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N A T U R - U N D K U LT U R K U N D L I C H E H E F T E
OTTO Z I E R E R
ALBRECHT D Ü R E R
Weg zur Vollendung
Digitally signed
by Mannfred
Mann
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Mann,
o=Giswog,
c=DE
Date:
Signature 2005.03.03
Not 17:42:25 +01'00'
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i VERLAG S E B A S T I A N LUX
Murnau • MÜNCHEN • INNSBRUCK.ÖLTEN
Am l. Oktober 1526 . . .
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die der Habsburgerkaiser Maximilian durch Heirat erworben hat»
reicht der Ring der habsburgischen Lande über Lothringen bis nach
Oberitalien und greift hinüber nach Spanien, wo Philipp — Maxi-
milians Sohn — die Erbin des spanischen Thrones als Gemahlin
gewonnen hat. Ihre Mitgift sind die Thronlande in Spanien, in
Süditalien, in Sizilien und die riesigen Kolonien jenseits des Ozeans
gewesen. Frankreich und der Kirchenstaat sind durch die plötzlich
hereinbrechende habsburgische Übermacht umschnürt worden und
suchen seitdem den Ausbruch aus der Umklammerung. Der Gegen-
satz zwischen Frankreich und Habsburg, die Wirren der zwischen
dem Kaiser und seinen Gegnern schwankenden päpstlichen Politik
bestmimen die Schicksale der Jahrzehnte, in denen Albrecht Dürei
lebt. Hell brennt der Kampf auf, als in Karl V. die Kronen Spaniens
und Österreichs und die deutsche Kaiserkrone dazu auf einem
Haupte vereinigt sind.
Zwei Kaiser hat Albrecht Dürer bewußt erlebt: Maximilian und
Karl.
Maximilian, „der letzte Ritter", war bestrebt, das Kaisertum der
Hohenstaufen zu erneuern und an der Grenzscheide zweier Zeit-
alter eine Reichsreform durchzuführen; Karl V. aber ist ein Fremd-
ling in deutschen Landen, das Weltreich, das er verwaltet, ist zu
groß geworden und droht den Händen eines Einzigen zu entgleiten.
Der Zug nach Ausweitung der fürstlichen Rechte, das Überhand-
nehmen der Hoheitsansprüche der Länder und die Verlagerung der
Macht von Kaiser und Reich an die fürstlichen Höfe hat die ehemals
tragenden Stände des Reiches um ihre Bedeutung gebracht; die
Reichsritterschaft, die kleinen Grundherren und die freien Bauern
sehen sich in ihren Lebensgrundlagen bedroht. Beamte und am
Römischen Recht geschulte Richter und die gegen Sold für jeden
zahlungskräftigen Herrn kämpfenden Landsknechtsführer sorgen
dafür, daß die Fürsten zu Herren der neuen Jahrhunderte werden.
Die Stände aber rufen nach der Wiederherstellung der alten ger-
manischen Volksrechte und der ursprünglichen sozialen Ordnung.
Dem Bauern geht es um die mißachteten Rechte seiner einstigen
Freiheit, um seine Dorfgerichte, um Selbstverwaltung und Grund-
gerechtsame, Allmendenutzung, Erbrechte und die gesetzliche Rege-
lung seiner Abgaben. Dazu kommt eine Unruhe von Grund aus;
man fordert evangelische Gleichheit, das unverfälschte Wort Gottes,
Urchristentum, Vereinfachung der Kirche, Reinigung des Klerus und
des verweltlichten Papsttums. In den großen Aufständen der Reichs-
ritter und der Bauern bricht diese Spannung überraschend über
Deutschland nieder.
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Viele Ursachen für die soziale Unzufriedenheit liegen in der
schnellen Veränderung der Wirtschaft. Nach der Eroberung des
großen christlichen Handelszentrums Konstantinopel durch die
islamischen Türken im Jahre 1453 ist der Orienthandel weithin ver-
siegt und das Geld knapp geworden; diesem gewaltigen Einbruch
in das Wirtschaftsleben Europas ist dann bald schon die Verlage-
rung des Handels vom Mittelmeer zum Atlantischen Ozean gefolgt.
Die Entdeckungsfahrten des Columbus, Cabral, Amerigo Vespucci,
Cabot und der Vorstoß ins Indische Meer um die Südspitze Afrikas
herum durch Vasco da Gama, Albuquerque und Magellan haben
ganz neue Handels- und Wirtschaftsräume erschlossen. Cortes und
seine Gefährten haben die Schleusen des Goldlandes Mexiko auf-
gezogen, und eine hochgestaute Flut von Edelmetallen, exotischen
Waren und Rohstoffen ergoß sich auf die Märkte, die sich von
Grund aus umschichteten.
Auch das war eine Ursache für die Erhebung der Bauern ge-
worden, daß sich der mittelalterliche Bauernstaat rasch in ein System
von handeltreibenden, von Gewerbe und Handwerk lebenden
Städten und Landschaften umwandelte; und die Ritterschaft
rebellierte aus demselben Grunde, weil sie sehen mußte, wie der
städtische Kaufherr riesenhafte Gewinne scheffelte und reich
wurde, während sie selber immer mehr zur Bedeutungslosigkeit
herabsank.
Das Gebrodel der sich verändernden Kräfte erfaßte auch das
geistige Leben an den Universitäten und in den Studierstuben der
Gelehrten, die sich mehr und mehr von dem kirchlichen Weltbilde
lossagten. Der die Geister aufrüttelnden Bewegung des Humanis-
mus und der Renaissance in Italien gab die Erfindung der Buch-
druckerkunst zu Mainz um 1450 weiteren Auftrieb, indem sie allen
Ideen, Unruhegedanken und Reformwünschen tausendfache Zunge
verlieh. In dieser Zeit weitete sich das Weltbild über die Ozeane,
erzitterte Europa unter der ständigen Drohung der Türkengefahr,
rüttelte die lutherische Reformation an den Grundfesten der bis-
herigen religiösen Einheit des Abendlandes.
Fürwahr eine ungestüme, von Kriegsgedröhn, Umsturz und
Wandlungen bis zum Rande erfüllte Zeit — Dürers Lebenszeit . . .
Die Unrast trieb viele, die er gekannt hatte, in die Weite.
Veit Stoß, der große Bildschnitzer, Hans von Kulmbach und der
weitschichtig verwandte Hans Dürer waren in die nümbergische
Handelsniederlassung Krakau gezogen; Hans Burgkmair und Hans
Holbein wanderten nach dem lockenden Süden. Die Straßen jener
Jahre waren voller schweifender Landstörzer, Mönche und Studen-
ten. Die allgemeine Unsicherheit des Lebensgefühls, das sich aus
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der Mystik der gotischen Zeit löste, äußerte sich in Unheilsprophe-
zeiungen, Sündenangst, Pestfurcht, in den Schrecknissen des Hexen-
wahns, in Goldmacherei, Magie und Glaubensverfolgung, in Bauem-
und Ritterunruhen, Bürgeraufständen, Zunftaufläufen und Bilder-
stürmerei.
Inmitten von Lebensangst und dem Aufbruch des Neuen blühten
die Künste wie nie zuvor. Welch eine Lebenslust und Freudigkeit
offenbarte sich in den Werken Baidungs und Manuels, welcher poe-
tische Zauber erblühte in den Frühwerken eines Lukas Cranach
oder Hubers S — Noch arbeiteten die Bauernmaler an ihren gotischen
Altären, noch schnitzte ein Tilman Riemensdineider an seinen wun-
dersamen Madonnen in alter Manier — aber schon schufen ein Hol-
bein der Jüngere, ein Amberger, Bruyn oder Strigel wundervolle,
lebenswahre weltliche Porträts — bezeichnender Ausdruck dafür,
daß der Einzelmensch — das Individuum — wichtig geworden war.
Noch dunkelte der Goldgrund auf den Altären des Landes, aber
daneben entdeckten die Künstler der „Donauschule" — ein Alt-
dorfer voran — die Schönheit der Landschaft. Über die Alpenberge
herüber aber drang die verwirrende Farbenpracht der italienischen
Großen, ihr Ruf und ihr Bekenntnis zur Natur und zu diesseitigen
Schönheitsidealen, wie sie sich vor allem in der Renaissance von
Florenz und Venedig herrlich entfaltet hatten.
Reichstage jagten sich, Kriege erschütterten die Lande, der Türke
und der Franzose marschierten, die Welt war voller Geschrei über
die Seeräuber und das Wüten der Landsknechtshorden.
Es war Dürers Lebenszeit — der Umkreis seiner Lebensjahre, in
die er gestellt war und aus deren Stoff er sein Werk zu greifen
hatte. Es waren die Jahre, durch deren Dickicht er einsam seiner
Vollendung entgegengeschritten war. .,
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mann, schönere Farben hätt' er nie geseh'n . . . Sie meinen, ein
erhabener und lieblicher Gemäld war ihnen nit vorgekommen."
Ja, damals hat er die Pforte zur italischen Farbfreudigkeit ge-
wonnen, hat von den Italienern die Technik im feinen Charakteri- i
sieren bei Porträts und — wenn auch seine Gestalten von Adam
und Eva noch ein wenig steif und konstruiert wirken — sogar die
Kunst des Aktzeichnens gelernt. Harmonie und Maß, die stim-
inungsmäßige Ausgewogenheit seiner Bilder — das stammt aus dem
Süden, das dankt er Venedig. Aber er wird diese schöne Form mit
seiner deutschen Seele füllen . . .
Wie es immer im Leben ist, wenn man Erfolg hat und von den
Mächtigen anerkannt wird — Aufträge und Ehren erreichen ihn in
Überfülle. Man bietet dem hochgerühmten „Alberto Duro" die
Ausmalung der Fondaco dei Tedeschi und andere Großwerke an,
aber es zieht ihn plötzlich nach der Vaterstadt zurück, und seine
letzte Tat ist es, den Auftrag für das deutsche Handelshaus dem
Freunde Giorgione und dessen Gehilfen Tizian zuzuspielen.
Deutschland ruft ihn, das Verlangen, sich in einem härteren Leben
zu bewähren, treibt ihn, die Aufgabe fordert ihn.
Und er sagt dem Gipfel seiner Jugend Lebewohl und weiß: Nie-
mals wieder — für immer vorbei. . .
Melancholie...
Daheim stürzt er sich in die Arbeit.
Jetzt ringt er um die unverkennbar eigene Form, die ihm aus
italienischer Lehre und deutscher Schule, aus dem Erworbenen und
Ererbten zuwachsen soll.
In fünf Tagen malt er das Bild „Christus unter den Schriftgelehr-
ten" (1507) — auch das ist noch nicht die hohe Vollendung, die er
sucht. Ein paar Jahre später malt er das große „Allerheiligenbild"
(1511).
Das ist der Himmel, wie ihn ein gläubiger Deutscher sieht, dem
noch die innere Einheit der mittelalterlichen Welt etwas bedeutet:
Alle Heiligen des Himmels mit der Gottesmutter an der Spitze,
alle Seligen — geistliche und weltliche Heerscharen — knien ein-
mütig betend vor der Erscheinung der Dreifaltigkeit; im Chor der
Beter gruppiert sich die ganze wohlgegliederte mittelalterliche Welt
um Papst und Kaiser, und wie zwei gewaltige Wogen fluten Jung-
frauen, Propheten und Verklärte zum Throne Gottes.
In Aufbau und Gliederung klingt das Vorbild Raffaels an, aber
die Innigkeit im Ausdruck der Gesichter, die Kraft der naiven Fröm-
migkeit, das ist deutsch und ist Dürer. Die große, alles überwäl-
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tigende Klarheit und Vollendung ist ihm indes auch dieses Werk
nicht. Er weiß es wohl und strebt weiter.
Aufträge kommen ihm in die Werkstatt, er erledigt sie fleißig und
in sorgfältiger Kleinarbeit, doch sie erfüllen ihn nicht. Die Malerei
bringt auch zu wenig Geld ein. Darum widmet er sich wieder dem
Holzschnitt und Kupferstich, den man vervielfältigen und daher
wirtschaftlicher verwerten kann.
Er schafft die „Kleine Passion" und die „Kupferstichpassion", in
deren Bildfolgen der Sturm und Aufschrei der „Großen Passion"
aus früherer Zeit beruhigter widerklingen. Die lodernde Flamme
der Jugend, die heilige Unruh der Jahre des Werdens sind stiller
geworden: In dem reifer werdenden Manne drängt alles Gären und
alle Auseinandersetzung mit dem Leben, das Ringen zwischen Gott
und der Natur, zwischen Ideal und Wirklichkeit, das jedes feiner
empfindende Künstlerherz inmitten einer aufgeregten Zeit bewegen
muß, nach innen. Er ertastet sich den steilen Pfad zur Vollendung
nur unter Schmerzen.
Wie wird die Entscheidung fallen?
Anno 1513 vollendet er den Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel".
Der Rittersmann, eingehüllt in einen Panzer, der sein Herz unver-
wundbar gegen die Pfeile und gegen den Schmutz der Welt macht,
reitet unbeirrt seinen Pfad. Was können ihn Tod und Teufel er-
schüttern, ihn, der sein Ziel kennt, der seinen Gott fest im Herzen
trägt?
Sollte man auf diese Weise leben: den Kampf aufnehmen und
durch die stürmisch bewegte Landschaft des Daseins hinschreiten
wie ein Unverletzbarer, wie ein Streiter des Glaubens, ein Mann
und Kämpfer?
Oder ist der andere Weg der richtige? Hat es einen Sinn, sich an
die Welt zu verlieren, nutzlos sich zu mühen, da die Außenwelt
doch weder Verständnis noch Gnade kennt? Liegen die wahren
Werte vielleicht nur im Inneren, in der Abschließung und Stille?
Und da er keine Antwort findet, zeichnet er mit dem Stichel in die
Kupferplatte seinen „Hieronymus im Gehäus" (1514) — das Bild
eines frommen, in seiner Stube sitzenden Gelehrten, abgeschlossen
vom Lärm des Alltags, hingegeben an ein gedankentiefes und gewiß
gotterfülltes geistiges Werk.
Zwischen den beiden Polen des „Ritters" und des „Hieronymus"
pendelt auch Albrecht Dürers Leben in diesen Jahren. Da ist der
Konkurrenzkampf, den einige seiner Rivalen mit unlauteren Mit-
teln führen, so daß er sich 1512 um einen „Freibrief" des Kaisers
Maximilian bemüht; der Kaiser verfügt, daß Dürers Namenszug auf
Holzschnitt und Kupferstich geschützt sein soll; da steht er, um-
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brandet von Bewunderung, Neid und Kritik und müht sich doch nut
um das Letzte der Kunst, das so wenige begreifen. Er hat an deri
Brudergeist in Italien — an Raffael Santi — ein Selbstporträt auf
einer zusammenfaltbaren Leinwand mit durchschlagenden Farben
geschickt und einen Teil seiner Holzschnitt-Passion und seiner
Kupferstiche dazugelegt. Und Raffael. der große Maler des Mediceer-
papstes Leo X., hat ihm freudig zurückgeschrieben und eine Menge
Blätter von seiner Hand gesandt. Das ist wie der Strahl der Sonne,
die leuchtend das Sturmgewölk des Lebens durchbricht.
Aber dann überfällt ihn wieder die Müdigkeit vor der Welt, treibt
es ihn zur Abkehr von dem geschäftigen Treiben, von den auf-
dringlichen Auftraggebern, die ohne Geschmack und Verständnis
nur auf ihre vollen Geldkatzen pochen. Wie oft möchte Albrecht
Dürer sich gleich dem Hieronymus ins Gehäus einschließen und
nur noch seiner Kunst leben!
Zu manchem Mißlichen, das ihn als Künstler trifft, kommen auch
häusliche Sorgen. In seiner Ehe mit Agnes Frey, die kinderlos ge-
blieben ist, fühlt sich der Meister nicht allzu glücklich. Er ist hin-
und hergerissen, ein Mensch unterwegs, den oft trübe Gedanken
und schwere Stimmungen bedrängen.
So schafft er den großen Kupferstich „Melancholia".
Eine wuchtige, geflügelte Frauengestalt mit finster brütendem
Ausdruck sitzt aufgestützten Hauptes inmitten einer Menge un-
verständlichen Gerätes, während der Hintergrund von einem zau-
berischen Regenbogen und dem Glanz eines drohenden Kometen
erhellt wird. Die Dinge, die um jene Gestalt gelagert sind: Waage,
Leiter, Kugel, Hobel, Richtscheit, Glocke, ein Zahlenquadrat an der
Mauer, die Sanduhr, ein flächig behauener Steinblock, dazu ein
Hund und ein kleiner, schreitender Putto, versinnbildlichen die welt-
lichen und geistigen Wissenschaften, die Erfindungen und Großtaten
menschlichen Forschergeistes. Aber inmitten dieser Fülle der Er-
folge trauert die Melancholia — verloren unter den unlösbaren
Fragen der Welt und des Himmels, Sinnbild des im All verirrten
Menschengeistes, der nicht heimfindet zu Gott und zur Wahrheit.
Wie vermöchte der Wust all der Dinge rings um jene edle Frauen-
gestalt zu erheben — sie, die Flügel trägt, die sie entführen
sollten in die ewige Heimat!
„Was nützet es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt",
sagt die Schrift, „an seiner Seele aber Schaden leidet."
Das Bild der Melancholie ist Dürers Bekenntnis, ist sein Aufschrei
in schwerer Seelennot. Es entsteht in der gleichen Zeit, da im Turm
zu Maulbronn der Doktor Faustus auf seine Weise mit Gott und
dem Teufel ringt.
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Der Ruhm ...
In dieser Zeit dringt der Ruhm des Künstlers in alle Welt. Kaiser
Maximilian, längst Dürers Bewunderer, wird sein Auftraggeber.
Für ihn entwirft er zusammen mit seinen Gehilfen die Risse für die
Riesenholzschnitte der „Ehrenpforte", des „Triumphzuges" und des
„Trimphwagens" (1515); der höchste Fürst des Abendlandes lädt
ihn 1516 auf den Reichstag nach Augsburg ein, und er darf Porträt-
skizzen vom Kaiser, bald auch (1518) ein gemaltes Porträt von ihm
schaffen. Die Majestät, deren Gebetbuch er mit reizenden Rand-
zeichnungen auf Pergament geschmückt hat, genehmigt ihm ein
Jahresgehalt von 100 Gulden, Kurfürsten und Könige wenden sich
an die berühmt gewordene Dürerwerkstatt in Nürnberg. Jetzt kann
er das schöne Haus unterhalb der Burg kaufen und sich großzügig
einrichten, denn er liebt — wie alle Maler der anhebenden Renais-
sance — ein wenig die Pracht und den Prunk.
Als Maximilian, sein Gönner, 1519 stirbt und die Unruhe zwischen
den Reformatoren und ihren Gegnern die Lande mit erregten Streit-
gesprächen, bald auch mit Waftenklirren und Fehden erfüllt, reist er
mit seiner Frau und einer Dienerin auf die Weise vornehmer Herren
mit Kutsche und Pferden nach den Niederlanden, wo der neue
Herr der Welt — Karl V. — heraufzieht. Wie sein Freund Willi-
bald Pirckheimer und andere große Leute — Erasmus von Rotter-
dam zum Beispiel — neigt auch er zunächst im Schmerz über den
Verfall des religiösen Lebens zur lutherischen Sache, da er in dem
großen Kampfgeist von Wittenberg den Reiniger von den Schlacken
der Zeit, den Erneuerer der alten Kirche, den Verkünder des reinen
Wortes Gottes verehrt. Als Luther aber ein neues Kirchengebäude
errichtet, bleibt er zurückhaltend und bekennt sich zu der über-
kommenen Lehre. '
Die Reise quer durch Deutschland wird zu einem Triumphzug
für den nun fünfzigjährigen Meister. Sorgfältig führt er Buch über
Ausgaben und Einnahmen, speist in den Gasthäusern vornehm
allein — während Frau und Magd sich in der Stube oben mit kar-
gerem Mahl begnügen müssen; er wird von bedeutenden Persön-
lichkeiten eingeladen, nimmt Aufträge in Bamberg, Frankfurt und
Köln entgegen und zeichnet alle berühmten Leute, die ihm be-
gegnen: den Reichsherold Sturm, Erasmus von Rotterdam, die
Statthalterin der Niederlande, viele Fürsten und Gelehrte.
Die Stadt Antwerpen bietet ihm ein Jahresgehalt von 800 Phi-
lippsgulden, wenn er dort bleibe, aber er lehnt ab. Der Rat gibt
ihm ein Bankett, und er schreibt darüber in sein Reisetagebuch:
„Und da ich zu Tisch geführet ward, da stand das Volk zu beiden
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Seiten, als führte man einen großen Herrn. Es waren unter ihnen|
auch gar viele treffliche Personen von Namen, die sich alle durch |
tiefes Neigen des Kopfes aufs Demütigste gegen mich erzeigten."!
Die Statthalterin lädt ihn ein, er porträtiert den dänischen König
und verkehrt mit den berühmten niederländischen Meistern Quentin
Massys, Lucas van Leyden und Barend van Orley. Als er am 6. Juli
1521 die Rückreise mit fast 120 Porträtskizzen und fünf Ölgemälden
antritt, ist sein Beutel leer geworden. Der Ruhm kostete Geld, er
muß sich die Summe für die Heimfahrt leihen.
Was aber bleibt von Geschrei und Gaffen? Was wiegt die Ver-
ehrung der Menge, die gemischt ist aus Neugierde, Schaulust und
Prahlerei, was sind die glatten Worte der hohen Herren wert, die
heute dem und morgen einem anderen Komplimente machen, um
die Geehrten ebenso schnell fallen zu lassen, so es der Vorteil
gebietet?
Albrecht Dürer erlebt es in den folgenden Jahren, daß all das,
was die Welt an Ruhm zu vergeben hat, ohne Gewicht ist. Die
reichen und angesehenen Kaufleute, die Räte und Würdenträger
kommen in seine Werkstatt und schmeicheln ihm, daß er sie male:
der feuerköpfige Hieronymus Holzschuher oder der verkniffene
Jakob Muffel. Aber hernach — als die leidige Politik dazwischen-
fährt — ziehen sie sich zurück.
Im Jahre 1525 erklärt sich der Rat von Nürnberg für die
Luthersche Sache und nimmt die Reformation an. Albrecht Dürer,
der Verehrer Mariens in vielen Bildnissen und in ebenso vielen
Bildern der mannhafte Prediger einer religiösen und geistigen Er-
neuerung, hat sich ebenso wie sein hochgelehrter Freund Willibald
Pirckheimer schon seit einiger Zeit von der Wildheit der örtlichen
Religionskämpfe, von dem gewalttätigen Wesen und dem stür-
mischen Fordern vieler Eiferer abgestoßen gefühlt und wendet sich
gegen jede Art des Radikalismus. Er gilt — noch dazu als Freund
Pirckheimers — als Reaktionär, man läßt ihn abseits liegen.
Wieder ist er zwischen zwei Extreme gestellt. Drei Gesellen seiner
Werkstatt, die dem Einfluß des empörerischen Geistes des Jo-
hannes Denck verfallen sind, und denen Luther nicht weit genug
geht, reden nicht nur gegen die alte Kirche, sondern lehnen gleich
den Gottesglauben überhaupt ab und verkünden eine neue revolu-
tionäre soziale Ordnung. Die drei Rebellen werden verhaftet und
aus der Stadt verwiesen.
Schwärmer, Fanatiker, Parteileute, kleine Geister füllen die
Gassen, der Himmel der Zeit verdüstert sich, erneut erheben sich
die Bauern; nach ihrer Niederwerfung nehmen die Herren furcht-
bare Rache. Das Frankenland ist von Wehegeschrei und Weinen
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erfüllt; aus der Heimat der Vorväter aber — aus Ungarn — kommt
die alarmierende Botschaft vom Anmarsch der Türkenheere.
Albrecht Dürer ist fast ganz allein mit sich selber und seinen Ge-
danken, nur Willibald Pirckheimer hält ihm Freundschaft. In diesen
Jahren, die nach innen blicken, die von Leid und Enttäuschungen
gezeichnet sind, denkt Albrecht Dürer nicht mehr an das Glück,
nicht mehr an die Melancholie, nicht mehr an den treulosen Ruhm.
Rein und klar geworden, in einem schweren, an Kämpfen und
Mühen reichen Leben gereift und geläutert, wendet er seine Kraft
nur mehr der Kunst entgegen, jetzt ringt er um das Letzte, um die
Vollendung ... '
Der Friede
Draußen grollen die Kartaunen in polternden Schlägen auf, die
Glocken heben von neuein zu läuten an. Jetzt hat wohl einer der
Meistersinger den Preis — den „Davidsgewinner" — errungen, und
die Stadt feiert den Sieger.
Albrecht Dürer fährt aus seinem Sinnen auf — sein ganzes Leben
ist noch einmal an ihm vorbeigezogen, und die Wirklichkeit wird
ihm wieder bewußt. Die Uhr seines Lebens zeigt den l. Oktober
1526. Er zählt fünfundfünfzig Jahre, noch ist er kein alter Mann.
Sein Blick fällt auf die Tafeln der „Vier Apostel".
Ja — Pirckheimer hat recht! Das ist die Vollendung.
- Wie lange lebt ein Mensch, fragt sich Dürer und gibt selber die
Antwort: so lange wohl, bis er erfüllt hat, was ihm die Gottheit auf-
gegeben, bis er vollendet ist oder seine Aufgabe getan hat.
Aber er ist nicht am Ende. Noch fehlt das Mittelstück des Altares,
dessen Flügel diese Tafeln werden sollen: der Salvator mundi, der
Erlöser der ganzen Welt — ihrer evangelischen und katholischen
Hälfte. Er muß noch dieses größte aller Bilder malen, das den Hei-
land zeigt, der zu allen Menschen gesprochen hat und an dessen
Seite die alte und neue Kirche in neugewonnenem christlichem
Frieden stehen sollen.
Oh, es gibt noch so viel zu tun: vor einem Jahr hat Albrecht Dürer
ein Buch über die „Geometrie" geschrieben — jenen großen italie-
nischen Vorbildern gleich, wie Leonardo oder Bellini, die in vielen
Künsten sattelfest sind; jetzt, da der Türke das Vaterland bedroht
und wider Wien heranrückt, arbeitet er an einer Befestigungslehre,
die er mit reichem Bilderschmuck versieht, und er plant schon ein
drittes Buch, das — dem Werk des Leonardo ähnlich — seine
künstlerischen und maltechnischen Gedanken weitertragen soll: eine
31
Abhandlung über die rechten Verhältnisse des menschlichen Kör- ,
pers in der Zeichnung.
Dieses Buch soll „eine Speis für die Malerknaben" werden und
ihnen die Wege ebnen und die Geheimnisse lüften, die er selber so
mühsam sich erkämpft hat.
Ein weites Feld liegt noch vor ihm und er wird es bestellen . . . ,|
so glaubt er. '
Schon bald darauf werden die beiden Tafeln mit den Heiligen
in den Sitzungssaal des Nürnberger Rates überführt, und in feier-
licher Handlung stiftet der Meister das Werk seiner Vaterstadt. ;
;
Dann arbeitet er still an seinen Plänen weiter.
Im Winter 1527 spürt er Schmerzen in der Milzgegend, die ihn
schon öfter geplagt haben. Anno 1509 hat er einmal eine Selbst-
darstellung gezeichnet, wobei er mit dem Finger auf die kranke
Stelle seines Körpers deutet und das Blatt — als Frage gleichsam —
an einen berühmten Arzt geschickt. Doch die Ärzte haben niemals
die rechte Medizin gewußt.
Jetzt tritt das Leiden peinvoller auf als je. Fieber kommt hinzu.
Dürer kränkelt ins Frühjahr hinüber und hofft auf das Wunder der
steigenden Sonne.
Aber die Krankheit wird schlimmer und schmerzhafter. Er phan-
tasiert und dämmert abgezehrt in immer tiefere Abgründe hinüber.
Am 6. April 1528 wird er mit den Tröstungen der Kirche versehen
und stirbt, am letzten Tage ruhig und klar werdend, fast ohne
Kampf inmitten seiner Freunde und seiner Familie.
Er ist vollendet, die Aufgabe ist erfüllt.
Seiner Witwe hinterläßt der Meister außer dem großen Hause
die stattliche Summe von 6848 Gulden, 7 Pfunden und 24 Pfennig.
Deutschland vererbt er die Mahnung zu Einigkeit und Versöhnung,
den Künstlern der Welt aber das leuchtende Vorbild eines zur Voll-
endung des Lebens und der Kunst Emporgestiegenen.
Umsdilaggestaltung: Karlheinz Dobsky
Bild auf der vorderen Urnschlagseite: Selbstbildnis von 1498 (Madrid);
Umschlagseite 4: Der heilige Eustachius um 1500 (Ausschnitt; darin
Dürers Monogramm); Umschlagseite 2: Selbstbildnis des Dreizehn-
jährigen, 1484 (Silberstiftzeichnung).
VERLAG S E B A S T I A N LUX
Murnau vor München