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)TTFRIED BAMMES
.-tlieber Professor für Künstleranatomic
' Hochschule für Bildende Künste Dresden
Vorwort
_ für die seelische Durchdringung des Gesichtsausdruckes im Alle nachfolgenden Kapitel sind jetzt durchgängig textlich wie
abbildungsmäßig jeweils mit einem Abschnitt abgerundet, der
Künstlerischen Menschenbild.
;>er Autor fühlt sich allen jenen verpflichtet, die - direkt oder grundsätzliche wie besondere Aussagen über die Verarbeitung
-.direkt - dazu beitrugen, daß das Werk eine weitere Abrundung morphologischer und anatomischer Sachverhalte in Kunstwerken
erfahren konnte, ln erster Linie dankt er dem VEB Verlag der macht. Die hierbei angestellten Analysen sind Teilaspekte in der
Kunst Dresden und dessen Mitarbeitern, die wie stets zum Ge¬ Betrachtung von Kunstwerken. Sie geben Auskunft, wie indivi¬
nien alles daransetzten, weiterhin den Künstlern, die ihre Werke duell unterschiedlich das künstlerische Wissen um die Gestalt,
•ür die Veröffentlichung zur Verfügung stellten; sein Dank gilt den Bau und die Funktionen des menschlichen Körpers in die
der Leiterin und ihren Mitarbeiterinnen des Wissenschaftlichen künstlerische Ausdrucksgestaltung einbezogen worden ist, sie
Archives für fotografische Reproduktion der Akademie der sind absichtlich begrenzt worden und können unmöglich die vie¬
Künste der UdSSR, Leningrad, wo der Autor während seiner len anderen Komponenten einer Kunstbetrachtung, die den bild¬
Gastvorlesungen am Repin-Institut Gelegenheit hatte, Beispiele nerischen Totalitätscharakter aufzudecken hat, ersetzen. Wir
russischer vor- und nachrevolutionärer Aktkunst zu sichten und müssen uns hier mit notwendigen textlichen Einengungen be¬
auszuwählen, und wo er verständnisvolle freundschaftliche Unter- scheiden, die im Kontext mit der Besonderheit der jeweils vorge¬
Nützung fand. Eine kleine Auswahl davon konnte in diese Auf- tragenen Sachbestände stehen.
age aufgenommen werden. Nicht zuletzt dankt der Autor allen Der Verfasser ist sich einer weiteren Eingrenzung bewußt, für die
enen im ln- und Ausland, die ihm in persönlichen Gesprächen er um Verständnis bitten muß: Wenn eine Meisterzeichnung bei¬
und Briefen ihre Zustimmung zu seinem Werk bekundet haben. spielsweise vorwiegend im Bezug aut die formbildende Eunktion
Möge es auch diesmal als Beitrag verstanden werden, auf die sach¬ der plastischen Kerne, wie Becken und Brustkorb, betrachtet
bezogenen Fragen während des künstlerischen Studiums der Ge¬ wird, so heißt das nicht, der Künstler habe sich vor dem Akt
walt des nackten Menschen und ihrer natürlichen Schönheit fun¬ ausschließlich auf dieses Problem orientiert und andere unbeach¬
tet gelassen. Die Auswahl der Kunstwerke, von denen jedes eine
dierte Antworten zu geben.
in sich geschlossene Einheit ist, kann daher im Hinblick auf die
Zitierung der Sachbestände nicht überschneidungsfrei erfolgen.
Das Kapitel 7 «Die Rumpfmuskulatun> hat durch den neuen Ab¬
Vorwort zur dritten Auflage
schnitt 7.3. eine wichtige synthetisierende Darstellung über das
gesetzmäßige Verhalten der Weichteilformen des Rumpfes erhal¬
ten, in dem besondersauf die Vor aus sc hauhark eit plastischer Ver¬
Man hat die grundlegenden Hilfen der Künstleranatomie heute
änderungen unter gegebenen Bedingungen hingearbeitet und damit
wieder als unveräußerlich verstehen gelernt und zählt sie in unse¬
rem Lande unbestritten zu den Hauptgrundlagenfächern des fi¬ auch die engere Schlüssigkeit zum nachfolgenden Abschnitt her¬
gürlichen Naturstudiums. Begünstigt und getragen wird diese Ein¬ gestellt wird, wo diese Fragen im Kunstwerk eine Rolle spielen.
schätzung von einem breiteren und tieferen kunstpädagogischen Eine ähnliche Funktion erfüllt der neue Abschnitt 8.13.4. mit der
Hintergrund, nämlich von der erstarkenden Einsicht, daß mit den Überschau über «Die Weichteilformen und besonderen Ober¬
Forderungen nach einem intensivierten Naturstudium sich flächenformen der Hand in ihrer plastischen Bedeutung».
zwangsläufig auch die Forderungen nach einem solideren künst¬ Alle lateinischen anatomischen Bezeichnungen wurden der neue¬
erischen Handwerk verbinden. Daß sich die kunstpädagogischen sten internationalen Nomenklatur von Wiesbaden 1965 angepaßt.
Vorstellungen mancher Länder von einem unbehinderten, rein Insgesamt haben die Abbildungs-Unterschriften, wo es erforderlich
subjektiv bestimmten Wachsenlassen der Kunstschüler und vom schien, Präzisierungen erfahren, grundsätzlich aber sind alle in
• erzieht auf alle objektiven Grundkenntnisse und -fertigkeiten ihrem Aussagewert erweitert und erhöht worden, was dem Leser
auf die Dauer als unhaltbar erweisen mußten, wird heute unum- die Schnellinformation erleichtert, ohne daß er zum weiteren Ver¬
ständnis auf den Textbezug zu den Abbildungen angewiesen ist.
* unden eingestanden.
Das Fortschreiten der didaktischen Erfahrungen und Erkennt- Der Autor hat unter den Gesichtspunkten der Förderung lcrn-
.:>se des Autors und sein immer dringlicherer Wunsch, die Künst- psychologischer Prozesse durch die Künstleranatomie zusätzlich
eranatomie ihrem Wesen nach noch näher als schon bisher an 50 neue anatomische Tafeln mit insgesamt rund 250 Einzeldar¬
:ie Belange des künstlerischen figürlichen Naturstudiums heran- stellungen gezeichnet. Dabei ließ er sich von folgenden Einsichten
.lngcn erforderlich gemacht. Sie gehen so weit, daß dafür auch Wert vorstellungsmäßiger Einprägung erlangen, muß sie aufgrund
ne neue typographische Gestaltung gefunden werden mußte, ihres Bedeutungsgehaltes an Wesentlichem durch Vereinfachung
n folge der bedeutenden Ober blick serweiterung des Autors über wie auch durch Zuspitzung prägnant sein. So sind zum Beispiel
: e Künstlercmatomie im englischsprachigen Raum war es möglich, die Formvereinfachungen, wie sic die Arbeit mit den konstruktiven
Kapitel 1 «Künstleranatomie einst und heute» durch den Ab- Formen bietet, aber auch die synthetisierenden architektonischen
^hnitt 1.2.10. zu ergänzen, in welchem wir mit dem kunstanato- Formen, die eine Hierarchie der Ordnung aufzubauen gestatten,
~nsehen Vorgehen englischsprachigcr Gebiete bekannt gemacht konsequent und ausführlich in allen rein anatomischen Kapiteln
Vorwort 7
Zweitens: Die Grundansichten von anatomischen Gebilden in Nicht zuletzt hat aus diesen Gründen auch unter den reprodu¬
Vorder-, Seiten-, Rückansicht und Grundriß sind bedeutend be¬ zierten Schülerarbeiten ein großer,Austausch stattgefunden, um
reichert worden durch perspektivische Ansichten, und zwar aus die so notwendige dienende Hingabe des Schülers - fern von allen
der Erkenntnis der Tatsache, daß die Klarheit der Vorstellungen seichten modischen Effekten und Oberflächlichkeiten-zu bekräf¬
von einem Gegenstand mit der Inkonstanz der Ansichten wächst, tigen und als unerläßliche Vorstufe eines jeden wahren gestalteri¬
das heißt, das Betrachten des Körpers von verschiedenen Stand¬ schen Wollens nachzuweisen und anzuerkennen.
punkten aus macht immer neue wesentliche Seiten seiner Form Auch die fotografischen Aufnahmen sind vermehrt worden, die
entdeckbar. Wir wandern zeichnerisch um den Gegenstand her¬ sich neben den Bewegungsanalysen durch das strobochromato-
um. Die Inkonstanz der Ansicht schafft die Konstanz der Form. graphische Aufnahmeverfahren hauptsächlich auf die Anschau¬
Drittens: In der zweiten Auflage wraren einige anatomische Ge¬ ungsverstärkung vom Kleinst- und Kleinkind, auf das Grundver¬
genstände und Sachverhalte im Hinblick auf die Veranschauli¬ halten der Weichteilformen des Rumpfes, auf das Mienenspiel
chung zu kurz gekommen. So wurden jetzt Anschauungsbereiche¬ und die Altersphysiognomie orientieren.
rungen konzentriert auf das Knie, vor allem auf Hände und Füße, Zieht der Leser in dieser dritten, wesentlich erweiterten und ver¬
Schultergürtel, Wirbelsäule und Brustkorb, auf räumliche An¬ besserten Auflage alles in allem zusammen, so wird er unschwer
sichten vom Becken, auf das Bein-, Rumpf- und Armskelett als eine Vorstellung gewinnen vom Ausmaß und Reichtum des neuen
Ganzes und in Funktion. Die architektonisch gebaute Körperform Informationsangebotes in Verbindung mit dem bisher vorhande¬
erstreckt sich jetzt durchgängig auf alle Körperabschnitte, um nen, eines Angebotes, das viele Auskünfte und Anregungen bereit¬
nach den analytischen Untersuchungen noch stärker als bisher hält. In welchen Formen und Graden der Leser davon Gebrauch
wieder zu Formen synthetischer Körperauffassung vorzustoßen. macht, unterliegt ganz allein seiner persönlichen Entscheidung.
Viertens: Unter diesem Gesichtspunkt hat der Verfasser erstmalig Wenn das vorliegende Werk mit seinen Stoffdarbietungen in Text
auch einige seiner neben den Studentenarbeiten vorgenommenen und Bild stets auch an den zeichnenden Leser denkt, so bleibt es
Korrektur/eichnungen eingegliedert. Durch das individuelle Ein¬ seinem Wesen nach ein Grundlagen werk im Sinne der Vermitt¬
gehen auf die vom Studenten mißverstandenen, gefühlsleeren oder lung von Wissen und Erkenntnissen. Von dieser Basis aus leitet
ungeordneten Lösungsversuche zeigt er mehrere Möglichkeiten der Verfasser den Leser in gesonderten Publikationen, in Gestalt
des synthetischen Herangehens und beweist er die «Hautnähe» von Aufbauwerken, weiter. Einerseits in Richtung auf ein ver¬
dieses Vorgehens zu den allgemeinen Problemen des künstleri¬ stehendes Zeichnen menschlicher Formen, dessen Vorgehen sich
schen figürlichen Naturstudiums. streng auf dem Boden methodisch anatomischer Grundlagenauf¬
Fünftens: Ein sehr großer Teil der anatomischen Zeichnungen bereitung bewegt und wo die anatomischen Kenntnisse als Mittel
des Verfassers ist unter dem Gesichtspunkt eines einfühlsamen der zeichnerischen Objektivierbarkeit von Sachverhalten genutzt
sehenden Erkennens oder erkennenden Sehens entstanden, das werden. Andererseits führt er ihn zu gestalterischen Problemen im
den Lernenden befähigt, selbständig gesetzmäßig plastische Form¬ Bereich der Figur, was er umfassend in «Figürliches Gestalten»
ereignisse vorauszusagen. (Volk und Wissen, Berlin 1978) dargelegt hat.
Eine Anzahl Beispiele von künstlerischen Meisterzeichnungen ist Möge das Buch in der Erweiterung seines Gehaltes und in seiner
nicht nur durch aussagekräftigere ausgewechselt und zu Kom¬ neuen Gestalt auch weiterhin sich seiner nationalen wie inter¬
plexen zusammengefaßt, sondern auch zahlenmäßig erhöht wor¬ nationalen Anerkennung erfreuen.
den, so daß jetzt über 120 Reproduktionen die internationale
Breite des Feldes umreißen. Einer solchen quantitativen Ver¬ Prof. Dr. paed, habil. Gottfried Bammes, NPT
mehrung und qualitativen Verstärkung am Ende jeweils eines Ordentlicher Professor für Künstleranatomie
anatomischen Kapitels liegt doch eine tiefere Absicht zugrunde, an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
die auch in einem Sachinformationswcrk wie diesem nicht unaus¬
gesprochen bleiben sollte. Sie will durch das Beispiel des Kunst¬
werkes zeigen, wie innig Sachkenntnis und -erforschung im Fi¬
gürlichen verschmolzen sein müssen mit Gefühl. Ein-Fühlung,
Erlebnis und freier Phantasietätigkeit, um daraus lebendige Kunst
werden zu lassen. Mehr noch: Der Appell an die Erlebnisfähig-
keit einer Sache ergeht auch unmittelbar an die anatomische
Zeichnung selbst, einschließlich an die des Schülers, und wenn-
%
Vorwort
1
Inhaltsverzeichnis
.
2.1.1. Vorbemerkungen über die Zweckbestimmung / 85
des Menschen / 85 2.1.2. Begriffe Proportion - Modul - Kanon / 85
2.1.3. Die Meßverfahren und historischen Impulse / 86
Erste Teilzusammenfassung / 89
Zweite Teilzusammenfassung / 89
2.2. Typologisches der Proportionen / 90
2.2.1. Allgemcinmorphologisches der beiden Geschlechter / 90
2.2.2. Die Proportionen der beiden Geschlechter / 92
Zusammenfassende Übersicht / 92
2.2.3. Ergänzungsbemerkungen zur Proportionstypologie / 106
Zusammenfassende Übersicht /110
2.3. Die Verarbeitung von konstitutionstypischen Gestaltmerkmalen
in Kunstwerken / HO
2.4. Die Proportionen verschiedener Entwicklungstypen / 115
Zusammenfassende Übersicht / 121
2.5. Die Verarbeitung von entwicklungstypischen Gestaltmerkmalen
in Kunstwerken / 136
Zusammenfassende Übersicht / 141
Inhaltsverzeichnis
3 Die statischen und
dynamischen Grundlagen
3.1.
3.1.1.
3.1.2.
Gesetze der Statik und Dynamik / 142
Die Begriffe Schwerpunkt - Schwerelinie - Unterstützung - Stand¬
festigkeit und ihre gesetzmäßigen Relationen / 142
Das aufrechte Stehen auf beiden Beinen ohne Schwerpunkt¬
für die Haltung verschiebung / 143
3.1.3. Schwerpunktverschiebungen im Stand / 143
und Bewegung 3.1.4. Schwerpunktverschiebungen im Stand durch fragen einer Frcmd-
des Menschen / 142 last / 144
3.2. Die Spielbein-Standbein-Stcllung (Kontrapost) / 144
3.2.1. Die Verringerung der Unterstützung / 144
3.2.2. Die gesetzmäßige typische Veränderung des Formcharakters
im Kontrapost / 145
Zusammenfassung / 146
3.2.3. Der Kontrapost unter Einwirkung einer Fremdlast / 148
3.2.4. Ausdrucksbewegungen mit Erhaltung des Gleichgewichts / 148
3.3. Das Sitzen und die Sitzhaltungen / 150
3.4. Die Verarbeitung von Gesetzmäßigkeiten der Ruhehaltungen
in Kunstwerken /152
* 3.5. Der Schritt / 158
3.5.1. Die Phasen des Schritts / 158
3.5.2. Der fruchtbare Moment / 159
3.6. Der Lauf und seine Einzelphasen / 161
3.7. Die Verarbeitung von Gesetzmäßigkeiten der Ortsbewegungen
in Kunstwerken / 170
3.8. Arbeitsbewegungen / 173
3.8.1. Heben - Halten - Niederlassen einer tiefgelegenen Last / 173
3.8.2. Stemmen - Halten - Niederlassen einer hochgelegenen Last / 176
3.8.3. Das horizontale Ziehen einer Last / 176
3.8.4. Das Schieben einer Last / 176
3.9. Die Verarbeitung von Sachgrundlagen der Arbeits- und Ausdrucks¬
4
bewegungen in Kunstwerken / 178
Allgemeines über die hintere Extremität des Tieres und die untere
Die untere Extremität / 198 51 Extremität des Menschen / 198
5.2. Die Konstruktion des menschlichen Beinskeletts und die Anordnung
der Gelenke / 199
5.3. Das Kniegelenk (Articulatio genus) / 200
5.3.1. Allgemeines über das Oberschenkel- und das Schienbein / 200
5.3.2. Aufgaben des Knies / 203
5.3.3. Bestandteile, Aufbau und konstruktive Form / 203
5.3.4. Mechanik und plastische Veränderungen / 203
3.3.5. Formkorrelation und Formzusammenhänge am Knieskelett / 204
Zusammenfassung / 208
5.4. Muskeln des Kniegelenks / 212
5.4. L Überblick über das allgemeine System / 212
5.4.2. Die Kniemuskeln im einzelnen vor und hinter der Querachse / 213
Zusammenfassende Übersicht / 215
5.5. Das Becken (Pclvis) / 219
5.5.1. Allgemeines und Aufgaben j 219
Inhaltsverzeichnis
5.5.2. Bestandteile und Aufbau / 220
5.5.3. Konstruktion, Formunterschiede und Plastik / 220
5.5.4. Becken- und Wirbelsäulenhaltung / 225
5.6. Das Hüftgelenk / 226
5.6.1. Aufgaben, Bestandteile und Aufbau / 226
5.6.2. Mechanik / 226
5.7. Die Muskeln des Hüftgelenks (oberflächliche Schicht) / 230
Zusammenfassende Übersicht / 233
5.8. Der Ful3 / 233
5.8.1. Allgemeine Eigenschaften und Aufgaben / 233
5.8.2. Überblick über die Gliederung des Fußes / 233
5.8.3. Die die Plastik bestimmende Konstruktion des Fußes / 235
5.8.4. Formzusammenhänge / 237
5.8.5. Allgemeines über die Fußgelenke / 240
5.8.6. Bau, Mechanik und plastische Veränderungen des oberen Sprung¬
gelenks / 240
5.8.7. Bau, Mechanik und plastische Veränderungen des unteren Sprung¬
gelenks / 241
5.8.8. Bein-, Unterschenkel- und Fußskelett im Zusammenhang / 242
Zusammenfassung / 242
5.9. Die Muskeln der Fuß- und der Zehengelenke / 244
5.9.1. Überblick über das allgemeine System / 244
5.9.2. Muskeln vor der Querachse des oberen Sprunggelenks
(Dorsalextensoren) / 244
5.9.3. Muskeln hinter der Querachse des oberen Sprunggclenks
(Plantarflexoren) / 244
5.9.4. Muskeln außenseitig der Längsachse des unteren Sprunggelenks
(Pronatoren) / 245
5.9.5. Muskeln innenseitig der Längsachse des unteren Sprunggelenks
(Supinatoren) / 248
5.9.6. Unterschenkel und Fuß in äußerer Erscheinung, in funktionellem
und Formzusammenhang / 248
Zusammenfassende Übersicht / 251
5.10. Die architektonische Form des Beines / 253
5.11. Die Verarbeitung anatomisch-sachlicher Bestände des Beines in Kunst
6
werken / 269
.
6.2. Die Wirbelsäule (Columna vcrtcbralis) / 273
6.2.1. Allgemeine Eigenschaften, Aufgaben und Gliederung / 273
6.2.2. Bestandteile und Aufbau der Wirbelsäule / 273
6.2.3. Die Form der Wirbelsäule / 273
6.2.4. Die Mechanik der Wirbelsäule / 276
#
Zusammenfassung / 279
6.3. Der Brustkorb (Thorax) / 285
6.3.1. Allgemeine Eigenschaften, Aufgaben und Gliederung / 285
6.3.2. Bestandteile und Aufbau des Brustkorbs / 285
6.3.3. Die plastische Form des Brustkorbs / 286
6.3.4. Die Mechanik des Brustkorbs / 290
Zusammenfassung / 291
6.4. Die Verarbeitung anatomisch-sachlicher Bestände des Rumpfskelettes
in Kunstwerken / 293
I
Inhaltsverzeichnis
Die obere Extremität / 315 8.1. Allgemeines über die vordere Extremität des Tieres und die obere
f Extremität des Menschen / 315
8.2. Die Konstruktion des Arms und die Anordnung seiner Gelenke / 315
K 8.3.
8.3.1.
8.3.2.
Der Schultergürtel / 318
Aufgabe, Konstruktion, Bestandteile und Aufbau f 318
Die Mechanik des Schultergürtels und seine plastischen
Veränderungen / 322
Zusammenfassung / 322
8.4. Die Muskeln des Schultergürtels (Rumpf-Schultergürtel-Muskeln) / 329
8.4.1. Überblick über das allgemeine System / 329
8.4.2. Die Rumpf-Schultergürtel-Muskeln j 329
8.5. Das Schultergelenk / 331
8.5.1. Aufgabe, Bestandteile, Aufbau f 331
8.5.2. Die Mechanik des Schultcrgclcnks / 331
8.6. Die Muskeln des Schultcrgelenks / 332
8.6.1. überblick über das allgemeine System / 332
8.6.2. Die Rumpf-Oberarm-Muskeln / 332
8.6.3. Die Schulter-Oberarm-Muskeln / 334
Zusammenfässende Übersicht / 336
8.7. Die architektonische Form des Rumpfes und seine Form¬
zusammenhänge / 336
8.7.1. Die Vorderansicht. 336
8.7.2. Die Rückansicht / 340
8.7.3. Die architektonische Form des Rumpfes in Funktion / 342
8.8. Die Verarbeitung anatomisch-sachlicher Bestände der Rumpfplastik
in Kunstwerken / 349
8.9. Die Knochen des Ober- und Unterarms / 352
8.9.1. Das Oberarmbein / 352
8.9.2. Die Elle / 352
8.9.3. Die Speiche / 353
8.10. Das Ellenbogengelenk (Articulatio cubiti) f 353
8.10.1. Aufgaben / 353
8.10.2. Bestandteile, Aufbau und konstruktive Formen der drei Teil¬
gelenke / 353
8.10.3. Die Mechanik des Ellenbogengelenks und seine plastischen
Veränderungen / 353
8.10.4. Formzusammenhänge am bewegten Armskelett / 357
Zusammenfassung / 357
8.11. Die Muskeln des Ellenbogengelenks / 357
8.11.1. Überblick über das allgemeine System / 357
8.11.2. Der Beuger / 358
8.11.3. Der dreiköpfige Armstrecker / 362
Zusammenfassende Übersicht / 362
8.12. Die Hand (Manus) / 363
8.12.1. Allgemeine Aufgaben, Besonderheiten und Bedeutung der Hand / 363
8.12.2. Gliederung, konstruktive Form und Proportionen der Hand / 364
8.12.3. Die Gelenke der Hand / 367
8.12.4. Mechanik und plastische Veränderungen der beiden Handgelenke / 368
8.12.5. Bau und Mechanik der Fingergelenke / 369
8.12.6. Formzusammenhängc von Unterarm- und Handskelett / 369
Zusammenfassung / 369
8.13. Die Muskeln der Hand- und Fingergelenke / 375
8.13.1. Überblick über das allgemeine System j 375
8.13.2. Die Strecker und Beuger des Handgelenks
(Dorsalextensoren und Volarflcxoren) / 375
8.13.3. Die Strecker und Beuger der Fingcrgclcnke / 380
Zusammenfassende Übersicht / 380
8.13.4. Die Weichteilformen und besonderen Oberflächen formen der Hand
in ihrer plastischen Bedeutung j 381
8.14. Arm und Hand als Ganzes und im Einsatz / 386
8.15. Die architektonische Form des Arms und seine Form¬
zusammenhänge / 387
8.16. Die Verarbeitung von anatomisch-sachlichen Beständen an Arm und
Hand in Kunstwerken / 391
Inhaltsverzeichnis
9.1. Aufgaben und Begrenzung / 396
Der Hals / 396 9.2. Bestandteil und Aufbau der Halswirbelsäulc / 396
9.3. Die Kopfgelenke und deren Mechanik / 396
9.4. Das Zusammenwirken der Kopfgelenke mit der übrigen Halswirbel¬
säule / 397
9.4.1. Gleich- und gegensinnige Bewegungen um die Querachsen / 397
9.4.2. Die Seitneigung / 403
9.4.3. Die Wendung um die Längsachsen / 403
9.5. Die Muskeln des Halses / 404
9.5.1. Überblick über das allgemeine System / 404
9.5.2. Die wichtigsten Halsmuskeln im einzelnen / 406
9.6. Die Plastik des Halses / 408
fr
Schlußbemerkungen:
Künstleranatomie
und künstlerische Freiheit / 449
Literaturverzeichnis / 458
Personen- und Sachregister / 461
Inhaltsverzeichnis
Die menschliche Gestalt kann nicht bloß
GOETHE Propyläen
1 Künstleranatomie
einst und heute
ln ein Paradoxon: ins Bereich der soeben geflohenen mächtigen
Naturwissenschaft, um mit Anleihen aus ihren Theorien eine neue
«Natürlichkeit» zu kreieren; so Seurat und Signac, die beiden
«wissenschaftlichen Impressionisten», so Cezanne, der lehrt, alle
Natur forme sich nach Kugel, Kegel und Zylinder, so der wissen¬
schaftsbegeisterte Franz Marc. Und so Mondrian, der getreu
wissenschaftlicher Verhaltensweise alles subjektive Fühlen und
Vorstellen (A. Gehlen) ausgeschaltet wissen will. Nicht zu ver¬
gessen Klees «wissenschaftliches» formalästhetisches Begriffsvo¬
kabular wie «Takt», «Progression», «Schichtung», «gestufte Ak¬
zentuierung», «Grenzwiderstand», «Progressive Verschachtelung»
usw. (A. Gehlen).1 Und auf der anderen Seite die Frage an die
Künstleranatomie: Will sie sich nicht zu einer Art Schlüssel¬
stellung erheben im künstlerischen Bewältigen der Figur?
Oder: Will sie nicht die Vermittlung einer Summe von naturwis¬
senschaftlichen Einsichten zur Plattform machen für die Beurtei¬
lung von Kunstwerken?
Will sie nicht - was das schlimmste ist - aus der Verfügbarkeit
dinglicher, d.h. figürlich-gegenständlicher Sachverhalte Rezepte
1.1. Die Freundschaft verabreichen, wie man Kunst macht oder Kunst beurteilt?
zwischen Wissenschaft und Kunst
I
Abb. 2 Leonardo da Vinci (1452 1519). Abb.3 Leonardo da Vinci (1452 1519).
Anatomische Darstellung der Achselhöhle Darstellung des Prinzips der Hals- und
in halbschematischer Darstellung, Blatt Nackenmuskcln, Blatt um 1510.
um 1510. Die starke didaktische Vereinfachungs¬
Die Reduktion des Muskelvolumens auf weise, mit der er das Problem demonstrierte,
dünne Stränge gestattete präzise Einsichten besitzt noch heute volle Gültigkeit und
in Verläufe, Funktionen und Überschnei¬ bedeutet eine außerordentliche methodische
dungen der Muskeln. Errungenschaft.
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vollwertigen wissenschaftlichen Beweis- und Lehrmittel erhoben 1.2.3. Der Muskclmann - zweifelhaftes Programm
worden (Heydenreich). der Künstleranatomie
Seine didaktischen Leistungen haben noch heute Bestand in der
Klarheit ihrer VorsteilungsVermittlung, in der Methode, den Ver¬ Noch sind Kunst und Handwerk, künstlerische Regeln und ästhe¬
lauf eines Muskels von seinem Ursprung bis zum Ansatz mit Fä¬ tische Anschauungen vereint in des Meisters Person. Was der
den darzustellen, um damit die Erkenntnis von Wirkungsresul¬ Werkstattbetrieb zu vermitteln hat, das bietet der Meister im täg¬
taten ableitbar zu machen, um die verflochtenen Zusammenhänge lichen Umgang mit dem Schülergesellen dar. Der Schüler benötigt
zu überschauen, um die plastisch räumliche Spezifik der Körper¬ kein Lehrbuch, es sei denn, ein fürstlicher Mäzen begibt sich frei¬
oberfläche mit Hilfe von Querschnitten zu begründen. Übersicht¬ willig in die «Lehre» eines Meisters. Aus solchen Unterweisungen
lichkeit, Dreidimensionalität der Anschauung, Faßlichkeit und ist auch das anatomische Zeichenbuch hervorgegangen, das Rosso
Systematik der Demonstrationszeichnung heißt der große Ge¬ Fiorentino( 1494-1540) für König Franz I. von Frankreich schuf.
winn. Aber ein noch Größeres verdanken wrir ihm: Forschen und Klug berechnet sind die gleichlaufenden Haltungen der Skelett-
Bilden gehen auseinander hervor. Künstlerische Praxis und ihre und Muskelfiguren [7|. Die Gegenüberstellungen wollen verdeut¬
naturwissenschaftlichen theoretischen Stützen verschmelzen zur lichen, wie am Lebenden der Knochen als Formbildner die Ober-
Europas. Verwundert es, wenn das römische Gefühl der Körper¬ geschriebene sitzende Muskelmann |9| drückt die Erwartungen
lichkeit weiterschwingt? gegenüber der Anatomie deutlich genug aus: Sie wollen Aufklä¬
Das Körperhaft-Runde steigert Michelangelo bis zum Hymnus rung über die Stellungs- und Bewegungsmöglichkeit, Räumlich¬
|8|. Und auch er holt sich wissenschaftliche Auskunft in der Ana¬ keit und Körperhaftigkeit. In dieser plastischen Sitzfigur begeg¬
tomie, indem er zergliedert, bis es ihm den Magen verdirbt. Nicht, nen wir derselben unerschöpflichen Erfindungsgabe von Bewe¬
daß wir von ihm keine anatomische Zeichnung besäßen. Aber gungen wie in den Jünglingsfiguren der Sixtinischen Deckenma¬
aus dem großen Projekt, ein anatomisches Werk «mit allen Arten lereien.
der menschlichen Bewegungen und Stellungen» herauszugeben, Das Erheben des linken Arms, cingeleitet von der Drehung des
wurde nichts. Jedoch - er hatte einen ungeheuren Form vorstel¬ Schulterblattes, die tiefe Einbettung der Lendenwirbelsäule in die
lungsbesitz erworben, der ihm die Freiheit gab, seinen Hcroenge- Rückenstrecker, das Zusammenschieben der Muskelmasse des
stalten Haltungen und Bewegungen aufzuzwingen von einer bis äußeren schrägen Bauchmuskels als Folge der Seitwärtsneigung
dahin unbekannten dynamischen Kraft, Stellungen, die kein Mo¬ des Rumpfes, die strenge Straffung der Weichteil formen auf der
dell auch nur anzudeuten vermochte, mit Verkürzungen einmali¬ Gegenseite, die kraftvolle Herauswölbung eines riesigen einseitig
ger Kühnheit. Jawohl, er zergliederte und fügte auf seine Weise gestauten, anderseitig gespannten Brustkorbs, all das ist souveräne
wieder zusammen (Nebbia). Aus der großen Einsicht vermochte Kenntnis und Beherrschung von Bewegungsabläufen und zeigt
er die Naturimitation zu überwinden, das Anatomische vergessen das Vermögen des Ordnens und Gliederns von Haupt- und Neben¬
zu machen, weil es für ihn beständig gegenwärtig war. formen.
1r/
t
•%
auf sehr einfache Weise ganz richtige Beobachtungen der Erfah¬ gleich Michelangelo. Nein, diese Ansicht, das Leben selbst zeige
rung |19|. genug, wie die Umrisse der Muskeln gezogen werden müßten,
Wir sind zeitlich etwas vorausgeeilt. Das erste wirkliche Schullehr¬ ist falsch, «weder kann Euch lebenslanges Abzeichnen nach der
buch der Anatomie (1668) stammt aus der Feder Tortebats, Mit¬ Natur noch die Nachahmung der Alten helfen», rief er den Besser¬
glied der Pariser Akademie; es erschien auch für die Zöglinge der wissern zu. Was er verkündete, war die Forderung nach unerlä߬
Berliner Akademie (gegründet 1696) als «Kurtze Verfassung der licher Vorstellungsbildung; und die Zeichnung gebe gehörig
Anatomie» 1706 bei Rüdiger in Berlin. Vor allem glaubte er die Rechenschaft, wie weit das Verständnis der Dinge gediehen sei.
Anatomie näher dadurch an die Kunst hcranzubringen, daß er Jawohl, die Vorurteile stehen im Wege! Damals nicht viel anders
V
Abb. 18 Johann Daniel Preißler (1666
bis 1737). Vorlageblatt vom Bewegungs¬
ausdruck einer ziehenden männlichen
Aktfigur aus der Zcichenschule von 1750,
gestochen von Georg Martin Preißler.
Die detailreiche Körperlichkeit und
schwierige Bewegungsdarstcllung erfuhr ihre
Meisterung nicht zuletzt durch die erlern¬
ten elementaren Fertigkeiten (siehe Abb. 17).
gegeben hätte), vereinigte der Meister die Elementarfacher in sei¬ sich einer Anatomie bemächtigt, die den Künstlern mehr und
ner Person; die Kluft zwischen künstlerischer Praxis und Theorie mehr entglitten war. Sic räumten das Feld und überließen es
konnte nicht tiefer einreißen, als es sein universales Lehrvermögen schließlich den zünftigen Medizinern, so z. B. dem universal ge¬
zuließ. Die künstlerische Ausbildung im Barock schied die Lehre bildeten Petrus Camper (1722-1789) in Groningen und dem Hof¬
in Fächer, und damit setzte die Verwissenschaftlichung der Aka¬ rat Dr. Seiler in Dresden.
demien, die Überschätzung des Lehrbaren ein. Das Ideal der Als nämlich Ludwig Christian Hagedorn 1763 seinem sächsischen
Richtigkeit begann in den Malsälen herumzugeistern. Landesherrn Vorschläge für das Gesicht einer zu gründenden
Am Ende des 18. Jahrhunderts bietet die anatomische Unterwei¬ Akademie unterbreitete, klammerte er die Anatomie aus der Ein¬
sung für Künstler wahrlich keinen erhebenden Anblick. Sympto¬ heit der künstlerischen Elementarunterweisung nicht nur als selb¬
matisch dafür sind Pierre Thomas Le Clercs «Principes des des- ständiges Lehrfach aus, sondern legte sie in die Hände eines Nicht¬
sins d'apres naturc» von 1780, wissenschaftlich und künstlerisch künstlers, denn «die Knochen- und Muskellehre sei die Sache eines
ein ebenso glattes wie galantes Hinweghuschen über die Ober¬ geschickten Chirurgen». So geschah cs auch. Seiler schien der
fläche, nicht einmal im Bereich des Lehrbaren didaktisch ent¬ dafür prädestinierte Mann zu sein, hatte er doch eine «Natur¬
schieden für den beabsichtigten Zweck, wohl zugleich auch Spie¬ lehre des Menschen» herausgegeben, die er nun den künstlerischen
gelbild der Zeit Fragonards und Bouchers, dessen zwar duftige Bedürfnissen weiter anzupassen gedachte. Theorie und Praxis
und anmutige Kompositionen nackter Weiblichkeit doch bei hoffte die Königliche Akademie dadurch zu vereinen, daß die
allem Charme nicht verbergen können, wie sich die Auffassung Schüler nach frischen Leichenpräparaten in der Chirurgie zeich¬
vom Körper verdünnen kann |2Ö|. Didaktische Sorglosigkeit hatte neten. üben und anwenden nicht nur Theoretisches darbieten -,
Seiler bestieg 1822 das Katheder. 1850 unterstützte sein Anato- ehe die Künstleranatomie einen neuen wesentlichen Impuls emp¬
fing. Zunächst hatte sich in den europäischen Anatomiewerken
mielehrbueh den Unterricht. Die anatomischen Figuren waren
von unübertroffener Zuverlässigkeit. Sein Freund Carl Gustav die exakte Sachzeichnung eingebürgert, mit bewegten Skeletten
und Muskelanalysen von Figuren und Kunstwerken. Es erschie¬
Carus steuerte sogar ein paar eigene Zeichnungen bei. Endlich
zogen auch wieder morphologische Betrachtungen und Dar¬ nen die großen Anatomien für Künstler vom Franzosen Paul
stellungen von den Proportionen der Geschlechter und des Ju¬ Richer (1890), von den Engländern John Marshall (1888) und
gendlichen ein, deren Gestaltmerkmale er ohne kanonische Pro¬ Brisbane (1769) |22|, von Fritsch - Harleß - Schmidt «Die Gestalt
portionsfestlegung beschrieb. In ähnlicher morphologischer Weise des Menschen» (1899) mit Kapiteln über Mimik, über den be¬
erläuterte er die Abbildungen von antiken Statuen, deren Plastik wegten Körper, mit anthropologischen Tabellen und kinomato¬
graphischen Aufnahmen von verschiedenen Gangarten. Von 1885
er durch klare Skelettanalysen motivierte |21|. Er war ein ebenso
umsichtiger wie zielstrebiger Lehrer. Doch allmählich flaute das bis 1928 erlebte das umfassende Werk Kollmanns, Basel, vier Auf¬
Interesse an den Vorlesungen ab. Konnte der vortreffliche Mann lagen. Die Aktaufnahme als Modellersatz und Demonstrations¬
den jungen Leuten nicht aus ihren Zweifeln und Zwiespälten auf¬ mittel fand Eingang.
Daß alle Lehrbemühungen so zäh an der peinlichen Detailschil¬
helfen? Konnte er mangels eigenen künstlerischen Vermögens
derung festhielten, um damit die Zuständlichkeit der Körperober-
gerade jenen Grundsatz nicht erfüllen, das Erlernte durch prak¬
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kommen,w bleibt für den Lernenden keine andere mag dafür bestimmend gewesen sein, wenn englische und US-
muß die Muskelfigur zugleich als ästhetische Norm und amerikanische Verlage bis in die Gegenwart hinein ältere Ana¬
merung eines schulmäßig erreichbaren Studienziels be- tomiewerke durch Neudruck wieder herausbringen.
>er «lebende» Muskelmann ist auch hier zum Symbol für Hier sei zunächst die Künstleranatomie (Art Anatomy) des Eng¬
m programm geworden. Außerkünstlerische Belange sind länders William Rimmer (1816-1879) genannt, der in den USA
*e:ch des künstlerischen Denkens eingebrochen, das wir als Bildhauer, Maler und Künstleranatom wirkte, ln letztgenann¬
; .ils ganzheitliches Erleben der Welt-Mensch-Bezichung ter Eigenschaft folgte er einer Einladung als Lehrer für Künstler¬
Und genau hier haben wir die Ursachen für den Wider- anatomie nach Boston, wo er als leidenschaftlicher Pädagoge
\hneigung, die Vorurteile der Künstlerschaft gegen die wirkte und nach eigener Aussage dem Verlust des Wissens um
Anatomie zu suchen! die Anatomie des menschlichen Körpers unter den Künstlern ent¬
cranatomie des Russen N. Mechanik8 ist in dem Stre- gegentrat. Er glaubte an die Möglichkeit künstlerischer Ausbil¬
-ßerlichkciten mit medizinischen Fakten zu belegen dung, sorgfältigen Übens und vertrat die wichtige Forderung, daß
md Schädelanalyscn an Köpfen des Bildes von Repin man die Figur erst beherrsche, wenn man sie aus der Vorstellung
* >sher»), ebenso der naturalistischen Auffassung ver- zeichnen könne, «im Fallen», was - nach Ingres - der wahre Test
- den Abbildungen von Knochen und Muskeln selbst, des Zeichners sei. Die in den USA heute steigende Wertschätzung
•vr Leistung, Konstruktion oder Körperhaftigkcitaus- dieses Mannes nennt ihn im Zusammenhang mit Leonardo, dessen
die großzügig angelegte, gut bebilderte Künstlerana- Anatomie selbst Kunst sei. «Wir brauchen heute», heißt es im
:msinnigen Rumänen G. H.Ghitcscu (1963) ist im Vorwort der Wiederauflage 1962 aus dem Jahre 1877 bei Dover
eben davon nicht frei ebensowenig w ie die Anatomie Publications, Inc. (1972), «mehr objektive Information, Wahr¬
--.3 Aufl.1956). haftigkeit ohne Schönheit.» Es fragt sich nur, mit welchen Zielen
m einer Verständigung zerbricht aber, wenn auch die eine Wiederbelebung der Künstleranatomie erstrebenswert ist.
\:che Grundlage verlassen und dem Schüler Rezepte Die große wichtige Fähigkeit und Fertigkeit, die Figur gleichsam
chbare in die Hand gegeben werden. Eine chinesische im Fallen zu zeichnen, bedarf freilich einiger Voraussetzungen,
r: Gegenwart, die französischen Ursprungs ist, zeigt, unter denen nämlich organische Konstruktionen und Formen ein¬
j>. rücklings, seitlich und verdreht liegende Körper bildbar werden. Das Einbildcn kann nur geschehen, wenn es den
-erden können (25). Ein bißchen Interpretation mit Wert des Einbildens und der Denkwürdigkeit besitzt, und diesen
- b Muskeln - das ist alles. Keine Erkenntnisbildung, Bedeutungsgehalt, das Wesentliche einer gegenständlichen Form
"dft-räumliche Vorstellungsbildung nichts als Fest- als Beantwortung einer Aufgabenerfüllung sehen wir heute in der
Z ->tändlichkeit. Durchaus bestehen die Bemühungen Dialektik der Form-Funktions-Einheit. Diese Frage des pädago¬
enn das Skelett als form bestimmende Komponente gischen Einbildens durch entsprechende Mittel und Ziele hat
- Gestalt vorgeführt wird. Allein die didaktischen Ab- Rimmer zu seiner Zeit nicht beantwortet - trotz eigener virtuoser
Aie weit sic auch getrieben sein mögen, müssen in Beherrschung der menschlichen Form, ihrer physiognomischen
ben wissenschaftlichen Kern vom Sachverhalt be- Abwandlung, Überhöhung und Expression.
In diesem Verständnis bleiben auch die späteren Publikationen
unbefriedigend. Richard G. Hatton versuchte in seinem 1904 er¬
schienenen Buch «Figürliches Zeichnen» (Figure Drawing), Wie¬
^hc Bemerkungen zu Künstlcranatomien derauflage 1965 bei Dover Publications, Inc., die detaillierende
m gl i sch sprachigen Raumes Genauigkeit der anatomischen Feststellungen abzubauen, die sich
der Brauchbarkeit für den Künstler entzögen. Sofern es aber über¬
m englischsprachigen Raum an Künstleranato- haupt zur Vereinfachung kommt, sind diese doch viel stärker von
v“.en Hilfen für das figürliche Zeichnen, in denen impressiver und individuell optischer Natur, so daß auch hier ein
- u* anatomische Grundlagen zurückgegriffen wird, Bauen mit Körperformen von Zustandsbeschreibungen erstickt
Die Unw iderstehlichkeit, mit der sich die nonfigu- wird. Wenn selbst die Gebilde der Körperkonstruktion, die Ske¬
«ch vor einiger Zeit durchsetzen und alle künst- lettformen, impressiv, ohne Beweiskraft, registriert werden, ohne
~ sogar das Zeichnenlernen im Sinn eines allgc- Scheidung von Wichtigem und Unwichtigem, Wesentlichem und
.* . iserwerbs, als Erziehungs- und Bildungsgegen- Unwesentlichem, dann ist man gezwungen, vor der Natur immer
:;*n künstlerischen Einrichtungen hinauswerfen wieder nur von neuem abzubilden. Einen Schritt darüber hinaus
kann es dann nicht geben. Eröffnet die Anatomie keine Einsich¬
'• scher Anatomie, Moskau 1958 (russ.) ten und Erkenntnisse und schleift man die anatomischen Sach-
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3. Ideen zur Künstleranatomie weisung. Auch auf die Gefahr der Selbstwiederholung mahnt der
Verfasser: Die Künstleranatomie muß von innen heraus, eben aus
von heute den Zielen des künstlerischen Schaffens, zum Bestandteil der Kunst-
Pädagogik werden. Wie und wodurch dies geschehen kann, das
--■r Rückblick auf das Werden und die Impulse der Künstler- zu beweisen ist die Aufgabe dieses Buches. Darum mußte es ge¬
.itomie ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe, schrieben werden.
.nt die Abfassung ihrer Geschichte, wenn auch die Verfolgung
- Phasen, Prozessen und Ergebnissen zwangsläufig die skizzen-
:e historische Darstellung mit einschließt. Es ging darum, zu 1.3.1. Die Abhängigkeit ihrer Ziele vom Wesen
_en, daß die Aufgaben dieses Teils künstlerischer Unterweisung künstlerischen Schaffens
i statisch, sondern in Bewegung sind und daß sich aus dem
rischen Stand die Forderungen für das Heute ergeben. Es ist an der Zeit, aus der Rückschau einige der theoretischen
Zeit sieht den Menschen neu, und sie sucht ihren Menschen, und praktischen Fundamente zu begründen. Der Verfasser wird
wir leben heute in der Gefahr, daß eine Kunst, die nicht nicht müde zu betonen: Die Probleme der Künstleranatomie blei¬
humanitären Grundlagen wächst, den Menschen nicht nur ben so lange ungelöst, als man glaubt, den Gefalleschwung des
ert, sondern ihn als Kunstgegenstand sogar verleugnet. Es Pendels zwischen Kunst und Wissenschaft auf der einen oder auf
cht Aufgabe des Buches, den Ursachen der weitverzweigten der anderen Seite abfangen zu können. Aus den alteingesessenen
:enzen nachzugehen. Nur so viel soll angedeutet werden: Eine Traditionen muß die Künstleranatomie erwachen und ins Heute
Kunst beruft sich auf Anschauungen, die parallel der mo- greifen, nicht in irgendwelche Moden des Tages, in das laute Ge¬
. n Naturwissenschaft gewonnen werden, wonach das Äußere habe marktschreierischer Sensationen. Nicht aus irgendeiner
'scheinung, so auch die Gestalt des Menschen, als bedeu- Handschrift, nicht aus irgendeiner Stilrichtung, sondern aus den
_ abgetan wird. Das sich den Sinnen zur Anschauung Dar- Eigentümlichkeiten des künstlerischen Schaffensprozesses selbst
Jc wird abgewertet mit der Begründung, das Wesen des leitet sie ihre Inhalte und Ziele, ihre Methoden und Entscheidun¬
chen sei seine innere Seite. Die Natur sei ihrem Wesen nach gen ab. Methodische Möglichkeiten werden hier nicht aus Selbst¬
“ ihrem Schwerpunkt nicht Äußeres. gefälligkeit dargelegt, sondern aus dem Bewußtsein, daß die Me¬
: hat den ungeheuren Vorstoß der Naturwissenschaften thoden selbst ein Teil sind, in der Auseinandersetzung mit dem
gesehen. Und in der Tat haben sie das Wissen um das Wirklichkeitsbereich erziehend zu wirken. Sie offenbaren zugleich
genauer: um das Atominnere, enorm ausgedehnt. Aber ein anderes Wichtiges: die Art der Entfaltung der schöpferischen
.en dabei nicht vergessen, der Ursprung um das erweiterte Kräfte des Schülers. Das alte Verfahren, den Wissensstoff aus
’.iefte Wissen gilt dem lebendigen Ganzen, dient dem Men¬ dem Munde des Lehrers lediglich zu vernehmen, taugt deshalb
end menschlichem Sein. Die Erforschung der «letzten» nicht mehr, weil der Schüler sein Wissen auch befestigen muß.
-en und die damit verbundenen Methoden halten wir nicht Wissensfestigung in der künstlerischen Ausbildung heißt zugleich
Eigentliche» und verwechseln die Wissenschaftsmethoden Sicherung des Erwerbs bestimmter Fertigkeiten - und dies gewähr¬
: ihren Zielen. Die Ergebnisse der Kernforschung sind kein leisten nur praktische Tätigkeiten. Wir sind weitab von allen Ab¬
r zum Ergebnis der morphologischen Durchdringung. In sichten, Anweisungen für das Lehren auszuteilen. Wenn der Ver¬
< Haubarkeit offenbart sich das Wesen ebenso wie in der fasser erstmalig in der Geschichte der Künstleranatomie den Ver¬
äulichkcit der Sprache mathematischer Formeln, mit such wagt, dem Leser theoretische und praktische Grundzüge des
. e dem Auge entzogenen feinsten Strukturen faßbar wer- Lehrens und Lernens, das Was und das Wie der Künstleranato¬
es mit Goethe zu sagen: Das Außen hat ein Innen, das mie bewußt zu machen, so schließt das die Frage nach den Resul¬
irirnu— ein Außen. taten zwangsläufig mit ein. Darum kommt der Schüler mit seinen
% erwerfen wir in der realistischen humanistischen Kunst Arbeiten selbst zu Wort. Sic wollen den Leser - sofern er kunst¬
- ,:satz der Natumachahmung. Auch das hat Goethe in pädagogisch tätig oder interessiert ist - anregen, seine Schritte im
.-einandersetzung mit Diderot schon ausgesprochen: figürlichen Unterricht nach seinen Erfordernissen zu überdenken,
' 'engste Nachahmung der Natur entsteht noch kein Neues zu entdecken, Besseres zu finden; und dem Lernenden
...41111 »• « » wollen sic Hinweise geben, die Lösung gestellter Aufgaben in ähn¬
- e Künstleranatomie sehr wohl beachten, wenn sie eine licher Weise zu probieren. Die Schülerarbeiten sollen die Ziele,
k ünstlers sein will. Sie kann nur wahrhaft wirken, sofern die Wahl und alle Schritte und Mittel der Künstleranatomie, das
m Gestaltlichen des Menschlichen den Menschen deut¬ Erreichbare und das lernbare nötige handwerkliche Rüstzeug ver¬
schen. Darum kann ihre Position nur die des Humanis- anschaulichen.
bezug auf den Künstler kann sie nicht einfach aus Wir erinnern uns noch einmal: Der Inhalt eines Kunstwerks hat
ssenschaftsbereich einiges Passende auswählen. Das zwei Seiten: eine objektive (den Gegenstand) und eine subjektive
:cr nur Konfrontierung und Dualismus. Sie muß aus (die Erklärung und Wertung des Gegenstands durch den Künst¬
r n des künstlerischen Schaffens selbst hervorgehen und ler). Niemals ist große Kunst nur «Augenkunst». Das Wahrge¬
Ziele, Schritte und Mittel aufbauen. Sonst bleibt sie nommene wird auch «bearbeitet», durchdacht. Der Künstler sucht
1.3.2. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis heiten des künstlerischen Schaffens Inhalt, Ziele und Methoden
Somit entfaltet die Künstlcranatomie ihre Wirksamkeit zuerst auf Instanz gegenstandsbezogen und vermittelt gegenstandsbezo¬
der Grundlage gegenständlichen Wissens. Jedoch: Schon inner¬ gene Kenntnisse, die unerläßlich sind für die künstlerische Ver¬
halb dieser Grenzen vermag sie den Schüler dazu zu erziehen, allgemeinerung.
über das Bedeutende, über den Inbegriff der Eigenschaften, auf 3. Das unterscheidet sie als Wissenschaft von der Kunst, die die
die cs ankommt, sich zeichnerisch zu erklären. Sie hält den Schü¬ Wirklichkeit ganzheitlich, total, synthetisch widerspiegelt.
ler an zu erkennen und lockt die Erkenntnisbildung in Richtung 4. Als Lehre steht die Künstleranatomie im ljberschneidungsfeld
auf Typisches, z. B. einer gegenständlich-organischen Form. Ge¬ zwischen Wissenschaft und Kunst.
rade dieses Faßbarmachen in besonderen didaktischen Operatio¬ 5. Eine einseitige Schwergewichtsverschicbung nach der einen
nen dient dazu, den Schüler auf das Eindringen in die Sache vor¬ oder anderen Seite wäre verhängnisvoll und könnte die Kom¬
zubereiten. Die Zeichnung auch die einfache Sachzeichnung - pliziertheit der Struktur des Faches nicht beseitigen.
darf nicht nur Wiederholung, Abbildung der Erscheinung, son¬ 6. Die anatomische Lehre der jüngeren Vergangenheit und der
dern muß eine Leistung geistigen Durchdringcns sein. Gegenwart beschränkt sich vor allem deshalb ausschließlich
Schon die Sachzeichnung soll eine Raffung und Straffung im darauf, die naturwissenschaftlichen Fakten zu vermitteln, weil
Sinne des funktionellen Gehalts bedeuten. Andernfalls würde man sie vom Standpunkt des idealistischen Dualismus ausgeht, wo¬
von vornherein dem Künstler ein nur rezeptives Verhalten gegen¬ nach Wissenschaft und Kunst zwei getrennte und unabhängige
über der Natur unterstellen. Einen Sachverhalt abzuzeichnen er¬ Bereiche sind. Sie verkennt damit die wechselseitig sich durch¬
möglicht bestenfalls, ein auswendig gelerntes Gedächtnisbild her¬ dringende Einheit von Gegenstands- und Bildform. Inhall und
vorzuholen, das ja nur ein kleiner Teil der viel umfassenderen Form, Subjekt und Objekt.
Vorstellung ist. Gedächtnisbilder versagen unter den Erforder¬ 7. Die Künstleranatomie leistet wichtige Hilfe, eine naturalistische
nissen, sie auf veränderte Bedingungen anzuwenden; Vorstellun¬ Kunstauffassung zu überwinden, weil sic das sachlich Bedeu¬
gen hingegen bezeugen ein Erkanntes. Das bauliche Prinzip einer tende einer Erscheinung ergründet, erkenntnis- und formvor¬
Sache im Wcchsclvcrhältnis mit ihrer Funktion auszudrücken ver- stellungsbildend wirkt und günstige Voraussetzungen schafft,
langt vom Schüler stets dialektisches Verhalten. Er lernt, gesetz¬ die Gegenstandsform in die Bildform einzuschmelzen. Darum
mäßige Relationen von Form und Leistung, von Aufgabe und ist sie mit Recht ein Teil der künstlerischen Ausbildung.
Mittel tragen bedeutend hei, den Schüler zu einem aktiven schöpferi¬ prozesses der Künstleranatomie sind spezifisch. Auch sie versteht
schen Verhalten gegenüber der Natur zu erziehen. unter Bildung vor allem den Prozeß und das Ergebnis einer Aus¬
Erkannte Gesetzmäßigkeiten erlauben, auch unter völlig anders rüstung des Schülers mit einem System von Kenntnissen. Fähigkei¬
gelagerten Bedingungen die dialektischen Beziehungen von Form ten, Fertigkeiten und Gewohnheiten. Die Schülerarbeiten werden
und Funktion, von Aufgabe und Konstruktion anzuwenden. So diese Feststellung veranschaulichen. Das Bildungsgeschehen um¬
lernt der Schüler in jeder Studienaufgabe vom nackten Menschen faßt zwei Zweige: einerseits die Übermittlung eines Systems von
seine Erscheinung aufzufassen als Variation einer großen Grund- Kenntnissen (oder Wissen), andererseits von Fähigkeiten, Fertig¬
gesetzmüßigkeit. Solche Zielsetzung schüttelt einen Vorlesungs- keiten und Gewohnheiten. Letzteres bezieht vor allem das Ver¬
betrieb ab, in dem einseitig nur der Lehrer aktiv ist. Sie bezieht halten, die praktische Tätigkeit, insbesondere bei der Arbeit mit
die Tätigkeit des Schülers als wichtigen Bestandteil mit ein, wenn ein.
er zu einem schöpferischen Verhalten erzogen werden soll. An¬
stelle der Einseitigkeit der Lehrertätigkeit setzen wir die Unter¬ Die Gestalt des Systems der Wissensvermittlung:
richtsmethode, die als eine geschlossene, charakteristische Folge Am übersichtlichsten lehrt das Inhaltsverzeichnis dieses Werkes,
von Handlungen Lehrer und Schüler aktiv werden läßt. was wir unter der Vermittlung eines Systems von Wissen ver¬
stehen. Es bietet eine große Stoffülle dar, die in ihrer Anordnung
einem inneren Zusammenhang gehorcht. Würdc das viele nur auv
gebreitet, Fakt neben Fakt gestellt, dann müßte sich der Schüler
-^nder logisch verknüpft. spiele: Mollier, Benninghoff, Braus). Solches schult das Denken
L ehre von den Proportionen steht sinnvollerweise an der Spitze in Zusammenhängen und umgeht die Gefahr, summativ Einzelnes
' >rdnungsgefüges. Beim Zeichnen des nackten und des be¬ einzuprägen ohne Sinnverknüpfung zum Ganzen.
sten Menschen soll ja zunächst gewährleistet werden, daß
•s ahmehmungsgegenstand und das Gezeichnete primär über-
mmen. Hs gilt, die Körperverhältnisse im Ganzen und in 1.3.4. Die Gestalt des Systems der Vermittlung
en nach Längen, Breiten und Tiefen festzustellen, dies zu* von Wissen und Können
. n in Abhängigkeit zur Haltung und zum Bewegungsausdruck.
L ehrer grenzt in dieser Etappe das Zeichnen des nackten Wissensvermittlung ist nur die eine Seite des Bildungsvorganges.
>chen bew ußt auf die Proportionen ein. Der Anfänger kann Unsere Aufmerksamkeit gilt nun der Frage: Welche Fähigkeiten
- sofort mit allen Faktoren der Körperform wie Knochcn- und Fertigkeiten entwickelt die Künstleranatomie? Wir konzen¬
Muskeldetails, Architektonik, Körperhaftigkeit - Räumlich- trieren uns nur auf einige, weil für andere sinngemäß das gleiche
. herschüttet werden. Diese bewußte Beschränkung zieht not- gilt.
: g eine flächenhaftc Darstellung nach. Der Schüler soll fähig Gerade die künstlerische Tätigkeit - man verstehe das recht wört¬
:-n. in einfachem zeichnerischem Niederschlag objektive Ver- lich - erheischt ein Hineinbilden fWissensaufnahme), Erfahrungs¬
- sse und Verhältnismäßigkeit zu erkennen und Hauptbewe- sammlung der Welt, die dann durch einen geistigen Verarbei¬
.'nchtungen festzulcgcn. Erst später wird dieser Schritt durch tungsprozeß (Urteilsbildung) ganzheitlich bildhaft wieder heraus¬
-enzierung erweitert. Die Proportionskundc ist damit ein gebildet wird. Ohne diese Fähigkeit kann es keine Kunst geben.
•: scher Arbeitsbehelf, die objektiven Verhältnisse und das Der Pädagoge gebraucht das Wort Können in komplexer Bedeu¬
- >che der Proportionen des Einzelfalles zu erkennen. Unbe- tung, als Sammelbezeichnung an Stelle der einzelnen Termini
. n. d.h. ohne fertigen vorgefaßten platonischen Schönheits- Fähigkeiten, Fertigkeiten. In der Tat spielen diese beiden Be¬
n. wollen wir vor die Natur treten und nicht das «Ideale» griffe im künstlerischen Schaffen ineinander und gehören zu den
- Realen» trennen. Grundlagen der künstlerischen Meisterschaft. Erst im Prozeß
Droportionskunde vermag die Fülle der Phänomene unter einer spezifischen Tätigkeit kann sich das Können entwickeln. Es
resichtspunkt der Zusammengehörigkeit gleicher oder ähn- obliegt uns klarzustellen, welche seiner Seiten und wie die Künst-
Gestaltmerkmale zu ordnen und Typen aufzustellen: so die leranatomic sie zu entwickeln in der Lage ist. Wenn man bedenkt,
^ nlechtstypen von Mann und Frau, die Typen verschiedner daß sie noch vielerorts als rein theoretischer Vortrag, ohne Akt¬
cklungsstadien, von Rassen. Konstitutionen usw. modell, ohne einen Zcichenstrich (!), ohne Frage nach Anwen¬
und Dynamik des menschlichen Körpers dürfen nicht von dung und Festigung geboten wird, so ist es kein müßiges Unter¬
nata beherrscht werden. In den Anatomien z. B. von Tank, fangen, gerade dieses Ziel der Künstleranatomie, den Schüler
-er und Barcsay u. a. hat sich ein Schematismus ausgebreitet, eben mit einem System von Kenntnissen und mit Können auszu¬
;'rn Schüler statt Erleichterung Erschwernisse bringt. Zum rüsten, recht eindringlich zu postulieren und zu verwirklichen.
r:el wird ihm für die Darstellung eines funktionellen Ercig- Es geht vor allem um die Ausbildung der praktischen und in¬
* wie der Spielbcin-Standbein-Stellung ein nur äußerlich ab- tellektuellen Fähigkeiten, um die Fähigkeit des Zeichnens und
;nes Liniengerüst von konvergierenden oder divergierenden des Begreifens eines Körpers mit dreidimensionalen Mitteln (Mo¬
n oder Schwüngen in die Hand gegeben. Ohne Klärung der dellieren), um die Ausbildung der Beobachtungsgabe, des vi¬
zmäßigkeit statischer Bedingtheit kommt keine wahre Er¬ suellen Gedächtnisses, der Vorslellungsgabe, des Form- und
ms zustande, das Liniengerüst muß z. B. unter den Bedin- Raumgefühls, der Denk- und echten Abstraktionsfähigkeit aus
.n des Tragens einer Fremdlast versagen. Das Schema eines umfassender Wesenseinsicht in die Dinge. Wir wollen nicht ver¬
igerüsts wird so zum gedankenlosen Gerippe, ohne Ursache gessen, es ist Aufgabe der Lehre, Fähigkeiten auszubilden, denn
Wirkung zu klären; und unerschlosscn bleibt die gesetz¬ die Fähigkeiten sind nicht a priori biologisch determiniert. Die
te Veränderung des Formcharakters im Kontrapost. Außer- praktische künstlerische Tätigkeit verlangt nach Wissen und
Der Naturwissenschaftler kann mit dem Linienschema aus- Kenntnissen, beide aber sind nutzlos ohne die Verflechtung mit
- en, will er einen Gedanken lehrhaft vermitteln. Um aber der Tätigkeit. Das eine ist die Voraussetzung für das andere.
•% esentliche eines Sachverhaltes für den Künstler zu veran- «Keine Erarbeitung von Wissen ohne das Vorhandensein eines
_liehen, bleibt das starre Muster unanschaulich, verleibt cs bestimmten Maßes von Fähigkeiten und Fertigkeiten und auch
:cht die Verbindung ein zu den verschobenen Körpermas- keine Entwicklung des Könnens ohne einen bestimmten Schatz
: e besonderen Qualitäten der Proportionen, Stauungen und von Kenntnissen.»9 Das Können ist - wie der Kunstpädagoge
jngen, Formanspannungen und -entspannungen. weiß - sehr unterschiedlich. Wie viele Kunstschüler und Laien¬
Mandpunkt der Systematik ist es nötig, die Proportionen künstler können noch nicht die Zusammenhänge zwischen Vor¬
"bindung mit dem gesetzmäßigen Bewegungszusammen- stellung und Bildordnung, Wahrnehmungsobjekt und Zeichnung
hilft alles Wissen um die Gesetze der Proportionen, Statik, Dy¬ beste Erfahrungen gemacht. Sie haben sich gerade diesen Arbeiter
namik, wenn der Schüler keine oder nur ungenügende Möglich¬ mit besonderer Lust unterzogen und immer ausnahmslos befrie¬
keiten hat, sein Wissen in der praktischen zeichnerischen Tätig¬ digende Resultate erzielt. Man muß nur vermeiden, irgendwelche
keit anzuwenden, zu erproben, zu bereichern, zu vertiefen, zu Bewegungen zu «erfinden», sondern ganz bestimmte und kon- j
festigen? Das gegenständlich gebundene Zeichnen - eine prak¬ krete Tätigkeiten aus der Vorstellung zeichnen lassen, am besten \
tische Fähigkeit, mit der es die Künstleranatomie fortgesetzt zu so, daß der Schüler sie selbst vollbracht hat. Wenn systematisch 1
tun hat - umfaßt wieder eine ganze Anzahl von Teilfähigkeiten, die Schwierigkeitsstufen erklommen werden - die Erfahrung hat 1
so neben dem Beherrschen der Proportionen die Beurteilung der es immer wieder bestätigt so kommen völlige Fehlschläge ge- j
Hauptbewegungsrichtungen und wiederum deren weitere Diffe¬ rade während dieser Etappe nicht vor. Allmählich bildet der Leh- j
renzierung. rer im Schüler die Fähigkeit heraus, eine bewegte Figur aus der
Mit der Fähigkeit, die Bewegungsrichtungen zu beurteilen, muß Vorstellung zu zeichnen, die im Hinblick auf Proportionen und j
die Fertigkeit ausgebildet werden, die Richtigkeit der Beurteilung überzeugenden funktionellen Ausdruck völlig befriedigt. Der j
Was ist Fertigkeit? Diese praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten werden später
«Eine möglichst vollkommene leichte und automatische Ausfüh¬ durch weitere ergänzt, so durch das Vermögen, den Körper als
rung der ständig glcichblcibcndcn Operation, die die Technik der Raumgcbildc zu erfassen und schließlich schwierige Verkürzun¬
trolliert die Bewegungsrichtung der ganzen Figur zuerst mit Hilfe seiner Vorstellungsbildung mit wirken.
eines wirklichen Lotes, der Horizontalen und Winkelfunktionen Die Künstleranatomie Ist eine Pflanzstätte der Beobachtungsschule.
(wie cs bereits Preißler empfahl, vgl. Abbildung 17). Hat er diese Sie verbindet die Beobachtung - eine zielgerichtete Tätigkeit - zu¬
einfachsten Fertigkeiten erworben, so verzichtet er allmählich gleich mit dem geistigen Prozeß der Erkenntnis des Wesentlichen
ganz auf diese Hilfsmittel und ersetzt sic mit dem bloßen Visieren einer gegenständlichen Form. Zum Beispiel wäre es unsinnig, an
des Auges. Er beurteilt den Wahrnehmungsgegenstand und seine der komplizierten Form des Beckens topographisch alle Erhebun¬
Zeichnung «automatisch». gen, Kämme, Grate, Stachel, Höcker, Öffnungen auswendig ler¬
Hieraus wiederum erwächst allmählich die wichtige Fähigkeit der nen zu lassen. Bezeichnungen haben für den Künstler erst Bedeutung
Selbstkontrolle. Das ist es, was wir meinten: Fähigkeiten und und Geltung, wenn sie aus dem Sinnbezug zum Ganzen zur Not¬
Fertigkeiten sind untrennbar. wendigkeit werden, wenn ohne Bezeichnungen das Ganze nicht ge¬
Sie sind Voraussetzung für ein späteres teilweises oder ganzes nügend präzise gefaßt und verstanden werden kann. Das Wesent¬
Loslösen vom Aktmodell. liche des Beckens ist seine Konstruktion, seine Beschaffenheit als
Solange keine Gewähr dafür besteht, daß jenes anfängliche Kön¬ raumsparender Behälter, und erst in Verbindung damit werden
nen als Vorbedingung zur Bewältigung neuen Wissensstoffes fun¬ die Einzelbezeichnungen zu einem Sinnträger für die Faßlichkeit
diert ist, werden alle weiteren Kenntnisvermittlungen in die Luft eines größeren Ganzen. I
gebaut. Aus dem Wissen z. B. um die Gesetze der Statik und Dy¬ Das schließt nicht aus, die Beobachtungsgabe so zu entwickeln,
namik, um die gesetzmäßigen Zusammenhänge von Schwerpunkt daß das Interesse des Schülers für schlechthin alles gewonnen
und Unterstützung für die Erhaltung des Gleichgewichts oder wird, jedoch nicht isoliert von der Fähigkeit der zielgerichteten
dessen Veränderung in der Bewegung entwickelt die Künstler- schwerpunktmäßigen Konzentration der Beobachtung, für die das
y
anatomie die weitere Fähigkeit, einen typischen Bewegungsgelullt. konstruktiv und plastisch Wesentliche zentrale Anziehung bedeu¬
*Zusammenhang und -ausdruck zu beurteilen (z. B. der Figur im tet. Als ein Bindeglied verschlingt sich dieser Vorgang mit der
Kontrapost, Sitzen, Schreiten, Laufen, Ziehen, Stemmen, Tragen, Denkfähigkeit. Denn die Konzentration der Beobachtung auf die
Heben einer Last). Konstruktion enthält ja den Keim der Überlegungen, auf welche
Die Wahrheit der Naturgesetzmäßigkeit muß vor dem Modell Weise, mit welchen Mitteln die Natur die an sic gestellten Forde¬
immer wieder überprüft und bestätigt werden, um die Fähigkeit rungen erfüllt und welchen Formcharakter die Mittel deshalb an¬
zu erlangen, auch ohne Modell bestimmte Bewegungen aus der nehmen mußten. Ob die Vorstellungen noch Lücken haben, das
Vorstellung zu zeichnen, wobei es noch gar nicht auf Beachtung erweist wiederum die Zeichentätigkeit vor allem dann, wenn der
verschiedener Gesichtspunkte wie Körpervolumen und Ober¬ Gegenstand selbst nicht zugänglich ist. Die Fähigkeit, von den
flächendurcharbeitung ankommt, überdies muß man nicht ab- Dingen eine möglichst vollständige Vorstellung zu erwerben, ge¬
warten, bis etwa die Figur als Ganzes beherrscht wird. Viel wich¬ statten Modellierübungen in weit vollkommenerer Weise als das
tiger ist, während der Darbietung des Anatomiestoffes immer wie¬ Zeichnen einzelner Ansichten. Hierfür dürften vor allem zwei Fak¬
der Möglichkeiten aufzuspüren, die Phantasiekräfte anzuregen, toren bestimmend sein: Zum ersten hat die dreidimensionale Be-
weiter: Der Künstler kann sich am leichtesten in der Viel¬ Bildungsziele in den Vorder-, andere in den Hintergrund treten
er organischen Formen orientieren, wenn er sic auf ihren oder sich mit dem künstlerischen Fach überschneiden.
oncllen und konstruktiven Gehalt, d. h., wenn er sie auf ihr 5. Einige der Aufgaben und Ziele der Künstleranatomie sind:
'ländlich Wesentliches untersucht, und aus dieser Unter- a) Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens, angeordnet
■ -r.g muß im Zeichenprozeß eine Abstraktion hervorgehen. in einem System (siehe Inhaltsverzeichnis des Werkes)
itiger die Vorstellungen vom Grundsätzlichen sich beim b) Entwicklung des Könnens in:
r k lären, desto leichter versteht er die « Varianten» und «Aus- praktischen, intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten
• ungen», desto nachhaltiger prägt er den gegenständlichen wie
desto müheloser vermag er funktionelle Vorgänge aus der die des Zeichnens und dreidimensionalen Formens
me ~u reproduzieren und in unmittelbarer Anschauung des Ausbildung der Beobachtungsgabe
" ektes wiederzuerk ennen. Ausbildung des visuellen Gedächtnisses
c) Herstellung der Verbindung zwischen naturwissenschaftli¬ sachen Zusammenhänge zu knüpfen, aus den Zusammenhängen
Einzeltatsachen zu verstehen. Darum wollen wir aus den Stoff-
chem und künstlerischem Denken
problcmkreisen einige herausgreifen und an ihnen exemplarisch
d) Erziehung zu dialektischer Denkweise
zeigen, wie man durch sinnvolle einzelne Arbeitsschritte sie be¬
Erziehung zu schöpferischem Verhalten
Erziehung zu Selbständigkeit und selbstkritischem Verhal¬ herrschen lernt. Darunter befindet sich kein einziger Hinweis, den
der Verfasser nicht selbst mit Schülern, Studenten, Laienkünst¬
ten während der Arbeit
Erziehung zu Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit gegenüber lern oder Kunsterziehern praktisch erprobt hätte. Der Verfasser
sich selbst (kein Abgleiten in den Effekt) bittet, die angeführten «Schülerbeispiele» mit unter dem Gesichts¬
winkel des Zeitaufwandes zu sehen. Für seine Vorlesungen und
Erziehung zu Achtung vor dem Leben
Erziehung zu realistischer Kunstanschauung. Übungen stehen ihm insgesamt vier Semester, davon drei Wo¬
6. Die Erziehung zu einem schöpferischen Verhalten führt über chenstunden in den beiden ersten und nun auch im dritten und
die Erziehung zu einer dialektischen Denkweise. Die Analyse vierten Semester, zur Verfügung.
und Erklärung der Körperoberfläche kann niemals Endstufe
der anatomischen Unterweisung, sondern nur Ausgangsplatt¬
form sein.
7. Die wesentlichsten dialektischen Erkenntnisse sind die Ein¬
sicht in die gesetzmäßige Wechselwirkung zwischen Funktion
und Konstruktion. Abb. 28 Proportionssludie.
8. Die Wahl der didaktischen Elemente und ihre Planung als Übungsaufgabe aus dem Problemkreis
Proportionen. 1. Arbeitsschritt: Entwick¬
Elementarstruktur des Unterrichts spielt hierbei eine entschei¬ lung einer Proportionsfigur nach Modell
dende Rolle. Denn nicht nur der Inhalt des Gegenstands hat auf der Grundlage des Simultanverfahrens,
erziehende Wirkung, sondern auch die Art und Weise, wie aufgebaut aus einfachen geometrischen
Formen.
der Inhalt erschlossen wird. Freie Schülcrarbeit, 1. Studienjahr. Zeit
9. Erfassen des Gegenstands im Naturstudium heißt nicht Wie¬ 30 Minuten
derholung, sondern geistige Durchdringung.
10. Die Einsicht in den konstruktiven und plastischen Wesensge¬
halt eines gegenständlichen organischen Gebildes veranlaßt
den Schüler zu einem Straffen und Steigern. Abstrahieren der
Erscheinungen. Er verhält sich schöplerisch.
11. Dadurch werden günstige Voraussetzungen des Einschmel¬
zens der Gegenstandsform in die Bildform geschaffen. Wissen¬
schaftliches und künstlerisches Denken schließen einander
nicht aus, sondern durchdringen sich.
12. Das Können wird erst im Prozeß einer spezifischen prakti¬
schen Tätigkeit, während des Zeichnens und handwerklichen
Umgangs mit anderen Verwirklichungsmitteln, ausgebildet .
13. Fertigkeiten sind automatisierte Komponenten einer bewu߬
ten Tätigkeit und haben nichts mit Artistik und Routine zu
tun.
14. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Künstlcranatomic
entwickelt, gehören unveräußerlich zum Bestandteil der künst¬
lerischen Meisterschaft.
Jede Wissenschaft und jedes Fach gehen bei der Arbeit am Ge¬
samtbild der Welt mit den ihnen eigenen spezifischen Mitteln
ihren Untersuchungsgegenstand an, und es ist ihnen nicht anders
möglich, als mit diesen ihren besonderen Mitteln und Möglich¬
keiten zum Kern der Erscheinung vorzudringen.
Das Ziel der Künstleranatomie fordert mehr denn je konkrete
•i h Proportionsstudie.
- Jlung des 1. Arbeitsschrittes:
Abb. 30 Proportionsstudie.
_■ cs Herausarbeiten der Höhen- und
2. Arbeitsschritt nach Modell, der der
-dimensionen nach Modell mit
Festigung der erworbenen Kenntnisse
2 von Objekt- und Grundfigur, als
und Fertigkeiten bei zunehmender
^bung
Differenzierung der proportionalen Glie¬
'beit eines Laienkünstlers, Zeit etwa
derung dient.
-üten
(Proportionsstempeldruck) angefertigt werden |33): Die Figur material (Drehpunkte aus Druckknöpfen). Die Drehpunkte für
wird aufgezeichnet auf Gummiunterlage, Linoleum, Kartoffel, die Gelenke werden aus den vorausgegangenen einfachen Pro-
Holz und in die einzelnen Abschnitte Oberkörper - Bauch - Hüft- portionsskclettzeichnungen ermittelt. Mit der handwerklichen Be¬
trapez usw. (einfache geometrische Formen) zerlegt. Die Teile schäftigung wird zugleich die wissensmäßige Auseinandersetzung
können dann einzeln abgedruckt werden. Der Schüler kann damit aktiviert. Die einstellbaren Bewegungen in Frontal- und Profil¬
die ausdrucksvollsten Bewegungsmotive erfinden. Vor allem ver¬ ansicht lassen proportionale Veränderungen am kleinen Model,
mag er daran das Verhalten von Zwischenformen (bei Dehnungen während einer beliebigen Bewegung erkennen. Das Verhalten der
oder Stauungen) zu studieren [34|. Gerade in der Hand des Zir¬ Zwischenformen zu den Hauptformen (Dehnungen, Spannungen.
kelleiters, Laienkünstlers oder Kunsterziehers ist dieser Arbeits¬ Stauchungen, Überschneidungen) kann gut studiert, unklare Be¬
schritt ein vorzügliches Mittel, Probleme, wie die Proportionen wegungsvorstellungen können präzisiert und probiert werden
zu erarbeiten, mit dekorativen Arbeiten zu koppeln |35). (Ver¬ Ein praktisches Hilfsmittel für die Selbstkontrolle, das bis zu
gleiche hierzu auch die heiteren gestempelten Skelettfiguren von einem gewissen Grade vom lebenden Modell unabhängig macht.
Arbeitsbewegungen aus dem Kapitel Statik und Dynamik.) Es kommt immer wieder darauf an, das theoretische Rüstzeug
Für die Festigung und Vertiefung der Proportionskenntnisse sind mit dem Bildnerischen zu verbinden. Proportionskunde darf nicht
kleine bewegliche Proportionsmodelle in der Hand des Laien¬ trocken sein! Es versteht sich, daß die Proportionsstudien damit
künstlers stets nützlich |32J. Er stellt sie her aus den verschieden¬ noch nicht erschöpft sein können. Hauptanliegen bleibt die Arbeit
sten Materialien (Papier, Pappe, Folien aller Art, Sperrholz, Me¬ vor dem Akt.
Abb. 37 Proportionsstudie.
Die individuellen Proportionen des Modells
v t4>. 36 Proportionsstudie. werden in stärkeren Zusammenhang mit
> individuell Typische wird mit stärkerer Differenzierungen der Körperhaftigkeit
•nung herausgearbeitet und die flächen- gebracht, ohne dabei das Ausgangsanliegen
s Behandlung durch Andeutung von zu vernachlässigen.
'perhaftigkeit allmählich abgelöst. Freie Schülerarbeit, 1. Semester, Zeit etwa
. * Verarbeit, 1. Semester 3 Stunden
xh bewegte Propor-
. obigen Papieren,
' Erzieher-Weiter-
genseitigen Wechselbeziehungen.
Diesen Arbeitsschritt kennzeichnet vor allem das Tätigwerden des
Lehrers (Wandtafelbild), weil er hier mit bewußt geplanter ge¬
netischer Methode die Erkenntnis des Formcharakters entwickelt
und erzieht, vom Gesetzmäßigen, nicht von der äußeren Erschei¬
nung aus, die Figur aufzubauen.
Abb. 42 Kontrapostisch stehende Figuren¬
Einzelschritte des Wandtafelbildes werden analog am Aktmodell
studie.
verfolgt. Beide Hilfsmittel des Unterrichts stehen in Wechselbe¬ Der Schüler muß in der Lage sein, die
ziehung. Der Problemkreis Proportion - Statik wird in der Praxis gesetzmäßigen Vorgänge bei einer Spielbein-
Standbeinstellung als Vorstellungsleistung
ergänzt durch Sitzformen und Arbeitsbewegungen.
zeichnerisch auszudrücken.
Schülerarbeit, 1. Semester, Zeit 45 Minuten
Siebenter Arbeitsschritt |42|: Alle bisher erworbenen Kenntnisse
und Fertigkeiten zu kontrollieren, gestattet eine aus der Vorstel¬
lung gezeichnete Kontrapostfigur, die der Schüler ohne Modell
in kurzer Zeit entwirft. Sie muß enthalten die Typusmerkmale
der Proportionen der erwachsenen Geschlechter, die funktionelle
Gesetzlichkeit des einseitig belasteten Stehens mit den Verschie¬
bungen der Massen, ihren Spannungen, Stauungen, Straffungen
und Lockerungen; Körper-Raum-Probleme spielen noch keine
Rolle.
Um nicht konstruktiv zu erstarren, kann man den beschriebenen
Arbeitsschritt mit jeweils geeigneten Verwirklichungsmittcln wie
Pinsel, Blei oder Feder bereichern (43 45|. Mit weichem Blei faßt
man die besonderen Ausdrucksformen des Stehens z. B. dadurch,
daß man fleckartig rhythmisiert die großen Massen (Oberkörper¬
masse - Gesäßmuskelgruppe - Ober- und Unterschenkelmassc)
aufs Papier bringt, Figuren nicht größer als 10-15 cm. Die Auf¬
gabe birgt den Vorzug, auf anatomische Details wie Gelenke,
Füße, Hände verzichten zu können. Erfaßt werden lediglich die
typusgemäßen Proportionen, die Stärke des funktionalen Aus¬
drucks (z. B. gelöstes kontrapostisches Stehen), der Rhythmus der
Massen. Die Aufgabe wird als bewußt eingegrenzt auf die Ver¬
wirklichung dieser drei Komponenten. Der Vorteil besteht darin:
Die Lösung stellt entsprechend den Verwirklichungsmitteln und
entsprechend den genannten Schwerpunkten ein in sich Abge¬
schlossenes dar. Um den Schüler zu raschem Erfassen zu zwingen,
muß das Modell im Abstand von 5 Minuten seine Stellung wech-
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sein (Verhinderung eines unverstandenen Abzeichnens des Aktes). des Problemkreises Proportionen - Statik - Dynamik an. Was
Vor allem aber wird der Schüler veranlaßt, sein Körpergefühl mit nach allem bisher Dargebotenen zum wirklichen geistigen und hand¬
der Gebärde der Haltung zu identifizieren und den Menschen von werklichen Besitz geworden ist, klärt die selbständige Schülerarbeit
innen heraus nachzuerleben. am raschesten selbst, wenn dem Schöpferischen auch in der Künstler¬
Auf einer späteren Stufe - wenn alle Voraussetzungen dafür ge¬ anatomie Gelegenheit zur Entfaltung eingeräumt wird.
schaffen worden sind - kann die weitere Durchdringung von Pro¬ Im Rahmen der Vermittlung eines Systems von Kenntnissen und
portionen, Funktionen und Körperhaftigkeit-Räumlichkcit in er¬ Fertigkeiten nimmt, wie wir sahen, der Problemkreis Proportio¬
weiterter Aufgabenstellung wieder aufgenommen werden. nen - Statik Dynamik eine Art Schlüsselstellung ein. Auf diesen
Auch ein Kunstschüler muß «auf Vorrat» lernen. Nicht immer Grundlagen figürlicher Äußerungen, die es als erstes zu beherr¬
kann der Gang seiner Ausbildung ihm zum Bewußtsein bringen, schen gilt, bauen alle weiteren Vermittlungen von Kenntnissen
ob, wie und wo er sein Wissen im anschauenden Erkennen wäh¬ auf. Und der einzelne Stoffabschnitt, für den oft nur ein geradezu
rend des Bildens wird anwenden können. Der Geduld und der dürftiger Zeitaufwand zur Verfügung steht, muß darüber hinaus
Fähigkeit eines langen Atems wird er nie entraten können, auch noch unabdingbare Übungen für die Ausbildung von zeichneri¬
nicht in der Künstleranatomie. Dennoch müssen in die Gesamt¬ schen Fertigkeiten enthalten. Keine Kenntnisvcrmittlung ohne
strecke des Ausbildungsweges Stationen eingebaut sein, die das ihre praktische Vertiefung! Guter Rat ist oft teuer.
Bewußtsein vom Nutzen seines tätigen Lernens leuchten machen Eine wohlüberlegte Wahl der zeichnerischen Vcrwirklichungs-
und zugleich das Erreichen und den Abschluß einer Etappe her¬ mittcl kann gerade hier beste Dienste leisten. Ihre Wahl und ihr
vorheben. Eine solche bietet sich am Ende des Durchdringcns Einsatz wird vom Lehrer anempfohlen und genau begründet.
v .cr.n. l.Se-
-uten
Abb. 53 Die konstruktiven Formen des für das Einprägen der Form-Funktions-
Knieskelettes in Funktion. Einheit des Gegenstandes (2. Arbeits¬
Die zeichnerisch gebaute Formprägnanz schritt).
und gleichzeitige Vereinfachung der Form Schülerarbeit, 2. Semester, reine Vor¬
sind lernpsychologische Voraussetzungen stellungsleistung
ul das Skelett analysiert oder die Zeichnung nach dem Leben- Die genauen Kenntnisse über die Beschaffenheit der konstrukti¬
mit den konstruktiven Formen zart unterlegt, um sie dann ven Form und die dadurch bedingten mechanischen Vorgänge
'verhaft zu umbauen. sind die Grundlage für das Verständnis der plastischen Verände¬
mpfiehlt sich auf alle Fälle, einer Form des zeichnerischen rung in der Bewegung. Es gilt also, die Grundlagen dann in Ver¬
nnens das Primat zu lassen, entweder der Skelettanalyse oder bindung mit dem weiteren plastischen «Beiwerk» wie den Weich¬
äußeren Bau. Beides glcichgcwüchtig ineinanderzeichnen zu teilformen zu sehen. Es ist günstig, diese Grundlagen immer wie¬
. n verwirrt und nimmt der Sachuntersuchung jenen Grad an der auf ihre Gegenwärtigkeit beim Schüler zu überprüfen. So geht
mmtheit, der gerade in dieser Etappe besonders zu fordern es in unserer Abbildung um das Funktionsverhalten insbesondere
der Beingelenke, die kurzfristig vom Modell in Aktion vorgeführt
werden, um sie dann aus dem Eindruck der lebenden Erscheinung
einer konstruktiven und mechanischen Analyse zum Zwecke einer
eindeutigen plastischen Formartikulation zu unterwerfen.
-i
\bb. 58 Körperhaft räumliche Hand Studien. links unten). Der körperhaften Ordnung
Sic bilden wichtige Voraussetzungen für folgen wir mit Angabe der räumlichen
expressive Handstudien. Wir untersuchen Richtung der Flächengefalle mit grenz losen
J ic räumliche Ordnung, indem je nach Übergängen zum Raum.
Raumstaffehmg sich das Striehgcwebc Schiilerarbeit mit Feder auf dunklem Grund.
.rjftockert oder verdichtet frechts oben. 4. Semester
Frontalschnitt durch
die Trichterform des Beckens
lierte Aufgabe entscheiden: Zeichne das Skelett in Bewegung! Der Das Bildungsgeschehen in der Künstleranatomie ist zu einem
Schüler soll ganz bestimmte Tätigkeiten vor Augen haben; den rhythmischen Gefüge geworden. Die einzelnen Arbeitsschritte
Handstand und Überschlag des Artisten, den Jongleur auf dem sind geplante Etappen und Unterrichtselemcnte, die in bewährter
Rad, den stemmenden Schwergewichtler, den am Boden Hocken¬ Folge und in Kombination mit den anderen Elementen des Unter¬
den - unerschöpflich das ganze Reich des Sportes und handwerk¬ richts stehen und entscheidend an seiner Gesamtstruktur mitwir-
klar ablesbare konstruktive Formen sind die Kriterien der Lösung. Aktstudium beschert, liegen auf der Hand |69,70]. Man vergegen¬
Die Phantasie wird in ihre Rechte eingesetzt, und so nimmt es wärtige sich nur die Aufgabe, einen ruhenden Akt zu zeichnen,
nicht wunder, wenn der Schüler gerade bei dieser Aufgabe - man der Brustkorb auf der Unterlage mit dem Rücken aufliegend, ge¬
bedenke: ohne jedes Anschauungsmittel - dem Lehrer mit immer gen das auf der Seite hochgestellte Becken verdreht. Welche Fülle
neuen Überraschungen aufwartet |68). Es ist ein resultativer Höhe¬ von Verkürzungen und Überschneidungen! Bau der Volumen,
punkt in der komplexen Arbeit mit der konstruktiven Form und ihre Lage im Raum, Hauptmassen und Nebenformen müssen er¬
im Verlaufe der gesamten anatomischen Unterweisung. So vorbe¬ kannt, Zusammenhänge des Ganzen hergestellt werden. Hier
reitet. Stufe um Stufe empor klimmend, eins auf dem andern auj- greift die Sicherheit des Erkennens, die gedankliche und zeichne¬
bauend und eins mit dem anderen durchdringend und ergänzend, rische Reproduzierbarkeit der am Lebenden verschleierten Ge¬
festigend und vertiefend, in Lernen und Anwenden, Übung unil Er¬ rüstform helfend und enthüllend ein.
vorgeschobene Brücke zwischen Becken und Brustkorb verstan¬ vereinfachende räumliche Grundform über das Modellieren zu
den, wiederum eine Folge des nach vom gestaffelten Gerüstes, entwickeln.
d) Auf dieses Grundvolumen packt der Schüler Nebenformen wie
großen Brustmuskel, Brüste und Schultergürtel einzeln auf. Zweiter Arbeitsschritt |75|: Der Wechsel vom Modellieren zum
Der Schüler schafft selbst ein Aufbaumodell, das die einzelnen Archi¬ Zeichnen ist wünschenswert. Was das Modellieren vorbildete, soll
tekturstücke in ihrer Besonderheit kennen lehrt; bauend fügt er sie nun die Zeichnung tiefer beeinflussen: Bau der Hauptmassen und
zum Ganzen. Aus dem Hantieren. Volumen zu begreifen, wie ein ihrer Nebenformen - kein Abzeichnen.
Baumeister dem einfachen Baukörper gliedernde Nebenformen ein¬ Zunehmende Sicherheit im räumlichen Denken erlaubt freieren
zuverleiben, das Ist der Sinn des Modellierens der vereinfachenden Vortrag nach dem Akt |74J. Haltungseigentümlichkeiten, Typus¬
Grundform. Sie entwickelt körperlich-räumliches Vorstellungsver¬ merkmale werden stärker berücksichtigt. Die Erscheinung ge¬
mögen, eine für das freie Schaffen unerläßliche Vorbedingung. winnt wieder an Lebendigkeit. Nebenzeichnungen gehen der
Diese Vorstellungs- und Denkstufe durchdringt auch wieder das Hauptstudie voraus oder folgen nach, um wieder der Selbstver¬
Zeichnen, ohne daß die natürliche Form in eine Kastenmann- ständigung im Hinblick auf das Gefüge der Massen zu dienen.
Schablone gezwängt würde. Sehr allmählich erzieht man auf sol¬ Manchmal sind es erste Fühlungnahmen mit dem Problem, oft¬
che Weise das Gefühl für Körper und Raum, erzieht man eine mals nach der Hauptstudie nachträgliche abschließende Ganz¬
schöpferische Verhaltensweise, die beim zeichnerischen Aktstu¬ heitserkenntnisse, die substantieller und dichter sein können als
dium das Anschauen durchdringt und das Handeln bestimmt. die Hauptstudie.
* • oneller Ereignisse,
nterschiedlich wirkenden Kräfte
^hnens, Streckens, Reckens
l end der einseitigen Stand¬
ing (Druck) müssen sich im
ten der Gelenke, Körper-
r tte und ihrer verbindenden
teilformen bemerkbar
Auch die entgegengesetzten
Charaktere der Stauung be-
der anatomischen und gra¬
sten Interpretation.
: >chülerarbeit. 4. Semester,
I 3 Stunden
♦
nicht deshalb, weil es einer Klärung des funktionellen Zusammen¬
Problemkreis Form- und Raumzusammenhänge wirkens oder der Auskunft über körperlich-räumliche Beziehun¬
gen der einzelnen Abschnitte mangelte. Vielmehr im Sinne einer
den bisher erörterten Problemkreise Proportion - Statik - Zusammenschau aller Teile zum Ganzen. Gerade in dieser Fähig¬
T’k sowie Körperhaftigkeit - Räumlichkeit lassen sich we- keit offenbart sich die Wechselbeziehung zwischen Objekt und
er objektiven Gebundenheit als relativ selbständige Bc- anschauendcm Subjekt. Ein Ganzes muß von allen Seiten der Aus¬
: ehrmäßig aufbereiten. Konstruktive Formen von Gelen- bildung sichtbar gemacht werden, sowohl von dem künstlerischen
i knöchernen Räumen (Becken, Brustkorb, Schädel) kann wie wissenschaftlichen Bereich. Schlösse sich die Künstleranato¬
- - • der Ebene des Objektiven zunächst unabhängig von den mie hiervon aus, so würde sie in undialektischer und daher uner¬
• ven Eigenheiten des Schülers darbieten. Das folgende Sta¬ laubter Weise Objekt und Subjekt voneinander trennen. Natür-
4. Semester, größtenteils
zsieistung, Zeit 2-3 Stunden
2.1. Allgemeines
2.1.3. Die Meßverfahren und historischen Impulse Aus Gründen, die wir im Problemkreis Proportion Statik - Dy¬
namik Seite 45 nannten, ziehen wir vor. das Verfahren Leonardos
Die praktischen Zwecke der Proportionskunde bieten zwei Me߬ und der Antike zu benützen. Vom Ganzen als einer gegebenen
verfahren an: Größe gehen wir aus und finden von hier aus Möglichkeit und Not¬
a) Ausgehend vom Ganzen kann man zu seiner Teilung fort¬ wendigkeit, die Teile zu ordnen und unterzuordnen, eine Rangord¬
schreiten |88|. Die entstandenen Brüche können untereinander nung herzustellen. In jedem Falle soll der Schüler lernen, aus der
und mit dem Ganzen verglichen werden. So könnte man die Sache heraus Größe und Proportion des Zeichenformats zu be¬
Körpermitte finden, die sich aus der Halbierung der Ober- und stimmen, um cs sicher auszuspannen. Außerdem: Die Gliederung
Unterlänge ergibt, und von hier aus weiterteilen (Körpervier¬ erfolgt nicht willkürlich, sondern steht in Verbindung zum Funk-
tel). Diese Strecken werden miteinander verglichen und ihre Ent¬ tions- und Formzusammenhang. Die Fortgliederung aus dem pri¬
sprechung festgestellt (daher Analogie- oder Simultanverfahren). mären Ganzen ist dem künstlerischen Schatfcnsprozeß gelnäß.
Dieses Verfahrens bedienten sich die Antike und Leonardo. Von dieser Seite aus wird das künstlerische Anschauen gestützt
b) Man kann vom Teil als einem festen Maß ausgehen und durch und gezeigt, daß die Erscheinung des Ganzen nicht gleichzusetzen
seine Vervielfachung zur Bestimmung des Ganzen gelangen |86|. ist mit der Summe seiner Teile.
Beispiel: Die Figurengröße ergibt sich aus der Addition oder Hier also bestehen für uns die Ansatzpunkte, wenn wir die Be¬
Multiplikation des Grundmaßes Sohle - Knöchel. Ein solches mühungen in der Antike und der Renaissance würdigen |88|.
Verfahren, das die objektive Gesamtlänge von vornherein kon¬ Denn die Funktion der Kunst dieser Perioden war eine andere
struktiv festlegt, wandten die Ägypter an. als die der Ägypter und des Mittelalters. Die klassische Kunst
Wb***
2.1. Allgemeines
sondere Aufmerksamkeit schenken wir Leonardos überaus prak¬ zontal markierten Viertelzonen kehren auch bei der sitzenden,
tischer Arbeitsweise. Er hatte über die Proportionsfigur des Man¬ hockenden oder knienden Figur stets gut ablesbar wieder und
nes mit gespreizten Armen, die vom augusteischen Architekten belehren darüber, wie sich die Höhen durch verschiedenartige Be¬
Vitruv als «Mittelsmann» zwischen Polyklet und der Renaissance wegungen und Haltungen reduzieren |89|. überdies korrespon¬
überliefert wurde, den Anschluß an die Antike hergestellt. Leo¬ dieren die Körperviertel der Höhengliederung mit gleichlangen
nardo lehrt das Analogieverfahren |88|. Die horizontal ausgebrei¬ Breitenausdehnungen, so mit der Schulter breite (von einem knö¬
teten Arme umspannen eine Strecke, die der Totalhöhe der Figur chernen Ende des Schulterdaches zum anderen), so auch mit der
Sohle bis Scheitel entspricht (in Wirklichkeit übertrifft die Klafter- Länge Fingerspitze bis Ellenbeuge. Die Entfernung Brustwarze
weite die Figurenhöhe). Aus dieser Erfahrungstatsache zeichnet bis Scheitel wird von der Kinnspitze nochmals unterteilt. Dem¬
Leonardo die Figur in ein Quadrat. Außer der Mittelachse des nach beträgt die Kopflänge (KL) ein Achtel der Gesamtlänge des
Körpers Sohle bis Scheitel sucht er nach der organischen Gliede¬ Körpers.
rung und findet in Schambein- und Rollhügelhöhe die Körper¬ So sieht also das Verfahren Leonardos aus: Er bezieht die Teile
mitte (beim Manne im allgemeinen etwas oberhalb der geome¬ in ihren Größen aufeinander und aufs Ganze und hält sich an
trischen Mitte). Damit entsprechen sich Ober- und Unterlänge. den Körper, der ein natürlich gegliedertes Gebilde ist. Nach dieser
Weitere simultane Entfernungen führen zur Halbierung der Ober¬ natürlichen Gliederung orientiert man sich.
länge in Höhe der Brustwarzen (erstes Körperviertel) und in Höhe
des Schienbeinstachels (knöcherne Erhabenheit am Schienbein
unterhalb der Kniescheibe, viertes Körperviertel). Solche hori¬
■; Teilzusammenfassung: keit des Formcharakters der organischen Bildungen ist hierbei
ein wichtiger Bestandteil.
Proportionskunde vermittelt Erkenntnisse gesetzmäßiger 6. Leonardos Proportionsfigur (Vitruvmann) vermittelt für die
ben-, Tiefen- und Breitenverhältnisse einer bestimmten indi- Zeichenpraxis die Vergleichlichkeit von Strecken untereinander
cjellen Körpergestalt. und mit dem Ganzen.
f Proportionskunde verzichtet auf die Erfindung sogenann- 7. Die Meßpunkte ordnen sich der organischen Gliederung des
schöner» Figuren und auf platonische Schönheitskanons, Körpers ein. Die Kopfgröße (Scheitel - Kinnspitze) beträgt ein
r Proportionskunde kann sich auch nicht auf den natur- Achtel, die Gesichtslänge (Haaransatz - Kinnspitze) ein Zehn¬
-enschaftlichen Kanon als Ergebnis anthropometrischer tel der Totalhöhe. Die Kopflänge entspricht den Entfernungen
-rchschnittsergebnisse stützen. Kinnspitze - Brustwarze, Ellen beuge - Schulterhöhe. Eine Ge¬
f Proportionskunde geht primär von der Ganzheit der Er- sichtslänge entspricht einer Handlänge.
- -einung aus und bevorzugt hierbei die Meßmethode, die die
iT.gen-, Breiten- und Tiefenverhältnisse vergleicht (Simultan- Dürers Proportionsuntersuchungen grenzen ans Fanatische. Tief¬
erfahren). ernst und mit einer Gründlichkeit ohnegleichen schindet er sich
e Proportionskunde greift vor allem auf diejenigen Tradi- achtundzwanzig Jahre lang mit den menschlichen Proportionen
nen zurück, die besonders geeignet sind, das realistische ab, Schönheit muß beweisbar sein. Er versucht, das Problem mit
* -nstschaffen dadurch zu fordern, indem man das Typische der Mathematik zu lösen. So konstruiert er anfangs Figuren mit
. deckt. Die Vermittlung der Erkenntnis von der Einheitlich- dem Zirkel. Dann kommt die große Wende nach seiner zweiten
venezianischen Reise (1505/06). Er macht Bekanntschaft mit der
italienischen Kunsttheorie, für ihn das Rechte, da er spürt, daß
nur eine gute Theorie aus der Beschränktheit der handwerksmäßi¬
gen Kunstübung hinausführt. Er erschließt sich der natürlichen
Vielfalt. Nein, die Schönheit ist nicht absolut. «Dann es ist wol
* W Albrecht Dürer (1471-1528).
_-oße proportionstheoretische Verdienst möglich, daß zwei unterschiedliche Bild gemacht werden, keins
-'s besteht besonders im Entwurf in sich dem andern gemäß, dicker oder dünner, daß wir nit wol urteilen
ossener Typen, so z. B. der Typen
können, welches schöner sei» (1512). Dieser Gedanke rumort
schlanken oder gedrungenen
•>es. schon seit langem in ihm. Fast resigniert er. Nach drei Jahrzehn¬
ten legt er vor, was er fand, kein Proportionsschema oder -system,
keine schönen Figuren. Er spannt seine Untersuchungen vom Pol
des ganz Dicken bis zum ganz Dünnen |90|. Und was schaute
aus seinem Forschen heraus? Eine höchst bedeutende Erkenntnis.
Die Erkenntnis des Harmoniegedankens aus der Einheitlichkeit
und Durchgängigkeit des Formcharakters. Er schuf Typen. Da¬
mit verzichtet er völlig auf die Entdeckung eines idealen oder auch
nur normalen Schönheitskanons. Er unterzog sich der unendli¬
chen Mühe, charakteristisch unterschiedene Typen aufzustellen,
die nur - jeder in seiner Art - die grobe Ungestalt vermeiden
sollten (Panofsky). Im Typ stößt ein variables Element auf ein
Konstantes (Waetzoldt). Das Entscheidende für den Formcharak¬
ter der Figur ist die Einheitlichkeit ihrer Formen spräche. Und
somit gibt es für Dürer auch nur ein einziges Proportionsgesetz,
das er wirklich aufgestellt und selbst zeitlebens befolgt hat: Alles -
auch die menschlichen Proportionen - soll sich vergleichlich «rei¬
men» (Waetzoldt).
Zweite Teilzusammenfassung:
2.1. Allgemeines
4. Er erkannte die unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinung erhoben schweift der Blick durch ein erweitertes Rund. Voll bietet
und bemühte sich, charakteristische Typen aufzustellen, «die sich die breite Front dem Gegenüber dar. Das labile Gleichge¬
nur - jeder in seiner Art die grobe Ungestalt vermeiden soll¬ wicht, die zurückgenommenen Schulterblätter und die unbehin¬
ten». dert und locker schwingenden Arme haben die Brust weit nach
5. Er entdeckte die Einheitlichkeit einer Formensprache des Na¬ den Seiten gedehnt. Becken und Brustkorb winkeln gegeneinander
türlichen und die Durchgängigkeit seines Formcharakters im ab in der Krümmung der Lende. Die Vertikale in ständiger Ba¬
Einzclgeschöpf. Nur diese Proportionsregcl hat der Meister be¬ lance haltend, hat sich das Gesäß ausgebildet. Fest wie Säulen
folgt. stemmen sich die Beine mit voll gestrecktem Knie gegen die Last
der Oberlänge. Massige Oberschenkel wirken dem Einknicken im
Knie entgegen, und geballte Wadenmuskeln sorgen ebenso für
2.2. Typologisches der Proportionen den sicheren Stand wie dafür, uns vom Boden mit einem einzig¬
artig gewölbten Fuß abzustoßen und gegen unsere Schwere zu
arbeiten.
Wir wollen den natürlichen Reichtum in keine Schablone pressen. Und innerhalb dieser Polarität wieder die Pole des Männlichen
Auf der anderen Seite ist es aus didaktischen Gründen nötig, die und des Weiblichen mit Gestaltmerkmalen, die sich beide von¬
Uferlosigkcit der individuellen Erscheinungen einzudämmen. Also einander aufs deutlichste scheiden. Aber erst nach einem langen
halten wir uns an allgemeine Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die Hinausschicben der geschlechtlichen Reifung - ganz im Gegen¬
wir an ganzen Gruppen von Menschen mit ähnlichen oder glei¬ satz zum Tier - bilden sich diese Merkmale allmählich heraus:
chen Gestaltmerkmalcn wahrnehmen und die es gestatten, die das große derbe Knochengerüst des Mannes, mit seinem breiten
Vielfalt nach Typen zu ordnen. Brustkorb und schmalen Becken, alles von kräftigen Muskeln be¬
setzt, das grazilere Skelett der Frau mit ihrem geräumigen Becken
und schmalen Brustkorb, ihrer stärkeren Knickung im Beinaußen-
2.2.1. Allgemeinmorphologisches der beiden Geschlechter w'inkel (siehe dort), die unterschiedlichen Fettpolster, von denen
einige nur der Frau zugehören (wie z. B. die der Brüste, des
So steht der Mensch dem Menschen gegenüber: Ein polares We¬ Schamhügels, der Schenkelinnenseite, der Hütte). Der Rumpf des
sen, mit Scheitel und Sohle, und in diese beiden Extreme ist seine Mannes ist kürzer als seine Beinlänge, der der Frau relativ länger
vertikale Leibesorganisation eingespannt |91, 92|: der frei und als der des Mannes.
hoch erhobene Kopf mit einem Angesicht, das seiner Vertikalen Daß der männliche Körper zum weiblichen, der weibliche zum
angepaßt ist, ledig von tierisch-horizontaler Trageweise. Die Sohle männlichen tendieren kann, ist bekannt, kommt aber seltener vor.
trägt das Haupt, und die bedeutungsvollen Abschnitte haben sich Zu den angeführten unterschiedlichen Gestaltmerkmalen gehört
auf eine gemeinsame Vertikallinie orientiert. Die langen Beine - auch die andersgeartete Behaarung. Alle diese Merkmale faßt man
die Hälfte des ganzen Körpers - sind die Stützen, die der Körper¬ unter dem großen Begriff der sekundären Geschlechtsmerkmale
last ebenso willfährig dienen wie ihr ständig widerstreben. Hoch (Geschlechtsdimorphismus) zusammen.
Mann Frau
ins Schädeldach des Gesichts und gebrochener Übergang von der Stirn
zum Schädeldach
Übe raugenbögen erhaben, Kauapparal kräftiger, das Joch¬ Überaugenbögen sanft. Kauapparat weniger kräftig, Joch¬
bein (zum Teil Ursprung von Kaumuskeln) markant. bein graziler. Flacherer Kieferwinkel. Kinnspitze eingeebneter
Ausgeprägter Kiefcrwinkcl (am aufsteigenden Teil des Unter¬
kiefers). Kieferwinkel ausladender, hervortretende Kinnspitze
Frau
inten sich erweiternd, größeres Volumen, großer Schmal, Seitenkonturen wenig auseinanderfliehend,
• ei deutlich abgesetzt als Querwulst, Rippenbogen großer Brustmuskel durch halbkugelige Brüste verdeckt,
jnend Rippenbogen höher stehend
.1
Hauchmuskel deutlicher gegen die Seiten abgesetzt. Magengrube höher gelegen. Daher scheinbar längerer Rumpf.
. - jrube tiefer gelegen Absetzen des Schamhügels gegen die untere Bauchwand
vhaar
dal nach dem Bauch ansteigend Horizontal nach dem Bauch abschließend
•in
al und hoch Niedrig und breit
. von Rollhügel zu Rollhügel reichlich \ ]/2 Kopllängen. Breite von Rollhügel zu Rollhügcl knapp ein Körperviertel
agel weiter nach hinten gerichtet, daher gleicht der (= knapp 2 Kopflängen). Rollhügel weiter nach vorn ge¬
liehe Körper einer auf der Spitze stehenden Pyramide richtet, daher gleicht der weibliche Körper einer Spindelform
-er oberer Darmbeinstachel häutig dichter zusammen-
.*nd
engrübchcn mit Kreuzbeinspitze gleichschenkeligcs Lendengrübchen mit Kreuzbeinspitzc gleichseitiges Dreieck
eck bildend bildend
eilen länger als bei der Frau Bisweilen kürzer als beim Manne
außenwinkel nicht sehr betont Armaußenwinkel sehr ausgeprägt (Knickarm)
Haaransatz
größte Schadelbreite =
Durchmesser des Kreises
um M
Augenlinie =
Halbierung der Strecke S-K
Nasenstachel
Kreismitte
des Gesichtsschadeis
Mundspalt
Kinnspitze
Das Becken gleicht von der obersten Begrenzung durch den Darm¬ Die Ausdehnungen der Profilansicht sollen nur bild-, nicht wort¬
beinkamm bis zu seinem tiefsten Punkt am Sitzbeinhöcker einer mäßig vermittelt werden |96c, d|.
KL. Die Begrenzung der Breitendimensionen jener vorgenannten Die Abbildung |97| faßt die proportionstypologischen Besonder¬
Horizontalachsen der Höhengliederung zeigt sich wie folgt: Die heiten des männlichen und des weiblichen Körpers in Gegenüber- j
Klafterweite der Arme (Mittelfingerspitze bis Mittelfingerspitze) Stellung noch einmal anschaulich zusammen. Mann und Frau wur¬
übertrifft ein wenig die Körperhöhe, insbesondere bei schlank¬ den auf gleiche Größe gezeichnet, um die absoluten Höhen- und
wüchsigen Menschen (Abweichung von Leonardos Vitruvmann); Breitendifferenzen aus dem Vergleich mit dem Proportionsrecht- I
Schulterbreite über beide Schulterdächcr knapp bis 2 KL. Von eck von 2 KL Breite und 8 KL Höhe sofort ablesbar zu machen
hier aus erfolgt eine ständige Abnahme der Breiten. Die wenig Beide Körperkonturen sind inkongruent. I
typische männliche Taille zieht nur leicht ein (Breite = Hals¬ Die nachfolgende Übersicht (S. 104/105) faßt noch einmal die Pro-
grube bis Scheitel), die Breite der schmalen Hüfte über die Roll¬ Portionsbesonderheiten beider Geschlechter auf der Grundlage
hügel mißt \l/2 KL, der zusammengesetzten Knie 1 KL, eines des Verfahrens zusammen, das Entsprechungen und Ähnlichkei-
einzelnen Knies l/2 KL, der beiden zusammengesetzten Knöchel ten der Teile untereinander und zum Ganzen herstellt. I
größte Schadelbreite
Augenlinie
Nasenstachel
Oberlippenrand
Kinnspitze_
1 KL
obere Brustkorbgrenze -
Schulterhöhe
Halsgrube
Brustwarze
2 KL
untere Brustkorbgrenze
Taille ^Jlenbogengelenk
3 KL i
obere Beckengrenze
Schambein
Korpermitte ^Handgelenk
4 KL
5 KL
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6 KL
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Halsgrube - Haaransatz
7* KL
1 KL
Korpermitte 1 KL
1 GL
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7, KL
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Halsqrube Haaransatz
Haaransatz
größte Schadelbreite
Augenlinie
Nasenstachel (J
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Oberlippenrand
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Kinnspitze
1 KL r*
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Schulterhöhe
Halsgrube
Brustwarze
2 KL
Taille
3 KL-
Korpermitte
4 KL
Schambein
Fingerspitze
5 KL-
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Kniespalt
6 KL-
Schienbemstachel
7 KL-
Knöchelhöhe
Sohle
8 KL
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§1
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Brustwarze
I F Mann - Frau !
r- | (bei der Frau !
auch tiefer) I
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Nabel Mann
Schambein Frau
Körper¬
//öhengl iederung Breitendimension Tiefendimension
viertel
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Scheitelhöhe bei 0 KL größte Schädelbreite 7a KL Halsstärke 72 KL
«u
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Höhe der Kinnspitze hei 1 KL Halsbreite Va KL
Schulterhöhe V3 KL ab Kinnspitze Schulterbreite (knöchern) —2 KL
8.
»:0ä Halsgrube l/3 KL ab Kinnspitze Schultcrbreite (mit Deltam.) 2 KL Brustwarze - Schulterblatt =
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• Brustwarzen höhe bei 2 KL Brustwarzenzwischenraum 1 KL Halsgrube - Haaransatz
W
u. Kniespalt lU KL über der 6.KL Oberschenkelstärke 1 GL
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£ Schienbeinstachel bei 6 KL 1 Kniebreite 72 KL Kniestärke 72 KL
1
u = unteres Körfaerviertel
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13
,^ Wadenstärke 73 KL
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Unterschcnkelstärke über dem
£ Knöchelhöhe (innen) !/3 KL 1 Knöchelbreite 7s KL Knöchel -73 kl
& über der 8. KL Fußlänge = Halsgrube - Haaransatz
■o
#
= Brustwarze - Schulterblatt
Sohle bei 8 KL 1 Fußbreite V* KL
Ellenbogenhöhe knapp über Taillenhöhe Oberarmstärke 72 KL
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Unterarmstärke (Elle und Speiche in Par-
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Bl
al allelstellung) in Nähe der Ellen¬
1
B
9 Handgelenkhöhe in Hüfthöhe oder Handgelenkbreite 7s KL beuge 72 KL
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3
darunter Handbreite +7» KL
N Fingerspitzenhöhe in Oberschenkel¬
mitte bis knapp Oberschenkelmitte
Abkürzungen: KL = Kopflänge
GL = Gesichtslängc
-h = reichlich
— = knapp
Bauch Lende 1 GL
mhöhe bei 3 KL Taillen breite = + Schulterhöhe
-ohe dicht unter der 3. KL oberhalb bis Haaransatz
oberen Beckengrenze
2 KL Schamhügel - Gesäß 1 bis +1 KL
•>em = Hüfthöhe : etwas unterhalb der Hüftbreite
metrischen Körpermitte
V2 KL Oberschenkelstärke 1 KL
ralt dicht über der 6. KL 1 Kniebreite
Kniestärke + V2 kl
- ^einstachel unterhalb der 6. KL
-nteres Körperviertel
Wadenstärke +V2 kl
V* KL Fußlängc + 1 KL
bei 8 KL 1 Fußbreite
Oberarmstärke +73 KL
- ^enhöhc in Taillenhöhe
Handgelenkbreite 7i bis-‘/a KL Unterarmstärke (Elle und Speiche in Parallel¬
Abb. 98 Konstitutionstypen
(halbschematisch).
a) Leptosomer Typ, Normalgröße 180cm,
bei Durchschnittsgröße 168,4cm,
Kanon 8KL
Beachte die ungleichen Ober- und Unter¬
längen und parallelen Rumpfkonturen
b) Athletischer Typ, Normalgrößc 170cm,
bei Durchschnittsgröße 170cm,
Kanon 8 KL
Schambein und Körpermitte fast
deckungsgleich
c) Pyknischer Typ, Normalgröße 168cm,
bei Durchschnittsgröße 167,8cm, Kanon
etwa 73/* KL
Schambein und Körpermitte fast
- deckungsgleich
Bei der Erörterung von Konstitutionstypen
sollte man stets beachten, daß diese nur
selten in reiner Gipfclform erscheinen.
Typ Rumpfproportionen Oberflächen re lief Extremitäten Kop f und Hak Gesicht Behaarung
Pyknisch Kurzer, tiefer, Runde, weiche Weiche, relativ Relativ großer, Weichplastisches, Zartes Haupthaar,
gewölbter Brust¬ Formen infolge kurze Extremi¬ abgerundeter breites, gerötetes Neigung zu
korb, stumpfer gut ausgebildeten täten. Zart- Kopf. Flache Gesicht. Schwache Glatzenbildung.
Rippenwinkel Fettgewebes knochige kurze Schcitelkontur, Profilbiegung Mittlere bis
breite Hände kurzer, massiver kräftige Terminal¬
und Füße Hals behaarung
Athletisch Breite, starke Kräftiges, pla¬ Kräftige, derbe Derber Hoch¬ Derbes, knochen¬ Kräftiges Haupt¬
,Schultern, stisches Muskel¬ Arme und Beine, kopf. Freier, plastisches Gesicht haar. Indifferente
trapezförmiger relief auf derbem große Hände und kräftiger Hals mit mit Betonung der Terminal¬
Rumpf mit relativ Knochenbau Füße, eventuell schrägem, straff Acren. Steile behaarung
schmalem Becken Acrocyanose gespanntem Ei form
Trapezius
Leptosom Flacher, langer Hager oder sehnig, Lange, dünne Relativ kleiner Blasses, schmales Derbes Haupt¬
Brustkorb. mit wenig Unter¬ Extremitäten mit Kopf. Langer, Gesicht, verkürzte haar. Eventuell
Spitzer Rippen¬ bau tfettgewebe langen, schmalen dünner Hals Eiform, spitze, Pelzmützenhaar.
winkel. Relativ Händen und schmale Nase, Schwache
breites Becken Füßen eventuell Winkel¬ Terminal-
%
profil behaarung
////V.
Abb. 109 Hermann Geibel (geb. 1889). Abb. 110 Gottfried Bammes (geb. 1920).
Boxer (1928), Kupferstich-Kabinett Angreifender Ringer (1972), Feder und
Dresden. Tusche, 35,5cm x 37,5cm.
Die Konstitution dieses Sporttyps zeichnet Sachlich wie künstlerisch wird das Thema
sich durch seine Hoch- und Schlank- mit einem gedrungenen muskelkräftigen
wüchsigkeit aus. Sporttyp vertreten.
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Stirn besondere Bedeutung 1113). Sie hängt beim Säuglings- und Die erste große Spanne läßt an den Geschlechtern noch kein Zei
Kleinkindkopf über und richtet sich später allmählich steiler und eben der Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale er¬
dann fliehend auf. Ihre Steilheit bleibt bei der Frau häufiger be¬ kennen. Junge und Mädchen, nackt nebeneinander gestellt, ma-
stehen und bewahrt ihr daher mädchenhaft jugendliche Züge. chen in Rückansicht ein geschlechtliches Zuordnen fast unmög¬
So mancher Gegenwartskünstler drückt im Kinderbildnis den lich (daher die Bezeichnung «neutral»). Die zweite Spanne, die
Scheitel tief auf die Augenbrauen herab in der irrigen Ansicht, das bis zum Tode dauert, prägt die Gestaltmerkmale der beiden Ge¬
«Kindliche» damit zu steigern. Aber im Gegenteil. Er macht dar¬ schlechter aus (Bisexualität).
aus einen verpfuschten Erwachsenen. Diese schlauen Spekulan¬
ten der künstlerischen Deformation projizieren in das kindlich-
menschliche Antlitz nur tierähnliche Triebhaftigkeit und verraten
damit einmal mehr ihre ahumane Position.
Das Kind schlechthin gibt es nicht! Es ist stets Repräsentant einer
ganz bestimmten Entwicklungsstufe mit ihr eigenen klaren Typus¬
merkmalen |115|. Am gestaltlichen Werden lesen wir Rhythmen
ab mit ihren eigenen Entwicklungstypen. Man unterscheidet zwei Abb. 114 Kopfproportionen des Säuglings,
große Abschnitte: ein neutrales und bisexuelles Alter. Das neu¬ des Sechsjährigen und des Erwachsenen.
a) Säuglingsschädel im Profil
trale beginnt mit der Geburt und gleitet mit dem ersten Gestall-
b) Schädel des 6jährigen im Profil, Zeit des
Zahnwechsels
c) Schädel des Erwachsenen im Profil
Beachte die Zunahme des Längenwachs¬
tums des Gesichtsschädels aus dem Ver¬
gleich der Halbierung der Kopfhöhe
(starke Horizontallinie) und der Augen¬
linie (schwache Horizontallinie) auf
Abb. 114b!
Abb. 112 Zwei Kinder im l. Lebensjahr d) Säuglingsschädel in Frontalansicht
(Säuglingsalter). e) Schädel des 6jährigen in Frontalansicht
Die noch weit unter der Kopfmitte gelegene (Zeit des Zahnwechsels)
Augenachse verdeutlicht den stark domi¬ 0 Schädel des Erwachsenen in Frontal¬
nierenden Hirnschädel und seine hohe vor¬ ansicht
gewölbte Stirn gegenüber dem noch nicht Beachte die Zunahme des Gesichts¬
gestreckten Gesichtsschädel (Fehlen der schädels wie in a}-c)!
Zähne). g) Säuglingsschädel in Aufsicht
h) Schädel des 6jährigen in Aufsicht
Abb. 113 Kopf eines Kleinkindes.
i) Schädel des Erwachsenen in Aufsicht
Die Formen des Gesichtes sind weich und
Beachte die Lage der größten Schädel¬
sanft (flacher Nasensattel, breite Nasen¬
breiten (schwache Horizontallinie) im
flügel, volle Wangen). Das Zahnwachstum
Vergleich zur Halbierung zwischen Stirn
hat zu einer ersten Streckung des Lnter-
und Hinterkopf (starke Horizontallinie)!
gesichtes geführt.
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Augenachse =
Mitte der KL
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Sechsjähriger Erwachsener
Mitte des
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18 Jahre 24 Jahre
Form des jungen Mannes und der jungen Frau
Proportionen eines einjährigen Kindes |l 12, 113|: Die vorpuberalc Phase und die Sc huik indform (K n a ben 7 12 J a h re,
Körpergröße etwa 75 cm Mädchen 7-101/2 Jahre): Nach der kurzen Spanne eines Jahres
Kanon 4 Al j2 KL ist im 7. Lebensjahr der entscheidende Gestaltwandel abgeschlos¬
Rumpflänge i3/4 kl sen |115, 121|. Aus ihm ist die Schulkindform hervorgegangen
Beinlänge l3/4 kl mit einem dimensionalen Weiterbau (372 5 Jahre). Die Form-
Armlänge 174 KL cigenheit wird qualitativ nicht verändert (Kanon etwa 6 bis knapp
7 KL). Verhalten des Wachstums, Gewichtszunahme, erneute
Zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr nimmt das Kleinkind einen Füllung der Figur (früher nach Stratz zweite Füllung).
nie wiederkehrenden Liebreiz an, der sich zum Kleinkindtypus
ausformt |127|: Körperhöhe etwa 5-572 KL, also noch immer Proportionen eines siebenjährigen Kindes 1128|:
starke Kopfdominanz, rundlich-walzenförmiger Rumpf, geringe örpergröße bei 115-120 cm
Kurvung der Wirbelsäule, relativ kleine, rundliche und weiche anon 6-674 KL
Extremitäten mit geringer Gelenkbetonung, schmächtiger Hals, umpflänge rund 274 KL
gleiche Becken- und Schulterbreite, fehlende Taille, Scitcnkon- sinlängc 3 KL
turen parallel, Abschluß des Bauches nach unten mit Querfurchc rmlänge 272-274 KL
(Bauchlinie), wenig differenziertes Relief, reichliches Unterhaut¬ age des Nabels 21/2 KL (ab Scheitel)
fettgewebe und daher Falten und Grübchen an den Gelenken ige des Schambeins = Körpermitte
(z.T.nach dem Fi sc her-Lexikon «Anthropologie»).
12-15 Knaben 7 KL
Jugendstadium Erste puberalc Phase
IO,/2-131/2 Mädchen 7 KL
Jünglings- und
.1 ungmädchenform
15-17 Knaben l'U KL
Zweite pubcrale Phase
131 /2— 16 Mädchen 7-77, KL
ab 20 Vollkraft 8 KL
Abb. 118 Kinder etwa im 4.-5. Lebensjahr abgebaut, der Kanon von etwa 57a KL
Die rundlichen Formen sind bereits etwas deutet den Ausklang des Kleinkindalters an
Abb. 119 Kinder etwa um das 6. Lebens kindes weisen auf den Entwicklungs¬
jahr. abschnitt des ersten Gestaltwrandels als
Ihr Kanon von etwa 57i-6KL und die Übergangsform vom Klein- zum Schul
Abnahme der fülligen Formen des Klein kind.
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ca 125 cm
ca 95 cm
27« KL
Korpermitte
Körpermitte
37„ KL
10 Jahre 1
Korpermitte
8 KL
6 KL
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Jahren des Heranwachsens und Reifens ist für die künstlerische große Kopf stimmt überein mit der Länge und schwachen Glie-
las kindliche Erscheinungsbild eingegangen ist, das das 4. Le- dige Eingebettetsein wie in eine Ewigkeit hatte für die Künstler
ahr verkörpert |140|: Der Kanon umfaßt 5Ä/2 KL, Rumpf, des Barock gleichnishafte Form angenommen und so das sinn¬
-e und Arme messen 3, 2l/2 und knapp 2 KL. Diese Gesetz¬ liche Erscheinungsbild des Kleinkindes in Deckung mit ihrem
te»1 der Proportionierung, die für dieses Alter zutrifft, steht eigenen Lebensgefühl bringen können.
nklang mit den übrigen gestaltlichen Merkmalen, so das Die drei nachfolgenden Kunstwerke unterscheiden sich von der
Abb. 140 Anselm Feuerbach (1829-1880). Abb. 141 Gottfried Bammes (geb. 1920).
Kinderakt (1885), Kupferstich-Kabinett Dresden Mutter mit Kind, Rötel (1970)
Abb. 142 Adolf Hildebrand (1847 -1921). Abb. 143 Karl Albiker (1878 1961).
Trinkender Knabe (1870-72). Giulietta.
Die rundlichen Körperbaumerkmale und Die ranken schwingenden Formen sind die
der Kanon von 6V2 KL rücken die Gestalt altcrstypischcn Merkmale, die dem 7-Kopf-
ans Ende der vorpuberalen Phase und des Kanon und damit der ersten puberalen
10. Lebensjahres. Phase entsprechen.
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* ngeführten Bedingungen gehorcht auch der mcnsch- Infolge der hohen Gleitfähigkeit der Gelenke und unserer labilen
-• ' 1148| Seine Standfestigkeit kann vergrößert oder ver- Gleichgewichtslage verursacht schon die geringste Haltungsände¬
•• 'den (breit bei niges Stehen z. B. in Angriffsstel Jungen rung eines Körpergliedes die Stellungsveränderung der ganzen
' '^nd auf einer Fußspitze wie z. B. beim klassischen Figur (z. B. seitliches Abheben des Arms oder Rumpfneigung
Die Ausdruckswirkung beruht im ersten Falle darauf, nach der Seite). Das bedrohte Gleichgewicht muß durch Verschie¬
-hl des ruhend Gefestigten, der Bereitschaft, des Mu¬ bungen des Schwerpunktes gesichert werden |262,321, 323|. Eine
tzes, der Dicsseitsfrcudc, Lebensbejahung und Ent- Rumpfbeugung oder -neigung vor- und rückwärts erzwingt eine
: t erweckt, im zweiten Falle das der Leichtigkeit, des Schwerpunktverlagerung (im ersten Falle in Richtung auf den Ma¬
des Vorübergehens, Unbeständigen ausgelöst wird. gen mit kompensierenden Gleichgewichtsbewegungen; Rückzie¬
-c77 aufrechten Stand auf beiden Beinen ohne Fremdlast hen des Gesäßes, bis der Schwerpunkt in der Magenregion wieder
r echte Verlauf der Wirbelsäule in Vorder- und Rück- von der Unterstützung durch die Füße abgefangen wird).
in Seitenansicht (einschließlich ihrer doppelt S-för-
•tllll 'i^iung) und die rechtwinklig zum Rückgrat verlaufen-
~rt Horizontalachsen wie der Fuß-, Knie- und Hüftge-
Srustwarzen und der Schultergelenke.
Auf der Sachebene ergibt sich folgender Verhalt: Ein gut ausge¬
wogener Kontrapost verteilt die Körperlast eindeutig auf eine
144 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
Sohle (Standseite). Das locker herabhängende Bein (Spielbein) Stützung, damit verbunden besondere Schrägstellung des Stütz-
trägt nur noch seine eigene Last. Damit verringert sich die Unter¬ beins, Absinken des Beckens auf der Spielbeinseite, Herausdrük-
stützung um die Hälfte, um eine Sohlenbreite. Das Schwerelot ken des großen Rollhügels als charakteristischen Akzent auf der
würde damit außerhalb der Restunterstützung liegen. Wie kann Stützseite 1151a, b|; infolge der Distanzverringerung Becken - Bo¬
die Gleichgewichtslage gerettet werden? Nur durch Verschiebung den auf der Spielbeinseite notwendige Ausgleichshaltungen des
des Schwerpunkts über die Sohlenmitte des Stützfußes! Andern¬ Spielbeins (Anbeugen, seitliches, hinteres oder vorderes Aufset-
falls würden wir umkippen. Man trete wie in Abbildung |150a| zen).
mit der Hüfte an eine Wand und hebe das der Wand abgekehrte Am Oberkörper zeichnen sich folgende Veränderungen ab: Zu¬
Bein ab: Unweigerliches Fallen, weil wir nicht mit der Hüfte zum nächst Mitneigung des untersten Wirbelsäulenabschnittes in Rich¬
Zwecke der Schwerpunktverschiebung ausweichen können (150b], tung auf die Spielbeinseite, dann Rückkrümmung der Wirbelsäule
nach der Standbeinseite zum Zwecke der leichteren Gleichge¬
wichtshaltung (151c|; andernfalls würde der Oberkörper stark
3.2.2. Die gesetzmäßige typische Veränderung schräg verlaufen, Lage der Halsgrube über der Sohlenmitte; ana¬
Die Schwerpunktverschiebung im Kontrapost erfaßt die ganze |151d|. Der Kopf wird am günstigsten in Vertikalhaltung balan¬
Figur mit entscheidender Umprägung ihres Formcharakters: ciert. Daher leichte Abbiegung der Halswirbelsäule nach der Spiel¬
Beckcnverlagerung um eine halbe Sohlenbreite über die Restübcr- beinseite. Auf der entlasteten Seite fließen die Linien locker, ge-
Bauchflanke, die sich gedehnt hat, und klingen - ohne die Hüfte
heftig zu betonen - im lose aufgesetzten Fuß aus. Wie gegensätz¬ 1. Die Verringerung der Unterstützung im Kontrapost zwing: 4m
lich hierzu die belastete Seite! Brustkorb und Becken stauen sich Körper, den Schwerpunkt über die Restunterstützung zu «dJ
in der Taille, von hier aus weites Ausholen der Linie über den schieben. S
Darmbeinschaufelakzent bis zum großen Rollhügel als Höhe¬ 2. Dadurch steht das Standbein schief. ■
punkt. Er ist das Kernstück der Funktion und des rhythmisch¬ 3. Mangels Unterstützung sinkt das Becken nach der Spielbr»
dynamischen Geschehens. Hier unterbaut die strenge Straffheit seite ab. ■
der Beinsäule die Körperlast, und auch der Fuß bekundet in 4. Die Distanzverringerung Becken - Boden muß das Spielt*
breiter Gespanntheit das ihm auferlegte Gewicht. in variablen Haltungen ausgleichen. Sein Knie steht tiefer m
das des Standbeins.
5. Zum Zwecke der Gleichgewichtshaltung wird die Wirbelst jm
zwischen Becken und Schultergürtel zur C-Form gekrüm*
konkav offen nach der Standbeinseite. I
6. Die mühelose Trageweise des Kopfs erfordert eine GegerJ
Schwingung in der Halswirbelsäule. I
7. Brustwarzen- und Schultergürtelachsen fallen nach der StamU
beinseite ab und verlaufen entgegengesetzt zur Beckenneigungl
146 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
•'cin-Standbeinstellung,
eicher Höhe.
iftseite springt infolge der
'Schiebung besonders hervor
>• gestrafft und als stützende
'teilt. Das Spielbein muß
unterstützten abgcsunke-
Distanzverringerung zum
ier Spielbeinhaltung.
:.r öeckendistanz zum
em Falle eine kompen
Spielbeins erforder-
' oblagen des Beines.
Eine einseitig getragene Last prägt den kontrapostischen Form¬ Unter Ausdrucksbewegungen wollen wir hier solche Bewegungrr
charakter noch stärker aus. Fremdlast und körpereigener Schwer¬ verstehen, die im wesentlichen eine seelische Verfassung bekun¬
punkt bilden einen neuen, gemeinsamen Massenmittelpunkt [154, den. Wir hatten bereits früher betont, daß ein Stehen, Sitzen odrr
155J. Er weicht von der alten Schwerelinie in Richtung auf die Liegen niemals nur als rein funktionell mechanische Vorgänge za
Belastungsseite ab. Der Oberkörper biegt entgegengesetzt der Last verstehen sind, sondern in ihnen und durch* sie auch gleichzeiüg
kompensierend ab und verschärft damit den großen Rollhügel eine Stimmungslage ausgedrückt wird. Das gilt natürlich auch fir
als Akzent. Vorzugsweise trägt man die Last auf der Standbein¬ allc jene Bewegungen, die nicht ausgesprochen zweckgebunden i
seite, weil das Gewicht dadurch unmittelbarer unterstützt wird. sind wie die zielgerichteten Orts- und Arbeitsbewegungen, sod-
Die Wirbelsäule neigt sich zwar auch in die Schräghaltung, darf dem die einfach in der Mitbewegung des Körpers und der Glied
jedoch aus Gründen der Gleichgewichtshaltung nicht wie beim maßen die Stimmung bekunden. Wir wissen, daß Freude die Mo¬
unbelasteten Kontrapost wieder im oberen Abschnitt zurückge¬ torik steigert, Niedergeschlagenheit sie vermindert und Schreci
bogen werden. Dadurch treten auch keine so ausdrucksvollen sie lähmt. Selbstverständlich enthalten auch die Orts- und Ar-
Stauungen zwischen Becken und Brustkorb auf. beitsbewegungen stets wichtige Komponenten des Ausdrucks
Denn abgesehen vom Tempo spielen ja auch die Miterregunger
der Gliedmaßen als Begleitung des Ausdrucks eine wichtige Rolk
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
Schreiten kann hart, kantig, eckig, zackig oder geschmeidig, zweckhaften Tuns, nötig aber als eine Form möglicher mensch¬
3end, aufrecht, müde, schlaff, lahm usf. erfolgen. Gleiches gilt licher Selbstdarstellung - kann nur von vollendet beherrschter
h von der Bewegungs</«tf//7ä7 der Arbeitsverrichtungen. Die Muskulatur bewältigt werden, wobei das Erreichen dieses Zieles
nt unmittelbar zweckgebundenen Ausdrucksbewegungen mit unter dem Vorzeichen der Lebenshaltung und Disziplin, des Le¬
Jtung des Gleichgewichtes oder ihre Überhöhungen, die über bensgefühles und der Lebensgestaltung steht.
Maß des erforderlichen Effekts hinausgehen und damit Gültigkeit hat die Feststellung freilich nicht nur im Hinblick auf
n Überschuß an innervatorischer Mitspannung enthalten, die Ausdrucksbewegungen mit Erhaltung des Gleichgewichtes,
en somit der Pantomimik nahe. Derartige Steigerungen er- sondern eben auch auf jene schon erwähnten, die mit Ortsver¬
n wir in den Gestaltungsmitteln insbesondere des künstleri- änderungen oder mit dem zweckhaften Tun der Arbeit verbun¬
Tanzes, so des Standes auf den Zehenspitzen als eines zweck - den sind.
Balanceaktes mit minimaler Unterstützung, so auch im Akt
\rabesque |156], währenddem sich der ganze Körper samt
Becken - ebenfalls zweckfrei - um den Hüftgelenkkopf des
Abb. 156 Schwierige Gleichgewichts¬
-eins nach vorn neigt. Oberkörper und Arme auf der einen haltung auf einem Bein im Arabesque des
der Waagehaltung und das emporgehobene auswärts ro- klassischen Tanzes.
Die Vorneigung des Oberkörpers muß durch
Spielbein» auf der Gegenseite halten einander annähernd
Erheben eines unbelasteten Beines kompen¬
eichgewicht. Der Schwerpunkt ruht über der Sohle. Eine siert werden. Das Becken ist in die Vor¬
wierige Gleichgewichtshaltung - unnötig im Sinne eines neigung voll einbezogen.
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
\bb. 158 Sitzhaltung auf dem Boden mit
_ngezogenen Knien.
•as leicht nach hinten abgekippte Becken
.ranlaßt die Lendenwirbelsäule, ihre in
ehender Ruhehaltung existierende
rdose aufzuheben und kompensierend
eine leichte Kyphose umzuwandeln.
.mit wird der ganze Rücken gerundet,
achte, daß während einer solchen Sitz-
itung die Knie in gleicher Höhe mit dem
>; hultergürtel stehen!
’iT
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
um sie in den künstlerischen Ausdruck zu integrieren, und er sie worfenes festgefügtes Ganzes. Frei von Last gliedert sich der linke
mit ganzer Ausschließlichkeit vielen anderen möglichen Ein¬ Oberschenkel durch die Falte der Schenkelbeuge aus der Hüft-
druckswerten vorzieht. Da die Ruhehaltungen an die in den vori¬ region aus. Der zurückgesetzte Fuß kann nicht vollkommen er¬
gen Abschnitten behandelten Gesetzmäßigkeiten gebunden sind, schwert den Boden berühren, da der Schwerpunkt nur mäßig nach
wird hier nicht die Frage gestellt, ob der Künstler sie befolgt, son¬ der anderen Seite verlegt wurde.
dern wie er Feinfühligkeit und Wissen einsetzt, um mit ihrer Hilfe Signorellis Lastträger zeugen dafür, welche Bereicherung die Fi¬
ein Höchstmaß künstlerischer Aussageabsicht zu realisieren. Der gur in Aktion erfahren hat durch die Erkenntnisse der Künstler¬
Leser wird verstehen, daß eine Auswahl von Werken bildender anatomie |161). Wie anders hätte sonst das feste Stehen unter ir¬
Kunst auch zu diesem unübersehbaren Motivkreis nicht frei von disch schwerer Last auf derart irdisch-menschliche Weise ausge¬
Zwang sein kann. Erst die Zeit um Polyklet entwickelte die wech¬ drückt werden können! So wuchtig drückt das Gewicht auf die
selreiche kontrapostische Figur, die in äußere Gelassenheit eine Wirbelsäule, daß sie in scharfem Knick aus dem Schrägverlauf
innere kleidete; das Maß körperlicher und seelischer Ausgewogen¬ des Brustkorbabschnitts in die Gegenbewegung des Lendenstiels
heit beherrscht auch den Speerträger. Halb schreitet der stämmige umbricht. Tief ist auf der Spielbeinseite das Becken abgesunken;
Heros, ohne Hast, ohne Erregung, halb verhält er ausschauend. dieser aus der Waage geratene Unterbau und Halt muß von der
Daß er in leichter Bewegung begriffen, unterliegt keinem Zweifel, Wirbelsäulenhaltung kompensiert werden. Das alles preßt den
>onst wäre der Schwerpunkt eindeutig über eine Lastsohle ver¬ Rollhügel bedrohlich kantig nach außen; das Standbein biegt
schoben worden. So mäßigte der Künstler auch den Akzent des durch wie ein unter seiner Last wippender Träger und fängt im
■beschwerten Rollhügels, das Standbein ist ein der Funktion unter¬ Gegenschwung die gesteigerte Schräge des Rückgratverlaufes ab.
\bb. 163 Gottfried Bammes (geh. 1920). Abb. 164 Colin Saxton. Stehender weib¬
iädchen, Hemd überstreifend (1970), licher Akt (1977), schwarze Kreide.
Rötel. Gegen die scharfkantigen Ausladungen von
;e Hüftbelastung und die damit verbun¬ Becken und Hüfte kontrastiert das Ver¬
den räumlichen Bewegungen des Körpers halten der schmiegsamen Weichteilformen
nd zentrales Motiv. des Bauches.
g?r
154 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
-.2 zueinander. Will aber der Künstler über das Gesamt- Kontrapost haben wir in den voranstehenden Beispielen immer
: nen hinaus noch die plastisch-funktionellen Ereignisse und mit herausgelesen: Die Gelassenheit des inneren Befindens, die
lensweisen der Weichteilformen in der Frontalansicht mit Grundstimmung der Ruhe ifnd Gelöstheit. Hingegen läßt die
rt kommen lassen, dann muß sich auch der Aufwand an weite, wuchtige um Standfestigkeit bemühte Beinstellung sofort
.n unumgänglich erhöhen. auch die veränderte seelische Verfassung erkennen: den Willen,
nenden Mädchenakt |166| verwebt Fritz Cremer die schwere seinen Stand zu festigen. Widerstand zu bieten gegen ein Wanken
vseiblicher Formen mit der Zurückhaltung jugendlicher und Weichen, allen Anfechtungen zu trotzen, aus verstärkter
Nicht mit voller Entschiedenheit der selbstgcnügsamen Standfestigkeit heraus zu heftigen Aktionen bereit zu sein. Auch
hingegeben, schwanken die Körpermassen ein wenig. Zwar wenn der Weibliche Torso Wera Muchinas sich über die Fort¬
iie Schwerclinie in die Stützsohle, doch lagert der Schwer- setzung der Gebärde ausschweigt, so steht in Anbetracht der er¬
*: nicht weit von ihrem inneren Rande. Also folgt auch das hobenen Arme, der Drehung des Oberkörpers und eben des kraft¬
^in einem senkrechten Verlauf, hält die nicht völlig ver- vollen breiten Beinstandes eine dramatische Geste außer Frage
e Schwere den Rollhügel mäßig zurück, besänftigt sich auch |165|.
:ndbeinseitige Kontur. So entschwert die stille Haltung den In nie versiegender Erfindungsgabe hat Michelangelo das Sitzen
. ren Leib, bleibt er mädchenhaft. Es zeigt, wie der feinfühlige der Figur heroisiert |167|. Welch ungeheure Erregung in der Sitz¬
u von gesetzmäßigen Sachverhalten in die Inhalt-Form-Ein- haltung des Soldatenaktes aus der Cascani-Schlacht! Überrascht
megriert ist. vom Gegner während des Badens, mühen sich die nassen nackten
psychische Äquivalent zu den funktionellen Vorgängen im Leiber verzweifelt, in ihre Bekleidung zu fahren. Ein Krieger, mit
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
Abb. 169 Edgar Degas (1834—1917).
Frau bei der Toilette (1885), Pastell,
Ermitage Leningrad.
Die straffe Rückgratfurche als Trägerin der
freien Sitzhaltung über steilem Becken ist
nicht nur Achse des Körpers, sondern hier
sogar Achse des Bildes.
3.5.1. Die Phasen des Schritts
3.5. Der Schritt
Ausgangsstellung: Verteilung des Gleichgewichts so, daß Ohrön-
nung, Schulter-, Hüft-, Knie- und Sprunggelenk von einer
Stehend sind wir bestrebt, die Gelenke mit Muskeln festzustellen rechten getroffen werden (geringste Muskelbeanspruchung
mit dem Ziel, das Gleichgewicht zu sichern. Beim Schritt |170| Stehen); Schwerelinie in Höhe beider Sprunggelenke zwischen
beabsichtigen wir Ortsveränderung. Dynamische Muskelkräfte Füßen |170a|.
gewinnen daher die Oberhand. Wie günstig, daß unser Körper¬ Bereitschaftsstellung: Vorlage des Körpergewichts (militärische
gleichgewicht labil ist. Nur geringste Kontraktion der Muskeln Haltung), Schwerelot in Nähe der Kippkante (Zchenballen).
vor der Querachse des Sprunggclcnks ist nötig, um den Schwer¬ Spannung der Muskeln auf der Beinrückscitc und am Rück
punkt nach vorn über die Unterstützung der Zehenballen zu be¬ (Haltung des Gleichgewichts) |170b|.
wegen und den Fall auszulösen. Nur das rechtzeitig vorgeschwun¬ Vorziehen des Körpers, Schwerpunkt vor den Zehenballen de*
gene Bein fangt uns mit neuer Stütze auf. So ergibt sich: Ab¬ Stützfußes, Vorpendeln des Schwungbeins mit angebeugtem Knie.
drücken vom Boden - Schwung eines frei pendelnden Beins, ein¬ Zehenspitze leicht angehoben |170c|.
seitige Unterstützung des Körpers auf der anderen Seite Auf¬ Abdrücken vom Boden, über den Großzehenballen des Stützfuße'
setzen des Schwungbeins (dadurch Doppclstütz) - dann Stütz¬ beginnende Streckung des Schwungbeins, Ferse gesenkt und be
wechsel usf. Einseitige und doppelte Unterstützung wechseln dabei reit für die Landung |170d|.
miteinander ab. Doppelstütz durch Landung des Schwungbeins, das auf der Ferse
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
7t Starkes Abheben der Ferse des alten Stützbeins. Schwer- Schrittvariationen: Die Schrittgeschwindigkeit wird von der Vor¬
• näher bei diesem Bein |170e]. lage des Oberkörpers beeinflußt, der ein rasches Fallen bewirkt
n über die Sohle des neuen Stützbeins. Schwerpunkt etwa 1171). Weit Vorgesetzte Beine wirken dem Fall entgegen (Barlach
' Mitte der Doppel Unterstützung |170f]. «Mann im Sturm»). Die psychologische Wirkung des Vorwärts¬
’iger Stütz mit gestrecktem Bein. Flieh- und Muskelkraft drängens ist immer mit dieser Naturgesetzmäßigkeit gekoppelt.
das Schwerelot nahe an den Stützfuß. Gewinkeltes Ab- Geringe Schrittlänge und zurückgelegter Oberkörper erzeugen
- des Schwungbeins vom Boden [170g|. den Eindruck des Zauderns, der Unschlüssigkeit.
r Stütz mit gestrecktem Bein und gebeugt vorpendelndem
--gbein, Schwerpunkt in Höhe des Fußgewölbes I170h|.
^hase in Rückansicht mit den Merkmalen eines unausge- 3.5.2. Der fruchtbare Moment
m Kontraposts, Schwerelinie leicht außerhalb des Stütz-
iroi|. Da es bei der künstlerischen Darstellung einer Figur in Bewegung
■ Doppelstütz mit großer Unterstützungsfläche, abgeho- keinesfalls jederzeit möglich ist. aus dem Ablauf eines dynami¬
erse des alten Stützbeins und aufgesetzter Ferse des neuen schen, also eines mit Ortsveränderungcn verbundenen Vorgan¬
ges eine beliebige Augenblicksbeobachtung zu fixieren, ist hier
Bewegung gleicht Pendeln, die die Gleichgew'ichtshaltung der Ort, dazu einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen (171).
'r-crs während des Schritts unterstützen. Jeweils werden Überdies liegen hierzu sehr alte künstlerisch ästhetische Anschau¬
vr Seite Arm und Bein entgegengesetzt bewegt. ungen bereits vor, mit denen sich die Antike und vor allem die
160 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
sch labilen Momente, wo eine Figur infolge der Schwer-
« jge vor dem Stützbein zum Fall verurteilt ist, ein z. B. für 3.6. Der Lauf
-ndmalerei oder Großplastik unerträglicher Zustand an-
Jen Stürzens. Der fruchtbare Moment gipfelt in jener Phase
und seine Einzelphasen
- egungsablaufs, der mit statischer Stabilität vereinbar ist.
Vomcnt ist damit Dauer verliehen, die Figur vermag in Er unterscheidet sich vom Schritt dadurch, daß niemals zwei Füße
Teilung zu verweilen (Schwerelinie in einem Fuß oder zwi- zu gleicher Zeit den Boden berühren, sondern zwischen dem Ab¬
-.em vor- und rückgesetzten Fuß) |170e-h|. Außerdem ent- stoß (Schubmoment) des einen Beins und dem Landen (Stütz¬
' fruchtbare Moment den Abschluß und Neubeginn einer moment) des anderen ein Augenblick freien Schwebens entsteht.
-ng (mag das eine Stützbein im Begriff sein, den Boden Der Lauf ist eine sprungartige Fortbewegung |171, 172).
>en. das andere, ihn zu erreichen). So vereinigt der frucht¬ Im Bereich der Körperkultur und des Sportes |182-184| wird die
ment außer der Gegenwart noch die Andeutungen der Zweckhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit der Laufbewegung in na¬
-enheit und Zukunft eines Geschehens und bezieht damit türlicher Weise mit weiteren zweckgebundenen Bewegungen an¬
erdenken und die Phantasiekräfte des Beschauers mit- gereichert, für deren Wirksamwerden der Lauf bessere Voraus¬
* sch ein, für die Wirkungsintensität des Kunstwerks von setzungen schafft (z. B. bei vielen Wurfbewegungen), öderer wird-
Bedeutung. wie z. B. in der künstlerischen Gymnastik - aufs vielfältigste
•ui für die Wahl des Moments der Bewegung bleibt die durchsetzt und verschönt mit nichtzweckgebundenen Bewegun¬
-vr Aussage. gen als gesteigerter Ausdruck der Freude und positiver Lebcns-
der Laufbewegung,
"»efindet sich in der
Vorbereitung zur Lan-
: geschwungenen Beines,
' - >tößt mit dem rechten
>r?hase ab.
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
3.6. Der Lauf und seine Einzclphasen
gefiihle. Es handelt sich hier um Ausdrucksbewegungen. «Die er¬ punktlage zwischen Füßen und aufstützenden Händen |I“
höhte Bewegungsbereitschaft der freudigen Stimmung greift nicht Unmittelbar vor dem Abschnellen richtet sich das Gesäß auf *
nur in den Bewegungsablauf ein, sondern führt nicht selten zu Verlegung des Schwerpunkts zwischen die stützenden Hände 11
selbständigen spielerischen Bewegungen, die sachlich unbegründet Bei Freigabe des Starts Abstoß der Beine, Lösen der Hände
sind. ... Im Extrem kommt es zu einem Springen, Tanzen, Jubi¬ Boden. Die Falltcndenz nach vorn ist sehr groß, da der
lieren. Die Arme, die nichts zu tun haben, können ins Leere punkt weit vor der Unterstützung liegt |173c|.
schwingen. Der Sport im Sinne des Spiels erfüllt die freudige Be¬ Strecken des abstoßenden Beins, Durchziehen des angel
wegungsbereitschaft.»13 Für beide Formen, der zweck vollen Orts¬ Schwungbeins, stärkeres Aufrichten des Oberkörpers.
veränderung oder der menschlichen Selbstdarstellung im künst¬ Volle Streckung des Stemmbeins, stark gebeugtes Durcl
lerisch gestalteten Lauf, bleibt sein Grundsätzliches im Abstoß - des Schwungbeins |173c|.
Schweben - Landen gültig. Stärkeres Aufrichten des Oberkörpers mit Abstoß zum Sch
Schwungbein vor der Schwerelinie |174a|.
Schwebephase: Einsetzende Streckung des vorderen Sch
Die Einzelphasen beins [174b|.
Vorbereitung auf die Landung des vorderen Schwungbeins
Sinn des Starts ist, die Beingelenke zu beugen und die Wirbel¬ leichte Streckung, Aufsetzen mit der Zehenspitze |174c|.
säule zu krümmen, um beim Abstoß sich ruckartig zu strecken
und damit das Vorschnellen des Körpers zu bewirken, Schwer¬ 13 Karl Leonhard, Der menschliche Ausdruck, Leipzig 1968, S. I
g##®t§
SBMi Fallbewegung wird von dem vorgefu
Schwungbein abgefangen werden. At
Einsatz der Arme als Schwungpendel
•A'w Bestandteil der reinen, technisch au:
ten Zwcckhandlung.
Die Aufnahme vom Mittelstreckler AJ
Juantoreno 1976 entspricht der Phase
Abbildung 177
164 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
des hinteren Schwungbeins mit starker Beugung. Schwer-
nahe dem vorderen Bein |174d|. Einseitiger Stütz durch
' emmbein. Durchziehen des Schwungbeins in starker Beu-
Schwerelot in Höhe des Fußes, Abdrücken des Stemmbeins
xien, Vorführen des Schwungbeins, Schwerpunkt wieder
:m Stützbein |174e|. Ausgreifen des Schwungbeins nach
• xirücken des Stemmbeins durch Streckung als Vorberei-
_ jr die Schwebephase.
■vulter- und Armbewegung ist intensiv. Am weitesten zu-
_ ' uhrt ist der Ellenbogen, wenn das gleichseitige Bein vom
. r>etzt wird.
166 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
eichgewichtshaltung in der
j« klassischen Tanzes.
er:sehe Tanz zählt zu den
r- Formen der Ausdrucks-
^en und bildet hier in der Kon-
Jer Gliedmaßcnhaltung den
' eines Bewegungsablaufes. Seine
- -dationsspanne wirkt sich als
' Balanceakt aus.
:er Palucca-Schule Dresden
ucca-Schule Dresden
168 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
3.7. Die veraroeitung
von Gesetzmäßigkeiten
der Ortsbewegungen
Abb. 186 Luca Cambiaso (1527 in Kunstwerken
bis 1585). Kreuztragung, Rötel,
Kupferstich-Kabinett Dresden.
Alle Darstellungen von Schritt¬
bewegungen enthalten sich hier Eine Laufbewegung kann vom Modell nicht gestellt w<
einer momentanen wirklichen Fall¬ Atelier wird daraus nur eine Scheinbewegung, etwa
bewegung.
das Modell auf einem gebeugten Stützbein steht, den Ober**
Abb. 187 Ferdinand Hodler etwas vorlegt und das Schwungbein nach hinten anhebt- 1
(1853-1918). Auszug der Jenenser auf diese Weise längere Zeit auszuhalten vermag, ist da> *
Studenten 1813 (Wandbild 1908
bis 1909), Universität Jena. nur statisch, aber nicht dynamisch - eine Scheinbewegunx
Die Lage des Schwerpunktes bei so hilft nur konzentrierteste und intuitive Beobachtung mit
wcitgeslelltem Doppclstütz ist auf auf dem Sportplatz, vor allem, um das Fluidum mit einzufi
dem «toten Punkt» gelandet, die
Sch ritt Stellung nur noch eine Als Beispiel für das Wesen der «gestellten» Bewegung, der Sd
monumentale Geste. bewegung, mag Luca Cambiasos Kreuztragung dienen |l!Ni
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
* Soldaten ist ein einziges Stocken und Stagnieren, am ist, um durch Vorlage des Schwerpunktes den «toten Punkt» über¬
-<icn an der Anführer spitze, und es zeigt sich, daß mit Fü- winden zu können |187|. Das weit nach vorn gefällte Bein ist viel
. wie» im Schritt gestellt sind, keineswegs der Vorwärts- zu tief gebeugt, als daß ohne ungeheure gymnastische Mühen die
üggeriert werden kann, solange die Schwerpunktlage nicht Körperlast darüber hinweggedrückt und das hintere Bein nach¬
n Beziehung zu den unterstützenden Füßen gesetzt und gezogen werden könnte. Eine zügige Marschbewegung wird voll¬
e der Kippkante, d.h. für ein Vorwärts nach vorn ver- kommen ausgeschlossen, weil die günstigste Schwingungsfrequenz
rd. Auf diesen Sachverhalt hat Cesari bei seinen Zwei des Bcinpendels in Relation zur Schrittlänge aufgehoben ist. Ge¬
' len Männern Wert gelegt |188|. Nicht nur die größere wiß, Hodler liebt die Exaltation, auch im Aulabild zu Jena. Aber:
der improvisierenden zeichnerischen Erfindung, die we- Das große Pathos entspringt einem großen Anlaß. Die studen¬
Gewander oder die flüchtig aufgesetzten Füße verhelfen tische Jugend zieht aus, um das Vaterland vom Tyrannen zu be¬
-Miruck der Fortbewegung, obwohl doch beide Beine sich freien. Und das ist kein Alltagsgang. Wenn der Schritt nach vom
pelstütz befinden, sondern die vordrängenden Oberkör- auch die Illusion wirklicher Bewegung nicht erzeugt - so enthält
^hwerpunktvorlage, sind die entscheidenden Komponen- er doch die Bereitschaft zur Tat. Objektive und künstlerische
• eiligen Schrittes. Wahrheit sind eben nicht immer identisch!
sachliche dynamische Analyse des Aufbruchs der Jenen- In ähnlicher Bedeutung des Außergewöhnlichen verstehen wir
men 1813 von Hodler würde ergeben: Die friesartig an- Cremers Rufer vom Buchenwalddenkmal, auch hier ein macht¬
. e Marschkolonne im oberen Bildteil kann sich um keinen voller Schritt nach vom |I89|. Mutig und entschlossen tut er den
on der Stelle bewegen, weil die Schrittlänge viel zu groß ersten Schritt seinen Mitkämpfern voran, Aufruf und Trotz zu-
* jiuseppe Cesari
- Zwei schreitende
\ upferstichkabinett
tranz des Pathetischen erlischt. mit weicher Zähigkeit setzen sich die Muskeln gegen die scharf¬
Das ist auch die innere und äußere Haltung der Gefesselten Ak¬ kantigen Akzente der Gelenke ab. Wippend berührt der feinge¬
tion von Maillol |105). Eine heroische Frauengestalt bäumt sich wölbte Läuferfuß mit den Zehenballen den Boden. Der Kopf ist
gegen ihre Knebelung auf. Der Ruck, mit dem sie die Bande zer¬ in den Nacken geworfen, Ausdruck verbissenen Kampfes. Von
reißen wird, ist wohl vorbereitet. Sicher stehen heißt handeln kön¬ hier schwingt der Formzusammenhang in großem C-Bogen mit
nen. Noch verschränkt die Fessel ihre Arme hinter dem Rücken, starker Schrägvorlage über Halsgrube, Brustbein, Bauchlinie und
noch will der rückgeworfene Blick den Sitz des Knotens erha¬ Nabel bis zum Schambein, wo er vom rückgeführten Beinpendei
schen. Schon spannt sich prall der athletische Leib geballte aufgenommen und bis in den Fuß fortgesetzt wird. Ein ebenso
Kraft vor ihrer Entladung. Fest in den Boden stemmen sich die klares Wissen um die Leistung der antreibenden Muskelkräfte
massigen Beine. Ein machtvolles Weib, das kein Flankcnstoß wer¬ wie das rasche treffsichere Erfassen des hochnervösen Geschehens
fen kann. Zu breit hat es in räumlicher Diagonale vom Boden lassen den Atem des Beschauers stocken. In der Leidenschaft des
Besitz ergriffen, und so von Grund auf gesichert, kann das schwere Ausdrucks läuft der unsichtbare Verfolger mit. Schnelligkeit und
Werk der Befreiung losbrechen. Flüchtigkeit der Bewegung eindringlich auszudrücken, hat wohi
172 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
n ein Graphiker so meisterlich verstanden wie Slevogt \192\.
• 'önte Bewegungsvorstellung auch die Lithos zu LederStrumpf! 3.8. Arbeitsbewegungen
rr Hast des Laufs erhascht die Rothaut einen Dolch am Bo-
A eit herabgerissen der Oberkörper eben im Augenblick des
gehobenen Beins, die Linke greift im Flug die Klinge. Der Arbeitsbewegungen sind zweckhafte Bewegungen mit dem Ziel,
Strecker eine massige Feder, der allein alles hält; locker die handelnd menschliche Umwelt zu prägen. An dieser Stelle können
- ation des schwingenden Oberschenkels, Gespanntheit des wir nur einige gesetzmäßige Grundlagen von Grundhantierungen
.-es, Absinken der lastfreien Seite. Und das Ganze in einer vermitteln. Sie können niemals eingetauscht werden gegen die
nalen, die den Beschauer mit hineinreißt in die Bewcgungs- lebendige Anschauung. Ein Lehrbuch kann nur Grundsätzliches
-ng - Suggestion eigenen Mitlaufens, klären.
e die Abbildungskonfrontation einer Plastik mit Illustra-
- soll bewußt machen, wie sehr die einzelnen Kunstgattun-
' : dem Gewicht ihrer Spezifik über die Möglichkeit der 3.8.1. Heben - Halten - Nicdcrlassen
Leitung der Gesetzmäßigkeiten der Ortsbewegungen ent- einer tiefgelegenen Last
r : en.
Hier soll es sich vor allem um das Kippen oder Wälzen handeln,
das in Einzelphasen aufgelöst wird:
Dichtes Herantreten der Füße an die Last, breitbeiniges Stehen;
3.8. Arbeitsbewegungen
Griff nach dem Gewicht möglichst weit entfernt von seinem
Schwerpunkt. Beim Anheben (Ankippen) strecken sich die Bein¬
gelenke und die Wirbelsäule, um die Armarbeit zu unterstützen;
Schultergelenke fast lotrecht über dem Faßpunkt der Hände
|194a, b)
Weiterkippen und Aufrichten durch fortschreitende Streckung der
Beine, dadurch Wegbewegung des Lastschwerpunkts von der /
Standfläche der Füße, Körperschwerpunkt vor den Zehenballen.
Abflachung der Wirbelsäulenkrümmung. Schulter- und Faßpunkt
der Hände vor der Schwerelinie des Körpers |194c|.
Halten der Last: Gestreckte Beinsäule. Körper dicht am Gegen¬
stand. Schwerelot in der Ferse des gestreckten Beins. Gesäß und
Bein nach hinten lastausgleichend verschoben. Faßpunkt der
Hände körpemah |194d|. /
Niederlassen: Gewichtsausglcich durch Rückziehen des Gesäßes x
(wie bei einer Rumpfbeuge vorwärts). Schwerpunkt in Magen¬
gegend, Schwerelot im unterstützenden Fuß. Ein Fuß zurückge¬
setzt, um einem Überfallen nach hinten vorzubeugen |194e|.
174 3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
3.8. Arbeitsbewegungen 175
3.8.2. Stemmen - Halten - Niedcrlassen
einer hochgelegenen Last
Stemmen: Der ganze Körper wird erfaßt und stellt vom zurück-
gesetzten Bein hinauf bis zu den zupackenden Händen einen
durchgängigen Bewegungszusammenhang dar. Vergrößerung der
Standfestigkeit durch diagonal aufgesetzte Füße. Ein Bein im Aus¬
fallschritt nach vorn, um gegebenenfalls die Last zu übernehmen
und weiter vorwärts-aufwärts zu drücken. Hinteres Bein vermittelt
den Schub (Stemmbein). Schwerpunkt etwa in Höhe des Sprung¬
gelenks des vorderen Fußes |193a|.
Halten: Ganzer Körper auf großer Unterstützung, Sohlen beider
Füße aufgesetzt. Schwerelot in der Mitte der Unterstützung! 193b).
Niederlassen: Körper dicht unter der Last. Das zurückgestellte
Bein trägt die Last, Schwerelot in dessen Zehenballen. Vorderer
Fuß hebt vom Boden ab, um das andere Bein bei weiterem Zu¬
rückweichen des Körpers unter der Last abzulösen |193c|.
Sowohl bei Rück- wie Vorlage des Oberkörpers befindet sich die
Schwerelinie außerhalb der Unterstützung, im ersten Fall hinter
der Ferse des eingestemmten Beins, im zweiten davor. Je schwerer
die Last, desto größer die Schräglage, um die Falltendenz des
Körpers für das Ziehen mit zu nützen. Das Stemmbein steht in
Zugrichtung, der Oberkörper setzt diese möglichst ohne Knik-
kung fort. Das freie Bein pendelt vor oder beim Rückwärtsziehen
zurück, um den Körper aufzufangen, wenn die Last nachgibt.
Schweres Lastziehen nimmt auch die Schulter zu Hilfe. In einen
Gurt gespannt, mühen wir uns, den Oberkörper möglichst in
horizontale Gegenrichtung zum Lastwiderstand zu bringen. Sol¬
cherweise verleihen wir den am Gegenstand angreifenden eigenen
Kräften das Übergewicht |195a, b).
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
’• 197 Horizontales Rückwärtsziehen.
*.:aft des gestreckten Stemmbeines wird
Beugern des Kniegelenks auf die
« - naltung und von hier auf Rumpf
^e übertragen, die Rücklage des
Punktes von dem rückpendelnden
* -bedangen.
mmmm.
3.8. Arbeitsbewegungen
verständlich kann auch eine realistisch künstlerische Gestaltung^
3.9. Die Verarbeitung weise nicht an der Verarbeitung von Sachgrundlagen der Arbeit»’
und Ausdrucksbewegungen vorübergehen. Denn auch sie besct<
von Sachgrundlagen
ren wichtige Eindruckserlebnisse, deren Roh- und Ausgangs*»"
der Arbeits- und terialien der Künstler in künstlerische Form umarbeitet.
Ausdrucksbewegungen Wenn wir hier exemplarisch künstlerische Werke von Arber.-
bewegungen in Gemeinschaft mit Ausdrucksbewegungen (siebe
in Kunstwerken
Abschnitt 3.2.4.) anführen, so eben deshalb, weil die künstlerische
Meisterung der einen oder der anderen Bewegungsform keme
scharfe Scheidung ziehen kann. Denn das künstlerische Erlebr b
In den Abschnitten 3.2.4. (Ausdrucksbewegungen mit Erhaltung schaut in den Vorgängen zugleich sowohl die Gesetzmäßigke^
des Gleichgewichts), 3.3. (Das Sitzen und die Sitzhaltungen) und ihres Ablaufes als auch die Qualität, mit der das menschliche
3.6. (Der Lauf und seine Einzelphasen) war immer wieder das Gegenüber am Prozeß teilhat, ja ihn sogar bestimmt.
Hereinspielen seelischer Ausdruckskomponenten in die Grund¬ Wohl als eines der schönsten Zeugnisse musikalischer Beschwwr.
tatsachen von Statik und Dynamik hervorgehoben worden, und heit kann Georg Kolbes Tänzerin angesehen werden |199|. Gabz
zwar in dem Sinne, daß die statischen und dynamischen Gesetz¬ dem Kreiseln hingegeben, in sich ruhend, leicht und aufrecht s
mäßigkeiten durch seelische Momente wohl bereichert, modifi¬ Spiralwendungen, ist sie aller Pose fern. Nicht ein einziges Glio£
ziert, aber niemals außer Kraft gesetzt werden können, und selbst¬ erhebt sich zu vorlauter mechanischer Funktion. Und doch gerät
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
cs in feinstgestimmte Bewegung. Das Wiegen der Arme im guren statuarisch mögliche Kulminationspunkte ihrer Bewegung
eichgewicht, ihr gemessenes Wägen im Ausholen zum Schwung, von gegenseitig sich ergänzender und herausfordernder Wirkung
flüchtiger Erhebung tragen die Fersen den Körper empor, das geschaffen. Die vorderste Figur^ setzt zum Einstich des Spatens
rpergewicht lüftend in gelöster Umdrehung über den Zehen, an. Die breitbeinige Stellung mit Vorlage des Körpers und das
J die Füße werden dem vorauseilenden Kopf und der Flieh- gleichzeitige Schieben und Drücken des Stemmbeines nach vom
-tft der Arme nachfolgen. machen den Anschluß des Körpers an die Diagonale des Spatens
> Slevogt einmal einer Aufführung der großen russischen Tän- erforderlich. Er gibt gleichzeitig die Richtung der Kraft an, bis
n Anna Pawlowa beiwohnte, füllte er ein ganzes Skizzenbuch sie im nachgebenden Widerstand der Erde abklingen wird,
Bewegungsstudien. Hinreißend knapp im Wesentlichen des um - wie in der hinteren gebückten Figur - sich zu erneuen und
: sehen oder dynamischen Moments setzt er den Tänzer hin die Last der Scholle zu werfen und zu wenden. Dann wird der
Leichtfüßig federt er über den Boden, schnellt auf die Fuß- Mann sich emporrichten, wieder einstechen, mit dem Nachgeben
/e und steht auf einem Minimum von Unterstützung. Auch des Bodens nach vom sinken. Der Wechsel volle Rhythmus eines
gilt es, das Gleichgewicht des seitlich-vorwärts geneigten Kör- ganzen Arbeitskreislaufes wird von zwei entscheidenden Momen¬
mit dem seitlich-rückwärtscrhobenen Bein zu sichern (vgl. ten in zwei Figuren gefaßt.
’ u Abb. 157). ln beiden Fällen ist die Suche nach dem frucht- Der scharf umreißende Kontur des Mannes mit Schubkarre |202|
Moment ein bedeutender Gestaltungsbestandteil. sagt sofort, worauf der Künstler hinaus will: auf die Vorlage des
Die Grabenden Millets (201] lassen diese Absicht erkennen, Körpers und seines rückwärtigen Schubbeines - insgesamt ein
Tian glaubt, der Künstler habe im Nebeneinander beider Fi¬ rechtwinkliges, auf der kürzeren Kathede ruhendes Dreieck von
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3.9. Die Verarbeitung von Sachgrundlagen der Arbeits- und Ausdrucksbewegungen in Kunstwerken 179
drängender Bewegungsrichtung. Die glaubhaft schwere Last ist > •
3. Die statischen und dynamischen Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen
\bb. 205 Raffaelo Santi (1483-1520).
mpf nackter Männer. Feder und braune
->che, 27,5 cm x 42cm, Ashmolean Mu-
1%
c-m Oxford.
> Hauptthema der Bewegung sind unter-
v • cd liehe Intcnsitätsgrade vom Widerstand
enden Entgegen stemmen bis zum krafl-
en Rückwärtsziehen.
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3.9. Die Verarbeitung von Sachgrundlagcn der Arbeits- und Ausdrucksbewegungen in Kunstwerken
4 Die plastischen Bausteine
des Körpers
damit längere oder kürzere Hebelarme für die Betätigung
lenke zur Verfügung zu stellen. Der weitaus häufigste Z
Schluß von Knochen erfolgt in Gestalt der Gelenke. H ier
infolge besonders hoher Belastung konstruktiv
Weichteilen gewähren sie außer ihrer Aufhängung
Schutz (Himkapsel, Brustkorb, Becken). Der Rückenmait *
ist für das Rückenmark ein bewegliches Schutzrohr.
Zweiachsige
Gelenkformen
2a Ellipsoidgelenk
Beispiel: Handgelenk
Dreiachsige
Gelenkformen
Beispiel:
Hüftgelenk
• ..geigelenk
zweiköpfiger Muskel
Beispiel: Bizeps des Armes doppelt gefiederter Muskel
Beispiel: langer Beuger der großen Zehe
ringförmiger Muskel
Beispiel: Ringmuskel des Mundes
spindelförmiger Muskel
Beispiel: gerader Kopf des Unterschenkelstreckers
Kopfwender Zungenbeinmuskeln
gerader Bauchmuskel
äußerer schräger Bauchmuskel
Kammuskel
langer Anzieher
Zwillingsmuskel
der Wade
Die Haut (Cutis) ist ein dehnfähiges Hüllorgan, das direkten Linien: Sic graben seichte langgestreckte Furchen ein und **!
Schutz gegen mechanische Beschädigungen, gegen chemische und stellenweise die sekundären Geschlechtsmerkmale I r. -i
bakterielle Einflüsse bietet, das sich daran beteiligt, den Wasscr- tung für die künstlerische Erfassung ist sehr groß.
und Wärmehaushalt des Körpers zu regulieren und als Sinnes¬ Die Symmetrielinie des ganzen Körpers wird an vieler S ri:
organ (Tastempfindungen) zu fungieren. Sie ist auf ihrer Unter¬ der Haut nachgezeichnet. Sie beginnt an der Nasen* arrri
lage, der großen Körperfaszie, im allgemeinen stark verschiebbar, läuft über die Kinnspitze und das Brustbein, erlangt an de" •
mit Ausnahme einiger festerer Anheftpunkte auf der Knochen¬ Linie des geraden Bauchmuskels bei Mann und Frau d*
unterlage (z. B. Lendengrübchen) oder an Stellen erhöhter Bean¬ einer deutlichen Vertikalrichtung und endet am Scharrer •
spruchung (Hohlhand- und Sohlenfläche). Zwischen Haut und der Rückenseite reicht sie vom Hinterhaupt über die Der
Faszie fügt sich eine mehr oder minder dicke Zwischen- oder sätzc der Wirbelsäule bis zum Kreuzbein. Besonders arr
Bindeschicht, das Unterhaut-Bindegewebe. weiblichen Körper legen sich über den geraden Bauchms
der Nähe des Schambeins Querlinien, die obere und unter:
mondförmige Bauchlinie |136|. Die untere setzt den Sc"^.ti
4.4.1. Besondere 1 lautbildungen |213| von der Rauchwand charakteristisch ab. Die Schenkelbt-ur
Den Körper des Kleinkindes und den der Frau bedeckt ein fülli¬
- 4.2. Das Fett ges Unterhaut-Fettgewcbe. Deshalb ähneln sie einander in der
Weichheit und Rundung ihrer Formen. Beim Manne aber, dessen
•Vas im vorhergehenden Abschnitt über die Besonderheiten der Körper auf einen größeren Verbrennungsprozeß eingestellt ist,
laut und ihre Bildungen ausgeführt wurde, hängt aufs engste mit bleibt die Stärke des allgemein subkutanen Gewebes dürftiger.
em Fett als plastischem Baustein zusammen. Schlaffheit oder Seine Dünnhäutigkeit zeichnet Muskeln und Skelett als scharfes
allheit der Haut, weiche Polsterungen, eingesunkene Grübchen Profil nach. Neben der Fettanhäufung, die beiden Geschlechtern
der gerundete Körperformen werden vielfach vom Fett und der gemeinsam ist, besitzt der weibliche Körper besondere Fcttpol-
äußere Serien*
Beugefahe
Kniekehlenfett innere Seite***.
Weichenwulst
untere Bäuchling
rk
Leistenlmie 11
(Leistenschnitt} ^
Schenkelbeuq^sii
Abb. 215 Das Verhalten der Brüste im muskel verursacht ihre weitere Abflachung
Liegen bei einer Oberarmhaltung in Kopf- und den Anstieg der Brustwarzen nach oben
nähe. (vergleiche die Entfernung zwischen Brust¬
Die enge Haftung der Bindegewebszüge der warze und Kinn an der oberen und unteren
Brüste auf dem gedehnten großen Brust¬ Abbildung).
7 aul Rubens
‘urfszeichnung
:-icht. Sturz der
"-chnitt), schwarze
; graue Wasser-
-nit Pinsel und
-".fern,
. ~ London.
* fr Aufgeschwol-
•«frs den Leibern
- 'digkeit durch
-äßigerVer-
• "rer. sich stauen-
Haut- und
ebendige
allerknappester Weise hier und da von ein paar schmiegsamen läßt |225].
4.5. Die Verarbeitung der plastischen Formbildner des Körpers in Kunstwerken 197
Die untere Extremität 5.1. Allgemeines
über die hintere Extremität
des Tieres und die untere Extremität
des Menschen
5.2. Die Konstruktion des menschlichen Beinskeletts und die Anordnung der Gelenke
lenk. Daraus ergibt sich, daß die Mechanik des Beines im Hüft¬ Proportionen hat. Es ist ein in sich spiralig verwrungener Stab von
gelenk mit seinen universaleren Bewegungsmöglichkeiten eingc- der Konstruktion eines gotischen Strebepfeilers (Überführung der
leitet wird und mit eingeschränkter Bewegung endet. Und das alles Beckenlast in die Vertikale). In der Seitenansicht zeigt es eine
unter dem großen Gesichtspunkt hoher Sicherheit der Bewegungs¬ sanfte S-förmige Schwingung. Sein rumpfnahes Ende wird be¬
führung: «denn also beschränkt war je das Vollkommene mög¬ krönt vom kugelartigen Hüftgelenkkopf, der sich von dem schwä¬
lich» (Goethe). cheren Gelenkhals absetzt. Dieser leitet bogig in den Schaft über
An der Übergangsstelle erheben sich zwei wichtige Zapfen (Be¬
festigungsstelle für Hüftmuskeln), der große und kleine Rollhügel
5.3. Das Kniegelenk (Trochanter major et minor). Das rumpfferne Ende verbreitert
sich zu einem mächtigen Gelenkkörper von trapezoidem Grund¬
(Articulatio genus) riß. Der Gelenkkörper wird in seiner Hauptmasse von zwei Ge¬
lenk rollen gebildet, die ein Zwischenraum trennt.
5.3.1. Allgemeines über das Oberschenkel- und das Schienbein Das Schienbein ist von langgestreckter keilförmiger Gestalt, sein
Schaft von dreieckigem Querschnitt. Das rumpfnahe Ende lädt
Das Kniegelenk entsteht aus der beweglichen Vereinigung des wie ein Säulenkopf über dem Schaft aus und stellt als Schienbein-
Oberschenkelbeins (Femur) und des Schienbeins (Tibia) |228|. kapitcll die Ablauffläche für die Oberschenkelrollen dar. Vorder¬
Erstcres ist der längste Knochen unseres Körpers, dessen Längen¬ seitig, etwa zwrci Fingerbreiten unterhalb des Gclenkspalts, er¬
wachstum weitgehenden Einfluß auf Gesamtkörpergröße und hebt sich der Schienbeinstachel (Tuberositas tibiae) als Befestr-
Abb. 227 Die Konstruktion des mensch¬ a) Vorder- und Rückansicht (c). Im b) Seitenansicht. Alle drei Querachsen des
konisch zugcspilztcn Gesamtverlauf Beins lassen die vorwiegend dynamischen
lichen Beins.
Ausgezogene rote Linie = Tragelinie, nach unten offenbaren sich vorwiegend Funktionen erkennen, wobei alle Achsen
gestrichelte Linie = Schaftachse des die Stützfunktionen. lotrecht übereinander stehen.
Oberschenkels
Schwerpunkt
Quer
des H
Querachse Hüftgelenks
des Hüftgelenks botlodiaphysen-
wrikel 120°-130°
Que'
Querachse des *
des Kniegelenks
Kniebasis Km
Kniebasis
Querachse
Querachse des obere«“
des oberen Sprunggelenks Sprun
Crista intertrochanterica
— Schaft Schaft _
Leiste Leiste
Planum popliteum
innerer Knorren
innerer Knorren
äußerer Knorren äußerer Knorren
äußere innere
Oberschenkelrolle Oberschenkelrolle Oberschenkelrolle
hintere Schienbeinfläche
Schienbein Zwischenknochen
kante
Vertiefung
für das Wadenbein
"d Unterschenkelknochen Obere Reihe: Das Oberschenkelbein in Untere Reihe: Das Schien- und Wadenbein
■' chten. Vorder-, Seiten- und Rückansicht in Vorder-, Seiten- und Rückansicht
Vorderansicht
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v haftes in Richtung Sprunggelenk erfährt hier eine mäßige Ver¬ (Fossa intercondylica) ein und hilft die Bewegung sichern. Kreuz¬
eiterung und wird zapfenartig ausgezogen (innerer Knöchel = bänder (im Rollenzwischenraum) und ein inneres und äußeres
•lallcolus tibiae). Schienbeinstachel und innerer Knöchel werden Seitenband fügen das Gelenk zusammen. Letztere erschlaffen w äh¬
irch die flach S-förmig geschwungene rnuskelfreie Schienbein- rend der Beugung und geben damit das Knie zur Kreiselung frei
• inte verbunden. Die innere Schienbein fläche wrird nur von Haut (lnnen-AußemotaUon des Unterschenkels). Der Mangel an Kon¬
■xrzogen (weitere Einzelheiten und Bezeichnungen müssen aus gruenz der Gelenkkörper wird von einem paarigen, sichelförmi¬
jr Abbildung |228| ersehen werden; das Wadenbein erwähnen gen FaseTknoYpd (Meniscus) \on ke\\f orangem Quer&hn\U ver¬
r im Zusammenhang mit dem Bau des Sprunggelenks). mindert.
.ntcrbricht die Beinsäule fast genau in der Hälfte und erleich- seiner Einlagerung \w die Sejme des Kniestreckers dessen Zug¬
durch Beugung Bodenhindemisse zu überwinden, den Schwer- wirkung sicher über die Stirnfläche (Vorbau) des gebeugten Knies
s i der Unterstützung zu nähern, zu sitzen, zu knien, zu hocken hinwegzuleitcn. Zu diesem Zwecke schmiegt sich ihre unterseitige
durch Streckung die gleichsinnigen Funktionen im Hüft- und Facette in die Führungsnut des Oberschenkels ein. Die Knie¬
ggclenk für den Abstoß und Sprung zu unterstützen. Die scheibe steht durch das gerade Kniescheibenband (Verlängerungs-
- ng verkürzt das Beinpcndel, so daß sich damit seine Schwin- sehnc des Kniestreckers) mit dem Schienbeinstachel in Verbin¬
' requenz (Lauf) vergrößert und ein Schleifen auf dem Boden dung. Diese überträgt die Streckung auf das Schienbein.
.nd des Schritts vermieden wird. Die unvollkommene Kongruenz der Gelenkkörper hat bei einer
Beugung zur Folge, daß der Gelenkraum sich zur Höhle öffnet
(daher die Gefährdung beim Sport!) |237a, b|. Diese wird von
Bestandteile, Aufbau und konstruktive Form |229| einem Fettpolster (Corpus adiposum infrapatellarc) ausgefüllt
|238|, das unter dem geraden Kniescheibenband und unterhalb
Leistung geht die konstruktive Form hervor, an deren der Kniescheibe im Stehen, besonders bei Frauen, hervorquillt,
.^hiedene Bestandteile mitwirken, jedoch im Anbeugen in den Gelenkinnenraum gesogen wird (da¬
her scharf betonte Kniescheibe) |246|. Schickt sich das Knie an,
gen Oberschenkelrollen betätigen sich gemeinsam als sich zu strecken, dann schieben die Gelenkrollcn das Fettpolster
e Walze mit einer quer zur Beuge-Streck-Ebene verlau- (Kapsclfett) vor sich her, wodurch dieses die Kapsel vor einem
ehse. Der Rolle wird ein «Vorbau» vorgelagert, der im Einklemmen bewahrt.
and die Berührungsfläche der Gelenkkörper vergrößert Die Abbildung |229| zeigt eine Entwicklungsreihe von den elemen¬
. -zeitig eine leicht genutete Glcitflächc der Kniescheibe taren Konstruktionsbestandteilcn und -formen bis zur Differen¬
ellaris) darstellt. «Vorbau» und Rolle gehen, zur Spirale zierung. Sie enthält das funktionell und konstruktiv Wesentliche
ineinander über. durch Vereinfachung, um den so unerläßlichen Erwerb des Vor-
stellungsbesitzcs zu erleichtern. Das Knie ist ein Schwerpunkt des
nkapitell bietet beiden Oberschcnkclrollen ein flach¬ Sachstudiums und muß allseitig verstanden werden.
er Gleit- und Laufflächen an, die durch eine flach-
ehung (Eminentia intercondylica) voneinander ge-
5.3.4. Mechanik und plastische Veränderungen
Abb. 230 Die mechanischen Vorgänge Abb. 231 Skelett des Kniegelenks in Form¬ e) Gebeugtes linkes Knie in perspektivischer
während der Kniebeugung und das Ver¬ zusammenhängen und in Funktion. Ansicht
halten des Bandapparates. a) Beugungsgrade: Aktiv durch beincigenc 0 Angebeugtes rechtes Knie mit Band¬
a) Streckung Muskelkraft apparat und Kapselfctt
b) Beginnendes Abrollen mit erschlaffenden Passiv durch Mithilfe einer Last, Nutzung g) Starke Beugung
Scitenbändern der Körperlast z. B. in der Hocke h) Beugung mit Rotation (halb von
c) Drehrollen bei rechtwinkliger Beugung b) Gestrecktes Knie in Rückansicht mit hinten)
d) Drehen um die eigene Achse mit er¬ seinen Formzusammenhängen i) Angebeugtes linkes Knie mit Aufsicht
schlafften Seitenbändem und einem c) Gestrecktes linkes Knie in Vorder¬ k) Angebeugtes rechtes Knie in Unter¬
gespannten Kreuzband ansicht mit seinen Formzusammen¬ ansicht, halb von vorn und innen, mit
Die Öffnung des Gelcnkspaltes zu einer hängen Bandapparat und Kapselfett
großen Höhle ist auf die Inkongruenz der d) Angebeugtes linkes Knie in Frontal¬ l) Kniescheibe in verschiedenen Grund¬
Gelenkkörper zurückzufuhren. ansicht mit seinen Formzusammenhängen ansichten
n|f
Gclcnkrollen und münden über in die Breite des keilförmigen Zusammenfassung:
Schienbeins. In 3 und 3' tritt das statisch Fixierte unverhüllt wie¬
der zutage. Die Punkte 1-2-3-4 und 12-3-4' korrelieren unter¬ 1. Die einzelnen Abschnitte der unteren Extremität des Menscm
einander und sind das Symbol für die statisch erforderlichen Mo¬ entsprechen der hinteren Extremität des Tieres mit Beckin.
mente. Da Gelenke aber auch hohen dynamischen Anforderun¬ Oberschenkel, Unterschenkel (Schienbein, Wadenbein) w*
gen ausgesetzt sind, kann es nicht bei den schmalen Breiten be¬ Fuß (Fußwurzel, Mittelfuß und Zehen).
wenden: Das Knie lädt schwingend ab 2 und 2' bis zu 3 und 3' 2. Die menschliche untere Extremität unterscheidet sich vom Hn-
zu enormer Breite aus. Vom statischen Prinzip aus werden die terbein des Tieres in folgenden wichtigen Merkmalen:
zusätzlich ausladenden Formen als Nebenformen verstanden, die a) Das Becken ist Stütze und Schutzbehälter für die \en tm
wieder auf jene bestimmenden Stärken zurückgenommen wer¬ orientierte Last des Stamms und bildet deshalb raumfassaerr
den, die sich aus der Druckübertragung ergeben. Welche Rich¬ Schalen aus, die gleichzeitig Ursprungsort zahlreicher V
tungen und Stärken einen Zusammenhang ergeben, veranschau¬ kein sind, welche die aufrechte Haltung ermöglichen.
lichen sinngemäß die übrigen Abbildungen dieser Tafel. Wie groß b) Ober- und Unterschenkel vereinigen sich im Knie zu ewa
die Beteiligung des Knicskcletts am Aufbau der lebendigen pla¬ völlig gestreckten Beinsäule.
stischen Erscheinung ist, wollen die Abbildungen an dieser Stelle c) Das Bein ist ein langes Pendel von großer Schrittlänge.
schon zu verstehen geben [232 234|. d) Der Fuß berührt mit ganzer Sohle den Boden. Seine Autgj
Last aufzunehmen und abzustoßen, löst er in der Konstruk¬
tion eines elastischen Gewölbes.
ppp
Abb. 241 Die Anordnung .der Achsen des Oberschenkel- und Kniemuskeln greifen Abb. 242 Vierköpfiger Strecker des Knie¬
Hüft- und Kniegelenks und die Lage¬ funktionell ineinander, ihre Lagebeziehung gelenks in plastischer und Faden verlaufs-
beziehung einiger Hüft- und Kniemuskeln zueinander macht ihre Funktion voraus¬ darstellung.
(halbschematisch) zu ihnen. schaubar. Die Faden Verlaufsdarstellung gibt Ur¬
sprungs- und Ansatzfelder deutlich frei.
ir
mittlerer Gesäßmuskel,
hintere Portion
mittlerer Gesäßmuskel,
vordere Portion
Tiefenachse
Querachse
großer Gesäßmuskel
Längsachse
gerader
Quadrizeps,
Kopf
gerader Kopf
minierer
innerer Kopf
Kopf
mittlerer
Kopf i
Querachse
Streckung Quadrizeps
rachsc
Beugung Zweiköpfiger Beuger des Knies (M. biceps femoris)
Halbsehnigcr Muskel (M. semitendinosus)
Halbhäutiger Muskel (M. semimembranosus)
Kletter- oder Schneidermuskel (M. sartorius)
Knickchlenmuskel (M. popliteus)Q
243 Sirecker und Beuger des Knie- Abb. 244 Der Quadrizeps in Funktion
i - in Seitenansicht (plastische und
- • ?r!aufsdarstellung)
hintere Portion
vordere Portion
rOS,
* 2pf
r zeps,
Kopf
Quadrizeps, mittlerer Kopf
vordere Portion
des mittleren
Gesäßmuskels
hintere Portion
des mittleren
Gesäßmuskels
mittlerer Gesäßmuskel
großer Gesäßmuskel
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halbhäutiger Muskel
Faserzug —^
der Schenkelbinde A
Bizeps
halbsehniger Muskel —
halbhäutiger Muskel —
äußerer Oberschenkelknorren
Bizeps
Fettpolster
Zwillingsmuskel
Schienbein kapitell —
Wadenbeinköpfchen
Schollenmuskel —L
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Verstärkungszug der Schenkelbinde
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Bizeps _
Kniescheibe
Fettpolster
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vorderer Schienbeinmuskel
langer gemeinschaftlicher Zehenstrecker
langer Wadenbeinmuskel
Zwillingsmuskel.
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Das Becken ist eine sehr komplizierte räumliche Form, die siche¬
rer Vorstellungsbesitz werden muß [255]. Es gehört zu den drei
großen knöchernen Räumen mit eigner Richtung seines Volu¬
mens, trägt somit auf seiner fünfeckigen Grundrißforhi auch die
entscheidenden räumlichen Richtungen der äußeren Weichteil¬
formen, verbindet das Rumpf- mit dem Gliedmaßenskelett, nimmt
den Eingeweidezylinder auf und dient als Bewegungszentrum vie¬
len Muskeln als Ursprung und Ansatz. Seine feste Ringkonstruk¬
tion widersteht hoher Beanspruchung; es gleicht einem Trichter,
dessen obere Öffnung vom großen Becken erweitert wird und nach
unten als engeres Rohrstück in Gestalt des kleinen Beckens fort¬
gesetzt wird. An seiner spezifisch räumlichen Form bauen drei
gerader Kopf
des Quadrizeps
innerer Kopf
des Quadrizeps
Faserzug
der Schenkelfaszie
Kletter- oder
Schneidermuskel
schlanker Muskel
halbhäutiger Muskel
halbsehniger Muskel
Kniescheibe
Fettpolster
gerades Kniescheibenband
Zwillingsmuskel
und bilden den Schambeinbogen (Arcus pubis). Der Sitzbeinhöcker nischer Schlußstein des Gewölbes ist das Kreuzbein.
(Os ischii) ist der tiefste Punkt des Beckens, auf dem wir sitzen. Die Geschlechtsunterschiede drücken sich in der Geräumigkeit
Alle drei Abschnitte des Hüftbeins verschmelzen an zentraler des Beckens aus. Das Becken der Frau muß den kindlichen Kör-
mittlere Darmbetnlefze
Darmbeinkamm
Vorgebirge
__ Darmbeinschaufel
innere Darmbeinlefze
Kreuzbein
Huftgelenkpfanne
Schambeinkamm
Schambeinhockerchen
Sitzbein Schambein
fuge
unterer Schambeinast
Sitzbein höcker
Schambeinbogen
äußere Darmbeinlefze
hinterer oberer
Darmbeinstachel
mittlere
Kreuzbemlefze
hinterer unterer
Darmbeinstachel
äußere Kreuzbeinleiste
Öffnung des Kreuzbeinkanals
Kreuzbein
L Huftgelenkpfanne
Sitzbeinstachel
-verstopftes Loch
Sitzbeinhöcker
Schambeinbogen
{ vorderer
I-oberer —
Darmbeinstach
ohrformige -
rrer oberer
Gelenkfläche
- nstachel
für das Kreuzbein
_vorderer unterer
Darmbeinstachel
. “terer Pfannenlippe Linea terminalis
:*achel
halbmondförmige
Kreuzbein Gelenkfläche oberer Schambeinast
Huftgelenkpfanne
mit Fossa y Sitzbeinstachel
Sitzbein¬ acetabuli
stachel
verstopftes
Loch
unterer Schambeinast
Sitzbeinhöcker
mm
Kammuskel
kurzer Anzieher
langer Anzieher
schlanker Muskel
großer Anzieher
1 CI CI IdC 1 lau
Anziehen Großer Gesäßmuskel, unterer Teil
(Adduktion) Gruppe der Reitermuskeln (Anzichergruppe):
Schlanker Muskel (M. gracilis)Q
Kammuskel (M. pectineus)0
Langer Anzieher (M. adductor longus):
Kurzer Anzieher (M. adductor brevi$)(
Großer Anzieher (M. adductor magnus)(~
-*
Einwärtsdrehen Mittlerer (und kleiner) Gesäßmuskel, vordere Portion (M. glutaeus medius und minimus)
(Innenrotation) Großer Anzieher (M. adductor magnus)
ngsachse
Auswärtsdrehen Mittlerer (und kleiner) Gesäßmuskel, hintere Portion (M.glutaeus medius und minimus)
(Außenrotation) Großer Gesäßmuskel
9 Bimerrförmiger Muskel (M. piriformis) 0
Innerer Hüftlochmuskcl (M.obturalor internus)0
Äußerer Hültlochmuskel (M. obturator externus)
Viereckiger Schenkelmuskel (M. quadratus femoris) ; )
Zwillingsmuskeln (Mm. gemelli) +
Darmbein-Lcndcnmuskel (M. iliopsoas)( )
Würfelbein
Mittelgliedreihe der Zehen
wadenbeinseitige Gelenkfläche Rolle des Sprungbeins
schienbeinseitige Gelenkflache
Gelenkfläche
Kopf
des Sprungbeins
_Kahnbein
I
Basis
der Mittelfußknochen
Mittelfußknochen I
Köpfchen
Endglied
wadenbeinseitige
Gelenkfläche
Sprungbeinstutze
hintere Gelenkflache
mittlere Gelenkfläche
hintere Gelenkfläche
vordere Gelenkflache
würfelbeinseitige
_Fersenbein _
Fersenhöcker
Langsachse
des Huftgelenkkopfes
Tragelinie
oder
gerades
Kmesch
Zwillingsmuskel
vorderer
Schienbewr-■ jm* »
Zwill.
langer
Wadenbeinmuskel
langer
gemeinschaftlicher
Zehenstrecker
langer
gemeinsctxar-w
Zehenbeu9«r
innere Sc
kurzer Zehenstrecker
fußrücken seitiger
Zwischenknochenmuskel
Bizeps, abgesetzt
Kniescheibe
Bizeps,abgesetzt
Kletter- oder
Meniskus Kniekehlenmuskel
Schneidermuskel
Wadenbeinköpfchen
Kniekehlen
muskel
vorderer Schienbeinmuskel
langer gemeinschaftlicher
Zehenstrecker
K/Vr
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langer Wadenbeinmuskel Zwillings¬
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Schollenmuskel
i-J-langer Strecker
i • der großen Zehe
L-kurzer Wadenbeinmuskel langer Wadenbeinmuskel
langer
gemeinschaftlicher
Zehenbeuger
dritter Wadenbeinmuskel
kurzer Wadenbeinmuskel
vorderer Schienbeinmuskel
langer
kurzer Strecker
der großen Zehe
5.9.6. Unterschenkel und Fuß in äußerer Erscheinung, dritte^
Abz»
Der herabhängende Fuß verhält sich anders als der auf der Spitze Gegens?««r
der klwir
oder mit ganzer Sohle aufgesetzte (289a, d|. Der vollhelastete Fuß
fußrudera
ist breit (Herausquetschen des Sohlenpolsters nach innen und Zwiscr*r*
außen). Der Fersenballen drückt sich auf der Innenseite stärker
heraus als außenseitig. Die Fersenrückseite steht steiler als im
Hängen oder Spitzenstand (leichte Auswärtskantung) (288a, b|.
Die Sohlcnmuskcln, die das Fußgewölbe verklammern helfen,
bringen die Zehen in leichte Bcugcstellung (typisch!). Das Ge¬
wölbe flacht ein wenig ab. Im Spitzenstand ruht das Körperge¬
wicht auf den Ballen des Mittelfußendes, nicht auf den Zehen Abb. 287 Muskeln und Bänder des Fußes
(Rückenseite).
|289b, c|. Die gewaltige Kraft der Wadenmuskeln kantet die Ferse
Der Fuß selbst wird nur von kurzen
etwas einwärts und verstärkt das Fußgewölbe. Die Zehen winkeln Muskeln besetzt, die Unterschenkel¬
ab und geraten passiv in Streckstellung. Entsprechend der größe¬ muskeln erreichen ihn durch lange Sehnen
(Entlastung der Körperperipherie).
ren biologischen Bedeutung der Senker der Fußspitze (Plantar¬
flexoren) gegenüber den Hebern (Dorsalextensoren) und der Ein¬
wärtskanter (Supinatoren) gegenüber den Auswärtskantern (Pro¬
natoren) unterscheiden sie sich in ihren Kräfteverhältnissen. Dar¬
aus ergibt sich zum Beispiel für den locker herabhängenden Fuß,
daß die Ruhespannung der Supinatoren und der Plantarflexoren
den Fuß innenseitig leicht hochziehen und die Fußspitze mäßig
senken.
Auch am Lebenden ergibt die Zusammenschau der tiefstgelegenen
Punkte («Einkerbungen») eine Folge von Zusammenhängen (289,
290,296|. Verbinden wir sie untereinander zu Korrelationsketten,
so setzen sie sich - je nach Funktion und Stellung der Gliedmaßen¬
abschnitte-untereinander fort |290g i|. Sie sind zugleich die «Ab¬
steckungen» für die peripheren Verjüngungen eines Gliedmaßen¬
abschnittes und «Grenzwächter» der Belastbarkeit. Sie melden
uns, daß ein gedankenloses zeichnerisches Einschneiden in diese
durch Tiefpunkte abgesteckten Formen jenen Formzusammen-
langer Wadenbeinmuskel
Schollenmuskel
Querband des Unterschenkels
dritter Wadenbeinmuskel
Kreuzband des Fußes (unterer Schenkel abgeset2t)
innere Schienbeinflache
gemeinschaftlicher
langer gemeinschaftlicher Zehenstrecker
Zehenbeuger
_langer Strecker der großen Zehe
hinterer Schienbemmuskel
Kreuzband des Fußes
hinterer Schienbemmuskel
...erachse
-'eres
'runggelenk) Senken der Zwillingsmuskel (M. gastroenemius)
Fußspitze Schollenmuskel (M. soleus)
(Plantarflcxion) Langer Beuger der großen Zehe (M. flexor hallucis longusK J
Langer gemeinschaftlicher Zehenbeuger (M. flexor digitorum longus)0
Hinterer Schienbeinmuskel (M.tibialis posterior)Q
Langer Wadenbeinmuskel (M. fibularis longus)
Kurzer Wadenbcinmuskel (M. fibularis brevis) Q
".eres
.negelenk) Senken des Langer Wadenbeinmuskel (M. fibularis longus)
äußeren Fu߬ Kurzer Wadenbeinmuskel (M. fibularis brevis)Q
randes Langer gemeinschaftlicher Zehenstrecker (M.extensor digitorum longus)0
(Pronation) Dritter Wadenbeinmuskel (M. fibularis tertius)Q
e> wie z. B. am Schienbein entblößt sein können. fährt ihm selbst durch den äußeren Quadrizepskopf, während er
Verständnis des Konstruktiven ist Teilverständnis vom Gan- auf die Knochentiefe vordringt. Der Muskelfächer. gebildet vom
denn Konstruktion ist nichts Isoliertes, sondern stets inte¬ Spanner der Schenkelbinde und dem mittleren Gesäßmuskel (Ab¬
ger Bestandteil eines Ganzen. Ein architektonischer Aufbau - zieher), folgt - mit seiner Spitze am Rollhügel der Rundung
nn das Blatt von Bartolomeo zeigt - setzt immer das Halt- der Darmbeinschaufel nach vorn und hinten. Dieses Volumen hat
de voraus. Und erst auf dieser Grundlage der statischen Fak- dreieckige Gestalt mit gewölbter Oberfläche |298b, c, 299b|.
Seginnt das sinnvolle rhythmische Wechselspiel der weichen Die Gesamtmasse des Oberschenkels - erzeugt vom Quadrizeps
cn: erst auf dieser Basis wird die Korrelation der Tiefpunkte und den Kniebeugern - besitzt eine größere Tiefen- als Queraus¬
■mander zur objektiv nachweisbaren Tatsache, um von die- dehnung (vgl. analog hierzu den Oberarm), weil sich die Muskel-
te aus den Formzusammenhang zu erschließen |298, 299|. gruppen entsprechend der Querachse vor- und hintereinander
den Wechsel der Spannungen zwischen der Gerüstkonstante schichten |297|. So füllen sie einen ellipsoidcn Querschnitt mit
er Weichformenvariabilität, ohne ihre gegenseitige Induk- Tiefenausdehnung auf. Daran hat der Quadrizeps den entschei¬
• ann die Formensprachc nicht artikulieren, bleibt sie ein mü¬ denden Anteil. Er bepackt die Vorderfront und Seite mit einem
ßten, wird sie spannungsarm und büßt wesentliche Gestai- diagonal verlaufenden Volumen |295a|, weil der gerade Quadri¬
. -momente ein. zepskopf ja weit seitlich von der Mittelebcne des Beckens, der
-vrste Festkante des Beins ist die gewölbte Darmbeinschau- äußere unmittelbar unter dem großen Rollhügel entspringen und
'"bildung |290g|, Ziffer 1), der große Rollhügel der weitest der innere Kopf erst tief unten mit Wulstung am inneren Knie¬
: ende Hebelarm für jene Muskeln um die Darmbeinschaufel, scheibenrand ansetzt (298a, b|. Damit aber wäre noch kein Schen¬
affen zwischen beiden Festpunkten eine Brücke (Ziffer 1-2), kelschluß möglich. Hierfür erlangt die Anzichergruppc Geltung,
.t weitere Konvexitäten möglich sind. Vom Rollhügcl ab- die als großes plastisches Dreieck die Obcrschenkelinnenseite aus¬
- icgt die Richtung auf das Knie um. Es folgt eine Kette von füllt (294, 295|. Reitermuskeln und Quadrizepsvolumen zusam¬
Tiefpunkten von Ziffer 2-9. Erst am Knie tritt die Ver- mengenommen erzeugen eine sehr ausgedehnte Flächenausbrei¬
g mit dem Hebelarm Rollhügel wieder offen zutage. Auf tung der Oberschenkelinnenseite. Eine eigentliche Vorderlront
Nchenstreckc laden die Quadrizepsmassen aus, so viel sie bildet nur der gerade Quadrizeps, und dieser verläuft als diagonale
buchten aber nicht beliebig tief ein, im äußersten Falle bis Höhe mit zunehmender Entfernung vom Knie immer mehr nach
:-fe der Verbindung zwischen Rollhügel und Knicwürfel. oben außen.
Körper (von trapezoidem Grundriß) hält sich nahezu frei Auf die Unterlegenheit des Beugervolumens und seine Überschnei¬
' jskelmassc. Er wird zur strammen Zwischenform, bevor dungen mit den übrigen Muskeln und mit der Kniearchitektur
crschenkelkonus seine Masse entfaltet (295a, 298a, b, c|. wurde hingewiesen. Das Unterschenkelvolumen ist ein Konus, des¬
- schwimmen die Muskelpolster des Ober- und des Unter- sen größte Weite über die Wade mißt |295, 297, 298|. Aber die
. ;s ineinander. Stets bauen sie sich auf der Korrelations- Anordnung der Muskeln und ihre Bedeutung für die Achsen ha¬
s le z. B. in Abbildung |290g| 1-9 oder Abbildung |296a| ben den Kegel unsymmetrisch verdrückt. Die Hauptkräfte, Zwil¬
: 1 -9' oder b und c) auf und werden von der straffen lings- und Schollenmuskel, erfassen das Fersenbein, die Dorsal¬
Knies auseinandcrgehalten. In die Spange der beiden extensoren - nicht sehr kräftig - füllen die vordere Außenfläche
versetzten Unlerschenkclknöchel fügt der Fuß seine des Unterschenkels und liegen vor der Querachse |295a, 298a, b|.
-g ein, ein Fuß mit Zehen, die gegliederte (!) Gebilde und So staffeln die Muskeln das Volumen zugunsten eines Scharnier-
vorderer oberer
mittlerer Darmbeinstachel
Gesäßmuskel
Spanner Leistenband
der Schenkelbinde
Darmbeinlendenmuske«
Schambemhoc« «"MBi
Kammuske»
großer
Rollhügel
langer Anziehe'
schlanker Mus* r
Kletter¬
oder Schneide--'. - *»
gerader Kopf öe-s
(vierkopfiger S' -i
Unterschenkel
Schenkelbinde
äußerer Kopf
des Quadrizeps
Faserzug der Sc
innerer Obersc
Bizeps.
Kniescheibe
zweiköpfiger Beuger
des Unterschenkels Fettpolster
gerades Kniesc
Wadenbeinköpfchen
Zwillingsmuskel
vorderer Sch*
Zwillingsmus# e
innere Sch*ntoa^l
Schollenmuske
kurzer
V kurzer Strecke
der großem Zr**
großer Gesäßmuskel
großer Rollhügel
großer Anzieher
Schenkelbmde
nü'r i ■ 1 . . r* *■
. halbsehniger Muskel
JJp: «tr
äußerer Kopf des Quadrizeps
halbhautiger Muskel
schlanker Muskel
kurzer Kopf des Bizeps
s halbhautiger Muskel
: tj
1
Kletter¬
oder Schneidermuskel
Zwillmgsmuskel
Schollenmuskel
langer Wadenbeinmuskel
langer gemeinschaftlicher
Zehenbeuger Achillessehne
>er Gesäßmuskel
Schenkelbinde
äußerer Oberschenkelknorren —
halbhäutiger Muskel.
Meniskus
_Fettpolster
-gerades Kniescheibenband
Zwillingsmuskel Schienbeinstachel
Schollenmuskel
langer gemeinschaftlicher
Zehenstrecker
kurzer Wadenbeinmuskel
v»-
Darmbeinmuskel
Lendenmuskel
Leistenband
birnenförmiger Muskel
innerer Hüftlochmuskel
9r
schlanker
gerader Kopf des Quadrizeps
halbhaur
**• , ‘fr**
•vj*
ha!bsenr.«p»*'
Kletter- oder Schneidermuskel
Bizeps
innerer Kopf des Quadrizeps
innerer Oberschenkelknorren
Kniescheibe
Fettpolster
gerades Kniescheibenband
Sehnen des «Gänsefußes». Kletter- oder
■■
Schneidermuskel, schlanker Muskel.
halbhautiger Muskel
Zwillingsmuskel
innere
vorderer Schienbeinmuskel
hinterer Schienbeinmuskel
innerer Knöchel
kurzer
Z
Darmbeinmuskel
Kammuskel
großer Anzieher
cjroßer Gesäßmuskel
_ innerer Knorren
des Oberschenkelbeines
Kapselfett
gerades Kniescheibenband
Sehnenspiegel
des Zwillingsmuskels
Schollenmuskel
innere Schienbeinfläche
langer gemeinschaftlicher
Zehenbeuger
Achillessehne
Sehne des
hinteren Schienbeinmuskels
— Sehne des langen
gemeinschaftlichen Zehenbeugers
langer Strecker
der großen Zehe Abzieher der großen Zehe
mittlerer Gesäßmuskel
mittlerer Gesäßmuskel
großer Gesäßmuskel
Klettermuskel
Klettermuskel
Zwillingsmuskel
Zwillingsmuskel
Schollenmuskel
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Abb. 312 Gerd Jäger (geb. 1927). Sitzender Abb. 313 Henry Moore (geb. 1898). Akt¬
(1967), Zement, Höhe 104cm. zeichnung von einer Sitzenden (1933), Tusche,
Die jünglingshafte Körpergestalt spricht Pinsel und Bleistift, 55,9 cm x38,l cm,
zu uns in ihren entwicklungstypischen Collection Dr. Alan Wilkinson, Toronto.
Proportionen der Längendominanz und in Die wuchtigen figurativen Gebilde Moores
ihrem kantig-eckigen Körperrelief. Von der scheinen einzig bestimmt zu sein von einer
Wirklichkeit stark abweichend, hebt der archaisch einfachen Formensprache.
Künstler die spitzigen scharfen Gerüst¬ Intensive Betrachtungen jedoch vornehm¬
punkte auch am Knie hervor und schafft lich beider Beine der Sitzenden - belehren
hier eigene, mit den funktionellen Vor¬ uns, mit welch hoher Präzision die anato¬
gängen nicht deckungsgleiche Sachverhalte. mischen Gegebenheiten integriert wurden.