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Soziologische
Aufklärung*)
Von Niklas L u h m a n n
I. Abklärungder Aufklärung
SoziologischeAufklärung - das Themalebtvon einerinnerenSpannung.Man
findetzuweilen,daß SoziologieihremWesenund ihrerZielsetzungnachals Auf-
klärunggekennzeichnet wird. Mannheim1)hattesozialwissenschaftliche Planung
als Fortsetzung der Aufklärung begriffen. Dahrendorf2)etikettiert die amerika-
nischeSoziologieals „angewandteAufklärung". Gehlen*)siehtin der sozialen
Wirklichkeit SpurenderAufklärung, die nachdemVerlustihrerPrämissen gleich-
samblindweiterläuft. Schelsky4) hat versucht, Zustimmung und Distanzzur Auf-
klärungin einemWort,„Gegenaufklärung", einzufangen. Bei all demistbezeich-
nend,daß die Grenzendes Aufklärungsgedankens gesehen,aber die Kostender
Aufklärung nichtwirklichgegengerechnet werden.Eher distanziert man sichals
Soziologevon den Prinzipienund demspezifischen Ethosder Aufklärung.
Die Formulierung soziologischer Aufklärung hat demnachetwasGewagtes,Ein-
Nichtselbstverständliches.
seitiges, Sie ziehtetwaszusammen, was zunächstals eine
historischeDifferenzbewußtist. Wir sind es gewohnt,die Unternehmungen des
denkenden Menschentums, die wirmitAufklärung und mitSoziologiebezeichnen,
verschiedenen Epochenzuzuordnen.UnterAufklärung verstehen wir das Streben,
die menschlichen Verhältnisse freivon allen Bindungenan Traditionund Vor-
urteilaus der Vernunft neu zu konstruieren - Bemühungen, die im 18. Jahr-
hundertihrenHöhepunkthattenund danachrascheinerskeptischen Abwertung
verfielen.Die Soziologieweisenwir dem 19. und dem 20. Jahrhundert zu. Sie
rühmtsichihrerpositivenWissenschaftlichkeit und suchtihrenHalt wenigerin
unwandelbaren Gesetzeneinerallgemein-menschlichen Vernunftals in feststell-
baren Faktenund sozialen Verhaltensbedingungen. Damit kann die Soziologie
sichnachdem Verebbendes aufklärerischen Optimismus behauptenals eineskep-
tischeWissenschaft, die ihre Forschungen nach methodologischen Regelnvoran-
treibt,die aber kaumzu vollerVerantwortung fürdie FolgenihreseigenenTuns
aufgerufen werdenkann.
Die Trennung, die TheseeinesNacheinanders von Aufklärung und Soziologie,
magsichauf das Faktumeinerso durchlebten und bewußtgewordenen Geschichte
berufen.Die Aufklärung in jenemepochengebundenen Sinne hat der Soziologie
thematisch nichtvorgearbeitet. Die Soziologiehat sichnichtals unmittelbare Fort-
setzungaufklärerischer Impulsebegriffen und begreift sichauchheutenurselten
so. Abersindwiran dieseSelbstauslegungen gebunden?
♦) Ausarbeitung der Antrittsvorlesung,die der Verfasseram 25. 1. 1967 an der Rechts-
und StaatswissenschaftlichenFakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in
Münster gehalten hat.
*) Karl Mannheim : Mensch und Gesellschaftim Zeitalter des Umbaus. Dt. Übers,
der engl. Ausgabe. Darmstadt 1^58, S. 46 f. Vgl. auch Jürgen Habermas:
„VerwissenschaftlichtePolitik und öffentlicheMeinung". In: Humanität und politische
Verantwortung.Erlenbach-Zürichund Stuttgart1964. S. 54-73.
*) Ralf Dahrendorf: Die angewandte Aufklärung. Gesellschaftund Soziologie in
Amerika. München 1963.
•) Arnold Gehlen : Die Seele im technischenZeitalter. Sozialpsychologische Pro-
bleme in der industriellenGesellschaft.2. Aufl. Hamburg 1*957.insb. S. 75 if
4) Helmut Schelsky : Soziologie der Sexualität.
Hamburg 1955, S. 8. Vgl. auch
die Erläuterungen von Helmut Schelsky: „Verdunkelung oder Gegenaufklä-
rung in der Soziologie der Sexualität" Psyche 10 (1956). S. 867-855 (8'54 f.).
7 Soziale Welt
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98 Niklas Luhmann
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Soziologische Aufklärung 99
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100 Niklas Luhmann
Moral. Beim Aufklären dieses sozialen Kontextes, der allen Sinn trägt, verliert
der Sinn selbst seinen kompakten, undurchsichtigen, substantiellenund insofern
wahrheitsfähigen Charakter als etwas, das so ist und nichtanders. Hinter so viel
Aufklärungwird ein noch verborgenesProblem spürbar, die soziale Kontingenz
der Welt. Große Theorie ist jetzt nur noch möglichals Vorschlagzur Lösung dieses
Problems - nicht mehr als eine immer mehr entlarvende Aufklärung,sondern
als Durchblickauf Grenzen der Aufklärung,als Abklärung der Aufklärung.
Bezeichnenderweisebeginnt die Soziologie genau mit solchen ersten Begren-
zungsversuchenihren Weg als eine theoretischeigenständige Wissenschaft,die
nicht mehr auf ökonomische,psychologischeoder universalhistorische Ausgangs-
annahmen zurückgreift. Soziologie konstituiertsich durchdie Art, wie sie der ab-
rutschenden,universellwerdendenEntlarvungsaufklärung einen Gegenhalt bietet,
letztlichdurch die Art, wie sie der unfaßlichenKomplexität einer sozial kontin-
genten Welt entgegenarbeitet.Dafür stehen als Denkmittel zunächst nur ein
subjektivistischeroder ein objektivistischerReduktionismuszur Verfügungund
einander unversöhnlichgegenüber:Max Weber hält entschiedenam subjektiv ge-
meintenSinn des Handelns als dem einzig gegebenenFaktum fest und versucht,
von ihm aus Idealtypen sozialer Gebilde zu konstruierenund mit ihrerHilfe groß
angelegtevergleichendeForschungzu treiben.Emile Durkheimverdecktdie soziale
Kontingenz durch seine These von der objektiven Dinghaftigkeitsozialer Reali-
täten. Beide PositionenerhaltenihrenRang durchdas Problem,das sie bearbeiten,
ohne es zu nennen, und ihre Unzulänglichkeitbesteht darin, daß ihr Problem
nichtihre Theorie wird.
2. Latente Funktionen
Andere Gedankenentwicklungenmachen das Problem der Inkongruenz von
wissenschaftlicherAufklärungund naiver Handlungsorientierungzum Thema, in-
dem sie es durchdie Unterscheidungvon bewußtenund unbewußtenSinnbeziehun-
gen umdefinierenund nichtbewußteKomponenteneines Handlungszusammenhan-
ges mitverwenden,um das Handeln inkongruentzu deuten oder gar zu erklären.
Natürlich hatte man immergewußt, daß der Menschnichtallwissend ist. Die An-
nahme aber, daß ein Abdunkeln gewisser Aspekte, gewisser Ursachen oder ge-
wisser Folgen des Handelns dessen Sinn mitbestimmt, ist neu. Sie kann ihre volle
Tragweite erst nachdem
entfalten, der Glaube, daß das Sein selbst dem Handeln-
den wesentlicheund unwesentlicheAspekte zeige und ihn, wenn er nur aufpaßt,
sachlich richtigorientiere,verlorengegangenist und daß es nun allein am Han-
delnden liegt,die Komplexität zu reduzieren.
Die Problematik dieser Reduktion bringtder Begriffder Latenz, der aus der
Psychoanalysestammt,zum Ausdruck6). Er meint nicht nur die reine Faktizität
des Außerachtlassens,sondern besagt, daß menschlichesHandeln sich Teilaspekte
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Soziologische Aufklärung 101
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102 Niklas Luhmann
zu Systemtheorien
3. Von Faktortheorien
Solche VorbedingungenverantwortbarerAufklärungwird man nur auf Um-
wegen erfüllenkönnen, nämlich durch Besinnungauf die Art von soziologischer
Theorie, die dafür erforderlichist. Will man die Theorieentwicklungder Sozio-
logie vom 19. Jahrhundertbis zur Gegenwartin einerknappen Formel zusammen-
pressen,so kann man von einem Übergehenvon Faktortheorienzu Systemtheorien
sprechen11).
Faktortheorien- das sind Versuche,die Entstehungund die je besonderen
Eigentümlichkeitensozialer Gebilde auf bestimmteeinzelne Ursachen zurückzu-
führen,zum Beispiel auf ökonomischeBedürfnisseund die sie befriedigendenPro-
duktionsweisen,auf psychologischeTriebe wie Kampftrieb oder Nachahmungs-
trieb, auf Rassendifferenzen,klimatischeVerhältnisseoder biologische Auslese-
vorgänge. Diese Versuchesind, das kann man heute mit Sicherheitsagen, geschei-
tert an ihrenallzu stark vereinfachtenErklärungsbegriffen.Zwar kann man heute
weniger denn je ausschließen,daß selbst hochkomplexeSystemeaufgrundziemlich
einfacherelementarerProzesse aufgebaut und erhaltenwerden - die Kybernetik
bemüht sich um den Nachweis solcher Vorgänge - , aber das werden,dann Ab-
straktionenvöllig anderer Art sein, zum Beispiel Selektionsregelnund -mechanis-
men,nichtaber allein wirksame,inhaltlichbestimmteUrsachen.
Systemtheorienhaben im Vergleich zu Faktortheorienein sehr viel größeres
Potential für Komplexität. Sie begreifensoziale Gebilde jeder Art - Familien,
Produktionsbetriebe,Geselligkeitsvereine,Staaten, Marktwirtschaften,Kirchen,
Gesellschaften- als sehr komplexe Handlungssysteme,die eine Vielzahl von
Problemen lösen müssen, wenn sie sich in ihrer Umwelt erhalten wollen. Über
diese Probleme und über die funktionalenLeistungen,die sie lösen oder doch
lösen könnten,über die Folgeprobleme,die „Kosten" solcherLeistungenund die
darauf bezogenen sekundärenLeistungen,kann man Feststellungentreffen,ohne
vorher genau geklärt zu haben, aus welchen Einzelursachen ein System kausal
entstandenist. Man kann über die Funktionund Strukturder Sprache - Sprache
ist ein System aus Worthandlungen- Aussagen machen,ohne zu wissen, welche
Ursachen zur Entstehungvon Sprache geführthaben. Sehr viele soziale Mechanis-
men, zum Beispiel Geld oder legitimepolitischeMacht oder positivesRecht,setzen
so hochentwickelte Sozialsystemevoraus, daß es praktischunmöglichist, ihre Kau-
salgeschichteaufzuklären, geschweigedenn auf notwendigeGesetze zurückzufüh-
ren. Eine Entwirrungder Kausalbeziehungen scheitertim übrigen auch an ihrer
zirkulären Interdependenz.Alle systemerhaltenden Ursachen werden als Dauer-
ursachen benötigt,und solche Dauerursachen können ihre eigene Dauer nur be-
sitzen, wenn das Systemerhaltenbleibt, so daß in ihrerUrsächlichkeitdie zu be-
wirkende Wirkungschon vorausgesetztist.
Faktortheorienund strengkausalgesetzlicheMethodologie würden die soziologi-
sche Forschung in ihrem Fassungsvermögenfür Komplexität in unerträglicher
Weise beschneiden.Mit diesem Instrumentarium könntedie Soziologie nichteinmal
das Alltagsverständnisvon Situationen und Handlungszusammenhängenin seiner
unklaren,aber vielschichtigen Komplexität erreichen,geschweigedenn übertreffen.
Sie bliebe den Handelnden selbst glatt unterlegen.Von sinnvoller Aufklärung
könnte unter diesen Umständen keine Rede sein. Der Bedarf für ein analytisches
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Soziologische Aufklärung 103
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104 Niklas Luhmann
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SoziologischeAufklärung 105
15) In der Soziologie wird diesem Problem der „anderen Möglichkeiten" zumindest für
den Bereich der Verhaltenserwartungenvon Parsons grundsätzlicheBedeutung bei-
gelegt. Parsons sieht in dem Problem der „double contingency" aller Interaktionen
den Grund dafür, daß alle Sozialsysteme eine normative Strukturbilden müssen,um
die Komplementarität der Verhaltenserwartungensicherzustellen. Siehe Talco«
Parsons : The Social System. Glencoe, 111.,195U1,S. 10 f., 36 ff.; Talcott Par-
sons/ Edward A. S h i 1 s (Hrsg.): Toward a General Theory of Action. Cambridge,
Mass., 195Î, S. 16. Auch in der neueren Organisationstheorierüda das Problem der
„rationalen Unbestimmtheit"aller Situationen, an denen mehrereMenschen beteiligt
sind, oder allgemeiner: das Problem der Überforderungdes Mensdien durch Kom-
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106 Niklas Luhmann
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Soziologische
Aufklärung 107
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108 Niklas Luhmann
10) Vgl. dazu näher Niklas Luhmann: „Funktion und Kausalität". Kölner Zeitsdirift
für Soziologie und Sozialpsychologie 1'4 (1962), S. 617*- 644; ders.: „Funktionale
Methode und Systemtheorie".Soziale Welt 15 (1964), S. 1-25.
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Soziologische Aufklärung 109
wenn dieser Übergang konsequent vollzogen ist20), kann man die Systemtheorie
von der Voraussetzung einer je schon bestimmten,strukturellvorgezeichneten
Innenordnunglösen und die Funktionder Systembildungüberhaupterkennen:Sie
bestehtin der Erfassungund Reduktion von Weltkomplexität.
4. Systemeals Medium der Aufklärung
Systeme vermittelnzwischen der äußersten, unbestimmtenKomplexität der
Welt und dem engen Sinnpotentialdes jeweils aktuellen Erlebens und Handelns.
Sie sind das Medium der Aufklärung.
Die Systembildungerfolgtdurch Stabilisierungeiner Grenze zwischen System
und Umwelt, innerhalb derer eine höherwertigeOrdnung mit weniger Möglich-
keiten (also mit reduzierterKomplexität) invariant gehalten werden kann. Diese
Innenordnungmit ihren Erhaltungsbedingungen dient als Grundlage eines selek-
tiven, vereinfachten,aber bewährbaren Umweltentwurfs,der Anhaltspunktefür
sinnvolles und praktischdurchführbares Handeln erschließt.So verwandelt sich
die unbestimmteKomplexität der Welt in genauer spezifizierbareProbleme der
Selbsterhaltung,verschiebtsozusagen die Weltproblematikteilweise von außen
nach innen, wo sie mit zielgenaueren Methoden der Informationsverarbeitung
besser zu lösen ist.
Die Art, wie das geschieht,bestimmtdas Niveau der Aufklärung- beim
per-
sönlichen (durch eine „Persönlichkeit"strukturierten)Aktionssystemebenso wie
beim Sozialsystem.Die Eigenkomplexitätdes Systemsmuß in einem angemessenen
Verhältniszur Komplexität der Umwelt stehen21).Je komplexerein Systemselbst
strukturiert ist und je mehr Zustände es demzufolgeannehmenkann, desto kom-
plexer kann auch seine Welt sein, desto umweltadäquater,desto sinnvoller,desto
aufgeklärterkann es existieren,erleben und handeln, desto weltgemäßerist seine
Subjektivität.
Dieser Gewinn an reduzierbarerKomplexität wird dadurch erreicht,daß die
Selektivität des menschlichenVerhaltens durch Systembildung
gesteigertwird.
Durch Systemekönnenmehrere,entwedernacheinanderoder
gleichzeitigablaufen-
de Akte der Informationsverarbeitung einander so zugeordnet werden, daß die
Selektionsleistung des einen Aktes die der anderen verstärktund umgekehrt.Teder
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110 Niklas Lubmann
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Aufklärung
Soziologische 111
kannangesichts
Diese Leistungssteigerung derunveränderbar Aufmerk-
geringen
samkeitsspanne menschlichenErlebensnur durchSystembildungen erfolgen,die
in einemsinnvollenZusammenhang
daß Informationsverarbeitungen
sicherstellen,
erfolgen,der ihre verstärkt.
Selektivität Erstdamit wirdein praktisch
wirksamer
Stil der Aufklärung der jedenGewinnneuerMöglichkeiten
erreicht, mitsteigen-
der Komplexitätund miteinerverstärkten Abarbeitung ihrerFolgeproblemebe-
zahlt und so erstverdient.
IV. Verwandteund konkurrierende Bemühungen
Eine Soziologie,die sichals Aufklärung begreifen und die Grenzender Auf-
klärungmitthematisieren will,hat besonderen Anlaß,die Beziehungen zu einigen
verwandten und konkurrierendenNachbarwissenschaften zu überdenken. Nimmt
man dafürdas Problemder Komplexitätund ihrerReduktionzum Leitfaden,so
tretenan nahestehenden Bemühungen besondersdie der transzendentalen Phäno-
menologie,der Kybernetik, der Rechtstheorie,der Entscheidungswissenschaften
in den Blick.Angesichts
sowiei-ieder Geschichtswissenschaft des heutigenStandes
der Theorieentwicklung wäre es verfrühtund gefährlich, die Diskussionzwischen
diesenDisziplinendurchAbgrenzungsvorschläge zu unterbinden. Eher kommtes
daraufan, Zusammenhänge aufzudecken, um die möglichen Bezugspunkte eines
sinnvollen festzustellen.
Divergierens
/. Transzendentale Phänomenologie
Wo eine transzendentale Theorieder Gesellschaft gefordert wurde24),stand
bisherdie auf Kant zurückgehende erkenntniskritische Grundlegung im Mittel-
punktderAufmerksamkeit. Wo einephänomenologische Soziologiegefordert wur-
de, gingman von älterenVorstellungen von Wesensschau aus25),hieltsichledig-
lichan die These einesunumgänglichen Subjektivismus 2Ä)oder man wandtesich
„Lebensweltanalysen" imSinnevonBeschreibungen des alltäglichenWeltverstehens
zu und verlordie transzendentale Fragestellung dabei aus den Augen27).Diese
Bedeutungsfestlegungen ermutigen nichtgerade zur Weiterverwendung der Be-
griffe phänomenologisch und transzendentalin der soziologischen Diskussion.Da-
bei stehtjedochdie entscheidende
Entdeckung, die sichin den AnalysenHusserls,
wenngleich uneingestanden,
ankündigt, nochgar nichtim Blick- nämlichdie der
intersubjektiven Konstitution
und damitder sozialenKontingenzvon Weltüber-
S. 337 f. Siehe fernerWilbert E. Moore: Man> Time, and Society. New York -
London 1963, £. 16 ff.
*4) Siehe namentlichMax Adler: Das Rätsel der Gesellschaft.Zur erkenntnis-kriti-
schen Grundlegung der Sozialwissenschaften.Wien 1936, und Helmut S c h e 1 s k y :
Ortsbestimmung der deutschen
Soziologie.Düsseldorf-Köln1959,S. 93 ff.Vgl. ferner
Horst B a i e r : „SoziologiezwischenSubjektund Objekt. Zur erkenntnistheoreti-
schenSituationder westdeutschen Soziologie".Soziale Welt 14 (1963), S. 278- 296
(291 ff.)mitweiterenHinweisen.
u) So etwa Siegfried Kracauer: Soziologie als Wissenschaft. Eine erkenntnis-
theoretischeUntersuchung.Dresden 1922.
w) Siehe dazu den Überblick bei Edward A. Tiryakian: tyExistentialPhenomeno-
logy and the Sociological Tradition". American Sociological Review 30 (1965), S. 674
bis 68».
n) Dies ist namentlichfür die amerikanischenPublikationen von Alfred Schütz bezeich-
nend, jetzt verfügbar in: Alfred Schütz: Collected Papers. 3 Bde. Den Haag
1962- 66; ferner Peter L. Berger / Thomas Luckmann: The Social Con-
struction of Reality. Garden City, N. Y., 1966, und die kritischenBemerkungen
von Hans Georg G a d a m e r : iyDie phänomenologischeBewegung". Philosophische
Rundschau 11 (1963), S. 1-45.
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112 Niklas Luhmann
M) Am ehesten sdieint nodi Schütz diesen Befund als ein Faktum zu akzeptieren, aber
es ist natürlidi kein Faktum, das irgendwann einmal stattgefundenhat, sondern ein
Problem.
*•) Intersubjektivitätder Weltkonstitutionsagt nämlidi nidns weiter als Kongruenz der
intencionalenPerspektiven des SinnerlebensversdiiedenerSubjekte. Sie ist als soldie
nidit personifizieroar. Husserl selbst gleitet zuweilen sehr leidit von Tatbeständen
gesidierter Intersubjektivitätzur Annahme sozialer Lebensgemeinsdiaftenim Sinne
von Personalitäten höherer Ordnung über. Vgl. den materialreidien Überblidc bei
To u 1e m o n t , a. a. O. Er hat die Probleme eines Übergangs von der Intersubjek-
tivität des Erlebens zur Theorie sozialer Systeme wohl durdi deduktiven Übergang
vom Allgemeinen zum Besonderen lösen wollen und sie damit erheblidi untersdiätzt.
Ähnlidies gilt für A d 1 e r , a. a. O.
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SoziologischeAufklärung 113
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114 Niklas Luhmann
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Aufklärung
Soziologische 115
) Manches spricht dafür, sie auf den Gegensatz von Zweckprogrammenund Kondi-
tionalprogrammendes Entscheidensund diesen auf das Input/Output-Modellzuriiek-
LU a n n : »Lob der R^ine«.
w n5S'
S e ZUi nà,,Cr ?ÌklaS h,mund Verwaltungsardiiv
(1*64), î>. Î--33; der s.: Recht Automation in der öffentlichenVerwal-
tung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung.Berlin 1966 S *s ÇÇ
Santl Romano- L'ordinamento Pisa
giuridico.
191», ¥
f<£* ?*n xTUSnJ
2. Auf »h"JcJ>lldct
Neudruck Florenz 1962. Romano der gibt auch sonst vertretenen in-
stitutionellen Rechtstheorieeine Fassung, die das Recht mit der Struktureines
Sozialsystems identifiziert,die aber zu seiner Zeit noch keine Möglichkeithattejeden
sich
an eme soziologische Theorie des
Sozialsystems anzulehnen, und sich deshalb
sah, eine Charakterisierungals Soziologie ausdrücklichzurückzuweisen.Als genötigt
seltenen Ansatz zu einer systemstrukturellen weiteren
Normtheorie vgl. Jay M. Jackson •'
ofNorms«.
In: TheDynamics
of Instructional
ÍSy
So s i£iΣ°ïia
HTk
ín for
the
ociety ofEducation-
Study Groups.'
chi4o
M) WeIzel: An den Grertzendes Rechts.Die Frage der
A1"6/™ ne£eS,tenA
Rechtsgeltung. ?T
Koln-Opladen 1966. S. 26 ff. *
8»
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Soziologische Aufklärung 117
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118 Niklas L uhmann
grammwerdensoll,wirdmanauchhierdemProblemderinterdisziplinären
Kon-
mehrAufmerksamkeit
taktfähigkeit schenken
müssen.
6. Geschichte
Währendwir mitden ProblemenderRationalität, des Rechtsund der richtigen
Entscheidung nochbei Gegenständen weilten,die der Vernunftaufklärung nahe-
standenund von ihr gepflegtwurden,kommenwir jetzt zu einemThema,das
sich in der abendländischen Denkgeschiehte gegenden Rationalismusder Ver-
nunftaufklärung durchsetzenmußte.In bezugauf das Problemder Geschichte ist
eineAbklärungderAufklärung vielleicht
am dringlichsten, und dazu isteineKlä-
rungdes Verhältnisses von RationalitätundGeschichte erforderlich.
JeneEpoche,der wir Begriff und Programm der Aufklärung verdanken, hatte
sichbewußtvon derGeschichte Sie wolltesie derVergangenheit
losgesagt43). über-
lassen,sie als erledigtbetrachten.Im ausdrücklichen Zurückweisen der Geschichte
und im Neubeginnenwollen, aber auchin den übrigenDenkvoraussetzungen auf-
klärerischen Strebensmeldetsichein geschichtsfreierRationalismus zu Wort:Frei-
heitheißtFreiheitvon den FesselnderVergangenheit, von zu engenRäumenund
Gassen und ihrenzahllosen,unvernünftig verwinkelten Besonderheiten. Gleich-
heitheißtEinebnender Unterschiede, die „nur" geschichtlichund nichtin Natur
und Vernunft begründetsind. In ihrerGeschichtsfeindlichkeit,
und nur so, kon-
vergieren Freiheitund Gleichheit. Dazu trägtweiterbei,daß man sichprimäran
Handlungenund nichtan Handlungssystemen orientiert.Der pragmatische Zug
einesDenkens,das seinenGegenstandim Vorstellenund Herstellenbegreift und
Systemenur als Regulative,nichtals Institutionen, anerkennt, weist in die Zu-
kunft,währendein Systemdenken nichtübersehen kann,daß derAufbauvon Sy-
stemenZeit kostet,und daß in Systemstrukturen Geschichte gegenwärtig ist und
immererneutals Handlungsgrundlage aktiviertwird.Nichtzuletzthängtdamit,
krafteinerallgemeinen Regelder Reduktionvon Komplexität, auchdie Prämisse
gleichverteilter menschlicherVernunftzusammen:Wer Traditionverwirft, muß
Konsensherstellen, wer seineVereinfachungen nichtin der Zeitdimension legiti-
miert,mußsie in derSozialdimension Um die Geschichte
legitimieren. abstoßenzu
können,mußtedie Aufklärungeine intersubjektiv gültigeVernunftmetaphysik
postulieren unddas ProblemderKomplexität dorthinverlagern.
Dort ließ es sichabernichthalten,geschweige dennbewältigen. In derDenkge-
schichte, die der Aufklärungszeit folgt,kannmanTendenzeneinesÜbergangsvon
bewußtseinsmetaphysischen zu geschichtsmetaphysischen Grundlagenkonzeptionen
feststellen.Sie erreicheneinenerstenGipfelin demVersuchHegels,Geschichte als
Geschichte des selbstbewußt werdendenGeistesdarzustellen.Die Absichteiner
Synthesevon Bewußtseinund Geschichte hat jedochden Angelpunkt jenerWen-
dung, das latenteProblemder sozialen Komplexität,im verborgenen gelassen.
Schaftswissenschaftenzu klären sucht,ist mehr auf Trennung als auf Verbindung hin
konzipiert. Immerhinmag sie, wenn man Soziologie nicht,wie Albert, rein empirisch-
kausal, sondern systemtheoretischversteht, dazu anregen, das unüberbrückbare
Schisma von empirisch-erklärenden und rational-normierendenHandlungswissenschaf-
ten zu ersetzen durch die stärker auf Kooperation
angelegte Trennung von System-
theorien und Entscheidunestheorien.
tt) Daß diese Geschichtsfeindlichkeit
mit ihrerFrontstellunggegen das überlieferteWissen
w^d von Gerhart Schmidt: Aufklärung und
S/7 à -f^k indlxi5hkLeit
Die wa[>
c ff Y/ i Ne^eZründung des Wissensdurch Descartes. Tübingen 1565,
r i j St Sicherist' daß der Bildungsgedanke
eraus?esten11î- deswegennach dem
Ende der Vernunftaufklärungneu formuliert
werdenmußte.
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Soziologische
Aufklärung 119
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SoziologischeAufklärung 121
kann51). Es handelt sich nichtum eine Bindung an Seiendes oder an Werte, son-
dern um immanenteLeistungsschranken, die solchenBindungen vorausgehen.Die
Weltmagabsolutkontingent entstanden sein.Allesließesichdannändern- aber
nicht alles auf einmal.
Diese Überlegungen ermöglichen es, dem GrundjenerWendungvon der Sub-
jektivitätder Vernunftzur Faktizitätder Geschichte näher zu kommen:Ge-
meinsameGeschichte, handelndeVerflechtung der Systembiographien, reduziert
mehrKomplexitätals gemeinsame Vernunft.Je komplexerdie Sozialsysteme
selbstwerden,destostärkerwächstder Strukturbedarf in ihnenund damitdie
von
Abhängigkeit vergangenen Vorleistungen; desto stärker wächstaber aus dem
gleichenGrundder BedarffürrationaleTechnikender Reduktionvon Komple-
xität.Übernahmeder Geschichte im SinneeinerAnknüpfung an das fertigVor-
handeneund rationalePlanungsind funktionaläquivalente,aufeinanderange-
wieseneFormenderReduktionvon Komplexität52).
Die geschichtsfeindlicheAttitüdederVernunftaufklärung, die auf den Ursprung
zurückgehen und dannalles aus derVernunft neu konstruieren wollte,kanndem-
nachnichtbeibehalten werden.Sie war Ausdruckeinesunbekümmerten Oberge-
hensder Weltkomplexität, jenesVerkennens der inhärenten Schranken aller Auf-
klärung,die Komplexität nichtnurerfassen, sondernauchreduzieren muß.Ande-
rerseitsist eineAufklärung nachrückwärts, eineReproblematisierung derVergan-
genheitund erst rechteine Wiederholung der ganzen,bereitsgeschehenen Ge-
schichte subjektiver LeistungendurchUrsprüngeaufdeckenden Nachvollzug,wie
sie Husserlvorschwebte53), nichtSache der Soziologie.Nichtdie Vergangenheit
als solche,sonderndas, was als Geschichte aktuelleGegenwartund Zukunftsvor-
aussetzung den Soziologen.Geschichte
ist,interessiert ist fürdie Soziologieweder
ein BereichobjektiverFaktenforschung nochOrientierungsfeld fürHermeneutik,
sondernProblem-und Strukturvorgabe, also Entlastung von Komplexität.
Dieses Entlastungsverhältnis muß allerdingsim Zuge fortschreitender Aufklä-
rungbewußtwerden.Die Geschichte wird dann funktional, und also widerruf-
lich,dargestellt. Evidenzen,Selbstverständlichkeiten mitlatentenFunktionen, ver-
wandelnsichdadurchin mitdem Systemübernommene Problemlösungen, deren
funktionale Interdependenzen sichprinzipielldurchschauen lassen.Eine funktio-
nale Durchsichtigkeit der Systemeauch in den Sinnablagerungen, die jeweilsals
Strukturund nichtals Problemverwendetwerden,ist wesentlicher Bestandteil
eines Programms soziologischerAufklärung. Nur auf diese Weise läßt sich ein
Fortschritt anstreben,der der vollenKomplexitäteinesSystemsgerecht wirdda-
durch, daß er gegebene Zuständein all ihrenFunktionen ersetzt.
S1) Vgl. dazu die Ausführungenüber die Notwendigkeit,neue Wahrheitenin alte Wahr-
heiten einzuarbeiten,bei William James: Pragmatism.Meridian Books, New York
1959, S. 50 ff.
M) Diese Einsidit könnte u. a. ein Anlaß sein, die sdiematisdie Entgegensetzungvon
traditionalen und modernen Gesellsdiaftenzu überprüfen,die in der Soziologie vor- •
herrsdn und namentlidi die Beurteilung der Situation von Entwiddungsländernbe-
stimmt.Siehe neuestensMarion J. Levy, Jr.: Modernization and the Structureof
Societies. A Setting for International Affairs. 2 Bde. Princiton, N. J., 1%5, und
die berechtigteKritik von Lucian W. P y e : Politics, Personality, and Nation-
Building. BurmaysSearch for Identity. New Haven-London 1962, S. 37 f., oder von
Reinhard B e n d i x : Nation-Building and Citizenship. Studies in our Changing
Social Order. New York-London-Svdnev 1964. S. 4 ff.
M) Vgl. Edmund Husserl : Erfahrung und Urteil. Hamburg 1948, S. 48, und aus-
führlicherin: „Krisis . . .", a. a. O.
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122 Niklas Luhmunn
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Soziologisòe Aufklärung 123
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