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PETER WEIBEL walls, no foundations, a System of spans (tension) in free


space." Bei der Exposition des Arts Décoratifs et Industriels
Kiesler als Künstlertypus C ^ cï t T)^ ^ Modernes in Paris 1925 zeigte er aufgrund einer Einladung
von Josef Hoffmann das Modell seiner „Stadt im Raum",
Das Programm der Moderne wird schon zum Scheitern ver- eine ganze Stadt mit Hâusern, StraBen, Landezonen usw.,
urteilt, bevor es überhaupt zur Ganze zur Kenntnis genom- ein vom Brückenbau abgeleitetes, elastisches schwebendes
men worden ist, insbesondere in Ôsterreich. Adolf Loos hat System. Er war daher auch an der Immaterialitât von Glas-
1903 eine Zeitschrift herausgegeben: ,,Das Andere. Ein Blatt bauten (Bruno Taut, Paul Scheerbart) und Kuppeldomen
zur Einführung abendlàndischer Kultur in Ôsterreich" Das (Zeiss-Planetarium) interessiert. Nicht von ungefâhr hat ihn
' in diesem Titel avisierte Ziel hat bis heute nichts von seiner daher Buckminster Fuller geschâtzt. Die organische Form in
: historischen Notwendigkeit verloren, mit der Einschrân- seiner Architektur mag vielleicht auf Hermann Finsterlin
kung, daB es seit der „Vertreibung des Geistigen"1) aus zurückzuführen sein. GewiB ist Kieslers EïnfluB auf die uto-
Ôsterreich vor dem AnschluB an Hitler-Deutschland um ein pische Architektur Ôsterreichs in den sechziger Jahren (Rai-
Korrektiv ergânzt gehôrte, nâmlich: „Wiedereinführung mund Abraham, Friedrich St. Florian, Hans Hollein usw.).
ôsterreichischer Kultur in Ôsterreich". Kiesler selbst nennt als die Vâter der modernen Architektur
Die Herausgabe des Klesler-Kataloges anlâBlich der Kiesler- Otto Wagner, Louis Sullivan, H. P. Berlage, Tony Garnier.
Ausstellung in der Galerie nàchst St. Stephan im Jahre 1975 Die in den frühen dreiBiger Jahren entstandenen Modelle
war so ein Versuch. Denn mit Kiesler ist nicht nur ein indivi- zum „Endlosen Haus" gehôren sicherlich zu den einfluB-
dueller Künstler hôchsten Ranges aus Ôsterreich vertrieben reichsten und revolutionàrsten Konzepten der Architektur
worden, sondern ein ganzer Künstlertypus. Ein Künstler­ des 20. Jahrhunderts, ebenso wie seine Theater- und Kino-
typus, den Ôsterreich zwar immer wieder in groBem AusmaB bauten. Die Idee des Unendlichen in der Architektur artiku-
und auf hohem Niveau hervorgebracht hat, den es aber nicht lierte Kiesler erstmals 1923 in Berlin im elektromechani-
geliebt, sondern nur ausgestoBen hat. Mit kleinbürgerlicher schen Bühnenbild für Karel Capeks „R. u. R". Ein eifôrmi-
Wut hat das Ôsterreich der Zweiten Republik versucht, aile ges Modell eines endlosen Theaters zeigte er 1925 in Paris
Spuren der modernen Kunst zu lôschen und damit die un- und 1926 in New York. Noch 1960 entwirft er ein universel­
heilvolle Politik der Zwischenkriegszeit fortzusetzen. Künst­ les Theater. Schaufenster, Galérien, Theater sind Orte, wo er
ler wie Kiesler haben als exilierte Juden auch in der Zweiten seine tëmporâre Architektur inszenieren, seine .immaterielle
Republik keine Heimat mehr gefunden. Architektur realisieren kann. Untersuchungen zur Architek­
In diesem neuen Künstlertypus hat sich die grôBte Leistung tur als Medium urbaner Kommunikation vergleichbar denen
der Kunst des 20. Jahrhunderts, nâmlich die Ausdehnung von Dan Graham. Deswegen gestaltet er nicht nur ein Leben
der Kunst in neue Dimensionen, Materialien und Medien, lang Schaufenster und Galérien wie 1942 Peggy Guggen-
verkôrpert. Dieser Künstlertypus der Moderne war eine Art heims Galerie „Art of this Century", berühmte surrealisti-
Generalist, der in seiner Person diese Ausdehnungen fusio- sche Ausstellungen (1947), sondern baut auch Film- und
nierte. Im neuen Künstlertypus vereinigten sich auf unter- Theatergebâude. Ein Hôhepunkt dieser Beschâftigung mit
schiedliche Weise Maler, Architekt, Musiker, Bildhauer, Fo- dem Theater war Kieslers Organisation der Internationalen
tograf, Schriftsteller, Technikèr, Designer, Filmer, Typograf. Ausstellung neuer Theatertechnik im Wiener Konzerthaus
Kiesler war so ein Künstler. Auch in den Künstlerbüchern 1924 anlâBlich des Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien,
dieser Zeit findet sich dieser grenzübergreifende und -auflô- dessen Katalog-Layout und Typografie zu den Inkunablen
sende Anspruch wieder und es werden daher Aufnahmen der modernen Typografie gehôren. Zu dieser Ausstellung
von Elektrizitâtstürmen, Filmprojektoren, Autos, Gebâu- war von Leger bis Schwitters, von Marinetti bis van Does-
den, Motoren parallel neben Bildern von Skulpturen, Zeich- burg fast die gesamte zeitgenôssische Avantgarde geladen.4)
nungen, Gemâlden, Bühnenbildern, Filmen usw. gezeigt. Aufgrund dieser und anderer Gelegenheiten knüpft Kiesler ,
Eines der ersten dieser Künstlerbücher erschien übrigens Freundschaften zu Konstruktivisten und Surrealisten, die zu
1922 in Wien: „Buch der neuen Künstler“ von Lajos Kassâk gelegentlichen Zusammenarbeiten, wie die Buchumschlâge
und Laszlo Moholy-Nagy2). Dieses Buch bildete übrigens für André Breton, führen.
das Vorbild für die spâteren Bauhâus-Bücher. Ein weiteres Als Architekt und Designer (von Môbeln, Bûchera, Schau­
Buch dieser Art ist „Die Kunstismen", 1925 heraùsgegeben fenstern) hat er sich aber nicht nur einer temporâren Archi­
von El Lissitzky und Hans Arp3). Ein Jahr davor erschien tektur genâhert, sondern auch der Skulptur und der Plastik
eine âhnlich wichtige Programmschrift der Moderne, der im ôffentlichen Raum. Was heute als architektonische
Katalog zur internationalen Ausstellung neuer Theatertech- Skulptur und Fusion von Môbel, Skulptur, Architektur (ja
nik, 1924 herausgegeben von Friedrich Kiesler in der Wiener auch Bühnenbild) zu den innovativsten Kunstbewegungen
Galerie Würthle4). Erschien im Bauhaus-Verlag 1929 „Von gehôrt, kônnte in Kiesler und seinen „environmental sculp­
Material zu Architektur", publizierte Kiesler 1930 in New tures" der fünfziger und sechziger Jahre, die vielleicht auch
York ein sehr besonderes Buch: „Contemporary art applied Robert Rauschenberg beeinfluBt haben, der Kiesler persôn-
to the store and its display"5). Die typografische Gestaltung lich kannte, einen der Yâter finden.
war wie beim Theaterkatalog ebenfalls von Kiesler. In Von den ôsterreichischen Architekten und Generalisten der
diesem Buch spricht er bereits vom „Telemuseum" Jahrhundertwende, wobei Kiesler sich selbst nach Otto Wag­
(“Through the dials of your teleset you will share in the ner (die erste), Adolf Loos und Josef Hoffmann (die zweite),
ownership of the worlds greatest art treasures“) und von Te- als die dritte Génération bezeichnete, war Kiesler sicherlich
lesets in Schaufenstern. Als ihn 1926 die „Societé Anonyme" der avantgardistische, vielleicht der einzige überhaupt, der
von Katherine Dreier und Marcel Duchamp um ein Modell- zur Avantgarde der Moderne gezâhlt werden kann und der
apartement der Zukunft bat, ersetzte er das Bild als perma­ statt des Anschlusses ans Dritte Reich den an die Avantgarde
nente Wanddekoration bereits durch den Fernsehschirm. der Weltkunst gesucht und gefunden hat. Ein permanenter
Dieses Buch enthâlt nicht nur ein auBergewôhnliches verglei- Avantgardist: „Das wichtigste Ereignis in unserem Leben ist,
chendes Bildmaterial zur Kunst- und Schaufenstergeschich- uns selbst zu gebâren. Nicht auf die natürliche Geburt zu
te, sondern auch bereits einige der wichtigsten Erfindungen vertrauen, sondern uns selbst zu erneuern, uns selbst zu zeu-
Kieslers, wie den 1925 designten (eines Salvatore Dali eben- gen, Solange wir noch auf dieser Erde sind" (1965).
bürtigen) horizontalen Wolkenkratzer, Gebâude in Spiral- Mit der Exilierung Kieslers hat Ôstereich nicht nur einen be-
und Schneckenform, aufgehângt auf nur einer Achse, vor deutenden Künstler, sondern einen wichtigen Künstlertypus
allem aber sein Manifest zur „Stadt im Raum“ und zum verloren, der für eine Tradition der Avantgarde und für eine
„Tensionismus“. In einer Vorwegnahme von Yves Klein und Modernisierung der ôsterreichischen Kultur notwendig ge-
Otto Frei forderte er Stâdte und Gebâude „ohne.Wânde“: wesen wâre, wie sie in Ôsterreich bis heute kaum durchge-
"libération from the ground, abolition of the static axis, no setzt werden kann.
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Die Wiederauflage des Kataloges von 1975 geschieht des-


halb, weil es scheint, dafi die Kultur Mitteleuropas augen-
blicklich wieder zur Besinnung und zum BewuBtsein davon
gelangt, wie wichtig ein Künstlertypus wie Kiesler fur ihren
Fortbestand ist und weil Kieslers Leistungen und Erfin-
dungen eine Nàhe zur Gegenwart bezeugen, die grôfier ist
denn je.

') Die Vertreibung des Geistigen aus Ôsterreich. Zur Kulturpolitik des Na-
tionalsozialismus.
Herausgeber: Zentralsparkasse Wien in Zusammenarbeit mit der Hoch-
schule für angewandte Kunst in Wien. 1985
2) Buch der neuen Künstler. Verlag der aktivistischen Zeitschrift MA im
Verlag Julius Fischer Wien. 1922.
3) Die Kunstismen.' Eugen-Deutsch-Verlag, Erlenbach-Zürich. 1925.
4) Nachdruck der Originalausgabe 1975 durch den Verlag Lôcker und Wô-
genstein, Wien.
5) Contemporary art applied to the store and its display. Brentano’s pub-
lishers, New York. 1930

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