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E 1.

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Redigieren: Wie man Wissenschaftstexte lesbar
macht
Fünf Tipps für den Wissenschaftskommunikator

Christoph Fasel

Kaum eine andere Kommunikationsaufgabe stellt an den Vermittler eine solch anspruchsvolle Auf-
gabe wie die Redigatur von Wissenschaftstexten. Wo die größten Fallen liegen; wie man komplexe
Sachverhalte in angemessener Weise übersetzt; warum das richtige Bild dabei hilft, verstanden zu
werden – und wie man mit widerspenstigen Wissenschaftlern verhandelt, die am liebsten kein Jota
Ihres Textes verändert sehen möchten, erfahren Sie hier.

Gliederung Seite

1. Vom Rohtext zum Schmuckstück 2


2. Schritt Nummer 1: Aufmerksam lesen! 3
3. Schritt Nummer 2: Die Länge und die Wichtigkeit prüfen! 5
4. Schritt Nummer 3: Auf Textsorte und Dramaturgie achten! 5
5. Schritt Nummer 4: Die richtigen Wörter wählen und übersetzen! 9
6. Schritt Nummer 5: Sätze bauen, die gelesen werden! 11

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E 1.6 Werkzeugkasten: Welche Instrumente wofür?

Die richtige Sprache sprechen

1. Vom Rohtext zum Schmuckstück


Da liegt der Text nun vor dem Kommunikator. Der Professor, der As-
sistent, das Forscherteam – sie alle haben sich redlich Mühe gegeben,
ihr Forschungsvorhaben in der gebührenden Weise darzustellen. Ge-
bührende Weise heißt dabei nichts anderes als: in der gebührenden
Länge und Breite, gewürzt mit den entsprechenden Fachwörtern, die
die scientific community kennt und liebt, mit dem entsprechenden
Tiefgang an Satzbau und Definitionen.

Das alles wäre nun kein Problem – wenn dieser Text in genau dieser
scientific community bleiben sollte. Doch für Wissenschaftskommu-
nikatoren beginnt hier ein Grundproblem. Was viele Wissenschaftler
nicht wissen: Der Kommunikation zu Fachkollegen liegen in der Wis-
senschaft andere Gesetzmäßigkeiten zugrunde als der Kommunikation
im Sinne von wissenschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit oder dem Wis-
senschaftsjournalismus. Der Grund besteht in der unterschiedlichen
kommunikativen Herangehensweise, die beide Arten der Verständi-
gung aufweisen.

So ist das Modell der wissenschaftlichen Kommunikation orientiert an


den folgenden Grundpfeilern:

Grundpfeiler der Wissenschaftskommunikation in der scientific


community

In der Wissenschaft ist Kommunikation gekennzeichnet durch die


Forderungen:

• Optimale Vollständigkeit

• Optimale Transparenz der Methoden

• Optimale Nachvollziehbarkeit

Doch mit diesen Forderungen sind noch lange nicht die Bedingungen
einer geglückten Wissenschaftskommunikation im Hinblick auf die
Nicht-Fachkollegen erfüllt. Hier treten andere Gesetze in den Vorder-
grund. Sie lauten:

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Werkzeugkasten: Welche Instrumente wofür? E 1.6

Die richtige Sprache sprechen

Grundpfeiler der Wissenschaftskommunikation in die Öffentlichkeit:

Wer Wissenschaftsthemen in die Ebene von Nicht-Fachkollegen


verbreiten will, muss auch achten auf:

• Optimale Voraussetzungslosigkeit

• Optimale Verständlichkeit

• Optimale Erklärung der Zusammenhänge

• Optimale Erklärung der Vorgänge ohne den Jargon der Fachwis-


senschaft

Dies stellt an den Redigator von fachwissenschaftlichen Texten erhöh-


te Anforderungen. Die Grundvoraussetzungen dazu haben wir im Ka-
pitel Sprache unter E 1 schon angesprochen. Wie aber sieht die Redi-
gatur von solchen Texten konkret aus? Im Folgenden wollen wir an-
hand von erprobten Regeln versuchen, das Vorgehen der Redigatur
von wissenschaftlichen Texten zu erläutern. Das Verfahren folgt dem
Vorgehen der professionellen Bearbeitung von Texten aus dem Journa-
lismus für Publikumszeitschriften. Es umfasst fünf unterschiedliche
Schritte.

2. Schritt Nummer 1: Aufmerksam lesen!


Die gekonnte Redigatur beginnt mit der professionellen Wahrnehmung
des Textes und seiner Qualitäten. Dieser Wahrnehmung gilt die Aus-
gangsfrage des im Beitrag E 1.2 vorgestellten Küchenzurufes. Es geht
dabei um die Frage nach der Kernaussage des Textes. Denn ein Leser,
der nicht aus dem gleichen Vorwissen wie die Autoren des Wissen-
schaftstextes schöpfen kann, sollte ja durch diesen Text dennoch die
Möglichkeit erhalten, sich über die Intention des Verfassers und die
Hauptaussage ohne Umwege informieren zu können. Folgendermaßen
sieht die professionelle erste Sichtung eines Wissenschaftstextes aus:

Erstes Lesen: Die Wahrnehmung zählt!

1. Text in einem Zug lesen


2. Text ein zweites Mal lesen
3. Den Küchenzuruf bestimmen
4. Den Küchenzuruf auf Stimmigkeit prüfen

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E 1.6 Werkzeugkasten: Welche Instrumente wofür?

Die richtige Sprache sprechen

Prof. Dr. Christoph Fasel lehrt als Dekan und Prorektor an der SRH Hochschule in Calw Medien-
und Kommunikationsmanagement. Als Journalist arbeitete er unter anderem bei BILD, der
Abendzeitung, dem Bayerischen Rundfunk und der Zeitschrift Eltern. Er war Reporter des STERN,
Chefredakteur von Reader’s Digest Deutschland und Österreich und Leiter der Henri Nannen
Journalistenschule Gruner+Jahr/DIE ZEIT. Er ist Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins
„Faszination Forschung“ der TU München.

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