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1.

Grundlegendes, Arabien am Vorabend des Islams

1. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte des Begriffs „Islam“.

- Aslama (Verb): übergeben, sich ergeben/hingeben  Islam = Verbalpronomen


- Ausübender (der „sich Hingebende“) = Muslim (Partizip Aktiv)
- Unterscheidung Glauben (Īmān  Mu‘min) und Annahme des Islam (islām  Muslim)
 Genaue Definition unklar, aber weniger eng als Glauben an sich
 Militaristische/nationale Dimension (Selbstaufopferung zum Kampf bzw. Dschihad)
- Ende 7. Jahrhundert: 5 Säulen (nach Gabriel-Hadith)
1. Glauben an Gott und seinen Gesandten
2. fünf Gebete
3. Ramadān-Fasten
4. Entrichtung der Zakāt
5. Haddsch-Wallfahrt
- Starke politische Dimension; incl. Gründung eines eigenen Staatswesens durch Muhammad
(Fortführung durch Kalifen)  Dār al-Islām („Haus des Islams“)
- 19. Jhd: Infragestellung  westliche Rechts- und Werteordnung
- 20. Jhd: Reislamisierungsprozess; Wunsch nach „Wiedererrichtung eines islamischen Staates“
 Islamismus bzw. politischer Islam

2. Beschreiben Sie, wie die vorislamische arabische Gesellschaft organisiert war.

- Stammesmäßige Organisation  Selbstdefinition über tribale Zugehörigkeit


 Nisba & nasab (Abstammungslinie)
- Überwiegend nomadische Stämme (Beduinen), Kamelzucht (wüsten- und steppenartige
Regionen)
 Raubzugsaktivität: Ghazw  Erwerb von Kamelen, Gefangenen (Sklaven, u.a.
Zwangsprostitution; Rechtfertigung auch im Qu‘ran)
- Auch: sesshafte Stämme  Landwirtschaft und Handel;
 z.B. Yathrib, al-ʿIrāq im südlichen Mesopotamien & Handelsstadt Mekka
- Starkes Machtgefälle unter arabischen Stämmen, z.T. eigene Staaten
- Organisation:
 Anführer: Saiyid („Herr“) oder Scheich, z.T. Malik („König“)
 Treueeid (Baiʿa) der Stammesmitglieder
 Dichter (šāʿir): Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls
 Mawālī: Schutzverhältnis (walāʾ) zum Clan (oft Freigelassene)
- Konzept der Ehre (šaraf)
 Bei Schädigung „Wiedervergeltung“ oder „Talion“ (Qisās), z.B. Blutrache oder
Wergeldzahlung (Diya)
 Schiedsrichter (ḥakam)

3. Beschreiben Sie die religiöse Situation auf der arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit.

- Heidentum
 Kultstätten für Lunar- und Lokalgottheiten (männlich wie weiblich), z.B. Yaghūth, „Herr
des Hundssterns“
 Kulthandlungen wie Tieropfer, Umläufe
- Religiöser Umbruch unter spätantiken Großreichen
 Byzantinisches Reich christlich
 Sassanidenreich multireligiös
 Zoroastrismus (heute Parsen: polytheistisch, basierend auf Lehren d. Zarathustra) 
staatstragende Rolle
- Religiöse Minderheiten
 Juden (Süd- & Westarabien, u.a. Yathrib)
 Christen (Zentralarabien, Nadschrān im Jemen, u.a. Feldzug auf Kaaba 535: Jahr d.
Elefanten)
 Verbreitung des Monotheismus, einzelner biblischer Geschichten (i.d.R. in
bruchstückhafter Form)
 Namen ilahan sowie rḥmnan (von jüdisch-aramäisch raḥmānā) für
monotheistischen Gott
 Mandäer & Manichäer
- Verehrung Allāhs in Mekka (als Hochgott; henotheistisch 1)  Beduinen: Prädikationsformel
(Takbīr) „Allāhu akbar“ (Allah ist größer)
- Hanīfen: Monotheismus, angelehnt an Christen- & Judentum
 Anhänger der Religion Abrahams (dīn Ibrāhīm); Ablehnung d. Polytheismus
 U.a. Dichter Umaiya ibn Abī s-Salt  Übernahme von Texten in Islam

4. Geben Sie einen Überblick über das vorislamische Wallfahrtswesen auf der Arabischen
Halbinsel.

- Berechnungen nach Lunisolarkalender


 Beginn im Herbst; 12 Mondmonate (Beginn jeweils Neumond)
 Jeweils nach 2-3 J.: 13. Monat  nasīʾ, „Verschiebung“
- Haddsch im Monat Dhū l-Hiddscha (nach Haddsch benannt; Herbst)
- Große Pilgerversammlung am 9. Tag des Monats in ʿArafāt (ca. 20 km östlich v. Mekka)
- Mittag bis zum Sonnenuntergang in der Ebene verweilte. Nach dieser
 Verweilzeremonie (wuqūf): Mittag – Sonnenuntergang
 Bei Sonnenuntergang: ifāḍa, „Ausströmen“  Heiligtum von Muzdalifa (Qazaḥ =
Regenbogengott) in Mekka
 Nachtwache
 Bei Sonnenaufgang: Opfergabe im Tal Minā
 Vermutl. Ritual der Sonnenverehrung
 große wirtschaftliche Bedeutung für Mekka
 zum Großteil Übernahme in Islam
- ʿUmra im Frühlingsmonat Radschab
 Umkreisung der Kaaba,
 siebenmaliger Lauf (saʿy) zwischen Hügeln Safā und Marwa
- insgesamt 4 heilige Monate
- allgemeine Friedenspflicht
- Weihezustand (Ihrām) notwendig für Wallfahrten
 Keine Haarschnitte

1
Henotheismus: religiöse Haltung, die die Hingabe an nur einen Gott fordert, ohne allerdings die Existenz
anderer Götter zu leugnen oder ihre Verehrung zu verbieten
 Schutz wildlebender Tiere
 Beendigung durch Haarscheren & Tieropfer

5. Welche Bedeutung hatte die Kaaba im vorislamischen Arabien?

- arabisches Heiligtum von überragender Bedeutung (al-Kaʿba = „Kubus“)


- Orakel & Standbild des Gottes Hubal
 man warf vor ihm Lospfeile, wenn man ein Orakel begehrt
 Auch: Bilder von Abraham, Jesus & Maria (christlich-jüdische Einflüsse)
- Gemeinsames Gebet (ṣalāt) am hellen Morgen (ḍuḥā); Prosternation
- Haram: heiliger Bezirk um Kaaba
 U.a. Tötungs-, Kampf- und Jagdverbot (gilt auch für Wildpflanzen)
- Wallfahrt ʿUmra
 siebenmaliger Umlauf (Tawāf; Circambulation)
 zu besonderen Anlässen: Bedeckung m. kostbaren Stoffen, Parfümierung
- Tabāla (zwischen Mekka & Jemen): „südliche Kaaba“
 Verehrung d. Gottheit Dhū l-Chalasa in Gestalt eines Kultstein

6. Erklären Sie die Bedeutung und Funktion von Nisba, Nasab und Kunya.

Kunya:
- indirekte Ansprache v. Personen als „Vater“ (Abū) bzw. „Mutter“ (Umm) des erstgeborenen
Sohnes
- Grund vermutlich Namenstabu
- Alternativ: Nomen, das besonderes Attribut des Namensträgers hervorhebt
 Heute fester Bestandteil islamischer Namensgebung

Nisba:
- Adjektiv, Bildung mit Suffix -ī
- Markiert Stammeszugehörigkeit (i.d.R. zusätzlich zum eigentlichen Namen)

Nasab:
- Abstammungslinie
- In-Bezug-Setzung zu mythischen Vorfahren aus einer oder mehreren gemeinsamen
Stammesgruppen
- Aneinanderreihung: ibn „Sohn (des)“/bint „Tochter von“.

7. Erklären Sie, was Milchverwandtschaft ist.

- Altarabische Kultur der Ammen:


 Stillen des Kindes durch andere Frau (als Mutter)
 Im Koran sanktioniert:
 M.‘s Amme Halīma Mitglied d. Saʿd ibn Bakr  lebenslange Verbindung (auch bei
zeitweiser Gegnerschaft)
- „Verwandtschaftsverhältnis“ sozial gleichbedeutend wie Blutverwandtschaft
 Bezieht sich auf Amme, leibliche - und von ihr gestillte Kinder („Geschwisterschaft“)
 U.a. Verbot von Heirat unter Milchverwandten, später auch: Aufhebung der
Verhüllungspflicht vor männlichen Milchverwandten
8. Nennen und beschreiben Sie religiöse und magische Praktiken aus altarabischer Zeit, die
Eingang in den Islam gefunden haben.

- Kunya-Namen (s. 6.)


- istisqāʾ, die Regenbitte
 Durchführung von Stammesführer in Anwesenheit eines heiligen Mannes
 Umwendung des Obergewands der Anwesenden
 Öffentliche Versammlung
 Wirkung über Gottesnähe des heiligen Mannes
- ʿAqīqa-Zeremonie wenige Tage nach der Geburt eines Jungen
 Opferung eines Tieres; Verteilung des Fleisches als Almosen
 Benetzung des Kopfes des Kindes mit Opferblut
 Immer noch gängige Praxis, häufig in Verbindung mit Namensgebung
- Glaube an geisterhafte Dschinn
 Wesen an den Rändern der Himmelssphären, die Wissen über das Verborgene
erlauschen  Weitergabe an erwählte irdische Empfänger (i.d.R. Dichter)
 Verursacher von Krankheiten und Besessenheit gelten
 Schutz durch Amulette, bestimmte Gebets- und Zaubersprüche, Exorzismen
- Beschneidung (ḫitān) üblich
 Erlaubnis für leichte weibliche Beschneidung im Koran  heute z.B. Ägypten, Jemen
und Indonesien
- Wurzelhölzer vom Arakbaum zur Zahnreinigung: Miswāk bzw. siwāk

2. Die Anfänge der neuen Religion: Muhammad in Mekka

1. Um den Koran als Quelle zur Rekonstruktion der frühen Botschaft Muhammads benutzen zu
können, ist es notwendig, die einzelnen Teile des Korans zeitlich einordnen zu können. Geben
Sie einen Überblick zu deren Chronologie.

- Koran „rückläufig“: Historische Reihenfolge von hinten nach vorne


- Theodor Nöldeke: grobe Einordnung nach jeweiligem Hauptteil der Suren (Einschübe aus
früheren und späteren Zeiten)
- Mekkanisch
 Frühmekkanisch: stark poetische Form mit kühnen Bildern und kurzen, rhythmischen
Reimen; Aneinanderreihung von Schwüren am Anfang
 Weitere Aufteilung nach „struktureller Komplexität“ (vs. „inhaltlicher Kohärenz“,
also nach Länge & Anzahl der verarbeiteten Themen) in 3 Untergruppen
 Mittelmekkanisch: zunehmend längere Verse; Gottesname ar-Rahmān vorherrschend
 Gleichnisreden und Parabeln (maṯal, weitere Thematisierung spätmekkanisch)
 Spätmekkanisch: noch längere Verse, prosaischer Stil  ähnlich medinisch
- Medinisch
 Prosaisch, Rechtsregeln

„Für mekkanische Suren ist eine packende dramatische Sprache charakteristisch. Markante kurze
Reime und Sätze dominieren die Verse. Die Wörter, Bilder und Anspielungen sind sehr vieldeutig.
Medinensische Suren sind dagegen häufig durch einen verschachtelten Satzbau geprägt. Es sind
eher eindeutige erzählende Texte, die die neuen Regeln der Gemeinde in deutlichen Worten
nahebringen sollen. Die Verse können viel länger sein, als in den mekkanischen Suren.“ 2

Frühmekkanisch I 105, 106, 95, 102, 103, 107, 99, 100, 101, 111, 93, 94, 108, 97 – II 73, 81-
e Periode 82, 84-96 – IIIa 53, 74, 75, 77, 78, 79 – IIIb 51, 52, 55, 56, 68, 69, 70
Mittelmekkanisc 54, 37, 71, 76, 44, 50, 20, 26, 15, 19, 38, 36, 43, 72, 67, 23, 21, 25, 17, 27,
he Periode 18
Spätmekkanisch 32, 41, 45, 16, 30, 11, 14, 12, 40, 28, 39, 29, 31, 42, 10, 34, 35, 7, 46, 6, 13
e Periode
Medinische 2, 98, 64, 62, 8, 47, 3, 61, 57, 4, 65, 59, 33, 63, 24, 58, 22, 48, 66, 60, 110,
Periode 49, 9, 5

2. Beschreiben Sie die Entwicklung des Gottesbegriffs in den mekkanischen Teilen des Korans.

- Diskussion über die Schönen Namen Gottes (asmāʾ Allāh al-ḥusnā) = wichtiges Thema in
muslimischer Philosophie
- Frühe Teile des Qur’ans: Rabb (Herr)  Rechtsverhältnis der Sklaverei; Ausdruck von
Abhängigkeit
 Herr des Hauses (vermutlich Kaaba), Herr des Hundsterns (Ersatz des Gottes Yaghūth;
Alleingeltungsanspruch)
Ebenfalls frühmekkanisch:
- Allah:
 Auch: der Mächtige (al-ʿazīz), Lobenswürdige (al-ḥamīd)
- Rahmān, der andere Gottesname (raḥma = Güte)
 Basmala

- „Ihr mögt Allāh anrufen oder Rahmān. Wie immer ihr ihn nennt, ihm kommen die schönen
Namen zu.“
 Zulässigkeit und Erwünschtheit diverser Gottesnamen

3. Welches waren die Umstände, die Muhammad zur Auswanderung aus seiner Heimatstadt
Mekka trieben?

- Tod Abū Tālibs und Muhammads Gattin Chadīdscha


- Abū Lahab als neues Oberhaupt des Clans Hāschim, Verschlechterung der Position
Muhammmads in Mekka (Beziehungen zum Clan der ʿAbd Schams); schließlich Predigtverbot
und Schutzentzug
- Reise M.s in Nachbarstadt at-Tā'if zu (erfolglosen) Verhandlungen; bei Rückkehr Pflicht zur
Einholung einer Schutzgarantie bei einem Clanoberhaupt  erst beim Dritten Zusage
- Anhänger in 6 Bewohnern der Stadt Yahtrib, schließlich 12
 621 Gelöbnis zu Aufnahme und Schutz, Bezeichnung als Ansār („Helfer“);
 622 (mit 73 Mitgliedern) auch Zusage zu militärischer Unterstützung: baiʿat al-ḥarb
(„Huldigung des Krieges“)
- Der endgültige Anstoß, Mekka zu verlassen, soll für Mohammed gewesen sein, dass die
Quraisch im Sommer 622 in der Dār an-Nadwa einen Plan zu seiner Ermordung fassten
2
wissenschaftlicher Prozess zur Unterteilung der Suren: s. https://islamqa.info/ge/answers/113148/die-
wissenschaft-bezuglich-der-mekkanischen-und-medinensischen-suren-im-koran
- In Folge langsame Migration einzelner Muslime nach Yathrib; im September M.  Hidschra:
Lossagung

4. Was sind die wichtigsten Themen der frühen koranischen Botschaft?

- Beschreibung Gottes, Monotheismus


- Tag des Gerichts: Dīn
 Strafgericht & Apokalypse vs. Tag der Auferstehung
 Prüfung von Taten, Glauben (Īmān vs. Kufr „Undankbarkeit“) und „geheimen
Gedanken“ (sarāʾir), gegenseitiges Aufwiegen im kitāb  „Abrechnung“ (ḥisāb)
 Buch in rechte Hand: Dschanna; Erlösung
 Buch hinter Rücken: nār Allāh („Feuer Gottes“)
- Anforderungen
 Zunächst nur an Quraisch  Diener des „Herrn des Hauses“ (= Kaaba)
 Betonung der „niederen Herkunft“ des Menschen; Bezeichnung der Nichtgläubigen als
Kāfir („undankbar, ungläubig“)
 Aufforderung „Läuterungsgabe“ (Zakāt)
 Betonung des ṣabr: Geduld und Standhaftigkeit (v.a. gegenüber Satan bzw. Iblīs)

5. Mit welchen besonderen Gottesdienstformen haben sich die frühen Muslime von ihrer
Umgebung abgesetzt?

- Lesung der Eingebungen Muhammads (qurʾān)


 Regelmäßig zu nächtlichen Vigilien
 Prosternation der Zuhörer
 Mittelmekkanische Periode: Umverlegung auf Morgenstunden (qurʾān al-faǧr )
 Inhalt: u.a. Zuflucht vor Satan
- Rituelles Gebet (Salāt).
 Unheil bei Missachtung
 weder zu laut, noch zu leise gesprochen werden sollten (Q 17:110).
 Zunächst nur am „hellen Morgen“ (ḍuḥā), dann Nachmittag (ʿaṣr  Abgrenzung von
mekkanischen Bräuchen; Kritik unter heidnischen Mekkanern)
 Ausrichtung nach Jerusalem
- Gottesgedenken
 "Gedenke Deines Herrn bei dir, in Demut insgeheim und ohne lautes Wort, am Morgen
und am Abend. Und sei nicht einer von den Achtlosen."

6. Beschreiben Sie Muhammads früheste Anhängerschaft. Welchen sozialen Milieus gehörte sie
an?

- Erster Anhänger unklar (weiblich vermutlich Chadīdscha)


 Evtl. neunjähriger Vetter ʿAlī genannt oder freigelassener Sklave Zaid ibn Hāritha
- Zunächst nur engere Familie und Freunde (erste drei Jahre)
- Ibn Hischām: Liste von 53 ersten Anhängern (vermutlich authentisch)
 Junges Alter (fast alle unter 30)
 Auch Mädchen und Frauen  u.a. Asmā' und ʿĀ'ischa, Töchter Abū Bakrs
 Breite Streuung über (z.T. verfeindete) Clane der Quraisch; jeweils nur Einzelpersonen,
z.T. auch freigelassene Sklaven
 Viele Händler wie Abū Bakr  finanzielle Unterstützung ärmerer Anhänger
 Z.T. Stärkung durch Heiratsbeziehungen

7. Was ist die Basmala und in welcher Weise knüpft sie an vorislamische Konzepte an?

- arabische Anrufungsformel  mit einer Ausnahme am Anfang jeder Sure des Korans; große
Bedeutung in Gottesdiensten der Muslime
‫بسم هللا الرحمن الرحيم‬
bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīmi: ‚Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes‘
- arabisch ‫بسملة‬, DMG basmala  „Formel aussprechen oder schreiben“
- vorislamisches Arabien: Üblichkeit von Invokationsformeln für damals verehrte große
Gottheiten
- „älteste Offenbarung“ (historisch nicht belegt)

8. Welche Ausdrücke werden schon in den mekkanischen Suren für Muhammad selbst verwendet
und welche Vorstellungen sind mit ihnen verbunden?

- edler „Gesandter“ (Rasūl)


- munḏir, „Warner“
 Tradition der „Straflegenden“
 Aussendung durch (einen) Gott zu Volk/Stamm, Nichtglauben, Vernichtung der
Nichtgläubigen und Rettung von Warner und Anhängern (vgl. Noah-Geschichte)
 Muhammad nicht als erster Warner
- Knecht (ʿAbd)
 Knechtschaft (ʿUbūdīya) = Verbindung M.‘s mit vorherigen Gesandten, allen Menschen

3. Der Prophet von Yathrib und das neue Gemeinwesen (622-630)


1. Was waren die Gründe dafür, dass Muhammad militärisch tätig wurde und wie hat sich das auf
seine Gemeinschaft ausgewirkt?

- Vertreibung aus Mekka  Legitimation für militärischen Rückschlag


 Verweigerung des Zugangs zur Kaaba
 Zudem vorherige Zusicherung der (militärischen) Unterstützung Yahtribs
- Finanzieller Profit
 Zunächst v.a. Überfälle auf mekkanische Karawanen
- Weiterbestehen der „alten Religion“ in Mekka als Versuchung der Muslime
 ǧihād fī sabīl Allāh („Anstrengung auf dem Wege Gottes“)
 beim Kampf auch Hinwegsetzung über altarabische religiöse Normen (z.B.
Friedensgebot in heiligen Monaten)
- Mudschāhidūn = Teilnehmer bei Dschihad  in Folge bessere Stellung in M.‘s Gemeinschaft
[s. auch 7]

2. Fassen Sie die wichtigsten Ereignisse der militärischen Auseinandersetzung mit Mekka
zusammen.

- Belagerung einer Syrien heimkehrende mekkanischen Handelskarawane


 Keine Kampfhandlung, Schlichtung durch Verbündeten beider Partien
- Weitere Belagerungen: „erster Pfeil im Islam“ und Überfall im heiligen Monat Radschab
- März 624: Schlacht von Badr3
 Rückkehr einer reichen mekkanische Karawane aus Syrien
 Medina: 300 Mann, u.a. Muzaina; 14 Gefallene
 Mekka: 950 Mann; Unterstützung der Karawane unter Abū Dschahl; 45-70
Gefallene (darunter Führungspersonen, u.a. Dschahl) & Enthauptung einiger
Gefangener durch M.
 Überraschungssieg & große Beute; Stärkung der Religiosität
 Niederlage der Mekkanischen Quraisch gefährdet deren (Handels-)Beziehungen zu
anderen Stämmen
 Vergeltung zur Wiederherstellung der Reputation wichtig
- (folgenloser) Blitzüberfall auf Yahtrib unter Abū Sufyān ibn Harb zehn Wochen später

- März 625: Schlacht von Uhud (Berg bei Yahtrib)

 3000 mekkanische Krieger


 Relativ gleiche Truppenstärken, nach längerer Belagerung Abzug der Mekkaner
 Ca. 50 – 70 Opfer unter M., Tod M.‘s Onkels Hamza, Verwundung M.‘s
 Schwächung des Vertrauens an göttliche Unterstützung
 Theologische Begründung für Niederlage im Qu‘ran

 Weiterhin Störung des mekkanischen Handels


 Einbezug umliegender Stämme in weiteren Konflikt
- Juli 625: Massaker mehrerer Muslime durch die Banū Sulaim (Verbündete der Quraisch)

- Beginn 627: Grabenkrieg


 10.000 Mekkaner & Verbündete vor Yahtrib
 Graben von M. (ḫandaq) nicht überbrückbar  14-tägige Belagerung, schließlich
Zusammenbruch der mekkanischen Allianzen durch Intrigen & Abzug d. Mekkaner
 Letzter Defensivkrieg M.‘s

- März 628: Vertrag von Hudaibiya


 Zehnjähriger Waffenstillstandt
 Erlaubt Muslimen den Vollzug der ʿUmra
 Einige sprachliche Demütigungen
- „Bruch“ des Vertrages durch Stellvertreterkonflikte
 Angriff auf die Chuzāʿa (Bündnis mit M.) durch Kināna (Bündnis mit Mekka)
- Abū Sufyan: (erfolglose) Verhandlungen mit M.; Armee von 10.000 Mann unter M. gegen
Mekka
 Sufyans Konversion zum Islam  Sicherheitsgarantie für kooperierende Bewohner
Mekkas: relativ gewaltlose Einnahme Mekkas
 fatḥ, „Öffnung“
-

3. Beschreiben Sie, wie sich Muhammads Verhältnis zu den Juden in Medina entwickelt hat.

- Positive Einstellung zum Ende der mekkanischen Zeit

3
ca. 130 km südwestlich von Yathrib
 Betonung der Gemeinsamkeiten mit „Leuten des Buches“ (Ahl al-kitāb)
 Annäherung an jüdische Praktiken, z.B. drittes Tagesgebet; Verbot von Schweinefleisch
und Beischlaf während der Menstruation
 Aufforderung zur Anerkennung M.‘s religiösen Anspruchs
- Vermutlich Auseinandersetzung mit Juden von Medina
 Vermittler der Offenbarung Gabriel (Islam) vs. Michael (Judentum)
 Keine Anerkennung als Propheten
- Mangelnde Unterstützung durch Juden  Bruch nach der Schlacht von Badr
 Verbale Angriffe im Koran; schließlich
 Reelle Angriffe, Belagerung und Vertreibung (Banū Qainuqāʿ 4, Banū n-Nadīr und Banū
Quraiza)
 Banū Quraiza: Tötung der Männer, Gefangenschaft der Frauen & Kinder
 Kritik auch unter Muslimen
- 628 Kriegszug, schwere Niederlage der Juden, in Folge 50%-ige Abgaben

4. In welcher Weise hat Muhammad in der von ihm begründeten Gemeinschaft die Stellung der
Frau verändert? Erläutern Sie dies anhand von Beispielen.

- Erlaubnis, Frauen zu verstoßen  Vermögen der Frau darf nicht behalten werden
- Selbstloskauf von Ehefrauen (Chulʿ)
 Abgabe des Brautgeldes oder andere Zahlung
 Nach Verstoßung seiner Frau kann der Mann diese erst dann wieder heiraten, wenn sie
zwischenzeitlich einen anderen Mann geheiratet hat.
 drei- bzw. viermonatige Wartezeit (ʿidda) zwischen Ehen der Frau  Garantie der
leiblichen Vaterschaft
- Erlaubnis von Polygamie: bis zu vier Frauen
 Brautgeld an Ehefrauen selbst
- Gleichzeitig Verbot der Poyandrie; Erlaubnis von Besuchsehen (Vorschrift der finanziellen
Entlohnung durch Mann)
- Versorgung der Witwen:
 nicht mehr Erbgut des Verstorbenen  Hochzeit mit Söhnen verboten
- Züchtigung bei Aufsässigkeit der Frau
- sexuelles Fehlverhalten (bezeugt von vier Personen)  lebenslanger Arrest

- Halskettenskandal ʿĀʾischa: Beschuldigung der Untreue


- Neueinführung: mind. 4 Zeugen für Illoyalität (sonst „üble Nachrede“, bestraft mit 80
Peitschenhieben); außerehelicher Geschlechtsverkehr  100 Peitschenhiebe

- Hidschāb-Gebot zunächst nur für Ehefrauen M.‘s; Kennzeichnung freier Frauen


 Grund: Zwischenfall bei Hochzeit mit Zainab bint Dschahsch im Frühjahr 627
 Wörtl.: Vorhang (ḥiǧāb)

5. Nennen Sie rechtliche und soziale Reformen, die Muhammad während der Zeit in Medina
durchgeführt hat.

- Richterliche Funktion in Yathrib/Medina

4
Vermutlich ökonomische Konkurrenten M.‘s
- früherer Rechtssetzung (Sunna): Ergänzung von Bestimmungen und Vorschriften im Koran
 Rache nicht größer als geschehenes Unrecht; Empfehlung zu Wergeld (Diya)
 Verbot von Zinswucher (Ribā)
 Abtrennung der Hand von Dieb*innen
 allgemeines Weinverbot, Verbot des Losspiels
 Begründung: vorherige Streitereien zwischen Anhängern Muhammads; Abhaltung
vom Gebet
[Rest s. 4.]

6. Erklären Sie, was Hanīfen sind und welche Rolle sie für die frühe Geschichte des Islams gespielt
haben.

Hanīf, Plural Hunafāʾ (arabisch ‫ حنفاء‬،‫حنيف‬, DMG ḥanīf, ḥunafāʾ)


- vorislamische Monotheisten auf der Arabischen Halbinsel; weder Juden noch Christen
 (unabhängige) Bewegung unter jüdischem & christlichen Einfluss
- Oft synonyme Verwendung mit Muslim; Muslime betrachten sich als Nachfolger d. Hanifen
- „Verehrer des einen und wahren Gottes, dessen hervorstehendster Repräsentant gerade
Abraham gewesen war“: Abgrenzung zum Heidentum & den „falschen“ Schriftreligionen
- Heute: arabischer Name „Hanif“ = der Rechtgläubige

7. Wie war die Gemeinschaft der Gläubigen in Medina strukturiert? Welche Rolle spielte
Muhammad?

- Abgrenzung nach außen  Stärkung des gruppeninternen Loyalitätsverbandes


 Keine „Ungläubigen“ als Freunde; Voraussetzung für „vollwertige Mitgliedschaft“
 Bedeutung der Zakat
- Muhammad: kein absoluter Herrscher
 Prophet und Schiedsrichter
 Evtl. Stellung als Oberhaupt seines „Clans“; Stellvertreter in Verhandlungen mit
anderen Clanführern
- Veränderungen mit Misserfolg bei Schlacht von Uhud
 Zentralisierung & Überprüfung von Informationsfluss
 Gottesgesandte: Vorrecht auf mindestens ein Fünftel (ḫums) der Beute; Verteilung
unter Verwandten, Weisen, Armen & Obdachlosen
 Forderung des uneingeschränkten Gehorsams

8. Erklären Sie, wie der Ramadān zum heiligen Monat der Muslime geworden ist und welche
Vorstellungen und Praktiken mit ihm verbunden sind.

- Fasten am Jom Kippur im Judentum am zehnten Tag des Monats Tischri


- Bezeichnung in Yathrib: der Zehnte (ʿĀschūrā')
 Übernahme nach M.‘s Ankunft in Yathrib (Abend – Abend)
- Abwendung v. Juden 624
 dreißigtägige Tagesfasten im Monat Ramadān
 besondere Bedeutung des Monats seit Schlacht von Badr; „Monat der Herabsendung
des Korans“
 Ablösung des ʿĀschūrā'-Fastens
- Rituale
 Verzicht auf Speisen & Getränke
 Enthaltung vom Geschlechtsverkehr
 Ramadannächte: Aufhebung der Fasten- und Enthaltsamkeitsgebote,
 Ausnahme: Iʿtikāf am Ende des Ramadan  Herabsendung des Korans an der
Lailat al-Qadr (Nacht der Vorsehung)
- Fastenbrechen (ʿīd al-fiṭr) am Anfang des nachfolgenden Monats Schauwāl
 prozessionsartiger Zug zu einem Platz außerhalb der Stadt, angeführt von Bilāl mit
Lanze (ʿanaza)  vormittägliches Festgebet
 Lanze wird als Markierung für Qibla in Boden gesteckt
 Nach Gebet Ansprache (Chutba) mit Aufforderung, sich an gemeinsamen
(kriegerischen) Unternehmungen zu beteiligen
4. Die Expansion des islamischen Staates und das frühe Kalifat (630-656)
1. Erklären Sie Funktionsweise und Entstehung der islamischen Zeitrechnung.

- Neuordnung der Haddsch  gleichzeitig Ersetzung altarabischer lunisolarer Kalender durch


reiner Lunarkalender (vermutlich Abgrenzung von Heidentum: Zwischenschalten als Eingriff
in göttliche Weltordnung)
 Bestimmung religiöser Feiertage
 Nur 354 Tage; „synodischer Monat“ ca. 29,5 Tage (* 12 Monate), Monatsanfang = Tag
des Neulichts (dünne Mondsichel nach Neumond): abhängig von geographischem
Längengrad
 „Rückwärtsbewegung“ durch die Sonnenjahre (alle 34 Jahre) erschwert Ackerbau 
häufig zwei Systeme (speziell seit 1927)
- Beginn am Tag der Hidschra; offiziell 24. September 622  AH: Anno Hegirae oder d.H.: (im
Jahr) der Hedschra

2. In welcher Weise hat sich das Verhältnis Muhammads zu den Christen im Laufe der Zeit
verändert?

- Lange Zeit positive Einstellung zu sogenannten Naṣārā


 „Glauben in Liebe am Nächsten“ durch Huldigung der Priester und Mönche, „nicht
hochmütig“
 Positive Erfahrungen M.s mit Christen in Äthiopien
- Verhandlungen mit Abgesandten christlicher Gemeinschaften: Weigerung, den Islam
anzunehmen („wahre Religion“ Christentum)  Verschlechterung der Beziehung
 Anzweiflung der Gottessohnschaft Jesu‘; Gleichstellung mit Abraham
 Schließlich Aufforderung zur gegenseitigen Verfluchung (Mubāhala), Ablehnung durch
christliche Geistliche
 Einigung auf Dschizya (Tributzahlung)
 Freie Religionsausübung
 Aber auch: offizielle Deklaration zur „falschen“ Religion
- Vermutlich auch wichtig: Expansionsroute nach Syrien (überwiegend Christen)

3. Geben Sie einen Überblick über die wichtigsten Lebensdaten Muhammads.


- Geburt vermutlich 547 – 552 in Mekka; erste Hochzeit (Chadidscha5) um 595
- 610 Erscheinung des Erzengels Gabriels; Beginn prophetischer Tätigkeit
- 614 Opposition in Mekka (nach Kritik an Idolatrie und Polytheismus) durch die Quraisch
- 619 Tod Chadidschas & M.‘s Beschützers Abu Talib
- 621-622 Schutzvertrag mit Bürgern von Yathrib; Hidschra am 24. September
- 624 Schlacht von Badr (erste milit. Auseinandersetzung mit Quraisch, unerwarteter Sieg)
- März 625 Schlacht von Buhud (mekkanischer Gegenschlag; gefühlte Niederlage der Muslime)
- 628 Rückkehr nach Mekka für die ʿUmra; Vertrag mit den Quraisch und Verzicht auf die
Pilgerfahrt (kontrovers unter Muslimen)
- 630 relativ friedliche Einnahme Mekkas (28 Gefallene)
 Reinigung der Kaaba
 Vernichtung von Götterstatuen
 Beduinenstämme sollen Islam beitreten; Anschluss der Thaqīf bzw. Hawāzin
- Ende Januar - März 632: große Pilgerfahrt nach Mekka (Abschiedswallfahrt)
 berühmte Rede am Berg ʿArafat
- plötzliche Erkrankung & (unerwarteter) Tod am 8. Juni 632 (13. 3. 11 AH) im Haus ʿA’ischas

4. Nach dem Tode Muhammads traten unter den Muslimen erhebliche


Meinungsverschiedenheiten auf. Erklären Sie, um welches Problem es ging, und wie dieses
gelöst wurde.

- Kein männlicher Nachkomme (nur vier Töchter, ein verstoßener Adoptivsohn)


- Stellung als „Gottesgesandter“ nicht erblich  „Siegel der Propheten“ (ḫātam an-nabīyīn)
- Frage der Führung nach der Umma
 Streit zwischen mekkanischen Muhādschirūn und den medinischen Ansār
 Forderung nach Trennung der Ansār und Quraisch
 ʿUmar ibn al-Chattāb gegen jede Teilung der Gemeinschaft
 Abū Bakr (Vater von ʿĀ'ischa): Vorranganspruch des Stammes Quraisch
 später eigenständig Leistung der Baiʿa, Unterstützung in den Banū Aslam und
„Zwang“ zum Treueeid in Mekka
 ḫalīfat rasūl Allāh, „Stellvertreter des Gesandten Gottes“
- Konkurrenz: ʿAlī ibn Abī Tālib, Onkel Muhammads und Gatte der Prophetentochter Fātima
 Vermutlich Angst vor Dynastiegründung
 Treueeid zu Bakr erst nach Tod Fātimas

5. Was war die Ridda-Bewegung?

- Protestbewegung- und Absatzbewegung unter (bzw gegen) Abū Bakr


 Häufig Verweigerung der Almosensteuer Zakāt  Treuepflicht gegenüber Muhammad,
nicht dessen Nachfolger (üblich für Stammesgesetze)
 Z.T. Machtansprüche, z.B. gegenüber der (geschwächten) Quraisch in Medina und
Untergruppen, Landeroberung der Madhhidsch im Jemen
 Religiöse Motive:
 Al-Aswad al-ʿAnsī im Jemen, Musailima in der Gegend Yamāma, Tulaiha und
Sadschāh im Nadschd-Gebiet: Gegenpropheten zu Islam
- Riddakämpfe 633-634: Rückgewinnung der abgefallenen Stämme; schließlich
Eroberungskampf

5
15 Jahre ältere Kaufmannswitwe; Tod 619 kurz vor der Hidschra
6. Welche Umstände erleichterten die islamische Eroberung des Vorderen Orients?

- (militärische) Schwächung des Oströmischen und Sassanidischen Reiches nach Kampf um die
Vorherrschaft über den Vorderen Orient
- Syrien, Palästina, Ägypten: fehlende Loyalität der Untertanen gegenüber (ehemaligem)
Oberherren
 byzantinische Eroberung kurz vor Islamischer
 überwiegend monophysitische Christen ↔ chalkedonische (griechisch-orthodoxe)
byzantinische Reichskirche; Verfolgung der ansässigen Juden durch Byzantiner
 Vernachlässigung bzw. Reaktivierung des Tempelberges
 Betrachtung ʿUmars als messianischen Herrscher; syr.-aram. pārōqā („Erlöser“)
- Keine erheblichen Nachteile durch vertragliche Regelung des Herrschaftswechsels 
„günstige(n) Konstellation konvergierender Interessen“
 Sicherheitsgarantie (amān) für freiwilligen Anschluss
 Freie Religionsausübung für Ahl al-kitāb (Anhänger der monotheistischen
Buchreligionen); Erlaubnis für Besitz von Kultstätten und -gegenständen  Dhimma
 Gegenleistung Dschizma

7. Unter dem Kalifen ʿUthmān kam es zu heftigen Spannungen unter den Muslimen, die
schließlich auch zur Ermordung des Kalifen und zur Entzweiung der Umma führten. Erklären Sie
die Gründe.

- Mit strukturellen Veränderungen in Aristokratie: Bildung einer religiös-politischen Opposition


in Syrien und Irak
- Einsetzung von Verwandten des Kalifen in zentrale Statthalterposten (nepotistische Politik)
 Entfremdung Kalif – Gremium der Prophetengefährten (šūra)
- Selbstbezeichnung als „Stellvertreter Gottes“
- Erstellung d. offiziellen Korankodex, Vernichtung anderer Kodizes
- Kritik Abū Dharrs:
 Nach Eroberungszügen U.s in Tripolitanien 647: Großteil des erbeuteten Vermögens an
Verwandte ʿUthmāns und Sekretär Zaid ibn Thābit  widerspricht Koranaussagen
 Verbannung Dharrs nach Syrien
 Dort Auseinandersetzung mit Statthalter Muʿāwiya; Vorwurf der Veruntreuung 
Resonanz im Volk, Beschwerden
 Verbannung nach Rhadda, schließlich Tod in Einsamkeit und Armut
- Kritik am Umgang U.s mit (beliebtem Probpheten) Dharr
- Kufa und Basra: Vorwurf des Heidentums
 Ibn Masʿūds Korankodex (muṣḥaf): Koran soll explizit ʿAlī als Nachfolger erwähnt haben;
Vorwurf der „Zensur“ dieser Koranstelle
- 656: Gruppe aus Ägypten, Basra und Kufa nach Medina zur Verhandlung mit ʿUthmān &
Forderung der Absetzung; Schlichtung durch U.  auf dem Rückweg Abfang eines
Mordbefehls für die Anführer der Gruppe. 17. Juni 656 Ermordung ʿUthmāns nach
Belagerung des Hauses

8. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte des Korans bis zum Ende von ʿUthmāns Kalifat

- Entstehung innerhalb v. 2 Jahrzehnten (vermutlich 610-632)


- Bezeichnung der Reden als qurʾān schon in mittelmekkanischer Zeit, 630 Erwähnung als
„heiliges Buch“ neben Tora und Evangelium
- zunächst einzelne Schriften; v.a. im Gedächtnis der qurrā‘
- Abu Bakr: Sammlung d. Korantextes & Veröffentlichung des ersten Kodex 632
 verschiedene Sammlungen/Kodizes unter ‘Umar
- erste offizielle Koranausgabe unter ‘Uṯmān; Bezeugung einzelner Offenbarungen durch
„mindestens zwei Prophetengefährten“ (6 Ausnahmen)
 Vernichtung anderer Sammlungen
 Verteilung von Kopien an wichtigste Städte

5. Die Spaltung der Umma: Charidschiten und Schiiten (656-692)

1. Nach dem Tode ʿUthmāns spalteten sich die Muslime in drei politische Lager. Erklären Sie die
Gründe.

- Frage des rechtmäßigen Kalifen (= Nachfolger) & Bestimmung Alis ohne Einbezug des Schūrā-
Gremiums  Spaltung muslimischer Gesellschaft
1. Schiiten
 Unterstützer Alis
 Bestimmung durch M. selbst  Bezweiflung noch heute durch Sunniten
2. Familie der Umaiya (& Angehörige)
 Partei ʿUthmāns“ (šīʿat ʿUṯmān)
 Führung von Muʿāwiya (ʿUthmāns Gouverneur und Verwandter)
 Verweigerung des Treueeids
 U.a. Vorwurf der Mordbeteiligung ʿAlīs
 Blutrache an Mördern ʿUthmāns
 Nichtaufklärung des Mordes als Bruch mit muslimischer Rechtsordnung
 koranisch sanktioniere Wiedervergeltung (Qisās)
3. Oppositionsbewegung in Basr
 u.a. Aischa bint Abi Bakr; Mitglieder d. quraischitischen Clan der Taim
 Vorwurf der Mordbeteiligung Alis, Verhinderung der Aufklärung des Mords
4. Unbeteiligte in Basra

2. Wie kamen die vier ersten Kalifen zu ihrem Amt?

1. Ausrufung Abū Bakrs (M.‘s Schwiegervaters) durch ʿUmar ibn al-Chattāb; Durchsetzung
gegen ʿAlī ibn Abī Tālib  zu der Zeit mit Beerdigung M.‘s beschäftigt, von M. als Nachfolger
deklariert (?)
2. 634 Wahl ʿUmar ibn al-Chattābs zum zweiten Kalifen; Abstimmung unter
Prophetengefährten noch vor Bakrs Tod
3. Wahl des Nachfolgers aus von Umar gebildetem Konsulativgremium (6 Prophetengefährten)
 Durchsetzung ʿUthmān ibn ʿAffāns gegen ʿAlī ibn Abī Tālib, quraiditischer Einfluss bei der
Entscheidung
4. ʿAlī ibn Abī Tālib: Unterstützung & Treueeid durch Aufständische/Kritiker an ʿUthmān
 kein reguläres Schūrā-Gremium; kontroverse Entgegennahme der Baiʿa (5 Tage nach
Tod U.‘s auf Wunsch der Aufständischen)

3. Geben Sie einen Überblick über den Verlauf der ersten Fitna.
Fitna = „Versuchung“
- erste Fitna 656–661: Erster islamischer Bürgerkrieg
- 656 Kamelschlacht in Basra
 Sieg gegen Umayia
 Tötung vieler Quraisch, Gefangennahme ʿĀʾišas
 Schonende Behandlung der Gegner & Exil ʿĀʾišas
- 657 Schlacht von Siffin
 Heere ʿAlīs gegen Muʿāwiya
 Viele kleinere Auseinandersetzung
 Muʿāwiya lässt Koranexemplare an Lanzenspitzen heften (vermutlich kurz vor
Niederlage)
 Zu der Zeit Absetzbewegungen unter ʿAlīs Truppen
 Lösung des Konflikts durch einen Schiedsrichter auf Grundlage des Korans
- Schiedsgericht 658
 ʿAmr unter Muʿāwiya; Abū Mūsā al-Ašʿarī (galt als unzuverlässig) unter ʿAlī
 Schwächung des Kalifentitels
 Neutraler Ausgang (War die Ermordung Uthmans gerechtfertigt?)
- Rückkehr
 Anerkennung Muʿāwiyas als Kalif in Syrien (Legitimationsdefizit)
 Anzweiflung des Ausgangs des Schiedsgerichts durch ʿAlī
 Morde durch die Ḫāriǧīten
- 658 Schlacht bei Naḥrawān
 Massaker an den Ḫāriǧīten
 Rückkehr der Überlebenden zu ihren Stämmen
 Größere Absetzbewegungen unter ʿAlīs Truppen,
- Sommer 658 Sieg über ʿAlīs Statthalter Abī Bakr unter Muʿāwiya
- 659 Treffen der Schiedsrichter bei Adruh
 Urteil zugunsten Muʿāwiyas als geeigneten Kalifen
- 26. Januar 661: Ermordung ʿAlīs; Nachfolge durch Sohn al-Hasan
 Angriff Muʿāwiyas auf Kūfa
 Verhandlungen mit Hasan
 Muʿāwiya: Verzicht auf Kalifat gegen Pension

4. Wer waren die Charidschiten und welche politischen Lehren vertraten sie?

Charidschiten (arabisch ‫ الخوارج‬al-Ḫawāriǧ: die [zum Kampf] Ausziehenden‘)


- religiös-politische Oppositionsbewegung nach Ermordung ʿUthmān ibn ʿAffāns
 Selbstbezeichnung als Schurāt („[Selbst]verkaufende“) nach Prinzip des Schirā'
- Treueeid (baiʿa) allein gegen Gott
- radikale Befürworter der Gleichheit unter den Gläubigen
 Ablehnung jeder familiären & stammesmäßigen Bevorzugung bei Auswahl des Kalifen
 Attraktiv für viele Muslime nicht-arabischer Herkunft (Mawālī)
- Abspaltung von ‘Alī nach zweitem Schiedsgericht
 Forderung: man soll die Entscheidung dem Urteil des heiligen Buches überlassen
 Wahl des Kalifen durch Konsultativgremium (šūrā)
 Zustimmung zum Schiedsgericht als Sünde, Forderung der Rücknahme der
Entscheidung
 ‘Alī nach Sünde ein Ungläubiger

5. Erklären Sie die Ursprünge der Schia.

- Schia = schīʿat ʿAlī (‫شيعة علي‬, DMG šīʿat ʿAlī ‚Partei Alis
 ʿAlī ibn Abī Tālib als designierten Nachfolger (Kalif) und Imam
 Prophetennachfolge nur von einem Nachfahren Alis, als einziger „göttlich legitim“
- Ermordung ʿUthmāns 656: Proklamation ʿAlīs zum vierten Kalifen 6
 Keine allgemeine Anerkennung, u.a. von ʿĀ'ischa bint Abī Bakr & Charidschiten
- Ermordung ʿAlīs
 Behauptung der Himmelfahrt (durch Ibn Saba'  Begründer der extrem-schiitischen
Saba'īya)
- Muʿāwiya als fünfter Kalif  erster Herrscher der Umayyaden-Dynastie
 Durchsetzung gegen Sohn ʿAlīs und Fātimas, Imam al-Husain
 Einsetzung Muʿāwiyas Sohnes Yazīd 680
 Kritik in muslimischer Bevölkerung

6. Was ist der ʿĀschūrā-Tag? Welchen historischen Ereignisses gedenken die schiitischen Muslime
an diesem Tag?

- zehnter Tag des Monats Muharram (1. Monat im islam. Kal.)


- Schlacht bei Kerbela, Verrat an al-Husain (ʿAlīs & Fātimas zweiter Sohn; dritter Imam) durch
kufische Schiiten
 Armee gegen Kalifen Yazīd 680, Verrat durch Schiiten aus Kufa
 Stellung & Hinrichtung der 72 Verbliebenen 7 in irakischer Wüste
 In Folge Bildung der tawwābūn („Büßer“): Sühne der Mitschuld an Tod al-Husains durch
„tätige Reue mit dem Schwert in der Hand“
- „Märtyrertod“
 bis heute kollektive, historische Schuld
 Gedenken durch Zwölfer-Schiiten

7. Was waren nach der arabischen Historiographie die Gründe für die Errichtung des Felsendoms
in Jerusalem?

- Wallfahrtsverbot in Syrien  Unruhen


- Errichtung von Felsendom & al-Aqsā-Moschee unter ʿAbd al-Malik
 „Ablenkung“ von mekkanischer Wallfahrt
 Name al-Masdschid al-aqsā („der ferne Gebetsort“): Verweis auf Anfang von Sure 17
 Nachtreise (isrā') von der heiligen Gebetsstätte zur fernen Gebetsstätte
 Für Umaiyaden klarer Verweis auf Jerusalem
- Notiz al-Maliks: „Der Befehlshaber der Gläubigen hat beschlossen, eine Kuppel über den
Felsen von Jerusalem zu bauen, so dass die Muslime einen Schirm und Schutz haben. Und für
seine Nachkommen und wer immer ihm nachfolgt, möge er Macht und Ruhm bringen.“
- Alternativ: Islam als Erbe des wahren Judentums

6
Nachfolgelegitimation: Angeblich Designation durch Muhammad „Jeder, dessen Herr ich bin, der hat auch ʿAlī
zum Herrn“ (man kuntu maulā-hu fa-ʿAlī maulā-hu)
7
Auch Frauen und Kinder
 Wiedererrichtung des zentralen jüdischen Heiligtums (Zerstörung um 70 n. Chr.)  v.a.
symbolische Bedeutung

6. Die Desintegration des Dschihad-Staates und die Anfänge des Fiqh (692-750)

1. Geben Sie einen Überblick über die frühe Entwicklung der Moschee.

Allgemein
- „Moschee“ von arab. masdschid = „Ort der Niederwerfung (zum Gebet), Kultstätte“
 30-fache Erwähnung im Koran (spätmekkanisch/medinisch), häufig in Verbindung mit
harām („heilig, verboten“) al-Masdschid al-Harām = Heiligtum in Mekka
- 622 Verlust des Zugangs zum Heiligtum
- Erste (eigene/rein muslimische) „Masdschid“: Hof von M.‘s Wohnhaus in Yahtrib/Medina
- 628 erhebliche Vergrößerung nach Feldzug in Chaibar
 Moschee in jeder neu gegründeten Lagerstädte der Muslime

Vorgeschichte
Im späten 4. Jahrhundert n. Chr. wurde hier ein dem Gott Jupiter geweihter römischer Tempel,
an dessen Ort mehrere Jahrhunderte zuvor bereits ein Hadad-Tempel gestanden hatte, durch
eine christliche Basilika ersetzt. In der Basilika wurde gemäß der Überlieferung der Kopf
Johannes' des Täufers aufbewahrt. Nachdem sich während der arabischen Eroberung Damaskus
im Jahr 636 den Muslimen ergeben hatte, diente das Gebäude noch ungefähr 70 Jahre sowohl
Christen als auch Muslimen als religiöse Kultstätte.

Entstehungszeit
Unter dem Umayyaden-Kalifen al-Walid wurde die Basilika zwischen den Jahren 708 und 715 in
die heutige Moschee umgewandelt. Die gesamten Außenmauern jedoch stammen von der
Basilika und wurden nicht von den Arabern errichtet. Besonders auf der Außenseite der
Südmauer sind neben griechischen Ornamenten auch griechische Inschriften sowie in einigen
Metern Höhe ein antikes Relief mit ausgekratztem Gesicht zu sehen. Ebenfalls erhalten sind
mehrere Säulen des größeren antiken Heiligtums außerhalb der Moschee, die eindrucksvollsten
von ihnen befinden sich auf der Westseite.

Jüngere Geschichte
Am 6. Mai 2001 betete Papst Johannes Paul II. am Schrein Johannes des Täufers in der
Umayyaden-Moschee. Es handelte sich hierbei um den ersten Besuch eines Papstes in einer
Moschee. Dieser Besuch stellt bis heute ein zentrales Element der Beziehungen zwischen dem
Islam und der katholischen Kirche dar. Bis zum Besuch der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul
durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006 blieb es der einzige päpstliche Besuch in einer Moschee.

2. Erklären Sie, was Mawālī sind und welche gesellschaftliche Rolle sie im frühen Islam spielten.

- Mawālī (arabisch ‫موالي‬, von Singular ‫ مولى‬/ maulā)  Schutzverhältnis (walāʾ) zu arabischem
Stamm/Clan; Übersetzung „Klienten“
- Patron: maulā
 Beziehung mit Verwandtschaft d. Klienten  strafrechtliche Relevanz
 Entrichtung und Annahme von Blutgeld
 Verantwortungsgemeinschaft (ʿāqila)
 Gegenseitiges Erbe
 Benachteiligung, wenn Klient Blutgeld verweigert; keine grundsätzliche
Erbberechtigung des Klienten (dafür für Patron)
 i.d.R. Übernahme der Nisba des Patrons
- meist Freigelassene. walāʾ-al-ʿitāqa („Schutzverhältnis der Freilassung“)
ab 651 (Untergang d. sasanidischen bzw persischen Reichs): Zwang zur Konversion
- walāʾ al-islām: Patron = derjenige, bei dem konvertiert wurde
 freiwillige Konversion: walāʾ at-tibāʿa („Schutzverhältnis der Nachfolge“)
 Wechsel des Schutzherren möglich, aber kontrovers
- Teilnahme an Eroberungszügen
 Häufig schlechtere Entlohnung
 Weiterhin Pflicht zu Dschizya (eigentlich Ungläubige)
 Keine Regierungs- oder Militärposten
- Wichtige Rolle bei Aufstandsbewegungen
 Murdschiʾa-Bewegung

3. Erklären Sie die Bedeutung der Begriffe Sunna und Hadīth.

Sunna (arabisch ‫‚ سنة‬Brauch, gewohnte Handlungsweise, überlieferte Norm‘) Pl. sunan (‫)سنن‬
- Vorislamisch: Sitten, Bräuche, Werte & Normen arabischer Stämme bezeichnete
- Im Islam: Kurzbezeichnung für die zu befolgende sunnat an-nabī („Handlungsweise des
Propheten (=Mohammed)“
 „unveränderliches“ Handlungsmuster Gottes, v.a. bei Nichtbefolgung muslim. Regeln
 Heute Bedeutung in islamischer Jurisprudenz & Traditionswissenschaft
Hadith (der Hadith, auch das Hadith; arabisch ‫ حديث‬Hadīth, DMG ḥadīṯ ‚Erzählung, Bericht,
Mitteilung, Überlieferung‘)
- Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen M.‘s & von ihm unterstützte Aussagen &
Handlungen Dritter; sg. Hadith für einzelne Überlieferung
 Grundlage für Sunna, normativer Charakter
 zweite Quelle (nach Koran) der islamischen Normenlehre (Fiqh)
 eigentlicher Text (matn) + Überliefererkette (Isnād)

4. Zu den frühesten theologischen Strömungen des Islams gehören die Qadarīya und die
Murdschi'a. Was waren ihre Lehren?

Murdschiiten
- Begründet von Hasan, Sohn Muhammad ibn al-Hanafīyas
- Aufschub des Urteils über Beteiligte an der Fitna
 Entscheidung im Jenseits
- Allgemein Lehre der polit. Enthaltung; Vesöhnung
- Anhänger = „Aufschieber“ (Murdschi'a)
- Dennoch Teilnahme an Umayadenaufständen

Qadariten
- Qadar = Akte göttlicher Festlegung
- Kritik an Herrschenden & Begründung eigener Fehlhandlungen mit Qadar (z.B. Umayaden)
- Betonung der Eigenverantwortlichkeit des Menschen
 Sünde sei von Gott nicht vorherbestimmt, sondern menschlich
 Verdammung Nicht-Büßender
- Grabesstrafe (ʿaḏāb al-qabr), die der eigentlichen Bestrafung des Menschen im Jenseits
vorausgehen soll („doppelte Bestrafung“)
- Keine Teilnahme an Aufständen  Gefährdung der einträchtigen Gemeinschaft

5. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte der islamischen Expansion bis zum Ende der
Umaiyadenzeit.

1. Erste Expansionsphase
 angefangen zur Zeit Abū Bakrs,
 Fortsetzung unter ‘Umar; Höhepunkt
 Ablösung in erster Fitna
 Syrien, Palästina, Irak, Ägypten, Iran, Kaukasus
2. Zweite Expansionsphase: ab 661
 Abdankung al-Hasans;
 zur Zeit Mu’āwiyas 661-680;
 Ablösung durch zweite Fitna 680-692
 Expansion in Nordafrika (Tunesien)  Gründung der Stadt Kairouan, Ausbau der
Stadt Marw; einige Ländereien gehen wieder verloren
3. Dritte Expansionsphase (692-717)
 Abd Al-Malik & ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz
 nordafrikanische Küste; iberische Halbinsel (al-Andalus); Gebiet von Sind (heute
Südpakistan); Choresmien (Ḫwārazm) und Transoxanien mit den Städten Buchara
und Samarkand
4. Vierte Expansionsphase (720-743):
 Ausweitung von al-Andalus (bis zum heutigen Frankreich); Sus-Tal in Nordafrika
 Machtverlust der Umaiyaden
 Verlust von Gebieten, Abbruch von Eroberungsversuchen

6. Erklären Sie die Bedeutung der Kaisānīya für die Religionsgeschichte des Islams
- frühe extrem-schiitische Gruppe in Kufa, die nach Abū ʿAmra Kaisān, dem Chef der Leibgarde
von al-Muchtār ibn Abī ʿUbaid, benannt ist und Muhammad ibn al-Hanafīya als ihren Imam
und Mahdi verehrte. Die Anhänger werden Kaisaniten genannt. Bei ihnen hatte sich die
spätere schiitische Lehre, bei der das Imamat über ʿAlī ibn Husain Zain al-ʿĀbidīn, den Sohn
von al-Husain ibn ʿAlī, weitergeführt wurde, noch nicht durchgesetzt. Nach dem Tod von
Muhammad ibn al-Hanafīya glaubten viele Kaisāniten, dass dieser sich nur verborgen habe

7. Erklären Sie, was Fiqh ist.

- Fiqh (wörtl. „Verständnis, Kenntnis“)


 Zunächst: allgemein f. Kenntnis der Religion; moderne Übersetzung als „islamische
Rechtswissenschaft“ oder „islamische Jurisprudenz“
 Disziplin, die sich mit der ethischen und rechtlichen Bewertung von Handlungen (nach
religiösen Maßstäben) befasst; Beschäftigung mit Scharia
 Keine Trennung zwischen weltlichem & religiösem Recht  weltliches Recht & rituellen
Fragen
 Auführende: fuqahāʾ (Singular: faqīh; „Rechtsgelehrte“)
- Basis: Textquellen Koran und Hadith & deren Auslegung
 rituelle Verpflichtungen (ʿibādāt)
 Rechte des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen (muʿāmalāt)
 Erörterung in den Büchern des Fiqh

8. Was besagt die Abrogationslehre?

Abrogation (nasḫ).
- Verfahren zum Umgang mit widersprüchlichen koranischen Vorschriften
- Gültigkeit des zeitlich später anzusetzenden Koranverses
 Z.B. Schwertvers & Aufforderung zum Kampf gegen die Ahl al-kitāb > Aufforderung zu
friedfertigem Verhalten gegenüber den Ungläubigen
 wichtiger Teilbereich der juristischen Koranexegese
- innerkoranische Begründung der Lehre
-
„Wenn wir einen Vers tilgen oder in Vergessenheit geraten lassen, bringen wir einen besseren oder
einen, der ihm gleich ist.“
- Sure 2:106

- Ab 8. Jhd. Sammlung des Wissens zu Chronologie der Suren und Verse

7. Traditionalismus, Rationalismus und die Anfänge der Ismāʿīlīya (750-930)

1. Geben Sie einen kurzen Überblick über die Lehrrichtungen des Fiqh (bis zum 9. Jhd.)
 Frage verändert :D

2. Erklären Sie, was Kalām ist und wie er entstanden ist.

Kalām = Rede“
- an der griechischen Logik und Dialektik orientierte Kontroverstheologie
- Entwicklung unter Al-Mahdī
 Diskussion von religiösen Kontroversen, auch mit anderen Religionen
- Hārūn ar-Raschīd (786-809): regelmäßige interreligiöse Diskussionen
 überkonfessionelle Kultur des Streitens heraus, die bald darauf auch von der
christlichen und jüdischen Gelehrsamkeit übernommen wurde.
- „Vorschule des vernünftigen Redens“
- Erörterung tiefer liegender theologischer Probleme
 Grundvoraussetzung, um die Dogmatik (arab. ʿAqīda (oder auch Iʿtiqād)) verstehen
 systematisches methodisches Argumentieren, rhetorischer Gebrauch von Metaphern
und Symbolen; Einbezug von Koranversen und Überlieferungen

3. Was war die Mihna?

- inquisitionsartiges Verfahren; Mihna = „Prüfung“


 827: Verkündigung der Erschaffenheit des Korans durch al-Ma'mūn; Vorrang ʿAlīs
 833: Forderung eines öffentliches Bekenntnis von Qādīs & anderen prominenten
Persönlichkeiten  Mihna
 Weigerung  Folter und Einkerkerung
- Opfer: v.a. Hadith-Gelehrte; Asketen
- Kompromiss unter Ibn Kullāb: Differenzierung zwischen der Rede Gottes (kalām Allāh;
unerschaffen) und seiner Ausdrucksform (ʿibāra; erschaffen)
- Folgen:
 Muʿtaziliten als Komplizen des Unrechtsregimes, das für dieses inquisitionsartige
Verfahren verantwortlich war
 Hohes Prestige für Hadith-Gelehrte, die Bekenntnis verweigert hatten

4. Nennen Sie drei schiitische Gruppen, die sich in der abbasidischen Zeit herausgebildet haben,
und erklären Sie die Unterschiede zwischen ihnen.

5. Erklären Sie die Bedeutung asch-Schāfiʿīs für die Entwicklung der islamischen Rechtstheorie.

- Konkurrenz zwischen medinischer Schule kufischer Mehrheitsschule


- Erstes kohärentes theoretisches System für Prinzipien der Rechtsfindung
- Veröffentlichung der Risāla
 Konzept des Bayān ("Erläuterung")
 islamische Gesetz grundsätzlich in Koran und Sunna enthalten
 5 Arten der Findung von Normativen Regeln
1. aus dem Koran allein;
2. aus Koran und Sunna zusammen, wobei beide auf dasselbe hinauslaufen;
3. aus Koran und Sunna zusammen, wobei die Sunna den Koran erläutert;
4. aus der Sunna allein;
5. aus keiner der beiden Rechtsquellen  Idschtihād (eigene Urteilsbemühung)
 Idschtihād synonym für Analogieschluss (Qiyās), Festlegung von festen Regeln, kein
definitiver Charakter der Urteile
 Ausweitung der Idschmāʿ auf Garnisonstädte
 Verwerfen des „ungebundenen freien Räsonnierens“ Ra'y & Istihsan
 Mittel der Normenfindung: allein Koran, Sunna, Idschmāʿ und Qiyās.
 Lehre von den vier Rechtsquellen
- Überprüfung der Authentizität von Hadithen  keine Lücken in Überliefererkette (Isnād)

6. Welche Lehren vertraten die Muʿtaziliten?

Verb iʿtazala („sich [in die Einsamkeit] zurückziehen“)


- Zentral: Kalam, Willensfreiheit des Menschen
- Strömung innerhalb der Qadarīya
- Begründer: basrischer Prediger Wāṣil ibn ʿAṭāʾ
 religiös-politischen Ausgleich v.a. in der Beurteilung großer Sünden zwischen
Charidschiten
 Ungläubige, Murdschiiten < Gläubige und Schiiten; „Frevler“ (fāsiq)  Zwischenstufe
(manzila baina manzilatain)
- Dogma der Erschaffenheit des Korans
- 2 Prinzipien: ‘adl (Gerechtigkeit Gottes) + tauḥīd  theologische Position: rationalistisch
(Befürworter des kalām)
- Gottesbild: Ausdrücke wie „Gott sieht…“ werden metaphorisch ausgelegt; es gibt keine
andersewige Attribute ( tauḥīd); Zurückweisung der Gnade Gottes (v.a. für Ungläubige)
- Glaube an Transmigration der Geister (von bestimmten Gruppen innerhalb der Mu’tazila)
- Ablehnung der Fürsprache
-

maʿnā-Theorie bekannt geworden. Bei den maʿānī – so der Plural von maʿnā – handelt es sich um
Individuationsprinzipien für Substanzen und das reale Fundament der Erscheinungen von
Akzidentien. Jeder maʿnā hat seinen Grund in einem vorausliegenden maʿnā, was einen infiniten
Regress erzeugt, der aber in einer mit Gott identifizierten Erstursache endet, der dadurch die wahre
Ursache für die akzidentielle äußere Erscheinung der Substanzen ist.[17]

Abū l-Hudhail entwickelte als erster Muʿtazilit eine Lehre über die Attribute Gottes.[18] Er betonte
auffallend stark die Allmacht Gottes. Der Gottesbeweis ergibt sich für ihn aus der Kontingenz der
Welt. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass der Koran als Rede Gottes erschaffen (machlūq) sei.
Nur Gott selbst ist seiner Auffassung anfangsewig und unerschaffen. Im Gegenzug betonte er die
Unnachahmlichkeit des Korans.[19] Im Bereich der Physik war Abū l-Hudhail stark vom Atomismus
beeinflusst.[20] Abū l-Hudhail hat zahlreiche Schriften verfasst, von denen Ibn an-Nadīm eine Liste in
seinem Fihrist liefert. Keine dieser Schriften hat sich jedoch eigenständig erhalten. Die meisten waren
polemischen Charakters. Unter den Muʿtaziliten hat er sich besonders häufig mit an-Nazzām
gestritten. Allein sechs Schriften waren gegen ihn gerichtet.[21]

Auffällig an an-Nazzām war insbesondere seine anti-atomistische Bewegungstheorie. Danach muss


sich Bewegung im "Sprung" (ṭafra) vollziehen, da es bei einer unbegrenzten Teilbarkeit des Raumes
nicht denkbar ist, dass der bewegte Körper jede einzelne Stelle berührt.[22] Tragende Bedeutung
hatte in seinem Lehrsystem auch das Konzept des Geistes (rūḥ). Er stellte sich den Geist in
Anknüpfung an das platonische Pneuma-Konzept als einen feinstofflichen Körper vor, der sich wie ein
Gas mit dem Leib vermischt und ihn bis in die Fingerspitzen durchdringt, sich beim Tode aber wieder
aus dieser Verbindung löst und selbständig weiterexistiert.[23] Schüler von an-Nazzām, unter ihnen
Ahmad ibn Chābit, führten diesen Gedanken fort und entwickelten darauf aufbauend eine Theorie
der Transmigration der Geister (tanāsuḫ).[24]
Mit dem Namen von Bischr ibn al-Muʿtamir verbindet sich vor allem die Lehre vom tawallud, der
"Erzeugung" bzw. "Auslösung" von Geschehensketten durch das Handeln des Menschen. Unter
Verwendung dieses Konzepts lehrte Bischr, dass alles, was auch immer aus der Handlung eines
Menschen hervorgeht, ebenfalls seine Handlung sei. Auf diese Weise wurde der Mensch neben Gott
zu einem zweiten Autor der Veränderung gemacht.[25] Eine weitere zentrale Idee in seiner Lehre
war die Vorstellung vom göttlichen Gnadenerweis (luṭf). Gott besitzt grenzenlose Freiheit, Menschen
als Gläubige auf den Weg des Heils zu führen oder als Ungläubige dem Unheil preiszugeben. Wenn er
sie auf den Weg des Glaubens führt, tut er dies allein aus einem Gnadenerweis, nicht aus anderen
Gründen.[26]

7. Die ismaililitischen Gemeinden, die Ende des 9. Jahrhunderts in verschiedenen Gebieten der
islamischen Welt errichtet wurden, wurden Dār al-Hidschra genannt. Erklären Sie, warum.

8. Erklären Sie, wer die Hanbaliten sind und durch welche Lehren sie sich auszeichnen

- Eine der vier traditionellen Lehrrichtungen des sunnitischen Islams


- Nach Lehren des Ahmad ibn Hanbal
- Lehren
 Ableitung aller Gesetze aus Koran, Sunna und (idschmāʿ) der ersten Generationen
 kein Analogieschluss (qiyās) oder eigenständige Lehrmeinung (ra'y)
 für Hadithen keine ununterbrochene Tradentenkette bis direkt zum Propheten
erforderlich
 Anthropomorphismus (tašbīh): menschliche Gestalt Gottes
 Später Abwendung von dieser Idee

8. Das schiitische Jahrhundert und die Konsolidierung des Sunnitentums (930-


1173)

1. Nennen Sie zwei spezifisch schiitische Feste und erklären Sie, auf welche historischen
Ereignisse bei ihnen Bezug genommen wird.

2. Bis heute befinden sich in Oman und in verschiedenen Ländern Nordafrikas ibāditische
Gemeinden. Erklären Sie, um was für eine Gruppierung es sich bei den Ibāditen handelt und
wie sie in diese Gebiete gekommen sind.

3. Erklären Sie die Bedeutung der Begriffe Scharīf und Saiyid. [Frage gestrichen]

4. Geben Sie einen kurzen Überblick über die Geschichte des Islams in Iran bis zum 12.
Jahrhundert.

5. Nennen Sie wichtige Grundlehren, auf die sich sunnitische Identität stützt.

6. Eine Besonderheit des zwölfer-schiitischen Rechts ist die sogenannte Mutʿa. Erklären Sie, um
was für eine Institution es sich handelt und welchen sozialgeschichtlichen Hintergrund sie hat.

mutʿa-Ehe
- Zeitehe bzw. „Genußehe, die nur auf kurze Zeit ausschließlich zum Zwecke des
geschlechtlichen Genusses geschlossen wird“.

 unwiderruflicher (lāzim) Vertrag mit unverheirateter ehrbarer (ʿafīfa) Frau

 keine Zeugen notwendig

 genaue Angaben zu Lohn, Zeitraum (0,5 h – 99 J.); Verlängerung nur beidseitig und nach
ʿidda möglich

 Keine Verpflichtung des Mannes zu Unterhalt und Wohnung

 Keine gegenseitige Beerbung

- Hintergrund: Besuchsehen
- Die sunnitische Rechtsliteratur unterscheidet zwei Arten von mutʿa-Ehen: die generelle und
bisher beschriebene mutʿat an-nisāʾ und die Genussehe zur Wallfahrt (mutʿat al-ḥağğ). Diese
Differenzierung beruht auf einem Hadith, in dem es heißt: „Es existierten zwei mutʿa-Ehen
zur Zeit des Gottgesandten“. („mutʿatāni kānatā ʿalā ʿahd rasūl allāh“).[4] Die mutʿat al-ḥağğ
soll demzufolge zu Lebzeiten des Religionsstifters Mohammed zwischen der kleinen
Pilgerfahrt (ʿumra) und dem Haddsch (ḥağğ) zur Entweihung (iḥrām) stattgefunden haben
und wird daher, vor allem bei den Sunniten, im historischen Verlauf differenziert zur mutʿat
an-nisāʾ betrachtet und gelegentlich sogar, insbesondere von den Hanbaliten, akzeptiert.
Damit stellt sie auch weniger Konfliktpotential zwischen Sunniten und Zwölfer-Schiiten als
die mutʿat an-nisāʾ dar.

7. Erklären Sie, wie das Drusentum entstanden ist.


- Imām-Dynastie  Verzicht auf die sofortige Erfüllung der apokalyptischen Erwartungen, die
sich an das Erscheinen des Mahdī geknüpft hatten
- Neubelebung der Idee unter Anhängern der Ismāʿīlīya  Drusentum (Anfang 11. Jhd)
- Benennung nach jungem Türken aus Buchara: Spitzname ad-Darzī (pers. „Schneider“)
- 1017: Verkündung des Anbruchs Ära des Qā'im (eschatologischer Herrscher) durch Hamza
ibn ʿAlī
 fatimidische Kalif al-Hākim = Gott
 Abrogationslehre, ismailitische Deutung des Korans
 Ersatz durch Tauhīd (Bekenntnis zu einzigem Gott)
 Altismailitische, neuplatonische & extremschiitischen Konzepte & Terminologie
- Entsendung eigener Dāʿīs nach Ägypten und Syrien
- Mysteriöses Verschwinden des Kalifen 1021
 Wahrnehmung als „Entzug“ von „undankbarer Menschheit“
 Einstellung der drusischen Daʿwa 1034 (innere Streitigkeiten)
 Verbot durch Nachfolger al-Hākims

8. Nennen Sie die drei wichtigsten islamischen Feste und geben Sie Hintergrundinformationen zu
ihrer Entstehung.
- Eid (Opferfest)
 10. Ḏū l-Ḥiğğa
 vorislamische Ursprünge; Einbindung in Islam und Universalisierung (Opferhandlung
z.B. nicht nur in Mekka)
- Ramadanfasten & -fest
 Tag der Herabsendung des Korans
[Vgl. 3.8]
- Maulid an-nabī: Geburtstagsfest des Propheten
 12. Rabīʿ al-auwal im 11. Jahrhundert am Hof der Fatimiden eingeführt  im 12.
Jahrhundert auch vom sunnitischen Herrscher Nūr ad-Dīn Zangī übernommen
(schiitischer Einfluss auf sunnitischen Islam)

9. In welchen Punkten hat die Schia auf die religiöse Praxis des sunnitischen Islams Einfluss
genommen?
- • Geburtstagsfest des Propheten am 12. Rabīʿ al-auwal  im 11. Jahrhundert am Hof
der Fatimiden eingeführt  im 12. Jahrhundert auch vom sunnitischen Herrscher Nūr ad-Dīn
Zangī übernommen
- • Verehrung der Gräber von als heilig erachteten Personen: Ḥaǧǧ nach Mekka wird mit
Besuch (ziyāra) des Prophetengrabes in Medina verbunden; Gräber von Persönlichkeiten des
sunnitischen Islams werden ausgebaut; Gelehrte fassen Wallfahrtsführer speziell für
sunnitische Gläubige, die Gräber besuchen wollten, ab
- • Heilpraktiken  „prophetischen Medizin“ (ṭibb nabawī): Heilpraktiken, die auf den
Propheten zurückgehen werden zusammengestellt  zuerst von Abū Nuʿaim al-Iṣfahānī (st.
1038)  zunächst entwickelt auf schiitischer Seite als Gegenkonzept zum Neuplatonischen
und Christlichem

9. Das Aufblühen der Sufi-Orden und der Zwölfer-Schia (1173-1517)

1. Mekka diente in seiner Geschichte häufig als Bühne für den Rangstreit der verschiedenen
muslimischen Herrscher. Zeigen Sie das anhand von Beispielen.

- Ab Ende 12. Jhd.: Titel Diener der beiden edlen heiligen Stätten (arabisch ‫خادم الحرمين الشريفين‬
ḫādim al-ḥaramain aš-šarīfain)
 Herrschaft über die beiden im Islam heiligen Bezirke von Mekka und Medina
- 968 bis 1925: Sherifen von Mekka
 Hasanidische Herkunft, weit verzweigte Familie
 Bis 14. Jhd zaiditische Schiiten, danach sunnitisch
- Ab 1517: Oberhoheit der Osmanen; Legitimation der Sultane durch Sherifen
 Fatimiden  Ayyubiden  Rasuliden  Mamluken (Ägypten)
- 1916 Ende d. türkischen Herrschaft über Mekka (Großscherif Hussein ibn Ali)
- Oktober 1924: Einnahme durch wahabitische Ichwān
- Juni/Juli 1926: Kongress mit muslimischen Politikern & Organisationen: Zukunft d.
Wallfahrtsstätten

2. Nennen Sie wichtige Grundprinzipien der Sufik.

- Sufitum (taṣauwuf): Bedeutung der eigenen spirituelle Erfahrung, des "Schmeckens" (ḏauq),
aber auch
 "Gottesfurcht" (Taqwā),
 Armut (faqr)
 Dienstbarkeit (ʿUbūdīya)
 Gottesgedenken (Dhikr)
 Askese zur „Verinnerlichung der Religion“
- Selbstwahrnehmung als Nachfolger der Ahl as-Suffa
- Autoritätsmodell Scheich (arab. šaiḫ, wörtl. „älterer Mann“): Anleitung des Murīd (arab. „der
Wollende“)
 Flickenrock (Chirqa)  Verbundenheit zwischen dem Scheich und dem Murīd (Kleidung
aus Wolle: ṣūf  allgemein als Namensgeber akzeptiert)
- Praktik der vierzigtägigen Einkehr (arbaʿīnīya) zur Läuterung

3. Nennen Sie drei sufische Orden und machen Sie Angaben zu ihrer spirituellen Ausrichtung,
Geschichte und geographischen Verbreitung.

Kubrawīya-Orden
- Gegründet: 1221 im zentralasiatischen Choresm durch Sufi Nadschmuddin Kubra
- Lehre
 Mensch = Mikrokosmos; enthält alle Bestandteile des Makrokosmos
 Annahme der Eigenschaften Gottes (Allahs) möglich
 Ausnamen: ar-Rahman ar-Rahim („der Erbarmer, der Barmherzige“) & al-Hadi
(„der Rechtleitende“)
 Menschliches Herz = feinstofflicher (transzendenter) Körper  ermöglicht „visionäre
Reisen“ durch Aufstieg in Himmel
 Erfahrungen nur möglich bei der Befolgung strenger Regeln
 Fasten, vollkommene Hingabe an den Sheikh, ständige rituelle Reinheit (Tahāra),
ständiges Schweigen, ständige Klausur, ständiges Gottgedenken (Dhikr), ständige
Leitungen durch einen Sheikh (z.B. Traumdeutung)
- Gebiete: v.a. Kaschmir & Indonesien

ʿAdawīya-Orden (heute Jesiden)


- Gegründet: im 12. Jahrhundert in Lalisch, Nordirak, durch Umaiyaden-Abkömmling
- Hohe Übereinstimmung mit traditionellem Islam
- Verbreitung: nördlicher Irak, Nordsyrien, südöstliche Türkei

Suhrawardī-Orden, Südasien
- Tschischtīya
 asketische Ausrichtung,
 intensive Beziehungen zu hinduistischen Yogis
 Hören von Musik (samāʿ) = Mittel zur Annäherung an Gott
- Pilgerfahrt zum Grab von Muʿīn ad-Dīn Tschischtīs in Ajmer durch indoislamische Herrscher

Naqschbandīya-Orden (zentralasiatisch)
- Gegründet von Bahauddin Nagschband (1318-1389) in Usbekistan
- Lehren
 strikter Gehorsam gegenüber der Scharia
 Engagement in der Gesellschaft und der Politik  Prinzip der ḫalwat dar anǧuman
(„Einkehr in der Gesellschaft“)
 Ständiges Gedenken Gottes bei Erfüllung weltlicher Pflichten
 „Weg der Lehrer“ (tariq-i khwajagan): 8 „Hauptlehren“
- Verbreitung: Zentralasien, Teile der Mongolei, Indien

Chalwatīya-Orden (osmanischer Staat)


- Gegründet: Mitte 15. Jhd. in Aserbeidschan
- Lehren
 Prinzip der Einkehr (ḫalwa), dem sich die Anhänger regelmäßig zu unterziehen hatten.

Bektāschīya
- Nach Lehren des semi-legendären anatolischen Heiligen Hāddschi Bektāsch (um 1300)

4. Erklären Sie, was ein Ghāzī ist.

- muslimischer Kämpfer in Nachfolge der (prophetischen) Maghāzī


 Aufenthalt in Grenzzone(n) & Kriegszüge auf nicht-islamisches Gebiet
 Ziel: Vergrößerung des Dār al-islām
- „heilige Aura“; Träger eines besonderen Segens (Baraka)
 Selbstverständnis vieler türkischer Sultane in Südasien
- östliches Gegenstück zum Murābit

5. Wer war Muhyī d-Dīn Ibn ʿArabī und worin liegt seine Bedeutung für die islamische
Religionsgeschichte?

- Bedeutender Sufi, auch bekannt als asch-schaich al-akbar („Der größte Meister“)
- kontroverse Lehren; z.T. schwer durchdringbar bzw. mystisch; Transzendentalismus
 neuplatonisches Gedankensystem in sufischer „verbrämter“ 8 Form
 z.B. Neue Deutung der Dogmen  Drohsystem geht verloren (z.B. die Hölle ist für
die Ungläubigen angenehmer)
 Welt als Manifestation des göttlichen Seins: Wahdat al-wudschūd („Einheit der
Existenz“)
 unmittelbare Verbindung von Makrokosmos (Universum) und Mikrokosmos
(Mensch)
 Vertrauen auf „Enthüllung“ (kašf) und „Imagination“ (ḫayāl) als den Korrektiven von
„Vernunft“ (ʿaql)
 Buch Fuṣūṣ al-ḥikam („Ringsteine der göttlichen Weisheiten“): göttliche Weisheiten 
spirituellen Vollkommenheit des Menschen
 Z.T. erster Kontakt zu Islam, z.B. Süd(ost)asien
- große Anhängerschaft auch unter Schiiten
- Kritik: Vorwurf der Ketzerei (konnte Folgen wie Verbannung nach sich ziehen; Schutz der
Lehren unter osmanischem Reich)

- Gegenlehre: Wahdat asch-schuhūd („Einheit der Wahrnehmung“)

6. In welcher Weise haben die Mongolen zur Verbreitung des Islams beigetragen?

- 1260: Tod des Großchan Möngke, Zerfall des mongolischen Großreiches


1. Reich der Goldenen Horde (Südrussland, Ukraine & Kasachstan bis Westsibirien)
 abbasidischen Schattenkalifen von Kairo als Führer der islamischen Gemeinschaft
 schon im 13. Jhd. muslimische Herrscher; u.a. Bündnis gegen buddhistischen Ilchan
Hülägü im Namen des Islam 1264
 14. Jhd.: Uzbek Chan
8 ́ en/- schwaches Verb
ver·brä·men /fɛɐ̯ˈbrɛːmən,verbräm
am Rand, Saum mit etwas versehen, was ziert, verschönert
(etwas Negatives, Ungünstiges) durch etwas Positives, Beschönigendes abschwächen, weniger spürbar werden
lassen
 Muslimische Gelehrte; Vertreibung schamanistischer Priester; Übertritt der
Oberschicht zum Islam
 Zerfall im 15. Jhd., Aufteilung in überwiegend muslimische Teilreiche
2. Reich der Ilchane (Persien, Kaukasus, Mesopotamien & Ostanatolien)
 wichtige Staatsämter an Muslime, Juden und Christen
 1295 Staatsreligion unter Ghāzān; Zerstörung buddhistischer Tempel
 Beibehaltung der Yāsā
3. Reich der Yüan (China & Mongolei)
 Überwiegend muslimische Kämpfer zur Einnahme Chinas
 Zweiter Rang in China (nach Mongolen)
 Muslimischer General (bucharischer Prophetennachkomme) Schams ad-Dīn ʿUmar
 Dynastie muslimischer Statthalter in Yunnan, China
 Verbreitung des Islam in China
 1335 Anerkennung als Qing-zhen jiao, „Lehre der reinen Wahrheit“
(Bezeichnung gilt bis heute)
 Expedition in Indischen Ozean ebenfalls unter muslimischer Anführung
 Lange höhere Staatsämter
 Langsamer Assimilierungsdruck
 Dennoch besondere Stellung z.B. in Bergbau, Karawanenhandel 
Zusammengehörigkeitsgefühl
4. Tschagatai-Chanat (Mitte)
 Tarmaschirin (1331 - 1334) erster islamischer Herrscher; Ausweitung des Glaubens
 Zerfall im 14. Jhd
 In Folge Abwechslung muslimischer/mongolischer Tradition
 Eroberungszüge in Iran, Zentralasien, Irak, kiptschakische Steppe, Nordindien,
Syrien & Anatolien
 Ablösung der Yāsā durch Scharia unter Schāh Ruch (1405 - 1447)

7. Ibn Taimīya hat im 14. Jahrhundert eine neue islamische Staatslehre entwickelt. Wodurch
unterscheidet sie sich von früheren islamischen Staatslehren?

- Hanbalitischer Gelehrter; Vertreter der „Lehrrichtung der Altvorderen“ (maḏhab as-salaf)

- Oberste Aufgabe des Staates: Garantie des Bestandes islamischen Rechts


 Einhaltung der Scharia = Voraussetzung für Muslimsein
 Dschihad gegen Mongolen als muslimische Pflicht; mongolisches Rechtssystem
Jassa (basierend auf Dschingis Khan)  Mongolen als Abtrünnige
- Notwendigkeit einer scharia-gemäße Staatsführung (siyāsa šarʿiyya) = Grundlage für
„islamischen“ Staat
- erste aktive Forderung, die Scharia anzuwenden

frühere Staatslehren:  
- Mawardi: Imamat als Grundlage legitimen politischen Handels
 Legitimität des Staates ~ Legitimität des Imams
 Voraussetzungen z.B. Angehörigkeit zu den Quraisc, Iǧtihād-Fähigkeit
 Delegation der Macht an qāḍī, Gebetsimame, Amir al-hağğ (Leiter der Wallfahrt),
hisba/muhtasib (Marktaufsicht), Kriegsemire usw
- Unterschied: Rolle des Imam  bei Ibn Tamiya unwichtig
 Ohnehin nur noch Schattenkalifen (Macht bei Sultanen und Emiren)

10. Das osmanische Supremat und der Aufstieg der Wahhabiten (1517-1813)

1. Erklären Sie den Unterschied zwischen Achbārīya und Usūlīya bei den Zwölfer-Schiiten.

Usūlīya
- rationalistischen Schule, Grundlage: Gelehrte von al-Hilla
 Befürworter des Idschtihād,
 Recht zur Ausübung nur für Ausgebildete in Usūl al-fiqh (allgemein anerkannte
Normenfindungsprinzipien)  Mudschtahid
 Keine Bindung an Lehrmeinungen früherer Autoritäten; Bevollmächtigter während
Periode der Verborgenheit des zwölften Imams
 Verpflichtung der Anhänger zu Taqlīd und „Abgabe des Fünften“ (ḫums; schiitische
Einkommenssteuer)

Achbārīya (ab 17. Jhd.)


- traditionalistische Schule (aḫbār = Nachrichten über die Imame)
- Gegenströmung zur Usūlīya
 Verwurf des Idschtihād
 Autorität nur für überliefertes Wort des Koran, Propheten M. & Imame

2. Beschreiben Sie die islamisch-religiöse Kultur des Osmanischen Reichs.

- Anerkennung der Oberherrschaft durch Scherifen  Prestige


 Seit 1517: Osmanischen Sultane = „Diener der beiden Heiligen Stätten“
 Subsidienleistungen an Mekka & Medina
 Finanzierung v. Schulen, ambitionierten Bauprojekten
 Jährliche Neuanfertigung der Kiswa (f. Kaaba)
 Renovierung (1570er J.) & Neuerrichtung (1630) der Kaaba; Restauration d.
Felsendoms
- Verbreitung des Islams
 1537: Moschee in jedem Dorf des Reiches
 17. Jahrhundert: finanzielle Belohnung für Konversion (kisve bahası)
- Selbstverständnis als Vorkämpfer des sunnitischen Islams
 Kampf gegen Christentum (v.a. Europa); Schiiten  Dschihad
 Keine Weiterführung des Vier-Madhhab-Systems (Vorrang d. hanafitischen Madhhab;
Ausnahme: arab. Provinzen  Pluralität); Förderung sunnitischer Gelehrsamkeit
 Schaich von Istanbul & Aufsicht über Justizwesen = hanafitisch
- Große Vielfalt d. Sufismus, Einfluss einzelner Orden
- Bektāschī-Orden (heute Aleviten)
 Schiitisch orientiert
 Integration v. religiös-polit. Oppositionsgruppen (u.a. Christen)
- Schutz der Lehren Ibn ʿArabīs

3. Erklären Sie, was der Titel Chādim al-haramain bedeutet.


[s. 9.1, 9.2.]

4. Erklären Sie die Grundzüge der Lehren Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhābs.

- spezielles Verständnis des Tauhīd (Bekenntnis zur Einheit Gottes)


 bedeutendste Pflicht des Menschen; Voraussetzung für Muslime
 Aussprechen der Schahāda nicht ausreichend
 tauḥīd ar-rubūbīya („Bekenntnis zur Einheit des Herrn“)  passiv
 tauḥīd al-ulūhīya („Bekenntnis zur Einheit Gottes“)  aktiv, Handeln im Dienste
Gottes: ausschlaggebend für Definition Muslim & Unterscheidung von Ungläubigen
 „Zerstörung“ durch Schirk (Beigesellung; im Grunde Ketzerei); Erweiterung des
Begriffs
 Verehrung v. Steinen, Bäumen  Praktiken d. Heiligen- & Gräberverehrung
(typisch in sunnit. & schiit. Islam der Zeit)
- Konsequenz: Großteil d. Muslime = Ungläubige
 Forderung d. Distanzierung v. Schirk-Betreibenden
 Kontakt mit „Ungläubigen“  Kāfir
 Idee eines „islamischen Staates“, Reinheit von Schirk; Aufforderung zum Kampf gegen
„Manifestation des Schirk“
- Ablehnung der sunnit. Madhāhib
 Tauhīd bereits mit der Schahāda erfüllt
- Konzepte wie Fiqh, Taqlīd & Idschtihād erst spätere Erfindungen
 Selbstbezeichnung als „ungebundener Mudschtahid“, unabh. v. Madhab-Traditionen
 Weigerung d. Anerkennung wichtiger Gelehrter

5. Erklären Sie, was Scherifen sind und welche politische Rolle sie seit der frühen Neuzeit in der
islamischen Welt spielen.

[s.9.1, 9.2]

- Unter Osmanen: Legitimation d. Herrschertitels nicht mehr durch abbasidischen Kalifen


(Voraussetzung durch Nicht-Zugehörigkeit zu Quraisch unerfüllt)
 Ablösung durch Scherifen von Mekka: Anerkennung d. Oberherrschaft über „heilige
Stadt“
 Familie prophetischer Abstammung (hasanidisch)
 Z.T. gleiche Rolle wie abbasidische Schattenkalife
- Eigene Streitkräfte & Steuern
- Schutz der Haddschkarawanen gegen Subsidienleistungen & Geschenke

6. Zeichnen Sie den geschichtlichen Prozess nach, der zur Verbreitung des Islams in Südostasien
führte.

- 12-14. Jahrhundert Verbreitung des Islams in Südostasien v.a. durch Seehandel  erste
islamische Staaten Südostasiens: Perlak und Pasai an der Nordspitze Sumatras
- Weitere islamische Fürstentümer durch Übertritt der Herrscher zum Islam:
 Malakka auf malaiischer Halbinsel (1413),
 Patani im Süden des heutigen Staates Thailand (ab 1457),
 Demak auf Java (ab 1475)
 Ternate und Tidore auf den Molukken (ab 1486)
- 1511: Sultanat von Aceh an der Nordspitze Sumatras
 wird zur wichtigsten muslimischen Handelsmacht im Malaiischen Archipel &
bedeutendem Zentrum islamischer Gelehrsamkeit
- Ab 17./18. Jahrhundert v.a. durch Schulen
- Aber auch Verbreitung des Islams durch Kämpfe  manche Sufis führen auch Krieg gegen
buddhistische Herrscher z.B. Java
- Heute lebt dort Mehrheit der muslimischen Bevölkerung weltweit
- Viele lokale Bräuche etc. werden übernommen/einbezogen  Synthese

7. Als 1803 die Wahhabiten Mekka und Medina eroberten, fand dies in der gesamten islamischen
Welt große Beachtung. Erklären Sie, warum.

1804 - 1806: Eroberung d. beiden heiligen Städte des Islams: Mekka & Medina
 Zerstörung d. Grabmäler vieler großer Persönlichkeiten des frühen Islams
 U.a. schiitische Imame al-Hasan ibn ʿAlī, ʿAlī Zain al-ʿĀbidīn, Muhammad al-Bāqir &
Dschaʿfar as-Sādiq
 Grab des Propheten in der Moschee von Medina wurde geschont.
 Rauchverbot
 Zwangsunterricht in der wahhabitischen Lehre
 Gebet entsprechend hanbalitischen Ritus
 Vernichtung v. Büchern mit sufischen/philosophischen Inhalten
 Verbot von Gebetsketten
 Verbot von Feiern zum Prophetengeburtstag
 Bedeckung d. Kaaba mit roter Kiswa
- Sherif Mekkas: Zwang, Wahhabismus als einzig geltende islamische Lehre anerkennen
- [Reaktion] Irak: schärften das konfessionelle Profil der schiitischen Gelehrten im Irak und
motivierten sie dazu, die im südlichen und mittleren Irak neu angesiedelten arabischen
Stämme zur Schia zu bekehren  Bevölkerungsmehrheit bis heute Schiiten
- Bildung von Wahhābīya-Bewegungen in gesamter islam. Welt; Puritstische Ansprüche

11. Entwicklung und Höhepunkt des modernistischen Islams (1813-1924)

1. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte des Islams in Ostafrika

- Beitrag des europäischen Kolonialismus zum Islam  v.a. ostafrikanisches Binnenland


- Mitte 19. Jhd.: Sklavenhandel der Sultane von Oman und Zanzibar (erste Welle der
Islamisierung)
 Stadt Nkhotakota am Malawisee: wichtigstes Zentrum für Verbreitung des Islam
 Residenz d. Gouverneurs d. Sultans
 V.a. Süden Tansanias, Malawi
- Britische & deutsche Kolonien in Ostafrika
 Erleichterter Zugang zum Binnenland (durch Eisenbahnbau)
 Betrifft v.a. muslimische Händler aus dem indischen Subkontinent & muslimische
Bedienstete der Kolonialbehörden
 Zuspruch v.a. in Bugunda (heute Uganda)
- ab 1860er Jahren Migration indischer Muslime in britische Kolonien Natal & Transvaal
 Vertragsarbeit auf Zuckerrohrplantagen
 Verbreitung aber überwiegend in Südafrika

2. Im Zuge des Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts besetzten die europäischen
Mächte zahlreiche Länder der islamischen Welt und brachten sie unter ihre Kontrolle. In
welcher Weise reagierten die muslimischen religiösen Autoritäten auf diese Entwicklung?

- 1858: Annektierung Indiens & britischer Generalgouverneur als Vizekönig


- Unterschiedliche Reaktionen unter muslimischen Gelehrten
 Distanzierung von brit. Herrschern: Konzentration auf traditionelle religiöse
Wissenschaften; Gründung privater Madrasas, aber auch
 Forderung einer radikalen Reform des islamischen Bildungswesens; Öffnung gegenüber
westlichen Wissenschaften (moderne indo-islamistische Bewegung)
 Wichtigster Vertreter: Saiyid Ahmad Chān (1817-1898)
 Versöhnung und politische Annäherung zwischen indischen Muslimen und Briten
 1878 Gründung einer westlich orientierten Universität für indische Muslime
 Bezeichnung auch als „Naitscharī“ (im Widerspruch zu aschʿaritischer Theologie:
keine Naturgesetze, nur Gewohnheiten Gottes  hier: Naturgesetze in
Übereinstimmung mit Koran & rationale Erklärbarkeit „übernatürlicher“
Phänomene)
- Ziele der Modernisierung des Islams:
 Annehmbarkeit des Islams für muslimische junge Menschen mit europäischer Bildung
(Verhinderung von Abwendung)
 Schutz gegen Angriffe europäischer Denker, v.a. Orientalisten
 Kooperation indischer Muslime mit Briten
- neue Auslegung der islamischen Dschihad-Pflicht
 nur bei Verhinderung der Religionsausübung
- Herausstellung einer Grundverwandtschaft von Christentum & Islam

3. In welcher Weise hat sich das Rechtssystem im 19. Jahrhundert in den islamischen Ländern
verändert?

- Modernisierungsdruck unter westlichem Einfluss


- Hatt-ı Şerif 1839 (unter osmanischem Sultan)
 Gesetzliche Gleichstellung von Muslimen & Nicht-Muslimen im Osmanischen Reich
- 1857: Abschaffung der ǧizya
- 1858: Hatt-ı Hümâyûn  neues Strafgesetzbuch zur Bekräftigung der Gleichstellung
 Uneingeschränkte Religionsfreiheit & Staatsämter für Nicht-Muslime
 Aufhebung der Hudūd (aus dem Koran abgeleiteten Körperstrafen; Steinigung,
Handabhacken usw.)
 Sklavereiverbot (ursprünglich 1954/55)
 mit Ausnahme des Hedschas9 nach anti-osmanischen Aufständen durch ansässige
Händler
- 1869-76: Mecelle  auf Fiqh gegründetes Zivilgesetzbuch10
- erste osmanische Verfassung 1876 (nach europäischem Vorbild)

Exkurs:
- Früherer Modernisierungsprozess im semiautonomen Beys von Tunis (unter Ahmad Bey)
 Technische Modernisierung unter französischem Einfluss (& Unterstützung)
- 1846 Verbot der Sklaverei
- 1861 erste Verfassung (qanūn ad-daula) nach europäischem Vorbild

4. Wer war Muhammad ʿAbduh und welche Positionen hat er vertreten?

- Ägypter, Angehöriger des Pariser Kreises von al-Afghānī; Leitungsgremium der Azhar-
Hochschule
- 1897 Gründung der Zeitschrift al-Manār (der Leuchtturm)
- Förderung der Idee des Panislamismus
 Idee: Bestandhalten gegen westliche Zivilisation nur unter Zusammenschluss der
Muslime möglich; Überwindung unterschiedlicher Rechts- & Konfessionsschulen
zwingend notwendig
 „Rückständigkeit“ der Muslime sei nur durch „geistigen Zusammenschluss auf
Grundlage der Prinzipien der Scharia“ zu überwinden
 Idee eines gesamtislamischen Kongress‘ in Mekka; Zweigniederlassungen in jedem Land
 Islamischer Konferenzgedanke

5. Welche Rolle spielte der Islam im Ersten Weltkrieg?

- Ende 19. Jhd.: Zunehmende Annäherung Osmanisches Reich & Deutsches Kaiserreich
 panislamisches Projekt der Hedschasbahn
- Unterstützung Deutschlands und Österreich-Ungarns durch osmanisches Reich
 Dschihad gegen Kriegsgegner Russland, England und Frankreich  Pflicht für alle
Muslime
 Strafe für Unterstützer der Mittelmächte
 Unterstützung durch schiitische Gelehrte im Irak  mächtige Dschihad-Bewegung bei
Besetzung durch Briten
 Teilnahme der Sanūsīs stieß der Dschihad-Aufruf auf fruchtbaren Boden. Ahmad asch-
Scharīf, ihr Anführer, verbündete sich nach der osmanischen Fatwa mit den
Mittelmächten und ließ seine Soldaten an mehreren Fronten gegen die Alliierten
kämpfen. In
 Indien: Abrückung d. Aligarh-Muslime von Briten
 Begeisterung für Mobilisierungskraft der Dschihad
- Unterstützung der Entente-Mächte

9
Hidschāz: Landschaft im westlichen Saudi-Arabien, in dem die beiden Heiligen Stätten des Islams, Mekka und
Medina, liegen
10
der erste Versuch einer Kodifikation vermögensrechtlicher Bestimmungen des islamischen Rechts.
Grundsätzlich richtete sich das aus 16 Büchern bestehende Gesetz nach der hanafitischen Rechtsschule.
Umfasst waren Schuldrecht sowie einige sachen-, personen- und prozessrechtliche Vorschriften, wogegen Erb-
und Familienrecht sowie das Recht der frommen Stiftungen nicht behandelt wurden.
 Frankreich: div. Clans im Senegal
 Großbritannien: Unterstützung aus Ägypten (1914 brit. Protektorat) & Scherifen von
Mekka

6. Wie kam es zu der Wiederbelebung der Kalifatsidee im 19. Jahrhundert und warum wurde das
Kalifat 1924 erneut abgeschafft?

- 1860er Jahre: verstärkte Anstrengungen, Arabische Halbinsel unter osmanische Kontrolle zu


bekommen.
 Bündnis mit Nordarabischen Āl Raschīd; Einnahme von Jemen und ʿAsīr; Besetzung von
Kuweit; Annektierung der ostarabische Oase von al-Hasā
 Gleichzeitig Verstärkte Nutzung des Kalifentitels unter osmanischen Sultanen
- in Indien nach der Mutiny 1857 kein islamisches Staatsoberhaupt mehr
 osmanischen Kalifen (politischer und spiritueller Führer der islamischen Welt)
 auf besonders fruchtbaren Boden.
 Aufnahme des Namens d. herrschenden osmanischen Sultans in indische
Freitagspredigt
- Sultan ʿAbd al-Hamīd II (ab 1876)  begeisterter Anhänger des Kalifatsgedankens
 Aufnahme in Osmanische Verfassung: „Der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif ist der
Schutzherr für die muslimische Religion“
- Kalifatsbewegung in Indien (ab 1919)
 Reaktion auf die Besetzung Anatoliens und Istanbuls durch alliierte Truppen
 Forderung an Briten: Erhaltung des osmanischen Kalifats (mit spirituellen und
politischen Konnotationen)
- Oktoberrevolution in Russland  langsame Zuwendung zum Sozialismus
- Nationalstaat Türkei: umfassendes politisches Reformprogramm
 Abschaffung des osmanischen Kalifats 1922; Einsetzung eines neuen, rein religiösen
Kalifen
 März 1924: endgültige Abschaffung (türkische Nationalversammlung)

7. Erklären Sie, inwieweit die Verdrängung von König Husain aus Mekka auf politischer und
religiöser Ebene einen Bruch mit der Vergangenheit darstellt.

- König im Hedschas
- Selbsternennung zum Kalifen im Frühjahr 1924
 Zustimmung in Hedschas, Transjordanien, Irak
 Zurückweisung als britischer Agent (Ägypten, Indien)
 Überrennung durch Wahhabiten
 Ende d. hāschimitischen Königreich des Hedschas (heute nur noch Jordanien)
- Letzter autonomer Hadschimitenherrscher in Mekka
 Fast ununterbrochene Herrschaftslinie seit 10. Jhd.
 Ende des unabhängigen Kalifats/Islam

12. Der Anstoß der säkularen Ideologien und die „Islamische Revolution“ (1924-
1979)

1. In welcher Weise haben sich die islamischen ökonomischen Vorstellungen und Strukturen im
20. Jahrhundert verändert?
Unter der OIC (Organisation der Islamischen Konferenz)
- Entwicklung eines zinslosen Islamischen Bankwesens  Zinsverbot im Islam11
- 1975: Eröffnung der Islamischen Entwicklungsbank in Dschidda unter Leitung des
ägyptischen Finanzwissenschaftlers Ahmad an-Naddschār; bald gefolgt von Dubai (1975),
Golfregion, Sudan & Ägypten (alle 1977)
Nationalismus

Sozialismus & Kommunismus


- Unter sowjetischer Besetzung/Herrschaft: Zunächst konkurrierende Ideologie zum Islam
 Bis hin zum Verbot jeglicher Religionsausübung (Albanien, 1944)
- Z.T. Übereinstimmung mit Prinzipien des Islams
 Beispiele: Ribā-Verbot, Institution der Zakāt, Prinzip der Schūrā & Gleichheit der
Muslime bei Gebet und Wallfahrt – Tjokroaminoto (Parteivorsitzender Sarekat Islam), 1924
im Buch „Islam und Sozialismus“ (Islam dan sosialisme),
 Islam habe bereits in seiner Frühzeit moderne Ideale des Sozialismus verwirklicht

2. Erklären Sie, was Daʿwa bedeutet. Denken Sie dabei auch an den Bedeutungswandel, den der
Begriff im Laufe der Zeit erlebt hat.

3. Stellen Sie einen Vergleich an zwischen Muslimbruderschaft und Tablīghī Dschamāʿat. In


welchen Punkten ähneln sie sich, in welchen Punkten liegen Unterschiede?

Ägyptische Muslimbruderschaft
- Gründung 1928 in Ismāʿīlīya durch Hasan al-Bannā (junger Volkschullehrer)
Ziel: moralische Reform der muslimischen Gemeinde
- gegen „westliche Dekadenz“ & Nationalismus (= Grund für „Überlegenheitsgefühl und
Aggression“)
 Gegenentwurf islamischer Nationalismus
 Gegründet auf Verbundenheit (Walāya) mit Gott & Prinzip des „Gebieten des Rechten
und Verbieten des Verwerflichen“
- Stärkung des Islams und der Umma
 „Ruf“ zum Islam (Daʿwa) = (mit) wichtigstes Ziel jedes Moslems
- Hierarchische Ordnung, 21 lokale Führer = Führungsbüro & Überwachungsinstanz
- Ausführung der Daʿwa auch mit „modernen Mitteln“ (Zeitungen, Theaterstücke, Filme,
Grammophon, Radio)
- ganzheitliches Islam-Konzept

„Wir glauben, dass die Prinzipien und Lehren des Islams umfassend sind und die Angelegenheiten
der Menschen im Diesseits und Jenseits regeln. Diejenigen, die annehmen, dass diese Lehren
11
Islamische Bankgeschäfte müssen die fünf Prinzipien der Shari’a erfüllen:
1. Das absolute Zinsverbot (arabisch riba) m. Ausnahme Mieten & Leasinggebühren
2. Verbot des Glücksspiels und der Wette (arabisch maysir), z.B. Derivate
3. Verbot von Spekulation und Risiko (gharar), z.B. Aktienhandel mit rein spekulativen Interessen
4. Verbot unethischer Geschäfte (Harām): Bankgeschäfte mit Inhalt Waffen- & Drogenhandel, Tabak,
Alkoholkonsum, Schweinefleisch, Prostitution, Pornografie
5. Prinzip der Gewinn- und Verlustteilung m. Investor (kein Gläubiger)
allein die gottesdienstliche oder spirituelle Seite behandeln, sind im Unrecht, denn der Islam ist
Bekenntnis und Gottesdienst, Vaterland und Nationalität, Religion (dīn) und Staat (daula),
Spiritualität und Arbeit, Koran und Schwert.“

– Hasan al-Bannā im Jahre 1939


Bei der Muslimbruderschaft zeigen sich auch Einflüsse aus der Pfadfinderbewegung. Anfang der
1930er Jahre bildete al-Bannā die ersten Gruppen der Muslimbrüder aus, die wie die Pfadfinder „auf
Fahrt gingen“. Später wurden sie durch die Einheiten der Rover Scouts (ǧauwāla) ersetzt, die streng
hierarchisch geordnet waren. Der Wahlspruch der Muslimbruderschaft, „Bereitet euch vor“ (aʿiddū),
entstammt zwar dem Koran (Q 8:60) und stellt eine Verbindung zum Dschihad her, doch ist es
andererseits auch ein Echo des englischen Pfadfindermottos „Be prepared!“ An Stelle des
Pfadfinderversprechens, das auf König und Gott zu leisten ist, erscheint bei der Muslimbruderschaft
allerdings ein Treueeid, den die Mitglieder auf den obersten Führer (al-muršid al-ʿāmm) der
Organisation zu schwören haben.

Die Muslimbrüder konnten mit ihrem Programm der Predigt und intensiven karitativen
Aktivitäten unterschiedlichste soziale Gruppen ansprechen. Das Netz ihrer Zellen oder „Familien“
und „Clans“ breitete sich bald über ganz Ägypten aus. Ab 1935 fassten die Muslimbrüder auch in
anderen arabischen Ländern Fuß. Eine Organisation mit ähnlicher Ausrichtung war die 1926 im
nordindischen Mewat gegründete Tablīghī Dschamāʿat („missionarische Gemeinschaft“). Ihr
Gründer Muhammad Ilyās Kandhalwī (gest. 1944) war Absolvent der Schule von Deoband. Er ließ
sich zunächst bei Bauern in Mewat als Religionslehrer nieder, ging aber dann zu missionarischer
Arbeit als Wanderprediger über. Auch bei der Tablīghī Dschamāʿat gibt es das Ideal des Auf-
Fahrt-Gehens: die Anhänger der Gemeinschaft werden dazu angehalten, jeden Monat eine
mindestens dreitägige Missionsreise durchzuführen, insbesondere im Umkreis der
Heimatmoschee und den benachbarten Städten. Die Tablīghī Dschamāʿat konnte in den 1930er
Jahren auf dem Indischen Subkontinent bereits große Erfolge mit ihrer Missionsarbeit verbuchen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte sie ihren Operationsbereich auf die gesamte islamische
Welt. Als unpolitische Bewegung verbreitete sie sich in den 1950er und 1960er Jahren durch ihre
Missionare über die arabischen Länder, das subsaharische Afrika, Südostasien und die Türkei.
Kennzeichnend für die Tablīghī Dschamāʿat ist ihr Antiintellektualismus. Der Islam ist für ihre
Anhänger vor allem eine „praktische Aktivität“ (ʿamalī kām) und weniger etwas, worüber
gesprochen, geschrieben oder gelesen werden muss. Praktische Aktivität bedeutet vor allem
regelmäßige missionarische Tätigkeit, deren Zweck der Wandel der durch westliche Werte
geprägten Gesellschaft zu einer islamischen Gesellschaftsform ist. Der bengalische Zweig der
Tablighi Dschamāʿat ist besonders aktiv. Er richtet seit 1948 die religiöse Großveranstaltung
Bishwa Ijtema aus, bei der Anhänger der Bewegung zum Gebet zusammenkommen.
4. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte der Institution des Kalifats.

Nach Tod Muhammads 632 Suche eines Nachfolgers = Kalifen

- 4 rechtgeleitete Kalifen (632 – 661)


- Kalifat der Ummayaden
 Unter Muawiya
 Gewaltsamer Umsturz 749
- Kalifat der Abbasiden
 Bagdhad als neues Zentrum des Kalifats

5. Erklären Sie den Unterschied zwischen der Islamischen Weltliga und der Organisation der
Islamischen Konferenz.

Liga der Islamischen Welt (Rābiṭat al-ʿālam al- Organisation der Islamischen Konferenz (OIC;
islāmī) Munaẓẓamat al-muʾtamar al-islāmī)
Heute: Organisation für Islamische
Zusammenarbeit
- Gründung 1962 in Mekka von 26 - Gründung 1972 von div. islamischen
muslimischen Gelehrten Außenministern (nach mehreren Konferenzen
& Gipfeln in Reaktion auf Besetzung Jerusalems
- Initiator: Saudi-Arabien 1967)
- (regierungsgesteuerte) Nicht- - Initiatoren: Saudi-Arabien & Marokko
Regierungsorganisation -

Zu einem besonders wichtigen Instrument der saudischen internationalen Religionspolitik wurde


die,

- die während des Pilgermonats im Jahre 1962 in Mekka gegründet wurde. 26 prominente
muslimische Gelehrte aus 22 Ländern, darunter auch Maudūdī und mehrere führende
Muslimbrüder, bildeten das Gründungskommittee. Ziel der Liga laut ihrer Satzung ist: „In
Erfüllung der Pflicht, die Gott uns auferlegt hat, die Daʿwa des Islams zu verbreiten, seine
Prinzipien und Lehren zu erläutern, die Zweifel an ihm zu zerstreuen und die gefährliche
Verschwörung, durch die die Feinde des Islams die Muslime von ihrer Religion fortlocken und
ihre Einheit und brüderliche Verbundenheit zerstören wollen, zu bekämpfen.“ Als Mittel zur
Erreichung dieses Ziels wird laut Satzung die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka, die als eine Art
natürliche internationale Konferenz angesehen wird, genannt. Ferner wurden die Errichtung
eines islamischen Rundfunksenders, die Publikation von islamischen Büchern und die
Errichtung eines permanenten Büros (das bis heute in Mekka besteht) beschlossen. Daneben
wurden in der Satzung Säkularismus, Kommunismus und Nationalismus verdammt. Die
Verdammung des Nationalismus richtete sich vor allem gegen das Nasser-Regime.

Die Islamische Weltliga ist keine Organisation auf staatlicher Ebene, sondern wird von Individuen
und islamischen Vereinen getragen. Sie bildet gewissermaßen eine Dachorganisation für die
Daʿwa-Vereine in den verschiedenen islamischen Ländern. De facto fungiert sie allerdings als
religiös-politische Missionsorganisation des saudischen Staates. Der Präsident der
konstituierenden Versammlung ist immer der oberste Mufti Saudi-Arabiens, und auch der
Generalsekretär soll laut Satzung stets zu den „Söhnen des Landes“ gehören, d.h. aus Saudi-
Arabien stammen. Die wahhabitisch ausgerichteten Gelehrten Saudi-Arabiens erhielten damit
einen entscheidenden Einfluss auf die theologische und ideologische Ausrichtung der Liga.

- ebenfalls international, überwiegend saudische Einflüsse


-
- Historischer Hintergrund dafür war die Besetzung des arabischen Jerusalems im
Sechstagekrieg 1967. Als im August 1969 ein christlicher Extremist aus Australien einen
Brandanschlag auf die al-Aqsā-Moschee in Jerusalem verübte, riefen Saudi-Arabien und
Marokko zu einer Islamischen Gipfelkonferenz ein, die einen Monat später in Rabat stattfand.
Sie bildete den Auftakt einer Anzahl von
- islamischen Außenministerkonferenzen, an deren Ende 1972 die Gründung der OIC stand.
Auf einer Konferenz in Dschidda, an der 30 Staaten teilnahmen, wurde eine Charta
verabschiedet. Laut Artikel III dieser Charta setzt sich die OIC zusammen aus (1) der
Konferenz der Könige und Staats- und Regierungsoberhäupter, (2) der Konferenz der
Außenminister, die laut Artikel V jährlich abgehalten werden soll, und (3) dem
Generalsekretariat (in Dschidda) und den ihm angeschlossenen Organen. Die Gründung der
OIC drückt gewissermaßen die Anerkennung der modernen Staatenwelt durch die islamische
Politik aus. Mitglied der OIC kann jeder „islamische Staat“ werden. Sie ist heute die
wichtigste suprastaatliche islamische Organisation, die auf internationaler Ebene operiert.

6. Beschreiben Sie den historischen Prozess, der in Iran zur Errichtung einer „Islamischen
Republik“ führte.

Auch in Iran, wo seit den späten 1950er Jahren der Pahlavi-Herrscher Mohammad Rezā Schāh
mit großer Härte ein ökonomisches und gesellschaftliches Modernisierungsprogramm verfolgte,
gab es eine Bewegung, die auf eine Islamische Revolution hinstrebte. Diese Bewegung war sehr
heterogen: Sie umfasste Laien und Geistliche, einige von ihnen waren eher konservativ orientiert,
andere linksgerichtet. Unter den Laien hatte die 1965 gegründete Bewegung der
Volksmodschahedin (muǧāhedīn-e ḫalq), die von dem Gedankengut ʿAlī Scharīʿatīs beeinflusst
war, eine große Anhängerschaft. Sie sah im theosophisch interpretierten Tauhīd und der darin
gegebenen ontologischen Einheit auch die soziale Einheit im Sinne klassenloser Gesellschaft
begründet und kämpfte schon seit Anfang der 1970er Jahre gewaltsam für die Errichtung eines
islamischen Staates.

Der wichtigste Vertreter des politischen Islams auf klerikaler Seite war

Ruhollah Chomeini. 1902 geboren, hatte er schon 1943 eine Antwort auf die gegen die
Geistlichkeit gerichteten Angriffe säkularistischer Kräfte verfasst und ab 1962 die Führung einer
Minderheitsgruppe im hohen schiitischen Klerus übernommen, die sich im Gegensatz zur
quietistischen Haltung der meisten Geistlichen offen gegen das Pahlavi-Regime auflehnte. Seine
Opposition gegen den Schah brachte er vor allem auf ethischem und spezifisch religiösem Gebiet
zum Ausdruck. Nachdem er im Juni 1963 den Schah als Yazīd (vgl. oben 5.3.1.) bezeichnet und
dadurch Unruhen ausgelöst hatte, ließ ihn der Schah verhaften. Um ihn vor staatlicher
Verfolgung zu schützen, erhoben ihn die schiitischen Geistlichen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
zum Āyatollāh und Mardschaʿ-i Taqlīd. Chomeini wurde schließlich freigelassen und in die
Verbannung geschickt. Nach kurzem Aufenthalt in der Türkei ließ er sich im irakischen Nadschaf
nieder, wo zu dieser Zeit viele schiitische Reformdenker wirkten.

Von großer Wichtigkeit war eine Reihe von Vorlesungen über politische Theorie, die Chomeini
1969 in Nadschaf hielt. Darin rief er zum ersten Mal direkt zum Sturz der Monarchie in Iran und
zur Errichtung einer islamischen Herrschaft auf; oberster Führer des islamischen Staates sollte
der schiitische Rechtsgelehrte (Faqīh) werden. Gegenüber dem traditionellen Konzept
schiitischer Herrschaftstheorie bedeutete die Schrift einen gewaltigen qualitativen Sprung: Die
Rechtsgelehrten sollten nicht mehr nur indirekt für die scharia-gemäße Gestaltung der Politik
sorgen, indem sie als Normenkontrollinstanz den Herrscher überwachen, wie es zum Beispiel in
der Iranischen Verfassung von 1907 vorgesehen war. Vielmehr sollten sie selbst zur direkten,
aktiven Herrschaftsausübung berufen sein. Die Vorlesung wurde später unter dem Titel Wilāyat-i
faqīh: ḥukūmat-i islāmī („Die Herrschaft des Rechtsgelehrten; die islamische Regierung“)
gedruckt und verbreitet.

Chomeinis große Stunde kam mit der Revolution in Iran, die im Sommer 1977 begann und sich
gegen die totalitäre Herrschaft von Mohammad Rezā Schāh richtete. Die hinter dieser Revolution
stehende Opposition, der es im Januar 1979 schließlich gelang, den Schah zu stürzen, war sehr
vielfältig: Sie vereinte Kommunisten und Sozialisten, bürgerliche Liberale und Intellektuelle,
verschiedene religiöse Splittergruppen und den gemäßigten wie den radikalen Flügel des
schiitischen Klerus. Chomeini, der aufgrund eines iranisch-irakischen Abkommens im Jahre 1978
aus dem Irak ausgewiesen worden und nach Frankreich übergesiedelt war, kehrte im Februar
1979 nach Iran zurück und nahm die Position des Revolutionsführers ein. In nur kurzer Zeit
gelang es ihm, nacheinander fast alle anderen Oppositionsgruppen auszuschalten, die Bewegung
in eine religiös-politische Richtung umzuleiten und zu einer Islamischen Revolution zu machen. In
einem am 30. März 1979 abgehaltenen Referendum erklärten 97 Prozent der Teilnehmer ihre
Zustimmung zur Errichtung einer Islamischen Republik. Im Mai wurde auf ein Dekret Chomeinis
hin das Heer der Islamischen Revolutionswächter gebildet, das bis heute weiterbesteht.

Von großer Bedeutung war der


Verfassungsprozess. Im
Oktober 1979 legte ein Expertenrat den Entwurf über die Verfassung der Islamischen Republik
vor, der die Wilāyat-i Faqīh mit Chomeini als Revolutionsführer festschreiben sollte. In der langen
Präambel der Verfassung, die schließlich am 15. November 1979 in etwas veränderter Form von
der Verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet wurde, wird erklärt, dass es Ziel der
Islamischen Republik sei, die Bedingungen zu schaffen, in denen die Menschen gemäß den
„erhabenen Werten“ des Islams leben können, weshalb den Geistlichen die Führerschaft im Staat
eingeräumt werde. Artikel 4 schreibt vor, dass „alle zivilen, strafrechtlichen, finanziellen,
ökonomischen, administrativen, kulturellen, militärischen und politischen sowie alle übrigen
Gesetze und Vorschriften... in Einklang mit den islamischen Maßstäben stehen müssen […];
hierüber sollen die islamischen Rechtsgelehrten des Wächterrates wachen.“ Art. 12 stellt fest,
dass das offizielle Bekenntnis des Staates die dschaʿfaritische Zwölfer-Schia ist, andere islamische
Rechtsschulen jedoch anerkannt werden.

Kernstück der Verfassung ist Artikel 5, der feststellt, dass in Abwesenheit des verborgenen Imams
die Führung der Gemeinschaft dem gerechten, frommen, gelehrten und starken Rechtsgelehrten
zusteht, der von der Mehrheit des Volkes als sein Führer anerkannt wird. Damit wird wie in
Chomeinis Wilāyat-i Faqīh der Kreis derjenigen Personen, die den Staat leiten dürfen, auf den
Kreis der Religionsgelehrten beschränkt. Der Präsident der Islamischen Republik darf zwar ein
religiöser Laie sein, doch ist er dem religiösen Führer untergeordnet (Art. 113). Der islamische
Führer (rahbar) thront gleichsam als oberste Instanz über einem politischen System, das
ansonsten als Präsidialdemokratie organisiert ist und auch ein gewähltes Parlament, die
Islamische Konsultativsversammlung, besitzt. Seine Zuständigkeiten geben dem Führer
weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in das politische Gefüge. Dies gilt auch für den militärischen
Bereich, in dem er die Rolle des Oberkommandierenden der Streitkräfte hat. Dass auf diese
Weise dem schiitischen Klerus, dessen Tätigkeit über Jahrhunderte auf den geistlichen und
juristischen Bereich beschränkt war, die direkte politische Regierungsgewalt in Iran zugespielt
wurde, war das eigentlich Revolutionäre an der neuen iranischen Verfassung.
Dschuhaimān al-ʿUtaibī, der Besetzer der Heiligen Moschee in Mekka nach seiner Festnahme
Die Revolution in Iran inspirierte Muslime in anderen Ländern zur Nachahmung. In Syrien
stürmten im Juni 1979 militante Muslimbrüder die Militärakademie von Aleppo und ermordeten
Dutzende von Offizieren. In Ägypten begeisterte sich eine Gruppe militanter palästinensischer
Studenten für die iranischen Ereignisse. Ihre Galionsfigur, der Mediziner Fathī Schaqāqī, schrieb
1979 ein Buch, in dem er Chomeini als „islamische Lösung“ anpries. In Senegal gründete im
August 1979 al-Hāddsch Ahmad Khalifa Niasse eine an Chomeini orientierte islamische Partei mit
dem Namen Hizboulahi („Partei Gottes“). Auch in Saudi-Arabien fühlten sich Muslime ermuntert,
gegen die Herrschenden vorzugehen. Am 20. November 1979 besetzte eine Gruppe von
Wahhabiten unter der Führung von Dschuhaimān al-ʿUtaibī die Heilige Moschee in Mekka mit
dem Ziel, das „korrupte“ saudische Königshaus zu stürzen und einen islamischen Staat zu
errichten. Erst nach wochenlangen Kämpfen konnten sie zur Aufgabe gezwungen werden. Fast
gleichzeitig organisierte der schiitische Aktivist Hasan as-Saffār in der ölreichen saudischen
Ostprovinz al-Ahsā einen Aufstand, den er als "Islamische Revolution auf der arabischen
Halbinsel" deklarierte. Die blutige Niederschlagung dieses Aufstandes durch Saudi-Arabiens
Sicherheitskräfte führte zu heftigen Spannungen mit der neuen Islamischen Republik.

7. Was ist die Dschamāʿat-i Islāmī und welche Rolle hat sie in der Geschichte von Pakistan und
Bangladesch gespielt?

13. „Islamisches Erwachen“ bei den Sunniten und die Geburt von al-Qāʿida
(1979-2001)

1. In welcher Weise hat die Iranische Revolution von 1979 auch Auswirkungen auf andere Länder
der islamischen Welt gehabt?

Schon kurz nach ihrem Ausbruch hatte die Islamische Revolution in mehreren islamischen
Ländern Sympathisanten gewonnen (vgl. oben 12.2.6.). In den frühen 1980er Jahren versuchten
viele dieser Sympathisanten, das Geschehen in der Islamischen Republik nachzuahmen. So
veröffentlichte im September 1980 die syrische Muslimbruderschaft ein Dokument mit dem Titel
„Deklaration und Programm der Islamischen Revolution in Syrien“. In Tunesien gründete im Juni
1981 Raschīd al-Ghannūschī als explizit islamische Partei die „Bewegung der Islamischen
Tendenz“ (Ḥarakat al-ittiǧāh al-islāmī). In Algerien veröffentlichten im November 1982 drei
führende Persönlichkeiten die „Deklaration des Ratschlags“ (bayān an-nasīḥa), die mit der
Forderung einer Islamischen Republik als Gründungsurkunde der islamischen Bewegung in
Algerien gilt. Das Iranische Revolutionsregime in Teheran umwarb diese Sympathisanten der
islamischen Revolution und lud sie zu Veranstaltungen nach Teheran ein. Um die Kontakte zu
ihnen zu pflegen und den Export der Islamischen Revolution zu institutionalisieren, hielt das
Regime im Januar 1982 zum ersten Mal die „Woche der Einheit“ (hafta-yi waḥdat) ab, eine
Veranstaltung, die in den Folgejahren mehrfach wiederholt wurde.

Der ägyptische Attentäter Chālid Islāmbūlī mit zur Schahāda erhobenen Zeigefinger
Im Zuge dieses Revolutionsexports mischte sich das Teheraner Regime auch direkt in die Politik
anderer islamischer Staaten ein. So rief im August 1980 Chomeini zum Sturz des Regimes von
Saddām Husain im Irak auf, ein Vorfall, der einen Monat später zum Ausbruch des Iranisch-
irakischen Krieges führte. Im November 1982 verkündete Muhammad Bāqir al-Hakīm in Teheran
die Gründung eines Höchsten Rates für die Islamische Revolution im Irak (al-Maǧlis al-aʿlā li-ṯ-
ṯaura al-Islāmiyya fi-l-ʿIrāq, engl. Abk. SCIRI). Dieses Gremium sollte nach dem Sieg über den Irak
die revolutionäre Führung in diesem Land übernehmen. Ein weiteres Beispiel ist Ägypten: im
August 1981 rief der iranische Großayatollah ʿAlī Muntazirī zum Sturz des ägyptischen
Präsidenten Anwar as-Sadat auf. Es mag ein Zufall sein, dass zwei Monate später Sadat
tatsächlich durch einen militanten Islamisten bei einer Parade in Kairo ermordet wurde, doch die
Tatsache, dass kurz darauf in Iran mehrere Straßen nach Sadats Mörder Chālid Islāmbūlī benannt
wurden, zeigt, wie sehr man das Ereignis in der Islamischen Republik Iran als einen politischen
Akt interpretierte, der mit den eigenen islamisch-revolutionären Zielen übereinstimmte.

Das Logo der Organisation Islamischer Dschihad in Palästina mit Koranvers 29:69: "Diejenigen
aber, die sich um unseretwillen abmühen, werden wir unsere Wege führen."
Auch in den Nahostkonflikt mischte sich die Islamische Republik ein. So unterstützte sie den
Chomeini-Verehrer Fathī Schiqāqī (vgl. oben 12.2.6.), der nach Ermordung Sadats aus Ägypten
ausgewiesen wurde und 1981 in Gaza die Organisation Islamischer Dschihad in Palästina
gründete. Diese Organisation arbeitet bis heute mit der Islamischen Republik zusammen und
führt den bewaffneten Kampf gegen Israel. Als Reaktion auf die israelische Invasion des Libanon
im Juni 1982 stationierte die Islamische Republik ein ca. 2.000 Mann starkes Kontingent der
Pasdārān im Libanon. Hieraus entwickelte sich später die libanesisch-schiitische Hisbollah-Miliz
(von ḥizb Allāh = „Partei Gottes“, siehe Q 5:56).

Im Zuge des Exports der Islamischen Revolution warb die Islamische Republik außerdem für die
Schia und hatte damit auch einigen Erfolg. In Nigeria, Senegal und Indonesien konvertierten in
den frühen 1980er Jahren viele revolutionsbegeisterte Muslime zu dieser Form des Islams. Die
Schiiten von Nigeria haben sich seither in dem „Islamic Movement in Nigeria“ von Scheich
Ibraheem Zakzaky zusammengeschlossen. Auch viele Mitglieder des Palästinensischen
Islamischen Dschihad sympathisieren mit der Schia. Zur Abwehr der religiös-politischen
Propaganda des Revolutionsregimes schlossen mehrere Regierungen die Botschaften der
Islamischen Republik in ihren Ländern, so unter anderem Senegal und Ägypten.

13.1.3. Dschihadismus, Salafismus und „islamisches Erwachen“


Insgesamt herrschte in den islamischen Milieus in den frühen 1980er Jahren eine revolutionäre
Stimmung. Sie war nicht nur eine Reaktion auf die Ereignisse in Iran, sondern speiste sich auch
aus den Lehren Maudūdīs und Saiyid Qutbs. Bei der Gruppe, die den ägyptischen Präsidenten as-
Sadat ermordet hatte, fand man ein Manifest, das muslimische Herrscher, die statt der Scharia
menschengemachte Gesetze anwandten, im Sinne der Theorie Saiyid Qutbs zu Ungläubigen
erklärte und die Muslime zum Dschihad gegen sie aufrief. Diesem Kampf gegen den „nahen
Feind“ im eigenen Land wurde unter Berufung auf Sure 9:123 noch höhere Priorität zugemessen
als dem Kampf gegen äußere Feinde wie Israel. ʿAbd as-Salām Faradsch, der Autor des Manifests,
war der Auffassung, dass der Dschihad eine individuelle Pflicht aller Muslime, diese das jedoch
vergessen hätten. Deswegen nannte er sein Manifest „Die vernachlässigte Pflicht“ (al-Farīḍa al-
ġāʾiba). Dschād al-Haqq ʿAlī Dschād al-Haqq, der Großmufti von Ägypten, veröffentlichte im
Dezember 1981 eine Fatwa, in der er diese Dschihad-Ideologie als charidschitische Irrlehre
zurückwies.

In Saudi-Arabien war das intellektuelle Klima in den 1980er Jahren von einer Gruppe von
Gelehrten beherrscht, die die aktivistische Ideologie der Muslimbruderschaft mit der
wahhabitischen Spielart des Islams zu verbinden versuchten. An ihrer Spitze stand Muhammad
Qutb, der Bruder von Saiyid Qutb, der an der mekkanischen Umm-al-Qurā-Universität
unterrichtete und dort einen Kreis von jungen muslimischen Gelehrten um sich versammelte, die
sich darum bemühten, die wahre Lehre der frommen Altvorderen (as-salaf aṣ-ṣāliḥ)
wiederzubeleben. Einer von Qutbs Schülern, schrieb 1981 eine Magister-Arbeit mit dem Titel:
„Zu den Begriffen des Bekenntnisses der frommen Altvorderen. Loyalität und Lossagung im
Islam“ (Min mafāhīm ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ. Al-Walāʾ wa-l-barāʾ fī l-islām). Darin versuchte er
den Nachweis zu erbringen, dass es nach der genuinen Lehre der ersten Muslime Pflicht ist,
Loyalität und Freundschaft (walāʾ) nur zu wahren Muslimen unterhalten, allen anderen
Menschen gegenüber dagegen Lossagung und Meidung (barāʾ) zu üben. Was al-Walā' wa-l-barā'
genau bedeutet, erläuterte er an vielen Einzelregeln, zu dem auch das Verbot der Angleichung an
die Ungläubigen gehört. Die Walā'-barā'-Doktrin wurde in den 1980er und 1990er von vielen
Muslimen innerhalb und außerhalb Saudi-Arabiens übernommen und bildet heute eines der
wichtigsten Kennzeichen des sogenannten Salafismus.
Eine dezidiert anti-revolutionäre Position nahm in dieser Zeit der ägyptische Gelehrte Yūsuf al-
Qaradāwī ein, der in den 1960er Jahren als Muslimbruder nach Katar ausgewandert war und dort
an dem Aufbau des islamischen Bildungssystems mitgewirkt hatte. Schon zu dieser Zeit hatte er
ein einflussreiches Buch mit dem Titel „Das Erlaubte und das Verbotene im Islam“ (al-Ḥalāl wa-l-
ḥarām fī l-Islām) geschrieben, in dem er sich mit der Frage befasste, welche Speisen, Produkte
usw. für Muslime erlaubt sind. Damit trug er erheblich zur Verbreitung der Idee der Halāl-
Zertifizierung bei. 1982 veröffentlichte er ein neues Buch mit dem Titel „Das islamische Erwachen
zwischen Zurückweisung und Extremismus“, in dem er den Extremismus (taṭarruf) und die
Intoleranz der islamischen revolutionären Bewegungen kritisierte und der muslimischen Jugend
als Gegenmittel einen Lebensstil der Mäßigung empfahl, der auf das Wissen um die islamische
Normen- und Werteordnung gegründet ist. Al-Qaradāwī verwies auf solche Koran- und Hadith-
Stellen, die davor warnen, ungeduldig zu werden und sich in aussichtslose Unternehmungen zu
stürzen, und stattdessen zu standhafter Geduld (ṣabr) aufrufen. Diese Kardinaltugend ist für
Qaradāwī so bedeutend, dass er ihr 1984 ein eigenes Buch widmete, in dem er nachwies, wie
sehr sie im Zentrum koranischer Ethik steht und für die Gläubigen gerade in Zeiten der
Anfechtung unverzichtbar ist, auch wenn sie der Jugend schwerfällt. Das Schlagwort von dem
islamischen Erwachen (ṣaḥwa islāmīya) wurde seit dieser Zeit von muslimischen Gelehrten und
Intellektuellen allgemein zur Kennzeichnung des modernen Prozesses der Reislamisierung nach
dem Versagen der säkularen Ideologien verwendet. 1987 wurde in Amman eine erste
internationale Konferenz über dieses "islamische Erwachen" abgehalten.

2. Erklären Sie, wie die Gemeinschaft der Aleviten entstanden ist.

- Religiöse Ausrichtung auf ʿAlī ibn Abī Tālib  seit 16. Jhd (Osmanisches Reich) Aleviten
(ʿalevī)
 Wird (überwiegend) als Teil der schiitischen Gemeinde angesehen; große Ähnlichkeiten
mit Zwölferschia (Ali, 14 Unfehlbare, …)
 Von orthodoxen Sunniten den Ghulat („Übertreibern“) zugeordnet
 Evtl Bezüge zum Zoroastrismus  schwer belegbar
- Verbreitung mit turkmenischen Stämmen, v.a. in Anatolien (bis heute größte alevit.
Gemeinde)
 Enge Verbindung mit Türkentum; Religion der „ursprünglichen Türken“ – Mehmet Eröz
Diskriminierung
- Osmanenreich
 Verfolgung als Häretiker
 1514 Aufstand m. iranisch-safawidischen Schahs
 16. Jhd alevitische Aufstände unter Dichter Pir Sultan Abdal; Niederschlagung &
Hinrichtung des Anführers durch die Osmanen
- Glaubensfreiheit erst unter Kemal Atatürk 12 (Laizismus) ab 1923
 Unterstützung des Kemalismus; Hoffnung auf Gleichberechtigung mit sunnitischer
Mehrheitsbevölkerung
- Ab 1980er Jahre: Reislamisierungsmaßnahmen & Förderung des sunnitischen Islam 
erneute Diskriminierung; wachsende Spannung zwischen Sunniten & Aleviten
- Reaktion: Rückbesinnung auf eigene religiöse Kultur  modernes Alevitentum
 Aufgeschlossenheit ggü. „westlicher Moderne“
 Verzicht auf sunnitische Ritualpflichten
 1993: Brandanschlag bei alevitischem Dichterfestival in Sivas (37 Tote)
 Offensivere Bekennung zu Alevitentum;
 Errichtung eines eigenen Gebäudes für das Cem (zentrale alevitische Zeremonie)
- Weitergehende Diskriminierung,
 z.B. Verhaftung von 80% (!) der Aleviten nach Gezi-Park-Protesten gegen Recep Tayyip
Erdoğan 2013
 Opfer auch von Pogromen & Anschlägen, u.a. staatlich

3. Wie ist das islamische Bankenwesen entstanden und welche Besonderheiten weist es
gegenüber konventionellen Finanzierungstechniken auf?

[s.12.1]

4. In welchem Verhältnis steht das islamische Normensystem zu den Menschenrechten?

- Diskussion seit Anfang der 1980er Jahre


- Grundsätzliche Schwierigkeit: Begründung
 (Menschen-)Rechte können nur von Gott „als alleinigem Souverän und Gesetzgeber“
verliehen werden ↔ Freiheit des Menschen als Grundprämisse (westl.)
- 1981 „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam“ durch Islamic Council of Europe
in London
- 1990 Verabschiedung einer Erklärung über die Menschenrechte im Islam durch OIC in Kairo
- Nicht bindend

Gemeinsamkeiten Unterschiede/Schwierigkeiten
- Recht auf Leben - Gleichheitsgrundsatz
- Menschenwürde - Mann/Frau
- viele Aspekte der Sozialen Rechte - Muslim/Nicht-Muslim
- Religions- & Meinungsfreiheit
- Religionswechsel von Muslimen
- Eheschließung Muslimin/Nicht-
Muslim
- Hadd-Strafen
 Problematisch: Einengung der Freiheits- und Gleichheitsrechte auf den „Rahmen des
Islams“ bzw. „der Scharia“

- Religionsfreiheit besonders problematisch: Apostasieverbot


12
1934 vom Parlament verliehener Name (geb. Pascha); „Vater der Türken“
 Verbot der Abwendung vom Islam; sowohl Atheismus als auch religiöse Neuausrichtung
 Starke Reaktion auf „Apostasie“ (/Blasphemie?) v.a. von Personen des öffentlichen
Lebens
 Mordaufrufe durch Fundamentalisten, u.a. durch hochrangige Politiker (Chomeini)
etc.

5. Erklären Sie, wie es in den 1990er Jahren im Westen zu einer Verschlechterung des Bildes vom
Islam kam.

- Grundlage:
 Zunehmende Militanz (Aggressivität/Gewaltbereitschaft) islami(sti)scher 13
Gruppierungen
 Todes-Fatwas gegen Dissidenten & Abweichler
- 1991 Frits Bolkestein (niederländische Politiker):
 Islam sei nicht mit westlichen Werten vereinbar
 Forderung: europäische Integrationspolitik  Assimilation muslimischer Minderheiten
- 1997 Pim Fortuyn (niederländischer Politiker): Buch „Gegen die Islamisierung unserer Kultur“
 Warnung vor Überfremdung der eigenen Kultur durch Muslime
 „tiefgreifende Differenzen“ zwischen westlichem & islamischem Wertesystem (s.o.)
- Samuel Huntington, amerikanischer Politik-Berater
 1987: Warnung vor Konflikten in der „Dritten Welt“ > bisheriger „Hauptfeind
Kommunismus“
 1993: Prognose eines „Zusammenpralls“ zwischen „großen Zivilisationen“, v.a. Islam
(muslimisch geprägte Länder) & China  sog. „Herausforderer-Kulturen“
1. Bruchlinienkriege zwischen lokalen Gruppen &
2. Kernstaatenkriege zwischen größeren Nationen div. Kulturen, s.o.
 Erschwerte Annäherung zum Islam
 1995: Buch „Clash of Civilizations“ (Kampf der Kulturen)  Betonung des Islams als
„Herausfordererkultur“
 Wahrnehmung des Islams als neuen „Hauptfeind“ des Westens

6. Worin liegt die Bedeutung Yūsuf al-Qaradāwīs für den zeitgenössischen Islam? Durch welche
Positionen zeichnet er sich aus?

- Ägyptischer Islamgelehrter; spirituelle „Ablösung“ Hasan at-Turābīs


 60er J.: Auswanderung als Muslimbruder nach Katar
 Anhänger der aschʿaritischen Lehre; Verteidigung gegen salafitische Angriffe
- Teilhabe am Aufbau des islamischen Bildungssystems
 1960 Buch „Das Erlaubte und das Verbotene im Islam“ (al-Ḥalāl wa-l-ḥarām fī l-Islām)
 Z.B. Speisegebote; erlaubte Konsumwaren; ….
 Idee der Halāl-Zertifizierung
- anti-revolutionäre Position
- 1982 „Das islamische Erwachen zwischen Zurückweisung und Extremismus“

13
Begriff Islamismus wurde in den 70er Jahren (!) geprägt
„das Streben, im Namen Allahs eine allein religiös legitimierte Gesellschafts- und Staatsordnung zu errichten.“
- gegen die Grundsätze der Trennung von Staat und Religion (Laizismus)
- gegen die Prinzipien von Individualität, Pluralismus und Volkssouveränität,
- gegen Menschenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter
 Kritik an Extremismus (taṭarruf) & Intoleranz d. islamischen revolutionären
Bewegungen
 Empfehlung v.a. für junge Muslime: Lebensstil der Mäßigung; Grundlage = islamische
Normen- und Werteordnung
 Betonung der „standhaften Geduld“ (ṣabr; 1984 eigenes Buch)
 Leitkonzept des „Mittelweges“ (wasaṭīya)
- Sonstige Ansichten
 Apostasie
 Einengung der Definition: Nur bei öffentlichem Aufruf zum Abfall vom Islam als
Verbrechen anzusehen
 Bestrafung von Inhaftierung bis Hinrichtung legitim – aber zu differenzieren
 Illegitimität „eigenmächtiger“ Definition & Strafausführung durch Laien

Al-Qaradāwī mischte sich schon Anfang der 1990er Jahre häufig in Debatten ein, zum Beispiel in
diejenige zur Apostasie. Die ägyptische Dschamāʿa Islāmīya hatte ihren Mord an dem
säkularistischen Schriftsteller Faradsch Fauda (vgl. oben 13.2.2.) damit gerechtfertigt, dass er zum
Apostaten geworden sei. Hinzu kam im Oktober 1994 ein Mordversuch auf den ägyptischen
Nobelpreisträger Nagib Mahfuz, der ebenfalls als Apostat gebrandmarkt worden war.
Al-Qarādāwī kritisierte diese Attentate islamistischer Organisationen und sprach sich 1996 in
einem Buch dafür aus, bei der Apostasie zu differenzieren. Nur wenn der Apostat öffentlich zum
Abfall vom Islam aufrufe und sich damit der islamischen Gemeinschaft gegenüber illoyal erweise,
stelle dies ein Verbrechen dar. Dies mache dann eine Bestrafung notwendig, die je nach Schwere
des Falles von der Inhaftierung bis zur Hinrichtung reichen könne. Keinesfalls sei es jedenfalls
muslimischen Laien erlaubt, eigenmächtig gegen Personen vorzugehen, die sie als Apostaten
ansähen. Das war auch eine Stellungnahme zu den Aktivitäten der algerischen GIA, die in dieser
Zeit auf die Lehren von Saiyid Qutb zurückgriff, die gesamte Bevölkerung Algeriens für ungläubig
erklärte und damit grausame Massaker rechtfertigte. Umgekehrt wandte sich al-Qarādāwī in
seinem Buch aber auch gegen solche muslimische Autoren, die die Notwendigkeit der Bestrafung
von Apostasie gänzlich abstritten. Darin zeigte sich sein „Mittelweg“.

Sehr stark öffnete sich al-Qaradāwī auch den Neuen Medien. Ab 1996 wirkte er weltweit durch die
Sendung „Die Scharia und das Leben“ (aš-Šarīʿa wa-l-ḥayāt) auf dem Satellitenfernsehsender al-
Jazeera, wo er seine Interpretation des islamischen Rechts allgemeinverständlich erklärte. 1997 war
er einer der ersten muslimischen Gelehrten mit einer eigenen Internetseite (www.al-qaradawi.net).
Daneben spielt al-Qaradāwī eine
- Islamischen Bankwesens. Er ist nicht nur Vorstandsmitglied einer ganzen Anzahl von
islamischen Bankhäusern, sondern hat auch in Fatwas die
 Legitimation für verschiedene islamische Bankgeschäftsformen; z.B. Murābaha, eine
Form der Aufschlagsfinanzierung, bei der Banken zur formalen Vermeidung von Zinsen
für ihre Kunden die gewünschten Güter zunächst kaufen und diese dann an sie mit
einem im Voraus fest vereinbarten Gewinnaufschlag wiederverkaufen.

Darüber hinaus befasste sich al-Qaradāwī intensiv mit der Frage der muslimischen Minderheiten
in Europa. 1997 gründete er in Dublin mit 14 anderen Gelehrten, darunter Raschīd al-
Ghannūschī, den European Council for Fatwa and Research (ECFR), der darauf abzielt, durch
Idschtihād aus Koran und Sunna neue Normen für die in der europäischen Diaspora lebenden
Muslime zu gewinnen. 1999 übernahm dieses Gremium das von dem amerikanisch-islamischen
Denker Tāhā Dschābir al-ʿAlwānī entwickelte Konzept des Fiqh al-aqallīyāt („Minderheiten-Fiqh“),
das nach einer Überwindung der „psychischen und geistigen Spaltung“ strebt, die die im Westen
lebenden muslimischen Minderheiten erleben. Al-Qaradāwī veröffentlichte 2001 ein eigenes
Buch zum Minderheiten-Fiqh, in dem er die Meinung vertrat, dass der Minderheitenstatus der in
den westlichen Ländern lebenden Muslime bestimmte normative Erleichterungen rechtfertigt,
die ansonsten für Muslime verboten wären. Er beschrieb „Integration ohne Assimilation“ als
eines der Ziele des Minderheiten-Fiqh.

7. Inwieweit hatten die Anschläge vom 11. September 2001 eine islamisch-religiöse Fundierung?

14. Ausrufung des IS-Kalifats und das Anwachsen des Antiislamismus (2001-
2018)

1. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte des Qāʿida-Netzwerks.


2. Erklären Sie, wie die IS-Organisation entstanden ist und welche Ziele sie verfolgt.
3. Was sind die wichtigsten Inhalte der sogenannten Amman Message und zu welchen religiös-
politischen Entwicklungen steht sie in Beziehung?
4. Stellen Sie anhand eines historischen Rückblicks heraus, inwieweit zwischen der Zunahme des
militanten Islamismus und der Zunahme von antiislamischen Tendenzen eine zeitliche
Korrelation besteht.
5. Deutschland entwickelte vom 11. September 2001 eine eigene Politik zur Integration der
Muslime in die Gesellschaft. Erklären Sie, woraus sie besteht.
6. Geben Sie einen Überblick über die Geschichte der Muslimbruderschaft bis heute.

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