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Uli Krug Gebrauchswert und "Wertkritik"

51-62 Minuten
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*I.*

Vielleicht hätte es etwas geholfen, wenn Marx seiner ursprünglichen


Absicht folgend das erste Kapitel des /Kapitals/ "Der Wert" und nicht
"Die Ware" betitelt hätte. Unter dem Titel "Ware" nämlich fällt und fiel
es leichter, Marxens Überlegungen zur Einheit von Sinnlichem und
Übersinnlichen, die formaler Logik hohnsprechen, als überkandidelte
Marotte eines leidenschaftlichen Hegelimitators abzutun, was
Traditionsmarxisten aller Couleur meist hinter vorgehaltener Hand taten.
Ansonsten strafte man die unverständlichen und überflüssig erscheinenden
Bemühungen des Meisters, die aus dem allervertrautesten Gegenstand einen
"vertrackten", voller "theologischer Mucken" (MEW 23, 85) machen
wollten, mit rituellem Pflichtstudium einerseits und völliger
theoretischer wie praktischer Ignoranz andererseits.

Als das, was sich mitzunehmen lohnte von dem ganzen Aufhebens um die
Wertform, galt allein der Mehrwert, verstanden allerdings nur als
grobschlächtige Vorstellung vom Mehrprodukt. Diese Auffassung vom
Mehrwert als eine dem Arbeiter vorenthaltene Quantität nützlicher Dinge
vertrug sich zum einen bestens mit der dem Alltagsbewußtsein sich
aufdrängenden Annahme eines ungerechten Lohns, eines Raubes, den der
Kapitalist am Arbeiter begeht, zum anderen löste sie für die
Arbeiterbewegung das Problem des Frühsozialismus mit seinem
Stundenzettelgeld: Dessen Versuche, die ideale bürgerliche Gesellschaft,
nämlich die des gerechten Tausches und damit des gerechten Lohnes, gegen
die reale bürgerliche Gesellschaft zu setzen, also das reale Resultat
des Tausches, waren nach der sozialistischen /communis opinio /nicht am
Wertcharakter der Arbeitskraft gescheitert – ein Gedanke, der den
Repräsentanten der sozialdemokratischen Parteien völlig fern lag. Ihnen
zufolge krankten die Entwürfe Owens, Blancs und Proudhons vordergründig
daran, daß sie selbständige Kleinproduzenten voraussetzten, während Marx
den Umständen der hoch arbeitsteiligen industriellen Produktion Rechnung
trug.

Statt einer Kritik des Produzierens und der Produktform wurde der
Marxismus so eine Kritik der Produktionsorganisation. Daß der
organisierte Kapitalismus der Trusts und Monopole dieser Kritik, der
nichts verhaßter war als die Anarchie früherer Epochen des Kapitalismus,
den Boden unter den Füßen wegzog, ja wegziehen mußte, bedarf keiner
weiteren Erklärung.

Der fortbestehende krisenhafte Charakter des Kapitals trotz


korporatistischer Anerkennung der Arbeiterklasse und trotz
interventionistischen Staates blieb vorderhand ein Rätsel; eines, das
zwar die zu Staatsbürgern gewordenen Arbeiter, die der entsprechenden
Bewegung ihren Namen einstmals verliehen hatten, nicht mehr bekümmerte,
um so mehr aber die Klügeren unter jenen Wenigen, die eine solche
Bewegung am Leben erhalten oder reanimieren wollten und darob schier
verzweifelten.

Die Neue Linke war deshalb ständig von der Forderung eines "Zurück zu
den Quellen" begleitet, einer Suche nach dem /authentischen Marx/ oder,
akademischer ausgedrückt, dem Arbeitsprogramm einer /Rekonstruktion der
Kategorien der Kritik der Politischen Ökonomie/. Je häufiger und
gründlicher sich die klassischen Politikformen samt ihres theoretischen
Fundus blamierten, desto lauter erscholl dieser Ruf unter den weniger
werdenden Marxisten, desto ernster wurde er von diesen genommen. Die
Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Basiskategorie der bürgerlichen
Gesellschaft, der Ware, theoretische Hauptursache der
Erklärungsnotstände, begann fragwürdig zu werden. Die Erinnerung an die
Marxsche Erkenntnis, daß in der Ware, also in der Wertform, die ein
Produkt für den und im Tausch annimmt, bereits der Kapitalismus in Gänze
enthalten ist – und somit auch sein Krisencharakter – schien einen Weg
aus der vollkommenen Aporie, in der der leninistische Primat der Politik
versank, zu bieten.

Zur rechten Zeit trat Mitte der 80er Jahre die /Krisis/-Gruppe mit dem
Vorhaben auf den Plan, ausschließlich aus der Kritik dieser
Universalform kapitaler Vergesellschaftung die waltende Krise nicht nur
des Kapitalismus, sondern auch die der Arbeiterbewegung und des real
existierenden Sozialismus aufzuklären. Die große Stunde schlug, als der
Kollaps der sogenannten sozialistischen Warenproduktion diese als eine
tatsächliche /contradictio in adiecto/ vorführte. Wurde Cheftheoretiker
Kurz bis dahin als zusammenbruchstheoretisches /enfant terrible/ halb
bestaunt und halb belächelt, so fiel ihm jetzt nicht nur die Rolle eines
ökonomischen Nostradamus in den Sachbuchcharts zu, sondern auch die
Generalvertretung der Marke /Wertkritik/; eine Spartenbezeichnung, die
als solche schon irreführend ist: Orthodoxie ist schlechterdings
wertkritisch, weil ihr Gegenstand nichts anderes sein kann als die
*Universalform*, in der allein der Reichtum der kapitalistischen
Gesellschaft erscheint und die ebenso allein diesen Reichtum negiert.
Wertkritik kann also ob ihres Gegenstandes kein Ansatz unter vielen sein
und schon gar nicht im Kombipack mit etwas anderem verschweißelt werden.
Nicht zu Unrecht (d.h. von Kurz selbst mitverschuldet) aber wurde
Wertkritik genau als Label einer Spezialdisziplin verstanden, der
ökonomischen Diagnostik.(1)

Daher rühren auch Auf- und Abstieg solcher Wertkritik seit Ende der 80er
Jahre: Die politische Konjunktur der Linken wird seitdem von einer
Kombination aus Lust am Zusammenbruch und sturem Weiterwursteln, als ob
nichts gewesen wäre, bestimmt. Der /bang/ des RGW-Kollaps ließ zwar
selbst drögeste Traditionalisten und abgebrühteste Skeptiker urplötzlich
aus ihrer Routine aufschrecken; eine Störung, die sie so übelnahmen, daß
sie dem Störenfried Weltmarkt kurzzeitig jene apokalyptischen Reiter an
den Hals wünschten, die Kurz ihnen aufmalte. Kaum aber hatte sich der
Rauch über den Trümmern gelegt, schloß man ebenso schnell erleichtert,
daß das jüngste Gericht wieder einmal ausgeblieben sei, und strickte
weiter an der Ammenmär vom ewig währenden Kapitalismus, um nur nicht den
gewohnten Gang des Denkens ändern zu müssen und sich reformistischen
Projekten hingeben zu können wie der Kontrolle der Finanzmärkte und/oder
der Diskurshegemonie.

Dümmere, die den Unterschied zwischen Wert und Preis nicht kennen,
schworen zum Zwecke der Düpierung des lästig gewordenen Mahners auf die
unbegrenzten Spielräume des Marktes. Gewitzigtere hingegen verwiesen
darauf, daß es eine Verkürzung, wenn nicht gar totalitäre Monokausalität
unseligen Angedenkens sei, zu versuchen aus einer einzigen, womöglich
nur ökonomischen Kategorie eine komplette Geschichtsphilosophie abzuleiten.

*II.*
So wenig dieser Standardeinwand den Charakter der /Kritik/ der
Politischen Ökonomie begreift – allein schon deswegen, weil er
supponiert, daß die separaten Sphären der Ökonomie, der Politik, der
Kultur nur durch den Willkürakt des Theoretikers zusammengeschlossen
würden –, so sehr trifft sein zweiter Teil die Achillesferse der
Nürnberger Wertkritik. Tatsächlich übernimmt hier der Wert die Funktion,
die die Hegelsche List der Vernunft für den Geist innehatte. Gleich
jenem entfaltet sich der Wert nicht zuletzt unter Inanspruchnahme
diverser Hilfstruppen wie der Arbeiterbewegung, die ja tatsächlich
nichts von ihm ahnte, und frißt sich durch die "feudalen Reste"
(Standardformulierung der /Krisis/) hindurch. Rastlos springt er von
einer Stufe auf die nächste, getrieben davon, zu sich selbst zu kommen.
Ist es dann soweit, hat sich der Wert die Welt nach seinem Bild
gemodelt, ist diese reif, wie es dort heißt. Endlich kann man sich sich
an seine Aufhebung begeben, denn die Geschichte hat sich erfüllt, den
Kommunismus der Sachen geschaffen. Die Krux liegt nur darin, daß dann
vermutlich niemand mehr in der Lage und willens sein wird, den
Kommunismus der Menschen zu etablieren.

Dieser sie ad absurdum führenden Konsequenz entgeht die Kurzsche


Geschichtsphilosophie durch ein zumeist stillschweigend gesetztes
Apriori: Ein im ontologischen Sinne autonomes Subjekt, das sich völlig
von seinem materiellen Entstehungrund, der Selbstinbesitznahme zum
Zwecke des Tausches gelöst hat. Nur als derart ontologisches könnte es
seine ebenfalls apriorische "sinnliche Vernunft" (Kurz) gegen die
Fetischformen immunisieren, in denen dem empirischen Subjekt seine
eigene Vergesellschaftung sinnlich wahrnehmbar wird. Darf solche
Wahrnehmung, die Marx nicht umsonst als "Religion des Alltagslebens"
(MEW 25, 838) bezeichnete, bei ihm noch als Ensemble zwar notwendiger,
nichtsdestotrotz durch die Dialektik zwischen theoretischer Kritik und
revolutionärer Praxis korrigierbarer Irrtümer gelten, so verhärteten
sich diese Denkformen zu reflexhaften Reaktionen, als das Band zwischen
Kritik und Praxis zerriß. Marx konnte die Verkennung des
Doppelcharakters der Ware Arbeitskraft, die zur Vorstellung führt, daß
der diebische Kapitalist, speziell der zinsgebende, den gerechten Lohn
unterschlägt, genausowie die Vorstellung, daß der in Geldform
vorliegende Reichtum ein unmittelbar anzueignender sei, was zu nämlicher
Denkkonsequenz führt, noch als bloß ebenso "frommen wie dummen Wunsch"
(Marx 1974, 160) verspotten. In demselben Maße aber, wie einerseits das
Subjekt am in Form des fixen Kapitals sich als unmittelbares
Gebrauchsding verkörpernden Tauschwert irre wird (2), andererseits der
Volksstaat sich an die Spitze der ehemals revolutionären Bewegung setzt,
wird aus dem Irrtum, daß der Mehrwert aus der Zirkulationssphäre stammt,
ein kollektiver Antisemitismus; so wie sich auch die Basis "seichter
Wichtigtuerei" (MEW 25, 839), die Produktionsfaktorentheorie – also die
Vorstellung einer Wertschöpfungsgemeinschaft von Boden, Kapital und
Arbeit – zum handfesten Korporatismus von Arbeitsfront und Standort
auswächst.

Genau mit den alternativen und ökologischen Sedimenten dieser zu


Projektionen degenerierten ehemaligen Ideologie ist die Subjektontologie
der /Krisis/ gezwungen zu kollaborieren, wo sie an unmittelbare
politische Praxis gelangen möchte. Letzteres wird ihr nicht gelingen:
obwohl sie so bedenkenlos den sogenannten Realprozeß der Akkumulation
von der "organischen Zusammensetzung des Menschen" (Adorno 1978, 307)
getrennt hält, um deren stetes Ansteigen nicht wahrnehmen zu müssen,
wird sie sich ebenso vergeblich bemühen, antizivilisatorische Affekte
mit "Wertkritik" anzureichern, wie der deutsche Marxismus-Leninismus
daran scheiterte, grollende Staatsbürger zu klassenbewußten Proletariern
fortzubilden.

*III.*

Geradezu als Antipode solcher mit einem dubiosen Apriori arbeitenden


Geschichtsphilosophie erscheint die Analyse der Wertvergesellschaftung,
wie sie /Stefan Breuer/ vorlegt. Seine in den späten 70ern geleistete
Kritik an der Arbeitsmetaphysik als eines "falschen Versprechens"
(Breuer 1977, 240), das immer nur tiefer in den Verblendungszusammenhang
führt, den die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital als
"totale Vergesellschaftung" (ebda., 244) (3) stiftet, ist fast schon zum
Gemeinplatz in der kleinen wertkritischen Gemeinde außerhalb der
Frankenmetropole geworden. Die säuberliche Trennung zwischen Mr.Karl und
Dr.Marx, zwischen einem feuerbachianischen Idealisten des Gattungswesens
und einem unbestechlichen und unbarmherzigen Kritiker der Politischen
Ökonomie, die Breuers Kritik der Revolutionstheorie unterstellt, besitzt
nicht nur eine beachtliche innere Stringenz; sie ist auch attraktiv für
eine Haltung, die wir in der BAHAMAS als /postmodernes Bedürfnis/
beschrieben haben.

Breuers bekanntes Verdikt, daß materialistische Dialektik ihr


Instrumentarium neu justieren müsse, um die Entwicklung wenigstens noch
zu begreifen, die sie sowieso nicht mehr ändern könne (4), erfüllt dabei
eine doppelte Funktion: Zunächst teilt es mit seinen
realstrukturalistischen Verwandten das abgeklärte, wissend-skeptische
Sich-Fügen ins ohnehin Unvermeidliche. Darüberhinaus liefert es dafür
erhebliche bessere Argumente als die bestimmungslose und platte Rede von
der allgegenwärtigen und je schon seienden Macht oder Norm und befreit
somit von der lästigen und überflüssigen Arbeit an der Umwertung der
Normen, dem postmodern-demokratischen Ringelpiez, dessen Vergeblichkeit
offen ausgesprochen wird.

Die Trennung zweier Schichten oder Stränge im Marxschen Werk, einerseits


humanistische Revolutionstheorie und andererseits Strukturlogik des
selbstreferentiellen Wertes, kann einiges für sich ins Feld führen,
nicht zuletzt die Selbstkritik Marxens nach dem Scheitern des
revolutionären Zyklus Ende der 1840er Jahre. Im Vorwort der 1859er
Schrift /Zur Kritik der Politischen Ökonomie/ beispielsweise lassen sich
genügend Anhaltspunkte für einen Umschlag oder zumindest für ein
Verschieben der Gewichte finden. (5) Für die Breuersche Auffassung
könnte man folgende Passage herbeiziehen, die auch schon Althusser zu
ähnlichen Zwecken herbeizog (Althusser 1974, 47f.): Marx und Engels
überließen umso bereitwilliger das bereits fertiggestellte Manuskript
der /Deutschen Ideologie/, in dem sie mit ihrem *ehemaligen*
philosophischen Gewissen abzurechnen gedachten, der "nagenden Kritik der
Mäuse", weil die Arbeit daran einen wichtigeren Zweck erfüllt hatte:
Sich darüber zu verständigen, daß – hier mit ausdrücklicher Spitze gegen
Hegel – die "Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft" in der politischen
Ökonomie zu suchen sei. (MEW 19, 8ff.)

An diesem Punkt hakt die Unterscheidung zwischen jungem und reifem Marx
ein. Apodiktisch formuliert es der Althusser-Schüler Rancière, der gar
zwischen "vorkritischer" und "kritischer" Phase diskriminiert. (Rancière
1972, 23f.) Seinem Meister aber blieb es vorbehalten, diese
Dichotomisierung zwischen Philosphie und Ökonomie oder – in Althussers
Diktion – zwischen der frühmarxschen *Anthropologie*, die nach der
Restitution einer ursprünglichen Einheit gierte, und dem spätmarxschen
*Strukturalismus*, der die Differenz zwischen den gesellschaftlichen
Strukturen von Ideologie und Ökonomie nachwies, auf die im wahrsten
Sinne des Wortes schneidendste Formulierung zu bringen: Daß nämlich eine
/coupure/ /épistémelogique/, ein "wissenschaftstheoretischer Einschnitt"
(Althusser 1974, 11) das Marxsche Werk in zwei unverbundene Teile zertrenne.

*IV.*

So leicht macht Breuer es sich nicht, obwohl er die


französisch-strukturalistische Marx-Rezeption wegen ihrer harschen
Zurückweisung der Frühschriften lobend erwähnt, zumal Althusser keine
Ahnung von und kein Interesse an der Wertform hatte. Sein Problem, das
er als Parteitheoretiker der KPF zu lösen trachtete, war gänzlich
legtimatorischer Natur. Den guten alten Primat des Politischen galt es
zu bewahren, was hieß, den Fortbestand stumpfsinniger Arbeitsteilung und
Hierarchie in den Ländern des Realsozialismus ebenso zu rechtfertigen
wie die Hegemonie der Partei gegen den Spontaneismus in Frankreich zu
wahren. Deswegen zerlegt er Ökonomie, deren Wertlogik natürlich
sakrosankt bleibt, und Ideologie, die zum ewigen Existential der
Menschheit wird; auf welchem Feld es dann auch nur gelten kann, die
sozialistische gegen die falsche Ideologie zu setzen. Dennoch ist diese
mit Breuers höchst eigener /coupure/ geistes- und wesensverwandter, als
der Argumentationsgang vermuten ließe.

Dieser läßt den revolutionstheoretischen *Anspruch* der Marxschen


Theorie und ihren werttheoretischen *Befund *auseinander- und damit in
Konflikt zueinander treten. Aus dem Perspektivwechsel, den Marx, laut
Breuer, vollzieht, indem er das die Gesellschaft bewegende Prinzip nicht
mehr aus der Gattungskraft der Menschheit, der Arbeit, entspringen läßt,
sondern aus der selbstreferentiellen, automatischen Bewegung des wahren
Subjektes, ergibt sich ein unlösbares Vermittlungsproblem zweier
Theorietypen. Der humanistische Anspruch Marxscher Theorie, die
Menschheit ihre Vorgeschichte kraft Gattungstätigkeit beenden zu lassen,
zerschellt an der reellen Subsumtion dieser Arbeit unters Kapital.
Arbeit stellt einen Vergesellschaftungsmodus vor, der in humanistische
Kategorien nicht mehr zurückzupressen ist. Hält Theorie dennoch, wie
Marx es selber bis zum Ende seiner Tage tat, an diesen fest, so leistet
sie einen bloßen Beitrag zur fetischistischen Verblendung des Subjektes,
dem dieses ohnehin unterliegt. Denn sie ist dann eines Sinnes mit der
Regression des Bewußtseins, das sich die Abstraktion nur als Resultat
menschlicher Interaktion vorstellen kann, während diese Realabstraktion
doch nur mit sich selbst interagiert und sich somit eine Welt nach ihrem
Bilde schafft. Revolutionstheorie, die demzufolge notwendig ist, kommt
ohne falsche, d.h. Vermitteltes als Unmittelbares setzende Anthropologie
nicht aus. Sie muß das von der Abstraktion Vermittelte als Menschliches
ausgeben, obwohl es Abdruck des Un- bzw. Übermenschlichen des
subjektlosen "Wertes ist": Marx hat, soweit er Revolutionstheoretiker
sein wollte, den anthropologischen Diskurs niemals verlassen. (Breuer
1992, 11)

Nur allzusehr scheint die tatsächlich offenkundige Verfallsgeschichte


des Subjekts seit der Zeit der /Ökonomisch-philosophischen Manuskripte/
Breuers These vom Veralten des Humanismus recht zu geben. Selbst die
Begründung tritt materialistisch auf: Denn in dem Aufeinanderprallen
subjektiver Revolutionstheorie und subjektloser Werttheorie spiegelt
sich bei Breuer ein strukturgeschichtlicher Prozeß, in dem seit Beginn
der Neuzeit zwei einander unvermittelt gegenüberstehende
*Vergesellschaftungsformen* aufeinanderprallen. Das auf dieser Grundlage
entworfene Szenario gemahnt an eine negative Reprise Kurzscher
Weltgeschichte: Gleich jenem läßt Breuer den Tauschwert sich durch das
*vor* und *außer* ihm bestehende subjektive Material hindurchfressen.
Zunächst usurpiert er letzteres, was der Phase der *formellen*
Subsumtion der Arbeit unters Kapital entspräche und Marxens
subjektiv-subjektlose Zwieschlächtigkeit erklärt; dann aber schreitet
der Tauschwert kraft seiner endemischen Dynamik zur *reellen* Subsumtion
fort, d.h. er verzehrt das ihm äußerlich Gebliebene, die Arbeit als
unmittelbare Kooperation und mit ihr jede Form der gesellschaftlichen
Selbstorganisation, so wie der Wert sie einst in einer Art Naturzustand
vorgefunden hatte. Für Breuer ist dies das Ende des fundamentalen
Widerspruchs des Kapitalismus, der "zwischen produktivem Grund und
abstraktivem Schein" (Breuer 1977, 242) bestanden hatte. Löst die
Realabstraktion den Sinn ihres Präfixes real ein, dann begräbt der Wert
seinen produktiven Grund nicht nur unter sich, sondern er erschafft ihn
neu: Aber als ganz anderen, als geschlossene Welt der übersubjektiven
Eigengesetzlichkeit, womit das Ende der Revolution und ihrer Theorie
erreicht ist, weil ihre Quellen, die im *noch* *nicht*
wertvergesellschafteten Bereich lagen, damit versiegen: Wo es keinen
nicht vom Wert total vergesellschafteten Bereich mehr gibt, gibt es auch
keinen fundamentalen Widerspruch mehr, den der Wert noch mit einer
äußeren Grenze oder einem anderen Prinzip als seinem eigenen
konfrontierten würde.

Durch diese starre Trennung und Gegenüberstellung von rein mit sich
identischem Tauschwert und rein mit sich identischem Gebrauchswert, der
nur als von der Tauschabstraktion nicht (oder bloß äußerlich)
affizierter bestehen kann, gelingt Breuer das Kunststück einer
*negativen Ontologie des Kapitals: *ontologisch, weil der Tauschwert als
Kapital hier immer nur es selbst ist, es sich identisch durchhält vom
ersten Verkauf einer Stunde Arbeitskraft bis zum Monopol, es nur seiner
eigenen Programmierung folgt und somit früher oder später das stets
gleiche Ergebnis erzeugen muß. Das ist tückischerweise falsch, weil es
wahr ist. Denn schließlich ist das Kapital tatsächlich mit sich
identisch (eigentlich eine logische Unmöglichkeit), aber es ist die
Einheit von Identität und Nicht-Identität, von selbstreferentieller
Zwangsläufigkeit *und* dem Subjekt freien Willens, das es hervorbringt.
Es ist Naturzwang *und* die Aufhebung der ursprünglichen
Naturverfallenheit; es ist die Einheit von entfesseltem Bedürfnis *und*
fortbestehendem Mangel. Es ist *nicht* von vorneherein jenes
apriorische, eindimensionale und transzendenzlose Verhältnis, zu dem es
erst wird – keineswegs aber, weil es sich aus sich heraus ändert,
sondern umgekehrt: Das Kapital verändert seine gesellschaftliche
Erscheinung, indem es sich nicht ändert, indem es seiner eigenen Tendenz
und seiner eigenen Dynamik folgt (die natürlich in der Ware bereits
angelegt ist). Diese sich selbst überlassene Dynamik der Akkumulation
läßt das Kapital in Statik umschlagen, indem sie das zirkulierende
Kapital in fixes verwandelt und sich damit zu einer sachlichen
Naturschranke der Subjektivität macht, die mit ihrer Zwangsläufigkeit
die vom zirkulierenden Kapital zuvor zerschlagenen primären
Naturschranken übertrifft. *Die bewußtlose Akkumulationsdynamik legt die
historische Dynamik des Kapitals, die allein seinen Gebrauchswert
ausmachte, still*.

Dieser ist eben nicht das dem – zum Kapital gewordenen – Wert
Vorgängige, ihm Äußerliche und Vorausgesetzte, wie Breuer ihn als
außerökonomischen gegen den Tauschwert setzt*. Nicht die im Roh- oder
Gewohnheitszustand verharrende Welt besitzt Gebrauchswert, sondern die
brauchbar gemachte, deren Potentialität aus dem Dornröschenschlaf
geweckt wurde. Das Kapital selber setzte den Gebrauchswert*. Er bestand
im unbescheidenen, nie versiegen könnenden Bedürfnis, das sich in der
Jagd nach dem nicht mehr abschließend fixierbaren, verallgemeinerbaren
Reichtum, dem *Geld*, entwickelte. In diesem Sinne besaß der
vorkapitalistische Reichtum, der in unveräußerlichem Grund und Boden
bestand, und die allgemeinen Bedürfnisse in einem rohen, unmittelbaren
Zustand beließ, überhaupt keinen Gebrauchswert. Das "Geld heckende Geld"
(MEW 23, 170) brachte ein Subjekt hervor, das ein Interesse besaß, alle
hergebrachten Verhältnisse umzustürzen, keine Grenze mehr anzuerkennen;
wenn dieses Interesse auch in seiner unmittelbaren Form *negativ*
bestimmt war, nämlich durch die Vermeidung des Untergangs dieses
Subjektes auf dem Markt. "Die Austauschbarkeit aller Produkte,
Tätigkeiten, Verhältnisse gegen ein Drittes, Sachliches, was wieder
gegen alles ohne Unterschied ausgetauscht werden kann – also die
Entwicklung der Tauschwerte (und der Geldverhältnisse) ist identisch mit
der allgemeinen Venalität, Korruption. Die generelle Prostitution
erscheint als eine notwendige Phase der Entwicklung des
gesellschaftlichen Charakters der persönlichen Anlagen, Vermögen,
Fähigkeiten, Tätigkeiten." (Marx 1974, 80)

Nicht, daß sich hieraus eine irgendwie geartete historische


Notwendigkeit des Kapitals konstruieren ließe; ein Vorbehalt, den Marx
hier durch die Formulierung *"erscheint* notwendig" geltend macht. Jeder
andere Weg aus Naturverfallenheit, unbehebbarem Mangel und daraus
resultierender Herrschaft wäre ohne Zweifel der bessere gewesen. Leider
jedoch ist diese Rolle dem Kapital zugefallen. Erst die Maßlosigkeit des
universellen Tausches setzte sich über die Schranken der /prima natura/
hinweg, in einem bewußtlosen Prozeß, dessen Fortgang mit Leichen
gepflastert ist. Das einzige, was zu seinen Gunsten anführen läßt, ist
der von ihm hervorhgebrachte Überschuß an Subjektivität, mit dessen
Hilfe auch die Schranken der /Zweiten Natur/ zu durchbrechen sein sollten.

*V.*

Die Werttheorie sei mit ihr wesensfremden, letztlich ontologischen


Versatzstücken kontaminiert worden, damit sie überhaupt revolutionäre
Theorie bleiben könne, lautet Breuers Vorwurf, den er in dezenter Form
gegen Marx, in deutlicher Form allerdings gegen die Kritische Theorie,
sofern diese, wie in Adornos Fall, orthodox auftritt, erhebt (6) –
ontologisch deshalb, weil die *Arbeitsmetaphysik*, die Breuer als
Urtypus solcher Kontamination ansieht, schon längst ihr /fundamentum in
re/, das noch nicht völlig Subsumierte, verloren habe.

Dieser Vorwurf ist eine Projektion der höchsteigenen Breuerschen


Unfähigkeit, die *in der Sache selbst* waltende *Dialektik* von Tausch-
und Gebrauchswert auch als solche zu verstehen. Weil er den
Gebrauchswert als schlechthin dem Wert äußerlich Vorgängiges
mißversteht, kann er dessen Vermittlung mit dem Wert nicht
nachvollziehen. Breuer folgt einem Althusser wesensverwandten Prinzip,
der "Struktur mit Dominante". Determinierend für die Totalität seit der
Wert an sich, im Gegensatz zur Arbeit, die sein bloßes Material
vorstellt. Jeder Versuch, beide Momente als in sich vermittelte
vorzustellen, als Einheit der Gegensätze, verfiele dem Verdikt der
Arbeitsmetaphysik, da das Abhängige zur bestimmenden Dominante sich
aufschwingen würde. Mit einem derart justierten Kompaß durchforstet
Breuer Marx, um ihn in einen überholten /Exoteriker/, bei dem die
verkehrte Dominante gesetzt war, nämlich die Arbeit und der
Gebrauchswert (wie ihn Breuer versteht) und einen auch heutzutage noch
brandaktuellen /Esoteriker/, der die totalisierende Dynamik des Wertes
ohne große Widerworte beschreibt, aufzuteilen. Dr. Breuers abschließende
Beurteilung: Fände man beim jungen Feuerbachschen Marx einige
vorauseilende Geistesblitze, so könne der alte Marx aus Erschaudern ob
der eigenen Einsichten das revolutionstheoretische Mausen nicht lassen
und leiste sich beständig unvermittelte Rückfälle in die Terminologie
der jungen Jahre. Breuer hält das aber für eine *Unentschiedenheiten
Marxens und nicht für die Zwieschlächtigkeit des historischen
Prozesses!* Die für ihn entscheidende Frage, die er an Marx anlegt, ob
nun *entweder *der Wert, sprich der subjektlose Modus *oder* die Arbeit,
sprich der subjektive Modus die Synthesis der Gesellschaft leiste, geht
völlig am Gegenstand vorbei, ja spricht der ganzen Anlage der /Kritik
der Politischen Ökonomie/ Hohn.

Ohne den metaphysischen, subjekttheoretischen Marx ist der reife,


wertkritische Marx nicht zu haben. Sie treten stets zu zweit auf, weil
ihr Gegenstand ein janusköpfiger ist. Kritik am Tauschwert, weil als
dessen Konsequenz die Naturnotwendigkeit in der Gesellschaft fortdauert,
obwohl sie die Natur bemeistert, ist nicht möglich *ohne* den positiven
Bezug auf das bürgerliche Subjekt und seine wiewohl zwieschlächtige
Vernunft, die zwar dem Markt verfällt, aber doch der Natur entrann.
Repressiv bleibt die Individualisierung, weil der Wert zwar eine
Herrschaft durch die andere ersetzt, nänlich die der persönlichen
Abhängigkeit durch die der Abstraktion. Indem aber das Geld als
allgemeine Äquivalentform die verfestigten Ansprüche und Abgrenzungen in
der Gesellschaft als Willkür offenbarte, folgte ihm auch ein anderer
Typus des Beherrschten. Denn es war nicht nur der Bürger, der über
Jahrhunderte hinweg eine wenn auch nur von seinem Kapital geborgte
Privatautonomie etabliert hatte. Auch der Proletarier erkannte aufgrund
der aufscheinenden Universalität des Reichtums die Klassenschranken
nicht mehr an, die er als Bauer noch achten gelernt hatte. Gerade weil
die Menschen sich zwar als Freie betätigen, denen das Resultat ihrer
Betätigung aber als unbegreifbares Existential in Gestalt von Kapital
und Geld gegenübertritt, sind diese Existentialien doch andere, als es
die der mangelnden Naturbeherrschung früherer Epochen waren. Indem die
menschliche Tätigkeit /sans phrase/ auftritt, wird auch ihr universeller
Charakter sichtbar, der mit der partikularen Form seiner Realisierung
auf dem Markt konfligiert. Diese revolutionäre Möglichkeit ist in die
Kategorien der /"Kritik"//der Politischen Ökonomie/ selbst eingebettet,
ohne sie wären sie nicht. Sie zielen darauf ab, *wahr zu sein,* *aber
nicht darauf, wahr zu werden*, denn sie sind davon und dazu bestimmt,
daß der von ihnen aufgedeckte Naturprozeß vom Verein freier Menschen
beendet wird. Revolution ist also *kein* von außen an die Theorie
herangetragener Anspruch, der mit der "Wertkritik" in Marxens Werk nur
mehr schlecht als recht koexistieren würde.

Fällt dieser inhärente Bezug weg, regrediert "Wertkritik" zur


reaktionären Pose: Gesäubert von der Intention, die Vorgeschichte
beenden zu wollen, kann sie auf Althussersche Unbeholfenheiten
verzichten und wird unverhohlenerweise soziologisches Beiwerk der
Systemtheorie, philosophisches für die Existentialontologie. Wenn die
Gesellschaft schon je kein Humanum ist, wie es Breuer sich von Luhmann
bestätigen läßt und es nur eines gewissen Differenzierungsgrades des
Systems Gesellschaft bedarf, damit dies offen zutage tritt, dann spielt
keine Rolle, ob dieser Zustand Selbstreferentialität des Werts oder
"systemische Autopoiesis" heißt. (7) Und wenn das Leben *schicksalshaft*
zum Dasein erstarrt, dann ist es letzlich auch gleichgültig, wie es dazu
wurde.

*VI.*

Der Vorwurf, den Breuer gegen Marx erhebt, ist im Wortlaut bei diesem
abgeschrieben. In den /Theorien über den Mehrwert /notiert Marx, daß
Adam Smith’ Werk in einen "esoterischen und einen exoterischen Teil"
(MEW 26.2, 163) zerfiele, zwischen denen Smith wie die nachfolgenden
Ökonomen hin- und hertaumelten. Der Widerspruch bei Smith, auf den Marx
abhebt, ist der Widerspruch zwischen einerseits einer objektiven,
sachlichen Bestimmung, was denn Reichtum eigentlich sei bzw. nach
welchem Maß er zu einem solchen würde und andererseits der subjektiven,
willensmäßigen Bestimmung der Warenpreise als Ergebnis freier Handlungen
der Warenbesitzer. Nicht, daß hier ein offensichtlicher Fehler vorliegt,
interessiert Marx, sondern die paradoxe Wirklichkeit dieses
Widerspruchs, nämlich daß beide Bestimmungen zurecht getroffen wurden,
obwohl sie sich nach den Gesetzen der binären Logik ausschließen. Damit
erscheint im Zentrum der Politischen Ökonomie eine Frage, die mit den
Mitteln einer empirisch-positiven Wissenschaft, als welche die Ökonomie
sich begreift, noch nicht einmal zu stellen ist: Warum erscheint ein
gesellschaftlicher Akt als ein Verhältnis von Dingen, ein Ding aber
wiederum als gesellschaftlicher Akt? Eine solche Transsubstantiation
fiele vielmehr in den Bereich von Metaphysik und Religion bzw. der
Kritik derselben.

Und tatsächlich scheut der junge Marx nicht davor zurück, zu


propagieren, daß die Kritik, wie sie für die "Gegenstände der Religion
von Feuerbach entfaltet wurde, auch auf die profanen Gegenstände
anzuwenden" sei (MEW 1, 379), nämlich sie als Selbstentfremdung zu
entlarven. Feuerbachs Standpunkt einer anthropologischen Gegentheologie
einzunehmen war zunächst absolut notwendig, um ihn im Nachhinein im
doppelten Sinne aufheben zu können. (8) Auch Marx kritisiert die
monotheistischen Religion dahingehend, daß in ihr der Mensch ein
doppeltes Dasein führe: als phantasmagorischer Schöpfergott einerseits,
in den die Möglichkeit der Gattung zur Naturbeherrschung projiziert ist
sowie als einzelnes Gattungsexemplar, dem diese Möglichkeit verstellt
ist, andererseits. Dieselbe Spaltung herrscht in der höchst materiellen
Ökonomie: Einerseits steigert sie die Naturbemeisterung, andererseits
verhindert sie die dadurch möglich gewordene Freiheit. Dieser
Widerspruch konnte zunächst nur im Konzept des sich in seiner
Entäußerung doch identisch durchhaltenden Menschen erfaßt und
festgehalten werden. Damit verbleibt Marx dem Anschein nach noch in den
üblichen Gefilden des zeitgenössischen Linkshegelianismus, der zwar den
Hegelschen "Geist" in den nur konkret scheinenden "Menschen" umbenennt,
aber die Absolutheit seines Subjekts beibehält. Das bedeutet, daß dieses
Subjekt sich aus absolut eigener Kraft schafft, wobei das ihm
gegenübertretende Objektive der sozialen wie natürlichen Welt nichts
anderes ist als das, was das Subjekt selbst war und ist, bloß "in der
Nacht seines Selbstbewußtseins versunken". (Hegel 1937, 563)

Darauf bezog sich die Selbstkritik Marxens bezüglich seines


philosophischen Gewissens. "Die Genesis und Notwendigkeit der
Widersprüche" (MEW 1, 296) liegt nicht etwa im Subjekt allein, sondern
auch in etwas ihm Entgegengesetzem begründet; etwas, das Adorno später
als "Vorrang des Objekts" bezeichnen sollte. Die Entwicklung
emphatischer Subjektivität hängt davon ab, daß ihm die zu bearbeitende
Natur und das bearbeitete Objekt *tatsächlich* und nicht nur scheinbar
als eigenmächtiges Subjekt-Objekt entgegentritt; inbesondere in Form der
Ware, ja eines Kosmos der Waren, gezeugt aus der progredierenden
Eigenlogik der Verwertung. Wohlgemerkt, es handelt sich hier*nicht* um
einen Wechsel des Theorietypus (von Humanismus zu Systemtheorie à la
Breuer), sondern um die Entfaltung der Subjekt-Objekt-Dialektik dort, wo
zuvor das identische Subjekt mit sich allein geblieben war. Ohne diesen
(Links)hegelianismus hätte Marx die tatsächliche Metaphysik noch im
Allerrealsten nicht aufdecken können. Aber statt, daß wie in den
/Manuskripten/ der Mensch sich selbst mit jener eigenartigen
"Zauberkraft" (Hegel 1937, 29), die Hegel in der /Phänomenologie/ für
den Fortschritt des Geistes beansprucht hatte, aus sich selbst
hervorbrachte, bringt er sich tatsächlich dadurch hervor, daß er sich
einer fremdartigen Eigenlogik anmessen mußte. Die *Bestimmungen*, die
das Subjekt von jeher der Produktion auferlegte, die Bestimmung der
Produkte zum unmittelbaren Verbrauch und zur unmittelbaren Nützlichkeit,
waren zugleich auch die unumstößlich scheinenden *Schranken*, die
vorbürgerliche Produktionsweisen dem Subjekt auferlegten. Erst der Wert,
somit die Produktion um ihrer selbst willen, durchstieß diese Schranken,
indem er die subjektiven Bestimmungen der Produktion nach Möglichkeit
ignorierte, den Dingen ein Eigenleben gab. Er vernachläßigte den
*unmittelbaren* Gebrauchswert zugunsten des "Gebrauchswerts der durchs
Kapital gesetzten Arbeit, des spezifischen Gebrauchswerts, des
Gebrauchswerts im emphatischen Sinn, des Gebrauchswerts par excellence."
(Pohrt 1995, 199). Dieser und nicht der triviale, unmittelbare
Gebrauchswert verwarf die falsche Bescheidung des Subjektes im
Althergebrachten, öffnete ihm dafür aber eine neue Welt – freilich als
Möglichkeit, die dem Subjekt *nicht *beliebig lange offen und nicht
allzeit greifbar nahe bleiben würde: "Verdinglichung und verdinglichtes
Bewußtsein zeitigten mit der Entbindung der Naturwissenschaften auch das
Potential einer Welt ohne Mangel; vordem schon war dinghaft
Entmenschlichtes Bedingung von Humanität ... während Gleichgültigkeit
für die Dinge, die als reine Mittel eingeschätzt und aufs Subjekt
reduziert werden, Humanität abtragen half. Im Dinghaften ist *beides
ineinander*, das Unidentische des Objekts *und* die Unterwerfung der
Menschen unter herrschende Produktionsverhältnisse, ihren eigenen, ihnen
unkenntlichen Funktionszusammenhang." (Adorno 1975, 192; Hrvb. v. mir)

Die Metaphernsprache, mit der Marx den Wert, das automatische Subjekt
umschreibt, legt von diesem "beides ineinander" beredtes Zeugnis ab. Er
wirkt als "schranken- und maßlose(r) Trieb", über seine Schranke
hinauszugehen (Marx 1974, 240), er übergipfelt alles an "Energie,
Maßlosigkeit und Wirksamkeit" (MEW 23, 328). Gerade weil das Kapital als
"Geld heckendes Geld" (MEW 23, 170) ist, trägt es "Lieb im Leibe" (Marx
1974, 592). Als solche Einheit von Berechnung und Leidenschaft
produziert es "nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch
ein Subjekt für den Gegenstand". (Marx 1974, 15). Von diesem künden
nicht zuletzt Balzacs Romane, zu denen Adorno folgendes notiert:

"Noch aber verschwinden die Triebe nicht durchaus in den


gesellschaftlichen Schemata. Sie heften sich an die weithin noch
unerreichbaren Güter ... treten als Geiz, Geldgier oder Gründerwut in
den Dienst des expansiven Kapitalismus, der, solange er nicht ganz
eingespielt ist, zusätzlicher Energien der Individuen bedarf ... Davor
tummeln sich die Leute wie ... Agenten des Mehrwerts und Don Quixoten
eines Reichtums, von dessen Erweiterung sie, wie Feudale ohne viel
Arbeit, etwas zu ergattern hoffen, Glücksritter, anstürmend gegen die
Windmühlenflügel der Fortuna, die sie nach dem Gesetz der
Durchschnittsprofitrate zu Boden schlägt. So bunt ist der Einbruch des
Graus, so bezaubernd die Entzauberung der Welt, so viel läßt von dem
Prozeß sich erzählen, dessen Prosa dafür sorgt, daß es bald nichts mehr
zu erzählen gibt." (Adorno GS 11, 146)

Kraft bewußtlosen Prozessierens der Akkumulation aber entfährt dem


Kapital schließlich die "Lieb im Leibe"; ihm und damit seinen lebendigen
Anhängseln widerfährt Fixierung bis zur Bewegungsunfähigkeit im rasenden
Stillstand, der Dynamik des Statischen. Unter den Auspizien von
Aktiengesellschaft und autoritärem Staat sollte Akkumulation von einem
aufreizenden Reigen zu dumpfer Notwendigkeit werden, die keine Eskapaden
mehr duldet. Indem das Kapital als Großmaschinerie sich selbst zur
handgreiflichen Naturtatsache transformiert, verliert es seine
befreiende Kraft, die gerade in der Auflösung scheinbarer Naturtatsachen
bestanden hatte: "Sobald es (das Kapital, U.K.) eine bestimmte Grenze
nicht mehr als Schranke fühlte, sondern als Grenze sich in ihr wohl
fühlte, wäre es selbst von Tauschwert zu Gebrauchswert, von der
allgemeinen Form des Reichtums zu einem bestimmten substantiellen
Bestehn desselben herabgesunken." (Marx 1974, 240).*Das Kapital setzt
keinen Gebrauchswert mehr, es setzt sich an seine Stelle*.

*VII.*

Nicht regressive Sehnsucht nach einem vorkapitalistischen Zustand, nach


einer ursprünglichen Fülle erweckte die Hoffnung – und erhält sie am
Leben –, daß Gesellschaft statt blinder Zwang zu bleiben zum Verein
freier Menschen werden könnte. Mit Recht beharrte Marx darauf, daß das
Kapital die Voraussetzung seiner Abschaffung selber schuf. Deshalb kann
auch nicht bequem konstatiert werden, daß allein deshalb, weil die
Herrschaft des Kapitals allzulange andauert, kritische Theorie ihren auf
Revolution drängenden Charakter verlieren muß, wolle sie nicht kindisch
werden.

Andererseits aber kann kritische Theorie nicht mehr auf die


unausgesprochene, weil selbstverständliche Voraussetzung eines vom
Objekt erzeugten subjektiven Überschusses rekurrieren. Der Kern der
Kritik der Politischen Ökonomie bestand darin, daß der Wert über sich
hinaustreibt, weil er sich nur mittels der doppelt freien Tathandlungen
der über ihre traditionellen Schranken hinaus getriebenen Individuen
verwirklichen kann. Eben jener Zusammenhang aber ist kein unmittelbar
praktischer mehr. Die Kritik der Politischen Ökonomie ist gerade deshalb
zu einer traurigen Wissenschaft geworden, weil sie dieses Individuums
bedarf, um es die Paradoxie der Individuation erkennen zu lassen: Qua
Tausch befreit es sich erst aus den Naturschranken; wird es aber dem
gleich, was es dieser seiner *Entstehungsbedingung*, seinem Begriff nach
ist, nämlich physiologisches Substrat seines Wertes, das seinen
Daseinsgrund nur darin hat, daß die Waren nicht von alleine auf den
Markt gehen können, dann versinkt es aufs Neue in Naturverfallenheit,
wird es Exemplar und nicht Individuum. Ohne dieses, d.h. ohne Erinnerung
an die Voraussetzungen dieser traurigen Wissenschaft würde nicht einmal
mehr geäußert werden können, daß Begriff und Realität des Kapitals
deckungsgleich zu werden drohen. Weil das Kapital selbst und nicht die
Revolution die bürgerliche Gesellschaft liquidierte, kann die einstmals
ans Kapital amalgierte Vernunft auf keinen Fall mehr an seiner jüngsten
Gestalt abgelesen werden.

*Uli Krug *(BAHAMAS <http://www.nadir.org/periodika/bahamas/> 28/1999)

*Literatur*:

*Adorno, T.W. 1975*: Negative Dialektik, Frankfurt

*– 1978*: Minima Moralia, Frankfurt

*– GS*: Gesammelte Schriften, Frankfurt 1997

*Althusser, L. 1974*: Für Marx, Frankfurt


*Backhaus, H.G. 1997*: Dialektik der Wertform, Freiburg

*Bahamas 25*, 1998

*Breuer, S. 1977*: Die Krise der Revolutionstheorie, Frankfurt

*– 1985*: Aspekte totaler Vergesellschaftung, Freiburg

*– 1992*: Die Gesellschaft des Verschwindens, Hamburg

*Hegel, G.W.F. 1937*: Phänomenologie des Geistes, Leipzig

*Marx, K. 1974*: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin

*MEW*: Marx-Engels Werke, Berlin 1956 ff.

*Pohrt, W. 1995*: Theorie des Gebrauchswerts, Berlin

*Rancière, J. 1972*: Der Begriff der Kritik und die Kritik der
Politischen Ökonomie, Berlin

*Anmerkungen:*

1) So wiederholt sich im wertkritischen Mikrokosmos das unselige


Erweitern des Marxismus, das ihn von Anfang an begleitet hatte. Die
vulgäre Auffassung, daß Marx nur eine ökonomische Theorie gegeben hätte,
die nach psychologischer, anthropologischer, erkenntniskritischer etc.
Ergänzung geradezu riefe, feiert im Gewande des (Post)-Strukturalismus
fröhliche Urständ. Nur aus dem völligen Verfehlen der universellen
Implikation des Werts, der für eine bestimmte Konstellation von Subjekt
und Objekt, von Naturwesen Mensch und der von ihm bearbeiteten Natur
steht, ist zu erklären, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, ihn
als partikulares Element in ein postmodernes Theorieensemble zu
kooptieren: Dieses verfiele vielmehr der Wertkritik selbst. Nur mit
ihrer Hilfe erschließt sich die strukturalistische Hybris des Subjektes,
das sich selbst nicht mehr als solches erkennt. Mit seiner
klassisch-positivistischen Spielart hat solche Hybris gemein, daß sie
die Herrschaft des Begriffs über das diesem gleichgültige Material, die
Auflösung der Objekte in reine Sprachobjekte betreibt, in der irrigen
Annahme, in dieser äußersten Aufgipfelung der Subjektivität ebendiese
zurückzunehmen. Wie vormals die ökonomietheoretische Lesart des Kapitals
den Hokuspokus um den subjektiven Faktor notwendig erzeugte, so hat sich
auch die "Wertkritik" ihr/Karoshi/ selber eingebrockt.

2) Vgl. BAHAMAS 25, 34: "In dem Prozeß aber, in dem Kapital eine
stoffliche Gestalt annimmt ... als Maschinerie, setzt es sich selber als
,Naturnotwendigkeit‘. Im ,fixen Kapital‘ der hochmaschinisierten
Produktion mutieren jene ,Formeln‘ der ,Beherrschung der Menschen durch
den Produktionsprozeß‘ zur technischen Notwendigkeit. ... In dem zur
zweiten Natur gewordenen Kapital wendet sich aber dessen
emanzipatorisches Potential ... ins Katastrophische: Indem die
Geblendeten, denen der Schein des fixen Kapitals, wie ein Naturgesetz zu
wirken, zum tatsächlichen Schicksal wird, ein zur Selbsterhaltung
konzipiertes System beibehalten, obwohl dieses im Selbstlauf seiner
steigenden organischen Zusammensetzung aufs Menschenmaterial so souverän
verzichtet, wie eigentlich die Menschen auf diese bewußtlose Form der
Selbsterhaltung verzichten müßten."

3) Alle zitierten Wendungen Breuers stammen aus: Breuer 1977, soweit


nicht anders angegeben.

4) So der Klappentext von Breuer 1985.

5) Ein Vorwort, berühmt geworden wegen seiner zu Plattitüden


herabgewürdigten Formulierungen, wie der vom rascheren Umwälzen der
Basis als dem des Überbaus oder des Satzes von Sein und Bewußtsein.

6) Breuers Lob auf den Wertformanalytiker Adorno ist stets mit einem
Tadel ob dessen Uneinsichtigkeit in die Vergeblichkeit humanistischer
Spinnereien verknüpft: "Adorno hat sich beharrlich geweigert,
Folgerungen für eine positive Anthropologie und Ontologie zu ziehen, die
bereits in der bestehenden Gesellschaft die Keimzellen einer künftigen
nicht-antagonistischen Ordnung identifiziert; bisweilen hat er
Hoffnungen geknüpft, die _in eigentümlichem Kontrast zu seiner Einsicht
in die Abstraktheit der Wertvergesellschaftung stehen und auf einen
unaufgelösten romantisch-lebensphilosophischen Rest in der kritischen
Theorie verweisen_ ... Solche Utopien ... sind in Adornos Oeuvre jedoch
_glücklicherweise peripher_; von weitaus größerem Gewicht sind
demgegenüber Theoreme, die auch die _Systemfunktionalität_ der scheinbar
nicht zum System gehörenden Momente herausstellen." (Breuer 1985, 41f.)

7) Vgl. Breuer 1992, 79: "Der Begriff der Selbstreferenz verweist auf
eine weitere wichtige Parallele von Systemtheorie und Dialektik ... Die
Tendenz seiner (d.i. des Werts, U.K.) rastlosen Selbstbewegung geht auf
Schaffung eines autonomen, allein auf sich selbst gegründeten Systems
reiner Vergesellschaftung, das alle vorgefundenen, vorsystemischen
Elemente in Resultate seines Daseins verwandelt und im Prozeß seiner
Reproduktion seine eigene Bedingungen neu erzeugt. Genau diese Bewegung
zeichnet Luhmanns Theorie der Autopoiesis nach."

Obwohl Breuer zunächst von Marx resp. Adorno sprach, meinte er doch
schon immer Luhmann: "Wie (das) affirmative Verhältnis zur
abendländischen Metaphysik mit der an anderer Stelle vorgetragenen These
zu vereinbaren ist, daß die transzendentale Allgemeinheit der Vernunft
die Reflexionsform der Verdinglichung sei, ist Adornos Geheimnis
geblieben. Da Ist Luhmann konsequenter. Für ihn sind Vernunft,
Emanzipation, Kritik, der Traum des Subjekts und die Idee des mündigen
Menschen allesamt Bestandteile einer Semantik, die höchstens noch von
historischem Interesse ist ... Die Gesellschaft ist keine Summe von
Menschen oder gar das Gattungswesen Menschheit, sondern eine
eigenständige Kombinatorik, die auf organisch-psychischer Grundlage
stattfindenden Kommunikationen zu einem selbstreferentiellen System
integriert ... (Das) bedeutet aber, daß der Mensch ... nur noch als
,beitragende Umwelt‘, die in die sozialen Systeme `interpenetriert’
(verstanden werden kann). Das wiederum ist ein Gedanke, zu dem sich bei
Adorno Entsprechungen finden lassen ...".

8) Die Wahnhaftigkeit von Unternehmungen Marxens, Werk in Philosophie


und Ökonomie sortieren zu wollen, hat H.-G. Backhaus in seinem Text
/Einige Aspekte des Marxschen Kritikbegriffs im Kontext seiner
ökonomisch-philosophischen Theorie/ herausgestellt: "Die Formen des
ökonomischen Reichtums oder die ökonomischen Kategorien werden als
"Gestalten" oder "Produkte der Selbstentäußerung", und zwar der
materiellen Selbstentäußerung bestimmt und damit den anderen "Gestalten
der Selbstentfremdung" zugeordnet. Die ökonomischen Gegenstände sind als
die "unheiligen" Gestalten der Selbstentäußerung jetzt kommensurabel den
metaphysischen und theologischen als den "heiligen" Gestalten derselben.
Diese Parallelisierung hält sich bekanntlich durch bis ins Spätwerk."
(Backhaus 1997, 406)

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Stimme: Standard StandardMicrosoft Hedda Desktop - German

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