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Die Auswirkungen von

Medienkonsum auf die


Entwicklung von Kindern im
Grundschulalter
[Hochschule Neubrandenburg: Studiengang Soziale Arbeit
Bildung und Erziehung, SS 2015]

25.06.2015
Sabine Titzmann

urn:nbn:de:gbv:519-thesis2015-0297-5

Erstbetreuer: Prof. Dr. Dr. Andreas Franke


Zweitbetreuer: Prof. Dr. Roland Haenselt
Die Auswirkungen von Medienkonsum auf die Entwicklung von Kindern im Grundschulalter 3

Kurzüberblick .......................................................................................................................... 3

Gehirnentwicklung .................................................................................................................. 4

So lernt unser Gehirn allgemein.......................................................................................... 4

Die Gehirnentwicklung vereinfacht betrachtet .................................................................. 5

Das Grundschulalter in der Entwicklungspsychologie ............................................................ 8

Dimensionen der Entwicklung von 6-12jährigen ................................................................ 8

Eriksons Identitäts-Theorie ................................................................................................... 15

Was versteht man unter Identität? ................................................................................... 16

Identititäts- und Selbstbildentwicklung ............................................................................ 16

Das Grundschulalter und die Selbstfindung ......................................................................... 17

Medienpädagogik und Mediensozialisation ......................................................................... 18

Emotionale Kopplung(en) ................................................................................................. 21

Computerspiele und Schule .............................................................................................. 24

Allgemeine körperliche Auswirkungen ................................................................................. 25

Folgen von übersteigertem Medienkonsum ..................................................................... 25

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ...................................................................................... 28

Das „Geheimnis“ der Begeisterung ................................................................................... 31

Bildschirmspiele ................................................................................................................ 32

Medienwirkung und Gewalt in den Medien ..................................................................... 34

Kindliche Entwicklung und Neue Medien ......................................................................... 36

Medienkompetenz ............................................................................................................ 37

Schlussfolgerungen ........................................................................................................... 40

Quellenverzeichnis ............................................................................................................ 41

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Die Auswirkungen von Medienkonsum auf die Entwicklung
von Kindern im Grundschulalter
Kurzüberblick
Während meines Studiums der sozialen Arbeit konnte ich feststellen, dass dem
Medienkonsum insbesondere dem Medienkonsum und seinen Auswirkungen auf die
kindliche Entwicklung im Alltag, bisweilen wenig Interesse gewidmet wurde, was, bei den
inzwischen vermehrt in den Fokus gerückten möglichen Auswirkungen auf das Gehirn, für
mich sehr bedenklich erscheint. Ganz zu schweigen von den daran gekoppelten
psychosozialen Entwicklungsschritten, die zur Bildung einer gesunden Persönlichkeit nötig
sind. Wenn ich im Rahmen dieser Arbeit von Medien spreche, meine ich vordergründig die
sog. neuen Medien, was sich vor allem auf Präsentationen durch zweidimensionale
Bildschirme bezieht und deren Bedienung, d.h. Fernseher, Spielkonsolen, PCs, Laptops,
Netbooks, TabletPCs und Smartphones einschließlich des Zugangs zum Internet.

Erschreckender für mich jedoch ist das allgemeine Desinteresse an der Thematik bei den
heutigen Eltern, deren Kinder es mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt betrifft. Während
meiner Recherchen zu dieser Arbeit ist mir zudem aufgefallen, dass der Umgang mit diesen
Nebenwirkungen des allgemeinen Medienkonsums, nämlich die Entwicklung von nützlichen
Konzepten und möglichen Interventionsmöglichkeiten, scheinbar noch in den Kinderschuhen
steckt. Noch dazu musste ich feststellen, dass in den aktuellen Diskursen der Wissenschaft
die Herangehensweise an dieses sensible Thema nur symptomatisch orientiert und auf
Schadensbegrenzung ausgelegt ist. Woher das eigentliche Problem kommt, steht nicht zur
Debatte.

Eine der beeindruckendsten Leistungen, die unser Gehirn, wie von selbst vollbringt, ist die
Fähigkeit bestimmte Situationen zu erkennen, einen Soll-Ist-Vergleich zu machen und zu
erfassen, ob das was „sein soll“ und die Erkenntnis des „so ist es“ sich decken oder eben
nicht. Das setzt voraus, dass man eine normkonforme Orientierung für das „Soll“ mit
bekommt, welche schon sehr früh, unter anderem in den ersten Lebensmonaten, angelegt
wird. Hier geht es in erster Linie um Sozialisationstheorien und für das Verdeutlichen hier in
dieser Arbeit um die so genannte Mediensozialisation.

Wenn also etwas anders sein soll, als das, was wir haben, hat unser Gehirn normaler Weise
die Möglichkeit, abhängig von den Erfahrungen, die es bereits machen konnte, einen Plan zu
entwickeln, der machbar und möglich ist, um die Situation, die man ändern möchte zu
beeinflussen. Im Gehirn werden so mögliche und erfolgreiche Reaktionsmuster entwickelt.
In der Anfangszeit vor allem durch die sog. „Versuch und Irrtum“ Methode. Es ist in diesem

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Zusammenhang auch ziemlich unabhängig davon, ob es sich um motorische
Bewegungsmuster handelt, oder um die Erfassung rein theoretischer oder anderweitig
abstrakter Zusammenhänge. Wobei ich erwähnen möchte, das motorische Muster bereits
mit dem Spielen und dem Laufen lernen unserer Kleinstkinder zumindest elementar
angelegt werden. Das ist beim Erfassen von komplexen Sinnzusammenhängen anders. Dafür
braucht es eine elementare Wahrnehmung davon, dass es bestimmte Aktions- und
Reaktionsmuster gibt, die das reale Handeln bestimmen können. Dazu ist unter anderem
natürlich wichtig zu wissen, wie unser Gehirn lernt. In einem Abschnitt meiner Arbeit werde
ich mich damit etwas genauer auseinandersetzen.

Ein weiteres wichtiges Thema beinhaltet Auszüge (von) Eriksons Identitätstheorie und eine
kurze Erläuterung, warum ich für meine Arbeit das Grundschulalter gewählt habe und
welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um nach Eriksons Theorie ein gesundes und
belastbares Selbstbild zu entwickeln. Das erklärt dann auch, weshalb der Medienkonsum in
diesem Alter durchaus problematisch sein kann, was, natürlich nicht unerheblich, von Dauer,
Intensität und Inhalten der konsumierten Medien abhängig ist.

Gehirnentwicklung

So lernt unser Gehirn allgemein


Wie werden Informationen im Gehirn verarbeitet?

Allgemein reagiert das Gehirn auf bestimmte Reize aus der Umwelt, die über entsprechende
Sinnesorgane aufgenommen werden. Auf diese Weise erhält das Bewusstsein
Informationen, die über die entsprechenden Nervenbahnen an die Schaltzentrale, hier unser
Gehirn, weitergeleitet werden. Dort ergeben sie ein Abbild der realen Umwelt, in der wir uns
bewegen wollen. Natürlich sind die mikroskopischen Vorgänge bis zu einem „Abbild“ der
Umwelt in unserer Vorstellung unglaublich komplex und auch bei weitem noch nicht
ausreichend erforscht, aber darum geht es mir nicht. Entscheidend für meine Ausführungen
im Rahmen dieser Arbeit ist, dass wir unsere Lebenswelt nicht von vornherein mitbringen,
sondern das sie sich erst aus ganz vielen einzelnen Sinneseindrücken und daraus folgenden
Erfahrungen und neu kombinierten Szenarien zusammensetzt. Das vollzieht sich in
verschiedenen Stadien der Hirnreifung und Entwicklung vom Neugeborenen, Säugling bis
zum Erwachsenwerden und noch darüber hinaus. Deshalb möchte ich, direkt im Anschluss
auch noch einen ganz kurzen Überblick über kindliche Entwicklung im Grundschulalter
geben. Wichtig ist mir hier zu erwähnen, dass unser Gehirn im Gegensatz zu einem
Computer eine unglaubliche Überfülle an Speicherplatz zur Verfügung stellt. So bleiben
unsere Erinnerungen erhalten, und können sicherlich verblassen, oder wieder aufleuchten,
wenn es eine situative Verknüpfung mit elementarem Empfinden gibt. Außerdem ist es

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möglich, das bestimmte Bereiche durch traumatische Ereignisse in der Physiologie, wie zum
Beispiel bei einem Schlaganfall oder einem Krebsleiden, gelöscht werden, doch in einem
gesund entwickelten Gehirn bleiben diese Informationen dauerhaft gespeichert. So entsteht
ein normatives Bezugssystem an dem sich das Gehirn permanent orientiert. An diese
Kontinuität passt sich das Gehirn an und gleicht dann alle neuen Sinneseindrücke mit diesem
Bezugssystem ab, bewertet diese neu und/oder fügt Neuerungen und sich wiederholende
Vorgänge zu, bzw. verschiebt, bildlich gesprochen, die Vorgehensweisen, die offenbar
weniger erfolgreich sind, oder nicht dem eigenen Interesse entsprechen, in eine Datenbank,
die nicht so häufig angesteuert wird. Für den Menschen gilt, dass die Inhalte dieser
Bezugssysteme durch individuelle Erfahrungen und vor allem auch durch emotionale
Bewertung geprägt sind, wobei solche Bewertungen nicht notwendigerweise bewusst sein
müssen, sondern sich implizit auswirken können. Wenn wir nun ein Buch lesen… -dazu
müssen wir natürlich des Lesens mächtig sein und aus den Buchstaben, Wörtern, Sätzen und
Zeilen einen nachvollziehbaren Sinn entnehmen. Was für sich genommen schon eine
herausragende Leistung ist. …dann erfassen wir nach den ersten Zeilen, um was für ein Buch
es sich handelt und in welchen Kontext wir das Gelesene setzen sollten. Wir verstehen
inhaltlich, um was es in dem Buch geht und betten jeden weiteren Satz, jede weitere Zeile in
unser vorhandenes Bezugsystem ein und stellen uns das Gelesene bildlich vor. Es entsteht
ein Vorstellungsbild, dass aus unserer Phantasie geschaffen wird. Dieses Bild wird nicht
ständig neu generiert, sondern bestimmt den Rahmen in den hinein wir alles weitere
einpassen. Solche Rahmen sind immer auch emotional gefärbt. (Pöppel, 1999, Baden-Baden)
Was noch wichtig wäre zu erwähnen ist, das unser Gehirn auf vielen verschiedenen Ebenen
gleichzeitig arbeitet, im Gegensatz zu einen Computer. Ein klassischer Rechner arbeitet
einen Auftrag nach dem anderen ab, während unser Gehirn ganz viele Eindrücke und
Informationen über die verschiedensten Kanäle, also Sinneszellen und weiterleitende
Nervenbahnen, gleichzeitig parallel aufnimmt, bearbeitet und abgleicht, und zwar in
Sekundenbruchteilen.

Die Gehirnentwicklung vereinfacht betrachtet

Neuronale Aspekte
Entgegen der veralteten Theorie, dass wir unser Gehirn eher wie eine Maschine betrachten
sollten, gibt es inzwischen wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass unser Gehirn
trainiert werden kann und das bis ins hohe Alter noch. Um zu verdeutlichen, was es damit
auf sich hat und inwiefern das einen Einfluss auf die allgemeine Entwicklung unserer
Grundschüler hat, möchte ich versuchen zu erklären, wie Lernen überhaupt funktioniert.
Wenn wir zur Welt kommen, als Säugling, können wir nichts weiter als Trinken, Schlafen und
Schreien. Das hängt damit zusammen, dass unser Gehirn vollkommen unfertig ins Leben

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startet. Alles was es braucht ist zwar schon vorhanden, aber das mitgegebene „Boot-
Programm“ braucht erstmal elementaren Input, um ein „Betriebssystem“ zu generieren.

„Es wiegt gerade mal ein Viertel des gereiften Erwachsenengehirns, obwohl sowohl die
Nervenzellen als auch deren Verbindungsfasern bereits vorhanden sind und nach der Geburt
zahlenmäßig kaum noch zunehmen. Es ist vor allem Fett, das im Laufe der Entwicklung das
Gehirn so groß werden lässt. Dabei handelt es sich um eine ganz besondere Art von Fett,
Myelin genannt, mit dem die so genannten Schwannschen Zellen die Nervenfasern
ummanteln. Diese Ummantelung der Nervenfasern bewirkt, das die Impulse nicht mehr
langsam (max. 3 m/s) entlang einer Nervenfaser laufen, sondern schnell (max. 115 m/s) an
ihnen entlang springen. Dies ist insofern wichtig, weil das Gehirn modular aufgebaut ist; es
verarbeitet Informationen vor allem dadurch, indem es sie zwischen verschiedenen, jeweils
einige Zentimeter voneinander entfernt liegenden Modulen Dutzende male hin- und
herschickt. Die Ummantelung der Nervenfasern ermöglicht also schnellere Nervenimpulse.
Die Zeit, die Impulse von einem Modul zu einen anderen (eine Distanz in der Größenordnung
von 10 Zentimetern) benötigen, beträgt bei einer Geschwindigkeit von drei Metern pro
Sekunde etwa 30 Millisekunden. Dies mag kurz erscheinen, ist jedoch für eine
Informationsverarbeitung, die letztlich darin besteht, dass winzige elektrische Impulse
zwischen unterschiedlichen Modulen vielfach hin- und her fließen, sehr lang. Der rasche
Austausch zwischen den einzelnen Modulen setzt die schnelle Leitung der Impulse voraus,
woraus sich wiederum ergibt, das ein Modul dessen Verbindungsfasern noch langsam sind,
nur wenig oder gar nichts zur Informationsverarbeitung beitragen kann. Damit ist eine
langsame Nervenfaserverbindung im Gehirn so etwas wie eine tote Telefonleitung -
physikalisch vorhanden, aber praktisch ohne Funktion.“ (Spitzer, 2012, S. 160)

Um das bildlich darzustellen, gleichen wenig genutzte myelinarme Nervenfaserverbindungen


einem Trampelpfad im Niemandsland, während häufig genutzte Trampelpfade irgendwann
zu befahrbaren Wegen und später zu Autobahnen ausgebaut werden, die zielgenau eine
klare Strecke von A nach B verbinden.

„Bei der Geburt sind die primären sensorischen und motorischen Areale mit schnellen
Fasern verbunden. Es handelt sich um Bereiche, die für die Verarbeitung von Signalen
verantwortlich sind, die direkt von der Außenwelt kommen (Sehen, Hören, Tasten) oder
Muskelbewegungen bewirken. Damit kann der Säugling erste Erfahrungen machen: man
zwickt ihm ins Bein, und das Bein zuckt. Die Informationen werden jedoch noch nicht sehr
tief verarbeiten, d. h. noch nicht rasch an andere Module weitergeleitet. Erst später sind die
Fasern zu weiteren Modulen schnell genug, und erst gegen Ende der Entwicklung während
und sogar noch nach der Pubertät werden auch die Verbindungen zu den letzten sich
herausbildenden Modulen im Frontal- und Parietalhirn mit schnellen Fasern ausgestattet.

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Teile des Frontallappens des Menschen sind aufgrund dieser Entwicklung erst zur Zeit der
Pubertät funktionell voll mit dem Rest des Gehirns verbunden.“ (Spitzer, 2012, S. 160)

Dazu muss man wissen, dass im vorderen Teil des Gehirns (Frontalhirn) die
Handlungsstrukturen abgebildet werden, die wir als Persönlichkeit bzw. Identität
beschreiben. D. h. nach der Grundschulzeit, mit dem Beginn der Pubertät und auch noch
darüber hinaus, sollten sich die schnell leitenden myelinreichen Nervenfaserverbindungen
insoweit fest vernetzt haben, dass sich eine gewisse Identitätsidee und
Persönlichkeitsstruktur manifestieren konnte. Denn das ist das allgemeine Bezugssystem mit
dessen Hilfe wir im weitern Lebensverlauf Wertungen und Vergleiche durchführen und alle
neuen Erfahrungen und erworbenes Wissen in unsere eigene, möglichst normkonforme,
Realität einbetten. Alles, was wir dann noch lernen, wird durch dieses Wertungssystem
gefiltert. Es fällt zunehmend schwerer Dinge zu lernen, die nach diesen Wertungsmaßstäben
nicht so wichtig erscheinen. Ab hier geht es nicht mehr nur um das reine Überleben sondern
um die Anpassung in ein übergeordnetes Gesellschaftssystem.

„Diese verzögerte Gehirnreifung sorgt dafür, dass wir beim Lernen mit dem Einfachen
beginnen. Erst wenn wir das gelernt haben, folgen schwierige Aufgaben und dann noch
schwierigere. Die Tatsache, dass sich das Gehirn erst nach und nach entwickelt und zunächst
überhaupt nur einfache Strukturen verarbeiten kann, stellt sicher, dass es auch nur Einfaches
lernt (Verarbeiten ist immer auch Lernen!).“ (Spitzer, 2012, S.162)

Nun ist unsere gesamte Gesellschaft aber ein sehr komplexes und vielschichtiges Konstrukt
dessen Zusammenhänge, spätestens im Erwachsenenalter, für einiges an Verwirrung sorgen,
in dem man besser zu einer soliden Informationsaufnahme und –Verarbeitung in der Lage
sein sollte. Problematisch beim Erlernen komplizierter Strukturen ist, dass zunächst einfache
Strukturen und Zusammenhänge erlernt werden müssen, um dann weitere Module, auf
jeweils höherer Ebene der Verarbeitung, nacheinander zuschalten zu können, die dann zu
einer erhöhten Wahrnehmungstiefe führen. Gerade weil das Gehirn auf diese Art reift und
gleichzeitig verarbeitet, kann es in der richtigen Reihenfolge lernen. Das gewährleistet
letztendlich, dass es überhaupt komplexe Zusammenhänge aufnehmen und verarbeiten
kann. Herr Spitzer meinte dazu: „ Wer auf den unteren Ebenen der Hirnentwicklung keine
klaren, scharfen und deutlichen Spuren (Schnellstraßen im Gehirn) angelegt hat, der kann
auf höheren Ebenen nur schwer das abstrakte Denken lernen, denn der Input der höheren
Ebenen kommt letztendlich von den einfacheren Ebenen und wenn man die schon nicht
begriffen hat, versteht man alles Weitere auch nicht mehr. (…) Es geht hier um viel mehr, als
um die in der Frühpädagogik zuweilen erwähnte Bedeutung von „Primärerfahrungen“, die
man selbst macht und nicht von anderen oder von Medien nahe gebracht bekommt.
Entscheidend ist vielmehr, das Körper und Kopf beim Anlegen der Spuren( Schnellstraßen im

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Gehirn) auf einfachen Bereichen der Gehirnrinde unmittelbar beteiligt sind, und zwar in
genau der Kombination, und das jegliche „höheren“ Leistungen in die entsprechenden
Bereiche des Gehirns nur über diese Spuren auf diesen einfachen Arealen überhaupt
gelangen können. Zudem ist bekannt, dass diese Spuren recht veränderungsresistent sind.
Anders ausgedrückt, was an „Schnellstraßen im Gehirn“ erstmal angelegt ist, lässt sich nur
mit enormem Kraftaufwand ändern. (vgl. Spitzer, 2012)

Psychosoziale Aspekte
Mir persönlich ist genau dieser Bereich sehr wichtig! Natürlich geht es in dieser Arbeit nicht
ausschließlich um die Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung unserer Kinder durch
Medienkonsum im Grundschulalter. Aber, da die ständig präsenten neuen Medien in der
letzten Zeit verstärkt bis in diese Bereiche und Institutionen vordringen, in denen so
wahnsinnig viel in und mit unseren Kindern passiert, lassen sich Auswirkungen auch auf ihre
Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung definitiv nicht mehr ausschließen. Im
Durchschnitt verbringen schon Grundschulkinder mehr Zeit vor Fernseher, Computer und
Ko, als draußen beim Spielen und Toben und, hier ganz entscheidend, bei der realen
sinnlichen Erschließung von Lebenswelt und ihren Funktionsweisen bzw. ihren
Funktionszusammenhängen.

Das Grundschulalter in der Entwicklungspsychologie

Dimensionen der Entwicklung von 6-12jährigen


(Baacke, D. „ Die 6-12jährigen: Einführung in die Probleme des Kindesalters/ Dieter Baacke. -
6., unveränd. Aufl. –Weinheim; Basel: Beltz, 1995)

Da die klassische Entwicklungstheorie vielleicht ein wenig überholt erscheint, möchte ich
mich, um einen groben Einblick zu geben, hier an die Ausführungen von Dieter Baacke halten
und ganz grob die Vielschichtigkeit der Entwicklungsprozesse von 6-12jährigen Kindern
skizzieren. Was vielleicht auch den Grund für mein gesteigertes Interesse an dieser
Altersspanne transparent macht. Vor allem aber möchte ich auf die Dinge hinweisen, die
unsere Schulkinder erst noch lernen müssen und dafür braucht es entsprechende
Bezugsrahmen und -Systeme, die wir Großen ihnen eigentlich vorgeben sollten und nicht das
Fernsehen oder das Computerspiel.

Wahrnehmung
Unter Wahrnehmung versteht man einen physiologischen und psychologischen Prozess, der
zur Gewinnung und Verarbeitung von Informationen führt, die aus inneren und äußeren
Reizen gewonnen werden, welche meist bewusst, aber auch unbewusst zum Auffassen und
Erkennen von Gegenständen und Vorgängen führt. Mit Hilfe der Wahrnehmung schaffen wir
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uns, wie schon erwähnt, ein internes Vorstellungsbild von der Umwelt, strukturieren sie
nach Relevanz und Reichweite, um uns in ihr orientieren zu können und in ihr erfolgreich zu
bestehen. Kinder im Grundschulalter sind gerade erst dabei zu lernen, dass sich bestimmte
Gegenstände auch aus einem vorgegebenen Kontext herauslösen lassen und in einem
anderen Bezug neu bewertet werden können. Das ist ein langsamer und kontinuierlicher
Prozess. Sie sind inzwischen in der Lage, Dinge auch aus der Perspektive von anderen zu
betrachten, was bei Kindern jedoch häufig mit starken Emotionen verknüpft ist. Sie können
sich noch nicht gänzliche auf eine emotional unabhängige Sachebene begeben. Zudem leben
sie noch in einer magisch-durchschränkten Welt, aber gleichzeitig lernen sie Grenzen zu
ziehen zwischen Vorstellung und Realität; Traum Hoffnung und Tatsächlichkeit. Sie
entwickeln ihren ganz eigenen Sinn für Ästhetik, können nun schon deutlich machen, was
ihnen gefällt und was sie nicht mögen. Doch sie können außergewöhnliche überwältigende
Eindrücke, wie sie häufig in den neuen Medien präsentiert werden noch nicht wirklich
verarbeiten, weil ihnen ein realer, sinnlich erfahrener Bezugsrahmen für diese Eindrücke
fehlt.

Motorik
Hier erforschen und entwickeln sie gerade die Koordinierung von Teilfunktionen, um ein
bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie können schnell differenzierte motorische
Koordinationsleistungen vollbringen, umso genauer wenn sie ein besonderes Interesse
entwickeln oder entdeckt haben. Wie auch hier schon zu erahnen ist, sollte aber die
Bewegung selbst in erster Linie Spaß machen und Erfolge bringen. Sie ihren eigenen Ideen
und Zielen etwas näher bringen. Etwaige gesundheitliche Aspekte spielen noch keine Rolle,
weil ein möglicher Zusammenhang von körperlicher Betätigung und Gesundheit zu abstrakt
ist. Sie können Radfahren, Rollschuhlaufen und Schwimmen lernen, Schlagball und Fußball
spielen, kreiseln, Seil springen, mit den Augen zwinkern und pfeifen. Das Austesten der
eigenen Kraft, der Spannkraft und das Ausmessen des Raumes leisten einen wichtigen
Beitrag für das Vorstellungsvermögen, die Gefühlswelt, die Phantasie, das Willensleben und
vor allem auch für das Ausloten von eigenen Handlungsoptionen in unerwarteten oder
neuen Situationen. Bleibt das aus nimmt die Unsicherheit in problematischen Situationen
verheerende Ausmaße an und führt häufig zu Fehleinschätzungen.

Intelligenz und Denkfähigkeit


„Intelligenz“ ist ein Konstrukt, umfassend „jeweils eine Anzahl von Faktoren im Bereich
geistiger Tätigkeit, die bei der Bewältigung kulturspezifischer Aufgaben einer bestimmten
Gesellschaft besonders wichtig sind.“ Intelligente Leistungen werden als Denkleistungen
klassifiziert und im Allgemeinen über Intelligenztests (IQ, EQ) messbar gemacht, die
allerdings über die Gesellschaft definiert und konstruiert werden und nur nach dem fragen,

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was in der aktuellen Gesellschaft als normkompatibel gehandelt wird. Grundschulkinder
lernen gerade erst Prioritäten zu setzen, einer bestimmten Aufgabenhierarchie zu folgen und
ihr Denken, Fühlen, Wollen und Handeln den Anforderungen der Lebensumwelt
entsprechend zu modifizieren. Damit haben sie wirklich eine Menge Lernstoff, da unser
Gesellschaftssystem sehr komplexen und unüberschaubaren Strukturen und Regeln folgt.
Erst ab dem 7. Lebensjahr sind Kinder in der Lage, nach und nach solche komplexeren
Strukturen zu durchschauen und nachvollziehen zu können. Jetzt erst erkennt das Kind, dass
sich Orientierungskategorien wie „vorn“, „hinten“, „rechts“, „links“ je nach dem Standpunkt
des Betrachters ändern. In der Grundschulzeit lernen Kinder erst differenzierter zu
koordinieren. Differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit, Vigilanz (Daueraufmerksamkeit auf
einen Gegenstand), Motivation (Interesse, ein Ziel zu erreichen) und Konzentration
unterstützen nicht nur kognitive Leistungen im engeren Sinne, sondern beziehen jeweils die
Gefühle, Erinnerungen, Zukunftsentwürfe mit ein. Kindern in der Grundschule ist es nahezu
unmöglich, etwas nur „um seiner selbst Willen“ zu lernen, wenn sie nicht den Bezug auf sich
selbst erfahren. Trotzdem verlangen wir das von unseren Kindern schon etliche Jahrzehnte,
was natürlich eine Anpassungsleistung forciert, die nicht gerade förderlich ist, wenn es
darum geht komplexere Zusammenhänge wirklich zu verstehen. Denn dafür braucht es ein
Bewusstsein bezüglich der Funktionszusammenhänge „im Kleinen“, um ein Bezugsystem im
Denken entwickeln zu können, das sich auf größere Dimensionen übertragen lässt. Sonst
fehlt schnell die Orientierung. Solche Zusammenhänge können aber nur erfasst werden,
wenn bereits ein grundlegendes Bezugssystem in der Vorstellung vorhanden ist. Das jedoch
bildet sich nur in Kombination mit Begeisterung und sinnlichem Erleben in Gänze heraus.

Kreativität und Phantasie


„Kreativität“ ist wie „Intelligenz“ ein wissenschaftliches Konstrukt: Sie entspringt weder
beobachtbarem Verhalten noch ist sie messanalytisch ermittelbar. Eine endgültige Definition
für diese wichtige Dimension menschlichen Handelns ist bis heute nicht gefunden. Man kann
auf kreative Prozesse abheben, sich mehr für kreative Produkte mit ihren besonderen
Eigenschaften interessieren; Hinweise geben auch Autobiographien berühmter
Wissenschaftler oder Künstler, Lebensläufe nonkonformistischer Personen usw. Guilford
(1970) unterscheidet fünf Arten intelligenter Leistungen:

(a) divergentes Denken (divergent thinking)

(b) konvergentes Denken (convergent thinking, Problemlösen)

(c) Gedächtnis (memory)

(d) intellektuelle Erkenntnisfähigkeit (intelligence)

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(e) die Fähigkeit, etwas zu bewerten (evaluation)

Kreativität brauchen wir um selbstständig Problemlösungen aus der Neuverknüpfung bereits


bekannter Szenarien zu generieren. Sie befähigt einen Menschen sich abweichende
Strukturen erstmal überhaupt vorzustellen (Phantasie) und diese dann optional, als
Modellversuch auf das zu lösende Problem, anzuwenden. Ist der Versuch erfolgreich, wird er
als Handlungsoption abgespeichert. Kindheit ist eigentlich das Zeitalter der Kreativität
schlechthin, aber unsere Schulen, die Familienstrukturen und unsere Lebenswelt dienen
wenig dazu dieses kreative Denken zu unterstützen. Anpassung an festliegende Rituale,
Einordnung in soziale Gruppen und wachsende Orientierung am „Lernpensum“ lassen
kreatives Verhalten wenig zweckmäßig erscheinen. Ein besonders wichtiger Faktor ist die
Trennung von Arbeit und Spiel. Hier wird die Kreativität behindert, wenn nicht sogar
gelähmt. Es ist kein Geheimnis, das zum Lernen immer auch Begeisterung gehört, was
unseren klassischen Schulunterricht als fast unerträglich für Grundschüler macht. Da
wundert sich auch keiner mehr, warum der Computer plötzlich sehr viel spannender
erscheint. Wenn unsere Spieledesigner eines verstanden haben, dann, wie sie Begeisterung
wecken können, während „Schule“ immer mehr als eine Qual empfunden wird. Wir Großen
haben dann Angst, dass unsere Kinder dem „Ernst des Lebens“ nicht mehr gewachsen sein
könnten. Doch gerade die Spielsituation hat die Eigenschaften, die Kreativität zu
unterstützen und die optionale Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Was
elementar wichtig ist, wenn man eine gewisse Flexibilität im „Probleme lösen“ erhalten
möchte. (Baacke, 1995, 6.Aufl. S.152ff)

Phantasie
„Phantasie“ unterscheidet sich von „Kreativität“ darin, dass sie nicht messbar ist. Sie gilt als
eine Art Produktivkraft des Bewusstseins, die gegen Entfremdung und Vereinzelung im
spiellosen Alltag steht. Eine Art widerständige Kraft die dazu dient konkrete Situationen in
der Wirklichkeit besser zu verstehen und in einer ungefährlicheren Version, die unser Gehirn
generiert, ausschließlich in vorgestellter Form, zu be- und zu verarbeiten. Was eine reale
Gefährdung des Individuums minimiert. Kreativität und Phantasie sind nicht das Gleiche,
hängen dennoch immer zusammen, weil man sie nicht explizit voneinander trennen kann.
Kinder haben jede Menge Phantasie, denn die alten Mythen und Märchen, die alten und
neuen Lieder und die neuen Filmabenteuer und Spielewelten sind hier noch nicht
abtrennbar in einen Bereich der „Entspannung“, der zur Arbeit komplementären „Freizeit“,
sondern sie durchdringen das wachsende und nach Orientierung suchende „Ich“ und
schaffen in ihm Figurationen, die sich dann im kreativen Spiel, im Wortspiel, in der Lust an
verdrehten Äußerungen, manchmal auch einfach in körpergebundenem Toben ausdrücken.
Gerade Grundschulkinder brauchen Kreativität und Phantasie in besonderem Maße, um ihr
„Ich“ zu entfalten, sie ist vielleicht die zentrale Dimension dieses Altersstatus’.
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Sprache
Sprache ist Weltorientierung! Sie ist das am weitesten verbreitete Mittel zur Verständigung.
In ihr drücken wir uns aus, üben Lob und Kritik, Teilen uns mit, geben Anerkennung oder
äußern Ablehnung. Mit der Reifung des Gehirns, setzt eine Lateralisation der
Hirnhemisphären ein, die mit der Pubertät (ca. ab dem 12. Lebensjahr) zum Abschluss
kommt. Das Grundschulkind ist allmählich in der Lage, vom konkreten Umraum und den
sinnlichen Eindrücken zu abstrahieren. Jetzt werden nicht mehr Wahrnehmungsinhalte,
sondern stellvertretend für sie Symbole repräsentiert. Die Sprache ist das Instrument
begrifflichen Denkens und hilft, die Welt zu organisieren, zu strukturieren und zu
konzeptualisieren (Eine Vorstellung, die Einzelerfahrungen zusammenfasst, zu entwickeln).
Beim Schulanfänger spielt der Kontext, also der situative Zusammenhang, eine große Rolle.
Grundschüler lernen eher visuell und orientieren sich später an der Sprache. Jeweilige
situationelle Intention, Erwartung und Definition der Beziehung zwischen sich und anderen
Personen sind entscheidend. Der Einsatz von Sprache ist also stark kontextabhängig.
Unvertraute Situationen kann Kindern tatsächlich „die Sprache verschlagen“, obgleich sie
sich in anderen lebensweltlichen Bezügen, die sie „Beherrschen“, durchaus lebhaft und
kommunikationsoffen verhalten. Der sozialökologische Umraum und die Qualität der in ihm
ablaufenden Interaktionen sind entscheidende Bedingungen und Medium zugleich für
kindliche Sprachentwicklung. Mit wem „sprechen“ denn die Kids, wenn sie vor dem
Bildschirm sitzen?

Emotionalität
Bis heute ist unklar, was Emotionen überhaupt sind. Es ist bis heute umstritten, ob Gefühl als
„zuständliches Bewusstsein“ von Wahrnehmung als „gegenständlichem Bewusstsein“
abgegrenzt werden kann. Kinder werden schon im Vorschulalter dazu erzogen, ihre
Emotionen nicht immer spontan auszuagieren. Gleichsam werden Emotionen genauso
respektiert wie verflucht. Schon jetzt gibt es geschlechtsspezifische und auch
schichtspezifische Unterschiede. Hier geht es vor Allem um scheinbar irreale Ängste, die
unsere Kinder beeinflussen. Angst erzeugend sind im Vorschulalter neben
Phantasiegestalten, Verlassenheit und Dunkelheit und der Vorstellung vom Tod auch
Konflikte zwischen Kind und Eltern oder seinen Spielkameraden. Nach dem Schuleintritt
verstärken sich die Kontrollen der Emotionalität. Kinder entwickeln nun „Werkssinn“
(Erikson) und zeigen eine eher sachlich-nüchterne Grundeinstellung. Kinder nach dem
Schuleintritt machen häufig eine existenzielle Krise durch, die bis zu Todesängsten führt. Sie
erkennen dass jeder Mensch irgendwann dem Tod unwiderruflich ausgeliefert ist. Es gibt
immer noch Angst vor Dunkelheit, Einsamkeit, Geistern und wilden Tieren. Hinzu kommen
nun auch die Schulangst und die Angst von Mutter und Kind vor der Trennung (Die Mutter
möchte ihr Kind nicht an die Schule verlieren und gibt dem Kind eine negative
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Grundeinstellung mit auf den Schulweg). Später wird Schulangst in der Schule selbst erzeugt,
durch „Mobbing“, Angst vor Versagen, vor Misserfolg, mangelnder Anerkennung und
übersteigerten Erwartungen an das nun ja schon „Große Kind“. Es gibt keine Belege für oder
gegen die Behauptung, dass Emotionalität für unsere Altersphase eine größere oder kleinere
Rolle spielt. Sie gilt als Grundausstattung des Menschen und bestimmt umfassend, gleichsam
als psychoatmosphärische Einfärbung, alles, was er denkt, erlebt und unternimmt. Dazu
möchte ich an den Abschnitt zu emotionalen Kopplungen (Hüther, 2008), die ich später kurz
erläutere, verweisen. Gefühle durchdringen unumstritten alle anderen Dimensionen
menschlicher Entwicklung. Sie sind von Anfang an stark entwickelt, unterliegen im Laufe der
Entwicklung allerdings zunehmenden kulturellen Überformungen. Was zum Gegenstand von
Gefühlen wird, ist schon bei Kindern weitgehend durch den Kontext definiert, in dem sie
leben.

Eng mit der Emotionalität verbunden sind Träume, als ikonische Medien, die Gefühle und
Erinnerungen vermischen, die sich der Kontrolle kultureller Konventionen weitestgehend
entziehen. Sie sind ein ursprüngliches Medium emotionalen Ausdrucks und für Kinder von
erheblicher Bedeutung. Während jüngere Kinder noch verhältnismäßig unspezifisch und
neutral träumen, eher ausschließlich in emotionaler Färbung, vollzieht sich in der Schulzeit
auch ein Wandel im Traumgeschehen. Die Differenzierungen, die das ganze
Entwicklungsgeschehen im Grundschulalter bestimmen finden jetzt auch zunehmend im
Traumgeschehen statt. Emotionen strukturieren, teils bewusst, teils unbewusst, die gesamte
Entwicklung auch in all den anderen Dimensionen mit. Geht das Umfeld nicht auf die
Gefühle des Kindes ein oder wenn das Kind riskieren muss, die Liebe der Mutter zu verlieren,
kann es die natürlichsten Gefühlsreaktionen nicht für sich allein oder insgeheim erleben. Es
erlebt sie einfach nicht! Was dazu führen kann, dass sein ganzes späteres Leben davon
bestimmt wird, diese Situationen, in denen es diese Gefühle tatsächlich ausleben könnte,
immer wieder neu zu inszenieren ohne das der ursprüngliche Zusammenhang erkennbar
wird. Unverstandene, ungeübte, allein gelassene Gefühle des Kindes beschädigen damit
nicht nur seine augenblickliche Entwicklung, sondern drängen bei ihm an die Oberfläche,
wenn es wiederholt damit konfrontiert wird. Meist in denkbar ungünstigen Situationen.
Wenn unsere Kindern nun mit massiven und teils auch sehr gewaltsamen
Gefühlsausbrüchen konfrontiert werden, wie in Filmen und bei Spielen, müssen sie die
Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Bei dem aktuellen Medienkonsumverhalten kann
das nicht mehr ausreichend praktiziert werden, weshalb ich dazu tendiere Film und
Fernsehen gar nicht erst einzuschalten. Das gilt nicht nur für die klassischen
Unterhaltungsmedien, sondern ist auch von enormer Bedeutung bei den interaktiven
Spielewelten auf Computern und im Internet, die häufig mit dem gesamten Spektrum an
Gefühlen gespickt sind, aber nicht genug Zeit lassen, um sich diese bewusst zu machen bzw.
sich aktiv damit auseinanderzusetzen. D. h. sie werden in die Warteschleife verschoben und
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nicht aktiv verarbeitet, was wiederum zu unbewussten Handlungen führt, die mehr schlecht
als recht dann lebensbestimmend werden können. Ein Nährboden für diverse Süchte
entsteht.

Sexualität
Beide Geschlechter lernen schon vor der Grundschulzeit, ihre Triebimpulse zu unterdrücken,
um Schutz und Liebe der Eltern nicht zu gefährden. Das geschieht vor allem durch
Sublimation. Zwischen dem 5. und 11. Lebensjahr beginnt die „Latenzzeit“ (Erikson) in der
Sexualität vorübergehend fast keine Rolle spielt. Erst mit der Pubertät drängt sie dann in
Zusammenhang mit körperlichen Veränderungen in den Fokus des Interesses. Nach Piaget
fehlt die kognitive Ausstattung für sexuelle Erfahrungen in diesem Alter, weil sie eine
kognitive Konstruktion voraussetzt zu dem das kindliche Gehirn scheinbar noch nicht in der
Lage ist. Erst später, vorwiegend nach der Grundschulzeit, sind Kinder und Jugendliche in der
Lage die Bedeutung der emotionalen Komponente, das Vergnügen in der sexuellen
Vereinigung bei den Jungs, und das Empfinden tiefer Verbundenheit und Liebe bei den
Mädchen, zu verstehen. In unserer Medienwelt werden häufig sexuell betonte Szenen
dargestellt. Alles ist ausgelegt auf Jugend und Schönheit, ohne einen Bezug zu echter Nähe
oder gar Liebe herzustellen, was aber eigentlich unüberwindlich mit Sexualität verbunden
sein sollte. Nicht zuletzt, weil diese innige Verbindung von zwei Menschen, sonst nur geringe
oder gar keine Wertschätzung erfährt. Da Grundschulkinder alles eher nüchtern-sachlich
betrachten und das emotionale Verständnis von sexueller Vereinigung noch nicht ausgereift
ist, fehlt ein normkompatibles Verständnis von Sex und Lust im übergeordneten Sinne. Was
zu recht unkonventionellen Sichtweisen auf das Thema führen kann. …und die Erwachsenen
bisweilen in echte Erklärungsnöte bringt.

Moral und Prosoziales Verhalten


Die Entwicklung des moralischen Urteils (umgangssprachlich: Gewissen) bei unseren Kindern
findet schon immer großes Interesse in der Forschung. Bei Freud heißt es das „Über-Ich“,
was Verhalten, gemessen an der allgemeingültigen Norm, beurteilt und lenkt. Prosoziales
verhalten gehört in den Bereich der moralischen Entwicklung insofern, als das es eine
gewisse Fähigkeit voraussetzt, eine Ich-gebundene Perspektive, sowie Egoismus zu
überwinden, um die Interessen oder Leiden anderer mit beachten zu können und für diese
anderen dann etwas tun zu können. Es heißt im Grunde nur, das wir in der Lage sind
Gefühle, Beobachtungen und Urteile in unsere Interaktion mit anderen Menschen,
einfließen zu lassen. Dennoch muss man auch so etwas erst lernen. Bei Baacke ist
prosoziales Verhalten stark von dem sozialen Klima, indem ein Kind aufwächst, abhängig.
Und es setzt eine sehr feinsinnige Fähigkeit zur Rollenübernahme voraus. Diese beginnt in
der Grundschule erst, sich allmählich herauszubilden. Eine elementare Voraussetzung dafür

14
ist, den Standpunkt einer anderen Person verstehen zu können. Erst nach und nach erwirbt
das Kind die Fähigkeit, den anderen nicht nur zu schätzen als Partner im geben und Nehmen,
sondern als jemanden, der eine eigene und manchmal andere Perspektive auf die Dinge hat.
Kinder im schulpflichtigen Alter lernen zunehmend, die Wahrnehmungen anderer
entsprechend einzuschätzen und mit ihren eigenen zu vergleichen. Es entwickeln sich
Empathie und Kooperationfähigkeit und -bereitschaft, sich unter bestimmten Bedingungen
altruistisch zu verhalten, im allmählichen Prozess sozialen Lernens, wobei Schule und
Gleichaltrige wichtige Anregungen bieten. Zwischen dem 7. und 11. Lebensjahr beginnen die
Kinder, sich als Partner zu verstehen, die zwar miteinander im Wettstreit liegen können,
aber dabei sich auf gemeinsame Regeln verpflichtet wissen. Die Einhaltung von Regeln soll
von allen beachtet werden. Dennoch ist es schwer für die Kinder, wenn sie mit
unterschiedlichen Ansichten über Gültigkeit und Anwendung bestimmter Regeln
konfrontiert sind. Sie können sich bei unterschiedlichen Ansichten noch nicht einigen, was
bedeutet, dass die Bewältigung sozialer Konflikte für Grundschulkinder noch sehr schwierig
ist. Das gilt sowohl für fiktiv dargestellte als auch für reale Szenarien.

Vergesellschaftung der Kindheit


„Kindheit gesehen als Vorbereitungszeit „auf das Leben“. Ihre Inhalte und Verlaufsformen
sind Resultate historischer Entwicklung. Jede Gesellschaft entwickelt bestimmte
Normalvorstellungen von einer Altersgruppe, auf deren Einhaltung durch Erziehung und
Bildung sie dann dringt. Unabhängig davon, ob diese Vorstellungen die Dynamik kindlicher
Lebenswelten angemessen erfassen, ist heute festzustellen, dass Kindheit nicht mehr der
durch Familie und Schule pädagogisch überwölbte Schutzraum ist, in dem kindliches
Wachstum sich angemessen entfalten kann. „Vergesellschaftung der Kindheit“ meint, dass
weder die Privatheit der Familie noch der erzieherisch-bildende Auftrag der Schule die
Kindheit der Kinder abzusichern vermag; das Kindheit vielmehr in wesentlichen Teilen
ausgeliefert ist an eine Vielzahl von gemeingesellschaftlich vorhandenen Institutionen und
Einrichtungen mit ihren je spezifischen Absichten.“ (Baacke, 1995, S. 70)

Das gilt gleichsam auch für die ständigen Informationen, die durch neue Medien zur
Verfügung gestellt werden bzw. weitestgehend uneingeschränkt zugänglich sind in ihrer
gesamten Bandbreite.

Eriksons Identitäts-Theorie
Ich habe versucht einen groben Überblick darüber zu geben, mit was sich Grundschulkinder
in der breiten Masse ihres jungen Seins auseinandersetzen müssen und was sie in dieser
Altersspanne alles lernen können und wozu Ihr Gehirn bereits in der Lage ist. Jetzt möchte
ich noch einmal aus einer fachlich etwas anderen Sicht verdeutlichen, warum es so wichtig
ist, was unsere „ABC-Schützen“ gerade in dieser Zeit als Stimuli von Außen vorgesetzt
15
bekommen. In der Grundschulzeit werden die Grundlagen für die eigene Identität des
späteren Erwachsenen gelegt und damit die Grundlagen späterer Handlungsoptionen in
schwierigen Situationen.

Was versteht man unter Identität?


„Identität bringt die Orientierung des Individuums in der Zeit auch hinsichtlich seiner
sozialen Stellung, seines Berufes, seiner politischen Überzeugung etc. auf den Begriff; dabei
sind Prozesse der Selbstwahrnehmung, der Wahrnehmung durch andere sowie soziale
Vergleiche besonders wichtig.“ (Fachlexikon der sozialen Arbeit, 2011, S. 441ff)

Entwicklungspsychologisch wird der Phase des Jugendalters eine besondere Bedeutung für
die Identitätsbildung zugesprochen, wenngleich die Grundlagen für die Identität schon ab
der frühen Kindheit gelegt werden. Das Konzept wurde von E. H. Erikson geprägt. Er
beschreibt im Verlauf der Entwicklung acht >>Entwicklungskrisen<<, die gelöst werden
müssen. Er nannte die fünfte, für das Jugendalter typische Krise: „Identität versus
Identitätsdiffusion“, die sich ja direkt an die Grundschule anschließt. (siehe auch Abb.1)

Identität als Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“, stellt dabei eine Integration vergangener
und gegenwärtiger Erwartungen mit Zukunftserwartungen dar. Die Integration von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermittelt die Erfahrung von Kontinuität des eigenen
Selbst und es entsteht eine grobe Vorstellung von: „So will ich sein?“

… Identitätsentwicklung ist letztlich nie abgeschlossen. Sie ist abhängig von den Lösungen
früherer Entwicklungskonflikte bzw. der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und es
stellen sich auch im späteren Leben immer wieder neue Anforderungen.“ (Fachlexikon der
sozialen Arbeit, 2011, S. 441ff)

Identititäts- und Selbstbildentwicklung


Laut Erikson ist die Identität im Grunde das Ergebnis früherer Identifikationen mit und durch
das Außen in Kombination mit verschiedenen Versuch & Irrtum - Erfahrungen und den
daraus resultierenden Erfolgen und Misserfolgen. Ein Säugling lernt auf diese Weise, seine
Umwelt wahr zu nehmen, zu verstehen und auf diese dann zu reagieren.

Identifikationen sind Erwartungshaltungen von Außen, die mit einem „Will ich! - Will ich
nicht! - Vergleich in Bezug auf das eigene Selbst, entweder positiv (Will ich!) oder negativ
(Will ich nicht!) bewertet werden und in das eigene Selbstbild im Sinne „So will ich sein!“
übernommen werden (können). Grundlegend für diesen Vorgang ist natürlich eine
bestimmte Vorstellung, eine Orientierung in einem normativen gesellschaftskonformen
Bezugssystem.

16
Auf die Basis von Sigmund Freuds psychoanalytischem Phasenmodell stellte Erik H. Erikson
seine Identitätstheorie.

Diese verläuft in aufeinander folgenden Entwicklungskrisen, die auf die eine oder andere
Weise gemeistert werden und somit ein Selbstbild der Person ergeben die sich mehr oder
weniger mit den umgebenden gesellschaftlichen Strukturen verträglich darstellt. (Abb.1, S.
13f) Er betont in diesem Zusammenhang, dass die Persönlichkeitsentfaltung davon abhängig
ist, ob die vorweg gelaufenen Krisen positiv oder negativ betont gemeistert wurden.
(Erikson, 1997)

Das heißt (siehe Abb.1) zu jeder psychosozialen Entwicklungsphase gibt es eine Krise und
abhängig davon, wie die Krise gelöst wurde, entstehen die einzelnen Grundstärken der
Persönlichkeit. In Abhängigkeit von den Reaktionen der individuellen Lebenswelt, ihren
Moralvorstellungen, Traditionen, Religion, Ideologien und kosmische Theorien passt sich der
Mensch in dieses System ein. (Noack, 2005, S. 153ff)

In einer Welt, in der der Alltag von Medien bestimmt wird, die grenzüberschreitend überall
verfügbar sind und einem sonoren wirtschaftlichen Grundton folgen, ist es unglaublich
schwierig, ein für die Gesellschaft normgerechtes Verhalten zu erkennen und
herauszufiltern. Insbesondere bei Grundschülern, die in ihrer Entwicklung auf normative und
möglichst attraktive Rollenbilder zurückgreifen, um sich in der Erwachsenenwelt
zurechtzufinden und sich dort zu behaupten. Dabei ist gerade in dieser Alterspanne, die
Unterscheidung von Richtig und Falsch, von real und fiktiv, von enormer Wichtigkeit. Sie
lernen in dieser Entwicklungsphase gerade erst den Unterschied zwischen realer Umwelt
und schönem irrealen Schein der neuen Medien. Ist das nicht mehr möglich, bleibt den
Kindern nur die Orientierung an ausnahmslos allem, mit dem sie sich beschäftigen, und ihre
Fähigkeit sich auf einzelne Dinge zu konzentrieren geht unter, in der Angst den Überblick zu
verlieren. Das führt zu Aufmerksamkeitsstörungen in den unterschiedlichsten Ausprägungen,
von ADHS über vielfältige andere körperliche Probleme, wie später erwähnt, bis hin zur
krankhaften Abhängigkeit und Sucht, wenn die Scheinwelt als lebenswerter erscheint, als die
reale Lebenswelt, mit all ihren komplexen Regeln und Erwartungen von Außen, die man
nicht mehr durchschauen kann, weil man nicht gelernt hat, wie die Welt außerhalb der
Medien funktioniert.

Das Grundschulalter und die Selbstfindung


Sich mit etwas oder Jemandem zu identifizieren ist ein Bedürfnis des lernenden Geistes. Die
Latenzperiode bzw. das Schulalter in Eriksons Modell ist geprägt von der
Auseinandersetzung mit Leistung und Minderwertigkeit. Bei Freud die Periode, die die
infantile Sexualität von der körperlichen sexuellen Reifung trennt. Im Tierreich der Übergang

17
von Jungtier zur Geschlechtsreife mit nur einer einzigen Aufgabe, der Reproduktion der Art.
Hier eine Findungsphase zur groben Umrahmung der Sinnhaftigkeit des eigenen Seins. D.h.
Die menschlichen Grundtriebe ruhen bzw. werden verdrängt. Andere Dinge drängen sich in
den Vordergrund. (ca. 6.- 12. Lebensjahr)

Das Kind lernt die Funktionsweisen der Erwachsenenwelt kennen und versucht sich, mit Hilfe
von sich endlos wiederholenden Spielen und situativen Versuchen, darin zu behaupten. Es
entsteht im Bewusstsein des Kindes die Unterscheidung von Arbeit und Spiel. Es bildet sich
ein Rollenverständnis heraus und die Möglichkeit verschiedene Rollen zu testen,
kennenzulernen und zu verstehen. (Noack, 2005, S. 145ff)

Bis hierhin war sich das Kind sich selbst genug, es sei denn frühere Krisen wurden nicht
bewältigt. Jetzt lernt es, das es noch ganz viele Andere gibt, mit denen es interagieren kann
und muss, um eine Art Existenzrechtfertigung im „Außen“ aufbauen zu können. …und diese
„Existenzrechtfertigung“ sollte bei einem gesund entwickelten Kind ziemlich nahe am
Selbstbild liegen. (Ich bin, was ich kann!)

persönliche Anmerkung: Negativassoziationen werden nicht bewusst in das „Selbst“


übernommen, sondern arbeiten im Unterbewusstsein als nicht greifbare Parameter der
Entwicklung des Selbstbildes. (…landen in der „Warteschleife“) (Noack, 2005)

Wer will schon sein, wie er eigentlich nicht ist?

…auf das Tierreich übertragen heißt das: Eigenschaften und Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten,
die nicht tauglich sind, um die Art zu erhalten werden nicht in den Fokus gerückt sondern
vermieden oder verdrängt. Es werden nur die wünschenswerten Eigenschaften betont. Da
frage ich mich doch, ob wir wirklich so weit vom Tier entfernt sind, wie wir es gern hätten…

Medienpädagogik und Mediensozialisation


Es gibt auch hier keine klare Definition davon, was Medienpädagogik eigentlich ist. Dieser
Zweig hat sich herausgebildet um bestimmten körperlichen und geistigen Phänomenen auf
die Spur zu kommen die eventuelle Zusammenhänge erschließen möchte zwischen Gewalt in
den Neuen Medien und Verhaltensauffälligkeiten in messbarer Form. Da ich hier mehr auf
die Mediensozialisation hinaus will, die als Forschungszweig noch eher klein ist möchte ich
die Medienpädagogik nur am Rande erwähnen, damit für den interessierten Leser klar wird,
wo er danach suchen muss, wenn er sich mehr damit beschäftigen möchte.

Ganz wichtig, in Zusammenhang mit den Medien und ihrer Nutzung, ist im Grundschulalter
vor allem das Bedürfnis nach Orientierung an der Normgesellschaft, ihren Rollenbildern und
Hierarchien. In dieser Entwicklungsphase steht vor allem das Lernen am Vorbild im
Vordergrund. Das könnte die Wichtigkeit einer in die Norm eingebetteten Orientierung, in
18
Bezug auf Tugenden und Werte in der Gesellschaft, für eine realitätsnahe
Identifikationsmöglichkeit verdeutlichen. In Filmen und anderen interessanten
Präsentationen besteht die Möglichkeit das Spektrum an Orientierungen im Positiven, wie
im Negativen zu erweitern. Allerdings nur, wenn bereits ein Grundverständnis der
Funktionsweisen von Gesellschaft, Interaktion und normativen Verhalten ausgebildet
werden konnte. Aktuell habe ich den Eindruck, dass die negativen Orientierungen
überwiegen. Dennoch möchte ich hier auf eine eher positive Seite verweisen, die ich durch
Beispiele aus Filmen verdeutlichen will. Mir schwirren da vor allem zwei Sätze durch den
Kopf. Zitate aus den Filmen „Spiderman“ und „Spiderman 2“.

„Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“,

sagt Spidermans Onkel kurz bevor er stirbt. Erschossen von einem Mann, den sein Neffe
gerade zuvor hat entkommen lassen, weil er nach einen kleinen Showkampf nicht das Geld
erhalten hatte, was zuvor mit dem Geschäftsführer vereinbart war. Dieser wurde im Zuge
dieser Szene dann von dem Kleinkriminellen ausgeraubt, was Spiderman hätte verhindern
können, wenn er nicht noch sauer gewesen wäre, wegen der Geldsache. Dieser Mann
erschoss auf seiner folgenden Flucht Spidermans Onkel, weil er seinen Wagen als Fluchtauto
brauchte.

In „Spiderman 2“ ist es ein Satz den Professor Oktavius zu Peter Parker (Spiderman) sagt,
kurz bevor dieser sich in einen mordenden Psychopathen verwandelt. In dieser Szene sagt
Prof. Oktavius zu dem aufstrebenden Studenten Peter Parker alias Spiderman:

„Intelligenz ist kein Privileg und sollte immer zum Wohle aller eingesetzt werden.“

Am Ende des Filmes kehrt der Bösewicht, der aus dem Professor im Rahmen von
traumatischen Ereignissen geworden war, wieder zu seinen alten inneren Überzeugungen
zurück und opfert sich, um die Welt zu retten. Was vermutlich nicht geschehen wäre, wenn
ihm Peter Parker alias Spiderman diese nicht in Erinnerung gerufen hätte. Zudem
verdeutlicht diese Szene auch, dass eine Umorientierung, oder Rückbesinnung auf eigentlich
positive Tugenden, jederzeit wieder möglich ist.

Das sind nur zwei Beispiele aus Comicverfilmungen, was nicht unbedingt professionell
wirken mag dennoch beinhalten diese Sätze sehr wichtige ideelle Richtungsweisungen für
die ethisch-moralischen Prozesse, die für die Entwicklung einer eigenen Identität gerade im
Schulalter elementar prägend sein können, und sich durchaus positiv auf den Umgang mit
gesellschaftlicher Norm auswirken könnten. Betrachtet man Filme in breiterem Spektrum
des Angebotes wird man mehrere dieser Moralideen entdecken, als einem vielleicht
bewusst wird. Mit diesen kleinen Beispielen möchte ich auf ein weiteres Feld der
Wissenschaft hinweisen und ein komplexes Thema erwähnen, das man nicht ganz außer
19
Acht lassen sollte, wenn man sich mit Kindheit und Medien beschäftigt. Im Allgemeinen
bezieht sich dieser Zweig der Medienpädagogik auf solche Themen und wird
zusammengefasst unter Mediensozialisation.

Auch in einigen Computerspielen gibt es so eine Art Spielleitfaden. Abhängig von den
Entscheidungen, die der Spieler trifft, entwickelt sich die Geschichte. Das trifft vorwiegend
auf Rollenspiele zu, in denen es darum geht ein bestimmtes Spielziel zu erreichen, einen sog.
Endgegner zu überwinden. Aus der Art und Weise, wie der Spieler diese Spielaufgabe
gemeistert hat, entfaltet sich die weitere Geschichte und die nächste Aufgabe. Diese
Storyboards, welche in eine Spielgeschichte eingebettet sind, betonen ebenso bestimmte
ideelle Richtungsweisungen und sind darüber hinaus meist recht einfach gehalten und
übersichtlicher, als die komplexeren Zusammenhänge in der Normrealität, was aber
zumindest ein Grundverständnis für derartige Zusammenhänge vermitteln kann. Wie das
letztendlich aussieht, liegt in der Verantwortung der Spielentwickler.

Welche Rolle ein gesundes Selbstbild spielt und inwiefern es die eigenen Handlungsoptionen
beeinflusst, ist in Zusammenhang mit den Medien ein häufig unterschätztes Phänomen. Des
Weiteren gibt es zu dieser gemeingesellschaftlichen und zudem relativ neuen Form von
globaler Sozialisation bisher nur wenige nennenswerte und wissenschaftlich belegte Studien
oder Forschungsansätze. Es legt auf jeden Fall nahe, dass Kinder nicht die passiven
Konsumenten von Medien sind, wie es häufig dargestellt wird, was folgendes Zitat
untermauert.

„In Bezug auf Medien sind Kinder nicht passiv und manipulierbar, sondern sie nutzen
Medieninhalte aktiv für das Aneignen und Verstehen von Welt sowie für die Bewältigung
von Entwicklungsaufgaben.“ (Auffenanger, 2008)

Hier möchte ich kurz erwähnen, dass Lernen in der Gesamtheit nicht nur aus theoretischen
Informationen besteht, die unvoreingenommen hingenommen und abgespeichert werden,
sondern vor allem die Erfahrungen mit dem Stoff, der zur Verfügung gestellt wird. Eine sehr
häufig wenig beachtete Tatsache ist auch die emotionale Komponente. Unsere Kinder
spielen nicht ohne Grund so gern im Internet oder an der Konsole. Nicht, weil sie nichts
Besseres zu tun haben oder sich langweilen, sondern weil sie sich in den virtuellen Welten
einfach wohler fühlen. Das sollte uns zu denken geben. Mit der sinnlichen Erfassung von
unterschiedlichen Dingen, ihrem Geruch, einem bestimmten Gefühl und der taktilen
Qualität, ihrer Formen und Farben, fängt ein Säugling an sich seine Welt zu erschließen, gibt
seinem sich entwickelnden Gehirn die nötigen Reize um sich irgendwann eine Vorstellung
von Lebenswelt und Normrealität aufzubauen, um das so wichtige Bezugssystem zu
entwickeln mit dem er in seiner Zukunft alle neuen Erfahrungen und Erkenntnisse bewertet
und abgleicht. Kann ein Kleinkind solche Bezugssysteme nicht mehr entwickeln, weil eine
20
reale Stimulation in seiner aktuellen Lebenswelt nicht mehr stattfindet, fehlt ihm auch in der
Zukunft jegliches normkompatibles Bezugsystem, um sich zu orientieren. Oder wenn diese
Bezugssysteme vorrangig negativ betont sind, und somit eine Strategie des Vermeidens
seine Manifestation findet, die nachweislich zu einer Behinderung weiterer Verknüpfungen
auf den höheren Wahrnehmungsebenen führt. ( vgl. Spitzer, 2012) Nicht zu unterschätzen
ist auch hier die so genannte emotionale Kopplung, die Gerald Hüther erwähnt und die ich
im Folgenden kurz erläutern werde. (Hüther, 2008)

Emotionale Kopplung(en)
Die Basis unserer Selbstentwicklung ist die Risikobereitschaft und der Drang, etwas Neues zu
versuchen. Nur so lernt ein Kleinkind das Laufen. Gerald Hüther führt dieses Phänomen auf
eine emotionale Kopplung des Handelns zurück, das uns entweder neue Wege erschließt,
wenn es eine positive Kopplung gibt, oder viele Handlungsmöglichkeiten verhindert, weil die
Kopplung negativ geartet ist und so die Risikobereitschaft und den Forscherdrang
vermindert. Abhängig davon ist, ob der Mensch sein gesamtes Potential entwickeln und
entfalten kann und das ist ganz eng mit Begeisterung verbunden. Ähnlich, wie in Eriksons
Theorie schon beschrieben, ist eine bestimmte Handlung mit einer entsprechenden
Grundprägung im Positiven (Abb.1, D, den Grundstärken) oder im Negativen (Abb.1, E, den
Kernpathologien) gekoppelt. Diese Kopplungen führen dazu, dass Kinder sich
Verhaltensideen zurechtlegen, die sie dann im weiteren Entwicklungsverlauf ausarbeiten
und verfeinern, bis sich typische Verhaltensmuster ergeben. Diese Verhaltensmuster werden
in der Schulzeit gefestigt und automatisiert. So entstehen die klassischen Anpassungen an
die umgebende Lebenswelt des Kindes, in die Rolle, die dem heranwachsenden Kind als
sinnvoll und gesellschaftskompatibel erscheint. So das eine eigene zukünftige
normkonforme „Existenzberechtigung“ erreichbar erscheint, worauf der zukünftige
Erwachsene seine Identität und sein Selbstbild aufbaut. An dieser Stelle wird hoffentlich klar,
wie wichtig es ist, die positiven emotionalen Kopplungen in Schule und Lebenswelt, auch in
der, und durch die Medienwelt, zu betonen. Inwiefern das realisierbar ist vermag ich nicht zu
sagen. Außerdem sind reale Körperreaktionen bei exzessivem Medienkonsum nicht mehr
wegzudiskutieren. Diese körperlichen Reaktionen erschweren ein harmonisches Miteinander
noch zusätzlich zu der Orientierungslosigkeit, die sich herausbildet, wenn bestimmte
Grundlagen und Sinnzusammenhänge nicht mehr erfasst werden können, weil die dafür
nötigen Stimuli, um ein Verständnis dafür entwickeln zu können, in den entsprechenden
Entwicklungsphasen ausbleiben, da zweidimensionale Bildschirme die absolut notwendigen
Sinnesreize nicht bieten können, die für ein erstes Verstehen von Welt benötigt werden.
Ganz zu schweigen von den nicht mehr entstehenden neuronalen Verknüpfungen, die sich
erst aus der Gesamtheit aller Sinne ergeben und schon in den ersten Lebensmonaten

21
angelegt werden. Wie diese Emotionale Kopplung entsteht lässt sich vielleicht mit einer
kleinen Grafik kurz darstellen und erläutern. (Abb.2)

Wie schon aus dem Abschnitt zu den Entwicklungsdimensionen unserer Grundschulkinder


erkennbar, ist in dieser Alterspanne das Erleben der Kinder noch sehr fest an Emotionalität
gebunden. Alles wird definiert durch Beziehungen und Bezugspersonen. Das Abstrahieren ist
gerade erst dabei sich zu entwickeln und zu verfestigen. Erfolge und Misserfolge sind noch
sehr stark an das Selbstempfinden gebunden, weil sich auch die Fähigkeit, die Welt „von
Außen zu betrachten“ gerade erst vorsichtig entfaltet. Das Kind hat gerade erst angefangen
sich als Teil von etwas Anderem, als Teil einer Gemeinschaft, zu betrachten und zu erkennen.
Einerseits beginnt mit der Fähigkeit zur Übernahme des Standpunktes eines anderen ein
Erkenntnisprozess, der deutlich macht, dass man nicht alleine auf der Welt ist. Andererseits
jedoch bedeutet es auch, man begibt sich aus dem vertrauten Umfeld zunehmend heraus
und lernt eigene Wege zu gehen. Man kann und muss nun eigene willentliche
Entscheidungen treffen, die dennoch in einem übergeordneten System auf Akzeptanz
stoßen sollten, da man sonst Ablehnung erfährt. Auch hier vollzieht sich eine allmähliche
Entwicklung von kleineren einfachen und übersichtlichen Schritten in den entsprechenden
Hirnarealen bis später zu den weniger überschaubaren multiplen Verknüpfungen über die
relativ früh angelegten emotionalen Kopplungen bis hin zu ganz eigenen Vorstellungen,
Handlungskonzepten und -strukturen, die sich aus Erfahrungswerten ergeben haben und
letztendlich das Selbstbild bestimmen. Die Grafik (Abb.2) soll die Wirkung von dem
erhaltenen Input durch das „Außen“ verdeutlichen und die Komplexität des Zusammenspiels
einzelner Komponenten des Erlebens darstellen. Wobei ich der Übersicht halber eine klare
Polarität von negativen und positiven Impulsen gewählt habe. Wie schon in Abb. 1 zu
erkennen ist, hängt aber ein Großteil der Persönlichkeitsentwicklung von den erfolgreichen
oder weniger erfolgreich gemeisterten Schritten der psychosozialen Entwicklung ab, und von
der damit einhergehenden neuronalen „Spurenlegung“ des sich entwickelnden Gehirns.

22
Anerkennung, Annahme, Input von Außen Übersteigerte
Zugehörigkeit, Freude Erwartungen,

Neugier Unsicherhe
Liebe Vertraue it,

Heraus- Belastung
forderung
Positive Negative
Positive emotionale emotionale Negative
Erwartung l l Erwartung

Erfolgreich Gescheitert
e e

Angst Zweif

Aktivität (Begeistert Gehirnentwicklung Hemmung


entdecken), und Körperzustand (entgeisterter
kl k )

Abb.2

23
Computerspiele und Schule
Wer selbst Kinder im schulpflichtigen Alter zu Hause hat, wird schon bemerkt haben, dass es
einen nicht mehr zu ignorierenden Einfluss auf schulische Leistungen hat, wenn sie Zugriff
auf Neue Medien haben, und diese natürlich auch weitestgehend nutzen können und
dürfen. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die sich damit beschäftigt haben und
erschreckende Ergebnisse zu Tage förderten. Im Durchschnitt verbringen Kinder und vor
allem Jugendliche inzwischen etwa genauso viel Zeit im Internet, vor dem Fernseher, am PC
und/oder mit ihren Smartphones, wie sie sonst zum Schlafen nutzen. Das sind bis zu 7
Stunden täglich. Zeit, in der sie natürlich nicht draußen rumtoben können, oder sich mit
Hausaufgaben beschäftigen können, denn wenn sie etwa gleich viel Zeit mit Schlafen
verbringen bleiben von den 24 Stunden, die der Tag hat, nicht mehr viele übrig. Ist das
Schlafbedürfnis, wie bei unseren Kleineren entsprechend höher, minimiert sich die Aktivität
außerhalb der Medien zunehmend. Hierbei sind noch keine Schulwege und andere
Freizeitaktivitäten außerhalb der Medienwelt berücksichtigt.

Da ich kein Freund von offiziellen Studien und Statistiken bin, und ich mich hier deshalb nicht
explizit auf einzelne beziehen möchte, gebe ich den allgemein anerkannten Status nur kurz
wieder. Bei unseren Grundschülern sind die Zahlen noch nicht ganz so erschreckend hoch,
aber die Tendenz zum Medienkonsum in höherem Maße kann man nur schwer übersehen.
Außerdem gibt es Grund zu der Annahme, dass das Konsumverhalten gerade im Bereich
neuer Medien status- und schichtabhängig ist. Es gibt sogar Studien, die darauf hinweisen,
dass auch der Bildungsstand eine Rolle spielen könnte.

In der Grundannahme kann man jedoch davon ausgehen, dass Kinder, die Zugang zu Neuen
Medien haben, ihre Zeit lieber mit den spannenden und unterhaltsameren, schneller
zugänglicheren Medienangeboten verbringen, als sich mit dem ziemlich langweilig
erscheinenden Schulstoff zu beschäftigen. Hausaufgaben werden einfach nicht mehr
gemacht und so der Lernstoff auch nicht mehr in wünschenswerter Weise vertieft, was
wiederum zu weiteren Problemen führt, weil unser Gehirn nun einmal einem ganz
bestimmten Programm im Lernprozess folgt, wie bereits in dem Abschnitt über die
Gehirnentwicklung erwähnt. Vor allem bei Kindern, die verhältnismäßig viel Zeit ohne eine
entsprechende Beaufsichtigung von Eltern oder anderen Bezugspersonen auskommen
müssen, steigt die Nutzung solcher Medien, auch der nicht dem Alter der Kinder
entsprechenden Inhalte, was, wenn man den Teil dieser Arbeit zu den Dimensionen der
kindlichen Entwicklung gelesen hat, ein weiteres Problem darstellt. Kinder, gerade im
Grundschulalter, orientieren sich an dem was sie sehen und aufnehmen können, erst recht,
wenn ein breiterer sinnlicher Bezug immer mehr an den Rand gedrängt wird. Sie werden mit
24
Dingen konfrontiert, die sie so noch gar nicht in der Lage sind zu verarbeiten, weil sie noch
nicht gelernt haben zu abstrahieren. Ob das nun Gewaltszenarien in Film und Fernsehen
bzw. in Computerspielen sind, oder philosophische Themen in Bezug auf die
Funktionseinheit Welt. Eine Welt, die eigentlich ganz bestimmten Regeln unterworfen ist,
weil ein Zusammenleben in einer zivilisierten Gesellschaft sonst gar nicht mehr möglich
wäre.

Das führt zu Fehlannahmen von weltlicher Realität, die zu sehr unkonventionellen


„Schnellstraßen“ und „Lernspuren“ im Gehirn führen, die sich dann in oftmals sehr
unvorteilhaften Persönlichkeitsstrukturen wieder finden und somit zu massiven Störungen in
der Anpassung an die Normrealität führen. Das wiederum verursacht solche Phänomene,
wie sie bei den körperlichen Auswirkungen exzessiven Medienkonsums erwähnt werden.
Dazu kommt noch, dass alltägliche Dinge, wie Aufräumen, Einkaufen, Ernährung und
Gesundheit, elementare lebenssichernde Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Müdigkeit nur noch
am Rande wahr genommen werden, und die Belange von anderen, seien es nun Haustiere,
Spielkameraden oder Familienmitglieder, vollkommen ins Hintertreffen geraten. Aus eigener
Erfahrung in meiner Arbeit mit Grundschulkindern, kann ich sagen, das selbst so simple
Sachen, wie sich ordentlich anzuziehen oder sich etwas zu essen zu organisieren, wenn
gerade kein Fast-Food-Laden in erreichbarer Nähe ist, schier unüberwindbare Hindernisse
darstellen können, sich mit der eigentlichen, unser Leben direkt bestimmenden Umwelt,
auseinander zu setzen. Das führt zu Frustration und Abhängigkeit, die spätestens im
Erwachsenenalter zu massiven Problemen in unserer Gesellschaft führt. Siehe auch
emotionale Kopplungen. Frust führt zu Vermeidung und somit zur Stagnation der
Entwicklung. D. h. es werden keine neuen neuronalen Verknüpfungen angestoßen, was dazu
führt, dass unser Gehirn nicht weiter „reifen“ kann und führt dann letztendlich irgendwann
zu einer vollkommenen Abhängigkeit von anderem. Ganz abgesehen von der nun nur noch
schwer zu erreichenden realen Selbstständigkeit, ohne die wir in unserem System keine
Möglichkeit mehr haben uns eine sinnvolle Existenz zu erschließen. Siehe auch der Abschnitt
zur Identität.

Allgemeine körperliche Auswirkungen


Es gibt statistisch untermauerte Fakten, die nicht nur die Entwicklungsprozesse der
Persönlichkeit in den Fokus stellen, sondern auch rein körperliche Reaktionen auf das immer
zugängliche Angebot von Medien und ihrer exzessiven Nutzung. Weshalb diese Phänomene
nicht unerwähnt bleiben sollten.

Folgen von übersteigertem Medienkonsum


Es gibt noch keine klare Definition von „Übersteigertem Medienkonsum“, weshalb ich den
Begriff noch relativ ungesichert verwende. Ich überlasse es den fachlich korrekteren
25
Wissenschaftlern sich darüber ein genaueres Bild zu verschaffen. Für meine Arbeit hier soll
es erstmal genügen, den eigenen Verstand zu bemühen, um sich eine Vorstellung davon
machen zu können, was ich damit meine.

Kurzfristig bewirkt diese Art von Mediennutzung, die wir häufig nicht nur bei den anderen,
sondern auch bei uns selbst, beobachten können, je nach Art und Weise der dargebotenen
Medieninhalte unter anderem Aggressionen, Unruhe, ungeübte motorische
Bewegungsabläufe (Tollpatschigkeit), allgemeine Kreativitätsverluste und, wie nun schon
durch die Ausführungen von Gerald Hüther und Manfred Spitzer ersichtlich, geringere bzw.
suboptimale neuronale Verknüpfungen im Gehirn. Das hat natürlich auch längerfristig einen
Einfluss auf Identitätsfindung, psychosoziale Kompetenzen, Persönlichkeitsentwicklung und
Problemlösungsstrategien bzw. Bewältigungsmechanismen und –muster, welche sich
natürlich direkt auf Verhalten auswirken.

Ja nachdem, ab welchem Alter wir unsere Kinder den überall präsenten Bildschirmen
ungeschützt bzw. unbeobachtet aussetzen, sind bestimmte Erscheinungen beobachtbar.
Zunächst möchte ich einen kurzen Überblick geben in welcher Form Medien, unabhängig
davon, ob man sie passiv oder interaktiv nutzt, das Verhalten beeinflussen können, was sich
auf statistischen Informationen aufbaut, die sich aktuell abzeichnen. In Abhängigkeit von
verschiedenen Nutzungsfaktoren, wie Dauer, Intensität, den Inhalten der Präsentationen
und emotionalen Verknüpfungen kann es zu:

Ÿ Getriebenheit, Unruhe

Ÿ Aufmerksamkeitsstörungen/ Konzentrationsstörungen

Ÿ Bewegungsmangel

Ÿ Fehlender körpereigener Wahrnehmung (Hunger, Durst, Schlaf)

Ÿ Möglichen Leistungsabfällen in der Schule

Ÿ ADHS/ HKS

Ÿ Fehlender oder ausbleibender Entwicklung psychosozialer Kompetenzen

Ÿ dem fehlenden Erfassen von Sinnzusammenhängen

Ÿ suboptimalen emotionalen Kopplungen im Gehirn

Ÿ übertriebenen Ängsten und Schlafstörungen

kommen. („Brainwash“, Gerald Hüther/ Lutz Ulrich Besser, 2008)

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Das alles sind Phänomene, die so interessiert beforscht werden, weil sie in unserer
normierten Gesellschaft als störend empfunden werden und damit das Zusammenleben in
großen Gemeinschaften deutlich erschweren. Hinzu kommt noch, das gesetzliche
Regelungen zum allgemein verträglichen Umgang mit diesen, sich daraus ergebenden
Problemen, hinter der Schnelllebigkeit der technischen Entwicklung zurück bleiben, und so
keine Ahndung in gesetzlichem Sinne stattfinden kann.

Wie genau es zu diesen Störungen kommt, ist nicht gänzlich geklärt, und auch nicht die
komplexen Zusammenhänge mit anderen gesellschaftlich normierten Erwartungen, die
eigentlich nicht unserer Natur entsprechen. Allerdings gibt es Forschungsansätze, die
versuchen ein bisschen Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Gerald Hüther und Manfred
Spitzer haben sich als Neurobiologen dieser Erscheinungen angenommen und versucht, sie
näher zu beleuchten. Dank ihren Erkenntnissen ist inzwischen deutlich zu erkennen, welche
Schwierigkeiten damit in naher Zukunft auf uns zukommen werden.

Wie es zu dem viel verbreiteten Bewegungsmangel kommt, kann man sich selbst herleiten.
Natürlich verbraucht ein Mensch, der seine Zeit überwiegend sitzend entweder vor dem PC
auf Arbeit oder dem Fernseher zu Hause verbringt, nur einen Bruchteil der Energie, die ein
aktiver Sportler verbrennt, wenn er seinen Körper trainiert. Was nicht selten zu Übergewicht
und damit einhergehenden Begleiterscheinungen, wie Arteriosklerose und Bluthochdruck bis
hin zum künstlichen Hüftgelenk führt. Von der, durch körperliches Training zusätzlichen
Verfeinerung motorischer Reaktionsmuster möchte ich in diesem Zusammenhang nur in
Bezug auf die so genannten „Ballerspiele“ oder auch „Ego-Shooter“ genannt, kurz zu
sprechen kommen, die, und das ist inzwischen kein Geheimnis mehr, ursprünglich die
Schussbereitschaft und den motorischen Ablauf des Zielens und Schießens in den
Ausbildungsbereichen des Militärs verbessern sollten. Nun ja, das Militär war mit diesen
Ausbildungsmethoden überraschend erfolgreich. Darauf möchte ich aber später noch einmal
näher eingehen.

Die nachweislichen Leistungsabfälle in der Schule, nach der Anschaffung einer Spielkonsole,
eines Tablet PCs oder einem anderen ähnlichen Medium, in Verbindung mit spannenden und
unterhaltsamen Spielen, wurde hinreichend durch Studien mit Grundschülern und
Jugendlichen belegt (siehe Spitzer, 2012) und kurz erklärt. Auch der Zugang zum überall
verfügbaren Internet spielt da eine erhebliche Rolle. Das eröffnet noch ganz andere
Dimensionen bis hin zum „Cybermobbing“ und den daraus resultierenden „neuen Ängsten“.

Zur fehlenden oder suboptimalen Entwicklungen von sozialen Kompetenzen möchte ich auf
die Gehirnentwicklung verweisen, die zumindest einen Einblick geben kann, wie es zu
Fehlkopplungen und auch zu scheinbaren Abstumpfungen und Oberflächlichkeit kommen
kann, wenn der Lernprozess, und die damit verbundene Hirnentwicklung, in recht
27
ungewöhnliche, eher sinnentfremdende neurologische Bahnen gelenkt wird und somit eine
geringere Verarbeitungstiefe zur Folge hat. Was im Grunde auch für das fehlende oder
mangelhafte Erfassen von komplexen Sinnzusammenhängen zutrifft. Denn auch dafür
braucht es allmähliche, aufeinander aufbauende Lernprozesse, um eine normorientierte
Verarbeitungstiefe zu erreichen, die nötig ist, um die nächsthöheren, noch komplexeren
Ebenen der Datenverarbeitung zu erreichen, die uns dazu befähigen sollen die reale
Lebenswelt besser zu verstehen, damit wir uns entsprechend angepasst verhalten.

Wie es zu den anderen Erscheinungen, wie Unruhe, Aufmerksamkeits- und


Konzentrationsstörungen bis zu ihren „krankhaften“ diagnostizierbaren Verlaufsformen ADS
und ADHS kommt, möchte ich mit Hilfe von fachlich fundierten Angaben versuchen zu
erklären. Was dann auch solche Erscheinungen, wie Schlafstörungen und übertriebene
Ängste, hoffentlich in ein transparenteres Licht setzt.

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
Kurz auch ADS genannt und die weitere Form, die auch die Hyperaktivität beinhaltet, ADHS
genannt, sind Symptomkomplexe, die scheinbar mit dem Fortschritt der Medien und der
zugehörigen Technik verbunden sind, denn sie tauchen gehäuft erst auf, seit sich der
Medienkonsum so massiv gesteigert hat und das Alter der aktiven Nutzer immer mehr
abgenommen hat. Sicher gab es auch schon viel früher Kinder mit einem gesteigerten
Bewegungsdrang, aber ihre Zahl hielt sich dahingehend in Grenzen, da sie sich ja üblicher
Weise draußen an der frischen Luft austoben konnten und so normkompatibel ihren Hang
zur körperlichen Betätigung offiziell ausleben konnten. Derlei Möglichkeiten sind in unserem
aktuellen Gesellschaftskonstrukt nicht mehr in dem Maße gewünscht oder gegeben, da sich
scheinbar auch unsere Vorstellung von „normaler Entwicklung“ geändert hat. Weil ein
derartiges Benehmen gerade auch im Schulalltag als massiv störend empfunden wird, hat
man Kinder in der wichtigsten Lernphase ihres Lebens mit Medikamenten ruhig gestellt.
Diese Medikamente haben Veränderungen in der Hirnentwicklung zur Folge, die sich häufig
eher zum Nachteil der Betroffenen herausstellt und geben damit ihren Vorstellungen von
Welt, Identität und eigenem „Selbst“ keinen freien Raum mehr. In diesem Zusammenhang
von Misshandlung und Menschenrechten zu sprechen klingt gewagt, liegt aber, bei
genauerer Betrachtung, gar nicht so fern. Darum soll es hier aber nicht gehen.

Zunächst erstmal zu dem diagnostizierbaren klaren Definitionen von ADS


(Aufmerksamkeitsdefizitstörung) und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung,
gemäß dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychische Störungen (DSM) IV Nr.
314.00 und 314.01)) gilt international als valide Diagnose.

28
„2004 wurde ADHS vom führenden Forscher R. Barkley als „harmful dysfunction“
bezeichnet, als einen Zustand, der den Menschen in seiner psychischen, emotionalen,
kognitiven und sozialen Entwicklung beeinträchtigt, resultierend aus eine Dysfunktion
interner Mechanismen, ihre natürlichen Funktionen zu erfüllen.“ (Fachlexikon der sozialen
Arbeit, 2011, 7. Auflage)

„Die konstitutionell bedingte spezifische Regulierungsdynamik bei ADHS mit den typischen
funktionellen Auswirkungen führt zu einem Wahrnehmungs- und Reaktionsstil, der
Betroffene von Gleichaltrigen unterscheidet. Wie die internationale Forschung immer
eindeutiger belegt, besteht bei ADHS eine Aufmerksamkeitsstörung in Form von
Ablenkbarkeit und zu geringer Ausdauer, wobei zudem die Aufmerksamkeit nur bei subjektiv
positiver emotionaler Vorbewertung einer Sache oder einer Person aktiviert werden kann.
Angesichts einer schwierigen oder subjektiv langweiligen Aufgabenstellung erfolgt
schlagartiges „Ermüden“. Betroffene können nach Unterbrechung oft nicht zurück zur
Aufgabe finden, können sich nicht so schnell umorientieren. Bedingt durch eine mittlerweile
belegbare Dysregulation des Hirnstoffwechsels im Stirnhirn (und einige strukturelle
Unterschiede im Vergleich zu Nichbetroffenen), nutzen Kinder, Jugendliche und Erwachsene
mit ADHS offensichtlich ihre neuronalen Netzwerke „anders“. So reift eine „automatische
Servo-Verhaltenskontrolle“ nicht aus, die Kurzzeitspeicherkapazität bleibt zu klein bezüglich
des Aufnehmens und Integrierenkönnens von Informationenen innerhalb des Speichers über
die Zeit. Das Setzen von Prioritäten ist nur schwer möglich. Ein reifes abgewogenes
Entscheiden, ebenso einständiges, selbstangeleitetes inneres Sprechen mit der Fähigkeit,
sich planend und zielgerichtet anzuleiten, entwickelt sich nicht ausreichend. Der
Spontanabruf von Wissen gelingt oft nur unzureichend oder vezögert. Da nicht gleichzeitig
auf Altdaten im Langzeitspeicher zuverlässig zurückgegriffen werden kann, ist Lernen aus
Erfahrung/Einsicht kaum möglich. Es entsteht kein Gefühl für Zeit und Zeitverlauf.
Unangenehme Aufgaben werden meist bis auf den letztmöglichen Zeitpunkt „geschoben“.
Die Impulskontrollstörung beinhaltet eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit der
bewegungsimpulse und der sprachlichen Äußerung, aber auch das schnell emotional, sofort
bewertend, polarisierend wahrgenommen wird. Die Stimmung kippt extrem schnell aus
geringstem Anlass. Die Gefühlslage wird rasch extrem mit einem „sich Hineinsteigern“, ohne
dies zu wollen oder verhindern zu können. Die motorische Unruhe, die aber nicht bei allen
betroffenen besteht (diese wirken dann eher langsam und verträumt), weicht im Laufe der
Kinderentwicklung einer eher inneren Getriebenheit, kann aber auch bei hoher Motivation
oder Neuheitscharakter einer Situation intermittierend völlig verschwinden. Bereits im
Vorschulalter besteht ein erhöhtes Unfallrisiko, ab Eintritt in die Schule mit zusätzlich
häufiger Entwicklung von Angst, Depression, oppositionellem Trotzverhalten. Ca. 80% der
Kinder haben Schwierigkeiten mit dem Lernen im Sinne einer Lese- oder

29
Rechtschreibschwäche, bis hin zur Ausformung einer Legasthenie oder Dyskalkulie.“
(Fachlexikon der sozialen Arbeit, 2011, 7.Auflage)

Schon diese sehr komprimierte Beschreibung legt die Vermutung nahe, dass auch solche
Verhaltensauffälligkeiten eng mit der Gehirnentwicklung verbunden sind, die ja explizit von
äußeren Impulsen abhängig ist, was uns wiederum zu den „Spuren“ auf der Hirnrinde
zurückbringt mit denen alles Lernen steht und fällt. Vielleicht gelingt es mir, die Problematik
anhand eines vereinfachten Beispiels besser zu erklären. Ich beziehe mich hier auf das
Sinnesorgan, das wir am häufigsten nutzen, unser Auge.

„Die Verarbeitung eines Reizes in unserem Sehsystem braucht Zeit, auch wenn sie zunächst
automatisch und sehr rasch erfolgt. Wir können beim betrachten einer Szene in nur 180
Millisekunden angeben, ob dabei ein Tier abgebildet ist oder nicht, also lange bevor wir auch
nur bewusst hingeschaut haben. Damit wir überhaupt so schnell etwas wahrnehmen
können, muss sich unser visuelles System gegen Überlastung schützen. (Spitzer, 2012, S.
253) Dies geschieht beim teilbewussten Wahrnehmen und Bewerten von visuellen Reizen
am Rande unserer Aufmerksamkeit und unseres Gesichtsfeldes, die in rasender
Geschwindigkeit auf den bereits eingefahrenen und automatisierten Reaktionsebenen
entweder als interessant oder als unwichtig bewertet werden. (vgl. Spitzer) Ist der visuelle
Reiz am Rande als unwichtig eingestuft worden lenkt unser Gehirn die volle Aufmerksamkeit
wieder der aktuellen Tätigkeit zu und es bleibt bei einer kurzen Randerscheinung, die weiter
keine Aufmerksamkeit verlangt. Dieser Schutzmechanismus dient im Grunde dazu möglichst
schnell Prioritäten setzen und „bei der Sache“ bleiben zu können. Lernt unser Gehirn jedoch
diesen Überlastungsschutz zu umgehen bzw. anders zu nutzen, wie beim ADHS beschrieben,
weil es scheinbar in virtuellen Welten solche Prioritätssetzungen nicht gibt, bzw. diese auch
sonst nicht gefordert werden, dann können sich auch keine „Filterstrukturen“ in der
Datenverarbeitung manifestieren und man bekommt die uneingeschränkte Masse an Input
eins zu eins verabreicht, die das Gehirn dann genötigt ist komplett zu verarbeiten, weil
andere Möglichkeiten der Verarbeitung gar nicht erst angelegt wurden, was in der Folge
dazu führt das immer alles in uneingeschränktem Maße als wichtig erscheint, und in ziemlich
chaotischer Weise und in suboptimalen Modul-Kopplungen abgespeichert wird, weil es ja
trotzdem schnell gehen muss. Wir verlieren so die Fähigkeit, uns „auf eine Sache“ zu
konzentrieren. Bildlich gesprochen wird der „Dateipfad“, dem unsere Gedanken folgen
müssen, unendlich lang und komplex, was zu dementsprechend langen Verarbeitungszeiten
führt und unser entsprechendes situatives Handeln verlangsamt oder sogar lähmt. Ich hoffe
das macht auch die Folgen von Medienkonsum in bestimmten Abschnitten der
Gehirnentwicklung, wie zum Beispiel in der Grundschulzeit, sichtbar. Ich gehöre noch zu
einer Generation enthusiastischer Mediennutzer, die sich erst während und nach der
Pubertät in virtuellen Welten herumgetrieben haben. Zu diesem Zeitpunkt der
30
Gehirnentwicklung hatte ich bereits ein recht fehlerfrei funktionierendes „Betriebssystem“
einprogrammiert. Zu den Ängsten und Schlafstörungen möchte ich nicht viel sagen.
Wahrscheinlich ist jedem klar, dass man, wenn man alles als Wichtig empfindet, und dem
nicht mal mehr ausweichen kann, nur äußerst schwer zur Ruhe kommt, weil die
Verarbeitung der Daten vom Tage durch die enorme Datenmenge umso mehr Zeit und Raum
braucht, damit man sich überhaupt noch zurecht findet. Denn im Schlaf werden neue
Gedächtnisinhalte in bereits existierendes Wissen integriert und sozusagen sortiert. Dazu
werden sie mit älteren Gedächtnisinhalten und Emotionen verknüpft, analysiert und neu
bewertet. (Spitzer, 2012, S.260) Außerdem gibt es dieses Phänomen der
Aufmerksamkeitsstörungen in den unterschiedlichsten Abstufungen, die sich dann nicht
direkt in einer ADHS manifestieren müssen. Das macht natürlich auch sehr unausgeglichen
und impulsiv, denn man steht ständig unter Anspannung und verfügt kaum über eigene
funktionierende Regelmechanismen. Jede Unregelmäßigkeit führt zu Verunsicherung und
Angst, die sich ebenfalls nicht oder kaum in normale Bahnen lenken lassen. Hiermit möchte
ich diesen Themenbereich abschließen und zu anderen Phänomenen kommen.

Das „Geheimnis“ der Begeisterung


Warum üben Computerspiele eine solche Faszination auf uns und unsere Kinder aus? Ja
auch ich, als Erwachsene erwische mich gelegentlich dabei, das ich vor einem spannenden
Computerspiel sitze und dabei völlig die Zeit vergesse und zudem auch alles andere, wie den
Haushalt und den Einkauf.

Die weitestgehend ökonomische Orientierung der Spiele- und Computerindustrie, der


Unterhaltungsindustrie im Allgemeinen, hat eines vor unseren Sozialforschern und Lehrern
erkannt, nämlich das die Begeisterung der Schlüssel zum Erfolg ist. Begeisterung, die den
Menschen fesselt. Kinder und Jugendliche sind gewinnbringende Kunden. Denn sehr vieles in
unserem recht tristen und langweiligen Alltag ist mehr Last als Leben. Auch das kann man
erkennen, wenn man mit offenem Blick durch die Straßen läuft. Unser Leben ist bestimmt
durch Strukturen, die zwar für eine gewisse Lebensqualität unvermeidbar sind, aber in der
Mehrzahl kaum noch tragbar erscheinen. Eltern müssen für einen halbwegs gesicherten
Lebensunterhalt sehr viel, und mit den zusätzlichen Erwartungen an ihre Flexibilität in einer
sehr unsicheren und von zahlreichen Krisen geschüttelten Arbeitswelt, Zeit opfern, die ihren
Kindern dann nicht mehr zu Gute kommen kann. Kinder und Eltern haben kaum noch
Gelegenheit einfach nur füreinander da zu sein. Früher hatte man vielleicht im
Familienurlaub noch die Chance dazu. Heute sind die Löhne und Gehälter aber ziemlich
niedrig, gemessen an den gesellschaftlichen Standards, die angestrebt und erwartet werden,
und die Lebenshaltungskosten enorm hoch, vor allem wenn man Kinder hat. Zumindest im
mitteleuropäischen Raum. Da reicht das Geld nicht für einen Familienurlaub und auch die
Urlaubsplanung kann nicht mehr so koordiniert werden, dass wirklich mal die gesamte
31
Familie wirklich zur gleichen Zeit frei hat. So viel von meiner Kritik in Bezug auf unser
Gesellschaftssystem. natürlich will ich die zahlreichen Fortschritte, die uns die
Computertechnik beschert hat, nicht gänzlich verteufeln. Schließlich schreibe ich ja auch
diese Arbeit am Bildschirm. Der technische Fortschritt hat sehr Vieles erleichtert, aber der
Preis, den wir dafür zahlen, ist sehr hoch und geht auf Kosten der gesamten Gesellschaft.
Kommen wir zurück zu dem „Geheimnis“ der Begeisterung.

Bildschirmspiele
…also alle Spiele, die mit einem Eingabegerät vor einem Monitor/Bildschirm bedient werden.
Wir spielen sie meist um Zeit „tot zu schlagen“, zumindest anfänglich. Sie fesseln und
begeistern gerade Kinder. Mit der Eroberung des Marktes für Unterhaltungselektronik traten
Bildschirmspiele ihren Erfolgszug an. Sie üben eine scheinbar magische Anziehungskraft auf
die User, also die Nutzer, aus, sonst würde sie ja keiner kaufen. Nur wenn sich ein User
fasziniert von einem Spiel zeigt und er so seine Aufmerksamkeit dem jeweiligen Spiel
widmet, kann es zu Transferprozessen kommen, bei denen der Spieler Inhalte, Handlungen
und Gefühle aus dem Spiel übernimmt. Außerdem nutzt der Spieler sie häufig, um sich
Ablenkung zu verschaffen, entweder um negative Gefühle durch den Erfolg im
Bildschirmspiel zu verdrängen oder die graue Realität der Alltagswelt zu verlassen und etwas
Aufregendes zu erleben. Während im Alltag die Resultate der eigenen Handlungen oft an
nicht vorhersagbare Umstände gebunden sind, ist im Spiel der Rahmen eindeutig festgelegt
und an klaren Regeln ausgerichtet, was deutlich weniger komplex gehalten ist, als die
Realität es vermuten lässt. Das vermittelt dem User ein Gefühl von Kontrolle und Macht, die
vollkommen unabhängig von realer Lebenswelt ist. Wenn sich dann auch noch schnell
Erfolge im Spiel einstellen ist es recht angenehm. Bleiben die Erfolge aus, verändert man
entweder den Schwierigkeitsgrad oder legt das Spiel beiseite. Es sei denn die Faszination für
dieses Spiel ist bereits so stark, dass der User entsprechenden Ehrgeiz entwickelt es doch
noch schaffen zu wollen. Das kann man sehen, wie man will. Ich finde Ehrgeiz nicht
grundlegend schlecht, aber wenn der Spieler sich gar nicht mehr aus dieser Fiktion lösen
kann führen ständige Misserfolge irgendwann zu Frustration. Man kann also sagen, in
gewisser Weise können Bildschirmspiele die Emotionen beeinflussen. Solange der
allgemeine Grundton positiv ist, kann man dagegen nichts sagen. Problematisch wird es erst
wenn die Sogwirkung einsetzt, die dazu führt, das eben alltägliche Pflichten vernachlässigt
werden und der Spieler mehr Zeit am Bildschirm mit seinem Spiel verbringt, als es noch
tolerierbar ist. Dann fällt er aus dem normativen Rahmen heraus. (Wesener in:
Dittler/Hoyer, 2008, S. 99ff) Eine besondere Form dieser Bildschirmspiele stellen die so
genannten RolePlayGames (RPGs) dar.

Rollenspiele und das Spiel mit Identität

32
Es handelt sich hierbei um Spiele, die in relativ komplexe Geschichten eingebettet wurden
und interaktive Storyboards beinhalten. Dann kommt noch hinzu, dass man sie mit realen
Menschen an irgendeinem anderen Computer irgendwo auf der Welt zusammen spielen
kann. Es gibt sie auch zum „Alleine spielen“. Viel interessanter sind jedoch in diesem Kontext
die world wide web- Versionen. (Bsp. RPGs wie: „World of Warcraft“ und aktuell „World of
Tanks“ oder “Clash of Clans”) Sehr bedenklich sind die Tendenzen, diese Spiele so
realitätsnah zu gestalten, dass sie eine reale Lebenswelt vollkommen ersetzen könnten wie
bei dem Spiel „Second Life“. Hier schafft man sich sozusagen ein „zweites reales Leben“ in
einer vollkommen fiktiven Welt, das den normalen Strukturen der eigentlichen Lebenswelt
so ähnlich ist, dass es als Ersatz für eine unbefriedigende Realität angenommen wird. Das
heißt, die Spieler sitzen eigentlich nur noch vor dem Bildschirm und „leben, arbeiten,
verdienen Geld, gründen eine Familie, bauen ein Haus und sterben irgendwann“
ausschließlich in der Fiktion, verleugnen und verpassen aber ihr normales Leben und bauen
über dieses Spiel hinaus gar keine weiteren Bezüge zur tatsächlichen Lebenswelt mehr auf.
Die Wirkung gerade solcher interaktiven Computerspiele auf Kinder und Jugendliche wird
heiß diskutiert. Das es eine irgendwie geartete Wirkung dieser Spiele auf ihre User gibt, ist
inzwischen eine belegte Tatsache. Das Gefährliche an diesen Spielen ist, das sie
überdurchschnittlich häufiger zu Sucht und krankhafter Abhängigkeit führen, als
vergleichbare Spiele ohne interaktiven Charakter. Worin genau die Ursachen dafür liegen
wird noch aktiv erforscht. Ideen und Ansätze finden sich in den Medienenwirkungsthesen,
doch das alleine wird es nicht sein. Auch das Einstiegsalter und die Reaktionen im „Außen“ in
Bezug auf den Umgang damit, und die zeitlichen Faktoren im Wechselspiel mit diesen Seiten
der neuen Medien, werden vermutlich ebenfalls Einfluss darauf haben. Die Zahl der dieser
Sucht verfallenen jungen intelligenten Menschen, die einfach nicht mehr vom Computer
loskommen, steigt immer höher. Es sollte uns Erwachsene in Alarmbereitschaft versetzen,
dass die Folgen des Entzuges der Computernutzung denen von Alkohol- oder
Medikamentenabhängigen ähneln. (vgl.Klumpp in Dittler/Hoyer, 2008, S.199)

Nun kann man natürlich damit argumentieren, dass es einfach nur zu fesselnd ist, solche
virtuellen Identitäten auszuprobieren. Immerhin birgt das nicht so viel Gefahr ausgestoßen
zu werden, wie im realen Leben, wenn man sich schwerwiegendere Fehltritte leistet. Ist ja
alles nicht echt! Doch wenn es zu Problemen wie Sucht und Abhängigkeit führt, sollten wir
versuchen, die Lebenswelt für uns und unseren Nachwuchs ein bisschen positiver und
angenehmer zu gestalten und zumindest gewisse Grundregeln für den Umgang mit solchen
Phänomenen aufstellen, damit der Bezug zum realen Leben nicht gänzlich verloren geht. Wir
sollten unsere Kinder vielmehr gerade auch emotional besser in der Normrealität verankern,
damit die Verlockung der virtuellen Welten relativiert werden kann.

33
Medienwirkung und Gewalt in den Medien
Wenn ich hier über Medien spreche, komme ich an der Gewalt in ebendiesen und den
aktuellen Diskursen darüber, nicht gänzlich vorbei. Trotzdem möchte ich klar stellen, dass ich
eine ganz eigene Sicht auf solche Phänomene entwickelt habe, die ich so noch in keinem
Beitrag gefunden habe. Ich persönlich halte es für unvernünftig den „Spielemachern“ die
Schuld an Amokläufen in Schulen zu geben. Welche Theorien und Thesen auch immer
aufgestellt werden in diesem Kontext, sie beschäftigen sich in der Mehrzahl mit einem
Symptom, das darauf hinweist, dass die eigentlichen Probleme auf einer ganz anderen
Ebene liegen. Ich möchte nicht in Frage stellen, das es eine Art Zusammenhang zwischen den
so heiß diskutierten „Ego-Shooter“-Spielen und ihren Auswirkungen auf einzelne User gibt.
Dazu gibt es, Dank der Aufschreie, die in diesem Kontext durch unsere Medienwelt gingen,
jede Menge Studien und Forschungsansätze.

„Die Diskussion um schädliche Auswirkungen der Medien ist so alt wie die Medien selbst,
und es gibt kein Medium, das nicht in den Verdacht geraten ist, durch Darstellungen von
Gewalt die Gewalttätigkeit seiner Nutzer zu fördern. Es gibt keinen Bereich der
Wirkungsforschung, in dem so viel Untersuchungen durchgeführt worden sind.“ (Kunczik in:
Dittler/Hoyer, 2008, S.163)

Es gibt einige Medienwirkungstheorien, die man aufgestellt hat, wovon schon die eine oder
andere widerlegt wurde bzw. sich die Wahrscheinlichkeit von expliziten Zusammenhängen in
den durchgeführten Experimenten und Studien so nicht bestätigte bzw. zu viel Fragen offen
ließen. Dazu ist außerdem wichtig, den Zeitrahmen zu beachten, in dem diese Thesen
aufgestellt wurden. Mitunter gab es zu diesem Zeitpunkt derartig realitätsnahe und
gewaltschwangere Bildschirmspiele noch gar nicht, die aber aktuell stark im Fokus stehen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich sie hier aufzählen und mit kurzen Stichworten
versehen.

Ÿ Die Katharsisthese, die behauptet, durch das Mitvollziehen von an fiktiven Modellen
beobachteten Gewaltakten in der Phantasie nehme die Bereitschaft ab, selbst
aggressives Verhalten zu zeigen und wurde empirisch widerlegt.

Ÿ Die Inhibitionsthese und die Umkehrthese sind andere Erklärungsmöglichkeiten für


das Nicht-Auftreten von Aggressivität. Die Inhibitionsthese unterstellt, mediale
Gewalt löse Aggressionsangst aus. Realistische Gewaltdarstellungen, in denen die
negativen Konsequenzen von Gewalt deutlich gezeigt werden, bewirken eher Angst
als Aggression. Die Umkehrthese meint, dass Mediengewalt auch zu intensiverem
prosozialen Verhalten führen kann. Einen Anti-Gewalt-Effekt konstatierte auch
Grimm (1999), der Wirkungen im Sinne eines „negativen Lernens“ nachgewiesen hat.

34
Ÿ Die Habitualisierungsthese, auch Abstumpfungsthese genannt meint, das durch
ständigen Konsum von Fernsehgewalt die Sensibilität gegenüber Gewalt abnimmt
und schließlich als normales Alltagsverhalten betrachtet wird. Eine Meta-Analyse der
hierzu vorliegenden Forschungsbefunde zeigte, dass diese These noch der weiteren
empirischen Untersuchung bedarf haben es gibt Hinweise auf eine Desensibilisierung
durch den Konsum von Mediengewalt.

Ÿ Die Kultivierungsthese geht von der Annahme aus, dass ein hoher Fernsehkonsum
langfristig das Weltbild von Vielsehern im Vergleich zu Wenigsehern in Richtung der
„Fernsehrealität“ prägt. In der Meta-Analyse wurde diese Annahme bestätigt, aber es
gibt noch nicht genügend erforschte Drittvariablen, die zu unterschiedlich
ausgeprägten Kultivierungseffekten führen.

Ÿ Die Suggestionsthese beinhaltet die Annahme einer generellen, direkten Suggestion


von Nachahmungstaten durch die Medienberichterstattung und wurde widerlegt,
wobei es aber unter bestimmten Bedingungen zu Imitationseffekten kommen kann.
Dazu finde ich wichtig zu sagen, dass, obwohl es Studien zur Imitationswirkung von
medial berichteten bzw. gezeigten Selbstmorden gibt, die eine Art Zusammenhang
vermuten lassen, diese unter genauerer Betrachtung vor allem an den Tag bringen,
dass bereits eine entsprechende Vorbelastung bei den Nachahmern vorgelegen hat.

Ÿ Die Excitation-Transfer-These unterstellt, dass verschiedene Medieninhalte


unspezifische emotionale Erregungszustände beim Rezipienten auslösen können.
Diese bilden ein „Treibpotential, das die Intensität nachfolgenden Verhaltens erhöht.

Ÿ Die Stimulationsthese bezieht sich ebenfalls auf den Erregungszustand des


Individuums und bestimmten Situationsfaktoren, die in einem
Wirkungszusammenhang stehen aber von persönlichkeitsbezogenen Faktoren
abhängig sind und einen auslösenden Schlüsselreiz brauchen. Ein Nachweis des
Stimulationsmechanismus ist jedoch nicht erbracht worden.

Ÿ Priming-Ansätze und die Script-Theorie widmen sich speziell der Bedeutung von
aggressionsauslösenden Hinweisreizen. Das Konzept des Primings besagt, das
semantisch miteinander verbundene Kognitionen, Gefühle und Verhaltenstendenzen
im Gehirn durch assoziative Pfade bzw. neuronale Netze im Gehirn miteinander in
Beziehung stehen. Wird nun ein Knoten (z. B. gewalttätige Medieninhalte) stimuliert
kommt es innerhalb dieses Gefüges zu einem Ausstrahlungseffekt, wodurch
Verhaltenstendenzen und Gefühle ebenfalls angeregt werden. Die
Forschungsbefunde sprechen für die Existenz solcher Priming-Effekte, langfristige
Effekte bedürfen allerdings weiterer Untersuchung. Die Script-Theorie beschäftigt
35
sich in diesem Zusammenhang überwiegend mit der Informationsverarbeitung des
Rezipienten, wobei Scripts als mentale Routinen oder „Programme“ verstanden
werden, die im Gedächtnis gespeichert sind und automatisch herangezogen werden,
um das Verhalten zu steuern und Probleme zu lösen. Mit bestimmten Situationen
verbundene Schlüsselreize sind in der Lage, diese „Problemlösungsprogramme“ zu
aktivieren, wenn dieses „Programm“, gemessen an der Situation, Erfolg versprechend
ist. Diese Annahmen wurden in verschiedenen Studien bestätigt, aber ähnlich wie für
Priming gilt, dass die Annahmen über die sich im Gehirn der Rezipienten
abspielenden Prozesse letztlich auf empirisch nicht nachzuweisenden Vermutungen
aufbauen.

Ÿ Die Theorie des Beobachtungslernens beschäftigt sich vorrangig mit den


Wechselwirkungen von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren. Diese Theorie geht
davon aus, dass sich Menschen durch Beobachtung (in der Realität oder in den
Medien) Handlungsmuster aneignen („Lernen am Modell“) Das Erlernen solcher
Verhaltensweisen forciert aber nicht automatisch die Durchführung. Der Mensch ist
in der Lage, die Ausübung einer Handlung von den vermutlichen zu erwartenden
Konsequenzen abhängig zu machen. (Kunczik in: Dittler/Hoyer, 2008, S.163ff)

So viel zur groben Orientierung bezüglich Gewalt in den Neuen Medien und dem Versuch
Wirkungszusammenhänge sichtbar zu machen. Ich tendiere dazu, den Ideen und Thesen, die
sich mit den komplexeren Zusammenhängen von Medien und ihrer Wirkung in Kombination
mit weiteren, weniger offensichtlichen Faktoren beschäftigen den Vorzug zu geben. Was ich
tatsächlich als sinnvoll erachte ist die Notwendigkeit die kindliche Entwicklung und natürlich
auch die von Jugendlichen, eigentlich von uns allen, in einen Wirkungszusammenhang mit
den Medien in ihrer gesamten Bandbreite und der Lebensumwelt zu stellen. Denn wie schon
in Auffenangers Zitat besagt, nutzen Kinder und Jugendliche genauso wie Erwachsene, Neue
Medien zu ihren ganz eigenen Zwecken. Es wäre unsinnig zu behaupten, dass wir das
verhindern können.

Kindliche Entwicklung und Neue Medien


Das Fernsehen und inzwischen auch das Internet sind die gewaltigsten Lieferanten sozialer
Images und Botschaften, die es je gab. „Sie sind der „Mainstream“ der gemeinsamen
symbolischen Umwelt, in den unsere Kinder hineingeboren werden und in dem wir alle
unser Leben leben“, meinte mal ein amerikanischer Medienwissenschaftler. (Klumpp in
Dittler/Hoyer, 2008, S. 195) Unumstritten gehören Fernsehen, Video, Computer und alles
andere, was ich anfangs unter „Neuen Medien“ zusammengefasst habe schon längst zu
unserem normalen Alltag. Sie sind einfach nicht mehr weg zu denken. Wenn wir nicht gerade
unsere planetaren Energieressourcen plötzlich mit einem Schlag verlieren, wird sich das
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sicher nicht ändern, allenfalls intensivieren. Einen Haken hat diese Sache nämlich, ohne
Strom geht gar nichts mehr! Wir machen uns aktuell sehr von diesen neuen Medien
abhängig und gehen wahrscheinlich sang- und klanglos unter, wenn wir plötzlich genötigt
sind unseren eigenen Verstand zu bemühen. Es gibt inzwischen schon die zweite, wenn nicht
sogar dritte Generation von Usern der Neuen Medien. Und der Umgang damit ändert sich
von Tag zu Tag, wird zunehmend Teil unserer Lebenswelt.

Die neuen Medien sind zu einer Art heimlichen Sozialisationsinstanz geworden, die andere
Vorbilder wie Eltern, Verwandte und Lehrer abgelöst haben. Die Kinder und Jugendlichen
sind der Faszination des Fernsehens und der Wirkung von Computer- und Konsolenspielen
unterworfen. Für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche besteht vor allem im Spiel mit
elektronischen Medien die Möglichkeit, sich den Frust aus Familie und Schule oder auch
Freizeit wegzuspielen, einzutauchen in eine andere Welt, die sie selbst beeinflussen, steuern
und kontrollieren können. Die Kinder wachsen mit diesen neuen Medien und ihrer Nutzung
auf und das ist für die psychosoziale Entwicklung der Kinder von besonderer Bedeutung. Die
häufige Mediennutzung wird bewusst von der Film- und Werbeindustrie ausgenutzt.
Beliebte Schauspieler werden zum Vorbild von Jugendlichen hochstilisiert und über die Kino-
und Fernsehfilme vermarktet. Einen krönenden Abschluss dieser Werbekampagnen bietet
dann das interaktive Spiel mit dem Lieblingsschauspieler am Computer. Die Kombination und
der geschickte Einsatz der verschiedenen Medien erwirkt eine hohe Marken- und
Personenidentifikation der Zielgruppe Kinder. Für Kinder und Jugendliche ist es dabei enorm
wichtig, sich mit ebensolchen Personen aus Buch oder Film über Äußerlichkeiten zu
identifizieren. Die Kinder stehen dabei vor dem für sie wichtigen Problem, nicht in die Rolle
des Außenseiters in ihrer Peer Group zu geraten. (Klumpp in Dittler/Hoyer, 2008, S. 196)

Das legt nahe, dass, wenn wir über die kindliche Beeinflussung durch neue Medien reden,
die Lebenswelt mit allen ihren zahlreichen Facetten und komplex miteinander verknüpften
Faktoren, nicht mehr ausgeschlossen werden kann, und ein Grossteil von gesellschaftlicher
Verantwortung mehr und mehr auf den Schultern einer immer reicher und mächtiger
werdenden Wirtschaftsinstanz zu liegen kommt. Das schließt hoffentlich auch ein sich
entwickelndes, übergeordnetes Bewusstsein für die Konsequenzen eines
verantwortungslosen Umgangs mit dieser Macht ein.

Medienkompetenz
Die möglichen Folgen einer exzessiven Spielleidenschaft konnte ich hoffentlich gut
darstellen. Damit erübrigt sich dann auch die Frage, ob es wirklich nötig ist, dagegen zu
steuern und im Zweifelsfall zu intervenieren. Überlegungen und Ansätze zur Steuerung der
kindlichen Leidenschaft am Computerspiel sind bereits vorhanden, aber inwiefern es
längerfristig Erfolge in der Bewältigung dieser enormen gesellschaftlichen
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Entwicklungsaufgabe bringt, müssen wir erst noch heraus bekommen. Fakt ist, das die
Bequemlichkeit vieler Eltern und auch der übergeordneten Instanzen Hauptursache für
derartige Fehlentwicklungen ist. Ich habe schon an vielen Stellen in dieser Arbeit Beispiele
dafür genannt. Langfristige Folgen von täglichem Medienkonsum sind bereits erkennbar,
nicht jedoch zwingend die Wirkungen auf Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung, oder
die kindliche Gehirnentwicklung. Für dieses spezielle Desinteresse bekommen wir erst dann
die Rechnung, wenn unsere jetzigen kleinen User erwachsen sind und mit multiplen
Problemen zu kämpfen haben werden, die gerade an ihre Persönlichkeit und der damit
verbundenen Entfaltung innovativer Potentiale zum Lösen von Problemen, gebunden sind.
Dennoch haben sich ein paar verantwortungsbewusste Leute gefunden und
zusammengetan, um ein paar Ratschläge zu einer bewussten Steuerung und
Medienerziehung zusammenzutragen. Für alle, die sich nicht widerstandslos damit abfinden
wollen, dass unsere zukünftige Gesellschaft langsam den Bach runter geht und vollends nicht
mehr nachvollziehbare Formen annimmt, gibt es an dieser Stelle genau diese vorsichtigen
Versuche einer Regelform:

Ÿ Für alle Kinder und Jugendlichen gilt ein absolutes Zeitlimit über die Fernsehzeit oder
für die Zeit am Computer. Bei 2-4jährigen maximal eine halbe Stunde, für die 5-
7jährigen maximal 45 Minuten.

Ÿ Fernsehzeit ist nicht täglich, gleiches gilt für die Spielkonsole und den Computer.

Ÿ Die Spiele und die Fernsehfilme werden gemeinsam ausgesucht, dies gilt
gleichermaßen für Kinofilme

Ÿ Jüngere Kinder unter 8 Jahren werden von einem Elternteil beim Fernsehen und
Videospiel begleitet; so kann der Film besprochen werden, um
Nachverarbeitungsprozesse zu unterstützen.

Ÿ Alles muss mit den Kinder verbindlich besprochen und fest vereinbart werden.

Ÿ Der von der Familie getrennt lebende Vater, oder die Mutter lassen ihre
Besuchskinder nicht längere zeit fernsehen, um vor ihnen besser da zu stehen. Diese
Elternteile bieten dann selbstverständlich keine Spielkonsolen an, wenn diese im
anderen Elternhaus nicht vorhanden sind. Die Eltern haben dies unter sich schriftlich
festgelegt. Im Einzelfall mit dem Jugendamt.

Ÿ Medien werden aktiv genutzt, dabei können die Kinder fotografieren oder Videofilme
aufnehmen, um sie am Computer gemeinsam zu bearbeiten.

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Ÿ Zwischen Eltern, Lehrern und Erziehern wird das Medienverhalten der Kinder
besprochen, es werden bei Problemen Lösungen erörtert und abgestimmt.

Ÿ Der Fernseher gehört nicht in ein Kinderzimmer, damit wird jeder unkontrollierte
Gebrauch vermieden, gleiches gilt für Spielkonsolen.

Ÿ Fernseher und Computer werden nicht zur Strafe entzogen, wenn sie nicht der Grund
sind, sie würden sonst aufgewertet.

Ÿ Werden die vereinbarten Sehzeiten und Nutzungszeiten am Fernseher und Computer


nicht eingehalten, können die Geräte für eine bestimmte vereinbarte Zeit nicht
benutzt werden.

Ÿ Fernseh- und Computernutzungszeiten wurden schriftlich vereinbart, eine


Ausnahmeklausel sollte darin enthalten sein, dass vor Klausuren oder bei einem
Leistungsabfall in mindestens zwei Arbeiten eine zeitlich beschränkte Ruhpause
eingelegt wird.

Ÿ Ausgeliehene Videofilme und Spiele werden den Eltern vor der Nutzung gezeigt.

Ÿ Im Kindergarten wird verstärkt auf das Spielverhalten der Kinder eingegangen und
dieses analysiert. Über dieses verhalten lassen sich Fernseh- und
Spielkonsolengebrauch feststellen und im Elterngespräch einbringen.

Ÿ Das Sprachverhalten der Kinder gibt Aufschluss bei übermäßigem Fernsehkonsum.


Erzieherinnen und Lehrer sind neutrale Beobachter.

Ÿ Jährlich mindestens ein bis zwei Veranstaltungen im Kindergarten und in der Schule
zur Förderung der Medienkompetenz der Eltern.

Ÿ Im Kindergarten und in der Schule den Kindern Alternativen aufzeigen, um sie reif für
eine andere Freizeitgestaltung zu machen. Geben sie Bastelarbeiten zum
Fertigstellen über das WE mit nach Hause.

Wichtig für alle ist, dass sie konsequent bleiben. Auch bei sich selbst. Bei Kindern entstehen
Neugierde und Interesse, wenn sie sich mit altmodischen Spielsachen, wie Bausteinen
beschäftigen können, oder Murmeln. Bisweilen braucht es nur einen kleinen Impuls dazu
von den Eltern selbst. Vor allem selber machen lassen sollten sie sich auf die Fahnen
schreiben. Das bringt reale Erfolgserlebnisse und meist viel Spaß.

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Für die älteren Kinder empfiehlt es sich, öfter weg zu fahren, an den Wochenenden oder
nachmittags. Sie werden zwar Protest einlegen, aber dann gefällt es ihnen doch. Sie sind
gerne bei Trendsportarten dabei. (Klumpp in Dittler/Hoyer, 2008, S. 206)

Schlussfolgerungen
Die psychosoziale, emotionale Komponente in der Betrachtung überwiegt, weil ich vermute,
dass genau dort die verheerendsten Auswirkungen von Neuen Medien zu finden sind, die
sich vermutlich in ihrer ganzen Tragweite noch nicht zeigen. Sollte sich meine Vermutung
bestätigen, dann haben wir schon ganze Generationen an die virtuellen Welten „verloren“,
die nicht mehr dazu in der Lage sein werden in unserer aktuellen Lebenswelt, mit allen ihren
Regeln und Traditionen, zurecht zu kommen. Sie werden unser System nachhaltig
verändern, daran zweifle ich nicht, nur daran, ob das tatsächlich sinnvolle und nachhaltige
Verbesserungen mit sich bringt. Ich habe ansatzweise versucht einen Zusammenhang
zwischen aktuellem Medienkonsum und Reifung von Gehirn und Entwicklung der
Persönlichkeit darzustellen. Natürlich ist das immer abhängig von Dauer, Intensität,
verfügbaren Inhalten und Umgang durch das „Außen“ mit dem Thema. Wie das die
Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit und Identität beeinflussen kann ist hoffentlich
deutlich geworden. Das die Wahrscheinlichkeit von Störungen in der Anpassung,
insbesondere an übergeordnete Strukturen, exponential zum Medienkonsum steigt, stellt
sich auch erkennbar dar und lässt sich durchaus an Studien und Statistiken belegen, wie sie
Manfred Spitzer gern heranzieht. Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Es gibt aktuell viele wissenschaftliche Diskurse, die immer wieder neue Impulse für weitere
Forschungen hervorbringen, deshalb kann diese hier vorliegende Arbeit nur eine
Momentaufnahme sein.

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Quellenverzeichnis

Dieter Baacke: „Die 6-12jährigen: Einführung in Probleme des Kindesalters“, Weinheim;


Basel, 1995, 6. Auflage

Ullrich Dittler/ Michael Hoyer(Hrsg.): „Aufwachsen in virtuellen Medienwelten, Chancen und


Gefahren digitaler Medien aus medienpsychologischer und medienpädagogischer
Perspektive“, München, 2008

Erik H. Erikson.: „Identität und Lebenszyklus“, Frankfurt/Main, 1997, 16. Auflage

Gerald Hüther/ Lutz Ullrich Besser u. a. : „Brainwash- Gehrinentwicklung im Sog der


Medien“, Auditorium DVD, Vlotho, 2008

Juliane Noack: „Erik H. Eriksons Identitätstheorie“, Oberhausen, 2005, 1. Auflage

Manfred Spitzer: „Digitale Demenz, wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand
bringen“, München, 2012

Fachlexikon der sozialen Arbeit, Baden-Baden, 2011, 7.Auflage

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