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Franziskus Kavvka

Die Heathrow Tagebücher


Für die Heathrow-Geschädigten

- zum Abschied … -

2
Franziskus Kavvka

Die Heathrow
Tagebücher
- die Selbstzerstörung eines Imperiums -

Lulu Verlag

-2009-

3
Dieser Roman
beruht auf den Tagebüchern
der Heathrow-Geschädigten,

ist jedoch durch Namensänderungen


und Ergänzendem Material
zur reinen Fiktion umgestaltet.

Deshalb basiert nur 98%


dieses Faktenberichts
auf Tatsachen ...

© 2009 by Joannes Richter


Veröffentlicht bei Lulu
www.lulu.com
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-1-4092-9310-1

4
Inhalt
1 Einführung.............................................................................7
2 Ein Gedankenverbrechen.....................................................11
3 Ein steinerner Kreuzer.........................................................17
4 In der Hölle des Deathrows..................................................23
5 Heathromania (Heathrowmania)..........................................27
6 Eingeigelt in der Wagenburg................................................33
7 Nix Handies.........................................................................35
8 Die Flugpassagierrechte.......................................................37
9 An der Empfangstheke.........................................................41
10 Hallo Hallo!.......................................................................43
11 Ein rettender Kranich.........................................................49
12 Die stillste Stunde..............................................................51
13 Der Waschraum..................................................................55
14 Der Mad Hatter..................................................................59
15 Die Flugsimulatoren in Heathrow......................................63
16 Terminal bedeutet auch „Ende“.........................................65
17 Ein Abflug für immer.........................................................67
18 Der Kampf um Rückerstattung..........................................71
19 Der ganz legale Strassenraub.............................................77
20 Analyse der Mailbox..........................................................81
21 Der Turing-Test..................................................................85
Alan Mathison Turing ..................................................87
Der Turing-Test.............................................................88
22 Behördliche Hilfe: Fehlanzeige!........................................93
23 Heathrow Hassles in 2004.................................................99
Warum nicht mal Personalmangel?...............................99
24 Heathrow Hassles in 2006...............................................101
Der Terror am 10 August.............................................101
Weihnachten, 25 Dezember 2006................................102

5
25 Heathrow Hassles in 2007...............................................103
Wintersturm am 19 Januar...........................................103
Ein Streik am 27 Januar..............................................103
Der Personalmangel am 10 Juli...................................103
Sommersturm am Freitag, 20 July 2007.....................104
26 Heathrow Hassles in 2008...............................................105
Frühlingssturm am 10 März........................................105
Der T5 -Ileus am 29 März...........................................105
27 Aktuelle und geplante Hassles.........................................107
Der Wintersturm am 3 Februar....................................107
Geplantes Hassle in 2012............................................108
28 Schönwetterflieger!..........................................................109
29 Schlosswort: Kafka's Schloss...........................................111

6
1 Einführung

Dieser Bericht in Tagebuchform dokumentiert die in


Großbritannien grassierende gemeine Flughafenhysterie
(Hysteria Aeropuertiensis Britanniensis), die hauptsächlich von
einem indigen1 vorherrschenden Heathrow Hassle2 ausgelöst
wird. Das pathologische Erscheinungsbild wird erheblich
verstärkt durch eine von den britischen Angestellten gepflegten
Gleichgültigkeit für die hoffnungslose Lage der gestrandeten
Passagiere und tritt hauptsächlich bei starken Winden, Regen,
Schnee oder Eis zu Tage. Gelegentlich findet man es auch nach
Terrorwarnungen oder nach der Einweihung einer neuen
Abflughalle. Ein ganz klarer Fall von Flughafenhysterie konnte
bei der Einweihung der neuen Abflughalle T5 in Heathrow
diagnostiziert werden, als ein Supermodel ausrastete und in
polizeilicher Gewahrsam genommen werden musste...

Als ich am 12. August 2006 ein Heathrow Hassle erlebte fiel
mir die überwältigende Parallele zwischen der Heathrow
Erfahrung und Franz Kafkas „Das Schloss3“ auf. Beim Beginn
eines Hassles erlischt ja ebenfalls auf fast gespenstischer Weise
jegliche Beziehung zwischen Kunden und Personal der Airline.

1
lat. indiges „eingeboren“
2
to hassle sb. [coll.], jdn. Bedrängen, Schikanieren, unter Druck setzen
Man sollte allerdings dabei beachten, dass der gemeine Engländer solche
„humorvolle Untertreibungen“ als Witz, gewissermassen sogar als typisch
britische Unterhaltung versteht, wofür man in England viel Geld ausgibt.
3
Kafka schrieb dieses Buch 1922-1926; es wurde 1926 veröffentlicht. Das
Schloss bleibt der Hauptperson K. und den übrigen Dorfsbewohnern
verschlossen.

7
Das Personal verschwindet schlagartig in geschlossenen
Schutzzonen und bildet eine Wagenburg. Mit den Rücken zu
den Passagieren fristen sie den verhässelten Tag mit intensiven
persönlichen Gesprächen und unaufhörlichem Rauchen. An der
Stelle des Betreuungspersonals treten funktionsunfähige
Automaten.

In seinem Roman beschreibt Kafka wie sein Protagonist K4.


den Kontakt versucht herzustellen zu den Schlossherren, die
offensichtlich das Dorf beherrschen, wo er als
Vermessungsbeamten leben möchte. Vor Abschluss des
Romans stirbt der Author Kafka, aber er deutet an dass der
Vermessungsbeamte im Dorf sterben soll, nachdem das
Schloss ihm auf seinem Sterbelager beschieden hat, dass:

„seine Aufenthaltsberechtigung genau genommen


ungültig sei, aber dass ihm unter den gegebenen
Randbedingungen gestattet sei dort zu leben und zu
arbeiten...“

In seiner dunklen und surrealistischen Sprache dokumentiert


das Schloss die Verfremdung, Bürokratie und endlosen
Frustrationen der Menschen gegen das übergeordnete System.
So beschloss ich diese Entfremdung in nachfolgendem
Reisetagebuch fest zu legen.

4
K. kann man sowohl als Kafka wie als Kunde lesen...

8
2 Ein Gedankenverbrechen...

And if my thought-dreams could be seen


They'd probably put my head in a guillotine
It's alright Ma, I'm only bleeding (Bob Dylan)

W estlich von London befindet sich eine


Räuberhöhle, die ankommende Passagiere
regelmäßig wie die Weihnachtgänse ausnimmt und
mit behördlicher Genehmigung ausplündert. Zur Erheiterung
der Wartestunden für die betroffenen Reisenden habe ich aus
meinen Notizen diese Tagebücher niedergeschrieben, den
Reisenden zum Zeitvertreib und den Nachkommen als
Geschichtsbuch für das Raubrittertum in Großbritannien. Die
Warnung indes ist nur für wenige Wochen vonnöten, denn die
Gesellschaft befindet sich bereits in Auflösung oder auf dem
Weg zum Bankrott, was man durchaus als Ausgleich der
himmlischen Gerechtigkeit sehen kann. Imperial Airways
gehört heute faktisch zu den wertlosen Penny Stock5 Artikel
und der Aktienkurs habe zur Jahresmitte 2009 einen Tiefpunkt
von 1,58 Euro (bei 1,15 Milliarden Aktien) erreicht, was aber
bei der maroden Dienstleistung dieses Ladens immer noch sehr
schmeichelhaft wäre.

5
Als Penny-Stock bezeichnet man Aktien, deren Wert unter einer Einheit in
lokaler Währung liegt. Im Euro-Raum sind dies also Aktien, die einen Wert
von 99 Cent oder weniger besitzen. In USA gelten Aktien, die unter 5 USD
notieren, als pennystock.

9
A ber wie auch immer, angefangen hatte unsere
Beziehung weniger schön mit
Urlaubsbuchung. Um nun zu verhindern, dass
einer

Google irrtümlicherweise Inserate als Schleichwerbung für


diesen schändlichen Dienstleister am Heathrow Airport
einfügt, werde ich den Namen der Airline in diesem Bericht
ersetzen durch IA für die Imperial Airways …

W ie so vieles im Leben liegt der Anfang dieser


Geschichten in einer harmlosen Meldung, die ich
als Einzelreisender in den abendlichen BBC-
Nachrichten am Fernseher meines gemütlichen Hotelzimmers
in Penzance (Cornwall) verfolgen kann. Der Bericht meldet
einen Kofferfund mit Unterlagen, die auf einen geplanten
Terroristenangriff mit explosiven Flüssigkeiten deuten. Der
britische Geheimdienst hätte aber die Sache seit Monaten
verfolgt. Nun hatte man einige farbigen Verdächtigen verhaftet,
allerdings in weit vom Kofferfund entfernten Städten. Der
britische Geheimdienst MI-007 hatte alles im Griff. Wenige
Tage würden bei den neuartigen Verhörmethoden wohl reichen
die Terroristen zu Geständnissen zu zwingen. Ach wie schön
leben wir in einer gerechten Welt, der noch von gesegneten
Kräften und imperialen Gesellschaften gesichert wird...

I nteressant ist auch bereits vor dem Weiterlesen zu


wissen, wie der Prozess gegen diese Verdächtigen zwei
Jahren später in 2008 ausgegangen ist:

10
Alle Beschuldigten sind von der Anklage freigesprochen
worden, sie hätten geplant mit Flüssigkeiten Flugzeuge
in die Luft zu sprengen. Der mutmassliche Anführer
wurde komplett freigesprochen, wie die BBC berichtet6.

Drei der Beschuldigten wurden von den Geschworenen


lediglich wegen der Planung eines allgemeinen
Mordkomplotts für schuldig befunden.

Das Gericht in Woolwich im Südosten Londons hat das


Strafmass noch nicht festgelegt. Planen kann aber jeder
viel. In einem Rechtstaat ist nur eine tatsächlich
begangene Gesetzesübertretung strafbar. Die
angewandte Indizienkette entspricht dem Orwellschen
Gedankenverbrechen7.

Sieben gaben zu, sie wollten die öffentliche Ordnung


stören, aber der von Scotland Yard als Anführer des
“Komplott” beschuldigte Mohammad G. (27) wurde
von allen Vorwürfen freigesprochen.

Dieser peinliche Ausgang eines weiteren, von den


britischen Behörden erfundenen Märchens, sollte
eigentlich zu einer sofortigen Rücknahme aller
makaberen Sicherheitsbestimmungen führen, welche
keine Anschläge verhindern, sondern nur unschuldige
Passagiere terrorisieren.

6
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/7605583.stm
BBC-Bericht vom 9 September 2008
7
Siehe Wikipedia

11
E in Gedankenverbrechen8 war beispielsweise in Japan
eine Straftat, die nicht unbedingt im herkömmlichen
Sinne begangen werden muss. Es zählt, je nach
Interpretation, schon entweder die Wahrscheinlichkeit oder der
Wunsch eine Straftat in der Zukunft zu begehen.
Gedankenverbrechen basieren auf Fantasie. Natürlich sollte
jeder für sich entscheiden, ob er oder sie in ein Land reisen
möchte, in dem ein Richter seine Entscheidungen auf Phantasie
basiert. Ich möchte und werde jedenfalls niemals freiwillig in
einen solchen Staat reisen...
Wer einmal ein Heathrow Hassle erlebt, wird zahlreiche
Gedankenverbrechen begehen. Er müsste für diese Gedanken
ein vielfaches von 99 Jahre eingesperrt werden. Dass
abgesehen von einem Topmodell bisher kein gestrandeter
Passagier eingesperrt werden musste, gilt allerdings als ein
kleines Wunder.

N icht nur der Brite Orwell hatte solche


Gedankenverbrechen antizipiert, auch ein
Amerikaner Philip K. Dick hat das Thema in 1956
in einer Kurzgeschichte Minority Report dokumentiert, die in
2002 verfilmt worden ist. Man kann sich ausmalen, wie die
Arbeitsweise in der Abteilung Precrime der US-Polizei
aussieht9:

John Anderton arbeitet für die Abteilung Precrime der


Washingtoner Polizei, die mittels Präkognition
zukünftige Morde verhindern soll. Ermöglicht wird dies
durch die drei sogenannten „Precogs“ Agatha, Arthur
und Dashiell.

8
japanisch 思想犯, shisōhan, engl. Crimethink oder thoughtcrime
9
Aus der Wikipedia, Eintrag Minority Report

12
Sie werden mit Medikamenten in einem Zustand
zwischen Traum und Wachen gehalten, der für ihre
hellseherischen Fähigkeiten besonders günstig ist. In
ihren Visionen sehen sie die Morde der Zukunft voraus.
Die Namen von Täter und Opfer werden in Holzkugeln
graviert. Auch der Zeitpunkt der zukünftigen Morde ist
bekannt. Weiterhin kann die Polizei die Bilder ihrer
Visionen heranziehen, um die (zukünftigen) Täter zu
ermitteln. Sie werden verhaftet und ohne Prozess in
„Verwahrung“ gebracht, das heisst in einen künstlich
herbeigeführten Zustand ständiger Bewusstlosigkeit.

D ie britische Homicide Prevention Unit (HPU), eine


2004
Police
gegründete Abteilung des Metropolitan
Service, versucht mithilfe von
Persönlichkeitsprofilen potentielle Gewalttäter zu finden. Seit
2006 wird geplant, so als potentielle Gewalttäter eingestufte
Personen auch unter Umständen präventiv zu verhaften. Das
heißt, es gibt in England eine Behörde, die basierend auf
phantasierte Mutmassungen ein Dutzend unschuldiger Bürger
für zwei Jahre in Untersuchungshaft nehmen kann, dabei
Millionen unschuldiger Reisenden schädigt und sich danach
nicht einmal für seine Taten bei den Geschädigten
entschuldigen muss. Dorthin will ich auf keinem Fall mehr
reisen...

13
14
3 Ein steinerner Kreuzer
Samstag, 12 August 2006,
am frühen Morgen gegen 6:55 Uhr

I ch habe mich heute bereits um 5.30 Uhr im Londoner


hotel wecken lassen um rechtzeitig den Zug nach
Heathrow zu erreichen. Ich schleppe das Gepäck zur
nahe gelegenen U-Bahnstation und hieve das schwere Zeug an
Bord der schmalen Wagons. Es stehen bereits einige herrenlose
Gepäckstücke herum und in den überfüllten Sitzräumen ist
keinesfalls Platz für Gepäck vorgesehen. Wer als Terrorist
einen Anschlag plant findet in der U-Bahn jedenfalls eine
ausgezeichnete Gelegenheit zu seiner Tat, denn nirgendwo wird
Gepäck kontrolliert. Jeder Verrückter könnte in einem solchen
Zug mühelos zwei Koffer voller Sprengstoff platzieren und
beim nächsten Bahnhof unauffällig wieder aussteigen.
Misstrauisch beäuge ich bei jedem Halt mein Gepäck, denn
einen schnellen Griff einer Diebeshand könnte ich bei der
Abfahrt kaum verhindern. Die britische Reisenden haben
jedoch am frühen Samstagvormittag andere Sorgen und nach
einer guten Stunden erreichen wir Heathrow Airport.

B eim Aufstieg aus den Katakomben der Bahnstation


Heathrow werden meine Augen förmlich wie unter
den Klängen von "Also sprach Zarathustra" erinnert
an dem Auftauchen des Flugzeugträgers "Aurora" in einem
futuristischen Film. Wie ein steinernes, grau gefärbtes
Schlachtschiff taucht das Terminal 110 vor meinen Augen auf

10
Bis zur katastrophalen Einweihung des Terminals 5 war Terminal 1
reserviert für die Abflüge der Imperial Airways.

15
als die Rolltreppe meine Füße ans Tageslicht stemmt. Zuerst
erblicke ich das bedrohlich schnell drehende und all-sehende
Radarauge – Gott-sei-dank ist wichtigste Organ des einäugigen
Wotans noch unversehrt! - und dann folgt das Oberdeck mit der
imposanten Kommandobrücke. In dieser Zentrale muss ein
unsichtbarer tapferer Kapitän das waffenstarrende Arsenal
gegen unseren Feinden lenken oder versenken. Schwarze
Löcher verdecken die Geschützmündungen und es liegt eine
finstere Ruhe in der Luft. Nicht einmal das Röhren eines Jets
zerstört die Todesstille. Es ist halt ein Samstagmorgen, ganz arg
früh und vernünftige Leute liegen zu dieser Stunde noch in
Bett...

D as Kriegsschiff trägt keine Flagge, denn es ziemt


sich nicht für einen Freibeuter seine Identität
vorzeitig frei zu geben. Lieber wartet er und zeigt
erst sein Piratenbanner sobald das Opfer krepiert ist. Dann
kommt seine große Stunde und erst dann hisst er seine Fahne
mit dem Schädel und gebleichten Knochen. Denn die Kinder
wollen im Urlaub etwas erleben und in Heathrow ist immer
was los...

U mgeben wird das Terminal 1 durch tiefen


Verteidungsgräben, die in die Katakomben der
Garagen führen. Über den Gräben liegen beidseitig
drei bis vier Landungsstege, die normalerweise den
Passagieren für den Zugang zur Verfügung stehen. Heute
jedoch stehen an jedem Zugang einige schwer bewaffneten
Kämpfer, die bereits aus großer Entfernung durch ihrer Haltung
jeglichen Zugang ablehnen. Das Schlachtschiff ist in einer
Abwehrschlacht verwickelt und darf gerade jetzt nicht gestört
werden.

16
A nkommende Passagiere quellen ständig wie frische
Würste aus den U-Bahnschächten und beginnen
stockend zu fließen. In Ermangelung eines Ziels und
Bewegungsfreiheit bugsieren sie sich nun alle gegenseitig in
ein großes weißes Zelt, das freundliche Geister für die
Zuschauer errichtet haben. Das längliche Zelt ist offensichtlich
bereits seit Monaten in Betrieb. Am Eingang befinden sich
freundlich lächelnde Stewardessen der All-Italia und Aero
Francia, die Kaffee, Thee und Kekse verteilen. Im hinteren
Bereich befinden sich zwei Baustellen-Klos, eines für
Männchen, das andere für die Weibchen, denn sie sind bereits
jetzt äußerlich so verdreckt, dass man nur weniger
empfindlichen Tierarten hinein scheuchen möchte. Unmittelbar
neben dem Klo-Häuschen lagern Paletten mit Keksen, die zum
Schutz gegen unliebsame Geschmacksbildung dürftig mit
Plastikwickeln geschützt sind. „Willkommen auf Heathrow
Airport“ steht auf einem Banner am Schlachtschiff.

G roße Stapel mit Decken, Kissen und Iso-Matten


bereiten die ankommenden Passagiere auch wortlos
auf mehrtägigen Übernachtungen vor. Mir wird
spätestens jetzt die Tragweite der Situation klar. Meine frühe
Ankunft ist sicherlich ein Glücksfall, denn nun kann ich mich
wenigstens mit Schlafdecken und Nahrung eindecken. Ich
selektiere zwei saubere Iso-Matten, denn viele haben in den
vergangenen Wochen auf einer Wiese Schlamm angesammelt
und sind dreckig. Die Decken stammen offensichtlich aus den
Beständen für die Erste Klasse-Passagiere, aber auch hier sind
einige bereits elendlich verdreckt. Ich fische zwei der Besten
heraus. Einstecken kann ich für Notfälle noch zwei Alu-Packs,
die man normalerweise als Ersthilfe zur Abdeckung für
Schockpatienten benötigt.

17
D ie Vorräte schmelzen wie Butter in der Sonne und
innerhalb von einer Stunde ist das Lager leergefegt.
Sogar die dreckigen Decken und Matten finden
Abnehmer. Inzwischen setzt ein Nieselregen ein. Manch einer
entfaltet bereits jetzt seinen Cape aus Aluminiumfolie um sich
gegen den Regen und gegen den kalten Wind zu schützen. Das
ist der Sommer in Heathrow Airport.

I m Zelt setze ich mich am Tisch mit einem bärtigen


Globetrotter, der nach Amsterdam gebucht hat. Er ist
etwas über 30, heißt Sigi aus Siegen und verfügt als alter
Trapper über einiges an Reise-Erfahrung. Er hat lediglich einen
riesigen Rucksack und zwei Plastiktüten voller Verpflegung
dabei. Ich frage ihm, was er denn von der Situation hält.

"Sieht gar nicht gut aus. Wir sind wohl in ein Heathrow
Hassle gelandet", meint er nachdenklich.

"In einem Heathrow Hassle? Was ist denn das?"

"Bei einem Heathrow Hassle organisiert der Platzhirsch


der britischen Luftfahrt Imperial Airways das ultimative
Chaos. Dabei storniert er alle Flüge für zwei Tage und
schließt den Flughafen komplett. Das Personal wird
dabei in den Urlaub geschickt. Sollen doch die
Passagiere zusehen wo sie bleiben."

"Wirklich? Gibt es denn dagegen keine Gesetze? Ich


denke Passagiere werden heutzutage gegen solcher
Willkür geschützt!"

18
"Nicht bei den britischen Fluglinien. Die haben als
Kolonialherren und Weltmacht Sonderrechte. Schau
mal wer hier den Service gestaltet. Es sind nur All-Italia
und Aero Francia. Du wirst hier am Flughafen keinen
einzigen britischen Bediensteten sehen. Die fürchten
sich nämlich vor ihren gestrandeten Passagiere."

"Angst vor Passagiere? Das kann ich nicht glauben!"

"Die Angst stammt aus der Zeit des Kolonialreiches,


ehe die Kulis die Engländer aus Indien, aus Rhodesien
und Südafrika hinaus geschmissen haben. Die
Engländer haben nie gelernt mit ihren Kulis
umzugehen. Wenn es brenzlig wird, bauen sie immer
einen Wagenburg und igeln sich ein. Terminal 1 wurde
gebaut wie eine Wagenburg. Die Laufstege sind genau
genommen Zugbrücken, die man durch Sprengung
gezielt hochgehen lassen kann. Dann ist die Burg
uneinnehmbar."

"Da hast du Recht", sage ich, "Es ist wirklich eine


Burg."

"Völlig isoliert ist sie jedoch nicht. Ich kenne einen


Weg vorbei an den Wachen in die Burg hinein. Wenn
du willst kann ich dir den Weg zeigen. Es ist völlig
legal. Soll ich es dir zeigen?"

"Ah, wunderbar. Dann erreiche ich vielleicht doch noch


meinen Flug!"

19
„Dann nimm dir reichlich Schlafzeug und Verpflegung
mit. In der Halle gibt es nämlich nichts mehr.“

I ch bin nicht all zu schnell, denn ich schleife einen


schweren Koffer, trage einen überfüllten Rucksack und
auch noch eine Badetasche in der Hand. Zudem hantiere
ich zwei Iso-Matten und Decken, dazu einige Packungen
Keksen und Getränken. Die gesamte Last bricht mir fast das
Kreuz. Zehn Schritte vor mir dreht Sigi sich um und deutet mir:
"Einfach unauffällig folgen!"

20
4 In der Hölle des Deathrows

Samstag, 12 August 2006,


am frühen Morgen , 7:45 Uhr

Z uerst strebt Sigi auf die U-Bahn-Treppe zu. Ohne


Zögern nimmt er die Rolltreppe hinunter und
wechselt im Untergrund vom abfahrenden auf den
ankommenden Bahnsteig. Dort wartet er bis ich ihn humpelnd
erreicht habe und zeigt mit einer Hand voller Plastiktüten auf
einen dunklen Gang der direkt in die Finsternis führt.

"Dort liegt das Paradies!", grinst er mir zu, "Dort liegt


der Direktweg nach T1, den wir jetzt nehmen."

E r geht voraus und wir betreten ungehindert den


unterirdischen Gang, der im Vergleich zum U-
Bahnbereich kaum ausgeleuchtet wird. Nur wenige
Personen begegne ich auf diesem Weg. Wir erreichen nach
etwa zwanzig Metern einen Aufzug und drücken den aufwärts
gerichteten Pfeil. Sie leuchtet hellrot auf und öffnet nach
einigen Sekunden eine leere Aufzugkabine.

"Das ist wie schwarze Magie!", flüstere ich ihm zu um


nicht im letzten Augenblick den Zauber zu verstören
und drücke auf die Taste "Terminal 1-Abflug".

21
D ie Türe schliessen sich und machen uns nach
wenigen Sekunden den Weg frei ins Terminal 1. Wir
verlassen den Lift hinter den Rücken der postierten
Soldaten. Ich fühle mich wie ein Spion auf dem Weg zwischen
den feindlichen Reihen.

"Das ist ja unglaublich", sage ich erstaunt.

"Genau genommen könnte jeder Depp hier mit einer


Kalaschnikov11 hereinspazieren!", fügt Sigi hinzu. "Jetzt
bist du im T1, das nur von deiner Fluglinie benutzt
wird. Versuche nun einfach die Imperial Airways zu
erreichen und deinen Flug um zu buchen! Ich muss
mich in Terminal 4 bei der KLM melden. Ich wünsche
dir alles Gute und viel Glück!"

W er nun meint, dass die Halle des Terminals 1 leer


sei irrt sich allerdings ganz gewaltig. Das Gebäude
ist bereits brechend voll mit Kofferschleppern.
Einige wenige Mädchen mit gelben Schürzen und einem
gejagten Blick in den fiebrigen Augen eilen herum und drücken
jedem Willigen einen Handzettel in die Hand. Darauf lese ich:

Dear Customer,

Auf behördlicher Anweisung möchte Imperial Airways


ihre Passagiere davon informieren, dass kein einziges
Flugzeug mit Handgepäck betreten werden darf.
Aufgrund zusätzlicher Kontrollen können wir unseren
Flugplan nicht einhalten.

11
Sturmgewehr aus russischer Produktion

22
Falls Ihr Flug vor 1750 Uhr stattfinden sollte, können
wir Sie leider nicht einchecken. Eine Ausnahme bilden
die Langstreckenflüge, die normal fliegen.

Falls Sie von den Massnahmen betroffen sind sollten


Sie sofort den Flughafen verlassen und mittels
nachfolgender Telefonnummer die Umbuchungszentrale
anrufen, wo man Ihren Flug umbuchen wird. Sie
können ihren Flug aber auch auf BA.Com umbuchen.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie
KEINESFALLS an einer Theke umbuchen können.

0800 727 800 oder 0870 8509850

Gestrandete Passagiere erhalten bei Vorlage einer


Quittung einen Check von 100 Pfund (pro Zimmer - mit
2 Personen Belegung) und 25 Pfund fürs Mahlzeiten.
Erste-Klasse Passagiere dagegen erhalten sogar 150
Pfund (pro Zimmer - mit 2 Personen Belegung) und 40
Pfund für Mahlzeiten.

D ie Notiz wurde unterschrieben von Ruth H,


Customer Service Manager Terminal 1 und trägt
bereits die Version 8. Man kann deshalb nicht sagen,
dass Imperial Airways sich keine Mühe gibt. Sie haben an
diesem Vormittag immerhin bereits acht Zettelversionen
geschrieben.

23
A uffällig an diesem Zettel und auch an den später
noch zu diskutierenden Air Passengers Rights ist
das Fehlen jeglicher Hinweise auf die sogenannte
Höheren Gewalt12, die basierend auf der heutigen EU-
Rechtsprechung einer Airline zur Ablehnung jeglicher
Verantwortung für die Lage des Kunden berechtigt.

N un kam die Stunde, an dem sich mal wieder meine


Verdauung meldete. Ich musste mal wieder. Ich bin
zwar nicht übermässig corpulent, aber haben Sie
schon mal versucht mit einem Koffer, einem Rucksack, einer
Badetasche, einer Plastiktüte voller Kekspackungen und zwei
widerspenstigen Iso-Matten eine standard Flughafentoilette zu
betreten? Nun, das ist in Heathrow's Terminal 1 Bestandteil der
Abenteuerreise. Bei diesen Gelegenheiten kann ich Ihnen
übrigens die Behindertentoilette im ersten Stock hinter der Bar
bestens empfehlen...

12
Brit. : Act of God

24
5 Heathromania (Heathrowmania)13

In Terminal 1 treiben allerlei Koboldwesen


Schabernack. Dort werden Telefone plötzlich sprachlos,
es kippen überall Getränkebecher über verlassenen
Tatstaturen.

A
vertrauliche
n keinem Flughafen werden weltweit so viele
Tastaturdefekte oder Schäden an Telefonanlagen
gemeldet wie am Flughafen Heathrow. Eine
Risikoanalyse des britischen
Versicherungsunternehmen McLloyds ergibt, dass statistisch
gesehen in Terminal 1 täglich 2,25 Computerterminals und 3,1
Telefongeräte zerstört oder beschädigt werden. Niemand kann
sich diese Häufung erklären. Manche Analysten vermuten
einen Zusammenhang mit den Heathrow Hassles, aber
offizielle Stellen lehnen diese These ab mit der Begründung,
dass während den Heathrow Hassles kein einziger Arbeitsplatz
besetzt sei. Es fehle der Personenkreis, der Zugang zu den
wertvollen Arbeitsgeräten habe...

S uchtexperten untersuchen den Zusammenhang


zwischen den Zerstörungen und hysterischen
Fingerbewegungen der frustierten Angestellten, die
eine ungewöhnliche Anzahl wütender Kunden zu betreuen
haben.

13
Heathromania ist die klaustrofobische Version der Lufthafenhysterie
(Hysteria Aeropuertensis), die sich bei Männern äußert in aggressivem
Zerstörungswut, beziehungsweise in gelassener Apathie (bei Müttern) oder
in unablässigen Weinkrämpfen (bei unverheirateten Frauen).

25
A m Flughafen Heathrow gibt es verschiedenen
mentalen Störungen, die gerade dort ohne großen
Aufwand beobachtet und studiert werden können,
da genügend Testmaterial zur Verfügung gestellt wird. Nahezu
täglich werden Angestellte mit hysterisch weinenden
Passagieren konfrontiert. Das ist wissenschaftlich gesehen
allerdings leicht erklärbar. Zunächst einmal diagnostizieren wir,
dass während einem Heathrow Hassle gestrandete Passagiere
infolge der hilflosen Lage ihre gewohnte Mobilität verlieren
und sich wie eingeschlossen in einer Gefängniszelle mit einem
langwierigen Aufenthalt in einer feindlichen Umgebung
zurecht finden müssen.

G ewiss können Sie mit dem Zug nach London fahren


und sich dort für 250 Pfund pro Person eine Nacht
einquartieren lassen. Dadurch gewinnen sie
immerhin zu erheblichen Kosten einen Tag Aufschub des
anschließenden Pennerdaseins. Anschliessend verbleibt einem
aber nichts anderes als tatsächlich zum verdreckten Tramper zu
werden, der immerhin noch zwei gültigen Kreditkarten, drei
Packungen britische Keksen, vier Büchsen Kola und insgesamt
20 Kilogramm Gepäck herum trägt. Am Heathrow Hassle
mutiert er nun zum Edelpenner, der an einem Flughafen
geschlechtsspezifische Ausprägungen aufweist.

I n freier Wildbahn wird dem Penner gemeinhin eine


gelassene Apathie zugeschrieben, der oft mit erhöhtem
Alkoholkonsum und Nahrungsverzicht einhergeht. Eine
solche Variante kann man natürlich auch im Lufthafen
Heathrow beobachten, insbesondere bei älteren Personen des
weiblichen Geschlechts.

26
M ännliche Passagiere dagegen neigen dagegen in
solchen Situationen zu Wutausbrüchen, die sich in
Gebrauchsgegenständen entladen. Auffällig an
Heathrow sind jedoch die Personen, die hysterisch weinen.

M ediziner haben diese Krankheitsbilder gesammelt


unter dem Begriff Heathromania als die
klaustrofobische Version der Flughafenhysterie
(Hysteria Aeropuertiensis), die sich bei Männern äußert in
aggressiver Zerstörungswut, beziehungsweise in gelassener
Apathie (bei Müttern) oder in unablässigen Weinkrämpfen (bei
unverheirateten Frauen). Es gibt noch eine vierte Form der
Hysterie, die sich insbesondere bei androgynen14
Persönlichkeiten ausprägt und sich in der einfachsten Variante
als aggressive Form der weiblichen Hysteria charakterisieren
lässt, die sich speziell bei Supermodels und Popstars
herausbildet. Demnach ist diese Lufthafenkrankheit eine
spezielle Ausprägung der Hysterie.

D er Begriff Hysterie15 erscheint unter anderem


deshalb problematisch, weil ihm eine pejorative16
Bedeutung anhaftet, die mit der vorgeblich
geschlechterspezifischen Bindung zusammenhängt, weshalb
man heute eher den Begriff „Konversionsstörung“ für o. g.
14
Androgyn zweigeschlechtlich, sowohl weibliche, als auch männliche
Eigenschaften aufweisend
15
Fachbegriffe wurden aus dem Eintrag „Hysterie“ der deutschen
Wikipedia übernommen
16
Ein Pejorativ (lat. peiorare „schlecht machen“ von peior „schlechter“) ist
ein Wort mit abwertender, herabsetzender Bedeutung, im Extremfall als
Schimpfwort.

27
Symptome verwendet. Sehr lange wurde Hysterie sogar als
eine ausschließlich bei Frauen auftretende, von einer
Erkrankung der Gebärmutter ausgehende psychische Störung
verstanden. Frauen, die unter Hysterie leiden, weisen diesem
Krankheitsverständnis nach häufig bestimmte Persönlichkeits-
merkmale auf (ichbezogen, geltungsbedürftig, kritiksüchtig,
unreflektiert etc.). Dies schlägt sich konkret noch heute in den
Arzneimittelbildern der Homöopathie nieder.

D ie Symptome der Hysterie werden als subtiler


Kampf gegen eine männlich-dominante Übermacht
gedeutet, im Falle der Hysteria Aeropuertiensis
eben die Imperial Airways, die sich offensichtlich als
männlich-dominante Macht präsentiert. Die Pathologisierung
und eine Behandlung ließen diese Verhaltensweisen einerseits
als Krankheit gelten, gleichzeitig jedoch stellten sie die
angegriffene Übermacht auf anderer Ebene wieder her. Dies
kam beiden Seiten der Arzt-Patient-Beziehung, der Patientin
und dem Arzt, entgegen.

D ie Hysterie gilt als die älteste aller beobachteten


psychischen Störungen. In den antiken
Beschreibungen der Hysterie in altägyptischen
Papyri wie bei Platon und Hippokrates wird die Ursache der
Krankheit in der Gebärmutter gesehen. Konzeptionell ging man
davon aus, dass die Gebärmutter, wenn sie nicht regelmäßig
mit Samen (Sperma) gefüttert werde, im Körper suchend
umherschweife und sich dann am Gehirn festbeiße. Dies führe
dann zum typischen „hysterischen“ Verhalten. Die Lösung
heißt im Altertum: „Nubat illa – et morbus effugiet“ (Sie soll

28
heiraten, dann wird die Krankheit verschwinden)17. Vielleicht
besteht in diesem Sinne auch eine Korrelation zur hohe Zahl
der Teenagern, die in England jährlich in ihrer Sucht nach
Geborgenheit vorzeitig schwanger werden. Nirgendwo sonst ist
die Zahl der schwangeren Teenagern so hoch wie in England.
Ein Zusammenhang zwischen Schwangerschaften und einem
Aufenthalt der Kinder auf Heathrow Airport während einem
Heathrow Hassle wurde bisher noch nicht untersucht.

D em einfachen Modell von Hippokrates widersprach


jedoch erstmals der englische Arzt Thomas
Sydenham (1624-1689), auch Charcot und Freud
wiesen darauf hin, dass Hysterie nicht ausschließlich eine
Frauenkrankheit sei.

P aul Julius Möbius definierte (1888) die Hysterie


provisorisch als alle diejenigen krankhaften
Erscheinungen, die durch Vorstellungen verursacht
sind. Dies entsprach der allgemeinen Definition der Hysterie
vor 1895 und erfasste praktisch einen Großteil aller
psychischen Erkrankungen. Das Krankheitsbild war also sehr
unspezifiziert und umfangreich. Übergeordnetes Merkmal der
Hysterie war damals bereits das Fehlen somatischer Ursachen,
welches heute allen psychogenen Krankheiten zugrunde liegt.
So wurde sie im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert
besonders häufig diagnostiziert.

17
Die Weltgeschichte der Sexualität, Morus (1957)

29
S pätestens seit den ersten Heathrow Hassles in der
zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wissen wir,
dass die Hysteria Aeropuertiensis eine vielschichtiges
pathologisches Muster aufweist, dass speziell von der
britischen Imperial Airways ausgeht. Das typische
Krankheitsbild wirkt insbesondere in Heathrow ausgeprägt,
weil die Mitarbeiter der britischen Airline jeglichen Kontakt
zum gestrandeten Kunden meiden. Man spricht in diesem Falle
auch von der sogenannten Heathromania oder von der
Englischen Flughafenhysterie (Hysteria Aeropuertiensis
Britanniensis).

B etroffene Patienten erfahren die Hysterie immer als


eine Grenzerfahrung. Während sie im positiven
Bereich (Auftreten eines geliebten Künstlers) als
Lebensbereicherung eingestuft wird, gilt sie im negativen
Bereich als existenzbedrohend. Insofern müssen die stoische
Reaktionen der britischen Bediensteten generell zu den
wichtigsten Verstärkungsfaktoren der Englischen
Flughafenhysterie gerechnet werden. In Extremfällen kann die
Hysteria sogar als lebensbedrohend empfunden werden...

30
6 Eingeigelt in der Wagenburg
Samstag, 12 August 2006,
am Nachmittag, 13:00 Uhr

M an fordert mich sofort auf Heathrow zu verlassen


und in die Stadt zu fahren. Der Lufthafen sei
geschlossen. Ich rufe in London an beim Hotel,
das ich gerade heute morgen verlassen habe.

„Guten Morgen. Mein Name ist Franziskus Kavvka. In


der vergangenen Nacht war ich bei Ihnen zur Gast.
Haben Sie vielleicht freundlicherweise in der
kommenden Nacht noch ein Zimmer für mich?“

„Unser Hotel Thistle ist für die nächsten Tage komplett


ausgebucht, Herr Kavvka, aber wir haben in London
sicherlich ein Zimmer für Sie!“

„Was kostet ein Zimmer in der Nähe Londons in etwa?“

„Etwa Zweihundertfünfzig Pfund pro Person.“

„Ach ja, dann mal vielen Dank für Ihre Auskunft.“

I ch lasse mich aber nicht abwimmeln. In der Stadt habe


ich keine Bleibe. Ich werde erst mal versuchen den
Schalter für die Imperial Airways zu finden. Die Airline
hat sich aber in der Halle bereits eingeigelt. Lediglich wenige
blutjunge Mädels bilden den Mittelpunkt in Passagiertrauben.

31
O ffensichtlich hat man absichtlich die 16-jährigen
Lehrlinge ausgewählt für den Spießrutenlauf, denn
man wird sie in der Regel bemitleiden und nicht
allzu sehr belästigen. Sie verteilen Handzetteln mit
Telefonnummern. Auf diesen Nummern stellt die Airline einen
Umbuchungsservice zur Verfügung. Die Umbuchung
funktioniere nur unter diesen Nummern oder im Internet.
Andere Lösungen gibt es nicht. Die Telefonnummern
funktionieren an den zahlreichen Telefonzellen nicht. Einige
Zellen nehmen die Nummer gar nicht an, andere melden einen
Besetztton oder "Kein Anruf unter dieser Nummer". Obwohl es
in der riesigen Halle eine beachtliche Menschenmenge gibt, ist
es eigentlich erstaunlich ruhig.

D as übrige IA-Personal befindet sich im


verschlossenen Kabuff18 mitten in der Halle, bildet
eine Wagenburg im Kreis mit den Rücken nach
aussen und qualmt. Dicke bläulich-grauen Rauchschwaden
steigen aus deren Mitte wie aus einem Lagerfeuer. Man
unterhält sich prächtig und diskutiert vermutlich das übliche
Chaos, das anstehende Wochenende, Börse, Autos, Fußball und
Weibergeschichten.

18
Kabuff ist eine unter dem Einfluss des Wortes Kabuse entstandene
Streckform des mittelniederdeutschen kuffe, küffe oder kiffe (kleines,
minderwertiges Haus).

32
I ch stelle mich an der vergitterten Theke und schiebe mal
prüfend das Rollo nach hinten. Es ist sehr stabil und wer
es herausdrücken will muss schon auffällig werden.
Gelegentlich schaut ein IA-Mitarbeiter über die Schulter zur
Theke, dreht sich wieder um und bringt die Meute zum Lachen.
Offensichtlich sind die Herrschaften die Situation eines
Heathrow Hassles gewohnt.

33
34
7 Nix Handies

Samstag, 12 August 2006,


Am Nachmittag, 15:15 Uhr

K eine Reaktion nach der dreissigsten Anwahl. Um


15:15 hätte mein Flug nach Stuttgart abheben
müssen. Von Imperial Airways steht mir keine
einzige Information zum weiteren Vorgehen zur Verfügung. Ich
gehe zu einem Passagier, der offensichtlich an einem anderen
Telefon erfolgreich Kontakt aufgenommen hat und frage ihm
nach dem Gespräch, das er offensichtlich mit dem Ausland
geführt hat, wie er die Umbuchung zustande gebracht hat. Das
ginge ja mit den ollen Geräten in Terminal 1 nicht.

"Das werden Sie auch gar nicht schaffen", lächelt er.


„Die Umbuchungszentrale ist nur per voll
aufgeladenem deutschen Handy über einer
Auslandsleitung erreichbar. Die Nummern auf den
Handzetteln funktionieren bei Niemandem“.

W eil ich kein Handy habe, versuche ich es nochmals


mal an einer anderen, freien Telefonzelle. Auch
dieses Gerät verweigert schon nach den ersten
Ziffern die Verbindung überhaupt aufzubauen und antwortet
mit "Kein Anschluss unter dieser Nummer". Da kommt aber
nochmals eine IA-Assistentin mit den Handzetteln vorbei.

35
"Hallo, Miss, die hier angegebene Telefonnummer zum
Umbuchen funktioniert nicht. Können Sie vielleicht
weiterhelfen? Ich kann zwar nicht mit den hier
herumstehenden Telefonzellen umbuchen, aber es soll
dafür mit Handys möglich sein."

"Nein, das geht nicht. Ich bin in Eile und habe viel zu
tun. Sie sehen doch was hier los ist."

"Könnten Sie nicht bitte mal diese Nummer hier in


Ihrem Handy anwählen".

"Wir haben gar keine Handys. Wir sind nur dazu da,
diese Handzettel zu verteilen. Und jetzt entschuldigen
Sie mich bitte!"

W eg war sie, die kleine, fixe Putzfrau mit den


wertlosen Zetteln, die lediglich
Telefonnummern zum Umbuchen enthielten.
zwei

Das soll etwa die viel gepriesenen britische Höflichkeit sein?


Das ist eher ein primitiver Abwimmelversuch. Ich gehe
nochmals zu einem Telefon, diesmal auf einer verlassenen
Theke und versuche die Nummer zu wählen. Aber auch hier
kommt keine Verbindung zu Stand.

M an sollte gar nicht glauben, welche ohnmächtige


Energie bei einer richtigen Wut langsam frei wird.
Insbesondere dann, wenn offensichtlich wird, dass
eine finstere Organisation diese Art des Terrors bereits längst
geübt und erprobt hat.

36
K eine der IA-Mitarbeiter wirkt überrascht. Sie sind
alle erfahren und wissen ganz genau, wie man die
Passagiere aus dem Weg geht. Nicht einmal
Behinderte oder Hysterische werden beachtet. Sollen doch die
Deppen sich gegenseitig weiterhelfen...

37
38
8 Die Flugpassagierrechte

Es kam ein Bauer aus Hindelang, manche sagen aus


Sonthofen, das ist egal, er wurde Manni genannt. Kaum
geboren, flog er aus Jux nach Heathrow und ist dort
vor Hunger krepiert. Das ist sein Lebenslauf...19.

I m Eingangsbereich der Halle fand ich durch Zufall eine


Tafel mit den Flugpassagierrechten. Wer das liest würde
meinen, dass die Fluggesellschaft ihm irgendwie zur
Hilfeleistung verpflichtet ist. So steht einem gestrandeten
Passagier theoretisch alles mögliche zu:

• Mahlzeiten,
• Kostenlose Telefone,
• Hotelbetten,
• Frühstück,
• Kostenlose Umbuchungen,
• Rückerstattung der Mehrkosten innerhalb 7 Tage,
• und so weiter...

N
19
ichts von alledem gilt jedoch in Heathrow. In dieser
Vorhölle darf man schon froh sein zu überleben. Ein
Recht hat hier ohnehin kein einziger Passagier.

Frei nach einem Märchen von Hans Christian Andersen (1932):


„Es kam eine Ente aus Portugal, manche sagen aus Spanien, das ist einerlei,
sie wurde die Portugiesische genannt, sie legte Eier, wurde geschlachtet und
aufgetragen; das ist ihr Lebenslauf“.

39
W ir sind hier in einer Räuberhöhle belandet, wo nur
die Räuber das sagen haben. Woanders am Horn
von Afrika greift wenigstens die Marine ein und
schützt ihre Untertanen und Steuerzahler. In London jedoch
herrscht die nackte Gewalt. Niemand wird hier überhaupt einen
unbescholtenen Bürger beschützen. Die einzige Methode der
Airline Anstand beizubringen besteht offensichtlich in der
Methode den Täter soviel wie nur möglich durch
Negativwerbung, Postsendungen und Anfragen zu schädigen
und niemals mehr eine Dienstleistung von diesem Verein in
Anspruch zu nehmen.

Schlichtungsstellen

B eim Lösen der gelegentlich auftretenden Probleme


kann der Kunde leicht feststellen, wie man eine
schlichtungsbereite von einem knallharten
Unternehmen unterscheiden kann. Eine schlichtungsbereites
Transportunternehmen ist daran interessiert einen Gast
mehrmals zu bedienen, während die knallharte Firma lediglich
ihren eigenen Gewinn im Auge behält. Eine Ablehnung der
Schlichtung ruft bei den Betroffenen grundsätzlich eine
Ablehnung gegen jeglichen weiteren Kontakt mit diesem
Transportunternehmen auf.

D ie vom Bund bis Ende 2009 finanzierte


Schlichtungsstelle Mobilität kennt die Problematik
und hat eine Liste der zur Schlichtung bereiten
Firmen zusammengestellt. 10.000 Reisende haben seit der
Gründung 2004 versucht eine Klage schlichten zu lassen und
Schäden zu begleichen. Das gelingt jedoch nur wenn, die
Firma/Airline sich zu Zusammenarbeit mir einer
Schlichtungsstelle bereit erklärt.

40
D ie Unternehmen profitieren von der
außergerichtlichen Schlichtung, weil Kunden und
Kundinnen, die durch den Ärger bei ihrer Reise
schon eine stark ablehnende Position gegenüber dem
Unternehmen eingenommen haben, nun durch die
Bemühungen der Schlichtungsstelle beschwichtigt werden.
Kundenbindung und Imagegewinn sind eindeutig die Vorteile
auf Unternehmensseite.

K •
ooperationsbereitschaft, Schlichtungsbereitschaft
und Kundenfreundlichkeit zeigen diesbezüglich
etwa 100 Firmen, darunter:

Deutsche Bahn,
• KLM,
• Air France und
• American Airlines.

K •
eine Kooperationsbereitschaft, keine Schlichtungs-
bereitschaft und keine Kundenfreundlichkeit zeigen
diesbezüglich insbesondere:
Deutsche Lufthansa,
• Air Berlin,
• British Airways,
• Imperial Airways,
• Easyjet,
• Germanwings und
• Ryan Air.

41
D ie Schlichtungsstelle wurde von mir bereits zu
einem frühen Zeitpunkt kontaktiert, hat jedoch
sofort signalisiert, dass die Imperial Airways zu den
Hardlinern gehört, die ihre Interessen nur mit versierten
Anwälten durchsetzen. So blieb mir leider der Schlichtungsweg
verschlossen. Das alles war mir am 12. August 2006 noch
unbekannt und sollte mir erst später erklärt werden. Zu dieser
Zeit wurde meine Tageseinteilung von unfreundlichen,
finsteren Mächten regiert, die durch Eskalation eine
Eigeninitiative herausforderten...

42
9 An der Empfangstheke

Samstag, 12 August 2006,


Am Nachmittag, 15:30 Uhr

I n der Halle von Terminal 1 hängt oberhalb einer Empore


mit einem Schnellimbiss eine riesige Anzeigetafel mit
den Abflugzeiten. Weil heute ohnehin nix mehr geht,
zeigt sie immerhin die Abflugzeiten für den Sonntagmorgen an.
Alle Flüge der Imperial Airways sind bereits jetzt storniert. Das
kann ja Eiter werden. Ich steige mit meinem schweren Gepäck
die Treppe hoch zur Empore und sehe, dass die Tafel mit einer
primitiven Steckdose gespeist wird. In meiner ohnmächtigen
Wut überlege ich noch den Stecker zu ziehen um die Airline
darauf hin zu weisen, dass hier immer noch gestrandete
Passagiere auf Hilfe warten und man als Airline nicht einfach
in den Feierabend fahren kann.

I ch gehe hinunter zur Rezeption des Terminals 1. Hier


sitzt eine ängstige Empfangsdame, die mich voller
Misstrauen beäugt. Sie hat eine verkürzte Oberlippe,
aber einen wulstigen Busen, die sie beide zu verbergen
versucht. Ich erkläre ihr, dass die Umbuchungstelefone nicht
funktionieren und niemand von Imperial Airways ansprechbar
sei.

"Tut mir Leid, Sir", sagt sie kurz, " ich kann Ihnen nicht
weiterhelfen. Versuchen Sie ein anderes Telefon. Es gibt
ja genug davon."

43
"Ich habe bereits zwanzig bis vierzig Geräte
ausprobiert", antworte ich verärgert, "keines von diesen
Dingern funktioniert. Sind wir hier vielleicht in einem
technischen Museum?"

"Ich weiß", bestätigt sie dann, "aber ich kann da nicht


weiterhelfen".

"Könnten Sie es bitte mal von Ihrem Telefon aus


probieren?"

"Nein, das geht leider nicht. Wir sind für die


Umbuchungen nicht zuständig".

Wahrscheinlich macht sich die Tante schon in die Hose, denn


sie schaut bereits zum zweiten Mal über meiner Schulter
hinweg in die Ferne. Es schlendert nun ein Wachhabender
heran mit einem Gummiknüppel.

"Gibt es Probleme?", fragt er in die Runde, während er


die Decke beobachtet, als ob es dort Spatzen gäbe.

"Nein, nicht wirklich!", erholt sich die Empfangsdame


und atmet zuvor tief ein, als ob der Wachmann eine
Prise Frischluft vorbei bringt...

44
10 Hallo, hallo, ...!

Samstag, 12 August 2006,


Am Abend um 17:30 Uhr

"Hallo, Hallo, ...!"

"Ja, wer spricht da?"

"Hier ist die Turbinenwartung, Williams!"

"Könnten Sie mich bitte mit der Umbuchungszentrale


verbinden?"

"Das geht aber nicht. Wie kommen Sie verdammt noch


mal überhaupt in unser Netz hinein! Wir sind keine
Telefonzentrale!!"

"Das weiß ich. Ich bin aber ein gestrandeter Passagier,


der nirgendwo Hilfe findet und keine Umbuchung
zustande bringt. Das haben Sie davon wenn ihre Firma
nicht in der Lage ist einen ordentlichen Service auf die
Beine zu stellen... Ich werde solange suchen, bis ich auf
diesem verdammten Telefon die Umbuchungszentrale
erreiche!"

"Ach was. Stellen Sie sich nicht so an und stören sie


uns bitte nicht!
<klick>"

45
Abbildung 1: Nachtlager auf Heathrow Airport

I ch habe mein Nachtlager in einer Art Gepäckschalter


eingerichtet. Die Ecke ist zugfrei und relativ warm im
Vergleich zu den übrigen Flächen. Der Gepäckschalter
verfügt über einer Theke, die natürlich bereits vor meiner
Ankunft fluchtartig verlassen wurde. Für das Personal befinden
sich dort zwei Computerterminals und zwei Telefone, die
jedoch mit einem Passwort oder Nummernkombination
geschützt sind. Eins der Tastaturen ist bereits in der Eile der
Verlassenden von einer umgestürzten Dose Kola verschmutzt.

46
M ir ist klar, dass dieses klebrige Zeug innerhalb von
wenigen Stunden aushärten und das Innere der
Tastatur vollständig verkleben wird. Nun ja, es
gibt Schlimmeres, zum Beispiel als Passagier in einem
finsteren Loch zu krepieren. Die rechte Tatstatur ist noch
sauber und ich drehe sie herum zum Ausprobieren. Das will
nicht so einfach gelingen und so versuche ich mein Glück am
Telefon.

I ch habe genug Zeit zum Ausprobieren und so versuchte


ich mit dem Wählen willkürlicher Nummern oder
Passwörter das System zu öffnen, was beim telefonieren
gelegentlich auch gelingt, sodass ich die Turbinenwartung oder
irgendeine Spezialstelle erreichte. Am besten funktioniert die
kurze, ungezielt hebelnde Druckbewegung mit einer
Handfläche auf den Ziffernblock der Tastatur, wodurch ich mit
einer willkürlich gewählte Nummer verbunden wurde. Nach
zweimal Klingeln meldet sich nochmals das Telefon. Das ist
jetzt bereits mein dritter Kontakt:

„Sheila – Catering Service“

„Spreche ich mit dem Umbuchungsservice, Miss


Cheetah?“

„Nein, Sir. Sie sind beim Catering gelandet!“

„Oh, das ist prima! Kann ich bei Ihnen ein


vegetarisches Abendessen mit einem trockenen
Weißwein bestellen?“

47
„Nein, Sir. Wir können nur intern auf gültiger
Kostenstelle liefern.“

„Hören Sie, Miss Cheetah. Ich habe gerade in den Air


Passengers Rights gelesen, dass Imperial Airways für
die Verpflegung ihrer gestrandeten Passagiere zuständig
sei. Da ist doch die Catering Service genau richtig
oder?“

„Ja, Sir. Das heißt aber noch nicht dass wir Ihnen direkt
liefern dürfen.“

„Sie arbeiten aber doch bei Imperial Airways. Es ist


sonst von dieser Airline weit und breit bis zum Horizont
niemand ansprechbar. Alle Kollegen sind bereits ins
Wochenende ausgeflogen. Es gibt nichts zu essen und
ich bin hungrig.“

„Tut mir Leid, Sir. Wir können nur intern auf gültiger
Kostenstelle liefern.“

„Na, das ist ja OK! Ich habe eine gültige


Buchungsnummer. Mal sehen, hier steht's:
YCP9EN/1A. Eigentlich sollte ich längst im
Zielflughafen gelandet sein und jetzt stecke ich immer
noch in diesem Loch fest! Können Sie mich wenigstens
mit der Umbuchungszentrale verbinden?“

„Ich kann Ihnen leider nicht helfen, Sir. Tut mir Leid
das Sie so viele Probleme haben.“

48
„Ja, sind sie hellseherisch begabt? Wie wissen Sie denn,
dass ich noch mehr Probleme habe? Es hat nämlich
leider jemand ein wenig Kola über den Bildschirm hier
neben dem Telefon verschüttet. Jetzt steigt da etwas
Rauch aus dem Gerät hoch. Vielleicht gibt es auch ein
Feuerchen?“

„Ein Feuer?“ unterbricht sie mich ungläubig und


beunruhigt. „Dann sollten Sie sofort die Feuerwehr auf
112 rufen!“

„Würde ich gerne machen, aber die Telefone sind


irgendwie gesperrt oder untauglich. Ich habe auch
schon die Umbuchungszentrale Dutzende Male
angerufen, aber niemand antwortet dort.“

„Sehen Sie denn schon Flammen?“

„Ach nein. Es ist nur ein kleines Feuerchen. Nicht der


Rede oder ein Telefonat wert. Warten Sie mal. Ich habe
noch etwas von dem alten Kaffee hier herumstehen und
werde versuchen den Brandherd damit zu löschen!
Achtung, jetzt zischt es ein wenig.... Hören Sie es
zischen??“

„Nein, ich höre nur Rauschen. Vielleicht sollten sie


doch die Feuerwehr informieren.“

„Nein, das glaube ich nicht. Wissen Sie, ich lege gar
keinen Wert auf die Erhaltung dieses elendes Gebäudes.
Meinetwegen könnte es genauso gut abgefackelt
werden!“

49
„Wie war auch wieder Ihr Name, Sir?“

„Nelson“, sage ich langsam, „Horatio Nelson. Gute


Nacht, Miss Cheetah“. Dann lege ich auf. „Dumme
Nuss“, murmele ich und schiebe das Telefon wieder an
seinen Platz. Es ist mir nach einer halben Stunde
herumprobieren langweilig geworden. Es wird Zeit
etwas neues zu probieren.

I ch schleppe meine Siebensachen in die Nische eines


Internetcafés im Terminal 1. Es gelingt mir für den
nächsten Tag auf der angegebenen Seite „BA.Com“
einen Flug zu finden und zu reservieren. Leider gibt es jedoch
Probleme bei der Eingabe der Kreditkartennummer. Bei jedem
von drei Versuchen stürzt das System kommentarlos ab. Die
Programmierer haben ganze Arbeit geleistet. Sie sind sogar in
der Lage einen Passagier während einem eigenen Heathrow
Hassle zu verarschen und in die Wüste zu schicken. Es gelingt
mir nicht einmal einen Beschwerdebrief an die Imperial
Airways zu versenden...

50
11 Ein rettender Kranich

Samstag, 12 August 2006,


Am Abend um 19:00 Uhr

I ch quäle mich mit dem Riesengepäck durch den


Verbindungstunnel voller Reisende zurück zu Terminal 2
und erkundige mich beim normal geöffneten Lufthansa
Schalter nach Flugplätze nach Stuttgart.

"Kein Problem, Sir. Sie können morgen fliegen. Wollen


Sie buchen?".

F ünf Minuten später habe ich mein Rückflugticket und


bin in etwa 700 Euro ärmer. Die Flugpassagierrechte
berechtigen mir zwar theoretisch zur Rückerstattung
dieser Kosten, aber ich hatte noch nicht mit der Macht der
britischen Lobbyisten gerechnet, die EU-Behörden gezwungen
(oder bestochen?) haben mögen einen nirgendwo erwähnten
Gummiparagraphen mit der höheren Gewalt zu definieren. In
Heathrow ist ohnehin jede Panne automatisch ein Gottesakt
und wird somit zu höheren Gewalt transformiert, in dem die
Airline ihre Passagiere bedenkenlos im Stich lassen kann. Das
steht natürlich nirgendwo geschrieben. Der Act of God ist frei
wählbar, aber es war mir im Nachhinein sofort klar, dass jeder
bei Imperial Airways bereits 5 Tage zuvor wusste, dass dieses
neue Hassle sicherlich in eine endlose oder zumindest
tagelange Zigarettenpause münden würde...

51
52
12 Die stillste Stunde20

Sonntag, 13 August 2006,


In der Nacht um 2:00 Uhr

I ch lege mich früh auf die Iso-Matten, denn man kann das
Gepäck auf Strafe einer Beschlagnahme oder Sprengung
nirgendwo auf einem Flughafen alleine lassen. Immer
wieder stehe ich auf um auf einem Spaziergang die Nerven zu
beruhigen und das Britische Chaos zu betrachten. Die Halle
bleibt wohl wegen drohender Terroristenwarnungen und
Diebstahlrisiken die ganze Nacht über hell beleuchtet, sie kann
aber die Misshandlung der Kunden nicht ausschalten. Überall
schlafen die Opfer oder sitzen gestrandete Passagiere, die
flüsternd miteinander redeten. Das Militär ist bis auf wenigen
Polizisten verschwunden, aber einige Wachleute schlendern
immer noch herum. In der Halle gibt es verschiedenen
Klimazonen. Im Schlafbereich ist es relativ warm, aber in den
Gängen und nahe der offenen Toren ist es zügig und für die
Wanderer wohltuend kalt. Trotzdem befinden sich auch in den
zügigen Gängen Schlafplätze. Spät schlafe ich dann
irgendwann ein, Mein Kopf senkt sich nach hinten hinunter
und meine Beine erheben sich in den Himmel. Ist es der
Wunschtraum des Abhebens vom verwünschten Flughafen?

K
20
ennst Du die Zwielichtsphase zwischen Tag und
Nacht, wie bei Nietzsche der Traum beginnt? Wie
auch immer, so träume ich dann irgendwann, wie

Der Titel stammt vom Friedrich Nietzsche's berühmtesten Buch: Also


sprach Zarathustra.

53
eine in hellblau leuchtenden Rüschen bekleidete blonde Fee
erscheint:

"Sir, kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" haucht


sie mir von der Höhe an.

Verwirrt überlege ich und sammle meine verworrenen


Gedanken wieder ein. Es dauert einigen Sekunden bis
ich die Frage verstehe.

"Sir, kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" haucht


sie mir nochmals mit ihrer sympathischer Stimme zu.

"Ach ja, gewiss", flüstere ich, "Vielleicht könnten Sie


mir doch noch meinen Flug umbuchen. Diese
dämlichen Telefone in der Halle taugen einfach zu
nichts. Dort antwortet mir keiner."

"Wirklich? Das tut uns aber Leid", haucht sie zurück,


"Das ist doch überhaupt kein Problem", und ihre hell
strahlende Augen leuchten auf. Ihr Engelsgesicht sieht
mich eine Sekunde verständnisvoll und tief in die
Augen. Dann zuckt ihre winzige Hand ein schickes
Handy, wählt die andere Hand eine einstellige Nummer
und bucht sie mich kurzerhand auf die Lufthansa-
Maschine um.

"Das ist ja toll!", rufe ich erregt und will mich


aufsetzen.

Dann aber stößt mich meine Nachbarin mit dem Ellbogen


unsanft ins Kreuz.

54
"Was ist denn?, frage ich schlaftrunken und starre ihrem
Finger nach in die ferne Halle. Verwundert sehe ich in
die liebenswerte Augen meiner Schönheit in einem
hellblauen Kleid.

"Sir, kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" flüstert


sie mir von der Höhe an.

I ch überlege und sehe zur sanft schlafenden Kinderschar


hinüber, die meine Nachbarin und Kofferhüterin erst nach
vielen, unendlichen Stunden in der hell beleuchteten Halle
in den Schlaf geschaukelt hatte. Das Ehepaar reist mit drei
Kleinkindern von Kalifornien nach Berlin und wurde bereits in
der USA auf zwei verschiedenen Maschinen verteilt. Erst in
Heathrow's Lobby haben sie sich wiedervereint. Mindestens
eine Stunde musste sie gestern das kleinste Kind schaukeln bis
es sich in den Schlaf geweint hatte. Sollte ich eine Szene
starten und die ganze Kinderschar aufwecken, die jetzt gerade
friedlich schlummert? Das war diese dreckete Saubande gewiss
nicht wert!

O ffensichtlich hatte das Security-Team meinen rastlosen


Rundgang beobachtet und die Psychologin auf mich
zugeschickt um die Situation zu überprüfen. Es war
ohnehin alles gelaufen. Jetzt war jegliche Reaktion der Airline
überflüssig geworden.

"Nein", flüsterte ich um die Kinder nicht zu wecken,


"Sie können jetzt gar nichts mehr tun. Es ist alles OK,
Vielen Dank."

55
I ch legte mich wieder schlafen, aber der gütliche Genosse
Schlaf war verschwunden und hatte einer Wut Platz
gemacht. Irgend etwas wollte ich noch unternehmen um
diesen Saftladen doch noch soviel wie möglich zusammen zu
stauchen. Schließlich sollte man als Kunde immer möglichst
genau seine Wut über die minderwertige oder gar nicht
geleisteten Gegenwert eines Vertrags äußern. In meinem Fall
verspürte ich den Drang mich über einen rücksichtslosen
Strassenraub deutlich auf zu regen.

56
13 Der Waschraum

Sonntag, 13 August 2006,


In der Nacht um 2:12 Uhr

I ch betrete erneut vorsichtig herum schauend den


überdimensionierten Waschraum. Man kann ja nie
wissen, ob ein Geheimdienstagent hinter der Tür steht
und einem das Messer in den Rücken rammt...

F ür die Engländer ist ein Waschraum eine gewöhnliche


Toilette. Hier hängen aber jede Menge Seifen- und
Zahnpasten-Automaten an der Wand. Offensichtlich
wird hier viel übernachtet. Man kann die Halle des Terminals 1
auch als riesige und kostenlose Jugendherberge für
Erwachsenen betrachten. Es gibt hier allerdings keine
Herbergseltern. Es gibt hier gar keine Aufsicht...

T atsächlich stehen hier an den Reihen Waschbecken ein


gutes Dutzend gestrandete und übernächtigte
Gestalten, die sich waschen oder das finstere Gesicht
rasieren. Ich frage mich was den Menschen bewegt, sich den
geregelten Tagesablauf mit einer Gesichtswäsche zu dieser
unmöglich Zeit zu verderben. Es wird in den nächsten vier und
zwanzig Stunden oder gar Tagen gar keinen Abflug geben.
Vielleicht missbrauchen sie aber den Flughafen Heathrow als
billiges Hotel und gilt Terminal 1 als Geheimtipp im
Reiseführer „Für 5 Dollar am Tag rund um die Welt!21“.

21
Vergleiche zum Beispiel:
Europe on 5 Dollars a Day (Paperback) by Arthur Frommer (Author) .

57
E in müder Kuli mit indischen Gesichtszügen schiebt
ihnen seinen Wisch-mop in aller Ruhe hin und her. In
England sind die Inder immer noch die fleißigen
Kulis, die für 20 Rupien im Monat zu haben sind. In der
Toilette fühlt man sich aber wohl, denn er wirkt irgendwie
unbritisches Ausland, ungewohnt sauber im Vergleich zum
dreckigen und ausgelebten Terminal. Alles ist hier schon sehr
sauber, wird aber nochmals gewischt. Es scheint ein ritueller
Reinigungsgang zu sein, ein zwanghaftes Ritual dass man für
eine Bleibe durchführt, genau so wie der Panther hinter den
Gittern im Jardin des Plantes, zu Paris.

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe


so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,


der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

I ch erinnere mir das kurze Gedicht22 ganz genau, weil wir


es als Schüler mal auswendig gelernt haben. Jetzt fällt mir
die Schlussstrophe auch wieder ein. Der Inder schaut mir
genauso in den Augen, weil er wissen will und glaubt, dass
auch ich ein panther-tötender Engländer sei. Seine Augen sind
leer vor Müdigkeit. Vielleicht hat sein geschmeidiger Körper
bereits mehr als 12 Stunden seinen Wisch-mop bewegt für
seine Aufenthaltserlaubnis oder anderthalb Rupien am Tag...
22
Der Panther von Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris

58
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

E ngländer sind es gewohnt die Kulis nicht zu sehen


und sie blicken durch ihnen einfach hindurch.
Genauso behandelt der gemeine IA-Angestellte auch
seinen gestrandeten Passagier: wie ein Nichts, einen wertlosen
Gegenstand, der liegen gelassen, ignoriert, getreten oder
erschossen werden kann. Nichts, was einem solchen Menschen
passiert, würde dem gemeinen Engländer aufregen. So etwas
rührt eben keinem. Dafür zuckt man nicht mal die berühmte
Steife Oberlippe...

D iesmal wieder habe ich meine Nachbarin gefragt auf


mein Gepäck zu achten. In meiner erheblich
kleineren, diesmal dafür normalen Toilette fehlt
allerdings eine der großen Schrauben zur Befestigung des
Toilettenschüssels. Hat ihn ein wütender Passagier
abgeschraubt und wutschnaubend der Themse hinuntergespült?
Denkbar ist es schon, aber auch brandgefährlich. Im Land des
Orwells sind überall Kameras installiert, die jeden Furz,
Anschlag oder Sabotage aufzeichnen. Auf Sabotage steht im
Gesetz des Großen Bruders die Todesstrafe im Tower oder bei
Verdacht gar zwei Jahre in Untersuchungshaft. Engländer
heben bekanntlich alles auf, auch das richtende Schwert für
Maria Stuart und den zugehörigen Holzklotz. Sie werden
bereitgehalten für den nächsten unliebsamen Gast. Es ist halt
ein Land der Traditionen...

59
Z uletzt ertappe ich mich beim Verlassen der Toilette
auf einen Gedankenverbrechen. Nun überlege ich
wirklich wer von den Vieren denn jetzt wohl
verantwortlich sei für den an Heathrow's Passagiere verübten
Terror. Waren es die Flughafenbetreiber, die Airlines, die
Geheimdienste oder die Gefangenen? Da aber
Gedankenverbrechen in dieser Gegend strengstens geahndet
werden, ist es jetzt doch an der Zeit sich auf das Verlassen
dieser unseligen Insel zu konzentrieren...

60
14 Der Mad Hatter

Sonntag, 13 August 2006,


um 3:00 Uhr in der Früh

A m Haupteingangsportal des T1 steht eine


Schreibtafel mit einem Schreibblock, der auf dem
vorgezeigten Blatt einen banalen Text enthält wie
etwa "Eltern, die einen Kinderwagen benötigen, mögen sich
bitte hier melden". Im Anbetracht der Notsituation finde ich
das reichlich unsinnig, drehe das Blatt um und schreibe mit
dem bereitliegenden Filzstift auf das nächste, leere Blatt:

"Achtung Passagiere! Ihre Flüge sind heute alle bereits


storniert. Beachten Sie bitte das Poster mit den
Flugpassagierrechten im Eingangsbereich!".

D as erscheint mir relevanter für die große


Menschenmenge, die demnächst pünktlich mit dem
ersten Zug hereinströmen wird. Auf der Tafel mit
den Air Passengers Rights markiere ich die wichtigsten Stellen
des unübersichtlichen Pamphlets mit Filzstift, damit jeder
Passagier es auf Anhieb versteht. Beim Schreiben werde ich
offensichtlich beobachtet von einem herumstreunenden
Ehepaar, das nach dem Lesen schleunigst das Weite sucht. Ich
jedoch gehe zu meinem Schlaflager um die Kamera zu holen,
denn ich möchte die vor mir illustrierten Air Passenger Rights
mal abfotografieren.

61
D ie lustigste Figur am Heathrow Airport ist an diesem
Tag der Mad Hatter, den die Airline wohl zur
Erheiterung der Kinderschar als arbeitslosen
Schauspieler engagiert hat23. Er wurde bisher nur zusammen
mit seinem Kumpel gesehen, der als miesepetriger Wachmann
mit einer alten Maschinenpistole aus dem ersten Weltkrieg
seinen Dienst in der rheumatisch-feuchten Terminalhalle
schiebt. Als ich nun die Tafel mit dem von mir verschönerten
Text "Flugpassagierrechte" abfotografieren will stupft dieser
Klobürstenschnitt mir mit dem MP-Kolben in die
Nierengegend und zischt: "Hey man, what are you doing?".

E r dreht mich mit dem Kolben weg von der Tafel und
erst jetzt kann ich sein Gesicht in voller Schönheit
wahrnehmen. Er ist etwa 40 Jahre alt und trägt einen
Klobürstenschnitt, die eine entfernte Geruchsmischung von
Mundgeruch, Altmännerschweiß und Alkohol verbreitet.
Selbstverständlich starrt er mich nun ebenfalls mürrisch ins
Gesicht.

I ch erkläre ihm höflichst, ich würde dieses wunderschöne


und informative Poster gerne abfotografieren, aber das ist
ihm wohl nicht sonderlich genehm. Er zeigt jetzt auf den
Mad Hatter. Dieser steht breit grinsend wie Alice's Cheshire-
Kater neben der Schreibtafel, die ich kurz zuvor vollgepinselt
habe und zeigt mit seinem Finger auf den Text.

23
In der Mehrzahl der Versionen der Figur Mad Hatter ist dieser ein
geisteskranker Tüftler, der mit eigentlichem Namen Jervis Tetch heißt.
Tetch ist von Lewis Carrolls Kinderbuch „Alice im Wunderland“ besessen,
dem er auch seinen kriminellen Decknamen entliehen hat.

62
"Ach das", sage ich erleichtert und will mit dem
Fotografieren weitermachen, "Da stand eine
Schreibtafel mit einem Schreibblock und einem
Filzstift. Da habe ich dann eine wichtige Notiz für die
heute morgen früh ankommende Fluggäste drauf
geschrieben."

E r ahnt wohl, dass ich auch den Text der


Passagierrechte verschönert habe, kann aber keinen
Beweis erfinden und meint:

"Sie haben Eigentum des Flughafens beschädigt. Sie


werden hier jetzt gar nichts mehr fotografieren, oder
soll ich Sie festnehmen bis Ihr Flieger abhebt?“

N un, das ist auch nicht gerade mein Fall, weil ich bereits
ein Ticket in der Tasche habe. So gehe ich in die Halle
zurück. Die beide Schießbudenfiguren warten bis ich
verschwunden bin und trotten dann weiter auf ihrem
Rundgang. In sicherer Entfernung sehe ich auch das Ehepaar,
das mich bestimmt verpfiffen hat, aber das ist ja jetzt auch total
unwichtig. So gelange ich zur nächsten Station, die
Ballermanstationen der englischen Luftwaffe...

63
64
15 Die Flugsimulatoren in Heathrow

Sonntag, 13 August 2006,


um 3:20 Uhr in der Früh

I n der Ecke des Terminals stehen drei Ballerkästen. Sie


verfügen alle über einem überdimensionalen
Farbbildschirm, der immer die gleichen Szenen
wiederholt. In der linken Station dreht der brutalste Kinderfilm,
den ich je gesehen habe. Die Geschichte spielt sich
offensichtlich ab in einem engen Hochgebirgstal. Der Film
zeigt wie ein Pilot von seinem Flugzeug oder Hubschrauber
aus flüchtenden Gestalten in den Rücken schießt. Die Rücken
sehen aus wie die Rückseiten ganz gewöhnlicher Bauern, denn
die Untergrundkämpfer verkleiden sich natürlich immer wie
harmlosen Gestalten.

M it diesen Gerätschaften trainiert das Empire


offensichtlich ihre Piloten und ködert am
Flughafen mit einer ähnlichen Software
gleichzeitig den Nachwuchs. Wenn sie dann den Test nicht
bestehen können sie immer noch zu IA wechseln, denn
Imperial Airways kann alles brauchen...

I ch überlege ob ich gefahrlos eine Ballerstation stilllegen


kann, aber Klobürstenschnitt schaut immer noch
misstrauisch in meine Richtung. Eine falsche Bewegung
würde in ihm vielleicht den einen fatalen, häufig geübten
Killerreflex auslösen.

65
O bwohl ich mir recht sicher bin, dass die antiquierte
MP ungeladen ist, kann man in England nie wissen...
In der Kolonialzeit - das heißt vor wenigen Jahren -
hat das Imperium Leute aus geringerem Anlass rücksichtslos
niedergeballert. Da nimmst du lieber kein unnötiges Risiko...

66
16 Terminal bedeutet auch „Ende“

Sonntag, 13 August 2006,


um 6:00 Uhr in der Früh

W ie mehrmals am gestrigen Tag quäle ich mich


Hunderte von Metern vorbei an Dutzenden
erschöpften, schlafenden oder bereits gestorbenen
Kreaturen vom Terminal 1 zu Terminal 2. Einige sind
eingewickelt in Aluminiumfolie wie die Verkehrsopfer und
liegen auf den nackten Steinfliesen des zügigen Bunkers.
Andere hängen in jeder nur erdenklichen Position auf den
unkomfortablen Metallbänken herum. Wie die Aussätzigen
rühren sie sich auch dann nicht wenn sie von den
schlendernden Massen angestossen und versehentlich
angetreten werden. Es sind wohl Passagiere, die bereits jede
Hoffnung auf einen Weiterflug verloren haben und jetzt dem
sicheren Hungertod entgegen dämmern. Ich sehe Dutzende
solcher Gestalten. Wie viele andere Leichen verfaulen wohl
noch irgendwo in den Katakomben?

E in Kolonialreich ist jedoch abgehärtet gegen diesen


Blick. Wer am Strassenrand in der Kolonie jede Nacht
tausende Kulis krepieren lässt, schreckt auch kaum vor
ähnlichen Situationen auf Heathrow zurück. Alle sichtbare
Hilfsaktionen wurden von ausländischen Instanzen wie die Air
France, Lufthansa und Alitalia geleistet. Nirgendwo habe ich
auch nur eine helfenden Hand von den Britischen Angestellten
beobachtet. Stattdessen stehen wohl alle IA-Mitarbeiter wieder
an ihrem Stammplatz im Wagenburg-Raucherzimmer und
qualmen vor sich hin...

67
68
17 Ein Abflug für immer

Sonntag, 13 August 2006,


Vormittags um 7:00 Uhr

"Denke ich an Heathrow in der Nacht,


habe ich - schon wieder -
im Schlafen einen umgebracht".

Anonymer Graffiti an der Tunnelwand


zwischen Terminal 1 und 2...

D as letzte was ich von Heathrow sehe ist die


Abflughalle für die funktionsfähigen Airlines
Lufthansa, Swiss, usw. Hier stehe ich eingeklemmt
wie ein Hering mit meinem Riesengepack zwischen weinenden
Studenten, fluchenden Geschäftsleute, betenden Mönchen,
umringt von schwer bewaffneten Soldaten. Es gibt ein
massives, erniedrigendes Gedränge, Geschrei und Geschiebe,
das mich nochmals an die wenigen Fussball-derbies erinnert,
bei denen mal Todesfälle berichtet wurden. Ich fühle mich aber
froh dieses lieblose und stickige Irrenhaus zu verlassen,
schwöre mir feierlich - in einem weiteren schändlichen
Gedankenverbrechen! - nie wieder in diesen Sauladen
zurückzukehren und wünsche diesen Flughafen von ganzem
Herzen zur Hölle, die sie bereits ist.

69
W ir müssen uns allerdings zuerst noch durch eine
schwer bewachten Schleuse mit unfreundlichem
Personal hindurch quälen. So etwas habe ich noch
nie gesehen: nur zwei mit einem halben Dutzend entsicherten
Maschinenpistolen bewachten Schleusen für zwei Schlangen
mit Hunderten Passagieren! Selbstverständlich führen die
Kontrollen zu riesigen Verzögerungen, aber diese Fluglinien
warten wenigstens bis ihre Passagiere sich mit ihrem Gepäck
hindurch gequält haben.

S childer warnen uns jegliche Ratschläge oder


Diskussion mit dem Personal zu unterlassen,
andernfalls würde man den Übeltäter erst gar nicht
mehr abfertigen. Dafür könne er dann die britischen
Gastfreundlichkeit noch einige weiteren Tage geniessen!
Offensichtlich haben die Behörden bereits ihre Erfahrungen mit
dem Kundenkommentar gemacht. Ich kann mir das gut
vorstellen. Ich hatte in den Wartestunden der Abflughalle und
beim Frühstück in der Kaffeebar des Terminals 2 bereits mit
anderen diskutiert über die Gründe für diese Überreaktion und
einige Ursachenforschung betrieben. Es war klar, dass man den
Anglo-Sachsen allgemein einen Mitschuld an die Reizung der
diversen Untergrundbewegungen gäbe. In England hatten gar
angehende Medizinstudenten Bomben gelegt. Kein Wunder
dass bei der gesellschaftlichen Schlamperei und Stresssituation
Hooligans schlagartig zupacken, Jugendlichen sich permanent
an jedem nur erreichbaren Alkoholquelle sich ein Coma
ansaufen und 12-jährige Teenager sich im Suff bedenkenlos
schwängern lassen.

70
T rotz alledem wäre es wohl zu gefährlich einem
Zollbeamten auch nur tief in die Augen zu sehen.
Zunächst muss jeder alle Getränke in einen
Riesencontainer werfen. Zwei ab zu fertigende Reisenden vor
mir holt der Zollbeamte einem gewichtigen Amerikaner eine
Flasche 18-jährigen Glenfiddich24 aus der versiegelten
Plastiktüte. Der Gast protestiert lautstark und argumentiert im
breitesten Texanischen Akzent, dass es sich um ein
Freundschaftsgeschenk für einen Bundesgenossen handle.
Nach einigen Minuten muss sich ein Soldat mit einem
Gummiknüppel in der Hand an dieser Diskussion beteiligen.
Dabei kann ich jedoch meinen Wortschatz an amerikanischen
Schimpfwörtern beträchtlich erweitern. Die Flasche
Glenfiddich wandert samt Originalverpackung in den
bereitstehenden Container. Einer aus den hinteren Reihen
kommt wankend nach vorne und entnimmt einige Sekunden
später die unversehrten Flasche. Wenigstens einer freut sich
heute über die Behandlung der Passagiere. Es ist ein
Alkoholiker, der sich jetzt mit seiner Beute in die Katakomben
zurückzieht...

S elbstverständlich muss jeder in der aufgeheizten Halle


auch die Schuhe ausziehen und das Gepäck
auseinander nehmen lassen. Das duftet wirklich
bereits in der Schlange nach Armenhaus. So brauche ich mich
wahrlich nicht schämen dem armen Bediensteten meine
stinkenden Socken und dreckigen Unterhosen ins Gesicht zu
schieben. Natürlich wurde bei niemandem an diesem Tag etwas
gefunden.

24
Glenfiddich ist einer der erfolgreichsten Whiskyhersteller, dessen Whisky
fast auf der ganzen Welt erhältlich ist. Der Geschmack ist sehr mild und
daher einer breiten Kundschaft zugewandt.

71
D ie rettende Lufthansa Cityline LH4785 hebt dann
aber etwa um 11:00 Uhr ab. Im Flugzeug treffe ich
noch vor dem Start ein Ehepaar, dass ebenfalls vom
Imperial Airways dem Schicksal überlassen worden ist Sie
bestätigten, dass niemand die IA-Umbuchungsnummer
erreichen konnte. Allerdings verfügten sie über ein voll
geladenes Handy und hatten damit die IA-Buchungsstelle in
Deutschland erreicht. Dort habe man sie kostenlos auf diese
Lufthansa-Maschine umgebucht.

U nsere LH-Maschine ist nur halb voll und es wäre


noch genug Platz für weitere Flüchtlinge an bord
gewesen. Auf eine solche Idee kommt aber keiner
auf Heathrow, denn das logische Denken gehört nicht zu den
britischen Tugenden...

72
18 Der Kampf um Rückerstattung
15. August 2006

A m 15.08.2006 reiche ich meine Unterlagen zur


Rückerstattung der Mehrkosten durch Stornierung
des Fluges bei Imperial Airways ein. Es gibt
lediglich eine FAX-Nummer zum Versenden der Unterlagen
und eine deutsche Telefonnummer existiert nicht einmal. Eine
Empfangsbestätigung der Unterlagen ist ebenso eine
Fehlanzeige. Nach dem Versand der Unterlagen warte ich zwei
und ein halb Monate auf eine Antwort ohne dass ein
Lebenszeichen eintrifft. Ist mein Geschäftspartner pleite oder
sang- und klanglos gestorben? Das ist schon mal geschehen
und passiert gelegentlich immer noch. Nachdem die Firma aber
auch drei Monaten nach dem gescheiterten Rückflug noch
nicht geantwortet hat eskaliert die Situation zu einem
Nervenkrieg ohnegleichen. Der Kampf startet mit einer
höflichen Mail an die Abteilung Customer Services der
Imperial Airways. Nach einer Woche ohne Reaktion schicke
ich eine Wiederholung, die so lange in kürzeren Intervallen
wiederholt werden bis Imperial Airways einige Wochen später
dann doch antwortet. In einem automatisierten
Antwortschreiben entschuldigt man sich für die lange
Wartezeiten. Es gibt ja viele Anfragen, die bearbeitet werden
müssen. Ich solle mich halt gedulden...

A m 20. November 2006 erstattet Imperial Airways


dann endlich den minimalen, unbenutzten
Rückfluganteil der Tickets. Auf meinen Fragen nach
den Gründen der mangelhaften Umbuchungssystemen geht die
Airline erst gar nicht ein.

73
I ch erstatte daraufhin Anzeige wegen einer Verletzung der
Flugpassagierrechte beim LBA25 in Braunschweig. Seit
dem plumpen Ignorieren meiner Fragen schicke ich nun
täglich einen Satz von Mails an Imperial Airways mit Fragen
zu den fehlenden Umbuchungs-Möglichkeiten und zur
mangelnden Unterstützung. Es passiert jedoch nichts...

A m 19.01.2007 erhalte ich daraufhin einen ersten


Brief von der Rechtsanwältin der Imperial Airways
in Frankfurt am Main. Sie behauptet dass mein Flug
BA920 gar nicht storniert worden sei und lediglich mit
minimaler Verspätung abgeflogen sei. Sie weicht meine
Fragen zum Thema defekter Telefonanlagen und mangelnder
Unterstützung geschickt aus. Imperial Airways sei bei höherer
Gewalt ohnehin nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Ich
frage warum die Fluggesellschaft sich nicht an die
ausgehängten Air Passenger Rights orientiert und warum
Imperial Airways auf ihren Flugblättern keinen Ausschluss
jeglicher Verantwortung wegen Höherer Gewalt erwähnt.

A m 07.02.2007 erhalte ich einen zweiten Brief von


der Rechtsanwältin der Imperial Airways, in dem es
heisst, dass die ausgehängte Flugpassagierrechte für
die Airline nicht bindend seien. Wiederum bleiben meine
andere Fragen unbeantwortet. Am 29.03.2007 bietet Imperial
Airways mir einen Reisegutschein in Wert von 150 Euro an.
Dieser Gutschein ist nur für mich gültig, gilt nur für ein Jahr
und nur für BA-Strecken, die der Airline genehm sind. Dieses
Ticket ist für mich natürlich wertlos, weil ich mein Schicksal
nie mehr in den Händen dieser Dilettanten legen werde.

25
Das Luftfahrtsbundesamt in Braunschweig

74
A m 16.04.2007 erhalte ich noch einen dritten Brief
von der Rechtsanwältin der Imperial Airways. Sie
weicht meine Fragen selbstverständlich wieder aus.
Die Kommunikation wird ihrerseits einseitig und "endgültig"
abgebrochen. Ich wiederhole den Fragekatalog. Am 20.08.2007
erhalte ich dann einen vierten Brief von der Rechtsanwältin.
Wiederum weicht sie meine Fragen aus. Sie bricht die
Kommunikation wiederum einseitig und nun wirklich
endgültig ab. Stattdessen schicke ich meine Fragen nun
weiterhin massiv in Mails in englischer Sprache an die
Abteilung Customer Service der Imperial Airways...

D ann aber, wenn der Kunde langsam ungeduldig wird


und seine Anfragen jetzt auf etwa 20 Mails pro Tag
gesteigert hat liefert die Airline eine erste Reaktion,
per eMail wohlgemerkt. Darin heißt es, dass man so furchtbar
viel zu tun hat. Ich habe auch immer viel zu tun, gelegentlich
auch mit inkompetenten Firmen, aber noch nie habe ich derart
massiv nachfragen müssen wie beim Platzhirsch am Lufthafen
Heathrow. Dann nach einigen Wochen folgt eine weitere,
lapidare Antwort per Mail, dass meine Anfrage rechtlich keinen
Bestand habe, da die Imperial Airways infolge einer höheren
Gewalt ihre Leistung nicht habe erbringen können. Mein Flug
Imperial Airways 920 sei übrigens pünktlich abgeflogen, aber
ich hätte mich eben nicht rechtzeitig eingebucht. Dabei hatte
ich mich am 12.8.2006 bereits um 6:00 Uhr von London auf
den Weg zum Flughafen begeben, um ja nicht in einem
Heathrow Hassle stecken zu bleiben. Dummerweise stand am
Airport Terminal eine komplette Armee mit Maschinenpistolen.
Sie haben eben den Zugang mit Waffengewalt blockiert.

75
A us den wenigen, zumeist unqualifizierten Antworten
auf Briefe an Customer Services kann der
geschädigte Reisende leicht ableiten, dass die
Abteilung Customer Services der Imperial Airways sich
irgendwo in einem Entwicklungsland befindet, wo preiswerte
Hausfrauen ohne jeglicher Reiseerfahrung wohl für minimaler
Vergütung frustrierte Kunden ausweinen lassen. Sie haben
unter den Fittichen der Londoner Zentrale keinerlei
Weisungsbefugnis, dürfen nichts versprechen und nur
Hoffnung sowie Zeitverzug spendieren. Antworten erhält ein
geschädigter Passagier generell erst drei Monaten nach Eintritt
des Ereignisses. Das schindet Zeit und Kosten, denn statistisch
gesehen sind bereits einige anfragende Passagiere gestorben
oder an Alzheimer erkrankt, sodass man auf jedem Fall wieder
einiges eingespart haben mag...

D er größte Einfaltspinsel der Customer Service ist


jedoch David, der wohl selbst noch an seinem
Weihnachtsmann Santa Klaus glaubt. Auf meine
Frage, warum Imperial Airways am 12.8.2006 ganztägig nicht
für Umbuchungen erreichbar wäre meint er doch etwas zu
naiv:

"Für den Fall, dass gestrandete Passagiere die


Umbuchungsstelle nicht erreichen, schickt die Imperial
Airways immer erfahrenen Mitarbeiter mit Handies in
die Abflughalle, so dass eine Hilfe immer garantiert
gewährleistet ist".

76
D avid hat wohl noch nie einen Flughafen gesehen
und schon gar kein Heathrow Airport, wo man
notfalls auch Passagiere verhungern oder verdursten
lässt, wie es sich gerade am einfachsten einrichten lässt.

S icherlich hat David auch kein Heathrow Hassle erlebt,


sonst wüsste er, dass Imperial Airways sich jedes mal
beim Zusammenbruch des Luftverkehrs freut über die
gottgegeben höheren Gewalt und den Himmel dankt für soviel
Gnade. Wie bei der Verteilung des Mannas26 entwickelt sich in
London nämlich nach einem Heathrow Hassle der Goldrausch,
worin Hotels, Gaststätten und Airlines sich innerhalb wenigen
Stunden eine goldene Nase verdienen können, wenn sie nur
zulangen können...

26
Als Manna oder auch Himmelsbrot wird in der Bibel (Ex 16 EU) die
sagenhafte Speise bezeichnet, die den Israeliten auf ihrer 40-jährigen
Wanderschaft durch die Wüste als Nahrung diente.

77
78
19 Der ganz legale Strassenraub...

20. Juli 2007

Nun könnte man meinen, nun ja, das ist ein


bedauerlicher Einzelfall, der gelegentlich mal
vorkommen kann. Ist es aber eben nicht, wie bereits das
geflügelte Wort „Heathrow Hassle“ andeutet, das jeder
Geschäftsflieger von und nach London zu fürchten
lernen wird. Aus dem nachstehenden haarsträubenden
Beispiel ist ablesbar wie der moderne Straßenraub
planmässig abläuft...

A m Freitag, 20 Juli 2007 gibt es mal wieder ein


Gewitter über London und der Flughafen Heathrow
bricht in seinem standard Hassle zusammen. Ein
Schweizer Programmierer Hartwig T. berichtet in seinem
Erfahrungsbericht "Imperial Airways im Sturm! – und kurz vor
dem Konkurs?", wie sein IA-Flug von Heathrow nach Zürich
wegen „disruption to its operations“ abgesagt worden sei, was
auch immer darunter verstanden werden soll. Leider könne die
Fluggesellschaft während der Wartezeit keine Hotelunterkunft
anbieten. Sie würde aber 100 Pfund pro Hotelnacht („per room
– 2 people sharing“) ersetzen27. Und das in einer Stadt, wo eine
Hotelnacht ohnehin im Durchschnitt bereits 150 Pfund kostet!
Was eine Nacht für eine Einzelperson kosten darf, blieb unklar.
Vielleicht werde Mann aber mit einer hübschen Mitreisenden
zusammengelegt...

27
Es ist natürlich das gleiche Angebot, das ich bereits ein Jahr zuvor in 2006
erhalten hatte.

79
A uch erwähnt der Schweizer Programmierer in
seinem Bericht, dass die Imperial Airways ihre
Pflicht zur Kundenverpflegung ignoriert und
ergänzt: "Die idiotische Sicherheitsbestimmung, welche die
Mitnahme von Flüssigkeiten verbietet, tötet28 wahrscheinlich
jährlich weltweit hundert Mal mehr Menschen als der
Terrorismus". Er ahnt vermutlich aber nicht einmal, dass die
Passagiere in einem Hassle wegen der höheren Gewalt ohnehin
gar keine Rechte mehr haben. Die Airline kann somit machen,
krepieren oder austrocknen lassen, wie es ihr gerade gelüstet.

D ie Sparsamkeit der Airline zeigte sich nicht nur


beim durch Abwesenheit glänzenden Personal oder
bei der Schonung der Lautsprecher vor „Abnutzung
durch lautstarken Informationsmeldungen“ sondern auch bei
den grosszügigen versprochenen standard Ersatzleistungen für
die fälligen Übernachtungen.

D em Schweizer Hartwig T. wurde dann von einem


IA-Mitarbeiter eine Flugoption für einen Flug am
Samstag früh angeboten. Für diesen Flug wurde ihm
aber 320 Pfund (810 Franken!) zusätzlich abgenötigt, weil nur
noch Plätze in der Business Class frei seien. Nun aber musste
er sich noch kümmern um eine preiswerte Übernachtung. Auf
seinem Begehren, das günstigst mögliche Hotelzimmer zu
beschaffen, drehte man ihm ein Zimmer an im Sheraton
Heathrow für 203 Pfund (515 Franken!) inklusive Busticket.

28
Durch Austrocknen infolge Wassermangel, insbesondere bei alten
Reisenden

80
A m nächsten Tag ließ man ihm daraufhin dann auch
den Aufpreis von 810 Franken für die Business
Class bezahlen und eröffnete ihm anschließend, dass
die Umbuchung nur eine virtuelle gewesen sei. Der Flug, auf
den er nun umgebucht war, sei nämlich auch abgesagt worden.
Am selben Tag könne er nicht mehr nach Zürich fliegen.

S o schlug Hartwig T. vor, als Ersatz andere


Destinationen wie Genf, Basel, Paris, Frankfurt,
München zu prüfen. Von all diesen Flughäfen könne
man ja notfalls per Eisenbahn nach Zürich kommen. Nur weg
von diesen uninformativen, kleinkarierten, geldgierigen
Engländern!

E ine sympathische, indisch aussehende Mitarbeiterin


am Ticketschalter fand dann doch noch eine
Möglichkeit, Hartwig T. gegen Abend auf einen
Lufthansa-Flug in der Business Class nach München und von
dort nach Zürich um zu buchen. Endlich wieder freie Luft zum
Atmen...!

Quellenangabe: Reisebericht eines Schweizer Passagiers.pdf

81
82
20 Analyse der Mailbox
7. April 2008

W eil ich in 2008 nun mal so viele nichtssagenden


Bestätigungs-Mails erhielt suchte ich nach einer
sinnvollen Information, die man vielleicht daraus
ablesen könne. Die Mehrzahl der Mails enthielt lediglich
Verwaltungsdaten und weiter Standardtexte, die genau
genommen lediglich leere Hüllen darstellten. Ein Beispiel zeigt
am Besten, wie solche mails zusammengesetzt sind:

Receipt of your email to Imperial Airways

Thank you for contacting Imperial Airways.

Please be assured that your email is important to us


and will be responded to as soon as possible, therefore
it is not necessary to resend your email at any point.
We thank you for your patience.

Regards,
Imperial Airways.

The sending address for this email acknowledgement is


an automated account. This message is for notification
purposes only and should not be replied to. Thank you.

83
E ine solche information bietet einem Kunden, der seit
Monaten oder Jahren auf Antwort wartet keinerlei
Nachricht und wird ihn höchstens irritieren.
Ausgehend van den Mailbestätigungen kann man jedoch zum
Beispiel interessante statistische Daten zur Arbeitsweise der
Luftfahrtunternehmen ableiten.

D ie Kopfdaten einer Standardantwort von Imperial


Airways und auch vom spanischen
Flughafenbetreiber BAA enthält normalerweise
folgende Musterzeilen (für 3 Beispieldatensätze):

- 07. Apr 2008 09:26, Kopfdaten einer Mail von


Imperial Airways [Incident: 080407-000442]
- 07. Apr 2008 10:57, Kopfdaten einer Mail von
Imperial Airways [Incident: 080407-000788]
- 07. Apr 2008 12:56, Kopfdaten einer Mail von
Imperial Airways [Incident: 080407-001312]]

A us diesen Daten kann man nun ablesen, dass am 7.


April 2008 um 9:26 Uhr 442 Mails eingegangen
sind. Durch Versand der Mails kann ein
geschädigter Kunde sich immerhin einen Überblick über die
Aktivitäten der Customer Services verschaffen.

84
M it dieser Methode ließ sich immerhin nachweisen,
dass am 7.4.2008 und am 26.05.2008 jeweils um
18:00 Uhr ungewöhnlich viele (das heißt mehr als
2400) Mails pro Tag eingegangen sind. Normalerweise gehen
zwischen 800 und 1600 Mails pro Tag ein. Der 28. März 2008
war natürlich auch der rabenschwarze Einweihungstag des
neuen Terminals 5, als 34 Flüge storniert werden mussten...

D er Flughafenbetreiber BAA erhält dagegen maximal


500 Mails pro Stunde, beziehungsweise 7000 Mails
pro Tag, d.h. dreimal soviel wie Imperial Airways.
Das liegt vermutlich daran, dass man nicht weiß wie man ein
Spamfilter einrichten muss. Vielleicht sind es aber auch
Dankesschreiben für die gastfreundliche Unterkunft auf den
nackten Metallgitter-Couches und den Marmor Fußboden im
Flughafen Heathrow...

85
86
21 Der Turing-Test

7. April 2008

D ie von Imperial Airways und BAA zurückgesandte


Mails erwiesen sich als höchst unpersönliche, vom
Computer generierte Nachrichten, die kaum
persönliche Merkmale aufwiesen. Keine Mail wurde jemals mit
einem Schreibfehler ausgestattet. Die Formulierung war
maskenhaft, als ob irgendein Textgenerator die Standardtexte
Nummer 47 oder 32 abgerufen hätte. War ich etwa mit einer
der berühmten Turing-Computer verbunden? Das wäre ja
sensationell! Sehen Sie sich als Beispiel mal folgende Mail an,
die ja offensichtlich von einem Textautomaten generiert
worden ist. Der Text besagt, dass eine Vergütung verweigert
wird, weil der Flug nicht storniert wurde. Dann aber ist die
Airline generell nicht haftbar für jeglichen Flug, der verzögert
abgefertigt wurde. So ein Unsinn kann nur ein Computer
generieren:

Dear Mr R.

Thank you for contacting us about your claim for


compensation.
Your claim for compensation has been refused because
BA0920 on 12 August 2006 was not cancelled.

87
Under EU legislation, Imperial Airways is not liable for
a compensation payment when a flight is delayed.
For more detailed information, please visit ba.com

· click on the section marked Legal


· then select Notification of rights to compensation for
cancelled flights

Thank you for following this up with us and I hope you


will fly with us again soon.

Best regards
Alisha S.

EU Compensation Claims

Your case reference is: 6844481


Please use the following link to send us a reply:
http:/imperialairways.com/travel/webforms/public/en_g
b?eId=120001&wfpId=custrelreplies&case=6844481
Please quote your case reference 6844481 in any
correspondence with us.

Please do not reply directly to this email as it will not


reach us, but if you click on the link above, we'll be
happy to answer your question.

88
Alan Mathison Turing

A lan Turing29 gilt wahrhaftig als einer der


einflussreichsten Theoretiker der frühen
Computerentwicklung und Informatik. Die von ihm
entworfene Turingmaschine bildet eines der Fundamente der
theoretischen Informatik. Während des Zweiten Weltkrieges
war Turing maßgeblich an der Entzifferung der mit der Enigma
verschlüsselten deutschen Funksprüche beteiligt. Der Großteil
seiner Arbeiten blieb nach Kriegsende jedoch unter Verschluss.

T uring entwickelte 1953 eines der ersten


Schachprogramme, dessen Berechnungen er mangels
Hardware selbst durchführte. Nach ihm benannt ist
der Turing-Preis, die bedeutendste Auszeichnung in der
Informatik, sowie der Turing-Test30 zum Nachweis künstlicher
Intelligenz. Er wurde vom britischen Geheimdienst 1952 auf
obskurer Weise in die Enge getrieben und starb zwei Jahre
später einen unnatürlichen Tod.

T uring hat den Turing-Test 1950 vorgeschlagen, um die


Frage „Können Maschinen denken?“ zu entscheiden.
Der aus der Anfangszeit des Informatik-Teilbereichs
Künstliche Intelligenz stammende und seither legendäre Test
beflügelte den alten Mythos der denkenden Maschinen.
29
Alan Mathison Turing (1912-1954)
30
Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence, Mind, vol. LIX, no.
236, October 1950, S. 433–460 (online, HTML)

89
Der Turing-Test

I m Zuge dieses Tests führt ein menschlicher Fragesteller


über eine Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und
Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern
eine Unterhaltung. Der eine Gesprächspartner ist ein Mensch,
der andere eine Maschine. Beide versuchen, den Fragesteller
davon zu überzeugen, dass sie denkende Menschen sind. Wenn
der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht klar sagen
kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine
den Turing-Test bestanden.

N ach meiner Idee wurde ich bei einer Mail an Imperial


Airways mit einer solchen „Turing-Computer
verbunden, die auf meinen Mails mit intelligenter
Logik reagierte, als ob ein Mensch mir antwortete. Zumindest
sahen die Antworten so aus, aber es waren noch Hunderte Tests
erforderlich um diese These zu konkretisieren.

T uring vermutete als Erster, dass es bis zum Jahr 2000


möglich sein werde, Computer so zu programmieren,
dass der durchschnittliche Anwender eine höchstens 70-
prozentige Chance habe, Mensch und Maschine erfolgreich zu
identifizieren, nachdem er fünf Minuten mit ihnen
„gesprochen“ hat. Dass sich diese optimistische Vorhersage
nicht erfüllte, gilt heute für einige als Zeichen der
Überheblichkeit seitens der Pioniere der künstlichen
Intelligenz.

90
B islang hat kein Computerprogramm den Turing-Test
bestanden. Programme wie ELIZA oder AOLiza sind
Versuchspersonen gegenüber kurzzeitig als
menschlich erschienen, ohne dass sie den Turing-Test formal
bestehen könnten, da sie in ihrer Antwortstrategie nur
scheinbar auf ihr Gegenüber eingingen und den
Versuchspersonen nicht bewusst war, dass sie es mit
nichtmenschlichen Gesprächspartnern zu tun hatten.

I m Oktober 2008 wurde bei einem Experiment an der


University of Reading, bei dem
Computerprogramme teilnahmen, die 30-Prozent-Marke
sechs

knapp verfehlt. Das beste Programm schaffte es, 25 Prozent der


menschlichen Versuchsteilnehmer zu täuschen.

A ndererseits ist es aber möglich, dass Imperial


Airways deren Zentrale sich unweit von Bletchley
Park31 befindet, bereits seit Jahren unbemerkt
erfolgreich eine Turing-Computer betreibt und dieses System
so gut funktioniert, dass es keiner merkt!!

Z unächst gelang es mir in mühseligen Analysen der


Mails die Namen aller beteiligten Mitarbeiter der
Abteilung Customer Service zu finden. Der Stab
enthält etwa 20 Namen, die vermutlich von den Mitarbeitern
frei gewählt worden sind.

31
Bletchley Park (Abkürzung: BP) ist der Name eines Landsitzes in der
englischen Stadt Bletchley in der Grafschaft Buckinghamshire und war der
Sitz der militärischen Dienststelle, die sich im Zweiten Weltkrieg
erfolgreich mit der Entzifferung des deutschen Nachrichtenverkehrs
befasste. Bletchley liegt etwa 70 km nordwestlich von London.

91
S olche Dienststellen werden heutzutage vorzugsweise
in Indien oder in einer entfernten Region mit
minimalen Lohnkosten delegiert. Dafür spricht die
Tatsache, dass einige Antworten auf geringe Erfahrungen im
Flughafenbetrieb deuten.

Z u 99,9% werden Antworten offensichtlich


automatisch generiert, entweder vom Mailserver
direkt oder indem ein Bearbeiter einen Standard
Antwortbrief per Nummer selektiert und generiert. Diese
Methode scheint die wirtschaftlichste Lösung zu sein um bis zu
1200-2400 Mails pro Tag mit 20 Mitarbeitern zu bewältigen.
Jeder Mitarbeiter muss dabei täglich etwa 60 bis 120 Mails
beantworten.

D a es in der Regel unmöglich ist die standard


Antworten des Computers von den von
Menschenhand generierten Standard Antwortmails
zu unterscheiden, schlage ich nun vor die Loebner-
Bronzemedaille mit dem Preisgeld von 2000 U$-Dollar an
Imperial Airways zu verleihen für die geleistete Mühe bei der
Erstellung eines Spielprogramms mit Unterhaltungswert.

D er Loebner32-Preis ist seit 1991 ausgeschrieben und


soll an das Computerprogramm verliehen werden,
das als erstes den Turing-Test besteht. Bisher konnte
jedoch kein Computerprogramm die nötigen Voraussetzungen
erfüllen. Weiterhin wird jährlich ein Loebner-Preis an das
Computerprogramm verliehen, das einem menschlichen
Gespräch am nächsten kommt. Dieser ist mit 2.000 US-Dollar
und einer Bronzemedaille dotiert.

32
Der Preis ist nach Hugh G. Loebner benannt und mit 100.000 US-Dollar
und einer Goldmedaille dotiert.

92
I m April 2008 wurde die Gesamtzahl der
Vorgangsnummern33 der oben genannten Turing-
Maschine auf 6.844.481 gesetzt, so dass wir jetzt
annehmen dürfen, dass der Rechner bereits 2 Jahre in Betrieb
gewesen sei bei einer Rate von 1.000 Mails pro Tag und einer
Betriebszeit von 360 Tg. Pro Jahr, wobei insgesamt eine
theoretische Gesamtzahl von 7.200.000 Vorgangsnummern
vergeben worden sei...

33
Es handelt sich dabei um die case reference Nummer in der
beschriebenen Mail: 6844481

93
94
22 Behördliche Hilfe: Fehlanzeige!

S elbstverständlich wurden neben den Schreiben an


Imperial Airways und an BAA verschiedene weiteren
Amtsstellen um Klärung dieser skandalösen
Verhaltensweisen gebeten. Davon ist keine einzige Aktion
erfolgreich gewesen gegen die Lobby, die Imperial Airways
aufgebaut hat. So konnte der Kampf gegen diese Willkür nur
darin bestehen, die beteiligten Firmen durch einer Vielzahl der
Benachrichtigungen auf ihre Probleme hinzuweisen.

A m 25.01.2008 bestätigt mir S. B. vom


Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung dass die Air Passengers Rights im
standard-Pamphlet nicht vollständig sind. Dazu müsste man
(wohl "als gestrandeter Passagier am Flughafen Heathrow")
einen Internet-Link34 öffnen. Ob das wohl ein Vorschlag sei,
der als Jux gemeint ist?

A m 12.02.2008 meldet der Niederländische


Verkehrsminister Camiel Eurlings, dass Airlines
immer noch nicht ihre Passagiere über ihre Rechte
bei Verzögerungen und Ausfällen informieren. Wir wissen das
alles aber schon, aber die Verantwortlichen zeigen sich
uninteressiert....

34
http://www.bmvbs.de/Verkehr/Luft-,1483/Fluggastrechte.htm

95
A
liegen.
m 05.03.2008 behauptet "David" von Imperial
Airways, dass mangelhafte Telefone und
Telefondefekte im Verantwortungsbereich des BAA

„I am sorry but I have no details from a flight in 2006,


I can advise that phone booths or any amenity at
Heathrow Airport is supported by the BAA, who own
the airport and it is their responsibility for there
upkeep. As a company, during a disruption, we provide
staff with cell phones who call on the passengers
behalf. I can advise we do not have a separate
rebooking system, only a booking system. This is used
to rebook passengers and is operated not only in the
UK but worldwide and it is rare that the worldwide
system collapses simultaneously. I am sorry that I am
unable to assist you but as this problem has been
ongoing since 2006 I am sure you have been in contact
with departments who can assist you”.

D ass die
arbeitet
am 13.
Heathrow wurde
beantwortet.
Umbuchungszentrale mitten in der Nacht
ist ebenfalls ein Märchen. Bei Testanrufen
August 2006 um 3:00 in der Früh von
selbstverständlich kein einziger Anruf

D avid behauptet auch, dass im Katastrophenfall IA-


Mitarbeiter mit Handys ausgestattet werden und
Passagiere helfen. Ich antworte, dass IA für ein
funktionierendes Umbuchungsystem sorgen muss und dass die
IA-Mitarbeiter auf unseren Fragen geantwortet haben, dass sie
keine Handys dabei hätten und auch sonst beim Umbuchen
nicht helfen können. Darauf erhält man selbstverständlich
keine Antwort mehr...

96
A m 09.05.2008 reicht die CEC35-Leiterin in Kehl
unsere Beschwerde bei der Britischen
Verbraucherschutzorganisation zur Prüfung einer
Schadensersatzklage gegen IA ein. Die Imperial Airways
reagiert (am 11.8.2008) man mit einem schlichten Verweis auf
die Fluggastrechte-Verordnung.

A m 14.05.2008 finde ich im Internet das von der CEC


genannte Gerichtsurteil36 aus Koblenz aus dem Jahr
2006:

"Die Fluggesellschaft hat die Pflicht, den Passagieren


ihre Hilfe anzubieten, beispielsweise einen Bustransfer
zu einem anderen Flughafen zu ermöglichen. Verletzt
sie diese Pflicht, haben Fluggäste Anspruch auf
Schadensersatz (OLG Koblenz, Az.: 1 U 983/05)."

A m 15.05.2008 hat die Leiterin/Director/Responsable


du CEC den Richter aus dem Amtsgericht Simmern
erreicht und lässt sich das Urteil zuschicken. Darauf
warten wir in August 2009 allerdings immer noch....

A m 18.05.2008 veröffentliche ich die Beurteilung von


Heathrow und Imperial Airways
Verbraucherschutzportalen, wobei die (bisher ca.
500) Leser diese Beurteilung als sehr hilfreich einstufen.
in 2

35
http://www.euroinfo-kehl.eu
36
http://www.elbelaw.de/blawg/?p=781

97
A m 05.06.2008 hat das LBA unsere Beschwerde
gegen Imperial Airways abgelehnt und
abgeschlossen. Das koblenzer Urteil ist ihnen
offensichtlich unbekannt oder zu unbedeutend.

A m 10.07.2008 beginnt BAA mit den automatischen


Antworten auf meine Mails und verspricht einen
Respons innerhalb von 6 Stunden. Ich erhalte jedoch
nie eine Reaktion von BAA.

A m 18.07.2008 antwortet "David", dass er meine


Mehrfachantwort auf seine Mail vom 5. März 2008
nicht versteht. Ich schicke ihm umgehend noch mal
meine Stellungnahme mit Einbeziehung des Urteils vom OLG
Koblenz, erhalte aber keine Antwort.

A m 20.07.2008 beantworte ich einen Brief mit einer


Anfrage von "Douglas" von Imperial Airways, was
er denn für mich tun könne... Ich schreibe ihm über
die deutsche Rechtssprechung vom OLG Koblenz, erhalte aber
keine Antwort.

A m 09.08.2008 beantworte ich eine Mail von A.S.


(EU Compensation Claims at Imperial Airways), in
dem ich (unter BA-case reference 6844481)
nochmals unsere Stellungnahme mit Einbeziehung des Urteils
vom OLG Koblenz einbeziehe.

98
A m 11.8.2008 erhalte ich per Einschreiben eine
Aufforderung (unter Androhung einer Geldstrafe
von 12.500 Euro pro eMail) der Imperial Airways
keine Mails mit Fragen und Gegendarstellungen zu schicken.
So leicht kann man in Deutschland mit tatkräftiger
Unterstützung einer deutschen Anwaltschaft das gesetzwidrige
Treiben einer Airline durchsetzen. Leider kann ich jetzt nicht
mehr feststellen, ob für unseren Flug BA920 von Heathrow
nach Stuttgart am 12.8.2006 das mittelalterliche britische
Gesetz gültig ist (in dem nur die höhere Gewalt gilt) oder ggf.
das menschenfreundliche deutsche Gesetz, welches das
Verhalten der BA uns gegenüber als gesetzwidrig einstufen
würde...

A m 28.08.2008 erhalte ich einen Anwaltsbrief mit der


Aussage der Imperial Airways, dass das Urteil des
OLG Koblenz nicht zutrifft, weil die Opferzahl
(insgesamt 400.000) zu hoch sei und zur automatischen
Erlischung der Haftung führen würde. Das heisst ja, dass man
jedes Verbrechen gut reden kann, falls man die Opferzahl nur
hoch genug ansteigen lässt.

A m 15.10.2008 beantworte ich den jüngsten


Anwaltsbrief, dass die einseitige
unangekündigte Ausschaltung der gesetzlichen
Haftung der Fluggesellschaft m.E. gesetzwidrig sei.
und

99
D ie Verbraucherschutzorganisation CEC berichtet am
20.10.2008:

"Meine britischen Kollegen teilten mir mit, dass sie


zwar noch keine Neuigkeiten von der britischen
Durchsetzungsbehörde erhalten haben, dafür aber die
bei der Behörde angesiedelte Schlichtungsstelle
ebenfalls BA angeschrieben hat". Auch die CEC ist
gespannt, wie BA reagiert. Bisher passiert ist jedoch:

NIX

100
23 Heathrow Hassles in 2004

Wie so oft wird die Zusammenstellung einer Übersicht


erschwert durch einer überquellenden Fülle an
Material. In folgender Dokumentation beschränken wir
uns auf die wichtigsten Hassles, denen wenigstens
einen Interneteintrag gewidmet wurden.

Warum nicht mal Personalmangel?

T ausende Urlauber saßen am Dienstag, 24 August 2004


auf Heathrow fest nachdem Imperial Airways Flüge
wegen Personalmangel und technischer Problemen
stornieren musste. Die gestrandete Passagier übernachteten auf
Sitzbänken und mussten lange Schlangen bilden um ihre Flüge
erneut zu buchen. Andere gaben einfach auf, nachdem die
Fluggesellschaft 46 Flüge in zwei Tagen storniert hatte.

„Es ist schon lächerlich, dass man wegen


Personalmangel soviel absagen muss“, sagte Thomas
Atmonde (36 J.), nachdem sein Flug nach Nizza in
Frankreich, storniert worden war. „Da plane ich eine
Kurzreise für nur 4 Tage und muss jetzt Schlange stehen
um zu versuchen einen späteren Rückflug zu buchen“.

101
102
24 Heathrow Hassles in 2006

„Ganz gewiss ist Heathrow eine Schande für London.


Es basiert auf die typisch englischen Kurzsichtigkeit,
gepaart mit mangelnder Investitionsbereitschaft und
planlosem Vorgehen.“

Der Terror am 10 August

A m Donnerstag, 10 August 2006 folgt ein weiterer


Ileus37 für Imperial Airways infolge der Einführung
von neuen Sicherheitsbestimmungen. Alle Flüge
von und nach London bis 15:00 Uhr (BST) Nachmittags
wurden gestrichen.

„Dieses ist die Mutter aller Katastrophen. Wir haben


immer schon gewusst das die Flughafenbetreiber
arrogant sind, aber 5 Millionen Passagiere einfach im
Stich zu lassen gilt sogar nach eigenem Maßstab als ein
neuer Höhepunkt der Hybris“ meinte John S., der
Sprecher der Hacan-Bürgerbewegung, die sich gegen
einer dritten Start- und Landebahn wehrt.

37
Der Ileus (latinisierte Form des griechischen ειλεός, ileós, von
altgriechisch eilein, „einschließen“, „zusammendrängen“) oder
Darmverschluss ist eine Unterbrechung der Darmpassage. Als
lebensbedrohliches Krankheitsbild bedarf er im Allgemeinen einer
sofortigen Krankenhauseinweisung und oft einer chirurgischen Intervention.

103
D er Schaden für Imperial Airways beträgt 50
Millionen Pfund. Beim Auspacken der dreckigen
Wäsche wirft der Flughafenbetreiber der Airline
vor, dass Imperial Airways die Sicherheitskrise missbraucht um
unprofitable Flüge zu stornieren. Eine BAA-Quelle meldet,
dass die Fluglinie zusätzlich unprofitable Flüge ohne Not
ebenfalls gestrichen habe...

I m Englischen wird oft der mechanische Ileus als


Obstruction betrachtet und gilt nur der paralytische Ileus
als echter Ileus. Das zeigt mal wieder, dass Briten die
Ernst einer Verstopfung erst gar wahrnehmen.

Weihnachten, 25 Dezember 2006

I m Zuge des Weihnachtsverkehrs lässt das Förderband am


Flughafen Heathrow als Weihnachtsüberraschung für
die Passagiere mehr als 25.000 Gepäckstücke liegen,
wobei Imperial Airways wie üblich die Hauptrolle als
Weihnachtsmann spielen darf. Zitat aus dem Internet:

„Es ist klar, dass ein Gepäckstapel ein Problem


darstellt. Ob aber Imperial Airways auch professionell
herangegangen sei? Wahrscheinlich eben nicht!“

104
25 Heathrow Hassles in 2007

Wintersturm am 19 Januar

E in Wintersturm legt sich am Freitag 19 Januar 2007,


aber noch immer zeigen sich Heathrow und die
andere Flughäfen verschnupft. Imperial Airways hat
bereits am Donnerstag 130 Flüge gestrichen...

Ein Streik am 27 Januar

I mperial Airways streicht zum Monatsende wegen einer


von der Belegschaft geplanten Streikaktion etwa sieben
Flüge von London zu den Emirate. Der Firmenchef
Gordon W. meint dazu:
"We're no longer the world's favourite airline,
we're the world's favourite headline."

Der Personalmangel am 10 Juli

I mperial Airways diagnostiziert reichlich spät ein


Verdauungsproblem im Gepäckstapel, wobei 22.000
Koffer „verloren“ gehen. Die größte Fluglinienbetreiber
verfügt über zu wenig Gepäckkulis um die Sommerspitze zu
bewältigen. Die Situation spitzt sich derart dramatisch zu, dass
Imperial Airways in den eigenen Reihen „Freiwilligen“
anweisen muss mit dem Stab einer externen Firma zusammen
zu arbeiten. Warum sollte man auch ohne Not mit anderen
zusammen arbeiten? Sollen doch die Passagiere ihren eigenen
Koffer aus dem Stapel fischen...

105
Sommersturm am Freitag, 20 Juli

I mperial Airways lernt nichts dazu. Ein Schweizer


Programmierer berichtet als gestrandeter Passagier über
die unverschämte Nötigungen der IA-Mitarbeiter, aber
die Geschichte kennen wir ja bereits...

106
26 Heathrow Hassles in 2008

Frühlingssturm am 10 März

S turm und Regen führen zum üblichen Chaos auf den


britischen Flughäfen, so dass Dutzende Flüge storniert
werden müssen. Ein Mitarbeiter der London City
Airport berichtet von 95 bereits gestrichenen Flügen. Dieser
Liste fügt Heathrow Airport zum Morgenappell nochmals 34
Flüge hinzu. Eine Competition Commission entscheidet, dass
der Betreiber BAA die Flughäfen Gatwick, Stansted und
entweder Glasgow oder Edinburgh verkaufen soll.

Der T5 -Ileus am 29 März

D ie Queen eröffnet das 5,6 Milliarden teuren


Terminal 5 des Londoner Flughafens Heathrow,
doch statt Feststimmung herrscht alsbald das
gewohnte Desaster. Es sollte eigentlich ein Tag des Triumphs
werden, doch die Eröffnungspremiere für Terminals T5 auf
dem Londoner Flughafen Heathrow endet in einem peinlichen
Chaos. Wegen erheblicher technischer Probleme muss British
Airways im Tagesverlauf 33 Inlands- und Kurzstreckenflüge
ins Ausland sowie auch die zugehörigen Anflügen absagen.
Der Großteil des Flugbetriebs sei aber normal verlaufen,
betonte eine Sprecherin. Man sei ja die Hassles gewöhnt...

107
V or allem an der neumodischen Gepäckbeförderung
hapert es. Schon am Morgen klagen Passagiere, dass
sie stundenlang auf ihr Gepäck warten mussten. "Es
dauerte eine Stunde von der Landung, bis wir unser Gepäck
erhielten", sagt Michael S., der mit einem Langstreckenflug aus
Hongkong in Heathrow eintrifft, zur Nachrichtenagentur AP.

A ls ein Supermodel erfährt, dass ein Teil ihres


Gepäcks verschwunden ist, rastet die 37-jährige
total aus und muss nach einem Angriff auf einen
Polizisten in Gewahrsam genommen werden. Obwohl es sich
um einer klaren Flughafenhysterie (Hysteria Aeropuertiensis
Britanniensis) handelt, erhält Sie von Imperial Airways
daraufhin Flugverbot.

D ie Koffer müssen natürlich im Ausland sortiert


werden. Um den bislang aufgetürmten Berg von
rund 20.000 Gepäckstücken abzutragen, wird
immerhin schleunigst ein amerikanischer Dienstleister als
Krisenhelfer verpflichtet. Alles deutet darauf hin, dass das
organisatorische Chaos in Heathrow auf hausgemachte
Schwierigkeiten zwischen dem Betreiber und dem Großkunden
Imperial Airways zurückzuführen sind.

G enau genommen handelt es sich bei diesem Ileus um


die gleichen, alten Verdauungskrankheit, die bereits
früher in den alten Terminals aufgetreten ist. Das
zeigt mal wieder, dass die Probleme inherent an dieser Firma
haften und mit technischen Mitteln unlösbar sind. Man möge
doch bitte schön den ganzen Laden schließen.

108
27 Aktuelle und geplante Hassles

Der Wintersturm am 3 Februar 2009

H eftige Schneefälle in London verursachen ein Chaos


im Flugverkehr. Die Flughäfen Heathrow, Gatwick,
London City, Luton, Stansted, Southampton,
Edinburgh und Birmingham werden alle geschlossen, so dass
der britische Flugverkehr vollends zum Erliegen kommt. Auf
Heathrow gerät ein Passagierflugzeug von der Landebahn und
rutscht auf die Grasfläche...

A n allen Londoner Flughäfen bricht das Chaos aus,


nachdem wegen des Schneesturms Hunderte Flüge
gestrichen wurden und Tausende Passagiere
strandeten. Am Flughafen Heathrow, dem größten Europas,
geht gar nichts mehr. Imperial Airways streicht bis zum
Nachmittag alle Flüge. Insgesamt fielen mehr als 650 Flüge
aus. Beide Start- und Landebahnen sind gesperrt, alle Flüge
von Terminal 5 sind abgesagt. Passagiere sollen ihre Airlines
kontaktieren, da mit Verspätungen und gestrichenen Flügen
gerechnet werde, teilt der Betreiber BAA mit. Wir wissen wie
das endet, wenn die Telefone mal wieder ihren Dienst
versagen. Reisende reagieren verärgert:

"Es ist schockierend, dass ein bisschen Schnee das Land


in so kurzer Zeit vollkommen zum Stillstand bringen
kann. Es zeigt den miesen Zustand unseres Landes",
sagte Dave S., der von Stansted abfliegen wollte.

109
E in deutscher Journalist auf dem Weg nach Düsseldorf
erzählte, wie Passagiere in Heathrow auf dem Boden
lagen und schliefen. "Es ging gar nichts mehr", sagte
er. Auch die Lufthansa musste zahlreiche Flüge nach London
streichen, Air Berlin strich am Morgen zwei Flüge aus
Düsseldorf und Münster.

Geplantes Hassle in 2012

Man kann nie früh genug mit der Planung der Sommerferien
anfangen. Insbesondere sollte man die Olympische Spielen in
2012 dabei berücksichtigen. Obwohl Regierung und
Geschäftsleute schon lange zu Verbesserungen im Bereich des
drittgrößten Flughafens der Welt drängen, wissen wir bereits
dass sich nichts verbessern wird, nachdem sogar ein
nagelneues Terminal 5 sich als Verschlimmbesserung
herausstellt. Hinzu kommt die Ankündigung am Samstag, 23
Mai 2009, dass Imperial Airways im ersten Quartal von 2009
Rekordverluste von 401 Millionen Pfund hinnehmen musste.

„Woher sollte man denn überhaupt das Geld für


Restrukturierungen nehmen?“
„Eben, lassen wir es wie es ist!“

110
28 Schönwetterflieger!

G enau genommen ist Imperial Airways ein


gemächlicher untermotorisierter und ungeübter
Schönwetterflieger, der gar nicht vorbereitet wurde
für die hohe See und bei leisester Wellengang bereits die Segel
streichen muss. In England scheint das ein standard Konzept zu
sein, das von allen Briten mit Humor akzeptiert wird.
Normalerweise sollte doch eigentlich jedes technische oder
organisatorische System für die gängige Randbedingungen
entworfen werden. Kein anderer Flughafen bricht jedoch
mehrmals jährlich in der Weise zusammen wie der Flughafen
Heathrow. Welcher Bürger würde denn ein Atomkraftwerk
akzeptieren, dass nicht über Notabschaltungen verfügt? Die
Briten wahrscheinlich schon, wenn es billig genug ist...

D ie einzigartige Arroganz des Flughafens Heathrow


samt größtem Fluglinienbetreiber basiert auf einer
einzigartigen Monopolposition und einer
geografische Vorzugslage, deren schamlosen Ausnutzung von
der EU-Führung anstandslos akzeptiert beziehungsweise in der
Auslegung der Flugpassagierrechte sogar auch noch unterstützt
wird.

N un wissen wir nach Durchsicht dieser Heathrow


Hassles der vergangenen und kommenden Monaten,
dass Imperial Airways ohne Notplan oder gar
überhaupt planlos betrieben wird. Dieser Zustand wird von den
britischen Wählern, von den britischen Politikern und von den
EU-Verantwortlichen akzeptiert.

111
D ie Krümmung der Bananen und Gurken scheint den
Herrschaften wichtiger zu sein als die
Traumatisierung der gestrandeten Flugpassagiere
durch einer Hysteria Aeropuertiensis Britanniensis. Wer als
Europäer später die Geschichte Europas liest wird sich
schämen für die abgelegenen westliche Entwicklungsinsel, die
seine Gäste bedenkenlos und ohne Fingerkrümmung in einem
finsteren Loch krepieren lässt. Es wird langsam Zeit die
Bevölkerung zu wecken, dass an der Themse ein fauler Apfel
herumgammelt, der aussortiert werden muss. Jeder weiss es,
also sollte man das faule Früchtchen mit einer Serviette
aufgreifen und in der Mülltonne zu entsorgen...

112
29 Schlosswort: Kafka's Schloss

E in Fremder, namens K. trifft auf den Dunstkreis einer


imperialen Burg. Er behauptet er sei als Kunde zum
Schloss berufen worden, aber ob er wirklich Kunde
ist oder sich nur als ein solcher ausgibt, ob er wirklich berufen
wurde oder seine Berufung nur erfunden habe, ob er nur
zufällig eintraf oder in bestimmter Absicht - das wird endgültig
nie klar. So fragwürdig und ungewiss seine Papiere und Motive
sind, er ist eines Tages da und lässt sich mit dem Schloss ein,
und was der Roman „Das Schloss“ beschreibt ist die
Geschichte dieses Einlassens, die eine Geschichte verlorener
Illusionen ist - es sind die Illusionen einer unbeschwerten
Reise. Je mehr K. versucht, um so mehr wird er abgewiesen.

A ls ich die Geschichte "Das Schloss" von Franz


Kafka wieder gelesen hatte, war mir klar, dass
Kafka genau genommen beim Schreiben Terminal 1
vor Augen gehabt haben muss.

W as wäre leichter und alltäglicher gewesen, als in


einem Flughafen um Informationen beim
Fluglinienschalter nachzusuchen? Nun, dazu muss
zunächst einmal drei Tage Wartezeit verstrichen sein. Aber man
wird doch zur Umbuchung mit jemanden telefonieren können?
Nun, schon an das Wort Umbuchung zu denken, wäre
vermessen. Was wäre leichter als einen Mitarbeiter
anzusprechen? Nun, die Mitarbeiter sind nicht ansprechbar und
das Terminal ist nicht betretbar. Aber man wird doch mit einem
Zuständigen telefonieren können? Gewiss: nur, es antwortet

113
nur die Turbinenwartung, einer von unzählig vielen, die keine
Ahnung haben, oder es ist das Gegenteil von einem Gespräch,
ein Turing-Test38, die sich vielleicht das Interesse des Hörers
unten am Telefon seinen Wünschen entsprechend zurechtlegt.

A ls K. in den Dunstkreis eintrifft, ist er noch


euforisch und hat er noch irgendwie hochfliegende
Pläne. Er scheint die Burg erobern zu wollen. Das
Leben im Dunstkreis interessiert ihn nicht. Dann interessiert es
ihn doch insoweit er es für seine Auseinandersetzung mit dem
Schloss vielleicht nutzen könne. Später interessiert ihn eine
Auseinandersetzung mit dem Schloss vor allem um im
Dunstkreis übernachten zu können. Gegen Ende des Romans
ist aus dem vermeintlichen und hochmütigen Kunde der
Allergeringste geworden, ein versteckt lebender Bittsteller und
Knecht einer Gasthof-Magd. Je mehr er über das Schloss
erfahren wollte, desto intensiver wird er eine Ohnmacht und
Ahnungslosigkeit verspüren. Je mehr der Kunde K. weiß, desto
mehr prallt er ab, desto ferner rückt sein Ziel...

K afkas Protagonist K. ist in unserem Roman der


Kunde. Zunächst ist er noch voller Hoffnung, dass
die Fluglinie ihn helfen wird, dass alles auf ein
Missverständnis beruht.

38
Im Zuge eines Turing-Tests führt ein menschlicher Fragesteller über eine
Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm
unbekannten Gesprächspartnern eine Unterhaltung. Der eine
Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Beide
versuchen, den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie denkende
Menschen sind. Wenn der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht
klar sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den
Turing-Test bestanden.

114
B ereits im Schloss wird jedoch klar, dass jeder Kunde
hier verloren ist, nichts zu suchen hat und krepieren
soll. Nicht einmal Mitleid wird ihm zugeworfen,
nicht einmal einen verächtlichen Blick. Auch die Behörden
zeigen ihm die kalte Schulter. Zum Schluss wird er gerade
noch geduldet, wenn er sich zumindest unterordnet und
ordentlich benimmt.

D as Adjektiv kafkaesk (nach dem Schriftsteller Franz


Kafka) bezeichnet ein unheimliches Gefühl dunkler
Ungewissheit, einer rätselhaften unkonkreten
Bedrohung, eines Ausgeliefertseins gegenüber schemenhaften
dunklen Mächten. Das Eigenschaftswort leitet sich aus der
Grundstimmung zahlreicher Werke Franz Kafkas ab, in denen
die Protagonisten in undurchschaubaren, bedrohlichen
Situationen von düsterer Komik bis Tragik agieren. Oft wird
der Begriff verwendet, wenn menschenfremde Bürokratie
dargestellt werden soll. Die Menschen können partout nicht
begreifen, weshalb etwas so ist und nicht anders; und der
Bürger erfährt oft völliges Unverständnis und Hilflosigkeit.
Einige Romane von Franz Kafka handeln von der kalten,
zynischen Behördenbürokratie.

W ährend eines Heathrow Hassles mutiert der


Flughafen Heathrow zu Deathrow, das ultimative
Modell eines kafkaesken Schlosses, in dessen
Machtbereich die unbekannte Eigentümer notfalls auch mal
einen Gast vor die Hunde gehen lassen. In sofern wäre
Deathrow der optimale Drehort für „Das Schloss“. Es kommt
nur auf den Versuch an...

115
116
Abgeschlossen zum dritten Geburtstag
meines Heathrow Hassles
am 12. August 2009.

Franziscus Kavvka

117

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