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Modul GEO 112

Einführung in die Anthropogeographie I


Siedlungsgeographie

HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG
IN MITTELEUROPA I:
DIE VORINDUSTRIELLE STADT

Prof. Dr. Sebastian Kinder

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Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Greifswald: „Caspar David Friedrich-Blick“ Tübingen


oben im Gemälde von C.D.Friedrich oben: Neckarfront 2
unten heutige Ansicht unten: Marktplatz mit Rathaus
Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Fragestellungen
Fragestellungenfürfürdiese
dieseVorlesung:
Vorlesung:
••Welche
WelcheStrukturmerkmale
Strukturmerkmalekennzeichnen
kennzeichnenantike,
antike,mittelalterliche
mittelalterlicheund
und
frühneuzeitliche
frühneuzeitlicheStädte?
Städte?
••Wie
Wiesind
sinddiese
dieseStädte
Städteentstanden
entstandenund
undwie
wiehaben
habensie
siesich
sichentwickelt?
entwickelt?
••Welche
Welcheregionalen
regionalenBesonderheiten
Besonderheitenlassen
lassensich
sichggf.
ggf.feststellen?
feststellen?

Ziele
Zieledieser
dieserVorlesung:
Vorlesung:
••Kenntnis
Kenntnisder
derWesensmerkmale
Wesensmerkmaleder
dergriechischen,
griechischen,römischen,
römischen,mittelalterlichen
mittelalterlichen
und
undfrühneuzeitlichen
frühneuzeitlichenStädte
Städte
••Kennenlernen
Kennenlernenvon vonBeispielen
Beispielenaus
ausden
denjeweiligen
jeweiligenEntwicklungsepochen
Entwicklungsepochen
••Identifizierung
Identifizierungvon
vonBesonderheiten
Besonderheitenininden
deneinzelnen
einzelnenEntwicklungsepochen
Entwicklungsepochen

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Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

1. Antike Städte

2. Mittelalterliche Städte

3. Frühneuzeitliche Stadtentwicklung

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Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

1. Die griechische Polis:


Polis = selbständige Stadtstaaten im antiken Griechenland
Synoikismus = freiwilliger “Verbrüderungsakt” von Personenverbänden zu einer
religiösen Kultgemeinschaft und zu einer politischen Einheit
Æ Neue Vergesellschaftungsform, die unabhängig von der Verwandtschaft
den Menschen eine neue kollektive Integration vermittelte
Æ Polis zunächst ohne eine Verbindung mit städtebaulich-
architektonischer Konzeption (v.a. frühe Städte bis 500 v.Chr. wie z.B.
Athen, Troja, Knossos)
Æ Bevölkerungswachstum führt zur Gründung von städtischen Kolonien,
die ab 500 v.Chr. die politisch-soziale Ordnung mit einer städtebaulich-
architektonischen Konzeption verbinden

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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

1. Die griechische Polis:

Plan von Milet, Hippodamos, 5. Jh. v.Chr.


Quelle: Lichtenberger (2002)
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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

1. Die griechische Polis:


Hippodamisches Prinzip
• unregelmäßige Stadtgrenzen (Stadtmauer)
• rasterförmiges Straßennetz mit rechteckigen Baublöcken (insulae)
• keine monumentale Stadtwirkung
• Kommunalbauten, Agora, Tempelbezirk

Funktionale Teilbereiche der Polis:


1. Tempelbezirk (oft erhöht Æ Akropolis)
2. Öffentlicher Bereich mit Agora, Gymnasien, Theater und Stadien
3. Private Wohnbezirke (ursprünglich Prinzip der Isonomie)

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Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

1. Die griechische Polis:


Zivilisatorische Leistungen der Polis:
1. Demokratie
2. Erstmalige Schaffung eines gestalteten und geplanten öffentlichen Raums
(Agora)

Beispiel einer griechischen Polis


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Quelle: Fassmann (2004)
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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

2. Die römische Stadt:


Städte als Stützpunkte der Macht Æ Stadttypus entwickelt aus dem castrum

Funktionstypen:
Militärische Lagerstädte (Vindobona/Wien)
Bürgerliche Städte (Colonia Agrippina/Köln)
Bäderstädte (Aquisgranum/Aachen)

Beispiel einer römischen Stadt


Quelle: Fassmann (2004)
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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

2. Die römische Stadt:


Merkmale:
• Lage meist in der Ebene an römischen Heerstraßen
• befestigte Stadtgrenzen
• quadratischer oder rechtwinkliger Grundriss in Gitternetzanordnung
• Nord-Süd-Achse: Cardo (7-8 m breit)
• Ost-West-Achse: Decumanus (15-30 m breit)
• Nebenstraßen (mind. 2,5 m breit) im Abstand von 60-70m
• Forum als Mittelpunkt mit öffentlichen Gebäuden
• verstärkte Repräsentation von Macht
• vor den Stadtmauern freigehaltener Landstreifen (promoerium) und Vorstädte
(canabae)
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• hierarchische Ordnung des Raums (funktional, sozial)
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2. Die römische Stadt:

Diffusion der antiken Stadtkultur Städteverteilung im römischen Reich


Quelle: Heineberg (2001) Quelle: Heineberg (2001)

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2. Die römische Stadt:

Trier: Die römische und mittelalterliche Stadt


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Quelle: Lichtenberger (2002)
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1. Römische Städte

2. Mittelalterliche Städte

3. Frühneuzeitliche Stadtentwicklung

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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Mittelalterliche Städte:
• Gewachsene Städte des MA: Kontinuität der römischen Besiedlung,
Entwicklung von schützenden Burgen zu Handelsorten, Anwuchs von Dörfern
zu Städten
• Geplante Städte als Neugründungen nach vorgefasstem Plan

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Elemente der Herausbildung mittelalterlichen Städtewesens:


Politische Institutionen:
• Ausbau römischer Städte zu Residenzen
• Historisch legitimierte Siedlungskontinuität
Religiöse Institutionen:
• Bischöfe übernehmen die weltliche Administration der Stadt
• Z.T. Kloster als städtisches Zentrum (z.B. St. Gallen)
Handwerk und Handel:
• Ausdruck einer voranschreitenden Arbeitsteilung
• Herausbildung von Kaufmannssiedlungen

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Frühmittelalterliche Keimzellen:
• Karolingische Königshöfe entlang der Heer- und Handelsstraßen (z.B.
Dortmund)
• Domburgen der Bischofssitze (z.B. Hamburg, Paderborn)
• Klosterburgen (z.B. Hameln, Helmstedt)
• Kaufmännische Siedlungen (Wik) in Anlehnung an eine Burg (z.B. Münster)

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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Mutterstädte:
• Herausbildung bis 1150 als mit Fürstenpfalz oder Kirchenburg
verschmolzene Siedlung der Kaufleute
• Ausbreitung vom Maas-Schelde-Raum (Gent, Antwerpen) über das
Rheinland bis an Elbe, Saale, Main und Donau
• Entwicklung eines gewerblichen Marktwesens und Gestaltung zentraler
Markt- und Platzräume
• Stadtwachstum bedingt schalenartige Stadterweiterungen (Köln), Entstehung
von Doppelstädten (Hamburg) oder Gruppenstädten (Braunschweig)

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Gründungsstädte älteren Typs:


• Nach Vorbild der Mutterstädte ab 1120 entstanden
• Planmäßig angelegte Stadtanlagen
• Überwiegend Fernhandelsstädte/ Instrumente fürstlicher Machtpolitik

Freiburg: 1120 durch die Zähringer gegründet 18


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Städte der Ostkolonisation:


• Kolonisationsstädte des 13. und 14. Jh.
• Zentrallage des Marktes
• freier Marktplatz in Mecklenburg, Pommern,
Westpreußen
• bebauter Markt (Ring) in Schlesien
• regelmäßiger Stadtgrundriss

Standgrundriss von Breslau im Mittelalter


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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Städte der Ostkolonisation:

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Elemente der baulich-physischen Struktur mittelalterlicher Städte:

Beispiel einer mittelalterlichen Stadt:


San Gemignano
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Elemente der baulich-physischen Struktur mittelalterlicher Städte:


• Stadtmitte durch Kirchbauten dominiert
• Komplexe Struktur des öffentlichen Bereichs durch Vorhandensein mehrerer
Zentren
• Stadtmitte als Ort höchsten Sozialprestiges (Rathaus, Markthallen, führende
Familien)
• Gliederung in schmale Parzellen
• Einheit von Wohnen und Arbeiten („Ökonomie des ganzen Hauses“
• Bürgerhaus mit repräsentativer Schaufront
• Soziale, funktionale und gewerbliche Viertelsbildung

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Einführung in die Siedlungsgeographie
HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Stadtwachstum durch Stadterweiterung:

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Stadtwachstum durch Stadtkonkurrenz:

Die Prager Altstadt um 1230 Die Prager Städte unter Karl IV.

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1. Römische Städte

2. Mittelalterliche Städte

3. Frühneuzeitliche Stadtentwicklung

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Bergstädte:
• an Erzfunde gebundene landesfürstliche Gründungen des 15. und 16. Jh.
• i.d.R. planmäßige rasterförmige Anlage
• Hauptverbreitungsgebiete: Harz, Erzgebirge, Sudeten, Böhmerwald, Alpen
• Beispiel: Clausthal und Zellerfeld im Harz

Exulantenstädte:
• im 16. bis 18. Jh. entstandene Flüchtlingsstädte in landesfürstlichen Gebieten
protestantischer Konfession
• Beispiele: Altona bei Hamburg, Freudenstadt im Schwarzwald
• dienten oft der Aufsiedlung (Peuplierung) in strukturschwachen Regionen

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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Fürstenstädte der Renaissance:


• Auflösung der Grenzen von Stadt und Land
• Städte als Abbild einer höfisch orientierten Gesellschaft
• Stadt als Gesamtkunstwerk
• Dominierende Symmetrien, schachbrettartige oder radiale Verkehrswege
• Funktional und sozial hierarchisch gegliedert
• Ausgeklügeltes Verteidigungssystem
• Zahlreiche Utopien der idealen Stadt

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Fürstenstädte der Renaissance:

Mannheim: Fürstenstadt der Renaissance 28


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Fürstenstädte der Renaissance:

Mannheim: Fürstenstadt der Renaissance 29


Einführung in die Siedlungsgeographie
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Fürstenstädte der Renaissance:

Freudenstadt: Beispiel einer realisierten Stadtutopie der Renaissance


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Fürstenstädte des Barock:


• Neugründungen oder Überformungen mittelalterlicher Städte
• Paläste oder Schlösser als Ausgangspunkt der städtebaulichen Entwicklung
• Sichtachsen und breite Straßenzüge auf Repräsentationsbauten ausgerichtet
• Gartenanlagen in der Stadt oder beim Schloss mit repräsentativer Funktion
• Repräsentative Fassadenausstattung Æ Normierung durch Bauvorschriften
• Neue Bautypen spiegeln funktionale Differenzierung der Gesellschaft wider
(Verwaltung, Gericht, Kaserne, Mietshäuser)
• Bedeutung der Stadt bemißt sich nach ihrem administrativen Rang
• Entstehung neuer sozialer Gruppen: Beamte und Offiziere als neue Eliten
• Auflösung der „Ökonomie des ganzen Hauses“
• Zunehmende soziale Gegensätze und sozialräumliche Differenzierung
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HISTORISCH-GENETISCHE STADTENTWICKLUNG I

Fürstenstädte des Barock:

Karlsruhe: Barockstadt um 1826


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Fürstenstädte des Barock:

Karlsruhe: Barockstadt heute 33

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