Sie sind auf Seite 1von 6

Die Flucht aus Granada

Eine Kurzgeschichte von Franziskus Kavvka1

Abb. 1: Das berüchtigte


Tulpenmodell

Kurz vor de Abfahrt um 7:30 von Granada nach Toledo


besuche ich vorsorglich noch kurz die Toilette in der Lobby
unseres Hotels San Anton. Es ist ein wenig besuchter Raum mit
winzigem Vorraum im Souterrain, der über einer Treppe
erreicht wird. Trotz der isolierten Lage schließe ich die Tür aus
alter Gewohnheit mit dem in Spanien und in den Amerikas
üblichen winzigen zentralen Drehknopf ab. Sofort ist mir klar,
dass diese Vorsichtmaßnahme ein Fehler ist. Der Schalter lässt
sich durchdrehen, als ob es im Inneren des Schlosses gar keine
Mechanik befände...

1Bildnachweis: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic


Lizenz. - Quelle (©): Tulip Doorknob - Author : Alx 91
Vorsichtig prüfe ich das Schloss. Es lässt sich tatsächlich gar
nicht mehr öffnen. Jetzt ist guter Rat teuer. Ich versuche mal
etwas mehr Gewalt und rüttle an der Klinke – schlage mit der
Faust auf das stabile Holz und rufe laut – und noch lauter.
Keine Bewegung und keine Hilfe. Es ist auch kaum an zu
nehmen dass sich hierher in den nächsten Stunden noch einer
verlieren wird und einen Handy habe ich auch nicht dabei.
Mein Bus steht vor dem Hotel und wird in 12 Minuten
abfahren. Niemand weiß in welcher misslichen Lage ich mich
befinde.
Die Tür ist ein schweres Stück aus gediegenem spanischen
Holz, fest verankert in einem ebenso stabilem Rahmen. Es gibt
keine Chance das Holz von der engen Toilette aus ein zu treten.
Glücklicherweise befinden sich die drei Scharnierstifte auf der
Innenseite. Wenn ich die Stifte nur aus den Scharnieren heraus
hochklopfen könnte...
Ich schaue mir die möglichen Hilfsmittel der unmittelbaren
Umgebung an: eine Klobrille, einen Porzellanschüssel und eine
Papierrolle mit Halterung stehen mir zur Verfügung. Man hätte
doch bei solcherart unsicheren Schlössern wenigstens eine
Feuerwehraxt an der Wand aufhängen sollen.
Ich betrachte die Abdeckung der Papierrolle genauer. Sie ist
aus verchromtem Edelstahl und sieht recht stabil aus. Ich
nehme das gute Stück heraus und trete es erst einmal richtig
flach mit meinem rechten Fuß. Dann schiebe ich das
Metallblech unter dem Kopf des Scharnierstiftes. Ich brauche
jetzt aber noch etwas Schweres zum Hämmern.
Vorsichtig schraube ich die schweren Klobrille aus weißem
Plastik von der Schüssel, setze mich auf dem Rand der
Schüssel und halte sie mit der rechten Hand vor der
Metallscheibe, den ich mit der Linken am unteren Scharnier
ansetze. Dann trete ich gleich kräftig gegen die Klobrille.
Mit Freude stelle ich fest, dass sich der Stift etwas bewegt. Ja,
so könnte es gehen. Der Bus fährt ja erst in 10 Minuten ab. Ich
trete nochmals einige Malen kräftig zu und innerhalb vor einer
Minute ist der untere Stift entfernt. Nach einem ähnlichen
Verfahren wird der mittlere Stift bearbeitet. Es ist nicht gerade
einfach das Blech mit der Klobrille richtig zu treffen, aber mit
der doppelten Zahl Schlägen gelingt es mir auch diesen Stift zu
entfernen.
Nun kommt der obere Stift an der Reihe. Auch hier oben muss
ich die Klobrille als einen einfachen Hammer verwenden. Auch
diesmal wird meine Arbeitsposition wieder etwas günstiger so
dass ich richtig ausholen kann. Pünktlich 5 Minuten vor der
Abfahrt fliegt der Stift mit einem hohen Bogen gegen die
Decke. Nun liegt die Tür lose im Rahmen, aber ich muss die
rechten Seite noch aus den Scharnieren herausschälen.
Mit einer Ecke der Metallplatte winde und drücke ich das obere
Scharnier auseinander. Langsam bewegt sich die obere Seite
der Tür ins Innere der winzigen Toilette. Nach einer Minute
entsteht ein Spalt, der bereits ein wenig muffige „Frischluft“
aus dem Vorraum mit dem Waschbecken hereinlässt. Es ist ja
auch nicht so sehr die Frische der Luft als vielmehr der Duft
der Freiheit, der mich nun zu Höchstleistungen anstachelt. Nur
noch 3 Minuten trennen mich von der pünktlichen Abfahrt.
Ich schiebe das Blech in den Spalt und drücke das Metallteil
herunter um den Spalt zu vergrößern. Langsam bewegt sich die
Tür wie von Geisterhand geschoben auf mich zu. Nun kann ich
drei Finger der rechten Hand durch den Spalt um die Tür legen
und ziehe vorsichtig das Holz nach innen. Ich möchte
verhindern, dass die Tür mich so kurz vor der Freiheit
erschlägt...
Nach einigen Schüben vergrößert sich der Spalt und lösen sich
zuerst das obere und danach auch das mittlere Scharnier. Nun
gelingt es mir nicht mehr die Tür sauber zu führen. Das untere
Scharnier gibt mit einem leisen Knarren unter Protest nach und
nun habe ich eine massiven, spanischen Eichentür in den
Händen. Das Schloss steckt noch im Rahmen, aber nun lässt
sich die verschlossene Tür einfach seitlich aus dem Schloss
herausziehen. Ich manövriere das Ungetüm an die Wand und
wasche mir ausgiebig mit einem Übermaß an Seife die Hände.
Ich habe ja noch genug Zeit. Es sind sogar noch zwei Minuten
bis zur Abfahrt übrig.
Dann trockne ich mir mit Toilettenpapier noch rasch die Hände
und eile die Treppe hinauf nach oben. Ich melde mich noch
kurz an der Rezeption und sage in meinem besten Spanisch:
„In der Toilette da drüben fehlt eine Tür!“
und zeige auf die Treppe zur Toilette.
Der Spanier schaut mich entgeistert an und so wünsche ihm
noch einen schönen Tag mit einem jovialen „Hasta laVista“.
Nun muss ich mich beeilen, denn der Bus wartet nicht. Gusti
wartet schon auf mich und nickt mich freundlich zu als den
letzten fehlenden, aber noch rechtzeitig eintreffenden
Passagier. So können wir wie üblich pünktlich abfahren. Meine
Frau liest gerade im Reiseprogramm nach, welche
Sehenswürdigkeiten heute auf dem Programm stehen. Am
Nachmittag steht eine Stadtrundfahrt in Toledo auf dem
Programm.
„Wo warst du denn so lange?“ fragt sie ohne von dem Heft
aufzublicken. „Ich denke, du wolltest nur mal kurz auf die
Toilette.
„War ich auch“, sage ich, „aber die Tür ließ sich nicht mehr
öffnen“.
Jetzt schau sie mich an. „Ja und dann...?
„Da habe ich mal eben die Tür ausgebaut“, sage ich trocken.
Sie wird es ohnehin nicht glauben.
Der Bus setzt sich jetzt in Bewegung. Es war mir ja klar, dass
sie mich nicht so recht glaubt. Sie antwortet dann auch mit
einem „Sehr witzig!“ und liest weiter.
Gusti hat das Mikrofon schon in der Hand und begrüßt uns in
tirolerischem Dialekt mit einem schönen „Guten Morgen“.
Tatsächlich ist es ein wirklich schöner Tag mit einem
einmaligen Sonnenaufgang. Kein Mensch - nicht mal meine
Frau - würde mir glauben, dass ich mich gerade innerhalb einer
Viertelstunde aus einer hermetisch verschlossenen, spanischen
Zelle befreit habe und auch noch pünktlich den Bus nach
Toledo erreicht habe.
Deshalb ist es besser die Geschichte nicht weiter zu erzählen.
Es gibt doch noch Wunder und Zeichen in der modernen Zeit,
in ganz Europa; aber die meisten Mirakel passieren doch im
Süden, wo man noch an den Heiligen glaubt – besonders in
Granada im Hotel San Anton.
Selbstverständlich ist diese Geschichte nie wirklich so passiert.
Wahr ist schon, dass ich 10 Minuten vor der Abfahrt im
besagten Hotel in der Toilette im Keller eingeschlossen wurde
und bereits überlegen musste wie ich nun vorgehen sollte.
Leider betrat in dem Moment ein Mitreisender, der meine
Signale wahrnahm, den Vorraum und konnte die Tür von
Außen mühelos öffnen. Obige Arbeitsanweisung kann aber
vielleicht mal lebensrettend sein, falls sie auf einer Busreise in
San Anton übernachtet haben und nun rechtzeitig den Bus
erreichen müssen...

Das könnte Ihnen auch gefallen