Sie sind auf Seite 1von 1

Deutschland: Wählen schon mit 16?

Die Regierungsparteien wollen das Wahlalter bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 senken. Viele
Jugendliche sind dafür. Aber die Mehrheit bleibt skeptisch.

Das Grundgesetz, die Verfassung Deutschlands, ist eindeutig: "Wahlberechtigt ist, wer das
achtzehnte Lebensjahr vollendet hat", heißt es da. Damit wollen sich aber viele Jugendliche nicht
abfinden. Sie sind politisiert, gehen für ihre Rechte auf die Straße und kleben sich - wie die "Letzte
Generation" - für ihre Ziele sogar dort fest. Warum also nicht mit 16 Jahren das volle
Wahlrecht, auch bei Bundestagswahlen?

Unterstützt wird die Forderung von den regierenden Parteien. SPD, Grüne und FDP haben sich in
ihren Koalitionsvertrag geschrieben: "Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter
für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken." Der Deutsche Kinderschutzbund
und das Deutsche Kinderhilfswerk sind in ihren Forderungen noch radikaler: Sie wollen ein
Wahlrecht schon mit 14.

Miro Lim ist eher skeptisch. Der 17-jährige Gymnasiast durfte im Februar zum ersten Mal wählen,
aber nur auf kommunaler Ebene, nämlich die Mitglieder der Bezirksverwaltung in "seinem" Bezirk
in Berlin. "Das war überschaubar, und ich kann mir vorstellen, was sich möglicherweise ändert, da,
wo ich wohne", sagt er. "Bei Bundestagswahlen ist alles viel komplizierter." Miro Lim liegt mit
seiner eher ablehnenden Haltung im Trend. Nach einer aktuellen Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Insa lehnen es 62 Prozent der Befragten ab beziehungsweise eher ab,
dass künftig Bürger ab 16 Jahren an Bundestagswahlen teilnehmen dürfen. Aber die Skepsis
schrumpft: In einer ähnlichen Befragung vor sieben Jahren hatten sich noch 80 Prozent
zurückhaltend geäußert.

Die Skepsis kann Sigrid Meinhold-Henschel von der Bertelsmann-Stiftung nicht nachvollziehen.
Die Absenkung des Wahlalters sei doch ein gutes Rezept gegen Politikverdrossenheit.
"Verschiedene Studien belegen, dass die 16-Jährigen sich in ihrem politischen Wissen und Interesse
nicht von 18-Jährigen unterscheiden", erklärt sie. "Insofern fehlt eine plausible Begründung dafür,
dass das Wahlalter nicht abgesenkt wird. Sich früh mit Parteien und Wahlen auseinanderzusetzen sei
gut: "Das hält unsere Demokratie lebendig und macht sie zukunftsfähig."

Die Linien in der deutschen Politik sind klar: Die Parteien der Koalition – also SPD, FDP und
Grüne – sind für die Absenkung des Wahlalters bei Bundestagswahlen. Die Partei Die Linke
ebenfalls. CDU/CSU und die rechtspopulistische AfD sind gegen eine Reform. Einer, der für eine
Absenkung des Wahlalters auf 16 kämpft, ist Johannes Vogel. Die Generationengerechtigkeit ist in
Zeiten der Überalterung der Gesellschaft ein Argument für ein frühes Wahlalter: "Natürlich wäre es
gut, wenn die Perspektiven künftiger Generationen stärker in die Politik mit einbezogen werden."
Die konservative Opposition hält dagegen. Viele Jugendliche wüssten mit 16 noch nicht einmal,
welchen Beruf sie wählen oder was sie studieren wollten. Sie dürften keine Spirituosen kaufen,
nicht nach Mitternacht in Clubs sein. Bei Wahlentscheidungen seien die Eltern einflussreich. Es sei
doch offenbar widersprüchlich, "wenn man einerseits Jugendlichen erst mit 18 zugesteht, Verträge
zu schließen und zivilrechtlich haftbar zu sein, andererseits das Wahlalter absenkt", argumentiert
Ansgar Heveling, der Justiziar der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

Ob eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre tatsächlich kommt und die Regierung ihre Pläne
umsetzen kann, ist vollkommen unklar. "Ich hoffe, es klappt eher früher als später", gibt sich FDP-
Politiker Johannes Vogel dennoch optimistisch.

Volker Witting, Deutsche Welle, 05.06.2023

Das könnte Ihnen auch gefallen