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Am Ende werden die Leute verstehen...

(Der korrekte Entwurf eines Nuklearreaktors nach Dürrenmatt)


Joannes Richter

Der Bürgermeister Kotaku Wamura des Fisherdorfes Fudai, wurde kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg gewählt und blieb bis 1987 im Amt. Er untersuchte die Wegmarkierungen und
Gravuren, welche die Wucht früherer Tsunamis dokumentierten und leitete daraus
gewissenhaft die erforderlichen Abmessungen für die Schutzvorrichtung ab, die unter
Protest der Bevölkerung von 1967 bis 1984 gebaut wurde. Der begnadete Planer hat die
Schutzfunktion seines Bauwerks nicht mehr erlebt, denn er starb 1997 als 88 Jähriger. Jetzt
aber ehren die Bürger sein Grab mit Geschenken.
"Auch wenn es Widerstand gibt, habt Vertrauen und beendet, was Ihr begonnen habt", sagte
er bei seiner Verabschiedung zu den Angestellten. "Am Ende werden die Leute verstehen."
Im Sinne Dürrenmatts hatte Kotaku Wamura als verantwortlicher Planer die Geschichte zu
Ende gedacht. In Sinne Dürrenmatts war er zu Lebzeiten ein „Irrer“, der sich entgegen der
allgemeinen Meinung konsequent zum verantwortungsvollen Handeln durchgesetzt hat. Die
Bürgermeister der Nachbargemeinden dagegen wurden damals gefeiert für ihre
kostengünstigere Lösungen, die jedoch der Welle nicht standgehalten haben.

Es war Dürrenmatt, der in seinem Werk die Widersprüchlichkeit unseres Handelns nachgewiesen
hat. Dazu bevorzugte Dürrenmatt das Stilmittel der Verfremdung, in dem der „normale“, das heißt
in diesem Fall der verantwortungslose Physiker als Irrer und die „Abweichler“ sowie „Sonderlinge“
als verantwortungsvolle Wissenschaftler dargestellt werden.
Weil Dürrenmatt nachweisen muss, dass sich die Gesellschaft paradoxerweise aus vielen
Verantwortungslosen und nur wenigen Verantwortungsvollen zusammensetzt, kann man sie nur in
einer Parodie darstellen.
In der heutigen Welt wird die Schuld in der Regel vertuscht und auf anderen Ur-hebern oder Ur-
sachen abgeschoben. Nach Dürrenmatts Ansicht kann man die pathologischen Unverantwortlichkeit
dieser Gesellschaft deshalb nur als Groteske abbilden.
Der Punktekatalog im Anhang der Physiker, eine Komödie in 2 Akten aus 1962, wurde bereits als
bedeutsamer Leitfaden zur Entwicklung der gefährlichen technischen Anlagen (zum Beispiel
Gentechnologie, Chemiereaktoren, Nuklearanlage) identifiziert1. Dieses reicht mir jedoch nicht als
Nachweis für die prophezeienden Kraft der Physiker. Es müsste auch noch einen Japaner gefunden
werden, der zunächst wie ein Irrer abgestempelt wurde und trotzdem später als ein Held für seinen
Weitblick gefeiert werden konnte. Dieser Held ist der Bürgermeister Kotaku Wamura des
japanischen Küstenorts Fudai, der in seiner Beharrlichkeit die 3000 Fudaier mit einer 16 Meter
übergroßen Schutzmauer vor dem Untergang bewahrte. Im Bericht Riesenmauer rettete japanisches
Dorf vor Tsunami wurden die Details dieses meisterhaften Bürgermeisters dokumentiert.
Demnach wurde dem „unverantwortlichen“ Bürgermeister vor einigen Jahrzehnten
Geldverschwendung vorgeworfen. Den Nachbargemeinden war es gelungen für viel weniger Geld
bedeutend günstigere Schutzwälle zu errichten. In der Stadt Taro wurde ein nur 10 Meter hoher
Wall gebaut, aber am 11. März reichte diese Höhe nicht aus...
Kotaku Wamura wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zum Bürgermeister gewählt und blieb bis
1987 im Amt. Er untersuchte die Wegmarkierungen und Gravuren, welche die Wucht früherer
Tsunamis dokumentierten und leitete daraus gewissenhaft die erforderlichen Abmessungen für die
Schutzvorrichtung ab, die dann 1967 begonnen wurde. Der begnadete Planer hat die Schutzfunktion
seines Bauwerks nicht mehr erlebt, denn er starb 1997 als 88-Jähriger. Jetzt aber ehren ihn die
Bürger an seinem Grab mit Geschenken.

1 Es Gibt Keine GAUs Mehr - Es gibt nur noch Super-GAUs


"Auch wenn es Widerstand gibt, habt Vertrauen und beendet, was Ihr begonnen habt", sagte
er bei seiner Verabschiedung zu den Angestellten. "Am Ende werden die Leute verstehen."
Im Sinne Dürrenmatts hatte Kotaku Wamura als verantwortlicher Planer die Geschichte zu Ende
gedacht. In Sinne Dürrenmatts war er zu Lebzeiten ein „Irrer“, der sich entgegen der allgemeinen
Meinung konsequent zum verantwortungsvollen Handeln durchgesetzt hat. Die Bürgermeister der
Nachbargemeinden dagegen wurden damals gefeiert für ihre kostengünstigere Lösungen, die jedoch
der Welle nicht standgehalten haben.
Mit diesen Informationen hätte Dürrenmatt sicherlich das paradoxe Verhalten unserer modernen
Gesellschaft nach dem realen Leben in einer „tragischen“ Komödie verdeutlichen können. Mir
stehen die Fähigkeiten zur Dramatisierung dieser Tragödie nicht zur Verfügung. Es bleibt mir nur
die Bewunderung für die Lebensleistung des Autors Dürrenmatt und für die Besonnenheit und
Weitsicht des Bürgermeisters Kotaku Wamura auszusprechen, den man damals für seine Ideen
durchaus hätte abwählen oder – nach Dürrenmatt – in ein Irrenhaus hätte einweisen können...
Leider hatte Kotaku Wamura nur die Verantwortung für das 3000-Seelenreiche Fischerdorf Fudai
und nicht für die Region Fukushima, das im Nachhinein noch dringender einen solchen Helden
gebraucht hätte, der eine Geschichte zu Ende denken konnte.
Wohl aber haben die Fischer der japanischen Küstenregion jetzt von Kotaku Wamura gelernt,
welche Bedeutung der Wahl eines weitsichtigen Bürgermeisters beigemessen werden muss.

Dieses Essay wurde als Kapitel hinzugefügt in:


• Es Gibt Keine GAUs Mehr - Es gibt nur noch Super-GAUs
• Castra Doloris - Auf Den Punkt Gebracht

Dazu wurde der Ort Fudai als ein Standort aller Castra Doloris auf der Google Maps-Landkarte
Castra Doloris and other Mausoleums of the Mind eingetragen.

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