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Inhalt
Einführung
Die Auffassungen über Gott sind sehr verschieden
1. Das kosmologische Argument
2: Das Argument vom Vorhandensein des Gottesgedankens in unserem Verstand
3. Das theologische Argument
4. Das historische Argument
5. Das sittliche Argument
6. Das Argument von der Bewegung
7. Das Argument von den Prophetien
8. Das Argument vom Denken auf höchster Stufe
9. Das Argument von der Existenz der Glaubensfunktion
10. Das Argument von der Voreingenommen heit des menschlichen Verstandes
11. Das Argument von der Tatsache der Unzwangsläufigkeit
12. Das Argument von den Naturgesetzen
13. Das Argument von den Ausnahmen bei den Naturgesetzen
14. Das Argument von Wundern
15. Das Argument von der Ausdehnung des Universums
16. Das Argument vom zweiten Gesetz der Thermodynamik
17. Das Argument von der Existenz von Gene
18. Das Argument von der Existenz radioaktiver Elemente
19. Das Argument von der Existenz schwarzer Löcher
20. Das Argument von der Abstufung in allen Dingen
21. Das metaphysische Argument des Anselm von Canterbury
22. Das Argument von der Komposition aller Dinge in der Natur
23. Das Zeugnis der besten Exemplare aller Dinge in der Natur
24. Das Zeugnis von Wissenschaftlern
25. Der Beweis von großer Kunst
26. Das Zeugnis von Bauern
27. Das Zeugnis von Tiererfahrungen
28. Der Beweis von der Stillung unserer Bedürfnisse
29. Der Beweis von künstlichen Satelliten
30. Der Beweis von der automatisierten Industrie
31. Der Beweis von erhörten Gebeten
32. Das Argument von der Notwendigkeit eines ewigen Geistes
33. Der Beweis von der Existenz des Bösen
34. Das Argument vom Glauben eines Menschen
35. Das Argument von der Unmöglichkeit, das Gegenteil zu beweisen
Einführung
Ein Philosoph konfrontierte Rabbi Levi Yitzak von Berditschew einmal mit Argumen
ten, die die Existenz Gottes widerlegten. Der Rabbi hörte ihm lange und tief in
Gedanken versunken zu; plötzlich blickte er seinem Gesprächspartner ohne Umschw
eife in die Au gen und sagte leise: »Und was, wenn es doch wahr wäre, daß es Got
t gibt? Sagen Sie mir, was wäre, wenn es doch stimmte?«
Der Philosoph war von diesen Worten mehr betrof fen als von all den Argumenten f
ür die Religion, die er bislang gehört hatte. Er erkannte, daß er in Gefahr war,
und wurde gläubig, da er zum ersten Mal seine Verwundbarkeit und Verantwortlich
keit vor einem wirklichen Gott spürte.
*
Ein armer Mensch bekam eine Uhr geschenkt, die erste, die er je besessen hatte.
Er war sehr stolz darüber, bis eines Tages seine Freude angesichts der Er kennt
nis verblaßte, daß sie nicht die richtige Zeit anzeigte.
Er brachte die Zeiger dem Uhrmacher zur Repara tur.
»Aber ich brauche die ganze Uhr!« sagte der Uhr macher.
Der Arme antwortete aufgebracht: »Sie wollen die ganze Uhr nur, damit Sie mehr G
eld für die Reparatur verlangen können. Die Uhr ist vollkommen in Ord nung. Nur
die Zeiger müssen repariert werden.«
*
Auch im Leben läßt sich kein Problem isoliert lö sen, ohne das Ganze zu berühren
. In der Medizin nennt man das »Ganzheitsmethode« oder »Psychoso matik«, die Erk
enntnis, daß Körper, Seele und Geist im Krankheitsfalle oder bei Beschwerden mit
betrof fen sind. Ein guter Arzt behandelt nicht das Ge schwür, sondern seine Ur
sache. Die Lösung sozialer Probleme muß ebenfalls die ganze Person mit einbe zie
hen, oder ein Scheitern ist so gut wie sicher.
Niemand ist eine Insel, isoliert von Familie, Gesell schaft oder Universum. Das
Gefühl zu jemandem oder zu etwas zu gehören, ist nicht nur für das Wohlbe finden
wesentlich, sondern ist eine unwiderlegliche Tatsache des Seins.
Die Frage ist, zu wem wir gehören.
Gibt es ein höheres Wesen, jemanden, der über uns steht? Gibt es vielleicht eine
n Gott, dem wir angehören? Wir wollen diese Frage sine ira et studio angehen, o
hne den religiösen beziehungsweise den atheistischen Standpunkt zu bevorzugen o
der hinten anzustel len.
Jede einseitige Untersuchung eines Problems ist ge fährlich. Nur wer beide Seite
n hört, sieht klar. Ein einseitiger Mensch bleibt im dunkeln.
Lenin hat einmal gesagt: »Um ein Problem wirklich zu kennen, müssen wir alle sei
ne Aspekte und Zusammenhänge ins Auge fassen und studieren. Wir werden das nie
vollkommen erreichen können, doch die Bemühung, alle seine Aspekte abzuwägen, b
ewahrt uns vor Irrtum und Täuschung.«
Es ist daher falsch und antileninistisch seitens kom munistischer Länder, wenn s
ie nur atheistische Bü cher als Lektüre zulassen. In anderen Ländern sind so woh
l religiöse als auch antireligiöse Bücher frei erhält lich.
Mao schrieb: »Nur eine Seite von etwas zu sehen, bedeutet im Absoluten zu denken
; bedeutet Probleme metaphysisch zu betrachten.« Da Kommunisten Geg ner der Meta
physik sind, sollen sie doch die freie Meinungsäußerung gestatten!
Ein altes Sprichwort sagt: »Bewahre uns, Herr, vor einem Menschen, der nur ein e
inziges Buch liest!« Ich würde mich vor einem Menschen, der nur ein Buch liest,
hüten, selbst wenn dieses Buch die Bibel wäre.
Ein Frosch in einem Brunnen sagte: »Der Himmel ist nicht größer als die Öffnung
des Brunnens.« Rich tig wäre es gewesen, wenn der Frosch gesagt hätte: »Der Teil
des Himmels, den ich sehe, ist so groß wie die Öffnung des Brunnens.«
Der Himmel, den Atheisten von ihrer begrenzten Warte aus sehen, enthält keinen G
ott, so wie der Him mel manch eines engstirnigen Gläubigen kein Ver ständnis für
den Standpunkt des Atheisten birgt. Der Himmel ist jedoch selbst in der Naturwe
lt weitaus grö ßer als der kleine Ausschnitt, den wir sehen.
Wir wollen daher unsere Sicht vergrößern und auf einer Stufe, die sich von der h
erkömmlichen Weisheit vergangener Jahrhunderte unterscheidet, über den Glauben a
n Gott kontra Atheismus sprechen.
*
Der italienische Schriftsteller Dino Buzzati erzählt folgende Legende: Iblis, de
r Todesengel, erschien Einstein, als dieser gerade an seiner Relativitätstheori
e ar beitete, und sagte: »Deine Zeit ist abgelaufen. Du mußt mir in die andere W
elt folgen.« Einstein erbat sich eine Frist von einem Monat, innerhalb der er se
in Werk vollenden wollte. Die Frist wurde gewährt. Nach Ablauf des Monats bat Ei
nstein um einen weite ren.
Schließlich beendete er sein Werk und ging getreu der Vereinbarung in einer Deze
mbernacht in den Park, um den Todesengel zu treffen. Einstein, der kei nen persö
nlichen Ehrgeiz für Erfolg, Ruhm und Geld hegte, war damit zufrieden, daß er der
Wissenschaft gedient hatte.
Iblis fragte ihn: »Hast du deine Arbeit beendet?« - »Ja.«
»Dann kannst du dableiben. Ich habe kein Interesse mehr an dir. Ich habe dich mi
t der Vorstellung des bevorstehenden Todes erschreckt, damit du schneller ar bei
test. Ich bin der Bote des Teufels. Ich weiß, daß du lauteren Herzens gearbeitet
hast. Aber auf der Grund lage dessen, was du entdeckt hast, werden Raketen und
Killersatelliten entwickelt werden, um die Erde und ihre Bewohner zu zerstören.
Wir fördern die Ent wicklung einer Pseudowissenschaft, die nicht nur auf Wahrhei
t und Liebe ausgerichtet ist, sondern auch auf die Werke des Bösen. >Nur schnell
, schnell< ist unsere Devise.«
Der Teufel möchte nicht, daß wir viel Zeit mit Nach denken verbringen. Er hat ei
nen Widerwillen gegen Tiefe. »Schicke uns nicht in die Tiefe«, baten die Teufel
Jesus (Lukas 8:31).
Hierin sind sie ganz anders als Gott, der Oberfläch lichkeit meidet und sich vor
den Tiefen nicht scheut (Psalm 18:11).
»Schnell, schnell!« drängt der Teufel. »Baut Häuser, Städte, Staaten, Reiche, ku
lturelle, wissenschaftliche und politische Einrichtungen, Kirchen und Missio nen
! Tut große Dinge und tut sie schnell! Vergeudet eure Zeit nicht mit Feinabstimm
ungen oder Einzelhei ten! Denn so könnt ihr mir bei der Entfachung des Feuers, d
es kosmischen Holocaust, der Götterdäm merung behilflich sein, in der von Gottes
Schöpfung nichts übrigbleiben wird.
Unser Dämonenheer wird als einziges überleben, und dann wird Gott uns wieder auf
nehmen und nach unseren Bedingungen mit uns Frieden schließen müs sen« (Buzzati)
.
Dieses Buch ist für jene gedacht, die nicht in Eile und, die, ehe sie ein Haus b
auen oder einen Kampf austragen, sich zuerst hinsetzen, die Kosten berech nen un
d über die letztlichen Konsequenzen dessen, was sie tun, nachdenken, so wie Jesu
s es gelehrt hat (Lukas 14:28, 31).
Jahrelang saß ich allein und, wegen schwerer Ket ten, nahezu unbeweglich in eine
r sehr kleinen Gefängniszelle, ohne Bücher und Papier und ohne jemals mit jeman
dem sprechen zu können. Ich konnte nur denken. Ich konnte nur in die Tiefen zu
dringen versuchen. Sei still und lausche!
*
Manche glauben an Gott und manche nicht. Man che sagen anderen, sie sollen glaub
en oder nicht glau ben. Einige gehen noch weiter: Sie versuchen andere zum Glaub
en oder Nichtglauben zu zwingen. Im Iran läßt Khomeini Menschen töten, weil sie
nicht an Gott glauben; in Rußland werden Menschen von Kommu nisten getötet, weil
sie an Gott glauben.
Erwarten Sie daher keine einfache Lösung der Frage, ob es einen Gott gibt oder n
icht. Wenn es eine einfache Lösung gäbe, wäre diese Frage schon längst aus der W
elt geschafft.
Der Streit ist um ein Wort, das Wort »Gott«, obwohl bezüglich des Begriffes »Got
t« Einheit herrscht.
Im Hebrä ischen gibt es den Ausdruck »Wort« nicht. Statt dessen wird das Wort »D
avar« verwendet, welches »das Wirk liche« oder auch »der Grund« bedeutet. Unsere
Sprache dient nicht dazu, Wirkliches zu übermitteln oder Gründe aufzudecken. Un
sere Worte sind daher zerbrechliche Gefäße, die häufig in den Untiefen von Mißve
rständnissen und Uneinigkeit versinken. Kluge Worte kommen aus tiefem Schweigen.
Die Wirklichkeit übersteigt Streitigkeiten. Die Wirk lichkeit übersteigt sogar S
tandpunkte für oder gegen die Wahrheit. Wenn einer Gott ist, kann Er sich selbst
verteidigen.
Selbst jene, die für Gott sprechen, reden oft zuviel. Sie bemerken nicht, wenn s
ie, von Gott redend, dazu übergehen, von Seinen Eigenschaften zu sprechen. Eigen
schaften, Attribute! Das lateinische Wort »Attribut« bedeutet: jemandem etwas z
uschreiben. Das Wort an sich zeigt schon, daß es nicht über Gott spricht, wie di
eser an sich ist. Wenn es Ihn gibt, dann ist Er sicher nur wie Er ist (Exodus 3:
14), und nicht so, wie wir meinen und sagen.
»Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei vor ihm stille alle Welt!« (Haba
kuk 2:20), heißt es in der Bibel.
Nur die Schweigsamen können die Wahrheit sa gen, wenn sie, sehr selten, von Gott
sprechen.
Es gibt eine letzte Wahrheit. - Wäre es daher nicht aufrichtig, wenn wir nach ei
ner besseren letzten Wahrheit Ausschau halten als nach der, daß es keine letzte
Wahrheit gibt?
Auf die Frage, ob es einen Gott gibt, würde der Atheist antworten: »Ein vernünft
iger Mensch glaubt nur an das, was er sieht.«
Wenn man den Atheisten um eine genauere Erklä rung ersuchen würde, würde dieser
zweifelsohne seine Behauptung ein bißchen ändern. Offenbar glaubt auch er an die
Sonne, auch wenn diese nicht scheint, an die Liebe, auch wenn er sie nicht spür
t, oder an sei nen Verstand, den er nicht sehen kann. Er glaubt an Behauptungen
von Wissenschaftlern über Galaxien oder Mikropartikel sowie den Erklärungen von
Historikern über Ereignisse der Vergangenheit.
Prüfe selbst, ob es eine gewisse Antipathie ist, die dich Gottes Existenz ablehn
en läßt. Furchtbares ist im Namen Gottes getan und große Dummheiten sind als Sei
ne angebliche Offenbarung gepredigt oder geschrieben worden. »Gott« ist wirklic
h ein beflecktes, menschliches Wort. In Seinem Namen sind Standbilder von Ungeh
euern für heilig erklärt worden. In Sei nem Namen sind Religionskriege, oft die
erbittertsten und heftigsten, ausgefochten worden. In Seinem Na men wurden Inqui
sitionen durchgeführt. Soldaten im Nationalsozialismus trugen Koppelschlösser mi
t der Aufschrift »Gott mit uns«.
Aus diesem Grund rufen Gläubige nie jemanden zu dem Wort »Gott«, sondern zu der
Wirklichkeit, die »Gott« benannt wird. Es ist wichtig, sorgfältig zwi schen Name
und Wirklichkeit zu unterscheiden. Wer nicht gut unterscheidet, kann auch nicht
gut denken.
Wir gebrauchen viele falsche Bezeichnungen in un serer Sprache. "Glaube an Gott"
könnte auch eine falsche Bezeichnung sein. Mit Gott müssen wir den wah ren Got
t meinen, und nicht ein Phantasiegebilde.
Die Auffassungen über Gott sind sehr verschieden.
Manche glauben an Gott nur als »den großen Baumeister des Universums«. Das ist e
ine neutrale Vorstellung. Jeder hat recht, Juden, Christen, Moslems, Buddhisten
. Einige haben überhaupt kein Dogma. Nicht nur, daß sie keine Wahrheit hätten; s
ie weigern sich ent schieden, sie zu haben.
Lessing hat geschrieben: »Wenn Gott die ganze Wahrheit in seiner Rechten und den
lauteren und stets aktiven Drang zur Wahrheit in seiner Linken hielte, obgleich
mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu täuschen, und wenn er zu mir sagen würd
e: >Wähle!<, würde ich demütig in seine Linke fallen und sagen: >Vater, gib ihn
mir! Die reine Wahrheit gebührt nur Dir allein.«< (G. E. Lessing, Duplik, 1977,
Gesammelte Werke; V, 100)
Jeder normale Mensch möchte genau wissen, wel ches Essen gut für ihn ist und wel
ches giftig, welche Arznei ihn von seiner Krankheit heilt und welche sie verschl
immert. In der Mathematik und Wissenschaft möchten wir die Wahrheit wissen. Was
die Religion an belangt, erklären manche: »Wir wollen sie nicht. Kein Dogma, das
heißt keine eindeutige Wahrheit in Sa chen Religion!« Sie glauben lediglich an
den großen Baumeister des Universums, der offensichtlich nicht groß genug ist, s
ich vorzustellen.
Wer immer sagt: »Ich lehne die Möglichkeit, bezie hungsweise den Wunsch, zu eine
r unzweideutigen Wahrheit zu gelangen, ab«, erklärt damit: »Ich habe eine letzte
Wahrheit, und es ist wünschenswert, daß man sie kennt. Diese ist, daß es keine
letzte Wahrheit gibt.« Damit sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt angelangt
.
Es gibt eine letzte Wahrheit. - Wäre es daher nicht aufrichtig, wenn wir nach ei
ner besseren letzten Wahrheit Ausschau halten als nach der, daß es keine letzte
Wahrheit gibt?
*
Auf die Frage, ob es einen Gott gibt, würde der Atheist antworten: »Ein vernünft
iger Mensch glaubt nur an das, was er sieht.«
Wenn man den Atheisten um eine genauere Erklä rung ersuchen würde, würde dieser
zweifelsohne seine Behauptung ein bißchen ändern. Offenbar glaubt auch er an die
Sonne, auch wenn diese nicht scheint, an die Liebe, auch wenn er sie nicht spür
t, oder an sei nen Verstand, den er nicht sehen kann. Er glaubt an Behauptungen
von Wissenschaftlern über Galaxien oder Mikropartikel sowie den Erklärungen von
Historikern über Ereignisse der Vergangenheit. Er würde sich sodann korrigieren
: »Ein vernünftiger Mensch glaubt nur an das, was er selbst oder andere sehen kö
n nen. Wenige haben beispielsweise Zugang zu atoma ren Anlagen oder riesigen Ste
rnwarten, aber manche haben die Dinge gesehen. Deshalb kann ich daran glauben.
Der Gläubige könnte daraufhin sagen: »Wir befin den uns in derselben Lage. Wenig
e nur können be haupten, sie seien heilig oder sie hätten ein reines Herz, was d
ie Voraussetzung ist, um Gott zu schauen. Manche haben jedoch Gott geschaut. Die
alten Propheten sagen, daß sie Gott geschaut hätten. Jesus hat gesagt, Er komme
von Gott. Deshalb können wir glauben.«
Ich weiß, daß es das Land Tibet gibt, obwohl ich es noch nicht gesehen habe. Ich
weiß, daß manche Menschen sehr gütig sind, wenn auch nur vom Hörensa gen: ich
glaube, daß es meinen Gott gibt, auch wenn ich selbst Ihn noch nie gesehen habe.
Wie viele Zeugen haben wir dafür, daß Hannibal oder Dschingis-Khan tatsächlich g
elebt haben? - Nur sehr wenige, aber dennoch haben wir keinen Zweifel daran. Für
die Existenz Gottes gibt es wesentlich mehr Zeugen.
In der Nacht sehen wir viele Sterne am Himmel; sie verschwinden jedoch von unser
er Sicht, sobald die Sonne aufgeht. Können wir behaupten, tagsüber seien keine S
terne am Himmel? Wenn wir Gott nicht sehen können, durchlaufen wir vielleicht ge
rade die Nacht der Unwissenheit in dieser Sache. Es ist vorei lig, zu behaupten,
es gäbe Ihn nicht.
Prüfe selbst, ob es eine gewisse Antipathie ist, die dich Gottes Existenz ablehn
en läßt. Furchtbares ist im Namen Gottes getan und große Dummheiten sind als Sei
ne angebliche Offenbarung gepredigt oder geschrieben worden. »Gott« ist wirklic
h ein beflecktes, menschliches Wort. In Seinem Namen sind Standbilder von Ungeh
euern für heilig erklärt worden. In Sei nem Namen sind Religionskriege, oft die
erbittertsten und heftigsten, ausgefochten worden. In Seinem Na men wurden Inqui
sitionen durchgeführt. Soldaten im Nationalsozialismus trugen Koppelschlösser mi
t der Aufschrift »Gott mit uns«.
Aus diesem Grund rufen Gläubige nie jemanden zu dem Wort »Gott«, sondern zu der
Wirklichkeit, die »Gott« benannt wird. Es ist wichtig, sorgfältig zwi schen Name
und Wirklichkeit zu unterscheiden. Wer nicht gut unterscheidet, kann auch nicht
gut denken.
*
Wir gebrauchen viele falsche Bezeichnungen in un serer Sprache. "Glaube an Gott"
könnte auch eine falsche Bezeichnung sein. Mit Gott müssen wir den wah ren Got
t meinen, und nicht ein Phantasiegebilde.
Es gibt die Wahrheit. Es gibt die Wahrheit über die Wahrheit, die, um von den Me
nschen verstanden zu werden und um der Unwahrheit entgegenzuwirken, angepasst, v
erändert und gemildert wird. Dann gibt es die Darstellung der Wahrheit über die
Wahrheit in leicht verständlicher Form auf verschiedenen Ebenen, damit sie von K
indern, Unwissenden, ge wöhnlichen Menschen und Genies verstanden werden kann. D
ies Ganze wird die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahr heit. Sie einfach »W
ahrheit« zu nennen, ist eine falsche Bezeichnung. Nur die Wahrheit ist die Wahrh
eit, nicht ihre Anpassung oder menschliche Sprachhülle.
Wer kann die Wahrheit fassen? Wer weiß genug über sie, um sie in Abrede zu stell
en? Sie übersteigt unsere Standpunkte und Spekulationen.
Plato hat geschrieben: »Ein Mensch muß sieben Jahre still für sich forschen, bis
er die Wahrheit erfährt, aber er braucht vierzehn Jahre, um zu lernen, wie er s
ie seinem Nächsten vermitteln kann.«
Ich weiß nicht, warum Plato gerade die Zahl vier zehn wählte. Warum beschloß Ale
xandre Dumas, daß der Held in seinem Roman »Der Graf von Monte Christo« ebenfall
s vierzehn Jahre im Gefängnis sitzen sollte?
Nachdem ich vierzehn Jahre eines auf fünfundzwan zig Jahre lautenden Urteils abg
esessen hatte, wurde ich unerwartet aus der Haft entlassen. Geschah das deshalb,
weil ich meine Lektion gelernt hatte und nun wußte, wie ich die Wahrheit lehren
sollte?
Gott ist die Wahrheit. Jesus sagte: »Ich bin die Wahr heit.« Die Bibel ist ebenf
alls die Wahrheit, und sie spricht von der Schönheit der Heiligkeit Gottes. From
me Menschen nennen die Kirche die Säule der Wahrheit.
Werde ich nach vierzehn Jahren Gefängnis in der Lage sein, diese Wahrheit auf an
sprechende und überzeugende Art zu vermitteln?
*
Die Welt ist komplizierter, als es den Anschein hat. Die Wirklichkeit ist schwer
er zu deuten, als wir es glau ben möchten. Unser Wissen ist weniger zuverlässig,
als wir meinen. Eine allgemein als wahr angenommene Behauptung kann möglicherw
eise nur relativ ge sehen wahr sein, da die Wahrheit viele Seiten hat.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die klassische Ge schichte von den Blinden und de
m Elefanten: Auf die Frage, wie er sich einen Elefanten vorstellte, hatte je der
Blinde eine andere Antwort. Einer befühlte das Bein des Elefanten und sagte: »D
er Elefant ist so et was wie ein Baum.« Ein anderer tastete den Rüssel des Elefa
nten ab und sagte: »Ein Knochen«. Ein drit ter ergriff den Schwanz und sagte: »E
ine Schlange«! Kein einziger von ihnen hatte jedoch eine Vorstellung davon, wie
ein Elefant in Wirklichkeit aussieht.
Nur die vollkommene Seele kann die Wahrheit ganz und absolut sehen, und das nur,
wenn sie das ganze Universum in einem einzigen Akt ewigen Wissens überblickt.
Meinte Jesus das, als Er sagte: »Selig sind, die rei nes Herzens sind; denn sie
werden Gott schauen« (Matthäus 5:8), Gott, in dem alle ihr Sein und ihr Tun habe
n?
Gott schauen? Gibt es einen Gott?
*
Gott ist Gott. Unter dem Begriff »Gott« verstehen wir eine allmächtige Person be
ziehungsweise Macht, die das All lenkt und die das Objekt unserer positiven oder
negativen Gedanken und Gefühle ist. Ich bin das Subjekt, Er ist das Objekt.
Wenn ich so über Ihn denke, stellen sich große Wi dersprüche ein.
Warum verhindert Er nicht Erdbeben, Wirbel stürme, Kriege, Blutvergießen, Armut
und Sünde, wenn Er allmächtig und auch barmherzig ist? Wenn Er die Macht hat, Un
heil abzuwenden, und es trotzdem nicht tut, hat Er keine Entschuldigung.
Viele Juden sagen: »Ich habe geglaubt, bis Millio nen von uns von Hitler vergast
wurden. Soll sich doch Gott jetzt ein anderes Volk aussuchen!«
Gott hat keine Entschuldigung. Vielleicht braucht Er keine. Entschuldigt sich ei
n Töpfer bei dem Ton für das, was er aus ihm formt; dafür, daß er das von ihm Ge
formte in den brennenden Ofen schiebt, damit es hart wird?
Gottes Kraft ist in der Tat von ganz anderer Art. Es gibt viele Arten von Kraft:
nukleare, atomare, kalori sche, elektrische, mechanische, geistliche.
Gott ist Geist. Seine Macht muß daher geistlicher Art sein. Diese Energie unters
cheidet sich von ande ren Energiearten insofern, als sie keinen Zwang aus übt. S
ie ist keine zwingende Ursache, der eine be stimmte Wirkung folgen muß.
Vielleicht ist Er allmächtig in Seiner Macht zu über zeugen, zu lehren, zu überr
eden, Beispiele zu geben, eine von Erziehern, Pfarrern und Schriftstellern ver w
endete Macht. Gott zwingt die Menschen nicht, gut zu sein, aber Er zeigt Seine A
llmacht dadurch, daß Er ein kleines Kind in einer Krippe wird, ein Wanderpredig
er, der Liebe oder Haß auslöst, ein Mensch, der zwischen Räubern gekreuzigt wird
und alles mit Liebe erduldet. Und aufgrund Seines höchsten Opfers hat Er die Ma
cht, viele Menschen in vielen Ländern für Liebe und Güte zu gewinnen.
Gott ist nicht eine Art Supermann, der immer als deus ex machina erscheint, um M
enschen in Not zu retten. Er ist vielmehr ein allmächtiges, gelassenes, heiteres
, geduldiges Wesen, das Menschen überzeugt, eben diese Eigenschaften aus Seiner
freigebigen Hand entgegenzunehmen.
Es gab einen Zeitpunkt, da Er ein Wort sprach und das ursprüngliche Chaos ein ge
ordnetes Universum wurde. Er hauchte einer sog. Lehmfigur den Odem ein, und sie
wurde eine lebendige Seele.
Er trat mit Seinen Geschöpfen in Verbindung, und sie wurden Heilige.
Er hat die Macht, zu den Menschen durchzudrin gen, zu ihnen zu sprechen, sie zu
überzeugen, zu verändern und in alle Ewigkeit glücklich zu machen.
Ihre Glückseligkeit rührt nicht daher, daß sie von all ihren Mühsalen befreit wü
rden, sonder daher, daß sie in ihrem Wesen so werden wie Er.
Gott ist nicht eine Macht in dem Sinne, daß Er ei nen Menschen vor dem Sterben b
ewahrt (obwohl es solche Ausnahmen gegeben hat). Tatsache ist, daß uns das Leben
oft wie eine Harpyie reitet, ein Stachel und eine Plage. Beim Sterben aber lock
ert sie ihren Griff, und wir sehen sie verwandelt in Gestalt eines schönen Mädch
ens. Alles Leiden, das wir erduldet haben, wird ein Grund zur Freude.
Jesus, der menschgewordene Gott, wollte ungeach tet all Seiner Macht im Himmel u
nd auf Erden äußere Umstände nicht ändern, einen sehr schmerzhaften Tod am Kreuz
nicht umgehen. Indem Er Sein Schick sal mit Liebe und Vergebung annahm, zeigte
Er viel mehr, daß wir den Tod nicht zu fürchten brauchen. Ist diese Angst einmal
überwunden, wird das Leben selbst reicher, wie Er es jenen verheißen hat, die I
hm nachfolgen.
Es ist ein großer Nachteil, wenn man Gott nicht kennt, aber ein noch größerer Na
chteil ist es, wenn wir die falschen Schlüsse aus unserem Irrtum ziehen.
In gewisser Hinsicht ist das ganze Leben ein Wagnis, da wir als Menschen nicht d
ie Zukunft voraussagen können. Ich weiß nicht, ob die Heirat, die ich erwäge, mi
ch glücklich machen wird, und ich weiß auch nicht, ob ich glücklicher wäre, wenn
ich ledig bliebe. Ich weiß nicht, was mir die Laufbahn, die ich eingeschla gen
habe, bringen wird. Ich weiß nicht mit Bestimmt heit, ob das Essen, das ich gera
de verspeist habe, mir bekommen wird: Aber wir alle treffen Entscheidun gen, ges
tützt auf Vermutungen.
Laßt uns bezüglich der Existenz Gottes ebenso vor gehen.
Laßt uns »spielen«, wie Blaise Pascal vor schlägt. Dieser sagt tatsächlich: »Wen
n ich mein Ver trauen in Gott setze und dieser nicht existiert, verliere ich nic
hts außer die sündigen Annehmlichkeiten, auf die ich verzichten muß und die in j
edem Fall schädlich sind. Wenn es Ihn aber gibt, oh, dann habe ich ewige Freude
gewonnen.«
Bereits im Jahre 1912 schrieb Lenin in einem Brief an Gorki: »Millionen von Gewa
ltakten, Krankheiten und Epidemien sind weniger gefährlich als der geringste Ged
anke an einen Gott ... Gott ist der persönliche Feind der kommunistischen Gesell
schaft.«
Lenin schrieb auch: »Religion ist eine Art geistli cher Wodka, in dem die Sklave
n des Kapitals ihre menschlichen Merkmale und ihre Ehrfurcht vor ei nem irgendwi
e würdevollen menschlichen Leben ertränken.« Einige Menschen denken wie er; and
ere im Gegenteil glauben an Gott.
Für dich mag es vielleicht zweifelhaft sein, ob es ei nen Gott gibt, aber die fo
lgende jüdische Geschichte gibt es mit Sicherheit:
Ein Rabbi stellte einem Mann in seiner Gemeinde folgende Frage: »Zwei Männer kom
men in ein Haus durch den Kamin. Der eine von ihnen ist schmutzig, der andere sa
uber. Welcher von beiden wäscht sich?«
Der Jude antwortet: »Zweifellos der schmutzige.«
»Nein«, sagt der Rabbi. »Da der schmutzige Mann sieht, daß der andere sauber ist
, vermutet er, daß auch er sauber sei. Der saubere Mann, der am anderen den Schm
utz sieht, glaubt, daß er schmutzig sei, und wäscht sich.«
»Jetzt habe ich eine zweite Frage«, fährt der Rabbi fort. »Zwei Männer kommen in
ein Haus durch den Kamin. Der eine von ihnen ist schmutzig, der andere sauber.
Welcher von beiden wäscht sich?«
Der Jude antwortet: »Jetzt weiß ich es: der sau bere.«
»Nein«, sagt der Rabbi. »Der saubere Mann be trachtet prüfend seine Hände und se
ine Kleidung und sieht, daß sie sauber sind. Warum soll er sich da wa schen? Der
andere Mann sieht, daß er überall schmut zig ist, und wäscht sich.«
Der Rabbi stellt eine dritte Frage: »Zwei Männer kommen in ein Haus durch den Ka
min. Der eine ist sauber, der andere schmutzig. Welcher wäscht sich?« Verzweifel
t sagt der Jude: »Beide!«
»Falsch«, antwortet der Rabbi. »Wenn zwei Männer durch einen Kamin kommen, wie k
ann da einer sau ber bleiben? Hast du nicht gemerkt, daß die Frage tö richt ist?
«
Jedes menschliche Fragen nach Gott ist töricht. Wenn es keinen intelligenten Sch
öpfer gäbe, gäbe es auch kein intelligentes Wesen, das Fragen stellt oder den in
telligenten Schöpfer verneint. Gott existiert ganz einfach. Selbst die Behauptun
g, daß es Ihn gibt, ist eine Herablassung auf die Unsinnigkeit gewöhnli chen Den
kens.
*
Ich spreche über Gott. Wenn es einen Gott gibt und ich Sein Geschöpf bin; so ist
das reine Verwegenheit. Er ist ein ewiger Geist, während ich ein Mensch aus Fle
isch und Blut bin. Er ist ewig, während ich vergänglich bin.
Andererseits, wenn es keinen Gott gibt, bin ich das Produkt des zufälligen Zusam
mentreffens von Molekülen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Zufa
llsprodukt die Wahrheit kennt?
Wenn der Atheismus recht hat, wenn es keinen ewi gen Gott und kein ewiges Leben
gibt, wenn wir als Folge zufälliger Bewegungen von Molekülen der Ma terie entsta
nden, die auch nur als Zufall vorhanden ist, wenn der Tod sowohl für den Ungläub
igen als auch den Gläubigen das Ende bedeutet, wenn letztlich nicht bloß die gan
ze Menschheit, sondern auch die Erde und das ganze Universum in einem Prozeß na
mens Entropie »den Bach hinuntergehen« wird, ist al les nichtig.
Die ganze Geschichte wird ein Ende haben, ohne daß eine einzige Seele übrig blei
bt, die sich dafür interessieren würde, was mit der Menschheit in der kurzen Ze
itspanne, in der sie zufällig existierte, geschehen ist.
Wenn es einen Gott gibt, braucht Er nicht verteidigt zu werden. Wenn es Ihn nich
t gibt, wen greife ich an? Ein Hirngespinst? Warum stellen wir nicht andere Märc
hen in Frage?
Den Glauben an Gott angreifend, erweist der Atheismus sich selbst einen schlecht
en Dienst.
Ein russischer Bauer wurde gefragt: »Glauben Sie an Gott?« Er sagte: »Ja, natürl
ich.«
»Warum glauben Sie an Ihn? Haben Sie Ihn schon einmal gesehen?«
»Nein, aber ich habe auch noch nie einen Japaner gesehen. Ich glaube aber, daß e
s Japaner gibt, weil unsere Armee gegen sie Krieg geführt hat. Und ich glaube a
n Gott, weil unsere Regierung einen so erbit terten Krieg gegen Ihn führt. Kämpf
en Sie gegen ein nichtexistentes Wesen?«
*
Ich weiß, es ist anmaßend von mir, über dieses Thema zu schreiben. Doch obwohl i
ch ängstlich zur Feder greife, glaube ich, daß mich nahezu fünfzig Jahre des Stu
diums und der Meditation über dieses Thema zu der Hoffnung ermächtigen, daß ich
einen nicht ganz unbedeutenden, wenn auch geringen, Bei trag auf diesem Gebiet l
eisten kann.
Dieses Buch ist vermutlich nicht für jedermann von Interesse. Ein Musikstudent s
agte vor dem Empire State Building, einem der höchsten Gebäude in New York, zu s
einem Freund: »Wie schön das Kind da drü ben auf der anderen Straßenseite pfeift
!« Sein Ge fährte wunderte sich. »Wie kannst du das bei all dem Lärm hören?« Der
Musiker warf eine Münze auf das Pflaster. Sogleich traten mehrere Personen hinz
u. Der Beweis war erbracht: Jeder hört das, was ihn interes siert.
Die an Geld interessiert sind, hören das Klimpern einer Münze. Die an Musik Inte
ressierten hören sogar das Rascheln von Blättern, die der Wind aufwirbelt. Die n
ach der Wahrheit dürsten, werden in diesem Buch etwas Nützliches finden.
Das, was ich schreibe, ist nur für Menschen, die nach Wissen stre ben, die das L
icht der Wahrheit der Dunkelheit der Unwissenheit vorziehen.
Manche glauben, die Existenz Gottes sei nur eine ethische Frage: Wir brauchen di
e Vorstellung von Gott, weil ohne sie die Moral zusammenbricht.
Ungarische Kommunisten drehten einen Film mit dem Titel »Die Spiralleiter«. Er h
andelt von einem Ehemann mit zwei Kindern. Als guter Kommunist und guter Arbeite
r wird er von der Partei für kulturelle Zwecke von einer Provinzstadt nach Budap
est geschickt. Infolge der in Budapest herrschenden Wohnungsnot muß er eine Zei
tlang seine Familie zurück lassen. Er verliebt sich in seine Sekretärin und läßt
seine Familie im Stich.
In einer Szene - er ist gerade mit seiner Geliebten im Bett - fragt er: »Hast du
keine Gewissensbisse, daß du meine Familie entzweist?«
Sie antwortet: »Als ich ein Kind war, lehrte man mich, meine Leidenschaften zu b
ezähmen, weil es eine Belohnung im Königreich des Himmels für dieje nigen gäbe,
die so handeln, und eine Strafe in der Hölle für diejenigen, die nicht so handel
n. Ich glaube aber nicht mehr an solche Dinge. Warum sollte ich dann auf meine L
ust verzichten oder mir wegen deiner Familie Sorgen machen?«
Dostojewski hat es bereits in den »Brüdern Karama sow« gesagt: »Wenn es keinen G
ott gibt, ist alles erlaubt.« Es wäre daher wohl wünschenswert, Gott zu er finde
n, wenn es Ihn nicht gäbe, damit die Gesellschaft funktionieren und überleben k
ann.
»So nicht«, antwortet Jesus überraschend. »Wenn es keinen Gott und keinen Himmel
gibt, soll es jeder wis sen. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn'
s nicht so wäre, hätte ich's Euch gesagt.« (Johan nes 14.2)
Angenommen, Gott existiert nicht, sollen wir, da es keinen Meister, keinen Richt
er gibt, die wenigen Freuden, die das Leben bietet, so schnell wie möglich aus
kosten? Auch eine andere Schlußfolgerung ist möglich.
*
Im siebzehnten Jahrhundert, als der Atheismus im jüdischen Volk noch nahezu unbe
kannt war, sagte ein Jude zu seinem Rabbi: »Ich glaube nicht an Gott.«
Da umarmte ihn der Rabbi und sagte: »Wie ich dich beneide! Um deinen Seelenzusta
nd ist es so viel besser bestellt als um meinen. Wenn ich einen Menschen sehe, d
er krank, arm oder in Not ist, tröste ich mich mit dem Gedanken: >Gott wird ihm
schon helfen!< Da du aber nicht an Gott glaubst, mußt du ihm helfen. Es liegt al
lein an dir, das zu tun, was Gott täte, wenn es Ihn gäbe. Lebe so, und du wirst
Licht finden.«
Als mein Sohn Mihai etwa fünf Jahre alt war, sagte er etwas ähnliches: Er hörte,
wie ich für eine arme Familie betete. Er unterbrach mich: »Warum das Pro blem
Gott sagen? Greif in die eigene Tasche und gib dein Geld den Armen!«
*
Gott hat alles erschaffen, und alles existiert durch Seine selbstexistente Macht
. »Denn in Ihm leben, we ben und sind wir« (Apostelgeschichte 17:28).
Nur Er existiert wahrhaft. Die Sprache zwingt mich, mich selbst mit »ich« anzure
den, doch eigentlich hätte nur Gott das Recht, das Wort »Ich« zu sagen. Ich exi
stiere nur »in Ihm.« Wissenschaftler, Gläubige wie auch Atheisten, sind sich ein
ig: »Es gibt nur einen.« - Wer ist dieser eine?
*
22. Das Argument von der Komposition aller Dinge in der Natur
In der Natur ist alles zusammengesetzt. Was für einen komplizierten Aufbau finde
t man selbst in einem Atom, in einer lebenden Zelle, in einem seelischen Komplex
! Alles Zusammengesetzte dient etwas anderem als sich selbst. Ein Bett und ein S
tuhl dienen dem Menschen; eine Zelle dient einem Organismus; Moleküle dienen ein
er Zelle; Elementarteilchen dienen einem Molekül usw.
Nie gehört eine Absicht der Masse selbst, die keine Intelligenz hat und folglich
auch keine Absicht verfolgen kann. Jedes zusammengesetzte Etwas beweist die Exi
stenz des Schöpfers: die zusammengesetzten Dinge des Universums beweisen die Exi
stenz des göttlichen Schöpfers.
Gott muß eine einfache Substanz und nicht zusammengesetzt sein, denn wenn Er ein
e Anhäufung wäre, würde Er wiederum den Absichten von etwas anderem dienen, und
so endlos fort. Da alle Dinge Gott dienen, muß Er sich wesentlich von ihnen unte
rscheiden. Da Er nicht zusammengesetzt ist, ist Er keinen Veränderungen unterwor
fen, da Veränderungen von den Reaktionen zwischen Bestandteilen verursacht werde
n.
Da Gott somit unveränderlich und unveränderbar ist, ist Er offensichtlich auch u
nsterblich.
23. Das Zeugnis der besten Exemplare der Menschheit
Die Argumente für die Existenz Gottes betrachtend, wollen wir wie ein unparteiis
cher Richter sein, der alle Zeugen hört, und wie ein gerechter Richter, der ihre
Glaubwürdigkeit abwägt.
Zeugen für die Existenz Gottes sind jene Exemplare der Menschheit, die Eigenscha
ften der Güte, Sanftmut, Liebe und Heiligkeit an den Tag gelegt haben.
Propheten, die Religionsstifter, Jesus Christus, die Apostel und Heiligen aller
Zeiten und in allen Teilen der Welt waren Zeugen für Seine Existenz. Ausnahmslos
sprechen sie von ihrer persönlichen Erfahrung mit Gott. Die Propheten vernahmen
Seine Stimme. Die Apostel kannten Ihn in der Person Jesu, von dem geschrieben s
teht, daß »Er aus des Vaters Schoß kommt«.
In allen Zeiten hat sich der Vater in vielerlei Weise den Heiligen offenbart. Wa
hrheit ist das Leitprinzip im Leben all dieser Zeugen gewesen, von denen viele i
n den Tod gegangen sind, um sie zu verteidigen.
Kein Richter würde die Aussagen solcher Zeugen ohne weiteres unter den Teppich k
ehren. Das sollen auch wir nicht tun. Ihr vielfältiges Zeugnis ist ein zwingende
r Beweis für die Existenz Gottes.
Ich möchte die Geschichte von nur einem von ihnen erzählen - von Bartolome de la
s Casas.
Im Jahre 1502 kam er nach Santo Domingo und lebte, wie es Brauch war, mit Indios
als Sklaven. Als er das Evangelium hörte, erkannte er, daß seine Männer und der
Wohlstand, den sie ihm brachten, unrechtmäßige Güter waren. Unverzüglich setzte
er seine Sklaven auf freien Fuß und rief auch seine Mitkolonisten auf, seinem B
eispiel zu folgen und keine Tyrannen mehr zu sein.
Es gelang ihm, die spanischen Behörden zu überzeugen, selbstverwaltete Landwirts
chaftskommunen von Indios zu gründen, in denen sie den größten Teil des Gewinnes
erhalten würden.
Nachdem er später zum Priester geweiht worden war, gebot er Eroberungsfeldzügen
und der Sklavenjagd in Nicaragua Einhalt und brachte Soldaten dazu, daß sie den
Befehlen von Sklavenhaltern nicht gehorchten.
Schließlich veranlaßte er Kaiser Karl V., die Sklaverei von Indios im Jahre 1542
abzuschaffen. Papst Paul III. hatte sich in seiner Bulle »Sublimis Deus« bereit
s gegen sie ausgesprochen.
Inzwischen war Bartolome zum Bischof geworden. Er verweigerte Sklavenhaltern die
Absolution und verteidigte seinen Standpunkt in dem Büchlein »Confessionario«,
welches einen Aufschrei gegen ihn in Spanien auslöste. Die Regierung war der Ans
icht, daß er zu weit gegangen sei: »Verräter! Er ist ein Verräter! Wir haben kei
n Anrecht auf Indianer, wenn, wie er sagt, alles, was wir dort getan haben, unbi
llig ist.«
Selbst Humanisten behaupteten zu jener Zeit, die Indios, eine untergeordnete Ras
se, seien von Natur aus Sklaven, und rechtfertigten damit die spanische Eroberun
g. Las Casas erwiderte: »Das ganze Menschengeschlecht ist eins«, und er sagte, d
aß die Spanier nicht das Recht hätten, zu erobern oder auszubeuten. Sein Einfluß
führte zur friedlichen Kolonialisierung der Philippinen.
Er veröffentlichte ein Buch nach dem anderen zur Verteidigung der Unterdrückten.
Von ihm stammt auch das Pamphlet »Kurzbericht über die Zerstörung Westindiens«,
welches die Geschichte von dem indianischen Kaziken auf Kuba enthält, der, als
man ihm sagte, daß Spanier in den Himmel kämen, antwortet: »Dann möchte ich nich
t dorthin kommen, sondern lieber in die Hölle, damit ich nicht dort bin, wo so g
rausame Menschen sind.«
Woher nahm Las Casas seinen Mut? Er gibt die Antwort selbst: »In Seiner Güte und
Barmherzigkeit erachtete es Gott für richtig, mich, obwohl unwürdig, zu Seinem
Diener zu wählen, um für alle diese Menschen Westindiens einzutreten gegen die U
ntaten und das Unrecht, von denen man bislang weder gehört noch gesehen hat. Und
ich habe etwa 50 Jahre lang allein für Gott gearbeitet.«
Wir können zugunsten der Religion - vor allem der christlichen Religion - die Sc
hriften und Aufzeichnungen zahlloser Heiliger aller Zeiten anführen. Welche Auto
ritäten können Atheisten zur Untermauerung ihrer Anschauung auftreiben?
Sie können keine Wohltäter der Menschheit für sich beanspruchen. Ihre Zeugen sin
d die größten Verbrecher des Menschengeschlechts: Stalin, Chruschtschow, Breschn
ew, Tito, Mao Tse-tung, Pot Pol und Karl Marx, den Urheber des Horrors und Holoc
austs.
Welcher unparteiische Richter hätte die geringste Schwierigkeit, sich für die Ex
istenz Gottes zu entscheiden, wenn er zwischen diesen zwei Arten von Zeugen zu w
ählen hätte?
Auszüge aus dem Buch ATHEISMUS EIN WEG ? Die Hervorhebungen sind von mir. Horst
Koch, Herborn, im September 2007
--
Richard Wurmbrand
Ein Bericht vom Leiden und Bekennen der Unterdrücktenkirche in Ländern hinter de
m Eisernen Vorhang
Inhaltsverzeichnis
Warum ich dieses Buch schreibe
1. Kapitel
Ein Atheist findet zu Christus
Mein Dienst an den Russen
Die Sprache der Liebe und die Sprache der Verführung klingen gleich
Die Russen - ein Volk mit dürstenden Seelen
Unser verborgener Dienst für ein geknechtetes Volk
Wie die Kirche aus dem Untergrund in die Öffentlichkeit hineinwirkte
2. Kapitel
Unsagbare Folterungen
Wie Gehirnwäsche aussieht
Kurze Freiheit - neue Verhaftung
Ein Abkommen: wir predigten - sie schlugen
Was mit meiner Frau und meinem Sohn geschah
3. Kapitel
Warum ich das kommunistische Rumänien verließ
4. Kapitel
Voller Freude - auch im Gefängnis
Wie wir den Kommunismus geistig überwinden können
Nichts aus der Geschichte gelernt
Was ich vorfand, als ich freigelassen wurde
Warum ich im Westen leide
Die Verfolgung der Untergrundkirche nimmt zu
5. Kapitel
Meine Botschaft an Euch von der Untergrundkirche
Wie freie Christen helfen können
Die Tragödie der Familien verfolgter Christen
Einführung
Warum ich dieses Buch schreibe
Ich habe jedem in Freiheit lebenden Christen eine Botschaft zu bringen von der U
nterdrücktenkirche hinter dem Eisernen Vorhang. Die Unterdrücktenkirche, die ich
viele Jahre leitete, hat beschlossen, dass ich alles versuchen sollte, um in di
e Freiheit zu gelangen und Euch eine dringende Botschaft zu übermitteln. Durch e
in Wunder, dessen Einmaligkeit Ihr aus dem Folgenden ersehen werdet, blieb ich a
m Leben und gelangte tatsächlich in die freie Welt. In diesem Buch entledige ich
mich nun der Botschaft, die mir aufgetragen worden ist von der glaubenden, leid
enden Kirche in der Unterdrückung der kommunistischen Länder. Damit Ihr aber auc
h in die Lage versetzt werdet, diesen Hilferuf aus der Unterdrücktenkirche ersch
öpfend und genau zu prüfen, möchte ich zuerst davon Zeugnis ablegen und Euch von
der Arbeit dieser Kirche berichten.
2. Kapitel
Bis zum 29. Februar 1948 war ich in zwei Funktionen tätig: in einer der Öffentli
chkeit sichtbaren und einer im Untergrund verborgenen. Es war an einem Sonntag -
einem besonders schönen Sonntag. An jenem Sonntag wurde ich auf meinem Wege zur
Kirche von der Straße weg gewaltsam von der Geheimpolizei entführt. Schon oft h
atte ich wissen wollen, was Menschenraub, der auch in der Bibel mehrmals erwähnt
wird, für den Betroffenen bedeutet. Der Kommunismus hat es uns begreifen gelehr
t. Viele wurden damals auf diese Art entführt. Ein geschlossener Wagen der Gehei
mpolizei hielt unmittelbar vor mir an, vier Männer sprangen heraus und stießen m
ich in den Wagen hinein. Ich blieb jahrelang verschwunden. Über acht Jahre lang
wußte niemand, ob ich noch am Leben oder schon tot war. Meine Frau wurde von Geh
eimpolizisten, die sich als entlassene Mitgefangene ausgaben, teilnehmend aufges
ucht. Sie erzählten ihr, sie wären bei meiner Beerdigung dabei gewesen. Ihr brac
h das Herz. Tausende aus Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften kamen zu je
ner Zeit ins Gefängnis. Nicht nur Geistliche wurden in den Kerker geworfen, auch
ganz einfache Bauern, junge Burschen und Mädchen, die für ihren Glauben eintrat
en. Die Gefängnisse waren überfüllt, und in Rumänien, wie überhaupt in kommunist
ischen Ländern, bedeutet, im Gefängnis sein, vielfach auch leiden. Die Folterung
en waren oft sehr hart. Ich möchte lieber nicht zuviel darüber sprechen. Immer w
enn ich es tue, kann ich nachts nicht schlafen. Es setzt mir zu sehr zu. In dem
Buch In Gottes Untergrund" berichte ich im einzelnen unsere Erfahrungen mit Gott
im Kerker.
Unsagbare Folterungen
Ein Pfarrer mit Namen Florescu wurde mit glühenden Schürhaken und mit Messern ge
foltert. Er wurde arg zusammengehauen. Dann wurden ausgehungerte Ratten durch ei
n Rohr in seine Zelle hineingetrieben. Er konnte nicht schlafen, sondern hatte n
ur damit zu tun, sich die ganze Zeit über zu verteidigen. Wenn er nur einen Auge
nblick ausruhte, griffen ihn die Ratten sofort wieder an. Er mußte zwei Wochen l
ang, Tag und Nacht, stehen. Die Kommunisten wollten ihn zwingen, seine Glaubensb
rüder zu verraten. Aber er blieb standhaft. Schließlich
brachten sie seinen vierzehn Jahre alten Sohn herbei und begannen, den Jungen vo
r den Augen des Vaters zu peitschen, und drohten, ihn so lange zu schlagen, bis
der Pfarrer aussagen würde, was sie von ihm hören wollten: Der arme Mann war hal
b von Sinnen. Er hielt aus, solange seine Kraft reichte. Als er es nicht mehr er
tragen konnte, rief er seinem Sohn zu: Alexander, ich muss jetzt aussagen, was si
e wissen wollen. Ich kann nicht länger ertragen, wie sie dich schlagen!" Der Jun
ge antwortete: Vater, tu mir das nicht an, dass ich einen Verräter zum Vater habe
. Bleib' standhaft gegen sie! Wenn sie mich töten, werde ich sterben mit den Wor
ten Jesus und mein Vaterland'." Voller Wut fielen die Kommunisten über das Kind
her und schlugen es zu Tode - die Zellenwände waren übersät mit Blutspritzern. N
och im Sterben pries er seinen Gott. Unser Bruder Florescu aber war nach diesem
Erleben nicht mehr derselbe wie vorher. Die Handfesseln, die uns um die Handgele
nke gelegt wurden, hatten auf den Innenseiten scharfe Spitzen. Wenn wir uns voll
kommen bewegungslos verhielten, stachen sie wenig. Aber in den bitterkalten Zell
en wurden unsere Handgelenke, da wir uns vor Kälte schüttelten, von den scharfen
Eisenspitzen aufgerissen. Einige Christen wurden an Tauen mit dem Kopf nach unt
en aufgehängt und dann so heftig geschlagen, dass ihre Körper unter den Schlägen
vor- und zurück schwangen. Andere wurden in Kühlfächer von Eisschränken gesteck
t, in denen der Frost das Eis schon an den Wänden hatte niederschlagen lassen. I
ch selber wurde in eine solche Eiszelle gesperrt mit kaum Bekleidung auf dem Lei
be. Gefängnisärzte überwachten uns durch eine Öffnung, bis sie die ersten Sympto
me tödlicher Starre bemerkten, gaben dann ein Warnzeichen, worauf Wachen herbeie
ilten, um uns in Empfang zu nehmen und wieder aufzuwärmen. Hatte sich der Körper
dann wieder etwas erwärmt, wurden wir von neuem in die Gefrierfächer gesteckt -
und das immer wieder! Auftauen, dann abkühlen bis knapp ein, zwei Minuten vor E
intreten des Erfrierungstodes, und wiederum auftauen. Das setzte sich schier end
los fort. Manchmal kann ich es selbst heute nicht ertragen, einen Kühlschrank zu
öffnen. Wir Christen wurden auch in Holzverschläge gesteckt, die kaum größer wa
ren als wir selber. Sie erlaubten keine Bewegungsfreiheit. Dutzende spitzer Näge
l waren in die Seitenwände getrieben und ragten mit ihren scharfkantigen Enden i
n den Verschlag hinein. Solange wir ganz still standen, war es noch erträglich.
Wir mußten in diesen Verschlägen aber Stunden um Stunden stehen. Wurden wir matt
und schwankten vor Ermüdung, bohrten sich die Nägel in unsere Körper. Schon wen
n wir uns bloß bewegten oder mit einer Muskel zuckten - sofort waren die quälend
en Nägel da. Was die Kommunisten den Christen angetan haben, übersteigt alle men
schliche Vorstellungskraft. Ich habe gesehen, wie Christen gefoltert wurden, und
die Gesichter der Folterer verzerrten sich dabei in hämischer Freude. Während s
ie ihre Opfer folterten, schrieen sie ihnen zu: Wir sind der Teufel!" Wir kämpfen
nämlich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Repräsentanten und Gewa
lten des Bösen selber. Uns ist es ganz deutlich geworden, dass dieses System nic
ht von Menschen stammt, sondern vorn Prinzip des Bösen, dem Teufel. Es stellt ei
ne geistige Gewalt dar, eine Macht des Bösen, und kann folglich nur durch eine g
rößere geistige Macht, den Geist Gottes, überwunden werden. Oft fragte ich die F
olterer: Habt ihr tatsächlich kein Mitleid in euren Herzen?" Gewöhnlich antwortet
en sie mit einem Zitat von Lenin: Man kann keine Omelette machen, ohne die Schale
der Eier zu zerbrechen, und man kann kein Holz spalten, ohne dass Späne fliegen
." Ich entgegnete: Ich kenne dieses Zitat von Lenin. Aber da besteht doch ein Unt
erschied. Wenn ein Stück Holz gespalten wird, fühlt es nichts. Hier aber habt ih
r es mit menschlichen Wesen zu tun. Jeder Schlag verursacht Schmerzen, und es gi
bt auch noch Mütter, die weinen." Es war alles umsonst. Sie sind Materialisten.
Für sie existiert nichts als Materie, und ein Mensch ist für sie wie ein Stück H
olz, wie eine Eierschale. Mit solchem Glauben sinken sie in unvorstellbare Tiefe
n der Grausamkeit. Für uns ist die Grausamkeit des Atheismus kaum zu fassen. We
nn aber ein Mensch nicht an eine Belohnung des Guten und eine Bestrafung des Bös
en glaubt, dann gibt es auch keinen Grund mehr, menschlich zu sein. Da gibt es k
eine Zurückhaltung mehr vor den Abgründen des Bösen, die im Menschen verborgen s
ind. Die kommunistischen Folterknechte sagten oft: Es gibt keinen Gott, kein Hern
ach, keine Bestrafung des Bösen. Wir können machen, was wir wollen." Einen diese
r Peiniger habe ich sogar sagen hören: Ich danke Gott, an den ich nicht glaube, d
ass ich diese Stunde erlebt habe, wo ich allem Bösen in meinem Herzen freien Lau
f lassen kann." Er brachte das auch in unglaublicher Brutalität und unmenschlich
er Folter, die er den Häftlingen antat, zum Ausdruck. Wenn ein Krokodil einen Me
nsch auffrißt, erregt das mein Mitleid, aber ich kann das Krokodil nicht verdamm
en. Es ist eben ein Krokodil. Es ist kein moralisches Wesen.
Ebenso wenig kann man über die Kommunisten ein moralisches Urteil fällen. Der Ko
mmunismus hat in ihnen jedes moralische Gefühl zerstört. Sie waren noch stolz da
rauf, dass sie kein Mitleid mehr in ihren Herzen fühlten. Ich habe von ihnen ein
s gelernt. Wie sie Jesus keinen Platz in ihrem Herzen einräumten, so entschloß i
ch mich, in meinem dem Satan auch nicht den geringsten Platz zu überlassen. Ich
habe vor dem Unterausschuß für Innere Sicherheit des amerikanischen Senats meine
Aussage gemacht. Dort habe ich über solche furchtbaren Dinge berichtet, wie Chr
isten vier Tage und Nächte lang an Kreuze gefesselt waren. Die Kreuze wurden auf
den Boden gelegt, und Hunderte von Häftlingen mußten nun ihre leibliche Notdurf
t über den Gesichtern und Leibern der Gekreuzigten verrichten. Dann wurden die K
reuze wieder aufgerichtet, und die Kommunisten frohlockten und spotteten: Betrach
tet euren Christus! Wie schön er ist! Was für einen Duft bringt er vom Himmel mi
t!" Ich habe geschildert, wie ein Priester, nachdem er durch das Foltern fast in
den Wahnsinn getrieben worden war, gezwungen wurde, menschlichen Kot und Urin z
u weihen und in dieser Form den Christen die Heilige Kommunion zu spenden. Das h
at sich in dem rumänischen Gefängnis von Pitesti ereignet. Ich habe den Priester
später gefragt, warum er nicht lieber gestorben sei, als an dieser Verhöhnung t
eilzuhaben. Er hat geantwortet: Bitte, maßen Sie sich kein Urteil über mich an. I
ch habe zuviel gelitten." Alle die aus der Bibel bekannten Darstellungen der Höl
le und auch die Qualen des Danteschen Infernos sind nichts im Vergleich mit den
Folterungen in kommunistischen Gefängnissen. Das hier Geschilderte ist nur ein k
leiner Ausschnitt von dem, was sich an einem Sonntag und an vielen anderen Sonnt
agen in dem Gefängnis von Pitesti zugetragen hat. Es geschahen dort Dinge, für d
ie sich einfach keine Worte finden. Ich fürchte, mein Herz würde aussetzen, soll
te ich sie immer von neuem beschreiben. Sie sind zu grauenhaft und zu obszön, um
hier niedergeschrieben zu werden. Aber eure Brüder in Christus haben sie durchl
ebt und müssen sie noch heute durchstehen! Einer der wahrhaft Großen im Glauben
war Pfarrer Milan Haimovici. Die Gefängnisse waren überfüllt, und die Wächter ka
nnten uns nicht mit Namen. Sie riefen gerade diejenigen auf, die zu fünfundzwanz
ig Peitschenhieben verurteilt worden waren, weil sie gegen irgendeinen Paragraph
en der Gefängnisordnung verstoßen hatten. Unzählige Male trat Pfarrer Milan Haim
ovici vor, um die Auspeitschung an Stelle eines anderen zu empfangen. Dadurch ge
wann er die Achtung der anderen Häftlinge nicht nur für sich, sondern auch für C
hristus, dessen Botschafter er war. Wenn ich fortfahren müßte, alle Greueltaten
der Atheisten und alle Selbstaufopferung der Christen darzustellen, käme ich zu
keinem Ende. Denn nicht nur die Folterungen wurden bekannt. Auch das heldenhafte
Verhalten kam ans Licht. Und dieses heldenhafte Beispiel von denen im Gefängnis
beflügelte die Brüder, die noch der Verhaftung entgangen waren, zum Zeugendiens
t. Unter unseren Mitarbeitern war auch ein junges Mädchen aus der Untergrundkirc
he. Die Polizei hatte herausgefunden, dass sie im geheimen Evangelien verteilte
und Kinder über Christus unterwies. Ihre Verhaftung war sicher. Um sie aber noch
peinigender und so qualvoll wie nur möglich zu machen, hatten sie wohl beschlos
sen, ihre Verhaftung noch einige Wochen aufzuschieben bis genau zu dem Tag, wo s
ie ihre Hochzeit festgesetzt hatte. Der Tag kam heran, das Mädchen war als Braut
geschmückt - der herrlichste, freudigste Tag im Leben eines Mädchens! Plötzlich
wurde die Tür aufgestoßen, und Geheimpolizisten stürzten herein. Als die Braut
die Geheimpolizisten sah, hielt sie ihnen ihre Arme entgegen, um sich widerstand
slos fesseln zu lassen. Roh legten sie ihr die Handschellen um die Handgelenke.
Sie blickte nach ihrem Geliebten, küßte dann die Ketten und sagte: Ich danke mein
em himmlischen Bräutigam für das Geschmeide, das er mir zu meinem Hochzeitstag g
eschenkt hat. Ich danke ihm, dass ich würdig bin, für ihn zu leiden." Sie wurde
fortgezerrt unter dem Weinen der Christen und den Tränen des zurückgelassenen Br
äutigams. Sie wußten, was jungen Mädchen, die Christus bekannten, in den Händen
kommunistischer Wachmannschaften zustößt. Nach fünf Jahren wurde sie entlassen -
eine zerstörte, gebrochene Frau, die dreißig Jahre älter aussah. Ihr Verlobter
hatte auf sie gewartet Sie sagte, es sei das Geringste gewesen, das sie für ihre
n Christus habe tun können. Solche ihrem Herrn ähnlichen Christen sind in der Un
tergrundkirche.
3. Kapitel
Volle vierzehn Jahre hinter Gefängnismauern sind über mich hinweggegangen. Währe
nd dieser Zeit habe ich niemals eine Bibel oder irgendein Buch gesehen. Ich hatt
e fast das Schreiben verlernt. Unter dem ständig quälenden Hunger, der geistigen
Schwäche und den Folterungen konnte ich sogar die Heilige Schrift nicht mehr im
Gedächtnis behalten. Aber an dem Tage, an dem ich die vierzehn Jahre Kerker vol
l gemacht hatte, stieg aus der Vergessenheit meines Geistes der eine Vers in mei
n Bewußtsein: Jakob arbeitete um Rahel vierzehn Jahre, und es schien ihm eine kle
ine Zeit, denn er liebte sie." Bald hiernach wurde ich auf Grund einer allgemein
en Amnestie, die in unserem Land erlassen worden war, freigelassen, nicht zuletz
t auch durch den wachsenden Einfluß der öffentlichen Meinung in Amerika. Ich sah
meine Frau wieder. Sie hatte über vierzehn Jahre treu auf mich gewartet. Wir fi
ngen unser Leben noch einmal von vorne an, in größter Armut, weil einem, der im
Gefängnis sitzt, vom Staat einfach alles weggenommen wird. Die Priester und Pfar
rer, die entlassen wurden, konnten wieder kleine Kirchen erhalten. Mir teilte ma
n eine Kirche in der Stadt Orsova zu. Das kommunistische Referat für Religion sa
gte mir, es gebe fünfunddreißig Mitglieder dort und wies warnend darauf hin, es
dürften niemals sechsunddreißig sein! Man teilte mir weiterhin mit, dass ich ihr
Agent sein müsse und über jedes Mitglied dieser Kirche der Geheimpolizei zu ber
ichten hätte und vor allem alle Jugendlichen fernhalten müsse. Das ist die Metho
de, wie die Kommunisten die Kirche als Kontrollorgan benutzen. Ich wußte, dass v
iele kommen würden, wenn ich predigte. Deshalb versuchte ich erst gar nicht, in
der offiziellen Kirche meinen Dienst zu beginnen. So arbeitete ich wieder in der
Untergrundkirche und teilte alle Freuden und Gefahren dieser Arbeit. Während de
r Jahre, die ich im Gefängnis war, hatte Gott sein Werk wunderbar gefördert. Die
Untergrundkirche war jetzt nicht mehr so verloren und verlassen. Christen aus A
merika und anderen Ländern hatten angefangen, uns zu unterstützen und für uns zu
beten. Eines Nachmittags ruhte ich ein wenig im Hause eines Bruders in einer Pr
ovinzstadt. Plötzlich weckte er mich auf und rief: "Brüder aus dem Ausland sind
gekommen." Es gab also noch Christen im Westen, die uns nicht vergessen und abge
schrieben hatten. Mitglieder aus verschiedenen christlichen Kirchen hatten ein g
eheimes Hilfswerk in die Wege geleitet für Familien verfolgter Christen und für
die Einschleusung christlicher Literatur und praktischer Hilfe. Im angrenzenden
Zimmer fand ich sechs Brüder vor, die gekommen waren, um dieses Werk zu vollbrin
gen. Sie besprachen viele Fragen mit mir. Schließlich erwähnten sie auch, dass s
ich hier jemand aufhalten müsse, der vierzehn Jahre im Gefängnis verbracht habe,
und sie hätten ihn gern gesehen. Als ich ihnen sagte, ich sei es, entgegneten s
ie: "Wir haben erwartet, einen abgestumpften Menschen zu sehen. Sie können diese
Person doch nicht sein, denn Sie sind ja voller Freude!" Nochmals versicherte i
ch ihnen, ich sei der Häftling, meine Freude aber rühre daher, dass sie vom Ausl
and zu uns gekommen seien und wir jetzt nicht mehr vergessen seien. Eine gleich
bleibende, regelmäßige Unterstützung kam von nun an unserer Untergrundkirche zug
ute. Durch geheime Kanäle erhielten wir nun viele Bibeln und christliche Literat
ur und auch finanzielle Hilfe für die Familien christlicher Blutzeugen. Jetzt, w
o wir unterstützt wurden, konnten auch wir von der Untergrundkirche viel besser
arbeiten. Es ging nicht nur darum, dass sie uns Bibeln und damit Gottes Wort bra
chten, sondern wir sahen vor allem jetzt, dass man uns lieb hatte. Sie haben uns
zum ersten Mal wieder ein Wort des Trostes gebracht. Während der Jahre der Gehi
rnwäsche hatten wir nur das eine gehört: Niemand liebt euch mehr - niemand liebt
euch mehr - niemand liebt euch mehr..." Nun sahen wir auf einmal Christen aus En
gland und Amerika leibhaftig vor uns, die ihr Leben aufs Spiel setzten und uns b
ewiesen, dass sie uns wirklich liebten. Sie nahmen unseren Rat an und entwickelt
en eine besondere Methode zur Tarnung ihrer Arbeit. Sie schlichen in Häuser, die
von der Geheimpolizei umstellt waren. Die Polizei merkte nicht, dass sie hinein
gegangen waren. Der Wert der Bibeln, die auf diesem Wege eingeschmuggelt wurden,
kann gar nicht ermessen werden von den Christen in England oder Deutschland, di
e in Bibeln schwimmen". Meine Familie und ich hätten ohne die materielle Hilfe, d
ie wir von betenden Christen im Ausland empfangen haben, sicher nicht überlebt.
Dasselbe trifft auf viele Pfarrer der Untergrundkirche und die um ihres Glaubens
willen Verfolgten in all den anderen atheistischen Ländern ebenfalls zu. Ich ka
nn das
bezeugen aus meiner eigenen Erfahrung solcher materiellen und, was eigentlich no
ch wichtiger ist, moralischen Hilfe, die uns durch die Christliche Europa-Missio
n Großbritanniens zuteil geworden ist. Für uns waren ihre Männer wie Engel, die
Gott gesandt hatte! Wegen meiner erneut aufgenommenen Arbeit in der Untergrundki
rche stand ich in größter Gefahr einer abermaligen Verhaftung. In diesem kritisc
hen Zeitpunkt unternahmen es zwei christliche Organisationen, die Norwegische Mi
ssion an Juden und die Jüdisch-Christliche Allianz, ein Lösegeld von zweitausend
fünfhundert englischen Pfund (ca. 29.000 DM 1965) für mich zu zahlen. Jetzt konn
te ich Rumänien verlassen.
4. Kapitel
Die Juden haben eine Legende, dass damals, als ihre Vorväter aus der Hand der Äg
ypter gerettet wurden und die Ägypter im Roten Meer ertranken, die Engel in die
Siegeslieder einstimmten, die von den Israeliten gesungen wurden. Da soll Gott z
u den Engeln gesagt haben: Die Juden sind Menschen und dürfen sich über ihre Erre
ttung freuen. Von euch aber erwarte ich ein tieferes Verstehen. Sind die Ägypter
nicht auch meine Geschöpfe? Liebe ich sie nicht ebenso? Wie ist es möglich, das
s ihr für meinen Kummer über ihr tragisches Schicksal kein Empfinden habt?" Als
Josua vor Jericho stand, hob er seine Augen auf und wurde gewahr, dass ein Mann
ihm gegenüberstand, der ein blankes Schwert in der Hand hatte. Da ging Josua zu
ihm hin und sprach zu ihm: Bist du mit uns oder mit unseren Feinden?" (Josua 5, 1
3). Wenn der Mann, den Josua dort getroffen hatte, ein Mensch gewesen wäre, hätt
e die Antwort nur sein können Ich bin mit euch", Ich bin mit euren Feinden" oder Ic
h bin neutral". Das sind die einzig möglichen menschlichen Antworten auf eine so
lche Frage. Aber das Wesen, dem Josua gegenüberstand, war aus einer anderen Welt
und gab daher auf die Frage, ob er für oder gegen Israel sei, eine Antwort, die
höchst unerwartet ist und schwer zu verstehen: Nein!" Was bedeutet dieses Nein"?
Der so sprach, kam von einer Welt, deren Bewohner nicht für" oder gegen" sind, son
dern wo jeder und jedes mit Erbarmen und Mitleiden angesehen und herzlich gelieb
t wird. Es gibt freilich einen Maßstab der Menschlichkeit. Gemessen an diesem Ma
ßstab, kann der Kommunismus nur abgelehnt werden. Ja, dieser Maßstab macht es un
s zur Pflicht, den atheistischen Materialismus zu bekämpfen, weil sie damit die
Bannerträger eines grausamen, unmenschlichen Ideals sind. Und doch sind Christen
noch mehr als dem Menschlichen verpflichtet: Sie sind Kinder Gottes und damit T
eilhaber seiner göttlichen Natur (2. Petrus 1, 4). Nur deshalb haben mich die Fo
lterungen, die ich in den Gefängnissen erduldet habe, nicht dazu gebracht, die K
ommunisten zu hassen. Auch sie sind Geschöpfe Gottes, obwohl sie das selber nich
t wahrhaben wollen. Wie könnte ich sie da hassen? Ich kann aber auch nicht mit i
hnen und ihr Freund sein. Freundschaft bedeutet, dass zwei ein Herz und eine See
le sind. Ich kann nicht ein Herz und eine Seele mit den Atheisten sein. Denn sie
hassen schon die bloße Vorstellung von Gott. Ich aber liebe
Gott. Wenn man mich nun fragte: Bist du für oder gegen die Kommunisten?" so würde
meine Antwort komplex sein. Der Kommunismus ist die größte Bedrohung der Mensch
lichkeit und deshalb der Menschheit. Von daher gesehen, muss ich auf der entgege
n gesetzten Seite sein und ihn bekämpfen, bis er über-wunden ist. Aber durch Got
tes Geist bin ich hier schon Christi Hausgenosse und Bürger der himmlischen Welt
. Da befinde ich mich in der Sphäre des Nein", jenes Weder-Noch", wo die Kommunist
en trotz all ihrer Verbrechen noch verstanden und geliebt werden, jener Sphäre,
in der Wesen von göttlicher Natur als Beauftragte Gottes walten und jedem ohne A
nsehen der Person helfen, das Ziel unseres menschlichen Lebens zu erreichen, zu
werden wie Jesus Christus. Daher ist mein einziges Ziel, das Evangelium den Komm
unisten zu bringen, auch ihnen das große Angebot Gottes eines unvergänglichen Le
bens zu verkünden. Christus, der mein Herr ist, liebt die Kommunisten. Er hat se
lbst gesagt, dass er alle Menschen liebt und eher neunundneunzig gerechte" Schafe
zurückläßt, als zuzugeben, dass das eine verirrte verloren geht. Seine Apostel
und alle späteren großen Lehrer der Christenheit haben diese universale Liebe in
Seinem Namen bezeugt. Der heilige Makarios sagt: Wenn ein Mensch alle Menschen i
nbrünstig liebt, von einem einzigen aber sagt, den könne er nicht lieben - dann
ist dieser Mensch, der das sagt, kein Christ mehr, denn seine Liebe ist nicht al
lumfassend." Und der Kirchenvater Augustin lehrt: Wenn die ganze Menschheit gerec
ht und nur ein einziger Mensch ein Sünder gewesen wäre, so wäre Christus doch ge
kommen und hätte für diesen einen Menschen dasselbe Kreuz erduldet - so sehr lie
bt er jeden einzelnen persönlich." Die christliche Lehre ist ganz klar. Als Mens
chen liebt Christus die Kommunisten. So handelt jeder, der Christi Geist hat. Wi
r lieben den Sünder, obwohl wir, ja, gerade weil wir die Sünde hassen.
Wir kennen die Liebe des auferstandenen Christus zu allen Menschen und darum auc
h zu den Kommunisten aus unserer eigenen Liebe zu ihnen. Ich habe Christen in de
n Gefängnissen gesehen mit fünfzig Pfund Ketten an ihren Füßen, gefoltert mit gl
ühenden Feuerhaken, in ihren Kehlen gewaltsam mit Löffeln eingeflößtes Salz ohne
den geringsten Zusatz von Wasser, ausgehungert, durchgepeitscht, vor Kälte zitt
ernd - und dennoch aus tiefem Herzen betend für die Kommunisten. Menschlich ist
das nicht zu erklären! Das ist nur aus der Liebe Christi möglich, die in ihr Her
z ausgegossen ist.
Später kamen von den Kommunisten, die uns gefoltert hatten, einige ebenfalls ins
Gefängnis. Unter der Herrschaft des Kommunismus werden manchmal die eigenen Leu
te, auch höhere Funktionäre, fast eben sooft ins Gefängnis geworfen wie ihre Geg
ner. Dann kam es vor, dass die Gefolterten und ihre Folterer in derselben Zelle
waren. Während nun die Nichtchristen gegen ihre früheren Peiniger blanken Hass a
n den Tag legten und sie schlugen, nahmen sie die Christen in Schutz, sogar auf
die Gefahr hin, selbst geschlagen zu werden und als Komplizen der Kommunisten un
ter den Häftlingen verschrien zu werden. Ich habe Christen ihre letzte Scheibe B
rot - es gab damals eine in der Woche - ebenso ihre Medizin, die ihnen selber da
s Leben retten konnte, an einen kranken Folterer, der jetzt ihr Mitgefangener wa
r, weggeben sehen. Die letzten Worte von Juhu Maniu, dem vorhergehenden christli
chen Ministerpräsidenten Rumäniens, der im Gefängnis starb, waren: Wenn die Kommu
nisten in unserem Land einmal überwunden werden, wird es die heiligste Pflicht e
ines jeden Christen sein, auf die Straße zu gehen und unter Einsatz seines Leben
s die Kommunisten vor dem gerechten Zorn der Massen, die sie tyrannisiert haben,
zu schützen!" In den ersten Tagen nach meiner Bekehrung zu Gott hatte ich das G
efühl, als ob ich nicht mehr weiterleben könnte. Wenn ich durch die Straßen ging
, empfand ich einen physischen Schmerz für jeden Mann und jede Frau, die an mir
vorübergingen. Es war fast wie ein Messer in meinem Herzen, so brannte mich die
Frage, ob er oder sie gerettet war oder nicht. War ein Glied der Gemeinde in Sün
de gefallen, mußte ich oft stundenlang weinen. Dieses Verlangen nach der Errettu
ng aller Seelen ist mir seit damals im Herzen geblieben, und die Kommunisten sin
d davon nicht ausgeschlossen. In Einzelhaft waren wir nicht mehr in der Lage, so
wie sonst zu beten. Wir hatten einen unvorstellbaren Hunger; wir waren so matt
und abgestumpft, dass wir fast wie Idioten wurden. Äußerlich sahen wir wie wande
lnde Skelette aus. Das Vater-Unser war uns zum Beten schon viel zu lang. Wir kon
nten uns nicht mehr so lange konzentrieren. Mein einziges Gebet, das ich immer w
ieder sprach, war: Jesus, ich liebe dich." Und dann erhielt ich an einem in meine
r Erinnerung herrlichen Tage Antwort von Jesus: Du liebst mich? Dann will ich dir
zeigen, wie ich dich liebe!" Momentan spürte ich einen brennenden Stich im Herz
en, der wie durch ein Brennglas gebündelte Sonnenstrahlen brannte. Die Jünger, d
ie auf dem Weg nach Einmaus waren, berichten, dass ihr Herz brannte, als Jesus m
it ihnen sprach. So erging es mir damals. Denn ich kannte die Liebe des Einen, d
er sein Leben am Kreuz für uns alle gegeben hat. Solche Liebe kann die Kommunist
en nicht ausschließen, wie schwer ihre Schuld auch sei. Die Kommunisten haben fu
rchtbare Greuel begangen und begehen sie heute noch, aber auch noch so viele Wass
er können die Liebe nicht ersticken, noch können die Fluten sie ertränken. Liebe
ist stärker als der Tod. Eifersucht dagegen ist nur grausam - wie das Grab". Un
d wie das Grab kalt und unnachgiebig alle zur Vernichtung haben will - Arme und
Reiche, Junge und Alte, Menschen aller Rassen, Nationen und politische Überzeugu
ngen, Heilige und Verbrecher - so umschließt die Liebe Christi auch alle, aber L
eben spendend. Jesus Christus, die Mensch gewordene Liebe Gottes, wird niemals a
ufhören, bis sie auch die Feinde gewinnt. In meine Gefängniszelle war ein Minist
er eingeliefert worden. Er war halb tot. Blut strömte ihm von Gesicht und Körper
. Er war fürchterlich geschlagen worden. Wir wuschen ihn. Einige unter den Häftl
ingen verfluchten die Peiniger. Stöhnend sagte er: Bitte, flucht ihnen nicht. Sei
d still! Ich möchte für sie beten."
1. Ehemalige Pfarrer und Prediger Von drei Gruppen wird die Untergrundkirche in
den kommunistischen Ländern getragen. Zur ersten gehören die Abertausende ehemal
iger Pfarrer und Prediger, die aus ihren Kirchen ausgewiesen und von ihren Gemei
nden entfernt worden sind, weil sie das Evangelium nicht verfälschen wollten. Vi
ele dieser Pfarrer und Prediger waren im Gefängnis und sind dort um ihres
Glaubens willen gefoltert worden. Sie sind irgendwann entlassen worden und haben
ohne Zögern ihren Dienst wieder aufgenommen, um jetzt in der Untergrundkirche g
eheim, aber in der Kraft des Wortes Gottes zu wirken. Obwohl die Kirchen dieser
Geistlichen offiziell geschlossen oder sie durch verlässlichere" ersetzt worden s
ind, führen sie nun ihren Dienst am Evangelium weit wirksamer als früher fort, w
enn sie in geheimen Zusammenkünften die Gläubigen sammeln in Scheunen oder Dachs
tuben, in Kellerräumen oder im Freien zwischen Heuschobern. Sie sind in unserer
Zeit heute die Märtyrer" der Kirche, die trotz schwerster Drohung nicht von ihrem
Dienst am Evangelium ablassen und dabei neue Verhaftungen und weitere Folterung
en in Kauf nehmen.
2. Die Laienkirche Die zweite Säule der Untergrundkirche ist die große Armee der
ihrem Herrn geweihten Laien - Männer wie Frauen. Es ist wohl jedem klar, dass e
s in Russland oder China keine nur nominellen, halbherzigen, lauen Christen gibt
. Der Preis, den die Christen dort zahlen müssen, ist viel zu hoch. Und man muss
sich ins Gedächtnis rufen, dass Verfolgungszeiten schon immer die treueren Chri
sten hervorgebracht haben - Christen, die ihren Glauben öffentlich bezeugen und
Menschen für Christus gewinnen wollen. So hat die kommunistische Verfolgung der
Christen umgekehrt gewirkt und entschlossene, hingebungsvolle Christen geschaffe
n, wie sie in freien Ländern nur selten anzutreffen sind. Sie können nicht verst
ehen, wie jemand Christ sein kann und nicht jeden, mit dem er zusammentrifft, fü
r Christus gewinnen will. Die russische Armeezeitung Roter Stern" greift die russ
ischen Christen mit dem folgenden bezeichnenden Argument an: Die Jünger Christi m
öchten ihre gierigen Klauen am liebsten nach jedem ausstrecken." Aber ihr christ
licher Lebenswandel strahlt auf ihre Mitbürger und Nachbarn aus und gewinnt ihne
n deren Achtung und Liebe. In jedem Dorf, in jeder Stadt sind die Christen die a
ngenehmsten und beliebtesten Einwohner. Wenn irgendwo eine Mutter krank ist und
für ihre Kinder nicht selber sorgen kann, dann ist es eine christliche Mutter, d
ie kommt und sie betreut. Und wenn ein Mann sein Brennholz nicht hacken kann, we
il er krank ist, dann ist es ein Christ, der es für ihn besorgt. Sie leben" schli
cht ihren Christenglauben, und wenn sie ihn dann mit dem Wort
bezeugen, dann hören die Leute zu und nehmen es ihnen ab, weil sie in ihrem Lebe
n etwas von Christus gesehen haben. Da aber in der offiziellen Kirche niemand an
ders als der vom Staat zugelassene Geistliche sprechen darf, so missionieren Mil
lionen für ihren Herrn brennender, ihm geweihter Christen in jedem Winkel der ko
mmunistischen Welt und bezeugen ihren Glauben und halten Gottesdienste auf Markt
plätzen, bei der Dorfpumpe, überall, wo sie gehen und stehen. Kommunistische Zei
tungen geben bedauernd zu, dass christliche Metzger Evangeliumstraktate einrolle
n in das Einwickelpapier für das Fleisch, das sie verkaufen. Aus anderen Pressem
eldungen erfahren wir, dass Christen, die in kommunistischen Druckereien und Ver
lagen an verantwortlicher Stelle arbeiten, zu später Nachtzeit an ihren Arbeitsp
latz zurückkehren, ihre Druckerpressen in Gang setzen und etliche Tausend Exempl
are christlicher Literatur durchlaufen lassen - und, bevor die Sonne aufgeht, al
les wieder an seinen Ort stellen. Interessant ist ein Lokalbericht, dass in Mosk
au junge Christen, meist noch Kinder, aus irgendeiner Quelle" Evangelien bekommen
haben und nun Teile davon abschreiben. Diese Blätter stecken sie den Lehrern in
die Taschen ihrer Mäntel, die in den Schulgarderoben hängen. Die große Schar de
r Laienbrüder und -schwestern ist heute in allen kommunistischen Ländern zu eine
r missionarischen Kraft geworden, deren Wirkungen, die Gewinnung von Menschensee
len, überall in zunehmendem Maße zu spüren sind. Im kommunistischen Kuba haben e
hemalige Missionare festgestellt, dass eine geheime Laienkirche entstanden ist,
nachdem alle treuen Prediger und Pfarrer verhaftet oder verfolgt und durch kommu
nistische Diener" ersetzt worden waren. Diese Millionen aufrichtiger, treuer und
für ihren Herrn brennender Gläubigen in der Laienkirche sind gerade durch das Fe
uer der Verfolgung geläutert worden, das die Kommunisten in der Hoffnung entfach
t hatten, es werde sie endlich vernichten.
3. Pfarrer und Prediger im Amt Die dritte tragende Säule der Untergrundkirche is
t die große Gruppe der gläubigen Pfarrer in der offiziellen, aber am staatlichen
Zügel gelenkten und zum Schweigen gebrachten Kirche". Die Untergrundkirche ist n
ämlich in ihrer Organisation nicht völlig getrennt von der offiziellen Kirche. I
n vielen kommunistischen Ländern wie in
Jugoslawien, Polen und Ungarn arbeiten zahlreiche Geistliche der öffentlich erla
ubten Kirchen insgeheim auch in der Untergrundkirche. In einigen Ländern sind be
ide miteinander verflochten. Den Pfarrern ist nämlich nicht erlaubt, außerhalb i
hrer oft winzigen, nur aus einem Zimmer bestehenden Kirchen" über Christus zu spr
echen. Sie dürfen auch keine Kindergottesdienste und Jugendversammlungen abhalte
n. Nichtchristen haben Angst, überhaupt zu kommen. Die Pfarrer dürfen nicht einm
al in den Häusern für kranke Gemeindeglieder beten. Von allen Seiten werden sie
eingeschränkt durch kommunistische Verordnungen, die ihre Kirchen" völlig bedeutu
ngslos machen. Angesichts all dieser Kontrollvorschriften, die aus der verfassun
gsmäßig garantierten Freiheit der Religion" ein Gespött machen, setzen diese Pfar
rer sehr oft ihre Freiheit mutig aufs Spiel und übernehmen gleichzeitig einen ge
heimen Gemeindedienst, der weit über die von den Kommunisten gesteckten Grenzen
hinausgeht. Dort halten sie geheime Gottesdienste für Kinder und Jugendliche. Si
e evangelisieren heimlich in Wohnungen oder auch Kellerräumen von Christen. Sie
empfangen und verteilen heimlich christliche Literatur an Menschen, die danach v
erlangen. Sie riskieren jedes Mal ihre persönliche Freiheit, wenn sie die vom St
aat verordneten Beschränkungen heimlich ignorieren und den hungrigen Seeler um s
ie her das Wort des Lebens bringen. In der Öffentlichkeit scheinbar fügsam und b
eflissen, breiten sie unter dieser Decke das Wort Gottes aus und wagen dabei oft
ihr Leben. Erst kürzlich sind in Russland wieder ziemlich viele von ihnen entde
ckt und verhaftet worden. Sie erhielten längere Gefängnisstrafen. Für die Unterg
rundkirche sind sie geradezu eine lebenswichtige Gruppe. So fügt sich alles zum
Ganzen: ehemalige Geistliche, von den Kommunisten abgesetzt und vielfach verfolg
t; die große Schar der Laienkirche; Pfarrer im Dienst der staatlich zugelassenen
Kirchen, die getarnt einen viel umfassenderen und weiterrechenden Dienst tun, a
ls ihnen offiziell erlaubt ist - sie alle arbeiten in der Untergrundkirche zusam
men. Und die Untergrundkirche wird bestehen bleiben, bis der Kommunismus überwun
den ist. Mag in manchen Gegenden eine der Gruppen stärker hervortreten als in an
deren - vorhanden sind sie alle und arbeiten für Christus. Ein Mann, der häufig
in kommunistische Länder reist und an religiösen Fragen sehr interessiert ist, k
am zurück und schrieb, er habe nirgendwo eine Untergrundkirche angetroffen. Es i
st so ähnlich, wie wenn einer in Zentralafrika unter Primitiven Stämmen umherrei
st und nach seiner Rückkunft feststellt: Ich habe gründliche Erhebungen gemacht u
nd sie alle gefragt, ob sie Prosa sprechen. Sie haben es alle verneint." Es ist
überflüssig zu sagen, dass sie alle Prosa sprechen und bloß nicht wissen, dass d
as, was sie sprechen, Prosa ist. Die Christen der ersten Jahrhunderte wussten no
ch nicht, dass sie Christen waren. Wenn man sie nach ihrer Religion gefragt hätt
e, dann hätten sie vielleicht geantwortet, sie seien Juden, Israeliten, die an J
esus als den Messias glauben, oder auch Brüder in Christus, Heilige des Herrn, G
otteskinder. Der Name Christ" ist in dieser Allgemeingültigkeit erst viel später
von anderen auf sie angewandt worden, zum ersten Mal in Antiochien. Keiner der A
nhänger Luthers war sich bewusst, dass er ein Lutheraner" war. Luther selber lehn
te energisch diesen Namen ab. Untergrundkirche" ist ein Name, der von den Kommuni
sten wie auch von westlichen Erforschern der religiösen Situation in den östlich
en Ländern einer geheimen Organisation gegeben worden ist, die sich spontan unte
r dem Kommunismus gebildet hatte. Die Glieder der Untergrundkirche selber nennen
ihre Organisation nicht bei diesem Namen. Sie selber nennen sich Christen, Gläu
bige, Kinder Gottes. Aber sie betreiben in der Tat eine Arbeit im Untergrund, ve
rsammeln sich im Untergrund, breiten das Evangelium in geheimen Versammlungen un
ter den Menschen aus und werden bisweilen sogar von Ausländern besucht, die beze
ugen, dass sie die Untergrundkirche wirklich gesehen haben. Es ist ein passender
Name, der ihr von ihren Feinden gegeben wurde und auch von solchen benutzt wird
, die von draußen auf diese wunderbare verborgene Organisation blicken. Man kann
jahrelang durch den Westen reisen und dabei nie etwas von einem sowjetischen Sp
ionagenetz entdecken, was aber nicht bedeutet, dass es deshalb etwa nicht existi
ert. Es ist nur nicht so töricht, dass es sich neugierigen Reisenden zur Schau s
tellt. Weiter unten führe ich Auszüge aus der sowjetischen Presse an, die die Ex
istenz und die zunehmende Bedeutung dieser unerschrockenen Kirche in der Unterdr
ückung erweisen. Ich habe von unseren eigenen Erfahrungen bei der Ausbreitung de
r Botschaft von Jesus Christus in der sowjetischen Armee wie auch im kommunistis
chen Rumänien berichtet.
Ich habe mich an euch gewandt, damit ihr uns helft, den Kommunisten und den von
ihnen unterdrückten Völkern Christus zu predigen. Ist mein Aufruf verstiegen" und
unausführbar"? Ist er realistisch? Besteht heute noch eine Untergrundkirche in R
ussland und den anderen Ländern? Ist dort eine Arbeit im Untergrund jetzt noch w
eiterhin möglich? Auf alle diese Fragen kann ich mit sehr guten Nachrichten antw
orten. Die Kommunisten haben vor kurzem den fünfzigsten Jahrestag ihrer Oktober
revolution, ein halbes Jahrhundert kommunistischer Herrschaft, mit großem Pomp g
efeiert. Aber ihr Sieg ist im Grunde eine Niederlage. Der christliche Glaube hat
dort, wenn auch erst im Untergrunde", gesiegt - nicht der Kommunismus. Die russi
sche Presse, die unsere Organisation gründlich beobachtet, steckt voller Nachric
hten über die Untergrundkirche. Zum ersten Mal seit ihrer Entstehung ist die Unt
ergrundkirche so stark geworden und überall gegenwärtig, dass sie schon halb an
der Öffentlichkeit arbeitet und die Kommunisten für die Vorherrschaft ihrer athe
istischen Ideologie mit schwerer Sorge erfüllt. Informationen aus anderen Quelle
n bestätigen die Berichte der russischen Presse. Vergegenwärtigen wir uns dabei
immer, dass die Untergrundkirche einem Eisberg gleicht: der weitaus größere Teil
ist verborgen unter der Oberfläche, nur ein ganz kleiner Teil ist sichtbar. Im
Folgenden gebe ich eine knappe Zusammenstellung der wichtigsten Nachrichten.
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Johannes Krikowski Wer macht die Götter? Atheismus - Materialismus - Christliche
r Glaube 96 Seiten, kart. (Aussaat-Bücherei Band 13) Der Verfasser, 1951 als Zwa
nzigjähriger in Greifswald verhaftet und zu 25 Jahren Freiheitsentzug wegen antis
owjetischer Propaganda und illegaler Gruppenbildung" verurteilt, nach Workuta (U
dSSR) ins Bergwerk deportiert und nach vier Jahren vorzeitig entlassen, schreibt
im Vorwort: Haben wir als Christen dieser Auseinandersetzung zu wenig Raum gege
ben? Sind wir der Meinung, dass es nicht lohnt, sich mit dem Atheismus auseinand
erzusetzen? Ist doch unser Reich nicht von dieser Welt. Weil jedoch der historis
che und dialektische Materialismus -- und von dieser Anschauung, die sich selber
Götter macht, soll hier die Rede sein - über Religion und Glauben, über Christu
s und Heilige Schrift Stellung nimmt, müssen auch wir als Christen Stellung bezi
ehen. Dabei sollten wir unsere Schuld an dem Atheismus nicht leugnen und schon g
ar nicht ihn der östlichen und den christlichen Glauben der westlichen Welt zuor
dnen. Mitten durch unsere Welt, mitten durch unsere Herzen geht der Atheismus, g
eht die Sünde hindurch. Das zu erkennen und anzuerkennen, möchte die Aufgabe die
ser Schrift sein. Erst aus der Klarheit unseres Glaubens und aus der Erkenntnis
der Liebe Christi heraus werden wir dem Atheismus eine Antwort geben können. Die
nachfolgende Leseprobe ist dem Schlusskapitel entnommen: Wenn wir die Kommunist
en und Atheisten hassen, lieben wir Christus nicht. Freilich, aus unserer eigene
n Liebe können wir sie nicht lieben. Diese Liebe -- diese Agape -- muß uns gesch
enkt werden. Unsere eigene Liebe ist egoistisch; sie liebt den anderen aus purer
Eigenliebe. Die Liebe Christi liebt den Menschen als Geschöpf Gottes, nicht weg
en seiner Sünde. Die Liebe Christi lebt den anderen gerade um dessentwillen, was
der andere nicht hat. Die Liebe Christi ist selbstlos, sie sieht von sich ab un
d weist auf Christus hin. Welche Haltung soll und muss ein Christ einnehmen, wen
n von ihm ein marxistisches Bekenntnis abverlangt wird?
Jede Situation wird natürlich eine andere sein, und darum kann es auch keine Pau
schalantwort geben. Der Christ wird aber niemals in ein Antidenken verfallen kön
nen. Jesus Christus hat niemals seine Feinde gehasst. Er ist für sie eingetreten
und ist für sie gestorben. Ja, gerade um seine Feinde ging es ihm in seinem Hei
lshandeln, um seiner Feinde willen ist er ja gestorben. Er wurde nicht als Folge
seines Hasses gegen seine Feinde gekreuzigt. Er hing am Kreuz aus Liebe für sei
ne Feinde. So können die Christen letzten Endes auch nur Boten für ihre Feinde s
ein. Wir sind Boten Jesu. Die Christen haben also nicht ihren eigenen Auftrag zu
erfüllen, sondern den Auftrag von Jesus Christus. Weil es so ist und weil es so
verheißen ist, wird er uns auch zur passenden Zeit das passende Wort in den Mun
d legen. Wir dürfen ihm vertrauen, denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch di
ese gottlose Welt Gott anvertraut ist und ihm unterliegt. Die marxistisch-atheis
tische Welt ist also einzig und allein mit den Augen der Heiligen Schrift zu ver
stehen. Wir Christen werden die Marxisten so sehen müssen, dass uns weder von Os
t noch West ein Lob zuteil wird. Wir werden von Marx gefragt, ob wir in diesem R
aum Christus und seine Botschaft bezeugt haben, d. h. ob wir auf seine Herrschaf
t zugehen. Er gebraucht uns - sein Volk, die Atheisten zu retten. Er will, dass
keiner verloren gehe. Das allein ist die Bezeugung in der nichtchristlichen Welt
. Besitzen wir diese durchbrechende Kraft des Evangeliums? Stehen wir vielleicht
gar auf tönernen Füßen und sind damit dem Untergang geweiht? Wir brauchen vor e
iner gottlosen Welt keine Angst zu haben, wohl aber vor einer gottlosen und ungl
äubig gewordenen Kirche, ist einmal gesagt worden. Warum können, dürfen und soll
en wir den Mut haben, mit unserem Evangelium den Marxisten-Materialisten gegenüb
erzutreten? Unser Evangelium enthält Gottes Kraft. Das Evangelium der Materialis
ten ist Menschenwerk. Wenn die Marxisten meinen, mit ihrem Evangelium Gott zu st
ürzen, so dürfen wir ganz getrost sein, denn der Herr, der im Himmel wohnt, lach
t und spottet ihrer. Was ist das doch für eine ärmliche Lehre, die lehrt, dass
christlicher Glaube zum überbau gehört und dass die kommunistische Basis diesen
überbau eliminiert. Viele Funktionäre, die ernsten Christen begegneten, merkten,
dass ihre Lehre" Schall und Rauch war. Als ob mit diesem marxistischen Dogma der
Gehorsam und der Glaube gegen unseren Herrn und Heiland gekennzeichnet würde. E
s wurde schon gesagt, dass der Materialismus ein Christusbild entwickelt hat, da
s
mit dem von Gottes Geist gezeigten Sohn überhaupt nichts zu tun hat. Der Materia
lismus konstruiert ein verzerrtes Gottesbild, und er hat deshalb keinen Grund, d
en in der Bibel geoffenbarten Gott abzulehnen. Wer macht die Götter? So lautet d
er Titel dieses Büchleins. Haben wir nicht miterleben können, wie gerade die Men
schen, die Gott leugnen, selber Götzen verfallen sind und, wie Feuerbach - hier
zu Recht - sagt, sich selber Götzen machten? Statt:
Gott = Partei Paradies = klassenlose, kommunistische Gesellschaft Glaube = Part
eidoktrin Bekehrung = Kritik und Selbstkritik Sünde = Verrat an der Arbeiterklas
se (Partei) Gericht = Liquidation
Es gilt, diesen Göttern den alleinigen, wahrhaftigen und lebendigen Gott zu beze
ugen. Viele Materialisten, die einem aus dem Glauben lebenden Christen begegnet
sind, spürten bald, dass Jesus Christus leibhaftig in diesem Menschen wirkt. Sie
kamen nicht umhin, ihm ihre Achtung zu bezeugen. Aber gleichzeitig standen sie
hilflos diesen Christen gegenüber; denn ihre Lehre von Überbau und Unterbau war
zerschellt. Die Kraft des Herrn überwindet alle menschlichen Kräfte. Ist das nic
ht ein Zeugnis unseres Herrn, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis an d
er Welt Ende" (Matthäus 28, 20). Christlicher Glaube ist immer ein Zeugendienst.
Dieser Zeugendienst ist gleichzeitig ein Martyrium, das jedoch die Zusage unser
es Herrn und Heilands hat.
--
Koreas Beter
René Monod
Koreas Beter
- Die Geschichte der koreanischen Erweckung -
Inhaltsverzeichnis
Dann begann ein Wogen in der Kirche. Keine Verwirrung, sondern eine einzige Harm
onie des Gebetes. Es war, als schmolzen die Stimmen aller Beter zu einem einzige
n Schrei zu Gott zusammen. Es entstand nicht die geringste Unordnung. Der Heilig
e Geist schweißte alle zu einer Einheit zusammen. Wie am Tag des ersten Pfingstf
estes waren alle Seelen auf einen Akkord abgestimmt. Es herrschte die Einmütigke
it des Geistes.
Es muß hier eine Zwischenbemerkung gemacht werden. Das gleichzeitige Gebet aller
Teilnehmer einer Gebetsversammlung wird an vielen Stellen der Welt geübt. Die Q
uäkermissionare in Alaska üben es genauso wie die Keswickleute in Japan, in Aust
ralien und in anderen Ländern. Gemeinsames Beten findet sich bei einigen Mission
sgruppen in Afrika, zum Beispiel in Zuenoula an der Elfenbeinküste und in vielen
Pfingstgemeinden. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob es vom Heiligen Geist g
ewirkt ist, oder ob es nur die auslaufende Tradition eines großen Ereignisses de
r Vergangenheit darstellt. Traditionen und Nachahmungen lassen die wundervolle H
armonie des Heiligen Geistes gewöhnlich vermissen.
Bei der Erweckung in Korea hatte dieses gleichzeitige Beten die Ursprünglichkeit
des Heiligen Geistes an sich.
3. Die Auswirkungen dieser Erweckung
Bei diesen gewaltigen Gebetsversammlungen stand einer nach dem andern auf, bekan
nte seine Sünden, fiel dann nieder, weinte und bat Gott um Vergebung. Angestellt
e bekannten ihren Vorgesetzten ihre Verfehlungen und umgekehrt. Kirchenälteste b
aten ihre Pfarrer um Vergebung. Die Pastoren söhnten sich untereinander aus und
bereuten ihre Eifersüchteleien. Nicht nur Tatsünden, sondern auch alle Zungen u
nd Gedankensünden wurden gebeichtet.
Es ist doch wunderbar, daß der Heilige Geist auf der ganzen Erde in allen Erweck
ungen in gleicher Weise arbeitet und wirkt. Bei der Erweckung in Uganda, 20 Jahr
e nach der Korea Erweckung, geschah genau das gleiche. Bei der indonesischen Erw
eckung in der Gegenwart wiederum die gleichen biblischen Vorgänge. An einem Inst
itut in Java wurden auch halbe Nächte lang gebetet. Der Geist Gottes wirkte eine
Sündenerkenntnis sowohl bei den Lehrern als auch bei den Schülern. Sie baten ge
genseitig um Verzeihung, und die ganze Atmosphäre wurde gereinigt.
Der Geist Gottes hat oft oder immer den gleichen Plan. Er zeigt die Sünde, er ze
igt uns die Erlösung. Er zerbricht unsere Herzen, reinigt die Beziehungen der Me
nschen zueinander und baut die Gemeinde Jesu. So war es in Jerusalem nach der er
sten Ausgießung des Heiligen Geistes. So war es bei allen echten Erweckungen.
In Korea nahm die Welle der Buße und Sündenerkenntnis die Menschen so gefangen,
daß jeder sich selbst vergaß und nur noch vor Gott stand. Auch die alten Mission
are konnten sich dieser Bewegung der Buße und Reinigung nicht entziehen. Es schw
and jegliche menschliche Autorität und Führerschaft vor dem Angesicht Gottes. Vi
ele lagen einfach der Länge nach auf dem Boden, weil sie von der Macht ihrer eig
enen Sünde erdrückt und niedergeworfen worden waren.
Die Missionare waren nicht mehr Herr der Situation. Sie versammelten sich schlie
ßlich auf der Plattform und fragten sich gegenseitig: "Was sollen wir tun? Wenn
das so weitergeht, verlieren ja einige noch ihren Verstand." Doch sie wagten nic
ht zu unterbrechen. Sie hatten wochenlang um eine Ausgießung des Heiligen Geiste
s gebetet. Nun hatte sie Gott geschenkt. Sie fühlten sich nicht befugt, dieses F
euer zu stoppen.
Schließlich wurden sie einig, durch die Reihen zu gehen und die zu trösten, die
am meisten zerschlagen waren. Sie hoben manchen vom Boden auf und sprachen ihm a
ls Trost mit einem Bibelwort die Vergebung zu. Dann stimmte Dr. Lee ein Lied an.
Nach dem Gesang ging es wie bisher weiter.
Die Versammlung war nicht mit Gewalt zu beenden. Die Koreaner hatten jegliches B
edürfnis nach Essen und Schlafen verloren. Es stand ihnen nur noch eines vor der
Seele: ihr Verhältnis zu Gott in Ordnung zu bringen.
In normalen Zeiten kann man darüber diskutieren, ob es richtig ist oder nicht, ö
ffentlich die Sünden zu bekennen. Natürlich rät jeder biblisch ausgerichtete und
seelsorgerlich erfahrene Reichgottesarbeiter davon ab. Das ist auch gut so. Wen
n aber der Heilige Geist eine Gemeinde erfaßt in echter Weise, und es ist echt
, wenn der Heilige Geist es tut und nicht der Menschengeist , dann gelten ander
e Gesetze. Es wäre unklug gewesen, wenn die koreanischen Missionare diese Buß u
nd Beichtbewegung hätten stoppen wollen. Sie hätten damit nichts Geringeres geta
n, als dem Heiligen Geist in den Arm zu fallen. Es wäre auch in der Bußbewegung
Nordkoreas unmöglich gewesen, den Koreanern zu sagen: "Hört auf mit euren öffent
lichen Sündenbekenntnissen." Der Geist Gottes hatte das Regiment und nicht mensc
hliche Weisheit. Es ist auch fehlgeschossen, wenn ein Psychologe sagen wollte: "
Die Koreaner sind eben in ihren seelischen Regungen und Äußerungen beweglicher u
nd labiler als die Europäer." Das stimmt gar nicht. Korea ist so kalt wie Deutsc
hland. Das Frühjahr kommt in Seoul später als in Frankreich und England. Pjöngja
ng ist sogar wesentlich kälter als Westeuropa. Dazu sind die Koreaner keinesfall
s labiler als Franzosen und Deutsche.
Wenn der Heilige Geist Menschen zerbricht, geht es nicht mehr um psychologische
Gesichtspunkte. Natürlich hat der Südländer ein heißeres Temperament als der Nor
dländer. Der Heilige Geist kann aber den Kaltblütigen genauso zerbrechen wie den
Heißblütigen. Bei den Aktionen des Heiligen Geistes geht es nicht um die Blutbe
schaffenheit, sondern um den Herzenszustand.
In Pjöngjang gingen die Bußversammlungen in jenen Erweckungstagen die ganze Nach
t durch weiter. Nun hören wir einmal einen Originalbericht von Dr. Blair.
"Jede Sünde, die ein Mensch begehen kann, wurde in jener ersten Nacht öffentlich
bekannt. Blaß und zitternd, beinahe in einem Todeskampf des Leibes und der Seel
e standen sie in dem blendenden Licht des Gerichtes Gottes. Sie sahen sich, wie
Gott sie sah. Ihre Sünde erhob sich in ihren eigenen Augen in ihrer Schmutzigkei
t und Schande. Keiner entschuldigte sich mehr. Sie sagten nur noch ja und nahmen
willig alles auf sich. Jeder Stolz wurde zerschlagen. Sie blickten zu Jesus gen
Himmel. Sie bekannten sich als seine Verräter. An ihre Brust schlagend, riefen
sie bitter weinend: Herr, verwirf uns nicht für immer! Alles andere war vergessen.
Nichts hatte mehr Bedeutung. Was ging sie noch der Zorn der Menschen an oder ei
ne eventuell drohende Gerichtsstrafe? Ja, selbst der Tod schien für diese Mensch
en keine Bedeutung mehr zu haben, wenn nur Gott ihre Sünde vergab. Wir mögen dar
über denken, wie wir wollen. Wenn der Heilige Geist den Menschen in seiner Schul
d trifft, dann wird gebeichtet, und keine Macht der Erde kann es hindern."
4. Die Ausbreitung der Bewegung
Die Erweckung begann in Pjöngjang, dem heutigen Kommunistenzentrum. Als die gewa
ltigen Buß und Beichtversammlungen stattfanden, waren auch die Seminaristen des
theologischen Seminars dabei. Sie wurden alle von dem Geist der Erweckung erfaß
t und trugen dann als junge Pastoren das Feuer hinaus in das ganze Land.
Überall, wo diese jungen Boten Jesu hinkamen, entstanden ähnliche Bußversammlung
en. Die Lehrer in den Schulen konnten manchmal ihren Unterricht nicht mehr weite
rführen, weil die Schüler ihre Sünden beichteten und um Vergebung baten. Gegende
n, Dörfer, in denen nie ein Missionar gearbeitet hatte, wurden erfaßt, als sie d
ie Berichte hörten. Todfeinde söhnten sich aus. Gestohlenes Geld und Gut wurde z
urückgegeben. Nicht nur den Christen gegenüber wurde altes Unrecht geordnet, son
dern auch den Heiden gegenüber. Ein alter chinesischer Geschäftsmann war ganz üb
errascht, als ihm ein Christ eine große Geldsumme zurückbrachte, die er einmal i
rrtümlicherweise von dem Kaufmann erhalten hatte. Manche Heiden wurden durch die
se Ehrlichkeit der Christen zu Christus gebracht und bekehrt.
Das Feuer, das vom Heiligen Geist angezündet worden war, brannte weiter. Die Kor
eaner, die von der Erweckung erfaßt worden waren, machten es sich zur Aufgabe, g
anz Korea in einem Jahr durchzumissionieren. Sie brachten große Mittel auf, um s
olche Gebiete evangelistisch zu erreichen, in denen noch kein Missionar vorher g
earbeitet hatte. Zur Unterstützung dieser missionarischen Arbeit ließen sie das
Markusevangelium in einer Auflage von einer Million drucken und verkauften davon
in einem Jahr 700 000. Nicht genug damit! Sie sandten auch Missionare ins Ausla
nd. Einer ließ sich in Wladiwostok in Sibirien nieder, um die dort ansässigen Ko
reaner zu betreuen. Andere wurden auf völlig abgelegene Inseln gesandt. Wieder a
ndere bereisten China. In dieser Zeit entstand als Kind der koreanischen Erwecku
ng die sogenannte "Millionenbewegung". Dieser Ausdruck ist auch bekannt durch di
e Arbeit der China Inland Mission. Eines ihrer Blätter trug den Namen "Chinas Mi
llionen".
Diese Erweckung war die Geburtsstunde der christlichen Kirche Koreas, die heute
geistlich noch sehr lebendig ist, wenn auch manche Schatten darüber hinweggegang
en sind.
Fassen wir die Merkmale der Erweckung zusammen. Dieser geistliche Aufbruch Korea
s war eine Buß und Beichtbewegung. Menschen kamen in Scharen zum Herrn Jesus. D
iese Erweckung war keine "Zungenbewegung". Das muß betont werden, weil heute dur
ch die "Zungenbewegung" viel Unruhe und Verwirrung in die Gemeinde Jesu hineinge
tragen wird. Um Mißverständnisse abzuwehren, wird darauf hingewiesen, daß selbst
verständlich alle Geistesgaben, die im N.T. erwähnt sind, anerkannt werden. Wir
haben es nur zu lernen, daß zwischen charismatischen und psychischen Vorgängen u
nterschieden wird.
5. Charismatische Nebenwirkungen
Jede Erweckung bringt Seitenströmungen, manchmal sogar gefährliche Gegenbewegung
en hervor. Das hängt oft mit dem Gegenschlag der Finsternis zusammen. Der Teufel
sieht nicht tatenlos zu, wenn Gottes Geist ein Feuer anzündet. Manchmal ist es
auch nur so, daß ein sehr helles Licht auch besonders dunkle Schatten wirft.
Fast jede Erweckung unseres Jahrhunderts war von einer Heilungsbewegung begleite
t. Das ist durchaus biblisch. Wenn das Verhältnis des Menschen mit Gott in Ordnu
ng kommt, dann folgt in vielen Fällen auch eine Heilung körperlicher Gebrechen n
ach. Außerdem hat der von allen Belastungen befreite Mensch ein anderes Gebetsve
rhältnis zu Gott als der Namenchrist, der ein Gebetsleben überhaupt nicht kennt.
Dem wiedergeborenen Menschen leuchten die Verheißungen der Bibel wie helle Ster
ne, die ihm den Weg weisen.
Bei allen Erweckungen treten auch visionäre Erlebnisse auf. Von Dr. Lee hörte ic
h folgende Vision aus der koreanischen Erweckung. An einem Mittag befand er sich
in einer Kirche im Gebet. Es war 15 Uhr. Da sah er im Altarraum einen Engel st
ehen. Rund um die Kirche waren Feuerzungen zu sehen wie am ersten Pfingstfest. D
ie heidnischen Koreaner, die draußen in der Nähe der Kirche arbeiteten, sah er w
ie Tiere und nicht in Menschengestalt.
Diese Vision braucht durchaus nichts Ungewöhnliches zu sein. Die Feuerzungen sin
d das Symbol des Heiligen Geistes. Wenn in Kirchen von treuen Christen gebetet w
ird, da wird der Arm Gottes bewegt. Da treten der "Engel Geschäfte" in Erscheinu
ng (Hebr.1,14). Daß Menschen in Tiergestalt gesehen werden, ist nicht ganz ungew
öhnlich. Wir finden das im Heidentum und im Christentum. Der Buddhist glaubt, da
ß ein Mensch, der sich nicht bewährt, bei der nächsten Reinkarnation (Wiederverk
örperung) in ein Tier verwandelt wird. Im christlichen Kulturraum finden wir in
Dantes "Divina Comedia" Hinweise, daß boshafte und unerlöste Menschen im Hades w
ie Tiere aussehen. Solche visionären Erlebnisse sind mir auch aus der Seelsorge
bekannt.
Im Rahmen einer Erweckung gibt es also durchaus echte charismatische Randerschei
nungen, die wir nicht als krankhaft oder schwärmerisch ablehnen müssen. Irreführ
end werden aber die Nebenwirkungen, wenn Gläubige in krampfhafter Weise ekstatis
che Erlebnisse wie Visionen, Zungen, Krafterweise erzwingen wollen. Gewöhnlich w
erden derartig erzwungene Erlebnisse zu einem Einfallstor böser Geister, die nur
auf solche offenen Türen warten (Eph. 6,12). Es gilt hier das Gesetz: Was der H
eilige Geist von sich aus schenkt, ist natürlich und gottgewollt. Was der nach "
Sondererlebnissen" strebende Mensch sich erzwingen will, ist gewöhnlich keine Ga
be des Heiligen Geistes, sondern zweifelhaftes Geschenk eines anderen Geistes.
Der Tod aller Erweckungen ist die nach Jahren oder Jahrzehnten eintretende Ermüd
ung. Es ist eine traurige Erfahrung, daß direkt keine Erweckung ein Jahrhundert
überdauert. Die meisten sind aber von viel kürzerer Dauer. Wie steht es damit in
Korea?
6. Die Leidenszeit
Die aus der Erweckung entstandene koreanische Kirche geriet von ihrem Anfang an
unter politischen Druck. Seit 1905 waren die Japaner im Land, die das koreanisch
e Volk in jeder Hinsicht niederhielten. Sie trieben eine Ausbeutungspolitik im w
ahrsten Sinne. Das ganze Finanzwesen lag in den Händen der Besatzungsmacht. Kein
Koreaner konnte es zu irgendeiner hohen wirtschaftlichen oder politischen Stell
ung bringen. Das ging so weit, daß nach dem Abzug der Japaner niemand in Korea f
remdes Geld umwechseln konnte. Die amerikanischen Missionare waren nicht in der
Lage, die wirtschaftlich schwachen Kirchengemeinden zu unterstützen. Das Volk se
lbst war kaum fähig, die eigenen Bedürfnisse zu decken. Die Japaner hatten ja de
n Grundsatz verfolgt, Korea nur als Absatzgebiet anzusehen. Es waren nur japanis
che Produkte zu haben. Eigene koreanische Fabriken gab es nicht.
Auch in kultureller Hinsicht wurde alles japanisiert. Nur die japanische Sprache
galt im Amtsverkehr. Wer sie nicht sprechen konnte, mußte sich der Dolmetscher
bedienen. Japanisch wurde auch in den höheren Schulen als Schulsprache eingeführ
t. Das gab im Volk große Spannungen.
Zur größten Not und Gefahr wurde der jungen Kirche der religiöse Zwang. Am Natio
nalfeiertag hatten alle Koreaner durch eine Zeremonie am Shintoschrein ihre Loya
lität den Japanern gegenüber zu bezeugen. Die Christen gerieten dadurch in einen
Gewissenskonflikt. Sie fragten sich: "Dürfen wir als Christen uns am Shintoschr
ein verneigen?"
Die leitenden Pfarrer wurden bei der japanischen Behörde vorstellig und baten da
rum, daß ihnen um des Glaubens willen diese Zeremonie erspart bliebe. Man erklär
te ihnen, dieser Ritus hätte nur politischen und keinen religiösen Charakter. Ma
nche Christen haben sich bei dieser Antwort beruhigt und wohnten seither dieser
Feier bei. Auch der Direktor des theologischen Seminars fügte sich, um nicht die
weitere Existenz der Schule zu gefährden.
Andere Christen, vor allem solche, die selbständig denken konnten, erklärten: "E
s ist nicht nur eine politische Treuekundgebung, da ja alle Gebete, die dabei ge
sprochen werden, shintoistischen Charakter haben." Durch diesen Zwiespalt gab es
unter den Christen Gewissensnöte und Konflikte.
Schließlich wagte es ein treuer koreanischer Pastor, die Shintozeremonie nicht m
itzumachen. Was geschah? Die Japaner ließen ihn in der Nähe des Shintoschreines
totprügeln. Damit waren klare Fronten geschaffen. Viele Christen besaßen aber ni
cht diesen Bekennermut, sondern gingen einen Kompromiß ein. Das war der Grund, w
arum in der japanischen Zeit die Erweckungsbewegung rasch zurückging. Die Verqui
ckung mit der religiösen Shintozeremonie hatte sich zu einer Dämpfung der Wirksa
mkeit des Heiligen Geistes ausgeweitet.
II. Die zweite Welle der Erweckung
Wesley hat einmal vom zweiten Segen gesprochen. Er meinte damit, daß die Christe
n sich nicht mit ihrer Bekehrung zufrieden geben sollten. Gott hätte mehr als nu
r einen Segen für uns bereit. Diese Aussage Wesleys wurde oft mißverstanden und
auch von extremen Kreisen zu einem Gesetz erhoben. Gottes Geist handelt aber sou
verän und darf nicht in eine Schablone gepreßt werden. Es wäre ein armer Gott, d
er seinen Kindern nur zwei Segen zu geben hätte. Das Leben eines treuen Christen
ist reich an tausendfältigen Segnungen. Und doch gibt es einzelne Christen und
ganze Bewegungen, die einen speziellen zweiten Segen zu verzeichnen haben. Wir w
issen das von Charles H. Finney, von dem Zeltevangelisten Jakob Vetter, von Majo
r Thomas und vielen anderen Männern Gottes.
Die Erweckung auf den Hebriden hat ebenfalls zwei Segenswellen in ihrem Verlauf.
Die erste Welle war etwa 1949, die zweite ab 1953. Leider ist diese Bewegung et
was ins schwarmgeistige Fahrwasser geraten.
In der koreanischen Erweckung zeichnen sich ganz eindeutig zwei Etappen ab. Die
erste Welle war von 1906 bis 1945. Als die Japaner abgezogen waren, war damit au
ch der für die Christen unselige Shintokult zu Ende. Die Gläubigen unterzogen si
ch einem Reinigungsprozeß. Sie sollten aber nicht lange aufatmen können. Neues U
nheil und noch größere Verfolgung zeichneten sich am Horizont ab.
1. Der politische Terror in Nordkorea
Die Nordkoreaner nützten die kurze Befreiungspause zwischen dem Abzug der Japane
r und dem Einzug der Russen. Unter großen Opfern an Geld und persönlicher Arbeit
schufen sie sich Stätten der Verkündigung und des Gebetes. Dieser friedliche Au
fbau wurde von seiten der Kommunisten immer wieder gestört.
Geradezu katastrophal wurde die Lage der Christen, als rotchinesische Soldaten i
ns Land kamen und die Kommunisten sich rüsteten, ganz Korea an sich zu reißen.
Es ist seltsam, daß die Stadt Pjöngjang 1906 Ausgangspunkt der Erweckung gewesen
war. Unter den Roten wurde diese Stadt dann das Zentrum der neu aufbrechenden C
hristenverfolgung. Ob dieser Gegenschlag nicht von der Hölle selbst inszeniert w
ar?
Startschuß für die Verfolgungswelle war die Verhaftung eines führenden Staatsman
nes, der ein überzeugter Christ war. Dieser Politiker verschwand spurlos. Nieman
d rechnet mehr damit, daß er noch am Leben ist.
Das schwere Leid, das über die Christen hereinbrach, wurde von Gott in Segen umg
ewandelt. Solange die Gottesdienste noch nicht verboten waren, kamen die Christe
n wieder täglich zum Gebet in die Kirchen zusammen wie in der Erweckungszeit. Da
die Räumlichkeiten nicht ausreichten, beteten sie außerhalb. Natürlich blieb de
n Kommunisten diese Gebetsbewegung nicht verborgen. Sie schlossen darum eine Kir
che nach der anderen. Sie konnten aber den Gebetsstrom nicht mehr stoppen. Die G
ebetsversammlungen wurden noch gewaltiger als die von 1906/1907.
Die Christen trafen sich vor Sonnenaufgang. Manchmal um 5 Uhr, vielfach auch sch
on um 4 Uhr. Niemand fragte mehr nach der Witterung. Weder Kälte noch Schnee, no
ch Regen konnte sie abhalten. Tausende fanden sich ein. Sie beteten gleichzeitig
wie in den Tagen, da der Heilige Geist Korea heimgesucht hatte.
Wir kennen aus der Kirchengeschichte kein Beispiel, daß in einer einzigen Gebets
versammlung 10 000 Beter ihr Flehen zum Himmel schickten. Und doch war das noch
nicht der Höhepunkt. Führende Christen in Nordkorea sagten aus, es hätte Versamm
lungen mit 12000 Beter gegeben. Und das, nachdem schon Tausende von Christen nac
h Südkorea geflohen waren.
Natürlich wurden diese gewaltigen Gebetsversammlungen auch von politischen Spitz
eln besucht. Welche Behörde will aber 12000 Beter auf einmal verhaften? Die Komm
unisten pickten sich aber führende Männer heraus. Und doch konnte sich der Gebet
sgeist nicht durch den roten Terror stoppen lassen.
Unheimliche Terrorakte der Roten ließen viele Christen den Plan fassen, die Fluc
ht nach Südkorea zu wagen. Es sind schreckliche Dinge passiert, die von wahrheit
sliebenden Christen berichtet worden sind. Einige Christen wurden von chinesisch
en Kommunisten tagelang an Kreuzen aufgehängt, bis sie unter Qualen starben. Tre
uen Zeugen, die nicht abließen, die Botschaft von Jesus weiterzusagen, wurden vo
n den Rotchinesen die Zunge herausgeschnitten. Kinder, die bei einer heimlichen
Sonntagsschule erwischt worden waren, wurden taub gemacht. Die roten Unholde sch
lugen ihnen die Eßstäbchen in die Ohren und zertrümmerten dadurch das Gehör.
Diese Greuel verwandelten die nordkoreanischen Gemeinden in eine Katakombenkirch
e oder Untergrundkirche, wie man heute sagt. Es wäre gut, wenn die manchmal verb
lendeten Christen des Westens die Wurmbrandbücher lesen würden. Dieser Autor, de
r selbst von Kommunisten 14 Jahre lang gefoltert worden ist, hat viele Terrorakt
e der Kommunisten berichtet. Seine Berichte entsprechen der Wahrheit, wie ich se
lbst durch gläubige Flüchtlinge feststellen konnte.
Wer von den nordkoreanischen Christen eine Möglichkeit sah, sich nach dem Süden
durchzuschlagen, betrat diesen gefahrvollen Weg. Sie schlichen sich durch die Ka
mpf fronten hindurch. Wer von den Kommunisten erwischt wurde, verlor dabei sein
Leben. Und doch gelang es vielen, den mit Märtyrerblut getränkten Boden Nordkore
as zu verlassen.
2. Syngman Rhee
In den Jahren 1945 bis 1950, da in Nordkorea die Kommunisten Volk und Land knebe
lten, hatte Südkorea zwei Chancen.
Zunächst einmal profitierten die christlichen Gemeinden im Süden von dem Zustrom
der nordkoreanischen Flüchtlinge. Diese leidgeprüften Christen brachten einen g
roßen Gebetsgeist mit und gründeten vielfach im Süden Gebetsversammlungen. Wir w
erden noch davon hören, wenn über die Gründung der Young Nak Kirche berichtet wi
rd.
Der zweite günstige Faktor für das christliche Gemeindeleben war die Gestalt des
ersten Staatspräsidenten, der ein überzeugter Christ war. Hören wir seine Gesch
ichte.
Korea hat viele einmaligen Dinge. Ich weiß nicht, ob es noch sonstwo in der Welt
einen Staatspräsi¬denten gibt, der erzählen kann, wie er zu Christus gefunden h
at.
Während der japanischen Besatzungszeit war Syngman Rhee ein großer Patriot. Sein
ganzes Bestreben war, sein Land und Volk von der verhaßten Fremdherrschaft befr
eit zu sehen.
Aus Geldnöten fand er sich bereit, christlichen Missionaren Sprachunterricht zu
erteilen. Die Mission war ihm eigentlich zuwider. Die Missionare waren für ihn a
uch nur Ausländer, von denen er sein Land verschont sehen wollte. Beim Sprachunt
erricht merkte er aber, daß diese christlichen Männer seinem Volk gut gesinnt wa
ren.
Da Rhee als Widerstandskämpfer auf der schwarzen Liste der Japaner stand, hatte
er oft zu verschwinden, um sich einer Verhaftung zu entziehen. Bei einer solchen
Flucht fand er bei einem amerikanischen Missionar mit Namen Dr. Avison Untersch
lupf. Da ihm die Japaner aber überallhin folgten, hatte er zuletzt ins Ausland u
nterzutauchen. Er hielt es aber nicht lange in der Fremde aus, da er sich auf Ge
deih und Verderb mit Korea verbunden wußte. Er kehrte daher nach Seoul zurück. K
urze Zeit später wurde er dort verhaftet und zum Tode verurteilt.
Man sperrte ihn in die Todeszelle, die nur zwei Meter im Quadrat groß war und ei
ne sehr schlechte Entlüftung besaß. Zu allem Übel wurde er nachts in den Stock g
eklemmt. Das ist das gleiche Marterwerkzeug, das Paulus und Silas im Gefängnis i
n Philippi erlebten (Apg.16,24).
Jeden Morgen erwartete Rhee den Henker. Seltsamerweise ließ dieser aber lange au
f sich warten. Das ist nicht unverständlich, da Gott seine Hand über ihn hielt,
obwohl er noch nicht gläubig war. Die amerikanischen Missionare, die von seiner
Verhaftung gehört hatten, beteten viel für ihn, da er ja ihr Sprachlehrer gewese
n war.
In der Wartezeit bat er seinen Wärter, er möchte ihm bei den amerikanischen Miss
ionaren eine Bibel und ein Wörterbuch ausborgen. Wiederum war es die Freundlichk
eit Gottes, daß der Wärter diese Bitte erfüllte. Man gibt auch sonst in der Welt
einem Todgeweihten einen letzten Wunsch frei.
Mit großem Eifer las er die Bibel, die ihn nun in der Einsamkeit der Zelle und i
n der Todesnähe mächtig ansprach. Er erinnerte sich auch an die Worte der Missio
nare, die einmal zu ihm gesagt hatten: "Gott erhört Gebet."
Rhee betete zum ersten Mal in seinem Leben und sagte: "O Gott, rette meine Seele
und rette mein Land." Unmittelbar danach schien seine Zelle mit Licht erfüllt z
u sein. Er wurde mit dem Frieden Gottes erquickt. Von dieser Stunde an war er ei
n anderer Mann. Sein Haß gegen die Missionare, sein Haß gegen die Japaner war ve
rschwunden.
Der umgewandelte Mann tat das Beste, was ein neugeborener Christ stets tun sollt
e. Er bezeugte seinen Herrn vor seiner Umgebung. Der Gefängniswärter war aber de
r einzige Mensch, den er zu Gesicht bekam. Darum erzählte er ihm seine Erfahrung
mit Jesus. Als der Bruder des Wärters ins Gefängnis kam, um seinen Bruder zu be
suchen, bekannte Rhee auch diesem Mann sein Erlebnis. Die Frucht dieses Zeugniss
es war, daß beide Männer sich bekehrten. Auch hierin liegt eine Ähnlichkeit mit
der Geschichte im Zuchthaus in Philippi. Auch dort hatte sich der Gefängnisaufse
her bekehrt.
Nun waren plötzlich der zum Tode Verurteilte, sein Wärter und dessen Bruder geis
tliche Brüder geworden. Ihre Kirche war die Todeszelle. Der Wärter handelte von
nun an wie jener Kollege in Phi¬lippi, der Paulus die Füße wusch und die Wunden
verband. Rhee wurde nicht mehr in den Stock gelegt. Er bekam besseres Essen und
wurde in eine freundlichere Zelle umquartiert.
Der Gefängnisleitung blieb die große Veränderung ihres wichtigsten Gefangenen ni
cht verborgen. Als daher der Mann von der Todesliste darum bat, innerhalb des Ge
fängnisses eine Schule für die Mitgefangenen zu eröffnen, da wurde es ihm bewill
igt. Auch viele weitere Wünsche wurden ihm erfüllt. Er durfte Briefe nach drauße
n schreiben und erhielt christliche Traktate und Schriften von den Missionaren.
So entstand im Gefängnis eine Bibelschule. Die schönste Frucht dieser Gefängnisz
eit war, dag der Bruder seines Wärters anfing, sich für das geistliche Amt vorzu
bereiten. Er besuchte ein Seminar in Amerika und wurde Pastor.
Es entsprach dem Plan Gottes, daß Rhee wieder freikam. Und dieser Mann wurde der
erste Präsident von Korea, wie wir bereits hörten. Welches Land der Erde hat so
lche "politischen" Geschichten aufzuweisen?
Syngman Rhee bewährte seine christliche Einstellung auch in seinem hohen Amt. Vi
ele der höchsten Ämter wurden mit treuen Christen besetzt. So war sein Generalst
abschef ein treuer Kirchgänger, der keinen Sonntag in der Kirche fehlte. Dazu le
itete dieser General nebenamtlich ein christliches Waisenhaus. Viele Pastoren wu
rden die Distriktsgouverneure Koreas. Überall spürte man im Lande den persönlich
en Einfluß des Präsidenten, der in seinem Glauben nicht hochmütig wurde, sondern
ein schlichter und treuer Christ blieb bis zu seinem Tode.
3. Der Terror greift nach Südkorea
Syngman Rhee, der 1948 sein hohes Amt angetreten hatte, war es nicht lange vergö
nnt, eine friedliche Aufbauarbeit zu treiben. 1950 kam der rote Ansturm aus Nord
korea. Das ganze Land geriet in größte Angst, weil man von den nordkoreanischen
Flüchtlingen wußte, was zu erwarten war. Mit Zittern sah man dem kommenden Unhei
l entgegen. Es füllten sich die Kirchen. Überall wurden Gebetsversammlungen abge
halten. Eine der stärksten Betergruppen war in der Young Nak Church. In dieser G
emeinde waren ja die meisten der nordkoreanischen Flüchtlinge vereinigt, die den
roten Terror schon einmal hatten durchstehen müssen. Sie ahnten nicht, daß es b
ei dieser zweiten Bedrohung gar nicht bleiben würde.
Die Rotchinesen nahmen Seoul, die südkoreanische Hauptstadt, ein. Die Regierungs
mitglieder hatten sich nach dem Süden absetzen müssen. Viele hochstehende Nordko
reaner befanden sich ebenfalls auf ihrer zweiten Flucht. Sie hatten damit schon
zum zweiten Mal alles verloren.
Die Kommunisten hielten hartnäckig ihre Stellungen, bis die UNO Truppe, vorwiege
nd die Amerikaner, die Roten nach dem Norden abdrängten und hinter die Demarkati
onslinie zurückjagten. Bei diesen Kämpfen waren es ausgerechnet die amerikanisch
en Granaten, die am meisten Zerstörung in Seoul anrichteten. Sehr schmerzlich wa
r der Verlust des Bibelhauses, das erst einige Jahre zuvor unter unsäglichen Müh
en errichtet worden war und nun ein Raub der Flammen wurde. Es war gerade mit Bi
beln und Bibelteilen vollgepackt worden, als dieser unerwartete Schlag es traf.
Das Leid schien kein Ende nehmen zu wollen. Viermal wechselte Seoul seinen Herrn
, bis es zu einem Waffenstillstand kam. Dieser rote Terror brachte trotz alles L
eides Südkorea Segen. Die Christen waren von einem neuen Wirken des Heiligen Gei
stes heimgesucht worden. Die Jahre nach dem "Koreakonflikt" sind angefüllt von e
iner ungeheuren Aktivität der christlichen Gemeinden. Die Young Nak Kirche erhie
lt dauernd Zustrom durch die nordkoreanischen Flüchtlinge. Die christlichen Schu
len und Universitäten, die vorher nur wenig Studenten hatten, waren nun mit Taus
enden von Studenten gefüllt. Das presbyterianische Seminar allein erhielt 6000 S
tudenten, die Pastoren werden wollten. Es ist damit zum größten presbyterianisch
en Seminar der ganzen Welt geworden. Der Bibelklub erreichte im ganzen Land eine
Mitgliederzahl von 70.000. Die Kirchen errichteten Witwen- und Waisenhäuser. In
der Armee wurden 350 Planstellen für Kaplane geschaffen. Die Auswirkung ist, da
ß heute die südkoreanische Armee 1.5 Prozent Christen hat, während der Prozentsa
tz im ganzen Volk nur 7 ist. Seoul, das vorher 30 christliche Gemeinden besaß, h
at nunmehr 600. Pusan, die Stadt im Süden, die 12 christliche Gemeinden besaß,
hat deren jetzt 200. Von den 150.000 nordkoreanischen Kommunisten, die in Gefang
enschaft geraten waren, bekehrten sich 20 000. Das ist in keinem Gefangenenlager
des Ersten oder Zweiten Weltkrieges passiert.
Was der Teufel Böses zu bringen trachtete, hat Gott in Segen umgewandelt. Der He
rr hat das Schreien seiner Kinder erhört. In Psalm 34 heißt es: Da dieser Elende
rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten." Und durch den Prophet
en Jeremia verhieß der Herr: "Ich will euch zu Hilfe kommen in der Not und Angst
unter den Feinden." Koreas Beter hatten das erfahren dürfen.
4. Der heilsame Schock
Nach dem koreanischen Krieg betrat ich zum ersten Mal koreanischen Boden. In Seo
ul eingetroffen, nahm ich mit der presbyterianischen Kirche am Südtor Kontakt au
f. Ich wurde eingeladen, am nächsten Morgen bei der Gebetsversammlung eine kurze
Botschaft zu geben. Gern sagte ich zu, war aber nicht wenig erstaunt, als man m
ir die Uhrzeit nannte: 5 Uhr morgens.
Um 5 Uhr jagte es durch meinen Sinn , und das bei dieser Kälte! Wer wird da s
chon kommen? Ich ging in mein Hotel. Um 4 Uhr rasselte mein Wecker.
Regen klatschte gegen mein Fenster. Die Gebetsstunde fällt aus wegen Regen, war
mein erster Gedanke. Ich wickelte mich in die Decke und versuchte weiterzuschlaf
en. Es gelang nicht. Du mußt wenigstens dein Versprechen erfüllen und dort aufkr
euzen, auch wenn nur der Pastor da sein sollte. So zog ich mich schließlich etwa
s unlustig an und machte mich auf den Weg. Es war nicht gerade ermutigend, daß d
er Taxifahrer die doppelte Gebühr verlangte. Nun, er hatte ja das Recht, den Sat
z für Nachtfahrten zu nehmen.
Der Komplex der presbyterianischen Kirche tauchte auf. Ein übernüchterner Bau oh
ne Verglasung der Fenster. Offene Höhlen starrten mich an, durch die Schnee und
Regen in das Innere drangen. Wieder sagte ich mir: Du hast den Weg umsonst gemac
ht. Bei dieser Kälte und Nässe geht doch morgens um
Uhr niemand zur Gebetsstunde.
Ich stemmte mich gegen den Wind und betrat die Kirche. Was war das? Die Augen wo
llten mir aus den Höhlen treten. Der Raum war vollgepackt mit Menschen. Keine Be
stuhlung. Sie hockten oder knie¬ten auf Strohmatten. Ich war geradezu bestürzt u
nd wandte mich zum Podium. In großer Verlegenheit wandte ich mich an die leitend
en Brüder und fragte: "Was soll das bedeuten? Es ist doch unmöglich, daß zum Wil
lkomm eines Missionars die ganze Gemeinde aufgeboten wird."
"Das ist unsere reguläre Gebetsstunde", wurde mir gesagt. "Mitten in der Woche?"
fragte ich ungläubig. "Nicht am Sonntag, wenn die Gemeindeglieder Zeit haben?"
"ja, wir kommen doch täglich zusammen", wurde mir erklärt. Wieder verschlug es
mir den Atem. "Wie viele Menschen sind denn das?" wollte ich wissen. "Beinahe d
reitausend, die ganze Gemeinde." Ich war wie verstört und stellte das Fragen ein
.
Einer der Ältesten gab ein Lied an und stimmte sofort an. Es gab keine Orgelbegl
eitung und keine Gesangbücher. Ein anderes Musikinstrument hatten sie ebenfalls
nicht in diesem kahlen Bau, der eher einer verlassenen Fabrik ähnlich war als ei
ner Kirche.
Dann beteten sie. Alle dreitausend Menschen zur gleichen Zeit. Hätte man mir vor
her das gesagt, dann hätte ich abgewehrt mit dem Hinweis: "Das ist Schwärmerei!"
So aber fühlte ich die Harmonie des Geistes in diesem Beten. Es war keine Unord
nung und nicht zu vergleichen mit dem Rumor extremer Richtungen. Beinahe eine St
unde lang wurde gebetet.
Dann bat mich einer der Ältesten um meine Botschaft. Er fügte hinzu: "Bitte eine
kurze Botschaft, nicht länger als eine Stunde. Diese Menschen müssen um 7 Uhr z
ur Arbeit gehen.¬ Eine kurze Botschaft von einer Stunde, echote es in meinem Geh
irn. Mit welchen geistlichen Begriffen leben denn diese Christen? In welchem Lan
d der westlichen Welt dürfte der Pastor bei einer Gebetsstunde eine Stunde lang
predigen?
Mir war das Predigen bei dem Beten dieser Menschen ohnehin vergangen. Was sollte
ich diesen Brüdern und Schwestern sagen? Sie hatten doch mir gepredigt, ehe ich
den Mund auftat. Ich kam mir angesichts dieser geistlichen Situation so unsagba
r nebensächlich, so winzig und kläglich vor.
Diese Gemeinde braucht doch keine Missionare aus der westlichen Welt. Es sei den
n, damit Missionare lernen, was Beten heißt.
Diesen Gedanken sprach ich am nächsten Tag aus, als ich einen Missionar traf. "W
as tun wir eigentlich hier?" redete ich ihn an. "Wir sind doch überflüssig." Er
verstand mich und gab seine Zustimmung: "Wir sind hier, damit uns gezeigt wird,
was neutestamentliche Gemeinde ist."
5. Beten ohne Unterlaß
Der Apostel Paulus schrieb an die Thessalonicher (1:5,17): "Betet ohne Unterlaß!
" Nirgends in der Welt sah ich eine solche Erfüllung dieser biblischen Mahnung w
ie in Korea. Vielleicht ist es heute wieder so in den indonesischen Erweckungsge
bieten.
Ich hatte mich von dem Schock der ersten Gebetsstunde noch nicht erholt, da saß
ich schon in der nächsten Gebetsversammlung. Ich war nun einmal in den Sog diese
r betenden Schar geraten. Zum erstenmal verstand ich, was in Apostelgeschichte 2
,46 steht: "Sie waren täglich einmütig im Tempel beieinander." Täglich! Wo sind
wir in den christlichen Gemeinden des Westens hingekommen? Wir beten um Erweckun
g, und es geschieht nichts! Wundern wir uns darüber?
Bei der dritten Gebetsstunde fragte ich die Brüder.
"Wie oft kommt Ihre Gruppe in der Woche zum Gebet zusammen?" Sie antworteten: "T
äglich!" Drei verschiedene Gebetskreise, die jeden Morgen zusammenkommen! "Wie l
ange schon besteht dieser Brauch?" "Seit fünf Jahren , war die Antwort. Ich fing
an zu rechnen: 365 mal 5 mal 3 gibt 5475 Gebetsstunden mit je 3000 Menschen. Un
d das soll nicht Gottes Thron erreichen?
Mit dieser Information hatte ich aber noch nicht alles erfahren. Erst im Verlauf
eines mehrwöchigen Aufenthaltes bin ich langsam hinter all die wunderbaren Gehe
imnisse dieser betenden Gemeinde gekommen.
Es bestand ein nächtlicher Gebetsdienst. Jede Nacht betete eine Gruppe von etwa
hundert Christen. Natürlich wechselten die Gruppen ab. jeden Abend kamen andere
Christen zusammen. Seit fünf Jahren beteten in dieser Gemeinde jede Nacht hunder
t Menschen bis zum Morgengrauen. Und einmal in der Woche, Samstag auf Sonntag, b
eteten tausend Christen die ganze Nacht hindurch. Ich verstand damit zum ersten
Mal, was in Apostelgeschichte 12,5 steht: "Sie beteten unaufhörlich zu Gott."
Manche Schriftstelle bekam neues Gewicht für mich. In 3. Mose 24, 2 heißt es: "H
alte die Lichtflamme dauernd am Brennen. Die katholische Kirche hat zwar ein ewig
es Licht vor dem Altar. Aber damit ist es nicht getan, daß wir schöne Symbole in
unseren Kirchen haben, sondern daß die Herzen der Gläubigen dauernd am Brennen
sind, und die Flamme, der Weihrauch des Gebets, nie verlöscht. Die Beter Koreas
zeigten mir die Bedeutung von Offenbarung 5, 8: "Goldene Schalen voll Räuchwerk,
das sind die Gebete der Heiligen."
6. Sein Name macht stark
Nach der Ausgießung des Heiligen Geistes gingen Petrus und Johannes in den Tempe
l. An der Tür trafen sie einen Lahmen. Der arme Mann erwartete von den Aposteln
eine Geldgabe (Apg. 3, 6). Petrus sah ihn an und sagte: "Silber und Gold habe ic
h nicht, was ich aber habe, gebe ich dir: Im Namen Jesu stehe auf und wandle!" D
abei ergriff er die Hand des Krüppels und richtete ihn auf. Der Gelähmte wurde s
ofort geheilt, sprang umher, pries und lobte Gott. Die umherstehenden Menschen s
taunten über diese Wundertat. Die Apostel nahmen diese Gelegenheit zu einer Bots
chaft wahr. Sie wiesen alle Ehre von sich ab und verkündigten: "Durch den Glaube
n an seinen Namen hat diesen, den ihr sehet und kennet, sein Name stark gemacht,
und der Glaube durch ihn hat diesem gegeben die Gesundheit vor euren Augen" (Ap
g.3,16).
Ich hätte nicht gedacht, daß ich selber einmal Zeuge eines solchen Vorganges wer
den sollte. Bisher war ich der Meinung, dag diese Wunder der Urgemeinde vorbehal
ten waren. Natürlich war ich in der Nachfolge Jesu nie ein Modernist und Rationa
list gewesen, sondern glaubte stets kindlich dem Wort Gottes. Es fehlte mir aber
jegliches Anschauungsmaterial. In Korea sollte ich es bekommen.
Diese betenden Gemeinden machten keinen Rumor mit "Zungen und Heilungen". Nur ei
nmal im Monat ist eine besondere Gebetsstunde für Kranke. Ich erlebte eine solch
e Stunde mit. Es fehlt mir vollkommen der Wortschatz, um das zu beschreiben, was
ich dabei empfand. Ich kann nur eines sagen: Anstatt des hektischen Betens und
der Zwängerei, wie man es in extremen Gruppen erlebt, war hier eine Offenbarung
der Herrlichkeit Gottes.
Ein Gelähmter wurde in die Gebetsstunde gebracht. Einige Koreaner hatten abwechs
lungsweise diesen Krüppel 80 km weit auf dem Rücken hergetragen. Nun lag er vor
den Betern. Das verkrüppelte Bein und der verkrüppelte Arm waren kürzer als die
gesunden Glieder. Es wurde über ihm gebetet. Es kam Blut und Bewegung in die ver
kümmerten Glieder. Der Gelähmte reckte und streckte sich. Er sprang auf die Bein
e und probierte die geheilten Glieder aus. Die Verkürzungen verschwanden. Die kr
anken und gelähmten Glieder streckten sich auf die normale Länge der gesunden Gl
ieder. Darüber entstand bei den Betern kein Geschrei, sondern ein wunderbarer Lo
bpreis Gottes. Ich hätte keinem Berichterstatter das geglaubt, wenn ich es nicht
selbst gesehen hätte.
Ein anderer Kranker lag auf einer Tragbahre. Er hatte eine Lungentuberkulose im
letzten Stadium. Er war nur noch ein Skelett. Bei jedem Atemzug standen Blutblas
en auf seinen Lippen. Ein Bild des Jammers! Man konnte das fast nicht mit ansehe
n. Sie beteten über ihm und riefen den Namen des Herrn an. Der Kranke erholte si
ch zusehends beim Gebet. Er konnte seinen Brustkorb kräftig ausdehnen und weiten
. Man sah, wie er seine Lungen anstrengte und kräftig atmete. Er wurde durch des
Herrn Hand völlig geheilt.
Auch bei diesem Vorgang der Heilung wurden mir einige Bibelworte lebendig. Wie o
ft hatte ich schon über Markus 2,10 predigen hören: "Des Menschen Sohn hat die M
acht." Manchmal hatte mich auch das Wort aus 2. Chronik 20, 6 gestärkt: "In dein
er Hand ist Kraft und Macht." Noch nie habe ich aber solche Machtbeweise seiner
Hand gesehen wie hier unter diesen Betern.
Ein Junge trat in den Kreis der Gemeinde und bat um Fürbitte. Seine Hand war ver
trocknet. Er konnte die Finger nicht bewegen. Er bekannte seine Schuld und liefe
rte sein Leben Jesus aus. Dann wurde über ihm gebetet. In diesem Augenblick wurd
e seine verdorrte Hand durchblutet. Man merkte dem jungen die Freude an, seine H
and gebrauchen zu können. Er griff nach Gegenständen seiner Umgebung. Er spielte
mit seinen gesunden Fingern. Eine unbeschreibliche Freude lag auf seinem Gesich
t. Welch ein Herr, der im 20. Jahrhundert solche Dinge tut. Und welch ein Gerich
t über die laue Christenheit des Westens, daß wir soweit gekommen sind, daß wir
nicht mehr glauben können. Mir ging es ja selbst so. Ich hätte an allem gezweife
lt, wenn ich nicht selbst Augenzeuge gewesen wäre.
Bei diesen Ereignissen mußte ich unablässig Buße tun. Die Nähe des Herrn erdrück
te mich schier. Es ist doch ein Unterschied, ob man von solchen Wundern im Neuen
Testament liest, oder ob man selbst das miterleben darf. Die Sprache reicht nic
ht aus, um der Heiligkeit und Herrlichkeit des gegenwärtigen Herrn gebührend Aus
druck zu verleihen.
Nach meiner Rückkehr aus Korea erzählte ich einer westlichen Gemeinde meine Erle
bnisse. Da bat mich ein Pastor: "Bitte bete mit meinen Kranken und mache sie im
Namen des Herrn gesund!" Ich antwortete ihm: "Wie viele Gemeindeglieder haben Si
e?" Er erwiderte: "Zweitausend." "Wie viele Leute haben Sie in den Gebetsstund
en?" "Zwanzig bis dreißig, die einmal in der Woche zusammenkommen." Dann sagte
ich ihm: "ich bin bereit, mit Ihren Kranken zu beten, aber nur unter der Beding
ung, daß sie fünf Jahre lang mit allen 2000 Gemeindegliedern jeden Morgen um 5 U
hr zum Gebet zusammenkommen." So war es in Korea. Wir quälen uns umsonst ab, sol
ange nicht neu¬testamentliche Zustände in unseren Gemeinden herrschen.
Das Besondere an diesen Krankenstunden war, dag alles ruhig und ohne das übliche
Aufpeitschen seelischer Kräfte vor sich ging. Was wird uns alles in den extreme
n Gruppen als Heilung angeboten. Wird es dann nachgeprüft, dann stimmt es nicht,
oder es sind nur wenig dauerhafte Suggestivheilungen.
7. Neutestamentliches Klima
Bevor ich die Krankenstunden miterlebt hatte, war es mir in den Sinn gekommen, d
er betenden Gemeinde zu sagen, daß die Rettung des Menschen wichtiger ist als se
ine Heilung. Ich wollte ihnen zurufen: "Predigt das Wort! Vergebung ist mehr als
Gesundwerden." Ich habe diesen Vorsatz nicht ausgeführt. Was wir im Westen als
gute biblische Theologie anbieten wollen, wird dort bei diesen schlichten Betern
praktiziert.
Wie schon erwähnt, war unter 30 Gebetsstunden nur eine Krankenstunde. In den übr
igen Gebetsvereinigungen ging es um die Anbetung Gottes und um Fürbitte jegliche
r Art.
Ein anderes Merkmal der koreanischen Christen ist ihre große Opferbereitschaft.
Sie setzen sich finanziell für die Verkündigung des Wortes Gottes ein, wie ich e
s sonst nirgends in der Welt gehört habe.
Viele dieser Beter sind Reisbauern. Trotz der biblischen Regel, daß der Bauer zu
erst die Frucht seiner Arbeit genießen soll, nehmen die koreanischen Christen di
ese Freiheit nicht in Anspruch. Sie verkaufen den Reis und kaufen die um die Häl
fte billigere Hirse. Den Reinertrag, das heißt 50 Prozent ihrer Arbeit geben sie
für die missionarische Arbeit. Sie senden damit Missionare in die umliegenden L
änder und verbreiten dadurch das Evangelium. Sie geben also nicht den Zehnten, s
ondern die Hälfte ihrer Einnahmen.
Dieses Beispiel wird uns satte Christen des Westens in der Ewigkeit vor dem Geri
cht Gottes Not machen. In welchem Überfluß leben wir im Vergleich zu solchen Opf
ern.
Wollen wir angesichts einer solchen Treue und Hingabe uns noch wundern, daß die
neutestamentlichen Wunder sich in dieser Erweckung wiederholten?
Mit zu den gewaltigsten Erfahrungen im Kreis dieser Beter gehört die Beobachtung
, daß die Botschaft vom Kreuz in der Mitte der Verkündigung und des Lebens steht
. Deshalb kam mir mein ursprünglicher Plan, diesen Menschen etwas von der Bedeut
ung des Kreuzes zu sagen, kümmerlich, wenn nicht gar lächerlich vor. Was ich sag
en wollte, leben diese Christen aus.
Die koreanische Erweckung hat nichts zu tun mit der "Zungenbewegung" unserer Tag
e. Sie hat auch nichts gemeinsam mit der sogenannten "Faith Healing Mission" (He
ilungsmission) und mit den an¬geblichen charismatischen Strömungen der Gegenwart
.
Es geht unter den Christen Koreas nüchtern zu, biblisch klar, ohne ekstatische R
anderscheinungen. Der Herr Jesus wird verherrlicht. Der Heilige Geist ist am Wer
k, ohne daß versucht wird, ihn zu zwingen und unseren frommen Wünschen unterzuor
dnen. Es herrscht hier das echte pfingstliche Klima der Apostelgeschichte, nicht
die Atmosphäre der Schwärmer.
Das Zentrum der Erweckungsbewegung 1907 war Pjöngjang in Nordkorea. Der Mittelpu
nkt der zweiten Welle der Erweckung war Seoul in Südkorea. Der Geist Gottes weht
, wo er will, nicht wo wir planen und es wünschen.
Wie steht es nun aber mit der christlichen Gemeinde unter den Kommunisten in Nor
dkorea? Wir haben schon einiges darüber gehört. Nehmen wir den Bericht wieder au
f.
8. Die Untergrundkirche
In den christlichen Blättern ist in letzter Zeit viel um die Existenz der Unterg
rundkirche gestritten worden.
So schrieb ein Mann, der vier Wochen in Rumänien weilte, Pfarrer Wurmbrand hätte
ein verzerrtes Bild von der Lage gegeben. Es ist doch seltsam, daß ein Mann nac
h einem vierwöchigen Besuch die Situation des Landes besser kennen will als ein
Mann, der 50 Jahre in dem betreffenden Land gelebt hat.
Um Zeugen zu haben, nahm ich mit drei rumänischen Pfarrern, die gläubig sind, Ve
rbindung auf. Ich fragte: "Ist die Situationsschilderung von Wurmbrand richtig o
der nicht?" Alle drei bestätigten die Wahrheit der Aussagen von Wurmbrand. Einer
dieser drei Rumänen war selbst sieben Jahre in kommunistischen Gefängnissen und
hat ähnliche Folterungen wie Wurmbrand erlebt. Der zweite berichtete, daß die K
irche, deren Gemeinde er betreute, von den Kommunisten weggenommen wurde. Sie ko
mmen seither viele Kilometer außerhalb des Ortes unter freiem Himmel zum Gebet z
usammen. Der dritte, der sich noch in Rumänien befindet, schrieb mir, daß er sic
h nicht einmal zwei Tage von seiner Gemeinde entfernen darf, ohne es der Behörde
vorher zu melden. Dazu darf er in keiner anderen Gemeinde sprechen als in seine
r eigenen, und das nur mit allergrößten Einschränkungen.
Warum wird von diesen "Vierwochenreisenden" die Wahrheit so entstellt? Nun, der
Vorgang ist bekannt. Es steht nicht immer böser Wille dahinter. Wie kommen diese
Berichte zustande?
Es soll das an einem russischen Beispiel gezeigt werden, das in gewisser Abwandl
ung für alle kommunistisch beherrschten Länder gilt.
Moskau hat ein theologisches Seminar. Haben wir recht gehört? Jawohl, in der rot
en Metropole eine theologische Ausbildungsstätte! "Da seht ihr es ja, daß in Ruß
land eine religiöse Freiheit herrscht, wenn der Staat sogar Priester ausbilden l
äßt", sagen die Vierwochenreisenden . Was ist aber der eigentliche Sinn dieses Semi
nars? Verfolgen wir den Zweck. Ein junger gläubiger Russe erlebte seine Bekehrun
g. Er war so feurig für den Herrn Jesus, daß er Priester werden wollte. In seine
r Ahnungslosigkeit meldete er sich bei dem theologischen Seminar in Moskau, um s
ich ausbilden zu lassen. Er erhielt daraufhin von der Behörde eine abschlägige A
ntwort, daß nur von der Regierung ausgesuchte Leute dort studieren dürften. Der
gläubige Mann, mit dem Namen J. S. aus dem Dorf M., war aber hartnäckig. Er ließ
sich nicht so schnell abbringen. Da wurde er kurzerhand verhaftet und zu drei J
ahren Zwangsarbeit verurteilt. Wer begreift einen solchen Widerspruch? Die Touri
sten verstehen es nicht. Die werden mit Höflichkeit und guter Bewirtung "präpari
ert", damit sie ihren Heimatländern rosig gefärbte Berichte liefern. Wer aber da
s System kennt, weiß, was da gespielt wird.
Dieses theologische Seminar ist von Atheisten organisiert. Junge Kommunisten wer
den dafür abgeordnet, dort Theologie zu studieren. Sie werden dann Priester und
offizielle Pfarrer der Kirchengemeinden, um darin theologisch eingepackten Athei
smus und Kommunismus zu lehren. Die besondere Tragödie ist, daß sie einen Hauptt
eil ihrer Zurüstung der modernen Theologie entnehmen. Westliche Theologen schmie
den dem Osten die Waffen zur Christenverfolgung. Das läßt sich noch begreifen. U
nverständlich ist aber, daß gläubige Touristen aus dem Westen entstellende Beric
hte in westlichen Blättern veröffentlichen.
Das "Umfunktionieren" der Informationen aus dem Osten ist einer der diabolischst
en Vorgänge der Gegenwart. Dazu eine aufschlußreiche Episode aus erster Hand. Zw
ei westliche Kirchenführer besuchten Rumänien und erhielten vom Kultusminister e
ine Audienz. Eine ihrer ersten Fragen war: "Für welche Vergehen ist Wurmbrand im
Gefängnis gewesen?" Der Erzkommunist antwortete natürlich: "Wegen politischer V
ergehen." Dabei hat dieser Kommunist noch recht! Wenn durch das Zeugnis eines
Christen sich kommunistische Funktionäre bekehren, so ist das in den Augen des R
egimes ein politisches Vergehen. Man kann diesen Kultusminister bei einer solche
n Aussage nicht als Lügner verurteilen. Haarsträubend ist aber, daß die beiden
Männer aus dem Westen die Aussage des kommunistischen Ministers als der Weishei
t letzten Schluß im Westen ihren Gemeinden verkünden. Und noch haarsträubender i
st, daß es Blätter gibt, die diese Verdrehung als Neuigkeit in die christliche W
elt hineinposaunen.
Ein anderes tragisches Beispiel ist die Geschichte der 100 000 Bibeln. Mein Beri
chterstatter ist ein gläubiger Rumäne, der viele Jahre ähnlich wie Wurmbrand um
des Glaubens willen im Gefängnis saß und oft gefoltert wurde. Er unterrichtete m
ich über den Vorgang des angeblichen Bibeldruckes in Rumänien. Vor der Kommunist
enherrschaft hatte die Britische Bibelgesellschaft rumänische Bibeln nach Rumäni
en geschafft. Nach der kommunistischen Besetzung wurden die Bibelpakete jahrelan
g zurückgewiesen. Manche kamen aber auch durch. In den letzten Jahren wurde nun
zwischen der rumänischen Regierung und der Bibelgesellschaft das Abkommen getrof
fen, daß die rumänische Regierung den Druck von 100 000 Bibeln erlaubt. Die Bibe
lgesellschaft habe aber den Versand von rumänischen Bibeln einzustellen. Daraufh
in lieferte England das Papier und alles was für den Druck der 100 000 Bibeln nö
tig war, nach Bukarest. Die Regierung versprach den Druck. Die westliche Welt at
mete über die Lockerung des kommunistischen Systems auf. Die christlichen Blätte
r verkünden frohlockend den Druck von 100 000 Bibeln in einem kommunistischen La
nd und werten das als religiöse Freiheit. Was steht hinter dieser Aktion? In man
chen Gebieten in Rumänien wurden Listen ausgegeben, damit sich jeder eintragen k
onnte, der eine Bibel wünschte. Diese Aktion wurde zu einem vollen Erfolg, denn
der rumänische Geheimdienst besitzt nun die Anschriften dieser Bibelleser. Die K
ehrseite der Aktion ist: "Wo sind die 100 000 Bibeln?" Kein Buchladen weist sie
auf. Niemand weiß, wo sie zu bekommen sind. Erreicht hat die Regierung lediglich
, daß die offiziellen Lieferungen von Bibeln vom Ausland aufgehört haben. Der Ko
mmunismus hat diesen Schachzug gewonnen nur die Harmlosen im Westen haben diese
Taktik nicht durchschaut. Es mag nun durchaus sein, daß nach der Veröffentlichun
g dieser Broschüre, die immerhin in einer Erstauflage von 30 000 erscheint, jetz
t einige Bibeln in den Buchläden Bukarests ausgelegt werden, um den Touristen zu
zeigen: "Seht, wie bei euch im Westen gelogen wird." Und auch auf dieses Manöve
r werden die "Vierwochenreisenden" hereinfallen und weiterhin zur Vernebelung de
s Westens beitragen. Diese Blindheit ist eine Strafe, ja ein Gericht Gottes. Das
wird erst erkannt werden, wenn je dem Weltkommunismus die Überrumpelung des Wes
tens gelingen sollte, was Gott verhüten möge.
Ein häufig geäußertes Argument der Verneblungstaktiker ist die Aussage: "Eine Un
tergrundkirche gibt es nicht." Wie steht es damit? Wer allerdings eine organisie
rte Untergrundkirche mit Bischof und Konsistorium sucht, der findet sie in der T
at nicht. Das hat es in der Katakombenkirche Roms und anderer Städte des römisch
en Weltreiches auch nicht gegeben. Als Paulus nach Syrakus gekommen war, hielt e
r seine Gottesdienste nicht in dem Tempel eines römischen Gottes, sondern in den
Wasserleitungen der Stadt, die heute noch zu sehen sind. Die Gläubigen in den k
ommunistischen Ländern kommen unter der Gefahr der Verhaftung und Verschleppung
in Privathäusern, in Kellern, in Heuschobern, in Schlupfwinkeln, in Höhlen, in W
äldern zusammen. Sie haben keine Organisation, aber sie haben den Herrn Jesus in
ihrer Mitte. Wenn zwei Sowjetsoldaten sich bekehren und sich heimlich zum Gebet
treffen, so ist das nicht die offizielle, kommunistisch kontrollierte Kirche, a
ber es ist Untergrundkirche, echte Gemeinde Jesu. Diese Untergrundkirche ist unv
ermeidbar, solange Gottlose, Atheisten und Verleugner über die offizielle Kirche
herrschen. Gerade bei der Drucklegung dieses Taschenbuches kam aus Ungarn die N
achricht, daß ein ausgesprochener Atheist Minister für religiöse Angelegenheiten
geworden ist. Solche Maßnahmen führen in allen kommunistischen Ländern stets zu
r Bildung der kleinen illegalen Zellen gläubiger Christen.
Nach dieser grundsätzlichen Vorfühlung kommen wir zur Untergrundkirche von Nordk
orea. Wer sind meine Gewährsleute? Ich war bei einer Reihe von nordkoreanischen
Flüchtlingen zu Gast. Mein zuverlässigster Berichterstatter ist Dr. Han aus Seou
l, der viele Jahre in Pjöngjang in Nordkorea gearbeitet hatte. Er ist ein Freund
von Billy Graham, dazu bekanntester Pfarrer von Korea. Bei dem Weltkongreß für
Evangelisation 1968 in Singapore war er der Präsident. Er gab am 24. November 19
68 in Seoul einen Bericht über die Situation in Ostasien. Sein Sekretär gab mir
eine Kopie dieses Berichtes. Es ist ein grandioses Wort über das Thema: Geschlos
sene und offene Türen (Offb. 3, 8 u. 3, 20).
Dr. Han sagte dazu: "Die Türen für das Evangelium sind weit offen in Südkorea, J
apan, Philippinen, Indonesien, Taiwan, Hongkong, Singapore, Australien und Neuse
eland. Andere Länder dagegen sind für das Evangelium geschlossen. Dazu gehören:
Nordkorea, Rotchina, Burma. In diesen Ländern verriegelten die Kommunisten die T
üren. In Nepal verhindert der Buddhismus die christliche Mission. Wenn ein Nepal
ese zum Christentum übertritt und sich taufen läßt, dann kommt er ins Gefängnis.
Auch in Afghanistan hält der Islam die Türen zu. Auf der Bekehrung zu Christus
steht die Todesstrafe. In Malaysia und in Singapore machen die Chinesen 40 Proze
nt der Bevölkerung aus. Sie sind frei, ihre Religion zu wählen. Aber der malaysi
sche Bevölkerungsteil kann nur zum Islam gehören. Indien und Ceylon garantieren
die Religionsfreiheit. Und dennoch wird das Christentum nicht von der breiten Öf
fentlichkeit akzeptiert. In Pakistan stellt der Islam dem Evangelium viele Hinde
rnisse in den Weg."
Das ist der Überblick eines Mannes, der die meisten dieser Länder bereist hat. W
ie steht es nun mit Nordkorea?
Schon während des koreanischen Krieges waren die Christen in Nordkorea Repressal
ien ausgesetzt. Nach Beendigung dieses Feldzuges wurde den Christen jegliche got
tesdienstliche Betätigung verboten. Um dem Ausland gegenüber Religionsfreiheit z
u dokumentieren, wurde eine Scheinorganisation, die sogenannte "Christliche Alli
anz", gegründet. Der Vorsitzende, Dr. Kang Nam Ook, steht unter der Kontrolle de
r Kommunisten. Genau wie in Rußland und anderen kommunistischen Ländern ist die
offizielle Kirche der kommunistischen Regierung verpflichtet. War nicht die Welt
kirchenkonferenz in Uppsala der beste Beweis dafür? Die Bischöfe aus dem Osten h
aben mit einer Ausnahme ihren kommunistischen Regierungen die Steigbügel gehalte
n.
Es gibt aber in Nordkorea auch eine heimliche Kirche, die ihre Knie nicht vor Ba
al gebeugt hat. Hören wir davon.
1957 war in Nordkorea die Wahl zur Volksversammlung. In der Stadt Yongchun wunde
rten sich die Beamten bei der Auszählung der Stimmen, daß einige tausend Wahlber
echtigte von ihrem Stimm¬recht keinen Gebrauch gemacht hatten. Das war den Stadt
vätern peinlich, weil sie damit ihr Soll an abgegebenen Stimmen nicht erfüllen k
onnten. Obwohl es in Yongchun Christen gab, konnte man doch nicht nachweisen, da
ß die fehlenden Stimmen auf die Christen entfielen. Sie hatten allerdings beobac
htet, daß gewöhnlich an Sonntagen die Wahlbeteiligung so gering war. Darauf grün
deten sie ihren Verdacht. Die Geheimpolizei trat in Aktion. Die Christen wurden
in ihren Häusern aufgesucht. Sie waren am Sonntag daheim aber nicht anzutreffen.
Die Polizei forschte weiter und stöberte zuletzt die Vermißten an entlegenen Pl
ätzen auf, wie sie zusammen beteten.
Nach dieser Entdeckung wurden viele Christen verhört. Es kam dabei heraus, daß a
llein die Stadt Yongchun etwa 500 solcher Gebetszellen besaß, Die Untergrundkirc
he hatte also jeden Sonntag einige tausend Gemeindeglieder in den heimlichen Ver
sammlungen. Natürlich war die Geheimpolizei daran interessiert, den Organisator
dieser vielen "Zellen" zu entdecken. Einer von den verantwortlichen Männern war
Mr. Lee, ein ehemaliger Pfarrer aus einem anderen Distrikt. Er arbeitete auf ein
er Kolchose. In seiner Freizeit trieb dieser Christ Mission von Mann zu Mann und
schloß die gewonnenen Christen zu den erwähnten Gebetszellen zusammen. Lee und
einige andere Führer wurden verhaftet und zum Tode verurteilt.
Ein anderer Bericht liegt aus der Stadt Pakchun vor. Eine gläubige Lehrerin unte
rrichtete in Sprachen, Mathematik und Musik. Während der Musikstunden brachte si
e den Kindern nicht nur die vorgeschriebenen kommunistischen Lieder bei, sondern
auch christliche Hymnen. Die Kinder sangen daheim mit Begeisterung die christli
chen Lieder. Natürlich blieb das nicht verborgen. In der kommenden Verhaftungswe
lle wurde nicht nur die Lehrerin ins Gefängnis gesteckt, sondern auch Eltern, di
e ihren Kindern die christlichen Lieder nicht verboten hatten.
Ein weiteres Ereignis verdient unsere Beachtung. In der Stadt Sun Chun tauchte e
ines Tages ein alter Mann auf. Er wurde Vater Kim genannt. Dieser Greis hatte of
fensichtlich seinen Verstand verloren. Er wanderte in den Straßen umher und spra
ch vor sich hin. Eine seiner häufigen Gesten war der Blick zum Himmel und da nn
eine Handbewegung nach dem Süden. Die Polizei wurde dadurch auf ihn aufmerksam.
Sie forschten in seiner Vergangenheit nach und brachten heraus, daß er ein katho
lischer Priester gewesen war. Sie verhafteten ihn also. Er wurde zum Tode durch
Erschießen verurteilt. Unmittelbar vor der Exekution betete er laut und deutlich
: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Dann wurde er ersch
ossen. Wenn die beiden Teile von Korea je einmal vereinigt werden sollten, dann
werden wir von vielen anderen Märtyrern hören, deren Geschichte jetzt noch unbek
annt ist.
Aus Wonsan wurde ein anderer Vorfall bekannt. Im Duschraum einer Fabrik fiel ein
em Arbeiter ein kleines Kreuz zu Boden, das er um den Hals getragen hatte. Er wu
rde denunziert und dann sofort verhaftet. Vor der Geheimpolizei mußte er die Her
kunft dieses kleinen Kreuzes angeben. Daraufhin entdeckten diese Henker in Wonsa
n und Umgebung viele katholische Christen, von denen dann die führenden Männer z
ur Verantwortung gezogen wurden.
Diese Erlebnisse zeigen uns, daß die Türen in Nordkorea geschlossen sind. Es gib
t aber eine leben¬dige Untergrundkirche, Christen, die an verborgenen Plätzen zu
m Gebet zusammenkommen und sich durch das Wort Gottes für ihren Kampf stärken. W
ir können diesen bedrohten und angefochtenen Brüdern und Schwestern kaum helfen.
Wir können nur für sie beten und durch den Rundfunk tröstliche Botschaften über
den eisernen Vorhang hinweg zu ihnen senden.
9. Neue Wolken
Zwischen meinem ersten und zweiten Koreabesuch liegen 12 Jahre. Inzwischen war d
er unselige Vietnamkrieg losgebrochen, der dem Koreakrieg ähnlich ist. Der kommu
nistische Norden gibt keine Ruhe, sondern will Südvietnam unter seine Knute brin
gen. Die Amerikaner kämpfen wieder für den Süden wie damals in Korea. Die Situat
ion ist allerdings anders. In Korea lagen damals jeden Morgen Tausende von Chris
ten auf den Knien. Das fehlt in Südvietnam, wenn es auch hier kleine treue Chris
tengemeinden gibt.
Südkorea verfolgt mit größter Spannung den Verlauf des Vietnamkrieges, weil sein
Ausgang Auswirkungen auf Korea hat. Als der amerikanische Präsident vor zwei Ja
hren ankündigte, er wolle auf eine weitere Kandidatur verzichten und alles tun,
um den Krieg in Vietnam zu beenden, da standen die Südkoreaner wie unter einer S
chockwirkung.
Ich befand mich gerade an der Evangelischen Akademie in Seoul, als die Tagespres
se diese Nachricht brachte. Dr. Kang, der Akademieleiter, war bei dieser Zeitung
snachricht entsetzt. Er sagte mir: "Auf der ostasiatischen Kirchenkonferenz in B
angkok setzte ich meinen ganzen Einfluß ein, den Brüdern die Gefährlichkeit eine
s Verzichtes in Südvietnam klarzumachen. Die Russen stellen die Amerikaner als I
nterventionisten dar. Dabei waren doch sie es, die von Nordkorea aus die Demarka
tionslinie überschritten und angegriffen haben und nicht die Amerikaner vom Süde
n her. In Vietnam waren es wieder die Kommunisten, die Vietkong, die Südvietnam
angriffen und nicht die Amerikaner. Wenn der Amerikaner Südvietnam im Stich läßt
, dann wird nicht nur ganz Vietnam kommunistisch, sondern alle anderen jetzt noc
h freien Länder Ostasiens folgen in zehn Jahren nach. Ein Friedensschluß in Viet
nam bedeutet Krieg gegen die noch nicht kommunistischen Länder Ostasiens und bed
eutet vor allem ein entsetzlicher Terror gegen die christliche Kirche. Die Pazif
isten des Westens geben mit einem durch die Weltmeinung erzwungenen Friedensschl
uß in Vietnam den Kommunisten Frieden und allen übrigen Krieg, Unterdrückung und
eine unglaubliche Sklaverei. Es ist ein Jammer, daß ein Großteil des amerikanis
chen Volkes ihrer Regierung in den Rücken fällt."
Dr. Kang ist nicht der einzige in Korea, der so denkt. Er ist nur Sprecher für t
ausend andere.
Nach der Wahl Nixons und dem auf der Pariser Konferenz eingehandelten teilweisen
Abzug amerikanischer Truppen aus Südvietnam wurde das Entsetzen der Südkoreaner
noch größer.
Anläßlich eines Vortrages an einem großen College mit etwa 1700 Schülern kam ich
mit dem Rektor ins Gespräch. Er sagte: "Wir begreifen nicht die Naivität der Am
erikaner. John F. Kennedy, dieser fähige amerikanische Präsident, wurde von dem
in Moskau ausgebildeten Kommunisten Oswald getötet. Sein Bruder Robert Kennedy w
urde von Sirhan erschossen, der in sein Notizbuch geschrieben hat: Der Kommunismu
s ist das beste soziale System. Dr. Martin Luther King wurde von Mr. Ray, einem W
erkzeug des Weltkommunismus, umgebracht. Die besten Männer der USA werden von de
n Kommunisten abgeknallt, und doch können die Amerikaner diese Sprache nicht ver
stehen."
Dann kam aber das eigentliche Bekenntnis dieses christlichen Lehrers: "Wir korea
nischen Christen hatten in all den furchtbaren Wirren der vergangenen Jahre nur
unsere Zuflucht zum Gebet. Durch die Politik und durch militärische Aktionen all
ein wurden unsere Probleme nicht gelöst, sondern durchs Gebet. Das bleibt uns au
ch für die Zukunft. Wir beten weiter."
Weiterbeten! Das ist keine Beruhigungspille für schwache Gemüter. Wir Christen h
aben kein anderes Machtmittel als das des Gebetes. Wir wissen, dag Gott sein Kom
mando nicht abgibt. Er ist kein alter Greis geworden, der die Obersicht verloren
hat. Sein langes Schweigen ist nicht Zeichen seiner Schwäche, sondern bedeutet
Geduld. Ihm sind die Probleme auch der gerichtsreifen Welt nicht über den Kopf g
ewachsen. Er bringt seine Gemeinde durch, wenn es auch durch die Katakomben geht
. Am Ende alles Leides wird doch erfüllt sein, was in Psalm 29,11 steht. "Der He
rr wird sein Volk segnen mit Frieden."
III. Die Young Nak Gemeinde
Nach der großen Zwischenpause zwischen dem ersten und zweiten Besuch Koreas inte
ressierte mich, ob das Feuer der Erweckung noch brannte oder am Erlöschen war. E
s ist ja ein unergründliches Geheimnis, daß die geistlichen Aufbrüche stets nach
einigen Jahren oder Jahrzehnten abklingen. Die Waliser Erweckung hat nicht einm
al ein Jahrzehnt erreicht, obwohl natürlich die Auswirkungen noch viel länger zu
spüren waren. Welche Kraft und Ausdauer hat nun die koreanische Erweckung bewie
sen?
Untersuchen wir diese Frage an dem Gemeindeleben der Young Nak Kirche, die unter
den Hunderten von Kirchen am meisten herausragt.
1. Tradition oder Leben
Dieser Bericht entstand in Seoul. Es war der Sonntag Lätare: Freuet euch! Mit Fr
eude hatte dieser Tag begonnen. Die Tageslese behandelte die Gestalt Abrahams: "
Er wußte aufs allergewisseste, daß, was Gott verheißt, das kann er auch tun." "E
r zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern war stark im
Glauben und gab Gott die Ehre." Es war eine wunderbare Zurüstung aus Römer 4.
In der zweiten Etappe schien dieser Sonntag keine Freude zu bringen. Um halb fün
f Uhr in der Frühe wollte ich das CVJM Hotel verlassen, um zur Gebetsstunde von
Dr. Han zu gehen.
Ich wohnte im siebten Stockwerk. Der Fahrstuhl war noch nicht in Betrieb. So sti
eg ich die Treppen hinab. Zwischen dem sechsten und fünften Stockwerk war eine e
iserne Tür, die verschlossen war. Zurück ins Zimmer! Ich telefonierte zur Rezept
ion. Lange keine Antwort! Endlich eine verschlafene Stimme. "Bitte öffnen Sie mi
r, ich möchte zur Young Nak Kirche gehen." Ein unwirsches Brummen war die Antwor
t. Ich wartete, lief wieder zum Fahrstuhl. Nichts rührte sich. Zurück! Ein zweit
es und drittes Telefonat. Endlich klappte es. Der aus der Ruhe aufgescheuchte Po
rtier ließ mich zur Hintertür hinaus und schloß sofort hinter mir zu. Ich stand
auf dem Hof des Hotels.
Zweiter Akt. Alle Türen vom Hof zur Außenwelt waren geschlossen. Der Nachtwächte
r war nicht auffindbar. Ich fühlte mich wie auf einem Gefängnishof. Hohe Mauern
umgaben mich. Ich dachte an die Zeit, da mich der Russe hinter solche Mauern ges
teckt hatte.
Da sah ich im Keller Licht. Also runter in das Subterrain, sogar bis in das zwei
te Untergeschoß! Riesige Heizöfen spuckten Wärme aus. Ein Maschinist saß davor.
Ich redete ihn englisch an. Er verstand nichts. Und ich verstand nicht sein Kore
anisch. Ich zeigte ihm meine Bibel und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, daß
ich aus dem Haus gehen wollte. Er zeigte auf das Häuschen des Nachtwächters. Wi
eder mit Gesten beschrieb ich ihm, daß der Nachtwächter nicht da sei. Er begriff
. Er zog los und suchte den Mann mit dem Schlüssel. Wir fanden ihn.
Bei diesem umständlichen Manöver dachte ich: "Was will das im Brandfall werden?
Da kommt doch niemand mehr heraus!" In der Tat waren ein Jahr zuvor in einem so
verriegelten Großgebäude 29 Menschen verbrannt, wie ich hinterher erfuhr. Ich ha
tte jedenfalls eine halbe Stunde gebraucht, um aus diesem CVJM Hotel herauszukom
men. Zu Fuß hätte ich jetzt die Gebetsstunde nicht mehr erreicht. Ein Taxi hielt
an. Zum Abschied betrog mich der Fahrer. Sein Taxameter hatte nicht funktionier
t. Das ist häufig so, wenn Asiaten Ausländer zu fahren haben.
Mit zehn Minuten Verspätung schaffte ich es. Gebetsstunde von fünf bis sechs Uhr
morgens. Wie oft im Monat? Nun, wir kennen inzwischen koreanische Gebetssitten.
Nicht einmal im Monat, nicht einmal in der Woche, sondern jeden Morgen! Es gibt
in der westlichen Welt kaum Gemeinden, wo es das gibt. Wirklich? Ich kenne eine
n Pfarrer, der jeden morgen um 6 Uhr mit Arbeitern in der Kirche zu einer kleine
n Morgenfeier zusammenkommt. Diese Feier dauert zehn Minuten. Einstündige Gebets
zeiten jeden Morgen entdeckte ich in keiner westlichen Kirchengemeinde.
In der Young Nak Kirche, vielmehr in einem Nebenraum, waren hundert Beter da. Dr
. Han selbst leitete diese Gebetsstunde. Am Schluß stellte er mich seinen Betern
vor. Beim Hinausgehen dachte ich, nun wäre nach all den Strapazen des Hotelerle
bnisses ein Frühstück fällig. Ich bekam es. Worin bestand es? Dr. Han brachte mi
ch in eine andere Kapelle neben seiner großen Kirche. Dort war die zweite Gebets
gruppe, die von 6 bis 7 Uhr zusammen war. Wie oft kommt diese Gruppe zusammen? G
enauso jeden Morgen!
Man mag vielleicht denken, das hätte mich ermüdet. Nein, ich verstand kein Korea
nisch, aber ich spürte die geistliche Atmosphäre und hatte meine eigene Gebetsze
it.
Der Gottesmann erläuterte mir dann die verschiedenen Sonntagsdienste. "Um 7 Uhr
ist der erste öffentliche Gottesdienst. Da Sie im Hotel kein Frühstück hatten, u
nterbrechen Sie bitte die zweite Gebetsstunde und kommen Sie rüber ins Pfarrhaus
." Um halb sieben kam dann mein Magen zu seinem Recht.
Um 7 Uhr saß ich dann im ersten Frühgottesdienst. Die Kirche faßt 2000 Menschen.
Und sie war schon um 7 Uhr voll. Der zweite Gottesdienst war um 10 Uhr. Wieder
staunte ich bei diesem Gemeindewunder. Die Kirche abermals voll! Der dritte Haup
tgottesdienst um halb 12 Uhr. Und der Besuch? Kein Platz mehr zu bekommen. Es is
t der Gottesdienst, der von Ausländern besucht wird, weil die Predigt über eine
Mithöranlage ins Englische übersetzt wird.
Parallel zu den Hauptgottesdiensten finden die Jugendgottesdienste statt, die vo
n rund 2000 Kindern und Jugendlichen, nach Alter getrennt, besucht werden.
Am Abend versammelte sich die Gemeinde zum sechsten Mal. Faßt man alle Gottesdie
nste einschließlich der Jugendversammlungen an einem einzigen Sonntag zusammen,
so ergibt sich in dieser einen Gemeinde ein Besuch von rund 12.000 Menschen. Es
gibt in der weiten Welt keine Gemeinde mehr, die das aufzuweisen hat.
Was ist wohl das Geheimnis dieser Gemeinde? Der Zuhörer wird nicht rhetorisch üb
er den Intellekt angegangen, sondern durch den Heiligen Geist in die Gegenwart G
ottes gestellt. Das ist die Frucht der koreanischen Erweckung.
Billy Graham hat hier vor Jahren evangelisiert. Beim Weltkongreß für Evangelisat
ion in Berlin äußerte er sich darüber: "Wer die Young Nak Gemeinde noch nicht er
lebt und sie noch nicht beten gehört hat, der weiß nicht, was eine Gebetsversamm
lung ist."
Ist es nicht ein gewaltiges Geschenk Gottes, daß diese Erweckung in Korea jetzt
schon über sechzig Jahre anhält? Sie ist noch nicht zur toten Maschinerie, zur l
eeren Tradition erkaltet. Es ist immer noch blühendes Leben da.
Eine solche Auslegung des Sonntags Lätare hatte ich bisher noch nicht erlebt. Fr
euet euch!
2. Dr. Kyung Chik Han
Einer der bedeutendsten geistlichen Väter Koreas ist Dr. Han. Bevor ein kleiner
Auszug aus seinem Leben gebracht wird, muß unbedingt ein biblisches Warnschild a
ufgerichtet werden.
Biographien haben es gewöhnlich an sich, daß Menschenverherrlichung getrieben wi
rd. Ober solchen Büchern steht: "Ihr raubt Gott, was sein ist." Ehre allein dem,
dem sie gebührt! Ob es Billy Graham in Amerika ist, Peter Oktavian in Indonesie
n, Dr. Han in Korea wer sind sie? Doch nur Sünder, die der Herr angenommen und
erwählt hat. Wie groß auch das Lebenswerk eines Mannes sein mag, jeder Mann Got
tes, jeder Evangelist und Missionar ist der Gefahr der Selbstbespiegelung ausges
etzt, zumal dann, wenn ihm der Herr Großes anvertraut hat.
Wenn wir das verstanden haben, daß alles nur im Blickpunkt auf Jesus gesagt werd
en kann, dann darf ein Mensch als Werkzeug Gottes herausgestellt werden.
Es will mir scheinen, daß Dr. Hans Leben zwei große Abschnitte hat: sein Werdega
ng bis zur Gründung der Young Nak Kirche 1945, ferner seine Aufbauarbeit in Südk
orea seit dieser Gemeindegründung.
Die Auswahl und Zubereitung des Werkzeuges
Einige Kilometer nördlich von Pjöngjang in Nordkorea ist Dr. Han geboren. Wie sc
hon angedeutet, stellt diese Stadt in der geistlichen Geschichte Koreas ein Extr
em dar. 1906 Ausgangspunkt der großen Erweckung und heute das antichristliche Ze
ntrum, der Sitz eines Regimes, das die Christen blutig verfolgt. Für die wenigen
Touristen, die dorthin ein Reisevisum erhalten, ließ man eine christliche Kirch
e offen, um Religionsfreiheit zu demonstrieren. Dem Teufel ist es also gelungen,
seine Handlanger in das Wirkungszentrum des Heiligen Geistes zu postieren. Der
Triumph ist zu früh. Die Stunde kommt, da Gott dem Untier aus dem Abgrund, das h
eute Asien tyrannisiert, ein Ende bereitet. Den letzten Schachzug tut der, dem a
lle Gewalt vom Vater im Himmel anvertraut ist.
Dr. Han kommt also aus dem spannungsgeladensten Teil Koreas. Daß er selber von G
ott ausersehen war, in diesem Spannungsbogen Koreas eine entscheidende Rolle zu
spielen, das konnte der schmächtige Junge zu Beginn unseres Jahrhunderts nicht a
hnen. Zur Zeit der Erweckung war er erst fünf Jahre alt. Direkt hat er von diese
r Bewegung nichts mitbekommen, aber indirekt sehr viel, wie wir hören werden.
Zunächst war er ein fideler Junge, der um seiner fröhlichen und zugleich entschl
ossenen Art willen gewöhnlich der Führer der Gleichaltrigen war. Dieser Fröhlich
keit tat es keinen Abbruch, als er kurze Zeit später durch seinen älteren Vetter
vom Christentum und von den Auswirkungen der Erweckung hörte. Sein Verwandter w
ar konfuzianistischer Gelehrter, der sich der Herrschaft des Nazareners gebeugt
hatte. Nach dieser Wandlung erfüllte das Evangelium diesen treuen Mann so sehr,
daß er allen Angehörigen und Verwandten davon erzählte. Dieser ehemalige Konfuzi
us Jünger war die Ursache, daß sich in Dr. Han s Heimatort eine christliche Gemein
de bildete.
Dieser bekehrte Gelehrte war von dem Drang und dem Wunsch beseelt, viele Mensche
n zu jesus zu führen. Er fing eine Sonntagsschule an, der auch Han beitrat. Zwei
mal im Jahr wurde diese Sonntagsschule von einem amerikanischen Missionar, Dr. B
lair, besucht, der zur Zeit der Niederschrift dieses Berichtes noch lebte. Der j
unge Han mit seinen lebendigen Augen zog das Interesse von Dr. Blair auf sich. E
ine Freundschaft entstand, die nun schon über 50 Jahre dauert. Dr. Blair überwac
hte den Werdegang seines jungen Freundes und beriet ihn in allen Fragen der Ausb
ildung. Auf seine Veranlassung hin besuchte Han die Akademie in Chung Joo. Späte
r bezog er das Union Christian College der Presbyterianer in Pjöngjang. Während
dieser vierjährigen Ausbildungszeit war er zugleich der Sekretär von Dr. Blair,
der ihn in sein Haus aufgenommen hatte.
In dieser Zeit war es, daß der junge Han ein besonderes Erlebnis hatte, das sein
e fernere Entwicklung entscheidend beeinflußte. Bei einem Spaziergang an der Küs
te des Gelben Meeres entlang trat ihm der Herr in den Weg. Han warf sich nieder
und verharrte einige Stunden im Gebet. Er lieferte sich rückhaltlos jesus aus un
d wurde sich darüber klar, daß er in die Reichgottesarbeit einzutreten habe.
Dr. Blair vermittelte ihm ein Studium in den Vereinigten Staaten. Zuerst besucht
e Han das Emporia College. Kurz vor dem Examen packte ihn eine Grippe, und er hü
tete zwei Wochen das Bett. Trotzdem bestand er danach sein Examen als einer der
ersten. 1926 bis 1929 setzte er seine Studien am Princeton Theological Seminary
fort. Auch hier schloß er mit den besten Zeugnissen ab. Das Geld für sein Studi
um verdiente er sich als Tellerwäscher in den Hotels und Lokalen.
Kurz nach seinem Studium erkrankte er an einer Lungentuberkulose, die ihn für zw
ei Jahre lahmlegte. Es bestand auf Grund seiner schwachen Konstitution wenig Aus
sicht auf Heilung. Han mußte sich mit dem Gedanken an den Tod vertraut machen. U
nd das war gewiß ein schwerer Weg für einen hoffnungsvollen jungen Mann. Er fügt
e sich in Gottes Willen, bekam aber nach intensivem Gebet die Freudigkeit, von G
ott eine Heilung zu erwarten, die dann auch eintrat.
Nach seiner Genesung berief ihn das Soon Sil College in seiner Heimat als Profes
sor für biblischen Unterricht. Die Japaner verhinderten aber diese Berufung. So
gab er sich mit einem Pastorat in Shinui Chu zufrieden. Diese Gemeindearbeit bil
dete die Grundlage für seine spätere Gemeindegründung, um derentwillen er nicht
nur in Korea, sondern in der ganzen christlichen Welt bekannt wurde. Er versteht
heute diesen Weg, daß ihm damals die Professur durch die Japaner verbaut worden
ist. Die Erfahrung der Gemeindearbeit war für seine späteren Aufgaben besser ge
eignet. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war auch das Ende der ersten Lebensstuf
e im Leben von Dr. Han.
3. Die Aufbauarbeit in Südkorea
Hans Arbeit in Seoul begann nach seiner Flucht aus Nordkorea. Die Kommunisten ha
tten dort den Pastoren die Arbeit unmöglich gemacht. Dazu ertrug Hans patriotisc
hes Herz nicht diese Unterjochung und geistige Vergewaltigung.
Der Start im Süden war sehr schwer. Gleich den anderen Flüchtlingen wußte Han ni
cht: wo wohnen wo arbeiten wovon leben. Er traf einige Nordkoreaner, die gen
auso wie er völlig entwurzelt waren. Er schlug ihnen vor, zum Gebet zusammenzuko
mmen. Es waren 20 bis 30 Männer. Nach der Gebetsvereinigung waren sie so getrost
, daß sie sich entschlossen, diese Gebetsstunde zu wiederholen. Diese Versammlun
gen verzweifelter Menschenwaren der Anfang, der Kern der Gemeinde, die entstehen
sollte. Im Frühjahr 1946 besaß diese Gemeinde, die sich den Namen Young Nak Kir
che gegeben hatte, schon 500 Mitglieder. Im Sommer 1947 war die Mitgliederzahl s
chon 2000. Sie mußte damit beginnen, sonntäglich mehrere Gottesdienste zu halten
, weil der bisherige Raum nicht ausreichte. Im Sommer 1948 mußten schon 3000 Gem
eindeglieder betreut werden.
Es blieb aber nicht bei der Sammlung der nordkoreanischen Christen. Die Kinder d
er Flüchtlinge mußten eine christliche Schulbildung erhalten. So gründeten sie d
ie Tae Kwang Akademie, die heute 1500 Studenten hat. Dr. Han, der von einer amer
ikanischen Universität und von der Universität in Seoul den Ehrendoktor verliehe
n bekam, ist der Präsident dieser Akademie.
Die Young Nak Gemeinde wuchs mit den Jahren so an, daß es unerläßlich war, eine
eigene Kirche zu bauen. Der Plan wurde 1948 gefaßt und sofort ausgeführt. Die Ge
meindeglieder haben sich mit freiwilliger Arbeit geradezu aufgeopfert. Von den G
roßvätern an bis zu den Enkeln war alles auf den Füßen, um zu helfen. Diese Kirc
he ist unter viel Gebet und von den hart arbeitenden Händen seiner Gemeindeglied
er erbaut worden. Und es ist eine schöne Kirche geworden mit 2200 Sitzplätzen. W
ie eine gotische Kathedrale beherrscht sie auf einem Hügel den ganzen Stadtbezir
k am Judong. Drei Wochen nach der Einweihung griffen die Kommunisten an, und Seo
ul mußte evakuiert werden.
Niemand kann ermessen, was diese erneute Flucht für die Nordkoreaner bedeutete.
Sie hatten schon einmal alles verloren. Und nun das zweite Mal den Roten ausgeli
efert sein? Dazu der Schmerz um die gerade fertiggestellte Kirche!
Dr. Han blieb zunächst in Seoul. Einige Älteste hielten ihn verborgen. Als die R
oten einmarschiert waren und systematische Hausdurchsuchungen begannen, wurde ih
m die Flucht dringend nahegelegt. Er fügte sich und setzte sich in wochenlanger
Fußwanderung nach Taegu ab.
Die UNO Truppen und die Amerikaner eroberten dann das verlorene Gebiet zurück un
d befreiten sogar Pjöngjang in Nordkorea. Han wir dicht hinter den Truppen. So k
onnte er den Befreiungsgottesdienst halten. Was hatten die nordkoreanischen Chri
sten alles an Leid zu erzählen! Nur die, die sich hatten verbergen können, waren
am Leben geblieben. Die anderen waren von den Roten massakriert worden. Nordkor
ea allein hat Tausende von Märtyrern. Und dann spielten die Bischöfe und die Prä
sidenten der Weltkirchenkonferenz in Uppsala die Ahnungslosen und akzeptierten d
ie Friedensschalmeien der "rotinthronisierten" Kollegen aus dem Osten. Um der Wa
hrheit die Ehre zu geben, muß natürlich zugegeben werden, daß es einige wenige h
ohe Würdenträger der östlichen Kirche gibt, die nicht Hirten von kommunistischer
Gnade sind.
Der Dankgottesdienst von Dr. Han in dem befreiten Pjöngjang war verfrüht. Die Ch
inesen sandten große Kontingente an Soldaten, die rasch vor¬drangen und bis Weih
nachten wieder Seoul erreichten. Zum dritten Mal machten sich die Nordkoreaner a
uf die Flucht.
Einen Tag vor Weihnachten wurden die Waisenkinder der Kirche nach dem Süden gesc
hickt. Es ist ein Ruhmesblatt der Amerikaner, daß ihre Luftwaffe 1000 Waisen nac
h der Insel Chejudo wegflogen und in Sicherheit brachte. Dr. Han hielt mit 500 G
emeindegliedern, die zurückgeblieben waren, den Weihnachtsgottesdienst. Es war d
er bewegteste Gottesdienst seines Lebens.
Nach dem Gottesdienst wurde Dr. Han von dem Präsidenten Syngman Rhee gerufen. Er
hatte den Erlaß der Regierung zu verlesen, daß die Stadt abermals evakuiert wer
den müßte. Dieser Auftrag zeigt, welche Stellung Dr. Han in der Öffentlichkeit e
innahm und welches Vertrauen er bei der Regierung und beim Volk genoß. Obwohl di
e Roten in Seoul übel gehaust hatten, blieb doch die Young Nak Kirche außer eini
gen Treffern verschont. Das war für die Tausenden von Betern eine Erhörung ihres
Flehens. Die Kirche konnte schnell repariert werden.
Es hat keinen Sinn, die ganze Kriegsgeschichte zu wiederholen. Dr. Han wurde ang
eboten, er solle nach Japan gehen und dort eine Gemeinde übernehmen. Er lehnte a
b mit den Worten: "Ich kann in diesen Zeiten der Not mein Volk und meine Gemeind
e nicht im Stich lassen."
Gott gebrauchte diesen Mann in Korea. Und wie er ihn segnete und als sein Werkze
ug verwandte, ist kaum zu ermessen. Was ist nicht alles unter seinen betenden un
d arbeitenden Händen entstanden! Ein Waisenhaus, ein Witwenheim, ein Bibelklub,
eine höhere Schule, die schon erwähnte Akademie wurden finanziert. Die Ausbildun
g von 23 Evangelisten und Missionaren wurde möglich gemacht und ihre Besoldung ü
bernommen. Die Synode der Kirche von Korea wählte Dr. Han zu ihrem Moderator. Da
rüber hinaus sitzt er in vielen Gremien, die sonst normalerweise den geistlichen
Tod der großen Männer herbeiführen. Hat Dr. Han die Schlagseite der religiösen
Aktivisten bekommen?
Dr. Han sitzt nicht nur im Vorstand vieler Organisationen, er sitzt vor allem se
it 25 Jahren jeden Morgen um 5 Uhr in der Gebetsstunde seiner Gemeinde. Ich
konnte mich selbst davon überzeugen. Sein Sekretär hat es mir auch bestätigt.
Es ist im Leben oft so, daß die verantwortungsvollen Männer ihrem großen Umtrieb
geistlich erliegen. Trotz des geistlichen Amtes werden sie herrschsüchtig, fall
en ihrer Umgebung zur Last, werden Opfer der Selbstgefälligkeit und sie merken
es nicht. Nur die sie umgebenden Menschen spüren es und seufzen darunter. In we
lchem Licht sieht die Young Nak Gemeinde ihren Pfarrer?
Viele Charakteristiken wurden mir gegeben. Man rühmt Dr. Han nach, daß er alles
mit Gebet regelt. Spricht er mit jemand, so sagt er stets: "Laßt uns zuvor beten
!" Das ist das Geheimnis seiner Vollmacht, mit der er jeden Sonntag auf der Kanz
el steht. Man sollte fast nicht meinen, daß aus einem so schwachen Leib eine sol
che Stimme erschallen kann. Aber nicht die Gewalt der Stimme macht es, sondern G
ottes Geist, der über dieser Gemeinde schwebt.
Andere rühmen Dr. Han als einen Mann, der noch nie zornig gesehen wurde. Einige
wollten ihn schon absichtlich reizen, um ihn zu testen. Es ist ihnen nicht gelun
gen. Dr. Han blieb auch diesen Versuchern gegenüber freundlich.
Bekannt ist auch sein ausgereiftes, abgewogenes Urteil. Er gilt als ausgesproche
n weise, schwierige Probleme zu erfassen und zu klären.
Nicht zuletzt ein wichtiger Punkt. Dr. Han ist nicht geldgierig. Sein Sekretär s
agte mir: "Dieser Mann weiß nicht, was er verdient. Seine Frau holt stets das Ge
halt ab und sorgt treu für ihn. Das ist bei ihm nötig, denn er gibt alles weg, w
as er in der Tasche hat. Wird er unterwegs angebettelt, dann greift er in die Ta
sche und holt alles heraus. Dann geht er zu Fuß weite Wege heimwärts, weil er ke
in Geld für ein Verkehrsmittel mehr besitzt."
Wenn man mich fragt, was mich am meisten an dieser Young Nak Kirche gepackt hat,
dann bekenne ich:
1. Das Wehen des Heiligen Geistes über dieser Gemeinde.
2. Dieser bescheidene, stille Beter Dr. Han, der so gar kein Wesens aus seiner P
erson macht. Diese Priesterseele, die jeden Morgen mit seiner Gemeinde vor dem T
hron Gottes weilt.
Er ist ein Mann, in dem Christus Gestalt gewonnen hat. Wir wollen diesen Mann al
s einen geistlichen Vater und Führer Koreas achten und ehren, noch mehr aber den
, der sich durch ihn verherrlicht: den Herrn Jesus selber.
Korea ist noch nicht am Untergehen. Seine Christen sind auf dem betenden Posten.
Solange Mose in der Amalekiterschlacht (2. Mose 17) betend die Arme hob, siegte
das Volk Israel. Solange Koreas Christen am Beten sind, werden die Kommunisten
nicht siegen, selbst wenn sie das Land im Süden einnehmen sollten. Militärische
Gewalt und parteipolitischer Terror können die Gemeinde Jesu nicht auslöschen. D
er Endsieg gehört dem Gekreuzigten und seiner betenden Schar.
--
Korea-Die Saat muss sterben
Yong Choon Ahn
VORWORT
Das mutige christliche Bekenntnis, von dem das Buch berichtet, ist eine Frucht d
er Missionsarbeit, die schon seit hundert Jahren in diesem Lande getrieben wird.
Allerdings stellt diese Zeit nur eine kurze Spanne in der langen Geschichte der
Koreaner dar, eines Volkes, das auf eine 3000 Jahre alte Kultur zurückblickt, d
ie viel älter ist als die Europas oder Amerikas und auch älter als die seines mä
chtigen Nachbarn Japan. Aber diese alte und hochentwickelte Kultur bewahrte Kore
a nicht vor dem wachsenden Einfluß Japans, als dieses sich dem Westen öffnete un
d sein militärisches und wirtschaftliches Reich aufbaute.
Im Jahre 1910 wandelte sich die japanische "Treuhänderschaft" über Korea plötzli
ch in einen Status, der nur als Annexion bezeichnet werden kann. Das Dreißigmill
ionenvolk der Koreaner wurde zu einer Kolonie degradiert und verlor Schritt um S
chritt seine Freiheit. Die japanische Herrschaft war grausam. Auf brutalste Weis
e, die an dunkles Mittelalter erinnert obwohl sie wahrscheinlich ihre Inspirat
ion anderen imperialistischen Methoden unserer Tage verdankt, zwangen die Japane
r dem koreanischen Volk ihre Herrschaft auf. Im Zuge dieser Unterjochung wurde a
uch die Religionsfreiheit angegriffen, und die relativ große und blühende christ
liche Kirche wurde als eines der letzten Bollwerke der Unabhängigkeit unter Feue
r genommen.
Eine der Hauptwaffen im Kampf zur Vereinheitlichung und "Japanisierung" der Kore
aner war die offizielle Lehre von der Gottheit des japanischen Kaisers. Hand in
Hand damit ging die Bestimmung, daß jedermann an den nationalen Riten der Schint
o-Schrein Verehrung teilzunehmen hätte. Klassenweise mußten sich die Schüler vor
der japanischen Fahne verneigen, und zu bestimmten festgesetzten Zeiten mußten
die Lehrer zusammen mit ihren Schülern und die Pastoren mit ihren Gemeinden zu d
en Schinto Schreinen pilgern. Dies, so wurde betont, sei kein Akt religiöser Ver
ehrung, sondern lediglich ein Ausdruck für nationale Solidarität, was nichts dar
an änderte, daß die Schinto- Schreine Stätten heidnischer Anbetung waren. Nur we
nige Christen ließ das gleichgültig. Tatsächlich hatte diese Anordnung eine verb
lüffende Ähnlichkeit mit der Forderung in frühchristlicher Zeit, dem römischen K
aiser Weihrauch zu opfern. Viele Pfarrer gaben dem Druck der Regierung nach, um
ihre Kirchen offenhalten und die religiöse Unterweisung fortsetzen zu können. Ab
er ihre Freiheit wurde Stück um Stück beschnitten. Bestimmte Choräle wurden verb
oten, und die Lehre vom Jüngsten Gericht und vom endgültigen Sieg Jesu Christi m
ußte aus den Predigten gestrichen werden.
Die Forderung nach nationaler Solidarität war naturgemäß am schärfsten, als Japa
n mit Amerika und England Krieg führte (nach dem Angriff auf Pearl Harbour im Ja
hre 1941). Dieser Druck war mit der Niederlage Japans 1945 plötzlich zu Ende. Er
war aber nur anderen, ebenso schweren Repressalien gewichen: Der Kommunismus un
d die Schrecken des Koreanischen Krieges überfluteten das Land. Beide, Krieg und
Kommunismus, schlugen grausam nach denen, die sich treu und offen zu Jesus Chri
stus bekannten.
Von Anfang an hatte es viele gegeben, die Widerstand leisteten. Anstatt sich zu
fügen, zogen es 1937 die Missionsgesellschaften vor, ihre Schulen zu schließen.
Weitsichtige und bewußte koreanische Christen bereiteten sich darauf vor, Opfer
der kommenden Kämpfe zu werden; sie gründeten Bewegungen, die der Wahrheit und d
er Gerechtigkeit Geltung verleihen sollten. Aber die wirksamste Waffe gegen die
Religionen des Nationalismus und des Kommunismus war die Treue einzelner. Dieses
Buch erzählt die Geschichte eines dieser Treuen und seiner Familie.
I.
Pastor Son und seine Kinder waren vom steilen Anstieg noch ganz außer Atem. Es t
at gut, ein wenig zu rasten. Dankbar lieg der Pastor seinen Blick über die majes
tätische Landschaft schweifen. Nach den Wirren der letzten Wochen bot ihm dieser
Ausflug endlich die Entspannung, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Auch
für die Kinder war heute ein besonderer Tag, denn sie hatten nur selten Gelegenh
eit, die Leprastation zu verlassen.
Die Familie Son wohnte erst kurze Zeit auf der Leprastation. Der Ae yang won ode
r Garten der liebevollen Fürsorge , wie die Station genannt wurde, war noch unter d
er Aufsicht des südlichen presbyterianischen Missionsausschusses in der Nähe von
Yo su mit neun Kranken gegründet worden. Jetzt, im Frühling 1940, bot er tausen
d Aussätzigen aller Altersstufen Zuflucht und Versorgung. Jedoch wurden die Pati
enten dort nicht nur materiell und medizinisch betreut, in vielen Fällen fanden
sie auch den Weg zu einem echten, lebendigen Glauben an Jesus Christus.
Die Kinder sangen geistliche Lieder. Eines war ein Gebet, daß Gott das Volk segn
en und Arbeiter in die Ernte senden möge. Dieses Lied konnte kaum nationalistisc
h genannt werden, aber dennoch war es von den Japanern verboten worden. Hier obe
n in der frischen Bergluft hörte jedoch niemand zu, der eine Anzeige hätte ersta
tten können. Außerdem genoß die Leprastation um der Kranken willen eine verhältn
ismäßig große Freiheit. Darum wohnte Pastor Son im Ae yang won. In der Tat war d
as der einzig mögliche Ausweg; denn sein Presbyterium wollte nichts mehr mit ihm
zu schaffen haben, als er sich weigerte, an der vorgeschriebenen Schreinverehru
ng teilzunehmen.
In dieser Not bat ihn der Leiter der Leprastation, der den Dienst Sons schon lan
ge schätzte, nach Ae yang won zu kommen, der Kirche dort vorzustehen und die Lei
tung der Schule zu übernehmen. Freilich bedeutete das für ihn und seine Familie,
unter den Aussätzigen zu leben, mit ihnen zu essen, ihre Freuden und Leiden zu
teilen und trotz der Ansteckungsgefahr keinerlei Vorrechte zu genießen.
Schon bald war Pastor Son der Mittelpunkt der Station. Die Kinder freuten sich,
wenn sie ihn sahen, und seine Gemeindeglieder verehrten ihn.
"Wie war diesmal die Evangelisationsversammlung, Pastor?"
Er wandte sich nach der Fragerin, einer leprakranken Lehrerin, um. "Sehr ermutig
end. Besonders froh war ich darüber, daß die japanische Fahne hinter der Kanzel
entfernt wurde, ehe die Versammlung begann. Ich mußte deswegen zwar einige Male
auf die Polizeistation, aber am Ende ließen sich die Herren dort doch umstimmen.
"
"Was haben Sie denn gesagt?"
"Ich erklärte, daß Fahnen vor Häusern gehißt würden, um die Loyalität zum Vaterl
and auszudrücken, oder auf Schiffen, wenn diese in fremden Gewässern kreuzten; a
ber sie sollten nicht in Kirchen aufgestellt werden, damit sich die Gläubigen da
vor verneigten. Das sei wie eine Verbeugung vor dem eigenen Namensschild. Wenn d
ies ein Test für gute Staatsbürgerschaft sein solle, dann gebe es genügend Trunk
enbolde und Verbrecher, die zum Schreindienst gern bereit seien und damit als gu
te Staatsbürger bezeichnet werden müßten. Ich bat, uns diese Forderung zu erlass
en, denn wenn die Dinge so weitergingen, dann habe Japans Stunde bald geschlagen
. Und ob Anhänger anderer Religionen dies glaubten oder nicht, für Christen komm
e dieses Verneigen einer Götzenanbetung gleich, und da dies in den zehn Geboten
ausdrücklich verboten sei, sagte ich, daß ich nie daran teilnehmen würde, selbst
wenn die Versammlungen aufhören müßten. Am Ende wurden die Zusammenkünfte dann
doch gestattet. Unser Dorf ist klein; der Polizeichef und der Kirchenälteste sin
d gute Freunde. Dies mag der Grund für die Nachsicht sein. Aber wir müssen Gott
danken, daß er es so geführt hat, denn angeblich sagte der Polizeichef, einen so
lchen Pastor würde er nicht mehr zu solchen Versammlungen einladen!"
Seine Begleiter freuten sich mit ihm. Da sie selbst als Leprakranke nicht hinaus
gehen und predigen konnten, unterstützten sie den Dienst ihres Pastors mit sehr
viel Liebe, Anteilnahme und Gebet.
Diese Freiheit währte jedoch nicht lange. Im September 1940, nach einigen ähnlic
hen Zwischenfällen, wurde Pastor Son verhaftet.
Neun Monate saß er im Gefängnis in Yo su, nur ein paar Bahnstunden von der Lepra
station entfernt. Doch während dieser ganzen Zeit wurde nichts über ihn bekannt.
Seine Familie und seine Freunde schlossen nur aus der Tatsache, daß seine abget
ragenen Kleider zurückgeschickt und neue angefordert wurden, daß er noch am Lebe
n sei. Nach Ablauf der neun Monate tauchten Gerüchte über ihn auf, aber sie wide
rsprachen sich. Einige wollten wissen, daß er nun bald frei sein würde, weil er
ja nichts verbrochen habe. Andere Spekulationen liefen darauf hinaus, daß er ein
er Verurteilung wohl nicht werde entgehen können, da sich die Zeiten verschlecht
ert hatten , man flüsterte sich sogar zu, er habe eingelenkt und an Schreinvereh
rung teilgenommen. Endlich wurde offiziell bekannt, daß er vor Gericht gestellt
würde.
Die Nachricht bestätigte und verstärkte Frau Sons Besorgnis. Anklage würde man g
egen ihn erheben? In ihrer großen Unruhe sah sie ihren Mann im Traum ganz in Wei
ß gekleidet. Sie war sicher, daß dies ein neues Unglück zu bedeuten habe, und ma
chte sich am nächsten Morgen nach der Familienandacht auf den Weg, um Erkundigun
gen einzuziehen.
Der diensttuende Polizist im Yo su Gefängnis war verschlossen und gab ihr keine
Auskunft. Aber ein Laufjunge flüsterte ihr zu, ihr Mann solle am nächsten Tag Yo
su verlassen. Zwar wußte sie nun nicht, ob das seine Entlassung bedeuten oder o
b ihm der Prozeß gemacht werde. Aber sie befahl alles in Gottes Hände und kehrte
in den Ae yang won zurück.
Am nächsten Morgen fuhr sie wieder nach Yo su, diesmal nahm sie jedoch die Kinde
r mit das Baby Ruth auf den Rücken geschnallt, die beiden ältesten Söhne, den
sechzehnjährigen Matthew und den zwölfjährigen John, die sechs Jahre alte Rachel
und den fünfjährigen Andrew. Während sie auf der Polizeistation warteten, brach
te ihnen die Frau des örtlichen Pastors etwas zu essen. Der gleiche Polizist gin
g vorüber, sagte aber wieder nichts.
Endlich kam ihr Mann. Er wurde von zwei Polizisten begleitet, war aber nicht geb
unden. Er sah blaß und abgezehrt aus und wankte, als ob er sich nur mühsam auf d
en Füßen halten könne. Mit großer Anstrengung unterdrückte Frau Son einen Schrei
. Sie wollte so gern zu ihm gehen, aber sie wagte es nicht wegen der Polizisten.
Da ging der eine zum Bahnhof, um Fahrkarten zu lösen, und der andere - als woll
e er ihr die ersehnte Gelegenheit geben - trat zur Seite und wechselte ein paar
Worte mit einem Wärter. Sofort war sie bei ihrem Mann.
"Wohin bringen sie dich?"
"Nach Kwang ju."
Die Augenblicke waren kostbar. Hatte sie nicht Gerüchte gehört, daß er doch an d
er Schreinverehrung teilgenommen hätte? Für Nebensächlichkeiten war keine Zeit.
So öffnete sie schnell ihre Bibel und hielt sie ihm hin. "Du erinnerst dich doch
daran, nicht wahr? Wenn du dich vor dem Schrein verneigst, bist du nicht mehr m
ein Mann. Und was noch viel schlimmer ist, du verlierst deine Seele."
Pastor Son las die Worte, die sie ihm zeigte: "Sei getreu bis an den Tod, so wil
l ich dir die Krone des Lebens geben" (Offb. 2,10). Auf seinem blassen Gesicht e
rschien ein Lächeln. Tränen traten ihm in die Augen. "Hab keine Angst. Nur, bete
für mich."
Im Ae yang won sah sich Frau Son einer neuen Schwierigkeit gegenüber. Nach der V
erhaftung ihres Mannes war ein japanischer Inspektor auf die Station gekommen. U
nd jetzt verlangte dieser Mann, daß Frau Son ihm das Haus überlassen solle, das
sie mit ihren Kindern bewohnte. Immer wieder sandte er Leute, um sie zum Auszug
zu drängen. Sie wußte zwar, daß sie gehen mußte, aber wohin sollte sie sich wend
en? Hier hatte die Familie endlich Zuflucht gefunden, nachdem sie von Ort zu Ort
gejagt worden war.
Die ständigen Besuche zermürbten sie. Im Vertrauen auf Gottes Hilfe versicherte
sie dem Inspektor, daß sie bald eine Lösung finden würde, wenn er sich nur noch
ein wenig gedulden wolle.
Sie konnte sich jedoch keinen Ausweg denken.
Aber die Hilfe kam. Eines Nachts trafen sich die Kirchenältesten heimlich und be
schlossen, Frau Son, da sie ihr ja kein Haus oder Stück Land anbieten konnten, a
lles Geld aus der Kirchenkasse zu geben. Das Geld war auf dem privaten Konto ein
es der Ältesten, und da die Abrechnung noch nicht an die Behörden abgeliefert wo
rden war, konnten sie dieses Geld unauffällig beiseite schaffen.
Auch für die Kranken war eine schwere Zeit angebrochen. Nach Pastor Sons Verhaft
ung war die Polizei auf die Station gekommen und hatte Untersuchungen über des P
astors Glauben und Predigten angestellt. Alle Personen in verantwortlichen Stell
ungen waren vernommen worden. Als die Aussätzigen versicherten, daß selbst der j
apanische Kaiser der ewigen Verdammnis anheimfiele, wenn er nicht an Christus gl
aubte, gerieten die Polizisten in Zorn. Sie sahen in diesen Äußerungen eine Besc
himpfung der kaiserlichen Autorität und zwangen nun der Gemeinde den nationalen
Ritus, also die Schreinverehrung, auf. Der neue Inspektor hatte die Ausführung d
ieses Befehls vor jedem Gottesdienst zu überwachen. Obgleich die Ältesten dieser
Anordnung nicht gehorchten, gab die Gemeinde widerstrebend nach. Die Ältesten v
ersuchten, mit dem Inspektor zu sprechen, aber dieser stellte sie nur vor die Wa
hl, zu gehorchen oder zu gehen.
Darauf konnten sie nichts erwidern. Keiner von ihnen wollte die Station verlasse
n, denn außer dem Ae yang won hatten sie kein Zuhause. Wohin sollten sie gehen?
Hier war Sicherheit freilich, sie würden ständig gegen ihre religiöse Überzeug
ung handeln müssen. Draußen wären sie frei, ihrem Gewissen zu gehorchen, aber dr
außen wären sie Bettler.
Frau Son blieb keine Wahl. Als der Tag ihres Auszugs kam, hatten sich viele Auss
ätzige zum gleichen Entschluß durchgerungen. Sie wollten doch lieber die Station
verlassen, als ihren Glauben verraten. Frau Son plante, nach Kwang ju zu ziehen
, wo ihr Mann jetzt im Gefängnis war. Die Leprakranken hatten den örtlichen Kirc
henvorsteher dort verständigt, und sie versicherten ihr, daß er ihr bei der Such
e nach einem Haus behilflich sein und sie am Bahnhof abholen würde.
So stand sie auf dem Bahnsteig und wartete auf den Zug. ihr jüngstes Kind trug s
ie auf dein Rücken. Ein großer Trost war es für sie, Matthew bei sich zu haben.
Als ältester Sohn half er ihr viel bei den jüngeren Geschwistern.
Als das Pfeifen des Zuges die kalte Morgenluft zerschnitt, trat einer der Kranke
n, die zu ihrem Abschied mitgekommen waren, in spontaner Herzlichkeit auf Frau S
on zu und versprach, sie in Kwang ju zu besuchen. Nun kam auch der Zug in Sicht.
Er wand sich durch die wogenden Gerstenfelder und näherte sich schnell. Die Aus
sätzigen sangen. "Gott mit dir, bis wir uns wiedersehen."
Matthew sammelte das Gepäck zusammen. Dann wandte er sich an die Kranken. "Macht
euch keine Sorgen. Eines Tages komme ich zurück und diene euch als Pastor an me
ines Vaters Stelle."
"Dies ist der Bericht über Ihr Leben, den wir zusammengestellt haben", hatte vor
acht langen Tagen der Polizeichef der Chum nam Provinz zu Pastor Son gesagt. "E
r umfaßt 500 Sei¬ten. Ich lese ihn Ihnen jetzt vor. Hören Sie zu." Endlich, nach
vielen Stunden, war er damit fertig. Erleichtert seufzte der Polizeichef auf un
d zündete sich eine Zigarette an. "Das war ein Stück harter Arbeit, Pastor Son",
sagte er. "Würden Sie ihren Fingerabdruck hier in die Ecke des Berichtes setzen
." - "Warum?" - "Zum Zeichen Ihrer Bestätigung, daß dies Ihre Worte sind."
Pastor Son zögerte. "Das kann ich nicht. Es sind nicht meine Worte."
Vor Erstaunen ließ der Polizeichef die Zigarette aus dem Mund fallen.
"Was!" schrie er. "Was wollen Sie damit sagen? Sind Sie verrückt? Wessen Worte s
ind es denn dann, meine etwa?"
"Diese Worte sind weder Ihre noch meine. Es sind Gottes Worte."
Zornig schlug ihn der Polizeichef ins Gesicht. "Soll das etwa heißen, daß Sie Go
tt sind?" Er hätte ihn noch einmal geschlagen, wenn Pastor Son nicht so völlig r
uhig geblieben wäre. Es waren noch andere Polizisten im Raum, und sie alle blick
ten Pastor Son jetzt gespannt an.
"Nein, ich bin nicht Gott", sagte Pastor Son sanft. "Ich will damit nur sagen, d
aß ich Gottes Worte gebrauchte, um meine Antworten zu geben. Wenn Sie mir meine
Bibel bringen, kann ich es Ihnen zeigen."
Der Polizeichef stand mißmutig auf. Wie schon so oft holte er die Bibel, und Pas
tor Son schlug die Verse auf, die er zitiert hatte, und legte sie sorgfältig aus
. So nützte er seine Zeit im Gefängnis, um den Polizisten und Regierungsfunktion
ären, die seinen Fall behandelten, die christliche Botschaft zu verkündigen. Er
hatte so viel wie möglich an diesem Lebensbericht mitgearbeitet. Im stillen bete
nd, hatte er alle Fragen über die Bibel, über die Sünde, über die letzten Tage b
eantwortet, und er hatte genau erklärt, was seine Verhörer nicht verstanden hatt
en. Natürlich sprach er auf diese Weise oft Dinge aus, die ihm in seinem Prozeß
nicht dienlich sein konn¬ten so oft, daß der Polizeichef Pastor Son für sehr t
öricht hielt und außerdem glaubte, sein Kreuzverhör müsse ungewöhnlich ausgeklüg
elt sein.
Wie nicht anders erwartet, wurde Pastor Son schuldig gesprochen und zu weiteren
achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt, die er im Kwang ju Gefängnis zubrachte. W
egen seiner schwachen Gesundheit hätte die Polizei den Prozeß niedergeschlagen u
nd Son auf freien Fuß gesetzt, wenn er ihrer Forderung auch nur ein wenig nachge
geben und bestimmte Versprechungen gemacht hätte. Aber nichts vermochte seinen G
lauben anzutasten.
Als seine Strafe abgelaufen war, wurde er vor den Staatsanwalt Joda geführt. Zun
ächst fragte Joda den Wärter, der Pastor Son begleitete, ob der Pastor in seiner
Haltung irgendeinen Fortschritt gezeigt und ob er an der Schreinverehrung teilg
enommen hätte.
"Ja", antwortete der Wärter, "ja, das hat er. Er war nicht nur regelmäßig beim S
chrein Ritus anwesend, er hat auch seine ganze Haltung beachtlich geändert. Ich
kann nichts Nachteiliges berichten."
"Das stimmt nicht", unterbrach Pastor Son hastig. "Ich habe nie an der Schreinve
rehrung teilgenommen."
Joda sah vom Häftling zum Wärter und dann wieder zu Pastor Son. Er konnte einfac
h nicht fassen, daß jemand so borniert sein konnte. Da stand ein Mann, der mehr
als zweieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen hatte, der nicht nur eine Frau und K
inder besaß, die auf seine Entlassung warteten, sondern auch einen alten Vater,
der bald sterben würde. Wollte er sie denn gar nicht wiedersehen? Wenn Pastor So
n auch nur die geringste Nachgiebigkeit gezeigt hätte, er würde ihn freigelassen
haben.
Obgleich er erzürnt war, daß Pastor Son den Aussagen des Wärters widersprochen h
atte, gab er ihm doch noch eine Möglichkeit, seine Worte zurückzunehmen.
"Vor fast drei Jahren verließen Sie Ihre Familie. Möchten Sie denn nicht wieder
zu ihr zurück? Warum geben Sie nicht endlich ihre alten starrköpfigen Ideen auf
und beteiligen sich an der Religion, die Ihrem Lande am besten angepaßt ist?"
"Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit", antwortete Pa¬stor Son und er meint
e es ernst, denn er sah, daß der Staatsanwalt alles tat, was in seiner Macht sta
nd, um ihn freizugeben, "Danke, aber ich kann nicht gegen meinen Glauben handeln
."
Haben Ihnen denn drei Jahre Kerker überhaupt nichts ausgemacht?"
"Ich sagte Ihnen schon vor eineinhalb Jahren, daß der Glaube eines Christen im L
eiden erstarkt. So war es für mich ein Gewinn, im Gefängnis zu sein. Und es ist
mir völlig gleich, was nun geschieht. Denn wenn ich nach Hause zurückgehe, ist C
hristus bei mir, und wenn ich im Gefängnis bleibe, wird er auch bei mir sein."
Joda starrte ihn verständnislos an. "Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie noch
lange zu leben", sagte er. Aber reden können Sie! Woher kommt Ihre Kraft?"
Er wandte sich ab.
Pastor Son ging mit dem Wärter zurück in seine Zelle. Danke, daß Sie vor dein St
aatsanwalt für mich eingestanden sind. Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen w
idersprechen mußte, aber ich hätte nicht schweigen dürfen."
Der Wärter war immer noch verlegen, auch ungehalten darüber, daß er vor dem Staa
tsanwalt sein Gesicht verloren hatte.
"Macht nichts, wenn Sie es so ernst nehmen mit Ihrem Glauben", antwortete er. "A
ber ich wußte, Sie würden nichts zu Ihren Gunsten unternehmen. Und ich wollte Si
e nicht länger im Gefängnis sitzen sehen."
Joda beschloß, Pastor Son in das Gefängnis für Intellektuelle zu schicken. Im Ma
i 1943 wurde er nach Seoul überführt und später nach Chung ju. (Im ganzen verbra
chte Pastor Son fünf Jahre in Haft.) All die langen Jahre hindurch strahlte er d
ie gleiche Kraft des Geistes aus, die den Staatsanwalt so erstaunt hatte.
Sein Einfluß war außerhalb und auch innerhalb des Gefängnisses zu spüren. Durch
Briefe nahm er weiter seinen Platz in der Familie ein; er tröstete seine Frau, a
ls sie krank war; er drängte Matthew, zu studieren, obgleich dieser arbeiten muß
te, um die Familie zu unterhalten. Seinem alten Vater schrieb er Briefe in einem
ausgefeilten Stil, um ihm so die gebührende Verehrung zu zollen, die er zu sein
em großen Kummer vom Gefängnis aus nicht in vollem Maße erweisen zu können glaub
te.
In diesen Briefen und in anderen an seine Gemeinde war er voller Ermutigung und
Zuversicht.
"Der Nacht folgt der Tag", schrieb er, "und der warme Frühling folgt dem Winter;
genauso muß jeder, der die Helligkeit des Tages sehen will, erst durch die Dunk
elheit der Nacht gehen, und wer den Frühling begrüßen will, muß erst den kalten
Winter ertragen."
Er versuchte, die Sorgen seiner Familie um seine Gesundheit zu zerstreuen. War i
hm auch warm genug? Hatte er genug zu essen?
Er antwortete: "Gott, der die Lilien mit Herrlichkeit kleidet und den Vögeln Nah
rung gibt, verläßt keines seiner Kinder. Ich war noch nie ein starker Esser, dah
er ist das, was ich bekomme, genug. Und da ich von kleinem Wuchs bin, reichen di
e Decken und Kleider aus, um mich zu wärmen. Was kann ich mehr wollen, da doch i
n unserem Lande Krieg ist?"
Selbst über das wenige, das er hatte, konnte er frohlocken "Bitte macht euch kei
ne Sorgen um mich ... Denn so sicher die Wolken aufsteigen und Regen bringen und
der Tau zu Frost wird, so kommt das Sorgen vom Verharren in den Dingen des Flei
sches und die Zufriedenheit vom Verharren in den Dingen des Geistes ... Und kein
er ist reicher als derjenige, der zufrieden ist. Oft muß ich die Tränen des Dank
es zurückhalten, wenn ich meine Gefängnisration bekomme."
II.
Zwei Jahre waren vergangen. Matthew und John, jetzt achtzehn und vierzehnjährig
, arbeiteten in einer Faßfabrik in Pusan. Zur Schule konnten sie nicht gehen. De
nn dann hätten sie sich vor dem Schinto Schrein verneigen müssen. Außerdem mußte
n sie den Lebensunterhalt für Mutter und Geschwister verdienen. Sie hatten also
keine Wahl. Ihr Weg schien vorzeichnet.
Auch in Kwang ju konnten Frau Son und ihre Kinder nicht bleiben. Man wollte sie
zwingen, in ihrem Haus eine "Kami¬dana , einen Schintoschrein, aufzustellen. Aber
sie fügten sich nicht. Lieber packten sie wieder einmal ihre Habseligkeiten und
zogen fort. So hatte es sie nach Pusan verschlagen.
Schon bald jedoch kamen bei den Sons treue Christen zusammen, die darunter litte
n, daß der Heilige Geist die Kirchen verlassen hatte. Sie machten die Wohnung in
Pusan zu einem Zentrum geistlichen Lebens.
Auch die beiden Jungen, in erster Linie John, sammelten eine kleine Schar Gleich
gesinnter um sich. Schon als Kind war John auf besondere Weise von Gott erfaßt g
ewesen. Einmal hatte er seine Jackenbänder an die seiner Großmutter gebunden, we
il er fürchtete, sie könnte ohne ihn zur Morgenandacht gehen. Später mußte er mi
t Matthew zusammen die Schule verlassen, weil er sich geweigert hatte, an der Sc
hreinverehrung teilzunehmen. Jetzt fürchtete er um seinen Glauben, wenn er in Ki
rchen ging, die sich kompromißbereit gezeigt hatten. Deshalb schlug er vor, in d
en Bergen Andachten abzuhalten. Die Jungen, die daran teilnahmen, etwa fünfzehn,
waren größtenteils Arbeitskollegen aus der Faßfabrik. Sie trafen sich jeden Son
ntag nach dem Gottesdienst. Sie sangen geistliche Lieder, und dann breitete John
all ihre Bekümmernis vor Gott aus:
"Lieber himmlischer Vater, wir danken Dir sehr herzlich, daß Du uns diesen Ruhet
ag schenkst, an dem wir Dich gemeinsam anbeten dürfen. Du hast uns in dieses bed
rängte Land gestellt, damit wir Dich verherrlichen, aber wir laufen unseren eige
nen Zielen nach, die Deinem Willen entgegenstehen. Wir dienen unseren eigensücht
igen Wünschen und vergessen dabei, was wir Dir schuldig sind. Wir nehmen uns sel
bst so wichtig und haben Dir den Rücken zugekehrt. Erbarme Dich über uns und ver
gib uns um des Blutes Christi willen. Wir bitten Dich besonders für die koreanis
chen Kirchen, von denen der Heilige Geist gewichen ist. Hast Du diese Strafe übe
r uns verhängt? Herr, wir fürchten, daß noch schlimmere Dinge geschehen werden,
weil wir Götzen anbeten und nicht Dir die Ehre geben. Erbarme Dich über uns und
schenk uns doch, daß wir Dich wieder offen bekennen dürfen. Gib uns Deine Gnade,
daß wir die Welt überwinden lernen, so wie Du sie überwunden hast."
Jede Woche lernten sie ein Stück der Bibel auswendig, denn allein aus dem Worte
Gottes schöpften sie wieder Kraft und Mut und erhielten Antwort auf ihre Fragen.
"Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz kraftlos wird, womit soll man's s
alzen? Es ist zu nichts hinfort nütze, als daß man es hinausschütte und lasse es
die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf ei
nem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und se
tzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter: so leuchtet es allen, d
ie im Hause sind. So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten
Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen."
"Ehe wir uns neue Verse vornehmen", schlug John vor, "wollen wir die Stelle vom
letzten Sonntag noch einmal gemeinsam wiederholen:
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig sin
d, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmüt
igen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürs
tet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen
; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Se¬lig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Got
tes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn
das Himmelreich ist ihrer."
John mußte an seinen Vater denken und an die anderen Pastoren, die um ihres Glau
bens willen im Gefängnis oder schon gestorben waren. Hier war der Trost, den sie
in solchen Zeiten brauchten.
Er suchte einige Verse für den kommenden Sonntag aus und schloß die Andacht. Die
Jungen legten ein Opfer zusammen und kamen überein, dieses Geld dem ersten Bett
ler zu geben, den sie treffen würden. Dann gingen sie auseinander. Es war schon
spät. Der Rauch der Abendfeuer kräuselte sich über dem Dorf.
Eintönig ratterte der Zug auf Pusan zu. Matthew blickte gedankenverloren aus dem
Fenster. Vor seinen Augen verschwammen bunte Felder und schroffe Berge. Aber er
nahm sie kaum wahr. Wie blaß war doch sein Vater gewesen! Und dennoch, wie bewu
ndernswert! Über drei Jahre saß er nun im Gefängnis, und er würde ganz sicher fr
eigelassen, wenn er sich auch nur ein wenig nachgiebig zeigte. So aber schien se
ine Lage hoffnungslos zu sein, denn er würde weiter im Gefängnis predigen. Trotz
dem erschien er überhaupt nicht bedrückt. Im Gegenteil, er hatte Matthew ermunte
rt, ihm Botschaften für die ganze Familie aufgetragen und sie alle ermahnt, nich
t schwach zu werden im Glauben. Und welch eine Freude und Kraft ging von ihm aus
, als er davon sprach, daß er sie alle vor dem himmlischen Thron wiedersehen wür
de, wenn er es nicht mehr auf Erden erleben dürfte!
Plötzlich überfiel Matthew die Erinnerung an sein eigenes Versagen am Tage davor
. Ihm wurde übel vor Scham und Gewissensnot. Blicklos starrte er vor sich hin.
Endlich, nach über dreijähriger Trennung, sollte er seinen Vater wiedersehen. Fr
eudig und erwartungsvoll hatte er das Gefängnis betreten. Aber er mußte warten.
Nach einer Weile trat ein Beamter der Geheimpolizei auf ihn zu und fragte ihn, o
b er an der Schreinverehrung teilnähme.
"Nein, das kann ich nicht."
Der Beamte lachte.
"Dein Vater mag sich weigern, weil er altmodisch und verstockt ist. Aber du bist
ein feiner junger Kerl. Du wirst doch nicht so dumm sein. Denk nur! Selbst dein
Vater beginnt zu verstehen, auch wenn er sich noch immer ablehnend gibt. Noch s
echs Monate, und wir haben ihn, wo wir ihn haben wollen. Schon jetzt stelle ich
neue Töne in seinen Erklärungen fest, die er von Zeit zu Zeit schreiben muß. Er
lobt die kaiserlichen Soldaten. Er sagt, sie lieferten einen großartigen Kampf,
und ihre Kraft erwüchse aus dem Gehorsam gegen die nationalen Ziele. Damit meint
er doch offensichtlich, daß die Schreinverehrung ein nationaler Ritus sei und k
ein religiöser, und daß dieser Ritus Patriotismus, Mut und Ausdauer fördere. Du
brauchst dich also nicht so dagegen zu wehren.
Außerdem braucht die Schreinverehrung deine religiösen Überzeugungen nicht anzut
asten. Sie ist ja von der Regierung und vom Erziehungsministerium angeordnet und
nicht vom Polizeiministerium und dessen Unterabteilung für Religion. Siehst du
denn nicht, wie gut die freien Pastoren für ihre Kirchen sorgen können, wie gut
die Kirchen vom Generalkomitee geleitet werden, dessen Mitglieder alle an der Sc
hreinverehrung teilnehmen? Du hältst nur noch an den fehlgeleiteten Ideen deines
Vaters fest. Oder scheust du vielleicht die Zusammenarbeit mit Japan? Ich warne
dich! Wir können niemanden gebrauchen, der unter dem Mantel der Religion die Re
gierung zu untergraben versucht."
Plötzlich änderte sich sein Ton. "Jeder, der dabei erwischt wird, ob Mann, Frau
oder Kind, muß beseitigt werden. Deshalb rate ich dir, gescheit zu sein und mit
der Zeit zu gehen. Du brauchst ja nur einmal am Ritus teilzunehmen. Das ist doch
wirklich nicht schwer. Und wenn du nicht willst, brauchst du es nicht zu wieder
holen. Ich möchte nur sehen, daß du zur Zusammenarbeit bereit bist."
Der Beamte zündete sich eine Zigarette an und sog langsam den Rauch ein. "Nun, w
as gedenkst du zu tun?"
Matthew gab keine Antwort.
"Wie kannst du nur so dumm sein! Nun gut, wenn du dich noch immer weigerst, kann
ich dir nicht erlauben, deinen Vater zu sehen!"
Die Worte des Beamten hatten Matthew zwar nicht völlig überzeugen können. Aber s
ie hatten ihn doch sehr verwirrt. Diese letzte Drohung machte ihn hilflos und un
sicher. Widerwillig stand er auf und folgte dem Beamten zum Schrein. Gemeinsam v
erneigten sie sich davor. Matthews Verneigung war eigentlich nur angedeutet. All
es in ihm schrie dagegen. Aber zu seinem Erstaunen war der Beamte zufrieden.
"Jetzt, da wir wissen, wo du stehst", sagte er, "kannst du deinen Vater sehen."
Einen Augenblick lang war Matthew erleichtert. Endlich war es ihm gelungen, den
Beamten zu täuschen!
"Aber zuerst, würdest du das hier abschreiben!" Der Beamte reichte ihm ein bedru
cktes Blatt Papier.
"Was ist das?"
"Oh, nur eine Kleinigkeit. Ich möchte nur einen Beweis dafür in der Hand haben,
daß du klug genug bist, mit der Zeit zu gehen. Außerdem, falls dein Vater seine
Haltung ändern sollte, möchte ich ihm zeigen können, daß sein Sohn auch schon ge
lernt hat."
Matthew zögerte. Aber es gab kein Zurück mehr. "Ich muß jetzt dabei bleiben", da
chte er impulsiv. So schrieb er die Erklärung ab: "Vater, ich habe versucht, mi
ch vor dem Schrein zu verneigen, und, wie der Sicherheitsbeamte sagt, es scheint
wirklich nur ein nationaler Ritus zu sein. Ich glaube, wir sollten daran teilne
hmen, um der gegenwärtigen Regierung gegenüber unsere Loyalität zu beweisen."
Das war also der Preis gewesen, den Matthew für das Wiedersehen mit seinem Vater
zahlen mußte. Aber sein Vater hatte ihm dann einen Brief zugesteckt, der ihn zi
ttern machte¬:
"Sowohl das Verbeugen gegen Osten als auch die Schreinverehrung sind Sünde, weil
sie gegen das erste und das zweite Gebot verstoßen. Nimm unter keinen Umständen
daran teil. . ."
Als er es tat, war es ihm so leicht erschienen. Jetzt wußte er, daß er alles ver
raten hatte, wofür sein Vater einstand. Die Erkenntnis seiner Schuld schlug über
ihm zusammen. Er schrie innerlich auf. Seine Sünde stand vor ihm. Sie war wie e
in Berg, der sich nicht nur zwischen ihm und seinen Vater schob, sondern auch zw
ischen ihn und Gott. In seiner Gewissensqual kasteite er sich mit dem Gedanken,
daß er Gottes Stimme bewußt überhört hätte. Er haßte sich. Er hatte Angst. Er ha
tte das schreckliche Gefühl, völlig allein zu sein. Nie wieder würde er zu seine
r Familie zurück gehen können. Vom Ewigen Leben war er nun ausgeschlossen, er wa
r abgeschnitten von Gott.
In seiner Zerknirschung sah und hörte Matthew nichts von den übrigen Fahrgästen.
Ein älterer Mann, ein Japaner, fragte ihn besorgt, ob er krank sei oder Kummer
habe. Matthew hörte ihn kaum. Da schreckte ihn eine Stimme auf.
"Wohin fährst du?"
Er zuckte zusammen. Vor ihm stand ein Polizeiinspektor, dem Augenschein nach ein
Japaner. Matthew fühlte einen alle andern Gefühle lähmenden Haß in sich aufstei
gen. Wie eine Flamme loderte er auf gegen diesen Angehörigen einer Macht, die ih
n, seine Familie, sein Volk ins Unglück gebracht hatte. Mühsam kämpfte er gegen
seine Erregung an, aber die Tränen konnte er nicht zurückhalten.
"Warum flennst du?" fragte der Inspektor scharf. Stille.
"Er sagt kein einziges Wort", bemerkte der alte Japaner.
"Wohin fährst du? Deine Fahrkarte!"
Matthew schaute auf. "Nach Pusan."
"Warum?"
Eine lange Pause. "Ich fahre nach Hause."
"Wo kommst du her?"
"Von Chung ju."
"Und was wolltest du in Chung ju?" Die Fragen folgten Schlag auf Schlag.
"Ich besuchte meinen Vater." Wieder brach er in Tränen aus.
"Warum heulst du? Was ist denn mit deinem Vater?"
Es schien unmöglich, in diesem plötzlich so stillen Abteil die Wahrheit zu sagen
. Aber bei der Versuchung zu lügen fühlte Matthew erneut die Qual und den Schmer
z der Schuld in sich hochkriechen. So antwortete er fest: "Er ist dort im Gefäng
nis."
"Aha, deshalb. Dein Vater ist im Gefängnis. Das ist ein schöner ruhiger Ort." De
r Inspektor lachte.
"Komm mit", befahl er und führte Matthew in die Schaffnerkabine. "Wo arbeitest d
u?'
"In der Faßfabrik in Pomil chung, Pusan."
"Warum ist dein Vater im Gefängnis? Wenn er sitzt, weil er Kommunist ist, dann g
eschieht es ihm ganz recht. Dieses ganze Gesindel sollte nach Sibirien geschickt
werden."
"Er ist nicht Kommunist, er ist Pastor", antwortete Matthew.
Der Inspektor schien erstaunt. "Nun, sind denn unter den Pastoren keine Kommunis
ten?"
"Er ist eingesperrt, weil er nicht an der Schreinverehrung teilnehmen wollte.¬"
Matthew fühlte sich um eine schwere Last leichter.
Der Inspektor sah ihn groß an. "Gibt es also immer noch Pastoren, die nicht an d
er Schreinverehrung teilnehmen?"
Diese Gelegenheit griff Matthew entschlossen auf. "Das ist Sünde. Mein Vater ...
"
Der Inspektor unterbrach ihn. "Natürlich ist es falsch, nicht mit der Zeit zu ge
hen."
"Nein, ich wollte sagen, daß es Sünde ist, sich vor einem Schrein zu verneigen."
"Was! Sag das noch einmal."
"Schreinverehrung ist eine religiöse Handlung und Sünde gegen Gott, wenn auch of
t behauptet wird, daß es nur ein nationaler Ritus sei."
"Du heulst ja schon wieder! Lag mich einmal sehen, was du da in der Tasche hast.
"
Er durchsuchte Matthews Kleidung und stieg bald auf Pastor Sons Brief:
"Sowohl das Verbeugen gegen Osten als auch die Schreinverehrung sind Sünde, weil
sie gegen das erste und das zweite Gebot verstoßen. Nimm unter keinen Umständen
daran teil. Heilige den Tag des Herrn. Versäume nie, an den Familien und Abend
andachten teilzunehmen. Lies sorgfältig in der Bibel. Gib treu deinen Zehnten. E
ntbiete deinem Großvater die ihm zustehende Verehrung und sei gehorsam."
Der Inspektor lachte auf. "Du hast aber einen feinen Vater, muß ich schon sagen!
Wie kann er erwarten, in diesem Lande frei zu bleiben, wenn er nicht mit der Ze
it geht?"
Er notierte sich Matthews Namen und Adresse, beschlagnahmte den Brief und verlie
ß das Abteil.
Matthew wußte, daß ihm etwas Kostbares geraubt worden war. Dennoch war ihm jetzt
leichter. Aufatmend begab er sich an seinen Platz zurück.
Bald nach seiner Heimkehr erhielt Matthew eine Vorladung zur Polizei. Tief beunr
uhigt verbrachten seine Mutter und seine Geschwister einen ganzen Tag in Gebet u
nd Fasten. Dann machte sich Matthew schweren Herzens auf den Weg zur Polizeistat
ion.
Im Büro des Polizeichefs wurde er von einem Sicherheits¬beamten erwartet.
"Bist du bereit, dich zum Militär einziehen zu lassen?"
"Ja, das ist meine Pflicht als Bürger."
"Dann müßtest du aber an den Schreinverehrungen teilnehmen. Ist dir das klar?"
Der Sicherheitsbeamte fixierte ihn scharf. Matthew blickte schnell um sich. Auf
dem Tisch des Polizeichefs lag der Brief. Matthews Augen kehrten zum Sicherheits
beamten zurück. "Nein, das kann ich nicht."
"Und warum nicht?"
"Weil ich dann Gottes Gebot brechen müßte."
"Unsinn. Als japanischer Untertan hast du zu gehorchen. Du bist doch ein japanis
cher Untertan, oder?'
"Ja, aber ich darf nicht gegen Gottes Gebot verstoßen."
Der Polizeichef winkte den Sicherheitsbeamten für einen Augenblick heraus. Als e
r zurückkam, schickte er Matthew ohne weitere Fragen nach Hause. "Überleg es dir
gut, du wirst wieder vorgeladen."
Matthews Mutter und Geschwister frohlockten. Sie hatten ihn nicht so bald zurück
erwartet. Fast erschien es ihnen wie ein Wunder, und es war ihnen zumute wie den
ersten Christen, als Petrus plötzlich vor ihrer Tür stand.
Nicht lange danach wurde Matthew aufgefordert, sich zur Musterung zu melden. Wie
der betete die Familie, hoffend, daß er zurückgestellt würde. Ihrer Ansicht nach
war selbst Lepra erträglicher, als sich vor dem Schrein verneigen zu müssen.
Aber Matthews Musterungsbefund war ausgezeichnet. Matthew kam er wie ein Todesur
teil vor. Jetzt gab es für ihn kein Zurück außer, wenn er vielleicht ernstlich
erkrankte? "Aber man wird nicht krank, bloß weil man es so will", sagte er sich
. Selbstmord kam ihm in den Sinn, doch er verwarf den Gedanken wieder. Er könnte
sich verstecken, aber die Polizei würde seine Mutter und die übrige Familie so
lange quälen, bis sie seinen Aufenthaltsort preisgaben. Was sollte er nur tun? W
enn er tatsächlich zum Militär ginge? Als japanischer Soldat müßte er gegen die
Alliierten kämpfen, auf der Seite sei¬ner Bedrücker, also gegen die, die seiner
Meinung nach Befreiung brachten. Und außerdem, könnte er beim Militär der Schrei
nverehrung überhaupt aus dem Wege gehen? Wenigstens in diesem Punkt wußte Matthe
w, wie er zu entscheiden hatte.
Die Familie war erschüttert, als er mit dieser Nachricht nach Hause kam. Man sch
rieb Juli 1944, und auf das bisher ruhige Pusan fielen die ersten Bomben. Immer
mehr junge Männer wurden eingezogen. Auf Desertation standen strenge Strafen.
Unverzüglich zog sich Matthew in die Nam hae Berge zurück. Dort wollte er beten
und auf Gottes Fingerzeig warten. Für seine Familie folgten schwere Tage.
"Mutter. . ." Matthew brach ab.
"Sprich weiter, Matthew." Frau Son ließ ihre Arbeit sinken. "Sprich weiter", erm
unterte sie ihn. "Seit du wieder da bist, schleppst du etwas mit dir herum. Du b
ist so verschlossen. Was ist?"
Matthew ließ den Kopf hängen. Drei Tage war er in den Bergen gewesen. Jetzt war
er schon wieder einen ganzen Tag zu Hause. Aber er brachte einfach nicht den Mut
auf, endlich auszusprechen, was er als den Willen Gottes erkannt hatte.
"Sag doch endlich etwas, Matthew. Gibt es etwas, was du vor deiner Mutter verber
gen müßtest?"
"Nein, aber das jetzt ist sehr schwer, Mutter. Ich habe gebetet, und ich gla
ube, wir müssen unsere Familie. . ." Er schwieg, verstört und niedergeschlagen.
"Ich verstehe. " Seine Mutter war ruhig. "Wir müssen unsere Familie auflösen, ni
cht wahr?"
"Ja. Ich weiß, es ist hart. Aber ich darf nicht mehr in Versuchung kommen. Ich k
ann Vater nicht verraten ... und dich. .. und Gott." Matthew brach in Tränen aus
. Endlich löste sich die Spannung, Erregung und Unentschlossenheit der letzten T
age.
Frau Son blickte starr in das Licht der Lampe. Wohin sollten sie gehen, jetzt, d
a um sie herum Bomben zu fallen drohten?
Sie sah keinen Ausweg.
"Man sieht Licht in eurem Haus, Matthew", rief jemand von der Straße herauf.
"Danke, Herr Choe!" Matthew zog die Vorhänge enger zusammen.
Jetzt gab es jeden Tag Fliegeralarm. Frau Son wandte sich an John und Rachel. "I
hr habt gehört, was Matthew vorgeschlagen hat, nicht wahr? Ihr seid jetzt alt ge
nug und habt ein Recht darauf, eure Meinung zu sagen. Was denkt ihr von diesem P
lan?"
Plötzlich begann der kleine Andrew, der offenbar nicht verstand, was um ihn heru
m geschah, leise vor sich hinzusummen: "Was mein Gott will, das geschehe allzeit
." Dieses Lied der Missionare liebten sie alle, sie hatten es in letzter Zeit of
t nach der Familienandacht gesungen.
Endlich faßte sich John ein Herz. "Wenn sich Matthew beim Militär vor dem Schrei
n verneigen muß, dann ist sein Vorschlag die beste Lösung."
Matthew warf John einen dankbaren Blick zu. Er wußte zwar sicher, daß dieser Pla
n nach Gottes Willen war. Aber die Verantwortung für das neue Leid, das er seine
r Familie aufbürden mußte, lastete schwer auf ihm. Daß John ihn unterstützte und
verstand! erleichtert atmete er auf. Sicherlich hatte Gott seinem Bruder die
Augen geöffnet, als die Furcht, einander zu verlieren, sie alle zu überwältigen
und blind zu machen drohte.
Bei Johns Worten schwand auch Frau Sons Selbstmitleid. "Wir werden die Familie a
uflösen", sagte sie fest. Hatte sie nicht ihren Mann aufgegeben, und hatte sie n
icht Kwang ju verlassen, nur um keinen Schrein im Hause aufstellen zu müssen? je
tzt stand ihr Sohn vor schwerer Anfechtung. Sie wollte ihn nicht im Stich lassen
. Gott würde sie alle beschützen. Aber wie sollten sie es nur anfangen?
Während sie still darüber nachdachte, pochte es leise an die Tür. Es war Fräulei
n Whang, eine alte Freundin der Familie, die völlig unerwartet und erschöpft Ein
laß begehrte. Matthew hatte ihr geschrieben und sie um ihre besondere Fürbitte g
ebeten. Deshalb war sie gekommen. So ging sie auch gar nicht auf Frau Sons ersta
unte Fragen ein, sondern wandte sich ohne alle Umschweife an Matthew. "Es war se
hr schwierig, herzukommen. An der Sperre wäre ich fast nicht durchgelassen worde
n. Danke für deinen Brief. Warst du in den Bergen? Hast du gebetet?" Für Frau
Son fügte sie erklärend hinzu: "Ich wollte sofort kommen, als ich Matthews Brief
bekam. Und als ich dann gestern hörte, daß Pusan bombardiert wird und ihr in Ge
fahr seid, konnte ich es nicht länger aushalten. Ich mußte bei euch sein."
Irgend etwas stimmte hier nicht. Fräulein Whang hatte es bereits empfunden, als
Andrew ihr nicht entgegenkam, um sie zu begrüßen. Das hatte er doch sonst immer
getan! Endlich brach Frau Son das bedrückende Schweigen:
"Du kommst zur rechten Zeit. Wir denken gerade daran, unsere Familie aufzulösen.
Das ist es, was Matthew als den Willen des Herrn erkannt hat."
"Was!" Fräulein Whang zuckte zusammen. Sie wußte, was das bedeutete. Wie oft hat
te sie Frau Son und den Kindern geholfen, wenn sie Nahrung brauchten oder Kleidu
ng oder Haushaltsgeräte. Sie war immer für sie dagewesen in Kwang ju, in Pusan
und auf der Leprastation. Aber wenn sie jetzt auseinandergingen was konnte si
e dann noch tun? Die Älteren würden sich irgendwie durchschlagen können, aber di
e kleineren Kinder müßten betteln gehen. Ratlos wandte sie sich an Frau Son.
"Was habt ihr vor?"
"Darüber haben wir noch nicht entschieden."
Gemeinsam erwogen sie nun Möglichkeiten, verwarfen sie wieder und kamen schließl
ich überein, daß Rachel und Andrew nach Ku po ins Waisenhaus gehen sollten. Matt
hew, Frau Son und die kleine Ruth wollten sich in den Nam hae Bergen verstecken.
Aber was sollte mit John geschehen? Für ein Waisen¬haus war er zu alt, und der
Mutter konnte er sich nicht auch noch anschließen. Das wäre töricht gewesen. Sol
lte er weiter in der Faßfabrik bleiben? Das hätte gewisse Vorteile gehabt, aber
Frau Son wollte ihn nicht allein zurücklassen.
"Soll ich nach Puk pang li gehen? Matthew war vor einiger Zeit dort." Das war ei
ne kleine Leprastation in den Bergen.
"Puk pang li?" Fräulein Whang konnte ihre Bestürzung nicht verbergen. Nein, nein
, nicht zu Leprakranken! Sie mußte an den Ae yang won denken. Er sollte nicht se
ine Gesundheit aufs Spiel setzen und der Familie noch mehr Sorgen bereiten. Sie
meinte zwar, daß er dort sicher unterkäme, aber in ihrem Herzen betete sie, daß
sich ein anderer Ausweg finden möge. Aber es gab keinen. Schweren Herzens beschl
ossen sie, daß John doch auf die Leprastation gehen solle.
Dann schwiegen sie, betäubt, erschüttert und traurig. Nur das ferne Heulen der A
larmsirenen zerschnitt die Stille der Nacht.
Von Chin ju aus machten sich John und Fräulein Whang auf den weiten Weg zum Puk
pang li. Die Straße war schlecht. Sie wußten, daß es schwer sein würde, das eins
ame Haus in den Bergen zu finden. Schon brach die Nacht herein, und der Wald ste
llte sich ihnen wie eine schwarze Wand entgegen. Auf jeder Anhöhe kämpften sie g
egen das Bedürfnis zu rasten. John wußte, daß die Kranken ihn herzlich begrüßen
würden, aber er war sich seiner selbst nicht sicher. Wie würde er auf die Aussät
zigen reagieren? Würden ihre entstellten Glieder und Züge ihn abstoßen? Es war l
ange her, seit sie den Ae yangwon verlassen hatten. Damals hatte er Vater und Mu
tter und die Geschwister um sich.
Fräulein Whang spürte die Traurigkeit in seinen Gedanken und tröstete ihn, so gu
t sie konnte. Wie sehr tat er ihr leid! Der junge war kaum sechzehn und mußte sc
hon ohne Familie sein. Und viel schlimmer noch, er sollte unter Leprakranken leb
en, obgleich er selbst gesund war.
"Wissen die Aussätzigen, daß ich komme?"
"Nein. Ich werde zwar erwartet, aber sie ahnen sicherlich nichts von ihrem weite
ren Zuwachs."
"Kennen sie mich denn?"
"Natürlich, sie sind alle aus dem Ae yang won. Du wirst dich auch an einige erin
nern."
Es machte jedoch wenig Unterschied, ob er sie nun kannte oder nicht. Er würde in
jedem Fall mit ihnen leben müssen. Als die Familie übereinkam, ihn zu den Krank
en zu schicken, war er entschlossen, seines Vaters Platz einzunehmen. Hatte er i
hnen das nicht versprochen, damals, als sie wegzogen? Aber je näher er kam, dest
o stärker meldete sich sein Widerwille.
"Was, glauben Sie, werde ich tun müssen, Fräulein Whang?"
"Nicht allzu viel. Nur die Feuer anzünden, Wasser holen und Holz hacken."
"Lebensmittel muß ich nicht holen?"
"Nein, du brauchst die Station nicht zu verlassen."
"Ist sonst nichts zu tun?"
"Ich glaube nicht."
John atmete auf. Dann würde ihm also Zeit bleiben, in der Bibel zu lesen und zu
beten. Eine seiner Hauptaufgaben würde nämlich sein, unaufhörlich für seinen Vat
er, seine Mutter und seine Geschwister zu beten.
Durch die stille Abendluft wehte das ferne Pfeifen eines Zuges zu ihnen herauf.
Das mußte der Zug nach Pusan sein. Es war also schon fast halb zehn. Eilig erhob
sich Fräulein Whang sie hatten während des Gespräches ein wenig gerastet.
"Wir müssen weiter."
Die Aussätzigen des Puk pang li wußten nicht genau, wann Fräulein Whang kommen w
ürde, und hatten schon den ganzen Tag auf sie gewartet. Als es dunkel wurde und
Fräulein Whang immer noch nicht da war, beteten sie wie üblich zusammen und ging
en zu Bett. Nur ein paar waren noch wach und lasen in der Bibel.
"Hallo, schlaft ihr schon?" rief Fräulein Whang.
"Endlich", murmelte die Diakonisse Kim und lief hinaus, um sie zu begrüßen. Erst
aunt stellte sie fest, daß Fräulein Whang nicht allein war. "Unser John!" Diese
Neuigkeit mußten die anderen gleich erfahren.
"Was bringt dich hierher?" wunderte sich einer der Ältesten.
"Er wollte euch alle wiedersehen", warf Fräulein Whang schnell ein.
Stille.
Dann fing einer an mit tiefer, trauriger Stimme zu beten. Johns Anblick ließ all
ihr Leid der vergangenen Jahre neu aufflackern. Ihr geliebter Pastor Son war im
Gefängnis, sie hatten den Ae yang won verlassen müssen, den einzigen Ort, der i
hnen Heimat gewesen war.
Aber sie waren dadurch abhängiger von Gott geworden. Nach einem kurzen gemeinsam
en Gebet hießen sie John noch einmal aufs wärmste willkommen. Er war ihnen herzl
ich dankbar dafür. Doch unwillkürlich wich er vor ihnen zurück.
"Geht es deiner Mutter gut?" - "Ja." - "Matthew auch?" - "Ja." - "Und deinen and
eren Geschwistern?" - "Ja."
"Wie groß du geworden bist, fast schon ein Mann!" rief der Älteste, Shin, aus.
"Ihr habt es sicher schwer gehabt hier oben", bemerkte Fräulein Whang.
"Eigentlich nicht. Aber Sie, nicht wahr?"
"Doch warum ist John hergekommen?" wollte Diakonisse Kim wissen.
"Er will euch an seines Vaters Stelle beistehen, weil er von euren Mühsalen gehö
rt hat." Fräulein Whang hielt inne. Eine längere Erklärung würde warten müssen.
Aber die Kranken gaben sich nicht zufrieden. John mußte sich doch vor ihrer Kran
kheit fürchten! Pastor Son hatte sie als Brüder geliebt und sein Leben in ihren
Dienst gestellt, aber John war doch noch so jung! Es mußte einen anderen Grund d
afür geben, warum er gekommen war! Die Unterhaltung zog sich in die Länge. Als s
ich John vor Müdigkeit nur noch mühsam auf den Beinen halten konnte, wurde er in
einen der gemeinsamen Schlafräume gewiesen.
Fräulein Whang fuhr aus dem Schlaf auf. Erstaunt stellte sie fest, daß John nich
t auf seinem Lager war. Sie wußte nicht, wie spät es sein mochte. Aber es war je
denfalls noch dunkel draußen. Nur die Sterne blitzten hell. Sie sah in der Küche
nach, sie suchte das ganze Haus ab, konnte John jedoch nicht finden. Da erinner
te sie sich eines schmalen Pfades, der vom Haus aus auf den Berg führte. Sie tas
tete sich voran, leise seinen Namen rufend. Aber sie bekam keine Antwort. Endlic
h, nach einem langen, mühsamen Weg, hörte sie eine Stimme in der Stille der Nach
t. Vorsichtig näherkommend, konnte sie seine Worte klar verstehen: "Vater, wenn
Du mir dieses Kreuz zu tragen gibst, dann will ich es gerne auf mich nehmen. Die
sen Kranken hat mein Vater gedient; und weil sie um Deines Namens willen leiden,
weiß ich, Du freust Dich, wenn ich ihnen helfe. Ich bin bereit, ein Diener der
Aussätzigen zu werden, selbst wenn es meine Gesundheit kostet. Reinige mein Herz
und hilf mir, ihnen fröhlich zu dienen."
III.
Am 15. August 1945 kapitulierte Japan vor den Alliierten, und Korea atmete auf.
Mit Glockengeläute und Trompeten wurde der Tag gefeiert; die Koreaner atmeten na
ch sechsunddreißigjähriger Unterdrückung wieder die frische Luft der Freiheit. G
efangene wurden entlassen, Familien vereinigten sich wieder.
Auch für Familie Son war der 15. August ein Freudentag. Rachel und Andrew kehrte
n aus dem Ku po Waisenhaus zurück, John aus den Puk pang li Bergen, Matthew und
Frau Son aus den Bergen von Nam hae. Auch Pastor Son kam wieder, lebend und wohl
behalten. Nur Großvater Son, der unablässig für seinen Sohn im Gefängnis gebetet
und ihn ermuntert hatte, war in diesem Jahr, fünfundsiebzigjährig, in der ferne
n Mandschurei gestorben.
Sie wohnten wieder im Ae yang won. Auch die Leprakranken waren zurückgekehrt. Do
ch es war nicht leicht, die Fäden des früheren Lebens wieder aufzunehmen. Die ve
rlorenen Jahre konnten nicht wettgemacht werden. John war jetzt siebzehn. Die Gr
undschule hatte er im zweiten Schuljahr verlassen müssen, und obwohl ihn der Gro
ßvater zu Hause in den chinesischen Schriftzeichen unterrichtet hatte, fehlte ih
m doch jede weitere Schulbildung. Er versuchte, in die höhere Schule eingestuft
zu werden. Aber man sagte ihm, er hätte das Aufnahmealter überschritten. Schließ
lich gelang es ihm doch, durch die Fürsprache eines befreundeten Pastors endlich
in der Soon chun Oberschule unterzukommen. So zog er zu seinem Onkel in Soon ch
un, und bald kamen auch sein Bruder und seine Schwester nach.
Zwar war John ein überaus fleißiger Schüler. Aber er kam nur langsam voran. Am E
nde des ersten Jahres bestand er mit knapper Not die Prüfung. Selten ging er vor
Mitternacht zu Bett und war schon um fünf Uhr morgens wieder auf. Nachts konnte
er sich oft nur wach halten, wenn er sein Gesicht unter einen harten Strahl kal
ten Wassers hielt. Davon bekam er jedoch zuweilen Nasenbluten. Außerdem litt er
an häufigen Schwindelanfällen. In der Schule galt er als "gut, aufrichtig und zu
verlässig", mit dem Zusatz: "Lernt zweimal so viel wie andere Schüler." Obgleich
er ständig am Rande der Erschöpfung war, verrichtete er seine täglichen Gebete
und besuchte treu den Gottesdienst; manchmal verbrachte er die ganze Nacht beten
d in der Kirche.
Auch Matthew lernte bis spät in die Nächte hinein. Weil er hoffte, in Amerika we
iterstudieren zu können, wandte er dem Erlernen der englischen Sprache besondere
Sorgfalt zu. Er tat sich auch in anderen Fächern hervor, denn er hatte bei weit
em nicht die Schwierigkeiten wie John.
An der Oberschule in Soon chun waren auch der Sohn und die Tochter von Pastor Ra
, einem Freunde Pastor Sons. Sie waren mit den Sonschen Kindern befreundet. Eine
s Tages war Rachel zu Besuch bei Soon keum in Pastor Ras Haus. Die beiden Mädche
n schwatzten und lachten gerade über ihre Erlebnisse in der Schule, als Che min,
der Bruder, hereinkam.
"John hat mir heute eine interessante Geschichte erzählt." Er legte seine Bücher
ab.
"Was für eine Geschichte?" fragten Rachel und Soon keum wie aus einem Munde.
"Matthew hat für einen amerikanischen Soldaten gedolmetscht und ihm so aus der K
lemme geholfen."
"Ach so, ja, wir waren zusammen einkaufen."
"Dann weißt du sicherlich mehr als ich, Rachel. Erzähl doch bitte."
Rachel berichtete also, wie sie vor einigen Tagen mit Matthew an einem Stickerei
laden vorübergegangen waren. Vor dem Laden hatte sich eine Menschenmenge angesam
melt und sah zu, wie der Ladenbesitzer und ein amerikanischer Soldat einander be
schimpften. Matthew trat in den Laden, um herauszufinden, weshalb sie aneinander
geraten waren, und erfuhr, daß der Soldat eine Stickerei gekauft und dabei verse
hentlich eine Glasplatte zerbrochen hatte, die teuer und schwer zu ersetzen war.
Der Soldat entschuldigte sich und wollte die Platte bezahlen. Aber er hatte nic
ht genug Geld bei sich. So versuchte er, dem Ladenbesitzer klarzumachen, daß er
zurückkommen und ihm den restlichen Betrag gleich bringen werde. Der Ladenbesitz
er verstand aber kein Englisch und hörte heraus, der Soldat wolle ihn veranlasse
n, zum amerikanischen Militärhauptquartier mitzugehen. Und da er fürchtete, er k
önnte in Schwierigkeiten geraten, wenn er mitginge, forderte er, daß ihm das Gel
d gebracht würde. Matthew übersetzte, was jeder zu sagen versuchte. Der Soldat g
ing und kam eine Viertelstunde später mit dem Geld zurück. Er brachte auch ein k
leines Geschenk für Matthew mit und entschuldigte sich, daß er ihm Mühe gemacht
hätte.
Das war der Anfang einer Freundschaft zwischen Matthew und dem Soldaten. Matthew
war froh, daß er so sein Englisch üben konnte. Früher schon hatte er angeregt,
daß in der Englischstunde nur Englisch gesprochen würde. Aber andere Schüler hat
ten sich diesem Vorschlag widersetzt, besonders diejenigen, die Matthew nicht mo
chten. Sie hatten seinen Plan, nach Amerika zu gehen, für Angeberei gehalten. De
shalb unterhielt sich Matthew gern mit dem Soldaten und lernte viel dabei. Der S
oldat wunderte sich sehr, daß Matthew mit seinen zweiundzwanzig Jahren noch zur
Schule ging. Aber als er Matthews Geschichte hörte und den Grund für den verspät
eten Schulbesuch erfuhr, war er zutiefst beeindruckt. Bald war Matthew bei den a
merikanischen Soldaten in der Stadt bekannt. Sie gaben ihm den wohlwollenden Spi
tznamen "der alte Oberschüler". Sie konnten nicht ahnen, daß Matthew diese Belie
btheit eines Tages zum Verhängnis werden würde.
Aber nicht nur die Schule bereitete Matthew einigen Kummer. Eines Abends machte
er sich niedergeschlagen auf den Heimweg. Er war in Pusan gewesen. Tief in Gedan
ken schlug er den Weg zum Hafen ein, um mit dem Boot nach Yo su zu fahren. Als e
in Küchenjunge auf seinem Fahrrad vorbeifegte mit einem Tablett Nudeln auf der e
inen erhobenen Hand und das Rad fast seinen Absatz gestreift hatte, wachte er au
f. "Das war aber knapp", stellte er fest. Die Uhr in der Nähe des Hafens zeigte
halb sieben. Bis zur Abfahrt des Bootes blieb ihm noch etwas Zeit. Er setzte sic
h in den Warteraum und vergrub sich wieder in seine Gedanken.
Warum war das Mädchen so abweisend? Er war hierher nach Pusan gekommen, um ein p
aar Dankbesuche abzustatten. Aber vor allem wollte er das Mädchen treffen, das s
eine Eltern für ihn bestimmt hatten.
Das Mädchen!
Verlegen und traurig brütete er vor sich hin! Wie schön sie war; aber wie kalt w
ar sie ihm begegnet. Zweimal zuvor hatte er sie aus der Ferne gesehen. Und jetzt
, aus der Nähe, war sie ihm noch viel anmutiger erschienen, als er sie sich vorg
estellt hatte. Aber warum ging sie ihm aus dem Weg? Vielleicht war sie verlegen,
weil ihre Eltern nicht zu Hause waren, als er kam. Oder hatten seine Eltern ein
en Fehler gemacht? Matthew erwog alle möglichen Gründe. Doch dann wanderten sein
e Gedanken unweigerlich zu sich selbst zurück und zu seiner unabgeschlossenen Sc
hulbildung. Tag für Tag mußte er seinem eigenen Versagen ins Auge sehen, wenn er
versuchte, mit jüngeren Schülern Schritt zu halten. Er ärgerte sich über jedes
verlorene Jahr, und er sehnte sich nach einem gutbezahlten Job, um seinen Lebens
unterhalt zu verdienen. Warum konnte er nicht so leben wie die anderen in seinem
Alter?
Bitter verweilte er auf jeder einzelnen Stufe, die zu seiner gegenwärtig so ungl
ücklichen Lage geführt hatte. Wer war daran schuld? Warum hatten die Japaner ihn
gezwungen, die Schule zu verlassen? Warum hatten sie seinen Vater ins Gefängnis
geworfen, so daß er, Matthew, für die Familie arbeiten mußte? Hatte er nicht re
cht daran getan, der Schreinverehrung aus dem Wege zu gehen? Und doch wurzelte d
ort sein ganzer augenblicklicher Kummer. Er sah sich wieder das Chung ju Gefängn
is betreten, erinnerte sich daran, wie der Sicherheitsbeamte ihn zur Schreinvere
hrung nötigte. Und dann dachte er an die Augenblicke danach, als er seine Schuld
voll erkannt hatte. Eine Welle jener schrecklichen Verlassenheit rollte jetzt ü
ber ihn hinweg und begrub ihn unter sich. "Nein, nein!" Matthew kämpfte gegen di
e Erinnerung an. Lieber wollte er die Zerknirschung dieses Augenblicks, die Kält
e des Mädchens, die Verachtung von seiten seiner Mit¬schüler, lieber noch die En
ttäuschungen im Unterricht ertragen, als jenes Leid noch einmal erfahren.
Dieser Rückblick ernüchterte ihn. Hielt nicht Gott sein Leben in Seiner gnädigen
Hand? Die Bitterkeit war vorbei, die Verzweiflung, die Fragen. Wie konnte er di
e Japaner oder irgend etwas anderes verantwortlich machen für seine Traurigkeit!
War es denn nicht der Herr, der ihn in diese Schule gestellt hatte? Begegnete E
r ihm nicht auch in der abweisenden Haltung des Mädchens?
Langsam fiel die Dämmerung. Matthew hatte wieder Frieden gefunden.
Auf den herbstlichen Feldern nahe der kleinen Stadt Soonchun war die Ernte fast
eingebracht. Matthew betrat den Hof. "Ist John schon da?"
"Nein, noch nicht", rief Rachel zurück.
"Ist er wieder bei Che min?" Matthew ließ sich auf dem hölzernen Boden nieder.
Ich glaube, er ist auf dem Sportplatz."
"Meinetwegen. Aber wo nimmt er bloß die Zeit her, wenn er schon mit dein Lernen
nicht fertig wird?"
"Er ist doch angeblich der schnellste Hundertmeterläufer der Schule."
"Ja, das habe ich auch gehört."
In dem Augenblick kam schwer beladen Frau Son herein. Auf dem Kopf trug sie eine
n Korb, und Sarah, das jüngste Kind, baumelte in einer Schlinge auf Frau Sons Rü
cken. Das Kind wachte auf und lächelte. Rachel sprang hinzu und nahm der Mutter
das Baby ab.
"Und wo ist Vater?"
"Er leitet in Pusan eine Evangelisation. Wahrscheinlich kommt er erst übermorgen
zurück."
"Was hast du heute für uns, Mutter?"
Sie wußte, daß diese Frage kommen würde! "Reis und grüne Bohnen und etwas gepö
kelten Fisch", lachte Frau Son.
"Könntest du dann heute hier bleiben, Mutter?" bat Rachel und liebkoste das Baby
.
"Möchtet ihr denn, daß ich erst übermorgen fahre und den Sonntag bei euch bleibe
?"
"O ja, Mutter. Morgen spricht Matthew in der Seung choo-Kirche."
Alle vierzehn Tage kam die Mutter, und immer war es für die Kinder eine besonder
e Freude. Sie brachte Fisch oder Fleisch, eine willkommene Ergänzung zu ihrer tä
glichen Mahlzeit aus Gemüse und Reis. Und sie brachte frische Wäsche mit und nah
m die schmutzige mit nach Hause.
An jenem Sonntag sprach Matthew auf einer Versammlung der christlichen Studenten
vereinigung. Er erzählte die Geschichte eines Mädchens, das während der Christen
verfolgung durch Tai won kun umgekommen war. Der Soldat, der sie erschießen soll
te, flehte sie an, ihrem Glauben abzuschwören, damit er sie am Leben lassen könn
e. Sie aber blieb fest und drängte ihn, Buße zu tun. Da schoß der Soldat. Später
jedoch bekehrte er sich zu Christus und erbaute über der Hinrichtungsstätte ein
e Kirche. Diese Kirche brachte viele lebendige Christen hervor, die in andere Ge
meinden ausgesandt wurden. So hatte der Tod des Mädchens viel Frucht getragen. M
atthew ermunterte seine Zuhörer, sich an Jesus zu wenden, damit auch sie, wie je
nes Mädchen, fest gegründet seien, selbst im Tod.
Die Studenten waren von Matthews Predigt tief angerührt. Und Frau Son sah dankba
r, wie ihr Sohn in die Fußtapfen seines Vaters trat.
Ein paar Tage später brachte John ein paar Freunde mit nach Hause, um mit ihnen
zusammen Hausaufgaben zu machen.
"Ich wünschte, wir könnten das Erntedankfest etwas früher feiern", stellte Che m
in fest, als sie über die Felder gingen.
"Und warum?"
"Weil unsere Ernte dann schon längst vorbei ist. Wir feiern erst dann, wenn wir
unsere Freude darüber schon fast wieder vergessen haben."
"Das stimmt", meldete sich John, "aber ich glaube doch, es ist am besten, wir fe
iern das Fest zusammen mit den Amerikanern."
"Ich meine aber, wir könnten seine Bedeutung besser verstehen, wenn das Erntedan
kfest gleich nach der Ernte käme", beharrte Che min.
"Ja", pflichtete ihm ein anderer bei. "Vielleicht wäre jetzt die beste Zeit dafü
r, jetzt, da die Ernte gerade eingebracht ist. Aber der Brauch, das Erntedankfes
t im November zu feiern, stammt sicher nicht von Amerika. Denn das Fest war scho
n vor dessen Gründung da." Mehr schien zu diesem Thema nicht zu sagen zu sein.
Eine Photographie an der Wand zeigte eine Gruppe von Männern, Pastoren und Mitar
beitern in der Gemeindearbeit. Als Johns Blick das Bild streifte, mußte er an di
e Worte Jesu denken: "Die Ernte ist reif, aber der Arbeiter sind wenige." Wie tr
afen doch diese Worte für Korea zu. Drei Jahre waren seit der Befreiung vergange
n, und anstatt endlich Frieden zu haben, versank das Land in immer tieferen Wirr
en. Immer wieder hörte man von schweren Gewaltakten. Selbst Schulen blieben nich
t verschont. Schüler wandten sich gegen ihre Lehrer, Rechtsgerichtete gegen Link
sgerichtete, der Norden gegen den Süden, das aufgewiegelte Volk gegen die Regier
ung. Das Land war zerrissen in unzählige Interessengruppen, und selbst die Kirch
en, die Gerechtigkeit und Liebe predigten, bekämpfen einander. Während der Besat
zungszeit war der Glaube der meisten Pastoren und Ältesten schwach geworden.
"Was brütest du so vor dich hin?" fragte Che min.
John blickte auf das Bild. "Ich dachte an die Männer dort."
"Waren alle diese Männer eingesperrt?" - "Nein, einige nicht.
"Waren noch andere weg?" - "Ja, viele." John zählte die Namen auf, die ihm bek
annt waren. "Und ich weiß von mehr als 50, die umgebracht wurden, und es gibt no
ch viele mehr."
"Woher weißt du das so genau?" fragte einer der Jungen, erstaunt über die Sicher
heit, mit der John sprach.
"Von meinem Vater."
"Willst du auch auf ein College in den USA, wie Matthew?" fragte Che min. "Wenn
du dann zurückkommst, dann wirst du wirklich beim Aufbau unseres Landes mithelfe
n können!"
"Ja, aber ich glaube, dazu braucht man nicht ins Ausland zu gehen."
Weder er noch Matthew sollten je nach Amerika gelangen.
IV.
21. Oktober 1948. Zwischen seinen Reisen ruhte Pastor Son ein paar Tage zu Hause
im Ae yang won aus. Plötzlich, völlig unerwartet, stand Andrew vor der Tür. Eig
entlich sollte er in der Schule sein!
"Was machst du denn hier, Andrew?"
"Matthew hat mich hergeschickt, weil er fürchtete, ihr könntet euch wegen der In
vasion Sorgen machen. Die Soldaten wollten mich zuerst nicht durchlassen, aber d
ann sagte ich, ich ginge nach Hause."
"Geht es deinen Brüdern gut?"
"Ja, aber sie Machen sich große Sorgen, und nach der Morgenandacht bestanden sie
darauf, daß ich nach Hause zurückgehe. Sie sagten, ich solle fleißig lernen und
dir und Mutter gehorchen, und sie würden mich im Himmel wiedersehen. Ich glaube
, sie schickten mich fort, weil sie nichts mehr zu essen hatten."
Am Tage zuvor hatten kommunistische Aufwiegler in Yosu die ersten Schüsse abgefe
uert und hatten dann den Zug nach Soon chun besetzt. In Soon chun überfielen sie
die Poli¬zei, brachten einen großen Teil der Polizisten um und nahmen mit dort
ansässigen jungen Kommunisten die Stadt ein. Sie ermordeten alle Männer in hohen
Positionen, viele Reiche und die bekannten Mitglieder rechtsgerichteter Parteie
n. Die Leichname ließen sie auf der Straße liegen.
Rachel und ihr Onkel waren am Tage vor dem Aufstand aus Soon chun in den Ae yang
won gekommen, um neue Vorräte zu holen. Pastor Son hatte sehr um seine Kinder i
n Soon chun gebangt. Er war erleichtert, daß wenigstens Andrew da war. Nachdem e
r ihn ausgefragt hatte, gebot er ihm, alles eilig seiner Mutter zu berichten. Er
selbst wandte sich bedrückt der Lepra Station zu.
"Wer da?" donnerte ein südkoreanischer Soldat aus der Dunkelheit und sprang von
einem Lastwagen herunter, die Fahne der Republik Korea schwenkend.
"Ich bin Soon bok Hong", kam die Antwort, "Lehrer an der Schule im Ae yang won i
n Yo su. Wir haben gehört, daß die Söhne unseres Pastors Son im Soon chun Massak
er umgekommen sind, und ich will nachforschen, ob das stimmt, und wenn es so ist
, dann will ich ihre Leichname zurückbringen."
"Was ist der Ae-yang won?"
"Eine Station für Leprakranke."
Der Soldat kam näher heran und sah die zerstörten Züge des Mannes.
"Was haben Sie bei sich?" Die Stimme des Soldaten klang weicher.
"Nichts außer einer Bibel", antwortete Hong und zog sie hervor. Erleichtert ließ
der Soldat ihn weiterziehen. Es war gefährlich auf der Straße!
Am 22. Oktober war das Gerücht in den Ae-yang won genommen, daß John von den Auf
ständischen getötet worden sei. Die Kranken waren ganz außer sich. Pastor Son ko
nnte dem Bericht jedoch keinen Glauben schenken und versuchte zu trösten: "Es is
t einerlei, ob meine Kinder tot sind oder leben. Sorgt euch nicht, denn wenn sie
tot sind, dann sind sie im Himmel, und wenn sie leben, dann sind sie in Gottes
Hand." Und weil er sich selbst nicht beunruhigen ließ, legten sich auch Frau Son
s Ängste.
Geduldig warteten sie bis zum 24. Oktober, aber sie erhielten keine Nachricht, w
eder von Matthew und John, noch von Rachel und ihrem Onkel. Als Frau Son in ihre
r großen Sorge selbst nachsehen wollte, was vorgefallen sei, hatte der junge Leh
rer Soon bok Hong angeboten, sich auf den Weg zu machen. Aber das Reisen war ver
boten, und in Soon chun lauerten noch immer Gefahren. Deshalb versuchte Pastor S
on, ihn zurückzuhalten.
"Leben und Tod liegen in Gottes Hand", sagte er. "Warum also diese Eile? Nur um
zu wissen, ob sie noch am Leben sind?'
"Aber wir finden keinen Frieden, bis wir nicht sicher wissen, was geschehen ist.
Ist das nicht Grund genug, Pastor Son? Ich will mir das Gesicht mit Ruß schwärz
en und Lumpen anziehen. Als Aussätziger komme ich sicher durch.
Endlich gab sich Pastor Son zufrieden und ließ ihn gehen, riet ihm jedoch, seine
Bibel mitzunehmen, da sie ihm vielleicht unterwegs von Nutzen sein könne. So ha
tte Soon bok Hong das erste Hindernis auf seinem Zehnmeilen Marsch nach Soon chu
n überwunden.
Die Felder, durch die er zog, standen schon kahl. Die Dorfleute schnitten Kohl f
ür den Winter. Der Himmel war klar und die Bäume von lebhaftem Grün. Emsige Vöge
l pickten auf den leeren Feldern verstreute Körner auf. Wie friedlich das Land w
ar! Aber das alles täuschte ihn nicht über den Grund dieser gefahrvollen Reise h
inweg. Von Zeit zu Zeit wurde die friedvolle Stille von Lastwagen, Panzern und A
rtilleriefeuer gebrochen. Jedes Mal, wenn die Panzer an ihm vorbeirasselten, wur
de er aufgehalten, ausgefragt, und jedes Mal gab er die gleiche Antwort und durf
te weiterziehen. Er pries Gott für Pastor Sons Rat, seine Bibel mitzunehmen.
Der Weg zog sich schier endlos hin, und das Geratter des schweren Maschinengeweh
rfeuers, das durch die Hügel rollte, erfüllte ihn mit schlimmer Vorahnung.
25. Oktober.
"Schnell, Frau Son, Hong ist auf dem Weg hierher."
Mit einem Aufschrei stürzte Frau Son auf den Hof hinaus. "Wo ist er?"
"Dort drüben!" antwortete Frau Cha und deutete zur fernen Landstraße hin, die si
ch durch die Vorhügel wand. "Kommen Sie mit!"
Frau Cha wandte sich um und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Frau Son
folgte ihr, von Hoffnung und Furcht zerrissen. Plötzlich verlor sie Hongs müde G
estalt aus den Augen. Sie zögerte. Da sah sie zwei Frauen auf sich zukommen: "Ih
re Kinder kommen!"
Hoffnungsvoll eilte sie weiter, sah aber nur Rachel und Ruth. Zuerst war sie erl
eichtert doch dann durchfuhr sie ein lähmender Schreck.
"Meine Söhne, meine Söhne!" schrie es in ihr auf. Schon von weitem fragte sie di
e beiden Mädel, ob Matthew und John nachkämen. Aber sie antworteten nicht. "Viel
leicht haben sie mich nicht gehört." Sie lief den Mädchen entgegen und wandte si
ch an Rachel: "Sag, lebt John? Sag ja! Sag ja!"
Doch Rachel blieb stumm, und Ruth schluchzte vor sich hin.
"Und Matthew ist er auch tot?"
Noch immer keine Antwort.
"Rachel, so sprich doch', schrie die Mutter.
Rachel brach in Tränen aus.
"Dann leben beide nicht mehr."
Frau Son starrte mit weit aufgerissenen tränenlosen Augen in die Ferne. "Matthew
hat erst vor ein paar Tagen hier gesungen, und John holte sich vor zwei Wochen
saubere Wäsche. Jetzt sind sie beide tot." Ihr war, als fiele ein Hammer auf sie
herab, um sie zu zerschmettern.
Als Pastor Son hörte, daß Soon bok Hong zurück sei, lief er ihm entgegen. Einige
der Ältesten folgten ihm. Hong war auf einen Seitenweg abgebogen, um nicht Frau
Son begegnen zu müssen. Nun war er vor den Toren des Ae yang won angelangt, abe
r er wagte nicht, einzutreten. Stumm stand er im Kreise der Kranken, die ihn zu
seiner Begrüßung umringten.
"Da kommt Pastor Son."
Hongs Herz sank. Oh, warum war er nach Soon chun gegangen?
"Hattest du eine gute Reise?' fragte Pastor Son ruhig.
Hong wagte nicht, seinen Blick zu heben.
"Unser Matthew und unser John sind tot, nicht wahr?" fuhr Pastor Son fort und ho
ffte, wie seine Frau, verzweifelt, daß Hong nein sagen würde.
"Ja", begann Hong unter Tränen.
"Laßt uns ... laßt uns zusammen beten", warf Pastor Son schnell ein.
Es war ein kurzes Gebet, unterbrochen vom Schluchzen der Kranken und von den Wog
en des Schmerzes, die über Pastor Son hinwegrollten.
Wie konnte er beten? Was sollte er seinem himmlischen Vater sagen, der ihm seine
Kinder genommen hatte? Aber kein Vorwurf ging über seine Lippen, denn in den vi
elen Jahren der Jüngerschaft und in vielem Leid hatte er gelernt, den Willen Got
tes anzunehmen. So betete er: "Lieber Herr, wir danken dir, daß sie als Märtyrer
gestorben sind", und dann: Obgleich wir nicht wissen, wer die Mörder waren, ver
geben wir denen, die sie getötet haben. Vater, o Vater, schenke uns deine Liebe.
Eine Liebe, die vergeben kann. Vergib uns unsere Schuld. Wir bitten dich ... im
Namen Jesu!"
Er wußte nicht, daß seine Frau schon informiert war. Er suchte den Zuspruch Gott
es, um seine Frau und die Gemeinde trösten zu können. So führte er die Kranken i
n die Kirche, obgleich sie Widerspruch erhoben, weil sie ihn nicht aufhalten wol
lten.
Als ob die Glocke sie zusammengerufen hätte, versammelte sich die Gemeinde der A
ussätzigen in der Kirche. Sie versuchten, ihren Pastor durch Choräle und Gebete
zu trösten. Dann bat einer der Ältesten Hong um einen genauen Bericht. Sie alle
wollten wissen, was geschehen war.
Betrübten Herzens stand Hong auf. "In aller Frühe machte ich mich auf den Weg na
ch Soon chun. Zwar wurde ich viele Male angehalten und durchsucht, aber ich durf
te doch weitergehen, wenn ich meine Bibel vorzeigte und den Grund für meine Reis
e nannte. Als ich ankam, fielen immer noch Schüsse auf den Straßen. Aber zum Glü
ck traf ich einen Polizisten, den ich kannte. Der versicherte mir, daß der Aufru
hr verebbt sei. Unterwegs hatte ich Leichname auf dem Wege liegen sehen, aber de
r Anblick, der sich mir in der Nähe des Bahnhofes bot, verschlug mir den Atem. T
ote waren zu großen Haufen aufgeschichtet."
Hong versuchte, den Ekel aus seinem Gedächtnis zu verdrängen. Dann fuhr er fort:
"Ich ließ mich im Strom der Menschen treiben, die nach Verwandten, nach Eltern
und Kindern suchten. So schnell ich nur konnte, begab ich mich zu dem Haus, in d
em John und Matthew gewohnt hatten, aber es war verschlossen. Zuerst dachte ich,
daß vielleicht alle fortgegangen seien und wandte mich der Seung choo Kirche zu
. Doch dann überlegte ich es mir, ging noch einmal zum Haus zurück und rief laut
: Ist jemand zu Hause? Ich komme vom Ae yang won. Hört ihr? Vom Ae yang won!" En
dlich öffnete sich die Tür ein wenig und eine Frau blickte durch den Spalt. Als
sie mich sah, rief sie nach Rachel, die zusammen mit Ruth und Diakon Yang heraus
kam. Ihre Augen waren ganz verschwollen vom Weinen. Meine Brüder sind tot! schlu
chzte sie. Obgleich ich auf diese Nachricht schon halb gefaßt war, wurde mir doc
h schwarz vor den Augen. Ich fragte nach ihren Leichnamen. Die seien gefunden wo
rden, sagte sie, und erzählte dann, was geschehen war.
Hong hielt inne und seufzte tief auf. "Am Morgen des 20. Oktober gingen die beid
en wie gewöhnlich zur Schule. Matthew kam früher als sonst nach Hause und berich
tete, daß in der Stadt Unruhen waren. Er hatte Bekannte zum Bahnhof gebracht. Do
rt sei ein Personenzug eingelaufen, der von Soldaten besetzt gewesen sei Kommu
nisten. Die Polizei habe dem Eindringen der Soldaten wehren wollen, und so sei e
s zu einer Schießerei gekommen, so daß die Menschen vor den Geschossen nach alle
n Richtungen geflohen seien. Da habe sich Matthew nach Hause begeben. Später, al
s alle, außer John, aus der Schule zurück waren, machte er sich große Sorgen. Al
lmählich wurde der Gefechtslärm lauter und schien sich dem Stadtzentrum zu näher
n. Da gingen Diakon Yang und Matthew auf die Straße hinaus und erfuhren, daß die
Kommunisten eine Revolte vom Zaun gebrochen hätten die Aufständischen sagten,
die Volksarmee habe den 38. Breitengrad überschritten, Tai gu und auch Pusan se
ien schon besetzt und als nächste Städte sollten Jo su und Soon chun erobert wer
den. Als sie das hörten, versteckten sie sich alle im Keller eines Nachbarhauses
. Bei Einbruch der Dunkelheit kam John nach Hause zurück. Er berichtete, es sei
in der Tat ein kommunistischer Putsch, die Aufständischen hätten die Schule umst
ellt, aber die Schüler schließlich doch nach Hause gehen lassen. Dies, so glaubt
e John, sei ein Konflikt zwischen Recht und Unrecht und eine Herausforderung an
die Christen, zu widerstehen und zu kämpfen. Als Diakon Yang Matthew drängte, si
ch in Sicherheit zu begeben, antwortete er: Jesus ist unsere einzige Sicherheit!
und lehnte es ab, sich zu verstecken."
Hong sprach vom Mut und vom Glauben der beiden Jungen. "Am folgenden Tag, am 21.
Oktober, standen die beiden früh auf, obgleich sie nur wenig geschlafen hatten.
Matthew sagte, er habe einen seltsamen Traum gehabt, aber als ihn Diakon Yang d
arüber befragte, wollte er keine Auskunft geben. Gleich nach dem Frühstück und d
er Andacht schickte John Andrew in den Ae yang won zurück, ging dann zum Brunnen
hinter dem Haus, wusch sich und legte saubere Kleider an. Dann zogen sich die B
rüder zum Gebet zurück. Als sie zu den andern herauskamen, waren sie sehr blaß.
Diakon Yang fragte noch einmal nach Matthews Traum, aber Matthew schwieg. Der Na
chbar, in dessen Keller sich die Hausgemeinschaft den Tag zuvor verborgen hatte,
bat sie erneut zu kommen. Aber Matthew und John wollten nicht. Diakon Yang vers
uchte, sie zur Flucht in den Ae yang won zu überreden, aber sie erwiderten, es s
ei eine Schande, unterwegs gefangen genommen zu werden. Sie wollten bleiben und
der kommenden Gefahr ins Auge sehen. Nach einem kleinen Imbiß begab sich Diakon
Yang in das Haus des Nachbarn. Um etwa zehn Uhr umstellte eine Gruppe lärmender
Studenten das Haus. Schlotternd vor Angst kam der Diakon zurück und fand Matthew
von den Studenten zusammengeschlagen.
,Was wollt ihr von mir?' fragte Matthew. Was habe ich euch getan?'
,Das weißt du nicht? Bist du denn nicht ein gelber Amerikanersklave? Sagtest du
nicht, du wolltest in Amerika studieren?'
,Nein!' erwiderte Matthew, ich bin kein Amerikanersklave. Ich bin Christ und wil
l keine andere Bezeichnung.'
,Halt den Mund! Also du bist immer noch von diesem christlichen Geist besessen?'
,Was wollt ihr damit sagen? Was ist nicht in Ordnung mit dem christlichen Geist,
dem christlichen Glauben? Selbst wenn ihr mir den Kopf abschlagt meinen Glaub
en könnt ihr mir nicht nehmen!'
,Schlagt ihn zusammen!' schrie jemand, und ein anderer schleppte ein Nagelbrett
herbei, das sie auf ihn niederkrachen liegen. Dann wandten sie sich Diakon Yang
im Nebenzimmer zu.
Wer bist du?' ,Ein Zimmermann.' ,Irgendwie verwandt mit diesen beiden da?' ,Nein,
ich bin nur der Besitzer des Hauses.' Frau Yang be¬kräftigte die Antworten ihre
s Mannes. So wurden sie in Ruhe gelassen.
Die Burschen nahmen wieder Matthew aufs Korn und John, der Matthew zu verteidige
n gesucht hatte. Über die Gesichter der Brüder strömte Blut, und ihre Körper ver
färbten sich, wo die Schläge sie getroffen hatten.
Endlich schrie jemand:
,Machen wir Schluß mit ihnen!'
Sie fesselten Matthew mit einem Seil. John mußte die Hände hochnehmen. So wurden
die beiden abgeführt. Einige der Studenten blieben zurück und suchten Bücher un
d andere Habseligkeiten der Brüder zusammen, die gegen sie verwendet werden konn
ten. Ruth hatte dem allem zugesehen und weinte. Aber sie konnte die Studenten mi
t ihren Tränen nicht erweichen."
Hong hielt inne. Er konnte doch nicht sagen, daß Diakon Yang zu feige gewesen wa
r, den Jungen zu folgen, und daß er deshalb nicht wußte, was dann geschah.
So fuhr er fort: "Danach konnte Diakon Yang nur erfahren, daß die Jungen zum Hau
ptquartier der Kommunisten gebracht worden waren. Den ganzen Tag über kamen sie
nicht zurück. Am folgenden Tag, dem 22. Oktober, gelang es den republikanischen
Soldaten endlich, den Aufständischen Einhalt zu gebieten. Diakon Yang und seine
Frau zogen Erkundigungen ein und erfuhren, daß Matthew und John erschossen worde
n waren. Nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihnen, die Leichname zu finden.
Eigenartigerweise waren die Körper der beiden Jungen nicht so zugerichtet wie di
e anderen Opfer des Aufstandes, die die Polizei in ein Feld geworfen hatte. Desh
alb konnten die Yangs mit der Hilfe von Diakon Chung die Leichname auf einer Str
ohbahre ins Haus zurückschaffen. Und dort fand ich sie zwei Tage später."
Mühsam sprach Hong dann von seinen eigenen Erlebnissen. Seine erste Sorge war, d
ie Jungen provisorisch begraben zu lassen. Dabei traf er zufällig die Frau eines
Photographen, die ihm bekannt war. Sie hatte beobachtet, wie die Aufständischen
Matthew und John abgeführt hatten. Von ihr und von einem Schulkameraden der Jun
gen, der sie hatte sterben sehen, erfuhr er Einzelheiten über den Prozeß Einze
lheiten, die der Familie und den Freunden der Jungen sehr wichtig waren.
Die Frau hatte gehört, daß die Aufständischen einige Christen verhaftet und sie
zur Polizeistation geschleppt hatten. Sie fürchtete, daß ihr Mann darunter sei u
nd lief auf die Straße hinaus. Ihren Mann konnte sie zwar nicht entdecken er h
atte sich verborgen und war in Sicherheit , aber sie sah Matthew und John, blut
überströmt, wie sie mit Knüppeln und Gewehrkolben gestoßen und geschlagen wurden
. Dennoch redeten die beiden Jungen ernsthaft auf ihre Peiniger ein, drängten si
e, Buße zu tun und an Jesus zu glauben, baten sie, nicht gegen ihre Landsleute z
u kämpfen, sondern nach dem Geist des christlichen Glaubens zu suchen, durch den
allein sie ihrem Land von Nutzen sein könnten. Die Frau vergaß ihr eigenes Leid
, als sie die Jungen so reden hörte.
Der Klassenkamerad der beiden, der sie hatte sterben sehen, war erst vierzehn Ja
hre alt. Er berichtete, Matthew sei auf den Hinterhof der Polizeistation gebrach
t worden, wo die Toten aufgestapelt lagen. Dort drangen die Studenten auf ihn ei
n.
"Willst du immer noch auf deinem christlichen Glauben beharren? Wenn du bereit b
ist, deinen Glauben aufzugeben und mit uns zusammenzuarbeiten, dann lassen wir d
ich laufen, so wie Myung sin Ro." Sie deuteten auf einen Studenten, der zu ihnen
übergelaufen war.
Matthew ließ sich nicht beirren. "Selbst wenn ihr mich umbringt, meinen Glauben
könnt ihr mir nicht nehmen. Ihr müßt euch ändern, nicht ich. Hört auf mit eurer
Grausamkeit und glaubt an Jesus Christus."
"Vergeudet keine Zeit mit ihm", schrie jemand dazwischen. "Schießt doch endlich!
" Da warf sich John vor Matthew.
"Hört zu", rief er. "Mein Bruder ist der älteste Sohn unserer Familie. Er wird f
ür meine Eltern sorgen müssen, wenn sie alt sind. Bringt mich an seiner Stelle u
m und laßt ihn gehen."
Matthew wand sich, aber er war zu fest gebunden. "John, sei kein Tor. Sie haben
es nicht auf dich abgesehen. Gehe du nach Hause und übernimm meine Pflichten!"
Einer der Burschen riß John beiseite. Ein anderer verband Matthews Augen. Als Ma
tthew merkte, daß er gleich erschossen werden sollte, beschwor er sie: "Ihr müßt
umkehren und an Jesus Christus glauben. Selbst wenn ihr mich jetzt erschießt, i
ch gehe in den Himmel. Aber ihr! Wie könnt ihr der schrecklichen Strafe der ewig
en Verdammnis entgehen?"
Blind vor Zorn gaben die Aufständischen Feuer.
"Vater", schrie Matthew, "nimm meinen Geist auf. Vergib ihre..." Der Satz blieb
in der Luft hängen. Sein Körper kippte vornüber. Die anderen fluchten und schrie
n. Da entwand sich John wie ein Tiger dem Griff seiner Wächter und umfing den Kö
rper seines Bruders.
"Ihr habt meinen Bruder umgebracht. Ihr habt einen Unschuldigen getötet. Wie wol
lt ihr euch rechtfertigen, daß ihr unschuldiges Blut vergossen habt? Kehrt um un
d glaubt an Jesus Christus!"
"Legt den auch um", schrie es aus der Menge.
John antwortete: "Ich folge meinem Bruder, der jetzt schon im Himmel ist. Denn i
ch habe den gleichen Glauben wie er." Dann breitete er seine Arme weit aus: "So
starb mein Heiland am Kreuz, und genauso will ich eure Kugeln erwarten. jetzt kö
nnt ihr schießen."
"Dieser Kerl ist ja noch schlimmer als sein Bruder", bemerkte einer der Studente
n. Die Salve krachte. Johns letzte Worte waren ein Gebet: Vater, vergib ihre Sch
uld. Hilf ihnen, umzukehren. Nimm du meinen Geist auf und sei mit meinem Vater u
nd ..."
Sein Körper fiel leblos über den seines Bruders.
"Sie starben wie Stephanus", beendete Hong seinen Bericht. "Gelobt sei der Herr,
der sie durch ihr tägliches Leben, ihr Leben im Glauben, vorbereitet hat, als M
ärtyrer zu sterben."
Pastor Son trat vor die Gemeinde.
"Liebe Brüder, ich glaube ganz sicher, daß meine beiden Söhne Matthew und John b
ei Gott sind. Ihre Mörder aber werden der ewigen Verdammnis nicht entgehen, wie
Matthew sagte. Das läßt mich nicht los. Kann ich, der ich das Evangelium verkünd
ige, die Mörder meiner Kinder umkommen lassen?"
Selbst wenn sie Fremde wären, müßte er sich um sie bemühen. Wo sollte das enden,
wenn sich Menschen eines Volkes gegenseitig umbrachten? Die eine Seite rächte s
ich an der anderen. Mußte das nicht zum völligen Untergang führen? Jemand sollte
nach Soon chun zu Pastor Duk Whan Ra gehen. Pastor Ra sollte dafür sorgen, daß
die Mörder seiner Söhne, wenn man sie aufspürt, nicht geschlagen oder getötet wu
rden. "Ich will versuchen, sie zu Jesus zu bekehren und sie als meine Söhne adop
tieren." Und da Matthew und John Pastoren werden und der Ae yang won Kirche an s
einer Stelle einmal dienen wollten, sollten sie nicht in Soon chun, sondern hier
in den Hügeln des Ae yang won begraben werden. "Dies sind meine beiden Wünsche
an euch und an meinen himmlischen Vater."
Frau Son tat wie gewöhnlich ihre Arbeit. Aber sie war stumpf und in sich gekehrt
. In chai Li, der Laienpastor, versuchte sie zu trösten, aber es gelang ihm nich
t. Heute sollten die Leichname der beiden Jungen ankommen. In einer Stunde würde
der Lastwagen da sein, den die Kirchenleitung des Ae-yang won dafür bestellt ha
tte. Auch Pastor Son war einsilbig und niedergeschlagen. Gestern noch hatte er s
o voller Glauben und Kraft gesprochen. Aber jetzt beugte ihn tiefe Trauer. Er ka
m nicht los von dem Gedanken, daß ihm all diese Nöte und Sorgen auferlegt seien,
weil er schwer gesündigt hatte.
Sie standen um den Frühstückstisch.
"Sprichst du das Dankgebet heute?" Li, überrascht, wußte nicht, wie er an einem
solchen Tage danken sollte, aber er begann: "Lieber Vater, wir danken Dir für De
ine unendliche Liebe." Er hielt inne. "Wir danken Dir, daß Du denen, die Dich li
eben, alle Dinge zum besten dienen läßt. Wir danken Dir, daß es Dir gefallen hat
, das Leben unseres Pastors während seiner Gefangenschaft und während seines Pro
zesses zu schonen, und daß Du dafür diese beiden wertvollen Leben zu Dir genomme
n hast. Alle drei waren Dir geweiht, Vater, und Du hast eines erhalten und zwei
genommen. Wir wissen nicht, warum; aber wir wissen, daß Du Deinen Plan damit has
t, und wir bitten Dich, daß Du uns diesen Sinn zeigst. Segne uns jetzt diese Spe
ise, die Du uns geschenkt hast, und hilf uns, nach Deinem Willen zu leben. Das a
lles bitten wir im Namen Deines Sohnes."
Pastor Sons Augen glänzten, und Freude schwang in seiner Stimme. "Li, ich bin di
r wirklich sehr dankbar."
Durch dieses Gebet hatte Gott ihn wieder aufgerichtet, ihn befreit von den quäle
nden Selbstvorwürfen. Jetzt wartete er gespannt darauf, daß Gott Licht warf auf
den Weg, der vor ihm lag. Als die Särge mit seinen Söhnen ankamen, ging er selbs
t dem Trauerzug voran, und triumphierend sang er das Lied der auferstandenen Chr
isten:
Wenn dann zuletzt ich angelanget bin im schönen Paradeis,
von höchster Freud erfüllet wird der Sinn, der Mund von Lob und Preis.
Das Halleluja reine man spielt in Heiligkeit,
das Hosianna feine ohn' End in Ewigkeit,
mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, in Chören ohne Zahl,
daß von dem Schall und von dem süßen Ton sich regt der Freudensaal,
mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr,
wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer.
Pastor Sons Anblick sprach von dem Leid, das tief verwundet, aber nicht überwält
igen kann, das den Kelch der Traurigkeit füllt, aber nicht überfließen läßt. Es
war der Anblick eines trauernden Vaters, der sich von den Ewigen Armen Gottes ge
tragen weiß.
Ein paar Wolken hingen im hohen Himmel, und der Wind raschelte in den Herbstblät
tern. In der Ferne breitete sich das Meer aus, aber den Trauernden schien es wie
der Jordanfluß. "Die Blätter fallen, und wir sind nicht traurig, daß sie welk w
erden. Aber die beiden, die wir beweinen, waren wie Knospen. Sie wurden im Frühl
ing gepflückt ... Wie schwer war ihr kurzes Leben, Herr! Vater, vergib, daß wir
so traurig sind!"
Der Beerdigungsgottesdienst nahm seinen Lauf. Li sprach über einen Text aus der
Offenbarung, kraftvoll und tröstend. Seine Worte stärkten die heimgesuchte Famil
ie und die trauernden Kranken.
Dann trat Pastor Son vor. Seine Bewegungen waren schwer, aber seine Stimme klang
frisch.
"Ich will nicht die übliche lange Antwortrede halten. Dafür zähle ich die vielen
Wohltaten auf, die der Herr mir erwiesen hat, und ich will Ihm dankbar dafür se
in.
Ich danke dem Herrn, daß er mich sündigen Menschen zum Vater von Märtyrern hat w
erden lassen.
Ich danke dem Herrn, daß er mich unter seinen vielen Jüngern erwählt hat, diese
wertvollen Schätze zu hüten.
Ich danke dem Herrn, daß ich ihm meine beiden ältesten Kinder, gerade sie, die F
reude und Ehre jedes Vaters, habe geben dürfen."
Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Die Trauernden schlossen die Augen, um die
aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Aber es gelang nicht. Sie alle wußten, daß
er sich mit dem großen Verlust abgefunden hatte. Aber sollte er wirklich so vol
ler Dankbarkeit sein?
"Ich danke für das Vertrauen des Herrn, daß er mir die Ehre erweist, nicht nur e
inen, sondern zwei Söhne hinzugeben." Pastor Son hatte sich wieder gefangen.
"Wenn es schon segensreich ist, nach einem christlichen Leben im Bett zu sterben
, wie viel mehr Segen liegt darauf, nach der Verkündigung des Evangeliums als Mä
rtyrer sein Leben zu lassen.
Ich danke dem Herrn dafür.
Ihr alle wißt, daß meine Söhne nach Amerika gehen wollten. Aber der Herr hat sie
zu sich geholt, an einen viel besseren Ort. Deshalb bin ich voller Frieden.
Ich danke dem Herrn.
Ich danke dem Herrn für die Liebe, die er mir geschenkt hat. Er wird mir helfen,
den Feind, den Mörder meiner geliebten Söhne, zu bekehren und ihn als meinen So
hn anzunehmen."
Tiefe Stille. Das erschien so widernatürlich, so unfaßbar! Einige jedoch wußten
schon von dem Boten, der dieses Anliegen ausführen sollte.
"Ich glaube, daß das Martyrium meiner Söhne vielen Söhnen den Weg in das himmlis
che Reich weisen wird, und dafür danke ich und preise ich Gott.
Ich danke dem Herrn, daß er mein Herz erfüllt und froh gemacht hat. Er half mir,
diese acht Wahrheiten zu erkennen. Dafür und für seine unendliche Liebe, mit de
r er mich in Zeiten der Prüfung umgeben hat, kann ich ihm nicht genug dankbar se
in."
Lächelnd erhob Pastor Son das Gesicht:
"Ich danke Dir, Herr, für all Deine Wohltaten, die Du mir erwiesen hast. Aber ic
h weiß, daß ich sie nicht verdient habe. Ich glaube, Du lohnst damit die Fürbitt
e meines Vaters und meiner Mutter, die 35 Jahre lang jeden Morgen treu für mich
gebetet haben, und Du erhörst die Gebete meiner lieben Brü¬der hier, die 23 Jahr
e mich und meine Familie vor Dich gebracht haben. Ich danke euch allen."
V.
Pastor Duk Whan Ra wälzte sich auf seinem Lager. Er hatte Fieber. Seit dem Aufst
and hatte er nicht schlafen können, und tagsüber war er rastlos darum bemüht, Fa
milien zu retten, die unter falschen Anschuldigungen gefangen gehalten wurden. J
etzt fühlte er sich so zerschlagen, daß er nicht aufstehen konnte.
Jemand trat in den Hof. Dann hörte er seine Tochter Soon-keum rufen.
"Rachel, wie kommst du hierher? Vater, Mutter, Rachel ist hier!"
Rachel! Pastor Ra stöhnte. Seine eigenen fünf Kinder waren während des Aufstande
s nicht zu Schaden gekommen, und die beiden ältesten Söhne Pastor Sons, die ihm
anvertraut waren, lebten nicht mehr! Er hätte dieses Unglück nicht verhindern kö
nnen, aber er wurde das Gefühl nicht los, daß er irgendwie versagt hatte. Deshal
b betrübte ihn Rachels Kommen. Vor ein paar Tagen noch hätte er sie freudig begr
üßt, aber jetzt überkam ihn ein Vorgeschmack auf das Zusammentreffen mit Pastor
Son, das er so scheute, und er wagte nicht, ihr gegenüberzutreten. Freilich, so
tröstete er sich, hatten die beiden Jungen ruhmreich ihr Leben gelassen. Und ihr
Begräbnis hatte, wie er gehört hatte, ihrem Märtyrertod alle Ehre getan. Aber
konnte das Herz eines Vaters dadurch wirklich getröstet werden? Würde er nicht
doch um seine Söhne trauern und bitter sein gegen die Verschulder ihres Todes?
Aber Rachel war schon an der Tür. Hastig stand er auf. "Komm herein, Rachel", ba
t er. Soon keum, die nicht ahnte, wie niedergeschlagen ihr Vater war, führte die
Freundin ins Zimmer. Rachel schien traurig, aber doch sehr gefaßt. Pastor Ra wo
llte sie irgendwie trösten, aber er suchte vergeblich nach einem passenden Wort.
Da kam seine Frau aus der Küche herüber.
"Rachel" rief sie aus, "wie schrecklich für deinen Vater und für deine Mutter!"
"Ja", erwiderte Rachel. "Zuerst waren sie sehr traurig. Mutter brach zusammen un
d selbst Vater weinte, aber dann sagte er, er sei dankbar, daß meine Brüder als
Märtyrer gestorben seien. Beim Begräbnis nannte er die Gründe für seine Dankbark
eit gegen den Herrn."
Pastor Ras Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Wofür denn nur?"
"Ich weiß nicht mehr alles, aber er sagte, er sei dankbar, daß er Vater zweier M
ärtyrer sein dürfe, daß zwei seiner Söhne starben und nicht nur einer, daß es se
ine beiden ältesten waren und nicht die jüngeren ..." Rachel wiederholte, was si
e noch vermißte; einen Punkt nach dem andern zählte sie auf.
Pastor Ra war überwältigt. Wenn Rachel gesagt hätte "Mein Vater und meine Mutter
können dir nicht verzeihen, weil du nicht auf meine Brüder achtgegeben hast und
zuließest, daß sie getötet wurden", dann hätte er es verstehen können. Aber die
se Worte des Dankes ... Schon wegen seines dreiundzwanzigjährigen Dienstes an de
n Leprakranken und wegen seiner fünfjährigen Haft nahm Pastor Son unter den Past
oren des Landes eine besondere Stellung ein. Aber daß er jetzt für den Tod seine
r ermordeten Söhne dankte, das übertraf bei weitem alles. Als Rachel weitersprac
h, traten Tränen in Pastor Ras Augen. Jetzt endlich verstand er, was Pastor Son
ihm hatte sagen lassen: daß die Mörder seiner Söhne, wenn sie gefunden würden, n
icht getötet oder gefoltert werden sollten. Er selbst wolle sie an Sohnes Statt
annehmen und sie zu Christus führen. Pastor Ra solle diese Sache in die Hand neh
men. Diese Bitte hatte ihm sehr eigenartig geklungen, und je mehr er darüber nac
hsann, um so hoffnungsloser erschien sie ihm. Wie oft schon hatte er unschuldig
Gefangengehaltene für Christus gewinnen wollen, aber ohne Erfolg! Wie viel schwi
eriger mußte es sein, wenn man tatsächlich einen Schuldigen vor sich hatte! Aber
während Rachel sprach, begann er, Pastor Son zu verstehen.
"Sag uns, was hat dein Vater noch gesagt?" bat er. Rachel dachte einen Augenblic
k nach. "Er sagte, er sei dankbar, daß der Herr ihm Gnade geschenkt habe, denen
zu vergeben, die meine Brüder getötet haben, und daß er sie adoptieren wolle. De
shalb bin ich hier. Park, einer unserer Ältesten, hat ihnen diese Botschaft zwar
schon überbracht, aber ich soll Sie bitten, diesen Wunsch bestimmt auszuführen.
Vater sagte, er wolle zu Hause dafür beten, daß es Ihnen gelingen möge."
Pastor Ra wandte sich um und breitete seine Gedanken und Bitten vor Gott aus. Pa
stor Son schien ihm groß, so wie Abraham, der bereit war, seinen einzigen Sohn z
u opfern. Aber er war nicht mehr erstaunt darüber, denn es war ja der Geist Gott
es, der sie beide so groß machte der Geist des Gottes, der seinen einzigen Soh
n in den Tod gab, um die Welt zu erretten! Aus vollem Herzen pries und lobte er
den Herrn für seine Gnade und dafür, daß er Pastor Son sich so ähnlich gemacht h
atte. Jetzt wußte er auch, was er zu tun hatte. Seine Niedergeschlagenheit war w
ie weggewischt. Er war nicht länger davon überzeugt, daß dieses Unterfangen auss
ichtslos sei. Leichten Herzens erhob er sich, gerade als sein Sohn in das Zimmer
trat. Che min begrüßte Rachel und wandte sich an Pastor Ra.
"Vater, der Junge, der Matthew und John erschossen hat, ist gefaßt. Der Studente
nrat will die Anklage zusammenstellen und ihn an die Armee ausliefern." Das war
ein Zeichen Gottes! Pastor Ra bat Rachel, im Haus zu warten, und machte sich mit
Che min eilends auf den Weg.
"Pastor Ra ist wieder da", rief jemand vom Hof. Soonkeum und Rachel stürzten hin
aus und sahen ihn mit einem alten Mann betrübt in die Kirche treten und niederkn
ien. Die beiden Mädchen und Frau Ra folgten leise und hörten gerade noch die let
zten Worte des Gebets:
"Lieber Herr, der du Paulus durch den Tod des Stephanus umgewandelt hast, bitte
hilf uns. Hilf uns um dieses geprüften Vaters willen, aber vor allem, damit Dein
Name geehrt werde. Wir wissen nicht weiter. Nur Deine Kraft kann die Verantwort
lichen erweichen, daß sie auf unsere Bitte hören. O Vater, nur Du kannst unser L
and und unser Volk retten."
Che min hatte seinen Vater zu dem Haus geführt, wo der Studentenrat Gefangene fe
sthielt und verhörte. Dort fanden sie Chai sun, den Jungen, der beschuldigt wurd
e, Matthew und John erschossen zu haben. Chai sun lag auf dem Boden. Offenbar wa
r er grausam geschlagen worden. Seine Mutter hielt ihn umfangen und weinte und f
lehte um Gnade. Aber die Studenten setzten unbeirrt ihr Verhör fort.
"Wenn du nicht geschossen hast, wer dann?" Sie machten Anstalten, wieder auf ihn
einzuschlagen, aber die Mutter hinderte sie daran.
Chai sun, zitternd und völlig verängstigt, antwortete:
"Ich gab nur einen Schuß auf den Leichnam ab, nachdem er schon gefallen war."
"Wie sehr mußt du den Studenten gehaßt haben, um noch auf seinen toten Leib zu f
euern. Auf welchen der beiden Brüder hast du geschossen?"
"Auf Matthew", kam die unsichere Antwort. Die Studenten glühten vor Zorn.
Die Armee der Nationalen hatte den Aufstand niedergeschlagen und war nun dabei,
die Ordnung wiederherzustellen. Damit dies zügig vor sich gehe, hatte sie den St
udentenrat und die Polizei beauftragt, Aufständische aufzuspüren, zu verhören un
d dann an die Armee auszuliefern. Zwar kam es da und dort zu falschen Anklagen.
Im allgemeinen jedoch gingen die Untersuchungen sorgfältig und gründlich vonstat
ten, denn auf die Verurteilten wartete die Hinrichtung. Chai sun war mit einer S
chußwaffe gesehen worden. Außerdem fanden sich Zeugen dafür, daß er gemeinsam mi
t den kommunistischen Studenten auf die beiden Brüder geschossen habe. Aber er b
lieb hartnäckig dabei, nichts damit zu tun zu haben, bis die Studenten begannen,
auf ihn einzuschlagen. Ein junger Nationalarmist verfolgte gespannt das Verhör.
Pastor Ra stand eine kleine Weile unschlüssig, dann trat er beherzt vor. "Es tut
mir leid, das Verhör zu unterbrechen, aber ich möchte gern etwas vorbringen.'
"Wer sind Sie?" fragte ein Student.
Doch ehe der Pastor antworten konnte, rief ein anderer:
"Sie sind der Vater von Che min, nicht wahr?"
Pastor Ra wurde aufgefordert, sein Anliegen vorzutragen. Taktvoll und behutsam s
prach er von Pastor Sons Bitte, die Mörder seiner Söhne, wenn sie gefunden würde
n, nicht zu mißhandeln oder zu töten. Denn Pastor Son wolle sie adoptieren und z
u Christus bekehren.
Sofort erhoben sich protestierende Stimmen. Dies sei nicht die Zeit, Begnadigung
en zu fordern, man würde ihn nur mißverstehen. Und außerdem, sie hätten ihre aus
drücklichen Befehle. Einer solchen Bitte könnten sie nicht stattgeben. Der Solda
t, der still zugehört hatte, erhob sich und verließ den Raum. Rasch folgte ihm R
a und bat ihn um Hilfe. Da wandte sich der Soldat scharf um, tat Pastor Ras Ansi
nnen als Torheit ab und ging weiter.
Auch die Polizei wollte nichts damit zu tun haben. Das Land unterstehe Militärre
cht, Pastor Ra solle sich an die Leitung der Nationalen Armee wenden. Entschloss
en suchte Ra ein Mitglied des Nationalen Rates auf, einen Mann von beträchtliche
m Einfluß. Aber als er sein Anliegen nannte, wurde ihm nahegelegt, die ganze Ang
elegenheit fallen zu lassen, weil sie ihn bei der Regierung in Ungnade stürzen k
önne.
Entmutigt und ratlos irrte Pastor Ra durch die Straßen. Da hielt ihn ein alter M
ann an, vergewisserte sich, daß er tat¬sächlich Pastor Ra vor sich hatte, und st
ellte sich als der Vater von Chai sun vor.
"Was kann ich für Sie tun?" fragte Pastor Ra freundlich.
Der Mann antwortete, seine Frau habe ihm berichtet, wie Pastor Ra für seinen Soh
n eingetreten sei. Er wolle ihm herzlich danken und ihn bitten, den Jungen zu re
tten. Er sei unschuldig.
Pastor Ra war plötzlich sehr müde. Wenn Chai sun unschuldig war, dann traf Pasto
r Sons Auftrag nicht auf ihn zu, und er hätte nicht die Pflicht, ihn um jeden Pr
eis zu retten. Der Vater wußte natürlich nichts davon. Wenn er es wüßte, hätte e
r dann zugegeben, daß sein Sohn schuldig sei? Wie sollte er, Pastor Ra, aber wis
sen, was wirklich der Wahrheit entsprach? Er war verwirrt. Verzweifelt schrie er
in seinem Herzen nach einer klaren Weisung. Dann führte er den alten Mann in di
e Kirche, um zu beten. Unterwegs erzählte er ihm von Pastor Son. Es stellte sich
heraus, daß Chai suns Vater auch im Kwang ju Gefängnis gewesen war. Damals hatt
e er viel von diesem Pastor gehört, und er hatte ihn immer kennenlernen wollen.
Zweifellos mußte das Pastor Son gewesen sein. Jetzt sollten sich ihre Wege also
auf diese Weise kreuzen.
Der alte Mann hatte noch nie eine Kirche betreten und meinte, die Bibelverse zu
beiden Seiten der Kanzel seien dazu da, um böse Geister fernzuhalten, wie die Sc
hriftzeichen, die er und seine heidnischen Nachbarn in ihren Häusern befestigten
. Wie Pastor Ra beugte auch er sein Haupt. Aber mit Pastor Ras Gebet konnte er n
ichts anfangen. Er kannte nur den Singsang vor den Götzen, und so klang ihm auch
das Gebet. Er wiederholte nur immer wieder: "Rette meinen Sohn, rette ihn!"
Gestärkt durch das Gebet erhob sich Pastor Ra und wollte die Kirche verlassen. D
a kam Che min.
"Sie haben ihn in das Pal wang Café gebracht."
"In ein Café?"
"Ja, in das Pal wang Café. Es ist von der nationalen Armee besetzt."
Der Vater meinte, sein Sohn würde nun sicherlich hinge¬richtet, und stöhnte auf:
"Was soll ich tun?" So schnell sie nur konnten, folgten sie Che min.
"Wer da? Was wollen Sie?" Pastor Ra fuhr erschrocken zusammen. Aber er fing sich
schnell.
"Ich bin Duk Whan Ra, Pastor der Seung choo Kirche."
"Ein Pastor? Was wollen Sie?"
Pastor Ra wies seinen Ausweis vor. "Ich habe eine wichtige Botschaft zu überbrin
gen."
"Was für eine?" Der Wachposten sprach ein wenig freundlicher.
"Ich muß die Verantwortlichen sprechen, die über diesen Gefangenen hier entschei
den." Bei einem schnellen Blick in das Innere des Raumes erkannte Ra den Soldate
n, den er schon beim Studentenrat gesehen hatte. "Dort steht der Mann, den ich s
prechen muß!" rief er aus und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Der Posten, überrumpelt, wollte ihn zurückholen. Da gewahrte er Chai suns Vater
am Tor.
"Und Sie, wer sind Sie?" forderte er barsch.
"Der Vater des Jungen", erwiderte der alte Mann. Da Pastor Ra wußte, daß der Pos
ten nicht auch noch den Vater einlassen würde, ging er allein weiter.
Im Verhandlungsraum sah er Chai sun wieder auf dem Boden liegen. Wieder kniete s
eine Mutter neben ihm und weinte und bat um sein Leben. Immer noch bestritt Chai
sun, an der Erschießung von Matthew und John teilgenommen zu haben. Deshalb kon
nte er nicht verurteilt werden. Seine Verhörer schäumten vor Wut über diese Verz
ögerung.
Pastor Ra bat den Posten, mit Chai sun sprechen zu dürfen. Ärgerlich willigte de
r Soldat ein.
"Ich bin Pastor Ra von der Seung choo Kirche. Du mußt mir die Wahrheit sagen. Ic
h komme im Auftrag von Pastor Son, dem Vater der beiden Jungen, die du erschosse
n haben sollst. Warst du unter den Studenten, die Pastor Sons jungen umgebracht
haben?"
Chai sun blickte erstaunt auf. Pastor Ra sprach so ganz anders als die Studenten
und die Soldaten, die ihn unbedingt verurteilen wollten. "Nein, ich habe sie ni
cht getötet", antwortete er.
"Stimmt das wirklich?"
"Ja!"
"Dann kann ich nichts für dich tun."
Verblüfft blickten alle Anwesenden auf Pastor Ra Chaisun, seine Mutter, die So
ldaten und selbst Che min, der unbemerkt hereingeschlüpft war , sie alle wartet
en förmlich auf eine Erklärung.
"Ich habe nicht nur den Auftrag, Pastor Sons Bitte zu überbringen, sondern ich s
oll auch darauf sehen, daß sie ausgeführt wird. Pastor Son bat, daß die Mörder s
einer Söhne, wer immer sie auch seien, nicht verurteilt, sondern begnadigt würde
n. Ich bin den Schuldigen verpflichtet, die Unschuldigen gehen mich nichts an."
Pastor Ra sah verzweifelt um sich. Er war erfüllt von dem Verlangen, seine Aufga
be auszuführen. Und doch brach es ihm fast das Herz, diesen armen hilfsbedürftig
en Jungen zurückzustoßen. Nur mühsam konnte er die Tränen hinunterkämpfen.
Da schlang Chai sun flehentlich seine Arme um Pastor Ra und würgte heraus: "Rett
en Sie mich. Ich war bei den Aufständischen und ich habe die Jungen erschossen.
Retten Sie mich, bitte retten Sie mich!"
War dieses Geständnis wahr? Oder war Chai sun schon so zermürbt, daß er alles au
f eine Karte setzte, daß er bereit war, sich auf der Stelle verurteilen und hinr
ichten zu lassen, in der kleinen Hoffnung, daß Pastor Ra ihn retten würde? Sein
Bericht schien der Wahrheit zu entsprechen. Während des kommunistischen Sturms a
uf Soon chun seien die aufständischen Studenten bei ihm vorbeigekommen und hätte
n ihn gezwun¬gen, sich ihnen anzuschließen. Er sei also mit zu Matthew und John
gezogen und habe die beiden Jungen zusammenschlagen helfen, weil ihm nichts ande
res übriggeblieben sei. Auf dem Hinrichtungsplatz sei er dann mit vier anderen z
um Schießkommando bestimmt worden, und er hatte, wenn auch widerwillig, dem Befe
hl gehorcht.
"Und wie kamen die beiden Jungen ums Leben?"
"Wir schossen alle fünf. Ich weiß nicht, ob meine Kugel traf, aber ich gab noch
zwei Schüsse auf Matthew ab, als er schon gefallen war."
In dem kurzen beklemmenden Augenblick, der Chai suns Geständnis folgte, jagten P
astor Ra die verschiedensten Erwägungen durch den Kopf.
Er war natürlich nicht sicher, ob Chai sun die Wahrheit gesagt hatte. Aber das k
onnte er jetzt nicht beurteilen. Durch sein, Pastor Ras, Eingreifen hatte sich d
er Junge sein eigenes Urteil gesprochen. Wenn er ihn nicht losbekommen konnte, w
ürde Chai sun in Kürze hingerichtet. Dieser Gedanke drängte ihn zum Handeln.
"Wenn das so ist", sagte er laut, "dann will ich alles daransetzen, um dich zu r
etten."
Irgendwo waren vielleicht noch vier andere, die ein Recht auf Pastor Sons Verzei
hen hatten. Vielleicht suchten die Soldaten schon nach ihnen, und er würde sich
auch für sie verwenden müssen ... Aber diese Überlegungen konnte er jetzt nicht
weiterspinnen. Die nächsten Schritte lagen klar vor ihm.
Noch einmal wandte er sich an den Soldaten und bat um Begnadigung. Der Soldat be
stätigte ihm nur, was er befürchtet hatte, was auf ihm lastete und ihn zur Eile
drängte daß der Fall jetzt abgeschlossen sei; die Hinrichtung des Gefangenen s
ei jetzt gewiß. Pastor Ra flehte und versicherte, daß christliches Vergeben das
Leben eines Schuldigen umwandeln und auch andere Menschen zum Guten beeinflussen
könne. Aber solche Argumente schienen den Soldaten nur aufzubringen. Er wisse n
ichts von den Gesetzen des göttlichen Wirkens, er kenne nur die Gesetze seines L
andes, und die würde er verletzen, sagte er, wenn er den jungen freiließe. Pasto
r Ra bat um Zeit, um beim Präsidenten Syngman Rhee Berufung einlegen zu können.
Das wurde abgelehnt.
Vor dem Café fuhr ein Jeep vor, und ein Offizier trat in den Raum. Der Soldat st
and stramm.
"Alles in Ordnung. Wir warten auf den Lastwagen, der den Gefangenen zur Hinricht
ung bringen soll."
"Der Lastwagen sollte schon da sein", erwiderte der Offizier. "Aber er hatte ein
e Panne. Es wird etwa eine halbe Stunde dauern ... was wollen all die Leute hier
?"
"Verwandte des Jungen."
"Schick sie weg. Ich komme später wieder."
Der Offizier schwang sich auf den Jeep und fuhr an.
Pastor Ra wußte nicht mehr aus noch ein. Er hatte gehofft, mit dem Offizier spre
chen zu können, denn offenbar hatte er das letzte Wort über Leben oder Tod des G
efangenen. Aber die Gelegenheit war ungenützt verstrichen. Die Worte des Offizie
rs trafen ihn wie Nadelstiche in einer halben Stunde würde der Junge hingerich
tet. Noch einmal flehte er den Soldaten an, ihm Zeit zu lassen. Er wolle sich an
den Präsidenten wenden. Wütend machte der Soldat den Pastor darauf aufmerksam,
daß er mißverstanden und als Kommunistenfreund bestraft werden würde, wenn er we
iter für den Jungen bat. Schließlich kam Pastor Ra Rachel in den Sinn. Die sollt
e ihres Vaters Wunsch vorbringen. Der Soldat willigte erleichtert ein, denn er h
offte, den Pastor auf diese Weise loszuwerden. Der Lastwagen war ja schon unterw
egs.
"Che min", befahl Pastor Ra, "hol sofort Rachel her!"
Kostbare Minuten verstrichen, und Pastor Ra meinte schon, die Kinder kämen nie z
urück. Würde es Rachel noch vor dem Lastwagen schaffen? Endlich kamen sie, ganz
atemlos. Rachel, klein und zierlich, ein freundliches, lebhaftes Schulmädchen, d
och von Trauer gezeichnet, erwärmte die frostige Atmosphäre des Raumes. Alle Aug
en wandten sich ihr wohlwollend zu. Pastor Ra stellte sie hastig vor.
"Das ist die Tochter von Pastor Son und die Schwester von Matthew und John."
"Wie heißt du?" fragte der Soldat.
"Rachel Son."
"Wie alt bist du?"
"Dreizehn." Ihre Antworten kamen erstaunlich ruhig und gesammelt.
"Seit wann bist du in Soon chun?"
"Ich ging heute früh von zu Hause fort."
"Und warum bist du hier?"
Pastor Ra schloß die Augen und betete stumm ein flehentliches Gebet.
"Mein Vater bittet, daß derjenige, der meine Brüder getötet hat . . ." Sie mußte
schlucken. Entschlossen biß sie sich auf die Lippen und fuhr fort: . nicht getö
tet oder mißhandelt werden soll ... sondern . . Sie brach in Tränen aus. Auch Ch
aisuns Mutter schluchzte auf. Selbst der Soldat mußte an sich halten, um seine R
ührung nicht zu zeigen.
Rachel hatte nichts anderes gesagt als Pastor Ra, aber auch der Abgebrühteste un
ter den Anwesenden verstand etwas von der Tiefe der Trauer, die Rachel und ihre
Familie beugte. Aber er sah auch, wie mächtig sie erfaßt waren von der Gewalt de
r Liebe, daß sie dem vergeben konnten, der all dieses Leid über sie gebracht hat
te.
Der Soldat gab nach. Als der Lastwagen vorfuhr, bat er Pastor Ra, ihn zum Studen
tenrat zu begleiten. Nach kurzer Beratung wandte er sich an den Pastor: "Ich übe
rlasse Ihnen den jungen. Vor meinem Vorgesetzten werde ich dafür schon geradeste
hen."
14. November 1948.
"Ist da jemand?"
"Pastor Son!" Erstaunt stieg Frau Ra das Tor der Seung-choo Kirche auf und bat i
hn, einzutreten.
"Kann ich mit Pastor Ra sprechen?"
"Nein, er ist unterwegs und will einige Besuche machen, aber er wird wohl nicht
lange ausbleiben." Pastor Son wollte warten. Er sah sehr blaß aus.
"Was haben Sie alles durchgemacht, Pastor Son!" rief Frau Ra aus.
"Der Herr hat es so gewollt. Wir können über diese Dinge nicht bestimmen."
Ein Schatten glitt über Pastor Sons Gesicht.
Frau Ra schossen Tränen in die Augen. "Und Ihre Frau. Wie sehr muß sie gelitten
haben!"
"Ja, wahrscheinlich braucht sie deshalb so viel Ruhe", antwortete Pastor Son abw
esend, als spräche er nicht von seinen eigenen Sorgen.
"War es schwierig, durchzukommen?"
"In der Nähe der Chang dai Brücke wurde ich angehalten. Aber als ich sagte, ich
sei Pastor Son, da waren die Soldaten sehr freundlich und ließen mich passieren.
"
"Sie wissen es also schon", erwiderte Frau Ra. Die Geschichte von Chai suns Begn
adigung hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herumgesprochen. "Und was habe
n Sie jetzt vor?"
"Ich soll in Pusan, in der Cho ryang Kirche, eine Evangelisation leiten."
"Aber Sie sollten noch etwas ausruhen. Sie sind doch sicher noch recht schwach,
nach all dem, was Sie durchgemacht haben?"
"Das stimmt schon, aber ich habe zugesagt, und ich kann mich nicht immer mit mei
nen Sorgen entschuldigen."
Angelegentlich erkundigte er sich nach Pastor Ras Gesundheit und erfuhr dann von
Frau Ra, wie es zugegangen war, daß Chai sun vor der Hinrichtung bewahrt blieb.
"Wo wohnt er?" fragte Pastor Son.
"Wer?" - "Chai sun." - "Warum?" - "Ich würde ihn gern besuchen."
Frau Ra schnappte nach Luft. Es schien einfach unfaßbar, daß er den Jungen jetzt
schon sehen wollte.
"Sie können ihn später kennenlernen", drängte sie.
"Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten", erwiderte Pastor Son. "Ich will ihn
heute noch sehen und versuchen, ihn zum Heiland zu führen. Vielleicht komme ich
später nicht mehr dazu. Außerdem weiß er, daß wir uns eines Tages gegenübertret
en müssen, und es wäre freundlicher, ihn nicht so lange auf die Folter zu spanne
n."
Pastor Sons rücksichtsvolle Sorge um Chai sun und dessen Familie lieg Frau Ra ve
rstummen. Pastor Son wollte sogleich aufbrechen, und da über die Stadt ein Ausge
hverbot verhängt war und es schon spät wurde, beschlossen sie, nicht auf Pastor
Ras Rückkehr zu warten. Zusammen machten sie sich auf den Weg.
"Da sind wir", sagte Frau Ra. "Lassen Sie mich vorgehen." Pastor Son wartete an
der Tür und sah sich um. Im Haus schien ein kleiner Fischladen zu sein. Nach ein
er kurzen Weile kam Frau Ra zurück, begleitet von einer untersetzten Frau, die k
ummervoll den Kopf hängen ließ. Ihnen folgten die anderen Glieder der Familie mi
t vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen.
Sie hatten den Pastor aufsuchen wollen, sobald das Reisen leichter würde. Dag er
ihnen jetzt zuvorgekommen war, beschämte sie. Der Vater und die Mutter suchten
verzweifelt nach Worten, und die Söhne blickten noch verlegener drein. Mit einem
Gebet im Herzen machte Frau Ra Pastor Son mit Chai sun bekannt.
"Komm her", bat Pastor Son.
"Verbeuge dich vor Pastor Son, Chai sun!" befahl der Vater mit unsicherer Stimme
. In den sechzig Jahren seines Lebens war er sich noch nie so hilflos vorgekomme
n wie jetzt. Chaisun konnte nur mühsam niederknien. An den Wunden im Gesicht, di
e zum Teil noch offen waren, sah Pastor Son, daß Chai sun gerade erst soweit gen
esen war, um das Bett verlassen zu können.
"Du bist also Chai sun!" Pastor Son ließ seinen Blick prüfend über Chai suns Ges
icht gleiten. Dann faßte er ihn bei der Hand. Hab keine Angst. Ich habe dir scho
n vergeben." Er sah die Tränen in Chai suns Augen. "Ich habe dir schon vergeben,
und auch Gott sehnt sich danach, dir zu vergeben."
Chai suns Vater trat vor. "In unserem Hause", sagte er, "kommen Sie gleich nach
der Sonne." Das war die höchste Anerkennung, die er einem Menschen zollen konnte
. "Wir können Ihnen nicht sagen, wie sehr wir Ihnen danken. Ich habe schon im Kw
ang ju Gefängnis von Ihnen gehört. Ich war zur gleichen Zeit dort wie Sie. Schon
damals wollte ich Sie kennenlernen. Daß ich Ihnen jetzt so gegenüberstehe, tut
mir sehr leid aber es macht mich auch froh."
Er rang nach Worten. Dann fuhr er in tiefer Ehrerbietung fort: Ich wollte Sie be
suchen, sobald das Reisen einfacher würde. Es schmerzt mich zutiefst, daß ich Si
e zuerst habe kommen lassen. Ich will jetzt nachholen, was ich sagen wollte." Se
ine Stimme bebte. Er versuchte, seine Erschütterung zu zügeln.
"Bitte fahren Sie fort", ermunterte Pastor Son.
"Ich habe vier Söhne", erwiderte der Vater. "Ich möchte sie gern mit Ihnen teile
n. Wollen Sie das annehmen?" Pastor Son lehnte entschieden ab, aber er ehrte den
guten Willen, der hinter diesem Angebot stand.
"Nein, das ist nicht nötig. Sie sind sehr freundlich, aber das will ich nicht. I
ch hoffe vielmehr, daß Sie aus Ihren Söhnen ordentliche Männer machen und daß Si
e und Ihre ganze Familie an Jesus glauben und gerettet werden." Dann wandte er s
ich an Chai sun.
"Mein Junge, ich will nie mehr daran denken, was du getan hast. Vergiß also auch
du deine Zweifel und Ängste. Sei wie meine Söhne. Wenn du so glaubtest und lebt
est wie sie, das wäre ein großer Gewinn für dich."
Chai sun hörte still mit gesenktem Kopf zu.
Eilig wurde ein kleiner Tisch herangebracht und Tee und Gebäck. Aber da es berei
ts halb sechs war um sechs Uhr trat die Ausgangssperre in Kraft , sprach Past
or Son nur noch ein kurzes Gebet und erhob sich. Da ergriff Chai suns Vater noch
einmal das Wort.
"Ich habe noch ein Anliegen, Pastor Son, und ich wäre sehr glücklich, wenn Sie e
inwilligten. Ich weiß, daß Sie eine Tochter haben, die die Oberschule besucht. K
önnte sie während der Schulzeit nicht bei uns wohnen? Wir haben eine Tochter im
gleichen Alter."
Chai suns Vater schien entschlossen, aber Pastor Son wies auch dieses Anerbieten
zurück. "Nein, vielen Dank, ich möchte Sie in keiner Weise belasten. Ich komme
ein anderes Mal wieder."
Aber der Vater drängte: "Sie haben mich mißverstanden, Pastor Son. Bitte, lassen
Sie mich erklären. Unsere Familie geht bereits zur Kirche. Ich möchte nicht auf
diese Weise unsere Schuld abtragen. Vielmehr sollen die zehn Glieder meiner Fam
ilie wirkliche Christen werden. Wenn Ihre Tochter bei uns wohnte, dann kämen Sie
uns öfter besuchen und wir hörten mehr über den christlichen Glauben. Bitte, wi
lligen Sie doch ein."
"Ich verstehe." Pastor Son lächelte. "Aber ich kann meine Tochter nicht zwingen.
Ich will Rachel fragen und lasse Sie wissen, was sie dazu meint."
Die ganze Familie begleitete Frau Ra und Pastor Son auf die Straße hinaus, erlei
chtert, daß sie das erste Zusammentreffen mit Pastor Son hinter sich hatte, und
ein wenig traurig, daß es so bald schon zu Ende war.
"Rachel, Chai suns Vater möchte, daß du zu ihnen ziehst. Du könntest mit im Zimm
er seiner Tochter wohnen. Was meinst du dazu?"
Noch am gleichen Abend sprach Pastor Son mit seiner Tochter, denn Chai suns Vate
r wollte sich am folgenden Morgen die Antwort holen.
"O Vater, das kann ich nicht", wehrte sie erschrocken ab. "Das könnte ich nicht
ertragen, ganz gleich, wie sehr Chaisuns Familie das wünscht."
Pastor Son tat das Herz weh. Wie litt Rachel unter dem Tod ihrer Brüder! Behutsa
m erklärte er ihr die Bitte von Chai suns Vater.
Rachel überlegte eine kleine Weile, dann meinte sie: "Ich gehe nicht sehr gern,
aber vielleicht kann ich ihnen irgendwie helfen, wenn ich dort wohne ... Ich wil
l es mir überlegen."
Am nächsten Morgen war sie entschlossen, Chai suns Vater in sein Haus zu begleit
en. Pastor Son frohlockte über ihre Bereitschaft, sich zu überwinden. Und die Fr
eude von Chai suns Familie kannte keine Grenzen.
VI.
30. Mai 1949. Der Frühling war dem Sommer gewichen, die Gerste stand hoch, und d
ie Spatzen suchten geschäftig nach Würmern. Im Zug, der von Soon chun nach Yo su
fuhr, drängten sich an diesem Morgen die Händler und Marktleute. Chaisun, seine
Mutter und Pastor Ra fanden nur mühsam zwischen ihnen Platz.
"Chai sun", fragte die Mutter, "wird Pastor Son auch zu Hause sein?"
"Ich weiß nicht genau, ich konnte ihn nicht mehr verständigen, dag wir kommen wo
llten."
"Wahrscheinlich nicht. Er ist viel unterwegs, auf Evangelisationen", warf Pastor
Ra ein.
"Aber Frau Son wird doch da sein, nicht wahr, Pastor Ra ... ?"
"Ja, ja, bestimmt. Unsere Reise ist sicher nicht umsonst", meinte der Pastor. Ch
ai suns Mutter verstummte. Starr blickte sie aus dem Fenster. Sie mußte an das P
al wang Café denken. Sie hatte vier Söhne, und als ihr einer genommen werden sol
lte, wie verzweifelt hatte sie da gekämpft, um ihn zu behalten. Frau Son aber ha
tte auf einen Schlag zwei Söhne verloren. Wie mußte es in ihr aussehen! Sie sah
eine vergrämte Frau vor sich, die das Leid gebeugt und abgestumpft hatte, da woh
l auch ihr die Genugtuung der Rache versagt war. Das Bild dieser Trauernden verf
olgte sie wie ein Alptraum und verschlang eine Zeitlang alles Leben um sie herum
.
"Karamell und getrockneter Tintenfisch' die Händler priesen ihre Ware an und s
choben sich durch die dichtgedrängte Menschenmenge im Zug.
Auch Chai sun grübelte darüber nach, wie er Frau Son gegenübertreten solle. Es w
äre doch klüger gewesen, einen Tag zu vereinbaren, an dem auch Pastor Son zu Hau
se wäre, oder vielleicht hätte man Rachel überreden müssen, einen Tag die Schule
zu schwänzen und mitzukommen.
Aber sie hätten Frau Son schon längst besuchen sollen, denn seit dem Aufstand un
d den Vorfällen, die die Familien zusammengeschmiedet hatten, waren bereits mehr
als sechs Monate vergangen. Sie hatten wirklich nicht länger zaudern dürfen. Ih
re Herzen waren schwer wie Blei. Nur Pastor Ra blieb ruhig.
"Hier ist das Kind, Yang keum. Gib bitte gut acht darauf. Ich hab heute morgen v
iel zu tun."
Frau Son hatte einige Tage das Bett hüten müssen. Da war vieles liegengeblieben.
Womit sollte sie beginnen? Das Feld müßte gejätet werden, aber während ihrer Kr
ankheit hatte sich ein Berg Wäsche aufgetürmt. Sie würde also zuerst an die Wäsc
he gehen. Sie sammelte die Stücke in eine Schüssel, hob sie auf den Kopf und tru
g sie zum nahen Bach hinunter. Aber heute schien ihr die Arbeit mühsamer von der
Hand zu gehen als sonst. Immer wieder mußte sie sich aufrichten und verschnaufe
n. Von ihrem Arbeitsplatz aus konnte sie die vorbeifahrenden Züge beobachten. Kr
eischende Bremsen. Ein wohlbekanntes Geräusch. Das mußte der Zug aus Soon chun s
ein, der im Shin pong Bahnhof einfuhr.
Schon nach zwölf, dachte sie bei sich. Wie oft waren ihre Söhne mit dem Zug nach
Hause gekommen! Alles ging seinen gewohnten Gang, nur ihre Söhne würde sie nie
mehr erwarten können. Schon wieder waren ihre Gedanken in den gleichen müßigen
Kreislauf verfallen! Verzweifelt riß sie sich los. Wie lange würde sie noch dag
egen ankämpfen müssen? Erschöpft beugte sie sich über ihre Arbeit.
Da rief jemand nach ihr. Yang keum kam keuchend über den Hügel gerannt.
"Mutter", rief sie schon von weitem. Mutter, komm schnell. Besuch ist gekommen,
und es ist etwas passiert."
"Was sagst du da, Yang keum? Was ist geschehen?"
"Pastor Ra aus Soon chun hat eine Frau und einen Studenten mitgebracht. Als Onke
l den Studenten sah, ging er mit einem Küchenmesser auf ihn los und schrie, er w
olle ihn umbringen. Aber Pastor Ra hielt ihn auf. Bitte, mach schnell."
Jetzt wußte Frau Son, wer sie besuchen wollte. Sie fing an, die Wäschestücke zus
ammenzulegen. Doch der Schrecken über die Nachricht, ihre plötzliche Hast ihre
Schwäche die Anstrengung des Morgens , das war zu viel. Einen Augenblick lan
g wurde alles schwarz um sie herum. Die Angst vor dem, was ihr nun bevorstand, d
rohte sie zu erdrücken. Die Schwärze vor ihren Augen tat sich auf in die gähnend
en Gräber von Matthew und John. Der Onkel, mit erhobenem Messer Pastor Son kam
ihr lächelnd entgegen der Onkel hieb Malchus, dem Diener des Hohenpriesters,
ein Ohr ab Christus stieg vom Kreuz herab, hob das Ohr auf und bat Pastor Son,
es wieder zu heilen Stephanus, umgeben von einem Haufen Steine, sang geistlic
he Lieder Paulus kam auf den Ae yang-won zu und wurde von den Insassen geschla
gen als Paulus in seiner Bedrängnis nach Stephanus rief, kam ihm dieser zu Hilfe
Paulus schlug die Wäsche, und sie verwandelte sich in ihre Söhne, die ihr ent
gegengelaufen kamen. Der Alptraum war vorüber. Frau Son sank in tiefe Bewußtlosi
gkeit.
Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich flach auf dem Rücken liegend auf den S
teinen mitten im Bach. Yang keum hockte neben ihr und blickte sie angstvoll an.
Frau Son war es, als drückte der hohe Himmel auf sie nieder und als hielte die E
rde ihren Körper umfangen; sie hatte kein Verlangen danach, ihre Glieder zu bewe
gen.
"Mutter", rief Yang keum sanft, aber drängend. Frau Son regte sich ein wenig, sp
rach aber nicht und versuchte auch nicht, sich zu erheben. Sie wollte nur dalieg
en und ihren Gedanken nachhängen. Der Kampf, den sie für überwunden gehalten hat
te, brach mit seiner ganzen Wucht auf sie herein. Die Mutter in ihr beweinte den
Verlust der Söhne. Die beiden waren unschuldig gewesen, sie hatten nichts Unrec
htes getan! Sie wurden in der Blüte ihrer Jugend gebrochen, und wie schwer hatte
n sie es doch gehabt! Bittere Gedanken! Mein Mann sagt ... aber fühlt er wie ein
e Mutter? ... Aber ich muß mich beruhigen. Habe ich diese Gedanken nicht schon a
bgelegt? Mein Mann sagt ... und es ist wahr ... sie ehrten Gott durch ihren Tod.
Soll ich nach Rache verlangen? ... Nein, nein ... Soll ich schreien "Gib mir me
ine Söhne wieder"? Nein, nein ... Ich muß jetzt zu ihnen gehen.
Sie zwang sich auf die Beine. Yang keum flehte sie an, endlich zu kommen. Da sch
loß sie die Augen und betete "Vater, gib mir Kraft, erneuere meinen Glauben." G
ott gab seinen einzigen Sohn dahin, dachte sie, was ist also schon meine Sorge?
Wie klein ist mein Opfer? Dann kamen ihr die Worte in den Sinn: "Rächet euch sel
ber nicht, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Ra
che ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.' Vielmehr, wenn deinen Feind
hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so tränke ihn . . ."'
Yang keum nahm die Schüssel mit der Wäsche und die Wäscheschläger. Stumm stiegen
sie zum Haus hinauf.
"Kommt Frau Son nicht?" Sie warteten seit einer Stunde. Chai suns Mutter wurde u
nsicher und verzweifelt.
Chai sun, die Mutter und Pastor Ra warteten im Garten vor dem Sonschen Haus. Der
unerwartete Angriff auf Chaisun hatte sie zutiefst erschreckt. Und jetzt dieses
unerklärliche Ausbleiben! Chai suns Mutter meinte, es nicht länger ertragen zu
können.
"Wer war dieser Mann?" wandte sie sich an Pastor Ra.
"Frau Sons Bruder, der Vormund der Kinder in Soon chun."
Stille. Die Minuten flossen träge dahin und erschienen ihr wie Ewigkeiten. Endli
ch kamen sie durch die enge Gasse zwischen den jungen Reisstauden, Yang keum vor
an, hinter ihr Frau Son. Schwach und benommen bat sie den Besuch, einzutreten. P
lötzlich wandte sie sich nach Chai sun um und ergriff ihn fest bei den Händen.
"Da bist du also", stammelte sie. Dann flüsterte sie Pastor Ra zu: "Bitte, beten
Sie für uns!" und brach in Tränen aus.
Endlich war der Besuch beendet. Frau Son hatte sich die größte Mühe gegeben, Cha
i sun und seiner Mutter freundlich zu begegnen. Sie hatte von den mitgebrachten
Reiskuchen gekostet, und als sich ihre Gäste zum Gehen wandten, begleitete sie s
ie noch ein Stückchen zum Bahnhof.
Zuerst fühlte sie sich nur tief erleichtert. Doch dann regte sich in ihr ein unb
estimmbares Mißbehagen. Was hatte sie da getan? Wie konnte sie den Mörder ihrer
Söhne empfangen? Wie widernatürlich war das doch! Die quälenden Gedanken und Bil
der erfaßten sie von neuem. Diesmal versuchte sie nicht, ihre Tränen zu zügeln.
Als sie endlich erkannte, daß sie nicht hätte anders handeln dürfen, wich alle K
raft aus ihr und ließ sie stumpf und müde zurück. Draußen zog die Nacht her¬auf
und mit ihr die Myriaden Sterne, die vor zweitausend Jahren auf das Leid Marias
geblickt hatten.
Kurze Zeit später bekannte Chai sun seine Bekehrung zu Jesus Christus. Hin und w
ieder begleitete er auch schon Pastor Son auf seinen Evangelisationsreisen. Aber
Pastor Son hatte doch den Eindruck, Chai sun gegenüber noch nicht alle Pflicht
erfüllt zu haben, die der Herr ihm auferlegt hatte. Chai sun sollte die Ehre Got
tes mehren und ein großer Prediger werden. Dafür betete er, und dahin versuchte
er Chai sun zu führen
Im Frühjahr 1949, kurz nach seiner Bekehrung, trat Chaisun in das Bibelseminar i
n Pusan ein. Pastor Son schrieb ihm oft, und in seinen Antwortbriefen redete Cha
i sun Pastor Son mit Vater an. Die Familie Son war zu seiner eigenen geworden.
Chai sun wußte, was Pastor Son mit ihm vorhatte. Er war begierig, dem Wunsch des
Pastors zu entsprechen, doch große Schwachheit hinderte ihn daran. Er war sehr
menschenscheu, besonders, wenn die anderen von seiner Vergangenheit wußten. Sein
seelisches Gleichgewicht war gestört. Darunter litt er sehr, er begann zu kränk
eln, wurde blaß und schmal. Wegen seiner angegriffenen Lunge mußte er für kurze
Zeit in ein Krankenhaus eingewiesen werden.
Langsam, sehr langsam heilte seine Seele. Er verlor seine Furcht vor den Mensche
n. "Obgleich ich in der Sonntagsschule noch nicht unterrichten kann", berichtete
er von sich selbst, "schlage ich die Trommeln und rufe so die Kinder zusammen.
Einmal in der Woche begleite ich ein paar Jungen, die vor dem Bahnhof und auf de
m Marktplatz Straßenversammlungen abhalten. Ich verteile dann Traktate."
Pastor Son saß über Chai suns Brief gebeugt. Doch seine Gedanken schweiften in d
ie Ferne. Es war so ganz anders gekommen. Zuerst das lange Warten im Gefängnis.
Damals hatte er sich nur daran aufgerichtet, daß seine Söhne die Stücke seines z
erbrochenen Dienstes sammeln und kitten würden; daß sie fortführen und einstehen
würden für alles, was ihm teuer war. Und dann war der Boden aus seiner Welt geb
rochen, als Matthew ihn verriet und sich vor dem Shintoschrein verneigte. Und do
ch hatte Gott das dazu benützt, um Matthew für seinen künftigen Dienst vorzubere
iten. Jetzt war alles zerschlagen, zerstört, zerbrochen ...
Pastor Son zuckte zusammen, halb ärgerlich über sich selbst, daß er sich hatte g
ehen lassen. Er wandte sich wieder Chaisuns Brief zu: "Ich kann gar nicht sagen,
wie dankbar ich bin, hier studieren zu dürfen. Ich weiß, daß ich mich und alles
, was ich habe, Gott ausliefern muß. Gott liebt mich und rettete mich buchstäbli
ch an der Schwelle des Todes. Um dieser Liebe willen glaube ich an Jesus Christu
s, nicht weil ich mir einen Platz im Himmel sichern und der Hölle entrinnen will
. Ich weiß, daß ich bis zu meinem Tode Gott verherrlichen muß. Wie dankbar bin i
ch, daß ich vor dem Tor des Todes wiedergeboren wurde ... Bitte, mach Dir keine
Sorgen um mich. Ich lese in der Bibel, bete, singe im Chor mit und beginne hin u
nd wieder zu predigen. Bitte, bete für mich. Ich weiß, daß ich alles Deinen und
Mutters Gebeten verdanke. Als Dein ältester Sohn will ich alle Möglichkeiten aus
schöpfen, um geistlich zu wachsen. Vergib mir alles, Vater. Um Deiner Liebe will
en, die Du von Gott empfangen hast, will ich versuchen, Deine Hoffnungen auf mic
h zu erfüllen. Ich will alles tun, um so zu werden wie meine beiden Brüder."
Pastor Son blickte über die sonnenglänzenden Felder. "Wenn das Weizenkorn nicht
in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, so bring
t es viel Frucht." In letzter Zeit hatten ihn diese Worte Jesu viel beschäftigt.
Auf seinen Lippen formte sich ein stilles Dankgebet.
Neomarxismus
Der Begriff Neomarxismus wurde von Max Horkheimer geprägt, der seit 1931 das Frank
furter "Institut für Sozialforschung", bekannt unter der Bezeichnung "Frankfurte
r Schule", leitete. Im Gegensatz zum klassischen Marxismus wendet sich der Neoma
rxismus nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern insgesamt gegen die christlich
-abendländische Kultur. Der Neomarxismus bildete das ideologische Fundament der
Kulturrevolution von 1968, deren Exponenten nach 30 Jahren "Marsch durch die Ins
titutionen" die Bundesregierung übernahmen. Der derzeitige kulturelle und wirtsc
haftliche Verfall Deutschlands dürfte in erheblichem Maße auf den Einfluß des Ne
omarxismus zurückzuführen seien.
1. Frankfurter Schule
Im Jahre 1923 gründete der ungarische Kommunist Georg Lukács (1885 -1971) mit Mi
tgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei in Frankfurt am Main das "Institu
t für Marxismus-Forschung", das kurz nach der Gründung umbenannt wurde in "Insti
tut für Sozialforschung". Das Frankfurter Institut war dem Moskauer "Marx-Engels
-Institut" nachgebildet worden. Lucács war in Ungarn Professor für Philosophie u
nd Literaturhistoriker. Von 1933 bis 1938 und von 1942 bis 1945 war Lukács auch
Mitarbeiter am Philosophischen Institut in Moskau.
Im Institut für Sozialforschung wurde später die als "Frankfurter Schule" bekann
t gewordene neomarxistische, dialektische Kritische Theorie von Max Horkheimer und
Theodor W. Adorno entwickelt.
Max Horkheimer (1895 -1973) erhielt 1931 den Lehrstuhl für Sozialphilosophie an
der Universität Frankfurt am Main, gleichzeitig auch die Leitung des Instituts f
ür Sozialforschung. Horkheimer wich von der reinen Lehre des Marxismus ab und ka
m zu der Überzeugung, daß die Arbeiterklasse als Trägerin einer Revolution nicht
in Frage käme. Horkheimer erkannte früh den gesellschaftlichen Wandel der Arbei
tnehmerschaft zu einem Teil des Bürgertums, deshalb gab Horkheimer den Rat, den
Marxismus neu zu definieren und zwar in kulturellen Begriffen als Neomarxismus.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verlor das Institut für Sozialf
orschung seine Existenzmöglichkeit, zumal ein erheblicher Teil den Mitarbeiter n
icht nur Marxisten, sondern auch Juden waren. Diese Mitarbeiter waren nicht im j
üdischen Glauben verwurzelt, sondern sie waren säkularisierte Juden. Das Institu
t siedelte 1933 nach Genf, 1934 nach New York und 1940 nach Kalifornien um.
Im Jahr 1951 wurde das "Institut für Sozialforschung" in Frankfurt am Main mit
Unterstützung der US-amerikanischen Besatzungsregierung neu gegründet .
Eine erhebliche Bedeutung erhielt die Frankfurter Schule und ihre Ideologie des
Neomarxismus durch die studentische Kulturrevolution, die 1968 einen Höhepunkt e
rreichte:
Man kann mit Fug und Recht von einer Kulturrevolution sprechen, da sich der Prote
st gegen das gesamte kulturelle Establishment richtet (Herbert Marcuse).
Der Neomarxismus bildete das geistige Fundament dieser Bewegung, die auch unter
Bezeichnungen wie "Neue Linke" oder "Außerparlamentarische Opposition" bekannt w
urde. Ein Teil dieser Bewegung radikalisierte sich und beging als "Rote Armee Fr
aktion" (RAF) scheußliche Morde. Bei dem größeren Teil der Bewegung setzte sich
die Auffassung durch, daß der Weg zur Macht und zur Regierungsverantwortung nich
t im Sturz einer bestehenden Regierung zu gehen sei, sondern nur gewaltlos durch
einen beharrlichen "Marsch durch die Institutionen". Genau 30 Jahre später, zur
Bundestagswahl 1998, wurde dieses Ziel erreicht.
Der Neomarxismus selbst bezeichnet seine Ideologie nicht als Neomarxismus sondern
als Kritische Theorie .
3. Antijudaismus
Nach dem Untergang der NSDAP wird der Antijudaismus von den arabischen Palästine
nsern fortgesetzt. Nach der Beendigung des Vietnam-Krieges mußte der Neomarxismu
s eine neue Begründung für seine revolutionären Ambitionen finden:
"Kurze Zeit später verlagerte sich die entscheidende Kampffront dann bereits von
Vietnam nach Palästina, wo ein heimatvertriebenes, entrechtetes Volk gegen den
allmächtigen Welt-Zionismus kämpfte" (Koenen 2001:122).
Die Neomarxisten identifizierten sich damit mit Zielen von A. Hitler, der ebenfa
lls gegen den Welt-Zionismus kämpfte:
"Eine große Bewegung unter ihnen (den Juden), die in Wien nicht wenig umfangreic
h war, trat auf das schärfste für die Bestätigung des völkischen Charakters der
Judenschaft ein: der Zionismus" (Hitler 1934:60).
Am 09.11.69 wurde ein Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Westberlin ve
rübt. 1969 reisten Neomarxisten zur Al Fatah nach Jordanien, um mit Yassir Arafa
t zu sprechen und um sich in Palästinenserlagern einer paramilitärischen Ausbild
ung zu unterziehen.
Am ... reiste eine SDS-Delegation zu einer internationalen Konferenz nach Algier
, um die Solidarität mit der PLO zu bekunden. An dieser Konferenz nahm auch der
spätere Vizekanzler J. M. Fischer teil. Heute nehmen die Medien vorwiegend eine
antiisraelische und propalästinensische Stellung ein.
5. Wertewandel
Die Frankfurter Schule dürfte entscheidend den negativen Wertewandel der Bundesr
epublik verursacht haben.
11. Gewaltbereitschaft
Wenn Demokratie eine Form des politischen Lebens ist, die von der Gleichheit und
Freiheit aller Bürger ausgeht, waren die Neomarxisten nie demokratisch, sondern
versuchten ihren Willen stets durch irgendeine Form von Zwang durchzusetzen, se
i es durch Psychoterror, durch Blockaden, durch Diffamierungen, durch Wahlmanipu
lationen, durch Vandalisierung oder durch brachiale Gewalt.
"Unsere Alternative zu der herrschenden Gewalt ist die sich steigernde Gegengewa
lt" (Dutschke, zit. Koenen 2001:130).
Die Neomarxisten verhielten sich wie die Sturmabteilungen (SA) der Nationalsozia
listen in der Weimarer Republik: In der "Schlacht am Tegeler Berg" am 04.11.1968
wurden 130 Polizisten verletzt.
Nach einer Parabel von Mao Tse Tung vermehren sich die Fische im Teich von selbs
t, wenn die Temperatur steigt. Durchaus friedliche intellektuelle Kreise wärmten
konzentrisch das geistige Klima auf, in welchem Terrorismus gedeihen mußte.
"Adorno hatte schon recht, als er in einem Interview sagte, er habe doch schlech
terdings 'nicht ahnen können', daß Leute seine Theorien 'mit Molotow-Cocktails v
erwirklichen' wollten" (Koenen 2001:116).
Über den Einfluß von Professor Renate Riemeck, Vorstandsmitglied der DFU, auf da
s Schicksal ihrer Pflegetochter Ulrike Meinhoff können nur Mutmaßungen angestell
t werden.
"Die volle Identifikation mit der Notwendigkeit des revolutionären Terrorismus..
. in der Dritten Welt ist unerläßliche Bedingung... für die Entwicklung der Form
en des Widerstandes bei uns..." (Dutschke, zit. Koenen 2001:49).
Dutschke, die Schlüsselfigur der neomarxistischen 68er Bewegung, kann man als th
eoretischen Terroristen bezeichnen.
12. Feindbild von der Kriegsgeneration
Aus der Sicht der Neomarxisten waren in der Zeit des Dritten Reiches alle erwach
senen Deutsche Kriminelle, jeder hatte Kenntnis von den Konzentrationslagern, je
der befürwortete sie, jeder wollte die Juden vernichten, jeder wollte den Krieg.
Die Kriminalität der Vätergeneration hatte, so meinte man, zu schrecklichen psy
chischen Schäden der Nachkriegsgeneration geführt. Die Nachkriegsgeneration sah
sich deshalb gezwungen, durch einen totalen Bruch mit der Vätergeneration diese
Schäden zu heilen. Der Nationalsozialismus wurde mit der Bezeichnung der italien
ischen nationalistischen Bewegung des Faschismus benannt, wahrscheinlich, um die
nahe Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und Lenin-Sozialismus zu verhü
llen.
Die Wehrmachtsausstellung hält an diesem Feindbild durch teilweise gefälschte Bi
lder bis in die Gegenwart fest. Die Rote Armee hatte den Befehl, im Feindesland
Frauen zu vergewaltigen. Die Wehrmacht hatte diesen Befehl nicht.