scheiden- und Vaginalin-
Kombinationen. So enthält beispielsweise das fektionen eingesetzt.
Präparat Monorapid® Synergy als wirksame Be-
standteile 57,6 % Ethanol (96%ig) und 10 % 30.7.6 Phenole
1-Propanol, in Sterillium® ist u. a. eine Mi- Alle Phenol-Derivate sind gegen Bakterien, Pil-
schung aus 1- und 2-Propanol (30 % und 45 %) ze und behüllte Viren gut wirksam, gegen Spo-
enthalten. Die empfohlene Einwirkzeit beträgt ren und unbehüllte Viren dagegen unwirksam.
(mind.) 30 Sekunden für die hygienische und Aliphatisch substituierte Phenol-Derivate sind
(mind.) 1,5 min für die chirurgische Händedes- z. B. Thymol, Eugenol und die PHB-Ester (z. B.
infektion. Aromatisch substituierte, in Kombi- Methylparaben). Thymol wird wegen seines an-
nationsdesinfektionsmitteln verwendete Alko- genehmen Geruchs und Geschmacks bevorzugt
hole sind Benzylalkohol und Phenoxyethanol. in Mundwässern und Zahnpasten benutzt. Eu-
30.7 Desinfektionsmittel und Antiseptika 529

genol, der Hauptbestandteil des Nelkenöls, wird wirksam. Die bakterizide Wirkung nimmt im
vor allem in der Zahnheilkunde eingesetzt. p- alkalischen Bereich zu. Durch Eiweiß, Eiter und
Hydroxybenzoesäureester (PHB-Ester) werden Serum werden quartäre Ammoniumverbindun-
zur Erhöhung der Haltbarkeit pharmazeutischer gen inaktiviert, mit anionenaktiven Tensiden
Zubereitungen sowie zur Konservierung von (z. B. Seifen) sind sie unverträglich (Seifenfeh-
Lebensmitteln verwendet. Es besteht das (gerin- ler). Invertseifen penetrieren gut in die obere
ge) Risiko einer Paragruppen-Allergie (Kreuzal- Hornschicht und wirken dort gegen die residen-
lergie zu Lokalanästhetika vom Estertyp und te Hautflora. Sie werden daher als 0,05–0,2 %ige
Sulfonamiden), die sich in Kontaktekzemen äu- Lösungen zur Händedesinfektion eingesetzt.
ßert. Ferner dienen sie als Mund- und Rachendesinfi-
Halogenierte (z. B. Triclosan) und aroma- zienzien, zu Wund- und Vaginalspülungen und
tisch substituierte Phenole (z. B. o-Phenyl-phe- zur Konservierung von äußerlich anzuwenden-
nol in Kodan® Tinktur forte) gehören zu den den Arzneimitteln. Octenidin gehört zu den
wirksamsten und zugleich wenig reizenden Des- Antiseptika der ersten Wahl für akute kontami-
infektionsmitteln der Phenolreihe. Ihr Anwen- nierte und chronische Wunden.
dungsbereich erstreckt sich auf die Haut-, Zu den Biguaniden zählen Chlorhexidin und
Schleimhaut- und Wundantiseptik sowie auf die Polyhexanid (PHMB). Chlorhexidin (z. B.
Instrumenten- oder Wäschedesinfektion. Die Chlorhexamed®) besitzt starke bakterizide Ei-
Anwendung von Triclosan als Konservierungs- genschaften und eine gute Haftfähigkeit an der
mittel in Kosmetika, die in der Vergangenheit Haut. In 0,2%iger Konzentration hat sich die
weit verbreitet war, ist heute nur noch sehr ein- rasch wirksame Substanz zur Instrumenten-
geschränkt erlaubt, da bei großflächiger Anwen- und Händedesinfektion sowie zur Verhütung
dung über längere Zeit mit systemischen Neben- von Infektionen bei urologischen Eingriffen
wirkungen (z. B. Leberschäden) gerechnet wer- (Katheterisierung usw.) bewährt. Sie wird ferner
den muss. zur vorübergehenden Keimzahlverminderung
im Mundraum (0,1–0,2 %) eingesetzt. Durch or-
30.7.7 Quartäre Ammonium- ganisches Material wird ihre Wirkung stark ver-
verbindungen und Biguanide mindert. Als Nebenwirkungen können Braun-
Oberflächenaktive quartäre Ammoniumver- färbungen von Zähnen und Zahnfüllungen auf- 30
bindungen (QAV) bezeichnet man auch als In- treten. Auch Polyhexanid (PHMB; z. B. Almy-
vertseifen, da sie im Gegensatz zu den anionen- rol® Lösung) hat eine breite antimikrobielle
aktiven Seifen kationenaktive Kolloidelektrolyte Wirkung, darüber hinaus einen sehr geringen
darstellen. Zu dieser Stoffgruppe gehören Benz- Eiweißfehler und eine hohe Remanenz. Die an-
alkoniumchlorid (z. B. Laudamonium®), De- timikrobielle Wirkung tritt allerdings ver-
qualiniumchlorid (z. B. Fluomizin® zur Thera- gleichsweise langsam ein (nach bis zu 20 min).
pie der bakteriellen Vaginose), Didecyldime- Es zählt zu den Mitteln der ersten Wahl für
thylammoniumchlorid (z. B. Amosept®), Me- schlecht heilende chronische bzw. kritisch kolo-
cetroniumetilsulfat (z. B. Bestandteil von nisierte Wunden (z. B. bei Verbrennungen 2.
Sterillium®) sowie Octenidindihydrochlorid Grades) und ist dafür in verschiedenen Zuberei-
(z. B. Bestandteil von Octenisept®). Mykobakte- tungen (z. B. in Schaumstoffwundauflagen, Dra-
rien und Sporen werden nicht abgetötet und co Foam PHMB) im Handel. Außerdem wird es
auch gegen unbehüllte Viren sind sie nur wenig zur Instrumentendesinfektion eingesetzt.
530 31 Onkologika

31 Onkologika

Etwa jeder dritte bis vierte Todesfall in den In- tik der Zellen) sowie der Wirksamkeit und Ver-
dustrieländern ist heute auf maligne (bösartige) träglichkeit (Beeinflussung der Lebensqualität)
Tumoren zurückzuführen. Krebs ist somit nach der Therapie.
den Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems
zur zweithäufigsten Todesursache geworden. Die Behandlungsmöglichkeiten von malignen
Aufgrund der fortschreitenden Alterung der Be- Tumoren umfassen die operative Entfernung,
völkerung nimmt die Zahl der Krebsfälle stän- medikamentöse Therapie („Chemotherapie“)
dig zu. und Bestrahlung, die je nach Art, Größe und Lo-
kalisation des Tumors unterschiedliche Erfolgs-
Bösartige Tumorarten. Unter pathologischen
aussichten haben. Bei der Therapie unterschei-
Gesichtspunkten werden bösartige Tumoren
det man eine kurative Therapie, bei der die Hei-
(Malignome) eingeteilt in Tumore des Nerven-
lung Behandlungsziel ist, und eine palliative
systems sowie solche mesenchymalen (Sarko-
Therapie, die (lediglich) die Linderung der Be-
me) und epithelialen (Karzinome) Ursprungs.
schwerden und/oder eine Verlangsamung des
Präkanzerosen sind Gewebeveränderungen,
Krankheitsverlaufs zum Ziel hat.
aus denen sich stets (obligate Präkanzerose)
Mit den zur Verfügung stehenden onkolo-
oder gehäuft (fakultative Präkanzerose, Dyspla-
gisch wirksamen Arzneistoffen ist eine Heilung,
sie) bösartige Tumoren entwickeln. In bestimm-
d. h. die Abtötung aller entarteter Zellen, nur bei
ten Fällen lässt sich histologisch eine Ge-
wenigen bösartigen Tumoren möglich, z. B. bei
schwulstanlage noch vor Realisierung zum ma-
kindlichen embryonalen Tumoren, Lympho-
nifesten Tumor diagnostizieren. Bei einem sol-
men, akuten lymphatischen Leukämien, Mor-
chen Carcinoma in situ erfolgte noch kein
bus Hodgkin, Hodentumoren oder Osteosarko-
Durchbruch der Basalmembran, d. h. es liegt
men. Die Mehrzahl der soliden Tumoren, z. B.
noch kein komplettes malignes Wachstum vor.
Bronchial-, Pankreas-, oder Ovarialkarzino-
Therapiestrategien bei malignen Tumoren. men, ist dagegen medikamentös nur einer palli-
Nach der Diagnose einer malignen Erkrankung ativen Behandlung zugänglich. Vielfach steht
muss eine Nutzen-Risiko-Relation bezüglich der Heilung eine Resistenzentwicklung der Tu-
der zu ergreifenden Maßnahmen angestellt wer- morzellen unter der Therapie oder das Auftre-
den. Diese orientieren sich an der Lebenserwar- ten schwerwiegender, dosisbegrenzender Ne-
tung des Patienten, der Art und dem Stadium benwirkungen entgegen. Dann kann nur ein Teil
des Tumors (Typ, Volumen, Wachstumsge- der Krebszellen irreversibel geschädigt bzw. kli-
schwindigkeit, Entdifferenzierungsgrad, Gene- nisch lediglich eine längerfristige Remission er-
31.1 Zytostatika 531

zielt werden, da sich die anderen Zellen an- en haben auch zur Folge, dass die Therapiesche-
schließend wieder vermehren und so zum Rezi- mata bei malignen Tumoren besonders häufig
div führen. Durch eine vorübergehende Tumor- geändert werden. Am Ende des Kapitels sind
remission werden jedoch die Beschwerden oft aktuelle Beispiele medikamentöser Tumorbe-
geringer und die Lebensqualität und Lebens- handlungen (Mamma-, Prostata-, Kolonkarzi-
dauer können zunehmen. nom und Melanom) exemplarisch dargestellt
Eine Möglichkeit der Wirkungssteigerung (Ⴉ Kap. 31.9).
ohne einen parallelen Anstieg schwerer Toxizi-
tät besteht in der intermittierenden Verabrei-
chung von Onkologika in Behandlungszyklen. 31.1 Zytostatika
Die Erholungszeit der durch die Onkologika ge-
schädigten normalen Gewebe (z. B. Knochen- Wirkstoffe aus der Gruppe der (klassischen) Zy-
mark und Darmepithel) ist meist kürzer als die tostatika, deren erste Vertreter in den 1940er
der Tumorzellen, sodass sich nach einem ent- Jahren in die Therapie eingeführt wurden, zäh-
sprechenden Therapieintervall die normalen len auch heute noch zu den am häufigsten ange-
Gewebe im Gegensatz zu dem Tumor bereits wendeten Onkologika, die bei einer Vielzahl
wieder erholt haben können. von Tumorerkrankungen eingesetzt werden.
Wird bei einer Tumortherapie nicht nur me- Aufgrund ihres Wirkungsmechanismus werden
dikamentös behandelt, sondern werden auch sie in verschiedene Substanzgruppen (Antime-
operative und/oder strahlentherapeutische taboliten, Alkylanzien, Topoisomerasehemm-
Maßnahmen durchgeführt, so kann die medika- stoffe, Mitosehemmstoffe und zytostatisch wirk-
mentöse Therapie als adjuvante oder neo-adju- same Antibiotika) eingeteilt. Allen diesen klassi-
vante Chemotherapie erfolgen. Bei der adjuvan- schen Zytostatika ist gemeinsam, dass sie unspe-
ten Chemotherapie werden Onkologika im An- zifisch die Zellteilung blockieren und daher
schluss an eine Operation oder Bestrahlung zur insbesondere das Wachstum schnell proliferie-
Behandlung von Mikrometastasen und Tumor- render Zellen hemmen. Da sowohl Tumorzellen
resten eingesetzt. Die neo-adjuvante Chemo- als auch gesunde Zellen betroffen sind, besitzen
therapie dient der Schädigung des Tumors und diese Wirkstoffe eine geringe therapeutische
der Verkleinerung der Tumormasse vor der Breite.
Operation bzw. der Bestrahlung.
Nebenwirkungen. Besonders starke Nebenwir-
Die Behandlung mit Onkologika erfolgt heu-
te vielfach durch Kombination mehrerer Wirk-
kungen haben Zytostatika an Geweben mit ho- 31
her Proliferationsrate (Wechselgeweben). Als
stoffe. Die Kombinationstherapie (Polychemo-
Folge dieser Schädigung kommt es zu einer
therapie) der Tumoren hat den Vorteil, dass die
Knochenmarksuppression (Myelosuppression)
Resistenzentwicklung der Tumorzellen verzö-
mit Leuko- und Thrombopenien sowie zu ei-
gert und oft eine Wirkungssteigerung ohne Er-
nem Abfall der Erythrozytenzahl, woraus u. a.
höhung der Toxizität erreicht wird.
eine Schwächung der Immunabwehr, eine er-
Zur Behandlung maligner Tumore stehen
höhte Blutungsneigung und Anämien resultie-
zahlreiche Wirkstoffe mit unterschiedlichen
ren. Ferner treten Magen-Darm-Störungen
Wirkungsmechanismen zur Verfügung, die in
durch Schleimhautschäden auf. Diese äußern
den nachfolgenden Kapiteln (Ⴉ Kap. 31.1 bis
sich in Mukositis, Stomatitis, Erbrechen, Appe-
Ⴉ Kap. 31.8) vorgestellt werden. Darüber hinaus
titlosigkeit, Oberbauchbeschwerden, Resorpti-
werden auf dem Gebiet der Tumortherapie stän-
onsstörungen und Diarrhö. Haarausfall ist ein
dig neue Wirkstoffe entwickelt, sodass Onkolo-
weiteres häufiges Symptom. Ferner können
gika die zurzeit am schnellsten wachsende Arz-
Funktionsstörungen der Leber, Nieren und
neistoffgruppe darstellen. Dies sowie die ständig
Lungen auftreten. Zu achten ist auch auf die er-
wachsenden Erkenntnisse aus klinischen Studi-
532 31 Onkologika

႒ Tab. 31.1 Antimetaboliten Stoffwechsel aller sich schnell teilender Zellen


ist in gleicher Weise betroffen.
INN

Folsäureantagonisten 31.1.1.1 Folsäureantagonisten


Durch geringfügige chemische Abwandlung der
Methotrexat, Pemetrexed
Folsäure wurden Folsäureantagonisten (႒ Tab.
Antagonisten von Pyrimidin- und Purin-Basen 31.1) entwickelt, die eine wesentlich höhere Af-
finität zur Dihydrofolsäure-Reduktase als Fol-
Fluorouracil, Tegafur1, Capecitabin, Gemcitabin, säure selbst besitzen und auf diese Weise die
Decitabin, Azacitidin, Cytarabin, Mercaptopurin, Übertragung von Einkohlenstoff-Fragmenten
Tioguanin, Cladribin, Fludarabin, Nelarabin,
auf Nucleinsäurebausteine verhindern. Die Fol-
Pentostatin
ge ist eine gestörte Nucleinsäuresynthese.
1 In fixer Kombination mit Gimeracil und Oteracil Methotrexat (z. B. Methotrexat Lederle) so-
wie dessen mittels des Enzyms Folylpolyglut-
amat-Synthetase gebildeten Polyglutamate, die
höhte Infektionsgefahr aufgrund der immun-
intrazellulär zurückgehalten werden (Trapping),
suppressiven Wirkung sowie auf eine Hyperuri-
hemmen die Dihydrofolsäure-Reduktase bzw.
kämie infolge des Zytolyse-bedingten verstärk-
die Thymidilat-Synthase. Methotrexat wird als
ten Anfalls von Purinkörpern. Bei der Abschät-
Zytostatikum bei zahlreichen Tumorerkrankun-
zung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist
gen eingesetzt, u. a. bei akuter lymphatischer
außerdem zu berücksichtigen, dass nach der
Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom, Mamma-
Behandlung mit vielen Zytostatika die Rate von
karzinom, Osteosarkom, malignen Tropho-
Zweitmalignomen zunimmt.
blastentumoren und Kopf-Hals-Tumoren.
Die genannten Nebenwirkungen sind bei
Die Höhe der Dosierung hängt in hohem
klassischen Zytostatika prinzipiell ähnlich. Je
Maß von der Art des Tumors und vom Behand-
nach Wirkstoff können jedoch bestimmte Ne-
lungsschema ab. Üblich sind Einzeldosen von
benwirkungen besonders schwerwiegend auf-
20 mg bis 12 g/m2 Körperoberfläche. Bei Dosie-
treten und dosislimitierend sein.
rungen ab 100 mg/m2 Körperoberfläche wird
Kontraindikationen. Wegen ihrer mutagenen, davon ausgegangen, dass zunächst die Tumor-
teratogenen und embryotoxischen Wirkungen zellen und erst später andere Körperzellen durch
sollten Zytostatika bei Schwangeren nicht einge- Methotrexat beeinflusst werden und es dadurch
setzt werden, es sei denn, es liegt eine vitale Indi- möglich ist, durch rechtzeitige Gabe des Anti-
kation vor. Weitere Kontraindikationen sind ak- dots Calciumfolinat (z. B. Leucovorin®) gesun-
tive Infektionen, Immundefizienz, Funktions- de Körperzellen vor der Zerstörung zu bewah-
störungen des hämatopoetischen Systems, Ulze- ren (Rescue). Zeitpunkt der Gabe und Dosis von
ra des Magen-Darm-Trakts sowie ausgeprägte Calciumfolinat ist nach Messung der Metho-
Leber- und Nierenfunktionsstörungen. trexatkonzentrationen im Plasma festzulegen.
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz muss die
31.1.1 Antimetaboliten Dosis mittels Therapeutischem Drug Monito-
Antimetaboliten verdrängen natürliche Stoff- ring individuell angepasst werden, da Methotre-
wechselbausteine (Metaboliten) und führen zur xat überwiegend renal eliminiert wird. Die
Bildung funktionsuntüchtiger Makromoleküle wichtigsten Nebenwirkungen von Methotrexat
oder sie blockieren Enzyme durch Komplexbil- sind Myelosuppression und Mukositis.
dung. In beiden Fällen werden dadurch der In deutlich niedrigerer Dosierung (7,5–15 mg
Stoffwechsel und die Zellteilung gestört. Ihre einmal wöchentlich) ist Methotrexat ferner bei
Wirkung ist weitgehend unspezifisch, d. h. der Autoimmunerkrankungen, insbesondere bei
rheumatoider Arthritis (Ⴉ Kap. 12.2.3.1) sowie
31.1 Zytostatika 533

schwerer, gegen übliche Pharmaka therapiere- intestinale Symptome. Da der Abbau von 5-FU
sistenter Psoriasis indiziert (z. B. Lantarel®). durch Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD)
Pemetrexed (ALIMTA®) ist ein weiterer Fol- erfolgt und bei diesem Enzym genetische Vari-
säureantagonist, der sowohl die Thymidilat- anten existieren, kann es nach Verabreichung
Synthase als auch die Dihydrofolat-Reduktase von Standarddosen in Einzelfällen zu starken
und die Glycinamidribonucleotidformyl-Trans- toxischen Wirkungen kommen.
ferase blockiert und damit die folatabhängige Tegafur, eine Vorstufe von 5-Fluorouracil,
Biosynthese von Thymidin und Purinnucleoti- wird als fixe Kombination mit Gimeracil und
den hemmt. Pemetrexed wird durch Transport- Oteracil (Teysuno®) bei fortgeschrittenem Ma-
systeme in die Zelle aufgenommen und in der genkrebs zusammen mit Cisplatin eingesetzt.
Zelle wie Methotrexat durch das Enzym Folyl- Nach Bioaktivierung zu 5-FU mittels CYP2A6
polyglutamat-Synthase in Polyglutamate über- wird der von der Dihydropyrimidin-Dehydro-
führt. Pemetrexed ist zugelassen für die First- genase katalysierte 5-FU-Abbau durch Gimera-
line-Therapie bei Patienten mit nicht-kleinzelli- cil reversibel blockiert. Als Folge dieser kompe-
gem Bronchialkarzinom und in Kombination titiven Hemmung steigt die 5-FU-Plasmakon-
mit Cisplatin für die Primärtherapie des Pleura- zentration. Oteracil ist ein Orotatphosphoribo-
mesothelioms (Einzeldosis 500 mg/m2 Kör- syltransferase-Hemmer, der die Aktivität von
peroberfläche i. v.). Häufige Nebenwirkungen 5-FU in der normalen Magen-Darm-Mukosa
sind Myelosuppression, Mukositis und sensori- reduzieren soll. Die Standard-Behandlungszy-
sche Neuropathie. klus besteht aus der Gabe von zweimal täglich
25 mg Tegafur/m2 Körperoberfläche für 21 Tage,
31.1.1.2 Antagonisten von Pyrimidin- und gefolgt von einer 7-tägigen Pause. Die Neben-
Purin-Basen wirkungen sind qualitativ denen von 5-FU ver-
Pyrimidin-Analoga. Fluorouracil (5-Fluoro- gleichbar, treten jedoch seltener auf. Wie bei
uracil, 5-FU; z. B. 5 FU-cell®) blockiert nach 5-FU besteht ein erhöhtes Toxizitätsrisiko bei
Umwandlung in 5-Fluordesoxyuridin-triphos- Patienten mit einem genetisch bedingten DPD-
phat und 5-Fluordesoxyuridin-monophosphat Mangel.
zusammen mit Folinsäure die Thymidilat-Syn- Capecitabin (Xeloda®), ebenfalls ein Pro-
thase und damit die Methylierung von Desoxy- drug von 5-Fluorouracil, wird nach enzymati-
uridylsäure zu Thymidylsäure. Die Folge ist eine scher Abspaltung der Seitenkette in der Leber
Hemmung der DNA-Synthese. Daneben wird durch die im Tumor vermehrt vorkommende
5-Fluordesoxyuridin-monophosphat als fal- Thymidin-Phosphorylase in die Wirkform
31
scher Baustein in die RNA eingebaut. 5-FU wird überführt. Zugelassen ist Capecitabin bei Kolo-
u. a. bei kolorektalen, hepatozellulären, Ösopha- rektal-, Kolon-, Magen- und Mammakarzinom.
gus-, Magen-, Pankreas- und Mammakarzino- Die Standarddosierung beträgt bei Monothera-
men angewandt. pie 1250 mg/m2 Körperoberfläche p. o. zweimal
Neben der systemischen Gabe (z. B. 750– täglich über 14 Tage, gefolgt von einer 7-tägigen
1000 mg/m2 i. v. an den Tagen 1–5 alle 4 Wo- Therapiepause. Die am häufigsten berichteten
chen) kann 5-FU auch intraarteriell zur lokalen und/oder klinisch relevanten Nebenwirkungen
Therapie appliziert werden, z. B. bei Lebertumo- sind gastrointestinale Störungen, Hand-Fuß-
ren. Außerdem wird es topisch bei aktinischen Syndrom, Abgeschlagenheit, Asthenie, Anore-
Keratosen, M. Bowen und nicht operablen xie, Kardiotoxizität, erhöhte Nierenfehlfunktion
Hauttumoren (Efudix®) sowie in Kombination und Thrombose/Embolie.
mit Salicylsäure bei Warzen (Verrumal®) einge- Gemcitabin (Difluor-Cytarabin; z. B. Gem-
setzt (Ⴉ Kap. 18.6.3.1). Wichtigste Nebenwirkun- zar®) wird intrazellulär in die aktiven Di- und
gen bei systemischer Anwendung sind eine Triphosphate überführt. Als Diphosphat hemmt
dosislimitierende Myelosuppression und gastro- es die Umwandlung von Cytidindiphosphat in
534 31 Onkologika

Desoxycytidindiphosphat und damit den Ein- Cytarabin (Cytosin-arabinosid; z. B. Ale-


bau von Desoxycytidinphosphat in die DNA. xan®), ein Strukturanalgon von Cytidin, wird in
Außerdem wird die RNA-Synthese durch Gem- phosphorylierter Form in die DNA eingebaut
citabintriphosphat inhibiert. Gemcitabin ist in- und stört so deren weitere Replikation. Ferner
diziert bei Blasen-, Bronchial-, Pankreas-, Mam- hemmt es (als Triphosphat) die DNA-Polymera-
ma- und Ovarialkarzinomen. Die Substanz wird se. Cytarabin wird bei akuten lymphatischen
in einer Standarddosierung von 1000 mg/m2 und myeloischen Leukämien, Blastenschub der
Körperoberfläche einmal wöchentlich über 30 chronisch-myeloischen Leukämie, Non-Hodg-
Minuten infundiert. Sehr häufig treten gastroin- kin-Lymphom sowie intrathekal bei leukämi-
testinale Störungen, erhöhte Leberenzyme, Pro- scher ZNS-Infiltration eingesetzt. Die Dosie-
teinurie, Hämaturie, Atemnot und allergische rung richtet sich nach dem Leukämietyp und
Hautausschläge auf. dem Therapiestadium (z. B. 100–200 mg/m2
Decitabin (Dacogen®) ist ein Cytidin-Des- Körperoberfläche täglich als Dauerinfusion
oxynucleosid-Analogon, das die DNA-Methyl- über 5–7 Tage im Rahmen der Induktionsthera-
transferase hemmt. Da die Methylierung von pie). Als Nebenwirkungen kommen neben sehr
Cytosinbasen in Genabschnitten häufig zur Fol- häufigen gastrointestinalen Störungen u. a.
ge hat, dass die betroffenen Gene nicht mehr ab- Pneumonie, Anorexie, Thrombophlebitiden
gelesen werden, kann eine durch Decitabin be- und Verwirrtheitszustände vor.
wirkte Hypomethylierung von Genpromotoren
Purin-Analoga. Mercaptopurin (6-Mercapto-
zur Reaktivierung von Tumorsuppressor-Genen
purin; z. B. Puri-Nethol®) wirkt als kompetitiver
und Apoptose von Tumorzellen führen. Decita-
Hemmstoff der Purinbiosynthese nach Um-
bin ist zugelassen bei akuter myeloischer Leuk-
wandlung in die intrazelluläre Wirkform 6-Mer-
ämie, falls eine Standard-Induktionstherapie
captopurin-ribonucleotid. Durch die Hemmung
nicht in Frage kommt. Während eines Behand-
verschiedener Enzyme, u. a. der Adenylosucci-
lungszyklus werden üblicherweise 20 mg/m2
nat-Synthetase und der Phosphoribosylpyro-
Körperoberfläche einmal täglich an 5 aufeinan-
phosphatamido-Transferase, werden die DNA-
derfolgenden Tagen verabreicht. Die häufigsten
und RNA-Synthese unterdrückt. Mercaptopurin
Nebenwirkungen sind Pyrexie, Anämie und
wird ferner zu etwa 30 % in Form falscher Nuc-
Thrombozytopenie.
leotide in die DNA eingebaut.
Azacitidin (5-Azacytidin, Vidaza®) ist ein
Die Bioverfügbarkeit von Mercaptopurin
Pyrimidin-Analogon, dessen Einbau in die
schwankt zwischen 5 und 37 %, da die Substanz
DNA ebenfalls zu einer Hemmung von DNA-
mittels Thiopurinmethyl-Transferase methy-
Methyltransferasen führt. Zugelassen ist Azaci-
liert und damit inaktiviert wird und bei diesem
tidin zur Therapie des myelodysplastischen Syn-
Enzym ein genetischer Polymorphismus exis-
droms sowie bei chronischen und akuten myelo-
tiert: Bis zu 10 % der Patienten weisen eine deut-
ischen Leukämien, wenn bei den betroffenen
lich reduzierte Enzymaktivität auf, die bei Gabe
Patienten keine Knochenmarktransplantation
von Standarddosen (100 mg/m2 Körperoberflä-
durchgeführt werden kann. Die Standarddosie-
che/Tag) zu erheblicher Toxizität führen kann.
rung beträgt 75 mg/m2 Körperoberfläche ein-
Vor Beginn einer Therapie ist daher der Phäno-
mal täglich s. c. während einer Woche, daran
typ des Patienten zu bestimmen.
schließt sich eine Pause von drei Wochen an. Als
Eine wichtige Indikation sind akute lympha-
Nebenwirkungen treten häufig hämatologische
tische Leukämien. Sehr häufige Nebenwirkun-
Reaktionen (v. a. Thrombozytopenie, Neutrope-
gen betreffen Knochenmarksdepression mit
nie und Leukopenie), gastrointestinale Störun-
Leukozytopenie und Thrombozytopenie. Durch
gen sowie Reaktionen an der Injektionsstelle
Hemmung der Xanthinoxidase beeinträchtigt
auf.
Allopurinol, das häufig zur Behandlung der im
31.1 Zytostatika 535

Rahmen einer Zytostatikatherapie auftretenden raums von 3 Wochen i. v. in einer Dosierung von
sekundären Hyperurikämie eingesetzt wird, den jeweils 1 500 mg/m2 Körperoberfläche infun-
Abbau von Mercaptopurin und erhöht dessen diert. Die dosislimitierende Nebenwirkung von
Toxizität. Daher muss bei gleichzeitiger Gabe Nelarabin ist eine Neurotoxizität mit ausgepräg-
der beiden Substanzen eine Dosisreduktion von ter Somnolenz, Konvulsionen und peripheren
Mercaptopurin vorgenommen werden. Neuropathien.
Tioguanin (6-Thioguanin; Thioguanin-As- Pentostatin (NIPENT®), ein Analogon von
pen®) wird zur aktiven Ribonucleotidform bio- Hypoxanthin, hemmt die Adenosin-Desamina-
aktiviert und besitzt als solche ähnliche Wirkun- se. Dadurch kommt es zur Anreicherung von
gen wie Mercaptopurin. Indikationen sind akute Desoxy-Adenosintriphosphat (dATP), das sei-
Leukämien und chronisch myeloische Leuk- nerseits die DNA-Synthese durch Wechselwir-
ämie. Die Standard-Dosierung beträgt 80 mg/ kung mit der Ribonucleotid-Reduktase blo-
m2 Körperoberfläche/Tag. Als Nebenwirkungen ckiert. Indiziert ist Pentostatin bei Haarzell-
treten besonders häufig Knochenmarksdepres- Leukämien. Die Substanz wird üblicherweise im
sion und gastrointestinale Störungen auf. Abstand von 2 Wochen in einer Dosierung von
Cladribin (z. B. LITAK®) ist eine die DNA- 4 mg/m2 Körperoberfläche verabreicht. Als Ne-
Polymerase hemmende Analog-Substanz von benwirkung ist neben gastrointestinalen Störun-
Desoxyadenosin mit hoher Spezifität für lym- gen und einer Myelosuppression eine besonders
phoide Zellen. Sie ist in einer Dosierung von stark ausgeprägte Unterdrückung von CD4-po-
0,09 mg/kg/Tag i. v. für 7 Tage bei Haarzellleuk- sitiven Lymphozyten zu nennen.
ämie indiziert. Die häufigsten Nebenwirkungen
umfassen Knochenmarksdepression (insbeson- 31.1.2 Alkylanzien
dere Neutropenie, Thrombozytopenie und An- Unter diesem Begriff werden reaktionsfähige,
ämie) sowie Immunsuppression mit Infektionen meist bifunktionelle Zytostatika (႒ Tab. 31.2) zu-
und Fieber. sammengefasst, deren Wirkung vor allem auf
Fludarabin (z. B. Fludara®), ein Hemmstoff der Alkylierung von Nucleinsäuren beruht.
der DNA-Polymerase bzw. Ribonucleotid-Re- Nach Aktivierung zu Carbokationen reagieren
duktase, ist bei chronisch lymphatischen Leuk- diese Stoffe außer mit Proteinen u. a. mit Guanin
ämien indiziert. Die Substanz wird in einer Ta- der Desoxyribonucleinsäuren und führen zu
gesdosis von 25 mg/m2 Körperoberfläche i. v. multiplen DNA-Veränderungen (Vernetzung
während 5 Tagen verwendet. Sehr häufig treten von DNA-Strängen = Cross-link-Bildung, ab-
Myelosuppression und gastrointestinale Störun- normer Basenpaarung, Spaltung von DNA-Ket-
31
gen auf. ten u. a.). Dadurch wird die Nucleinsäure-Redu-
Nelarabin (Atriance®) wird in der Zelle plikation und damit die Zellteilung beeinträch-
durch Adenosin-Desaminase, die insbesondere tigt.
in T-Zellen mit hoher Aktivität vorliegt, zu Gua-
nosin-Arabinosid demethyliert und dann durch 31.1.2.1 Stickstofflost-Derivate
Kinasen stufenweise zum aktiven Triphosphat Lost (Dichlordiethylsulfid) wurde im ersten
umgewandelt. Der Einbau dieser falschen Nuc- Weltkrieg als Kampfstoff eingesetzt. Bei der
leotidbausteine führt zu einer Hemmung der Autopsie der Gefallenen stellte man neben
DNA-Synthese. Indiziert ist Nelarabin bei aku- schweren Reizungen der Haut und des Respira-
ter lymphoblastischer T-Zell-Leukämie sowie tionstrakts eine Schädigung aller stark prolife-
lymphoblastischem T-Zell-Lymphom, die auf rierender Gewebe, besonders des Knochen-
mindestens zwei vorausgegangene andere The- marks und der lymphatischen Organe, fest. Auf-
rapien nicht oder nur unzureichend angespro- grund dieses Befundes wurde Lost als Chemo-
chen haben. Die Substanz wird bei Erwachsenen therapeutikum in Betracht gezogen. Da es sich
an 3 Tagen innerhalb eines Behandlungszeit- jedoch als zu toxisch und schwer handhabbar
536 31 Onkologika

႒ Tab. 31.2 Alkylanzien Dosierungsintervalle variieren je nach Protokoll


erheblich.
INN
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zäh-
Stickstofflost-Derivate len Immunsuppression, Myelosuppression und
Alopezie. Darüber hinaus kann das bei der Me-
Cyclophosphamid, Ifosfamid, Trofosfamid,
tabolisierung von Cyclophosphamid gebildete
Melphalan, Chlorambucil, Bendamustin
Acrolein urotoxische Nebenwirkungen (hämor-
N-Nitrosoharnstoff-Derivate rhagische Zystitis, Induktion von Blasenkarzi-
nomen) hervorrufen. Zu deren Vermeidung
Carmustin, Lomustin kann Mesna (Natrium-2-mercaptoethansulfo-
Platin-Komplexe nat; z. B. Uromitexan®) eingesetzt werden, das
mit Acrolein ein nicht toxisches, renal aus-
Cisplatin, Carboplatin, Oxaliplatin scheidbares Additionsprodukt bildet. Mesna
verringert außerdem den Abbau von 4-Hydro-
Sonstige Alkylanzien
xy-Cyclophosphamid im Urin. Als Nebenwir-
Mitomycin, Procarbazin, Dacarbazin, Temozolomid, kung von Mesna besteht u. a. die Gefahr allergi-
Trabectedin, Busulfan, Treosulfan, Thiotepa scher Reaktionen vom Spättyp.
Das Cyclophosphamid-Isomer Ifosfamid
(z. B. Holoxan®) wird in analoger Weise unter
Bildung von Acrolein bioaktiviert. Es ist zur Be-
erwies, wurden in der Folgezeit Derivate der handlung verschiedener solider und hämatolo-
Analogsubstanz Stickstofflost entwickelt, die gischer Tumoren zugelassen. Die übliche Dosie-
eine geringere Toxizität als Lost besitzen und rung beträgt 1,2–2,4 g/m2 Körperoberfläche i. v.
therapeutisch anwendbar sind. an 5 aufeinander folgenden Tagen. Im Vergleich
Ein klassisches Stickstofflost-Derivat ist Cyc- zu Cyclophosphamid tritt häufiger eine ZNS-
lophosphamid (z. B. Endoxan®), das als Pro- Toxizität (Psychose, Enzephalopathie u. a.) auf,
drug erst im Organismus in die eigentliche die auf einer vermehrten Seitenkettenoxidation
Wirkform umgewandelt wird und gut oral ap- (CYP3A4-abhängigen Bildung von Chloracetal-
plizierbar ist. Überwiegend in der Leber erfolgt dehyd) beruht.
mittels CYP2B6 die Aktivierung zu 4-Hydroxy- Trofosfamid (Ixoten®), ebenfalls ein Pro-
Cyclophosphamid, das unter Abspaltung von drug, unterliegt einem komplexen Stoffwechsel
Acrolein in weitere aktive (alkylierende) sowie durch CYP3A4. Dabei entstehen zunächst so-
inaktive Metaboliten überführt wird. Die Bioak- wohl Ifosfamid als auch in geringerem Ausmaß
tivierung geht mit einer Autoinduktion von Cyclophosphamid, die anschließend auf den be-
CYP2B6 einher, d. h. nach mehrfacher Gabe von schriebenen Wegen bioaktiviert werden. Die
Cyclophosphamid wird ein höherer Anteil der Substanz ist zur Therapie von Non-Hodgkin-
Dosis in die Wirkform überführt. Lymphomen nach Versagen der Standardthera-
Cyclophosphamid wird bei zahlreichen Tu- pie zugelassen. Dabei werden täglich 150 mg
morformen angewendet, insbesondere bei soli- Trofosfamid p. o. empfohlen. Häufige Neben-
den Tumoren und hämatologischen Neoplasien. wirkungen sind Leukopenie, gastrointestinale
Es besitzt zusätzlich immunsuppressive Wir- Störungen und Alopezie.
kungen und wird daher auch zur Behandlung Melphalan (Alkeran®), ein Phenylalaninde-
von bedrohlich verlaufenden Autoimmun- rivat von Stickstofflost, wird über Aminosäure-
krankheiten (z. B. progredienten Formen von transporter in die Zellen aufgenommen. Es wird
Lupus Nephritis und Wegener-Granulomatose) zur Therapie des Multiplen Myeloms und des
sowie zur Immunsuppressionstherapie bei Or- fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms nach Ver-
gantransplantationen eingesetzt. Dosierung und sagen der Standardtherapie angewandt. Die üb-
31.1 Zytostatika 537

liche Dosierung beträgt 0,2–0,25 mg/kg Körper- der Nitrosoharnstoffe hemmen darüber hinaus
gewicht/Tag p. o. über 4–5 Tage peroral alle 4–8 die DNA-Polymerase und damit auch die Repa-
Wochen. Bei intravenöser Anwendung ist die ratur von DNA-Schäden, wobei die molekularen
Dosierung je nach Protokoll verschieden. Als Mechanismen der Beeinflussung des Zellwachs-
Nebenwirkungen werden häufig gastrointesti- tums nicht vollständig geklärt sind und sich bei
nale Beschwerden (bei hoher Dosierung dosisli- den verschiedenen Substanzen unterscheiden.
mitierend), Myelodepression, Alopezie und Infolge ihrer Lipophilie zeichnen sich die Ni-
Einschränkungen der Ovarialfunktion beschrie- trosoharnstoff-Derivate durch gute Penetration
ben. ins ZNS aus. Daher werden diese Verbindungen
Chlorambucil (Leukeran®) bewirkt zusätz- bei Hirntumoren und Hirnmetastasen anderer
lich zur Hemmung der DNA-Replikation eine Tumoren eingesetzt. Weitere Indikationen sind
zytosolische Anreicherung von p53 und Akti- Morbus Hodgkin sowie Tumorerkrankungen
vierung des Apoptose-Aktivators Bax, wodurch der Haut und der Lunge. Die Richtdosen betra-
Apoptose induziert wird. Anwendungsgebiete gen für Carmustin 200 mg/m2 Körperoberfläche
sind chronisch lymphatische Leukämien, nied- i. v. und für Lomustin 70–100 mg/m2 p. o. alle 6
rig maligne Non-Hodgkin-Lymphome sowie Wochen. Schwere Nebenwirkungen, insbeson-
Waldenström-Makroglobulinämie. Chloram- dere die Schädigung des Knochenmarks, be-
bucil wird üblicherweise als Einmaldosis alle 14 grenzen jedoch den Einsatz dieser Zytostatika.
Tage gegeben. Die anfängliche Dosierung als Unter der Behandlung mit Carmustin wurden
Monotherapeutikum beträgt 0,4 mg/kg Körper- neben den für Zytostatika üblichen uner-
gewicht, ab dem 2. Behandlungskurs wird stu- wünschten Wirkungen pulmonale Infiltrate be-
fenweise um 0,1 mg/kg Körpergewicht bis zum obachtet.
Wirkungseintritt oder zum Auftreten toxischer
Wirkungen gesteigert. Zu den häufigen Neben- 31.1.2.3 Platin-Komplexe
wirkungen zählen Myelosuppression, gastroin- Zu den Alkylanzien im weiteren Sinn gehören
testinale Störungen sowie Krampfanfälle. die Platin-Derivate Cisplatin (Generika), Car-
Bendamustin (Levact®) zeigt in vitro eine re- boplatin (z. B. Carbomedac®) und Oxaliplatin
lativ geringe Kreuzresistenz mit anderen Alky- (z. B. Riboxatin®). Es handelt sich dabei um pla-
lanzien oder Anthrazyklinen. Dies soll auf einer nare Komplexe mit zweiwertigem Platin als
vergleichsweise länger andauernden DNA-In- Zentralatom, wobei Carboplatin und Oxalipla-
teraktion beruhen, was jedoch nicht eindeutig tin im Vergleichzu Cisplatin stabiler sind. Die
geklärt ist. Bendamustin wird angewandt bei eigentliche Wirkform der Platinverbindungen
31
chronischer lymphatischer Leukämie, Non- ist ein elektrophiler Aquo-Komplex, der vor al-
Hodgkin-Lymphomen und multiplem Myelom. lem intrazellulär entsteht. Er bewirkt Vernet-
Ein typisches Behandlungsregime besteht in der zungen von DNA-Strängen und hemmt auf die-
Gabe von 100–150 mg/m2 Körperoberfläche an se Weise die Zellteilung. Infolge der höheren
den Tagen 1 und 2 alle 4 Wochen. Die häufigsten Stabilität tritt die Wirkung von Carboplatin und
Nebenwirkungen sind Myelosuppression, aller- Oxaliplatin langsamer ein und hält länger an als
gische Reaktionen, Fieber und gastrointestinale bei Cisplatin.
Symptome. Indikationen von Cisplatin sind Hoden-,
Ovarial-, Zervix-, Endometrium-, Bronchial-,
31.1.2.2 N-Nitrosoharnstoff-Derivate Ösophagus- und Harnblasenkarzinome, ferner
Weitere Alkylanzien sind die N-Nitrosoharn- Karzinome im Kopf- und Halsbereich sowie Os-
stoff-Derivate Carmustin (BCNU; z. B. CAR- tesarkome. Carboplatin wird beim Ovarial- und
MUBRIS®) und Lomustin (CCNU; Cecenu®), Bronchialkarzinom sowie bei Karzinomen im
die eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Stick- Kopf- und Halsbereich angewendet. Oxaliplatin
stofflost-Derivaten aufweisen. Abbauprodukte ist zur Therapie des Kolon- und kolorektalen
538 31 Onkologika

Karzinoms in Kombination mit Fluorouracil Pankreas- und Harnblasenkarzinom sowie bei


und Folinsäure zugelassen. Kopf-Hals-Tumoren eingesetzt. Eine typische
Übliche Dosierungen betragen für Cisplatin Dosierung beträgt 10–20 mg/m2 Körperoberflä-
50–120 mg/m2, für Carboplatin 400 mg/m2 und che i. v. alle 6 Wochen. Bei Blasenkarzinomen
für Oxaliplatin 85 mg/m2 Körperoberfläche als erfolgt die Applikation intravesikal.
einmalige i. v. Infusion. Entsprechend dem kli- Unter einer Mitomycin-Behandlung treten
nischen Verlauf wird die Behandlung nach etwa bei bis zu 10 % der Patienten schwerwiegende
3–4 Wochen wiederholt. toxische Organveränderungen (interstitielle
Zusätzlich zu den beschriebenen typischen Pneumonitis und/oder Nephrotoxizität) auf. Bei
Nebenwirkungen einer Zytostatika-Therapie einer Kombination mit Bleomycin oder Vinca-
können bei Anwendung von Cisplatin eine Alkaloiden wird die Lungentoxizität verstärkt.
schwere Nierenschädigung mit z. T. irreversib- Procarbazin (Natulan®), ein Prodrug, wird
lem Nierenversagen sowie ein (Hochton-)Hör- im Organismus zu zytotoxischen Metaboliten
schaden auftreten. Durch ausreichende Hydra- biotransformiert, denen die wesentlichen Wir-
tation mit physiologischer Kochsalzlösung un- kungen der Substanz zugeschrieben werden.
ter Zusatz von Glucose kann die Nephro- und Die Metaboliten alkylieren die DNA und hem-
Ototoxizität herabgesetzt werden. Ferner kann men sowohl die Inkorporation von kleinen
Amifostin (Ethyol®) eingesetzt werden. Dieses DNA-Präkursoren als auch die RNA- und Prote-
ist ein Prodrug, das durch alkalische Phosphata- in-Synthese. Procarbazin wird zur Therapie von
sen in gesunden Zellen zum aktiven Thiol-Me- Hodgkin-Lymphomen und anaplastischen oli-
taboliten dephosphoryliert wird, der gesundes godendroglialen Tumoren eingesetzt. Die übli-
Gewebe gegen die Wirkungen von Strahlen, Al- che Dosierung beträgt bei Hodgkin-Lympho-
kylanzien und Platin-Derivate schützt. Eine men 100 mg/m2 Körperoberfläche p. o. für 7 bis
Vorbehandlung mit Amifostin (910 mg/m2 Kör- 14 Tage in Kombination mit anderen Zytostati-
peroberfläche) reduziert die Nierenschädigung ka. Aufgrund seiner genotoxischen Wirkung be-
von Cisplatin. Die häufigsten Nebenwirkungen steht die Gefahr von Zweittumoren. Eine weitere
von Amifostin sind Übelkeit, Erbrechen, Hitze- bedeutsame Nebenwirkung ist die Myelotoxizi-
gefühl und Blutdruckabfall. tät.
Carboplatin besitzt eine geringere Nephro- Dacarbazin (Imidazolcarboxamid, D. T. I. C.,
und Ototoxizität, jedoch eine höhere Myelotoxi- z. B. Detimedac®) ist zur Behandlung des meta-
zität als Cisplatin. stasierenden Melanoms sowie von Morbus Hod-
Oxaliplatin weist eine relativ hohe Neuroto- gkin und von Weichteilsarkomen zugelassen.
xizität auf, die sich als periphere sensorische Die übliche Dosierung beim malignen Melanom
Neuropathie äußert. Der Schweregrad dieser beträgt 200–250 mg/m2 Körperoberfläche i. v.
Nebenwirkung ist mit genetischen Varianten über 5 Tage alle 3 Wochen. Als wesentliche Ne-
der Glutathion-S-Transferasen assoziiert, die benwirkungen sind u. a. gastrointestinale Be-
Oxaliplatin verstoffwechseln. schwerden, Anämie, Leuko- und Thrombopeni-
en beschrieben.
31.1.2.4 Sonstige Alkylanzien Das Triazen Temozolomid (z. B. TEMO-
Mitomycin (Mitomycin C; z. B. AMECYTINE®) DAL®) wird bei physiologischem pH-Wert
wird aus Kulturen von Streptomyces caespitosus spontan hydrolysiert und decarboxyliert. Durch
isoliert. Es handelt sich um ein Prodrug, das einen weiteren Biotransformationsschritt ent-
nach Metabolisierung als bifunktionelles Alky- steht ein Methyldiazoniumion, das DNA-Ad-
lans zu einer Quervernetzung von DNA-Strän- dukte mit guaninreichen DNA-Sequenzen bil-
gen führt. Mitomycin wird in der palliativen Tu- det. Die Substanz besitzt eine hohe Bioverfüg-
mortherapie bei kolorektalen, Leber-, Magen-, barkeit, unterliegt keinem hepatischen Metabo-
Mamma-, Ösophagus-, Zervix-, Bronchial-, lismus und überwindet die Blut-Hirn-Schranke.
31.1 Zytostatika 539

Temozolomid wird bei rezidivierenden oder in hohen Dosen zur sog. Konditionierung
progredienten Hirntumoren (u. a. Glioblastoma (Hochdosis-Chemotherapie oder Ganzkörper-
multiforme) i. v. oder p. o. eingesetzt. Bei erst- bestrahlung plus Chemotherapie) vor einer allo-
malig diagnostiziertem Glioblastoma multifor- genen hämatopoetischen Stammzelltransplan-
me wird es initial in Kombination mit fokaler tation eingesetzt.
Strahlentherapie angewendet. Danach folgen bis Die Standarddosis beträgt 2–4 mg p. o. täglich
zu 6 Zyklen Temozolomid-Monotherapie in ei- in Therapiezyklen oder kontinuierlich. Eine
ner typischen Dosierung von 150–200 mg/m2 wichtige Nebenwirkung von Busulfan, deren Pa-
einmal täglich für 5 Tage, abwechselnd mit 23 thomechanismus nicht abschließend geklärt
Tagen ohne Behandlung. Häufigste Nebenwir- werden konnte, ist die venöse Verschlusskrank-
kungen sind Übelkeit und Erbrechen. heit der Leber (venous occlusive disease; VOD).
Trabectedin (Yondelis®) wurde ursprünglich Treosulfan (Ovastat®), ein Busulfan-Derivat,
aus der Seescheide Ecteinascidia turbinata iso- wird zu einem reaktiven Epoxid bioaktiviert.
liert, heute wird es vollsynthetisch hergestellt. Die Substanz dient zur palliativen Therapie epi-
Die DNA-Bindung der Substanz erfolgt anders thelialer Ovarialkarzinome nach Versagen Pla-
als bei den oben beschriebenen Alkylanzien tin-haltiger Standardtherapien. Eine typische
nicht an N-7 von Guaninbasen in der großen Dosierung beträgt pro Zyklus 400–600 mg/m2
Furche der DNA, sondern an exocyclischen N- Körperoberfläche p. o., verteilt auf 4 Dosen wäh-
2-Stickstoffen von Guaninbasen der kleinen rend 28 Tagen, gefolgt von einer behandlungs-
Furche. Diese Bindung führt zu einer Konfor- freien Pause von ebenfalls 28 Tagen. Die dosis-
mationsänderung, wodurch u. a. Nucleasen an begrenzende Nebenwirkung ist die Myelosup-
die Bindungsstellen rekrutiert werden, die pression.
DNA-Strangbrüche induzieren. Thiotepa (Tepadina®) ist ein Prodrug, das
Trabectedin wird hauptsächlich in der Leber durch oxidativen Metabolismus mittels CYP3A4
über CYP3A4 metabolisiert. Indiziert ist es zur und CYP2B6 zu aktivem (alkylierendem) Tepa
Behandlung von Weichteilsarkomen, die auf biotransformiert wird. Dieses wird in Kombina-
eine Behandlung mit Anthracyclinen (s. u.) und tion mit anderen Chemotherapeutika u. a. zur
Ifosfamid nicht angesprochen haben oder bei Konditionierung (s. o.) vor hämatopoetischer
Patienten, die diese Wirkstoffe nicht tolerieren. Stammzelltransplantation zur Behandlung von
Eine weitere Indikation sind Rezidive von zu- hämatologischen Erkrankungen angewandt.
nächst platinsensitiven Ovarialkarzinomen in Die Dosierung variiert in Abhängigkeit von den
Kombination mit pegyliertem liposomalem Do- zusammen mit Thiotepa applizierten Chemo-
31
xorubicin. Die typische Dosierung zur Behand- therapeutika. Die häufigsten Nebenwirkungen
lung von Weichteilsarkomen beträgt 1,5 mg/m2 sind Infektionen, Erkrankungen des Gastroin-
Körperoberfläche als i. v. Infusion über 24 Stun- testinaltrakts, hämorrhagische Zystitis und
den alle 3 Wochen. Die häufigsten Nebenwir- Schleimhautentzündung.
kungen sind Blutbildungsstörungen, vor allem
Neutropenie, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbre- 31.1.3 Topoisomerasehemmstoffe
chen und Anorexie sowie Erhöhungen der Mus- Eine wichtige Voraussetzung für die Verpa-
kel- und Leberenzyme. ckung der DNA im Zellkern ist ihre Verdrillung.
Busulfan (z. B. Myleran®), ein Alkylans mit Um im Rahmen der Zellteilung eine Neusynthe-
bevorzugter Hemmwirkung auf myeloische se der DNA ohne großen Energieaufwand zu
Vorläuferzellen, wird über Glutathion-S-Trans- ermöglichen, existieren Enzyme, die DNA-
ferasen metabolisiert und zeigt große interindi- Stränge vorübergehend unterbrechen können,
viduelle Biotransformations-Unterschiede (ca. um sie nach erfolgreicher Replikation wieder
50–100 %). Es wird insbesondere zur Behand- zusammen zu fügen. Diese sog. Topoisomera-
lung chronisch-myeloischer Leukämien sowie sen können als reversible Nucleasen angesehen
540 31 Onkologika

werden, die kovalent an eine Phosphatgruppe


A 3' der DNA binden, die Esterbindung spalten und
5' anschließend wieder verknüpfen (Ⴜ Abb. 31.1).
Man unterscheidet zwei Formen: Topoiso-
merase I spaltet lediglich einen Strang der dop-
pelsträngigen DNA und erlaubt damit eine freie
Rotation des Gegenstrangs um eine Phospho-
diesterbindung, eine Voraussetzung für die Re-
plikation. Topoisomerase II bindet kovalent an
beide DNA-Stränge, spaltet sie temporär und
ermöglicht dadurch die in Ⴜ Abb. 31.1 beschrie-
3'
bene Rotation. Anschließend wird die Bruch-
5' stelle verschlossen und das Enzym dissoziiert
DNA-Polymerase
von der DNA.
3'
Die Hemmung dieser Enzyme führt dazu,
Neu synthetisierte DNA dass der stabilisierte Komplex aus Topoisomera-
5' se und DNA Strangbrüche hervorruft und des-
B Topoisomerase I (Einzelstrangbruch) wegen die Zelle stirbt. In vielen Tumoren ist die
ermöglicht freie Rotation um Aktivität der Topoisomerasen erhöht, sodass
Phosporsäureester-Gruppen Topoisomerasehemmstoffe eine gewisse Tumor-
selektivität besitzen. Verschiedene Topoisome-
rasehemmstoffe wirken untereinander bzw. zu-
sammen mit Alkylanzien oder Platin-Derivaten
synergistisch und werden daher bei vielen Tu-
morerkrankungen als Kombinationspartner
verwendet. Negativ ist, dass insbesondere
Hemmstoffe der Topoisomerase II die Entwick-
lung von Zweittumoren und Zweitleukämien
Topoisomerase II (Doppelstrangbruch) begünstigen.
Topotecan (z. B. HYCAMTIN®), ein Hemm-
stoff der Topoisomerase I, ist zugelassen zur
Monotherapie beim metastasierten Ovarialkar-
zinom nach Versagen einer Primär- oder Folge-
therapie sowie beim rezidivierten kleinzelligen
Bronchialkarzinom (SCLC), bei dem eine Wie-
derbehandlung mit dem in der Primärtherapie
angewandten Behandlungsschema nicht erfol-
gen kann bzw. nicht mehr erfolgversprechend
Ⴜ Abb. 31.1 Funktionsprinzip der Topoisomerasen. ist. In Kombination mit Cisplatin wird es ferner
Bei der in Teil A dargestellten Replikation der DNA bei rezidivierendem Zervixkarzinom ange-
durch DNA-Polymerase wäre eine energieaufwän- wandt.
dige Rotation der zu replizierenden DNA in Pfeil- Als Monotherapeutikum wird die Substanz
richtung notwendig. B Daher erfolgt eine Spaltung üblicherweise in einer täglichen Dosierung von
der DNA durch Topoisomerasen 1,5 mg/m2 Körperoberfläche an 5 aufeinander
folgenden Tagen, gefolgt von einer 16-tägigen
Pause, verabreicht. Die wichtigste Nebenwir-
31.1 Zytostatika 541

kung ist eine intestinale Mukositis. Dosislimitie- 31.1.4 Mitosehemmstoffe


rend sind meist hämatologische Nebenwirkun- Eine Hemmung des Zellzyklus ist außerdem
gen. durch Blockade der Mitose möglich. Die auf die-
Irinotecan (z. B. Campto), ebenfalls ein To- se Weise wirkenden Pharmaka (႒ Tab. 31.3)
poisomerase I-Hemmer, wird durch Esterasen hemmen den Aufbau der Kernspindeln (z. B.
zu dem aktiven Metaboliten SN-38 verstoff- Colchicin, Vinca-Alkaloide, deren Derivate so-
wechselt. SN-38 wird dann durch die Glucuro- wie Eribulin) oder blockieren deren Abbau (Ta-
nyltransferase UGT1A1 glucuronidiert. Bei Pa- xane). Der Angriffspunkt ist in beiden Fällen
tienten mit einer genetischen Störung dieses eine Untereinheit des Tubulindimers, allerdings
Enzyms ist die Toxizität von Irinotecan daher sind die Bindungsstellen der genannten Phar-
signifikant erhöht. Irinotecan wird insbesonde- maka verschieden.
re bei Patienten mit metastasiertem Dickdarm- Einer der am längsten bekannten Mitose-
oder Mastdarmkrebs als Monotherapeutikum hemmstoffe ist das Herbstzeitlosenalkaloid Col-
oder in Kombination mit anderen Onkologika chicin, das während des Kernteilungsvorgangs
eingesetzt. in der Metaphase die Ausbildung der Teilungs-
Bei Monotherapie beträgt die empfohlene spindel verhindert und zu polyploiden Kernen
Dosierung 350 mg/m2 Körperoberfläche i. v. alle führt. Seine geringe therapeutische Breite
3 Wochen. Zusätzlich zu den typischen Zytosta- schließt jedoch die Verwendung als Zytostati-
tika-Nebenwirkungen ist eine verzögert einset- kum aus.
zende Diarrhö eine charakteristische dosisbe-
grenzende Irinotecan-Nebenwirkung. Ferner 31.1.4.1 Vinca-Alkaloide, Eribulin
tritt innerhalb der ersten 24 Stunden oft ein aku- Vincristin (Vincristinsulfat TEVA®) und Vin-
tes cholinerges Syndrom auf. blastin (Vinblastinsulfat TEVA®), zwei Alkaloi-
Etoposid (z. B. Vepesid®) ist ein partialsyn- de aus Catharanthus roseus, sowie die partial-
thetisch hergestelltes, die Topoisomerase II synthetisch gewonnenen Derivate Vinorelbin
hemmendes Podophyllotoxin-Derivat. (Podo- (z. B. Navelbine®) und Vinflunin (Javlor®) hem-
phyllotoxin selbst ist ein Mitosehemmstoff, aber men die Zellteilung in der Metaphase (႒ Tab.
kein Topoisomerasehemmer und dient zur Lo- 31.3). Darüber hinaus blockieren sie die DNA-
kaltherapie von Condylomata acuminata; Han- und RNA-Synthese.
delspräparat Condylox®). Neben Etoposid ist Vincristin und Vinblastin werden insbeson-
Etoposidphosphat (Etopophos®) im Handel, dere zur Therapie der akuten lymphatischen
das durch alkalische Phosphatasen zu Etoposid Leukämie, von malignen Lymphomen und mul-
31
biotransformiert wird. Die gleichzeitige Gabe tiplem Myelom angewandt. Weitere Indikatio-
von Etoposidphosphat mit Phosphataseinhibi- nen sind verschiedene solide Tumoren und Sar-
toren ist daher zu vermeiden. kome. Vincristin ist außerdem zur Behandlung
Etoposid bzw. Etoposidphosphat werden bei der therapierefraktären idiopathischen throm-
einer Vielzahl maligner Erkrankungen (z. B. bozytopenischen Purpura indiziert. Vinorelbin
Bronchialkarzinomen, Leukämien, Lympho- wird bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzino-
men) verwendet. Die üblichen Dosierungen lie- men und beim metastasierten Mammakarzi-
gen im Bereich von 100–200 mg/m2 Kör- nom angewandt. Vinflunin ist zur Therapie des
peroberfläche als Dauerinfusion (eine zu rasche fortgeschrittenen oder metastasierten Über-
Gabe kann zu Hypotension führen) täglich an gangszellkarzinoms des Urothels nach Versagen
3–5 aufeinander folgenden Tagen alle 3–4 Wo- einer Platin-haltigen Therapie zugelassen.
chen. Als sehr häufige Nebenwirkungen werden Die Richtdosen betragen – einmal wöchent-
eine dosislimitierende Myelosuppression sowie lich pro m2 Körperoberfläche – von Vincristin
gastrointestinale Störungen, Alopezie und Blut- 1,4 mg, von Vinblastin 6 mg und von Vinorelbin
druckveränderungen beobachtet.
542 31 Onkologika

႒ Tab. 31.3 Mitosehemmstoffe 31.1.4.2 Taxane


Taxane (႒ Tab. 31.4) beschleunigen zunächst die
INN
Bildung von Mikrotubuli, binden dann aber an
Vinca-Alkaloide die β-Tubulinuntereinheit und verhindern so
die Desaggregation des Spindelapparats. In der
Vincristin, Vinblastin, Vinorelbin, Vinflunin
G2-Phase zum Stofftransport gebildete Spindeln
Taxane können danach nicht mehr umgebaut werden,
insbesondere entstehen in der Mitosephase kei-
Paclitaxel, Docetaxel, Cabazitaxel ne Kernspindeln. Somit wird der Zellzyklus in
Eribulin
der G2- bzw. M-Phase blockiert, wodurch die
Zellen schlussendlich absterben. Eine im Rah-
men der Behandlung eintretende Resistenzent-
wicklung beruht sehr wahrscheinlich auf der
25–30 mg. Vinflunin wird in einer Dosis von vermehrten Bildung von ABC-Auswärts-Trans-
320 mg/m2 Körperoberfläche alle 3 Wochen ge- portern bzw. einer Strukturänderung der
geben. β-Untereinheit des Tubulindimers.
Bei Vincristin ist im Gegensatz zu Vinblastin Paclitaxel (z. B. TAXOL®) wird u. a. beim
und Vinflunin nicht die Schädigung des Kno- Ovarial- und Mammakarzinom – nach Versa-
chenmarks, sondern die neurotoxische Wirkung gen einer Standardtherapie – sowie beim nicht-
(periphere Neuropathie) der dosisbegrenzende kleinzelligen Bronchialkarzinom (in Kombina-
Faktor. Vinorelbin soll eine niedrigere Affinität tion mit Cisplatin) und beim Kaposi-Sarkom
zu axonalen Mikrotubuli haben und deswegen angewandt. Die übliche Dosierung beträgt als
weniger neurotoxisch wirken. i. v. Infusion 175 mg/m2 Körperoberfläche, eine
Eribulin (HALAVEN®) ist ein synthetisch Wiederholung der Therapie ist nach ca. 3 Wo-
hergestelltes Analogon von Halichondrin B, ei- chen möglich. Zur Vermeidung von Überemp-
nem Stoff, der aus dem pazifischen Meeres- findlichkeitsreaktionen ist eine Prämedikation
schwamm Halichondria okadai isoliert wurde mit Dexamethason sowie einem H1- und einem
und tumorhemmende Eigenschaften besitzt. Es H2-Antihistaminikum durchzuführen. Sofern
hemmt die Polymerisation von Tubulin-Mono- Überempfindlichkeitsreaktionen, die z. T. durch
meren und verhindert damit den Aufbau des den Lösungsvermittler Cremophor EL bedingt
Spindelapparats. sind, durch die erwähnte Prämedikation verhin-
Die Substanz ist als Monotherapeutikum in- dert werden, ist die Verträglichkeit von Paclita-
diziert bei Patientinnen mit fortgeschrittenem xel vergleichsweise gut. Als Nebenwirkung kann
oder metastasiertem Brustkrebs, bei denen nach neben einer Knochenmarksuppression eine pe-
mindestens einer Chemotherapie eine weitere riphere Neuropathie auftreten.
Progression eingetreten ist. Eribulin wird in ei- Docetaxel (z. B. TAXOTERE®) ist indiziert
ner Dosierung von 1,23 mg/m2 Körperoberflä- bei metastasierten oder lokal fortgeschrittenen
che mittels intravenöser Kurzinfusion verab- Mammakarzinomen, die sich trotz Chemo-
reicht, die Gabe erfolgt jeweils am 1. und 8. Tag therapie progredient entwickeln oder während
eines 3 Wochen dauernden Behandlungszyklus. adjuvanter Therapie rezidivieren. Weitere Indi-
Als Nebenwirkungen treten bei über der Hälfte kationen sind Bronchialkarzinome, hormonre-
der Patientinnen Fatigue und schwere Blutbil- fraktäre metastasierende Prostatakarzinome,
dungsstörungen (Neutropenie) auf. Weitere Adenokarzinome des Magens sowie Kopf-Hals-
sehr häufige Nebenwirkungen sind gastrointes- Karzinome. Die Substanz wird über CYP3A4
tinale Beschwerden und Appetitminderung, pe- verstoffwechselt. Die typische Dosierung be-
riphere Neuropathien, Kopfschmerzen, Alope- trägt 60–100 mg/m2 Körperoberfläche als ein-
zie sowie Schmerzen in Muskeln und Gelenken. stündige Infusion alle 3 Wochen. Auch hierbei
31.1 Zytostatika 543

ist eine Prämedikation mit Dexamethason zur ႒ Tab. 31.4 Zytostatisch wirksame Antibiotika
Vermeidung von Unverträglichkeitsreaktionen
INN
sinnvoll. Die häufigsten Nebenwirkungen sind
Neutropenie, Anämie, Alopezie, Übelkeit, Er- Anthracycline
brechen, Stomatitis, Diarrhö und Asthenie.
Daunorubicin, Doxorubicin, Epirubicin, Idarubicin,
Cabazitaxel (JEVTANA®) ist nach einer Be-
Pixantron
handlung mit Docetaxel in der Zweitlinienthe-
rapie zusammen mit Prednison oder Predniso- Sonstige zytostatisch wirksame Antibiotika
lon beim hormonrefraktären Prostatakarzinom
zugelassen. Die Substanz wird hauptsächlich Bleomycin, Dactinomycin, Mitoxantron, Amsacrin

über CYP3A4 metabolisiert. Als Dosierung wer-


den 25 mg/m2 Körperoberfläche alle 3 Wochen
als einstündige Infusion empfohlen. Hauptne- gend in Kardiomyozyten lokalisierten Topoiso-
benwirkungen sind schwere Blutbildungsstö- merase II beta hervorgerufen. Dadurch kommt
rungen und Diarrhö. Eine Prämedikation mit es u. a. zu einem DNA-Strangbruch, der zu einer
Antihistaminika und Glucocorticoiden ist ange- mitochondrialen Dysfunktion mit Bildung von
zeigt. reaktiven Sauerstoffspezies und Schädigung der
Kardiomyozyten führt. Die Kardiotoxizität kor-
31.1.5 Zytostatisch wirksame reliert mit der applizierten Gesamtdosis und ist
Antibiotika häufig irreversibel. Aus diesem Grund sollten
Einige Antibiotika (႒ Tab. 31.4), die wegen ihrer die vorgeschriebenen Gesamtdosen nicht über-
toxischen Eigenschaften nicht zur Behandlung schritten werden. Ferner treten sehr häufig
bakterieller Infektionen verwendet werden, ha- Knochenmarkdepression, Übelkeit, Erbrechen
ben Eingang in die Therapie als Zytostatika ge- und Alopezie als Nebenwirkungen auf.
funden. Obwohl synthetischen Ursprungs, wer- Daunorubicin (Daunoblastin®), aus Strepto-
den auch Mitoxantron und Amsacrin beschrie- myces coeruleorubidus und peucetius isoliert, ist
ben, da sie in ihrer Wirkung den Anthracyclinen zur Remissionsinduktion bei akuter lymphati-
gleichen. scher und akuter myeloischer Leukämie indi-
ziert.
31.1.5.1 Anthracycline Doxorubicin (z. B. Adrimedac®) ist ein Hyd-
Diese aus Streptomyces-Arten isolierten Anti- roxy-Derivat von Daunorubicin mit breitem
biotika besitzen eine zytotoxische Wirkung, die Wirkspektrum, das außer bei akuten Leukämien
31
in der S-Phase am stärksten ausgeprägt ist und und Lymphomen bei einer Reihe von Karzino-
auf mehreren synergistischen Mechanismen be- men und Sarkomen angewandt wird. Die Elimi-
ruht. Wesentlich sind hierbei eine Interkalation nation erfolgt durch Biotransformation zum zy-
in die DNA, die zur Hemmung der Nucleinsäu- totoxisch aktiven Doxorubicinol. Neben der
resynthese führt, eine Induktion von Strangbrü- Kardiotoxizität ist zu beachten, dass Doxorubi-
chen durch Hemmung der Topoisomerase II, cin als sog. „Radiosensitizer“ klassifiziert wur-
eine Biotransformation zu freien Radikalen, de, d. h., dass bei gleichzeitiger Strahlentherapie
welche ebenfalls Doppelstrangbrüche hervorru- die therapeutischen und toxischen Effekte der
fen, sowie eine Bindung an Bestandteile der Substanz stärker ausgeprägt sind. Die Kombina-
Zellmembran, die die Membranfluidität und tion mit Amphotericin B führt zu einer erhöh-
-permeabilität erhöhen. ten Nephrotoxizität. Ferner wurden Interaktio-
Der Einsatz der Anthracycline (႒ Tab. 31.4) nen mit Substraten des Transportproteins P-
wird allerdings durch ihre Kardiotoxizität ein- Glykoprotein beobachtet.
geschränkt. Diese wird vermutlich durch eine Epirubicin (z. B. FARMORUBICIN®), ein
Interaktion der Anthracycline mit der vorwie- Epimer von Doxorubicin (4‘-Epidoxorubicin),
544 31 Onkologika

ist bei ähnlichem Wirkungsspektrum nach den alkyliert und Doppelstrangbrüche induziert. In
bisherigen Untersuchungen weniger kardioto- Tiermodellen war die Kardiotoxizität im Ver-
xisch als Doxorubicin. Die Elimination erfolgt gleich zu Doxorubicin etwas geringer. Pixantron
wiederum vorwiegend durch Biotransformation ist zugelassen zur Therapie von Patienten mit
(aktiver Metabolit Epirubicinol). Indikationen mehrfach rezidivierten oder therapierefraktären
sind Mammakarzinome, kleinzelliges Bronchi- aggressiven Non-Hodgkin-B-Zell-Lymphomen
alkarzinom sowie fortgeschrittene Ovarialkarzi- (NHL). Die empfohlene Dosis liegt bei 50 mg/
nome, Magenkarzinome und Weichteilsarkome. m2 Pixantron an Tag 1, 8 und 15 von bis zu sechs
Außerdem ist Epirubicin – intravesikal appli- 28-Tage-Zyklen.
ziert – zur Rezidivprophylaxe oberflächlicher
Harnblasenkarzinome zugelassen. 31.1.5.2 Sonstige zytostatisch wirksame
Idarubicin (Zavedos®), das 4-Desmethoxy- Antibiotika
Derivat von Daunorubicin, kann aufgrund sei- Bleomycin (z. B. Bleomedac®), das aus Strepto-
ner höheren Lipophilie besser in die Zellen ein- myces verticillus gewonnen wird, ist ein Glyko-
dringen und wirkt stärker als die anderen Anth- peptid-Komplex. Seine zytostatische Wirkung
racycline. Zur Wirkung trägt das durch Bio- beruht wie bei den Anthracyclin-Derivaten auf
transformation entstehende Idarubicinol bei. der Interkalation in die DNA und der Bildung
Die Substanz wird insbesondere zur Kombinati- freier Radikale. Bleomycin wird in Kombination
onstherapie bei akuten myeloischen Leukämien mit anderen Zytostatika angewendet bei Hoden-
verwendet. tumoren und malignen Lymphomen sowie zur
Die typische intravenöse Dosierung beträgt intrapleuralen Therapie von malignen Pleuraer-
für Daunorubicin 20–120 mg/m2 und für Ida- güssen.
rubicin 12 mg/m2 Körperoberfläche an 3 Tagen, Die übliche Dosierung beträgt 15–60 mg in-
für Doxorubicin 60–75 mg/m2 bzw. für Epiru- travenös einmal wöchentlich bzw. 60 mg intra-
bicin 75–90 mg/m2 Körperoberfläche als Ein- pleural als Einzeldosis. Bei etwa 1 % der Patien-
zeldosis. Die Behandlung wird nach 3–6 Wo- ten wurden schwere anaphylaktische Reaktio-
chen wiederholt. Wegen der kardiotoxischen nen beobachtet. Daher sollte vor Therapiebe-
Effekte soll die kumulative lebenslange Ge- ginn eine Testdosis von 1 mg Bleomycin, gefolgt
samtdosis bei Daunorubicin und Doxorubicin von einer vierstündigen Beobachtungszeit, ver-
550 mg/m2, bei Epirubicin 900 mg/m2 und bei abreicht werden. Bei einer Gesamtdosis > 400 mg
Idarubicin 120 mg/m2 Körperoberfläche nicht traten Sklerodermien und interstitielle plasma-
übersteigen. zelluläre Pneumonien, z. T. mit Entwicklung von
Mit Dexrazoxan (z. B. CARDIOXANE®) ist Lungenfibrosen auf.
ein Prodrug verfügbar, das intrazellulär zum Ei- Das aus Actinomyceten isolierte Dactino-
sen-Chelatbildner biotransformiert wird, der mycin (Actinomycin D; Lyovac-Cosmegen®)
die Eisen-vermittelte Bildung freier Radikale bindet stabil an DNA und hemmt die RNA-
von Anthracylinen verhindern soll. Es ist zuge- Synthese. Außerdem wird die Bildung von frei-
lassen zur Vorbeugung von chronischer kumu- en Radikalen sowie eine Hemmung der To-
lativer Kardiotoxizität durch Verwendung von poisomerase II diskutiert. Auf molarer Basis ist
Doxorubicin oder Epirubicin bei Patientinnen Dactinomycin eines der potentesten Zytostati-
mit Brustkrebs. Die Substanz wird ca. 30 Minu- ka. Die Substanz ist zugelassen zur Behandlung
ten vor dem Anthracyclin in dessen 10-facher von Chorionkarzinomen, Wilms-Tumoren,
Dosis i. v. appliziert. Ewing-Sarkomen und kindlichen Rhabdo-
Pixantron (Pixuvri®) ist ein zytotoxisches myosarkomen.
Aza-Anthracendion, das anders als die zuvor ge- Die Tagesdosis beträgt 10–15 μg/kg intrave-
nannten Anthrazykline die Topoisomerase II nös für 5 Tage. Wichtige Nebenwirkungen sind
nur schwach inhibiert, jedoch die DNA direkt venöse Verschlusskrankheit der Leber und Lun-
31.2 Monoklonale Antikörper 545

gentoxizität. Dactinomycin wirkt stark ätzend (z. B. Dyspnoe, Exantheme, Blutdruckverände-


auf die Haut, ruft Irritationen an Augen, rungen, Fieber, Schüttelfrost und Übelkeit/Er-
Schleimhäuten und Atemwegen hervor und ist brechen) zu den typischen Nebenwirkungen
bei oraler Gabe extrem toxisch. Daher müssen dieser Substanzen.
Pulver und Lösung mit besonderer Sorgfalt ge-
handhabt und angewendet werden. 31.2.1 Antikörper gegen Wachstums-
Mitoxantron (z. B. Novantron®) wirkt wie faktoren und deren Rezeptoren
die Anthracycline durch Interkalation in die 31.2.1.1 VEGF- und EGFR-Antikörper
DNA und durch Hemmung der Topoisomerase Bevacizumab (Avastin®) bindet an den Gefäß-
II zytotoxisch. Radikale tragen vermutlich nicht wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial
wesentlich zur Wirkung bei. Indikationen sind Growth Factor) und hemmt dadurch dessen
insbesondere fortgeschrittene Mammakarzino- Wechselwirkung mit seinen Rezeptoren. Als
me, hochmaligne Lymphome, akute myeloische Folge davon kommt es zu einer Reduzierung der
Leukämien sowie fortgeschrittene und hormon- Tumorvaskularisation und damit des Tumor-
resistente Prostatakarzinome in Kombination wachstums. Die Behandlung mit Bevacizumab
mit niedrig dosierten oralen Glucocorticoiden. führt dementsprechend zu einer ausgeprägten
Die Dosierung beträgt 10–14 mg/m2 Kör- antitumoralen Aktivität bei einer Reihe bösarti-
peroberfläche täglich 3-mal wöchentlich intra- ger Tumoren. Zugelassen ist Bevacizumab – je-
venös. Unter den Nebenwirkungen steht die weils in Kombination mit klassischen Zytostati-
Knochenmarkdepression im Vordergrund. Die ka wie z. B. Paclitaxel, Capecitabin oder Carbo-
kardiotoxische Wirkung ist geringer als bei Do- platin – zur Therapie des metastasierten bzw.
xorubicin. fortgeschrittenen Kolon-, Rektum-, Peritoneal-,
Amsacrin (Amsidyl®) hat einen ähnlichen Nierenzell-, Mamma-, Ovarial-, Eileiter-, Zer-
Wirkmechanismus wie Mitoxantron. Es ist zu- vix- und nicht-kleinzelligen Bronchialkarzi-
gelassen zur Therapie der akuten myeloischen noms.
und akuten lymphatischen Leukämie nach Die Dosierung beträgt 5–15 mg/kg Körper-
Versagen anderer Therapien. Die Dosierung gewicht alle 2 oder 3 Wochen als i. v. Infusion.
beträgt 75–150 mg/m2 Körperoberfläche i. v. Als Nebenwirkungen wurden u. a. Stomatitis,
über 5 Tage. Störungen der Knochenmarkfunk- Hypertonie, Blutungen, Obstipation, Asthenie,
tion (Anämien, Leuko- und Thrombopenien) Fieber, Dyspnoe, intraabdominale Entzündun-
sowie Hyperurikämie, Herzrhythmusstörungen, gen, Hautveränderungen und Infusionsreaktio-
Herzinsuffizienz, Hypokaliämie u. a. sind be- nen beschrieben.
31
deutsame Nebenwirkungen. Cetuximab (Erbitux®) ist ein Antikörper ge-
gen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezep-
tor (Epidermal Growth Factor Receptor, EGFR).
31.2 Monoklonale Antikörper EGFR-Signalwege sind an der Steuerung der
Überlebensfähigkeit von Zellen, des Zellzyklus
Monoklonale Antikörper (zur Nomenklatur sowie der zellulären Invasion bzw. Metastasie-
Ⴉ Kap. 32.4.6) spielen eine zunehmende Rolle in rung beteiligt. Cetuximab, das an EGFR mit
der Tumortherapie. Sie sind u. a. gegen Wachs- etwa 5–10-fach höherer Affinität als endogene
tumsfaktoren, Rezeptoren oder Oberflächenan- Liganden bindet, hemmt die Funktion des Re-
tigene gerichtet und ermöglichen somit eine se- zeptors und induziert dessen Internalisierung
lektivere Beeinflussung tumorspezifischer Ver- sowie die Apoptose von EGFR-exprimierenden
änderungen als die klassischen Zytostatika. Auf- Tumorzellen. Durch die Bindung des Antikör-
grund der immunmodulatorischen Wirkung pers an die Tumorzellen werden außerdem Im-
der monoklonalen Antikörper zählen Über- munzellen rekrutiert, die sich gegen die Tumor-
empfindlichkeits- und Infusionsreaktionen zellen richten und diese abtöten (antibody de-
546 31 Onkologika

pendent cellular cytotoxicity, ADCC). Darüber 6 mg/kg Körpergewicht i. v. alle 2 Wochen. Häu-
hinaus wird die Expression von Angiogenese- figste Nebenwirkung ist ein akneartiger Haut-
faktoren durch das Tumorgewebe und dadurch ausschlag, der direkt mit der eigentlichen Wir-
die Neovaskularisierung von Tumoren unter- kung von Panitumumab zusammenhängt, da
drückt. Cetuximab ist zugelassen in Kombinati- EGFR auch auf epithelialen Zellen der Haut und
on mit klassischen Zytostatika (z. B. Irinotecan) Haarfollikel vorkommt. Weitere sehr häufige
oder Bestrahlung zur Therapie des fortgeschrit- Nebenwirkungen sind gastrointestinaler Art wie
tenen kolorektalen Karzinoms und des Platten- Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, allgemeine
epithelkarzinoms im Kopf- und Halsbereich. Abgeschlagenheit sowie Dyspnoe und Husten.
Vor der Therapie mit Cetuximab ist bei Pati-
enten mit kolorektalem Karzinom der Nachweis 31.2.1.2 HER2-Antikörper
von EGFR sowie eine Untersuchung des K-ras- Trastuzumab (Herceptin®) ist ein gegen die ex-
Gens bei den zu behandelnden Patienten erfor- trazelluläre Domäne von HER2 (auch als HER2/
derlich. K-RAS (Kirsten rat sarcoma 2 viral on- neu oder ErbB-2 bezeichnet) auf Karzinomzel-
cogene homolog) ist ein kleines GTP-bindendes len gerichteter Antikörper. Bei HER2 handelt es
Protein, das bei der Weiterleitung von Wachs- sich um einen Wachstumsfaktor-Rezeptor
tumsfaktor-Signalen von Bedeutung ist. Be- (EGF-Rezeptor), dessen Expression unter ande-
stimmte Mutationen im k-ras-Gen führen dazu, rem bei Mamma- und Magenkarzinomen mit
dass das Protein konstitutiv, d. h. ständig akti- einer schlechten Prognose assoziiert ist. Trastu-
viert ist. Liegt in einem Tumor zusätzlich zu zumab ist zugelassen zur Behandlung des
EGFR eine solche Mutante vor, ist eine Hem- HER2-positiven Mammakarzinoms im Frühsta-
mung der EGFR-Signalaktivität nutzlos. Cetu- dium sowie des HER2-positiven metastasierten
ximab ist daher nur bei solchen Patienten indi- Mamma- und Magenkarzinoms. Vor Therapie-
ziert, die den Wildtyp des k-ras-Gens besitzen. beginn ist obligatorisch ein HER2-Test durchzu-
Die Dosierung beträgt initial 400 mg/m2 führen, da nur HER2-positive Karzinome an-
Körperoberfläche, danach einmal wöchentlich sprechen.
250 mg/m2 Körperoberfläche. Als Nebenwir- Bei intravenöser Anwendung wird Trastu-
kungen treten u. a. sehr häufig Hautreaktionen, zumab entweder alle 3 Wochen in einer Dosis
sonstige allergische Reaktionen, Hypomagnesi- von 6 mg/kg Körpergewicht oder wöchentlich in
ämie, Übelkeit, Diarrhö, Konjunktivitis und einer Dosis von 2 mg/kg Körpergewicht verab-
Atemnot auf. reicht. Bei der ersten Injektion werden als loa-
Panitumumab (Vectibix®) bindet wie Cetu- ding dose 8 bzw. 4 mg/kg Körpergewicht appli-
ximab mit hoher Affinität und Spezifität an ziert. Trastuzumab kann auch subkutan in einer
EGFR und blockiert dessen Aktivierung. Er ist Dosis von 600 mg (unabhängig vom Körperge-
zugelassen zur Therapie des metastasierten Ko- wicht) alle 3 Wochen angewendet werden (Her-
lonkarzinoms in Kombination mit anderen Zy- ceptin® SC). Zu den schwerwiegendsten und/
tostatika (z. B. mit Flolinsäure, Fluorouracil und oder häufigsten Nebenwirkungen gehören kar-
Irinotecan) oder – nach Versagen verschiedener diale Dysfunktion, Infusionsreaktionen, Häma-
Zytostatikaregime – als Monotherapeutikum. totoxizität (insbesondere Neutropenie), Infekti-
Wie bei der Behandlung mit Cetuximab müssen onen und unerwünschte pulmonale Störungen.
die Patienten vor Therapiebeginn auf genetische Bei dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat
Mutationen im k-ras-Gen untersucht werden. Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®) ist der ge-
Die Elimination von Panitumumab unter- gen HER2 gerichtete Antikörper Trastuzumab
liegt einer nichtlinearen Pharmakokinetik: Mit über einen stabilen Thioether-Linker kovalent
steigenden Dosen nimmt die Clearance der Sub- an den Mikrotubuli-Inhibitor DM1 gekoppelt.
stanz ab, während die AUC überproportional Nach Bindung an HER2 auf Karzinomzellen
ansteigt. Die empfohlene Dosierung beträgt wird das Konjugat Rezeptor-vermittelt interna-
31.2 Monoklonale Antikörper 547

lisiert und nachfolgend lysosomal abgebaut. Da- 31.2.2 Antikörper gegen CD-
bei werden DM1-haltige Katabolite freigesetzt, Oberflächenantigene
die die Polymerisation von Tubulin hemmen Rituximab (MabThera®) ist gegen das CD20-
und einen apoptotischen Zelltod induzieren. So- Oberflächenantigen gerichtet. Dieses wird von
mit wird bei diesem Konjugat die Antikörper- einigen entarteten Lymphomzellen stark expri-
abhängige zelluläre Zytotoxizität von Trastu- miert, kommt aber auch auf gesunden B-Zellen
zumab mit der erst in der Tumorzelle einsetzen- und deren Entwicklungsstufen vor, sodass die
den zytostatischen Wirkung von DM1 kombi- Gabe der Substanz bei 70–80 % der Patienten
niert. Trastuzumab Emtansin ist zugelassen zur vorübergehend zu einer B-Zell-Depletion führt.
Behandlung des therapierefraktären HER2-po- Da CD20 nicht von den Stammzellen des Kno-
sitiven, inoperablen oder metastasierten Mam- chenmarks exprimiert wird und diese daher in-
makarzinoms. takt bleiben, kann sich die B-Zell-Population
Die empfohlene Dosis beträgt 3,6 mg/kg Kör- nach Abschluss der Therapie allmählich wieder
pergewicht i. v. alle 3 Wochen. Zu den häufigsten neu aufbauen. Indiziert ist der Antikörper in
Nebenwirkungen zählen Pyrexie, Thrombozy- Kombination mit einer Chemotherapie für die
topenie, Erbrechen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms und
Obstipation, Diarrhö, Dyspnoe und Pneumo- der chronischen lymphatischen Leukämie. Fer-
nitis. ner wird er in Kombination mit Methotrexat bei
Pertuzumab (Perjeta®) bindet spezifisch an therapierefraktärer Rheumatoider Arthritis
die extrazelluläre Dimerisierungsdomäne (Sub- (Ⴉ Kap. 12.2.3.2) und in Kombination mit Glu-
domäne II) von HER2 und hemmt dadurch die cocorticoiden bei Granulomatose mit Polyangii-
ligandenabhängige Heterodimerisierung mit tis angewendet.
anderen Rezeptoren der HER-Rezeptorfamilie, Rituximab wird bei Lymphomen und Leuk-
einschließlich EGFR, HER3 und HER4. Als Fol- ämien in einer Dosierung von 375 mg/m2 Kör-
ge wird u. a. die über mitogenaktivierte Protein- peroberfläche langsam i. v. infundiert. Die Zeit-
kinase (MAP) und Phosphoinositid-3-Kinase abstände anschließender Applikationen sind je
(PI3K) vermittelte intrazelluläre Signaltrans- nach Krankheitsbild verschieden und können
duktion blockiert, was zu zellulärem Wachs- auch als subkutane Injektion (MabThera® SC)
tumsstopp und Apoptose führt. In vitro wurden in einer Dosis von 1400 mg erfolgen. Vor allem
in Kombination mit Trastuzumab synergistische bei der ersten Verabreichung treten häufig Infu-
antitumorale Effekte in HER2-überexprimie- sionsreaktionen auf, weshalb mit einem Analge-
renden Zellen beobachtet. tikum (z. B. Paracetamol) und einem H1-Anti-
31
Der HER2-Dimerisierungsinhibitor ist indi- histaminikum prämediziert werden sollte. Wei-
ziert in Kombination mit Trastuzumab und Do- terhin werden sehr häufig bakterielle und virale
cetaxel bei Patienten mit HER2-positivem meta- Infektionen, Exantheme sowie Übelkeit be-
stasiertem oder lokal rezidivierendem, inopera- richtet.
blem Mammakarzinom, die zuvor noch keine Ofatumumab (Arzerra®) bindet an einer an-
anti-HER2-Therapie oder Chemotherapie er- deren Stelle als Rituximab an CD20. Diese Bin-
halten haben. Außerdem wird es zur neoadju- dung an sein Epitop führt zu einer starken Akti-
vanten Behandlung des Mammakarzinoms ein- vierung des Komplementsystems. Die betroffe-
gesetzt. nen B-Zellen werden dadurch lysiert und zwar
Die empfohlene Dosis beträgt initial 840 mg weitgehend unabhängig von der Anzahl der
i. v., gefolgt von Erhaltungsdosen zu 420 mg i. v. CD20-Moleküle auf der Zelloberfläche. Zusätz-
alle 3 Wochen. Als Nebenwirkungen treten u. a. lich werden natürliche Killerzellen rekrutiert.
Exantheme, Diarrhö, Infusionsreaktionen und Ofatumumab ist zur Behandlung der chroni-
Anaphylaxie auf. schen lymphatischen Leukämie zugelassen.
548 31 Onkologika

Die empfohlene Dosierung beträgt bei re- der Herzerkrankungen auftreten. Außerdem
fraktärer chronischer lymphatischer Leukämie besteht die Gefahr der Reaktivierung einer He-
300 mg für die erste und 2000 mg für die weite- patitis-B-Infektion und einer progressiven mul-
ren Infusionen. Das Therapieregime sieht wö- tifokalen Leukenzephalopathie.
chentliche Infusionen über 8 aufeinander fol- Brentuximabvedotin (ADCETRIS®), ein
gende Wochen vor, darauf folgt eine Pause von Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, besteht aus
4–5 Wochen. Danach wird der Antikörper alle 4 dem gegen CD30 gerichteten Antikörper Bren-
Wochen einmal appliziert. Die wesentlichen Ne- tuximab und dem an Mikrotubuli angreifenden
benwirkungen stellen Blutbildungsstörungen, Zytostatikum MMAE (Monomethyl-Auristatin
vor allem Neutropenien mit einem stark erhöh- E), das über einen Linker kovalent an den Anti-
ten Risiko für Infektionen, und Hautausschläge körper gebunden ist. Nach Bindung des Anti-
dar. Zur Prophylaxe von Infusionsreaktionen körper-Konjugates an CD30 wird der Komplex
werden die Patienten mit Glucocorticoiden, Pa- in die Zelle aufgenommen, MMAE proteoly-
racetamol und H1-Antihistaminika vor jeder In- tisch freigesetzt und so selektiv in CD30-positi-
fusion vorbehandelt. ven Zellen eine Apoptose ausgelöst. Da CD30
Obinutuzumab (Gazyvaro®) ist ein weiteres von den Tumorzellen des Hodgkin- und ana-
gegen CD20 gerichtetes Pharmakon. Durch plastisch großzelligen Lymphoms stark expri-
Veränderung im Fc-Anteil des Antikörpers wur- miert wird, ist Brentuximabvedotin zur Behand-
de die Affinität für sog. Fcγ-RIII-Rezeptoren er- lung dieser Erkrankungen zugelassen.
höht, die sich unter anderem auf natürlichen MMAE wird hauptsächlich über CYP3A4
Killerzellen und Makrophagen befinden und die verstoffwechselt, daher sind Interaktionen mit
zelluläre Zytotoxizität vermitteln. Obinutu- CYP3A4-Inhibitoren und -Induktoren zu be-
zumab hat dadurch verglichen mit Rituximab achten. Die empfohlene Dosierung beträgt
eine stärkere zellabtötende Wirkung und zeigte 1,8 mg/kg Körpergewicht i. v. alle 3 Wochen. Zu
in klinischen Studien eine höhere antileukämi- den häufigsten Nebenwirkungen zählen peri-
sche Wirksamkeit. Der Antikörper ist zugelas- phere sensorische Neuropathie, Müdigkeit,
sen in Kombination mit Chlorambucil zur The- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Neutropenie, Fie-
rapie von Patienten mit nicht vorbehandelter ber und Infektionen der oberen Atemwege. Au-
chronischer lymphatischer Leukämie, die auf- ßerdem können Thrombozytopenie, demyelini-
grund von Begleiterkrankungen für eine Thera- sierende Polyneuropathie, Tumorlyse-und Ste-
pie mit Fludarabin nicht geeignet sind. vens-Johnson-Syndrom sowie eine progressive
Im ersten Behandlungszyklus werden an multifokale Leukenzephalopathie auftreten.
Tag 1 – zur Überprüfung der Verträglichkeit – Catumaxomab (Removab®) ist ein trifunk-
100 mg, an Tag 2900 mg und an den Tagen 8 und tioneller Antikörper, der einerseits gegen das
15 jeweils 1000 mg, in weiteren 5 Behandlungs- Transmembranprotein EpCAM (epithelial cell
zyklen alle 4 Wochen 1000 mg verabreicht. Zur adhesion molecule) und andererseits gegen das
Prophylaxe eines Tumorlysesyndroms sollten Oberflächenantigen CD3 gerichtet ist. EpCAM
vor Beginn der Infusion z. B. Allopurinol oder wird von einer großen Mehrheit der Tumoren
Uricase verabreicht werden. Die häufigsten Ne- an der Zelloberfläche exprimiert, CD3 ist Teil
benwirkungen sind infusionsbedingte Reaktio- des T-Zell-Rezeptors, der für die Antigener-
nen wie z. B. Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost, kennung dieser Zellen wichtig ist. Ein dritter
Fieber, Dyspnoe, Hyper-/Hypotonie, Tachykar- funktionaler Molekülteil des Antikörpers be-
die, Kopfschmerzen und Diarrhö. Daher muss findet sich in dessen Fc-Region, an die Makro-
jede Anwendung unter engmaschiger Überwa- phagen, dendritische Zellen und natürliche Kil-
chung erfolgen. Ferner können Tumor-Lysesyn- lerzellen binden können. Durch die Wirkungen
drom, Anaphylaxie, Neutropenie, Thrombozy- von Catumaxomab werden Tumorzellen, T-
topenie sowie eine Verschlechterung bestehen- Zellen und akzessorische Immunzellen in enge
31.2 Monoklonale Antikörper 549

räumliche Nähe gebracht, wodurch eine kon- überschießenden Aktivität des Immunsystems
zertierte Immunreaktion gegen Tumorzellen können immuntoxische Reaktionen im Magen-
begünstigt wird. Nutzbar ist das hier beschrie- Darm-Trakt, der Leber, an der Haut, am Ner-
bene Therapieprinzip zur Behandlung des ma- vensystem sowie an endokrinen Organen auf-
lignen Aszites, bei dessen Pathogenese insbe- treten. Ggf. muss die Therapie unterbrochen
sondere metastasierte Ovarialkarzinome und oder ganz abgebrochen werden. Weitere häufige
gastrointestinale Tumoren ursächlich sind. Ca- Nebenwirkungen äußern sich in Übelkeit, Er-
tumaxomab ist daher zur intraperitonealen Im- brechen und Durchfall, Appetitminderung,
muntherapie eines malignen Aszites bei Patien- Hautausschlägen und Juckreiz sowie Abgeschla-
ten mit EpCAM-positiven Tumoren indiziert, genheit.
sofern keine Standardtherapie mehr wirksam Nivolumab (z. B. OPDIVO®) bindet an den
ist. sog. Checkpoint-Rezeptor PD-1 (Programmed
Die Dosierung erfolgt stufenweise, begin- Death 1 Receptor) auf T-Zellen. PD-1 ist als ne-
nend mit 10 μg bis 150 μg zu 4 Zeitpunkten. Die- gativer Regulator der T-Zell-Aktivierung an der
se müssen mindestens 2 Tage voneinander ge- Kontrolle von T-Zellreaktionen maßgeblich be-
trennt sein. In der Regel erstreckt sich der Zeit- teiligt. Eine Bindung der von antigenpräsentie-
raum über 11 Tage, 20 Tage sollten aber nicht renden Zellen exprimierten Liganden PD-L1
überschritten werden. Häufige Nebenwirkun- und PD-L2 an PD-1 bewirkt eine Hemmung der
gen sind gastrointestinale Beschwerden, Lym- T-Zellproliferation und Zytokinausschüttung.
phopenie, Fieber, Müdigkeit, Schüttelfrost, Nivolumab blockiert die Bindung der Liganden
Knochenmarkschädigung u. a. an PD-1 und potenziert damit die T-Zellreakti-
on einschließlich der Tumorabwehrreaktion.
31.2.3 Checkpoint-Inhibitoren Dadurch kommt es zu einer Verringerung des
Das Immunsystem (Ⴉ Kap. 32.1) verfügt über Tumorwachstums. Nivolumbab ist zugelassen
eine Reihe von Mechanismen, um überschie- zur Therapie des fortgeschrittenen Melanoms
ßende Abwehrreaktionen von T-Lymphozyten sowie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms
zu verhindern. Tumoren missbrauchen diese nach vorheriger Chemotherapie.
Immunkontrollpunkte oder auch Checkpoints, Die empfohlene Dosis beträgt 3 mg/kg Kör-
um die gegen sie gerichtete Immunabwehr au- pergewicht, die alle 2 Wochen intravenös über
ßer Kraft zu setzen. Hier greifen Checkpoint- einen Zeitraum von 60 Minuten verabreicht
Inhibitoren ein: Sie hemmen die Signalwege und wird. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Mü-
geben damit den T-Zellen wieder die Möglich- digkeit, Hautausschlag, Pruritus, Diarrhö und
31
keit, den Tumor zu attackieren. Übelkeit, ferner können immuntoxische Reakti-
Ipilimumab (YERVOY®) ist ein gegen das onen auftreten.
Protein CTLA-4 (Cytotoxic T-lymphocyte anti-
gen-4) gerichteter Antikörper. Dieses Protein ist 31.2.4 Sonstige Antikörper
ein negativer Regulator der T-Zell-Aktivierung. Siltuximab (SYLVANT®) bindet an die lösliche
Die Blockade von CTLA-4 führt demzufolge zu Form von humanem IL-6 (Interleukin-6). Da-
einer verstärkten Aktivierung, Proliferation und durch wird dessen Bindung an lösliche und
Einwanderung von zytotoxischen T-Lymphozy- membranständige IL-6-Rezeptoren und die
ten in das Tumorgewebe und zu dessen Zerstö- nachfolgende Signaltransduktion verhindert.
rung. Zugelassen ist der Antikörper zur Be- Das Zytokin IL-6 (Ⴉ Kap. 12.2.3.2) wird von ver-
handlung des fortgeschrittenen Melanoms. schiedenen Zelltypen gebildet und ist an zahl-
Das empfohlene Induktionsregime beträgt reichen physiologischen Prozessen (z. B. Sekre-
3 mg/kg i. v. alle 3 Wochen für insgesamt 4 Do- tion von Immunglobulinen, Stimulation der
sen. Aufgrund der gesteigerten oder einer sogar Differenzierung hämatopoetischer Vorläufer-
550 31 Onkologika

zellen) beteiligt. Bei bestimmten malignen Er- 31.3.1 Bcr-Abl-Tyrosinkinasehemmer


krankungen scheint eine übermäßige IL-6-Pro- Imatinib (Glivec®) ist ein Hemmstoff der Tyro-
duktion eine zentrale Rolle bei der Tumorpro- sinkinase Bcr-Abl, deren Aktivität bei Patienten
gression zu spielen. Unter anderem wurde IL-6 mit chronisch myeloischer Leukämie deutlich
bei der Castleman-Krankheit (Morbus Castle- erhöht ist, wodurch die Proliferation weißer
man), einer mit Hypertrophie von Lymphkno- Blutzellen stark zunimmt. Bcr-Abl entsteht
ten und Hyperplasie von Blutgefäßen und Folli- durch reziproke Gen-Translokation zwischen
keln einhergehenden seltenen Erkrankung des Chromosom 9 und 22, wodurch es zur Bildung
Lymphsystems, für die übermäßige Proliferati- des sog. Philadelphia-Chromosoms kommt.
on von Plasmazellen in Verbindung gebracht. Imatinib hemmt die Bindung von ATP an die
Siltuximab hat den Status eines Orphan Drug Tyrosinkinase und verhindert so deren Aktivie-
und ist indiziert zur Behandlung von Patienten rung. Weitere Zielstrukturen, deren aktives Zen-
mit Castleman-Krankheit, bei denen mehrere trum durch Imatinib blockiert wird, sind PDG-
Lymphknoten und/oder andere Organe befallen FR (platelet derived growth factor receptor) und
sind. der Stammzellfaktor c-Kit (CD119). Imatinib ist
Die empfohlene Dosierung beträgt 11 mg/kg zugelassen zur Therapie Bcr-Abl-positiver chro-
alle 3 Wochen. Die häufigsten Nebenwirkungen nischer myeloischer Leukämien, myelodysplas-
sind Infektionen (einschließlich die der oberen tischer Erkrankungen mit Genumlagerungen
Atemwege), Juckreiz und makulopapulöser des PDGFR, hypereosinophiler Syndrome sowie
Hautauschlag. Gelegentlich können anaphylak- gastrointestinaler Stromatumoren.
tische Reaktionen auftreten. Nach oraler Gabe wird eine hohe interindivi-
duelle Variabilität der Plasmakonzentrationen
beobachtet, die zum Teil auf eine unterschied-
31.3 Kinasehemmer lich starke Biotransformation durch CYP3A4
zurückgeführt werden kann. Die Halbwertszeit
Durch molekularbiologische Untersuchungen beträgt 18 Stunden, die Dosierung 400–600 mg
konnte eine Reihe Tumor-spezifischer Sig- einmal täglich. Häufige Nebenwirkungen sind
naltransduktionskaskaden, an denen Kinasen Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, periphere Öde-
maßgeblich beteiligt sind, identifiziert werden. me, Kopfschmerzen, Myalgien, Exantheme,
Hieraus ergaben und ergeben sich – nicht zu- Müdigkeit, Gewichtszunahme, Neutrozytope-
letzt in Kombination mit konventionellen Zyto- nie, Thrombozytopenie, Anämie und erhöhte
statika – bedeutsame neue Therapieansätze. Von Leberenzyme.
Vorteil ist nicht zuletzt die Möglichkeit der Weitere Bcr-Abl-Tyrosinkinasehemmer sind
peroralen Applikation der Kinasehemmer. in ႒ Tab. 31.5 zusammengestellt.

႒ Tab. 31.5 Sonstige Bcr-Abl-Tyrosinkinasehemmer


INN (Handelspräparat) Tagesdosis Hauptindikationen

Bosutinib (Bosulif®) 500 mg Philadelphia-Chromosom-positive chronisch-myeloische


Leukämie

Dasatinib (SPRYCEL®) 2 × tgl. 70 mg Wie Bosutinib plus akute lymphatische Leukämie

Nilotinib (Tasigna®) 2 × tgl. 300 mg Erstlinientherapie der Philadephia-Chromosom-positiven


chronisch-myeloischen Leukämie

Ponatinib (Iclusig®) 45 mg Wie Dasatanib


31.3 Kinasehemmer 551

႒ Tab. 31.6 Sonstige EGFR-Tyrosinkinasehemmer


INN (Handelspräparat) Tagesdosis Hauptindikationen

Afatinib (GIOTRIF®) 40 mg Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom

Gefitinib (IRESSA®) 250 mg Wie Afatinib

Lapatinib (Tyverb®) 1250–1500 mg HER2/neu-positives fortgeschrittenes oder metastasiertes


Mammakarzinom zusammen mit einem anderen Onkologi-
kum, z. B. Capecitabin

31.3.2 EGFR-Tyrosinkinasehemmer In ႒ Tab. 31.6 sind weitere EGFR-Tyrosinkinase-


Erlotinib (Tarceva®) ist ein Inhibitor des Epi- hemmer angegeben.
dermal Growth Factor Receptor Typ 1 (EGFR,
auch als HER1 oder ErbB-1 bezeichnet), einem 31.3.3 ALK-Tyrosinkinasehemmer
Mitglied der ErbB-Tyrosinkinasen-Familie, zu Crizotinib (Xalkori®) und Ceritinib (Zykadia®)
der auch HER2/neu (ErbB-2), HER3 (ErbB-3) sind selektive Inhibitoren der anaplastischen
und HER4 (ErbB-4) zählen. Die EGFR-Stimula- Lymphom-Kinase (ALK). Diese Kinase ist bei
tion durch extrazelluläre Bindung der Liganden ca. 5 % der Patienten mit nicht-kleinzelligem
EGF und TGFα führt zur Autophosphorylie- Bronchialkarzinom überaktiv und maßgeblich
rung und Aktivierung verschiedener intrazellu- am Tumorwachstum beteiligt. Dementspre-
lärer Signalmoleküle, die letztlich die Zellproli- chend werden Crizotinib und Ceritinib zur Be-
feration fördern. EGFR ist bei verschiedenen handlung des ALK-positiven, nicht-kleinzelli-
Tumorarten (z. B. beim nicht-kleinzelligen gen Bronchialkarzinoms angewendet.
Bronchialkarzinom, Kolon-, Prostata-, Ovarial- Die Metabolisierung beider Substanzen er-
karzinom sowie bei Kopf-Hals-Tumoren) über- folgt hauptsächlich über CYP3A4, die Halb-
exprimiert oder mutiert, was zu einer unkont- wertszeit beträgt 31–42 Stunden. Die empfohle-
rollierten Zellproliferation und Hemmung der ne Dosierung für Crizotinib liegt bei zweimal
Apoptose führen und damit das Wachstum des täglich 250 mg, die für Ceritinib bei 750 mg ein-
Tumors und dessen Ausbreitung fördern kann. mal täglich. Zu den häufigen Nebenwirkungen
Erlotinib hemmt die EGFR-Tyrosinkinase-Akti- zählen Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Obstipati-
vität und ist zugelassen zur Behandlung von Pa- on, Bauchschmerzen, verminderter Appetit,
31
tienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzi- Ösophaguserkrankungen, Hautausschlag, Seh-
nom und metastasiertem Pankreaskarzinom. störungen, Müdigkeit, Leberwert-Abweichun-
Es wird u. a. durch CYP3A4 verstoffwechselt, gen und Anämie. Die schwerwiegendsten Ne-
sodass bei gleichzeitiger Gabe von CYP3A4- benwirkungen sind Hepatotoxizität, interstitiel-
Hemmstoffen oder -Induktoren seine Pharma- le Lungenerkrankung, Neutropenie und QTc-
kokinetik beeinflusst werden kann. Die mittlere Intervall-Verlängerung.
Halbwertszeit liegt bei 36 Stunden, die Dosie-
rung beträgt 100–150 mg einmal täglich. Häu- 31.3.4 JAK-Tyrosinkinasehemmer
figste Nebenwirkungen sind Diarrhöen, verän- Ruxolitinib (Jakavi®) ist ein selektiver Hemmer
derte Leberfunktionswerte, Haut- (trockene der Janus-assoziierten Kinasen (JAK) JAK1 und
Haut, Follikulitis, Hautrisse u. a.) und Augener- JAK2. Diese zytosolischen Tyrosinkinasen
krankungen (Keratitis, Konjunktivitis u. a.). Ge- phosphorylieren verschiedene Substrate (STAT
legentlich wurden Magen-Darm-Perforationen, u. a.) und sind so an der Signaltransduktion ei-
interstitielle Lungenerkrankungen und Nieren- ner Reihe von Zytokinen und Wachstumsfakto-
insuffizienz beschrieben. ren beteiligt, die für die Hämatopoese und die
552 31 Onkologika

Immunfunktion von Bedeutung sind. Bei den der oberen Atemwege, Blutergüsse, Hautaus-
sog. myeloproliferativen Neoplasien Myelofib- schläge, Übelkeit und Fieber.
rose und Polycythaemia vera sind JAK1 und/
oder JAK2 oft mutiert und überaktiviert, was 31.3.6 BRAF-Serin/Threonin-
mit einem Anstieg proinflammatorischer Zyto- Kinasehemmer
kine und einer gesteigerten Proliferation häma- Vemurafenib (Zelboraf®) und Dabrafenib (Ta-
topoetischer Vorläuferzellen einher geht. Durch finlar®) sind selektive Hemmstoffe der BRAF-
die Hemmung der überaktivierten JAK1/2 wird Serin-Threonin-Kinase. Bestimmte Mutatio-
somit die Zytokinproduktion verringert und die nen des BRAF-Gens aktivieren die Proteinkina-
Myeloproliferation reduziert. Ruxolitinib ist zu- se dauerhaft, was zu einer Überstimulation
gelassen zur Behandlung verschiedener Formen nachgeschalteter Kinasen (MEK, ERK) und ei-
der Myelofibrose sowie der Hydroxycarbamid- ner Steigerung der Zellproduktion führt. Dies
insensitiven Polycythaemia vera. verhilft den entsprechenden Zellen zu einem
Die Substanz wird hauptsächlich über Wachstumfaktor-unabhängigen Wachstum. Be-
CYP3A4, aber auch über CYP2C9 metabolisiert. sonders beim malignen Melanom kommen
Die Halbwertszeit beträgt 3 Stunden, die emp- Mutationen im Codon 600 (V600E und V600K)
fohlene Dosierung 10–25 mg zweimal täglich. mit einer relativ hohen Frequenz vor. Vemura-
Die am häufigsten berichteten unerwünschten fenib und Dabrafenib hemmen bevorzugt die
Arzneimittelwirkungen sind Blutbildverände- mutierten Formen von BRAF und sind daher
rungen (Anämie, Thrombozytopenie und Neu- zur Therapie von Patienten mit nicht resezier-
tropenie), Blutergüsse, Infektionen, Schwindel barem oder metastiertem Melanom mit einer
und Kopfschmerzen. BRAFV600-Mutation indiziert.
Vemurafenib wird nur geringfügig metaboli-
31.3.5 Bruton-Tyrosinkinasehemmer siert, ist aber ein Hemmstoff von CYP1A2 und
Ibrutinib (IMBRUVICA®) ist ein Inhibitor der ein Induktor von CYP3A4. Die Verstoffwechse-
Bruton-Tyrosinkinase (BTK). Diese ist ein Mit- lung von Dabrafenib verläuft primär über
glied der Familie der Tec-Kinasen und ein wich- CYP2C8 und CYP3A4. Die Halbwertszeit be-
tiges Molekül im Signalweg des B-Zell-Antigen- trägt bei Vemurafenib 57 Stunden, bei Dabrafe-
(BCR) und des Zytokin-Rezeptors. Der BCR-Si- nib 3 Stunden. Als Dosierung werden 960 mg
gnalweg reguliert u. a. die Migration, Chemota- Vemurafenib bzw. 150 mg Dabrafenib zweimal
xis und Adhäsion von B-Zellen und ist an der täglich empfohlen. Die häufigsten Nebenwir-
Pathogenese verschiedener B-Zell-Malignome kungen sind Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Aus-
beteiligt. Ibrutinib ist indiziert zur Behandlung schlag, Photosensivitätsreaktion, Übelkeit, Alo-
des Mantelzell-Lymphoms, des Morbus Wal- pezie und Pruritus. Kutane Plattenephithelkar-
denström und der chronischen lymphatischen zinome werden sehr häufig beobachtet und kön-
Leukämie bei therapierefraktären Patienten so- nen meist operativ entfernt werden.
wie bei Patienten mit bestimmten Genmutatio-
nen (17p-Deletion oder TP53-Mutation). 31.3.7 MEK-Tyrosin/Threonin-
Die Substanz wird hauptsächlich über Kinasehemmer
CYP3A4 metabolisiert und die Wirkstoffspiegel Trametinib (Mekinist®) ist ein selektiver Hem-
werden durch zahlreiche (auch schwache) mer der Mitogen-aktivierten, über extrazelluläre
CYP3A4-Inhibitoren und -Induktoren klinisch Signale regulierten Kinasen 1 (MEK1) und 2
relevant beeinflusst. Die Halbwertszeit wird mit (MEK2). Bei Melanomen und anderen Tumoren
4–13 Stunden angegeben, die Dosierung beträgt sind MEK-Kinasen häufig überaktiviert (ins-
420–560 mg einmal täglich. Die häufigsten Ne- besondere durch mutierte BRAF-Formen
benwirkungen sind Neutropenie, Anämie, Diar- (Ⴉ Kap. 31.3.6) und bewirken durch Stimulation
rhö, muskuloskelettale Schmerzen, Infektion des nachgeschalteten, mit extrazellulären Signa-
31.3 Kinasehemmer 553

len verbundenen Kinase-Signalübertragungs- dikation ist das refraktäre Mantelzell-Lymphom,


wegs (ERK) eine gesteigerte Zellproliferation. ein Subtyp des B-Zell-Lymphoms.
Trametinib ist zugelassen zur Monotherapie Temsirolimus wird in der Leber größtenteils
oder in Kombination mit dem BRAF-Inhibitor über CYP3A4 in seinen aktiven Metaboliten Si-
Dabrafenib zur Therapie des nicht resezierbaren rolimus umgewandelt. Die Halbwertszeit von
oder metastasierten Melanoms mit einer Temsirolimus beträgt 17 Stunden, die von Siroli-
BRAFV600-Mutation. mus 54 Stunden. Die empfohlene Dosierung be-
Die Substanz wird vorwiegend durch Deace- trägt beim Nierenzellkarzinom 25–175 mg ein-
tylierung mittels hydrolytischer Enzyme (z. B. mal wöchentlich. Sehr häufige Nebenwirkungen
Carboxylesterasen) verstoffwechselt, sodass In- sind bakterielle und virale Infektionen im Be-
teraktionen mit anderen Wirkstoffen wenig reich der oberen Atemwege und des Harntrakts,
wahrscheinlich sind. Die Halbwertszeit beträgt Blutbildungsstörungen (Anämie, Thrombozy-
127 Stunden, die empfohlene Dosierung einmal topenie), Stoffwechselstörungen (Hyperglykä-
täglich 2 mg. Zu den sehr häufigen Nebenwir- mie, Hypercholesterolämie, Hyperlipidämie),
kungen zählen akneähnliche Hautreaktionen, Schlaf- und Geschmackempfindungsstörungen,
Fatigue, periphere Ödeme, Übelkeit und Diar- Atembeschwerden, Husten, Übelkeit, Erbre-
rhö. chen, Diarrhö, abdominelle Schmerzen, Haut-
ausschlag, Juckreiz, Nagelveränderungen sowie
31.3.8 mTOR-Serin/Threonin- Rücken- und Gelenkschmerzen.
Kinasehemmer Everolimus (z. B. Afinitor®), ebenfalls ein se-
Temsirolimus (Torisel®) ist ein selektiver lektiver mTOR-Hemmer, wird bei verschiede-
Hemmstoff der Serin/Threonin-Kinase mTOR nen Tumoren eingesetzt (Nierenzellkarzinom,
(mammalian target of rapamycin). mTOR spielt Hormonrezeptor-positives Mammakarzinom,
einerseits eine wichtige Rolle bei der IL-2-Sig- renale neuroendokrine Tumoren pankreati-
naltransduktion, weshalb mTOR-Inhibitoren schen Ursprungs, Angiomyolipom und sube-
seit einigen Jahren als Immunsuppressiva einge- pendymales Riesenzellastrozytom). Die emp-
setzt werden (Ⴉ Kap. 32.4.1). Andererseits ist fohlene Dosierung bei diesen Indikationen be-
mTOR ein zentrales Signalprotein im PI3K- trägt 10 mg einmal täglich. In niedrigerer Dosis
AKT-mTOR-Signalweg (PI3K = Phosphoinosi- wird es als Immunsuppressivum verwendet und
tid-3-Kinasen), der über die Regulation der Pro- ist in Ⴉ Kap. 32.4.2.2 näher beschrieben.
teinsynthese einen wesentlichen Einfluss auf
den Zellzyklus und damit das Zellwachstum 31.3.9 PI3K-Lipidkinasehemmer
31
ausübt. Zudem aktiviert mTOR die Synthese Phosphoinositid-3-Kinasen (PI3K) bilden eine
von Transkriptionsfaktoren wie HIF (hypoxia- Familie strukturell verwandter Enzyme, die die
inducible factor), die es dem Tumor ermögli- Phosphorylierung von Phospholipiden in der
chen, sich an eine hypoxische Umgebung zu ad- Zellmembran katalysieren und so an wichtigen
aptieren und angiogenetische Proteine wie zellulären Funktionen wie Zellproliferation,
VEGF zu bilden. Die Hemmung von mTOR Differenzierung, Migration und Zelladhäsion
führt daher zu einer Wachstumsverzögerung beteiligt sind.
mit Anreicherung der Zellen in der G1-Phase, Idelalisib (Zydelig®) hemmt selektiv die Iso-
indem die Bildung zellzyklusregulatorischer form PI3Kδ (p110δ), die bei verschiedenen Ma-
Proteine wie Cyclin D oder c-myc unterbunden lignomen hyperaktiv ist und eine zentrale Rolle
oder die Aktivität verschiedener Proteine blo- für Signaltransduktionswege in B-Zellen spielt.
ckiert wird. Zugelassen ist Temsirolimus zur Dadurch werden die Proliferation, das Homing
Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzi- und die Retention maligner B-Lymphozyten in-
noms bei Patienten, die bestimmte prognosti- hibiert. Idelalisib wird in Kombination mit Ritu-
sche Risikofaktoren aufweisen. Eine weitere In- ximab zur Behandlung der chronischen lym-
554 31 Onkologika

႒ Tab. 31.7 Sonstige Multikinasehemmer


INN (Handelspräparat) Tagesdosis Hauptindikationen

Axitinib (Inlyta®) 5–10 mg, 2 × tgl. Zweitlinientherapie des Nierenzellkarzinoms

Cabozantinib (COMETRIQ®) 140 mg Fortgeschrittenes oder metastasiertes Schilddrüsen-


karzinom

Lenvatinib (LENVIMA®) 24 mg Radioiodtherapie-refraktäres Schilddrüsenkarzinom

Nintedanib (Vargatef®) 150–200 mg, 2 × tgl. Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, idiopathische


Lungenfibrose

Pazopanib (Votrient®) 800 mg Fortgeschrittenes und/oder metastasiertes Nieren-


zellkarzinom, Weichteilsarkome

Regorafenib (Stivarga®) 160 mg über 3 Wochen, Therapierefraktäres Kolorektalkarzinom, gastrointes-


danach 1 Woche Pause tinale Stromatumore

Vandetanib (Caprelsa®) 300 mg Wie Cabozantinib

phatischen Leukämie bei therapierefraktären und BRAFV600E. Sunitinib und sein aktiver
Patienten sowie bei Patienten mit bestimmten Hauptmetabolit Desethylsunitinib inhibieren
Genmutationen (17p-Deletion oder TP53-Mu- die Tyrosinkinase-Rezeptoren VEGFR1–3,
tation) angewandt. Außerdem wird es als Mono- PDGFRα-β, c-KIT, FLT-3, CSF1R und RET. Von
therapeutikum bei Patienten mit therapierefrak- besonderer Bedeutung für die Wirkungen dieser
tärem follikulärem Lymphom eingesetzt. Substanzen ist die Hemmung von VEGFR.
Die Substanz wird über Aldehydoxidase, Beide Multikinasehemmer sind zur Behand-
CYP3A4 und UGT1A4 metabolisiert. Da ein in- lung von Patienten mit fortgeschrittenem Nie-
aktiver Hauptmetabolit ein starker CYP3A4- renzellkarzinom zugelassen. Sorafenib ist zu-
Hemmer ist, sind Interaktionen mit CYP3A4- sätzlich beim hepatozellulären Karzinom und
Substraten zu beachten. Die Halbwertszeit be- differenzierten Schilddrüsenkarzinom, Suniti-
trägt 8 Stunden, die Dosierung zweimal täglich nib außerdem nach Versagen der Therapie mit
150 mg peroral. Häufige Nebenwirkungen sind Imatinib zur Behandlung gastrointestinaler
Diarrhö, Exantheme, Infektionen, Neutropenie, Strumatumoren sowie des neuroendokrinen
Pyrexie und erhöhte Leberenzyme. Tumors der Bauchspeicheldrüse indiziert.
Beide Substanzen werden in der Leber durch
31.3.10 Multikinasehemmer oxidativen Abbau mittels CYP3A4 metaboli-
Mit Sorafenib (Nexavar®) und Sunitinib (Sut- siert. Sorafenib unterliegt dazu einer UGT1A9-
ent®) wurden erstmals gezielt sog. Multikinase- vermittelten Glucuronidierung und damit ei-
hemmer entwickelt. Sie zeigen in vitro und in nem enterohepatischen Kreislauf. Die Halb-
vivo sowohl antiproliferative als auch antiangio- wertszeit von Sorafenib wird mit 25–48 Stun-
gene Eigenschaften. Diese Wirkungen beruhen den, die von Sunitinib und Desethylsunitinib
auf der Hemmung der Kinasenaktivität sowohl mit 40–60 bzw. 80–100 Stunden angegeben. Die
der Tumorzellen als auch der Tumorgefäße. empfohlene Dosis von Sorafenib beträgt 400 mg
Sorafenib hemmt die Tyrosinkinase-Rezeptoren zweimal täglich, bei Sunitinib werden 37,5–
VEGFR2–3, PDGFRβ, c-KIT und FLT-3 sowie 50 mg einmal täglich empfohlen.
die Serin/Threonin-Kinasen CRAF, BRAF
31.4 Sonstige Onkologika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen 555

Das Spektrum an Nebenwirkungen der Mul- Retinsäuresyndrom (RAS) mit Fieber, Dyspnoe,
tikinasehemmer ist erheblich. Dazu gehören Pleura-und Perikardergüssen, ferner Hypotonie
Hypertonie, Störungen der Schilddrüsenfunkti- sowie in schweren Fällen Leber- und Nierenver-
on (Hypothyreose), gastrointestinale Störungen sagen.
(Diarrhö, Erbrechen, Obstipation, Stomatitis Alitretinoin (9-cis-Retinsäure; Panretin®
u. a.), Hautausschlag, Alopezie, Hand-Fuß-Syn- Gel) aktiviert alle bekannten Subtypen der RA-
drom (palmar-plantare Erythrodysästhesie, d. h. und RX-Rezeptoren. Es ist für die topische Be-
erythematöse Hautveränderungen an Handin- handlung von Hautläsionen bei Patienten mit
nenflächen und Fußsohlen mit je nach Schwere- AIDS-bedingtem Kaposi-Sarkom zugelassen.
grad unterschiedlich starken Schmerzen), Stö- Voraussetzung für seine Anwendung ist, dass
rungen des Geschmacksempfindens, Appetitlo- die Läsionen Ulkus- und Lymphödem-frei sind
sigkeit, Arthralgien, Kopfschmerzen und erhöh- sowie keine Behandlung eines intestinalen Ka-
te Leberenzymwerte (Lipase, Amylase u. a.). posi-Sarkoms erforderlich ist. Außerdem sollten
Außerdem wurden Verlängerungen des QTc- die Läsionen nicht auf eine systemische anti-
Intervalls, Herzinsuffizienz, Thrombo-Emboli- retrovirale Therapie angesprochen haben und
en und gastrointestinale Perforationen berich- einer Radio- oder anderen Chemotherapie nicht
tet. Unter der Therapie mit diesen Substanzen zugänglich sein.
sollten regelmäßige Kontrollen des Blutdrucks Der Wirkstoff wird in dem Gel 0,1 %ig ange-
sowie der Schilddrüsen- und Leberfunktion er- wandt. Nebenwirkungen treten fast ausschließ-
folgen. lich topisch in Form von Erythemen und Bla-
senbildung auf.
႒ Tab. 31.7 enthält weitere Multikinasehemmer.
Bexaroten (Targretin®), ein Retinoid der
3. Generation, bindet an RX-Rezeptoren und
aktiviert diese. Wie bei Tretinoin und Ali-
31.4 Sonstige Onkologika mit unter- tretinoin ist der antineoplastische Wirkmecha-
schiedlichen Wirkmechanismen nismus unbekannt. Die Substanz wird zur Be-
handlung von Hautmanifestationen beim kuta-
Das Retinoid Tretinoin (all-trans-Retinsäure, nen T-Zell-Lymphom eingesetzt.
Vitamin-A-Säure; z. B. Vesanoid®) bindet, wie in Bexaroten wird durch CYP3A4 abgebaut und
Ⴉ Kap. 31.4 beschrieben, an nukleäre RA- und induziert vermutlich auch dieses Enzym. Die
RX-Rezeptoren und aktiviert die Transkription Halbwertszeit liegt bei 1–3 Stunden. Die Dosie-
von Genen für Zellwachstum und Differenzie- rung beträgt anfänglich täglich 300 mg/m2 und
31
rung. In hämatopoetischen Zelllinien kann es wird dann – über täglich 200 mg/m2 – auf
die Zelldifferenzierung induzieren und die Zell- 100 mg/m2 Körperoberfläche und Tag reduziert.
proliferation hemmen, wobei der genaue Wir- Die zahlreichen Nebenwirkungen bestehen vor
kungsmechanismus bisher ungeklärt ist. Treti- allem in ausgeprägten Hyperlipidämien (Trigly-
noin ist (außer zur Behandlung von Hautkrank- cerid- und Cholesterol-Erhöhung) sowie Hypo-
heiten wie Acne vulgaris) zur Induktion der Re- thyreose.
mission bei akuter Promyelozytenleukämie Thalidomid, Lenalidomid, Pomalidomid:
zugelassen, die durch das Auftreten unreifer Thalidomid wurde in den 1950er Jahren als
Vorläuferzellen im peripheren Blut gekenn- Schlafmittel eingeführt (Handelspräparat Con-
zeichnet ist. tergan®) und aufgrund schwerwiegender tera-
Die Halbwertszeit beträgt 0,7 Stunden. Es togener Wirkungen (v. a. Phokomelie, „Rob-
werden täglich 45 mg/m2 Körperoberfläche per- bengliedrigkeit“) Anfang der 1960er Jahre wie-
oral bis zur kompletten Remission verabreicht, der vom Markt genommen. Später wurde er-
die Höchstdauer der Behandlung beträgt 90 kannt, dass Thalidomid – über bisher nicht
Tage. Eine bedeutsame Nebenwirkung ist das vollständig aufgeklärte Mechanismen – immun-
556 31 Onkologika

modulatorische, antiinflammatorische und an- setzt. Der Wirkmechanismus ist weitgehend un-
tineoplastische Wirkungen besitzt und die An- geklärt.
giogenese sowie die Bildung verschiedener hä- Die Halbwertszeit der Substanz wird mit 10–
matopoetischer Vorläuferzellen hemmt. Es wird 14 Stunden angegeben. Im Rahmen einer In-
daher heute zur Therapie des Multiplen Mye- duktionstherapie wird Arsentrioxid zunächst in
loms (Handelspräparat Thalidomide Celgene®) einer Dosis von 0,15 mg/kg Körpergewicht täg-
eingesetzt. Analogsubstanzen sind Lenalidomid lich intravenös gegeben, bis eine Knochenmark-
(REVLIMID®) und Pomalidomid (IMNO- remission erreicht ist. 3–4 Wochen nach Ende
VID®), die eine stärkere antiangiogene und an- der Induktionstherapie wird eine Konsolidie-
tineoplastische Wirkung als Thalidomid aufwei- rungstherapie mit derselben Dosis über 5 Wo-
sen und ebenfalls beim Multiplen Myelom und/ chen (jeweils 5 Tage Therapie und 2 Tage Pause)
oder myelodysplastischen Syndromen ange- durchgeführt. Die Nebenwirkungen von Arsen-
wandt werden. trioxid umfassen u. a. Hyperglykämie, Hypoka-
Die Halbwertszeiten liegen bei 6,5 (Thalido- liämie, Neutropenie und erhöhte Alaninamino-
mid), 3 (Lenalidomid) bzw. 9,5 (Pomalidomid) Transferase-Plasmaspiegel. Zu beachten ist au-
Stunden. Thalidomid wird mit Melphalan und ßerdem die Verlängerung der QTc-Zeit, die zu
Prednison kombiniert und in einer Dosis von gefährlichen Herzrhythmusstörungen führen
200 mg/Tag während maximal 12 Zyklen von je- kann. Als spezifische Nebenwirkung kann fer-
weils 6 Wochen appliziert. Lenalidomid wird in ner das sog. Leukozyten-Aktivierungssyndrom
Kombination mit Dexamethason oder als Mo- (APL-Differenzierungssyndrom) auftreten, das
notherapeutikum verabreicht, die Dosierung durch Fieber, Dyspnoe, Gewichtszunahme,
beträgt 25 mg/Tag an den Tagen 1–21 der sich Lungeninfiltrate und Pleura- bzw. Perikarder-
wiederholenden 28-Tage-Zyklen. Die Anwen- güsse gekennzeichnet ist. Wegen der hauptsäch-
dung von Pomalidomid erfolgt ebenfalls zusam- lichen Ausscheidung von Arsentrioxid über die
men mit Dexamethason in einer Dosis von Niere ist bei Patienten mit eingeschränkter Nie-
4 mg/Tag, wiederum an den Tagen 1–21 sich renfunktion besondere Vorsicht geboten.
wiederholender 28-Tage-Zyklen. Häufige Ne- Hydroxycarbamid (Hydroxyharnstoff; z. B.
benwirkungen sind Somnolenz, Neutro-, Leu- Litalir®) hemmt die Ribonucleosiddiphosphat-
ko-, Lympho- und Thrombozytopenie, Anämie, Reduktase, wodurch der Übergang der Zellen
periphere Neuropathie, Dysästhesie, Tremor, von der G1- in die S-Phase blockiert wird. Auf
Obstipation und periphere Ödeme. diese Weise wird eine Synchronisation des Tu-
Gebärfähige Frauen müssen im Zeitraum von morzellwachstums erreicht. Die Substanz wird
4 Wochen vor Behandlungsbeginn bis 4 Wochen bei Melanomen, chronisch-myeloischer Leukä-
nach Beendigung der Therapie eine zuverlässige mie, Polyzythämie und anderen neoplastischen
Kontrazeptionsmethode anwenden. Da die Sub- Erkrankungen angewandt.
stanzen in der Samenflüssigkeit auftreten, müs- Die Richtdosis beträgt 20–30 mg/kg Körper-
sen alle männlichen Patienten während der Be- gewicht täglich. Wesentliche Nebenwirkungen
handlung und für 7 Tage nach Beendigung der sind u. a. Knochenmarkdepression, neurologi-
Behandlung Kondome verwenden, wenn ihre sche und gastrointestinale Störungen sowie
Partnerin gebärfähig ist und nicht verhütet. Hautveränderungen.
Arsentrioxid (TRISENOX®) wird bei Patien- Mifamurtid (Muramyltripeptid-Phosphati-
ten mit promyeloischer Leukämie (akuter Pro- dylethanolamin, MTP-PE; Mepact®) ist ein voll-
myelozytenleukämie; APL), bei denen eine The- synthetisches Analogon des mykobakteriellen
rapie mit anderen Zytostatika bzw. Retinoiden Zellwandbestandteils Muramyldipeptid. Es bin-
keinen Behandlungserfolg gebracht hat, einge- det spezifisch an NOD2, einen Oberflächenre-
zeptor, der hauptsächlich auf Monozyten, Ma-
31.4 Sonstige Onkologika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen 557

krophagen und dendritischen Zellen vorkommt. änderungen (Thrombozytopenie) sowie Neuro-


Die dadurch induzierte Aktivierung dieser Zel- pathien. Bei Diabetikern kann es zu Hyper- bzw.
len führt zu einer gesteigerten Freisetzung von Hypoglykämien kommen, sodass eine häufige
Zytokinen wie Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Blutzuckerkontrolle indiziert ist.
Interleukinen und Adhäsionsmolekülen, die Vismodegib (Erivedge®) ist ein oral verfüg-
letztlich zur Zerstörung der Tumorzellen führt. barer Inhibitor des sog. Hedgehog-(Hh-)Signal-
Zugelassen wurde die Substanz zur Behandlung weges. Dieser hat eine wichtige Funktion wäh-
hochmaligner, resezierbarer, nicht metastasier- rend der Embryonalentwicklung und ist bei
ter Osteosarkome nach makroskopisch vollstän- verschiedenen Tumoren (Basalzellkarzinom,
diger Resektion. Medulloblastom u. a.) übermäßig aktiviert.
Die Halbwertszeit liegt bei ca. 2 Stunden. Die Das über das Hedgehog-Transmembranprotein
liposomale Suspension wird in einer Dosierung Smoothened (SMO) abgegebene Hedgehog-
von 2 mg/m2 Körperoberfläche zweimal wö- Transduktionssignal führt zur Aktivierung von
chentlich über 12 Wochen und dann einmal wö- Zielgenen, die insbesondere an der Proliferati-
chentlich über 24 Wochen appliziert. Nebenwir- on, dem Überleben und der Differenzierung
kungen treten sehr zahlreich auf, darunter vor von Zellen beteiligt sind. Vismodegib bindet an
allem Anämien, gastrointestinale Störungen mit und hemmt das SMO-Protein, wodurch die
Anorexie, Erbrechen, Diarrhö oder Obstipation, Hedgehog-Signaltransduktion blockiert wird.
Herz-Kreislaufstörungen mit Tachykardie, Es ist zugelassen zur Therapie des symptomati-
Hypo- oder Hypertonie, Dyspnoe, Tachypnoe schen metastasierten oder lokal fortgeschritte-
sowie Schmerzen in Muskeln und Gelenken. nen Basalzellkarzinoms.
Bortezomib (VELCADE®), ein Bor-haltiges Die Halbwertszeit beträgt 4–12 Tage, die
Pyridincarboxamid, ist ein Proteasom-Inhibi- empfohlene Dosis 150 mg einmal täglich per-
tor. Er hemmt selektiv die chymotrypsinartige oral. Da Vismodegib ein Substrat von P-Glyko-
Aktivität des 26S-Proteasoms, eines Protein- protein, CYP2C9 und CYP3A4 ist, sind zahlrei-
komplexes, der für den Abbau zellulärer Protei- che Interaktionen möglich. Die häufigsten Ne-
ne von großer Bedeutung ist. Für diesen Abbau benwirkungen sind Muskelspasmen (bei ca.
werden zunächst bestimmte Proteine in der Zel- 75 % der Patienten), Alopezie, Dysgeusie, Ge-
le mit Ubiquitin markiert und dadurch von dem wichtsverlust, Müdigkeit (jeweils bei ca. 50 %
26S-Proteasom erkannt und abgebaut. Insbe- der Patienten) und Übelkeit. Vismodegib ist te-
sondere Tumorzellen reagieren auf die Hem- ratogen und verursachte bei verschiedenen
mung dieses Ubiquitin-Abbauwegs sehr emp- Tierspezies schwere Missbildungen (v. a. kranio-
31
findlich. Es kommt zu einer Veränderung der faziale Anomalien, Mittellinienfehlbildungen
den Zellzyklus kontrollierenden Regulatorpro- und Gliedmaßendefekte). Daher dürfen Frauen,
teine und Transkriptionsfaktoren: Zellwachs- die die Substanz einnehmen, nicht schwanger
tum, Angiogenese, Zell-Zell-Interaktionen und sein oder während der Behandlung und noch 24
Metastasierung werden verhindert. Bortezomib Monate nach der letzten Dosis schwanger wer-
ist zugelassen zur Behandlung von Patienten mit den. Da die Substanz in Spermien nachweisbar
multiplem Myelom und Mantelzell-Lymphom. ist, müssen männliche Patienten während und
Als Peptid wird Bortezomib intravenös ver- bis zu 2 Monate nach der Behandlung beim Ge-
abreicht. Die Dosierung beträgt 1,3 mg/m2 Kör- schlechtsverkehr mit einer Frau ein Kondom an-
peroberfläche zweimal wöchentlich über einen wenden.
Zeitraum von 2 Wochen, gefolgt von einer Olaparib (Lynparza®) ist ein Inhibitor der
10-tägigen Therapiepause. Die häufigsten Ne- PARP (Poly-ADP-Ribose-Polymerase). Dieses
benwirkungen sind gastrointestinale Symptome Enzym spielt eine wichtige Rolle bei der Repara-
(Erbrechen, Diarrhö, Obstipation), Blutbildver- tur von DNA-Einzelstrangbrüchen, die im
558 31 Onkologika

menschlichen Organismus regelmäßig stattfin- wertszeit der nicht pegylierten Substanz von
den. Bei einer PARP-Hemmung durch Olaparib 14–22 Stunden auf 5,8 Tage). Der Indikationsbe-
können die Einzelstrangbrüche nicht mehr re- reich von Asparaginase bzw. Pegaspargase um-
pariert werden und es kommt zu Doppelstrang- fasst vor allem verschiedene Leukämien und
brüchen. Bei normalen Zellen werden diese mit- Lymphome, insbesondere im Bereich der pädia-
tels homologer Rekombinationsreparatur repa- trischen Onkologie.
riert, für die funktionelle BRCA-(breast cancer Die empfohlene Einzeldosierung beträgt für
susceptibility-)Gene erforderlich sind. Bei eini- Asparaginase 6000 IE und für Pegaspargase
gen Tumorarten sind die BRCA-Gene (BRCA1 2500 IE/m2 Körperoberfläche. Als Nebenwir-
oder BRCA2) jedoch mutiert, sodass alternative kungen sind u. a. Erbrechen, Fieber, Leberfunk-
Wege aktiviert werden, die zu einer genomi- tions- und Gerinnungsstörungen, Abnahme der
schen Instabilität führen und letztlich eine Apo- Leukozyten und Thrombozyten, hämorrhagi-
ptose der Tumorzellen auslösen. Dementspre- sche Pankreatitiden sowie allergische Reaktio-
chend ist Olaparib zugelassen zur Therapie von nen zu nennen.
BRCA-mutierten Karzinomen wie dem epitheli-
alen Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder
primären Peritonealkarzinom. Vor Behand- 31.5 Hormone und
lungsbeginn muss der Nachweis einer BRCA1- Hormonantagonisten
oder BRCA2-Mutation (in der Keimbahn oder
im Tumor) erbracht worden sein. Hormone und Hormonantagonisten sind keine
Die Halbwertszeit wird mit 12 Stunden ange- Zytostatika im eigentlichen Sinn, sie können
geben. Die empfohlene Dosierung beträgt aber mit Erfolg bei solchen Tumoren eingesetzt
400 mg zweimal täglich peroral. Olaparib wird werden, deren Wachstum hormonabhängig ist.
hauptsächlich über CYP3A4 metabolisiert, da- Dies trifft in hohem Prozentsatz für Prostata-,
her sind CPY3A4-vermittelte Interaktionen Mamma- und Korpuskarzinome des Uterus zu,
möglich. Die am häufigsten beobachteten Ne- sofern deren Entdifferenzierung nicht zu weit
benwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Diar- fortgeschritten ist, d. h. die Tumorzellen noch
rhö, Dyspepsie, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Hormonrezeptoren besitzen.
Dysgeusie, verminderter Appetit, Schwindel, Bei der Behandlung dieser sexualhormonab-
Anämie, Neutropenie und Lymphopenie. hängigen Tumoren unterscheidet man eine ab-
Asparaginase: Gewisse Leukämie- und Tu- lative, additive und kompetitive Therapie. Bei
morzellarten sind – im Gegensatz zu normalen der ablativen Therapie werden die Keimdrüsen
Zellen – für ihren Stoffwechsel auf die Zufuhr entfernt (Orchiektomie, Ovariektomie) oder
von Asparagin angewiesen, da ihnen das Enzym ihre Hormonproduktion medikamentös ausge-
Asparagin-Synthetase fehlt. Behandelt man sol- schaltet, bei der additiven Therapie werden
che Tumorformen mit Asparaginase (Asparagi- (meist gegengeschlechtliche) Hormone appli-
nase medac), die Asparagin zu Asparaginsäure ziert, die in den hormonellen Regelkreis eingrei-
hydrolysiert, werden diese durch Erniedrigung fen und so die endogene Hormonproduktion
des Asparagingehalts im Plasma bzw. in der Ext- hemmen. Unter der kompetitiven Therapie ver-
razellularflüssigkeit in ihrem Wachstum ge- steht man die Behandlung mit Hormonantago-
hemmt. Allerdings kommt es relativ rasch zur nisten.
Resistenzentwicklung. Der Hormonentzug unterdrückt die Zellpro-
Neben Asparaginase ist Pegaspargase (On- liferation und ist für einen Teil der Tumorzellen
caspar®) verfügbar, bei der Asparaginase mit zusätzlich das Signal, Apoptose auszulösen. Die
Polyethylenglycol konjugiert ist, um die Halb- Möglichkeiten des Eingriffs in die Regelkreise
wertszeit zu erhöhen (Verlängerung der Halb- zur Reduktion der hormonellen Stimulation des
31.5 Hormone und Hormonantagonisten 559

Tumorwachstums sind in Ⴜ Abb. 31.2 exempla-


risch für das Mammakarzinom dargestellt. Un- Hypothalamus
abhängig von der gewählten Methode kann da-
durch bei etwa 30 % der Frauen ein Mammakar- Gonadorelin
zinom zur Remission gebracht werden. In der Gonadorelin-Analoge
Regel ist eine Hormontherapie für die Patienten
deutlich weniger belastend als die Behandlung Hypophyse Hypophysektomie
mit klassischen Zytostatika.

31.5.1 GnRH-Analoga und GnRH-


Antagonisten Follitropin,
Lutropin
GnRH-Analoga. Die Verabreichung syntheti-
Ovariektomie
scher Gonadoliberin-(GnRH-)Analoga (Ⴉ Kap.
21.8.1) bewirkt initial die Ausschüttung von
Lutropin und Follitropin und damit einen An-
Estrogene
stieg der Testosteronblutspiegel. Bei längerer Tumorzelle Ovar
Anwendung der Substanzen tritt jedoch infolge
einer Down-Regulation der entsprechenden Re- Tamoxifen
zeptoren eine antigonadotrope Wirkung auf. Sie
sind insbesondere zur palliativen Behandlung
Estrogene
des fortgeschrittenen hormonempfindlichen
Prostata- und Mammakarzinoms indiziert. Aromatase-
hemmer
Von Buserelin (z. B. Profact®) gibt man
7 Tage lang 3-mal täglich (in achtstündigen Ab-
ständen) 0,5 mg s. c., danach wird auf nasale Ap- Periphere Gewebe
(z.B. Fett)
plikation umgestellt (3-mal täglich vor und nach
den Mahlzeiten je 0,4 mg in jedes Nasenloch).
Alternativ kann ein Implantat angewandt wer- Ⴜ Abb. 31.2 Möglichkeiten des Eingriffs in die
hormonellen Regelkreise beim Mammakarzinom.
den. Goserelin (z. B. Zoladex®) steht ebenfalls
Nach Wander
als Implantat (3,6 und 10,8 mg) zur Verfügung,
das Dosierungsintervall beträgt 28 Tage bzw. 3
Monate. Von Leuprorelin (z. B. Enantone®) und rung des Zustands. Da GnRH-Analoge auch
31
Triptorelin (z. B. Decapeptyl®) werden 1- bzw. nicht zur Zystenbildung führen, eignen sie sich
3-Monatsdepots s. c. injiziert. Die unerwünsch- in besonderer Weise zum Einsatz in der Präme-
ten Wirkungen der GnRH-Analoga wurden be- nopause.
reits in Ⴉ Kap. 21.8.1 beschrieben.
GnRH-Antagonisten. Diese Stoffgruppe wurde
Zu Beginn der Therapie muss bei Patienten,
bereits in Ⴉ Kap. 21.8.1 beschrieben.
die vorher nicht mit Hormonen behandelt wur-
den, infolge des vorübergehenden Anstiegs des
Testosteronblutspiegels mit einer Verstärkung 31.5.2 Estrogene
der Tumorsymptome, meist mit vermehrten Das Estradiolderivat Estramustin-17β-dihydro-
Schmerzen im Bereich der Knochenmetastasen, genphosphat (z. B. Estramustin-Uropharm®)
gerechnet werden. Diesen kann durch die vorü- weist keine Affinität zum Estrogenrezeptor auf,
bergehende Gabe von Antiandrogenen vorge- jedoch wird es im Organismus in die aktiven
beugt werden. Beim Mammakarzinom kommt Metaboliten Estramustin und Estromustin bio-
es dagegen nicht zu einer initialen Verschlechte- aktiviert, die in vitro zytotoxisch auf Prostata-
560 31 Onkologika

karzinom-Zelllininen wirken. Ca. 10–15 % der Kopfschmerzen, Benommenheit, Flüssigkeitsre-


beiden Metaboliten werden zu den Estrogenen tention und Alopezie.
Estradiol und Estron hydrolysiert. Estramustin- Toremifen (Fareston®) ist mit Tamoxifen
17β-dihydrogenphosphat wird zur palliativen strukturell eng verwandt und wird wie dieses zur
Behandlung des fortgeschrittenen hormonre- Behandlung hormonabhängiger, metastasieren-
fraktären Prostatakarzinoms angewendet. der Mammakarzinome eingesetzt (Tagesdosis
Die Halbwertszeit liegt bei 1,2 Stunden. Die 60 mg p. o.). Mit einer Halbwertszeit von 5 Tagen
Dosierung beträgt 3-mal täglich 280 mg wäh- wird Toremifen über CYP3A4 zu dem Hauptme-
rend 4 Wochen, danach wird die Behandlung taboliten N-Desmethyl-Toremifen (Halbwerts-
mit 2-mal täglich 280 mg, oder – falls erforder- zeit 11 Tage) verstoffwechselt.
lich – wieder mit 3-mal täglich 280 mg fortge- Fulvestrant (Faslodex®) ist ein Estrogenre-
setzt. Häufige Nebenwirkungen sind kardiovas- zeptor-Antagonist mit höherer Rezeptor-Affini-
kuläre Komplikationen (Herzinsuffizienz, isch- tät als die von Tamoxifen. Darüber hinaus ver-
ämische Beschwerden, Thromboembolien), hindert die lange Seitenkette von Fulvestrant
Ödeme, Gynäkomastie und Libidoverlust. Konformationsänderungen des Rezeptors, so-
dass Transkriptionsfaktoren nicht aktiviert wer-
31.5.3 Antiestrogene den können. Da auch die Dimerisierung des Re-
31.5.3.1 Estrogenrezeptor-Antagonisten zeptors durch Fulvestrant blockiert wird, kommt
Tamoxifen (z. B. Nolvadex®) ist ein kompetiti- es zu einer vollständigen Rezeptor-Deaktivie-
ver, selektiver Estrogenrezeptor-Modulator rung. Der Rezeptor-Antagonist-Komplex wird
(SERM, Ⴉ Kap. 21.8.4.1). Dadurch kommt es zur außerdem beschleunigt abgebaut mit der Folge
Hemmung der Expression Estrogen-regulierter einer Rezeptor-Downregulation. Fulvestrant ist
Gene, wie z. B. die von Wachstumsfaktoren und indiziert zur Behandlung von postmenopausa-
Promotoren der Angiogenese, und zu einer Ab- len Frauen mit Estrogenrezeptor-positivem, lo-
nahme der Zellteilung in estrogenabhängigen kal fortgeschrittenem oder metastasiertem
Geweben. Tamoxifen ist zur Behandlung von Mammakarzinom.
Mammakarzinomen im Rahmen einer adjuvan- Die Substanz wird durch CYP3A4 verstoff-
ten Therapie indiziert. Es senkt das Rezidivrisi- wechselt, ohne den Abbau anderer Substanzen
ko und verlängert die Überlebenszeit, insbeson- zu beeinflussen. Die Halbwertszeit liegt bei 50
dere bei Estrogenrezeptor-positiven Tumoren. Tagen. Fulvestrant wird einmal monatlich intra-
Außerdem wird es zur Palliativbehandlung me- muskulär in einer Dosis von 500 mg (zwei aufei-
tastasierter Mammakarzinome verwendet. nander folgende Injektionen à 250 mg) verab-
Die Halbwertszeit beträgt ca. 7 Tage. Tamoxi- reicht. Die häufigsten Nebenwirkungen sind
fen wird hauptsächlich über CYP3A4 zu N-Des- Reaktionen an der Injektionsstelle, Asthenie,
methyl-Tamoxifen metabolisiert, welches weiter Übelkeit und erhöhte Leberenzymwerte.
über CYP2D6 zu dem aktiven Metaboliten
4-Hydroxy-N-Desmethyl-Tamoxifen (Endoxi- 31.5.3.2 Aromatasehemmer
fen) verstoffwechselt wird. Bei Patienten mit Aromatase ist für die Estrogensynthese essenzi-
fehlendem CYP2D6 zeigt sich eine um etwa ell, weil es die oxidative Entfernung der C-
75 % niedrigere Konzentration an Endoxifen im 19-Methylgruppe und gleichzeitig die Aromati-
Vergleich zu Patienten mit normaler CYP2D6- sierung des Rings A katalysiert. Der Enzym-
Aktivität. Die Dosierung beträgt 20–40 mg p. o. komplex kommt nicht nur im Ovar, sondern
täglich. Häufige Nebenwirkungen sind Hitze- auch in peripheren Geweben, z. B. in der Mus-
wallungen, vaginale Blutungen, Fluor vaginalis, kulatur, im Fettgewebe, aber auch in den Zellen
Pruritus vulvae, Schmerzen im Bereich des er- eines Mammakarzinoms vor. Aromatasehem-
krankten Gewebes, gastrointestinale Störungen, mer können daher zur Therapie von Mamma-
31.5 Hormone und Hormonantagonisten 561

karzinomen eingesetzt werden. Durch Gabe ei- von Estradiol zu dem schwächer wirksamen Es-
nes Aromatasehemmers werden die Estradiol- tron, verminderte Estrogenbildung) als beson-
und Estronblutspiegel stark gesenkt. Nichtstero- ders wesentlich erachtet.
idale Substanzen (Anastrozol und Letrozol) Megestrolacetat ist zur palliativen Behand-
hemmen die Aromatase reversibel, während lung des fortgeschrittenen Mammakarzinoms
steroidale Hemmstoffe wie Exemestan direkt an und des Rezeptor-positiven Endometriumkarzi-
der Bindungsstelle für Androstendion angreifen noms indiziert. Die Halbwertszeit wird mit 15–
und eine irreversible Hemmung zur Folge ha- 20 Stunden angegeben. Die Dosierung liegt bei
ben. 160–320 mg täglich peroral. Die häufigste Ne-
Anastrozol (z. B. Arimidex®, Halbwertszeit benwirkung ist eine Gewichtszunahme (bei
40–50 Stunden, Dosierung 1 mg pro Tag per- 85 % der Patienten), außerdem treten sehr häu-
oral) ist zugelassen zur Behandlung des fortge- fig Blutdruckanstieg, Obstipation und Dyspnoe
schrittenen Mammakarzinoms bei postmeno- auf.
pausalen Frauen. Es besteht auch die Möglich-
keit, die Substanz bei solchen Frauen einzuset- 31.5.5 Antiandrogene
zen, die bereits mehrere Jahre mit Tamoxifen Antagonisten der männlichen Sexualhormone
adjuvant behandelt wurden. sind das Steroid-Derivat Cyproteronacetat (Cy-
Letrozol (z. B. Femara®) hat ein ähnliches In- proteronacetat-GRY®, Ⴉ Kap. 21.8.3.4) sowie die
dikationsspektrum wie Anastrozol. An der Eli- nichtsteroidalen Verbindungen Flutamid (z. B.
mination von Letrozol, bei der ein Carbinolme- Fugerel®), Bicalutamid (z. B. Casodex®) und
tabolit gebildet wird, sind CYP3A4 und CYP2A6 Enzalutamid (Xtandi®). Sie binden an Andro-
beteiligt. Die Halbwertszeit beträgt etwa 48 genrezeptoren, besitzen jedoch keine intrinsi-
Stunden, die Dosierung 2,5 mg pro Tag peroral. sche Aktivität. Cyproteronacetat senkt aufgrund
Der irreversible Aromatasehemmstoff Exe- seiner gestagenen Wirkungskomponente zudem
mestan (z. B. AROMASIN®) ist zugelassen zur über den hormonellen Rückkopplungsmecha-
Behandlung des Estrogenrezeptor-positiven, in- nismus den Testosteronblutspiegel. Dieser Ef-
vasiven, frühen Mammakarzinoms sowie bei fekt fehlt bei den nichtsteroidalen Wirkstoffen.
postmenopausalen Frauen, bei denen bereits Enzalutamid bindet stärker am Androgenrezep-
2–3 Jahre lang eine adjuvante Therapie mit Tam- tor als die anderen Antiandrogene und blockiert
oxifen durchgeführt wurde. Bemerkenswert ist, zusätzliche Schritte im Rezeptor-Signalweg (u. a.
dass auch Patientinnen mit viszeralen Mamma- die Translokation aktivierter Rezeptoren in den
karzinom-Metastasen von Exemestan profitie- Nukleus sowie die Bindung an die DNA). Wie
31
ren können. Die Substanz unterliegt einem aus- die GnRH-Analogen sind Antiandrogene zur
geprägten First-Pass-Effekt, der durch CYP3A4 Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakar-
und Aldoketoreduktasen katalysiert wird. Die zinoms indiziert.
Halbwertszeit liegt bei 24 Stunden, die Dosis bei Die Dosierung beim Prostatakarzinom be-
25 mg täglich peroral. trägt von Cyproteronacetat (Halbwertszeit 44
Stunden) 300 mg i. m. pro Woche, von Flutamid
31.5.4 Gestagene (Halbwertszeit 6 Stunden) dreimal täglich
Das Gestagen Megestrolacetat (Megestat®) 250 mg p. o., von Bicalutamid (Halbwertszeit
hemmt das Wachstum der Zellen von Mamma- 5–7,5 Tage) einmal täglich 50 mg p. o. und von
und Endometriumkarzinomen. Der Mechanis- Enzalutamid (Halbwertszeit 5,8 Tage) einmal
mus der zytostatischen Wirkung ist noch nicht täglich 160 mg p. o. Enzalutamid ist ein starker
vollständig aufgeklärt, jedoch werden die antie- Induktor von CYP3A4 sowie ein moderater In-
strogenen Effekte (Abnahme der Estrogenrezep- duktor von CYP2C9 und CYP2C19. Daher kann
toren der Tumorzellen, beschleunigte Oxidation
562 31 Onkologika

es die Wirkstoffspiegel vieler gängiger Arznei- sondere Haarzell-Leukämie (hier wurden be-
mittel beeinflussen. sonders eindrucksvolle Ergebnisse erzielt),
Die häufigste Nebenwirkung der Antiandro- ferner bei Non-Hodgkin-Lymphomen, Melano-
gene ist eine Gynäkomastie. Daneben können men, Nierenzellkarzinomen, HIV-assoziierten
kardiovaskuläre Störungen, Übelkeit und Appe- Kaposi-Sarkomen und anderen soliden Tumo-
titlosigkeit, verringerte Libido und Spermien- ren in Kombination mit klassischen Chemothe-
produktion sowie Leberschädigungen auftreten. rapeutika eingesetzt.
Da Flutamid, Bicalutamid und Enzalutamid den Tumornekrosefaktor-α (TNFα) kann durch
Testosteronspiegel nicht senken, führen sie nur Interaktion mit einem Subtyp seiner Rezeptoren
selten zu Potenzstörungen. (TNFR1) Apoptose induzieren. Darüber hinaus
Ebenfalls zur Therapie des Prostatakarzioms interferiert TNFα mit der Angiogenese, der Zel-
zugelassen ist der Inhibitor der Androgen-Bio- ladhäsion und Infiltration des Tumors mit Lym-
synthese Abirateronacetat (Ⴉ Kap. 21.8.3.6). phozyten, Monozyten und Granulozyten.
Rekombinanter Tumornekrosefaktor-α1-a
31.5.6 Glucocorticoide (Tasonermin; Beromun®) wird bei nicht rese-
Glucocorticoide wie z. B. Dexamethason oder zierbaren Weichteilsarkomen in Kombination
Prednison (Ⴉ Kap. 21.7.1) werden aufgrund ih- mit Melphalan benutzt. Ziel der Therapie, die als
rer antiproliferativen und antiödematösen Wir- isolierte Extremitätenperfusion (isolated limb
kungen bei verschiedenen Tumoren (Leukämi- perfusion; ILP) durchgeführt wird, ist die Ver-
en, Lymphomen, Hirntumoren, Mammakarzi- meidung oder wenigstens das Herauszögern der
nomen) in Kombination mit anderen Sub- Amputation. Die ILP, bei der die zu- und abfüh-
stanzen eingesetzt. renden Gefäße der betroffenen Extremität für
die Dauer der Behandlung abgeklemmt werden,
erlaubt den Einsatz hoher Dosen. Dabei werden
31.6 Supportive Arzneistoffe bei der in der Extremität etwa 200-fach höhere Konzen-
Tumortherapie trationen als im Körperkreislauf erreicht.
Histamindihydrochlorid (Ceplene®) wird
Zytokine. Wie in Ⴉ Kap. 32.1 beschrieben, wir- ausschließlich in Kombination mit IL-2 einge-
ken bestimmte Zytokine immunmodulierend, setzt. Es soll die durch IL-2 mobilisierten T-
antiproliferativ und zytotoxisch und können da- Lymphozyten schützen und dadurch deren Zy-
her bei Tumorerkrankungen angewandt wer- totoxizität insbesondere gegen im Organismus
den. verbliebene Leukämiezellen erhöhen. Die An-
Aldesleukin (Proleukin® S), ein Interleukin wendung ist beschränkt auf die Erhaltungsthe-
2, erhöht die Zytotoxizität von natürlichen sowie rapie erwachsener Patienten mit akuter myeloi-
Lymphokin-aktivierten Killer-Zellen und stei- scher Leukämie, die sich in der ersten Remission
gert die Interferon-γ-Produktion. Es wird zur befinden.
Behandlung von Nierenzellkarzinomen einge- Die Halbwertszeit beträgt 0,75–1,5 Stunden,
setzt. die Dosierung zweimal täglich 0,5 mg. Zu be-
Interferon alfa-2a (Roferon®-A) und Inter- achten ist, dass die Substanz einige Minuten
feron alfa-2b (IntronA®) wirken als direkte In- nach IL-2 und an einer anderen Körperstelle als
hibitoren des Tumorzellwachstums. Außerdem dieses subkutan appliziert werden muss und die
wird die Immunantwort gegen den Tumor ge- Injektion langsam erfolgt, da bei zu schneller
steigert, indem natürliche Killerzellen aktiviert Gabe oder Applikation in ein Gefäß ausgeprägte
und Tumor-Antikörper produziert werden. Hypotonie, Tachykardie und Synkopen auftre-
Außer bei Hepatitis B und C werden die Interfe- ten können. Wechselwirkungen sind zu beach-
rone bei verschiedenen Leukämieformen, insbe- ten mit Arzneistoffen, die den Histamin-Stoff-
31.7 Photodynamische Therapie 563

wechsel beeinflussen (z. B. MAO-Hemmer und von Plattenepithelkarzinomen im Kopf- und


Malariamittel), ferner mit H1- und H2-Antihist- Halsbereich verwendet.
aminika sowie mit Arzneistoffen, die eine anti- Die Substanz wird in einer Dosierung von
histaminische Wirkkomponente besitzen (z. B. 0,15 mg/kg Körpergewicht infundiert. Nach ei-
Antipsychotika oder tricyclische Antidepressi- ner Wartezeit von 96 Stunden wird der Tumor-
va). bereich mit einem Laser der Wellenlänge 652 nm
Palifermin (Kepivance®) ist ein humaner, aus bestrahlt. Die dabei gebildeten hochreaktiven
140 Aminosäuren bestehender, rekombinant Sauerstoffspezies führen zu einer lokalen Apop-
hergestellter Keratinozyten-Wachstumsfaktor, toseinduktion und damit zu einer Reduktion
der sich von der endogenen Substanz durch das des Tumors. Während der Behandlung kann
Fehlen der ersten 23 Aminosäuren unterschei- eine unerwünschte Aktivierung von Temopor-
det. Es induziert die Proliferation und fördert fin auch durch Tageslicht erfolgen. Die Patien-
die Differenzierung von Epithelzellen durch ten müssen daher während der ersten 15 Tage
Bindung an Oberflächenrezeptoren, ferner wer- nach einer Temoporfin-Injektion Haut und Au-
den zytoprotektive Mechanismen des Wirkstoffs gen vor direktem Sonnenlicht und heller Raum-
diskutiert. Palifermin wird daher zur Verringe- beleuchtung schützen. Als Nebenwirkungen
rung von Häufigkeit, Dauer und Schweregrad können neben der generellen Photosensibilisie-
einer oralen Mukositis, die durch Strahlen- oder rung Schmerzen am Injektionsort sowie Dys-
Chemotherapie hervorgerufen wird, angewandt. phagie und Gesichtsödeme auftreten.
Die Halbwertszeit liegt bei 4,5 Stunden. Die Eine weitere zur photodynamischen Thera-
Dosierung beträgt 60 μg/kg und Tag i. v. als Bo- pie geeignete Substanz ist Methyl-5-amino-
lusinjektion an 3 Tagen vor und 3 Tage nach der 4-oxopentanoat (Metvix® Creme), der Methyl-
Chemo- bzw. Strahlentherapie. Als Nebenwir- ester der 5-Aminolävulinsäure, der zur Therapie
kungen werden Geschmacksirritationen sowie aktinischer Keratosen und von Basalzellkarzi-
Anschwellen oder Verfärbung der Zunge be- nomen eingesetzt wird. Die relativ selektive
schrieben. Wirkung an Tumorzellen im Vergleich zu nor-
malen Zellen ergibt sich aus der stärkeren An-
Sonstige. Koloniestimulierende Faktoren und
reicherung von 5-Aminolävulinsäure-Methyles-
ihr Einsatz zur Verkürzung einer Leukopenie im
ter im oberflächlich gelegenen entarteten Gewe-
Rahmen einer Tumorchemotherapie wurden in
be. Das Prodrug wird in der Haut zu 5-Aminolä-
Ⴉ Kap. 32.3.1, Mesna zur Verringerung der
vulinsäure, einem frühen Baustein der
Nebenwirkungen von Stickstofflost-Derivaten
Porphyrinsynthese, hydrolysiert. Im Rahmen
31
in Ⴉ Kap. 31.1.2.1, Dexrazoxan zur Reduktion
der Hämsynthese entsteht der sehr starke Pho-
der Kardiotoxizität von Anthracyclinen in
tosensibilisator Protoporphyrin IX. Seine Licht-
Ⴉ Kap. 31.1.5.1 beschrieben.
induzierte Anregung führt zur Bildung von re-
aktiven Sauerstoffspezies. Schäden, die zum
Zelltod durch Nekrose und/oder Apoptose füh-
31.7 Photodynamische Therapie ren, betreffen essentielle Zellstrukturen, z. B.
Membranen und Mikrotubuli. Zweimalige ok-
Unter einer photodynamischen Therapie ver- klusive Applikation der Creme auf die Läsionen
steht man die Behandlung mit einem Wirkstoff, und Bestrahlung mit Licht der Wellenlänge
der durch Licht lokal aktiviert wird. Temoporfin 570–670 nm (75 J/cm2) im Abstand von einer
(Foscan®), eine aus der Gruppe der Porphyrine Woche reduziert die Größe des veränderten
stammende Substanz, wird im Rahmen einer Areals. Als Nebenwirkungen treten Symptome
solchen Therapie zur palliativen Behandlung einer vorübergehenden lokalen phototoxischen
Reaktion (u. a. lokale Ödeme, Erytheme), ferner
564 31 Onkologika

gelegentlich Kopfschmerzen, Übelkeit, Augenir- (Reichweite ca. 5 mm) auf Ziel- und benachbar-
ritationen und Schwindel auf. te Zellen zytotoxisch. Um zu verhindern, dass
CD20-Strukturen auf normalen B-Zellen durch
Ibritumomab-Tiuxetan angegriffen werden und
31.8 Radioaktive Isotope damit der tumorspezifische Effekt abnimmt,
wird vor Behandlungsbeginn eine geringe Dosis
Die Therapie maligner Tumoren mit radioakti- von Rituximab gegeben, um die Bindungsstellen
ven Isotopen ist eine Variante der üblichen der nicht-tumoralen B-Zellen abzusättigen. Als
Strahlentherapie. Das Gewebe wird hierbei Nebenwirkungen treten insbesondere Fieber,
nicht von außen bestrahlt, sondern die Strah- Infektionen sowie Blutbildveränderungen auf.
lungsquelle wird in den Organismus einge-
bracht.
Radioaktiver Phosphor (32P, β-Strahler mit 31.9 Beispiele medikamentöser
einer Halbwertszeit von 14 Tagen) wird als Tumorbehandlungen
Phosphat zur Behandlung der Polyzythämie
verwendet. Vollremissionen, die mehrere Jahre 31.9.1 Mammakarzinom
anhalten, werden in einem hohen Prozentsatz Neben operativen und strahlentherapeutischen
der Fälle erreicht, doch treten bei längerer Be- Maßnahmen stehen für die Behandlung eines
handlung nicht selten Leukämien auf. Mammakarzinoms Chemo-, endokrine, und
Radioaktives Iod (131I, β- und γ-Strahler mit Antikörper-Therapie sowie die Kombination
einer Halbwertszeit von 8 Tagen) wurde unter bzw. Sequenz dieser Therapieformen zur Verfü-
Ⴉ Kap. 21.3.4.1 besprochen. gung. Durch dieses systemische Therapieregime
Radioaktives Radium (223Ra-Dichlorid, lassen sich Rezidivrate und Mortalität unabhän-
α-Strahler mit einer Halbwertszeit von 11 Ta- gig vom Lymphknoten-Status reduzieren. Dies
gen; Xofigo®) wird angewendet zur Behandlung gilt für die Chemotherapie insbesondere bei
von Erwachsenen mit kastrationsresistentem Gabe von Anthracyclinen und Taxanen, für die
Prostatakarzinom und symptomatischen Kno- Endokrintherapie mit Ovarialfunktions-
chenmetastasen ohne bekannte viszerale Meta- Hemmstoffen (GnRH-Analoga), Tamoxifen
stasen. Es imitiert Calcium und wird selektiv im und Aromatasehemmern sowie für den Anti-
Knochen, insbesondere in Bereichen von Kno- körper Trastuzumab. So kann beispielsweise
chenmetastasen eingelagert, indem es Komplexe mit alleiniger adjuvanter (s. u.) Anthracyclin-
mit Hydroxylapatit bildet. Die α-Teilchen haltiger Chemotherapie oder mit endokriner
(Reichweite ca. 100 μm) lösen in den angrenzen- Tamoxifen-Behandlung die kumulative 15-Jah-
den Zellen DNA-Doppelstrangbrüche aus, wo- res-Mortalitätsrate um jeweils etwa 30 % gesenkt
durch ein lokaler zytotoxischer Effekt erzielt werden. Noch wirksamer ist offensichtlich eine
wird. Wirkstoffkombination. Darüber hinaus belegen
In Ibritumomab-Tiuxetan (Zevalin®) ist ein die aktuellen Studien die hohe Effektivität einer
Radiotherapeutikum mit einem Antikörper zur adjuvanten Antikörpertherapie mit Trastu-
Kombinationsbehandlung von (CD20-positi- zumab (eventuell kombiniert mit Pertuzumab)
ven) Non-Hodgkin-Lymphomen und follikulä- bei Patientinnen mit HER2-überexprimieren-
ren Lymphomen. Der Wirkstoff enthält den den Tumoren. Bei bislang allerdings noch kur-
β-Strahler 90Yttrium, der mittels eines Chelators zer Nachbeobachtung wurde konsistent in allen
(Tiuxetan) stabil an einen anti-CD20-Antikör- Trastuzumab-Studien eine Reduktion der Rezi-
per (Ibritumomab) gebunden ist. Nach Bindung divrate um 50 % im Vergleich zur adjuvanten
des Antikörperanteils an die Zielstruktur auf Standardtherapie gezeigt. Deshalb sollte für jede
dem Lymphom wirkt die 90Yttrium-Strahlung Frau mit einem invasiven Mammakarzinom
31.9 Beispiele medikamentöser Tumorbehandlungen 565

eine an die individuelle Tumorbiologie ange- reicht werden können, sollte ganz darauf ver-
passte adjuvante systemische Therapie in Be- zichtet werden. Bei Frauen unter 40 Jahren liegt
tracht gezogen werden. das Risiko für eine Ovarialinsuffizienz nach ad-
Ist eine Chemotherapie indiziert, kann diese juvanter Chemotherapie je nach Art und Anzahl
vor der Operation (neoadjuvant) oder danach der Chemotherapie-Zyklen zwischen 10 % und
(adjuvant) durchgeführt werden. Beide Verfah- 80 %.
ren sind hinsichtlich des Gesamtüberlebens Bei Patientinnen mit Estrogen- und/oder
gleichwertig. Die Empfehlungen zur adjuvanten Progesteron-Rezeptor-positiven Tumoren ist
Therapie des Mammakarzinoms berücksichti- eine endokrine Behandlung indiziert. Diese soll
gen Tumorgröße, Lymphknotenstatus, Grading, allerdings erst nach Abschluss der Chemothera-
Hormonrezeptor-, HER2- sowie Menopausen- pie begonnen werden. Bei prämenopausalen
status und Alter als wichtigste Faktoren zur Ent- Patientinnen ist Tamoxifen das endokrine The-
scheidung über Notwendigkeit und Art der Be- rapeutikum der Wahl. Die antiestrogene Be-
handlung. Indikationen für ein solches Vorge- handlung mit 20 mg/Tag soll über eine Zeitdau-
hen bestehen bei nodal- und HER2-positiven er von 5 Jahren bzw. bis zum Rezidiv erfolgen.
Tumoren (Standard ist hier die simultane The- Bei der postmenopausalen Frau sind Aromata-
rapie mit Trastuzumab über die Dauer von 1 sehemmer Tamoxifen hinsichtlich des krank-
Jahr in Kombination mit einer adjuvanten Che- heitsfreien Überlebens überlegen. Es kommen
motherapie), endokrin nicht sensitiven Tumo- in diesen Fällen folgende endokrine Thera-
ren (Estrogen- und Progesteron-Rezeptor-nega- pieschemata zum Einsatz: 5 Jahre Tamoxifen
tiv), fraglich endokrin sensitiven Tumoren, oder 5 Jahre Aromatasehemmer; 2–3 Jahre Tam-
schlecht differenziertem Tumorgewebe (Gra- oxifen gefolgt von Aromatasehemmern bis zu
ding G3) und einem Erkrankungsalter < 35 Jah- einer Gesamttherapiedauer von 5 Jahren; 2–3
re. Dabei soll das Regime ein Taxan enthalten. Jahre Aromatasehemmer gefolgt von Tamoxifen
Eine Anthracyclin- und Taxan-haltige adjuvante bis zu einer Gesamttherapiedauer von 5 Jahren;
Standard-Chemotherapie dauert 18–24 Wochen 5 Jahre Tamoxifen gefolgt von 5 Jahren Aroma-
mit 6–8 Behandlungszyklen. Eine neoadjuvante tasehemmern.
Therapie wird als Standardbehandlung bei Pati- Eine primäre antiestrogene systemische
entinnen mit lokal fortgeschrittenen, primär Therapie stellt eine Option für postmenopausa-
inoperablen oder inflammatorischen Mamma- le Patientinnen mit rezeptorpositivem und
karzinomen im Rahmen eines multimodalen HER2-negativem Tumor dar, bei denen eine
Therapiekonzepts angesehen. Vorteilhaft ist da- Operation kontraindiziert ist oder abgelehnt
31
bei die höhere Rate an brusterhaltenden Opera- wird.
tionen. Außerdem erlaubt sie eine zuverlässige Bei Patientinnen mit metastasiertem Mam-
Beurteilung der Chemosensitivität des Tumors makarzinom ist bei Tumoren mit positivem
gegenüber den eingesetzten Wirkstoffen. Hormonrezeptorstatus die endokrine Therapie
Ältere Patientinnen profitieren ebenso wie die Therapie der Wahl. Bei prämenopausalen
jüngere von einer Chemotherapie, haben aber Patientinnen erfolgt die Ausschaltung der Ova-
ein erhöhtes Risiko für hämatologische Toxizität rialfunktion mit GnRH-Analoga oder es wird
und therapiebedingte Todesfälle. Die veränder- eine Ovarektomie in Kombination mit Tamoxi-
ten Organfunktionen im Alter und eventuell fen durchgeführt. Bei prä- und postmenopausa-
vorliegende Komorbiditäten sind bei der Indi- len Patientinnen, die HER2/neu überexprimie-
kationsstellung von adjuvanten Therapiemaß- ren, kann mit Trastuzumab bzw. Lapatinib
nahmen zu berücksichtigen. Ist bereits von sowohl in Monotherapie als auch durch zusätzli-
vornherein zu erwarten, dass adjuvante Chemo- che Kombination mit einem Chemotherapeuti-
therapeutika nicht in adäquater Dosis verab-
566 31 Onkologika

kum eine Verlängerung der Überlebenszeit er- rogenen ist lediglich für Bicalutamid 150 mg/
reicht werden. Tag die Äquieffektivität mit der Orchiektomie
nachgewiesen.
31.9.2 Prostatakarzinom Patienten mit symptomatischem metasta-
Im nichtmetastasierten Stadium sprechen initial siertem Prostatakarzinom ist ebenfalls eine me-
nahezu alle Adenokarzinome der Prostata auf dikamentöse oder operative Androgendepriva-
eine hormonablative Therapie an. Jedoch ist tion zu empfehlen. Der Patient soll hierbei über
der Nutzen einer Behandlung des lokal be- den palliativen Charakter der Therapie, ihren
grenzten Prostatakarzinoms mit primärer Hor- Einfluss auf die Lebensqualität und die mit einer
monablation durch keine Studie gesichert. Viel- Androgendeprivation verbundenen uner-
mehr ist für Patienten mit einem solchen Tumor wünschten Wirkungen sowie die Tatsache, dass
die radikale Prostatektomie die primäre Thera- eine Verlängerung des Gesamtüberlebens frag-
pieoption. lich ist, aufgeklärt werden. Hat sich ein Patient
Beim lokal fortgeschrittenen Prostatakarzi- mit metastasiertem, kastrationsresistentem
nom mit regionalen Lymphknotenmetastasen und progredientem Prostatakarzinom gegen
haben dagegen Patienten mit einer sofortigen ein abwartendes Verhalten und für die Umstel-
hormonablativen Therapie einen, wenn auch lung der Behandlung entschieden, soll eine der
nur geringen, signifikanten Vorteil bezüglich folgenden Optionen angeboten werden: die Be-
des Gesamtüberlebens. Prädiktive Faktoren handlung mit dem Androgensyntheseblocker
hierfür und für das Therapieansprechen sind die Abirateronacetat (Ⴉ Kap. 21.8.3.6) oder eine
PSA-Basiswerte und die PSA-Verdopplungszeit. Chemotherapie mit Docetaxel. Bei multiplen
Patienten mit einem Basis-PSA-Wert von über Knochenmetastasen im kastrationsresistenten
50 ng/ml haben ein hohes Risiko, am Prostata- Stadium kann das Radionuklid Radium-223 zur
karzinom zu versterben, und sollten sofort hor- Schmerztherapie eingesetzt werden. Diese The-
monablativ therapiert werden. Patienten mit ei- rapiemaßnahme führt bei Patienten in gutem
nem Basis-PSA-Wert von unter 8 ng/ml weisen Allgemeinzustand ohne Nachweis viszeraler
andererseits ein extrem niedriges Risiko auf, in- Metastasen eventuell auch zu einer Verlänge-
nerhalb von sieben Jahren einem Prostatakarzi- rung der Überlebenszeit. Zur Prävention von
nom zu erliegen. Bei Patienten mit einem Basis- Komplikationen durch Knochenmetastasen im
PSA-Wert zwischen 8 und 50 ng/ml ist die PSA- kastrationsresistenten Stadium soll der mono-
Verdopplungszeit ein bedeutsamer Prognose- klonale Antikörper Denosumab (Ⴉ Kap. 21.4.3.2)
faktor für das Letalitäts-Risiko: Bei einer oder als Bisphosphonat Zoledronat (Ⴉ Kap.
PSA-Verdopplungszeit von unter 12 Monaten ist 21.4.3.1) unter Aufklärung von Nutzen und
wiederum eine sofortige hormonablative Thera- Schaden angeboten werden.
pie indiziert. (Dies bedeutet, dass bei Patienten
mit einem Basis-PSA-Wert von unter 50 ng/ml 31.9.3 Kolonkarzinom
die ersten 2 Jahre nach Diagnosestellung zur Be- Voraussetzung für eine adjuvante Chemothera-
stimmung der PSA-Verdopplungszeit dienen pie beim Kolonkarzinom ist die R0-Resektion
sollten.) des Primärtumors bei Patienten mit einem
Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Lymphknoten-positiven Kolonkarzinom (Stadi-
Prostatakarzinom, die eine hormonablative um III), da im Stadium II ohne zusätzliche Risi-
Therapie erhalten sollen, können bilateral orchi- kofaktoren der absolute Nutzen einer adjuvan-
ektomiert oder mit dem Effekt einer chemischen ten Therapie nur zwischen 2–5 % liegt.
Kastration mit GnRH-Agonisten bzw. GnRH- Im Stadium III soll für die adjuvante Chemo-
Antagonisten oder mit einem geeigneten Anti- therapie in erster Linie eine Oxaliplatin-haltiges
androgen behandelt werden. Von den Antiand- Therapieregime eingesetzt werden, z. B.
31.9 Beispiele medikamentöser Tumorbehandlungen 567

FOLFOX4-Schema mit Folinsäure (200 mg/m2 bei dem Therapieregime Oxaliplatin plus 5-Flu-
Körperoberfläche als 2-h-Infusion an Tag 1 und orouracil/Folinsäure (21 versus 20 Monate).
2) und 5-Fluorouracil (400 mg/m2 als Bolus, da- Cetuximab kann seiner Zulassung entspre-
nach 600 mg/m2 als 22-h-Infusion an Tag 1 und chend in Kombination mit einer Irinotecan-hal-
2) in Kombination mit Oxaliplatin (85 mg/m2 tigen Therapie in der Erstlinienbehandlung des
als 2-h-Infusion an Tag 1); die Wiederholung er- metastasierten Kolonkarzinoms eingesetzt wer-
folgt an Tag 15: 1 Zyklus umfasst somit 2 Wo- den. Allerdings profitieren ausschließlich Pati-
chen, insgesamt werden 12 Zyklen verabreicht. enten mit Wildtyp-K-RAS exprimierenden Tu-
Eine adjuvante Therapie mit einem ähnlichen moren von dieser Therapie.
Protokoll unter Einbeziehung von Irinotecan In der Drittlinientherapie von Patienten mit
(FOLFIRI-Schema) statt Oxaliplatin ist auf Ba- metastasierten Tumoren, die ein Wildtyp-k-ras-
sis der vorliegenden Studiendaten als Erstlinien- Gen exprimieren und bei denen Fluoropyrimi-
therapie nicht zu empfehlen. Bei Kontraindika- din-, Oxaliplatin- und Irinotecan-haltige Che-
tionen gegen ein Oxaliplatin-haltiges Zytostati- motherapieregime versagt haben, kann eine Be-
ka-Regime ist dann eine Monotherapie mit Flu- handlung mit Panitumumab erfolgen.
oropyrimidinen durchzuführen. Dabei werden
orale (Capecitabin) den mittels Infusion zu ap- 31.9.4 Melanom
plizierenden (5-Fluorouracil) Fluoropyrimidi- Die einzige kurative Behandlung des hochgradig
nen vorgezogen, z. B. Capecitabin 2 × 1250 mg/ malignen Melanoms, der häufigsten tödlich ver-
m2 p. o. an den Tagen 1–14; alle 3 Wochen für 8 laufenden Hautkrankheit mit stark steigender
Zyklen. Inzidenz, ist die vollständige Exzision unter Ein-
Im Unterschied dazu zeigen Patienten mit ei- haltung eines Sicherheitsabstands in Abhängig-
ner Indikation für eine intensivierte systemi- keit von Tumordicke und nachgewiesenen Mi-
sche Therapie, z. B. bei Vorliegen von Leber- krometastasen.
oder Lungenmetastasen mit neoadjuvanter Be- Bei lokoregionalen Metastasen (Stadium II
handlungsintention oder bei primärer Inopera- und III) verlängert eine adjuvante Systemthera-
bilität, verbesserte Ansprechraten auf eine pie mit Interferon alfa-2a oder -2b bzw. ihren
Irinotecan-basierte gegenüber einer Oxalipla- pegylierten Derivaten das rezidivfreie und das
tin-basierten Chemotherapie. Patienten, die für Gesamtüberleben im Vergleich zu unbehandel-
ein Oxaliplatin-/Irinotecan-haltiges Protokoll ten Kontrollpatienten signifikant. Auch bei Pati-
nicht geeignet sind, können mit 5-Fluorouracil/ enten mit bis 2 cm vom Primärtumor entfernten
Folinsäure plus Bevacizumab behandelt wer- Satellitenmetastasen und im Verlauf der
31
den. Diese Kombination ist vor allem dann ge- Lymphgefäße bis zur regionären Abflussstation
eignet, wenn als Therapieziel eine Verlängerung auftretenden In-transit-Metastasen können
des progressionsfreien und des Gesamtüberle- noch lokale Verfahren angewandt werden.
bens bei guter Lebensqualität im Vordergrund Dazu gehört die intratumorale Therapie mit In-
steht (9,2 versus 5,5 Monate bei alleiniger Thera- terleukin 2 (Aldesleukin, 2–3 Applikationen/
pie mit 5-Fluorouracil/Folinsäure). Bei Hinzu- Woche über 2–57 Wochen mit 3–18 MIU/Ap-
nahme von Irinotecan in dieses Therapieregime plikation) als wirksame lokale Immuntherapie
wird eine Verlängerung des Gesamtüberlebens mit Ansprechraten von über 80 %. Ein weiterer
auf 20 Monate gegenüber 15 Monate mit Irino- Therapieansatz ist das Auslösen einer Kon-
tecan plus 5-Fluorouracil/Folinsäure, d. h. mit taktallergie und damit einer Immunreaktion
der Dreierkombination ohne Bevacicumab, er- durch 4-wöchige lokale Immuntherapie mit
reicht. Die zusätzliche Gabe von Bevacizumab Dinitrochlorbenzol oder Diphencypron. Die
verlängert jedoch nicht das Gesamtüberleben intratumorale Elektrochemotherapie mit Bleo-
mycin oder Cisplatin, eine Kombinationsthera-
568 31 Onkologika

pie aus einer lokalen Therapie mit Bleomycin und beträgt letztendlich nur 5–7 Monate. Für
oder Cisplatin und elektrischen Impulsen mit- Melanompatienten mit BRAF-Wildtyp sind
hilfe eines intraläsionalen Applikators, hat sich BRAF-Inhibitoren kontraindiziert. Bei 5 % der
ebenso als effektive und verträgliche Therapie- Melanome (gehäuft bei akral-lentiginösen und
option von In-transit-Metastasen erwiesen. Schleimhautmelanomen) findet sich statt einer
Durch die elektrischen Impulse werden die Zell- BRAF-Mutation eine aktivierende c-kit-Mutati-
membranen für Chemotherapeutika durchläs- on, die mit Imatinib (400 mg/d, Ⴉ Kap. 31.3.1)
sig, was deren erhöhte Aufnahme in die Tumor- behandelt werden kann.
zellen bewirkt. In 80 % der Fälle werden Kom- Bei nicht resezierbarem oder metastasiertem
plettremissionen beschrieben. Schließlich ste- Melanom des Stadiums III bis IV besteht auch
hen die lokale und die regionale Chemotherapie die Option einer Immuntherapie. So ergibt sich
als isolierte Extremitätenperfusion zur Verfü- mit dem CTLA-4-inhibierenden Antikörper
gung. Eine prinzipielle Überlegenheit des einen (Ⴉ Kap. 31.2.3) Ipilimumab gegenüber der Kont-
gegenüber den anderen lokalen Verfahren ist rollgruppe eine signifikante Verlängerung des
nicht erwiesen. Der Einsatz hängt von patien- medianen Gesamtüberlebens von 6,5 auf 10 Mo-
tenindividuellen Faktoren ab. nate. Es werden vier Zyklen mit Ipilimumab
Bei der Therapie des fernmetastasierten Me- (3 mg/kg Körpergewicht alle drei Wochen) emp-
lanoms (Stadium IIIC–IV) kommen zuneh- fohlen. Da das Ansprechen auf Ipilimumab mit
mend Arzneistoffe, die mutierte Onkogene ge- bis zu drei Monaten verzögert eintreten kann,
zielt inhibieren, zum Einsatz. Voraussetzung soll die Beurteilung des Tumoransprechens auf
dafür ist der vorherige molekularbiologische Ipilimumab erst nach Abschluss der vier Appli-
Nachweis einer entsprechenden Mutation. Bei kationen erfolgen. Eine Erstlinientherapie mit
50 % der Primärmelanome ist das Onkogen dem Checkpoint-Inhibitor Nivolumab (3 mg/kg
BRAF mutiert (BRAFV600E, Austausch von Valin Körpergewicht alle zwei Wochen, so lange ein
durch Glutamat an Aminosäureposition 600). klinischer Nutzen besteht) ist wirksamer als eine
Diese Mutation ist für die Entwicklung und Pro- Monotherapie mit Ipilimumab. In ersten klini-
gression des Melanoms von großer Bedeutung. schen Studien erzielte Nivolumab ein medianes
Eine Behandlung mit dem BRAF-Inhibitor Gesamtüberleben von 16,8 Monaten mit 1- und
Vemurafenib (960 mg p. o. zweimal täglich) 2-Jahresüberlebensraten von 62 % bzw. 43 %.
zeigt bei 50 % der Patienten ein klinisches An- Darüber hinaus liegen valide Studiendaten vor,
sprechen auf die Therapie (im Vergleich zu 5 % dass die Kombinationstherapie von Nivolumab
unter einer Behandlung mit Dacarbazin, und Ipilimumab eine höhere Wirksamkeit auf
1000 mg/m2 Körperoberfläche alle 3 Wochen, das progressionsfreie Überleben sowie das Ge-
s. u.). Weiterhin führt Vemurafenib zu einer sig- samtüberleben aufweist als eine Ipilimumab-
nifikanten Verbesserung der Überlebensraten Monotherapie. Als weiterer Checkpoint-Inhibi-
nach 6 Monaten (85 %) im Vergleich zu Dacarb- tor steht Pembrolizumab (2 mg/kg Körperge-
azin (64 %). Ähnlich wirksam im Vergleich zu wicht alle drei Wochen bis zum Fortschreiten
Dacarbazin erweist sich der BRAF-Inhibitor der Erkrankung, Ⴉ Kap. 32.4.6) für die Monothe-
Dabrafenib, dessen Wirkung durch Kombinati- rapie des nicht resezierbaren Melanoms zur Ver-
on mit dem MEK-Inhibitor (Ⴉ Kap. 31.3.7) Tra- fügung. Für die letztgenannten beiden Check-
metinib noch weiter gesteigert werden kann. point-Inhibitoren besteht im Gegensatz zur Be-
Insbesondere Melanompatienten mit hoher Tu- handlung mit Kinase-Inhibitoren insbesondere
morlast profitieren von der Behandlung mit ei- beim BRAF-Wildtyp sowie beim Ipilimumab-
nem der beiden BRAF-Inhibitoren. Die Dauer refraktären Melanom ein hoher Zusatznutzen.
des Ansprechens ist jedoch aufgrund der Ent- Alternativ zu einer Immuntherapie kann
wicklung von Resistenzmechanismen begrenzt dem Melanompatienten mit nicht resezierbaren
31.9 Beispiele medikamentöser Tumorbehandlungen 569

Metastasen auch die lange etablierte systemische sucht. Für keine der Substanzen konnte im Ver-
Monochemotherapie mit Dacarbazin angeboten gleich zu Darcabazin eine signifikante Verlänge-
werden. Dieses bislang am häufigsten bei meta- rung der Überlebenszeit beim metastasierten
stasierten Melanomen verwendete Zytostati- Melanom gezeigt werden. Polychemotherapien
kum (Ⴉ Kap. 31.1.2.4) gilt als Referenztherapeu- liefern zwar höhere Ansprechraten, jedoch ver-
tikum in vielen Studien. Darüber hinaus wurden längert sich das mediane Gesamtüberleben bei
die Chemotherapeutika Temozolomid, Carbo- keiner der getesteten Kombinationen signifi-
platin, Cisplatin, Paclitaxel, Vindesin, Detorubi- kant.
cin und Fotemustin als Einzelsubstanzen unter-

31
570 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

32 Immunologisch wirkende Pharmaka

32.1 Überblick über die grampositiver Bakterien (z. B. Staphylokokken,


Immunabwehr Streptokokken) spaltet.
Das Wirkungsspektrum der Zytokine wird in
Zur Abwehr potenziell schädlicher Stoffe, Mik- Ⴉ Kap. 32.3.1 behandelt.
roorganismen oder anderer Krankheitserreger Akute-Phase-Proteine („Anti-Entzündungs-
stehen dem Organismus unspezifische (angebo- proteine“) bauen u. a. Lipide zerstörter Zellen ab
rene) und spezifische (adaptive) humorale und (z. B. das C-reaktive Protein) oder wirken als
zelluläre Abwehrmechanismen zur Verfügung Proteinase-Inhibitoren (z. B. α1-Antitrypsin).
(႒ Tab. 32.1). Letztere verhindern eine überschießende und
damit lebensbedrohliche Aktivierung des Kom-
Unspezifische humorale Abwehr. Hierzu gehö-
plement-, Gerinnungs- und Fibrinolysesystems
ren das Komplementsystem, Lysozym, be-
durch Proteasen der Granulozyten.
stimmte Zytokine und die Akute-Phase-Pro-
teine.
Die biologischen Wirkungen des Komplement-
႒ Tab. 32.1 Übersicht über die unspezifischen
systems bestehen in der Erregerabwehr und der und spezifischen Abwehrmechanismen des
Auslösung einer lokalen Entzündung. Es besteht Immunsystems
aus mehr als 30 aktivierbaren Glykoproteinen,
die vor allem von Leberzellen, Makrophagen Humorale Abwehr Zelluläre Abwehr

und Lymphozyten synthetisiert werden. Nach Unspezifisch


Aktivierung durch Antigen-Antikörper-Kom-
plexe („klassischer Weg“) oder durch Oberflä- 󠀂 Komplementsys- 󠀂 Makrophagen,
chenstrukturen von Bakterien, Viren, Pilzen tem, 󠀂 Granulozyten,
oder Protozoen („alternativer Weg“) reagieren 󠀂 Lysozym, 󠀂 natürliche Killerzel-
󠀂 Zytokine, len (NK-Zellen)
die einzelnen Komponenten des Systems in ei-
󠀂 Akute-Phase-
ner festgelegten Reihenfolge miteinander. Beide
Proteine
Aktivierungswege münden in eine gemeinsame
Endstrecke und führen zur Perforation der Zell- Spezifisch
wand mit anschließender Zelllyse.
󠀂 B-Lymphozyten 󠀂 T-Lymphozyten
In ähnlicher Weise wie das Komplementsys-
(→ Plasmazellen, (CD4-, CD8-T-Zellen)
tem wirkt Lysozym, das beim Zerfall phagozy-
Antikörperbildung)
tierender Zellen frei wird und Wandstrukturen
32.1 Überblick über die Immunabwehr 571

Unspezifische zelluläre Abwehr. Für die unspe- können dadurch mit einem spezifischen Anti-
zifische zelluläre Abwehr sind sog. Phagozyten gen reagieren. Nach Antigenkontakt differen-
(vor allem Makrophagen und Granulozyten) zieren und proliferieren sie zu Plasmazellen, die
und natürliche Killerzellen (NK-Zellen) ver- schließlich die spezifischen Antikörper produ-
antwortlich. zieren. Neben den Plasmazellen werden auch
Makrophagen sind zusätzlich als antigen- sog. Gedächtniszellen gebildet, die ebenfalls im
präsentierende Zellen (APZ) wesentlich an der Blut zirkulieren und ein Antigen bei erneuter
spezifischen Immunantwort (s. u.), an allergi- Exposition unter Umständen noch nach Jahren
schen Reaktionen sowie an der Transplantatab- wieder erkennen. Sie sind dafür verantwortlich,
stoßung und Elimination von Tumorzellen be- dass Wiederbegegnungen mit dem gleichen An-
teiligt. Weiterhin synthetisieren sie u. a. ver- tigen anders verlaufen als Erstbegegnungen, da
schiedene Enzyme (z. B. Cyclooxygenase-2), ei- nunmehr schnell eine große Zahl von Plasma-
nige Komplementfaktoren und viele Zytokine. zellen gebildet wird, die dann in größerem Aus-
Eine wichtige Rolle bei der unspezifischen maß humorale Antikörper produzieren. Eine
Abwehr spielen die sog. Toll-like-Rezeptoren Plasmazelle ist in der Lage, pro Sekunde etwa
(TLR), die auf der Zelloberfläche von Makro- 2000 identische Antikörpermoleküle zu synthe-
phagen und Granulozyten oder in Endosomen tisieren.
exprimiert werden. Sie erkennen bestimmte Be- Antikörper, die auch als Immunglobuline
standteile von Bakterien oder Viren (TLR4 z. B. (Ig) bezeichnet werden, sind symmetrische Gly-
bakterielle Lipopolysaccharide), wodurch intra- koproteine. Sie bestehen aus jeweils zwei identi-
zelluläre Signalkaskaden ausgelöst werden, die schen leichten (L-Ketten, L = „light chain“) und
zur unspezifischen Abwehr dieser Krankheits- schweren Peptidketten (H-Ketten, h = „heavy
erreger führen. Derzeit unterscheidet man 10 chain“), die durch Disulfidbrücken miteinander
verschiedene humane Toll-like-Rezeptoren verbunden sind. Zwischen der L- und H-Kette
(TLR1–TLR10). Ein Arzneistoff, der in dieses liegt die Antigenbindungsstelle. Dieser Mole-
System eingreift, ist Imiquimod (z. B. Aldara®). külbezirk wird deshalb Fab-Stück (Antigen-
Es ist ein Agonist an TLR7 und TLR8 und wird bindendes Fragment) genannt. Verglichen mit
zur äußerlichen Behandlung von Condylomata dem Fab-Stück sind die Aminosäuresequenzen
acuminata (Feigwarzen) und kleiner superfizi- der Enden der H-Ketten wesentlich konstanter,
eller Basalzellkarzinome eingesetzt. was in der Bezeichnung Fc-Stück (c = constant)
Natürliche Killerzellen sind große granulier- zum Ausdruck kommt. Aufgrund struktureller
te Lymphozyten, die insbesondere Virus-infi- Unterschiede in den H-Ketten können die Anti-
zierte Zellen und Tumorzellen zerstören. Im Ge- körper in fünf Klassen (IgG, IgA, IgM, IgD und
gensatz zu den anderen Lymphozyten besitzen IgE) unterteilt werden. 32
sie auf ihrer Oberfläche keine Antigen-Rezep- Immunglobulin G (IgG) kann als Prototyp
toren. der Immunglobuline angesehen werden. Es ist
beim Menschen das einzige Immunglobulin, das
Spezifische humorale Abwehr. Empfindet der
Membranen passieren kann (mittels aktiven
Körper eine resorbierte oder parenteral zuge-
Transports). Deshalb gelangt es auch durch die
führte Substanz als fremd (antigen), bildet er da-
Plazenta in den Kreislauf des ungeborenen Kin-
gegen Abwehrstoffe (Antikörper). Das Ergebnis
des und trägt dort zur Ausschaltung von Mikro-
ist ein sog. Antigen-Antikörper-Komplex (Im-
organismen bei.
munkomplex).
Immunglobulin A (IgA) ist auf Abwehrvor-
Hierbei spielen B-Lymphozyten eine zentrale
gänge an den Schleimhautoberflächen des Or-
Rolle, die im Knochenmark (bone marrow) ihre
ganismus spezialisiert. Es hat die Aufgabe, die
Prägung erhalten. Sie weisen bestimmte Ober-
Anlagerung und das Eindringen von Erregern
flächenmerkmale (B-Zell-Rezeptoren) auf und
in Schleimhäute zu verhindern. Immunglobu-
572 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

lin A wird in der Muttermilch gefunden, sodass 󠀂 HLA-Moleküle der Klasse II (MHC-Klasse
Neugeborene durch Stillen am immunologi- II) werden dagegen nur von antigenpräsen-
schen Schutz der Mutter partizipieren. tierenden Zellen gebildet.
Immunglobulin M (IgM) sind die größten
HLA-Moleküle vermitteln insbesondere dem
Antikörper. Sie treten bei Erst-Immunisierun-
Immunsystem die Information „selbst“ bzw.
gen immer zuerst auf („Sofort-Antikörper“).
„nicht-selbst“ und spielen daher bei der Absto-
Ihre Konzentration sinkt aber schnell wieder auf
ßung körperfremder Zellen (Transplantatab-
niedrige Werte ab, während die IgG-Konzen-
stoßung) eine entscheidende Rolle. Trägt eine
tration noch steigt.
körperfremde oder virusinfizierte Zelle bzw.
Immunglobulin D (IgD) kommt nicht nur
eine Tumorzelle ein Antigen, kombiniert mit ei-
im Serum vor, sondern ist wie auch IgM an
nem MHC-Klasse-I-Komplex, so wird sie von
Membranen reifer B-Lymphozyten gebunden.
sog. CD8-T-Lymphozyten (CD = cluster of dif-
Immunglobulin E (IgE, Reagin) ist an der
ferentiation) erkannt, die CD8-Moleküle als
Immunantwort auf Parasitenbefall, insbesonde-
charakteristische Oberflächenstrukturen auf-
re bei Wurmerkrankungen, beteiligt. Mastzellen
weisen. Zu diesem Zelltyp gehören die zytotoxi-
und basophile Granulozyten haben auf ihrer
schen T-Zellen (Killer-T-Zellen), die nach Bin-
Oberfläche Rezeptoren für das Fc-Fragment von
dung an die Zielzelle und Stimulation durch Zy-
IgE (daher die Bezeichnung „zytophiler Anti-
tokine aus den T-Helferzellen die Zielzelle lysie-
körper“). Die Interaktion von zellständigem IgE
ren oder sie zur Apoptose zwingen. Eine andere
mit dem entsprechenden Antigen kann allergi-
Subpopulation von T-Lymphozyten weist spezi-
sche Reaktionen vom Soforttyp auslösen.
fische CD4-Moleküle als Oberflächenstruktu-
Spezifische zelluläre Abwehr. Die T-Lympho- ren auf (CD4-T-Lymphozyten). Diese Zellen
zyten, die ihre immunologische Prägung im erkennen Antigene nur in Kombination mit
Thymus erhalten, sind für spezifische zelluläre MHC-Klasse-II-Molekülen. Diese Antigenprä-
Abwehrmechanismen verantwortlich. Wie die sentation führt zur klonalen Expansion und Dif-
B-Lymphozyten besitzen die T-Lymphozyten an ferenzierung der CD4-T-Lymphozyten in sog.
ihrer Oberfläche strukturspezifische Rezepto- T-Helfer-(TH-)Zellen. TH1-Zellen aktivieren
ren, sog. T-Zell-Rezeptoren, die Antigene an bevorzugt Makrophagen, TH2-Zellen vorwie-
Zelloberflächen binden können. Die von den gend B-Lymphozyten. TH1-Zellen bilden Inter-
Makrophagen bzw. dendritischen Zellen phago- leukin-2 (IL-2), welches das Wachstum und die
zytierten und zu Fragmenten von ca. 8–9 Differenzierung von zytotoxischen CD8-T-
Aminosäuren prozessierten Antigene werden Lymphozyten stimuliert, sowie γ-Interferon und
den T-Lymphozyten in einer immunogenen Tumornekrosefaktor-β (TNF-β), die insbeson-
Form präsentiert. Makrophagen und dendriti- dere Makrophagen aktivieren. TH2-Zellen pro-
sche Zellen werden deshalb als antigenpräsen- duzieren vor allem IL-4 und IL-10, die für die
tierende Zellen (APZ) bezeichnet. Aktivierung von B-Zellen und deren Differen-
Die Präsentation von Antigenen bedarf der zierung zu Plasmazellen und damit für die Anti-
Hilfe der humanen Leukozytenantigene (HLA), körperbildung wichtig sind.
die erstmals im Rahmen von Unverträglich-
keitsreaktionen auf Leukozyten gefunden wur-
den. Man unterscheidet zwei Untergruppen:
32.2 Immunisierung, Impfung
󠀂 HLA-Moleküle der Klasse I, die auch als (Vakzination)
MHC-Klasse-I-Moleküle (major histocom-
patibility complex) bezeichnet werden, kom- Gegen zahlreiche Infektionskrankheiten wird
men auf den Oberflächen aller kernhaltigen bei der Ersterkrankung eine Immunität aufge-
Zellen vor, baut, die z. T. lebenslänglich bestehen bleibt. Im-
32.2 Immunisierung, Impfung (Vakzination) 573

munität kann aber auch durch Zufuhr von un- rung geimpft wurde. Nur ein hoher Durchimp-
schädlichen Antigenen bzw. Antigen-Produzen- fungsgrad ermöglicht den Abbruch von Infekti-
ten (aktive Immunisierung) oder von Antikör- onsketten.
pern (passive Immunisierung) vermittelt
Impfstoffarten. Nach der Art der verwendeten
werden.
Antigene unterscheidet man
Bei einer Simultanimpfung wird gleichzeitig
eine aktive und passive Immunisierung durch- 󠀂 Impfstoffe mit attenuierten, d. h. abge-
geführt. schwächten (vermehrungsfähigen, apathoge-
nen oder avirulenten) Erregern (Lebend-
32.2.1 Aktive Immunisierung Impfstoffe),
(Aktivimpfung) 󠀂 Impfstoffe mit inaktivierten Erregern bzw.
Bei der aktiven Immunisierung löst das im deren isolierten Antigenen (Tot-Impfstoffe)
Impfstoff enthaltene Antigen die Bildung von und
Antikörpern aus, die dem Organismus eine spe- 󠀂 Toxoid-Impfstoffe mit entgiftetem Toxin.
zifische Immunität gegen dieses Antigen verlei-
Lebend-Impfstoffe sind die Impfstoffe gegen
hen. Der auf diese Weise erworbene Schutz
Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen,
bleibt z. T. jahre- bis lebenslang bestehen. Vor-
Rotaviren und Typhus (orale Applikation).
aussetzung für eine sinnvolle Aktivimpfung ist,
Zu den Tot-Impfstoffen gehören als Zube-
dass der Impfstoff genügend Antigen enthält, im
reitungen inaktivierter (nicht mehr vermeh-
Gegensatz zu der entsprechenden Erkrankung
rungsfähiger) Viren der Frühsommer-Menin-
jedoch das Allgemeinbefinden möglichst nicht
goenzephalitis-(FSME-)Impfstoff, Japanische-
beeinträchtigt. Bei den Aktivimpfungen unter-
Enzephalitis-Virus-Impfstoff, Grippe-Impfstoff,
scheidet man Standardimpfungen (Routineimp-
Hepatitis-A-Impfstoff, Poliomyelitis-Impfstoff
fungen) und Indikationsimpfungen.
sowie der Tollwut-Impfstoff bzw. als Zuberei-
Standardimpfungen bieten einen guten
tungen abgetöteter Bakterien der Cholera-Impf-
Schutz gegen gefährliche und weitverbreitete In-
stoff.
fektionskrankheiten. Sie sind von der Ständigen
Zur Immunisierung mit isolierten Antige-
Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-In-
nen werden eingesetzt der Haemophilus-influ-
stitut empfohlen und sollten bei jedem durchge-
enzae-b-, Pertussis-, Typhus- (intramuskuläre
führt werden (s. aktueller Impfkalender,
Applikation), Pneumokokken-, Meningokok-
Ⴜ Abb. 32.1). Eine Ausnahme bilden Lebend-
ken-, Hepatitis-B- und Humane-Papillomvirus-
Impfstoffe (s. u.), die bei immunsupprimierten
Impfstoff.
Personen kontraindiziert sein können.
Toxoid-Impfstoffe sind der Diphtherie- und
Von den Standardimpfungen abzugrenzen
Tetanus-Impfstoff. 32
sind die Indikationsimpfungen (z. B. Reiseimp-
Impfstoffe werden heute hauptsächlich aus
fungen), die bei Risikogruppen mit individuell
gentechnologisch gewonnenen Antigenen (z. B.
erhöhtem Expositions-, Erkrankungs- oder
Hepatitis-B-Impfung) oder aus in Zellkulturen
Komplikationsrisiko sowie auch zum Schutz
gezüchteten Viren hergestellt. Auf humanen di-
Dritter durchgeführt werden.
ploiden Zellen werden z. B. Hepatitis-A-Viren
Die Grundimmunisierung dient zum Auf-
vermehrt (HDC-Impfstoffe), auf Hühnerem-
bau eines ausreichenden Impfschutzes. Hierzu
bryonen z. B. der FSME-, Gelbfieber- und Grip-
sind häufig mehrere Impfungen im Abstand von
pe-Impfstoff gewonnen.
einigen Wochen (Ⴜ Abb. 32.1) erforderlich. Mit
einer Auffrischimpfung kann ein abgefallener Verbesserung der Immunantwort. Durch Bin-
Antikörpertiter wieder auf das erforderliche Ni- dung des Antigens an bestimmte Trägerstoffe
veau angehoben werden. Der Durchimpfungs- und durch orale Applikation eines Impfstoffs
grad besagt, welcher Prozentsatz der Bevölke- kann die Immunantwort verbessert werden.
574

Impfung Alter in Wochen Alter in Monaten Alter in Jahren


6 2 3 4 11–14 15–23 2–4 5–6 9–14 15–17 ab 18 ab 60
Tetanus G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (ggf. N)e
Diphtherie G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (ggf. N)e
Pertussis G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (ggf. N)e
Hib G1 G2 G3 G4 N N
H. influenzae Typ b
Poliomyelitis G1 G2C G3 G4 N N A1 ggf. N
C
Hepatitis B G1 G2 G3 G4 N N
32 Immunologisch wirkende Pharmaka

a
Pneumokokken G1 G2 G3 N Sg
Rotaviren G1b G2 (G3)
Meningokokken C G1 (ab 12 Mon.) N
Masern G1 G2 N Sf
Mumps, Röteln G1 G2 N
Varizellen G1 G2 N
Influenza S (jährlich)
d d d
HPV G1 G2 N
Humane

Nach Epidemiologisches Bulletin Nr. 34, 2015, www.rki.de/impfkalender


Papillomviren

Erläuterungen a Frühgeborene erhalten eine zusätzliche Impfstoffdosis im Alter von 3 Monaten, d. h. insgesamt 4 Dosen.
G Grundimmunisierung b Die 1. Impfung sollte bereits ab dem Alter von 6 Wochen erfolgen, je nach verwendetem Impfstoff sind
(in bis zu 4 Teilimpfungen G1–G4) 2 bzw. 3 Dosen im Abstand von mindestens 4 Wochen erforderlich.
A Auffrischimpfung c Bei Anwendung eines monovalenten Impfstoffs kann diese Dosis entfallen.
S Standardimpfung d Standardimpfung für Mädchen im Alter von 9–13 bzw. 9–14 Jahren (je nach verwendetem Impfstoff) mit
N Nachholimpfung 2 Dosen im Abstand von 6 Monaten, bei Nachholimpfung im Alter >13 bzw. >14 Jahren oder bei einem Impf-
(Grundimmunisierung aller noch abstand von <6 Monaten zwischen 1. und 2. Dosis ist eine 3. Dosis erforderlich (Fachinformation beachten).
nicht Geimpften bzw. Komplettie- e Td-Auffrischimpfung alle 10 Jahre. Die nächste fällige Td-Impfung einmalig als Tdap- bzw. bei entsprechen-
rung einer unvollständigen Impfserie) der Indikation als Tdap-IPV-Kombinationsimpfung.
f Einmalige Impfung für alle nach 1970 geborenen Personen ≥18 Jahren mit unklarem Impfstatus, ohne Imp-
fung oder mit nur einer Impfung in der Kindheit, mit einem MMR-Impfstoff.

Ⴜ Abb. 32.1 Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
g Einmalige Impfung mit Polysaccharid-Impfstoff.
32.2 Immunisierung, Impfung (Vakzination) 575

Während Fluid-Impfstoffe keine zusätzlichen ႒ Tab. 32.2 Mehrfach-Impfstoffe (Auswahl)


Hilfsstoffe enthalten, ist bei einem Adsorbat-
Impfung gegen Handelspräparat
Impfstoff das Antigen an ein Adsorptionsmittel,
z. B. Aluminiumhydroxid, adsorbiert (z. B. Diphtherie, Tetanus Td-Impfstoff Mérieux®,
FSME-, Diphtherie-, Tetanus- und Hepatitis-B- Td-pur®, Td-RIX®
Impfstoff). Durch die verzögerte Abgabe des
Diphtherie, Tetanus, Boostrix®, Infanrix®
Antigens wird eine verstärkte Antikörperbil-
Pertussis
dung erreicht.
Ein guter Schutz gegen fäkal-oral übertrage- Diphtherie, Tetanus, Revaxis®
ne Erreger entsteht insbesondere durch die ora- Poliomyelitis
le Verabreichung attenuierter Erreger. Im Ge-
Diphtherie, Tetanus, Boostrix® Polio,
gensatz zur parenteralen Applikation tragen
Pertussis, Poliomyelitis Repevax®
dann nämlich nicht nur Serum-Antikörper,
sondern auch Sekret-Antikörper (IgA) zum Diphtherie, Tetanus, Infanrix®-IPV + Hib,
Impfschutz bei. (Dieses Prinzip wurde erstmals Pertussis, Poliomyelitis, Pentavac®
von Sabin bei der – heute nicht mehr üblichen – Haemophilus-influen-
Polio-Schluckimpfung realisiert.) zae-Typ-b

Nebenwirkungen. Relativ häufig können an der Diphtherie, Tetanus, Infanrix hexa®


Injektionsstelle Rötung, Schwellung und Druck- Pertussis, Poliomyelitis,
empfindlichkeit sowie Kopfschmerzen, Müdig- Haemophilus-influen-
zae-Typ-b, Hepatitis B
keit, Magen-Darm-Beschwerden und leichtes
Fieber auftreten. Schwerwiegende Impfreaktio- Masern, Mumps, Röteln M-M-RvaxPro®,
nen sind – insbesondere bei den Standardimp- Priorix®
fungen – selten.
Masern, Mumps, Priorix-Tetra®
Impfschemata. Um die Zahl der Impftermine Röteln, Varizellen
zu reduzieren, wurden Kombinations-Impf-
stoffe (Mehrfach-Impfstoffe; ႒ Tab. 32.2) entwi- Hepatitis A, Typhus Hepatyrix®, Viatim®

ckelt, bei denen gewährleistet ist, dass keine un- Hepatitis A, Hepatitis B Twinrix™ Erwachsene,
günstige gegenseitige Beeinflussung der einzel- Twinrix™ Kinder
nen Antigenkomponenten erfolgt.
Während bei Schutzimpfungen mit Tot- und
Toxoid-Impfstoffen keine Mindestwartezeiten hydroxid adsorbierten Diphtherie-Formol-
erforderlich sind, bis eine andere Impfung vor- Toxoid. 32
genommen werden kann, soll bei Lebend-Impf- 󠀂 Tetanus-(Wundstarrkrampf-)Impfung mit
stoffen, sofern diese nicht simultan verabreicht einem ebenfalls mit Formaldehyd behandel-
werden, ein Zeitraum von einem Monat bis zur ten und an Aluminiumhydroxid adsorbierten
nächsten Impfung nicht unterschritten werden. Tetanustoxin (Tetanus-Formol-Toxoid).
󠀂 Pertussis-(Keuchhusten-)Impfung mit ad-
sorbierten inaktivierten azellulären Pertus-
32.2.1.1 Standardimpfungen
sis-Fraktionen und Pertussis-Toxoid.
Folgende Impfungen zählen, wie oben erwähnt
󠀂 Haemophilus-influenzae-b-Impfung mit
(Ⴜ Abb. 32.1), zu den Standardimpfungen:
dem Kapsel-Polysaccharid des Erregers, das
󠀂 Diphtherie-Impfung mit einem mit Form- an ein Trägerprotein gebunden ist.
aldehyd behandelten und an Aluminium- 󠀂 Poliomyelitis-(Kinderlähmung-)Impfung
mit inaktivierten Viren (parenterale Applika-
576 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

tion, Salk-Impfstoff). Der Lebend-Impfstoff 󠀂 Varizellen-Impfung, die meist als Kombina-


nach Sabin, der oral verabreicht wird tionsimpfung mit der ersten MMR-Impfung
(Schluckimpfung), wird wegen des – wenn durchgeführt wird.
auch sehr geringen – Risikos einer Vakzine- 󠀂 HPV-(Humanes-Papillomvirus-)Impfung,
assoziierten paralytischen Poliomyelitis die der Reduktion des Gebärmutterhals-
(VAPP) heute nicht mehr empfohlen. krebsrisikos (HPV-Typen 16 und 18) dient
󠀂 Masern-Impfung, die mit Masern-Lebend- oder zur Prävention von hochgradigen Dys-
Impfstoff als Kombinationsimpfung Masern/ plasien der Zervix, Zervixkarzinomen, hoch-
Mumps/Röteln (MMR) verabreicht wird. gradigen dysplastischen Läsionen der Vulva
󠀂 Mumps-Impfung, die nur noch als Kombi- sowie von äußeren Genitalwarzen (Condylo-
nationsimpfung z. B. Masern/Mumps/Röteln mata acuminata) appliziert wird (Typen 6,
durchgeführt wird. 11, 16 und 18 des HPV).
󠀂 Röteln-Impfung, die deshalb wichtig ist, 󠀂 Grippe-(Influenza-)Impfung, die mit den je-
weil, falls eine Schwangere in den ersten Mo- weiligen aktuellen inaktivierten Grippeviren
naten der Schwangerschaft an Röteln er- jedes Jahr durchgeführt wird.
krankt, beim Embryo die Gefahr einer Em-
bryopathie mit Innenohrtaubheit, Sehstö- 32.2.1.2 Indikationsimpfungen
rungen, Herzfehlern u. a. besteht. Sie wird Indikationsimpfungen sind laut STIKO bei Risi-
nur noch als Kombinationsimpfung Masern/ kogruppen vorzunehmen, die ein erhöhtes Ex-
Mumps/Röteln durchgeführt. positions- (z. B. beruflich), Erkrankungs- oder
󠀂 Hepatitis-B-Impfung mit einem Impfstoff, Komplikationsrisiko für die jeweilige Infektion
der das Oberflächenantigen (HBsAg) des aufweisen (→ www.rki.de). Reiseimpfungen
Hepatitis-B-Virus enthält und gentechnolo- werden für Personen empfohlen, die in Länder
gisch hergestellt wird. mit einer hohen Prävalenz der jeweiligen Infek-
󠀂 Pneumokokken-Impfung, die bei Säuglin- tion reisen.
gen und Kleinkindern bis zum vollendeten 2.
Hepatitis-A-Impfung. Die Übertragung einer
Lebensjahr mit einem siebenvalenten Konju-
Hepatitis A erfolgt fäkal-oral. Kontaminierte
gatimpfstoff durchgeführt wird. Kinder nach
Speisen sowie unzureichende hygienische Ver-
dem 2. Lebensjahr, Jugendliche und Erwach-
hältnisse (bei Ferntourismus) stellen Hauptin-
sene erhalten einen Polysaccharid-Impfstoff,
fektionsquellen dar. In Industrienationen sind
der gereinigte Polysaccharide der 23 bekann-
vorzugsweise solche Personen gefährdet, die
ten Kapseltypen von Streptococcus pneumoni-
häufigen Kontakt mit Ausscheidungsprodukten
ae enthält.
(z. B. Klärwerksarbeiter, Tätigkeit in Kinderta-
󠀂 Meningokokken-Impfung, die mit einem
gesstätten) haben.
Konjugatimpfstoff durchgeführt wird und
nicht gleichzeitig mit dem Pneumokokken- Impfung gegen Frühsommer-Meningoenze-
Konjugatimpfstoff oder MMR- und Vari- phalitis. Die Frühsommer-Meningoenzephali-
zellen-Impfstoff oder MMRV eingesetzt wer- tis (FSME) ist eine virusbedingte Infektions-
den soll. krankheit, die von Zecken (Ixodes ricinus)
󠀂 Rotavirus-Impfung. Rotaviren gehören zu übertragen wird und endemisch vor allem in
den häufigsten Erregern der akuten Gastro- Süddeutschland und Österreich mit zunehmen-
enteritis bei Säuglingen und Kleinkindern. der Verbreitung vorkommt.
Sie werden fäkal-oral übertragen und haben
Tollwut-Impfung. Die unbehandelt stets tödli-
eine Inkubationszeit von 1–3 Tagen. Die
che Tollwut wird durch ein neurotropes RNA-
wässrigen, nicht blutigen Durchfälle, die
Virus hervorgerufen. Die Übertragung auf den
meist bis zu 7 Tagen bestehen bleiben, führen
Menschen erfolgt meist durch Beißen oder
zu einer schweren Dehydratation.
32.2 Immunisierung, Impfung (Vakzination) 577

Kratzen. Alle warmblütigen Tiere können befal- passive Immunisierung ist nur dann indiziert,
len werden. Allerdings kommt die terrestrische wenn eine Infektion wahrscheinlich ist, die In-
Tollwut in Deutschland seit einigen Jahren nicht kubationszeit für eine eigene Antikörperpro-
mehr vor. Lediglich Fledermäuse sind noch mit duktion nicht ausreicht und geeignete Antiifek-
dem Virus infiziert. Nach Tollwutexposition tiva nicht zur Verfügung stehen.
sind bei Personen ohne Grundimmunisierung Unter bestimmten Umständen kann die pas-
insgesamt sechs Injektionen (unmittelbar nach sive auch mit einer aktiven Immunisierung
Exposition sowie nach 3, 7, 14 und 28 Tagen) kombiniert werden (Simultanimpfung). Eine
und zusätzlich – zum sofortigen Schutz – die Simultanimpfung (z. B. mit TETAGAM® P/Te-
Gabe eines Hyperimmunglobulins (s. u.) erfor- tanol® pur) ist z. B. bei Gefahr einer Tetanus-In-
derlich. fektion indiziert.
Reiseimpfungen. Um der erhöhten Infektions- Humane Immunglobuline. Antikörper-haltige
gefahr bei Reisen (außerhalb Westeuropas und Fraktionen aus Humanblut werden in Form von
Nordamerikas) zu begegnen, ist ein ausreichen-
󠀂 unspezifischen (polyvalenten) Immunglobu-
der Impfschutz erforderlich. Welche Impfungen
lin-Präparaten, die ein Gemisch verschiede-
im Einzelfall notwendig sind, orientiert sich am
ner Antikörper (vorwiegend IgG) enthalten,
Zielgebiet und den dort geplanten Aktivitäten
und
(→ www.rki.de). Die Einreisebestimmungen ei-
󠀂 spezifischen Immunglobulin-Präparaten
niger Staaten fordern derzeit z. B. eine Gelbfie-
(Hyperimmunglobulinen), in denen Anti-
ber-Impfung (STAMARIL®). Seit einigen Jahren
körper gegen einen (speziellen) Erreger ange-
ist in Europa auch ein Impfstoff gegen das Japa-
reichert sind,
nische-Enzephalitis-Virus zugelassen (IXIA-
RO®). Dieses Virus kommt hauptsächlich in eingesetzt.
Ost- und Südostasien vor. Das Risiko einer Virusinfektion des Empfängers
Thyphus-Impfung. Die Typhuserreger (Salmo- wird durch die Auswahl geeigneter Spender,
nella typhi) werden fäkal-oral, meist über Trink- spezielle Methoden der Immunglobulin-Ge-
wasser oder durch kontaminierte Speisen über- winnung und Prüfung der Seren, z. B. auf HBsAg
tragen. Es stehen ein oral (Typhoral® L) und ein und HIV-Antikörper sowie Bestimmung der
parenteral (Typherix®) zu applizierender Impf- Transaminaseaktivität, mit sehr großer Wahr-
stoff zur Verfügung. Eine Typhus-Impfung ist scheinlichkeit ausgeschlossen.
besonders vor Reisen in die Endemiegebiete Die Halbwertszeit der Immunglobuline zur
Asiens, Südamerikas und Nordafrikas indiziert. intramuskulären Anwendung beträgt ca. 3 Wo-
chen, die maximalen Titer werden nach 3–5 Ta- 32
32.2.2 Passive Immunisierung und gen erreicht. Die injizierbare Menge ist begrenzt.
Serumtherapie Bei den Immunglobulinen zur i. v. Applikati-
Im Gegensatz zur Aktivimpfung, bei der man on liegt die Halbwertszeit des mit Pepsin behan-
durch Antigen-Gaben die körpereigene Anti- delten Immunglobulins bei ca. 2 Tagen, die des
körperproduktion anregt, werden bei der passi- mit Plasmin behandelten Präparats bei 10–20
ven Immunisierung dem Patienten in Tieren Tagen und die des mit β-Propiolacton und Säure
oder Menschen vorgebildete Antikörper inji- behandelten Gammaglobulins bei 2–7 Wochen.
ziert. Als Sera werden in der Immuntherapie Indikationen für unspezifische Human-Im-
hauptsächlich die aus menschlichem Blut stam- munglobuline sind die Prophylaxe und evtl. der
menden Antikörperpräparate, die Immunglo- Therapieversuch von Viruserkrankungen sowie
bulin-Präparate, verstanden. Vorteilhaft ist der angeborene und erworbene Antikörpermangel-
sofortige Eintritt, nachteilig die kurze Dauer des zustände.
Schutzes, der nur einige Wochen beträgt. Eine
578 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

Immunglobuline zur i. v. Anwendung sind nisten sowie sog. lösliche Zytokin-Rezeptoren,


besonders dann angezeigt, wenn ein rascher An- die systemische Zytokin-Effekte verhindern.
stieg der Immunglobulin-Spiegel und/oder eine
Interleukine. Als Interleukine werden Zytokine
größere Menge von Immunglobulinen erforder-
bezeichnet, die vorzugsweise die Lymphozyten-
lich ist.
funktion stimulieren. Man kennt heute mehr als
Spezifische Immunglobuline, die aus einer
70 Interleukine. Ein rekombinantes humanes
beschränkten Anzahl ausgewählter Plasmen mit
Interleukin-2 (rhIL-2, Aldesleukin, Proleukin®
hohen Antikörpertitern gegen den entsprechen-
S) wird zur Behandlung des metastasierenden
den Erreger von Rekonvaleszenten oder von ak-
Nierenkarzinoms genutzt. Es unterscheidet sich
tiv immunisierten Blutspendern gewonnen wer-
von natürlichem Interleukin-2 dadurch, dass die
den, stehen für die Prophylaxe bzw. Therapie
erste Aminosäure (Alanin) fehlt, Cystein in Po-
verschiedener viraler und bakterieller Infektio-
sition 125 durch Serin ersetzt ist und es außer-
nen zur Verfügung.
dem nicht glykosyliert ist. Die biologische Akti-
vität entspricht der von natürlichem IL-2. Aldes-
leukin stimuliert über den IL-2-Rezeptor das
32.3 Immunmodulatoren
Wachstum aktivierter T-Zellen und aktiviert B-
Lymphozyten sowie natürliche Killerzellen
Immunmodulatoren sind Stoffe, die die Aktivi-
(NK-Zellen).
tät des Immunsystems beeinflussen. Zu den kör-
Die Nebenwirkungen betreffen nahezu jedes
pereigenen Immunmodulatoren gehören zahl-
Organ: Haut (Pruritus, Erythem, exfoliative
reiche Zytokine, wie Interleukine (IL), Inter-
Dermatitis), Nervensystem (Depressionen, Hal-
ferone (IFN), Tumornekrosefaktoren (TNF),
luzinationen, Neuropathien, Parästhesien), Gas-
hämatopoetische Wachstumsfaktoren und Che-
trointestinaltrakt (Erbrechen, Durchfall, Blu-
mokine. Daneben werden pflanzliche Immun-
tungen, Obstipation), Respirationstrakt (Dys-
stimulanzien und solche aus Organextrakten
pnoe, Lungenembolie, Husten, Hypoxie), Kreis-
oder Mikroorganismen sowie Inosiplex mit
lauf (Hypotonie, Ödeme, Tachykardie,
fraglichem Erfolg eingesetzt.
Arrhythmie, Herzinfarkt), Blutbild (Anämie,
Thrombozytopenie, Granulozytopenie, Lym-
32.3.1 Zytokine
phopenie). Ferner können Fieber, Schüttelfrost,
Zytokine sind körpereigene, regulatorisch wir-
Kopf- und Gelenkschmerzen auftreten.
kende Proteine oder Glykoproteine mit einer
Molekularmasse von 10–65 kDa. Die meisten Interferone. Nach ihrer Herkunft unterscheidet
Zytokine werden von mehreren Zelltypen pro- man α-, β- und γ-Interferone.
duziert und wirken auch auf unterschiedliche α-Interferone (IFN-α, früher als Leukozyten-
Zellen. Ihre Wirkung wird über membran- Interferon bezeichnet) werden von verschiede-
ständige Rezeptoren (Zytokin-Rezeptoren, s. u.) nen Zellen des lymphatischen Systems gebildet.
parakrin und autokrin vermittelt. Überschnei- β-Interferon (IFN-β, das frühere Fibroblas-
dungen im Wirkspektrum (Pleiotropie) beugen ten-Interferon) wird von Fibroblasten und Epi-
Störungen durch Ausfall einzelner Komponen- thelzellen produziert.
ten vor. γ-Interferon (IFN-γ, sog. Immun-Interferon
Von stimulierten Lymphozyten synthetisierte oder T-Zell-Interferon) entsteht in Lymphozy-
Zytokine bezeichnet man auch als Lymphokine. ten nach Freisetzung von IL-2 infolge einer An-
Zytokine, die chemotaktisch wirken, werden tigenexposition.
auch als Chemokine bezeichnet. Interferon-α und -β wirken außer immun-
Neben den Zytokinen und ihren genannten modulierend und antiproliferativ auch antiviral
Rezeptoren kennt man auch Zytokin-Antago- (Typ-I-Interferon), während Interferon-γ ins-
besondere immunmodulierende Eigenschaften
32.3 Immunmodulatoren 579

aufweist (Typ-II-Interferon). Außer in ihren ႒ Tab. 32.3 Indikationen von rekombinant herge-
Wirkungen unterscheiden sich Typ-I- und Typ- stellten Interferonen. Näheres (insbesondere
II-Interferone auch in ihren Rezeptoren. So gibt Koapplikationen mit anderen Substanzen) s. bei
es einen gemeinsamen Rezeptor für Interferon-α den jeweils indizierten Krankheiten
und -β sowie einen anderen für Interferon-γ. INN Indikationen
Beide Rezeptortypen sind mit Tyrosinkinasen (Handelspräparat)
(Ⴉ Kap. 3.1.2.2) assoziiert.
Die antiproliferative Wirkung der Interfero- Interferon alfa-2a Haarzell-Leukämie, chron.
(Roferon®-A) Hepatitis B und C, malig-
ne, die sich in einer Hemmung oder Verlangsa-
nes Melanom, chron.-
mung der Zellteilung äußert, betrifft insbeson-
myeloische Leukämie,
dere rasch proliferierende Gewebe. Die immun- kutanes T-Zell-Lymphom,
modulierende Wirkung wird dadurch erklärt, Nierenzellkarzinom, folli-
dass Interferone natürliche Killerzellen sowie T- kuläres Non-Hodgkin-
Lymphozyten aktivieren können und die Bil- Lymphom, Kaposi-Sarkom
dung von MHC-Molekülen der Klasse I fördern.
IFN-γ induziert ferner die Synthese von MHC- Interferon alfa-2b Haarzell-Leukämie, chron.
(IntronA®) Hepatitis B und C, chron.-
Molekülen der Klasse II sowie von Fc-Rezepto-
myeloische Leukämie, fol-
ren und aktiviert Makrophagen. Fremde Zellen
likuläre Lymphome, Karzi-
können somit vom Immunsystem besser er- noid, malignes Melanom
kannt werden.
Als Proteine müssen Interferone parenteral Peginterferon alfa- Chronische Hepatitis B
appliziert werden. IFN-α und IFN-β werden mit 2a (Pegasys®) und C
einer Halbwertszeit von 2–4 Stunden, IFN-γ
Peginterferon alfa- Chronische Hepatitis C
wird mit einer t½ von 30 min aus dem Plasma 2b (PegIntron®)
eliminiert. Im Gewebe sollen Interferone jedoch
länger verweilen. Interferon beta-1a Schubförmige Multiple
Die Indikationen der Interferone sind in (AVONEX®, Rebif®) Sklerose
႒ Tab. 32.3 zusammengefasst.
Interferon beta-1b Schubförmige Multiple
Als Nebenwirkungen treten grippeartige (Betaferon®, Exta- Sklerose (MS), sekundär
Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, Abgeschla- via®) progrediente MS
genheit, Erbrechen und Muskelschmerzen auf.
Das Fieber ist wahrscheinlich auf die Stimulati- Interferon gamma- Septische Granulomatose,
on der IL-1-Bildung in Makrophagen zurückzu- 1b (Imukin®) maligne Osteopetrose
führen. Weitere Nebenwirkungen sind Bewusst- 32
seinsstörungen, Lethargie, Depressionen und
Blutbildveränderungen (Leuko- und Thrombo-
teten Antikörper Infliximab, Adalimumab, Go-
zytopenien).
limumab und Certolizumab-Pegol und das als
Tumornekrosefaktoren (TNF). Sie beeinflussen löslicher TNF-α-Rezeptor fungierende Fusions-
das Zellwachstum. Die beiden Faktoren, TNF-α protein Etanercept wurden für die Therapie der
und TNF-β, unterscheiden sich in ihrem Bil- rheumatoiden Arthritis und auch bei Psoriasis-
dungsort, nicht aber in ihrer Wirkung. Tumor- Arthritis zugelassen und werden dort im Detail
zellen können durch TNF einerseits in ihrem besprochen (Ⴉ Kap. 12.2.3.2). Darüber hinaus
Wachstum verlangsamt oder abgetötet (Apopto- werden Infliximab, Adalimumab und Goli-
se-Induktion), andererseits aber auch stimuliert mumab auch bei der Behandlung chronisch ent-
werden. TNF-α ist einer der wichtigsten Ent- zündlicher Darmerkrankungen eingesetzt
zündungsmediatoren. Die gegen TNF-α gerich- (Ⴉ Kap. 25.3.2).
580 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

Hämatopoetische Wachstumsfaktoren. Zu die- Als Nebenwirkungen können vor allem Kno-


sen gehören vor allem die koloniestimulieren- chenschmerzen sowie Fieber, Muskelschmerzen
den Faktoren, die zur vermehrten Bildung und und Blutdruckabfall auftreten. Auch Überemp-
Aktivierung von Leukozyten führen, ferner das findlichkeitsreaktionen (einschließlich anaphy-
die Erythrozytenbildung fördernde Erythropo- laktischer Reaktionen) sind möglich. Bei myelo-
etin (EPO) und das die Thrombozytenbildung ischer Leukämie ist die Gabe koloniestimulie-
induzierende Thrombopoetin (TPO). Die Bil- render Faktoren kontraindiziert.
dung der koloniestimulierenden Faktoren er-
Chemokine. Ebenfalls zu den Zytokinen gehö-
folgt in Monozyten, Fibroblasten und Endothel-
ren die Chemokine (chemoattractant cytoki-
zellen. EPO (z. B. Abseamed®) wird zur Behand-
nes). Sie stellen eine Superfamilie kleiner proin-
lung von Anämien (z. B. im Rahmen einer chro-
flammatorischer Proteine dar, die chemotak-
nischen Niereninsuffizienz) und illegal als
tisch wirken, d. h. bei der Migration von Im-
Dopingmittel eingesetzt.
munzellen aus dem Blut in das entzündete
Der Granulozyten-Makrophagen-koloniesti- Gewebe eine große Rolle spielen. Aufgrund der
mulierende-Faktor (GM-CSF) fördert, wie aus Struktur der terminalen Cysteine lassen sich die
dem Namen hervorgeht, die Bildung von Gra- Chemokine in 4 Klassen untergliedern (CXC,
nulozyten und Makrophagen. Der zu einem spä- CC, C, CX3C). Chemokin-Rezeptoren gehören
teren Zeitpunkt der Zelldifferenzierung eingrei- zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Be-
fende Granulozyten-koloniestimulierende- kannte Chemokine sind IL-8, Gro-α, -β, -γ
Faktor (G-CSF) führt demgegenüber zu einer (growth-related-oncogenes), PF-4 (platelet fac-
selektiven Vermehrung neutrophiler Granulo- tor 4), RANTES (regulated upon activation,
zyten. Die Leukozytenbildung stimulieren fer- normal T-cell expressed and secreted), MIP-1α
ner der Makrophagen-koloniestimulierende- (monocyte inflammatory protein 1α) u. a.
Faktor (M-CSF) und der mit IL-3 identische
PDWHF. Die PDWHF-(platelet-derived wound
multi-CSF, der auch die Bildung von Thrombo-
healing factors = thrombozytäre Wachstumsfak-
zyten und Retikulozyten fördert.
toren)Lösung wird aus Thrombozyten des je-
Folgende Wachstumsfaktoren werden zur
weiligen Patienten gewonnen und enthält eine
Verkürzung der Leukopenie im Rahmen einer
Reihe von Zytokinen, u. a. Beta-Thromboglo-
zytotoxischen Tumortherapie eingesetzt:
bin, platelet-derived growth factor (PDGF), pla-
󠀂 Filgrastim (z. B. Neupogen®), eine nicht-gly- telet factor 4 (PF-4), transforming growth
kosylierte Form des humanen G-CSF, factor-β (TGF-β). Die Lösung wird lokal zur Be-
󠀂 Lenograstim (GRANOCYTE® 13/34 Mio IE), handlung von chronischen, schlecht heilenden
eine glykosylierte Form von G-CSF, sowie Wunden unterschiedlicher Genese (z. B. diabeti-
󠀂 die pegylierte Form von Filgrastim Pegfilgra- schen Fußulcera, venös- und arteriell-bedingten
stim (z. B. Neulasta®). Ulcera und zur Wundvorbehandlung vor einer
Hauttransplantation) eingesetzt.
Die Dosierung beträgt 5–10 μg/kg s. c. täglich im
Als Nebenwirkungen werden Juckreiz, leich-
Anschluss an die Chemotherapie, bis die Anzahl
tes Brennen und gelegentlich eine verstärkte Fi-
der neutrophilen Granulozyten nach dem tiefs-
brinbildung im Wundbereich berichtet.
ten Absinken der Werte wieder den normalen
Bereich erreicht hat. Aufgrund der längeren
32.3.2 Immunstimulanzien
Halbwertszeit der pegylierten Form von Filgras-
Präparate mit pflanzlichen Extrakten aus Echin-
tim muss Pegfilgrastim nur noch einmal in einer
acea purpurea oder Echinacea pallida werden
Dosis von 6 mg s. c. pro Chemotherapiezyklus
als Immunstimulanzien zur vorbeugenden und
appliziert werden.
unterstützenden Therapie grippaler Infekte ein-
32.4 Immunsuppressiva 581

gesetzt. Die Wirksamkeit dieser Präparate ist je- tis, Dermatomyositis, Lupus erythematodes,
doch stark umstritten. Sklerodermie), Multipler Sklerose, schwerer
Für Inosin wird eine Steigerung der Zytotoxi- Psoriasis, thrombopenischer Purpura u. a. ein-
zität von Killerzellen sowie eine Aktivierung von gesetzt.
T-Zellen und Makrophagen postuliert. Das Die Initialbehandlung mit Immunsuppressi-
Handelspräparat delimmun® enthält zusätzlich va sollte nur in einer Klinik erfolgen. Dabei ist
zu Inosin Dimepranol-4-acetamidobenzoat, das der Nutzen sorgfältig gegen das Therapierisiko
den Transport von Inosin in die Lymphozyten abzuwägen.
erhöhen soll. Die Kombination wird als Inosi- Substanzen, die vorzugsweise bei Autoim-
plex bezeichnet. Sie wird bei verschiedenen vi- munkrankheiten zum Einsatz kommen (z. B. bei
ralen Infektionen (Herpes simplex, viralen En- rheumatoider Arthritis), werden bei den ent-
zephalopathien u. a.) mit fraglicher Wirksam- sprechenden Krankheiten besprochen.
keit eingesetzt. Als Nebenwirkung wurde eine
durch die Metabolisierung von Inosin bedingte 32.4.1 Calcineurininhibitoren
vorübergehende Erhöhung der Harnsäure im 32.4.1.1 Ciclosporin
Serum beschrieben. Ciclosporin (z. B. Sandimmun® Optoral) ist ein
Verschiedene Präparate, die lysierte Bakteri- von einem Pilz gebildetes cyclisches Polypeptid
enzellen oder abgetötete Bakterien zur Immun- aus 11 Aminosäuren. Der Wirkstoff hemmt die
stimulation enthalten, werden u. a. zur Aktivie- Freisetzung von IL-2 aus T-Helferzellen. Infolge
rung der körpereigenen Abwehrkräfte oder bei des Mangels an IL-2 kommt es nicht zur Ausrei-
chronischen Harnwegsinfekten – ebenfalls mit fung von T-Zellen zu zytotoxischen Zellen.
fraglichem Erfolg – eingesetzt. Symbioflor® 1 Mechanistisch gesehen, bindet Ciclosporin,
enthält z. B. Zellen und Autolysate von Entero- nachdem es in die T-Zelle gelangt ist, mit hoher
coccus faecalis, Uro-Vaxom® lysierte E.-coli- Affinität an ein zytosolisches Protein aus der
Bakterien. Gruppe der Immunophiline, das Ciclophilin
(Ⴜ Abb. 32.2). Der Ciclosporin-Ciclophilin-Kom-
plex hemmt dann die Calcium-abhängige Prote-
32.4 Immunsuppressiva in-Phosphatase-Aktivität des Calcineurin-Cal-
modulin-Komplexes, der in T-Zellen normaler-
Immunsuppressiva dienen zur Unterdrückung weise zwei Phosphatgruppen vom nukleären
von Immunreaktionen. Faktor aktivierter T-Zellen (NF-AT) abspaltet.
Wichtige Substanzen sind Dadurch wird die Translokation dieses Tran-
skriptionsfaktors in den Zellkern und somit die
󠀂 die Calcineurininhibitoren Ciclosporin, Tac-
rolimus und Pimecrolimus,
IL-2-Synthese gehemmt. Die Phagozytoseakti- 32
vität der Zellen des retikuloendothelialen Sys-
󠀂 die TOR-(targets-of-rapamycin-)Inhibitoren
tems unterdrückt Ciclosporin dagegen nicht.
Sirolimus und Everolimus,
Aus diesem Grund wird die bakterielle Abwehr
󠀂 Glucocorticoide,
des Organismus nur wenig beeinflusst.
󠀂 das lösliche Fusionsprotein Belatacept,
Ciclosporin wird hauptsächlich zur Prophyla-
󠀂 einige Zytostatika (z. B. Azathioprin) und
xe der Transplantatabstoßung nach allogenen
󠀂 monoklonale Antikörper (z. B. Basiliximab).
Transplantationen (z. B. Niere, Leber, Herz, Herz-
Immunsuppressiva werden bei Organtransplan- Lunge, Lunge, Pankreas) meist in Kombination
tationen, chronischer Glomerulonephritis mit mit anderen Immunsuppressiva (s. u.) sowie bei
nephrotischem Syndrom, chronisch entzündli- einigen Autoimmunkrankheiten (z. B. rheumato-
chen Darmkrankheiten, Myasthenia gravis, Au- ider Arthritis, schwerer Psoriasis, schwerer atopi-
toimmunhepatitis, entzündlichen rheumati- scher Dermatitis), bei schwerer endogener Uvei-
schen Erkrankungen (z. B. rheumatoider Arthri- tis und bei fokal segmentaler Glomerulosklerose
582 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

Antigen-präsentierende Zelle

Basiliximab

CD3-
MHC-
IL-2
CD4
IL-2
II

CD25 Sirolimus,
Komp
Antigen Everolimus
TZR

lex

PI3K
JAK3
Mycophenolat
IKK
mTOR
Ciclosporin, MAP- IL-2
Tacrolimus Calcineurin Kinasen
Nucleotid-
Cycline synthese

G1
NF-AT AP-1 NF- B
Zell- S
M zyklus Azathioprin

Zellkern G2
mRNA
T-Zelle

Ⴜ Abb. 32.2 Vereinfachte schematische Darstellung des Wirkungsmechanismus von Ciclosporin, Tacroli-
mus, Basiliximab, Sirolimus, Everolimus, Mycophenolat und Azathioprin. Erkennung eines Antigens durch
den T-Zell-Rezeptor (TZR) bewirkt eine Aktivierung der T-Zelle. Wird diese aktiviert, binden verschiedene
Transkriptionsfaktoren (NF-AT, AP-1, NF-κB) z. B. an die Promotorregion des IL-2-Gens und führen u. a.
zur IL-2-mRNA-Synthese. Ciclosporin und Tacrolimus hemmen die Aktivität der Proteinphosphatase Cal-
cineurin und inhibieren somit die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-AT. Basiliximab verhindert,
dass IL-2 am IL-2-Rezeptor binden kann und hemmt auf diese Weise die T-Zell-Proliferation. Sirolimus
und Everolimus greifen in die T-Zell-Proliferation ein, indem sie an mTOR-Proteine binden, deren Funk-
tion für einen geregelten Ablauf des Zellzyklus wichtig ist. Mycophenolsäure hemmt die Inosin-Mono-
phosphat-Dehydrogenase, welche ein wichtiges Enzym in der De-novo-Purinsynthese ist. Der aktive Me-
tabolit von Azathioprin (6-Mercaptopurin; 6-MP) hemmt den Zellzyklus, indem er ebenfalls die Purinnu-
cleotidsynthese blockiert. Darüber hinaus wird 6-MP auch als falscher Baustein in die DNA und RNA ein-
gebaut. TZR T-Zell-Rezeptor, NF-AT nuclear factor of activated T cells, AP-1 Aktivatorprotein-1, NF-κB
nuclear factor kappa B, MAP mitogen activated protein, IKK IκB-Kinase, IL-2 Interleukin-2, JAK3 Janus-
Kinase 3, PI3K Phosphoinositid-3-Kinase, mTOR mammalian target of rapamycin. Nach Halloran

und membranöser Glomerulonephritis einge- Bei oraler Applikation beträgt die Bioverfüg-
setzt. Seit der Einführung von Ciclosporin hat die barkeit von Ciclosporin nur etwa 35 % (20–50 %,
Zahl erfolgreicher Organtransplantationen er- abhängig von der galenischen Zubereitung). Es
heblich zugenommen. Da es im Gegensatz zu an- wird hauptsächlich mittels CYP3A4 nahezu
deren Immunsuppressiva nur wenig myeloto- quantitativ metabolisiert. Die Halbwertszeit
xisch ist, kann es auch bei Knochenmarkstrans- liegt zwischen 6 und 16 Stunden. Die Ausschei-
plantationen eingesetzt werden. dung der Metaboliten erfolgt biliär und renal.
32.4 Immunsuppressiva 583

Die tägliche Erhaltungsdosis bei Organtrans- Tacrolimus ist zur Prophylaxe von Transplan-
plantationen beträgt 2–6 mg/kg, auf zwei Einzel- tatabstoßungen bei Leber-, Nieren- oder Herz-
dosen verteilt. Initial müssen höhere Tagesdo- transplantationen zugelassen und wird meist in
sen (10–15 mg/kg) gegeben werden. Aufgrund Kombination mit anderen Immunsuppressiva
der schwankenden Bioverfügbarkeit, des Inter- (s. u.) eingesetzt.
aktionspotenzials und der Nephrotoxizität ist Zur Behandlung des schweren atopischen
ein Drugmonitoring erforderlich. Ekzems ist eine topische Formulierung von Tac-
Eine bedeutsame Nebenwirkung ist die rolimus (Protopic®) im Handel.
dosisabhängige Nierenschädigung, die von ei- Die orale Bioverfügbarkeit von Tacrolimus ist
ner Abstoßungsreaktion nach einer Nieren- sehr variabel, sie beträgt im Mittel ca. 20–25 %.
transplantation unterschieden werden muss. Deshalb ist ein Drugmonitoring sinnvoll. Die
Weitere – ebenfalls dosisabhängige – uner- Substanz wird nahezu vollständig hepatisch bio-
wünschte Wirkungen sind reversible Störungen transformiert, es entstehen mindestens neun
der Leberfunktion, Kardiotoxizität, Hyperlipid- Metaboliten. Der 31-O-demethylierte Metabolit
ämie, Tremor, Kopfschmerzen, Hypertrichose, besitzt eine mit Tacrolimus vergleichbare im-
Gingivahyperplasie, Hypertonie und Ödeme. munsuppressive Potenz. Die Halbwertszeit ist
Ciclosporin interagiert mit einer Vielzahl an- sehr variabel und beträgt beim gesunden Pro-
derer Substanzen (→ Fachinformation). Auf- banden im Mittel 43 Stunden, bei erwachsenen
grund seiner geringen therapeutischen Breite Nierentransplantationspatienten ca. 16 Stunden.
(s. o.) sind diese Interaktionen von großer Rele- Wie Ciclosporin ist auch Tacrolimus ein
vanz. CYP3A4-Inhibitoren wie z. B. Azol-Anti- CYP3A4- und ein P-Glykoprotein-Substrat, so-
mykotika (Itraconazol u. a.) oder Grapefruitsaft dass ähnliche Wechselwirkungen wie bei Cic-
hemmen den Ciclosporin-Abbau in der Leber. losporin zu beachten sind (→ Fachinformation).
Ciclosporin hemmt seinerseits die CYP3A4-Ak- Die Dosierung erfolgt aufgrund der geringen
tivität und die von P-Glykoprotein und kann therapeutischen Breite individuell und liegt zwi-
deshalb die Plasmakonzentrationen gleichzeitig schen 0,1 und 0,3 mg/kg/Tag, verteilt auf zwei
applizierter Pharmaka, die Substrate dieses En- Einzeldosen. Die Nebenwirkungen gleichen de-
zyms bzw. dieses Transporters sind, steigern. nen von Ciclosporin. Allerdings verursacht Tac-
Ferner darf Ciclosporin nicht zusammen mit rolimus keine Gingivahyperplasie und Hyper-
nephrotoxischen Substanzen gegeben werden. trichose. Daneben wurden neurotoxische Symp-
tome (Parästhesien, Störungen des Sehvermö-
32.4.1.2 Tacrolimus gens) und depressive Zustände sowie Schlaf- und
Das Makrolid-Lacton (z. B. Prograf®) wird von Traumstörungen beobachtet.
einem Bakterium gebildet. Der molekulare Wir- 32
kungsmechanismus von Tacrolimus gleicht dem 32.4.1.3 Pimecrolimus
von Ciclosporin (Ⴜ Abb. 32.2). Jedoch bildet Ta- Pimecrolimus (Elidel®) ist strukturell verwandt
crolimus mit einem anderen Immunophilin, mit Tacrolimus und wird nur lokal als Creme
dem FK-Bindungs-Protein-12 (FKBP-12, Mak- zur Therapie des atopischen Ekzems eingesetzt
rophilin), einen Komplex. Dieser hemmt ebenso (Ⴉ Kap. 28.3.2.2).
wie der Ciclosporin-Ciclophilin-Komplex die
Calcium-abhängige Protein-Phosphatase-Akti- 32.4.2 TOR-Inhibitoren
vität des Calcineurin-Calmodulin-Komplexes 32.4.2.1 Sirolimus
(s. o.). Tacrolimus blockiert außerdem die Akti- Sirolimus (Rapamycin; Rapamune®) bindet wie
vierung von B-Zellen, und zwar einerseits indi- Tacrolimus an das Immunophilin FKBP-12. Der
rekt durch seine Wirkung auf T-Zellen, anderer- Sirolimus/FKBP-Komplex blockiert allerdings
seits direkt über eine Blockade der TNF-α- nicht den Calcineurin-Calmodulin-Komplex,
Gentranskription. sodass die Substanz die IL-2-Synthese nicht
584 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

hemmt. Der Komplex bindet an sog. TOR-Pro- 32.4.3 Glucocorticoide


teine (targets of rapamycin), die eine Phosphati- Die biochemischen und pharmakologischen Ei-
dyl-Inositol-3-Kinase-Domäne besitzen und bei genschaften der Glucocorticoide wurden bereits
der IL-2-Signaltransduktion eine wichtige Rolle unter Ⴉ Kap. 21.7.1 beschrieben. Glucocorticoi-
spielen (Ⴜ Abb. 32.2). Über diesen Mechanismus de (z. B. Methylprednisolon) sind Bestandteil
soll Sirolimus die Proliferation von T- und B- der meisten immunsuppressiven Therapiesche-
Zellen inhibieren. mata und werden dabei meist mit anderen Im-
Die orale Bioverfügbarkeit von Sirolimus ist munsuppressiva kombiniert. Ihre immunsup-
sehr variabel und beträgt im Mittel ca. 15 %. Die pressive Wirkung beruht vor allem auf einer
Halbwertszeit wird mit 50–80 Stunden angege- proximalen Blockade der T-Zell-Aktivierungs-
ben. Da Sirolimus hauptsächlich über CYP3A4 kaskade, indem sie in die Transkription von Zy-
abgebaut wird, können Hemmer oder Indukto- tokinen (IL-1, IL-2, IL-6 u. a.) eingreifen und
ren von CYP3A4 zu klinisch relevanten Interak- damit deren Synthese unterdrücken (s. u.). Da-
tionen führen (→ Fachinformation). durch hemmen sie die Aktivierung von Lym-
Die Dosierung liegt initial für 2–3 Monate phozyten, vermindern die Entwicklung der Mo-
nach Transplantation bei 6 mg/Tag, später bei nozyten zu Makrophagen und inhibieren deren
ca. 2 mg täglich. Aufgrund der hohen pharma- Phagozytoseaktivität.
kokinetischen Variabilität muss die Dosis indi- Die Zytokin-Synthese wird durch Transkrip-
viduell angepasst werden (Drugmonitoring). tionsfaktoren (z. B. NF-κB, AP-1) reguliert, in-
Als häufigste Nebenwirkungen wurden Öde- dem diese an definierte DNA-Bindungsstellen
me, Lymphozelen, Diarrhö, Anämie, Thrombo- bestimmter Gene binden. Bei entzündlichen
zytopenie, Hyperlipidämie, Hypokaliämie, In- und immunologischen Prozessen kommt dem
fektionen der Harnwege, Arthralgien, Wund- Transkriptionsfaktor NF-κB (nuclear factor-
heilungsstörungen u. a. beobachtet. kappa B) eine besondere Rolle zu, da über ihn
Sirolimus wird nicht nur zur Prophylaxe von viele proinflammatorische Zytokine reguliert
Organabstoßungen (Niere), sondern auch in der werden. Wenn der aus einer p50- und p65-Un-
interventionellen Kardiologie zur Stentbe- tereinheit bestehende Transkriptionsfaktor an
schichtung eingesetzt (Ⴉ Kap. 23.3.1.2). ein inhibitorisches Protein (z. B. IκB-α) gebun-
den vorliegt, ist er inaktiv. Durch eine Reihe
32.4.2.2 Everolimus spezifischer Aktivatoren (z. B. IL-1β, TNF-α)
Everolimus (z. B. Certican®) ist ein syntheti- wird er durch deren Rezeptoren aktiviert, in-
sches Derivat von Sirolimus und ebenfalls ein dem bestimmte Kinasen (IKK-α und IKK-β)
TOR-Inhibitor. Wirkungen, Wirkungsmecha- den NF-κB-Inhibitor IκB-α phosphorylieren.
nismus und Nebenwirkungen von Everolimus Auf diese Phosphorylierung folgt die Proteolyse
entsprechen daher denen von Sirolimus. von IκB-α, sodass dieses die NF-κB-
Die orale Bioverfügbarkeit von Everolimus ist Untereinheiten p50 und p65 nicht mehr daran
größer und seine Halbwertszeit (ca. 20–40 Stun- hindern kann, in den Zellkern zu wandern und
den) geringer als die von Sirolimus. Wie dieses dort die Transkription proinflammatorischer
wird Everolimus hauptsächlich durch CYP3A4 Gene zu starten. Glucocorticoide beeinflussen
metabolisiert. Es kann deshalb zu Interaktionen diesen Prozess auf verschiedene Weise: Sie bin-
mit CYP3A4-Induktoren oder -Hemmern kom- den im Zytoplasma an ihren, in nahezu allen
men (→ Fachinformation). Zellen vorhandenen, intrazellulären Rezeptor
Die Dosierung (initial 0,75 mg zweimal täg- (Glucocorticoid-Rezeptor), wodurch die
lich) muss ebenfalls individuell eingestellt wer- Translokation des Komplexes in den Zellkern
den. induziert wird. Im Zellkern kann der Komplex
u. a. an die NF-κB-Untereinheiten binden und
diese inaktivieren, sodass die Transkription
32.4 Immunsuppressiva 585

proinflammatorischer und immunmodulieren- genpräsentierenden Zellen erkennen. Wie das


der Proteine verhindert wird. Darüber hinaus natürlich vorkommende CTLA-4 bindet Belata-
kann der Glucocorticoid-Rezeptor-Komplex cept mit großer Affinität an das CD80-Molekül
sowohl mit sog. Glucocorticoid-responsiven- von antigenpräsentierenden Zellen, sodass die
Elementen (GRE) als auch mit negativen-Glu- Kostimulation und Aktivierung von T-Zellen
cocorticoid-responsiven-Elementen (nGRE) ausbleibt und somit die Zytokinproduktion ge-
interagieren. Als möglicher Mechanismus wird hemmt wird. Belatacept wird deshalb auch als
eine GRE-vermittelte Hochregulation der IκB- Kostimulationsinhibitor bezeichnet.
α-Synthese postuliert: Nach dieser Annahme Belatacept ist in Kombination mit einem Glu-
bindet IκB-α sofort an die Untereinheiten von cocorticoid und Mycophenolat für die Prophy-
NF-κB, wodurch diese nicht in den Zellkern laxe einer Nierentransplantatabstoßung bei Er-
wandern können. Ferner soll eine Bindung des wachsenen zugelassen.
Glucocorticoid-Rezeptor-Komplexes an nGRE Die Halbwertszeit schwankt und wird im
die Transkription proinflammatorischer Protei- Mittel mit ca. 9 Tagen angegeben.
ne (Interleukine, COX-2, iNOS etc.) verhin- Die Dosierung beträgt 10 mg/kg i. v. am Tag
dern. Ein weiterer durch Glucocorticoide der Transplantation (vor der Implantation) so-
hemmbarer Transkriptionsfaktor ist AP-1 wie nach der Transplantation an den Tagen 5,
(FOS/JUN), der ebenfalls die Transkription ei- 14, 28, danach am Ende der Woche 8 und Woche
niger proinflammatorischer und immunmodu- 12. In der Erhaltungsphase werden nach Woche
lierender Gene reguliert. 16 alle 4 Wochen nur noch 5 mg/kg i. v. appli-
Glucocorticoide greifen damit in sehr frühe ziert.
Phasen der Immunreaktion ein. Zu Therapiebe- Als sehr häufige Nebenwirkungen sind Infek-
ginn tritt häufig eine Lymphopenie auf, welche tionen der Atem- und Harnwege, Anämie,
früher als ursächlich für die immunsuppressi- Leukopenie, Proteinurie, Hämaturie, Schlaflo-
ven Effekte angesehen wurde. Sie beruht jedoch sigkeit, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen,
nur auf einer Umverteilung der Lymphozyten in Bauchschmerzen, Diarrhö und Übelkeit be-
das Knochenmark, eine Zerstörung der Lym- schrieben.
phozyten erfolgt nicht. Es hat sich gezeigt, dass Transplantatempfän-
Zur Verminderung von Nebenwirkungen ger, die seronegativ gegen das Epstein-Barr-Vi-
(Ⴉ Kap. 21.7.1) bei der oftmals lebenslänglichen rus (EBV) sind, oder deren Serostatus unbe-
Behandlung von Autoimmunerkrankungen kannt ist, nicht mit Belatacept behandelt werden
werden Glucocorticoide mit mittellanger Halb- dürfen, da diese Patienten ein höheres Risiko für
wertszeit (z. B. Prednisolon, Methylprednisolon) eine Post-Transplantations-Lymphoproliferati-
eingesetzt, um den zirkadianen Rhythmus der onsstörung haben als EBV-positive Patienten. 32
Cortisol-Sekretion möglichst wenig zu stören. Vor Beginn einer Therapie sollte deshalb immer
eine EBV-Serologie durchgeführt werden.
32.4.4 Belatacept
Belatacept (NulojixTM) ist ein lösliches Fusions- 32.4.5 Zytostatika
protein, bestehend aus der extrazellulären Do- Von den Zytostatika, die alle generell immun-
mäne des humanen zytotoxischen T-Lymphozy- suppressiv wirken, werden u. a. Azathioprin,
ten-Antigens-4 (CTLA-4) und der Fc-Domäne Mycophenolatmofetil, Cyclophosphamid (Ⴉ Kap.
des humanen IgG1-Antikörpers. Bei der Im- 31.1.2.1) und Methotrexat (Ⴉ Kap. 31.1.1.1) als
munantwort gegen ein transplantiertes Organ Immunsuppressiva eingesetzt.
spielen aktivierte T-Zellen eine große Rolle. Für
Azathioprin (z. B. Imurek®) wird im Organis-
die vollständige Aktivierung von T-Lymphozy-
mus fast vollständig in den wirksamen Metabo-
ten muss u. a. der auf T-Zellen exprimierte
liten 6-Mercaptopurin umgewandelt. Der lang-
CD28-Rezeptor die CD80-Domäne von anti-
586 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

sam verlaufende Biotransformationsprozess er- Mycophenolatmofetil wird in Kombination


möglicht eine gleichmäßige und protrahierte mit Ciclosporin und einem Glucocorticoid zur
Wirkung, die mit 6-Mercaptopurin selbst nicht Prophylaxe akuter Transplantatabstoßungen bei
erreicht werden kann. Nicht alle Eigenschaften Patienten mit allogener Nieren-, Leber- oder
von Azathioprin lassen sich jedoch durch seine Herztransplantation eingesetzt. Mycophenol-
Umwandlung in 6-Mercaptopurin erklären. Es säure ist nur bei Nierentransplantation zugelas-
wird vermutet, dass der Imidazolrest des sen.
Azathioprins Sulfhydrylgruppen zu binden ver- Die Halbwertszeit von Mycophenolsäure
mag und dadurch einen eigenen immunsup- wird mit ungefähr 12 Stunden angegeben.
pressiven Effekt ausübt. Die Dosierung von Mycophenolatmofetil be-
Azathioprin ist in Kombination mit anderen trägt zweimal täglich 1,5 g, die von Mycophenol-
Immunsuppressiva zur Prophylaxe von Trans- säure zweimal täglich 720 mg.
plantatabstoßungsreaktionen (Niere, Leber, Die Nebenwirkungen sind vielfältig. Insbe-
Herz, Lunge, Pankreas) zugelassen. Ferner wird sondere können Fieber, Infektionen, Ödeme,
die Substanz bei vielen Autoimmunkrankheiten Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie und
(z. B. Autoimmunhepatitis, systemischem Lupus Hypertonie auftreten.
erythematodes, Pemphigus vulgaris) meist in
Kombination mit einem Glucocorticoid, um 32.4.6 Therapeutische Antikörper
dessen Dosierung reduzieren zu können, einge- Als weitere Möglichkeit der Immunsuppression
setzt. kommt die Anwendung von monoklonalen An-
Die Dosierung beträgt bei Organtransplanta- tikörpern oder polyklonalen Antilymphozyten-
tionen 1–4 mg/kg, bei Autoimmunkrankheiten Globulinen in Frage.
1–3 mg/kg täglich.
Monoklonale Antikörper. Aufgrund der Viel-
Als Nebenwirkungen wurden wie bei ande-
zahl monoklonaler Antikörper, die heute in der
ren Antimetaboliten u. a. Störungen der Häma-
Therapie zahlreicher Erkrankungen eingesetzt
topoese (Leuko-, Thrombozytopenie), ferner
werden, hat man sich hinsichtlich der Endungen
gastrointestinale Beschwerden, Appetitlosigkeit
auf eine einheitliche Nomenklatur geeinigt: Es
und Cholestase beobachtet.
enden
Allopurinol erhöht durch Hemmung der Bio-
transformation von Azathioprin dessen Toxizi- 󠀂 murine (Maus-)Antikörper auf -monab bzw.
tät. -omab (z. B. Catumaxomab),
Bei schweren Knochenmarksdepressionen, 󠀂 chimäre (Maus/Mensch-)Antikörper auf
stärkeren Leber- und Nierenfunktionsstörun- -ximab (z. B. Infliximab),
gen sowie während der Gravidität und Stillzeit 󠀂 humanisierte Antikörper auf -zumab (z. B.
ist Azathioprin kontraindiziert. Natalizumab) und
󠀂 vollständig humane Antikörper auf -mumab
Mycophenolatmofetil (z. B. CellCept®) ist ein
(z. B. Adalimumab).
semisynthetisches Derivat der Mycophenolsäu-
re, die aus Penicillium glaucum isoliert werden Mit Ausnahme von Basiliximab werden die
kann. Der aktive Metabolit Mycophenolsäure pharmakologischen Eigenschaften und thera-
(Myfortic®) hemmt die Inosin-Monophosphat- peutischen Besonderheiten der monoklonalen
Dehydrogenase, die ein wichtiges Enzym in der Antikörper bei den jeweiligen Indikationen be-
De-novo-Purinsynthese ist (Ⴜ Abb. 32.2). Da T- schrieben.
und B-Zellen für ihre Proliferation u. a. von die- Basiliximab (Simulect®) ist ein monoklona-
ser abhängig sind, hemmt Mycophenolsäure die ler, chimärer Maus-Mensch-Antikörper, der aus
Lymphozytenproliferation und die Antikörper- den variablen Regionen eines murinen Anti-
bildung. CD25-Antikörpers und den konstanten Regio-
32.4 Immunsuppressiva 587

nen des menschlichen IgG1 besteht. Während Gleichzeitig mit den Antikörpern gegen Lym-
Ciclosporin und Tacrolimus (s. o.) die Tran- phozyten bilden sich auch solche gegen Granu-
skription des IL-2-Gens hemmen, bindet Basili- lozyten, Thrombozyten und Serumproteine, die
ximab spezifisch an die α-Untereinheit (auch als durch Adsorption entfernt werden müssen. Be-
CD25 bezeichnet) des IL-2-Rezeptors, der auf reits nach einmaliger Injektion von Antilym-
der Oberfläche aktivierter T-Zellen exprimiert phozytenserum bzw. dem daraus gewonnenen
wird (Ⴜ Abb. 32.2). Die T-Zell-Proliferation wird Antilymphozyten-Globulin kommt es dosisab-
dadurch verhindert, weil IL-2 nicht mehr an sei- hängig zu einer starken Lymphopenie.
nen Rezeptor binden kann. Ruhende T-Zellen Die Antilymphozyten-Globuline sind, meist
bleiben unbeeinflusst, da die α-Untereinheit des in Kombination mit anderen Immunsuppressi-
IL-2-Rezeptors praktisch nur auf aktivierten T- va, zur Prophylaxe und Therapie von Absto-
Zellen exprimiert wird. ßungsreaktionen bei Transplantation von Niere,
Basiliximab ist in Kombination mit Ciclospo- Leber, Bauchspeicheldrüse und Herz zugelassen.
rin und einem Glucocorticoid zur Prophylaxe Die Dosierung richtet sich nach der Anzahl
der akuten Nierentransplantatabstoßung bei der CD3-T-Zellen oder der Gesamtlymphozy-
Kindern und Erwachsenen zugelassen. Darüber tenzahl und beträgt ca. 1–1,5 mg/kg/Tag.
hinaus wird der Antikörper, wiederum zusam- Häufige Nebenwirkungen sind Thrombozy-
men mit Ciclosporin sowie einem Glucocortico- topenien, Neutropenien, Leukopenien, Fieber,
id und entweder Azathioprin oder Mycophe- Schüttelfrost, Erytheme, Durchfall, Erbrechen
nolatmofetil, auch zur immunsuppressiven und Schmerzen.
Dauer-(Erhaltungs-)Therapie eingesetzt. Das Handelspräparat Thymoglobuline® ent-
Basiliximab wird nach i. v. Applikation mit hält z. B. Antihuman-T-Zell-Immunglobulin
einer Halbwertszeit von ca. 7 Tagen abgebaut. vom Kaninchen.
Die Dosierung beträgt 20 mg innerhalb von 2
Stunden vor der Transplantation, gefolgt von 32.4.7 Immunsuppressive Therapie
weiteren 20 mg (über 30 min infundiert) am Tag bei Transplantationen
4 nach der Transplantation. Dieses Dosierungs- Bei jeder Transplantation kommt es wegen Un-
schema gewährleistet eine effektive Immunsup- terschieden z. B. in den Histokompatibilitätsan-
pression über 30–45 Tage. tigenen des zu transplantierenden Organs und
Als Nebenwirkungen sind u. a. hauptsächlich des Empfängerorganismus zu Immunreaktio-
Obstipation, Harnwegsinfekte, Schmerzen, nen gegen das Transplantat. Um einer Organab-
Ödeme und Hypertonie beschrieben. stoßung nach Transplantation vorzubeugen,
wird das Immunsystem des Empfängers phar-
In ႒ Tab. 32.4 sind die zurzeit zugelassenen mo-
noklonalen Antikörper zusammengefasst. Ihre
makologisch supprimiert. Manchmal ist es not- 32
wendig, das Immunsystem des Empfängers
pharmakologischen Eigenschaften und ihr the-
bereits vor der Transplantation auf diese vorzu-
rapeutischer Stellenwert werden bei den jeweili-
bereiten. Diese Vorbereitungszeit wird als In-
gen Indikationen beschrieben.
duktionsphase bezeichnet. Um nach der Trans-
Polyklonale Antilymphozyten-Globuline oder plantation eine frühe Abstoßung des Organs zu
Antithymozyten-Globuline. Sie werden gewon- verhindern, muss das Immunsystem durch
nen, indem man Zellen des menschlichen Kombinationen (s. o.) verschiedener Immun-
Lymphsystems (z. B. Lymphoblasten oder Thy- suppressiva stark gehemmt werden. Diese sog.
muslymphozyten) als Immunogene Tieren (z. B. Initialphase dauert einige Monate. In der sich
Kaninchen) injiziert und anschließend die ge- anschließenden Erhaltungsphase wird versucht,
bildeten Immunsera separiert. Es entsteht eine die Anzahl der kombinierten Immunsuppressi-
Vielzahl von Antikörpern gegen die verschiede- va und deren Dosierungen zu reduzieren, da die
nen Oberflächenproteine der Lymphozyten. Gefahr einer Abstoßung mit der Zeit abnimmt.
588 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

႒ Tab. 32.4 Monoklonale Antikörper, die in Deutschland derzeit (Stand: August 2015) zur Therapie zuge-
lassen sind (Fortsetzung)

INN (Handelspräparat) Antikörpertyp Bindung an Indikationen

Onkologische, hämatologische Indikationen

Bevacizumab (Avastin®) Humanisiert VEGF Kolorektales Karzinom, Mamma-


karzinom u. a.

Brentuximab (ADCETRIS®) Chimär CD30 Hodgkin-Lymphom u. a.

Catumaxomab (Removab®) Murin EpCAM Maligner Aszites bei EpCAM-positi-


(Ratte/Maus) ven Karzinomen

Cetuximab (Erbitux®) Chimär EGFR Kolorektales Karzinom, Karzinome


im Kopf- und Halsbereich

Denosumab (z. B. XGEVA®) Human RANKL Knochentumore, -metastasen

Eculizumab (Soliris) Humanisiert C5-Komplement Paroxysmale nächtliche


Hämoglobinurie u. a.

Ibritumomab-Tiuxetan Murin CD20 NHL


(Zevalin®) (90Y-markiert)

Ipilimumab (YERVOY®) Human CTLA-4 Malignes Melanom

Nivolumab (OPDIVO®, Human PD-1 Fortgeschrittenes Melanom


Nivolumab BMS®) (Opdivo®), NSCLC (Nivolumab BMS®)

Obinutuzumab (Gazyvaro®) Humanisiert CD20 CLL

Ofatumumab (Arzerra®) Human CD20 CLL

Panitumumab (Vectibix®) Human EGFR Kolorektales Karzinom

Pembrolizumab (KEYTRUDA®) Humanisiert PD-1 NSCLC, fortgeschrittenes Melanom

Pertuzumab (Perjeta®) Humanisiert HER2 Mammakarzinom

Ramucirumab (Cyramza®) Human VEGFR-2 Magenkarzinom

Rituximab (MabThera®) Chimär CD20 NHL, CLL, RA

Siltuximab (Sylvant®) Chimär IL-6 Castleman-Krankheit

Trastuzumab (Herceptin®) Humanisiert HER2 Mammakarzinom, Magenkarzinom

(Auto-)Immunerkrankungen, Transplantatabstoßung

Adalimumab (Humira®) Human TNF-α RA, AS, juvenile RA, PsA, Psoriasis,
M. Crohn, CU

Alemtuzumab (Lemtrada®) Humanisiert CD52 Multiple Sklerose


32.4 Immunsuppressiva 589

႒ Tab. 32.4 Monoklonale Antikörper, die in Deutschland derzeit (Stand: August 2015) zur Therapie zuge-
lassen sind (Fortsetzung)

INN (Handelspräparat) Antikörpertyp Bindung an Indikationen

Basiliximab (Simulect®) Chimär CD25 Nierentransplantation

Belimumab (Benlysta®) Human BLys Lupus erythematodes

Canakinumab (Ilaris®) Human IL-1β Cryopyrin-assoziierte periodische


Syndrome, juvenile idiopathische
Arthritis, Gichtarthritis

Certolizumab-Pegol (Cimzia®) Humanisiert TNF-α RA, AS, PsA

Golimumab (Simponi®) Human TNF-α RA, AS, PsA, CU

Infliximab (REMICADE®), Chimär TNF-α RA, AS, PsA, Psoriasis, M. Crohn, CU


(Remsima®, biosimilar),
(Inflectra, biosimilar)

Natalizumab (TYSABRI®) Humanisiert α4-Integrin Multiple Sklerose

Secukinumab (Cosentyx®) Human IL-17A Psoriasis

Tocilizumab (RoActemra®) Humanisiert IL-6-Rezeptor RA, juvenile idiopathische Arthritis

Ustekinumab (STELARA®) Human IL-12/IL-23 Psoriasis, PsA

Vedolizumab (ENTYVIO®) Humanisiert α4β7-Integrin M. Crohn, CU

Sonstige Indikationen

Abciximab (ReoPro®) Chimär GPIIb/IIIa-Rezep- PTCA u. a.


tor

Besilesomab (Scintimun®) Murin NCA-95 von Diagnostikum bei Osteomyelitis


Granulozyten

Omalizumab (Xolair®) Humanisiert IgE Allergisches Asthma, Urtikaria

Palivizumab (Synagis®) Humanisiert Epitop des RSV Prävention RSV 32


Ranibizumab (Lucentis®) Humanisiert VEGF-A Makulaödem, -degeneration

Sulesomab (LeukoScan®) Murin NCA-90 von Diagnostikum bei Osteomyelitis


Granulozyten

AS Ankylosierende Spondylitis, BLys B-Lymphozyten-Stimulator, CLL Chronisch lymphatische Leukämie, CTLA-4 Cytotoxic T-lymphocyte-associ-
ated protein 4, CU Colitis ulcerosa, PD-1 „Programmed Death“ – 1, EGFR Epidermal growth factor receptor, EpCAM Epitheliales Zelladhäsions-
molekül, HER2 Human epidermal growth factor receptor 2, IgE Immunglobulin E, IL Interleukin, NCA Non specific cross-reacting antigen,
NSCLC Non small cell lung cancer (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom), NHL Non-Hodgkin-Lymphom, PsA Psoriasis-Arthritis, PTCA Perkutane
Koronarintervention, RA Rheumatoide Arthritis, RANKL Rezeptoraktivator des NF-κB-Liganden, RSV Respiratory syncytial virus, TNF-α Tumor-
nekrosefaktor-α, VEGF Vascular endothelial growth factor
590 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

Während dieser in der Regel lebenslangen Er- Klinisch unterscheidet man bei der MS-The-
haltungstherapie sind die Nebenwirkungen der rapie zwischen einer Schub- und einer verlaufs-
Immunsuppressiva (z. B. Infektionen, s. o.) be- modifizierenden Therapie.
sonders zu beachten. Zur Therapie eines akuten Schubs werden
1000 mg Methylprednisolon/Tag i. v. für 3–5
32.4.8 Therapie der Multiplen Tage unter engmaschiger Kontrolle von Blutzu-
Sklerose cker, Elektrolyten und Blutdruck appliziert. Falls
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch sich die Symptomatik nicht bessert, kann diese
entzündliche Autoimmunkrankheit des zen- Glucocorticoid-Pulstherapie auch mit erhöhter
tralen Nervensystems unklarer Genese. Bei der Dosis wiederholt werden (bis zu 2000 mg Me-
schubförmig verlaufenden MS (ca. 85 % aller thylprednisolon/Tag über maximal 5 Tage).
MS-Patienten; Erkrankungsgipfel um das 30.
Lebensjahr) sind Frauen bis zu dreimal häufiger 32.4.8.1 Arzneistoffe für die
betroffen als Männer, während an der selteneren verlaufsmodifizierende Therapie
primär progredienten Form (Erkrankungsgipfel Für die verlaufsmodifizierende Therapie der
zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr) Männer schubförmigen MS sind folgende Pharmaka in
genauso häufig erkranken wie Frauen. Deutschland zugelassen:
Bei der Erkrankung migrieren aktivierte T-
󠀂 Interferon beta-1b (z. B. Betaferon®, 8 Mio IE
Lymphozyten aus den Lymphknoten in die Blut-
jeden 2. Tag s. c., Ⴉ Kap. 32.3.1),
bahn und überwinden dann die Blut-Hirn-
󠀂 Interferon beta-1a (AVONEX®, 30 μg einmal
Schranke. Hierzu ist es erforderlich, dass Adhä-
pro Woche i. m., oder Rebif, 22 μg oder 44 μg
sionsmoleküle wie Selektine und Integrine die-
dreimal pro Woche s. c., Ⴉ Kap. 32.3.2),
ser Zellen mit ihren entsprechenden Rezeptoren
󠀂 Glatirameracetat,
an den Gefäßendothelzellen interagieren. Im
󠀂 die monoklonalen Antikörper Natalizumab
ZNS schädigen die immunkompetenten Zellen
und Alemtuzumab,
dann die Myelinscheiden von Nerven, weshalb
󠀂 Azathioprin (z. B. Imurek®, 2–3 mg/kg KG/
deren Leitungsgeschwindigkeit abnimmt. Da-
Tag, Ⴉ Kap. 32.4.5),
durch lassen sich die bei der MS typischen Sym-
󠀂 Fingolimod,
ptome wie schnelle Ermüdbarkeit, Sensibilitäts-
󠀂 Teriflunomid,
störungen, Kribbeln, Schmerzen, Gangunsi-
󠀂 Dimethylfumarat und
cherheit und Spastik bis hin zur Lähmung erklä-
󠀂 Mitoxantron.
ren. Ein weiteres typisches (Früh-)Symptom ist
eine einseitige Optikusneuritis (mit Sehschwä- Glatirameracetat (Copaxone®) ist ein Immun-
che). modulator, der aus einem polymerisierten Ge-
Eine Heilung der Erkrankung ist bisher nicht misch der vier wichtigsten Aminosäuren (l-
möglich. Die Therapie ist somit nur symptoma- Glutaminsäure, l-Alanin, l-Tyrosin, l-Lysin)
tisch, wobei es das Ziel ist, die Schubfrequenz des basischen Myelinproteins im selben Verhält-
bzw. die Schwere der Schübe zu verringern, dau- nis wie im Myelin besteht. Es ist indiziert zur
erhafte neurologische Defizite zu unterbinden Reduktion der Schubfrequenz bei Patienten mit
und einen progressiven Verlauf der MS zu ver- schubförmig remittierender MS, die ohne Hilfe
langsamen. Unbehandelt kommt es zu einer gehfähig sind. Die Substanz ist ferner indiziert
schleichenden Zunahme klinischer Symptome zur Behandlung von Patienten mit einer klar de-
und neurologischer Ausfallerscheinungen. Bei finierten ersten klinischen Episode (klinisch
ca. einem Drittel der berufstätigen MS-Patien- isoliertem Syndrom) und einem hohen Risiko,
ten führt die Erkrankung trotz Therapie zu einer eine klinisch gesicherte MS zu entwickeln. Bei
Frühberentung. primär oder sekundär progredienter MS ist Gla-
tirameracetat nicht zugelassen.
32.4 Immunsuppressiva 591

Als Wirkungsmechanismus vermutet man, Die Dosierung beträgt 300 mg alle 4 Wochen
dass die Substanz das Autoantigen aus seiner in Form einer ca. einstündigen intravenösen In-
Bindung an den MHC-Komplex und an spezifi- fusion.
sche Effektorzellen verdrängt und die Zahl von Als Nebenwirkungen wurden vor allem
Suppressorzellen, die die Entzündung im ZNS Harnwegsinfekte, Nasopharyngitis, Urtikaria,
unterdrücken können, erhöht. Mit dem Wir- Kopfschmerzen, Erbrechen, Arthralgien, Fieber
kungseintritt der Substanz ist frühestens 3 Mo- und Abgeschlagenheit sowie Überempfindlich-
nate nach Therapiebeginn zu rechnen. keitsreaktionen beschrieben. Natalizumab hat
Zur Pharmakokinetik liegen nur relativ weni- ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer
ge Erfahrungen vor. Subkutan appliziertes Glati- progressiven multifokalen Leukoenzephalopa-
rameracetat wird gut resorbiert, der überwie- thie (PML, teilweise mit Todesfolge). Dies ist
gende Teil der Dosis bereits im Gewebe abge- eine durch das JC-Virus (JCV) hervorgerufene
baut. opportunistische Infektion. Patienten mit Anti-
Die Dosierung beim Erwachsenen beträgt JCV-Antikörpern, einer Behandlungsdauer
einmal täglich 20 mg s. c. über 2 Jahre, und einer Vorbehandlung mit Im-
Als Nebenwirkungen sind vor allem Reaktio- munsuppressiva (z. B. Azathioprin, Mitoxan-
nen an der Injektionsstelle beschrieben. Als „so- tron, s. u.) weisen ein erhöhtes Risiko auf, eine
fortige Post-Injektionsreaktion“ treten subjekti- PML zu entwickeln.
ve Luftnot mit Engegefühl im Thorax, Angst, Natalizumab ist deshalb nur als Monothera-
Gefäßerweiterung, Herzjagen und Brust- peutikum zugelassen und darf nicht zusammen
schmerzen auf. Ferner wird sehr häufig über mit Immunsuppressiva wie Azathioprin oder
Herzklopfen, Vasodilatation, Synkopen und Ta- Mitoxantron gegeben werden, da dabei das In-
chykardie berichtet. Auch Übelkeit, Kopf- fektionsrisiko ansteigt. Eine Kombinationsthe-
schmerzen, Schwitzen, Arthralgien und grippe- rapie mit Interferon beta oder Glatirameracetat
ähnliche Nebenwirkungen werden sehr häufig ist ebenfalls kontraindiziert.
beobachtet. Vor Beginn einer Natalizumab-Therapie soll-
Über Wechselwirkungen ist noch wenig be- te immer die Immunkompetenz des Patienten
kannt. Wegen der Bindung von Glatiramerace- sowohl klinisch als auch laborchemisch unter-
tat an Plasmaproteine kann es evtl. andere Sub- sucht werden.
stanzen aus der Plasmaeiweißbindung verdrän- Alemtuzumab (Lemtrada®) ist ein humani-
gen. sierter monoklonaler Antikörper, der gegen das
Natalizumab (TYSABRI®) ist ein humani- Glykoprotein CD52 auf der Zelloberfläche von
sierter monoklonaler Antikörper, der an das T- und B-Lymphozyten gerichtet ist, und diese
Adhäsionsmolekül Alpha-4-Integrin bindet. so eliminiert. Ursprünglich war der Antikörper 32
Dadurch werden Immunzellen daran gehindert, für eine kleine Untergruppe von Patienten mit
die Blut-Hirn-Schranke zu überqueren. Der chronisch lymphatischer Leukämie vom B-Zell-
Entzündung im Gehirn soll somit entgegenge- Typ (kleines Marktsegment!) zugelassen. Nach
wirkt werden (s. o.). Wegen der Gefahr von le- Zurücknahme dieser Zulassung durch den Her-
bensbedrohlichen Nebenwirkungen (s. u.) ist steller erfolgte die Neuzulassung zur Behand-
Natalizumab derzeit jedoch nur bei schubförmi- lung der schubförmig-remittierenden MS, da
ger, remittierend verlaufender, Interferon-beta- T- und B-Lymphozyten bei MS eine Rolle spie-
resistenter MS mit hoher Krankheitsaktivität len.
oder bei rasch fortschreitenden Verläufen indi- Die Halbwertszeit ist anscheinend sehr varia-
ziert. bel. Nach der ersten Applikation wurden Werte
Die mittlere Halbwertszeit ist mit ca. 16 Ta- um 8 Stunden, nach Mehrfachgabe bis zu 6 Tage
gen angegeben. gemessen.
592 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

Die empfohlene Dosis beträgt im ersten Be- ten, Diarrhö, Ekzeme, Alopezie, erhöhte Leber-
handlungsjahr jeweils 12 mg (als 4-stündige In- enzymwerte, Hypertonie und Bradykardie.
fusion) an 5 aufeinander folgenden Tagen und Nach der ersten Einnahme muss deshalb die
ein Jahr später jeweils 12 mg an 3 aufeinander Herzfrequenz mindestens für 6 Stunden konti-
folgenden Tagen. nuierlich überwacht werden. Wegen der Gefahr
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkun- eines Makulaödems sollte 3–4 Monate nach
gen waren Atemwegsinfektionen, Kopfschmer- Therapiebeginn eine ophthalmologische Unter-
zen, Fieber, autoimmune Schilddrüsenerkran- suchung erfolgen. Patienten mit einem Immun-
kungen, Hautausschlag und Zytopenien. defizienzsyndrom, einem erhöhten Risiko für
Eine HIV-Infektion stellt eine absolute Kon- opportunistische Infektionen oder mit einer
traindikation dar. Schilddrüsenerkrankungen, schweren aktiven Infektion (z. B. Hepatitis, Tu-
Nephropathien, Infektionen oder Erkrankun- berkulose), mit malignen Erkrankungen oder
gen mit geschwächtem Immunsystem sind rela- mit schweren Leberfunktionsstörungen (Child-
tive Kontraindikationen. Pugh-Stadium C) dürfen nicht mit Fingolimod
Fingolimod (Gilenya®) ist ein Strukturanalo- behandelt werden. Schwangerschaft und Stillzeit
gon zu Sphingosin-1-Phosphat (S1P) und unter- sind weitere Kontraindikationen. Die gleichzei-
drückt den bei einer MS essenziellen Austritt tige Gabe von Fingolimod mit anderen Brady-
von aktivierten T-Lymphozyten aus dem kardie-induzierenden Substanzen (z. B. Betablo-
Lymphknoten in die Blutbahn (s. o.). Der aktive ckern, Verapamil, Digoxin) sollte aufgrund ei-
Metabolit Fingolimod-Phosphat (s. u.), ein Ago- nes additiven Effekts nur mit großer Vorsicht
nist an 4 der 5 bekannten S1P-Rezeptoren (S1P1, erfolgen (s. o.). Vorsicht ist auch bei gleichzeiti-
S1P3, S1P4, S1P5), bindet besonders stark an die ger Gabe von CYP3A4-Hemmern angebracht,
S1P1-Rezeptoren der Lymphozyten. Als Folge da der Metabolismus von Fingolimod (s. o.) da-
dieser starken agonistischen Bindung kommt es durch gehemmt werden kann.
zu einer „Downregulation“ und schließlich zur Teriflunomid (AUBAGIO®) ist der aktive
Internalisierung von lymphozytären S1P1-Re- Metabolit des seit langer Zeit in der Rheumato-
zeptoren, weshalb die Lymphozyten nicht mehr logie verwendeten Basistherapeutikums Leflu-
in die Blutbahn emigrieren können, sondern se- nomid (Ⴉ Kap. 12.2.3.1). Es hemmt das mito-
questriert in den Lymphknoten verbleiben. chondriale Enzym Dihydroorotat-Dehydroge-
Pharmakologisch gesehen ist Fingolimod-Phos- nase, das für die De-novo-Pyrimidinsynthese
phat ein S1P-Rezeptor-Agonist, mechanistisch proliferierender Lymphozyten notwendig ist.
allerdings – infolge der Internalisierung der Dadurch wird die Anzahl aktivierter Lymphozy-
S1P1-Rezeptoren – schlussendlich ein funktio- ten reduziert. Die Substanz ist bei schubförmig-
neller Antagonist. remittierender MS zugelassen.
Die orale Bioverfügbarkeit von Fingolimod Die orale Bioverfügbarkeit beträgt annä-
beträgt ca. 93 %. Die Substanz wird endogen hernd 100 %. Teriflunomid wird hauptsächlich
durch Sphingosinkinasen (stereoselektiv) zum unverändert, wahrscheinlich durch direkte Se-
aktiven Metaboliten (S)-Fingolimod-Phosphat kretion (die Substanz ist Substrat des Efflux-
phosphoryliert, der mit einer Halbwertszeit von transporters BCRP) mit einer Halbwertszeit von
ca. 6–9 Tagen ausgeschieden wird. Die oxidative ca. 19 Tagen biliär ausgeschieden.
Biotransformation erfolgt hauptsächlich über Die empfohlene Dosis beträgt 14 mg p. o. ein-
CYP4F2 und CYP3A4. mal täglich.
Die empfohlene Dosis beträgt einmal täglich Die am häufigsten berichteten Nebenwirkun-
0,5 mg p. o. gen sind Diarrhö, Übelkeit, erhöhte Leberen-
Häufige Nebenwirkungen sind Infektionen, zymwerte, Alopezie und Infektionen der Atem-
Lymphopenie, Leukopenie, Depressionen, und Harnwege.
Kopfschmerzen, verschwommenes Sehen, Hus-
32.4 Immunsuppressiva 593

Substanzen, die zu einer Induktion von Liter). Die Halbwertszeit wird mit ca. 9 Tagen
Transportproteinen führen (z. B. Rifampicin, angegeben.
Carbamazepin), sollten während der Behand- Die Dosierung beträgt 12 mg/m2 Kör-
lung mit Teriflunomid nur mit Vorsicht einge- peroberfläche in Form einer Kurzinfusion (min-
setzt werden. Ähnliches gilt für CYP2C8- (z. B. destens 5 min) alle 3 Monate. Bei wiederholter
Repaglinid) und CYP1A2-Substrate (z. B. Theo- Gabe wird eine Dosisanpassung vorgenommen,
phyllin), da Teriflunomid ein CYP2C8-Inhibitor die sich hauptsächlich an der Anzahl der Leuko-
und ein schwacher CYP1A2-Induktor ist. zyten und Thrombozyten im Blut (als Maß der
Bei Patienten mit schwerer Leberfunktions- Knochenmarksuppression) und an möglichen
störung (Child-Pugh-Stadium C), schwerer Anzeichen einer Infektion orientiert.
Nierenfunktionsstörung, mit signifikant beein- Die Nebenwirkungen sind typisch für Zyto-
trächtigter Knochenmarkfunktion sowie bei statika und umfassen hauptsächlich Myelosup-
schwangeren und stillenden Frauen darf die pression, Thrombozytopenie, Leukozytopenie,
Substanz nicht angewendet werden. Der Blut- Harnwegsinfektionen, Infektionen der oberen
druck der Patienten muss vor und während der Atemwege, Kopfschmerzen, Arrhythmien,
Therapie regelmäßig kontrolliert und wenn not- Übelkeit, Stomatitis, erhöhte Leberenzym- und
wendig adäquat behandelt werden. Blutharnstoffwerte, Alopezie, abdominale
Dimethylfumarat (Tecfidera®), das seit lan- Schmerzen sowie Menstruationsstörungen
gem schon in der Psoriasistherapie eingesetzt (Dys- und Amenorrhö). Auch wurden Fälle
wird, ist nun auch für Patienten mit schubför- von akuter myeloischer Leukämie beschrieben.
mig-remittierender MS zugelassen. Die phar- Aufgrund des kardiotoxischen Potenzials von
makologischen Eigenschaften und Besonder- Mitoxantron, darf die Substanz nicht mit ande-
heiten sind in Ⴉ Kap. 28.1.1.2 dargestellt. ren herzschädigenden Pharmaka appliziert
Bei MS-Patienten beträgt die Anfangsdosis werden. In ca. halbjährigen Abständen sollte
120 mg zweimal täglich, die nach einer Woche die Herzfunktion (z. B. EKG, Bestimmung der
auf die empfohlene Dosis von 240 mg zweimal Ejektionsfraktion) überprüft werden. Das Risi-
täglich erhöht wird. ko für kardiale Nebenwirkungen (z. B. eine di-
Mitoxantron (Ralenova®), ein synthetisches latative Kardiomyopathie) steigt mit der kumu-
Anthracendion-Derivat, interkaliert in die DNA lativen Dosis, weswegen die Zulassung auf eine
und führt durch Bindung an den Topoisomera- Gesamtdosis von 100 mg/m2 Körperoberfläche
se-II-DNA-Komplex zu DNA-Einzel- und Dop- begrenzt wurde.
pelstrangbrüchen und somit zu einer Blockie- Bei einer linksventrikulären Ejektionsfrakti-
rung des Zellzyklus. Bei MS kommt es durch on von < 50 %, einer Neutrophilenzahl von
Mitoxantron zu einer Verringerung der Anti- < 1500/mm3, bei schweren Infektionen sowie 32
körperbildung durch B-Zellen und zu einer Ab- während der Schwangerschaft und Stillzeit darf
nahme der Myelin-Zerstörung durch aktivierte Mitoxantron nicht angewendet werden.
Makrophagen. Der Mechanismus, der diese
Wirkungen erklären könnte, ist allerdings noch 32.4.8.2 Stufentherapieschema der Multiplen
unklar. Die Substanz wird bei nicht-rollstuhl- Sklerose
pflichtigen Patienten mit sekundär-progredien- Dem Stufentherapieschema der deutschen Ge-
ter oder progressiv schubförmiger MS einge- sellschaft für Neurologie entsprechend, sollte
setzt, wenn eine vorausgegangene immunmo- nach Diagnosesicherung eines klinisch isolier-
dulierende Therapie nicht vertragen wurde oder ten Syndroms oder einer milden bis moderaten
unwirksam war. Verlaufsform der schubförmigen MS möglichst
Nach intravenöser Gabe verteilt sich Mito- frühzeitig eine verlaufsmodifizierende Therapie
xantron rasch aus dem Plasma in das Gewebe mit einem Interferon-beta-Präparat oder Gla-
(Verteilungsvolumen im Steady-state ca. 4000 tirameracetat begonnen werden. Im Fall einer
594 32 Immunologisch wirkende Pharmaka

schubförmigen MS sind auch Dimethylfumarat Zur Verbesserung der Gehfähigkeit wurde


oder Teriflunomid geeignet. Patienten, die mit Fampridin (Fampyra®), ein neuronaler Kalium-
den genannten Pharmaka nicht ausreichend sta- kanalblocker, der zu einer Verlängerung der Re-
bilisiert sind bzw. Patienten mit einer hochakti- polarisation und zu einer Verstärkung der Akti-
ven Verlaufsform können mit Fingolimod oder onspotenzialbildung in demyelinisierten Axo-
Alemtuzumab oder Natalizumab (Substanzen nen führen soll, zugelassen. Aufgrund des Wir-
der 1. Wahl) oder Mitoxantron (Substanz der 2. kungsmechanismus ist die Substanz nur zur
Wahl) behandelt werden. Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachse-
Patienten mit einer sekundär progredienten nen MS-Patienten mit Gehbehinderung indi-
MS (SPMS) können von einer Interferon-beta- ziert und hat keinen verlaufsmodifizierenden
bzw. Mitoxantron-Therapie profitieren, wenn Effekt.
klinisch und kernspintomografisch eine ent- Nach oraler Aufnahme wird Fampridin,
zündliche Krankheitsaktivität nachweisbar ist. wahrscheinlich durch CYP2E1, nur teilweise
Bei der primär progredienten Form der MS metabolisiert. Die Ausscheidung erfolgt zu 90 %
(PPMS) konnte bisher noch keine sichere Wir- in unveränderter Form hauptsächlich renal über
kung einer immunmodulierenden Therapie ge- den OCT2-Transporter. Die Halbwertszeit wird
zeigt werden. mit ca. 6 Stunden angegeben.
Die empfohlene Dosierung beträgt 10 mg
32.4.8.3 Therapie von Begleitsymptomen bei zweimal täglich p. o. im Abstand von 12 Stunden
Multipler Sklerose auf nüchternen Magen.
Neben einer verlaufsmodifizierenden Therapie Die berichteten Nebenwirkungen betreffen
der schubförmigen MS hat die Behandlung von hauptsächlich das Nervensystem und umfassen
Begleitsymptomen einen hohen Stellenwert. im Wesentlichen Krampfanfälle, Schlaflosigkeit,
Bei Patienten mit einer Spastik kann z. B. eine Angst, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel,
Therapie mit Baclofen (z. B. Lioresal®, Tremor, Kopfschmerzen und Asthenie. Darüber
5–120 mg/Tag) oder mit dem aus dem Dickex- hinaus traten Harnwegsinfekte sehr häufig auf.
trakt von Cannabis sativa hergestellten Spray Zu beachten ist, dass besonders in den ersten 8
(Sativex®, Hauptinhaltsstoffe 9-Tetrahydrocan- Behandlungswochen das Sturzrisiko erhöht sein
nabinol und Cannabidiol, individuelle Ermitt- kann.
lung der optimalen Dosis erforderlich) versucht Eine gleichzeitige Gabe von Fampridin und
werden. Eventuelle neuropathische Schmerzen Substraten von OCT2-Transportern (z. B. Pro-
können z. B. mit Amitriptylin (z. B. Amitripty- pranolol, Metformin) bzw. Inhibitoren von
lin-CT, 25–150 mg/Tag) oder Gabapentin (z. B. OCT2 (z. B. Cimetidin) sollte vermieden wer-
Neurontin®, 800–2400 mg/Tag), Blasenfunk- den.
tionsstörungen mit Trospiumchlorid (z. B. Bei Patienten mit anamnestischen Krampf-
Spasmex®, 30–45 mg/Tag) und kognitive Stö- anfällen sowie eingeschränkter Nierenfunktion
rungen mit Donepezil (z. B. Aricept®, 10 mg/ (Kreatinin-Clearance < 80 ml/min), aber auch
Tag) behandelt werden. bei Schwangerschaft und Stillzeit ist Fampridin
kontraindiziert.
595

33 Kontrastmittel und Radiopharmaka

Kontrastmittel werden bei der Röntgendiagnos- Negative Kontrastmittel kommen in der


tik, Kernspintomographie und Sonographie Röntgendiagnostik heute meist nur noch in
(Ultraschalluntersuchung) zur besseren Dar- Kombination mit einem positiven Kontrastmit-
stellung der Strukturen und Funktionen von Or- tel zur Doppelkontrastdarstellung (z. B. bei Ma-
ganen eingesetzt. Auch bei der Positronen- gen-Darm-Untersuchungen, Arthrographien)
Emissions-Tomographie (PET) werden sog. zum Einsatz.
Marker oder Tracer als Diagnostika benötigt.
33.1.1 Bariumsulfat
Da Bariumionen sehr toxisch sind, können sie
33.1 Röntgenkontrastmittel nur in Form des schwer löslichen und daher
nicht resorbierbaren Bariumsulfats eingesetzt
Röntgenkontrastmittel dienen zur röntgenolo- werden. Bariumsulfat (z. B. Micropaque®) wird
gischen Darstellung von Hohlorganen und als Suspension zur röntgenologischen Darstel-
Hohlräumen des Körpers, z. B. des Magen- lung des Magen-Darm-Kanals verwendet. Seine
Darm-Trakts, der Gallenblase und der Gallen- Kontrastintensität ist sehr gut.
wege (Cholecystographie, Cholangiographie), Bei Verdacht auf eine Perforation im Magen-
des Nierenbeckens und der ableitenden Harn- Darm-Trakt, Ischämie der Darmwand und nek-
wege (Pyelographie, Urographie), der Gefäße rotisierender Enterokolitis darf Bariumsulfat
(Angiographie), der Liquorräume (Myelo- und nicht verwendet werden, da in die Bauch- bzw.
Ventrikulographie), der Bronchien (Broncho- Brusthöhle gelangtes Bariumsulfat schwere
graphie) oder von Uterus und Eileiter (Hystero- Fremdkörperreaktionen hervorrufen kann.
salpingographie). Auch bei Schluckstörungen muss auf Barium- 33
Man unterscheidet positive und negative sulfat verzichtet werden, da es sonst zu einem
Kontrastmittel. Kontrastmitteleintritt in die Lunge kommen
Positive Kontrastmittel (z. B. Bariumsulfat, kann.
Iodverbindungen) enthalten Elemente mit ho-
her Ordnungszahl und absorbieren daher Rönt- 33.1.2 Wasserlösliche iodhaltige
genstrahlen stärker als körpereigene Gewebe. Röntgenkontrastmittel
Negative Kontrastmittel sind gasförmige Die Röntgendichte und damit der erzielte Kon-
Stoffe (z. B. Luft, CO2), die Röntgenstrahlen trast steigt mit der Anzahl der Iodatome pro
schwächer absorbieren als Körperstrukturen. Molekül. Da in der Regel sehr hohe Dosen an
596 33 Kontrastmittel und Radiopharmaka

Kontrastmitteln (bis zu 30 g) benötigt werden, dadurch in den Organismus gelangte Iod stört
kommen nur Substanzen mit geringer systemi- die Funktionsdiagnostik der Schilddrüse über
scher Toxizität in Betracht. Wochen bis Monate. Bei Hyperthyreose sind
Röntgenkontrastmittel zur intravasalen Ap- iodhaltige Röntgenkontrastmittel aufgrund der
plikation (z. B. bei Uro- oder Angiographien) Deiodierung kontraindiziert.
müssen gut wasserlöslich sein, pH-neutral re-
Nebenwirkungen. Mit Überempfindlichkeits-
agieren, eine geringe Osmolarität und eine nied-
reaktionen (Übelkeit, Brechreiz, Urtikaria, Glot-
rige Viskosität aufweisen. Iodhaltige wasserlös-
tisödem, Blutdruckabfall, Bronchialobstrukti-
liche Röntgenkontrastmittel lassen sich in
on) bis hin zum schweren Schock muss vor al-
󠀂 ionische monomere und dimere sowie lem nach parenteraler Applikation gerechnet
󠀂 nichtionische monomere und dimere werden. Weitere Nebenwirkungen betreffen ins-
besondere die Nieren, die Schilddrüse und das
Verbindungen einteilen.
Herz-Kreislauf-System. Nach intrathekaler An-
Ionische iodhaltige Röntgenkontrastmittel. Da wendung wurden außerdem neurotoxische Ef-
die älteren ionischen Monomere, z. B. Amido- fekte (z. B. Krämpfe) berichtet. Nach oraler und
trizoesäure (s. u.), eine sehr hohe Osmolalität lokaler Anwendung treten schwere Nebenwir-
besitzen, die etwa 5–6-mal höher ist als die des kungen nur in seltenen Fällen auf. Nach Appli-
Blutes, dürfen sie wegen der Gefahr von Störun- kation nichtionischer iodhaltiger Röntgenkon-
gen des Wasser- und Elektrolythaushalts nicht trastmittel wurden außerdem mehrere Fälle von
intravenös appliziert werden. Osmo- und Che- Sehstörungen beschrieben, die auf eine Penetra-
motoxizität sind bei solchen ionischen hochos- tion der Blut-Hirn-Schranke mit nachfolgender
molaren Kontrastmitteln stärker ausgeprägt als reversibler kortikaler Erblindung zurückgeführt
bei nichtionischen. Demzufolge sind auch die werden.
daraus resultierenden Nebenwirkungen auf die
Kontraindikationen. Iodhaltige wasserlösliche
verschiedenen Organe sowohl qualitativ als
Röntgenkontrastmittel sind bei Neigung zu
auch quantitativ größer.
Überempfindlichkeitsreaktionen, Hyperthyre-
Die entsprechenden Substanzen Amidotri-
ose, Nieren- und Leberinsuffizienz sowie
zoesäure (z. B. Gastrografin®), Ioxitalaminsäu-
schweren Herz-Kreislauf-Störungen kontrain-
re (Telebrix®) und Ioxaglinsäure (Hexabrix®)
diziert.
werden fast vollständig durch glomeruläre Fil-
tration ohne wesentliche Rückresorption renal
33.1.3 Fettlösliche iodhaltige
ausgeschieden (nephrotrope Kontrastmittel).
Röntgenkontrastmittel
Die neueren nichtionischen Kontrastmittel
Zur Darstellung der Lymphgefäße und Lymph-
sind aufgrund ihrer niedrigeren Osmolalität
knoten (Lymphographie) können die wasserun-
besser verträglich und werden deshalb heute be-
löslichen Ethylester der iodierten Fettsäuren
vorzugt verwendet. Sowohl monomere wie Io-
aus Mohnöl (Lipiodol® Ultra-Fluid) eingesetzt
promid (Ultravist®) als auch dimere nichtioni-
werden. Das Kontrastmittel darf nur intralym-
sche Kontrastmittel wie Iodixanol (VISI-
phatisch und nicht intravenös, intraarteriell
PAQUE®) werden überwiegend renal eliminiert
oder intrathekal appliziert werden. Die Elimina-
und eignen sich daher u. a. zur Darstellung der
tion erfolgt durch Phagozytose mittels alveolä-
ableitenden Harnwege.
rer Makrophagen und Metabolisierung zu freien
Deiodierung. Trotz der relativ festen aromati- Fettsäuren und Natriumiodid, das durch glome-
schen Bindung von Iod erfolgt im Organismus ruläre Filtration ausgeschieden wird.
teilweise eine Deiodierung (bis etwa 1 %). Das
33.2 Kontrastmittel für die Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie, MRT) 597

33.2 Kontrastmittel für die Kern- Eine Ausnahme von den oben genannten
spintomographie (Magnet- Substanzen bildet ein Gadolinium-DTPA-Kom-
resonanztomographie, MRT) plex (Gadofosveset; Vasovist®), der eine Plas-
maproteinbindung von über 80 % und eine ver-
Durch den Einsatz spezieller Kontrastmittel gleichsweise lange Halbwertszeit von ca. 18
kann die diagnostische Wertigkeit der Kern- Stunden hat. Durch die Bindung an Plasmaalbu-
spintomographie erheblich verbessert werden. min wird die Verweildauer im Blut erhöht und
Man unterscheidet gewebeunspezifische und die Relaxivität verbessert, weshalb sich Gado-
gewebespezifische MRT-Kontrastmittel. fosveset zur MR-Angiographie eignet.
Hepatobiliäre paramagnetische Metallkomple-
33.2.1 Gewebeunspezifische
xe. Durch liphophile Modifikation der Gadoli-
Kontrastmittel
nium-Komplexliganden entstehen sog. hepato-
Gewebeunspezifische Kontrastmittel sind para-
biliäre Kontrastmittel, die sich von den gewebe-
magnetische Gadolinium- und Mangan-Che-
unspezifischen Gadolinium-Komplexen nur
latkomplexe (s. u.). Da Gadoliniumionen sehr
bezüglich ihrer Elimination unterscheiden. Sie
toxisch sind können sie nur in Form stabiler
werden in bestimmtem Umfang unverändert bi-
Chelatkomplexe eingesetzt werden. Als Kom-
liär (MultiHance® 2–4 %, Primovist® ca. 50 %)
plexbildner, welche die pharmakokinetischen
ausgeschieden und daher als leberspezifische
Eigenschaften (Verteilung, Elimination) sowie
Kontrastmittel eingesetzt.
die Verträglichkeit der Komplexe bestimmen,
werden u. a. DTPA (Diethylentriaminpenta- Ein weiteres MRT-Kontrastmittel zur Detektion
essigsäure, Gadopentetsäure, z. B. in Magne- von Leberläsionen ist Mangafodipir (Tesla-
vist®) und DOTA (1,4,7,10-Tetraazacyclodode- scan®), ein Chelatkomplex, der paramagneti-
catetraessigsäure, z. B. in Dotarem®) oder ande- sches Mangan enthält. Im Gegensatz zu Gadoli-
re ionische und nichtionische Verbindungen nium wird Mangan im Plasma aus dem Kom-
verwendet. Manchmal werden den Kontrastmit- plex freigesetzt, wobei Metallion und Komplex-
teln auch sog. Gadoliniumfänger zugesetzt wie bildner unterschiedliche pharmakokinetische
z. B. Calteridol-Calcium (in ProHance® enthal- Eigenschaften besitzen. Die Manganionen wer-
ten). Der Calteridol-Calcium-Komplex ist we- den von normalem Leber- und Pankreasparen-
sentlich instabiler als der entsprechende Kom- chym aufgenommen und hauptsächlich fäkal
plex mit Gadolinium (Gadoteridol) und kann eliminiert, der Chelatbildner wird dagegen vor-
daher evtl. freigesetzte Gadoliniumionen unter wiegend renal ausgeschieden.
Abgabe von Calciumionen sofort komplexieren.
Die gewebeunspezifischen Gadolinium-Kom-
plexe sind hydrophil und verteilen sich nach in- 33.2.2 Gewebespezifische
travenöser Applikation rasch im gesamten Ex- superparamagnetische
trazellularraum (extrazelluläre Kontrastmittel). Eisenoxide 33
Sie sind nicht an Plasmaproteine gebunden. Die Eisenoxide, die in einer kristallinen Suspension
intakte Blut-Hirn-Schranke überwinden sie von kleinen Partikeln vorliegen, zeichnen sich
nicht. Allerdings können sie eine geschädigte durch ausgeprägten Paramagnetismus aus. Sie
Blut-Hirn-Schranke passieren und so Tumoren werden als superparamagnetische Eisenoxid-
oder Infarkte im Gehirn sichtbar machen. Sie partikel (SPIO, superparamagnetic iron oxide)
werden nicht metabolisiert, sondern unverän- bezeichnet. In Abhängigkeit von der Partikel-
dert durch glomeruläre Filtration über die Nie- größe und der stabilisierenden Ummantelung
ren ausgeschieden. Die Halbwertszeiten der ver- (Dextran, Carboxydextran, Stärke etc.) reichern
schiedenen Gadolinium-Chelatkomplexe liegen sie sich in bestimmten zellulären Bestandteilen
bei 1–2 Stunden. verschiedener Organe an und bewirken dort
598 33 Kontrastmittel und Radiopharmaka

eine Verzerrung des Magnetfelds, die zu einem 33.3 Kontrastmittel für die
ausgeprägten Signalverlust in der Umgebung Sonographie
des Eisenoxids führt (negative Verstärker).
Größere Eisenoxidpartikel (ca. 300 nm Ultraschallkontrastmittel (Echosignalverstär-
Durchmesser) führen – oral oder rektal appli- ker) enthalten gasförmige Mikrobläschen (1–
ziert – als darmspezifisches Kontrastmittel zur 10 μm), die aufgrund der vielen kleinen Grenz-
Auslöschung des Signals im Intestinum. Sie wer- flächen eine starke Echogenität bewirken. Die
den nicht resorbiert. Mikrobläschen sind mit einer Hülle umgeben,
Eisenoxidpartikel mit einem Durchmesser die hart (z. B. Galactose, Albumin) oder flexibel
zwischen 80–150 nm werden nach intravenöser (z. B. Phospholipide) sein kann. Als adsorbierte
Applikation von Zellen des retikuloendothelia- bzw. eingeschlossene Gase werden entweder
len Systems (RES) vor allem der Leber und zu Luft oder schwer wasserlösliche (lipophile) Gase
einem geringeren Teil auch der Milz phagozy- verwendet. Letztere haben eine längere Verweil-
tiert. In den Zellen des RES wird der Eisenoxid- dauer im Blut und ermöglichen dadurch eine
kern abgebaut und dem körpereigenen Eisen- längere Kontrastdauer. Sowohl die Hülle als
pool zugeführt. Maligne Leberläsionen besitzen, auch das verwendete Gas beeinflussen die Ver-
im Gegensatz zu benignen Veränderungen, in teilung der Ultraschallkontrastmittel im Körper.
der Regel keine funktionalen von-Kupffer-Zel- Echovist® ist ein sog. Rechtsherzkontrast-
len, weshalb innerhalb der Läsion keine Eisen- mittel. Nach intravenöser Injektion werden die
oxidpartikel aufgenommen werden können und d-Galactose-Mikropartikel und die Luftbläs-
somit dort kein Signalabfall auftritt. Folglich ist chen durch das Konzentrationsgefälle so schnell
anhand der MRT mit superparamagnetischen im Plasma aufgelöst, dass sie nur das rechte Herz
Eisenoxid-Partikeln eine Unterscheidung zwi- und nicht mehr die Lunge erreichen. Somit kann
schen benignen und malignen Läsionen mög- mit Echovist® nur das venöse System dargestellt
lich. werden. Im Präparat Levovist® (Linksherzkon-
Kleinere Eisenoxidpartikel (20–40 nm trastmittel) enthalten die d-Galactose-Mikro-
Durchmesser) – als USPIO (ultrasmall superpa- partikel einen Palmitinsäurezusatz, wodurch die
ramagnetic iron oxide) bezeichnet – reichern mikrometergroßen Luftbläschen im Plasma län-
sich spezifisch in den Makrophagen der Lymph- ger stabil bleiben und bei der ersten Herz-Lun-
knoten an, was wiederum eine Differenzierung genpassage nicht sofort zerstört werden. Da-
von gesunden und durch Metastasen veränder- durch bietet Levovist® auch noch im arteriellen
ten Lymphknoten ermöglicht. System eine gute Kontrastierung.
Nebenwirkungen der MRT-Kontrastmittel SonoVue® ist ein transpulmonales Ultra-
wie Unwohlsein, Schmerzen, Vasodilatation schallkontrastmittel, das Schwefelhexafluorid-
(Wärmegefühl), Parästhesie (Kältegefühl) sind Mikrobläschen enthält, die von einer Phospholi-
vorübergehend. Anaphylaktoide Reaktionen pidhülle umgeben sind. Schwefelhexafluorid ist
(Hypotonie, Atemnot, Juckreiz, Urtikaria, Ge- ein schwer wasserlösliches, inertes, ungiftiges
sichtsödeme, Hautausschlag) können vor allem Gas, das mit einer Halbwertszeit von etwa 12
bei den superparamagnetischen Eisenoxid-Par- min abgeatmet wird.
tikeln wegen des Ummantelungsmaterials (z. B. Die Suspensionen von Echovist®, Levovist®
Dextran) auftreten. Anaphylaktischer Schock und SonoVue® werden unmittelbar vor der An-
und Bronchospasmus sind allerdings selten. Das wendung aus dem Granulat bzw. Pulver und ste-
Nebenwirkungsrisiko wird insgesamt im Ver- rilem Wasser durch kräftiges Schütteln herge-
gleich zu den Röntgenkontrastmitteln als nied- stellt.
riger eingeschätzt. Auch OPTISONTM ist wie SonoVue® ein lun-
gengängiges Echokontrastmittel. Sein Kontrast-
verstärkender Effekt beruht auf perflutrenhalti-
33.4 Radiopharmaka für die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 599

gen Mikrosphären aus hitzebehandeltem Hu- und Sauerstoff (18F, 11C und 15O). Beim Zerfall
manalbumin. Perflutren-Gas wird in weniger als dieser entstehen Positronen, die instabil sind
10 min – hauptsächlich über die Lungen – nahe- und bei ihrer Vernichtung Gammastrahlen aus-
zu vollständig ausgeschieden. senden. Diese werden von einem PET-Scanner
Die Verträglichkeit der Ultraschallkontrast- detektiert und mithilfe eines Computers wird
mittel ist im Allgemeinen gut. Die häufigsten dann ein Bild der Tracer-Verteilung im Körper
Nebenwirkungen sind Kälte-/Wärmegefühl so- berechnet.
wie Schmerzen bzw. Brennen an der Injektions- Da die Positronenstrahler relativ kurze physi-
stelle. Im Fall des Humanalbumin enthaltenden kalische Halbwertszeiten haben, kommen sie in
OPTISONTM sind in seltenen Fällen allergie- der Natur nicht vor, sondern müssen unmittel-
ähnliche Symptome aufgetreten. bar vor der Anwendung mittels Kernreaktionen
in einem Zyklotron (Teilchenbeschleuniger)
hergestellt und anschließend in die Synthese zur
33.4 Radiopharmaka für die entsprechend markierten biologischen Substanz
Positronen-Emissions- eingebracht werden.
Tomographie (PET) Die breiteste Anwendung findet derzeit [18F]-
Fludeoxyglucose ([18F]-2-Fluor-2-desoxygluco-
Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomogra- se), die sich nach Injektion zunächst im gesam-
phie können physiologische Funktionen und ten Körper verteilt und dann in Gebieten eines
biochemische Prozesse dargestellt werden. Dazu erhöhten Glucosestoffwechsels, z. B. in einem
werden sog. Radiopharmaka (Tracer) benötigt. Tumor, anreichert.
Bei diesen handelt es sich um Moleküle des kör- [18F]-Fludeoxyglucose wird für bildgebende
pereigenen Stoffwechsels (z. B. Glucose, Amino- Verfahren in der onkologischen Diagnostik so-
säuren, Peptide, Substrate des Fettstoffwechsels wie bei neurologischen (Lokalisation epilepto-
etc.), die mit kurzlebigen Radionukliden (Posi- gener Zonen) und kardiologischen Fragestel-
tronenstrahlern) markiert werden. lungen (Erkennung von vitalem Myokardgewe-
PET wird in der onkologischen Diagnostik be) eingesetzt.
zur Tumorlokalisierung, zur Bestimmung von Bisher wurden keine spezifischen Nebenwir-
Tumorwachstumsraten und Metastasierung so- kungen beobachtet. Die Strahlenexposition ist
wie zur Verlaufskontrolle während einer Thera- verhältnismäßig gering und größenordnungs-
pie eingesetzt. In der Neurologie findet sie An- mäßig etwa mit der einer Röntgenuntersuchung
wendung in der Epilepsie- und Alzheimer-Dia- oder eines Transatlantikfluges vergleichbar, so-
gnostik sowie zur Diagnose von Ischämie und dass das Risiko für Krebs und Erbgutschäden im
Schlaganfall. In der Kardiologie dient PET der Allgemeinen als niedrig gilt.
Untersuchung von Durchblutung und Stoff- Kontraindikationen sind Überempfindlich-
wechsel des Myokards und zur Infarktdiagnos- keit gegen den Wirkstoff oder einen Hilfsstoff
tik. und Schwangerschaft. 33
Die verwendeten Radionuklide sind vor al-
lem die Isotope der Elemente Fluor, Kohlenstoff
600 34 Toxikologie

34 Toxikologie

Die Toxikologie ist die Lehre von den für Men- systemische, reversible und irreversible Vergif-
schen, Tiere und Umwelt schädlichen Eigen- tungen.
schaften chemischer Verbindungen. Gifte sind
dementsprechend – im weitesten Sinn definiert Akute Vergiftungen sind in der Regel durch
– Substanzen oder Substanzgemische, die eine einmalige Giftaufnahme sowie durch rela-
schädliche Wirkungen hervorrufen. In der Pra- tiv kurz nach der Aufnahme der toxischen Sub-
xis werden jedoch nur solche Stoffe als Gift be- stanz einsetzende und (sofern die Vergiftung
zeichnet, bei denen das Risiko, dass sie zu einer nicht zum Tode führt) meist auch wieder schnell
Schädigung führen, verhältnismäßig groß ist. abklingende Symptome charakterisiert. Ihre
„Alle Ding sind Gift und nichts ohn Gift. Al- Zahl ist nicht genau bekannt, die Schätzungen
lein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“. liegen für Deutschland bei 150 000–200 000 pro
(Paracelsus). Jahr. In der Mehrzahl der Fälle (zu ca. 75–80 %)
Neben der Dosis bzw. der Substanzkonzen- wird das Gift peroral zugeführt, der Anteil inha-
tration sind für die Risikoermittlung die Gift- lativer Intoxikationen liegt bei etwa 15 %, und
stärke („Giftigkeit“, Toxizität) der toxischen akute Vergiftungen durch Einwirkung an der
Substanz und die Giftexposition (Verweildauer Haut erfolgen zu ungefähr 4–8 %.
im Körper sowie Art, Häufigkeit und Dauer der Bei chronischen Vergiftungen erstreckt sich
Einwirkung) von besonderer Bedeutung. So die Giftexposition über einen längeren Zeit-
können niedrige Gift-Konzentrationen bei lan- raum, der Beginn ist schleichend und die Symp-
ger Einwirkungsdauer ebenso einen toxischen tome halten lange an. Der Giftstoff kumuliert
Effekt hervorrufen wie höhere Konzentrationen dabei langsam zu toxischen Konzentrationen
bei kurzer Einwirkungsdauer. Die Dosis bzw. bzw. geringe Schädigungen addieren sich im
Konzentration, die auch bei langer Einwir- Laufe der Zeit und führen dadurch zu Vergif-
kungsdauer noch keine toxischen Wirkungen tungssymptomen. In diesem Zusammenhang ist
auslöst, wird als Schwellenwert (Grenzwert, no- die Langzeittoxizität von besonderer Bedeu-
effect level bzw. no-observed-effect level, tung. Man versteht darunter toxische Effekte,
NOEL) bezeichnet. die erst nach einer langen Latenzperiode mani-
fest werden, insbesondere die mutagenen und
Vergiftungsarten. Nach der Häufigkeit der Gift- damit auch karzinogenen (Krebs auslösenden)
aufnahme, der Geschwindigkeit des Eintretens, Wirkungen.
den Wirkorten und der Dauer der Symptome Lokal toxische Verbindungen rufen nur
unterscheidet man akute, chronische, lokale, Schädigungen an den Körperstellen hervor, mit
34.1 Allgemeinmaßnahmen bei Vergiftungen 601

denen sie direkt in Kontakt kommen, z. B. Verät- erhaltung von Atmung und Kreislauf, Therapie
zungen an Haut oder Schleimhäuten durch Säu- von Krämpfen – werden auch unter der Bezeich-
ren oder Laugen. nung Elementarhilfe zusammengefasst. Sie ent-
Bei systemisch wirkenden Stoffen ist dage- sprechen den allgemein üblichen Notfallmaß-
gen ein spezielles Organ (organspezifische Wir- nahmen. Ist die Vergiftungsursache bekannt
kung) oder der gesamte Organismus betroffen und eine wirksame Behandlung mit einem An-
(z. B. Tod durch HCN). tidot möglich, muss dieses – sofern verfügbar –
Bei reversiblen (z. B. zentralnervösen Stö- ebenfalls möglichst rasch eingesetzt werden.
rungen durch Ethanol, nicht jedoch bei irrever- Nach den Sofortmaßnahmen wird im Rahmen
siblen toxischen Effekten (z. B. akutem Nieren- der weiterführenden Therapie angestrebt, die
versagen durch Quecksilber, DNA-Mutationen Elimination des in den Organismus gelangten
bei malignen Tumoren) ist der Körper in der Giftes zu beschleunigen und die gestörten Kör-
Lage, den durch das Gift hervorgerufenen Scha- perfunktionen wieder zu normalisieren.
den selbst wieder zu beseitigen.
34.1.1 Aufrechterhaltung der
Art und Zahl der Vergiftungen. Waren in der
Vitalfunktionen
Vergangenheit kriminelle Vergiftungen häufig,
Atmung. Die Atemwege sind freizuhalten bzw.
ist heute dieser Teil der Toxikologie weitgehend
freizumachen. Bei nicht ausreichender Spontan-
in den Hintergrund getreten. Bei den akuten
atmung muss unverzüglich assistiert beatmet
Vergiftungen werden nur noch wenige durch
werden. Zufuhr von Sauerstoff ist vor allem bei
Schwermetalle (Blei, Quecksilber, Thallium)
zyanotischen Patienten indiziert, doch darf eine
oder Metalloide (z. B. Arsen, Antimon) hervor-
Beatmung mit reinem Sauerstoff nicht länger als
gerufen. Am häufigsten sind Vergiftungen durch
6–8 Stunden durchgeführt werden (Gefahr ei-
Einnahme von Arzneimitteln, insbesondere von
nes toxischen Lungenödems).
Analgetika, Antidepressiva und Neuroleptika,
Durch Reizgase (z. B. Chlor, Phosgen u. a.)
vielfach in suizidaler Absicht, gefolgt von Ver-
und andere Giftstoffe (z. B. Phenoxycarbonsäu-
giftungen mit Haushaltsmitteln und techni-
ren), aber auch durch Substanzen, die bei Erbre-
schen bzw. gewerblichen Produkten. Vergif-
chen in die Atemwege aspiriert wurden, kann
tungsstatistiken und ihre Beurteilung werden
ein toxisches Lungenödem hervorgerufen wer-
jedoch dadurch erschwert, dass in etwa 40–50 %
den. Als erste Symptome treten Hustenreiz,
der klinisch behandelten Fälle Kombinations-
Atembeschwerden und Unruhe auf. Das Voll-
vergiftungen vorliegen. Die gleichzeitige Ein-
bild des Lungenödems, das sich z. T. erst nach
nahme einer Überdosis eines Arzneimittels zu-
einem beschwerdefreien Intervall entwickelt, ist
sammen mit Alkohol ist ein relevantes Beispiel
durch Zyanose, Entleerung bräunlichen
hierfür.
Schaums aus Mund und Nase sowie Tachykardie
charakterisiert. Unbehandelt erfolgt der Tod
34.1 Allgemeinmaßnahmen bei durch Erstickung oder Herzversagen.
Vergiftungen Bereits bei Verdacht auf ein sich entwickeln-
des toxisches Lungenödem muss sofort ein Glu- 34
Die ersten und besonders wichtigen Behand- cocorticoid als Inhalat gegeben werden (z. B.
lungsmaßnahmen im Rahmen der Soforthilfe Beclometasondipropionat; Junik® 100 μg Dosie-
bestehen darin, die Vitalfunktionen, d. h. At- raerosol). Beim manifesten Lungenödem sind
mung und Kreislauf, aufrecht zu erhalten, zudem folgende Maßnahmen durchzuführen:
Krämpfe zu unterdrücken und eine weitere Gift- Hochlagerung des Oberkörpers, Sauerstoffzu-
zufuhr sowie -resorption zu verhindern. Die fuhr, endotracheale Intubation zur Beatmung
beiden erstgenannten Maßnahmen – Aufrecht-
602 34 Toxikologie

und Absaugen von Sekret, Gabe von Furosemid salzlösung als Dauerinfusion über 24 Stunden
und evtl. zur Sedierung Diazepam. appliziert werden. Als Alternative kann eine
Kurznarkose, z. B. mit Thiopental, evtl. in Kom-
Kreislaufstillstand und Herzrhythmusstörun-
bination mit einem stabilisierenden Muskelrela-
gen. Bei Kreislaufstillstand muss durch Tho-
xans durchgeführt werden.
raxkompression (Herzmassage) – falls möglich
gleichzeitig mit assistierter Beatmung – versucht
34.1.2 Maßnahmen zur Verhinderung
werden, eine Mindestzirkulation aufrecht zu er-
der Giftresorption (primäre
halten. Bei Asystolie kann unter Fortführung
Giftentfernung)
der Thoeraxkompression/Beatmung 1 mg Adre-
Zu den bedeutsamsten und effektivsten thera-
nalin i. v. oder intraossär gegeben werden, bei
peutischen Maßnahmen bei Vergiftungen ge-
fehlendem Erfolg ist ein Herzschrittmacher zu
hört sowohl im ambulanten Bereich als auch in
legen. Bei Kammerflimmern oder pulsloser
der Klinik die Giftentfernung vor der Resorpti-
Kammertachykardie ist die erste und wichtigste
on bzw. die Verhinderung einer weiteren Gift-
Maßnahme die Defibrillation, an die sich eine
aufnahme in den Organismus, die primäre Gif-
sofortige Thoraxkompression bzw. Beatmung
telimination. Bei inhalativer Giftaufnahme ist
über zwei Minuten anschließt. Bei bradykarden
das Retten aus der mit dem Gift belasteten Um-
Herzrhythmusstörungen eignet sich Atropin
gebung die entscheidende Erstmaßnahme. Bei
(i. v.), bei nicht ausreichender Wirkung kann –
peroraler Giftaufnahme muss versucht werden,
unter ständiger EKG-Kontrolle – Orciprenalin
die Resorption der im Gastrointestinaltrakt vor-
parenteral verabreicht werden. Bei schweren, le-
handenen toxischen Substanz durch Gabe von
bensbedrohlichen ventrikulären Tachykardien
Adsorbenzien (s. u.) zu verhindern oder zumin-
ist Lidocain angezeigt. Bei einem Schock – asch-
dest zu vermindern (wichtigste Maßnahme!)
grauen, kalten Armen und Beinen, kaum tastba-
und/oder – ebenfalls vor der Resorption – das
rem schnellem Puls über 100 Schlägen/min, sys-
entsprechende Gift mit sog. Lokalantidoten in
tolischem Blutdruck unter 100 mmHg, ober-
eine weniger toxische oder schlechter resorbier-
flächlicher und schneller Atmung – sind die un-
bare Form zu bringen. Nur noch von unterge-
ter Ⴉ Kap. 23.2.5, angegebenen Maßnahmen
ordneter Bedeutung sind induziertes Erbrechen
durchzuführen.
und Magenspülung.
Elektrolyt-, Wasser- und Säure-Basen-Haus-
Adsorbenzien. Unter Adsorbenzien versteht
halt. Durch laufende Kontrolle der Elektrolyt-
man Substanzen, die andere Stoffe (gasförmige
und Wasserbilanz müssen Elektrolyt- und Was-
oder gelöste) physikalisch binden (adsorbieren).
serverluste ermittelt und durch Infusionen aus-
Adsorbierte Stoffe werden nicht oder zumindest
geglichen werden. Bei einer (metabolischen)
schlechter im Magen-Darm-Kanal resorbiert.
Azidose werden 8,4 %ige Natriumhydrogencar-
Das wirksamste, universell einsetzbare und am
bonat-Lösungen, bei (metabolischer) Alkalose 1
häufigsten verwendete Adsorbens ist Carbo me-
M l-Argininhydrochlorid- oder l-Lysinhydro-
dicinalis (Medizinische Kohle, Aktivkohle; Ult-
chlorid-Lösungen unter genauer Überwachung
racarbon®), ein durch Verkohlung von pflanzli-
des Säure-Basen-Haushalts infundiert.
chem Material gewonnenes Pulver mit zahlrei-
Therapie von Krämpfen. Bei Vergiftungen mit chen Poren und damit großer innerer Oberflä-
einer Reihe von Krampfgiften, z. B. Strychnin che, das eine Vielzahl unterschiedlicher Stoffe
oder Lokalanästhetika, hat sich Diazepam in ei- zu adsorbieren vermag. Wird die Aktivkohle-
ner Dosierung von 10–20 mg langsam i. v. be- suspension (in reichlich Wasser) rasch nach der
währt. Bei unzureichendem Erfolg können un- Aufnahme des Gifts verabreicht, resultieren we-
ter EKG-Kontrolle 1–2-mal 250 mg Phenytoin sentlich niedrigere Plasmaspiegel des Giftstoffs.
i. v., danach 750 mg in 500 ml 0,9 %iger Koch- Carbo medicinalis wird daher vielfach auch als
34.1 Allgemeinmaßnahmen bei Vergiftungen 603

Universalantidot bezeichnet. Die Dosierung Gift zumindest teilweise (zu ca. 30 %) wieder aus
beträgt bei Erwachsenen ca. 50–100 g, bei Kin- dem Organismus zu entfernen. Doch belastet sie
dern ca. 1 g/kg KG. Wache und kooperative Pati- den Patienten in der Regel noch stärker als pro-
enten können die Kohlesuspension trinken, an- voziertes Erbrechen und kann meist erst nach
sonsten sollte diese durch eine nasogastrale Ver- beträchtlicher Verzögerung (infolge Transport,
weilsonde instilliert werden. Bei Giftstoffen, die Vorbereitungszeit) durchgeführt werden. Sie hat
biliär ausgeschieden werden (z. B. Amitriptylin, daher, vor allem bei Kindern, aber auch bei Er-
Phenytoin, Herzglykosiden), ist auch die wie- wachsenen zugunsten des Einsatzes von Carbo
derholte Gabe von Aktivkohle sinnvoll, da der medicinalis stark an Bedeutung verloren. Ein-
erneut in das Darmlumen gelangte Giftstoffan- deutig indiziert ist eine Magenspülung nur noch
teil gebunden werden kann (Unterbrechung des bei Vergiftungen mit besonders toxischen Sub-
enterohepatischen Kreislaufs). Als relevantes Ri- stanzen (z. B. Phosphorsäureestern). In diesen
siko bei der Verabreichung von Aktivkohle ist Fällen ist sie auch noch nach eventuell vorausge-
Aspiration zu nennen. gangenem Erbrechen durchzuführen. Zur Ver-
meidung einer Aspiration wird heute bei allen
Provoziertes Erbrechen. Wegen der meist nur
Patienten eine endotracheale Intubation vor Be-
teilweisen Entleerung des Magens und der nicht
ginn der Magenspülung vorgenommen. Kontra-
unerheblichen Gefahren (z. B. Aspiration von
indiziert ist eine Magenspülung im Schock, bei
Erbrochenem, Herz-Kreislaufbelastung) hat das
Krämpfen sowie bei fortgeschrittenen Säuren-
Auslösen von Erbrechen seine Bedeutung in der
und Laugenvergiftungen.
Vergiftungstherapie sehr stark verloren. Unbe-
dingte Voraussetzung für provoziertes Erbre- Darmentleerung. Selbst bei Giftstoffen, die be-
chen ist die Ansprechbarkeit sowie die Koopera- reits den Magen passiert haben, kann – wenigs-
tionsbereitschaft des Patienten. Medikamentös tens teilweise – durch beschleunigte Darmpas-
induziertes Erbrechen ist zwar mit Ipecacuan- sage (forcierte Diarrhö) die Resorption im
ha-Sirup (7 g Ipecacuanhae radix auf 100 ml Si- Darm verhindert werden. Hierzu eignen sich
rup) im Prinzip für Kinder und Erwachsene Natriumsulfat (Glaubersalz) und Sorbit.
möglich, wird jedoch nur noch selten – fast aus-
Einsatz von Lokalantidoten. Eine lokale Entgif-
schließlich bei Kleinkindern – angewandt. Die
tung ist durch Bildung schwerlöslicher und
Giftaufnahme darf maximal eine Stunde zu-
damit schlecht resorbierbarer Salze oder Über-
rückliegen. Die Latenzzeit bis zum Erbrechen
führung der Giftstoffe in unwirksame Verbin-
liegt bei 20–30 min. Die Dosierung beträgt bei
dungen möglich. Calciumgluconat bildet mit
Erwachsenen 30 ml, bei Kindern 5–20 ml. Kont-
Fluoriden und Oxalsäure schwerlösliches Calci-
raindikationen für provoziertes Erbrechen sind
umfluorid bzw. -oxalat, Natriumsulfat mit Bari-
Vergiftungen u. a. mit Säuren und Laugen (Per-
um- oder Bleisalzen schwerlösliches Barium-
forationsgefahr) sowie mit Lösemitteln und
bzw. Bleisulfat, Kaliumhexacyanoferrat (II) mit
Schaumbildnern, ferner Schock, respiratorische
Kupfersalzen schwerlösliches Kupferhexacyano-
und kardiale Insuffizienz, Krämpfe, außerdem –
ferrat (II), Natriumchlorid mit Silbernitrat
wiederum wegen Aspirationsgefahr – Bewusst-
schwerlösliches Silberchlorid. Durch Ammoni- 34
losigkeit mit fehlenden Rachenreflexen.
umcarbonat wird Formaldehyd in Hexamethy-
Magenspülung. Bei Berücksichtigung der seit lentetramin überführt. Natriumthiosulfat re-
der Giftaufnahme vergangenen Zeit, entspre- agiert mit Iod zu Natriumtetrathionat und Nat-
chender Indikation, Beachtung der Kontraindi- riumiodid, mit Brom zu Natriumsulfat und Nat-
kationen und Einhaltung der notwendigen Vor- riumbromid. Silikone dienen als Entschäumer
sichtsmaßnahmen ist die Magenspülung zwar nach Einnahme schaumbildender Substanzen
eine Möglichkeit, um in den Magen gelangtes (Spül- oder Waschmitteln).
604 34 Toxikologie

34.1.3 Behandlung mit Antidoten ႒ Tab. 34.1 Fortsetzung


Als Antidote (Gegenmittel) im engeren Sinn
INN (Handelspräparat) Wirksam bei Vergiftung
werden Substanzen bezeichnet, welche (spezi- mit
fisch) die Toxizität resorbierter Gifte vermin-
dern oder aufheben. Allerdings stehen Antidote Flumazenil (Anexate®) Benzodiazepinen
nur für verhältnismäßig wenige Stoffe zur Ver-
Folinsäure Folsäureantagonisten
fügung. Sie sind in ႒ Tab. 34.1) zusammenge-
(Leucovorin®)
stellt.
Fomepizol Ethylenglycol,
႒ Tab. 34.1 Fortsetzung
Antidote (Beispiele) (Fomepizole Opi) Methanol

INN (Handelspräparat) Wirksam bei Vergiftung Glucagon (GlucaGen®) Antidiabetika, Insulin


mit
Hydroxocobalamin Blausäure, Cyaniden
Acetylcystein Paracetamol
(Fluimucil® Antidot) Kaliumiodid Iod (radioaktivem)

Ascorbinsäure Chromverbindungen Naloxon Opioiden


(Vitamin C-loges®) (sechswertigen); Met- (Naloxon Inresa)
hämoglobinbildnern
Natriumthiosulfat (Na- Blausäure, Cyaniden
Atropinsulfat Phosphorsäureestern, triumthiosulfat Köhler)
(Atropinsulfat 100 mg Carbamaten
Köhler) Neostigminbromid Curare-Alkaloiden,
(Neostig Carino) stabilisierenden
Beclometason- Reizgasen Muskelrelaxanzien
dipropionat (Junik®)
Obidoximchlorid Phosphorsäureestern,
Biperiden (Akineton®) Neuroleptika (Toxogonin®) Carbamaten

Calciumtrinatrium- Gold (Au), Chrom (Cr), Penicillamin Gold (Au), Cobalt (Co),
pentetat, DPTA Eisen (Fe), Mangan (Metalcaptase®) Kupfer (Cu), Quecksilber
(Ditripentat-Heyl®) (Mn), Blei (Pb), Pluto- (Hg), Blei (Pb), Zink (Zn)
nium (Pu), Zink (Zn)
Physostigminsalicylat Parasympatholytika,
Deferoxamin (Desferal®) Eisen (Fe) (Anticholium®) Phenothiazinen, tricyc-
lischen Antidepressiva
Digitalis-Antitoxin Herzglykosiden
(Digitalis-Antidot) Phytomenadion Vitamin-K-
(Konakion® MM) Antagonisten
Dimercaptopropan- Arsen (As), Gold (Au),
Natriumsulfonat, DMPS Chrom (Cr), Quecksilber Propranolol (Dociton®) β-Sympathomimetika
(Dimaval®) (Hg), Blei (Pb)
Pyridoxin (B6-Vicotrat®) Isoniazid
Dimethylaminophenol Blausäure, Cyaniden,
(4-DMAP Köhler) Schwefelwasserstoff Sauerstoff Kohlenmonoxid (CO),
Kohlendioxid (CO2)
Ethanol Ethylenglycol,
Methanol Schlangengiftserum, Schlangentoxinen
polyvalent
Ferrihexacyanoferrat(II) Thallium (TI),
(Antidotum Thallii- Cäsium (Cs) Toloniumchlorid Methämoglobin-
Heyl®) (Toluidinblau Köhler) bildnern
34.1 Allgemeinmaßnahmen bei Vergiftungen 605

34.1.4 Beschleunigung der schwersten Vergiftungen angewandt, bei denen


Giftelimination die endogene Clearance unzureichend ist, die
Als sekundäre Giftelimination werden die Maß- wiederholte Gabe von Aktivkohle eine Kontra-
nahmen zur Entfernung von Giftstoffen nach indikation darstellt (z. B. bei paralytischem Ile-
Resorption bezeichnet. us) oder der Zustand des Patienten sich trotz
intensivtherapeutischer Maßnahmen zuneh-
Hämodialyse. Mit der „künstlichen Niere“ wird
mend verschlechtert.
heparinisiertes und damit ungerinnbar gemach-
tes, aus einer Arterie entnommenes Blut außer- Forcierte Diurese. Mit einer forcierten Diurese,
halb des Körpers (extrakorporal) an einer von d. h. mit der Steigerung des Harnflusses durch
Dialysierflüssigkeit umspülten Membran mit Infusion großer Flüssigkeitsmengen und evtl.
sehr großer Oberfläche dialysiert und danach in gleichzeitiger Gabe von Schleifendiuretika
eine Vene zurückgepumpt. Dabei diffundieren (Ⴉ Kap. 26.1.2), wird versucht, die renale Elimi-
zum Durchtritt durch die Dialysiermembran nation des inkorporierten Giftstoffs zu be-
befähigte Stoffe aus dem Blut durch die Mem- schleunigen. Verändert man zusätzlich durch
bran in die Dialysierflüssigkeit und werden auf Zufuhr alkalisierender bzw. azidifizierender
diese Weise aus dem Blut entfernt. In der Regel Substanzen den Urin-pH-Wert, um den Ionisie-
ist dies bei Substanzen der Fall, die in der Niere rungsgrad der zu eliminierenden Stoffe und da-
ultrafiltriert werden. Indikationen für eine Hä- mit ihre Ausscheidung zu erhöhen, spricht man
modialyse sind u. a. lebensbedrohliche Vergif- von forcierter alkalischer bzw. forcierter saurer
tungen mit verschiedenen Alkoholen (Ethanol, Diurese. Eine Alkalisierung des Harns lässt sich
Ethylenglycol, Isopropanol, Methanol), Barbitu- mit Natriumhydrogencarbonat, eine Ansäue-
raten, Carbamazepin, Chinin, Metformin, Par- rung mit Ascorbinsäure erreichen. Da das Ver-
aldehyd, Salicylaten, Arsen-, Calcium-, Queck- fahren jedoch den extrakorporalen Eliminati-
silber-, Lithium- und Thallium-Verbindungen. onsverfahren bezüglich Effektivität deutlich un-
Ungeeignet ist eine Hämodialyse bei Vergiftun- terlegen ist und zugleich mit einer Reihe von
gen mit Hypnotika, Psychopharmaka, Herbizi- Gefahren (Elektrolytentgleisung, insbesondere
den und Insektiziden. Hypokaliämie, interstitiellem Ödem, Hyper-
volämie) belastet ist, kommt es nur noch selten
Hämoperfusion. Bei einer Hämoperfusion wird
in Betracht. Als Indikationen gelten: Für eine
das heparinisierte Blut über speziell präparierte
forcierte neutrale Diurese Vergiftungen mit Li-
Adsorbenzien geleitet und dadurch bei einer
thiumsalzen, für eine forcierte alkalische Diure-
Reihe von Giftstoffen eine verbesserte Clearance
se Intoxikationen mit Phenobarbital und Sali-
erreicht. Neben Aktivkohle werden die Polysty-
cylaten. Ferner ist eine Rhabdomyolyse bei er-
rolharze Amberlite XAD-4 oder XR-010 be-
haltener Nierenfunktion eine wichtige Indikati-
nutzt. Voraussetzung für den Einsatz des Ver-
on, mit dem Ziel, die Myoglobinkonzentration
fahrens ist naturgemäß, dass das Gift ausrei-
(→ Nierenschädigung) zu reduzieren. Je nach
chend an das Adsorbens gebunden wird. Nach-
Harnvolumen und zentralem Venendruck kann
teilig ist, dass neben den Giftstoffen auch
der Infusionslösung Furosemid hinzugefügt
körpereigene Substanzen bzw. Blutbestandteile 34
werden. Kontraindikationen sind Schock,
adsorbiert werden. So nehmen während einer
Herzinsuffizienz, Nierenfunktionsstörungen,
Hämoperfusion die Thrombozyten um ca. 30–
Ödeme, Verdacht auf Hirnödem und Krämpfe.
40 % und die Leukozyten um ca. 10 % ab.
Thrombozytopenie ist daher eine wichtige Kon- Unterbrechung des enterohepatischen Kreis-
traindikation. Als Komplikationen können Ge- laufs. Die Elimination einer Reihe von Stoffen
rinnungsstörungen und Blutdruckabfall auftre- mit einem relevanten enterohepatischen Kreis-
ten. Das Verfahren wird heute nur noch bei lauf (u. a. tricyclischen Antidepressiva, herz-
606 34 Toxikologie

wirksamen Glykosiden, Antikoagulanzien vom wandelt. Bedeutungsvoll für das Verständnis der
Phenprocoumon-Typ oder Knollenblätterpilz- CO-Vergiftung ist ferner, dass von den noch zur
gifte) kann durch mehrfache tägliche, sog. repe- Verfügung stehenden, d. h. noch nicht von CO-
titive Gabe (Instillation) von Carbo medicinalis besetzten O2-Bindungsstellen die O2-Abgabe an
oder Colestyramin deutlich beschleunigt wer- die Gewebe umso schwerer erfolgt, je mehr von
den, da damit ihre erneute Resorption nach den jeweils vier Hämeinheiten pro Hämoglo-
Ausscheidung in den Darm unterbrochen wird. binmolekül mit Kohlenmonoxid besetzt sind
(Haldane-Effekt). Bei einer CO-Vergiftung ist
somit die O2-Versorgung des Körpers schlech-
34.2 Ausgewählte Vergiftungen ter, als es nach der prozentualen Blockade von
O2-Bindungsstellen durch CO zu erwarten
34.2.1 Atmungsgifte wäre. Da andererseits die CO-Hämoglobinbin-
Atmungsgifte können zu einer Reizung bzw. dung voll reversibel ist, kann durch Erniedri-
Schleimhautschädigung der Luftwege und/oder gung der CO-Konzentration oder durch Erhö-
Ausbildung eines toxischen Lungenödems (z. B. hung der Sauerstoffkonzentration in der Einat-
Nitrose Gase, Schwefeldioxid), Hemmung des mungsluft gebundenes CO wieder vollständig
Sauerstofftransports (Kohlenmonoxid) oder verdrängt werden.
Blockade der zellulären Atmungsenzyme und Die ersten Vergiftungssymptome (Kopf-
damit innerer Erstickung (z. B. Blausäure, Cya- schmerzen, Ohrensausen, Flimmern vor den
nide) führen. Augen, Schwindel, Herzklopfen) als Folge der
Hypoxie treten auf, wenn 15–20 % des Hämo-
Kohlenmonoxid. Die Vergiftung mit Kohlen-
globins mit CO besetzt sind. Bei 30–40 % blo-
monoxid (CO), das durch unvollständige Ver-
ckierten O2-Bindungsstellen wird der Vergiftete
brennung kohlenstoffhaltiger Materialien (bei
bewusstlos. Beträgt der CO-Hämoglobingehalt
hoher Temperatur und niedrigem Sauerstoffge-
60 % und mehr, kommt es zu Krämpfen und
halt) entsteht, gilt international als Hauptursa-
schließlich zur Atemlähmung. Unbehandelt tritt
che tödlicher Vergiftungen. In Deutschland
der Tod ein. Da CO-Hämoglobin ähnlich wie
sterben jährlich mehr als 350 Menschen durch
Oxyhämoglobin eine kirschrote Farbe besitzt,
Kohlenmonoxid aus Gasthermen und Kaminen
ist der Patient nicht zyanotisch. Als Spätschäden
sowie durch offenes Feuer in Innenräumen. CO-
einer CO-Vergiftung sieht man nicht selten zen-
Intoxikationen durch das Einatmen von Aus-
tralnervöse hypoxämische Schäden: Parkinso-
puffgasen in suizidaler Absicht sind heute auf-
nismus, Hör- und Sehstörungen, Antriebs-
grund des niedrigeren CO-Gehalts der Auspuff-
schwäche u. a.
gase (wegen Katalysatortechnik) deutlich zu-
Die Therapie einer Kohlenmonoxidvergif-
rückgegangen. CO ist vor allem deshalb
tung besteht darin, den Vergifteten sofort in eine
gefährlich, weil es als geruch- und farbloses Gas
CO-freie, sauerstoffreiche Atmosphäre zu brin-
nicht bemerkt wird.
gen, ihn notfalls assistiert zu beatmen (Mund-
CO, das wie Sauerstoff an Hämoglobin gebun- zu-Nase-Beatmung) und möglichst rasch eine
den wird (1 CO auf 1 zweiwertiges Eisen), ver- Beatmung mit reinem Sauerstoff, am besten un-
drängt diesen kompetitiv aus seiner Hämoglo- ter Überdruck, anzuschließen. Außerdem ist
binbindung (CO + Hb ඳ Hb–CO). Infolge sei- eine Azidose, die dadurch entsteht, dass CO-be-
ner 200 (–300)-mal größeren Affinität zu Hä- ladenes Hämoglobin Kohlendioxid aus den Ge-
moglobin als Sauerstoff sind bereits bei einem weben schlechter aufnehmen kann, durch Infu-
CO-Gehalt der Luft von nur 0,07 % nach Errei- sionen von Natriumhydrogencarbonat zu besei-
chen des dynamischen Gleichgewichts 50 % des tigen. Zur Behandlung des bei schweren CO-
Oxyhämoglobins in CO-Hämoglobin umge- Vergiftungen auftretenden Hirnödems werden
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 607

Glucocorticoide, insbesondere Dexamethason, können u. U. wie bei einer CO-Vergiftung Stö-


eingesetzt. rungen des Zentralnervensystems zurückblei-
ben.
Kohlendioxid. Da Kohlendioxid (CO2) spezi-
Die Therapie einer schweren Blausäurever-
fisch schwerer ist als Luft, kann es sich in Gär-
giftung erfolgt wegen des schnellen Wirkungs-
kellern, Silos, Brunnen usw. so stark anreichern,
eintritts und der hohen Toxizität von HCN häu-
dass Personen, die solche Räume betreten, infol-
fig zu spät. In den Fällen, in denen eine Therapi-
ge Sauerstoffmangels ersticken. Als weitere Ver-
echance besteht, sind möglichst rasch folgende
giftungsquelle kommt komprimiertes CO2 in
Maßnahmen zu ergreifen: Beatmung mit reinem
Form von Trockeneis in Betracht. Bei einem
Sauerstoff oder, falls möglich, Sauerstoffüber-
CO2-Gehalt der Alveolarluft von 3–4 Vol.-%
druckbeatmung sowie intravenöse Infusion von
kommt es zu einer Stimulation des Atemzent-
Hydroxocobalamin (Cyanokit®) 5 g innerhalb
rums und damit zu einer Hyperventilation. Er-
von 25–30 min i. v. (evtl. wiederholen). Die Wir-
reicht der CO2-Gehalt der Luft dagegen 8–10 %,
kung von Hydroxocobalamin beruht darauf,
treten Kopfschmerzen, Schwindel, respiratori-
dass Cobalt eine noch größere Affinität zu Cya-
sche Azidose, Tachykardie, Krämpfe und Be-
nid aufweist als Eisen und daher durch das Anti-
wusstlosigkeit („Kohlendioxid-Narkose“) auf.
dot unter Bildung von Cyanocobalamin die Blo-
Der Tod tritt nach 30–60 min ein. Ist der Vergif-
ckade der Cytochromoxidase aufgehoben wird.
tete aus der CO2-Atmosphäre geborgen, wird
Die Gabe von Hydroxocobalamin hat die früher
assistiert beatmet.
übliche Injektion von 4-Dimethylaminophe-
Blausäure und Cyanide. Vergiftungen mit Blau- nol-hydrochlorid (4-DMAP) 3–4 mg/kg, ge-
säure (HCN), einem charakteristisch riechen- folgt von der langsamen i. v. Gabe von Natri-
den Gas, bzw. Cyaniden (z. B. KCN) kommen umthiosulfat 50–100 mg/kg, weitgehend abge-
u. a. in der metallverarbeitenden und chemi- löst. 4-DMAP wirkt dadurch, dass es nach eige-
schen Industrie sowie in suizidaler Absicht vor. ner Oxidation durch Oxyhämoglobin einen Teil
Vergiftungen durch Einatmen von HCN sind des Hämoglobins in Methämoglobin umwan-
relativ selten. Die meisten Blausäure-Intoxikati- delt. Dadurch entsteht in der Blutbahn dreiwer-
onen werden durch deren Salze, die Cyanide, tiges Eisen, welches Cyanidionen unter Bildung
hervorgerufen, aus denen bei peroraler Applika- von Cyanmethämoglobin bindet und so die blo-
tion die Magensalzsäure die schwache Säure ckierten Atmungsenzyme regeneriert. Natri-
HCN freisetzt. Die Dosis letalis beträgt etwa umthiosulfat beschleunigt die Umwandlung von
1 mg/kg Körpergewicht. Von bitteren Mandeln Cyanid in Rhodanid (Thiocyanat). Bei Aufnah-
sind für den Erwachsenen 60–80, für Kinder me einer nicht tödlichen Cyanid-Dosis ist eine
5–10 Stück tödlich. körpereigene Entgiftung durch die Rhodanid-
Synthetase möglich, die Cyanid (CN–) in das
Cyanide bzw. Blausäure führen zu innerer Ersti-
wesentlich ungiftigere Rhodanid (Thiocyanat,
ckung, da die Cytochromoxidase als letztes
SCN–) überführt.
Glied der Atmungskette durch Komplexbin-
dung des Cyanidions mit dem dreiwertigen Ei- Schwefelwasserstoff. Obwohl Schwefelwasser-
sen des Enzyms reversibel blockiert wird und stoff (H2S) in niedrigen Konzentrationen an sei- 34
dadurch der Sauerstoff des Blutes von den Zel- nem typischen Geruch nach faulen Eiern leicht
len nicht mehr verwertet werden kann. Als Sym- bemerkt werden kann, wird er wegen einer ra-
ptome treten bei Einnahme kleiner Mengen schen Blockade der Geruchsrezeptoren durch
Kopfschmerzen, Schwindel, Hautrötung, Tachy- höhere H2S-Konzentrationen u. U. nicht wahr-
kardie und Hyperpnoe, in schwereren Fällen Be- genommen. Am häufigsten kommen Schwefel-
wusstlosigkeit, Krämpfe, Atemstillstand und wasserstoffvergiftungen bei Arbeiten in Abwas-
schließlich der Tod auf. Überlebt der Vergiftete, serkanälen vor. Im Organismus wird H2S zu
608 34 Toxikologie

Sulfat oxidiert und als solches ausgeschieden. langsamen Oxidation zu CO2 zu einer schweren
Der Wirkungsmechanismus einer H2S-Vergif- Azidose.
tung ist noch immer weitgehend unklar. In hö-
Als erste Vergiftungssymptome treten nach ei-
heren Konzentrationen blockiert Schwefelwas-
ner Latenz von Stunden gastrointestinale Be-
serstoff bzw. das aus diesem im Organismus ge-
schwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Übel-
bildete Hydrogensulfid-Ion wie Blausäure die
keit und Erbrechen auf. Später werden die Pati-
Cytochromoxidase, darüber hinaus werden wei-
enten bei Einnahme großer Methanolmengen
tere Enzyme, z. B. Monoaminoxidasen, ge-
bewusstlos und sterben – unbehandelt – an ei-
hemmt. Bei der akuten Vergiftung durch das
ner Atemlähmung. Die für eine Methanolvergif-
Gas kommt es rasch zum Bewusstseinsverlust
tung typische Schädigung des Gesichtssinns be-
sowie zu zentraler Atemlähmung, bei langsamer
ginnt – meist am dritten Tag – mit einem (rever-
verlaufender Vergiftung zur Reizung der Augen
siblen) Retinaödem, wodurch das Sehvermögen
und Atemwege, zu Übelkeit, Erbrechen, Atem-
beeinträchtigt wird. Später kommt es in vielen
not und Krämpfen. Überlebt der Vergiftete,
Fällen zu einer irreversiblen Sehnervenschädi-
können Schäden des Myokards und des Zen-
gung (Optikusatrophie) mit der Gefahr der völ-
tralnervensystems zurückbleiben. Die Therapie
ligen Erblindung.
erfolgt durch künstliche Beatmung, im Übrigen
Die Behandlung einer Methanolvergiftung
symptomatisch. Auch wird die Applikation von
verfolgt vor allem zwei Ziele: die Oxidation von
4-DMAP – wie früher bei einer Blausäurevergif-
Methanol zu hemmen und die Methanolkon-
tung – empfohlen, das eine höhere Affinität zu
zentration im Blut zu erniedrigen. Eine kompe-
Hydrogensulfidionen als die Cytochromoxidase
titive Hemmung der enzymatischen Oxidation
besitzt.
von Methanol durch die Alkohol-Dehydrogena-
se lässt sich durch die Zufuhr des natürlichen
34.2.2 Alkohole
Substrats Ethanol erreichen. Man gibt daher
Methanol. Methanol wird u. a. als Lösemittel
schon bei Verdacht auf eine Methanolvergiftung
für Lacke und Polituren sowie in Reinigungs-
30–40 ml Ethanol (120 ml Weinbrand) und hält
mitteln (Haushaltsreinigern) verwendet. Die
bei erwiesener Vergiftung eine Ethanolkonzen-
meisten Methanolvergiftungen kommen da-
tration von 1 mg/ml Blut (1 ‰) – notfalls durch
durch zustande, dass Ethanol mit dem wesent-
Infusion – während 5 Tagen aufrecht. Eine wei-
lich stärker toxischen Methanol verwechselt, mit
tere Möglichkeit zur Unterdrückung der Bio-
Methanol kriminell verunreinigte („gestreckte“)
transformation von Methanol besteht in der
ethanolhaltige Getränke getrunken oder Metha-
Gabe des Alkohol-Dehydrogenase-Inhibitors
nol von den Betroffenen absichtlich, z. B. bei Su-
Fomepizol (4-Methylpyrazol; Fomepizole OPI).
izidversuchen, eingenommen wird. Die Dosis
Eine effektive Erniedrigung der Methanolkon-
letalis beträgt 30–50 (–100) ml. Wegen der ho-
zentration im Blut ist durch Hämodialyse mög-
hen Wasserlöslichkeit wird Methanol relativ
lich. Wird die beschriebene Therapie rasch und
langsam, jedoch trotzdem vollständig aus dem
konsequent durchgeführt, lassen sich sowohl
Gastrointestinaltrakt resorbiert. Es verteilt sich
Todesfälle als auch Spätschäden (Erblindung)
fast ausschließlich im Körperwasser. Die Halb-
weitgehend vermeiden.
wertszeit ist von der aufgenommenen Menge
abhängig (bei Einnahme geringer Mengen ca. 3 Ethanol. Bei dem enormen Verbrauch alkohol-
Stunden, bei Zufuhr großer Mengen ca. 30 Stun- artiger Getränke verwundert die große Zahl
den). Die hohe Toxizität ist durch die Oxidation akuter und chronischer Alkoholvergiftungen
von Methanol zu Formaldehyd und Ameisen- nicht. Die mittlere Letaldosis, die allerdings von
säure im Organismus bedingt. Letztere führt Patient zu Patient stark schwankt, beträgt für
wegen ihrer schlechten und langsamen Aus- den erwachsenen Mitteleuropäer ca. 3,5–6 ml
scheidbarkeit sowie wegen ihrer ebenfalls nur reines Ethanol/kg Körpergewicht. Chronische
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 609

Schäden (s. u.) sind bei Männern bei täglicher der japanischen oder chinesischen Bevölkerung.
Einnahme von mehr als 50 ml, bei Frauen schon Ein zweiter, mengenmäßig weniger bedeutsa-
bei geringeren Mengen – etwa ab 25–30 ml/Tag mer oxidativer Abbau (ca. 3–8 %) – ebenfalls zu
– zu erwarten. Der Wirkungsmechanismus von Essigsäure – erfolgt durch Cytochrom-P450-ab-
Ethanol ist noch weitgehend unklar. Nachgewie- hängige Monooxygenasen (MEOS = mikroso-
sen ist u. a. eine Stimulation von GABA-Rezep- males Ethanol-oxidierendes Enzym-System),
toren, eine Hemmung von NMDA- und Kainat- die induzierbar sind. Pro Stunde nimmt die
Rezeptoren sowie – bei chronischer Applikation Blutalkoholkonzentration – bei einer interindi-
– eine Desensibilisierung von Nicotinrezepto- viduellen Schwankungsbreite von etwa 30 % –
ren. beim Mann um etwa 0,15 Promille, bei der Frau
etwas weniger ab. Aufgrund dieser Eliminati-
Bereits im Magen wird Ethanol zu ca. 20 % sowie
onskinetik 0. Ordnung lässt sich aus einem ge-
im oberen Dünndarm zu 80 % resorbiert. Die
messenen Alkoholblutspiegel leicht berechnen,
Resorptionsgeschwindigkeit hängt vom Fül-
wie hoch die Blutalkoholkonzentration zu ei-
lungszustand des Magen-Darm-Kanals ab:
nem bestimmten Zeitpunkt war.
Nüchtern wird Ethanol wesentlich rascher als
Wie bei der früheren Äthernarkose unter-
nach einer Mahlzeit aufgenommen. CO2-haltige
scheidet man bei einer akuten Alkoholvergif-
Getränke beschleunigen infolge rascherer Ma-
tung ein Exzitations-, Toleranz- und Asphy-
genentleerung die Resorption. Die Verteilung
xiestadium. Außer den zentralnervösen Störun-
erfolgt vorrangig im Körperwasser (Verteilungs-
gen beobachtet man eine Abnahme der Muskel-
volumen bei Männern 0,68 l/kg, bei Frauen
leistung, die Hautgefäße werden wegen einer
0,55 l/kg). Ethanol passiert ungehindert die Pla-
Hemmung des Vasomotorenzentrums und z. T.
zentaschranke und geht auch in die Muttermilch
auch durch direkten Angriff an der Gefäßmus-
über. Ungefähr 95 % der resorbierten Alkohol-
kulatur erweitert (Auskühlungsgefahr!). Wegen
menge werden biotransformiert und nur etwa
der gleichzeitigen Verengung der Gefäße im Ge-
5 % in unveränderter Form ausgeschieden. Der
biet des N. splanchnicus fällt der Blutdruck je-
Hauptbiotransformationsweg (ca. 90–95 %)
doch zunächst nicht ab. Bei schwerer Ethanol-
von Ethanol besteht in der Dehydrierung durch
vergiftung kommt es dagegen zu einem – zen-
die Alkohol-Dehydrogenase zu Acetaldehyd
tralbedingten – Schock. Die Herzfrequenz und
und anschließender Oxidation mittels der Alde-
die Diurese werden gesteigert, der Grundumsatz
hyd-Dehydrogenase sowie der Aldehydoxidase
nimmt durch erhöhte Wärmebildung und -ab-
zu Essigsäure. Dieser Alkoholabbau ist, weitge-
gabe zu. In der Folge kommt es zu einer vom
hend unabhängig von der Blutalkoholkonzen-
Grad der Alkoholvergiftung abhängigen Hypo-
tration, linear und nicht, wie eigentlich zu er-
glykämie.
warten, exponentiell. Schon bei niedrigen
Die Therapie einer akuten Alkoholvergiftung
Ethanolkonzentrationen wird nämlich das für
erfolgt symptomatisch: Überwachung von
die Dehydrierung zu Acetaldehyd und ebenso
Kreislauf und Atmung, assistierte Beatmung bei
für die weitere Oxidation zu Essigsäure er-
Ateminsuffizienz, ggf. Schockbehandlung sowie
forderliche Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid
Kontrolle des Blutglucosespiegels, der Elektro- 34
(NAD+) nicht rasch genug nachgeliefert. Die Be-
lyte, der Alkali-Reserve, des Wasserhaushalts
reitstellung von NAD+ bestimmt somit die Re-
und der Wärmeregulation. Außerdem wird bei
aktionsgeschwindigkeit. Das Vorkommen von
Kreislauf- und respiratorischer Insuffizienz so-
mehr als 10 Aldehyd-Dehydrogenase-Isoenzy-
wie bei einer Alkoholblutkonzentration > 4 g/l
men mit verschiedener Enzymaktivität erklärt
(> 4 Promille) eine Hämodialyse durchgeführt.
die unterschiedlich starke Ethanolwirkung bei
Sedativa oder Clomethiazol (s. u.) dürfen nicht
einzelnen Bevölkerungsgruppen, z. B. die gerin-
gegeben werden! Aktivkohle ist wie bei einer
gere Alkoholverträglichkeit bei einem Großteil
Methanolvergiftung nicht wirksam.
610 34 Toxikologie

Ein chronischer Alkoholismus äußert sich in sehr problematisch, da zwar die Alkoholent-
zentralnervösen (geistigen und seelischen) Stö- wöhnung dadurch erleichtert wird, sich jedoch
rungen , die schwerste Grade annehmen kön- eine (alternative) Abhängigkeit entwickeln
nen (Delirium tremens, Korsakow-Syndrom, kann, vor allem wenn diese Substanzen über
alkoholische Demenz), einer Polyneuropathie, längere Zeit (mehr als 14 Tage) verordnet wer-
die – zumindest teilweise – auf einem Vit- den. Bei einer Infusionsbehandlung von Clome-
amin-B1- und Zinkmangel beruht, typischen thiazol in der Klinik ist vor allem als schwere
Kapillarerweiterungen im Gesicht, einer hyp- Nebenwirkungen auf eine Atemdepression (Ge-
aziden oder anaziden Gastritis und insbesonde- fahr der Atemlähmung, Todesfälle sind vorge-
re einer Leberschädigung (Fettleber, alkoholbe- kommen!) sowie auf einen Blutdruckabfall zu
dingten toxischen Hepatitis, Leberzirrhose). achten. Gelegentlich wurden auch Niesreiz, Trä-
Nicht selten findet man bei chronischem Alko- nen der Augen und allergische Hautreaktionen
holismus auch Zeichen einer durch eine Kardio- beobachtet.
myopathie bedingten Myokardinsuffizienz, ei- Acamprosat (Campral®) stellt ein weiteres
ner akuten oder chronischen Pankreatitis sowie Prinzip zur Alkoholentwöhnung dar. Es gehört
einer Störung der Erythropoese. Bedeutsam ist zur Gruppe der Anticraving-Substanzen, d. h.
ferner, dass der tägliche Konsum von höherpro- zu Stoffen, die das Verlangen nach Alkohol ver-
zentigen alkoholischen Getränken das Krebsri- ringern. Als Agonist an GABA-Rezeptoren und
siko, u. a. von Mund- und Rachen- sowie von Antagonist an NMDA-Rezeptoren stellt Acam-
Ösophaguskarzinomen, erhöht. prosat das beim Alkoholiker gestörte Gleichge-
Das Alkoholdelir (Delirium tremens) ist eine wicht zwischen exzitatorischen und inhibitori-
typische akute organische Psychose, die meist schen Neuronen wieder her. Die Rückfallrate
als Entzugsdelir bei plötzlicher und unkontrol- kann mit Acamprosat um etwa 50 % verringert
lierter Abstinenz, seltener bei kontinuierlich werden. Als Nebenwirkungen wurden gastroin-
fortgesetztem Trinken als Kontinuitätsdelir testinale Beschwerden und Juckreiz, selten Ver-
auftritt. Die Latenz zwischen Entzug und Delir wirrtheit und Schlafstörungen beobachtet. Ein
beträgt in der Regel 1–3 Tage, die Dauer eines Suchtpotenzial besteht nicht. Bei Kindern und
Delirs 2–5 Tage. Unbehandelt führen 20–30 % Patienten über 65 Jahre sowie bei schweren Nie-
der Alkoholdelirien zum Tod. Beim Vollbild des ren- und Leberfunktionsstörungen ist Acam-
Delirs ist das Bewusstsein getrübt, die zeitliche prosat kontraindiziert.
und örtliche Orientierung sind gestört, es
kommt zu optischen und akustischen Halluzi- 34.2.3 Säuren
nationen. Die Patienten sind außerdem psycho- Die häufigsten Säurevergiftungen werden durch
motorisch erregt und erhöht suggestibel. Das Eisessig, Salzsäure, Schwefelsäure und Salpe-
Gesicht ist gerötet, ferner beobachtet man grob- tersäure hervorgerufen.
schlägigen Tremor und starkes Schwitzen. An Haut und Schleimhaut rufen konzentrier-
Die Therapie des chronischen Alkoholismus te Säuren lokale Verätzungen hervor, die zu Ne-
ist schwierig. Eine vollständige Alkoholabsti- krosen und Narben mit Keloidbildung führen
nenz ist fast nur während einer Entziehungskur können. Wegen der eiweißkoagulierenden Wir-
in einer geschlossenen Anstalt gewährleistet. Je- kung und der Bildung eines Ätzschorfs, der das
doch werden nach der Entlassung sehr viele darunterliegende Gewebe schützt, bleiben aber
Trinker wieder rückfällig (Rezidivquote bis die als Koagulationsnekrosen bezeichneten Ge-
70 %). Bei Entziehungskuren werden vor allem webedefekte im Gegensatz zu Laugenvergiftun-
Benzodiazepine (Ⴉ Kap. 11.3.1) und Clomethia- gen (s. u.) meist oberflächlich. Dies gilt jedoch
zol (Distraneurin®) eingesetzt, die sich darüber nicht für Verätzungen mit Fluorwasserstoff
hinaus zur Therapie des Delirium tremens be- (Flusssäure), da dieser in undissoziierter Form
währt haben. Doch ist auch ihre Anwendung auch in tieferliegende Haut- bzw. Schleimhaut-
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 611

schichten gut penetriert und dadurch schwere tiv zu binden vermag. Nach dem Reaktionsme-
und sehr schmerzhafte sowie schlecht heilende chanismus unterscheidet man Substanzen, die
Entzündungen bewirkt, die eine spezielle Be- selbst (direkt) mit Hämoglobin reagieren (z. B.
handlung erfordern. Therapeutisch werden Chlorate), von Stoffen, die erst nach Metaboli-
Säureverletzungen an Haut und Auge sofort mit sierung (indirekt) zu einer solchen Reaktion be-
Wasser ausgiebig gespült. Anschließend behan- fähigt sind (z. B. aromatische Amino- und Nit-
delt man die verletzten Stellen wie eine Verbren- roverbindungen).
nung. Lokale Verätzungen mit Flusssäure wer- In den Erythrozyten kann Methämoglobin
den zunächst mit Hyaluronidase zusammen mit mithilfe verschiedener Enzymsysteme, insbe-
einem Lokalanästhetikum (z. B. 2 %iger Pro- sondere mittels der Methämoglobinreduktase,
cain-Lösung), anschließend mit 10 %iger Calci- wieder zu Hämoglobin reduziert werden. Für
umgluconat-Lösung (zur Bildung von unlösli- die dafür erforderliche Bereitstellung von H2 zur
chem Calciumfluorid) – ebenfalls mit Lokalan- Regeneration von NADPH aus NAD+ ist die
ästhetikum-Zusatz – unterspritzt, bis die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase von ent-
Schmerzen verschwunden sind. Beim Wieder- scheidender Bedeutung. Ein genetischer Mangel
auftreten der Schmerzen ist die Behandlung zu an diesem Enzym (Ⴉ Kap. 6.2) hat daher erhebli-
wiederholen. che Bedeutung. Bei davon betroffenen Personen
sind Methämoglobin-bildende Stoffe erheblich
34.2.4 Laugen giftiger. Auch Säuglinge reagieren besonders
Am häufigsten sind Vergiftungen mit Natron- empfindlich, da sie noch nicht über genügende
lauge, Kalilauge und Ammoniakflüssigkeit Mengen an Methämoglobinreduktase verfügen
(Salmiakgeist). Laugenvergiftungen sind noch und ihr Hämoglobin leichter oxidierbar ist.
gefährlicher als Säurevergiftungen, da das Ge- Als Folge einer Methämoglobinämie beob-
webe verflüssigt wird und kein fester Ätzschorf achtet man Symptome eines Sauerstoffman-
entsteht (Bildung einer sog. Kolliquationsnek- gels. Dementsprechend treten ab etwa 20–30 %
rose). Durch das nekrotisierte Gewebe können Methämoglobin im Blut neben grau-blasser
die Basen in tiefere Gewebsschichten eindrin- Haut Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Herz-
gen. An der Haut findet man wie nach Einwir- klopfen und Schwindel auf. Bei höheren
kung von Säure lokale Verätzungen, die wegen Methämoglobinkonzentrationen (60–80 %)
der Verletzung tieferer Hautschichten schlecht kommt es zu Bewusstseinsverlust, Schock, Un-
heilen und ausgeprägte Narben hinterlassen. tertemperatur und schließlich zum Tod.
Laugenspritzer, die ins Auge gelangen, können Die Therapie einer Methämoglobinvergif-
zu völliger Erblindung führen. Die Therapie tung besteht darin, durch intravenöse Injektion
entspricht der einer Säurevergiftung. des Reduktionsmittels Toloniumchlorid (Tolui-
dinblau „Köhler“), die körpereigene enzymati-
34.2.5 Methämoglobinbildner sche Reduktion von Methämoglobin zu be-
Zahlreiche Substanzen, z. B. Chlorate, Perchlo- schleunigen, indem NAD+ zu NADPH reduziert
rate, Nitrite, Nitrate, NO, Nitroverbindungen, wird. Günstig erweist sich in einigen Fällen, z. B.
aromatische Amine sowie verschiedene Arznei- bei einer Nitritvergiftung, auch die Durchfüh- 34
stoffe (z. B. Glyceroltrinitrat, Sulfonamide), die rung einer Hämodialyse.
zu diesen Verbindungsklassen gehören, können
dadurch zu Vergiftungserscheinungen führen, 34.2.6 Schwermetalle und Metalloide
dass sie Hämoglobin durch Oxidation von Fe2+ Zahlreiche Schwermetalle sind Kapillar- und
zu Fe3+ in braunes Methämoglobin (Ferrihämo- Enzymgifte. Ihre toxischen Effekte sind nicht
globin) umwandeln. Dieses ist nicht mehr in der auf einen einheitlichen Reaktionsmechanismus
Lage, Sauerstoff zu transportieren, da sein drei- zurückzuführen, sondern beruhen auf einer
wertiges Eisen Sauerstoff nicht mehr koordina- Reihe von Angriffspunkten, die allerdings in
612 34 Toxikologie

ihrer Bedeutung nur teilweise bekannt sind. Ge- Bereich (pH 4–7,4) stabile Komplexe bilden.
sichert ist, dass Schwermetallionen Eiweiß de- (Bei in saurem Urin instabilen Chelaten bestün-
naturieren (von Bedeutung bei der akuten ora- de die Gefahr einer Tubulusschädigung durch
len Vergiftung), hohe Affinität zu SH-Gruppen die infolge der Urinkonzentrierung hohen
besitzen, Magnesium-, Calcium-, Zink- oder Metallionenkonzentrationen.)
andere mehrwertige Kationen aus deren Kom-
2,3-Dimercaptopropan-1-sulfonsäure (DMPS;
plexbindung mit Eiweißen verdrängen und da-
Dimaval®) ist peroral applizierbar und wird vor
durch katalytische Zentren in Enzymen beein-
allem zur Therapie von anorganischen und or-
flussen. Außerdem reagieren sie mit anderen
ganischen Quecksilber- sowie von chronischen
funktionellen Gruppen in Biomolekülen. Da sie
Bleivergiftungen, ferner bei Intoxikationen mit
sich z. T. in verschiedenen Organen, insbeson-
Arsen, Antimon, Chrom, Cobalt und Kupfer
dere im Magen-Darm-Kanal, in der Leber und
eingesetzt. Mit seinen beiden benachbarten SH-
den Nieren, anreichern, werden diese besonders
Gruppen bildet es mit Metallionen stabile, renal
geschädigt. Während früher akute Schwerme-
ausscheidbare Komplexe. Als Nebenwirkungen
tallvergiftungen im Vordergrund standen,
wurden gelegentlich Schüttelfrost, Fieber und
kommt heute der chronischen Exposition er-
Exantheme sowie in Einzelfällen Transamina-
heblich größere Bedeutung zu. Besonders prob-
senerhöhung, Stevens-Johnson-Syndrom und
lematisch ist, dass nicht nur bei den als giftig
Erythema exsudativum multiforme beobachtet.
bekannten Stoffen, z. B. Arsenverbindungen,
Calcium-trinatrium-pentetat (Calcium-Di-
sondern auch bei lebensnotwendigen Spuren-
tripentat; DTPA; Ditripentat-Heyl®), ein Calci-
elementen (z. B. Cobalt, Mangan, Selen) karzi-
um-Trinatrium-Salz der Diethylentriaminpen-
nogene Wirkungen beschrieben wurden.
taessigsäure, eignet sich zur Therapie von Ver-
Für die Therapie von Schwermetallvergif-
giftungen mit Cadmium, Chrom, Eisen, Man-
tungen stehen als Antidote Chelatbildner (s. u.)
gan, Zink und vor allem mit Blei und Plutonium.
zur Verfügung, die gleichzeitig eine Entgiftung
Ca2+ wird dabei aus seiner Chelatbindung ver-
und eine beschleunigte Ausscheidung der gifti-
drängt und durch Metallionen mit höherer Sta-
gen Metallionen bewirken sollen. Die Bildung
bilitätskonstante ausgetauscht. Die Metallchela-
des Chelats, d. h. die Komplexbildung zwischen
te sind gut nierengängig. Als Nebenwirkungen
dem Schwermetallion und dem Chelatbildner,
wurden Temperaturerhöhungen, Parästhesien,
führt dadurch zu einer Entgiftung, dass die
Thrombophlebitis sowie Ex- und Enantheme
Schwermetallionen u. a. von funktionell wichti-
beobachtet. Bei höherer Dosierung besteht die
gen Enzymen entfernt und dadurch gestörte
Gefahr einer Nierenschädigung. Außerdem
Funktionen wiederhergestellt werden. Gleich-
muss mit einer Verarmung an essenziellen Mi-
zeitig verhindert das Abfangen noch nicht an
neralstoffen, insbesondere von Zink, gerechnet
Proteine gebundener Ionen einen weiteren
werden.
Funktionsausfall. Erwünscht ist darüber hinaus
Deferoxamin (Desferal®), eine aus Actino-
eine Mobilisierung von (biologisch inaktiven)
myceten gewonnene Base, steigert die Eisenaus-
Schwermetallionen aus Depots. Für die thera-
scheidung. Durch die drei im Molekül enthalte-
peutische Anwendbarkeit eines Chelatbildners
nen Hydroxamsäuregruppen werden Eisenio-
ist es wichtig, dass seine Affinität zu toxischen
nen in einen gut wasserlöslichen Komplex über-
Metallionen hoch, die zu körpereigenen Ionen
führt, der renal ausgeschieden wird. Als
dagegen niedrig ist. Ferner sind, um eine rasche
Nebenwirkungen kommen anaphylaktoide Re-
Ausscheidung der gebildeten Chelate zu errei-
aktionen mit Blutdruckabfall vor, ferner ist eine
chen, Chelatbildner erforderlich, die sehr hy-
Nierenschädigung möglich.
drophile und damit im Tubulusapparat wenig
Deferipron (Ferriprox) wird bei Patienten
resorbierbare sowie in einem relativ weiten pH-
mit erhöhten Eisenblutspiegeln eingesetzt, die
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 613

႒ Tab. 34.2 Symptome und Akuttherapie von Schwermetallvergiftungen (Fortsetzung)


Vergiftung Symptome (Auswahl) Akuttherapie
durch

Blei Akute Vergiftung: Erbrechen, Darmkoliken, Blutdruckabfall, Natriumsulfat, Aktivkohle,


Leber-, Nieren- und ZNS-Schädigung, hämolytische Anämie; Calciumtrinatriumpentetat
Chronische Vergiftung: Bleianämie, -blässe, -kolik, Lähmungen

Queck- Akute Vergiftung (mit Sublimat): Stomatitis, Ösophagitis, Gastro- Aktivkohle, DMPS, Opioide,
silber enteritis mit Erbrechen, blutige Diarrhö, schwere Tubulusschädi- Parasympatholytika
gung der Niere, Anurie;
Chronische Vergiftung: Stomatitis, Kopfschmerzen, Tremor,
Schlaflosigkeit, Sprachstörungen, Depression, Kachexie

Cadmium Akute Vergiftung: Husten, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Atemnot, Aktivkohle, DMPS
nach Latenz bei schweren Vergiftungen Lungenödem; (mit fraglichem Erfolg)
Chronische Vergiftung: anhaltender Husten und Schnupfen, Hyp-
und Anosmie, chronische Bronchitis, Nierenschädigung, gelber
Cadmiumsulfid-Saum an den Zähnen, kanzerogenes Risiko

Thallium Akute Vergiftung: Übelkeit, Erbrechen (nicht obligat), nach Latenz Aktivkohle, wiederholte
von 2–3 Tagen schwere Gastroenteritis, Polyneuropathie, Thalli- Gabe von kolloidalem
um-Enzephalopathie, nach 2–3 Wochen typischer Haarausfall, Ferrihexacyanoferrat(II)
Sehstörungen;
Chronische Vergiftung: leichter Haarausfall, Polyneuritis,
Kachexie

Arsen Akute Vergiftung durch Arsentrioxid: Blutdruckabfall, intensiver Wie bei Quecksilber
Durst, Übelkeit, Erbrechen, Gastroenteritis, wässrige Diarrhö,
wegen des starken Wasser- und Elektrolytverlusts Hämokonzen-
tration, Nierenfunktionsstörung, Tachykardie, Schock;
Chronische Vergiftung: Hyperkeratosen, Hautpigmentierung,
„Arsenschnupfen“, Polyneuritis, kanzerogenes Risiko

Chrom Akute Vergiftung durch Chrom-VI-Verbindungen: starke Ätz- Sofortiges Trinken von
wirkung, schwere gastrointestinale Symptome, Schock (der rasch 300 ml Wasser, Ascorbin-
zum Tod führen kann), bei Überlebenden Thrombozythämie, säure zur Reduktion von
Anämie, Niereninsuffizienz, Leberschaden Cr6+- zu Cr3+-Verbindun-
gen, Schockbekämpfung,
ggf. Hämodialyse

Eisen Akute Vergiftung: heftiges Erbrechen, hämorrhagische Gastritis, P. o. (5–10 g) und gleich-
Durchfälle, Schock; toxische Hepatitis, Nierentubulusnekrose; zeitig parenterale Gabe
Chronische Eisenüberladung: genetisch bedingte (primäre) (1–2 g) von Deferoxamin,
Hämochromatose; sekundär (Hämosiderose) meist infolge häufi- sonst symptomatisch 34
ger Bluttransfusionen, z. B. bei myelodysplastischem Syndrom

Selen Akute Vergiftung durch H2Se: starke Reizung von Auge, Nase und Bei H2Se-Vergiftungen Be-
oberen Luftwegen, Lungenödem; handlung des Lungen-
Akute Vergiftung durch Selenite und Selenate: gastrointestinale ödems, bei Intoxikation
Störungen, Leberschäden; mit Seleniten und Selena-
Chronische Vergiftung: zentralnervöse und gastrointestinale ten resorptionsverhin-
Symptome, Leberschäden, Porphyrinurie dernde Maßnahmen
614 34 Toxikologie

႒ Tab. 34.2 Symptome und Akuttherapie von Schwermetallvergiftungen (Fortsetzung)


Vergiftung Symptome (Auswahl) Akuttherapie
durch

Mangan Akute Vergiftung durch Kaliumpermanganat: Glottisödem, Wie bei Vergiftungen mit
Aspirationspneumonie, Erbrechen, blutige Diarrhö; Cr6+-Verbindungen
Chronische Vergiftung: Mangan-Enzephalitis mit Parkinson-
artigen Symptomen, Parästhesien, Intelligenzdefekten

Nickel Akute Vergiftung durch Nickeltetracarbonyl: toxisches Lungen- Symptomatisch, DMPS


ödem;
Chronische Schäden: Kontaktdermatitis, kanzerogenes Risiko

eine Behandlung mit Deferoxamin nicht vertra- werden. Außer somatischen können sie dabei
gen. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind auch genetische Schäden hervorrufen. Ferner
Neutropenie und Agranulozytose unklarer Ge- besteht die Gefahr der Entstehung maligner Tu-
nese, die eine wöchentliche Kontrolle der Neu- moren. Die radiobiologische Wirkung ist außer
trophilenzahl erfordern. Weitere unerwünschte von der Art und der Stärke der Strahlung auch
Wirkungen sind u. a. Erbrechen, Magenschmer- von der Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls
zen und Appetitzunahme. (physikalischen Halbwertszeit) und der Halb-
In ႒ Tab. 34.2 sind toxikologische Angaben zu wertszeit (biologischen Halbwertszeit) abhän-
Schwermetall- und Metalloid-Vergiftungen zu- gig: Je stärker die Strahlung und je länger die
sammengestellt. physikalische und die Halbwertszeit, umso stär-
ker ist der Effekt.
34.2.7 Radioaktive Isotope Unter den radioaktiven Stoffen kommt Uran
Radioaktive Stoffe werden in steigendem Maß wegen seiner Verwendung bei der Kernspaltung
in der Diagnostik (z. B. bei nuklear-medizini- besondere Bedeutung zu, nicht zuletzt wegen
schen Untersuchungen) und Therapie (z. B. bei der schwierigen sicheren Beseitigung des radio-
der Behandlung von Schilddrüsen- und Prosta- aktiven Abfalls. Der α-Strahler 239Plutonium,
takarzinomen) eingesetzt. Aus toxikologischer der in der Natur nur in sehr geringen Mengen
Sicht sind jedoch vor allem radioaktive Isotope, vorkommt, entsteht im nuklearen Brennstoff-
die bei der Kernspaltung als radioaktiver Abfall kreislauf durch Neutronenbeschuss von Uran-
entstehen, sowie radioaktiver „fall-out“ bei Re- atomen. Aufgrund seiner langen Halbwertszeit
aktorkatastrophen oder Atombombenversu- (24 065 Jahre) besitzt er ein besonderes Gefah-
chen von Bedeutung. Toxische Effekte können renpotenzial. Nach Aufnahme in den Körper
die radioaktiven Verbindungen wegen ihrer α, findet man die höchsten Konzentrationen in der
β- und/oder γ-Strahlung auslösen. Bei Einwir- Leber und den Knochen. 90Strontium (Radio-
kung von außen rufen α-Strahler, da sie nur strontium), ein β-Strahler mit einer Halbwerts-
eine sehr geringe Eindringtiefe besitzen, nur zeit von 28 Jahren, gehört zu den gefährlichsten
Schäden in der Epidermis hervor. Durch Produkten bei Atombombenexplosionen. Auf-
β-Strahler, die Elektronenstrahlen emittieren, grund seiner nahen chemischen Verwandtschaft
sind auch tieferliegende Hautschichten betrof- mit Calcium wird es in den Knochen eingebaut,
fen, γ-Strahler bewirken gleiche Störungen wie besonders gefährdet sind Jugendliche wegen des
eine Röntgenbestrahlung. Inkorporierte radio- in diesem Alter ausgeprägten Knochenwachs-
aktive Isotope schädigen vor allem Organe mit tums. 226Radium wird ähnlich wie Strontium in
hoher Mitoserate wie z. B. das Knochenmark, den Knochen eingebaut und kann selbst in Mi-
darüber hinaus solche, in denen sie angereichert krogramm-Mengen Knochenmarkschäden oder
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 615

Osteosarkome hervorrufen. Bei Bergleuten, die zen mit Kopfschmerzen, verstärktem Speichel-
radiumhaltiges Erz abbauten, traten in einem fluss, Übelkeit und Erbrechen, Diarrhö, Tremor,
hohen Prozentsatz Bronchialkarzinome auf. Tachykardie und Schwächegefühl in den Beinen
Eine (einmalige) schwere akute Strahlen- ein. Bei schweren Vergiftungen treten dann to-
schädigung durch radioaktive Isotope führt nisch-klonische Krämpfe auf, schließlich kann
nach einer Latenz von Stunden bis Tagen zu es zu Schock, Koma, Atemlähmung und Herz-
Kopfschmerzen, Erschöpfung, Übelkeit, Erbre- stillstand kommen. Die Therapie ist, abgesehen
chen, Blutungen und Diarrhö. Bei tödlichen von resorptionsverhindernden Maßnahmen –
Strahlendosen tritt der Tod nach etwa 10 Tagen insbesondere durch Gabe von Carbo medicina-
ein. Bei Überlebenden zeigen sich in der Folge- lis – symptomatisch.
zeit Thrombo- und Neutropenien, Anämie, Die bei langjährigem Rauchen von Tabak
Hämorrhagien, Diarrhö und Fieber. Als Spät- entstehenden Schäden sind weniger auf Nicotin
schäden ist vor allem das gehäufte Auftreten von als auf andere Substanzen, z. B. Teerbestandteile
Leukämien zu nennen. Bei wiederholter – auch (aliphatische und aromatische Kohlenwasser-
geringer – Strahlenbelastung kumulieren die stoffe, Phenole u. a.), Alkohole, Amine, Nitros-
Wirkungen. Nuklearmedizinische Untersu- amine, Ammoniak, Stickoxide, Kohlenmonoxid
chungen mit radioaktiven Verbindungen dürfen und giftige Schwermetalle (z. B. Cadmium) zu-
daher nur nach strenger Indikationsstellung rückzuführen. Man sollte daher korrekter von
durchgeführt werden. Die therapeutischen einer chronischen Raucher- bzw. Tabakvergif-
Maßnahmen nach einer Strahlenschädigung tung als von einer chronischen Nicotinvergif-
sind vorwiegend symptomatisch. Eine Behand- tung sprechen. Eindeutig statistisch gesichert
lung mit Chelatbildnern ist nur sinnvoll, solange ist, dass Rauchen die Entwicklung arteriosklero-
keine Einlagerung in den Knochen erfolgt ist. tischer Veränderungen beschleunigt und Rau-
Sog. Strahlenschutzmittel, z. B. die Thiole Cy- cher dementsprechend häufiger an einer koro-
stein und Cysteamin, wirken nur, wenn sie pro- naren Herzkrankheit leiden. Rauchen kann
phylaktisch, d. h. vor einer Bestrahlung gegeben ferner andere obliterierende Gefäßerkrankun-
werden. gen (z. B. Thrombangiitis obliterans, Stenosen
der Beinarterien) auslösen oder verstärken, die
34.2.8 Pflanzengifte Magensaftsekretion stimulieren sowie den duo-
34.2.8.1 Alkaloide denogastralen Reflux fördern und damit das
Nicotin und Tabakrauchen. In Deutschland Auftreten von Magen- und Zwölffingerdarm-
rauchen derzeit etwa 30 % der Männer und 25 % geschwüren begünstigen. Weiterhin kann Rau-
der Frauen. Da Rauchen generell und insbeson- chen den Grundumsatz steigern, Schäden an
dere inhalatives Zigarettenrauchen die Gesund- männlichen und weiblichen Keimzellen hervor-
heit nachweislich stark schädigen, sind Tabak rufen und damit die Missbildungsrate erhöhen,
und das in ihm enthaltene Hauptalkaloid Nico- das Auftreten von Karzinomen fördern sowie
tin mit Abstand die bedeutsamsten Umweltgifte. die Frühgeburtenrate vergrößern und das Ge-
Die tödliche Nicotindosis von 40–60 mg ist burtsgewicht vermindern. Bronchialkarzinome
zwar schon in einer Zigarre oder in 5 Zigaretten (Plattenepithelkarzinome) treten bei schwachen 34
enthalten, doch sind akute Nicotinvergiftungen Rauchern (< 10 Zigaretten/Tag) 15-mal, bei mit-
durch Rauchen selten, da ein großer Teil des Ni- telstarken Rauchern (10–20 Zigaretten/Tag) 18-
cotins – ohne mit dem Rauch eingeatmet zu mal, bei starken Rauchern (20–40 Zigaretten/
werden – in die Luft der Umgebung übergeht. Tag) 40-mal und bei sehr starken Rauchern
Häufiger werden akute Nicotinvergiftungen (> 40 Zigaretten/Tag) 60-mal häufiger als bei
durch nicotinhaltige Pflanzenschutzmittel, die Nichtrauchern auf. Auch Kehlkopf-, Mundhöh-
Rohnicotin oder Nicotinsulfat enthalten, her- len- und Ösophaguskarzinome findet man ver-
vorgerufen. Die Vergiftungserscheinungen set- mehrt bei Rauchern. Wird das Rauchen einge-
616 34 Toxikologie

stellt, sinkt das Krebsrisiko wieder mit zuneh- cherentwöhnung eingesetzt. Der genaue Wir-
mender Dauer des Nichtmehr-Rauchens. Als kungsmechanismus ist unklar, vermutlich wird
zusätzliche Gefahren des chronischen Tabak- die Nicotinabstinenz durch Verringerung der
rauchens sind Reizungen der Schleimhaut der synaptischen Wiederaufnahme von Dopamin
oberen Luftwege (Lähmung der Tätigkeit der und Noradrenalin erreicht. Ein Jahr nach Been-
Flimmerhärchen, Störung der Schleimprodukti- digung der üblichen sieben- bis neunwöchigen
on der Drüsenzellen) und als deren Folge chro- Therapie lag die Abstinenzrate bei Rauchern in
nische Pharyngitis, Laryngitis und insbesondere der Verumgruppe bei ca. 30 %, in der Placebo-
chronisch obstruktive Bronchitis (COPD, Gruppe bei etwa 15 %.
Ⴉ Kap. 24.1.2) sowie eine Schädigung der Retina
Sonstige Alkaloide. Aconitin (Acetylbenzoyla-
bzw. des Nervus opticus (Tabak-Amblyopie) zu
conin) ist das Hauptalkaloid von Aconitum na-
nennen. Insgesamt gesehen ist die Lebenserwar-
pellus, dem blauen Eisenhut, der als giftigste
tung von Rauchern – proportional zur Stärke
Pflanze in Europa gilt. Es kommt in allen Teilen
des Rauchens – deutlich verringert. Auch die
der frischen Pflanze vor. Das rasch über
passiv Mitrauchenden sind erheblich gefährdet
Schleimhäute und z. T. auch über die Haut resor-
(in den Zugpausen geht ein Großteil der Sub-
bierte Aconitin löst zunächst eine Anästhesie
stanzen im sog. Nebenstromrauch direkt in die
der Zunge und im Mundhöhlenbereich aus und
Luft über, teilweise ist die Schadstoffkonzen-
führt ferner zu Übelkeit und Erbrechen, z. T.
tration, z. B. von Nitrosaminen, im Nebenstrom
auch Diarrhöen und kolikartigen Leibschmer-
sogar höher als im Hauptstrom).
zen. Im weiteren Verlauf kommt es zu Parästhe-
Nicotinhaltige Kaugummis, Pflaster oder
sien am gesamten Körper mit Ameisenlaufen
Lutschtabletten (z. B. Nicorette®) können zwar
und einem charakteristischen Kältegefühl,
die Raucherentwöhnung erleichtern, doch ist,
schließlich zu starken Schmerzen, Herzrhyth-
um eine anhaltende Wirkung zu erreichen, eine
musstörungen und Lähmungen. Der Tod erfolgt
gleichzeitige Psychotherapie dringend geboten.
durch Kammerflimmern oder Atemlähmung,
Dies gilt auch für andere Raucherentwöhnungs-
die Dosis letalis für den Erwachsenen beträgt
mittel wie Vareniclin und Bupropion.
3–6 mg (entsprechend 2–15 g der Wurzel). Die
Vareniclin (Champix®) ist ein partieller Ago-
Giftwirkung von Aconitin kommt dadurch zu-
nist am neuronalen n-Cholinozeptor-Subtyp
stande, dass es spannungsabhängige Natrium-
(α4)2(β2)3, der für die Suchtwirkung von Nicotin
kanäle öffnet oder deren Schließung verhindert.
von zentraler Bedeutung ist. Die Interaktion von
Durch den verlängerten Na+-Einstrom ist initial
Nicotin mit diesem Rezeptor führt zur Freiset-
die Erregbarkeit gesteigert, später tritt eine Läh-
zung von Dopamin, einem Botenstoff des endo-
mung auf.
genen Belohnungssystems, und damit zur Ab-
Das Chinolizidin-Alkaloid Cytisin ist das
hängigkeit. Vareniclin bindet mit höherer Affi-
giftige Hauptalkaloid des Goldregens (Labur-
nität, jedoch niedrigerer intrinsischer Aktivität
num anagyroides). Die Vergiftungssymptome
als Nicotin an den Rezeptor und reduziert da-
(Übelkeit, Erbrechen, tonisch-klonische Krämp-
durch Entzugserscheinungen in der Abstinenz-
fe) gleichen denen einer Nicotinvergiftung.
phase. Nach einer Einnahme über zwölf Wo-
Meist verhindert das rasch einsetzende Erbre-
chen kann mit einer Abstinenzrate von ca. 45 %
chen die weitere Giftresorption und damit eine
gerechnet werden. Als häufigste Nebenwirkung
schwerere Vergiftung.
tritt leichte bis mäßige Übelkeit auf, weitere un-
Das Chinolizidin-Alkaloid Spartein ist das
erwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen,
Hauptalkaloid verschiedener Ginster-Arten,
Schlafstörungen und abnorme Träume.
z. B. des Besenginsters (Cytisus scoparius), dane-
Der selektive Noradrenalin-Wiederaufnah-
ben wird es in Lupinen-Arten gefunden. Die an-
mehemmer Bupropion (Zyban®) wird nicht nur
tiarrhythmisch wirkende Substanz ist ein unter
als Antidepressivum, sondern auch zur Rau-
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 617

pharmakokinetischen Gesichtspunkten bedeut- Toxizität besitzen die cyclischen Diester, zu de-


sames Substrat von Cytochrom P450 2D6. nen die sehr verbreiteten Alkaloide Senecionin
Leichtere Sparteinvergiftungen äußern sich in und Senkirkin gehören. Interessanterweise sind
Schwindel, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Seh- die genuinen Alkaloide ungiftig. Erst nach Re-
störungen, Herzklopfen und Parästhesien in den sorption werden sie in der Leber zu toxischen
Extremitäten. Bei schweren (bis schwersten) Metaboliten (Dehydropyrrolizidinen) biotrans-
Vergiftungen kommt es zu Bradykardie und formiert. Akute Vergiftungen mit Pyrrolizidin-
Herzstillstand. Alkaloiden kommen beim Menschen kaum vor.
Vergiftungen mit Colchicin (Ⴉ Kap. 12.2.7.1), Jedoch besteht bei ihrer Einnahme langfristig
dem Hauptinhaltsstoff von Colchicum autumna- die Gefahr von schweren Leberschäden (Ver-
le (Herbstzeitlose), kommen vor allem bei Kin- schluss von Lebervenen, Leberzirrhose, Leber-
dern nach Einnahme von Samen oder Blüten tumoren). Aus diesem Grund ist der Genuss von
vor. Da es sich bei Colchicin um ein Mitosegift Kräutertees der oben genannten Pflanzen ge-
handelt, treten die Vergiftungserscheinungen fährlich.
erst nach einer Latenz von 2–5 Stunden auf. Sie Strychnin, ein Indolalkaloid, ist der Hauptin-
entsprechen weitgehend denen einer Arsenver- haltsstoff der Brechnuss (Strychni semen), den
giftung (Brennen und Kratzen im Mund, akute Samen des indischen Baumes Strychnos nux vo-
Gastroenteritis mit Erbrechen, Koliken und mica. Die frühere Verwendung als Rodentizid
wässrigen Durchfällen), weshalb Colchicin auch sowie als Tonikum („Stärkungsmittel“) ist obso-
als „vegetabilisches Arsenik“ bezeichnet wurde. let. Strychnin ist ein typisches Krampfgift. Seine
Der Tod tritt bei erhaltenem Bewusstsein durch Wirkung kommt durch eine Blockade von Gly-
Atem- und Kreislaufinsuffizienz ein (Dosis leta- cin-Rezeptoren (GlyR) im Rückenmark zustan-
lis für Kinder 1,2–1,5 g der Samen). de. Die tödliche Dosis für den Menschen liegt
Coniin ist das Hauptalkaloid des gefleckten bei 0,1–0,3 g. Niedrige Dosen führen zu gestei-
Schierlings (Conium maculatum). Giftig sind gerten Reflexen. Durch höhere Dosen werden
alle Pflanzenteile. An den Ganglien entsprechen Unruhe, Angst, Atemnot, Nackensteifigkeit und
die Coniinwirkungen denen von Nicotin, an der dann plötzlich (!) tetanische Krämpfe ausgelöst.
quergestreiften Muskulatur denen von Curare- Der Tod erfolgt durch Atemlähmung.
alkaloiden. Bei oraler Aufnahme wirken 0,5–1 g Die Therapie der genannten Alkaloidvergif-
Coniin für den Menschen tödlich. In der Antike tungen besteht in resorptionsverhindernden
wurden Schierlingsauszüge („Schierlingsbe- (Gabe von Aktivkohle) sowie symptomatischen
cher“) zur Tötung von zum Tode Verurteilten Maßnahmen (u. a. bei drohender Atemlähmung
verwendet (vgl. Tod des Sokrates). Neben vege- künstliche Beatmung, bei Bradykardie Atropin,
tativen Störungen (verstärktem Speichelfluss, bei Vorhofflimmern Kardioversion, bei Kam-
Übelkeit, Erbrechen, Durchfällen) kommt es bei merflimmern Defibrillation, bei Krämpfen
einer Coniinvergiftung zu einer in den Beinen Gabe von Diazepam).
beginnenden aufsteigenden Lähmung der quer-
gestreiften Muskulatur. Der Tod tritt bei vollem 34.2.8.2 Pflanzliche Proteine
Bewusstsein durch Atemlähmung ein. Zu den äußerst giftigen Pflanzeninhaltsstoffen 34
Pyrrolizidin-Alkaloide kommen weltweit in gehören verschiedene in Fabaceen-Samen vor-
zahlreichen Pflanzen vor. Schwerpunktmäßig kommende Eiweißstoffe, z. B. Abrin in der Pa-
finden sie sich in Asteraceae, Boraginaceae und ternostererbse (Abrus precatorius) und Phasin
Fabaceae. Chemisch sind die Pyrrolizin-Alkalo- in der Garten- und Feuerbohne (Phaseolus vul-
ide Ester sog. Necinbasen mit verschiedenen garis und P. coccineus), ferner das in Rizinus-Sa-
Mono- oder Dicarbonsäuren (Necinsäuren). men enthaltene Ricin. Sowohl Abrin als auch
Etwa 95 dieser Alkaloide sind mutagen, genoto- Phasin sind keine Einzelsubstanzen, sondern
xisch, karzinogen und teratogen. Die höchste stellen Proteingemische dar. Die genannten Pro-
618 34 Toxikologie

teine sind gegenüber Proteasen des Magen- scher primärer Giftelimination durch Gabe von
Darm-Trakts stabil. Die Samen der nur in tropi- Carbo medicinalis und evtl. vorsichtiger Magen-
schen und subtropischen Gebieten wachsenden spülung. Ferner sind Elektrolyt- und Flüssig-
Paternostererbse werden zu Schmuckgegen- keitsverluste zu ersetzen, falls erforderlich ist
ständen verarbeitet und gelangen auf diese Wei- eine Schocktherapie durchzuführen.
se in zahlreiche Länder. Bereits ein einzelner bei
der Schmuckherstellung durchstochener und 34.2.9 Pilzgifte
damit Verdauungssäften zugänglicher Same – Bei Intoxikationen mit Pilzen hat es sich be-
die unverletzte Schale ist für Verdauungssäfte währt, zwischen rasch (innerhalb von 15 min
praktisch undurchlässig – kann tödlich sein. und 2 Stunden) und verzögert (erst nach 5–48
Auch Rizinus-Samen werden zu Schmuckket- Stunden) zu Symptomen führenden Vergiftun-
ten verarbeitet. Je nach Ricin-Gehalt ist in einem gen zu unterscheiden, da bei letzteren die zu er-
bis wenigen Samen die für einen Erwachsenen wartenden Folgen wesentlich schwerwiegender
tödliche Dosis von etwa 0,25 g Ricin enthalten. sind. Zu dieser Gruppe gehören die Knollenblät-
Phasin wird wie Abrin und Ricin beim Ko- terpilz-, Frühjahrslorchel- und Schleierlings-
chen zerstört, von ungekochten Bohnenkernen Vergiftungen.
sind dagegen bereits wenige für Kinder letal. Als
Knollenblätterpilzvergiftung. Die gefährlichste
Vergiftungssymptome treten nach einer Latenz
Pilzvergiftung mit den meisten Todesfällen wird
von einigen Stunden (bis evtl. 1–2 Tagen) hefti-
durch Knollenblätterpilze (Amanita phalloides,
ges Erbrechen sowie eine hämorrhagische, nach
virosa und verna), die oft mit Champignons ver-
wenigen Tagen zum Tode führende Gastroente-
wechselt werden, hervorgerufen. Bei den in den
ritis auf. Die Therapie besteht in möglichst ra-

႒ Tab. 34.3 Pilzvergiftungen (Beispiele)


Pilzart, Giftstoff Symptome Therapie

Frühjahrslorchel, Ähnlich wie bei einer Knollenblätterpilzvergiftung Aktivkohle, sonst


Gyromitrin symptomatisch

Schleierlinge, Nach langer Latenz von Tagen bis u. U. Wochen gastro- Aktivkohle, sonst
Orellanin intestinale Beschwerden, Kopf-, Gelenk-, Muskel- symptomatisch
schmerzen, infolge Nierenschädigung nach initialer Po-
lyurie Oligurie, Anurie

Satanspilz, Speiteufel, Bereits innerhalb von 1–2 Stunden heftige Gastroente- Aktivkohle, Ausgleich
Giftreizker, ritis mit Erbrechen und schweren Durchfällen, meist des Wasser- und
Giftstoffe nicht genau be- nicht lebensgefährlich Elektrolytverlusts
kannt

Risspilze, Rasch, d. h. nach 30–120 min auftretendes massives Sofortige Infusion


Muscarin Schwitzen, verstärkter Speichelfluss, Miosis, Bradykar- von Atropin als Anti-
die, Bronchospasmus, gastroin testinale Beschwerden, dot in hoher Dosie-
evtl. Krämpfe, Schock, Lungenödem rung

Fliegen- und Pantherpilz, Nach einer Latenz von 0,5–3 h toxische Psychose Aktivkohle, evtl. Ma-
Ibotensäure, Muscimol (Rauschdroge)mit u. a. Halluzinationen Synästhesien, genspülung, Neuro-
(Muscarin nur in sehr ge- Störungen des Persönlichkeits-, Orts-und Zeitgefühls leptika-Gabe
ringer Konzentration)
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 619

Pilzen enthaltenen Giften handelt es sich um ist mit etwa 1,7 Mio. Schlangenbissen pro Jahr
thermostabile, cyclische Octapeptide mit α- und zu rechnen. Von diesen verlaufen ca. 40 000 töd-
β-Amanitin als wichtigste Vertreter. Diese hem- lich. Am gefährlichsten mit 100 %iger Mortalität
men die DNA-abhängige RNA-Polymerase II ist der Biss der Schwarzen Mamba (Dendroaspis
und damit die Nucleinsäuresynthese im Zell- polylepsis).
kern sowie konsekutiv die Proteinsynthese. Be- Die Schlangengifte enthalten – in unter-
sonders stark geschädigt werden das Darmepi- schiedlicher Zusammensetzung und Konzen-
thel sowie Leber und Nieren. Nach einer langen tration – Peptide und Enzyme. Toxische Peptide
Latenz von 6–12 (ggf. bis 48) Stunden beginnen kommen vor allem im Gift von Elapiden vor:
die Vergifteten zu erbrechen, fühlen sich schwer Neurotoxine binden an n-Cholinozeptoren der
krank und verlieren durch starke Durchfälle muskulären Endplatte und verhindern damit die
u. U. so viel Wasser und Elektrolyte, dass der Wechselwirkung von Acetylcholin mit dessen
Kreislauf zusammenbricht. Wird diese gastroin- Rezeptoren (curareartiger Effekt), die Gruppe
testinale Phase überwunden, entwickelt sich der Cardiotoxine erhöht die Ionenpermeabilität
nach einer zweiten Latenzperiode von 2–3 Ta- von Zellmembranen und führt außerdem zu ei-
gen ein hepatorenales Syndrom mit Ikterus, Blu- ner verstärkten Histaminausschüttung aus
tungen, hepatischer Enzephalopathie und ggf. Mastzellen. Eine dritte Gruppe, die Dendrotoxi-
akutem Nierenversagen. Die Therapiemöglich- ne, hemmt spannungsabhängige Kaliumkanäle.
keiten sind durch die lange Latenz bis zum Auf- Als toxische Enzyme findet man in Elapiden-
treten der ersten Symptome eingeschränkt. Ne- giften vor allem Phospholipasen und Hyaluro-
ben Maßnahmen zu einer schnellstmöglichen nidasen, im Gift von Vipern außerdem Protea-
Giftelimination (Magenspülung, Aktivkohle, sen. Wichtige Phospholipasen sind die Bungaro-
ggf. Duodenalsonde) wird Silibinin (Legalon® toxine mit neurotoxischer Wirkung. Andere
SIL), ein Inhaltstoff der Mariendistel (Silybum Phospholipasen wirken myotoxisch. Die in den
marianum), in einer Tagesdosis von 20–50 mg/ Schlangengiften enthaltenen Proteasen führen
kg KG infundiert, das die Aufnahme der Amani- zu Gerinnungsstörungen und Hämorrhagien so-
tine in die Leberzellen hemmt. Gleichzeitig wie zusammen mit Hyaluronidasen und Phos-
müssen Elektrolyt- und Flüssigkeitsverluste aus- pholipasen zu schweren Gewebszerstörungen.
geglichen werden. Bei akutem Nierenversagen Die Vergiftungserscheinungen nach einem
ist eine Hämodialyse erforderlich, ggf. ist eine Schlangenbiss unterscheiden sich nach der je-
extrakorporale Leberunterstützungstherapie weiligen Schlangenart und damit der Giftzusam-
oder sogar eine Lebertransplantation notwen- mensetzung. Nach Elapidenbissen stehen die
dig. Trotz intensivmedizinischer Betreuung be- curareartigen Lähmungen im Vordergrund.
trägt die Mortalität bei Erwachsenen etwa 10– Nach einem Vipernbiss entwickelt sich um die
15 %, bei Kindern bis zu 50 %. Bissstelle in kurzer Zeit ein starkes, sich schnell
ausbreitendes, hämorrhagisches Ödem. Nach
In ႒ Tab. 34.3 sind weitere wichtige, bei Verzehr
½–1 Stunde treten Übelkeit und Erbrechen,
zu Intoxikationen führende Giftpilze zusam-
Angst- und Schwächegefühl sowie Atemnot und
mengestellt.
evtl. Schocksymptome auf. Der Tod erfolgt meist 34
durch periphere oder zentrale Atemlähmung.
34.2.10 Tierische Gifte Unter den therapeutischen Erstmaßnahmen
Schlangengifte. Die europäischen Giftschlan- stehen die Aufrechterhaltung der Vitalfunktio-
gen gehören zur Familie der Vipern. Wichtige nen sowie die Ruhigstellung der betroffenen
außereuropäische Schlangen sind u. a. die zu Gliedmaßen im Vordergrund. Bei schweren In-
den Elapiden zählenden Kobra-Arten und die toxikationen wird nach Testung auf Verträglich-
Klapperschlangen (Crotalus-Arten). Weltweit keit (intrakutan oder konjunktival) möglichst
620 34 Toxikologie

rasch Schlangengift-Serum (Schlangengift-Im- fahr eines anaphylaktischen Schocks mit u. U.


munserum Behring) injiziert. Bei Kreuzotter- tödlichem Ausgang.
bissen ist allerdings das Risiko einer anaphylak- Therapeutisch kann eine Lokalbehandlung
tischen Reaktion durch das Serum größer als mit kühlenden Umschlägen sowie einem H1-
das Risiko der Vergiftung! Antihistaminikum- oder Glucocorticoid-halti-
gem Gel durchgeführt werden. Zur Prophylaxe
Insektengifte. Die bedeutsamsten Insektengifte
einer erneuten anaphylaktischen Reaktion bei
in Mitteleuropa stammen von den zu den Haut-
einem nochmaligen Stich kann bei allergisch re-
flüglern (Hymenopteren) zählenden Bienen
agierenden Personen eine Desensibilisierung
und Wespen. Zu letzteren gehören auch als
durchgeführt werden.
größte Art die Hornissen. Hymenopterengifte
enthalten als wichtigste Inhaltsstoffe biogene
34.2.11 Insektizide
Amine, Polypeptide und Enzyme. Von den bio-
Pyrethrine und Pyrethroide. Als Pyrethrine
genen Aminen ist Histamin in allen Hautflügl-
werden pulverisierte Blüten verschiedener Pyre-
ergiften vorhanden, Serotonin kommt zusätz-
thrum-Arten (Pyrethri flos, „Insektenpulver“)
lich im Gift der (gemeinen) Wespe und in dem
sowie gereinigte Extrakte bezeichnet. Unter
von Hornissen vor, Acetylcholin ist ein zusätzli-
Lichteinwirkung kommt es zu einer teilweisen
cher Bestandteil des Hornissengifts. Die drei
oxidativen Zersetzung der Wirkstoffe. Ein zwei-
Stoffe wirken zwar schmerzerregend, rufen aber
ter Weg zu zuverlässig wirkenden Insektiziden
in den vorliegenden Konzentrationen keine
dieses Typs besteht in der Synthese photostabi-
deutlichen Allgemeinsymptome hervor.
ler Derivate, sog. Pyrethroide (u. a. Allethrin I,
Stärkere Unterschiede als bei den biogenen
Permethrin, Fenvalerat). Ihre höhere Stabilität
Aminen werden in der Zusammensetzung der
verbessert die Effektivität gegen Insekten, er-
Polypeptide bei den verschiedenen Hautflügler-
höht aber auch die Humantoxizität.
Arten gefunden. So enthält Bienengift neben
einem Mastzellen-degranulierenden Peptid Pyrethrine und Pyrethroide führen zu einer ver-
(MCD-Peptid) das membranschädigend wir- längerten Öffnung spannungsabhängiger Natri-
kende Melittin und das durch Blockade eines umkanäle der Nervenzellmembran. Bestimmte
Calcium-abhängigen Kaliumkanals neurotoxi- Pyrethroide (z. B. Permethrin) können bei
sche Apamin. Im Wespen- und Hornissengift Warmblütern kurze Folgen mehrerer Nerven-
kommen Peptide mit kininartiger Wirkung vor. impulse und dadurch ein sog. T-Syndrom (be-
Als Enzyme findet man im Bienengift Hyaluro- nannt nach dem Hauptsymptom Tremor) her-
nidase und Phospholipase A, im Wespen- und vorrufen. Andere (z. B. Fenvalerat) können da-
Hornissengift außerdem Phospholipase B. Hy- gegen infolge langanhaltender Nervenimpuls-
aluronidase spaltet Bindegewebegrundsub- folgen zu Choreoathetose (Hyperkinese der
stanzen (Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat), Arme, Beine und Gesichtsmuskulatur) und Sali-
Phospholipasen bauen Membranphospholipide vation (CS-Syndrom) führen.
ab. Pyrethrine und viele Pyrethroide werden nur
Die nach Bienen- oder Wespen- (einschließ- in geringem Umfang (0,5–2 %) von intakter
lich Hornissen-)Stichen auftretenden üblichen Haut und Schleimhaut, dagegen gut bei (verse-
Symptome bestehen in örtlicher Entzündung hentlicher) peroraler Applikation resorbiert.
mit Brennen, Jucken, Rötung, Quaddelbildung Die Elimination erfolgt durch Biotransformati-
und Schmerzen, auch zahlreiche Stiche sind on zu zahlreichen polaren Metaboliten. Diese
nicht lebensbedrohlich. Meist gehen die Be- intensive Biotransformation trägt zur ver-
schwerden bald zurück, in seltenen Fällen kann gleichsweise geringen Toxizität der Pyrethrum-
es zu einer lokalen Nekrose kommen. Bei aller- Verbindungen beim Menschen bei. Die Halb-
gischer Reaktionslage besteht dagegen die Ge- wertszeiten betragen ca. 12–24 Stunden.
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 621

Pyrethroide werden nicht nur als Insektizide Erbrechen, Diarrhö, Schweißausbruch, Miosis,
in Landwirtschaft und Haushalt angewandt, vermehrte Speichelproduktion und Bronchial-
sondern auch medizinisch genutzt. So dienen sekretion, Bronchokonstriktion, Bradykardie
sie zur Beseitigung von Ektoparasiten bei Men- und evtl. Kammerflimmern sowie als Zeichen
schen (Kopf-, Kleider-, Filzläusen, Ⴉ Kap. 28.6.4) der nicotinischen Wirkung Muskelschwäche
und Haustieren (z. B. Läusen, Flöhen, Lausflie- und fibrilläre Zuckungen auf. Weitere Sympto-
gen, Zecken). Ferner werden sie als Repellenzi- me sind zentralnervöse Störungen (Angstge-
en eingesetzt. fühl, Kopfschmerzen, Krämpfe, Atemlähmung)
Vergiftungen mit Pyrethrinen/Pyrethroiden sowie Leber- und Nierenschäden. Der Tod tritt
treten vorzugsweise bei unsachgemäßem Um- infolge Atemlähmung oder durch ein Lungen-
gang sowie bei Anwendung in geschlossenen, ödem ein. Bei Erwachsenen kann die Aufnahme
schlecht gelüfteten Räumen auf. Unter den Sym- von 100–200 mg Parathion zum Tod führen, bei
ptomen stehen Parästhesien sowie Irritationen Kindern liegt die tödliche Dosis wesentlich
der Schleimhäute (Augen, Bronchialschleim- niedriger.
haut, Magen-Darm-Trakt) im Vordergrund. Die Neben resorptionsverhindernden Maßnah-
orale Aufnahme größerer Dosen führt zu men und einer symptomatischen Behandlung
Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit und Erbre- der zentral bedingten Krämpfe und des drohen-
chen sowie zentralnervösen Beschwerden (wie den Lungenödems ist bei Vergiftungen mit
Muskelzuckungen, Bewusstseinsstörungen und Phosphor- und Thiophosphorsäureestern eine
Krämpfen). Die Therapie ist symptomatisch. spezifische und kausale Therapie möglich: Es
wird sofort Atropin hochdosiert i. v. bis zur
Phosphorsäureester (Alkylphosphate). Eine
Normalisierung der vegetativen Funktionen in-
weitere Gruppe hochwirksamer Kontaktinsekti-
jiziert. Die Atropininjektion ist bis zur Gifteli-
zide sind Phosphorsäureester bzw. Thiophos-
mination zu wiederholen, da die Atropinwir-
phorsäureester. Trotz ihrer für den Menschen
kung nur relativ kurz anhält, die Serinphosphor-
hohen Toxizität haben diese Substanzen welt-
säureester aber nur langsam gespalten werden.
weite Verbreitung gefunden. Zu ihnen gehören
Ferner können Acetylcholinesterase-Reaktiva-
u. a. die Phosphorsäureester Paraoxon (E 600®)
toren, z. B. Obidoxim (Toxogonin®) oder Prali-
und Dichlorvos (DDVP, Detia) sowie die Thio-
doxim (PAM) langsam i. v. injiziert werden. Die
phosphorsäureester Nitrostigmin (Parathion, E
Anwendung dieser Substanzen hat jedoch au-
605®) und Malathion (Carbofos). Außer als In-
ßerordentlich vorsichtig zu erfolgen, da über-
sektizide wurden Phosphorsäureester als chemi-
höhte Dosen ihrerseits eine Hemmwirkung auf
sche Kampfstoffe (Nervengase) entwickelt.
das Enzym ausüben und außerdem das Auftre-
Hierzu zählen Sarin, Soman, Tabun u. a. Ihre
ten von Kammerflimmern begünstigen können.
Toxizität ist sehr hoch (z. B. LD50 von Soman
Die Reaktivierung der Acetylcholinesterase er-
0,14 mg/kg peroral). Die Wirkung der Phos-
folgt folgendermaßen: Zunächst bindet das
phorsäureester und ihrer Analoga beruht auf
quartäre Stickstoffatom des Reaktivators an das
der Hemmung der Acetylcholinesterase durch
anionische Zentrum der Cholinesterase. Nun
Phosphorylierung der Aminosäure Serin des es-
erfolgt ein Angriff der Oxim-Gruppe an dem 34
teratischen Zentrums des Enzyms.
mit Serin über eine schwer hydrolysierbare Es-
Phosphor- und Thiophosphorsäureester wer-
terbindung verknüpften Phosphorsäureester.
den rasch und gut aus dem Gastrointestinaltrakt
Unter Bildung eines Oximphosphats wird diese
resorbiert. Auch über die Lungen und durch die
Esterbindung gelöst und damit das Enzym reak-
Haut können die Stoffe zu einem erheblichen
tiviert.
Prozentsatz aufgenommen werden. Infolge der
Die Reaktivierbarkeit des vergifteten Enzyms
Anreicherung von Acetylcholin treten als Zei-
hängt dabei nicht nur vom jeweiligen Organo-
chen der muscarinischen Wirkung Übelkeit,
phosphat, sondern auch von der Zeit ab, die bis
622 34 Toxikologie

zur Gabe des Reaktivators vergangen ist. Der lon (z. B. Contrax-top), als Ratten- und Mäuse-
Zeitfaktor ist durch die sog. Alterung des vergif- gift gefunden. Ihr Wirkungsmechanismus ist
teten Enzyms bedingt. Dieser Alterungsprozess mit dem der Antikoagulanzien vom Dicouma-
beruht auf der Spaltung einer der Phosphorsäu- rol-Typ (Ⴉ Kap. 23.1.3.3) identisch. Als Vergif-
reester-Gruppen, wodurch eine stabilere Mono- tungssymptome treten – allerdings erst nach
alkoxy-phosphoryl-acetylcholinesterase gebil- Abbau des im Körper vorhandenen Prothrom-
det wird. Die Chance eines antagonistischen bins – schwere Blutungen auf, insbesondere in
Effekts durch Anwendung von Acetylcholin- das Gehirn, das Auge oder den Gastrointestinal-
esterase-Reaktivatoren ist somit umso geringer, trakt, mit der Gefahr der Entwicklung eines
je länger die Latenz zwischen Giftaufnahme und Schocks.
Behandlung ist. Die Therapie besteht bei schweren Vergif-
tungen mit Blutung in der intravenösen Zufuhr
Carbamidsäureester (Carbamate). Neben den
von Blutfraktionen mit den Gerinnungsfaktoren
Phosphorsäureestern werden Carbamidsäurees-
II, VII, IX und X. Das Antidot Vitamin K führt
ter (Carbamate) als Insektizide angewandt.
erst nach 1–3 Tagen zur Wiederherstellung der
Auch diese führen durch Blockade der Cholin-
Gerinnungsfähigkeit des Blutes, da die Leber die
esterase zum Tod der Insekten. Zu dieser Stoff-
Gerinnungsfaktoren erst wieder synthetisieren
gruppe zählen u. a. Butoxicarboxim (Plant
muss. Daher dürfen bei akuten, durch Cumarin-
Pin®), Methomyl (Lannate®) und Proxopur
Derivate hervorgerufenen Blutungen Vitamin-
(Baygon®). Die Vergiftungssymptome entspre-
K-Präparate nur zusätzlich gegeben werden.
chen denen der Phosphorsäureester. Wie bei
den therapeutisch verwendeten indirekten Para-
34.2.13 Bakterientoxine
sympathomimetika (Ⴉ Kap. 20.1.2) erfolgt auch
Zahlreiche Bakterien bilden Endo- oder Exoto-
bei den als Insektizide eingesetzten Stoffen die
xine, die den menschlichen Organismus schwer
Hydrolyse der Serincarbamidsäureester wesent-
schädigen können. Unter Endotoxinen versteht
lich langsamer als die von Acetylserin, jedoch
man aus toten gramnegativen Bakterien freige-
deutlich rascher als bei den entsprechenden Or-
setzte Lipopolysaccharide (LPS) der Bakterien-
ganophosphaten. Infolgedessen ist bei den In-
zellwand, die im Organismus durch Stimulation
sektiziden vom Carbamidsäureestertyp die
von Immunzellen die Bildung und Freisetzung
Wirkdauer kürzer als bei den Phosphorsäure-
von Entzündungsmediatoren hervorrufen.
estern. Vergiftungssymptome sind meist nach
Hohe Endotoxinkonzentrationen führen infolge
24 Stunden abgeklungen. Mehr als 80 % der re-
überschießender Mediatorbildung zur Organ-
sorbierten Substanz werden innerhalb von 24
schädigung und in schweren Fällen zum septi-
Stunden eliminiert. Todesfälle sind selten.
schen Schock. Exotoxine, bei denen es sich um
Die Therapie einer Carbamidsäureestervergif- Polypeptide oder Proteine handelt, werden da-
tung besteht wie bei einer Organophosphatver- gegen von lebenden Bakterien gebildet und frei-
giftung in der möglichst raschen Gabe hoher gesetzt. Aufgrund ihrer Angriffspunkte können
Atropin-Dosen. Acetylcholinesterase-Reaktiva- zytolytische (membranschädigende) und intra-
toren werden wegen ihrer geringen Wirksam- zellulär wirkende Exotoxine differenziert wer-
keit bei Carbamatvergiftungen dagegen nicht den. Zu den durch Porenbildung in der
verwendet. Zellmembran zytolytisch wirkenden Exotoxi-
nen gehören z. B. das sog. α-Toxin von Staphylo-
34.2.12 Rodentizide coccus aureus, Streptolysin O (SLO) von Strepto-
Unter Rodentiziden versteht man Mittel zur Na- coccus pyogenes und Hämolysin von E. coli. Int-
getierbekämpfung. Besonders weite Verbreitung razellulär angreifende Exotoxine besitzen da-
haben Cumarin-Derivate, z. B. Brodifacoum gegen in der Regel Enzymeigenschaften.
(z. B. Brodifacoum Festköder); oder Bromadio- Diphtherie-, Cholera- oder Pertussistoxin wei-
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 623

sen beispielsweise ADP-Ribosyltransferase-Ak- Neurotoxinen, den Botulinumtoxinen, stets le-


tivität auf. Nach Spaltung von Nicotinamid- bensbedrohlich. Hauptvergiftungsquellen sind
Adenin-Dinucleotid (NAD) in Nicotinamid Fleisch-, Fisch- und Gemüsekonserven (→ auf-
und ADP-Ribose übertragen sie letztere auf ein geblähte Konservendosen) sowie nicht korrekt
Zielprotein, dessen Funktion dadurch verändert konservierte Fleisch- und Wurstwaren. Durch
oder blockiert wird. saures Milieu können das Wachstum von Clos-
tridum botulinum sowie die Toxinbildung ver-
34.2.13.1 Bakterielle Lebensmittel- hindert werden.
intoxikation Botulinumtoxine – man kennt derzeit 8 Sub-
Werden Lebensmittel, insbesondere zubereitete typen (A–H) – sind strukturell sehr ähnliche
Speisen, ohne genügende Konservierung oder Proteinkomplexe bestehend aus einem leichten
Kühlung aufbewahrt, besteht die Gefahr, dass Protein, dem eigentlichen Neurotoxin , das eine
sich Mikroorganismen darin vermehren und zinkhaltige Endopeptidase ist, und dem schwe-
durch die Bildung von Exotoxinen zu Lebens- ren, sog. Hüllprotein, das das Neurotoxin vor
mittelintoxikationen führen. Man unterscheidet proteolytischem Abbau (z. B. im Gastrointesti-
dabei zwei Krankheitsbilder, von denen das ers- naltrakt) schützt. Trotz ihres Proteincharakters
te durch Enterotoxine, das zweite durch Botuli- werden die Toxine z. T. unverändert resorbiert.
numtoxine (Neurotoxine) hervorgerufen wird. Die Botulinumtoxine sind die stärksten bekann-
ten Gifte, die tödliche Dosis für den Menschen
Enterotoxine. Manche kontaminierte Lebens-
wird bei oraler Applikation auf 0,06 μg geschätzt.
mittel enthalten von Bakterien (z. B. von Staphy-
Im Gegensatz zu den thermostabilen Enteroto-
lococcus aureus, Bacillus cereus, Clostridium per-
xinen sind sie thermolabil und werden durch
fringens) gebildete Exotoxine, die am Darm an-
5–10 min langes Kochen zerstört. (Zur thera-
greifen und daher als Enterotoxine bezeichnet
peutischen Anwendung von Botulinumtoxin A
werden. Durch die hohe Hitzestabilität werden
vgl. Ⴉ Kap. 15.1.4).
S.-aureus-Enterotoxine auch bei der Lebensmit-
Die meisten Botulinumtoxine blockieren die
telzubereitung nicht unschädlich gemacht. Sie
exozytotische Freisetzung von Acetylcholin aus
rufen nach einigen Stunden Inkubationszeit
den Speichervesikeln in den synaptischen Spalt
Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle und ggf. Bauch-
dadurch, dass sie wichtige Proteine (z. B. Synap-
krämpfe hervor. Fieber ist im Gegensatz zu bak-
tobrevin oder SNAP25) des Vesikelfusionsappa-
teriellen Infektionen selten. In den meisten Fäl-
rates spalten und damit die Exozytose der Vesi-
len ist die Erkrankung selbstlimitierend und en-
kel verhindern. Die Folge sind Acetylcholin-
det nach 8–24 h. Die Therapie besteht in einer
mangel-Symptome, die denen einer Atropinver-
ausreichenden Flüssigkeits- und Elektro-
giftung gleichen: Akkommodationslähmung,
lytzufuhr, um eine Hypovolämie und Hypotonie
Pupillenerweiterung, Doppeltsehen, Ptosis,
zu vermeiden. Enterotoxine können auch im
Sprach- und Schluckstörungen, Muskelschwä-
Rahmen bakterieller Lebensmittelinfektionen
che, Atemnot, Krämpfe (kein Fieber, keine Diar-
gebildet werden (z. B. durch E. coli, Salmonel-
rhö!). Die Latenz bis zum Auftreten der Sympto-
len). Im Gegensatz zur Lebensmittelintoxikati-
me beträgt 12–24 Stunden und mehr, die Re- 34
on werden bei der Lebensmittelinfektion Bakte-
konvaleszenz dauert meist mehrere Wochen. In
rien mit dem kontaminierten Lebensmittel auf-
schweren Fällen tritt der Tod zwischen dem 2.
genommen, die sich dann im Menschen ver-
und 10. Tag infolge Atemlähmung, Herzstill-
mehren können und dort Enterotoxine bilden.
stand oder (Aspirations-)Bronchopneumonie
Botulinumtoxine. Im Gegensatz zu den oben ein.
genannten Intoxikationen ist der Botulismus, Die therapeutischen Maßnahmen haben ei-
die Vergiftung mit den von Clostridium botuli- nerseits zum Ziel, die (weitere) Resorption von
num (einem anaeroben Bakterium) gebildeten Botulinumtoxin durch primäre Giftelimination
624 34 Toxikologie

(Gabe von Aktivkohle, schnelle Darmentlee- stimmte Hormone, z. B. Estrogene beim hor-
rung mit Natriumsulfat) zu vermeiden, und an- monsensiblen (Estrogenrezeptor-positiven)
dererseits mit polyvalentem Botulismus-Anti- Mammakarzinom, können ebenfalls das Tu-
toxin noch im Blut zirkulierendes Toxin zu in- morwachstum beschleunigen.
aktivieren (meist erfolgt die Injektion aber zu Kokarzinogene sind Substanzen, die den ini-
spät). Vielfach ist auch assistierte Beatmung er- tiierenden Effekt eines Karzinogens erhöhen. So
forderlich. Trotz Intensivbehandlung beträgt die können z. B. Verbindungen, die eine Enzymin-
Letalität noch immer ca. 10–20 %. duktion von Monooxygenasen hervorrufen, in-
folge der dadurch gesteigerten Umwandlung
34.2.14 Karzinogene (Kanzerogene) von Präkanzerogenen in ultimale Kanzerogene
Karzinogene sind Substanzen, die eine Um- die Krebsentstehung fördern. Wird andererseits
wandlung von normalen Zellen in Tumorzellen die Entgiftung reaktiver Zwischenprodukte, die
durch Mutation der DNA und damit die Initiie- bei der Biotransformation von Präkanzerogenen
rung eines Tumors bewirken. Die karzinogene entstehen, gehemmt, z. B. infolge des Verbrauchs
Wirkung kann somit als mutagener (gentoxi- von Glutathion beim Metabolismus nicht kan-
scher) Effekt interpretiert werden. Da eine Wir- zerogener Substanzen, kann die karzinogene
kungskumulation stattfindet, bestimmen die Wirkung ebenfalls verstärkt werden.
Konzentration der kanzerogenen Substanz so-
Kanzerogene aromatische und polycyclische
wie die Einwirkungsdauer im Zielgewebe die
aromatische Kohlenwasserstoffe. Typische Bei-
Wahrscheinlichkeit der Krebsentstehung. Cha-
spiele von sekundär krebserzeugenden, aromati-
rakteristisch ist, dass die durch die Karzinogene
schen Kohlenwasserstoffen sind Benzen (Ben-
ausgelösten Veränderungen meist erst nach ei-
zol), Benzo[a]pyren, 3-Methylcholanthren,
ner langen Latenzperiode von 10–20 Jahren ma-
Benzo[a]anthracen und Dibenzo[a,h]anthra-
nifest und damit diagnostizierbar werden.
cen. Sie entstehen – mit Ausnahme von Benzol
Viele karzinogene Verbindungen sind nicht
– bei der unvollständigen Verbrennung von or-
selbst wirksam, sondern werden erst durch Bio-
ganischem Material und kommen ubiquitär vor.
transformation in den eigentlichen krebserzeu-
Höhere Konzentrationen findet man im Ziga-
genden Stoff, das ultimale Karzinogen, umge-
rettenrauch, in Teeren, Autoabgasen und Ruß.
wandelt. Man bezeichnet solche Verbindungen
Kennzeichnend für diese Stoffe ist, dass sie be-
als Präkanzerogene oder sekundäre Kanzero-
reits in einer Gesamtdosis im Mikrogrammbe-
gene. Ein typisches Beispiel hierfür sind die po-
reich vor allem lokal am Einwirkungsort Tumo-
lycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe
ren erzeugen (z. B. Hautkrebs bei Straßenarbei-
wie u. a. Benzo[a]pyren, das in kanzerogene Ep-
tern, Lungenkrebs bei Rauchern). Der kanzero-
oxide und außerdem in nicht kanzerogene Me-
gene Effekt kommt den reaktionsfähigen
taboliten umgewandelt wird.
Metaboliten zu. Unter diesen sind besonders
Primäre Karzinogene (z. B. Lost oder Stick-
Diol-Epoxide zu nennen, die durch Epoxidhyd-
stofflost, s. u.) wirken dagegen selbst, d. h. ohne
rolasen nur langsam hydrolysiert werden. Au-
metabolische Aktivierung, krebserzeugend.
ßerdem können im Organismus aus aromati-
Promotoren sind Stoffe, die selbst keine
schen Kohlenwasserstoffen hochreaktive Radi-
DNA-Veränderung auslösen, d. h. keine Tumo-
kale sowie aktive Sauerstoffspezies gebildet wer-
rinitiierung bewirken, die aber die Realisations-
den. Aromatische Kohlenwasserstoffe sind
phase verkürzen, d. h. die Proliferation der Tu-
darüber hinaus häufig Enzyminduktoren.
morzellen fördern. Zu den Promotoren gehören
u. a. Phorbolester des Crotonöls, z. B. 12-Tetra- Kanzerogene aromatische Amine. In gleicher
decanoyl-phorbol-13-acetat (TPA). Auch Di- Weise wie die polycyclischen aromatischen
oxine besitzen eine Promotorfunktion. Be- Kohlenwasserstoffe sind auch die kanzerogenen
34.2 Ausgewählte Vergiftungen 625

aromatischen Amine, wie z. B. Diphenylamin, ren ist wie bei den aromatischen Aminen relativ
Benzidin, β-Naphthylamin und 2-Acetylami- stark ausgeprägt: Symmetrische Alkylnitros-
nofluoren (2-Fluorenylacetamid), sekundäre amine erzeugen vor allem Lebertumoren, nach
Kanzerogene. Kanzerogene Azofarbstoffe, z. B. oraler Gabe von Nitrosomethylharnstoff wur-
Buttergelb (4-Dimethylamino-azobenzol), wer- den Magentumoren, bei intravenöser Applikati-
den rasch zu aromatischen Aminen biotransfor- on Hirntumoren beobachtet. Um die von N-Ni-
miert. Die Aktivierung zu den ultimalen Kanze- troso-Verbindungen ausgehenden Gefahren zu
rogenen erfolgt meist über Oxidation am Stick- verringern, wurde die Verwendung von Nitrit
stoff und weitere Biotransformationsschritte zu stark eingeschränkt. Reduktionsmittel, z. B. As-
Zwischenprodukten (Nitreniumionen), die mit corbinsäure, verhindern die Nitrosaminbildung
Proteinen und Nucleinsäuren reagieren können. im sauren Magensaft, sofern sie gemeinsam mit
Neben den genannten synthetischen Verbin- dem potenziellen Nitrosaminbildner verabfolgt
dungen können kanzerogene aromatische Ami- werden und gegenüber dem Nitrit in ausrei-
ne bei starkem Erhitzen (Braten, Grillen) von chender Konzentration vorliegen.
eiweißhaltigen Lebensmitteln, z. B. Fisch oder
Sonstige alkylierende Subsanzen. Weitere Al-
Fleisch, durch Pyrolyse von Aminosäuren, u. a.
kylanzien sind Epoxide (z. B. Ethylenoxid),
von Tryptophan und Glutaminsäure, entstehen.
halogenierte Ether, Ethylenimin-Derivate,
Im Gegensatz zu den aromatischen Kohlenwas-
Schwefel- und Stickstofflost sowie Alkylsulfon-
serstoffen wirken die aromatischen Amine nicht
säureester. Diese Verbindungen werden u. a. als
bevorzugt lokal am Expositionsort tumorerzeu-
Synthesezwischenprodukte oder zur Schäd-
gend, sondern rufen in für die jeweilige Sub-
lingsbekämpfung (z. B. zur Entwesung pflanzli-
stanz typischen Organen (z. B. Benzidin Harn-
cher Drogen) eingesetzt und sind z. T. auch in
blasentumoren) Tumoren hervor (Organotro-
Zytostatika enthalten. Die alkylierenden Sub-
pie). Die bevorzugte Tumorlokalisation beruht
stanzen wirken kanzerogen durch DNA-Alky-
auf der hohen Konzentration in den betroffenen
lierung. Bifunktionelle Stoffe, wie z. B. Lost-De-
Organen und daneben auch auf der Freisetzung
rivate oder Platin-Verbindungen, führen zu ei-
von kanzerogenen Metaboliten aus deren Kon-
ner Verknüpfung der beiden Einzelstränge der
jugationsprodukten.
DNA (Interstrand Cross-linking). Ähnlich wie
N-Nitroso-Verbindungen. N-Nitroso-Verbin- die aromatischen Kohlenwasserstoffe, allerdings
dungen (Nitrosamine, Nitrosamide, Nitroso- erst in höheren Dosen als diese, rufen sie vor al-
harnstoffe), z. B. Dimethylnitrosamin oder N- lem Tumoren lokal am Applikationsort hervor.
Nitroso-N-methylharnstoff, kommen in Le-
Karzinogene Naturstoffe. Zu den karzinogenen
bensmitteln (insbesondere in gepökelten Räu-
Naturstoffen zählen insbesondere die von dem
cherwaren) sowie im Tabakrauch vor. Sie
Pilz Aspergillus flavus durch Befall von Lebens-
entstehen aus sekundären Aminen bzw. Amiden
mitteln (z. B. Erdnüssen) gebildeten Aflatoxine.
und Nitrit. Nitrit wurde früher infolge der be-
So ruft beispielsweise Aflatoxin B1 schon in der
schränkten Kühlmöglichkeiten in erheblichem
sehr niedrigen Gesamtdosis von 100 μg bei Rat-
Umfang zur Konservierung von Fleisch- und
ten Lebertumoren hervor. Ähnlich wie polycyc- 34
Wurstwaren verwendet. Aus den durch Reakti-
lische aromatische Kohlenwasserstoffe wird Af-
on von Nitrit mit Aminogruppen entstandenen
latoxin B1 zum Epoxid biotransformiert, das
Nitroso-Verbindungen werden durch oxidative
dann mit Guanin der DNA reagiert. Das leber-
Biotransformationsreaktionen alkylierende Ver-
und nierentoxische Ochratoxin A (LD50
bindungen, z. B. aus Dimethylnitrosamin CH3+,
2–20 mg/kg) kommt verbreitet in schlecht gela-
gebildet. Die Organspezifität der durch diese
gerten, mit Schimmelpilzen kontaminierten
Substanzen im Tierversuch ausgelösten Tumo-
Ernteprodukten (u. a. im Weizen, Mais, Erdnüs-
626 34 Toxikologie

sen, Sojabohnen, grünen Kaffebohnen) vor. Cy- Anorganische krebserregende Stoffe. Unter den
casin aus Cycadennüssen, die in Asien als Nah- anorganischen krebserzeugenden Stoffen sind
rungsmittel verwendet werden, rief bei Ratten Schwermetallionen (z. B. von Beryllium, Cad-
Darm-, Leber- und Nierentumoren, das im Sas- mium, Chrom, Mangan, Nickel, Blei, vgl.
safras-Öl enthaltene Safrol Lebertumoren her- Ⴉ Kap. 34.2.6), Metalloide (z. B. Arsen) sowie
vor. Asbest (faserförmiges Magnesium- neben Calci-
Pyrrolizidin-Alkaloide wurden in Ⴉ Kap. umsilikat) zu nennen. Ihre kanzerogene Wir-
34.2.8.1 besprochen. kung kommt durch Angriff an der DNA zustan-
Nach Gabe der früher als Immunstimulans de, wodurch u. a. Punktmutationen hervorgeru-
verwendeten, geno- und nephrotoxisch wirken- fen werden. Weitere Angriffspunkte sind an der
den, in der Osterluzei (Aristolochia clematitis) Zellreplikation beteiligte Enzyme. Tumoren tre-
vorkommenden Aristolochiasäure wurden u. a. ten bei Chrom und Nickel bevorzugt an der
Magen-, Nieren- und Blasenkarzinome beob- Lunge, bei Beryllium an Lunge und Knochen
achtet. sowie bei Arsen an Lunge und Haut auf.
Sachregister 627

Sachregister

A Achromatopsie, Gentherapie 60– – – bei Glaukom 412


Abacavir 496, 507–509, 515 61 – – s. a. Antisympathotonika
Abarelix 254–255 Aciclovir 27, 417, 496, 498–500 – α,β- 196
Abatacept 142–143 Acicutan 421 – β- 196
Abbruchblutung 266 Acinetobacter baumannii 478 – – s. a. β-Sympathomimetika
Abciximab 293, 589 Acitretin 420–422 – β3- 409
Abelcet® 490 Aclasta® 226 Adrenozeptor-Antagonisten 197–
Abführmittel s. Laxanzien Aclidiniumbromid 207, 358–359 200
Abhängigkeit 49 Aconitin, Vergiftung 616 – s. a. Sympatholytika
– Benzodiazepin-Analoga 105 Acrolein 536 – α1- 197–198, 309
– Benzodiazepine 104 ACTH s. Corticotropin – – als Prostatamittel 407
– Chloralhydrat 107 Actikerall® 434 – – bei Durchblutungsstörun-
– Dronabinol 126–127 Actilyse® 302 gen 321
– Opioide 121–122 Actinomycin D 544 – β- 198–200, 309
ABILIFY® 82–83 Actiq® 126 – – nichtselektive 198–199
Abirateronacetat 259, 562 Activelle 264, 271 – – β1-selektive 199–200
Abort, Auslösung 273, 280 Actonel® 226 – – s. a. Betablocker
Abrin, Vergiftung 617–618 Actos® 245 Adrenozeptoren 191–194
Abseamed® 580 Actraphane® 236 Adrimedac® 543
Absencen 172 Actrapid® 236 Adsorbat-Impfstoff 575
Absorption s. Resorption Acular® 417 Adsorbenzien
Abwehrmechanismen, Immun- Acylaminopenicilline 454 – bei Diarrhö 378
system 570–572 Adalat® 311 – bei Vergiftungen 602–603, 605
Acamprosat 610 Adalimumab 139–140, 374–375, Adstringenzien 378
Acarbose 244–245 422, 588 Adumbran® 103
Acarosan® 432 Adapalen 426 Advantan® 427
Accupro® 313 ADASUVE® 82 Aequamen® 188–189
Acebutolol 200 ADCETRIS® 548, 588 AERIUS® 277
Aceclofenac 113, 116 ADCIRCA® 318 Aerodur® 196, 352
ACE-Hemmer 312–313 Adefovirdipivoxil 496, 501–502 Aescin 324
– bei Durchblutungsstörun- Adempas® 318 Aδ-Fasern 109
gen 321–322 Adenosin, Antiarrhythmikum 349 Afatinib 551
– bei Herzinsuffizienz 336 ADENURIC® 148 Afinitor® 553
– Hyperkaliämie 51 Adepend® 122 Aflatoxine 625–626
Acemetacin 113, 115–116 ADH s. Adiuretin Aflibercept 415
Acemit® 413 ADHS 94–95 AGGRASTAT® 293–294
Acerbon® 313 Adiuretin 213–215, 333 Aggrenox® 294, 323
Acetazolamid 398, 413–414 – Analoga 151–152, 214–215 Agiolax® 380
Acetylcholin 202–204 – Mangel 399–400 Agomelatin 90
Acetylcholinesterase 202 ADP-Hemmstoffe 291–293 Agonist, Definition 30–31
Acetylcholinrezeptoren 202–203 Adrenalin 194–195, 318, 320 Agopton® 366
Acetylcystein 361–362, 604 – Intoxikation 152 Agoraphobie 93
– Paracetamol-Intoxikation 117 adrenogenitales Syndrom Agranulozytose 46–47
β-Acetyldigoxin 337, 339 (AGS) 252–253 AHP 200® 113, 116
Acetylierer 14–15, 57–58 Adrenozeptor-Agonisten 191–196 Ah-Rezeptor, zytosolischer 15
– langsame 315 – α- 195–196, 201 AIDS 506–516
Acetylsalicylsäure s. ASS – – s. a. α-Sympathomimetika – antiretrovirale Wirkstoffe 507–
– α2- 201 514
628 Sachregister

– Krankheitsbild 514 Alkoholdelir 610 Alvesco® 354


– Stadieneinteilung 507 Alkoholismus 610 Alzheimer-Krankheit 97–98
– Therapie 514–516 ALK-Tyrosinkinasehemmer 551 Amantadin 180, 184, 496–497
Airol® 426 Alkylanzien 535–539 Amaryl® 240
Ajmalin 346 – kanzerogene 625 Amaurose 60–61
Akathisie 79 – Übersicht 536 Ambene® 113, 116
akinetische Krise 186 Alkylphosphate, Vergiftung 621– AmBisome® 490
Akineton® 180, 184, 206, 604 622 Ambrisentan 318
Akne 425–426 Allegro® 131 Ambroxol 361
Aknefug® 425–426 Allergie Amciderm® 427
Akromegalie 213 – Antikörper-vermitttelte 42–44 Amcinonid 427
Aktivimpfung 573–577 – Arzneimittel- 42 AMECYTINE® 538
Aktivin® DHH 528 – Mediatorsubstanzen 43–44 Amfenac 116
Aktivität, intrinsische 1, 30, 37–38 – Pseudo- 46, 112 Amidase 13–14
Aktivkohle – Sensibilisierung 42 Amidotrizoesäure 596
– bei Diarrhö 378 – Spätreaktion 43–46 Amifostin 538
– – bei Vergiftungen 602–603, – Therapie 276–278 Amikacin 449, 460–463, 485
605–606 – Typen 42–46 – Fresenius 460
Aktren® 113 – zytotoxische Reaktion 43–44 Amilorid 364, 397–398
Akute-Phase-Proteine 570 Allergo-COMOD® 417 Amine, kanzerogene 624–625
Akynzeo® 189–190 Allergodil® 277, 417 Aminobisphosphonate 226
Albendazol 524–525 Allergospasmin® N 64–65, 356 γ-Aminobuttersäure s. GABA
Albiglutid 242 Allethrin 432–433 Aminoglykoside 449, 460–463
Aldactone® 396 alli® 385 – als Ophthalmika 416–417
Aldara® 5 % Creme 432, 434, 571 Allopurinol 147–148, 522, 534– Aminolävulinsäure 434
Aldehyde, Desinfektion 528 535 p-Aminomethylbenzoesäure 302–
Aldehydoxidase 13 Allylamine 489–490 303
Aldesleukin 562, 578 Almasilat 369–370 Aminopenicilline 453–454
Aldosteron 248, 333, 390 Almogran® 131 Aminosalicylate 375
– Antagonisten 336–337, 396–397 Almotriptan 131 5-Aminosalicylsäure 373–375
Alemtuzumab 588, 591–592 Almyrol® 529 Aminoverbindungen,
Alendronat 226–227, 440 Alna® Ocas® 198, 407 tertiäre 205–207
Aleve® 113, 115 Aloe 380–381 Amiodaron 341–342, 347–348
Alexan® 534 Alomide® 417 Amisulprid 82–83
Alfacalcidol 440 Alopezie, androgenetische 435 Amitriptylin 85–87, 128, 594
Alfentanil 13, 158–159 Aloxi® 189–190, 279 – bei Migräne 132
Alfuzosin 198, 407 Alphagan® 412 – bei neuropathischen Schmer-
ALIMTA® 533 AlphaNine® 289 zen 128
Alipogentiparvovec 61, 307 Alprazolam 13, 103 Amitriptylin-CT 594
Aliskiren 314 Alprenolol 13 Amitriptylinoxid 85, 87
Alitretinoin 555 Alprostadil 280, 322, 324 Amlodipin 13, 311
Alizaprid 189 Altargo® 430, 468 Ammoniumverbindungen,
Alkaloide, Vergiftungen 615–617 Alteplase 302 quartäre 163–164, 206–207, 529
Alkalose 404, 405, 602 Altinsulin 235–236 Amnesie, anterograde 104
Alkeran® 536–537 Aludrox® 369 Amöbenruhr s. Amöbiasis
Alkohol 608–610 Aluminiumhydroxid, Antazi- Amöbiasis 523
– Abhängigkeit 610 da 369 Amorolfin 493
– akute Vergiftung 609 Aluminium-Magnesium- Amosept® 529
– Metabolisierung 609 Silikate 369–370 Amoxicillin 372, 449, 453–455,
– zur Desinfektion 528 Aluminiumphosphat 369 485
Alkohol-Dehydrogenase 13, 609 Alupent® 196 Amphetamine 94–95
Sachregister 629

Ampho-Moronal® 490 Androgene 247, 256–257 – Einteilung 449


Amphotericin B 490–491, 494, 523 Androgenrezeptoren 256 – Empfindlichkeitsprüfung 475
Ampicillin 449, 453–455 – Antagonisten 257–258 – Kollateralschäden 451
– -ratiopharm® 454 Androstan-Rezeptor, konstituti- – multiresistente Erreger 476–479
Ampres® 153 ver 15 – Persistenz 450–451
Amsacrin 543, 545 Androtop® Gel 257 – Resistenz 450
Amsidyl® 545 Anexate® 102, 159, 604 – Schwangerschaft 480
β-Amyloid-Proteine, M. Alzhei- Angeliq® 271 – Wirkungstyp 450
mer 97 Angina pectoris 325–326 – zytostatisch wirksame 543–545
anabole Wirkung 256 – Anfallsprophylaxe 329 Anticholinergika 180
Anabolika 257–258 – Antianginosa 326–331 – als Broncholytika 363–364
Anaesthesin® 153 – instabile 326 – zentral wirksame 184
Anaesthesulf® Lotio 430 Angiogenesehemmer 415 – s. a. Parasympatholytika
Anafranil® 85, 87 Angioödem 429–430 Anticholium® 204–205, 604
Anagrelid 290 Angiotensin II 248, 312 Anticraving-Substanzen 610
Anakinra 141 Angiotensin-II-Typ1-Rezeptor- Antidementiva 96–97
Analgetika 109–132 Antagonisten s. AT1-Blocker Antidepressiva 84–91
– Coffein 119 Angiotensin-Konversionsenzym- – Anwendungskriterien 91
– Gruppen 109, 111 Hemmer s. ACE-Hemmer – bei Angststörungen 93
– Kombinationspräparate 66, 119 Angiox® 297 – bei Schlafstörungen 107
– nichtopioide 66, 110, 111–119 Angststörungen 93 – Dosierungen 87–88, 90
– NSAIDs, 111–117 Anidulafungin 491–492 – Einteilung 85
– nicht saure antipyretische 117– Anionentransporter, organi- – Interaktionen 51–52
119 sche 17–18 – Rezeptoraffinitäten 86
– Opioide 119–126 ANORO® 207, 359 – tetracyclische 90
Analgetika-Asthma 46 Ansamycine s. Rifamycine – Therapieprobleme 91
Anämien 282–286 Antagonismus 30–31 – tricyclische
– aplastische 46 Antagonisten, Definition 30–31 – – Blutdruckbeeinflussung 51–52
– Eisenmangel- 282–283 Antazida 369–370 – – bei Migräne 132
– Folsäuremangel- 285–286 Antepan® 208 – – bei neuropathischen Schmer-
– hämolytische 46, 58 Anthelminthika 524–526 zen 128–129
– makrozytäre 284–286 Anthracycline 543–544 Antidiabetika 235–245
– perniziöse 284–285 Anthraglykoside 380–381 Antidiarrhoika 376–378
– renale 283–284 Antiadiposita 385–386 Antidiuretikum, Desmopres-
anaphylaktischer Schock 43–44 Antiandrogene 561–562 sin 400–401
Anästhesie 154–155 – s. a. Androgenrezeptor-Antago- Antidote 603–604
– balancierte 154–155, 161 nisten Antidotum Thallii-Heyl® 604
– dissoziative 157–158 Antianginosa 326–331 Antiemetika 187–190
– Infiltrations- 151 Antiarrhythmika 344–349 Antiepileptika s. Antikonvulsiva
– intravenöse Regional- 151 Antiasthmatika 352–356 Antiestrogene 262, 560–561
– Leitungs- 151 – antientzündliche 354–356 Antifibrinolytika 302–303
– Oberflächen- 151 – Kombinationspräpararate 64–65, Antigendrift 495–496
– total intravenöse 154–155, 161 356 Antigenshift 495–496
Anästhetika 154–161 Antibiogramm 475 Antigestagene 264–265
– Inhalations- 159–161 – Antibiotika 448–480 Antiherpetika 498–500
– Injektions- 155–159 – Anwendungskriterien 475–476 Antihistaminika
– s. a. Narkose – bei Akne 425 – H1- 276–278
Anastrozol 561 – bei Atemwegsinfektionen 479 – H2- 368–369
Ancotil® 492 – bei Augeninfektionen 416–417 Antihypertonika 307–315
Andriol® 257 – bei Harnwegsinfektionen 479 – Angriffsorte 309
Androcur® 257–258 – bei Lyme-Borreliose 480 – Hochdrucktherapie 315–318
630 Sachregister

– Interaktionen 51–52 Antisympathotonika 201, 309 Artane® 180, 184, 206


– Kombinationspräparate 64 Antithrombin, Aktivierung 294 Artelac® 418
Antiinfektiva 448–529 Antithymozyten-Globuline 587 Artemether 519
Antikaliuretika s. Diuretika, Antituberkulotika 450, 480–485 Artemisinin 519–520
kaliumsparende – WHO-Gruppeneinteilung 485 Arteoptic® 412
Antikoagulanzien 294–301 Antitussiva 127–128 Arterenol® 194, 320
– beim Schock 320 Antra MUPS® 366 Artesunat 519–520
– Interaktionen 53, 55 Anwendungsbeobachtungen 70– Articain 153
Antikonvulsiva 167–175 71 Arthotec® forte 115, 280, 370
– bei Manie 92–93 Anxiolyse 102–103 Arthritis
– bei Migräne 132 Anxiolytika 93–94 – enteropathische 144
– bei neuropathischen Schmer- Anxut® 93 – juvenile idiopathische 141–143
zen 128–129 Apidra® 236 – Psoriasis- 144–145, 419
– Wirkungsmechanismen 167–168 Apixaban 13, 301 – reaktive 144
Antikörper 571–572 APO-go® 180, 183 – rheumatoide s. rheumatoide
– monoklonale s. monoklonale Apomorphin 180, 183 Arthritis
Antikörper Aponal® 85, 87 – urica s. Gicht
Antilymphozyten-Globuline 587 Apoplex 343 Arutimol® 199, 412
Antimetaboliten 532–535 Apoptose 36 2-Arylpropionsäuren 115
Antimon, bei Leishmaniose 522 Applikationsarten 6–9 Arzerra® 547, 588
Antimykotika 486–494 Apraclonidin 412 Arzneimittel
– bei Augeninfektionen 417 Apremilast 144–145, 422 – Definition 1
antinozizeptives System 110 Aprepitant 189–190 – Entwicklung 67–75
Antiparkin® 180, 182 Aprotinin 281 – Innovationen 72–73
Antiparkinsonmittel 178–186 Aprovel® 314 – Prüfung 67–75
– Wirkungsmechanismen 179 Aptivus® 510 – – klinische 69–71
– s. a. Parkinson-Syndrom Aquaphor® 394 – – präklinische 68–69
Antiphlogistika Aquaretika 388, 392, 399 – Zulassung 70
– bei Gichtanfall 147 Arachidonsäure 111–112, 279 Arzneimittelabhängigkeit 49
– nichtsteroidale s. NSAIDs Aranesp® 284 Arzneimittelallergien 42
Antiprotozoika 516–524 Arava® 135–136 Arzneimittelexanthem 45
Antipruriginosa 430 ARCOXIA® 113, 116, 147 Arzneimittelkrankheiten 41
Antipsoriatika 419–424 Aredia® 226 Arzneimitteltherapie, individuali-
Antipsychotika 76–84, 189 Arelix® 395 sierte 56
– atypische 78, 80–83, 84 Arenaviren 503 Arzneistoffe, Definition 1
– bei Erbrechen 188–189 ARGATRA® 298 Asbest 626
– bei Manie 92 Argatroban 298 Ascorbinsäure s. Vitamin C
– bei Schlafstörungen 107 Aricept® 97, 594 Asco-Top® 130
– Einteilung 80 Arilin® 472, 523–524 Asenapin 82
– klassische 76–78, 80–81 Arimidex® 561 Asmanex® 354
– Langzeit- 83 Aripiprazol 13, 82–83 Asparaginase 558
– Nebenwirkungen 78–80 Aristolochiasäure 626 Aspecton® DS 361
– Rezeptoraffinitäten 77 Arixtra® 295 Aspirin® 113–115, 291
– Therapiestrategie 83–84 Arlevert® 188–189 ASS 113–115
– Vergiftung 80 AROMASIN® 561 – als Thrombozytenfunktions-
– Wirkungsmechanismus 76 Aromatasehemmer 560–561 hemmer 291, 294, 323
antiretrovirale Therapie 514–516 Arrestine 29 – bei Migräne 130
Antiscabiosum 432 Arrhythmien 342–344 Asthma bronchiale 350–351
Antisense-Therapie 61 Arsen 613, 626 – Anfallsprophylaxe 354
Antiseptika 526–529 Arsentrioxid 556 – Kombinationspräparate 356
Antistax® 324 Arsobal® 522 – Stufenschema 356–357
Sachregister 631

– Therapie 351–357 Ausscheidung 17–18 – multiresistente gramnegative s.


Astonin® H 251 – gastrointestinale 17 MRGN
Asystolie 602 – hepatische 17–18 – Toxine 622–624
AT1-Blocker 313–314, 336 – Interaktionen 54 – Zellwand 451–452
A. T. 10® 222, 440 – pulmonale 18 Bakteriostase 449–450
Atacand® 314 – renale 18, 26–27, 54 Bakterizidie 449–450
Atarax® 277 Ausscheidungsgeschwindigkeit 26 Baldrian 107
Atazanavir 496, 510–511, 515 Autakoide s. Mediatoren Baldriparan® 107
Atemnotsyndrom 362 Avalox® 417, 468 BALISA® 430
Atemwegserkrankungen Avanafil 324–325 Bambec® 196, 353
– Antibiotikatherapie 479 Avastin® 415, 545, 588 Bambuterol 196, 353
– obstruktive 350–359 Avibactam 455 Bamipin 277
– restriktive 360 Avidin 445 Bandwurmbefall 524–526
Atenolol 27, 200 Avitaminose 436 Baraclude® 501
Atmung, Vergiftung 601–602 Avodart® 257–258, 407 Bariumsulfat 595
Atmungsgifte 606–608 AVONEX® 579–590 Basalinsulin 236
Atmungsstörungen, schlafbezoge- Axitinib 554 Basalzellkarzinom 433
ne 101 Axura® 98 Basiliximab 582, 586–587, 589
Atomoxetin 95 Azacitidin 532–534 Basis-Bolus-Therapie, Insulin 237
atopische Dermatitis 426–427 5-Azacytidin 534 Basocef® Actavis 431, 457
Atorvastatin 13, 304 Azalide 464–465 Basocin® 425
Atosil® 81, 188–189 Azathioprin 136, 374–375, 582, Bathmotropie, positive 337–338
Atosiban 274 585–586, 590 Batrafen® 493
Atovaquon 493, 519–520, 523 – bei M. Crohn, Colitis ulcero- Baygon® 622
ATPase 4–5 sa 374–376 Bayliss-Effekt 389
Atracuriumbesilat 163 – zur antirheumatischen Thera- Baymycard® 311
Atracurium-hameln 163 pie 136 Bayotensin® 311
AT-Rezeptoren 313 Azelastin 277, 417 Bazoton® uno 408
Atriance® 535 Azidose 404–405 Bcr-Abl-Tyrosinkinasehem-
Atripla® 509, 515 – bei Kreislaufstillstand 602 mer 550
Atropin 205–206, 345 Azidothymidin s. Zidovudin Beclometasondipropionat 64,
– als Mydriatikum 416 Azithromycin 417, 464 354–356, 361, 601, 604
– bei Phosphorsäureester-Vergif- AZILECT® 180, 182 Beclorhinol® aquosum 361
tung 621 Azilsartan-medoxomil 314 Bedaquilin 484
Atropin-POS® 206, 416 Azithromycin 20, 464–466, 449 Befibrat® 306
Atropinsulfat 604 Azofarbstoffe, kanzerogene 624– Belara® 267
– B. Braun® 205–206 625 Belastungsinkontinenz 408
– Köhler 604 Azol-Antimykotika 487–489 Belastungsstörungen, posttrauma-
Atrovent® 207, 353, 358 AZOPT® 413 tische 88–89
Attentin® 95 Aztreonam 364, 449, 458 Belatacept 585
AUBAGIO® 592 Azulfidine® 375 Belimumab 145–146, 589
AUC 19 – RA 137 Beloc-Zok® 132, 200
Aufnahmetransporter 5 Azyter® 417 Bemetizid 394
– hepatische 17 Benazepril 313, 336
Aufsättigungsdosis 25 B Bendamustin 536–537
Augenentzündungen 416–417 B12 „ANKERMANN®“ 285 Bendroflumethiazid 394
Augensalben 410 Bacitracin 460 Benfotiamin 441
Augentropfen 410 Baclofen 165, 594 Benlysta® 145, 589
Augmentan® 455 Bakterien Benperidol 81
Aureomycin® 417 – als Probiotika 377, 581 Benproperin 127–128
Aurorix® 89 Benserazid 178–180
632 Sachregister

ben-u-ron® 113, 117 Betaferon® 579, 590 Bisacodyl 380–382


Benzaknen® 425 Betahistin 188–189 Biseko® 286
Benzalkoniumchlorid 529 Betaisodona® 527 Bismutoxid 372
Benzbromaron 148–149 Betalactam-Antibiotika 27, 449, Bisolvon® 361
Benzimidazole, Anthelminthi- 452–458 Bisoprolol 131–132, 200, 336
ka 524 Betalactamase 452–453 Bisphosphonate 225–227, 229–230
Benznidazol 522 Betalactamase-Inhibitoren 455 Bittersalz 380
Benzocain 153 Betamann® 199, 412 Bivalirudin 297
Benzodiazepine 101–105 Betamethason-17-valerat 427 Biviol® 267
– Abhängigkeit 104 Betamethasondihydrogenphos- Blasenatonie 204
– als Antikonvulsiva 173 phat 249 Blastopathie 47
– als Schlafmittel 101–105 Betapressin 200 Blausäure, Vergiftung 607
– bei Alkoholismus 610 Betaxolol 200, 412 Blei, Vergiftung 613
– bei Angststörungen 93 Bethanechol 204 Bleomedac® 544
– in der Anästhesiologie 103, 159 Betmiga™ 196, 409 Bleomycin 543–544
– Indikationen 83–84, 102–103 Betoptima® 412 Blindstudie 72
– Rezeptoraffinitäten 102 Bevacizumab 415, 545, 588 Blutegel 297
– Wirkungsmechanismus 101–102 Bewegungsstörungen, hyper- Blut-Hirn-Schranke 11
Benzol 624 kinetische 186 Bluthochdruck s. Hypertonie
Benzoylperoxid 425 Bexaroten 555 Blutstillung s. Hämostase
Benzylalkohol 528 Bezafibrat 306 Blutzuckerspiegel
Benzylbenzoat 432 Biatain® 527 – Interaktionen 51
Benzylpenicillin 449, 453–454 Bibrocathol 417 – Regulation 232
Benzylpenicillin-Benzathin 144, Bicalutamid 561–562, 566 B-Lymphozyten 571
454 Biciron® 417 BNP s. Brain Natriuretic Peptide
Beofenac® 113, 116 Bienengift 620 Boceprevir 496, 503–504
Bepanthen® 418, 444–445 Bifiteral® 381 Bolusinjektion, 25
Berberil® 195, 417 Bifonazol 488 Bondiol® 440
Beri-Beri 441 Biguanide 529 Bonefos® 226
Beriate® 288 Bikalm® 105 Bonviva® 226
Beriglobin® 500–501 Biltricide® 525–526 Bornaprin 180, 184, 206
Berinert® P 430 Bimatoprost 280, 414 Boostrix® 575
Beriplast® P Combi-Set 281 Bindehautentzündung 417 – Polio 575
Berodual® N 64, 356 Bioaktivierung 16 Boro-Scopol® N 206, 416
Beromun® 562 Bioäquivalenz 20 Borreliose 480
Berotec® 196, 352 Biofanal® 491 Bortezomib 557
Besilesomab 589 Biofilm 450–451, 487 Bosentan 317–318
Betabion® 441 BIO-H-TIN® 445 Bosulif® 550
Betablocker 198–200, 336 Biologicals 422–423 Bosutinib 550
– als Antiarrhythmika 341–342, – s. a. Immunbiologika BOTOX® 131, 164
347 Biopoin® 284 – s. a. Clostridium-botulinum-
– als Antihypertonika 309 biosimilars 140 Toxin
– bei Angina pectoris 329 Biotin 442, 445 Botulinumtoxine 623–624
– bei Glaukom 412 – IMPULS® 445 Botulismus 623–624
– bei Herzinsuffizienz 337 Biotoxifizierung 16 Botulismus-Antitoxin 624
– nichtselektive 198–199 Biotransformation 11–16 Bradykardie, Definition 342
– Rebound-Effekt 200 – im Alter 26–27 Bradykinin 281
– β1-selektive 199 – Interaktionen 53–54 Bradykinin-Rezeptoren 281
– zur Migräneprophylaxe 131–132 – Toxifizierung 16 – Antagonist 430
Betacarotin 437–439 Bioverfügbarkeit 19–20 BRAF-Serin/Threonin-Kinase-
Betadorm® D 105 Biperiden 79, 180, 184, 206, 604 hemmer 552
Sachregister 633

Brain Natriuretic Peptide 334–335 Butyrophenone 80 Calteridol-Calcium 597


Breakyl® 126 B6-Vicotrat® 604 Campral® 610
Brechzentrum, Aktivierung 187 Bydureon® 242 Campto 541
Breite, therapeutische 38 BYETTA® 242 Canagliflozin 244, 589
Brennnesselwurzel 408 B-Zellen, rheumatoide Arthri- Canakinumab 140, 147, 589
Brentuximabvedotin 548, 588 tis 142 CANCIDAS® 491
Bretaris® Genuair® 358–359 B-Zell-Rezeptoren 571 Candesartan 314, 336
Brevibloc® 200 Candida albicans 486–487, 494
Bridion® 163 C Canesten® 488
Brilique® 293 C1-Esteraseinhibitor 430 Cannabinoid-Rezeptoren 98–99,
Brimonidin 412 Cabaseril® 180, 184 126
BRINAVESS® 348 Cabazitaxel 543 Cannabis sativa 98–99, 127
Brintellix® 87–88 Cabergolin 180, 184, 211 – bei Multipler Sklerose 594
Brinzolamid 398, 413 Cabozantinib 554 Capecitabin 532–533, 566–567
Brivudin 496, 498–499 Cadmium, Vergiftung 613 Caprelsa® 554
Brodifacoum 622 Calciferole 437 Capreomycin 485
Bromadiolon 622 Calbindin D 439 CAPS 141
Bromazepam 103 Calcineurininhibitoren 581–583 Capsaicin 128–129
Bromhexin 361 – bei Psoriasis 420 Capval® 127
Bromocriptin 180, 184, 198, 211 – bei atopischer Dermatitis 428 CAR 15
Bromperidol 81 Calciparin® 295 Carbachol 204
Bronchialasthma Calcipotriol 421, 440 Carbamate 622
– allergisches 350–351 Calcitonin 223–224 Carbamazepin 167–170
– intrinsisches 351 Calcitriol 421, 439–440 – bei Manie 92
– s. a. Asthma bronchiale – bei Hyperparathyreoidismus 223 – bei neuropathischen Schmer-
Bronchicum® 36 – bei Psoriasis 421 zen 128–129
– Mono Codein 127 Calciumantagonisten s. Calcium- Carbamidsäureester 622
Bronchipret® Saft TE 361 kanalblocker Carbaminsäure-Derivate 204
Bronchospasmolytika 352–354 Calciumcarbonat 369, 403 Carbapeneme 449, 457–458
Bronchospasmus, Therapie 352 – als Antazidum 369–370 Carbetocin 272–273
Brotizolam 103 – bei Hyperparathyreoidismus 223 Carbidopa 178, 180
Bruton-Tyrosinkinasehemmer 552 Calcium-Ditripentat 612 Carbimazol 218–219
Budenofalk® 375 Calcium D3 STADA® 134 Carboanhydratasehemmer 398
Budesonid 64, 354, 356, 361, 374– Calciumfolinat 532 – bei Glaukom 413
375 Calciumhaushalt, Regulation 221 Carbocistein 362
Budipin 180, 184–185 Calciumkanal 34–35 Carbofos 621–622
bukkale Applikation 8 Calciumkanalblocker 189, 310– Carbomedac® 537
Bundesinstitut für Arzneimittel 312, 348 Carbo medicinalis 378, 602–603,
und Medizinprodukte – als Antianginosa 330 618–619, 623
(BfArM) 70 – als Antiarrhythmika 348 Carbomer 418
Bupivacain 153 – bei Erbrechen 188 Carbostesin® 153
Buprenorphin 121, 125–126 – bei Durchblutungsstörungen 321 Carboplatin 27, 536–538
Bupropion 13, 88, 616 – zur Migräneprophylaxe 132 CARDIOXANE® 544
Buscogast® 367 Calciumlactat 403 Cardular® PP 197
Buscopan® 206–207 Calciummangel 403 Carmellose 418
Buserelin 255, 559 Calciumpräparate 403 CARMUBRIS® 537
Buspiron 13, 93–94, 279 Calcium-Sandoz® D Osteo 403, Carmustin 536–537
Busulfan 536, 539 439 Carotaben® 438–439
Butoxicarboxim 622 Calcium-trinatrium-pentetat 604, Carteolol 412
Butylscopolaminiumbromid 206– 612 Carvedilol 13, 199–200, 336
207 Calcort® 249 Casodex® 561
634 Sachregister

Caspofungin 491–492 Cetuximab 545–546, 588 Cholinesterasehemmer 204–205


Catapresan® 201 Cevitt® 149 – zentral wirksame 97
Catecholamine 191–195 C-Fasern 109 m-Cholinozeptor-Agonisten 204
– bei Herzinsuffizienz 340 CFTR 363 – s. a. Muscarinrezeptor-Agonisten
Catumaxomab 548–549, 588 CFTR-potenzierende Substan- m-Cholinozeptor-Antagonis-
CAVERJECT® 280, 324 zen 364 ten 205–207
Cayston® 364, 458 Chagaskrankheit 522 – bei Harninkontinenz 408–409
CD20 547–548 Champix® 616 – s. a. Parasympatholytika
CDAD 477–478 Checkpoint-Inhibitoren 549, 568 Cholinozeptoren 203
CD-Oberflächenantigene, Anti- Chelatbildner, Schwermetall- Chol-Spasmoletten® 386
körper 547–549 vergiftung 612 Chondroprotektiva 143
Cebion® 445–446 Chemokine 578, 580 Chorea Huntington, Therapie 186
Cecenu® 537 Chemotherapie, adjuvante 531 Choriongonadotropin 253, 256
Cefaclor 449, 456–457 Chenodesoxycholsäure 386–387 Chrom
Cefadroxil 449, 456–457 Chenodiol 386–387 – als Spurenelement 447
Cefalexin 431, 449, 456–457 Chinidin 13 – Vergiftung 613
– -ratiopharm® 431 Chinin 517–518 Chromomykose 492
Cefazolin 431, 449, 456–457 Chininhydrochlorid 520 chronisch obstruktive Lungen-
Cefepim 449, 456–457 Chinolinolsulfat 528 erkrankung s. COPD
Cefixim 449, 456–457 Chinosol® 528 Chronotropie, negative 337–338
Cefotaxim 449, 456–457, 478 Chiralitätszentrum 39–40 Churg-Strauss-Syndrom 146, 355
Cefpodoximproxetil 449, 456–457 Chlamydien-Infektion 465 CIALIS® 324
Ceftarolin 449, 456–457 Chlor, Desinfektion 527 Ciatyl-Z® 81, 83
Ceftazidim 449, 456–457, 478 Chlorakne 425 Cibacen® 313
Ceftibuten 449, 456–457 Chloraldurat® 106 Ciclesonid 354–355
Ceftobiprol 449, 456–457 Chloralhydrat 106–107 Ciclophilin 581
Ceftriaxon 449, 456–457 Chlorambucil 536–537 Ciclopirox 493
Cefuroxim 449, 456–457 Chloramin T 527 Ciclosporin 13, 375, 581–583
CELEBREX® 113, 116 Chloramphenicol 417, 449–450, – bei atopischer Dermatitis 428
Celecoxib 13, 113, 116–117 467 – bei Psoriasis 422
CELESTAN® solubile 249 Chlordiazepoxid 103 – zur Rheumatherapie 136–137
– -V 427 Chlorhexamed® 529 Cignolin s. Dithranol
Celiprolol 199–200 Chlorhexidin 529 Cilastatin 458, 485
CellCept® 586 Chloridkanal 34 Cilazapril 313
Celluvisc® 418 Chlormadinonacetat 264–265, 267 Cilest® 264, 267
CELSENTRI® 512 Chlormadinon JENA- Cilostazol 294
Cephalosporine 20, 449, 455–457 PHARM® 264 – Pletal® 294
Cephoral® 457 Chlorprothixen 81 Cimetidin 368–369
Ceplene® 562 Chloroprocain 153 Cimetidin-CT 368
CEPROTIN 298–299 Chloroquin 137, 517–520 Cimzia® 139–140, 589
Cerazette® 264, 267 Chlortalidon 394 Cinacalcet 223
Cergem® 273, 280 Chlortetracyclin 417 Cinnarizin 188–189
Ceritinib 551 Cholekinetika 386 Cipralex® 87–88
Cernilton® 408 Cholelithiasis 386 Cipramil® 87–88
Certican® 584–585 Choleretika 386 Ciprobay® 468
Certolizumab-Pegol 139–140, 589 Cholestagel® 306 Ciprofloxacin 449, 468–471, 478
Certoparin 295 Cholesterol-Resorptions- Circadin® 106
Cesol® 525–526 hemmer 305 Cisatracuriumbesilat 163
Cetirizin 277 Cholinesterase Cisplatin 536–538
Cetrorelix 254–255 – atypische 164 Citalopram 13, 86–88
Cetrotide® 254–255 – unspezifische 202 Claforan® 457
Sachregister 635

Cladribin 532, 535 Codergocrin 198 CRIXIVAN® 510


Clarithromycin 13, 449, 464–465, Coenzym A 444 Crizotinib 551
485 Coffein 96 Cromoglicinsäure 64, 355–356,
– zur HP-Eradikation 371–372 – in Schmerzmitteln 119 360–361, 417
Clarium® 180, 183 Colchicin 147, 541 Cromo-ratiopharm® 355
Claudicatio intermittens 294, 321 – Vergiftung 617 Cross-over-Untersuchung 72
Claversal® 373, 375 Colchicum-Dispert® 147 Crystal Meth 95
Clavulansäure 455, 485 Colecalciferol s. Vitamin D3 CSE-Hemmer s. Statine
Clearance 21 Colesevelam 306 CS-Syndrom 620
Clemastin 277 Colestyramin 305–306, 605–606 CTLA-4-Antikörper 549
Clenbuterol 196, 353 Colifoam® 375 Cubicin® 474
Clevidipin 311 Colimune® 356 Cumarin-Derivate, Vergiftun-
Cleviprex® 311 Colistin 364, 449–450, 475 gen 622
Clexane® 295 Colitis ulcerosa 373–375 Curatoderm® 421, 440
Climen® 258, 271 Coma diabeticum, Therapie 237– Cushing-Schwelle, Glucocorticoi-
Climodien 264 238 de 134
Climopax® 271 Combivir 515 Cushing-Syndrom 250–252
Clindamycin 425, 431, 449–450, COMETRIQ® 554 Cuxafenon® 347
466 Compliance 25 Cyanide, Vergiftung 607
– bei Malaria 518, 520, 523 – Kombinationspräparate 64 Cyanocobalamin s. Vitamin B12
– bei Pneumocystis-Pneumo- Comtess® 180 Cyanokit® 607
nie 493 COMT-Hemmer 179–181 Cycasin 625–626
Clioquinol 528 Concor® 132, 200 Cycloguanil 519
Clivarin® 295 Condylomata acuminata 431–432, Cyclooxygenase 111–112 279
Cl–-Kanal s. Chloridkanal 541 – Hemmer 111–117, 280–281, 291
Clobazam 103, 169, 173 Condylox® 432, 541 – s. a. Coxibe
Clobetasol-17-propionat 427 Coniin, Vergiftung 617 Cyclopentolat 416
Clobetasonbutyrat 427 Conn-Syndrom 252 Cyclophosphamid 13, 145, 536
Clodronat 226 Contergan® 555–556 Cycloserin 485
Clofazimin 485–486 Copaxone® 590 Cyklokapron® 302–303
Clomethiazol 610 COPD 357–359 CYMBALTA® 88, 128
Clomifen 262 Copegus® 502–503 Cymeven® 499
Clonidin 201, 412 Corifeo® 311 Cynt® 201
Clomipramin 13, 85–87 Cormagnesin® 404 CYP2C19 57
Clonazepam 103, 169, 173 Corpus luteum 266 CYP2D6 57
Clonidin 201 Corticoliberin 208 CYP3A4 57
Clopidogrel 13, 291–292 Corticorelin 208–209 CYPHER®-Stent 331
Cloprednol 249 Corticotropin 210 Cyproheptadin 277, 279
Clorina® 527 Cortisol 247–250 Cyproteronacetat 257–258, 271,
Clostridium-botulinum- – bei Nebenniereninsuffi- 561–562
Toxin 164–165 zienz 251–252 – GRY® 561
Clostridium-difficile-assoziierte Cortisolmangel, Therapie 212 Cyramza® 588
Diarrhö s. CDAD Cosentyx® 422, 589 Cysteinyl-Leukotrien1-Rezeptor-
Clotrimazol 488 Co-trimoxazol 449, 472, 493 antagonisten 355
Clozapin 13, 80–82 Coumadin® 298 Cysticide® 525–526
Cluster-Kopfschmerz 92, 130 Coversum® 313 Cytarabin 532, 534
Cobalamin s. Vitamin B12 COX s. Cyclooxygenase Cytisin, Vergiftung 616
Cobicistat 511, 515 Coxibe 113, 116–117 Cytochrom P450 12–13
Cocain 153 Cresemba® 488 – Interaktionen 53–55
Codein 13, 123 CRESTOR® 304 – Polymorphismus 57
– als Antitussivum 127 CRH Ferring 208
636 Sachregister

Cytosin-arabinosid 534 – Diuretika-induzierte 393 Diabetes mellitus 233–235


Cytosindesaminase 492 – Therapie 406 – durch Diuretika 393
Dehydrocholsäure 386 – Hochdrucktherapie 316
D Delamanid 484 – Spätfolgen 234–235
D2-Rezeptor 179 delimmun® 581 – Therapiestrategie 246–247
– Antagonisten 76–78 Delirium tremens 610 – Typen 233
D3-Hormon 439 Delix® 313 diabetischer Fuß 235
Dabigatranetexilat 300 Deltaran® 113, 115 Diamicron Uno® 240
Dabrafenib 552 Demenzerkrankungen 96 Diaminobenzylpyrimidine 471–
Dacarbazin 536, 538, 568 – Therapie 97–98 472
Daclatasvir 496, 503–505 Demetrin® 103 Diane®-35 258
Dacogen® 534 DEMEX® 113, 118 Diaphal® 397
Dactinomycin 543–545 Denosumab 227–230, 588 Diarönt® 475
Daivonex® 421 Depo-Clinovir® 264, 267–268 Diarrhö 376–377
Daklinza® 504 Depotarzneiformen, parenterale 9 – forcierte 603
Daktar® 488 Depotpenicillin 454 – Therapie 378–379
Dalbavancin 449, 459 Depressionen 84 Diastabol® 245
Dalfopristin 449, 466 – Antidepressiva 84–91 Diazepam 20, 103–104, 169, 173
Dalmadorm® 103 – Therapie 91 – bei Vergiftungen 602
Dalteparin 295 Dequaliniumchlorid 529 – -ratiopharm® 169
Danaparoid-Natrium 297 Dermatika 419–435 Diazoxid 232
Dantamacrin® 164 Dermatitis 426–427 Dichlorvos 621–622
Dantrolen 155, 164 – allergische 45 Diclofenac 113, 115, 143, 417
Dapagliflozin 244 – atopische 426–427 – Dosierung 113, 147
Dapson 486, 493 – Kontakt- 426–430 – topisches 434
Daptomycin 449, 474–475 Dermatophyten 486, 492 Didanosin 507–509
Daraprim® 471 Dermestril® 271 Didecyldimethylammonium-
Darbepoetin alfa 284 Dermoxin® 427 chlorid 529
Darifenacin 206, 408–409 Desensibilisierung 29, 38–39 Didesoxyinosin 507
Darmerkrankungen, chronisch Desferal® 604, 612 Dienogest 264–265, 267, 271
entzündliche 373–376 Desfluran 160–161 Difen® UD 115
Darmreinigung 381 Desinfektionsmittel 526–529 Differin® Creme 426
Darunavir 496, 510–511, 515 Desloratadin 277 Diffusion, biologische Membra-
Dasabuvir 496, 503, 505, 507 Desmopressin 214, 400–401 nen 3–4
Dasatinib 550 Desmospray® 400–401 Diflucan® 488
Daunoblastin® 543 Desogestrel 264, 267 Diflucortolon-21-valerat 427
Daunorubicin 543–544 Desoximetason 427 Difluor-Cytarabin 533
Daxas® 359 Detimedac® 538 Digimerck® 337
Daylong® 435 Detrusitol® 206, 408–409 Digitalis-Antidot 604
Decapeptyl® 255, 559 Dexamethason 189, 249 Digitalis-Glykoside 337–339
Decentan® 81, 188–189 – bei Erbrechen 190 Digitoxin 337–339
Decitabin 532, 534 Dexamfetamin 95 Digoxin 20, 337, 339
Decoderm® 427 Dexa-Rhinospray® Mono 361 – Interaktionen 53
Decortin® 249, 375 Dexdor® 107 Dihydralazin 314–315
– H 147, 249, 355, 375 Dexibuprofen 113, 115 Dihydroartemisinin 519–520
Deferipron 612–614 Dexketoprofen 113, 115 Dihydrocodein 127
Deferoxamin 604, 612 Dexmedetomidin 107 Dihydroergotoxin 198
Defibrillator, implantierbarer 345 Dexpanthenol 418, 444–445 1,4-Dihydropyridine 311
Deflazacort 249 Dexrazoxan 544, 563 Dihydropyrimidin-Dehydro-
Degarelix 254–255 Dextromethorphan 13, 127 genase 58
Dehydratation 399–400 Diabetes insipidus 400–401 Dihydrotachysterol 222, 440
Sachregister 637

Dihydrotestosteron, Prostata 405– – Kombinationspräparate 65 DOTA 597


407 – Resistenz 391 Dotarem® 597
5α-Dihydrotestosteron 256 4-DMAP 604, 607 Doxazosin 197–198
Dilatrend® 200 DMARDs 134–143 Doxepin 85–87, 107
Diltiazem 200, 312, 348 DMPS 612 Doxorubicin 539, 543–545
Dilzem® 312 DNCG 355–356 Doxycyclin 449, 463–464, 480,
Dimaval® 604, 612 DOAK s. NOAK 518, 520
Dimenhydrinat 188–189, 277 Dobendan® direkt 113, 115 DPP4-Inhibitoren s. Gliptine
Dimercaptopropan-Natriumsulfo- Dobutamin 340 Doxylamin 105–106, 277
nat 604 – zur Schocktherapie 320 Dranginkontinenz 408–409
23-Dimercaptopropan-1-sulfon- Docetaxel 542–543 Dreimonatsspritze 268
säure 612 Docusat-Natrium 383 DRESS-Syndrom 45–46
Dimethylaminophenol 604 Dociton® 132, 200, 604 Dridase® 206, 408–409
Dimethylfumarat 423, 593 Dogmatil® 82, 188–189 Dromotropie, negative 337–338
Dimeticon 433 Dolantin® 125 Dronabinol 126–127
Dimetinden 277 Dolestan® 277 Dronedaron 348
Dinoproston 273, 280 Dolgit® 115 Droperidol 188–189
DIOVAN® 314 Dolobene® Ibu 143 Drospirenon 264–265, 267, 271
Dioxin 624 Dolormin® 115 Drugmonitoring 25–26
Dioxygenasen 12 Dolutegravir 496, 513–515 DTPA 612
Dipentum® 375 Dominal® P 81 Duaklir® Genuair® 359
Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibito- Domperidon 189, 384–385 Ductus arteriosus Botalli
ren 242 Dona® 143 – Offenhaltung 280
Diphenhydramin 105, 188–189, Donepezil 96–97, 594 – vorzeitiger Verschluss 114
277 Dopa-Decarboxylase 178 – – Therapie 115
Diphenhydramin-Hevert® 277 Dopa-Decarboxylase-Blocker 65, Dulaglutid 242
Diphenylbutylpiperidine 80 178–180 Dulcolax® 381
Diphtherie-Impfung 575 Dopamin 210–211 Duloxetin 88, 408
Dipidolor® 124 – bei Parkinson-Syndrom 177–184 – bei neuropathischen Schmer-
Dipiperon® 81 – zur Schocktherapie 320 zen 128
Dipyridamol 294, 323 Dopamin-Agonisten 182–184 Dünndarmgeschwür 365–366
Direct Acting Antivirals 502–506 Dopamin-Antagonisten Duphaston® 264
Disease modifying antirheumatic – als Antiemetika 188 Durchblutungsstörungen,
drugs s. DMARDs – als Prokinetika 384–385 arterielle 321–323
Disoprivan® 157 – antipsychotische Wirkung 76–78 Durogesic® SMAT 126
Distickstoffoxid s. Lachgas Dopamin-/Noradrenalin-Wieder- Dusodril® 322
Distigminbromid 204–205, 408 aufnahmehemmer, selektive 88 Duspatal® 207
Distraneurin® 610 Dopergin® 180, 184 Dutasterid 257–258, 407–408
Distribution s. Verteilung Doping Dydrogesteron 264–265, 271
Dithranol 420 – Anabolika 257–258 Dynastat® 113, 116
Ditripentat-Heyl® 604, 612 – Epoetin 284 Dynorm® 313
diucomb® 394 – Clenbuterol 353 Dysfunktion, erektile 324–325
Diurese, forcierte 605 Doppelblindversuch 72 Dyskinesie
Diuretika 324, 388–399 Doregrippin® 196 – Antipsychotika 79
– Angriffsorte 391 Dormicum® 103, 159 – Levodopa-induzierte 178
– bei Herzinsuffizienz 335–336 Dornase alfa 364 – Therapie 185–186
– bei Hypertonie 310 Dorzolamid 398, 413 Dyskrinie 350
– Einteilung 390 Dose dumping 8 Dyslipidämie 511
– Hyperkaliämie 51 Dosis-Wirkungs-Kurve 37–38 Dysraphie 286
– kaliumsparende 390–391, 396– – Morphin 125 Dysurgal® 205–206
398 Dostinex® 211 Dytide® H 397
638 Sachregister

E Elidel® 420, 428, 583 Entecavir 496, 501–502


E 600® 621 Elimination 17–18 Enterococcus faecalis 581
E 605® 621–622 – Halbwertszeit 21–22 enterogastraler Kreislauf 7
Ebastel® 277 Eliquis® 301 enterohepatischer Kreislauf 7
Ebastin 277 ellaOne® 265, 268–269 Enterotoxine, Lebensmittel-
Ebenol® 427 elmex® 446–447 vergiftung 623
Ebrantil® 197 Elobact® 457 Entocort® 375
Ecalta® 491 Elontril® 88 Entresto® 334–335
Echinacea 580–581 Elotrans® 378 Entryinhibitoren 512–513
Echinocandine 491–492 Eltrombopag 289–290 ENTYVIO® 375, 589
Echinokokkose 524–525 Elvanse® 95 Entzündung 43–46, 109–110
Echovist® 598 Elvitegravir 496, 513–515 Enuresis 86–87
Econazol 488 Emadine® 277, 417 Enzalutamid 561–562
Eculizumab 588 EMB-Fatol® 483 Enzymdefekte 58
ECURAL® 427 Embolie 288 Enzyme, Aktivierung 37
Edarbi® 314 Embryopathie 47–48 – Induktion 15, 17, 38–39, 54–55
ED50 38 Emedastin 277, 417 – Inhibition 16, 37, 54
Edoxaban 301 EMEND® 189–190 Eperzan® 242
Edronax® 88 Emerade® 320 Ephedrin 197
EDURANT® 509 Emesan® 189 Epilepsie 166–167
Efavirenz 509–510, 515 Emesis gravidarum 187 – Antikonvulsiva 167–175
Efeublättertrockenextrakt 361 EMLA® 153 – Schwangerschaft 176
Effektor 28–29 Emovate® 427 – Therapie 103, 175–176
Effentora® 126 Empagliflozin 244 Epinephrin s. Adrenalin
Effortil® 196 Emselex® 206, 408–409 Epi-Pevaryl® 488
Efient® 292 Emtricitabin 496, 507–509, 515 Epirubicin 543–544
Eflornithin 435, 522 Emtriva® 507 Epivir® 507
Efudix® 433–434, 533 Enalapril 313, 336 Eplerenon 336–337, 396–397
EGFR Enantiomere 39–40 Epoetin 283–284
– Antikörper 545–546 Enantone® 559 Eptacog alfa 289
– Tyrosinkinasehemmer 551 – Gyn 255 Eptifibatid 293
Eicosanoide 279–281 Enbrel® 139–140, 422 Equilibrin® 85, 87
Eintrittshemmer s. Entryinhibito- Encephabol® 98 Erbitux® 545–546, 588
ren Endharnbildung 389 Erbrechen 187
Eisensalze Endofalk® Classic 381 – bei Vergiftungen 603
– bei Anämie 282–283 Endorphine 110 – Therapie 187–190, 277, 279
– Vergiftung 613 – Placebo-Wirkung 71 – Zytostatika- 189–190, 279
Eisenhut, Vergiftung 616 Endothelinrezeptor-Antago- erektile Dysfunktion 324–325
Eisenmangelanämien 282–283 nist 317–318 EREMFAT® 482
Eisenoxide, Kontrastmittel 597– Endotoxine 622–623 Ergenyl® 169–170
598 Endoxan® 536 Ergobel® 98
Eisprung 266 Enfluran 160–161 Ergo-Kranit® Migräne 131, 198
Ekchymosen 173–174 Enfuvirtid 496, 512–513 Ergosterol 486
Eklampsie 403–404 Engerix®-B 502 – Synthesehemmung 487
Eklira® Genuair® 207 Engwinkelglaukom 411–413 Ergotamintartrat 131, 198, 321
Ekzeme 426–427 Enkephalinase 377 Ergot-Derivate 180, 184
Elektrolyte Enoxacin 449, 468–471 Ergotismus 49
– bei Diarrhö 378 Enoxaparin 295 ergotrope Reaktion 191
– Infusionslösungen 404–405 Enoximon 340–341 Erhaltungsdosis 25
Elektrolytstörungen 401–403 Enoxor® 468 Eribulin 542
Eletriptan 130–131 Entacapon 179–181 Erivedge® 434, 557
Sachregister 639

Erlotinib 551 – zur Desinfektion 528 Faktor-VII-Präparate 289


Erregungsbildungsstörungen, – Vergiftung 608–610 Faktor-VIII-Präparate 288–289
Herz 342 Ether, Narkose 161 Faktor-IX-Präparate 289
Erstickung, innere 607 Ethinylestradiol 260–261, 267 Faktor-Xa-Hemmer 300–301
Ertapenem 449, 457–458 Ethionamid 485 Faktor-XIII-Präparate 289
ERYPO® 284 Ethosuximid 169, 172 Faltenglättung 165
Erythromycin 385, 425, 449, 464– Ethylhydrogenfumarat 423 Famciclovir 498–499
466 Ethyol® 538 Famotidin 368
Erythropoese 283–284 Etidronat 226 Fampridin 594
Erythropoetin 580 – 2000 JENAPHARM® 226 Fampyra® 594
– Rezeptor 36 Etilefrin 196 Famvir® 499
– -mangel-Anämie 283–284 Etomidat 157 Farbenblindheit 60–61
ESBL 453, 478 Etonogestrel 264–265, 267–268 Fareston® 560
Esbriet® 360 Etopophos® 541 FARMORUBICIN® 543–544
Escherichia coli 478–480, 581 Etoposid 541 Farnesoid-X-Rezeptor 15
Escitalopram 86–88 Etoricoxib 113, 116–117, 147 Faslodex® 560
Escor® 311 Etravirin 496, 509–510 Faulbaumrinde 380–381
Esidrix® 394 Etretinat 422 Favismus 58
Eskazole® 524 Eugenol 528–529 Favistan® 218
Esketamin 158 Euglucon® 240 Fc-Stück 571
Eslicarbazepinacetat 169–170 Euphylong® 353 Febuxostat 148
ESMERON® 163 Eurartesim® 518–519 Feigwarzen 431–432, 571
Esmolol 199–200 Euthyrox® 216 Felbamat 169, 175
Esomeprazol 115, 366 EVE® 20 267 Felodipin 311
Essigsäure-Derivate 113 Everolimus 553, 582, 584–585 Fel tauri 386
Esterasen 13–14 Evidenzbewertung 73 Felypressin 151–152
Estradiol 259–260, 267, 271 Eviplera® 515 Fem7® Combi 271
– Prostata 405–407 Evista® 260–261 Femara® 561
– -valerat 260–261, 267, 271 Evolocumab 306–307 Femoston® 271
Estradot® 260 EVRA® 264, 267–268 Fempress® 313
Estramustin 559–560 Exelon® 97 Fenistil® 277
Estrifam® 260, 271 Exemestan 561 Fenoterol 64, 196, 274, 352, 356
Estriol 260, 271 Exenatid 242 Fentanyl 126
– JENAPHARM® 271 Exkretion s. Ausscheidung – Dosis-Wirkungs-Kurve 125
Estrogene 259–261, 271 Exoderil® 490 – in der Anästhesie 159
– als hormonelle Kontrazepti- Exophthalmus 218 Fentanyl®-Janssen 158
va 266–270 Exotoxine 622–623 Fenticonazol 488
– als Onkologika 559–560 Expektoranzien 361–362 FERINJECT® 283
– Präparate 260, 271 Extavia® 579 Ferrihexacyanoferrat 604
– zur Hormonersatztherapie 270– Extrasystole 342–344 Ferriprox 612–614
272 Extrazellularraum 10 Ferrlecit® 283
Estrogenrezeptoren 260 Exviera® 505 ferro sanol® 283
– Antagonisten, Antiestrogene 560 Eylea® 415 Ferrum Hausmann® 283
Estrogenrezeptor-Modulatoren, Ezetimib 305 Fesoteridin 206, 408–409
selektive s. SERM EZETROL® 305 Fetopathie 48
Estromustin 559–560 Fevarin® 87–88
Estron 260 F Fexofenadin 277
Etanercept 139–140, 422 Fab-Fragment 140 Fibrate 306
Ethacridin 528 Fab-Stück 571 Fibrex® 119
Ethambutol 450, 483, 485 Fadenwurmbefall 526 Fibrezym® 297
Ethanol 13 Fahrtüchtigkeit 47 Fibrinmangel 289
640 Sachregister

Fibrinogen 289, 293 Flupentixol 77, 81, 83 Foster® 64, 356


Fibrinolytika 301–302, 320, 322 Fluphenazin 81, 83 Fragmin® 295
Fibrogammin® P 289 Flupirtin 118 Fraxiparin® 295
Fidaxomicin 474, 449–450 Flupredniden-21-acetat 427 Frisium® 103, 169, 173
Ficortril® 417 Flurazepam 103 Frovatriptan 131
Fieber, rheumatisches 144 Flurbiprofen 113, 115, 417 Fruchtschädigung 48
Filgrastim 580 Fluspirilen 83 Frühdyskinesie 79
Finasterid 257–258, 407–408, 435 Flutamid 561–562 Frühjahrslorchel, Vergiftung 618
Fingolimod 592 Fluticason-furoat 356 Frühsommer-Meningoenzephalitis
Firazyr® 430 Fluticason-17-propionat 354–355, s. FSME
FIRMAGON® 254–255 361, 427 FSH s. Follikel-stimulierendes
First-Pass-Effekt 16 Flutide® 354 Hormon
Flare-Phänomen 254 – Nasal 361 FSH-Rezeptor 265–266
Flavinmononucleotid 443 Flutivate® 427 FSME-Impfung 576
Flavinmonooxygenasen 12–13 Fluvastatin 304 FU-cell® 533
Flecainid 347 Fluvoxamin 86–88 Fuchsbandwurm 525
Fliegenpilz, Vergiftung 618 FMO 12–13 Fucidine® 467
Fließgleichgewicht 21–22 FOLFIRI-Schema 566–567 Fugerel® 561
Flohsamen, indischer 380 FOLFOX4-Schema 566–567 Fulvestrant 560
Floxal® 417 Folinsäure 566–567, 604 Fumaderm® 423
Fluanxol® 81, 83 Follikel-stimulierendes Hor- Fumarsäureester 423
Flucloxacillin 431, 449, 454 mon 253, 265–266 FURACIN® 473
Fluconazol 488–489 Follitropin s. Follikel-stimulieren- Furosemid 223, 395–396
Fluctin® 87–88 des Hormon Furunkel 431
Flucytosin 492 Follitropin α 256 Fusidinsäure 430–431, 449,–450,
Fludara® 535 Follitropin β 256 467–468
Fludarabin 532, 535 Folsan® 135, 286 Fusionsinhibitoren 512–513
Fludeoxyglucose 599 Folsäure 285, 442 Fußpilz s. Tinea pedis
Fludrocortison 251, 319 Folsäureantagonisten 449, 471– Fuzeon® 512–513
Fluid-Impfstoffe 575 472, 532–533 FXR 15
Fluimucil® 361 Folsäuremangel-Anämie 285–286 Fycompa® 169, 174
– als Antidot 604 Fomepizol 604, 608
Flumazenil 102, 104, 159, 604 Fomepizole Opi 604 G
Flumetason-21-pivalat 427 Fomivirsen 61 GABA
Flunarizin 132, 188–189 Fondaparinux 295 – Schlaf-Wach-Zustände 100–101
Flunisolid 361 Forene® 161 – -erge Neurone 168, 179
Flunitrazepam 20, 103 Formaldehyd 528 GABAA-Rezeptoren 34, 101–102
Fluocinolonacetonid 427 Formigran® 130 – Antikonvulsiva 168, 173–174
Fluocinonid 427 Formoterol 64, 196, 352, 356, 359 – Benzodiazepin-Analoga 105
Fluomizin® 529 FORSTEO® 228 – Benzodiazepine 101–105
Fluor 446–447 Fortecortin® 189–190, 249 GABAB-Rezeptoren 33
Fluorchinolone 449, 468–471, 485 Fortum® 457 – Baclofen 165
Fluoretten® 446–447 Forxiga® 244 Gabapentin 168–169, 172, 594
Fluorid, Osteoporose 228–229 Fosamprenavir 510–511, 515 – bei neuropathischen Schmer-
5-Fluorouracil 532–533 Fosaprepitant 189–190 zen 128–129
– bei Hauttumoren 433–434 Foscan® 563 Gabitril® 169, 173
– bei Warzen 431 Foscarnet 499 Gabrilen® 113, 115
– Dihydropyrimidin-Dehydro- Foscavir® 500 Gadofosveset 597
genase 58 Fosfomycin 449–450, 460 Gadolinium 597
– – Brivudin 58, 498 Fosinorm® 313 Gadopentetsäure 597
Fluoxetin 13, 86–88 Fosinopril 313, 336 Gadoteridol 597
Sachregister 641

Galanin, Schlaf 100 Gewebekleber 289 – als Immunsuppressiva 584–585


Galantamin 97 Gewebeplasminogenaktivator s. – als Ophthalmika 417
Gallensteine 386 t-PA – Anwendungskriterien 250
Galvus® 242 Gewebeschädigung, akute 109 – bei allergischer Rhinitis 278
Gammahydroxybuttersäure Gewöhnung 38–39 – bei Asthma bronchiale 354–355
(GHB) 158 GFR s. glomeruläre Filtrationsrate – bei Colitis ulcerosa,
– bei Narkolepsie 96 GH s. Somatropin M. Crohn 374–354
Ganciclovir 417, 496, 498–499 GHRH Ferring 208 – bei COPD 359
Ganirelix 254–255 Gicht 146–149 – bei Erbrechen 189
Gastritis 372 Gift – bei Lungenfibrose 360
Gastrografin® 596 – Entfernung 602–603, 605–606 – bei Psoriasis 420
Gastroparese, diabetische 235 – Exposition 600 – bei rheumatoider Arthritis 133–
Gastrozepin® 206, 370–371 – Pfeilgifte 163 134
Gazyvaro® 548, 588 – Pflanzengifte 615–618 – bei Tumoren 562
GCP-Richtlinien 69 – Schlangengifte 619–620 – bei Urtikaria, Angioödem 429
Geburt, Einleitung 272–273 – s. a. Toxizität, Vergiftung – bei Vergiftungen 601–602
Gedächtniszellen 571 Giftreizker, Vergiftung 618 – beim Gichtanfall 147
Gefitinib 551 Gigantismus 213 – diabetogene Wirkung 250–251
Gelafusal® 286–287 Gilenya® 592 – Dosierungen 249
Gelatine-Präparate 286–287 Gilurytmal® 346 – endogene 247–248
Gelbfieber-Impfung 577 Gimeracil 533 – Interaktion mit NSAIDs 112–
Gelbkörper 266 Ginkgo biloba 98 114
Gelbsucht, Neugeborene 49, 53 GIOTRIF® 551 – Rezeptor 248, 584–585
GeloMyrtol® 361 Gittalun® 105, 277 – topische 427–428
Gelonida® 123 Glatirameracetat 590–591 – Wirkungen 247–248
Gemcitabin 449, 532–534 Glaubersalz 380 Gluconeogenese, gesteigerte 234
Gemeprost 273, 280 Glaukom 411–414 Glucophage® 238
Gemfibrozil 306 – Krankheitsbild 411–412 Glucosaminsulfat 143
Gemzar® 533–534 – Mittel 412–414 Glucose
Gentamicin 460–463 Glianimon® 81 – Blutzuckerregulation 230–232
Gentherapie 60–61 Glibenclamid 240 – Transporter 5, 36
Gentransfer, Bakterien 450 Gliclazid 240 Glucose-6-phosphat-Dehydroge-
Genuair® 359 Gliflozine 243–244 nase, Mangel 58
Genvoya® 509 Glimepirid 240 Glucose-abhängiges insulinotropes
Gerinnungsfaktoren, Präpara- Glinide 241 Peptid (GIP) 241
te 288–289 Glioblastoma multiforme 539 α-Glucosidase-Inhibitoren 244–
Germanin® 522 Gliptine 27, 242–243 245
Gernebcin® 460 Gliquidon 240 Glucuronidase 13–14
Gerstenkorn, Therapie 416–417 Glivec® 550 Glucuronsäure 14
Gesamtkörperclearance 21 Globalinsuffizienz 335 Glucuronyltransferase 14
Gestagene 263–265 Globulin A, antihämophiles 288– Glurenorm® 240
– bei Mamma-, Endometrium- 289 Glutamat 34, 120, 168
karzinom 561 glomeruläre Filtrationsrate 18, 389 – Rezeptoren 34, 110
– Präparate 264, 271 GLP-1 s. Glucagon-like Peptide 1 – Schmerzverarbeitung 110
– zur Hormonersatztherapie 270– GlucaGen® 232, 604 Glutaraldehyd 528
271 Glucagon 231–232, 604 Glutathion 14
– zur Kontrazeption 266–270 Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) Glybera® 61, 307
Gestationsdiabetes 234 230, 241 Glycerol, Laxans 383
Gestoden 264, 267 Glucantime® 522 Glyceroltrinitrat 328, 341
Gestose, hypertensive 314 Glucobay® 244–245 Glycin, Konjugation 14
Gevilon® 306 Glucocorticoide 248–251 Glyceroltrinitrat 328
642 Sachregister

Glycilax® 383 Guttaplast® 431 Haut 419


Glycopyrroniumbromid 206–207, Gyrase 468 – Resorption 9
358–359 Gyrasehemmer s. Fluorchinolone Hautantiseptika 528
Glycylcycline 463–464 Gyromitrin, Vergiftung 618 Hautinfektionen 430–433
Glycylpressin® 214 Hauttumoren 433–434
Glykierung 234–235 H Havrix® 500–501
Glykopeptide 449, 458–459 H1-Antihistaminika 276–278, 361 HbA1c-Wert 234–235, 246–247
Glykoprotein-(GP-)IIb/IIIa-Anta- – als Hypnotika 105–106 HCG s. Choriongonadotropin
gonisten 293–294 – bei Erbrechen 188–189 HCN-Kanal 35
Glykosidase 13–14 – bei Urtikaria 429 HCV-Polymeraseinhibitoren 503,
GM-CSF 580 – in Ophthalmika 417 505
GnRH s. Gonadotropin-Releasing- H1-Rezeptoren 84 HCV-Proteaseinhibitoren 503–
hormon H2-Antihistaminika 368–369 504
Goldgeist® forte 432–433 Haemocomplettan® P 289 HDL-Wert 303–304
Goldintoxikation 138 Haemophilus-influenzae-b-Imp- Head-to-Head-Studie 70–71
Goldregen, Vergiftung 616 fung 575 Hedgehog-Signalweg 557
Goldverbindungen 138 HAES 286 Hefen 486
Golimumab 589 HALAVEN® 542 Heitrin® 197
– bei Colitis ulcerosa 374–375 Halbwertszeit 21–22 Helicobacter pylori 365, 371
– zur Rheumatherapie 139–140 Halcion® 103 – Eradikation 371–372
Gonadoliberin 208 Haldane-Effekt 606 Helmex® 526
Gonadorelin 208–209, 255 Haldol®-Janssen 81, 83, 188–189 Helminthen 524
– Analoga 559 Halichondrin B 542 Hemmkonzentration, minimale
Gonadotropin 253, 254–256 Halogene, Desinfektion 527 (MHK) 449–450
– Mangel 212 Haloperidol 78, 81 Hemmung
Gonadotropin-Releasing- – bei Erbrechen 188–189 – kompetitive, nichtkompe-
hormon 253–255 Halothan 160 titive 37
– Agonisten 254–255 Hamamelis 428–429 Henle-Schleife 389–390
– Analoga 559 Hametum® 428–429 Hepadnaviren 501
– Antagonisten 254–255, 559 Hämodialyse, Vergiftung 605 Heparine 294–297
GONAL-f® 256 Hämoglobinverwertungshemm- – Antidot 296
Goserelin 255, 559 stoffe 517–519 – lokale Applikation 297
GP-IIb/IIIa-Rezeptoren 292–293 Hämokonzentration 393 – niedermolekulare 295–296
G-Protein 33 Hämoperfusion, Vergiftung 605 – Standard- 295–297
G-Protein-gekoppelte Rezepto- Hämophilien 287 Heparinoide 297
ren 33–34 – Hämophilie A 288–289 Hepatitis 500–506
Granisetron 189–190, 279 – Hämophilie B 61 Hepatitis A 500–501
GRANOCYTE® 580 Hämochromatose 283 – Impfung 500–501, 576
Granulozyten-Makrophagen- Hämosiderose 283 Hepatitis B 501–502, 509
koloniestimulierender-Faktor Hämostase 287–288 – Impfung 502, 576
(GM-CSF) 580 Händedesinfektion 526–527 Hepatitis C 502–506
Gravistat® 267 Haptene 42, 44 Hepatitis D 506
Grippe-Impfung 576 Harnbildung 388–390 Hepatitis E 506
Griseofulvin 492–493 Harninkontinenz 408–409 Hepatocyte Nuclear Factor 1α
Grüncef® 457 Harnstoff 430 (HNF1α) 15
Grundimmunisierung 573 Harnwegsinfektion, Therapie 479– Hepatyrix® 575
Grüner Star s. Glaukom 480 Hepsera® 501
Guanosin-Analoga 499 Harvoni® 503–505 HER2-Antikörper 546–547
Guanylylcyclase, Rezeptor 36 Harzol® 408 Herbstzeitlose, Vergiftung 617
Gürtelrose s. Herpes zoster Haschisch 98–99 Herceptin® 56, 546, 588
Gutron® 195 Hausstaubmilbe 432 Herpes-Infektionen 499–500
Sachregister 643

Herpesviren 498 – Hypothalamus- 208–209 Hydroxyzin 277


Herxheimer-Reaktion 42 – Nebennierenrinden- 247–253 Hygroton® 394
Herzglykoside 337–340 – Pankreas- 230–232 Hymecromon 386
– Dosierung 339 – Release-Inhibiting- 208 Hyperaldosteronismus 252, 397
– Halbwertszeiten 339 – Releasing- 208 Hyperalgesie 156
– Toxizität, erhöhte 52 – Schilddrüsen- 214–215 Hypercalcämie 222, 402, 406
– Vergiftung 340 – Sexual- 253–265 Hypercatecholaminämie 333
Herzinfarkt 326–332 hormonelle Kontrazeptiva 266– Hypercholesterolämie 61, 305–306
Herzinsuffizienz 332–335 270 Hypercortisolismus 252
– Therapie 335–341 Hormonersatztherapie 270–272 Hyperfibrinolyse 302–303
Herz-Kreislauf-System 282 Hornissengift 620 Hyperhidrosis 165
Herzrhythmusstörungen 342–344 HPV 431–432 Hyperhydratation 399–400, 406
– bei Herzinsuffizienz 341–342 – Impfung 576 Hyperinsulinismus 252
– bradykarde 345 5-HT s. Serotonin Hyperkaliämie 402
– durch Antipsychotika 79 5-HT-Agonisten 279, 382 – durch kaliumsparende Diureti-
– tachykarde 345–348 5-HT1B/1D-Agonisten s. Triptane ka 51, 392
– Therapie 344–349 5-HT3-Antagonisten 189–190, 279 – Therapie 406
Herzstillstand, funktioneller 344 5-HT1B/1D-Rezeptoren, Migrä- Hyperkrinie 350
Hetrazan® 526 ne 129–130 Hyperlipoproteinämien 303–307
Hexabrix® 596 5-HT2-Rezeptoren 78–79, 84–85, Hypermagnesiämie 403, 406
Hexadecylphosphocholin 523 279 Hypernatriämie 401
Hexetidin 528 5-HT3-Rezeptoren 34 Hyperparathyreoidismus 222–223
Hexoral® 528 HUMALOG® 236 Hyperphosphatämie 222
High-ceiling-Diuretika 391 Humanalbumin 286 Hyperprolactinämie 79, 211
Hippursäure 14 humane Papillomviren s. HPV Hypersomnie 101
Hirninfarkt 323 Humanserumalbumin, Proteinbin- Hyperthermie 58–59, 155, 221
Hirnödem 323 dung 10 Hyperthyreose 217–221
Hirsutismus 435 Humatin® 460, 523 Hypertonie 307–308
Hirudin 297 Humira® 139–140, 375, 422, 588 – Kombinationspräparate 64
Histamin 43–44, 275–276, 562– HYALART® D 143 – Notfalltherapie 315–316
563 Hyaluronsäure 143, 418, 434 – pulmonale 317–318
Histaminliberatoren 275 HYCAMTIN® 540 – Therapie 308–317
Histaminrezeptoren 275–276 Hydergin® 198 – – bei Diabetikern 316
Hitze-Schock-Proteine 32 Hydralazin 314–315 – – bei Schwangeren 316
HIV 506–516 Hydrochlorothiazid 394 Hypertrichose 315
– s. a. AIDS Hydrocortison 247, 249–250, 427 Hyperurikämie 146–149
HIV-Protease 506, 510 Hydrocortisonacetat 375, 417 Hypnomidate® 157
HIV-Proteaseinhibitoren 510–512 Hydrocortisonbuteprat 427 Hypnotika 100–108
H+/K+-ATPase-Blocker s. Proto- Hydromorphon 124 Hypoaldosteronismus 252
nenpumpeninhibitoren Hydroxocobalamin 285, 607 Hypocalcämie 222, 402–403, 406
HLA 572 – bei Blausäurevergiftung 604, 607 Hypoglykämie 232, 238
HMG-CoA-Reduktase 304 4-Hydroxybuttersäure s. Gamma- – durch Interaktionen 51
HNF1α 15 hydroxybuttersäure Hypogonadismus 253, 257
Höhenkrankheit 398 Hydroxycarbamid 556 Hypokaliämie 65, 392
Holoxan® 536 Hydroxychinolin-Derivat 473 – Krankheitsbild 401–402
Hormonantagonisten 558–562 Hydroxychloroquin 137, 145 – Therapie 406
Hormone 208–274 1-Hydroxycolecalciferol 440 Hypomagnesiämie 402–403, 406
– als Onkologika 558–562 Hydroxyethyl-Rutoside 324 Hyponatriämie 401
– Definition 208 Hydroxyethylsalicylat 143 Hypoparathyreoidismus 222
– Hypophysen- 209–214 Hydroxyethylstärke 286 Hypophosphatämie 222
– Hypophysenhinterlappen- 209 Hydroxyurea 290 Hypophysen-
644 Sachregister

– Hinterlappenhormone 209, 213– – humane 577–578 – endogene 476


214 Immunisierung 572–578 – exogene 476
– Vorderlappenhormone 209–213 – aktive 573–577 – nosokomiale 452–453, 476
– Vorderlappeninsuffizienz 212 – passive 577–578 Infektionsprophylaxe 526–527
Hypopituitarismus 212 Immunkomplexe, Allergie 43–44 Infertilität 255–256
Hypoproteinämie 18 Immunmodulatoren 578–581 Inflanefran® 417
Hypothalamus 208 Immunstimulanzien 580–581 Inflectra 140, 589
– -hormone 208–209 Immunsuppressiva 581–594 Infliximab 579, 589
Hypothyreose 212, 216–217 – bei Colitis ulcerosa, – bei Colitis ulcerosa,
Hypotonie 318–319 M. Crohn 374–376 M. Crohn 374–376
– durch Interaktionen 51–52 – bei rheumatoider Arthritis 134– – bei Psoriasis 422
Hypromellose 418 138 – in der Rheumatherapie 139–140
Immuseven 289 Influenza 495
I IMNOVID® 555–556 – Impfung 576
Ibandronat 226 Imodium® 377 – Therapie 497–498
Ibotensäure, Vergiftung 618 Impavido® 523 Influenzaviren 495–496
Ibritumomab-Tiuxetan 564, 588 Impetigo contagiosa 430–431, 468 Infusion, Plasmakonzentrations-
Ibrutinib 552 Impfkalender 574 Zeit-Verlauf 24–25
Ibuprofen 113–115, 143 Impfstoffe 573–575 Inhalationsanästhetika 159–161
– bei Migräne 130 – Zulassung 70 Injektion, Plasmakonzentrations-
– topisch 143 Impfungen 572–578 Zeit-Kurve 22–23
Icatibant 430 – Indikations- 576–577 Injektionsanästhetika 155–159
Ichthyosis vulgaris 421 – Standard- 575–576 Inkontinenz 408–409
Idarubicin 543–544 Implanon NXT® 264, 267–268 Inkretine 230, 241
Idarucizumab 301 Importal® 381 Inkretinmimetika 241–243
Idelalisib 553–554 Impromen® 81 Inlyta® 554
If-Kanal-Blocker 329 Imukin® 579 innohep® 295
Ifosfamid 536 Imurek® 136, 375, 585–586, 590 Inodilatatoren 340
Ig s. Immunglobuline INCIVO® 503 Inosin 581
IgE Iclusig® 550 Inosiplex 581
– Allergie 42–44 Incruse® 358 Inotropie, positive 337–338
– Asthma bronchiale 351 Indacaterol 196, 352, 359 Inovelon® 169, 171
IGF-1 211–212 Indapamid 394 INR-Wert 299
IgG, Allergie 43–44 Indinavir 510–511 Insektizide 620–622
Ilaris® 140, 147, 589 Indivina® 271 Insomnie 101
Ilomedin® 322 Indometacin 113, 115–116, 143 – Therapie 107–108
Iloprost 280, 317, 322 Indomet-ratiopharm® 113, 115 Inspra® 396
Imap® 83 Induktion, Enzyme 15 In-Stent-Stenose 331
Imatinib 550 INEGY® 305 Insuline 230–231, 235–238
IMBRUVICA® 552 Infanrix® 575 – Mangel 233–234
Imidazol-Antimykotika 488 – hexa® 575 – Präparate 236
Imidazolcarboxamid 538 – IPV + Hib 575 – Resistenz 233–234
Imidazol-Rezeptoren 201 INFECTOCILLIN® 454 Insulinpumpen-Therapie 237
Imigran® 130–131 Infectofos® 460 Insulinrezeptor 35–36
Imipenem 449, 457–458, 478, 485 InfectoMycin® 464 Integrase 495, 513
Imipramin 13, 85–87 Infectomyk® 417, 491 – Inhibitoren 513–514
Imiquimod 432, 434, 571 InfectoPedicul® 432–433 Integrilin® 293
Immunabwehr 570–572 InfectoPyoderm® 468 Integrinantagonisten 375
Immunbiologika 138–143 Infectoscab 432 Integrine 293, 591
– s. a. Biologicals Infectotrimet® 471 INTELENCE® 509
Immunglobuline 571–572 Infektionen Interaktionen 50–55
Sachregister 645

– Cytochrom P450 53–55 Ipratropiumbromid 206–207, 345, Johanniskraut 90–91


– mit Nahrung 54–55 353–354, 358–359 Juckreiz s. Pruritus
– pharmakodynamische 51–52 Irbesartan 314, 336 Junik® 601, 604
– pharmakokinetische 52–55 Irenat® 219
– pharmazeutische 50 IRESSA® 551 K
Interferone 578–579 Irinotecan 13, 541 Kadcyla® 546–547
– α-Interferon 578–579 Irtan® 361 Kaletra 510–511
– Interferon alfa Isavuconazol 488 Kalinor®-retard 403
– – zur Thrombozytenzahl- Ischämie 235 Kalium, Präparate 403
erniedrigung 290 ISENTRESS® 513 Kaliumcanrenoat 396–397
– – bei Hepatitis 501 Ismo® 328 Kaliumiodid 604
– – in der Tumortherapie 562 Isocillin® 454 Kaliumkanal 34–35
– β-Interferon 578–579 Isofluran 160–161 Kaliumkanalblocker 347
– Interferon beta Isoglaucon® 412 Kaliumpermanganat 528
– – bei Multipler Sklerose 590–591 Isoket® 328 Kallikrein 281
– γ-Interferon 578 Isoniazid 481, 484–485 Kalydeco® 364
– pegylierte 501–503 – N-Acetyltransferase-Polymor- Kamillenblüten 428–429
Interleukine 578 phismus 57–58 Kamillosan® 428–429
– Interleukin-2 562, 567–568 Isopropanol 528 Kammerflattern 344
– Interleukin-6 549–550 Isopto®-Dex 417 Kammerflimmern 51, 344, 602
– rheumatoide Arthritis 140–141 Isopto-Max® 475 Kanamycin 417, 449, 460, 485
Interleukin-Rezeptoren 140–141 Isosorbiddinitrat 328 Kanamytrex® 417, 460
Intermediärinsuline 236 Isosorbidmononitrat 328 Kandidose 493
Interstitium 10 Isotretinoin 426 Kanzerogene s. Karzinogene
Intoxikationen s. Vergiftungen ISOTREX® 426 Kardiotoxizität 543, 593
Intrauterinspirale 268 Isradipin 311 Kariesprophylaxe 446–447
Intrazellularraum 10 Isozid® 481 Karzinogene 624–626
Intrinsic-Faktor, Mangel 284–285 Itraconazol 488–489 Karzinogenität 48
IntronA® 562, 579 Itrop® 206–207, 345 Karzinome 530
INVANZ® 457 Ivabradin 329 Katadolon® 118
Invega® 82–83 Ivacaftor 364 Kataplexie 95
Invertseife 529 IVEMEND® 189–190 Kationentransporter 17
INVIRASE® 510 IXIARO® 577 Kepinol® 472
Invokana® 244 Ixoten® 536 KEIMAX® 457
Iod, Bedarf 215 Kepivance® 563
– als Kontrastmittel 595–596 J Keppra® 169, 174
– radioaktives 219–220, 564 Jacutin® Pedicul 432–433 Keratose
– zur Desinfektion 527 Jakavi® 551–552 – aktinische 433
Iodid 217, 219–220 JAK 36, 551 – follikuläre 425
Iodinationshemmstoffe 219 – Tyrosinkinasehemmer 551–552 Kerlone® 200
Iodisationshemmstoffe 218–219 JANUVIA® 242 Kernikterus 49, 53
Iodixanol 596 Japanische-Enzephalitis-Virus- Kernspintomographie, Kontrast-
Iodmangel 215 Impfung 577 mittel 597–598
Iodtinktur 527 Jardiance® 244 Ketamin 157–158
Ionenkanäle 34–35 Jarisch-Herxheimer-Reaktion 451 – -ratiopharm® 157
Iopidine® 412 Jatrosom® N 89 Ketanest® S 157–158
Iopromid 596 Javlor® 541 Ketek® 464
Ioxaglinsäure 596 Jellin 427 Ketoazidose 234
Ioxitalaminsäure 596 Jenapirox® 113, 115 Ketoconazol 252, 488
Ipecacuanha 603 JEVTANA® 543 Ketoconazole HRA® 252
Ipilimumab 549, 568, 588 Jinarc® 399 Ketolide 464–465
646 Sachregister

Ketoprofen 113, 143 Komplementaktivierung, Aller- Kupfermangel 447


Ketorolac-Trometamol 417 gie 43–44 Kürbissamen 408
Ketotifen 277 Komplementsystem 570
Keuchhusten-Impfung 575 Konakion® MM 288, 604 L
Kevatril® 189–190, 279 Konjugation 450 LABA 352
KEYTRUDA® 588 Konjugationsreaktionen 14–15 Lachgas 160
KHK s. koronare Herzkrankheit Konjunktivitis Lacosamid 169, 171
Killer-T-Zellen 571–572 – allergische 278 Lactatazidose, Metformin 238–
Kinasehemmer 550–554 – infektiöse 416–417 239
Kinderlähmung-Impfung 575–576 Kontaktallergie 45 Lacteol® 377–378
Kineret® 141 Kontaktdermatitis 45, 426 Lactitol 380–381
Kinetik Kontaktlinsen, Benetzungsmit- Lactopoese 210
– lineare 21 tel 418 Lactulose 380–381
– nichtlineare 22 Kontrastmittel LAMA 354, 358–359
Kinetose, Therapie 188 – iodhaltige 595–596 Lamictal® 128, 169–170
Kinine 281 – Kernspintomographie 597–598 Lamisil® 489, 490, 494
Kivexa® 515 – Röntgen- 595–596 Lamivudin 496, 501–502, 507–
K+-Kanal 34–35 – Sonographie 598–599 509, 515
Klacid® 464 Kontrazeption – Zeffix® 501
Klimakterium 270 – Dreimonatsspritze 268 Lamotrigin 128, 169–170
– Hormonersatztherapie 270–272 – Dreiphasen-Methode 268 Lampit® 522
– Osteoporose 225 – Einphasen-Methode 266 Lampren® 486
Klimonorm® 271 – Gestagene 268 Langzeitinsulin 236
Klinische Prüfung 69–71 – hormonelle 266–270 Langzeittoxizität 600
Klistier® 383 – transdermale Pflaster 268 Lanicor® 337
Klysma® 383 – Zweiphasen-Methode 268 Lanitop® 337
Knochen, Parathyrin 221 Konzentrations-Wirkungs- Lannate® 622
Knochenschmerzen 224 Kurve 37–38 Lanreotid 209, 213
Knollenblätterpilzvergiftung 618– – Agonisten, Antagonisten 30–31 Lansoprazol 366
619 Kopfschmerzen, Formen 130 Lantarel® 135, 532–533
Koagulopathie 287–288 Korezeptorantagonisten 512 Lantus® 236
Kodan® Tinktur 529 koronare Herzkrankheit 325–332 Lapatinib 551
KOGENATE Bayer 288 Koronarinsuffizienz 325 Lariam® 518
Kohle, medizinische 602–603, Koronarintervention, perkuta- Lasix® 395
605–606 ne 331 Lassafieber 503
Kohlendioxid, Vergiftung 607 Koronarsklerose 325 Latanoprost 280, 413–414
Kohlenmonoxid, Vergiftung 606– Koronarsyndrom 326, 331–332 Latuda® 82–83
607 Koronartherapeutika 326–331 Laudamonium® 529
Kohlenwasserstoffe, kanzero- Korsolex®-Endo-Desinfectant 528 Laudanosin 163
gene 624 K.-o.-Tropfen 96, 158 Laugen, Vergiftung 611
Kokarzinogene 624 Krampfadern 323–324 Läuse 432–433
Kollateralschäden, Antibiotika 451 Krämpfe, Vergiftung 602 Laxanzien 379–383
Kolonkarzinom 566–567 Krätze 432 Laxoberal® 381–382
Koma Kreislaufstillstand, Vergiftung 602 Laxopol® 381
– diabetisches 234 Kreuzallergie 42 LD50, Definition 38
– hypoglykämisches 232 Kreuzdornbeeren 381 LDL 303–304
Komedonen 425 Kreuzresistenz 450 – Rezeptor 29
Kompartimente Kropf s. Struma L-Dopa s. Levodopa
– tiefe 20 Kryptocur® 254 Lebend-Impfstoffe 573
– s. a. Verteilungsraum Kryptorchismus 254–255 Lebensmittelvergiftung,
Kompensan® 369 Kumulation 24 bakterielle 623–624
Sachregister 647

Leber, Ausscheidung 17–18 – Pflaster 128 Lonolox® 315


Lecicarbon® 383 – zur Lokalanästhesie 153 Loperamid 377
Lederlon® 249 Limptar® N 518 Lopinavir 496, 510–511, 515
Ledipasvir 496, 503–505 Linagliptin 242 Lorazepam 103, 169, 176
Lefax® 376 Lincosamide 449, 464, 466 Lormetazepam 103
Leflunomid 135–136 Linezolid 431, 449, 466–467, 485 LORZAAR® 314
Legalon® SIL 618–619 Linksherzinsuffizienz 335 Losartan 314, 336
Leinsamen 380 Linola® Sept 528 Lösnesium® 404
Leishmaniosen 522–523 Lioresal® 165, 594 Lost 535–536
Lemtrada® 588, 591 Liothyronin s. Triiodthyronin Lovastatin 13, 304
Lenalidomid 555–556 Lipidkinasehemmer 553–554 Low-ceiling-Diuretika 391
Lenvatinib 554 Lipidsenker 304–307 Low-density-Lipoproteine s. LDL
Lendormin® 103 Lipiodol® Ultra-Fluid 596 Loxapin 82
Lennox-Gastaut-Syndrom 170– Lipodystrophie 511 LTH s. Prolactin
171, 175 Lipolyse, gesteigerte 234 l-Thyroxin s. Levothyroxin
Lenograstim 580 Lipopeptide, cyclische 474 Lucentis® 415
LENVIMA® 554 Lipoproteinlipase-Mangel 307 Ludiomil® 85, 87
Leponex® 80–82 Lipoxygenasehemmer 281 Lugol’sche Lösung 219–220
Lepra 482–486 Liquid Ecstasy 96, 158 Lukaste 355, 589
Leptin 231 Liraglutid 242 Lumacaftor 364
Lercanidipin 13, 311 Lisdexamfetamin 95 Lumefantrin 517–520
Leshcutan® 522–523 Liserdol® 211 Lumigan® 414
Letrozol 561 Lisinopril 313, 336 Luminal® 169, 173
Leucovorin® 532, 604 Lisurid 180, 184 Lungenentzündung 479
Leukeran® 537 LITAK® 535 Lungenerkrankung, chronisch
LeukoScan® 589 Litalir® 556 obstruktive s. COPD
Leukotriene 279, 281 Lithiumsalze 91–92 Lungenfibrose 360
Leukozytenantigene, humane 572 Lithofalk® 386 Lungenödem 335
Leuprorelin 255, 559 Livedo reticularis 184 – toxisches 601–602
Levact® 537 Liviella® 260, 262 Lungenreifung 273
Levemir® 236 Livocab® 277, 417 Lupus erythematodes 136, 145–
Levetiracetam 27, 169, 174 Lixiana® 301 146
LEVITRA® 324 Lixisenatid 242 Lupusnephritis 145
Levobunolol 199, 412 LOCACORTEN® 427 Lurasidon 82–83
Levocabastin 277, 417 Loceryl® 493 Luteinisierendes Hormon 253,
Levodopa 178–181 LOCOL® 304 265–266
Levodropropizin 128 Lodoxamid 417 – Lutropin α 256
Levofloxacin 417, 449, 468–471, Lokalanästhesie, Anwendungsar- Lutrelef® 255
485 ten 151 Lutropin s. Luteinisierendes Hor-
Levomethadon 124 Lokalanästhetika 150–153 mon
Levomepromazin 81 – als Ophthalmika 416 Luveris® 256
Levonorgestrel 264–265, 267, 271 – Estertyp 153 Lyell-Syndrom 45
Levosimendan 341 – Säureamidtyp 152–153 Lyme-Arthritis 480
Levothyroxin 214–217 – topische 430 Lyme-Borreliose 480
Levovist® 598 – vasokonstriktorische Zusät- Lymphokine 578
Lexotanil® 103 ze 151–152 Lynparza® 557–558
LH s. Luteinisierendes Hormon Lokalantibiotika 460, 467–468, Lyogen® 81, 83
Liberine 208 473, 475 Lyovac-Cosmegen® 544
Librium® 103 Lokalantidote 603 LYRICA® 128, 169, 172
Lichtschutzsubstanzen 434–435 Lomexin® 488 Lysoform® 528
Lidocain 346–347 Lomustin 536–537 Lysozym 570
648 Sachregister

Lysthenon® 164 Malarone® 519–521 Mekinist® 552–553


Lyxumia® 242 Mammakarzinom 29–30 MEK-Serin/Tyrosin-Kinase-
– Therapie 564–566 hemmer 552–553
M Mandeln, bittere 607 Meladinine® 423
MabThera® 142, 547, 588 Mangafodipir 597 Melanom 433, 567–569
Macitentan 318 Mangan Melarsoprol 522
Macugen® 415 – als Kontrastmittel 597 Melatonin 106
Macula-densa-Zellen 388–389 – Mangel 447 – Rezeptor 90, 106
Macrogol 381 – Vergiftung 614 Melleril® 81
MAC-Werte, Inhalations- Manidipin 311 Melneurin® 81
anästhetika 160 Manie 91 Meloxicam 113, 115
Madenwurmbefall 526 Mannit 381, 398–399 Melperon 81
Madopar® 178, 180 Mannitol 323, 398–399 Melphalan 536–537, 562
Magen-Darm-Erkrankungen 365– – bei Glaukom 414 Memantin 98
366 Mansil® 526 Menachinon 288, 437
Magengeschwür 365–366 Manyper® 311 Menadion 288, 437
s. a. Ulcus ventriculi MAO-B 182 Meningokokken-Impfung 576
Magenspülung, Vergiftung 603 MAO-B-Hemmer 179–180, 182 Menogon® 256
Magium® 404 MAO-Hemmer 89 Menopause 270
magnerot® CLASSIC 404 – Interaktionen 51–52, 122 – Gonadotropin 254
Magnesiocard® 404 – Tyramin 55 Menotropin 254, 256
Magnesium 403–404 Maprotilin 85–87 Mepact® 556–557
– Diasporal® 404 Maraviroc 512 Mepivacain 153
– Verla® N 404 Marcumar® 26, 298 Mercaptoimidazole 218–219
– zur Tokolyse 274 Marihuana 98–99 6-Mercaptopurin 532, 534–535
Magnesiumaspartat 404 Marvelon® 267 – als Zytostatikum 585–586
Magnesiumcarbonat 369, 404 Masern-Impfung 576 – bei Colitis ulcerosa,
Magnesiumcitrat 404 Mastoparan 275 M. Crohn 374–376
Magnesiumhydrogenaspartat 404 Mastzellen 42–44 Mercaptursäure, Bildung 14
Magnesiumhydroxid 369 MATE-Transporter 54 Merigest® 271
Magnesiummangel 403–404 Maximaleffekt 37–38 Meronem® 457
Magnesiumoxid 369, 404 MAXALT® 130 Meropenem 449, 457–458, 478
Magnesiumsulfat 404 Maxipime® 457 Mesalazin 281, 373–375
– als Cholekinetikum 386 MBK 449–450 Mesna 536, 563
– als Laxans 380 M-CSF 580 Mestinon® 204–205
Magnetresonanztomographie s. Mebendazol 524–525 Mesuximid 169, 172
MRT Mebeverin 207 metabolisches Syndrom 233, 325
Magnevist® 597 MEC 22 Metabolisierer
Major Histocompatibility Complex Mecetroniumetilsulfat 529 – langsame, schnelle 56–58
s. MHC Mediatoren 275–281 Metabolisierung s. Biotransforma-
Makroangiopathie, Diabetes 235 – Allergie 43–44 tion
Makrolide 449, 464–466 Medrogeston 264–265, 271 Metalcaptase® 137–138, 604
Makrophagen 571 Medroxyprogesteron 265 Metalyse® 302
Makrophagen-koloniestimulieren- Medroxyprogesteronacetat 264, Metamizol 113, 117–118
der Faktor (M-CSF) 580 267–268, 270–271 Metenolon 257–258
Makrozykline 474 Medyn® forte 443–444 Metergolin 211
Makuladegeneration 414–416 Mefloquin 517–518, 520 Metex® 375, 422
– Gentherapie 60–61 Megalozyten 284 Metformin 54, 238–239
Malaria 516–522 Megestat® 264, 561 Methaddict® 124
Malathion 621–622 Megestrolacetat 264, 561 Methadon 20, 124
Malignome 530 Meglumin-Antimonat 522 Methantheliniumbromid 206–207
Sachregister 649

Methämoglobinbildner 611 Micardis® 314 MLSB-Resistenz 464–465


Methämoglobinreduktase, Man- Miconazol 488 MMAE 548
gel 58 Microgynon 267 M-M-RvaxPro® 575
Methantheliniumbromid 206 Microlut® 264, 267 Mobec® 113, 115
Methanol, Vergiftung 608 Micropaque® 595 Mobilat® 143
Methergin® 272–273 microRNA 62 Moclobemid 13, 89
Methicillin-resistente S. aureus s. Microsun® 19 434 Modafinil 95
MRSA Mictonorm® 206, 409 Modip® 311
Methocarbamol 165 Midazolam 103, 159 Moexipril 313
Methomyl 622 Midodrin 195–196, 408 Mogadan® 103
Methotrexat 532–533 Mifamurtid 556–557 Mohnöl, Kontrastmittel 596
– bei M. Crohn 375 Mifegyne® 264–265 Molekularpharmakologie,
– bei Psoriasis 422 Mifepriston 264–265 Definition 1
– zur Rheumatherapie 135, 141– Miglitol 245 Molybdänmangel 447
144 Migräne 129–130 Mometasonfuroat 354–355, 361,
Methoxsalen 423–424 – Prophylaxe 131–132 420, 427
Methyl-5-amino-4-oxopen- – Therapie 130–131 Monoaminoxidase 13
tanoat 563 Migräne-Kranit® 113, 118 Monoaminoxidase-Hemmer s.
Methyldopa 201 Mikroangiopathie, diabetische 235 MAO-Hemmer
Methylergometrin 272–273 Milchschorf 426–427 Monoamin-Wiederaufnahme-
Methylierung 15 milgamma® mono 441 hemmer 88–89
Methylnaltrexoniumbromid 380, Milrinon 340–341 – selektive 87–89
382–383 Miltefosin 523 Monobactame 449, 458
Methylphenidat 94–95, 96 Mimpara® 223 Mono-Embolex® 295
Methylprednisolon 249, 584–585 Minderwuchs, hypophysärer 212– MonoFer® 283
– bei Colitis ulcerosa, 213 monoklonale Antikörper 545–550,
M. Crohn 375 Mineralocorticoide 248, 251 586–589
– bei Erbrechen 190 Minipille 268 – Nomenklatur 586
– bei Multipler Sklerose 590 Minirin® 214, 400–401 – Übersicht 588–589
Methylprednisolonaceponat 427 Minocyclin 449, 463–464 Monomethyl-Auristatin E 548
Methylprednisolon-21-hydrogen- Minoxidil 314–315, 435 Monooxygenasen 12
succinat 249 Minprog® 280 Monorapid® Synergy 528
Metildigoxin 337, 339 MINPROSTIN® E2 273 Montelukast 355, 429
Metipranolol 199, 412 Minulet® 264, 267 Monuril® 460
Metoclopramid 189, 279, 384 Miotika 412–413 Morbus
– bei Migräne 130 Mipomersen 61 – Addison 251–252
– Interaktionen 52–53 Mirabegron 196, 409 – Alzheimer s. Alzheimer-Krank-
Metoprolol 200 MIRCERA® 284 heit
– bei Herzinsuffizienz 336 Mirena® 268 – Basedow 29, 217, 219–220
– zur Migräneprophylaxe 131–132 Mirtazapin 90, 107 – Bechterew 144
Metrelef® 255 MISODEL 280 – Biermer 284–285
Metronidazol 472–473 Misoprostol 280, 370 – Castleman 549–550
– bei Amöbiasis 523 Missbildungen, Schwanger- – Crohn 373, 375–376
– bei Trichomoniasis 524 schaft 47–48 – Menière 188–189
– zur HP-Eradikation 371–372 Mitesser 425 – Paget 224
Metvix® 434, 563–564 Mitomycin 536, 538 – Parkinson s. Parkinson-Syndrom
MHC 44, 572 Mitosehemmstoffe 541–543 – Waldenström 552
Mianserin 90 Mitoxantron 543, 545, 593 Moroctocog alfa 288
– neuraxpharm® 90 Mivacron® 163–164 Morphin 121–125, 128–129
Micafungin 491–492 Mivacuriumchlorid 163–164 – akute Vergiftung 122
MICANOL® 420 Mizolastin 277 – Wirkungsmechanismus 120
650 Sachregister

Motilin-Agonisten 385 Mydriatika 416 Nandrolon 257–258


Motilium® 189, 384 Mydrum® 416 Naphazolin 195, 417
motorische Endplatte 162 Myelose, funikuläre 285 Naproxen 113, 115, 130
Moventig® 383 Myfortic® 586 Naramig® 130
Movicol® 381 Mykobakterien 480 Naratriptan 130
Moxifloxacin 417, 449, 468–471, – atypische 485 Narkolepsie 86–87, 95–96, 101
485 Mykontral® 488 Narkose 154–155
Moxonidin 201 Mykosen 486–487, 493–494 – Inhalationsanästhetika 159–161
MRE 476–479 Mykosert® 488 – Injektionsanästhetika 155–159
MRGN 478–479 Mylepsinum® 169, 173 – maligne Hyperthermie 58–59,
MRSA 452, 477, 479 Myleran® 539 155
– -Cephalosporine 456 Myocholine-Glenwood® 204 – Prämedikation 103, 155
MRT, Kontrastmittel 597–598 Myokardinfarkt s. Herzinfarkt Naropin® 153
MST® 123, 128 Myokardischämie 325 Nasenspray, Abhängigkeit 195
mTOR-Serin/Threonin-Kinase- Myoson® direct 165 Nasivin® 195
hemmer 553 Myxödem 216 Nasocort® 361
MTX s. Methotrexat Nasonex® 361
Mupirocin 449–450 N Natalizumab 591, 589
Mucopolysaccharidschwefelsäure- Nabumeton 113, 116 Natamycin 417, 491, 524
ester 143 N-Acetylhydroxyprolin 116 Nateglinid 241
Mucosolvan® 361 N-Acetyltransferasen 14–15, 57– Natil® N 132, 188–189
Mukoviszidose 363–364 58 Natrilix® 394
MULTAQ® 348 Nachlastsenkung 327 Natrium-abhängiger Glucose-
MultiHance® 597 Nachtblindheit 438 Transporter Isotyp 2 243
Multikinasehemmer 554–555 Na+/Cl–-Transporter 390 Natriumaurothiomalat 138
Multiple Sklerose 590–594 Nacom® 178, 180 Natriumdioctylsulfosuccinat 383
multiresistente Bakterien 476–479 NAD+ 444 Natriumfluorid 229, 447
– gramnegative s. MRGN Nadifloxacin 425, 449, 468–469 Natriumhydrogencarbonat
Mumps-Impfung 576 Nadixa® 425, 468 – als Antazidum 370
Mundsoor 490, 494 NADP+ 444 – bei Vergiftungen 605
Mupirocin 468 Nadroparin 295 – in rektalen Entleerungs-
Murein 451–452 Nafarelin 255 hilfen 383
Muscarinrezeptoren 203 Naftidrofuryl 322 Natriumkanal 34–35
– Agonisten 204 Naftifin 490 – Blockade 167
– Antagonisten s. Parasympatholy- Nagelpilz s. Onychomykose Natriumkanalblocker 345–346
tika Nahrung, Interaktionen 54–55 Natrium-2-mercaptoethan-
Muscarin, Vergiftung 618 Na+/K+/2Cl–-Symporter 389–390 sulfonat 536
Muscimol, Vergiftung 618 Na+-Kanal 34–35 Natriumoxybat 96
Muskelrelaxanzien 162–165 Nalador® 273, 280 Natriumpicosulfat 380–382
MUTAFLOR® 374, 378 Nalbuphin 125 Natriumsulfat, Laxans 380
Mutagenität 48 Naloxegol 380, 383 Natriumthiosulfat 604
Mutterkornalkaloide 198 Naloxon 122 – Köhler 604
Myacyne®-Salbe 460 – bei Opiodvergiftung 122, 604 Natulan® 538
Myasthenia gravis 29 – bei Opioid-bedingter Obsti- Navelbine® 541
Mycamine 491 pation 380, 382–383 Nebennierenrinde 247
Mycobutin® 482 – mit Buprenorphin 126 – Hormone 247–253
Mycophenolatmofetil 582, 586 – mit Oxycodon 124 – Insuffizienz 250–252
Mycophenolsäure 586 – mit Tilidin 123 Nebenschilddrüse 221
Mycospor® 488 Naloxon-ratiopharm® 122, 159 Nebenwirkungen 47–50
Mydocalm® 165 Nalpain® 125 Nebido® 257
Mydriaticum Stulln® 206 Naltrexon 122 Nebilet® 200
Sachregister 651

Nebivolol 199–200, 336 Nexavar® 554 NMDA-Antagonisten,


Nedocromil 360–361 Nexium® mups 366 bei Demenz 98
Nekrolyse, toxisch epidermale 45 NFE-2 15 N-Nitrosoharnstoff-Derivate,
Nelarabin 532, 535 Niacin s. Nicotinamid Zytostatika 536–537
Nelfinavir 510–511 Nicergolin 98 N-Nitroso-Verbindungen 625
Nemexin® 122 Nickel, Vergiftung 614 NOAK 300–301
Neo-Chinosol® 528 Niclosamid 525–526 Nobori®-Stent 331
Neo-Eunomin® 267 Nicobion® 444 Nocebo-Wirkung 71
Neo-Gilurytmal® 346 Nicorette® 616 Noctamid® 103
Neomycin 449, 460 Nicotin 13, 615–616 NOD2-Rezeptor 556–557
NeoRecormon® 284 Nicotinamid 444 No-effect level 68, 600
Neostig Carino® 204–205, 604 Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid Nolvadex® 560
Neostigmin 204–205, 604 s. NAD+ Nomegestrolacetat 264–265, 267
Neosynephrin-POS® 416 Nicotinrezeptoren 203 Non-Ergot-Derivate 180, 183–184
Nepafenac 116 Nicotinsäure 444 Non-REM-Schlaf 100–101
Nephrokalzinose 370 Niere, Parathyrin 221 Nootrop® 98
Nephron, Aufbau 388 Nierenfunktion 26 Nootropika 98
Nephronblockade, sequenziel- Nierenkörperchen, Aufbau 388 Noradrenalin 194–195
le 391–392 Nifedipin 311 – bei Schock 320
Nephropathie, diabetische 235 Nifurantin® 473 – Überdosierung 152
Nephrotoxizität, Interaktionen 52 Nifurtimox 522 – Wiederaufnahme 84–85
Nepresol® 314–315 Nilotinib 550 Noradrenalin-Reuptake-Inhibito-
Neprilysin 334–335 Nilox® 473 ren s. Noradrenalin-Wiederauf-
Nerisona® 427 Nilvadipin 311 nahmehemmer
Nervengase 621 Nimbex® 163 Noradrenalin-Wiederaufnahme-
Nesselsucht s. Urtikaria Nimodipin 311 hemmer, selektive 85–86, 88
Netupitant 189–190 Nimotop® 311 Norelgestromin 264, 267–268
Neulasta® 580 Nintedanib 554 Norcuron® 163
Neupogen® 580 NIPENT® 535 Norepinephrin s. Noradrenalin
Neupro® 180–183 Nisoldipin 311 Norethisteron 267, 271
Neuralgie, postherpetische 500 Nitrate 327–329, 341 – -acetat 264–265, 271
Neuraminidase 496 Nitratkopfschmerz 328 – -enantat 267–268
-Hemmer 496–497 Nitrattoleranz 327–328 Norflex® 165
Neurocil® 81 Nitrazepam 103 Norflosal® 468
Neuroderm® Akut 427 Nitrendipin 311 Norfloxacin 449, 468–471
Neurodermitis 426–427 Nitrit 625 Norgalax® Rektalgel 383
Neurokinin-1-Rezeptorantagonis- Nitrofural 473 Norgestimat 264, 267
ten 189 Nitrofurane 473 Noristerat® 267–268
Neuroleptika 76–84 Nitrofurantoin 473 Normalinsulin 236
– s. a. Antipsychotika Nitrofurazon 473 Norprolac® 211
neuroleptisches Syndrom, malig- Nitrolingual® 328 Nortestosteron-Derivate 264
nes 79 Nitrosamine 625 Nortrilen® 85, 87, 128
Neurontin® 128, 169, 172, 594 Nitrostigmin 621–622 Nortriptylin 13, 85–87, 128
Neuropathien, diabetische 235 Nitroxolin 473–474 Norvasc® 311
Neurotoxine 623 Nivolumab 549, 568, 588 Norvir 510
Neurotransmitter – BMS® 588 Noscapin 127
– Rezeptoren 33 NK1-Rezeptorantagonisten 190 Notfallkontrazeption 265, 268–
– Transporter 36–37 NK-Zellen 571 269
Neurotropika s. Nootropika N-Lost-Derivate s. Stickstofflost- Novalgin® 113, 117–118
NEVANAC® 116 Derivate Novantron® 545
Nevirapin 509–510, 515 Nova T® 268
652 Sachregister

Novesine® 416 Ocuflur® 417 Opsumit® 318


Novial® 267 Oculotect® Fluid 418 OPTISON™ 598–599
Novodigal® 337 Octreotid 209, 213 Optovit® 441
NovoEight® 289 Ödemprotektiva 324 Oralcephalosporine 457
NovoMix® 236 ODF 8 orale Applikation 7–8
NovoNorm® 241 Ofatumumab 547–548, 588 Oralpenicilline 453–454
NovoRapid® 236 Offenwinkelglaukom 411–414 Orap® D 81
NovoSeven® 289 Ofloxacin 449, 468–471 Orbitopathie, endokrine 218, 220
Novothyral® 216 – in Ophthalmika 417 Orciprenalin 196
Noxafil® 488 Oftaquix® 417 Orellanin, Vergiftung 618
Nozizeption, Definition 109 Olanzapin 13, 81–82 Orelox® 457
Nozizeptoren 109–110 Olaparib 557–558 Orencia® 142–143
NPH-Insulin 236 Olmesartan 314, 336 Orexin 100
Nplate® 290 Olmetec® 314 Orgalutran® 254–255
NS5A-Inhibitoren 503–505 Olodaterol 196, 352, 359 Organotropie 624–625
NSAIDs 111–117 Olsalazin 281, 373, 375 Orgaran® 297
– als Ophthalmika 417 OLYSIO® 503 Oritavancin 449, 459
– COX-2-selektive 116–117 Omacor® 306 Orkambi® 364
– beim Gichtanfall 147 Omalizumab 351, 429, 589 Orlistat 385–386
– bei rheumatoider Arthritis 133 Ombitasvir 496, 503–505 Ornidyl® 522
– Dosierungen 113 Omega-3-Säurenethylester 306 orodispersible Filme 8
– Halbwertszeiten 113 Omeprazol 13, 366–367 Orphenadrincitrat 165
– nichtselektive 114–116 Omniflora® N 377–378 Ortoton® 165
– Präparate 113, 143–144 Onbrez® Breezhaler® 196, 352, Oseltamivir 496–497
Nuclear Factor E2 15 359 Osmodiuretika 398–399
Nucleinsäuresynthese 618–619 Oncaspar® 558 – bei Glaukom 414
Nucleosid-Analoga Ondansetron 13, 189–190, 279 Osmofundin® 398
– bei Herpes-Infektionen 498–499 Onglyza® 242 Osmolaxanzien 380–381
– bei Hepatitis B 501502 Onkologika 530–569 Osnervan® 180, 184, 206
– bei HIV-Infektion 507–509 Onychomykose 486, 489, 493–494 Ospolot® 169, 175
Nucleotid-Analoga 501–502, 505 OPDIVO® 549, 588 Ospur® Ca 500 403
Nulojix™ 585 Ophthalmika 410–418 Ossofortin® plus 229
NuvaRing® 267–268 Ophtocain® N Augentropfen 153, Osteoanabolika 229
Nuwiq 289 416 Osteomalazie 369
NYHA-Stadien 332–333 Opioide 110, 119–126 Osteopathie 224
Nystatin 491 – Abhängigkeit 121–122 Osteoporose 224–230
– bei Narkosen 158–159 – Glucocorticoide 134
O – bei neuropathischen Schmer- – Prophylaxe 229
OATP 17 zen 128–129 – – Vitamin D3 439
Obidoxim 604, 621 – Kombinationspräparate 65 – Therapie 229–230
Obinutuzumab 548, 588 – schwach wirksame 123 Osteoprotegerin 227
Obstipation 379 – stark wirksame 123 –126 Oteracil 533
– chronische 384 – Substitutionstherapie 126 Otezla® 144–145
– Opioid-induzierte 121–122, – transdermale therapeutische Ototoxizität 52, 459, 462, 538
382–383 Systeme 126 Otriven® 195
Ochratoxin A 625–626 – Wirkungen 119–120 Ovastat® 539
OCT 17 Opioidrezeptoren 119–120 Ovestin® 260
Octaplex® 500 289 – Antagonisten 122 Ovitrelle® 256
Octenidin 529 – – periphere 382–383 Ovulation 266
Octenisept® 529 Opipramol 84, 94 Oxaceprol 113, 116
Octocog alfa 288 – -ratiopharm® 94 Oxaliplatin 536–538, 566–567
Sachregister 653

Oxamniquin 526 Paraoxon 621–622 – bei Hepatitis B 501


Oxazepam 103 Parasitosen, Haut 432–433 – bei Hepatitis C 503–504
Oxazolidinone 466–467 Parasomnie, Definition 101 PegIntron® 579
Oxcarbazepin 169–170 Parasympathikus 202–204 Pegvisomant 212–213
Oxicame 113 Parasympatholytika 205–207 Peitschenwurmbefall 524–525
Oxidasen 12 – als Mydriatika 416 Pellagra 444
Oxipurinol 148 – bei Asthma bronchiale 64–65, Pembrolizumab 568, 588
Oxis® Turbohaler® 196, 352 353–354 Pemetrexed 532–533
Oxybuprocain 416 – bei COPD 358–359 Penbutolol 200
Oxybutinin 206, 408–409 – bei Ulkus- und Refluxkrank- Penciclovir 498
Oxycodon 124, 128–129, 383 heit 370–371 Pendysin® 454
Oxygesic® 124, 128 Parasympathomimetika 204–205 d-Penicillamin 137–138, 604
Oxymetazolin 195 – bei Glaukom 412–413 Penicillinase-stabile Penicilli-
Oxytocin 272 Parathion 621–622 ne 453–454
– Rezeptor 29 Parathormon s. Parathyrin Penicillin-bindende Proteine 452
Oxytocinase 272 Parathyrin 221–223 Penicilline 449, 453–455
Ozurdex® 417 – Mangel 222 Penicillin V s. Phenoxymethyl-
Parecoxib 113, 116–117 penicillin
P Parese, spastische 103 Pentacarinat® 493, 522–523
PABAL® 272–273 Paricalcitol 223 Pentaerythrityltetranitrat 328–329
Paclitaxel 13, 331, 542 Pariet® 366 Pentalong® 328–329
Palexia® 125 Paritaprevir 496, 503–504 Pentamidin 493, 522–523
Palifermin 563 Parkinsan® 180, 184 Pentavac® 575
Paliperidon 82–83 Parkinsonoid 79 Pentosanpolysulfat 297
Palivizumab 362–363, 589 Parkinson-Syndrom 177–178 Pentostam® 522
Palladon® 124 – Antiparkinsonmittel 178–185 Pentostatin 532, 535
Palonosetron 189–190, 279 – Kombinatiospräparate 65 Pentoxifyllin 322, 522
Paludrine® 519 – Stammzelltherapie 62 Pentoxyverin 127
Pamba 302–303 – Therapiestrategie 185–186 PEPDUL® 368
Pamidronat 226 Parkotil® 180, 184 Peptidomimetikum 314
p-Aminomethylbenzoesäure 303 Paromomycin 449, 460, 522–523 peptische Erkrankungen 365–366
p-Aminosalicylsäure 484–485 Paroxetin 13, 86–88 Peramivir 497
Panarteriitis nodosa 146 PARP 557–558 Perampanel 169, 174–175
Pancuroniumbromid 163 Partusisten® 196, 274 Perazin 81
Panikstörung 93 Paspertin® 189, 384 Perchlorat 219
Panitumumab 546, 588 Paternostererbse, Vergiftung 617– Perenterol® 377–378
Pankreasenzyme 385 618 Perfan® 340
Pankreashormone 230–232 Patientencompliance 25 Pergolid 180, 184
Pankreasinsuffizienz 385 Paul-Ehrlich-Institut 70 Perindopril 313, 336
Pankreatin 385 PAVK 321–322 Peritol® 277
Panoral® 457 Pavor nocturnus 86–87 periphere arterielle Verschluss-
Panretin® Gel 555 Pazopanib 554 krankheit s. PAVK
Pantherpilz, Vergiftung 618 PD-1-Rezeptor 549 Perjeta® 547, 588
Pantoprazol 366–367 PDWHF 580 Permethrin 432–433, 620
Pantothensäure 444–445 PecFent® 126 Perniziosa 284–285
PANTOZOL-Control® 366–367 Pedea® 115 Peroxisomen-Proliferator-
Papaverin 207 Pegaptanib 415 aktivierte Rezeptoren 15, 245
Paracalcitol 440 Pegaspargase 558 Perphenazin 77, 81, 188–189
Paracetamol 113, 117 Pegasys® 501, 579 Persäuren, organische 528
– bei Migräne 130 Pegfilgrastim 580 Persistenz 450–451
– Intoxikation 117, 362 Peginterferone 579 pertenso® 315
654 Sachregister

Pertussis-Impfung 575 Phosphene 329 Plant Pin® 622


Pertuzumab 547, 588 Phosphodiesterase-3-Hem- Planum® 103
PET 599 mer 340–341 Plasmaeiweißbindung, Inter-
PETEHA® 483 Phosphodiesterase-4-Hem- aktionen 53
Pethidin 125 mer 359 Plasmaersatzmittel 286–287
Petibelle® 264, 267 Phosphodiesterase-5-Hem- Plasmahalbwertszeit 21–22
Petinutin® 169, 172 mer 324 Plasmakonzentrations-
Petnidan® 169, 172 Phosphor, radioaktiver 564 schwankungen 25
Pfeilgifte 163 Phosphorsäureester, Vergif- Plasmakonzentrations-Zeit-
Pflanzengifte 615–618 tung 621–622 Kurve 22–25
Pflaster, transdermale 9, 126, 268 photodynamische Therapie 563– Plasmaspiegel, Definition 10
P-Glykoprotein (P-gp) 5, 53 564 Plasmaspiegel-Zeit-Kurve 19, 21
Phagozyten 571 Photosensibilisierung 80, 90 Plasmodien 463, 471–472
Phardol Ketoprofen Schmerz- Phototherapie, Psoriasis 423–424 Platin-Komplexe 536–538
gel 143 pH-Wert, Resorption 7 Plättchenaggregation 292
Pharmakodynamik 28–40 p-Hydroxybenzoesäureester 528– Plättchenaktivierung 292
– Definition 1, 3, 28 529 Plattenepithelkarzinom 433
Pharmakogenetik 56–59 Phyllochinone s. Vitamin K Plavix® 291
– Definition 1–2, 56 Physostigmin 204–205 Plazentaschranke 11
Pharmakogenomik 1–2 – bei Vergiftungen 604 pleiotrope Effekte, Statine 304
Pharmakokinetik 3–27 Phytomenadion 288, 604 Plenaxis® 254–255
– im Alter 26–27 Phytopharmaka 74–75 Pletal® 294
– Definition 1, 3 – Registrierung 74 Plutonium 614–615
– Parameter 19–22 Phytotherapie 74 Pneumocystis jiroveci 493
Pharmakologie PiDaNa® 268–269 Pneumokokken-Impfung 576
– Definition 1 PI3K-Lipidkinasehemmer 553– Pneumonie 479
– klinische 2 554 – Pneumocystis- 493
Pharmakon, Definition 1 Pilocarpin 204, 412–413 Podagra 146–147
Pharmakovigilanz 71 Pilomann® 204, 412–413 Podophyllotoxin 432, 541
Phase-I-Reaktionen 12–14 Pilzgifte 618 l-Polamidon® 124
Phase-II-Reaktionen 14–15 Pilzinfektionen s. Mykosen Polidocanol 430
Phasin, Vergiftung 617–618 Pilzvergiftungen, Übersicht 618 Poliomyelitis-Impfung 575–576
PHB-Ester 528–529 Pilzzellwand 486 Poly-ADP-Ribose-Poly-
Phenazon 113, 118 Pimecrolimus 420, 428, 583 merase 557–558
Phenhydan® 169, 171 Pimozid 81 Polydimethylsiloxan 433
Phenobarbital 169, 173 Pioglitazon 245 Polyen-Antimykotika 490–491
Phenole, Desinfektion 528–529 Pipamperon 81 Polyethylenglycol 3350 381
Phenothiazine 80 Piperacillin 449, 454–455, 478 Polyhexanid 529
Phenoxyethanol 528 Piperaquin 517–520 Polymorphismus 57–58
Phenoxymethylpenicillin 449, 454 Piracetam 98 Polymyalgia arteriitica 146
– bei rheumatischem Fieber 144 Pirenzepin 206, 370–371 Polymyxin B 475
Phenprocoumon 26, 298–299 Piretanid 395–396 Polyneuropathie, periphere 235
Phenylbutazon 113, 116 Pirfenidon 360 Polypeptid-Antibiotika 475
Phenylephrin 195–196, 416 Piribedil 180, 183 Polyspectran® 460
o-Phenyl-phenol 529 Piritramid 124 Pomalidomid 555–556
Phenytoin 169, 171, 175, 602 Pirocutan Creme 143 Ponatinib 550
Philadelphia-Chromosom 550 Piroxicam 113, 115, 143 Porine 453
Phlebothrombose 323–324 Pixantron 543–544 Porphyrien 59
Phlegmone 431 Pixuvri® 544 Posaconazol 488–489
Phobien 93 PK-Merz® 180, 184, 497 Posifenicol® C 1 % 417, 467
Phosphalugel® 369 Placebo-Wirkung 71 Posiformin® 417
Sachregister 655

Positronen-Emissions-Tomo- Primaquin 493, 520–521 Prospan® 361


graphie, (PET) 599 Primärharn 388–389 PROSCAR® 257–258, 407
Postmenopause 270 Primidon 169, 173 Prostacyclin 280, 322
posttraumatische Belastungs- Primovist® 597 – Analoga 317
störungen 88–89 Priorix® 575 Prosta Fink® Forte 408
Povidon-Iod 527 Priorix-Tetra® 575 Prostaglandine 280
PPAR 15, 32 Probenecid 148–149 – Derivate
Pradaxa® 300 – Weimer® 148 – – bei Glaukom 413–414
Prädiabetes 233 Probiotika 377–378 – – zur Uteruskontraktion 273
Präeklampsie 403–404 Procain 153 – Entzündung 109
prähepatischer First-Pass-Ef- – JENAPHARM® 153 – Synthesehemmung 111–112
fekt 16 Procarbazin 536, 538 Prostaglandin E 273, 370
Prajmalium 346 Procoralan® 329 Prostaglandin E1 322
Präkanzerogene 624 Procyclidin 180, 184, 206 Prostaglandin E2 273
präklinische Arzneimittelprü- Prodrug Prostaglandin F 413
fung 68–69 – Definition 16 Prostagutt® uno 408
Pralidoxim 621 – Enzyminduktion 54 Prostamid 414
Prämenopause 270 Profact® 559 Prostatahyperplasie-Syn-
Pramino® 267 Progenitor-Zellen 62–63 drom 405–407
Pramipexol 180, 183 Progesteron 263–265 Prostatakarzinom 561–562, 566
Präprohormone 209 PROGLICEM® 232 Prostatamittel 407–408
Präproinsulin 230 Prograf® 375, 583 Prostata-spezifisches Antigen 407
Prasugrel 292–293 Proguanil 519–520 prostavasin® 280, 322
Pravasin® 304 Progynova® 260, 271 Protamin 236, 296
Pravastatin 304 ProHance® 597 Protaphane® 236
Pravidel® 180, 184, 198, 211 Prohapten 42 Proteasehemmer 503
Praxbind® 301 Proinsulin 230 Proteasom, Hemmung 557
Prazepam 103 Prokinetika 384–385 Proteinbindung 10–11
Praziquantel 525–526 – bei Erbrechen 189 – veränderte 26
Predalon® 256 Prolactin 210–211 Protein C 298–299
Prednicarbat 427 – Hemmer 211 Protein-Hapten-Komplex 44
Prednisolon 248–250, 417 – Rezeptor 36 Protelos® 228
– bei Asthma bronchiale 355 Prolactinom 211 Prothipendyl 81
– bei Colitis ulcerosa, Proleukin® S 562, 578 Prothrazin® 277
M. Crohn 375 Prolia® 227 Prothrombin, Präparate 289
– beim Gichtanfall 147 Promethazin 81 Protionamid 483–485
Prednisolut® 249 – bei Erbrechen 188–189, 277 Protirelin 208–209
Prednitop® 427 Promotoren 624 Protonenpumpeninhibitoren 366–
Prednison 248–249, 375 Proopiomelanocortin 210 367
Pregabalin 169, 172 Propafenon 347 – bei NSAIDs-Therapie 133
– bei neuropathischen Schmer- n-Propanol 528 – Interaktionen 52–53
zen 128–129 PROPECIA® 258, 435 Protopic® 420, 428, 583
Pregnan-X-Rezeptor 15 Propionsäure-Derivate 113 Protozoen 516–524
Presinol® 201 Propiverin 206, 409 Provitamine 436
Presomen® 260, 264, 271 Propofol 157, 161 Proxopur 622
– 28 comp. 271 Propranolol 200, 604 Prucaloprid 279, 382
PREZISTA® 510 – zur Migräneprophylaxe 131–132 Prurigoform 426–427
Prialt® 118–119 PROPRESS® 280 Pruritus 430
Pridinolmesilat 165 Propycil® 218 PSA-Wert 566
Priftin® 482 Propylthiouracil 218–219 Pseudoallergie 46, 112
Prilocain 153 Propyphenazon 113, 118 Pseudocholinesterase 202
656 Sachregister

Pseudoephedrin 197 Quetiapin 81–82 Rechtsherzinsuffizienz 335


Pseudomonas aeruginosa 478–479 Quilonum® retard 91–92 5α-Reduktasehemmer 257–258
Psoradexan® 420 Quimbo® 128 – bei Prostatahyperplasie 407–408
Psoralene 423–424 Quinapril 313, 336 ReFacto® AF 288
Psoralon MT 420 Quincke-Ödem 429 Refluxkrankheit 366–371
Psorcutan® 440 Quinagolid 211 Refobacin® 416, 460
Psoriasis 419–424 Quinupristin 449, 466 Regaine® 435
Psoriasis-Arthritis 144–145 Qutenza® Pflaster 128–129 Regorafenib 554
Psychopharmaka 76–99 Reisediarrhö 376–379
Psychostimulanzien 94–96 R Reiseimpfungen 577
PTH s. Parathyrin RAAS s. Renin-Angiotensin- Reisekrankheit 188
Pulmicort® 354 Aldosteron-System Reizdarmsyndrom 376
– Topinasal® 361 RABA 352 Release-Inhibiting-Hormone 208
Pulmozyme® 364 Rabeprazol 13, 366 Releasing-Hormone 208
Pupillenerweiterung, Arznei- Racecadotril 377 Relefact® LH-RH 208
stoffe 206 Racemate 39–40 Relenza® 497
Puregon® 256 Rachitis 222, 439 Reliever, Asthma 356
Purin-Antagonisten 534–535 Radanil® 522 Relifex® 113, 116
Puri-Nethol® 375, 534 Radikalfänger, bei Demenz 98 Relistor® 382
Pustulose 45 radioaktive Isotope 564 Relpax® 131
PUVA-Therapie 423–424 – Vergiftung 614–615 Relvar® Ellipta® 196, 356
PXR 15 Radio-Iod 220 Remergil® 90
Pyelonephritis 479–480 Radiopharmaka, PET 599 REMICADE® 129–140, 375, 422,
Pylera® 371 Radium, radioaktives 564, 614– 589
PYRAFAT® 481 615 Remifentanil 158–159, 161
Pyrantel 525–526 Ralenova® 593 Reminyl® 97
Pyrazinamid 450, 481–482, 485 Raloxifen 229–230, 260–262 REMODULIN® 317
Pyrcon® 526 Raltegravir 496, 513–515 Removab® 548–549, 588
Pyrethrine, Vergiftung 620–621 Ramipril 313, 336 REM-Schlaf 100–101
Pyrethroide, Vergiftung 620–621 Ramucirumab 588 Remsima® 140, 589
Pyrethrumextrakt 432–433 Randomisierung, Arzneimittel- Renagel® 223
Pyridostigminbromid 204–205 prüfung 72 Renin-Angiotensin-Aldosteron-
Pyridoxal 443 Ranexa® 329–330 System
Pyridoxamin 443 Ranibizumab 415, 589 – ACE-Hemmer 312
Pyridoxin s. Vitamin B6 Ranitidin 368 – Aliskiren 314–315
Pyridoxol 443 Ranolazin 329–330 – AT1-Blocker 313
Pyrimethamin 471–472, 523 Rantudil® 113, 115–116 – Diuretika 391–392
Pyrimidin-Antagonisten 532–534 Rapamune® 583–584 – Herzinsuffizienz 333–334
Pyritinol 98 Rapamycin 583–584 Rennie® 369
Pyrrolizidin-Alkaloide, Vergif- Rapifen® 159 ReoPro® 293, 589
tung 617 Rapilysin® 302 Repaglinid 13, 241
Pyrvinium 525–526 Rasagilin 180, 182 Repatha® 306–307
Rasilez® 314 Repevax® 575
Q Rattengift 622 REQUIP® 180, 183
Qlaira® 267 Rauchen, Schäden 615–616 Reserpin 201
QT-Zeit-Verlängerung 51 Raucherentwöhnung 616 Reserveantibiotika 466, 475
Quaddelbildung 429 Raynaud-Krankheit 321 Resistenz
Quantalan® 305–306 Reaktionsvermögen, verminder- – Antibiotika 450
Quecksilber, Vergiftung 613 tes 47 – Antimykotika 488, 491
Quellstoffe 380 Rebif® 579 – Antituberkulotika 481, 484–485
Quensyl® 137 Reboxetin 86, 88 – Diuretika- 391–392
Sachregister 657

– Insulin- 233 Rhesusunverträglichkeit 44 RoActemra® 141, 589


– Malariamittel 517 rheumatische Erkrankungen 132– Robinul® 206–207
– Tumorzellen 530–531 146 Rocaltrol® 440
– Virustatika, HIV 507 – rheumatisches Fieber 144 Rocephin® 457
Resochin® 137, 517–518 – rheumatoide Arthritis 132 Rocornal® 330
Resonium® A 406 – Pathogenese 132 Rocuroniumbromid 163
Resolor 382 – Therapie 133–146 Rodentizide 622
Resorption 7–9 – s. a. Arthritis Rofecoxib 116–117
– im Alter 26–27 Rhinitis Roferon®-A 562, 579
– Definition 3, 7 – allergische 278, 360–361 Roflumilast 359
– Interaktionen 52–55 – medikamentös-induzierte 195 Roggenpollen 408
Respiratorische-Synzytial-Vi- Rhinospray® 195 Rohypnol® 103
ren 362–363, 503 Rhodopsin 438 Romiplostim 290
Restless-Legs-Syndrom 101 Rhythmus, zirkadianer 90 Romyk® 464
Retacrit® 284 Riamet® 518–519 Röntgenkontrastmittel 595–596
Retapamulin 430–431, 468 Ribavirin 363, 502–503 Ropinirol 180, 183
Retardtabletten 8 Riboflavin s. Vitamin B2 Ropivacain 153
Reteplase 302 Riboxatin® 537 Rosskastaninenextrakt 324
Retigabin 169, 175 Ricin, Vergiftung 617–618 Rosuvastatin 304
Retinal 438 Riesenwuchs, hypophysärer 213 Rotavirus-Impfung 576
Retinitis pigmentosa 60–61 Rifabutin 482–483 Röteln-Impfung 576
Retinoide 420–421, 426 Rifalazil 482 Rotigotin 180, 183
Retinoid-Rezeptor 245 Rifamentan 482 Roxithromycin 464–465
Retinol s. Vitamin A Rifampicin 17, 449, 482–483, 485 Rovamycine® 464
9-cis-Retinolsäurerezeptor 15 Rifamycine 482–483 Roxithromycin 464
Retinopathie, diabetische 235 Rifapentin 482–483 RSV s. Respiratorische-Synzytial-
Retrovir® 507 Rifaximin 376, 378–379 Viren
Retroviren, HIV 495, 506 Rilpivirin 496, 509–510, 515 RU-486 264–265
Retinsäure 555 Riociguat 318 Rückresorption, tubuläre 18
Revatio® 318 Riopan® 369 Ruconest® 430
Revaxis® 575 Risedronat 226 Rufinamid 169, 171–172
Reverse Transkriptase 507–508 Risikobewertung, Arznei- Rupatadin 277
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren stoffe 48–49 Rutin 324
– nicht-nucleosidische 509–510 Risperdal® 82–83 Ruxolitinib 551–552
– nucleosidische 507–509 – CONSTA® 83 RXR 15
– Nucleotid-analoge 509 Risperidon 20, 82–83 Ryanodinrezeptor 164
Reviparin 295 Risspilze, Vergiftung 618
REVLIMID® 556 Ritalin® 94–95 S
Revolade® 289–290 Ritonavir 504, 510–512, 515 SABA 352
REYATAZ® 510 Rituximab 547, 588 Sabril® 169, 173
Reye-Syndrom 114 – bei rheumatoider Arthritis 142 Sacubitril 334–335
Rezeptoren Rivanol® 528 Safinamid 180, 182
– Desensibilisierung 29 Rivaroxaban 300–301 Safrol 625–626
– Down-Regulation 29, 84–85 Rivastigmin 97 Sägepalmenfrüchte 408
– Empfindlichkeit 38–39 Rivotril® 103, 169, 173 Saizen® 212
– Up-Regulation 29 Rizatriptan 130 Salagen® 204
– Wirkungsmechanismen 28–36 Rizinus, Vergiftung 617–618 Salazosulfapyridin 137
β-Rezeptorenblocker s. Betablocker Rizinusöl 381 Salbutamol 196, 352
Rezeptorreserve 28–29 RNA Salhumin® Gel 143
Rhabarber 381 – micro 62 Salicylsäure 114
Rhabdomyolyse, Statine 304–305 – small interfering 62 Salicylursäure 14
658 Sachregister

Sali-Prent® 200 – bei Herzinsuffizienz 335–336 Seifenfehler, anionenaktive


Salmeterol 64, 352, 356 Schluckimpfung 575 Tenside 529
Saluretika 388, 390, 392–393 Schmelztabletten 8 Sekretion, tubuläre 18
Samsca® 399 Schmerz Selectol® 200
Sandimmun® 136, 375, 422 – Arten 109 Selegilin 180, 182
– Optoral 428, 581 – Entstehung 109 Selen, Vergiftung 613
Sandostatin® 209 – Mediatoren 109–110 Selenmangel 447
– LAR®-Monatsdepot 209 – neuropathischer 109, 128 Sempera® 488
Saquinavir 510–511, 515 – – Therapie 128–129 Senecionin, Vergiftung 617
Sarkome 530 – Rezeptoren 109–110 Senkirkin, Vergiftung 617
Saroten® 85, 87, 128, 132 – Stufenschema WHO 110–111 Sennesblätter 381
Sartane 313–314 – Therapie 110–127 Sensibilisierung, Allergie 42, 44
– bei Herzinsuffizienz 336 Schock 319–320 – Asthma bronchiale 350–351
Satanspilz, Vergiftung 618 – anaphylaktischer 43–44, 152 Septopal® 461
Sativex® 127, 594 – hypoglykämischer 232 Sequidot® 271
Sauerstoffmangel 611 – kardiogener 320–321 Serdolect® 82–83
Säure-Basen-Haushalt 404 – septischer 195 Serevent® 352
Säuren, Vergiftung 610–611 – Therapie 320–321, 602 Serin/Threonin-Kinasehem-
Saxagliptin 242 Schrittmacher-Kanal s. If-Kanal mer 552–553
Scandicain® 153 Schuppenflechte s. Psoriasis SERM 261–262, 560
Schaufensterkrankheit 321 Schwangerschaft Seroquel® 81–82
Schierling, Vergiftung 617 – Missbildungen 47–48 Serotonin 278–279
Schilddrüsenhormone 214–221 – Nebenwirkungen 47–49 – Wiederaufnahme 84–85
– Metabolisierung 216–217 – Oxytocin 272 Serotonin-/Noradrenalin-Wieder-
– physiologische Wirkungen 214– – Toxoplasmose 523–524 aufnahmehemmer, selektive 85–
215 Schwangerschaftstest 253 86, 88, 129
– Rezeptor 32 Schwartz-Bartter-Syndrom 399 Serotoninsyndrom
Schilddrüsenhyperplasie 215 Schwefelsäure, Konjugation 14 – MAO-Hemmer 89, 182
Schilddrüsentumor 220 Schwefelwasserstoff, Vergif- – Oxazolidinone 467
Schilddrüsenüberfunktion s. tung 607–608 – Setrone 190
Hyperthyreose Schweinegrippe 497 – Tramadol 123
Schilddrüsenunterfunktion s. Schwellendosis, Definition 37–38 – Triptane 131
Hypothyreose Schwermetalle Serotonin-Wiederaufnahme-
Schimmelpilze 486–487 – kanzerogene 626 hemmer, selektive 87–88
Schizogonie 516 – Vergiftungen 611–614 – Interaktion mit NSAIDs 114
Schizophrenie 76 Schwindel 188 Seroxat® 87–88
– Antipsychotika 76–83 SCID1 60 Sertaconazol 488
– Therapiestrategie 83–84 Scintimun® 589 Sertindol 78, 82–83
Schlafkrankheit 522 Scopolamin 206, 416 Sertralin 86–88
Schlaflähmung 95 Sebivo® 501 Serumprophylaxe 577–578
Schlafphasen 100–101 Seborrhö, Akne 425 Setrone 189–190, 279
Schlafstörungen 101 seborrhoisches Ekzem 427 Sevelamer 223
– Hypnotika 101–108 Secale-Alkaloide s. Mutterkornal- Sevofluran 13, 160–161
Schlaf-Wach-Rhythmus 100–101 kaloide Sevorane® 161
Schlaganfall, ischämischer 323 Secukinumab 422–423, 589 Sexualhormone 253–265
– Risiko, Vorhofflimmern 343–344 Sedierung, intensivmedizini- – männliche 256–259
Schlangengifte 619–620 sche 107 – weibliche 259–265
Schlangengiftserum, 604 Sedotussin® 127 SGLT2 s. Natrium-abhängiger
Schleierlinge, Vergiftung 618 Seebri® Breezhaler® 207, 358–359 Glucose-Transporter Isotyp 2
Schleifendiuretika 390–391, 395– Sehpurpur 438 SGLT2-Inhibitoren s. Gliflozine
396 Sehvorgang 438 Sialinsäure 496–497
Sachregister 659

Sicca-Syndrom 418 Sonata® 105 STAT-Proteine 36


Sick-Sinus-Syndrom 342 Somsanit® 158 Status
Sifrol® 180, 183 Sonographie, Kontrastmittel 598 – asthmaticus 356–357
Silber, Desinfektion 527 SonoVue® 598 – epilepticus 176
Sildenafil 318, 324–325 Sorafenib 13, 554–555 Stavudin 507–509
Silibinin, bei Vergiftungen 619 Sorbit 381, 398–399 Steady-state 21–22, 24
Silkis® 421 – als Cholekinetikum 386 STELARA® 422, 589
Silodosin 198 Sorbitol s. Sorbit Stents, Medikamenten-beschich-
Silomat® DMP 127 Sormodren® 180, 184, 206 tete 331
Siltuximab 549–550, 588 Sortis® 304 Sterillium® 528–529
Simdax® 341 Sotalex® 199, 347 Steroidhormone
Simeprevir 496, 503–504 Sotalol 27, 199, 347 – Glucocorticoide 248–251
Simeticon 376 Sovaldi® 505 – Mineralocorticoide 251–253
Simoctocog alfa 289 Soventol® 277 – Rezeptoren 15, 32
Simponi® 139–140, 375, 589 Spannungskopfschmerz 130 – Sexualhormone 253, 256–271
Simulect® 586–587, 589 Spartein, Vergiftung 616–617 Stevens-Johnson-Syndrom 45
Simultanimpfung 577 Spasmex® 206–207, 408–409, 594 – Allopurinol 148
Simvastatin 304–305 Spasmolytika – Carbamazepin 173
– Interaktionen 54 – muskulotrope 207 STH s. Somatropin
SINGULAIR® 355 – neurotrop-muskulotrope 408– Stibogluconat-Natrium 522
Sinusarrhythmien 342 409 Stickstofflost-Derivate 535–537
Sirdalud® 165 Spätdyskinesie 79 Stickstoffmonoxid 327
Sirolimus 331, 553, 582–584 Spätreaktion, Allergie 43–46 Stillzeit, Nebenwirkungen 49
Sitagliptin 242 Spedra® 324 Stimmungsstabilisierer 91–93
SIRTURO® 484 Speiteufel, Vergiftung 618 Stivarga® 554
β-Sitosterol 408 Spiolto® Respimat® 359 Stofftransport, biologische Memb-
Sivextro® 466 Spiramycin 449, 464–466, 523 ranen 3–5
Sjögren-Syndrom 146, 204 Spiriva® 207, 358–359 Strahlenschädigung 614–615
Skabies 432 – Respimat® 354 STRATTERA® 95
Skid® 463 Spironolacton 336–337, 396–397 Streptase® 302
Skinman® clear 528 Spiropent® 196, 353 Streptococcus pneumoniae 479
Sklerose, progressive systemi- Spondylarthritis, Therapie 144 STREPTO-Fatol 460
sche 146 Spondylitis 144 Streptogramine 464, 466
Skorbut 445–446 Sporogonie 516 Streptokinase 302
Small interfering RNAs 62 Sprays 8, 432–433 Streptomycin 460–463, 485
Sobelin® 431, 466 Spregal® 432 Stressinkontinenz 408
Sodbrennen 367 SPRYCEL® 550 Stribild® 509, 513, 515
Sofortreaktion, Allergie 42–44 Spurenelemente 446–447 Striverdi® 196, 352, 359
Sofosbuvir 496, 503, 505, 507 Squalenepoxidasehemmer s. Strontium 614–615
Solaraze® 434 Allylamine Strontiumranelat 228–230
Solian® 82–83 Stachelzellkarzinom 433 Struktur-Wirkungs-Beziehun-
Solifenacin 206, 408–409 STAMARIL® 577 gen 39–40
Soliris 588 Stammzelltherapie 62–63 Struma 215–216
Somatoliberin 208 Standardimpfungen 575–576 Strychnin, Vergiftung 617
Somatorelin 208–209 Stangyl® 85, 87 Stufenplanverfahren 70
Somatostatin 209, 230 Stanozol 257–258 Sublingualtabletten 8
– Analoga 209, 213 Staphylex® 431, 454 SUBOXONE® 126
Somatropin 211–213 Staphylococcus aureus, Haut- Substitutionstherapie, Opioidab-
– Antagonisten 212 infektionen 430–431 hängigkeit 121, 124, 126
Somatuline Autogel 209 STARLIX® 241 Subutex® 126
SOMAVERT® 212 Statine 304–305 Succinimide 172
660 Sachregister

Sucralfat 370 – – bei Asthma bronchiale 352– Tasigna® 550


Sufenta® 159 354 Tasmar® 180
Sufentanil 158–159 – – bei COPD 358–359 Tasonermin 562
Sugammadex 163 – indirekte 196–197 Tau-Proteine 97
Sulbactam 455 – s. a. Adrenozeptor-Agonisten Tauredon® 138
Sulesomab 589 Synacthen® 210 Tavanic® 468
Sulfadiazin 471, 523 Synagis® 362–363, 589 Tavor® 103, 169, 173
– Heyl® 471 Synarela® 255 Tavegil® 277
Sulfamethoxazol 471–472 Synercid® 466 Taxane 542–543
Sulfasalazin 373–375 Synergismus 38 Taxilan® 81
– bei rheumatischen Erkrankun- Syntaris® 361 TAXOL® 542
gen 137, 144 Syntestan® 249 TAXOTERE® 542–543
– Lipoxygenasehemmung 281 Synzytiotrophoblasten 11 TAXUS®-Stent 331
Sulfonamide 471 Tazaroten 420–421
– Acetylierung 14–15 T Tazobac® 455
Sulfonylharnstoffe 27, 239–241 Tabak, Vergiftung 615–616 Tazobactam 455
– Interaktionen 53 Tabletten Td-Impfstoff Mérieux® 575
Sulfotransferase 14 – magensaftresistente 8 TDM 25–26
Sulmycin®461 – Matrixtabletten 8 Td-pur® 575
Sulpirid 78, 82–83 – Oros-Systeme 8 Td-RIX® 575
– als Antiemetikum 188–189 – retardierte 8 Tebonin® 98
Sulproston 273, 280 Tacalcitol 421, 440 Tecfidera® 593
Sultamicillin 454–455 Tachykardie 342–344 Tedizolidphosphat 466–467
Sultanol® 196, 352 – paroxysmale 342–343 Tefilin® 463
Sultiam 169, 175 – ventrikuläre 344 Tegafur 532–533
Sumatriptan 130–131 Tachyphylaxie 39 Tegretal® 128, 167, 169
Sunitinib 554–555 Tacrolimus 582–583 Teicoplanin 458–459
Suprane® 161 – bei Colitis ulcerosa 374–375 Telaprevir 496, 503–504
Suprarenin® 194 – topisch Telavancin 458–459
Suramin 522 – – bei atopischer Dermatitis 428 Telbivudin 496, 501–502
Surfactant 362 – – bei Psoriasis 420 Teleangiektasien 433
Surgam® 113 Tadalafil 318, 324–325 Telebrix® 596
Survanta® 362 Tafil® 103 Televis Stulln® 195, 417
SUSTIVA® 509 Tafinlar® 552 Telfast® 277
Sutent® 554 Taflotan® 413 Telithromycin 464–466
Suxamethoniumchlorid 164 Tafluprost 280, 413–414 Telmisartan 314, 336
Sycrest® 82 Talcid® 369 Telzir® 510
SYLVANT® 549–550, 588 Taloxa® 169, 175 Temazepam 103
Symbicort® 64, 356 Tambocor® 347 Temgesic® 125
Symbioflor® 581 Tamiflu® 497 TEMODAL® 538
Sympal® 113, 115 Tamol 429 Temoporfin 563
Sympathikus 191–194 Tamoxifen 560 Temozolomid 536, 538–539
Sympatholytika 197–200 Tamsulosin 198, 407 Temsirolimus 553
– s. a. Adrenozeptor-Antagonisten, Tannolact® 428–429 Tenecteplase 302
Betablocker Tapentadol 125, 129 Tenofovir 496, 515
Sympathomimetika 195–197 Tarceva® 551 – -alafenamid 509
– direkte 195–196 Tardyferon® 283 – - disoproxil 501–502, 509
– α- 195 Targin® 124, 383 Tenormin® 200
– – Zusatz zu Lokalanästheti- Targocid® 458 Tensoflux® 394
ka 150–151 Targretin® 555 Tepadina® 539
– β2- 196 Tarivid® 468 Teratogenität 48
Sachregister 661

Terazosin 197–198 Thiotepa 536, 539 Ticagrelor 293


Terbinafin 489–490 Thiouracil 218–219 Ticlopidin 292–293
Terbutalin 196, 352–353, 357 Thioridazin 81 – neuraxpharm® 292
Terfenadin 13 Thomapyrin® 66, 119 Tierversuche, Arzneimittel-
Teriflunomid 592–593 Thrombangiitis obliterans 322 entwicklung 68–69
Teriparatid 228–230 Thrombasthenie 287 Tigecyclin 463–464
Terizidon 484–485 Thrombinhemmer 300 Tight junctions 11
Terlipressin 214 Thrombocid® 297 Tilidin 123
Terzolin® 488 Thrombolytika 301–302 Timolol 199, 412
Teslascan® 597 Thrombopenie 287 Tinea 486, 493–494
Testosteron 256–257 Thrombophlebitis 323–324 – pedis 494
– -enantat 257 Thrombophob® 297 – unguium 494
– -undecanoat 257 Thrombopoetin 289, 580 Tinzaparin 295
Testoviron-Depot® 257 Thrombose 287–288 Tioconazol 488
TETAGAM® P 577 – arterielle 290–294 Tioguanin 532, 535
Tetanie 402 – hormonelle Kontrazeptiva 269 Tiotropiumbromid 207, 354, 358–
– parathyreoprive 222 Thrombozyten 289 359
Tetanol® pur 577 Thrombozytenaggregations- Tipranavir 510–511
Tetanus-Impfung 575 hemmer 290–294 Tirofiban 293–294
Tetanus uteri 272 – bei akutem Koronarsyn- TISSUCOL® Duo 289
Tetmodis® 186 drom 330–331 Titandioxid 434
Tetrabenazin 186 – bei PAVK 321, 323 Tivicay® 513
Tetracain 153, 416 – Interaktion mit NSAIDs 114 Tizanidin 165
Tetracosactid 210 Thrombozytenzahl 289–290 T-Lymphozyten 572
Tetracycline 463–464 Thrombozytopenie 287 – Allergie 43–46
Tetryzolin 195, 417 – Arzneimittel-induzierte 47 – rheumatoide Arthritis 142–143
Tetrahydrocannabinol 98–99 – Heparin-induzierte 296–297 TNF 579
Tevabone® 440 Thrombus, Definition 287 – Rezeptoren 36, 139
Tevanate® 226 Thybon® 216 TNF-α 138–139, 562, 579
Teysuno® 533 Thymiankrautextrakt 361 – Antagonisten
T-Gedächtniszellen, antigen- Thymidin-Analoga 499 – – bei Colitis ulcerosa,
spezifische 44–45 Thymoglobuline® 587 M. Crohn 374–376
TGF-β-Rezeptor 36 Thymol 528–529 – – in der Rheumatherapie 139–
Thalidomid 48, 555–556 Thyphus-Impfung 577 140, 144
Thalidomide Celgene® 556 Thyreocalcitonin s. Calcitonin TOBI® 364, 462
Thallium, Vergiftung 613 Thyreostatika 218–219 Tobramaxin® 417
T-Helfer-Zellen 572 thyreotoxische Krise 218, 221 Tobramycin 364, 460–463
Theophyllin 353, 359 Thyrogen® 210 – in Ophthalmika 417
Therapeutische Breite, Thyroliberin 208 Tocilizumab 141–142, 489
Definition 38 Thyronajod® 217 Tocopherol s. Vitamin E
Therapeutisches Drugmoni- Thyrotropin 209–210 Tofranil® 85, 87
toring 25–26 – Rezeptor 29 Tokolyse 196
Thiamazol 218–219 Thyroxin s. Levothyroxin Tokolytika 273–274
Thiamin s. Vitamin B1 Tiagabin 169, 173–174 Tolcapon 180–181
Thiamindiphosphat 441 Tiamon® mono 127 Toleranzentwicklung 38–39
Thiazide 390–394 Tianeptin 89–90 Toll-like-Rezeptoren 571
Thioacetazon 485 Tianeurax® 89–90 Tollwut-Impfung 576–577
6-Thioguanin 535 Tiaprid 186 Toloniumchlorid 604, 611
Thioguanin-Aspen® 535 Tiapridex® 186 Tolperisonhydrochlorid 165
Thiopental 155–157 Tiaprofensäure 113 Toluidinblau Köhler 604
Thiopurin-Methyltransferase 58 Tibolon 260, 262 Tolterodin 206, 408–409
662 Sachregister

Tolvaptan 399 Transkriptase, reverse 495, 506 Triquilar® 267


Topamax® 169, 174 Transkriptionsfaktor 32 TRISENOX® 556
Topiramat 169, 174 Transplantatabstoßung 572 Triumeq® 515
– Missbildungen 174 Transplantation, Immunsuppressi- Trizivir® 515
– zur Migräneprophylaxe 132 on 587–590 Trobalt® 169, 175
Topisolon® 427 Transport, durch biologische Trofosfamid 536
Topoisomerase 469, 539–541 Membranen 4–5 Tromantadin 499
Topotecan 540–541 Transportproteine 5, 36–37 Trometamol 405, 417
Topsym® 427 – ABC-Typ 5, 17–18 Tropenkrankheiten, Proto-
Torasemid 395–396 – Induktion 15 zoen 522–523
Toremifen 560 – SLC-Typ 5, 17–18 trophotrope Reaktion 202
TOR-Inhibitoren 583–584 Transtec PRO® 126 Tropicamid 206, 416
Torisel® 553 Tranylcypromin 89 Trospiumchlorid 206–207, 408–
TOR-Proteine 583–584 Trapanal® 155–156 409, 594
Torsades de pointes 51 Trapidil 330 Troxerutin 324
Tosylchloramid 527 Trastuzumab 56, 546, 588 Troxeven® 324
Tot-Impfstoffe 573 Trastuzumab Emtansin 546–547 TRPV1-Kanäle 109
TOVIAZ® 206, 408–409 TRAVATAN® 413 Trulicity® 242
Toxikologie 600–626 Travoprost 280, 413–414 TRUSOPT® 413
Toxizität 68 Trazodon 85–87, 107 Truvada® 509, 515
– Langzeit- 600 – neuraxpharm® 85, 87 Truxal® 81
– s. a. Gift, Vergiftung Tremor 184, 186 Trypanosomeninfektionen 522
Toxogonin® 604, 621 Trental® 322 Tryptophan 278
Toxoid-Impfstoffe 573 Treosulfan 536, 539 TSH s. Thyrotropin
Toxoplasma gondii 464, 523 Treprostinil 317 T-Syndrom 620
Toxoplasmose 523–524 Tresiba® 236 TTS 9, 126
t-PA 302 Tretinoin 426, 555 Tuberkulose 480–481
Trabectedin 536, 539 Trevilor® 88, 128 – Antituberkulotika 481–484
Tracleer® 317 Triamcinolon – multiresistente 484–485
Tractocile® 274 – -acetonid 249, 361, 427 – Schwangerschaft 485
Tracutil® 283 – -hexacetonid 249 – Therapie 484–485
Trajenta® 242 Triamteren 391, 397–398 Tubocurarinchlorid 163
Tramadol 123, 125, 128 Triapten® 499 tubuloglomeruläre Rückkopp-
Tramal® 123, 128 Triarylmethane 381–382 lung 389
Tramazolin 195, 417 Triazolam 103 Tubulusapparat 389–390
Trametinib 552–553 Trichinose 525 Tumoren
Tränen, künstliche 418 Trichomoniasis 524 – Arten 530
Tranexamsäure 302–303 Triclosan 529 – Haut 433
Tranquilizer s. Anxiolytika, Benzo- Triflumann® 417, 499 – Therapie 530–569
diazepine Trifluridin 417, 499 – Wachstumsfaktoren 580
Transbronchin® 362 Trigeminusneuralgie 129 Tumorgewebe, Aufbau 63
transdermale therapeutische Trihexyphenidyl 180, 184, 206 Tumornekrosefaktoren s. TNF
Systeme 9 Triiodthyronin 214–217 Tumornekrosefaktor-Rezeptor s.
– Analgetika 126 Trileptal® 169–170 TNF-Rezeptor
– Kontrazeptiva 268 Trimethoprim 471–472, 493 Tumornekrosefaktor-α s. TNF-α
Transduktion, Resistenzgene 450 Trimipramin 85, 87 Tumorschmerzen, Therapie 110–
Transformation, Resistenzge- TriNovum® 267 111
ne 450 Tripletherapie, Helicobacter Tumorstammzellen 63
Transfusionsreaktion 44 pylori 371 Turixin® 468
transitorische ischämische Attacke Triptane 130–131, 279 Turoctocog alfa 289
(TIA) 294, 323 Triptorelin 255, 559 Tussafug® 127
Sachregister 663

Twinrix™ Uridin-5‘-diphosphat-Glucuronyl- Vasodilatatoren 322


– Erwachsene 575 transferasen 14 Vasokonstriktion, Lokalanästhe-
– Kinder 575 – UGT1A1 58 tika 151–152
Tygacil® 463 Urikostatika 147–148 Vasopressin s. Adiuretin
Typherix® 577 Urikosurika 148–149 Vasopressin-Rezeptor-Antago-
Typhoral® L 577 Urinbildung 389 nist 399
Tyramin 467 Urion® 198, 407 Vasovist® 597
– MAO-Hemmer 55, 89 Urokinase 302 VDR 15
Tyrosinkinase 37 Uromitexan® 536 Vectibix® 546, 588
– Hemmer 550–552 Urorec® 198 Vecuroniumbromid 163
– Rezeptor 35–36 Uro-Vaxom® 581 Vedolizumab 374–375, 589
Tyrosur® 430, 475 Ursodesoxycholsäure 386–387 VEGF-Antikörper 545
Tyrothricin 430–431, 475 Ursodiol 386–387 Velbienne® 271
TYSABRI® 589, 591 Ursofalk® 386 VELCADE® 557
Tyverb® 551 Urtikaria 43–44, 277, 429 Vemurafenib 552, 568
T-Zellen, zytotoxische 572 Urtimed® 277 Venenerkrankungen,
T-Zell-Rezeptoren 572 Ustekinumab 422, 589 Therapie 323–324
Uterusatonie 272–273 Venlafaxin 86, 88, 128
U Utrogest® 264 Venofer® 283
Überempfindlichkeitsreak- Venoruton® 324
tionen 42–46 V venöse Insuffizienz 323–324
– Antikörper-vermittelte 42–44 Vagantin® 206–207 Venostasin® 324
– Mediatoren 43–44 Vagi-Hex® 528 Ventavis 317
– Spätreaktion 43–46 Vaginalpilz 494 Ventolair® 354
Ubretid® 204–205 Vaginalring 268 Vepesid® 541
UGT 14 Valaciclovir 498–499 Verapamil 311–312, 348
Ulcogant® 370 VALDOXAN® 90 Verätzungen 610–611
Ulipristalacetat 265, 268–269 Valeriana officinalis 107 Vergentan® 189
Ulkuskrankheit 365–366 Valcyte® 499 Vergiftungen 600–626
– Therapie 366–371 Valdecoxib 113 VERMOX® 524–525
Ultibro® Breezhaler® 359 Valette® 267 Vernakalant 348–349
Ultiva® 159 Valganciclovir 498–499 Verrucae 431
Ultracain® 153 Valoron® N retard 123 Verrucid® 431
Ultracarbon® 602 Valproinsäure 169–171 Verrumal® 431, 434, 533
Ultraschallkontrastmittel 598–599 Valsartan 314, 336 Versatis® 128
Ultravist® 596 Valtrex® 499 Verschlusskrankheit, periphere
Umeclidiniumbromid 207, 358– Vancomycin 458–459, 477 arterielle s. PAVK
359 Vancomycin-resistente Entero- Verschreibungspflicht, automati-
Umirolimus 331 kokken s. VRE sche 70
Unacid® 455 Vandetanib 554 Verteilung 9–11, 20
– PD 454–455 Vaniqa® 435 – Interaktionen 53
Unat® 395 Vaprino® 377 – veränderte 26
unerwünschte Arzneimittelwir- Vaptane 399 Verteilungsgleichgewicht 9–10
kungen, s. Nebenwirkungen VAQTA® 500–501 Verteilungsvolumen 20
Unizink® 447 Vardenafil 324–325 – im Alter 26–27
Uran 614–615 Vareniclin 616 Verteporfin 415–416
Urapidil 197, 279 Vargatef® 554 Vesanoid® 555
Urbason® 190, 249, 375 Varikose 323–324 Vesikur® 206, 408–409
– solubile 249 Varizellen-Impfung 576 VFEND® 488
Urge-Inkontinenz 408 vascal® 311 VIAGRA® 324
Vasodilatation, Betablocker 199 Viani® 64, 356
664 Sachregister

VIBATIV® 458 Vitamin A 30000 IE JENA- Vortioxetin 87–88


Viatim® 575 PHARM® 438 Votrient® 554
Victoza® 242 Vitamin-A-Säure 555 VRE 458–459, 477
Victrelis® 503 Vitamin B1 441–442
Vidaza® 534 Vitamin B2 441–443 W
VIDEX® 507 Vitamin B2 JENAPHARM® 443 Wachstumsfaktoren 35–36
Vidisic® 418 Vitamin B6 443–444, 604 – Epidermal derived growth factor
Viekirax® 503–504 Vitamin B6-Hevert® 443 (EGF) 215
Vigabatrin 169, 173 Vitamin B12 285, 442 – – EGFR 545–547, 588
Vigantoletten® 439 Vitamin-B12-Mangel-Anä- – – EGFR-Tyrosinkinase-
Vigil® 95 mie 284–285 hemmer 551
Vilanterol 196, 356, 359 VITAMIN B12 DEPOT ROTEX – hämatopoetische 578
Vildagliptin 242 MEDICA 285 – – EPO 283–284, 580
Vimovo® 115 Vitamin B-Komplex forte – – G-CSF 580
Vimpat® 169, 171 Hevert® 444 – – GM-CSF 580
Vinblastin 541–542 Vitamin C 442, 445–446 – – Tumortherapie 580
Vinblastinsulfat TEVA® 541 – bei Gicht 149 – Insulin-like growth factor
Vinca-Alkaloide 541–542 – bei Vergiftungen 604–605 (IGF) 211, 221
Vincristin 13, 541–542 – Vitamin C-loges® 604 – Nerve growth factor (NGF) 109
Vincristinsulfat TEVA® 541 Vitamin D3 439–440 – Platelet derived growth factor
Vinflunin 541 – Analoga 421 (PDGF) 580
Vinorelbin 541 – bei Hypoparathyreoidismus 222 – – PDGFR 550, 554
VIRACEPT® 510 – bei Osteoporose 225, 229 – Rezeptoren 35–36
Viramune® 509 – Rezeptor 15 – – Her2/neu- 29–30
Virazole® 363 Vitamin E 437, 440–441 – Transforming growth factor
Viread® 501, 509 Vitamin H s. Biotin (TGF) 360
Viren 495–496 Vitamin K 288, 299, 622 – – thrombozytäre Wachstums-
Virgan® 417 – Antagonisten 298–299 faktoren (PDWHF) 580
Virionen 495 – – Interaktionen 299 – – Raloxifen 261
Viru-Merz® Serol 499 – Mangel 287–288 – Vascular endothelial growth
Virusakanthome 431–432 Vitaminsubstitution, therapeuti- factor (VEGF) 588
Viruslast 507 scher Stellenwert 446 – – Antikörper 415, 545–547
Virusreplikation 495 Vitravene™ 61 Wachstumshormon s. Somatropin
Virustatika 495–516 Vogelgrippe 497 Warfarin 13, 298–299
– Angriffspunkte 496 Volibris® 318 Warzen 431–432
– in Ophthalmika 417 Volon® A 249, 427 Wasserdefizit s. Dehydratation
Visadron® 195 – solubile 249 Wasserhaushalt 399–400
VISIPAQUE® 596 Voltaren® 113, 115, 147 Wasserüberschuss s. Hyper-
Vislube® 418 – ophtha 417 hydratation
Vismodegib 434, 557 – Schmerzgel 143 Wasserstoffperoxid 528
VISTABEL® 165 Volumensubstitution 320 Wechseljahre s. Klimakterium
Vistagan® 199, 412 Vomex A® 188–189, 277 Wechselwirkungen s. Interaktionen
Visudyne® 415–416 von-Willebrand-Erkrankun- Wehenhemmer 273–274
Vitafusal® 286 gen 287 Wehenschwäche 272
Vitamine 436–446 von-Willebrand-Faktor 289 Weitwinkelglaukom 411, 414
– fettlösliche 437–441 Vorhofflattern 343 Weizenkleie 380
– wasserlösliche 441–446 Vorhofflimmern 343, 349 Wellvone® 493
Vitamin A 437–439 Voriconazol 488–489 Wespengift 620
Vorlastsenkung 327 WHO-Lösung 378
Sachregister 665

WILLFACT® 289 Z Zoloft® 87–88


Winkelblockglaukom 411–414 ZacPac® 371 Zolpidem 13, 105
Wirksamkeit, Definition 1 Zaditen® 277 Zonegran® 169, 171
Wirkstärke, Definition 1, 37–38 Zaleplon 105 Zonisamid 169, 171
Wirkstoffe, Definition 1 Zanamivir 496–497 Zopiclon 105
Wundstarrkrampf-Impfung 575 Zantic® 368 Zorac® 420–421
Würmer 524 Zavedos® 544 Zovirax® 417, 499
Wurmmittel s. Anthelminthika Zebinix® 169–170 Z-Substanzen 101–102
Zeckenstich 480 – s. a. Benzodiazepin-Analoga
X Zelboraf® 552 Zuckeralkohole 381
Xadago® 180, 182 Zeldox® 82–83 Zuclopenthixol 77, 81, 83
Xagrid® 290 Zemplar® 223, 440 Zulassung
XALATAN® 413 zentraldämpfende Wirkung 51 – Arzneimittel 70
Xalkori® 551 Zentralisation, Schockthera- – Impfstoffe 70
XANEF® 313 pie 319–320 Zwergwuchs 212–213
Xanthinoxidase, Hemmung 147– Zerbeißkapseln 8 Zwillinge, siamesische 47
148 Zerit® 507 Zyban® 616
Xarelto® 300–301 Zervixkarzinom 431–432 Zydelig® 553–554
Xeloda® 533 Zevalin® 564, 588 Zykadia® 551
Xenbilox® 386 Zevtera® 457 Zyklolat EDO® 416
Xenical® 385 Ziagen® 507 Zykloplegie 416
XGEVA® 588 Ziconotid 118–119 Zyklus, ovarieller 265–266
Xifaxan® 378–379 Zidovudin 507–509, 515 Zyloric® 147–148
Xipamid 394 ZIENAM® 457 Zyprexa® 81–82
Xofigo® 564 Zineryt® 426 Zyrtec® 277
Xolair® 351, 589 Zinforo™ 457 Zystitis s. Harnwegsinfektion
Xomolix® 188–189 Zink 447 Zystizerkose 526
Ximovan® 105 Zinkmangel 447 ZYTIGA® 259
Xolair® 351, 589 Zinkoxid 434 Zytokine 422, 578–580
Xtandi® 561 Ziprasidon 78, 82–83 – Allergie 44
Xylocain® 153, 346–347 zirkadianer Rhythmus 90 – rheumatoide Arthritis 138
Xylometazolin 195 Zithromax® 464 – Tumortherapie 562
Xylonest® 153 ZOCOR® 304 Zytokin-Rezeptoren 36, 578
Xyrem® 96, 158 Zoely® 264, 267 Zytomegalievirusinfektion 500
XUSAL 277 Zofran® 189–190, 279 Zytostatika 531–545
Zoladex® 559 Zytostatikaerbrechen 189–190
Y – GYN 255 ZYVOXID® 431, 466
YENTREVE® 408 Zoledronat 226
YERVOY® 549, 588 Zolim® 277
Yomesan® 526 Zollinger-Ellison-Syndrom 367
Yondelis® 539 Zolmitriptan 130–131
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Der Lehrbuch- und Nachschlagewerk-
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Von Prof. Dr. Dr. Dres. h.c. Ernst Mutschler,


Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger, Prof. Dr. Heyo K. Kroemer,
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XXIV, 1.197 Seiten. 349 vierfarbige Abb., 257 Tabellen,
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Telefon 0711 2582 -341 | Telefax 0711 2582 -390
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Ausgewählte CYP-Substrate1 sowie mäßige und starke CYP-Inhibitoren2 und -Induktoren3, die klinisch rele-
vante Interaktionen verursachen können

Substrate Inhibitoren Induktoren

CYP1A2

Coffein, Duloxetin, Melatonin, Theophyllin, Ciprofloxacin, Enoxacin, Montelukast, Phenytoin,


Tizanidin Fluvoxamin, Methoxsalen, Rauchen
orale Kontrazeptiva,
Phenylpropanolamin,
Vemurafenib

CYP2B6

Bupropion, Efavirenz Nur schwache Inhibitoren bekannt Efavirenz, Rifampicin

CYP2C8

Enzalutamid, Paclitaxel, Repaglinid Clopidogrel (als Glucuronid), Rifampicin


Gemfibrozil, Leflunomid/
Teriflunomid

CYP2C9

Celecoxib, Phenprocoumon, Phenytoin, Amiodaron, Fluconazol Carbamazepin,


Warfarin Enzalutamid, Rifampicin

CYP2C19

Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol Esomeprazol, Fluconazol, Enzalutamid, Rifampicin


Fluoxetin, Fluvoxamin,
Moclobemid, Omeprazol,
Ticlopidin, Voriconazol

CYP2D6

Atomoxetin, Dextromethorphan, Metoprolol, Abirateron, Bupropion, Chinidin, Keine Induktoren bekannt


Nebivolol, Perphenazin, Pimozid, Thioridazin, Cinacalcet, Duloxetin, Fluoxetin,
Tolterodin, Venlafaxin Paroxetin, Terbinafin

CYP3A

Alfentanil, Aprepitant, Budesonid, Buspiron, Aprepitant, Boceprevir, Bosentan, Carbamazepin,


Chinidin, Ciclosporin, Darifenacin, Dasatinib, Ciprofloxacin, Clarithromycin, Efavirenz, Enzalutamid,
Dihydroergotamin, Dronedaron, Eletriptan, Crizotinib, Diltiazem, Etravirin, Lumacaftor,
Eplerenon, Everolimus, Felodipin, Fentanyl, Erythromycin, Fluconazol, Modafinil, Phenytoin,
Fluticason, HIV-Proteaseinhibitoren, Lovastatin, Imatinib, Itraconazol, Rifampicin,
Lurasidon, Maraviroc, Midazolam, Nisoldipin, Ketoconazol, Nelfinavir, Johanniskrautextrakt
Phenprocoumon, Pimozid, Quetiapin, Sildenafil, Posaconazol, Ritonavir, Telaprevir,
Simvastatin, Sirolimus, Tacrolimus, Terfenadin, Telithromycin, Verapamil,
Ticagrelor, Tolvaptan, Triazolam, Vardenafil Voriconazol, Grapefruitsaft

1 Ausgewählt sind sensitive Substrate (mit einem mehr als 5-fachen Anstieg der AUC bei CYP-Hemmung) und/oder Substrate mit geringer therapeu-
tischer Breite (modifiziert nach Drug Development and Drug Interactions: Table of Substrates, Inhibitors and Inducers, FDA, online, last updated
10/27/2014),
2 mäßige Inhibitoren führen zu einem mehr als 2-fachen, starke Inhibitoren zu einem mehr als 5-fachen Anstieg der AUC,
3 mäßige Induktoren reduzieren die AUC um 50–80 %, starke Induktoren um mehr als 80 %
30,5 mm

Pharmakologie kompakt
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Erklärungen sowie verständliche und Grenzen der Pharmakotherapie zu
Sprache. informieren.

Kritisch Der Leserkreis


durch objektive Medikamentenbewer- Insbesondere Studierende der Medizin
tung anhand evidenzbasierter Medizin und Pharmazie sowie Allgemeinärzte,
sowie der Leitlinien der medizinischen Internisten und Apotheker, ferner Mutschler / Geisslinger / Menzel / Ruth / Schmidtko
Fachgesellschaften. Studierende der Zahnmedizin und Natur-
wissenschaften, Zahnärzte, Biologen,

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Pharmakologie kompakt – Allgemeine und Klinische Pharmakologie, Toxikologie
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