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Prof. Dr.

Anreas Anter,
Wissen und Macht II
WS 2012/13

Maria Arkadieff,
MN: 2514886

Ist Politik moralisch?


Arendts Anthropologie und ihre Kritik natürlicher Menschenrechte
1. Einleitung

2. Die Aporien der Menschenrechte

2.1 Natürlichen Rechte als Korrelat der natürlichen Freiheiten

2.2 Vom Sinn der Idee: was sollten Menschenrechte leisten?

2.3 Bestimmung der Menschenrechte als Analyse ihrer vollständigen Vernichtung

2.4 Das Recht, Rechte zu haben

3.Moralisches und Politisches bei Arendt

3.1 Passivität: Tragödie der moralischen Haltung?

3.2 Person und Pluralität: Arendts universalistische Anthropologie


3.2.1 Das Erwachen der Freiheit
3.2.2 Der Ausweg aus der Passivität

3.4 Wildt: Menschenrechte als moralische Rechte

4. Abschließende Überlegungen

Literaturverzeichnis

1
1. Einleitung

(1) Der Ausgangspunkt meiner Arbeit ist die Überlegung, dass es sich als problematisch erwiesen
hat, zu zeigen, dass Menschen auch für diejenigen moralische Verantwortung tragen, die nicht
Bürger ihres Staates sind und zu denen sie in keiner unmittelbaren Beziehung stehen. Auf
Grundlage Arendts anthropologischer Begriffe will ich zeigen, inwiefern eine solche moralische
Verantwortung denkbar ist.

Arendt selbst lehnt die Idee universeller und unabdingbarer Menschenrechte ab. Im Zuge der
Hausarbeit werde ich implizit die Auffassung begründen, dass sich ihre Ablehnung dabei gegen die
Möglichkeit einer ausschließlich politischen Begründung universeller Menschenrechte richtet.
Diese Position folgt aus ihrer liberal-republikanischen Staatsauffassung:

„Jeder Zusammenschluss von Menschen, sei er sozialer oder politischer Art, verlässt sich letzten
Endes auf die menschliche Fähigkeit, Versprechen abzugeben und Versprechen einzuhalten. Die
einzige im strengen Sinne moralisch zu nennende Pflicht des Staatsbürgers besteht in dieser
zwiefältigen Bereitschaft, mit der er im Hinblick auf sein künftiges Verhalten Versprechen abgibt,
und sie auch einhält.“1

Nichtsdestotrotz stehen Individuen und Gesellschaften immer auch moralischen Problemen


gegenüber, woraus das Bedürfnis entsteht Moralisches in politische Philosophie miteinzubeziehen.
Versucht man zu zeigen, wie objektives Recht moralisch zu beurteilen ist, greift man u. A. auf die
Idee „natürlicher“ Menschenrechte zurück.

Arendt zeigt in ihren Aporien der Menschenrechte, dass die Idee im Rahmen der Staatstheorie nicht
haltbar ist: weiß man, dass „beides, Freiheit wie Unfreiheit, ein Produkt menschlichen Handelns
ist“2, so können keine Rechte formuliert werden, ohne den Rekurs auf den Rechtsadressat, d. h.
Denjenigen, der die entsprechende Pflichten inne hat. Im Rahmen der republikanischen Auffassung
entstehen Pflichten aus Verträgen (s. o). D. h. setzt Arendt anstelle von Menschenrechten ihr
einziges Menschenrecht, d. h. das Recht, Rechte zu haben. Auf diese Weise behauptet sie die
Möglichkeit, ein Minimum an Egalität zu verwirklichen: doch leider nur insofern, als allen
Menschen das Recht auf Staatsangehörigkeit zugestanden wird. (vgl.2.1-2.3).

(2) Arendts kennzeichnet Moralität als eine wesentlich passive Haltung (vgl. 3.1). So verstanden
entfaltet Moralität keine politische Wirkung. Aus der Perspektive des moralischen Menschen ist

1
IG, S. 313
2
EUT, S.615

2
zwar derjenige Staat zu verurteilen, der gegen grundlegende moralische Normen verstößt, - wobei
sich mit Arendt keine Kriterien zur Beurteilung der moralischen Qualität der Institutionen
formulieren lassen. Doch unabhängig vom Inhalt grundlegender moralischer Normen stellt sich uns
Folgendes Problem: (a) zwar ist die moralische Qualität politischer Systeme erkennbar im
negativen Sinne – d. h. der unmenschliche Charakter der Politik. Das Individuum kann indessen
nicht auf (b) die Verantwortung angesprochen werden, die er für die Errichtung eines moralisch
verträglichen Staatswesens trägt.

Daraus ergibt sich zunächst eine paradoxe Situation: zwar ist das moralische Gewissen des
Einzelnen im Sinne von (a) dasjenige, das dem legalisierten Unrecht ganz selbstverständlich die
eigene Moralität und Moralfähigkeit vorzieht.(vgl. 3.1) Doch weil Arendt nicht glaubt, dass sich aus
der Moralfähigkeit des Einzelnen ohne Weiteres positive Pflichten ergeben, kann dieser auch nicht
zur Verantwortung für die Entstehung unmenschlicher Systeme oder Errichtung moralisch
verträglicher Staatswesen herangezogen werden. Das moralische Subjekt, der eigentlich
Verantwortliche für Recht, Staat und Gesellschaft bleibt im Dunkeln.

Ich möchte hingegen zeigen, dass Moralisches nicht politisiert werden kann, sondern dass der
Zusammenhang zwischen diesen beiden 'Modi' der menschlichen Lebensweise notwendig gegeben
ist.

(3) Ich möchte zunächst einmal zeigen, dass Moralisches immer schon auch Teil des Politischen ist,
und dass – darüber hinaus, - Moralisches sehr wohl auch Grund für politisches Engagement sein
muss. Diese Behauptung ergibt sich zum Einen aus dem Bewusstsein des moralischen Menschen
für die Gefahr einer moralischen Entgleisung politischer Institutionen bis hin zur Unmenschlichkeit.

Auf Grundlage Arendts Anthropologie will ich außerdem zeigen, dass der Begriff des politischen
Menschen, immer auch ein Bewusstsein für Universalität des Menschen mit einschließt. Es ergibt
sich daraus die Unfähigkeit des öffentlichen Menschen, einem Anderen diejenigen Rechte zu
verweigern, die für seine „zweite Natur“ als öffentlicher Mensch konstituierend sind. Insofern, als
die Forderung nach Geltung von Menschenrechten als ein ursprünglich freiheitlicher Akt begriffen
werden kann, ergibt sich aus Arendts Pluralität-Konzeption die unbedingte Verpflichtung der
politischen Menschen an der Umsetzung dieser Forderungen mitzuwirken. (vgl. 3.2.1 und 3.2.2)

(4) Diese Deutung Arendts anthropologischer begriffe weist im Hinblick auf seine Konsequenzen
Parallelen mit Wildts formaler Bestimmung der Menschenrechte als moralischer Pflichten. (vgl.
3.4) Ich möchte schließlich zeigen, inwiefern Wildts Konzeption der Menschenrechte als

3
moralischer Rechte dem im Abschnitt 2.2 formuliertem Anspruch der Idee der Menschenrechte
heranreicht.

2. Die Aporien der Menschenrechte

2.1 Natürlichen Rechte als Korrelat der natürlichen Freiheiten

„Das, was wir heute als 'Recht' zu betrachten gelernt haben“, d. h. negative Freiheiten und positive
Mitwirkungsrechte, seien früher, „eher als ein allgemeines Kennzeichen des Menschseins
angesehen [worden] und die Rechte, die hier verlorengehen, als menschliche Fähigkeiten.“3

Der spätere Versuch, dem Menschen einen angestammten „Ort“ im politischen Wesen
zuzuschreiben, ohne, dass dieser einer historischen, gesellschaftlichen oder religiösen
Rechtfertigung bedürfte, habe zur Idee einer angeborenen „Menschenwürde“ geführt, die der
„Natur“ des Menschen entspringen sollte.4

Dem entgegen erinnert Arendt, dass „beides, Freiheit wie Unfreiheit, ein Produkt menschlichen
Handelns ist [...]“5 Arendt zeigt am Beispiel der Sklaven und der Staatenlosen, wie wenig hilfreich
die Idee der natürlichen Freiheit für die Auseinandersetzung mit tatsächlichen Verhältnissen ist.

Sklaven konnte ihre „natürliche“ Freiheit der politischen Mitbestimmung problemlos abgesprochen
werden, bzw. eine „natürliche“ Unfreiheit zugeschrieben werden. Den Sklaven Freiheit
abzusprechen ging aber deshalb weiter, als wenn ihre Freiheiten bloß eingeschränkt würden, weil
mit der Sklaverei „ ein System geschaffen wurde, in dem ein Kampf um Freiheit unmöglich
gemacht wurde.“6

Das andere Beispiel, das für Arendts Argumentation zentral ist, ist das Beispiel der Staatenlosen.
Hie zeigt sie, dass kein Mitglied der „zivilisierten Welt“ sich mit dem Rekurs auf diejenigen Rechte
und Freiheiten je begnügen konnte und könnte, die ihm angeboren seien.7 Staatenlosen, d. h.
Menschen, denen politische Teilhabe an einer wie auch immer verfassten Gesellschaft verwehrt
wird, seien in den „Naturzustand“ zurückgeworfen.

„Wenn die Tragödie wilder Völkerstämme darin besteht,[…] daß sie leben und sterben ohne eine
gemeinsame Welt errichtet zu haben, in der jeder seine Spuren hätte hinterlassen können und die
insgesamt der menschlich verständliche Ausweis ihrer Existenz hätte sein müssen, wenn diese
3
EUT, S. 614f.
4
Vgl. EUT, S.616 f.
5
EUT, S. 615
6
EUT, S. 615
7
vgl. EUT, S. 620 f.

4
'Naturverhaftetheit' und die mit ihr verbundene Flüchtigkeit für uns das eigentliche Kennzeichen
des 'Naturzustandes' ist, so sind die modernen Staaten- und Rechtlosen in der Tat in ihn
zurückgeworfen“8

Um die Tragweite dieses Arguments zu verstehen, ist es wesentlich Arendts Konzept der Politik als
den spezifischen Modus der menschlichen Existenz zu verstehen. (vgl. 3.2.1) Das Handeln in der
Öffentlichkeit, d. h. das Mitgestalten gesellschaftlicher Verhältnisse erhebt Arendt mit Aristoteles
zum Kennzeichen der menschlichen Existenz über das Natürliche hinaus.9

Der „Begriff des Menschen, wenn er politisch brauchbar gefaßt sein soll,“ so Arendt, müsse deshalb
„die Pluralität der Menschen stets in sich einschließen.“10 Faktisch heißt es, dass die Idee der
„Menschenwürde“ nicht losgelöst von nationalen Verfassungen 'gelten' kann.

Bereits an dieser Stelle lassen sich also zwei Kritikpunkte an der Idee natürlicher Menschenrechte
formulieren: zum Einen, insofern sie verkennt, dass die Idee der Freiheit inmitten einer
Gesellschaft, die Freiheit nicht errichtet, leer ist. Zum Anderen, weil das Leben außerhalb der
Gesellschaft, d. h. im Naturzustand der wesentliche Moment (und für Arendts politische Theorie das
Kennzeichen) der menschlichen Freiheit, d. h. ihr politischer Gestaltungswille, nicht zur
Verwirklichung gelangen kann.

2.2 Vom Sinn der Idee: was sollten Menschenrechte leisten?

Arendt bestimmt die Funktion der Menschenrechte, wie sie seit Beginn der Neuzeit entwickelt
wurden, in doppelter Hinsicht.

Zum Einen sei es darum gegangen, auszudrücken, dass Recht und Unrecht nicht mehr durch die
kirchliche oder andere Autorität bestimmt werden soll, sondern dass das „Menschengeschlecht seine
'Erziehung' beendet habe und mündig geworden sei.“11 Faktisch bedeutete das, dass nun ein
„vernünftiger“, Diskurs über die Verfassung der Gesellschaft geführt werden sollte, ohne die
Notwendigkeit einer historischen oder religiösen Legitimierung.

Der zweite, für ihre weitere Argumentation grundlegende Aspekt ist die Bestimmung der
Menschenrechte als Reaktion auf das Bedürfnis nach einem egalitären Menschenbild: dies „sollte
jetzt vom Staat direkt geleistet und in der Verfassung verankert werden.“12

8
EUT, S.621
9
EUT, S.623f
10
EUT, S.604
11
EUT, S.602
12
Ebd.

5
Dieser zweite Punkt ist grundlegend für die Frage nach der Möglichkeit der Geltung der
Menschenrechte. Seit ihrer 'Entdeckung' haben Menschenrechte zumindest theoretisch
uneingeschränkte Geltung genossen. Es war davon auszugehen, dass sie allen Gesetzen
„axiomatisch zugrunde gelegt werden sollten“13 und es „bedurfte anscheinend […] keiner Autorität,
um sie zu etablieren.“

Der Mensch, „ihre Quelle und ihr eigentliches Ziel“ sollte in einem Staat, deren Gründung und
Pflege der Willensakt einer mündigen Nation zugrunde liegt, als Kriterium für die Unterscheidung
zwischen Recht und Unrecht genügen: „So schien es eigentlich fast selbstverständlich, daß […]
Volkssouveränität und Menschenrechte einander bedingten und sich gegenseitig garantierten.“14

Ich fasse noch einmal zusammen: mit der republikanischen Auffassung der Menschenrechte sollte,
1.) prinzipielle Gleichheit aller Menschen behauptet werden, und daraus resultierend 2.) die
Illegitimität von Übergriffen gesellschaftlicher Mächte auf politische Freiheit Einzelner, und 3.)
die Setzung der Nation (und implizit jedes Einzelnen) zum Endzweck der Politik.

Arendt zeigt eine Diskrepanz zwischen dem 'Pathos' der Menschenrechte, d. h. dem Glauben an ihre
wie auch immer beschaffene Geltung und ihrer tatsächlichen Stellung in der politischen
Philosophie, wie sie in der französischen Verfassung zum Ausdruck kam: es sei selbstverständlich
gewesen, dass die faktische Geltung der Menschenrechte von der Verfassung der jeweiligen
Gesellschaft abhängt und von der 'Tyrannis' vereitelt wird.

„Nur die emanzipatorische Souveränität des Volkes, und zwar des Willens des eigenen Volkes,
schien im Stande, die Menschenrechte zu verwirklichen. Insofern die Französische Revolution die
Menschheit als eine Familie von Nationen begriff, richtete sich der Begriff des Menschen, der den
Menschenrechten zugrunde lag, nach dem Volk und nicht nach dem Individuum. “15

2.3 Bestimmung der Menschenrechte als Analyse ihrer vollständigen Vernichtung

Arendts zentrales Argument baut sie auf der folgenden Behauptung auf16:

„Der Soldat ist seines Rechtes auf Lebens im Kriege so beraubt, wie der Verbrecher seines Rechtes
auf Freiheit solange er seine Strafe verbüßt, und alle Bürger büßen in einer nationalen Notlage ihr
Recht auf Streben nach Glück ein (ganz gleich, was man darunter verstehen will); niemand wird

13
EUT, S. 603
14
Ebd.
15
EUT, S. 604 f.
16
Diese These scheint mir nicht selbstverständlich, kann aber in diesem Rahmen nicht diskutiert werden.

6
behaupten können, daß in irgendeinem dieser Fälle ein Verlust der Menschenrechte vorläge.“17

Umgekehrt demonstriert Arendt am Beispiel der Internierten oder der KZ-Insassen, dass ein solches
Konzept der Erfahrung einer totalen Entrechtung nicht gerecht werden kann, weil der Genuss
bestimmter Freiheiten die Geltung der Menschenrechte bedeutet:

„[...]Bewegungsfreiheit ohne Aufenthaltsrecht hat mit der Hasenfreiheit zu Zeiten der Jagt
verzweifelte Ähnlichkeit. Seine Meinungsfreiheit [d. h. Freiheit des Staatenlosen oder des
Entrechteten] erwies sich immer als eine Narrenfreiheit, weil das, was er denkt, für nichts und
niemanden von Belang ist.“18

Sie fährt dann fort:

„Der Verlust der Menschenrechte findet nicht dann statt, wenn dieses oder jenes Menschenrecht,
das gewöhnlich unter die Menschenrechte gezählt wird, verloren geht, sondern nur dann, wenn der
Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte haben kann und der
die Bedingung dafür bildet, daß seine Meinung Gewicht haben und seine Handlungen von Belang
sind.“19

Am Beispiel der Juden20 möchte sie außerdem verdeutlichen, dass die schlimmsten Verbrechen
nicht an denjenigen begangen wurden, die aus bestimmten Gründen einige ihrer Rechte eingebüßt
haben, sondern an denjenigen, die vollkommen entrechtet wurden:

„[...] erst als ihre 'Überflüßigkeit' oder Standlosigkeit in der gesamten Welt als erwiesen gelten
konnte, ging man dazu über, sie auszurotten“21

Die Abhängigkeit der faktischen Geltung der Menschenrechte von der rechtlichen Verfassung der
jeweiligen Gesellschaft, vereitelt also die Idee der Menschenrechte, als allen Menschen
innewohnender Rechte. Auch die Errichtung internationaler Institutionen, die alle Staaten umfassen,
kann das Problem nicht prinzipiell lösen, weil auch so etwas wie die Weltgesellschaft theoretisch
den Ausschluss bestimmter Menschengruppen aus der menschlichen Gemeinschaft beschließen
kann, ggf. sogar demokratisch.

Arendt versucht, die Idee der Menschenrechte 'scharf' zu zeichnen, in dem sie den Zustand der

17
EUT, S. 611
18
EUT, S. 613
19
Ebd.
20
Auch wenn das theoretisch nicht von Bedeutung ist: in diese Überlegung sind alle verfolgten Minderheiten
eingeschlossen.
21
EUT, S. 612

7
vollständigen Vernichtung der Menschenrechte analysiert. Die Frage nach der Beurteilung
bestehender Gesetze stellt sie in diesem Rahmen nicht.

2.4 Das Recht, Rechte zu haben

Arendts Lösung besteht in der Konzeption eines einzigen Menschenrechts, nämlich des Rechts,
Rechte zu haben. Seine Geltung betrachtet sie als gleichbedeutend damit, „in einem
Beziehungssystem zu leben, in dem man aufgrund von Handlungen und Meinungen beurteilt
wird[...]“22

Das Konzept eines einzigen Menschenrechts, des Rechtes, Rechte zu haben und somit Teil einer
politisch verfassten Gesellschaft zu sein, schützt vor der vollständigen Entrechtung und kann in der
Tat jedem Menschen zugeschrieben werden, ohne, dass seine Geltung im Widerspruch zu
tatsächlich geltendem Recht eines Landes geriete. Es ist insofern allgemein, als von dem
tatsächlichen Entwicklungsstand einer Gesellschaft unabhängig und axiomatisch, da das Recht,
Rechte zu haben, die Voraussetzung dafür ist, Rechte behalten zu können, d. h. die Garantie der
Geltung der Vereinbarung zwischen dem Rechtsadressat und dem Rechtsinhaber. Dieser Punkt wäre
im Rahmen der Frage nach der Unkündbarkeit des Gesellschaftsvertrags zu untersuchen. Es wäre
außerdem zu fragen, inwiefern Arendts Recht, Rechte zu haben, das Konzept einer Weltgesellschaft
einschließt – im Rahmen dieser Hausarbeit kann diese Frage nur teilweise behandelt werden, und
zwar insofern, als später gezeigt wird, dass Arents universalistische Anthropologie und das Wildts
moralische Konzeption der Menschenrechte als zweistufiger Rechte, das Recht, Rechte zu haben,
impliziert (vgl. 3.2 und 3.3)

3. Moralisches und Politisches bei Arendt

3.1. Passivität: Tragödie der moralischen Haltung?

Die Erfahrung des Nazi-Regimes – d.h. die Erfahrung, dass Menschen alles Mögliche für wichtig
genug halten können, um scheinbar grundlegende menschliche Normen zu brechen oder sich an
ihrem Bruch zu beteiligen, - verleitet Hannah Arendt dazu, anstatt nach “vernünftigen” Normen des
gesellschaftlichen oder privaten Lebens zu suchen, die Frage grundlegender zu stellen.23

In Vorlesungen Über das Böse fragt Arendt nach der Möglichkeit einer zuverlässigen Moralität
überhaupt, d. h. der Moralfähigkeit des Menschen auf. Ich kann an dieser Stelle nicht im einzelnen
erörtern, inwiefern Arendt die Fragestellungen von Kant und Anderen einbindet. Es muss genügen,

22
EUT, S. 614
23
Vgl. ÜdB S. 15 f.

8
meine Interpretation ihrer Fragestellung und das Ergebnis ihrer Überlegungen plausibel
darzustellen.

Arendts untersucht, welche Art moralischer Erfahrung den Glauben an eine allgemeine
Moralfähigkeit des Menschen rechtfertigt. Sie kommt zum Ergebnis, dass allein die Angst, sich vor
sich selbst nicht rechtfertigen zu können, nicht mehr mit sich “reden” und “leben” zu können, einen
Menschen daran hindert, an Verbrechen teilzuhaben und so garantiert, dass es Dinge gibt, die er
nicht tun kann. Diese Unfähigkeit der Menschen Böses zu tun, kann als der feste moralische Boden
verstanden werden, von dem aus sich Menschen geweigert haben, an kollektiven Verbrechen
teilzuhaben. Die Haltung des „ich-kann-nicht“24 ist der einzige zuverlässige Indikator für so etwas,
wie moralische Kompromisslosigkeit, ohne die moralische Haltung Kontingenzen unterworfen ist,
die schließlich zu ihrer vollkommenen Aufhebung führen können.

Das Vermögen, mit sich selbst zu reden, ist für Arendt die Realisierung derjenigen menschlichen
Fähigkeit, die das spezifisch personenhafte eines Individuums ausmacht.25 Die und die Angst davor,
sich selbst zu verlieren, d. h. kein Verbrechen zu begehen, das man vor sich selbst nicht
rechtfertigen müsste und deshalb – wieder vor sich selbst – verschweigen müsste.26

Nun: Arendt attestiert denjenigen, die “lieber leiden, als tun” politische Unverantwortlichkeit. Der
letzte Beweis des Moralischen, an dem allein entschieden wird, ob es das Moralische 'gibt' (siehe
die Ausgangsfrage), ist erst erbracht, wenn viele anderen Momente menschlicher Existenzform ggf.
bereits vernichtet wurden, wie es mit der Öffentlichkeit in einer Diktatur geschieht.27

Genau hier muss man ansetzen, wenn man zeigen will, dass im Rahmen ihrer höchst
individualistischen moralischen Konzeption so etwas, wie 'Moralisches im Politischen' denkbar ist.

In Arendts politischen Theorie spielt Moralität zwar kaum eine explizite Rolle. Andererseits deutet
sie in ihren Vorlesungen Über das Böse einen Zusammenhang zwischen Moral und Politik an:

“Die Indifferenz [darüber, in wessen Gesellschaft man leben möchte] stellt, moralisch und politisch
gesprochen, die größte Gefahr dar, auch wenn sie weit verbreitet ist. Und damit verbunden und nur
ein bißchen weniger gefährlich ist eine andere gängige moderne Erscheinung: die häufig
anzutreffende Tendenz, das Urteilen überhaupt zu verweigern”28

24
Vgl. ÜdB, S. 52 f.
25
Vgl. Ebd., ÜdB, S 76f.
26
Vgl. ÜdB, S. 87
27
Vgl. Zerstörung des Öffentlichen, VA, S. 72
28
ÜdB, S. 150

9
3.2 Person und Pluralität: Arendts universalistische Anthropologie

3.2.1 Das Erwachen der Freiheit

Dem spezifischen Begriff der Öffentlichkeit, wie er sich bei Arendt findet, möchte ich einige
Überlegungen zum Charakter der Theorie voranstellen.

Aus der Betrachtung des Politischen in Abgrenzung zu anderen Bereichen des menschlichen
Lebens, wie sie aus der Auseinandersetzung mit der Antike, dem Mittelalter, der Neuzeit oder der
Gegenwart heraus verstanden werden können, gewinnt Arendt Kriterien, welche die Analyse der
menschlichen Lebensrealität des Hier und Jetzt erlauben sollen. Arendts Trennung zwischen dem
Politischen und dem Privaten ist somit kein Versuch, konkrete Tätigkeiten zu kategorisieren,
sondern dasjenige an ihnen zu Bestimmen, was einer bestimmten Praxis ihren Charakter als
politisch in Abgrenzung zum Privaten verleiht.

Einen ähnlichen Interpretationsansatz formuliert Dana Villa:

„The value of a book like The Human Condition is not to be found in any set of prescriptions it
supposedly offers about the bublic realm […] This Project […] has a quite specific, non-normative
goal. In the Words of George Kateb, it aims to [...] to supply a philosophical account of the meaning
of political action' considered as an 'end to itself' – that is, as the center of a certain […] way of
life.“29

Nun zum Inhaltlichen. Arendt bestimmt das Wesen des Politischen als Teilhabe die Freiheit
(Freiheit im Sinne des Politischen, des Aktiven, bezogen auf die Welt), zu handeln.30 Politisches ist
gekennzeichnet von einer Erfahrung der eigenen Freiheit, die „mehr ist, als ein Nicht-gezwungen-
Werden“31. Freiheit ist,

„Ohne einen politisch garantierten öffentlichen Bereich hat Freiheit in der Welt keinen Ort, an dem
sie erscheinen könnte, und wenn sie auch immer und unter allen Umständen als Sehnsucht in den
Herzen der Menschen wohnen mag, so ist sie jedoch weltlich nicht nachweisbar“32

Mit dem Begriff der Pluralität (vgl. 3.2.2) erläutert Arendt das Wesen des Menschen im Bezug auf
die Gemeinschaft. In diesem Aspekt seiner Existenz ist die Möglichkeit, frei zu „sein“33 insofern
enthalten, als sowohl das Handeln als auch das Sprechen diejenige "zweiten Haut" des Menschen
29
TA, S. 89
30
Vgl. VZ, S.201
31
VZ, S. 201
32
VZ, S. 201 f.
33
VZ, S. 201

10
kennzeichnen, die sein Potential zum Politischen ausmacht und in der aktiven Errichtung der
gemeinsam mit Anderen geteilten Welt realisiert wird.34

"Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale
Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt [...]"35

Verschiedenheit schließt es mit ein, sich selbst zu kennen. Der aktive Bezug auf sich selbst in
Abgrenzung zu anderen, kann in der gängigen Sprache vielleicht als "zu sich selbst zu stehen"
verstanden werden, und setzt die Erhaltung derjenigen „spezifisch menschliche[n] Eigenschaft“36
voraus, die im Dialog mit sich selbst Bestätigung erfährt.(vgl.3.1) Die Trennung zwischen dem
Moralischen und dem Politischen ist also eher zu verstehen als die Analyse der sozialen Realität, die
jeweils von diesen Modi der menschlichen Existenzform vorausgesetzt wird. Die Realisierung des
Moralischen im Dialog ist nicht auf die Gesellschaft Anderer angewiesen, während Politisches per
Definition in der Öffentlichkeit statt findet.

Doch nur unter Voraussetzung ihrer Einzigartigkeit, vom Standpunkt ihrer Personenhaftigkeit
handeln Menschen. Der öffentliche Raum, bewohnt und bestimmt von freien und handelnden
Subjekten, ist somit gleichsam von ihrem moralischen Selbstbewusstsein bestimmt. An dieser Stelle
zeigt sich, dass Arendts politische Theorie nicht von ihrer anthropologischen Bestimmung der
Moralfähigkeit zu trennen ist.

3.2.2 Der Ausweg aus der Passivität

(1) Gehen wir von Wählern in einer Demokratie aus, so können wir davon ausgehen, dass sie,
soweit sie Personen im oben explizierten Sinne sind, ihr Votum auch unter Berücksichtigung ihrer
moralischen Grundsätze abgeben werden. Auch diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer,
sich ansonsten nicht politisch engagieren, werden an der Abwahl derjenigen Regierung sein, die
ihren moralischen Grundsätzen zuwider agiert.

(2) Da Bürger eines Landes objektiv gesehen stets verpflichtet sind, das Gesetz zu achten, ist das
Bestehen ungerechter oder wider-moralischer Rechtsnormen eine Bedrohung für diejenigen, die
entsprechende moralische Normen achten. Theoretisch kann immer der Fall eintreten, in dem sie
objektiv verpflichtet sind etwas zu tun, was sie nicht tun können (vgl. 3.1). In Diktaturen zeigt dich
dieses Dilemma in ihrer ganzen Schärfe, aber auch vorher schon kann ein politisches System
Bedingungen schaffen, die Personen (d. h. moralischen Subjekte) vor die Notwendigkeit stellen,
34
vgl. VA, S 218 f.
35
VA, S 219
36
ÜdB, S 73

11
ggf. Ihre Personalität ihren eigenen essenziellen Interessen vorzuziehen.37 Jeder rationale Mensch ist
daran interessiert, einen solchen Konflikt zu vermeiden. Jeder Mensch, der seiner eigenen Moralität
bewusst ist, hat somit ein indirektes Interesse an einer Gesetzgebung, die seinen grundlegenden
moralischen Grundsätzen gerecht wird.

Das heißt, dass alle moralischen Subjekte an einer Gesetzgebung interessiert sind, die ihre
moralischen Normen widerspiegelt. Daraus ergibt sich, dass moralische Grundsätze Staaten dann
zugrunde liegen werden, wenn eine hinreichende Zahl der Bürger moralisch ist. Das Bestehen einer
breiten Öffentlichkeit führt somit zur Positivierung moralischer Normen.

(3) Bezieht man die Überlegung mit ein, die ich im Absatz 3.2.2 dargelegt habe, so erscheint
plausibel, dass moralische Grundsätze der Menschen sogar über die Grenze ihrer Staaten hinweg
Geltung erfahren. Versteht man die Menschenrechte eines x von Außerhalb eines Staates S als
Forderung an A, wobei A Bürger des Staates S sei, so scheint A Kraft a) der Erfahrung der Pluralität
und b) aufgrund der Sorge um die eigene Moralität motiviert, aktiv zu werden: da Menschenrechte
in der Regel Angelegenheiten von Staaten sind, würde diese Einstellung zur Wahl derjenigen Politik
führen, die den weltweiten Bemühungen von Einzelpersonen oder sie vertretenden Institutionen am
ehesten entgegenzukommen verspricht. Dieser Überlegung entspricht auf der formalen Ebene die
das im nächsten Abschnitt dargelegte Konzept.

3.3 Wildt: Menschenrechte als moralische Rechte

i.) Wildt zeigt, dass Menschenrechte als Rechte gedacht werden können38, die implizieren, „daß der
Rechtsinhaber die Macht besitzt, Akte zu vollziehen, die andere Personen normativ binden,
insbesondere die normative Macht, Ansprüche bzw. Anklage oder Vorwürfe zu erheben.“39

Im Gegenteil zu Tugendhat vertritt er kein voluntaristisches Konzept moralischer Rechte; d. h. Ist


Rechte zu 'haben' nicht gleichbedeutend damit, Rechte verliehen zu bekommen:

„Die These einer 'Verleihung' genereller moralischer Rechte scheint mir jedoch dann unhaltbar,
wenn sie den wörtlichen Sinn hat, daß die Geltung dieser Rechte auf Akten des Verleihens beruht.“40

Demgegenüber fragt Wildt nicht, ob eine eine Instanz gibt, die sich zur Wahrung bestimmter Rechte
verpflichtet hat, sondern, ob es für andere Menschen (!) einen Grund gibt, eine Forderung als

37
Gesetzlich vorgeschriebene Ungleichbehandlung von deutschen und ausländischen Arbeitnehmern kann als ein
solches Problem aufgefasst werden.
38
PdM S.145ff.
39
PdM S. 134
40
PdM S. 137

12
gerechtfertigt zu akzeptieren. Dass es ggf. Gründe gibt, eine Forderung als gerechtfertigt zu
akzeptieren, heißt nicht, dass es alle tun würden. Universalität der Menschenrechte hat somit die
Bedeutung, dass einige Menschen allen anderen Menschen bestimmte Rechte zugestehen,

„genau in diesem Sinne haben alle Menschen Menschenrechte. Sie haben sie aber nicht – oder
jedenfalls nicht notwendig – vor, angesichts oder gegenüber allen [...] Personen.“ 41

ii.) Wildt übernimmt Tugendhats Konzept der zweistufigen Rechte, wobei er den Rechtsbegriff
modifiziert, um zu zeigen, dass Rechte nicht notwendigerweise auf Reziprozität gründen.
Bestimmte moralischen Rechte können dann auch dann allen Menschen zugestanden werden, wenn
es keine Institutionen gibt, die einen entsprechenden Gesellschaftsvertrag realisieren.

Wildt knüpft an Tugendhats Bestimmung der zweistufigen Rechte an:42 als „'starken moralischen
Rechte' [kann man] auch diejenigen moralischen Rechte charakterisieren, die ein moralisches Recht
auf ihre legale Institutionalisierung implizieren.“43

Menschenrechte sind somit (i) diejenigen moralische Rechte, die ein Subjekt A Kraft seiner
Überzeugungen, seinem Empathievermögen, seinem Weltbild o. Ä. allen Menschen zuspricht und
(ii) diejenigen moralischen Rechte, die den Adressat dieser Rechte zur Schaffung entsprechender
Institutionen verpflichten.

Wildts Konzeption der Menschenrechte als moralischer Rechte wird dem Anspruch der
republikanischen Idee der Menschenrechte (vgl. 2.2), gerecht. In der Tat setzt die Akzeptanz der
Menschenrechte ein Bewusstsein für prinzipielle Gleichheit aller Menschen voraus (vgl. Punkt 1 im
Abschnitt 2.2), unterwandert so die Möglichkeit einer moralischen Legitimation von Unterdrückung
(vgl. Punkt 2.). Sie sind somit unabdingbar. Als prä-politisch verstanden, bringt die moralische
Konzeption der Menschenrechte besonders klar zum Ausdruck, dass Institutionen vor allem dem
Wohl der Menschen zu dienen haben (vgl. Punkt 3) Menschenrechte sollen dem legitimen
staatlichen System zugrunde liegen, ermöglichen auch tatsächlich die Beurteilung staatlicher
Strukturen und sind in diesem Sinne axiomatisch. Und letztlich ermöglicht die Konzeption von
Menschenrechten als moralischen Rechten nicht die Duldung ihrer Nicht-Geltung, geschweige denn
den Aktiven Ausschluss bestimmter Gruppen. Sie sind somit universell und implizieren auch
Arendts „Recht, Rechte zu haben“ (vgl. 2.4).

4. Abschließende Überlegungen
41
PdM S. 137f.
42
Im Rahmen dieser Arbeit kann ich leider nicht darauf eingehen, warum bestimmte moralische Pflichten
43
PdM, S. 130

13
Ich möchte nun die Bilanz meiner Auseinandersetzung mit Hannah Arendts Philosophie und ihrer
Auffassung der Menschenrechte ziehen.

In ihren Vorlesungen Über das Böse lesen wir:

„Wenn wir Moralität unter mehr als einem Aspekt – Böses zu unterlassen, was bedeuten kann, daß
jegliches Tun unterlassen wird – betrachten, dann müssen wir […] den Menschen im Plural, als in
einer Gemeinschaft lebend [betrachten].“44 Sie beschließt den Absatz mit Kants Worten:

„Dem Egoism kann nur der Pluralism entgegensetzt werden, d. i. die Denkungsart: sich nicht als die
ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen Weltbürger zu betrachten und zu
verhalten.“45

Arendts betont zwar die prinzipielle Unterscheidung zwischen dem Moralischen und dem
Politischen und setzt die Hoffnung auf das Politische, das Aktive. Ihre Analyse von
Menschenrechten richtet sich d. h. nicht gegen die Möglichkeit der Realisierung oder Proklamation
Menschenrechte, sondern gegen die Vorstellung, sie einer aktiven politischen Haltung voraussetzen
zu können.

Ich habe nun versucht zu zeigen, dass diejenige moralische Haltung, die Arendt als egoistisch, und
daher machtlos betrachtet, nicht nur als Bedingung der Möglichkeit des Politischen ist (wiederum in
Arendts Sinne), sondern auch immer die Notwendigkeit der politischen Aktion einschließt.

Auf Grundlage Arendts Philosophie und mit Hinzunahme einer moralischen Auffassung von
Menschenrechten lassen sich so positive moralische Pflichten zumindest derjenigen Menschen
behaupten, die im Arendt'schen Sinne politisch sind. Aus dieser Perspektive kann argumentiert
werden, dass alle Menschen zumindest angesichts von Bürgern freiheitlicher Republiken ein Recht
auf Institutionalisierung ihrer Menschenrechte 'haben'. Umgekehrt ist nur derjenige Staat als
moralisch anzusehen, der die Menschenrechte aller Menschen aktiv zu befördern sucht.

Arendts Konzept der Moralfähigkeit schließt nicht die Frage mit ein, welche Ursachen dazu führen,
dass Menschen einen Begriff von Gut und Böse entwickeln. Das Heranziehen der Arendt'schen
Philosophie ist nichtsdestoweniger ein Mehrwert für jede politische Philosophie: ihre Konzepte des
Moralischen und des Politischen machen Verantwortlichkeit zeigbar und erfahrbar, und das sowohl
aus der Retrospektive, als auch auf der individuellen Ebene. Setzt man eine Welt ohne
Menschenrechtsverletzungen zum Ideal, nach dem gesellschaftliche und politischen Prozesse
44
ÜdB, S. 145
45
Ebd.

14
richten sollten, so liegt die Zukunft wohl in einer Art „Kultur moralischer Ehrlichkeit“, ganz nach
dem Motto: „Vor allem belüge dich nicht selbst!“.46

Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht diskutiert werden, inwiefern ihre Überlegungen in die Praxis
der politischen Erziehung einfließen und in welchem Verhältnis die individuelle Moralfähigkeit zur
Makroebene steht: im Rahmen dieser Arbeit habe ich keine Vorstellung davon gewinnen können,
welche Realität die oben dargelegten Überlegungen tatsächlich erfahren können. Zumindest gibt die
Geschichte der Menschenrechte einen Hinweis auf Geltung und Plausibilität Benhabibs
universalistischer Deutung Arendts Anthropologie.47

Literaturnachweise:

DM: Seyla Benhabib, Hannah Arendt, die melancholische Denkerin der Moderne, Suhrkamp Verlag
Frankfurt a. M. 2006

EUT: Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, ...

IG: Hannah Arendt, In der Gegenwart: Übungen im politischen Denken II, Piper Verlag, München
Zürich 2010

PdM: Andreas Wildt, Menschenrechte und moralische Rechte, in: Stefan Gosepath/Georg
Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M. 1999

Stefan Gosepath, Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte und ihr „Recht, Rechte zu haben“, in:
Hannah Arendt: Verborgene Tradition – Unzeitgemäße Aktualität? Akademie Verlag, Berlin 2007

TA: Dana Villa, Arendt, Heidegger, and the Tradition, in Hannah Arendt: Verborgene Tradition –
Unzeitgemäße Aktualität? Akademie Verlag, Berlin 2007

ÜdB: Hannah Arendt, Über das Böse, Piper Verlag, München Zürich 2010

VA: Hannah Arendt, Vita Activa, Piper Verlag, München Zürich 2010

VZ: Hannah Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Übungen im politischen Denken I, Piper
München Zürich 2000

46
ÜdB, S. 29
47
Vgl. Stefan Gosepath, Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte und ihr „Recht, Rechte zu haben“, in: Hannah
Arendt: Verborgene Tradition – Unzeitgemäße Aktualität? Akademie Verlag, Berlin 2007

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