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Inhaltsverzeichnis
Einleitung 3
Kognitive Entwicklung nach Piaget 4
2.1 Lesekompetenz verortet in Piagets Entwicklungstheorie 5
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1. Einleitung
Eine neue Pisa-Studie vom Jahr 2019 in der Schweiz zeigt, dass die Lesekompetenz
bei Schülerinnen und Schülern in den letzten drei Jahren gesunken ist, dafür sind sie
gut in Mathe. Die Studie wurde bei 15-jährigen Schülerinnen und Schülern durchgeführt
(Konsortium PISA.ch, 2019). Diese Studie ist der Grundstein dieser Arbeit, da sie von
Aktualität in dem heutigen Lern- und Schulwesen zeugt. Ich möchte die aktuellen
Lesekompetenzen anhand Piagets kognitiver Entwicklung unter die Lupe nehmen und
aufzeigen, wo Piagets Theorie an ihre Grenzen stösst. Der Fokus liegt dabei auf
Piagets Entwicklungsstufen, welche die Lesefähigkeit und das logische Denken
betreffen. Wie lässt sich die Leseschwäche der Schülerinnen und Schüler anhand der
kognitiven Entwicklungstheorie nach Piaget erklären und an welchem Punkt stösst sie
an ihre Grenzen? Um dieser Frage nachgehen zu können, möchte ich Piagets
Entwicklungstheorie als erstes kurz erläutern und darauffolgend die angegebenen
Gründe für die Leseschwäche aufzeigen, um mögliche Bezüge der Entwicklungstheorie
zu dem aktuellen Leseproblem ziehen zu können. Dabei dient mir der Text: ‘Meine
Theorie der geistigen Entwicklung’ als Primärliteratur, wobei ich Sekundärliteratur als
Stütze hinzuziehen möchte. Ich möchte zudem auf die aktuellen Ergebnisse der
PISA-Studie 2018 (Name der Studie, dessen Ergebnisse im Jahr 2019 veröffentlicht
und diskutiert wurden) eingehen, da sie die Aktualität des Themas nochmals aufzeigt
und zum Abschluss dieser Arbeit eine Verbindung zu George Siemens Konnektivismus
Theorie ziehen. Da es sich bei dieser Arbeit um ein Essay handelt, fliesst meine
persönliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ein. Abschliessen möchte ich mein
Essay mit möglichen Lösungsansätzen, um all die behandelten Punkte in meinem Fazit
nochmals auf den Punkt zu bringen und zu reflektieren.
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2. Kognitive Entwicklung nach Piaget
Laut Piaget wird jeder Mensch mit zwei fundamentalen Tendenzen geboren: Adaption
(Anpassung an die Umgebung), welche die Assimilation (Veränderung der Umwelt, um
diese den eigenen Bedürfnissen anzupassen) und die Akkomodation (Veränderung des
eigenen Verhaltens, um sich selbst den Umweltbedingungen anzupassen) beinhaltet.
Assimilation und Akkomodation sind dann am wirksamsten, wenn sie einen
Gleichgewichtszustand (Äquilibration) erreichen (Piaget, 1970/2003, S. 53-62). Die
zweite Tendenz ist die Organisation zur Integration eigener Prozesse in kohärente
Systeme (z.B. die Augen-Hand-Koordination, um einen Gegenstand greifen und
verschieben zu können) (Piaget & Inhelder, 1986, S. 15-22).
Dies funktioniert laut Piaget als Prozess der Wissenskonstruktion, welcher anhand des
aktiven Handelns und der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt geschieht. Das
Individuum selbst konstruiert seine kognitiven Strukturen und seine Verhaltensstruktur.
Dies tut das Individuum, indem es verfehlte, ungeeignete Vorstellungen von
Gegenständen/ resp. der Dingwelt durch neue, besser passende Vorstellungen ersetzt
oder umstrukturiert. Hinzu kommt, dass die Entwicklung in verschiedenen Perioden
erfolgt. Ich möchte nicht alle Perioden genauer anschauen, sondern hier kurz
anmerken, dass alle Perioden universell sind und aufeinander aufbauen. Eine Periode
kann demnach nicht übersprungen werden, wobei die Übergänge zwischen den
Perioden fliessend sind (Piaget 1970/2003, S. 65-70). Die sensomotorische Periode
dauert ca. bis zum 1.5 Lebensjahr und beinhaltet die Zentrierung des Kindes auf den
eigenen Körper und später das darauf aufbauende Umweltverständnis (Piaget
1970/2003, S. 65-86). Darauf folgt die Periode der Vorstellungsintelligenz, welche den
Umgang mit konkreten Operationen, dem Erlernen des Sprechens und dem Aufbau der
Sprache und schlussendlich Anfänge operatorischer Gruppierungen beinhaltet ((Piaget
1970/2003, S. 65-86). Die dritte Periode schliesst formale Operationen mit ein (Piaget
1970/2003, S. 86).
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Im folgenden Kapitel möchte ich mich genauer mit der Aneignung der Lesekompetenz
laut Piagets kognitiver Entwicklungstheorie und den Motiven, Lesen zu lernen,
beschäftigen.
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In diesem Fall wären weder die Motivation, Lesen zu lernen, noch der Drang zur
Äquilibration gewährleistet.
Im folgenden Kapitel möchte ich der Antwort dieser Frage etwas näher kommen, indem
ich die Ergebnisse der PISA-Studie präsentiere.
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bloss um an Informationen zu gelangen, verschärft das Problem der Leseschwäche
(Konsortium PISA.ch, 2019).
Lesen gilt nicht mehr als Vergnügen, sondern als Mittel, sich die nötigen Informationen
beschaffen zu können, was dazu führt, dass die Leseschwäche stark mit einer
Lesefaulheit zusammenhängt.
Anhand der gewonnenen Informationen der PISA-Studien lässt sich interpretieren, dass
die ‘Art des Lesens’ sich entscheidend veränderte. Nicht nur Kinder und Jugendliche,
sondern auch Erwachsene lesen vermehrt auf Social-Media, Chats oder anderen
digitalen Informationsquellen, anstelle traditionellen Printmedien. Meines Erachtens
entwickelte sich dabei auch ein anderer Umgang mit der Sprache an und für sich, da
auf Social-Media wenig, überspitzt gesagt, poetische Lektüre geteilt wird. Auch der
Qualität der Informationen sowie der Grammatik wird wenig Beachtung geschenkt,
indem mehrheitlich Bilder mit vereinfachter Sprache kommentiert werden. Dieses Teilen
von Informationen bringt darüber hinaus noch eine weitere Neuerung mit sich, welche
auch die PISA-Studie in ihrem Bericht auf den Punkt gebracht hat:
“Die rasante Digitalisierung der Kommunikation tangiert die Art der
Informationskompetenz, über die junge Erwachsene in ihrer zukünftigen Arbeit und in
ihren breiteren sozialen Interaktionen verfügen müssen (Stichwort: digitale Revolution).”
(Konsortium PISA.ch, 2019, S.11)
All die neuen Erkenntnisse, die dank der PISA-Studie 2018 gemacht wurden, weisen
auf einen gemeinsamen Nenner: die Digitalisierung.
Im nächsten Kapitel möchte ich daher auf den Konnektivismus eingehen und
versuchen, diese Theorie mit Piagets kognitiver Entwicklung zu verknüpfen.
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4. Kognitive Entwicklung und Konnektivismus
George Siemens, Lerntheoretiker und Begründer des Konnektivismus geht der
Annahme, dass die Theorien des Behaviorismus, Konstruktivismus und Kognitivismus
‘veraltet’ sind, da sie alle vor der Zeit der Digitalisierung geschrieben wurden (Siemens,
2005, S. 1). Er spricht zudem den Aspekt der ‘half-time-knowledge’ an, die Zeitspanne,
in der Wissen angeeignet und schon wieder überflüssig oder unnütz wird (Siemens,
2005, S. 1). Lernen wäre für den Lernenden eine ganz neue Art der Erfahrung und
Interaktion mit der Umwelt (Siemens, 2005, S. 2).
Genauer würde das, anhand Siemens Aussagen, bedeuten, dass Lernen sich nicht
mehr nur zwischen Individuum und Lerngegenstand abspielt, sondern als
Informationsnetz, welches von verschiedenen Organisationen beeinflusst, konstruiert
oder angeordnet wird (Siemens, 2005, S. 1-8). Laut Siemens würden all die, in diesem
Kontext, ‘veralteten’ Theorien das Verhalten von Lernen im Zusammenhang mit den
Organisationen nicht beschreiben können (Siemens, 2005, S. 2).
Obwohl J. Piaget den Zusammenhang mit den Organisationen nie tatsächlich
angesprochen hat, und schon gar nicht die digitalen Organisationen im Netz, so könnte
man, laut meinen Überlegungen, von einem Ansatz dafür sprechen. In dem Werk ‘Die
Psychologie des Kindes’ von J. Piaget und B. Inhelder (ehemalige Mitarbeiterin Piagets)
spricht Piaget folgendes an:
“[...] besteht [...] das Universum der Vorstellungen nicht mehr nur wie auf der senso-motorischen
Stufe ausschliesslich aus Objekten (oder Personen-Objekten), sondern auch aus Subjekten, die
zugleich dem Ich fremd und analog sind, mit all den verschiedenen und vielfältigen Aspekten
einer solchen Situation, die zu differenzieren und zu koordinieren sind. Mit anderen Worten, die
Dezentrierung, die notwendig ist, damit die Operationen sich ausbilden können, erstreckt sich
nicht mehr nur auf ein physisches Universum [...], sondern auch untrennbar auf ein
interindividuelles oder soziales Universum.” (Piaget & Inhelder, 1986, S. 99)
Das soziale Universum, welches im Zitat beschrieben wird, beschreibt einen Prozess
der Sozialisierung. Diesen Sozialisierungsablauf könnte auf die Organisationen nach
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Siemens übertragen werden, da innerhalb dieser Organisationen, in denen sich das
lernende Individuum befindet, auch eine Art der Sozialisation betrieben wird.
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den Erwachsenen übernehmen, solange der Umgang nicht als Thema für das Lernen
im Allgemeinen behandelt wird.
Abschliessen möchte ich mit einer Annahme, die sich nicht so leicht und kurz bestätigen
oder widerlegen lässt und daher spannend für weitere Analysen wäre: Der
Ausgangspunkt Piagets, den Begriff ‘Lernen’ zu beschreiben, ist ein anderer als der von
Siemens. Die Antwort auf die Frage ‘Was bedeutet Lernen überhaupt’ hinkt in meinen
Augen den neuen Lernmethoden hinterher. Lernformen müssen sich den heutigen
Bedingungen und dem Wandel des Lernbegriffs stetig anpassen, da ansonsten die
Effektivität der Lernmethoden gemindert wird.
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6. Literaturverzeichnis
Laner, C. (2014): Schule neu gedacht - Schule neu gemacht. Innsbruck, Studienverlag
GmbH, S. 7-11.
Konsortium PISA.ch (2019). PISA 2018: Schülerinnen und Schüler der Schweiz im
internationalen Vergleich. Bern und Genf: SBFI/EDK und Konsortium PISA.ch.
Piaget, J. & Inhelder, I. (1986): Die Psychologie des Kindes. München, Deutscher
Taschenbuch Verlag GmbH & Co.
Siemens, G. (2005): Connectivism: A Learning Theory for the Digital Age. International
Journal of Instructional Technology and Distance Learning (ITDL), S. 1-8.
https://pdfs.semanticscholar.org/a25f/84bc55488d01bd5f5acac4eed0c7d8f4597c.pdf?_
ga=2.161445563.703686502.1576788723-1180696725.1576788723, zuletzt abgerufen
am 19.12.19.
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