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JUN.

2002 21 1
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AAGW

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GNOSTIKA . 6. Jahrgang . Heftnummer 21 . Juni 2002 . GNOSTIKA

///////////////////////// TEIL I /// AKTUELLES /////////////////////////


. KALEIDOSKOP ........................................................ 5
. ZUM MOTIV DER PYRAMIDEN ALS PRÜFUNGS-
UND EINWEIHUNGSSTÄTTEN (Teil 2)
VON DR. ELISABETH S TAEHELIN .................................... 29
. PHILOSOPHISCHE GESICHTSPUNKTE ZUM
VERSTÄNDNIS VON HOMÖOPATHIE
VON PROF. HEINRICH BECK ......................................... 45
. GESCHICHTE, INHALTE UND WANDLUNGEN
DES TOLERANZBEGRIFFES
ULRICH WOLFGANG .............................................. 48
VON
. OSKAR R. SCHLAG: Sein Leben und seine Bibliothek 59
. Buchbesprechung:
ALMUTH und WERNER HUTH: PRAXIS DER
MEDITATION VON DR. H.C.GERHARD WEHR .............. 61

//////////////////// TEIL II /// AUS DEM ARCHIV ////////////////////


. Einführung ................................................................ 65
. SEXUALITÄT IM YOGA
VON JULIUS EVOLA ..................................................... 66
. RECAPITULATION UND INSTRUCTION …
VOM O RDEN DER R ITTER UND BRÜDER ST . JOHANN ...... 69

. REZENSIONEN ............................................................ 86
. AUTORENPORTRAITS .................................................. 96
IMPRESSUM:

Die Zeitschrift GNOSTIKA erscheint dreimal im Jahr und wird heraus-


gegeben von AAGW. Herausgeber: Dr. H. T. Hakl und Dr. F. W. Schmitt;
verantwortlicher Redakteur: Dr. Holger Jörg. GNOSTIKA ist im Abon-
nement für mindestens drei Ausgaben erhältlich. Der Preis beträgt inkl.
Porto und Verpackung für 1 Abonnement vorerst EUR 33,– (gilt nur
innerhalb Europas).
* Änderungen vorbehalten *
ISSN 1434-7628
AAGW * www.aagw-gnostika.de
e-mail: aagw.gnostika@t-online.de

3
ISBN 3-935164-02-5
496 Seiten
mit 47 Abbildungen der Eranos-
Referenten von 1933 bis 1999
Paperback
EUR 39,50
Erhältlich in jeder Buchhandlung

Der verborgene Geist von

ERANOS
Unbekannte Begegnungen von Wissenschaft und Esoterik

Hans Thomas Hakl

Eine alternative Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts

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KALEIDOSKOP für die Freiheit des Andersdenkenden
kämpfen, was eben Toleranz und Ach-
tung voraussetzt, garantieren wir langfri-
In einer Zeit, in der es zu immer schär- stig auch unser eigenes freies Tun und
feren Polarisierungen in der Politik und Reden. Niemand soll sich täuschen und
auch sonst kommt und in der der Indi- glauben, es sei alles in bester Ordnung,
vidualismus so weit geht, dass viele über- solange es nur die „anderen“ trifft, von
zeugt sind, nur noch die eigene Meinung denen wir ja „wissen“, dass sie den „fal-
und die eigene Weltauffassung sei die ein- schen“ Weg gehen und folglich nur Scha-
zig richtige und um sie durchzusetzen, den anrichten können. Wer heute mei-
sei jedes, auch gewalttätige Mittel erlaubt nen „bösen“ Nachbar in den Kerker wirft,
und in einer Zeit, in der sogar höchste kann das morgen auch mit mir tun. Vol-
Staatsmänner verkünden, man könne nur taire und Rosa Luxemburg wussten das
für oder wider sie sein – ohne jeglichen schon viel früher.
Zwischenton – in einer solchen Zeit, Freund Rüdiger Dahlke, mit seinen
muss in jeder nur möglichen Weise für zahlreichen Büchern, teils in Riesenauf-
Toleranz geworben werden. Auch in ei- lage, hat nie zuvor, so verkündet er, so
ner Zeitschrift, wie der unseren, die in viele Angriffe einstecken müssen, wie mit
der Erforschung der Beziehungen zwi- seinem in weit geringeren Stückzahlen
schen Wissenschaft und Esoterik ihr ei- verkauften Buch Woran krankt die
gentliches Ziel sieht. Daher sind wir Welt?, in dem er seinen medizinisch-psy-
Herrn Ulrich Wolfgang für seinen Über- chologisch geschärften Blick u. a. auf die
blick zur Geschichte der Toleranz, den heute herrschende ökonomische Wachs-
wir in dieser Nummer veröffentlichen tumsillusion und das Ungleichgewicht
dürfen, so dankbar. Toleranz ist hier al- der Welt richtet. Man diskutiert eben
lerdings nicht als gnädiges „Tolerieren“ missliebige Thesen nicht mehr, sondern
der „Fehler“ und „irrigen Ansichten“ der greift sie sofort frontal an.
Anderen zu sehen, die „es leider nicht Und dass etwas in unserer wohlhaben-
besser verstehen“, sondern als Einsicht den westlichen Welt in Unordnung ge-
auch in die eigene mögliche Fehlbarkeit raten ist, wird immer offensichtlicher.
sowie als Achtung vor der Würde und Wer weiß denn schon z. B., dass die Le-
Klugheit des Nächsten. Niemand von benserwartung in einigen armen Ländern
uns hat ein Monopol auf Wahrheit und wie Costa Rica oder Kuba gleich hoch
edle Ziele. ist, wie im viel reicheren Mitteleuropa
Nur wenn allgemein Toleranz geübt und dass ein Bub, der im New Yorker
wird, ist die Freiheit des Einzelnen mög- Stadtteil Harlem aufwächst, eine gerin-
lich und hat freie Meinungsäußerung gere Chance hat, seinen 65. Geburtstag
überhaupt Zukunft. Und nur, wenn wir zu erleben als ein Säugling im allerärm-

5
sten Bangladesch?1 Kuba ist übrigens die offizielle öffentliche Ehrung in Bonn
„Insel der Bio-Weltmeister“ wie Christi- musste sie allerdings leider im Rollstuhl
an Salmhofer in der Mitgliedszeitschrift erleben. Eine Arthrose an der Hüfte
von Global 2000 schreibt. 80 % der dor- zwang sie dazu. Aber auch hier gibt es
tigen Bauern hätten bereits auf Bioland- Erfreuliches zu berichten: Anfang Mai
wirtschaft umgestellt, weil nach dem Zu- wurde die Jubilarin operiert und bereits
sammenbruch des Kommunismus keine eine Woche danach ging sie fleißig her-
preisgünstigen Dünge- und Spritzmittel um und saß vor allem schon wieder (im
mehr aus Osteuropa eingeführt werden Krankenhaus) am Schreibtisch und kor-
konnten. Und der Ertrag ist heute nach rigierte die Druckfahnen ihrer Autobio-
der Übergangsphase bedeutend größer als graphie, die im Herbst beim renommier-
er vorher war. Natürlich auch derArbeits- ten Beck-Verlag in München herauskom-
einsatz, aber der bringt vielen Menschen men soll. Bei einer Frau, die bereits mit
wiederum den notwendigen Verdienst. sechzehn dasAbitur machte und drei Jah-
re später den ersten Doktor – der zweite
Toleranz erfordert vielleicht auch von folgte ebenfalls wenige Jahre darauf – und
manchen der bisher unbekannte Aufsatz 1953 die erste deutsche Hochschulpro-
von Julius Evola in dieser Ausgabe, der fessorin überhaupt werden sollte und
sich mit Sexualität undYoga beschäftigt.2 zwar in Ankara im Fache Religionswis-
Aber damit weg von der ernsthaften Sei- senschaften(!)(die Professur in Bonn kam
te der Toleranz und hin zu einem sehr 1961 und diejenige in Harvard 1967)
freudigen Ereignis, in dessen Mittelpunkt und die viele der bedeutendsten Religi-
eine explizite Vorkämpferin für Toleranz onswissenschaftler des 20. Jahrhunderts
und Verständnis gegenüber dem heute als Kollegen hatte, wartet man eben schon
meist nur gescholtenen Islam steht.3 Die, auf den Lebensbericht. Eine Art Biogra-
so darf man wohl sagen, weltbekannte phie in Form mehrerer Gespräche gibt
Orientalistin (und Autorin von GNOSTI- es bereits. Eine langjährige Freundin von
KA) Annemarie Schimmel hat nämlich Annemarie Schimmel, die u.a. auch den
am 7. April ihren 80. Geburtstag gefei- Dalai Lama schon interviewt hat, Frau
ert. In den namhaftesten Zeitungen wur- Felizitas von Schönborn, hat die zum Teil
den ihr langeArtikel gewidmet. Die hoch- sogar sehr persönlichen Fragen gestellt.4
1 Sh. Richard Wilkinson, Kranke Gesellschaften. Springer Verlag, Wien/New York 2001.
2 Der Arun-Verlag in Engerda hat übrigens Evolas Revolte gegen die moderne Welt wieder neu
aufgelegt, nachdem das Buch über ein Jahr nicht mehr verfügbar war. Damit dürften seit der
Ansata-Ausgabe von 1982 schon an die 11.000 Exemplare des Werkes gedruckt worden sein.
3 „Unsere Aufgabe ist es“, sagt sie, „auch das Schöne zu sehen. Gerade, wenn das Gesamtbild
so negativ ist wie hierzulande oft.“ Zitiert nach der Neuen Zürcher Zeitung vom 6./7. April
2002, S. 62.
4 Annemarie Schimmel, Spiegelungen des Islam. Die Grande Dame der Orientalistik im Gespräch
mit Felizitas von Schönborn. Edition q, Berlin 2002. ISBN 3-86124-549-3.

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Daraus ist ein äußerst lebendiger Band könnte nämlich vor dem finanziellen Aus
geworden. Annemarie Schimmel eben, stehen. Auch die Sommertagung der
wie sie leibt und spricht. Zusätzlich geht Amici di Eranos von Prof. Tilo Scha-
sie auf den Islam ein und gibt verschiede- bert auf dem Monte Verità dürfte nicht
ne Kostproben aus ihrem Fundus an Ly- mehr zustande kommen. Insgesamt
rik5 sowie an Scherzgedichten und Lime- könnte damit die vielleicht bedeutungs-
ricks. GNOSTIKA darf sich ja glücklich vollste interdisziplinäre akademischeTa-
schätzen, schon zwei Beiträge der Jubila- gungsreihe mit dem Ziel, sich gegen den
rin gebracht zu haben. Ja, wir hoffen so- reinen Positivismus, Historizismus und
gar, auch noch einen numerierten Sam- ein überbordendes Fortschrittsdenken in
melband mit von ihr ausgewählten und der Wissenschaftswelt zu wenden, ihr
eingeleiteten sufischen Geschichten – teils Ende finden. Zu hoffen ist nur, dass die
mit Erstübertragungen aus ihrer Feder – Gruppierung, die noch um Erik Hor-
herausbringen zu dürfen. nung und Andreas Schweizer für das
Das nun schon wieder überwundene praktische Fortbestehen des Eranos-Ge-
Gebrechen vonAnnemarie Schimmel hat dankens kämpft, trotz allem weitere Ta-
leider auch dazu geführt, dass ihr ange- gungen zu organisieren weiß, selbst wenn
kündigter Vortrag über Iblis, den viel- diese nur in einem beschränkten Rahmen
schichtigen „Teufel“ des Islam, bei der stattfinden sollten.
Erano
Eranoss -Tagung in Ascona im April, ent-
fallen musste. Allerdings stellte sich ihre Wenn hier schon vonAbschiednehmen
enge Kollegin, Frau Dr. Gudrun Schu- die Rede ist, so will ich auch noch einem
bert, ganz kurzfristig zur Verfügung und liebgewordenen Freund (nicht nur von
sprach über das selbe Thema. Für ihren mir, sondern auch von anderen, die GNO-
sehr tiefgründigen und mit vielen über- STIKA als Autoren unterstützen) die letzte
raschenden Facetten aufwartenden Vor- Ehre erweisen. Robin Everard Water-
trag bekam sie aber auch den dement- field ist am 9. Februar 88-jährig in Ox-
sprechenden Beifall. Und auch hier hof- ford von uns gegangen. Im Kaleidoskop
fen wir, das Manuskript als Vorabdruck habe ich bereits mehrere seiner einfühl-
in GNOSTIKA bringen zu können. Mag samen Sentenzen veröffentlicht, die er aus
diese Eranostagung zweifellos ein Erfolg einem Altenheim – der „departure-loun-
gewesen sein, so war sie doch mit Trauer ge“, wie er sich ironisch ausdrückte – an
unterlegt. Die seit 1933 bestehende In- seine Freunde sandte. Robin war lang-
stitution von Eranos-Moscia, die nach jähriger christlicher Missionar im Iran,
dem Tode der Begründerin, Frau Olga anerkannter Antiquar und Verleger für
Froebe-Kapteyn, als Stiftung fortlebte, spirituelle Bücher, jungianischer Analy-

5 Der bedeutende Religionswissenschaftler Friedrich Heiler vertonte sogar Gedichte von ihr.

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tiker und Pädagoge für schwer erziehba- konformistische italienische Literaturhi-
re Jugendliche, Poet und Buchautor (so storiker Elémire Zolla ist Ende Mai in
verfasste er die erste englische Biographie seinem Haus in Montepulciano gestor-
von René Guénon) und mehrsprachiger ben. Zolla, der einerseits die Frankfurter
Übersetzer (u.a. von Jakob Boehme). Sein Schule in Italien bekannt machte, ande-
Freund Nicholas Goodrick-Clarke be- rerseits aber ein umfangreiches Buch über
zeichnet in einerAussendung Robins Ver- DIE Tradition schrieb – dabei aber ei-
dienste für esoterische Studien als „im- nem Julius Evola äußerst kritisch gegen-
mens“. überstand – war Nachfolger auf dem
Aber vor allem suchte Robin Water- Lehrstuhl des berühmten Mario Praz an
field ein christlich-mystisches Leben zu der Sapienza in Rom, dem Praz, dem wir
führen. Sein Leichenbegängnis, dessen das zu Recht so hochgelobte BuchLiebe
Abfolge von Hymnen und Psalmen von Tod und Teufel über die „schwarze Ro-
ihm selbst zusammengestellt worden war, mantik“ verdanken. Die italienischen
brachte Auszüge von Rabindranath Ta- Zeitungen von der kommunistischen
gore und ein von ihm selbst verfasstes L’Unità bis zum konservativen Giornale
Glaubensbekenntnis.Trotz seiner zutiefst waren voll mit langen lobenden Nach-
christlichen Prägung setzte er sich für rufen auf einen der letzten Universalge-
Julius Evola ein, als dieser z. B. in der lehrten Italiens, der sich nie „etikettieren“
inzwischen leider eingestellten Zeitschrift ließ. Groß war seine Liebe für den spiri-
Gnosisbloß als Faschist und „Schwarz- tuellen Osten. „Im Westen“ sagte er ein-
magier“ erschien und schrieb einen posi- mal – vielleicht übertrieben – in einem
tiven Artikel über ihn. Aus den vielen Interview, „gibt es nichts Lebendiges
vom ihm hinterlassenen „note-books“ mehr, keine philosophische Schule, kei-
werden wir immer wieder einige seiner ne Kunst, die mich emporhebt, nichts“.
Lebenseinsichten bringen, die ihn jenseits Als großer Gegner totalitären Denkens,
des physischen Todes weiterleben lassen. vor allem solcher progressistischer Art, in
Ein typisches Beispiel daraus, das man- denen er sogar etwas „Satanistisches“ sah,
chen zum Widerspruch reizen wird: wurde er immer wieder nach seinen po-
„Laßt uns erwachsen werden und ak- litischen Ansichten gefragt. Für ihn war
zeptieren, daß die tiefen Tatsachen des die Unterscheidung zwischen „links“ und
Lebens nicht einfach Probleme sind, die „rechts“ von wenig Belang und würde nur
man bloß einer Lösung zuführen muß, „dem politischen Kampf niedersterArt“
sondern Tatsachen, mit denen wir zu le- dienen. Da diese Unterscheidung vom
ben haben.“ französischen Parlamentarismus der Re-
volutionszeit herkäme, würde die jetzt
Noch einen großen Verlust haben wir herrschende Parteienlandschaft das Rech-
zu beklagen. Der überaus gelehrte, non- te einfach für das Übel erklären und das

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Linke für das Gute. Dann würde wieder- Culianu dürfen ebenfalls nicht vergessen
um eine Zeit kommen, wo es genau um- werden. Mit Elémire Zolla ist wirklich
gekehrt sein würde. Interessanterweise einer der letzten umfassenden Intellek-
wurde Zolla meines Wissens nach nie tuellen von uns gegangen.
wegen seiner unkonventionellen politi- Gerade vor Redaktionsschluss erreich-
schen Ansichten angegriffen. Sein unbe- te mich noch eine besonders traurige Mit-
zweifelbarer Liberalismus, seine Bekannt- teilung. Unser Freund und Mitarbeiter
schaft mit führenden italienischen Links- Matthias Dalvit ist erst 57-jährig an plötz-
intellektuellen und seine Beschäftigung lichem Herzversagen gestorben. Herr
mit Marquis de Sade mögen da eine Rolle Dalvit, dessen Hilfsbereitschaft immer so
gespielt haben. groß war, hat für GNOSTIKA Beiträge
Für unsere Zunft wichtig war Zolla über den berühmten Astrologen Thomas
nicht nur wegen seines umfangreichen Ring geliefert, aber auch über gerade an-
Werkes über den Osten, sondern weil er stehende astrologische Zeitqualitäten ge-
ebenso ein ausgesprochener Fachmann schrieben. Ebenso war er ein hervorra-
für Schamanismus, Alchimie, Sufismus, gender Kenner des I Ging. Hauptberuf-
Kabbala und Mystik war. Seine sieben- lich war er als Bibliothekar in der Zür-
bändige Geschichte der Mystiker dürfte cher Zentral(Universitäts-)bibliothek tä-
nach wie vor die umfangreichste in jeder tig. In diesem Rahmen sorgte er sich ins-
westlichen Sprache überhaupt sein.Auch besondere um die Oskar Schlag Samm-
seine sechsbändige Anthologie über den lung esoterischer Bücher. Dass diese für
Übermenschen und – für mich persön- Interessenten jetzt praktisch verfügbar ist,
lich überragend – seine heute vollständig kann zum Großteil auf sein Wissen und
fast unauffindbare Zeitschrift Conoscen- seinen Einsatz zurückgeführt werden.
za Religiosa haben vielleicht sogar Jahr- Seiner Witwe Christina Dalvit-Friis gel-
hunderte überdauernden Wert. Zolla trug ten nun unsere innigsten Wünsche.
ebenso bei Eranos vor, arbeitete in der
prestigereichen von Ernst Jünger und Und da wir schon bei Erinnerungen
Mircea Eliade herausgegebenen Zeit- sind, will ich noch kurz an die Wieder-
schrift Antaios mit und war so freund- kehr zweierTodestage großer, ja vielleicht
lich, auch uns einen Beitrag (Die vollkom- ganz großer Schriftsteller erinnern. Zu-
mene Stadt) für die GNOSTIKA vom Ok- erst an den 40. Todestag von Hermann
tober 1999 zu überlassen. Seine tiefgrün- Hesse, dessen Steppenwolf ein Kult-
digen Essays über bedeutende, von der buch der Hippy-Bewegung war, die so
Gesellschaft an den Rand gestellte Ge- viel Nachdenken über eine „andere“ Welt
stalten wie den Magier Arturo Reghini ausgelöst hat, eine Welt, die nach mehr
oder über die großen Religionswissen- strebte, als nur nach Geld und Erfolg.
schaftler wie Mircea Eliade oder Ioan Und einzelne seiner Werke wie Siddhar-

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ta
ta, Demian oder Narziss und Gold- einigung mit der Natur greifbar macht.
mund würde ich zur regelmäßigen, alle Nicht ohne Grund nannte ihn Thomas
zehn Jahre zu wiederholenden Lektüre Mann den „größten lebenden“ Schrift-
empfehlen. Nicht, dass sie die Weisheit steller und wurde ihm 1920 der Nobel-
per se darstellen, aber sie zeigen auf, dass preis für Literatur verliehen.
nicht alle Menschen nur den einen Weg
gehen müssen und vermögen so Finger- Von der Vergangenheit nun in die Ge-
zeige, ja vielleicht sogar Trost zu geben. genwart. Dass Antoine Faivre von sei-
Hesse, der selbst von schweren Depres- nem Lehrstuhl für die Geschichte der
sionen heimgesucht war, wusste als Lei- Esoterik an der École Pratique des Hau-
dender eben eher, wo Heil zu finden sein tes Études, Section des Sciences Religieu-
könnte. Eigenartig ist, dass die große Pres- ses, emeritiert, habe ich bereits im letz-
se Hesses Todestag nicht als sonderlich ten Heft anlässlich der Überreichung der
beachtenswert anzusehen scheint. Ist prachtvollen Festschrift an ihn, angekün-
Hesse nicht mehr „zeitgemäß“ genug? digt. Nun ist auch sein Nachfolger ge-
Der zweite Todestag, den ich hier er- wählt: Jean-Pierre Brach, dessen neue-
wähnen möchte, ist der fünfzigste von stes numerologisches Buch im Rezensi-
Knut Hamsun, dem „letzten Heiden“, onsteil von mir besprochen wird. Vier
wie er auch genannt wurde. Dass sein Kandidaten standen übrigens zur Aus-
Jubiläum bis jetzt so gut wie unerwähnt wahl. Jean-Pierre Brach, den wir hier
geblieben ist, versteht man eher. Zu be- schon mehrmals erwähnt haben, wird
kannt ist seine wie immer zu erklärende GNOSTIKA, so meine ich mit Zuversicht
Neigung zum Nationalsozialismus und behaupten zu können, ein Interview ge-
seine Unterstützung des norwegischen ben, um uns über seine Pläne und Ab-
Quisling-Regimes. Und doch war Ham- sichten zu informieren. Seine Stelle im
sun viel eher ein Rebell, ein anarchischer Team von Wouter Hanegraaff, in der un-
Geist, der in der Jugend vagabundierend seren Lesern wohlbekannten Abteilung
in der Welt umherzog (ähnlich Jack Lon- für die Geschichte der Hermetischen Phi-
don) und gegen die aufkommende In- losophie an der Amsterdamer Universi-
dustrialisierung und Kommerzialisierung tät wird er natürlich aufgeben müssen.
in seinem Lande revoltierte, die Fjorde Im Herbst soll ein Nachfolger für ihn
und Ackerböden zerstörte. Dass Ham- bestellt werden. Damit ist natürlich in
sun in seiner Abwehr gerade auf Hitler Amsterdam wiederum eine gut bezahlte
verfiel, der ja selbst Ausdruck eines indu- Stelle für einen Lecturer/Researcher frei
striell-machthaberischen Denkens war, ist geworden. Neben Spezialkenntnissen der
natürlich tragisch, sollte aber nicht da- westlichen Esoterik, einem Doktorgrad
von abhalten, so Großartiges wie sein (Ph.D.) werden englische und lateinische
Buch Pan zu lesen, das die mystischeVer- Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Interes-

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senten melden sich bitte bis 5. August di- Dr. Roland Pietsch, Professor am In-
rekt bei Prof. Wouter Hanegraaff unter stitut für Religionswissenschaften an der
hermetica@hum.uva.nl. Nach diesem Da- Ludwig-Maximilians-Universität in Mün-
tum, aber spätestens bis 1. September bei chen und seit letztem Jahr auch Gastpro-
Frau H.Nobach unter der selben Adresse. fessor an der Islamischen Universität in
Von eben diesem Lehrstuhl in Amster- Taschkent/Usbekistan hat mir freundli-
dam kommt nun eine hochinteressante cherweise mitgeteilt, dass er im Sommer-
Nachricht. Beginnend mit dem Studien- semester 2003 eine Vorlesungsreihe un-
jahr 2002/03 steht dort ein vollständiger ter dem Titel Die sufische Lichtmeta-
Lehrgang im Fach Mysticism andWestern physik Shihâb al-Dîn Yahyâ al-Suhra-
Esotericism auf dem Plan, der mit dem wardis und seine hermetischen, altira-
akademischen Grad eines Masters abge- nischen, griechischen und sufischen
schlossen werden kann. Eine einjährige Quellen halten wird. Dass er sich dabei
und eine zweijährige Variante wird dabei auch auf die bahnbrechenden Forschun-
angeboten. Die verschiedenen esoteri- gen von Henry Corbin stützen wird, ist
schen Richtungen werden aus einem kri- selbstverständlich. Prof. Pietsch hat in
tischen, empirisch-historischen Blickwin- GNOSTIKA ja schon einen profunden
kel erforscht. Internationalen Studenten Artikel über Jakob Boehme veröffentlicht
bietet sich damit eine wirklich einmalige und ein Aufsatz von ihm über den Sufi-
Möglichkeit, in diesem außergewöhnli- meister Ibn Arabi ist für die Oktober-
chen Fach einen anerkannten universitä- Ausgabe geplant.
ren Titel zu erwerben. Die Kurse werden Ein gewisses Aufsehen erregt hat der
alle in englischer Sprache abgehalten. Lehrgang Sorcery, Witchcraft, Shama-
Nähere Informationen finden sich auf der nism and Healing an der Adelaide Uni-
website: www.amsterdamhermetica.nl. versity in Australien. Jedenfalls war das
Auch die Theologische Fakultät der sogar dem Spiegel eine Meldung wert.
Universität Lausanne hat jetzt eine volle Der zwölfwöchige Kurs hat im März be-
Lehrstelle für religiöse Randgruppierun- gonnen und ist somit schon beendet. Die
gen (Esoterik, Magie) ausgeschrieben. Leitung war dem Anthropologen Dr.
Forschungsarbeiten sind damit ebenfalls Kingsley Garbett anvertraut, der über
verbunden. Beginn möglichst ab Septem- vierzig Jahre magische Rituale, vor allem
ber 2002. Ein Doktorat in Religionswis- in Zimbabwe, Malawi und Sri Lanka, stu-
senschaften ist Voraussetzung. Sehr inter- diert hat. Der Erfolg bei den Hörern
essant ist die Entlohnung, die vom Mi- scheint aber weit weniger groß gewesen
nimum von knapp 80.000,– CHF bis zu zu sein als erwartet.
einem Maximum von knapp 140.000,– Und noch eine – sogar etwas pikante –
CHF brutto im Jahr beträgt. Nähere An- Meldung im universitär-esoterischen
gaben unter: Maritza.Erb@theol.unil.ch. Umfeld, kann ich bieten. Vivianne Crow-

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ley, die sich selbst als Hohepriesterin des Zürich mit einem fürchterlichen Auf-
Wiccakultes bezeichnet und eine ganze schrei der Boulevardmedien. Manchem
Reihe von einschlägigen Büchern – al- Gläubigen mag diese Berührung zwi-
lerdings auch zwei über C.G. Jung – ge- schen Theologie und sagen wir es plaka-
schrieben hat, wurde am zur Londoner tiv Satanismus oder auch nur Esoterik
Universität gehörenden Heythrop Col- sehr missfallen. Solang aber beide Seiten
lege zur Vortragenden ernannt. Dieses in offener und klarer Weise ihre Stand-
College ist die führende Jesuiten-Hoch- punkte austauschen, ohne die Konturen
schule, an der seit Generationen katholi- zu verwischen und ohne in heimtücki-
sche Theologen ausgebildet werden. Vi- scher Weise den anderen meucheln oder
vianne Crowley wird damit allerdings an sich reißen zu wollen, kann ich darin
nicht automatisch Mitglied der Theolo- fast nur Vorteile sehen. Denn wenn die
gischen Fakultät und soll nur über Reli- Kirche so schwach ist, dass ein ehrliches
gionspsychologie sprechen. Gespräch ihre Fundamente zu erschüt-
DieTheologen sind eben so feige nicht, tern droht, dann steht sie so oder so nicht
wie viele annehmen und sie wollen aus mehr lange.Vom Anderen zu lernen, ihn
erster Hand erfahren, was die Menschen zu achten und sich gleichzeitig des eige-
von der Mutter Kirche weglockt und so- nen Standpunktes gewisser zu werden,
gar zu Gruppierungen hintreibt, die ma- das wäre das Ziel.
nifest das „Böse“ verkörpern. So gibt es In der letzten GNOSTIKA habe ich kurz
am 30. November im Romerohaus (für das neueste Opus von P. R. König, den
Anfragen: info@romerohaus.ch) in Lu- O.T.O. Phänomen Remix Remix, bespro-
zern eine Tagung unter dem Titel Okkul- chen. Dieser Remix nun wird, wie uns
te Gegenwelten – Menschen – Grup- Herr König mitteilt, nicht nur ins Engli-
pen – Orden
Orden. Gesprächsleiter ist der The- sche übersetzt, sondern sogar von einem
oologieprofessor Georg Schmid. Aber bekannten Musiker zu einer Oper ver-
auch der Pfarrer und Sektenbeauftragte tont. Herr König zerlegt den Text dazu
Martin Scheidegger, sowie der Pfarrer in akustische Partikel. Neben der Musik
und ebenfalls Okkultismusexperte Joa- wird das Ganze zusätzlich mit Stimmen
chim Müller diskutieren mit dem Prior von „okkulten“ Persönlichkeiten angerei-
des Schwartzen Ordens von Lucifer, Sato- chert. An Mozart oder an Wagner wird
rius und mit dem unseren Lesern höchst das wahrscheinlich dann nicht mehr er-
vertrauten Peter Robert König. Der Mut innern. Muss es auch nicht.
der Theologen ist bewundernswert, en-
dete doch der letztjährige Auftritt des Doch nun ein Themenwechsel zu ru-
unkonventionellen und sicherlich nicht higeren Gefilden. Von wertvollen esote-
immer botmäßigen Peter R. König an der rischen Büchern spreche ich ja immer
Theologischen Fakultät der Universität wieder gerne. Auch dieses Mal gibt es

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Interessantes zu berichten. Die zwischen Kaum hatte Adam McLean von dem
1930 und 1960 zusammengestellte Bi- ihm zu Ohren gekommenen Angebot auf
bliothek von Lord Leonard Pembroke, seiner vielbesuchten Alchemie-Website
einem praktizierenden Alchimisten, ho- berichtet, rannte bei unserem Freund
möopathischen Arzt und Mitglied in spä- Todd Pratum, der den Verkauf veranstal-
ten Golden Dawn-Gruppierungen, stand tete, das Telefon heiß. Händler aus aller
Anfang des Jahres plötzlich zumVerkauf. Welt – wertvolle Bücher auf diesem Sek-
Glanzlichter waren 45 äußerst rare Bän- tor findet man nicht so leicht – plus eini-
de, wie z. B. ein makelloses (aber unvoll- ge private Sammler versuchten sofort ihr
ständiges) Exemplar der Geheimen Fi- Glück. Endergebnis: Todd Pratum, dem
guren der Rosenkreuzer in der Alto- ich dieses „business“ aus ganzem Herzen
na-Version von 1785-88, das berühmte vergönne, da sein idealistischer Eifer ihn
Amphitheatrum Sapientiae des Hein- noch im letzten Jahr in den Konkurs
rich Khunrath von 1609 (noch dazu mit schlittern ließ, verkaufte schließlich an ei-
der Signatur der Alchimieautorin Mary nen Privatmann, der verständlicherwei-
Ann Atwood), das sogar Umberto Eco se nicht genannt werden will.
zu einer detaillierten bibliographischen Wenn ich schon von solchen Raritä-
Studie6 inspirierte, Michael Maiers The- ten spreche, soll auch noch erwähnt wer-
mis Aurea von 1618, Ramon Lulls Prac- den, dass die wertvollsten esoterischen
tica Compendiosa sowie sein Codici- Bücher der von Manly P. Hall begründe-
lus von 1563, Georg von Wellings Opus ten Philosophical Research Society an
Mago-Cabbalisticum von 1784, wozu die Getty-Familie verkauft wurden. Die
eine ganze Serie von englischen Erstaus- Philosophical Research Society in LosAn-
gaben von Jakob Boehme sowie Werke geles ist (war?) sicherlich die eindrucks-
von John Pordage, Levinus Lemnius, vollste okkulte Bibliothek in den USA,
Michael Sendivogius, Arthur Dee, Wil- die öffentlich zugänglich ist. In Europa
liam Law, Basilius Valentinus und Karl v. geht es uns da besser, da wir zumindest
Eckartshausen kamen. Weitere ca. 200 zwei sehr umfangreiche, dem Publikum
Bücher bestanden aus Erstausgaben von zugängliche rein esoterische Bibliotheken
A. E. Waite, MacGregor Mathers, Har- haben (will man nicht auch noch die War-
grave Jennings, W. W. Westcott usw. Ins- bur
burg g -Sammlung in London dazuzäh-
gesamt also ein Angebot, wie es nur ganz len). Neben der inzwischen verdienter-
selten in so geschlossener Form auf den maßen weltweit bekannten Bibliotheca
Markt kommt. Das alles zum Barpreis Philosophica Hermetica in Amster-
von tatsächlich günstigen (ohne Ironie!) dam ist ja die Oskar Schlag Bibliothek
US$ 75.000,– mit 26.000 Einheiten zu nennen. Wie

6 L’Enigme de la Hanau 1609, Bailly, Paris 1990.

13
uns deren nunmehr ehemaliger Leiter Nikolaus Flamel: Chymische Werke
Matthias Dalvit gerade noch vor seinem und Julius Evola: Mysterium des
plötzlichen Ableben mitgeteilt hat, gibt Grals
Grals. Da es sich um streng limitierte und
es für die Sammlung eine neue Home- nummerierte Ausgaben handelt, kommt
page unter www.zb.unizh.ch/ Spezialab- eine Neuauflage natürlich nicht in Frage.
teilungen. Dort findet sich auch ein Link
zum Katalog. Aber damit will ich die mir so sympa-
In diesem Zusammenhang möchten thische Bücherwelt wiederum verlassen.
wir Frau Brigitte Staub-Iseli herzlich Zu viele andere Mitteilungen warten
dafür danken, dass Sie uns den Nach- noch. Schon im letzten Heft hatte ich
druck ihrer Kurzbiographie von Oskar kurz auf das neue Alchimie-Museum in
Schlag in dieser Nummer gestattet hat. Kutna Hora bei Prag hingewiesen. Die
Frau Staub-Iseli war ja mit der Organisa- Eröffnung verzögerte sich allerdings et-
tion und Katalogisierung dieser gewich- was und fand nun am 16. Mai mit einem
tigen Sammlung betraut. Von Herrn wunderschönen Konzert statt. Das Mu-
Dalvit wissen wir auch, dass der Briefe seum hat sieben Tage die Woche geöff-
und Fotos enthaltende Nachlass des be- net und ist nach eigenen Angaben welt-
kannten esoterischen und religionswis- weit die erste, allein aufAlchimie ausge-
senschaftlichen Schriftstellers Alfons Ro- richtete ständige Ausstellung, die nicht
senberg, der auch mit der Eranosgrün- nur als Anhängsel eines Chemiemuseums
derin Olga Fröbe-Kapteyn eng befreun- fungiert. Sowohl der laborantische als
det war, an die Zürcher Zentralbibliothek auch der spirituelle Aspekt sollen so zum
gelangt ist. Ausdruck gebracht werden. Neben den
lokalen Förderern des Projektes wie Dr.
Von solchen Raritätensammlungen zu Lubos Antonin, Michal Pobal oder auch
unseren eigenen AAGW-Büchern ist der dem verdienten Verleger und Autor Vla-
Schritt gar nicht mehr so groß, wie man dislav Zadrobilek sind noch unsere
meinen möchte. Unser Titel Geheimnis Freunde Nicholas Goodrick-Clarke und
aller Geheimnisse – Schriften der Christopher McIntosh, ebenso wieAdam
Gold- und Rosenkreuzer ist nämlich McLean, RenéAlleau, Stanislas Klossow-
bereits zu deutlich (um fast 80 %!) erhöh- ski de Rola oder Rafal Prinke als eifrige
tem Preis im Antiquariatshandel aufge- Befürworter zu nennen. Alchimiekurse,
taucht. Allerdings ist das Buch bei uns – ein „Hermetisches College“ und „magi-
entgegen der Mitteilung des betreffenden sche“ Reisen (u. a. mit Nicholas Good-
Antiquars – noch immer zum regulären rick-Clarke) sind ebenfalls vorgesehen,
Preis erhältlich. Bedenklich zur Neige bzw. haben schon stattgefunden. Weite-
(Vorrat gerade noch je knapp 40 Stück) re dienliche Informationen erhalten Sie
gehen jedoch bereits zwei andere Bände: unter: www.alchemy.cz/museum.html.

14
Kutna Hora, das durch seinen Silberberg- Interessen sein, um gemeinsam die ge-
bau und seine Münzprägungen reich sellschaftliche Anerkennung ihrer Glau-
wurde, ist übrigens auch sonst eine Reise bensrichtungen als Religion zu erreichen
wert. Die Stadt ist wegen ihrer histori- und verstärkt „den Verleumdungen und
schen Gebäude zum UNO-Weltkultur- falschen Darstellungen in der Öffentlich-
erbe ernannt worden. keit“ begegnen zu können.
Aber auch in Bad Bentheim im deut- Bereits einige Wochen danach ist die-
schen Emsland ist jüngst ein kleines Al- ser Dachverband wiederum gescheitert.
chimiemuseum im Schloss des Gra- Die weltanschaulichen Unterschiede zwi-
fen zu Bentheim eröffnet worden. Ne- schen den neuheidnisch-naturreligiösen
ben 80 alchimistischen Werken aus der und den okkultistisch-satanistischenVer-
Schlossbibliothek können originale La- bänden und die Angst, von der Presse in
borgeräte bewundert werden. Die Burg einen satanistisch-faschistischen Einheits-
Bentheim ist bis 31. Oktober geöffnet. topf geworfen zu werden, waren augen-
Auskünfte unter der deutschen Telefon- scheinlich zu groß. Seit dem 24. März
nummer (05922) 983 30. gibt es nun einen neu gegründeten Dach-
Und nun weiter mit Nachrichten aus verband für traditionelle Naturreligion,
Deutschland. Anfang des Jahres hatte sich der auf den schönen Namen Kulturgei-
unter dem Namen GENA (Gesellschaft ster hört und etwas über hundert Mit-
für die Erhaltung und Förderung der glieder haben dürfte. Als Zielrichtung
Naturreligion und Arkandisziplin) ein ihrer Verbindung gilt es, „den Wert der
neuer Dachverband von Neuheiden, ok- alten Religion, die Bedeutung der Ver-
kulten Gruppierungen und Neosatani- ehrung der Erdmutter, sowie die Vereh-
sten gebildet, der um die 500 Mitglieder rung der Ahnen aufrecht zu halten, denn
umfasste. Dabei handelte es sich neben nur wer an die vergangenen Generatio-
„Steinkreis“, „Rabenclan“ und der deut- nen denkt, denkt auch an die künftigen.“
schen „Pagan Federation“ bereits um den Als darin verbundene Gruppierungen
vierten Dachverband neuheidnischer und sind z. B. der Yggdrasil-Kreis, der Odinic
okkultistischer Kreise. Bei der Gründung Rite Deutschland, die Sisterhood ofAvalon
war übrigens Prof. Wolfgang Deppert und das heidnische Kultur-Forum zu nen-
von der Universität Kiel als Gastredner nen. Die mehr dem Okkulten zugewand-
geladen. Gemäß seinem Amt als Erster ten Formationen, wie die Celtsun-Wicca,
Vorsitzender der Sokratischen Studien- die Communitas Saturni, In Nomine Sa-
organisation hob Wolfgang Deppert da- tanas (INS), die Pansophische Gesellschaft
bei die sokratische Bedeutung der Kom- und die Thelema-Society behielten die
munikation mit anderen zum Zwecke der Bezeichnung GENA bei.
Selbsterkenntnis hervor. Hauptziel des Auch Thorwald Dethlefsen mit sei-
Dachverbandes sollte die Bündelung der ner Kirche des NeuenAeon (Kawwana) hat

15
sich nach anderthalbjähriger Öffentlich- ten“, sprich die Autorinnen und Auto-
keitsabsenz wiederum gemeldet. Die vier ren sowie Übersetzer trifft. Die Zeitschrift
astronomisch-magischen Eckpunkte des Esotera
Esotera, die einmal als Die andere Welt
Jahres, die Äquinoktien und Solstitien, angefangen hatte, wandelt sich nunmehr
die bis jetzt nur im Geheimen gefeiert in ein spirituelles Frauenmagazin um. Die
wurden, sollen jetzt öffentlich zelebriert Richtungsänderung scheint sich kom-
werden. Die Veranstaltungen finden aus merziell aber auszuzahlen, so dass es so-
„magischen Gründen“ in München und gar Kaufinteressenten für die Zeitschrift
Wien statt. Besucher der letzten Veran- gibt, wie man hört.
staltung in München vom Oktober 2000 Wenn schon von Zeitschriften die Rede
bekamen auch ein Videoband mit der ist, so gilt es auch, einige traurige Nach-
Aufzeichnung der Rede des „Vicarius“ richten zu übermitteln. Die seit 1982
über die elf Grundpfeiler der Kirche Kaw- unter der Ägide von Stanton Linden (Wa-
wana. Eher kurios mutet die Mitteilung shington State University) mehr oder we-
an, dass in München nun eine nach den niger regelmäßig erscheinende und durch
Grundsätzen dieser Kirche magisch arbei- ihr Qualitätsniveau bestechende Zeit-
tende Zahnarztpraxis eröffnet worden sei. schrift Cauda Pavonis wird wegen der
Emeritierung von Prof. Linden einge-
Das Allensbacher Demoskopie-Institut stellt. Es wird zwar versucht, für dieses
berichtet, dass ca. 10 % der Westdeut- aufAlchimie und Hermetik spezialisier-
schen an Gespenster und böse Geister te Organ eine neue Heimstatt an einer
glauben. Im Osten sind es hingegen nur anderen Universität zu finden, aber das
ca. 3 %. Besonders hoch ist dabei der wird nicht einfach sein.
Anteil der Frauen, am höchsten überra- Nach mehr als vierzig Jahren musste
schenderweise in der Altersgruppe zwi- auch die italienische Zweimonatszeit-
schen 16 und 29 Jahren. Trotz dieser schrift Conoscenza ihr Erscheinen be-
hohen Zahl geht es der esoterischen Bü- enden. Conoscenza wurde von einer Ac-
cherbranche weiterhin schlecht. Sogar der cademia di Studi Gnostici unter der Füh-
wahrscheinlich bekannteste und bald rung von Loris Carlesi herausgegeben
nach dem Krieg gegründete Hermann und war durch ihreVielfalt, die vom eso-
Bauer Verlag ist in ein Insolvenz-Ver- terischen Psychologen Roberto Assagioli
fahren geschlittert. Der Verlag arbeitet über neognostische Gruppierungen bis
zwar weiter, aber ein Großteil der ange- zum Neo-Sufi Inayat Khan reichte, äu-
häuften Schulden wird damit getilgt, was ßerst anregend.
neben den üblichen Lieferanten auch Selbst das weitverbreitete Giornale dei
ganz besonders die „geistigen Lieferan- Misteri
Misteri, das ebenfalls seit Jahrzehnten in

7 Politica Romana, Ass. Senatus, Via Giovanni Pascoli, 5 I-98100 Messina.

16
allen italienischen Kiosken zu finden war, nach wie vor. Langsam zwar aber stetig.
kann nicht mehr weitermachen. Das wun- Trotzdem möchte ich alle Leserinnen und
dert eigentlich, denn es handelte sich Leser bitten, wenn immer möglich, mit
dabei um einen sehr populären Mix von Interessierten über unsere Zeitschrift zu
Parapsychologie, Okkultismus und New sprechen und so für eine weitere Verbrei-
Age. Ein Unternehmer aus der Provinz tung zu sorgen. Noch eine gute Nach-
von Siena will allerdings den Titel kau- richt habe ich zu vermelden. Die Inter-
fen und mit der Publikation fortfahren. nationale Zeitschrift für Freimaurer-
Und noch eine Zeitschrift aus Italien, forschung
forschung, die im Springer Verlag er-
die besonders große Beachtung, aber auch schien (vier Nummern) und von der man
Ablehnung erfahren hat, soll hier noch schon lange nichts mehr hörte, wird doch
kurz angesprochen werden. Politica Ro- weitergehen und zwar im Peter LangVer-
mana
mana, die äußerst interessante evolakri- lag, Frankfurt. Hoffentlich finden sich ge-
tische und die italische Tradition eines nug Alt- und Neuabonnenten für diese
Giuliano Kremmerz hochhaltende Publi- Fachzeitschrift. Auch Theosophical Hi-
kation, wo Fachleute wie Piero Fenili, story erscheint nach einem Unterbruch
Dana Lloyd Thomas, Gennaro d’Uva wiederum unter der bewährten Leitung
und Sandro Consolato schreiben, wird von James Santucci von der California
auf jeden Fall – das ist der letzte Stand – State University.8 Die Pflege seines kran-
noch eine Nummer (6) herausbringen.7 ken Vaters und dessen Tod hatten diese
Ob es dann noch weitergehen wird, ist Unterbrechung notwendig gemacht.
allerdings mehr als unsicher. Der unzeit- Die Auswirkungen des Internet auf die
gemäße Tod von Marco Baistrocchi, der esoterischen Printmedien habe ich behan-
intellektuell wie finanziell die Zeitschrift delt und man kennt sie. Viel weniger be-
unterstützte, ist sicherlich einer der Grün- kannt ist allerdings, wie stark die alterna-
de, wenn auch nicht der alleinige, für den tive und esoterische Kultur der 60-er und
mangelnden Optimismus. Das Erschei- 70-er Jahre in den USA die Entwicklung
nungsdatum der, so fürchte ich, letzten des Personal Computers und des Inter-
Nummer, soll noch vor Ende dieses Jah- nets beeinflusst hat. Schon der „Papst“
res liegen. der sogenannten bewusstseinserweitern-
den Drogen, Timothy Leary, hat die stür-
Das Internet mit seiner Fülle an „Gra- mische Entwicklung auf dem privaten
tis“-Informationen scheint insgesamt eine Computersektor mit der vorangegange-
Krise auszulösen, die alle herkömmlichen nen „psychedelischen Revolution“ in
Informationsmedien trifft. Bei GNOSTI- Zusammenhang gebracht. Ohne sie hät-
KA allerdings steigt die Abonnentenzahl ten die imaginären Welten der Elektro-
8 Anfragen an James Santucci, Dept. of Comparative Religion, California State University,
P.O.Box 6868, Fullerton, CA 92834 - 6868, USA.

17
nik bei den Benützern nie so rasch Ein- Magie“ im thailändischen Dorf Nong
gang gefunden. Ein großer Teil der krea- Sarai anzuzeigen. Liebestränke, Abwehr
tiven Impulse bei der Entwicklung von böser Geister und kugelsichere Tätowie-
Software und Hardware – vor allem bei rungen seien die Spezialität des vorbe-
Apple – soll auf die damalige Alternativ- straften Schulleiters Harn Raksajit.
kultur zurückgehen. Steve Jobs, der Mit- Hierher passt gut eine Nachricht aus
begründer von Apple z. B. pilgerte nach dem Journal of Reproductive Medicine Nr.
Indien, studierte dort den Buddhismus 46. Danach ist in einer randomisierten
und soll häufig LSD genommen haben. doppelblinden Studie bei künstlich be-
Aber auch der Microsoft-Gründer Bill fruchteten Frauen in Südkorea festgestellt
Gates soll in den psychedelischen Krei- worden, dass Frauen, für die von einer
sen von Harvard eine sehr bekannte Ge- außenstehenden Gruppe gebetet wurde,
stalt gewesen sein. Das behauptet zumin- signifikant häufiger zu Kindersegen ka-
dest Mark Dery in seinem Buch Escape men als andere Gruppen. Aber auch psy-
Velocity. chologische Beratung allein hätte schon
Von der Neuen Welt zurück nach Ita- eine positive Wirkung auf die Frucht-
lien. Dort geht dieses Mal die Justiz und barkeit. Wie im richtigen Leben gibt es
nicht der Vatikan auf Hexenjagd. Mit dazu auch eine Gegenmeldung, die ich
vollem Recht. Bis zu 15.000 Euro ver- dem Skeptical Enquirer entnommen ha-
langten dort „Hexen“ für einen magi- be. Diese Zeitschrift, die alles hinterfragt,
schen Mord auf Distanz. Gegenmittel was mit Parapsychologie, komplementä-
gegen den bösen Blick konnten hinge- rer Medizin, Esoterik usw. zusammen-
gen schon um 150 Euro erstanden wer- hängt, berichtet von einer Studie an der
den. In einem besonders eklatanten Fall berühmten Mayo-Klinik, die bei der Be-
zahlte eine Mutter einer Hexe 220.000 handlung von Herz-Kreislaufkranken
Euro, um ihren Sohn vor einer angebli- überhaupt keine positive Wirkung von
chen magischen Bedrohung zu retten. Gebeten feststellen konnte. Auch hier lief
Nach Schätzungen der Polizei gibt es in die Untersuchung nach allen Regeln der
Italien über 21.000 Hexen, die um die statistischen Kunst ab. Der Skeptical
fünf Milliarden Euro pro Jahr einnehmen Enquirer fragt sich meiner Meinung nach
sollen. Eine Spitzenverdienerin mit dem zurecht, warum in der großen Presse dar-
Namen Mama Ebe, die verhaftet wurde, über nichts zu lesen war. Wird nämlich
besaß ein Vermögen von ca. 50 000 000 ein Zusammenhang zwischen Gebet und
Euro. Solche Formen der „Magie“ sind Heilung gefunden, würden alle in gro-
auch in anderen Ländern ein gutes Ge- ßer Aufmachung darüber schreiben.
schäft. Der Neuen Zürcher Zeitung vom Noch zwei kleine Kuriositäten, die ich
7.4. war es sogar eine Meldung wert, die nicht unerwähnt lassen möchte. East-
Eröffnung einer „Schule für schwarze bourne, ein kleines Touristenzentrum am

18
englischen Ärmelkanal versuchte, sich ter!). Die besuchsstarke – jetzt weiß man
mit Hilfe zahlreicher Hexen und Magier das schon – Ausstellung ist vom 3. Mai
einem prophetischen Fluch zu entziehen, bis 6. August geöffnet und findet im
den weiland Aleister Crowley gegen die Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3
Stadt ausgesprochen haben soll. East- in Berlin statt. Für die historische Fak-
bourne würde zerstört werden, sobald ein tenlage garantieren die Mitarbeit des
bestimmter Fels an der Küste einstürze, Deutschen Historischen Museums und
was vor kurzem tatsächlich geschah. Die das sogenannteTrierer Hexenprojekt von
Stadt steht glücklicherweise aber noch der Universität Trier (Dr. Rita Voltmer).
immer (bei Redaktionsschluss). Dank sei Ein ausführlicher Katalog ist ebenfalls er-
also den Magiern und Hexen. Und be- stellt worden. Deutlich wird darauf hin-
vor ich es vergesse: Am 11.August 2002, gewiesen, dass vieles an „unserem“ Bild
um 4 Uhr früh geht die Welt unter. Der der Hexe späteren – auch erotischen bzw.
rumänische Mönch Arsenie, der in den sado-masochistischen – Vorstellungen
meisten orthodoxen Ländern ein hohes entsprang. So wird z. B. ein Folterstuhl
Ansehen genießt, weil er angeblich schon gezeigt, der jedoch der Phantasie des 19.
den Zweiten Weltkrieg und das Ende Jahrhunderts entstammt, wo der Hexen-
Hitlers im Führungsbunker vorausgese- wahn glücklicherweise schon vorüber
hen hat, tat diese Aussage. war.9 Auch die Zahl der Hinrichtungen
wegen Hexerei in Gesamteuropa vom
Bei den immer mehr eintreffenden ein- 15.–18. Jahrhundert wird mit insgesamt
schlägigen Nachrichten für das Kaleido- ca. 60.000 Menschen (jeder vierte war
skop komme ich jedes Mal in größere ein Mann) angegeben. Die renommierte
Platzbedrängnis. Den Veranstaltungska- Geschichtszeitschrift Damals 10 hat eben-
lender muss ich deshalb leider ganz zu- falls die Hexen zum Leitthema Ihrer Ju-
sammendrängen. Von Vollständigkeit ninummer gemacht. Übrigens genau in
kann so oder so keine Rede mehr sein. dem so zu begrüßenden vorurteilsabbau-
Die Aufzählung erfolgt wie immer nach enden Stil wie die Ausstellung Hexen-
dem Veranstaltungsdatum. Als erstes be- wahn.
ginne ich daher mit der so wichtigen, weil Als nächstes möchte ich auf die seit et-
viele Vorurteile zurechtrückenden großen lichen Jahren stattfindenden Colloques
Ausstellung Hexenwahn. Ängste der de Cerisy (Normandie) hinweisen. Ganz
Neuzeit (wohlgemerkt nicht Mittelal- besondere Aufmerksamkeit verdient da-
9 Klaus Graf, der Leiter der höchst empfehlenswerten akademischen Internetliste Hexenfor-
schung, die ich in der letzten Nummer vorgestellt habe, fragt übrigens nach der x-ten Ausstel-
lung von mittelalterlichen Folterwerkzeugen (im Anlassfall Schloß Bernburg), wo es häufig
von historischen Lügen nur so wimmelt, ganz zu Recht: „Wieso legt diesen Museumsdirekto-
ren eigentlich niemand das Handwerk?“
10 Deutsche Verlagsanstalt, Neckarstr. 121, D-70190 Stuttgart.

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bei die Woche vom 2.–9. September, die Institut für Geschichtliche Landeskunde,
dem bedeutenden französischen Philoso- Universität Tübingen. Die Württember-
phen, „Gnostiker“ und Kabbalisten Ray- gische Landesbibliothek hat übrigens ein
mond Abellio (1907–1986) gewidmet ist Oetinger-Archiv, ein Stefan-George-Ar-
und unter der Leitung von Antoine Faivre chiv und eine Swedenborg-Sammlung
und J. B. de Foucauld steht. Antoine Faiv- aufzuweisen.
re gehört ja zu den wenigen Leuten, die
einen engen Kontakt mit Abellio pfleg- Und damit kommen wir schon zu den
ten. Für Kontakte: info.cerisy@ccic- Erscheinungen am Büchermarkt, auf die
cerisy.asso.fr. ich unbedingt aufmerksam machen mö-
Für den nächsten Hinweis danke ich chte. Als erstes zum neuesten Buch von
Dr. Eberhard Zwink von der Württem- Wolfram Frietsch, den die Leser von sei-
bergischen Landesbibliothek, der vom nen Artikeln her kennen und auch von
9.–11. Oktober in Tübingen die Tagung seinem BuchDie Geheimnisse der Rosen-
Mathesis. Naturphilosophie und Ar- kreuzer11, von dem bereits (wir gratulie-
kanwissenschaft im Umkreis Fried- ren) 6.000 Exemplare verkauft sind. Von
rich Christoph Oetingers (1702–1782) der Ausbildung her ist Wolfram Frietsch
organisiert.Anlass ist die Wiederkehr des allerdings Literaturwissenschaftler, dessen
300-jährigen Geburtstages dieses bedeu- Interesse speziell der modernen Literatur
tenden schwäbischen Pietisten, der sich gilt. Nun legt er nach vierzehn Jahren –
neben Mathematik auch eingehend mit natürlich unterbrochener – Studien das
Hermetik und Alchimie beschäftigte.Aus Werk Peter Handke – C C.GG. Jung
Jung, Selbst-
den vielen Vorträgen seien nur einige we- suche, Selbstfindung, Selbstwerdung.
nige uns besonders interessierende heraus- Der Individuationsprozess in der moder-
gegriffen. Eva Johanna Schauer spricht nen Literatur am Beispiel von Peter Hand-
über die berühmte kabbalistische Lehr- kes Texten, scientia nova, Gaggenau
tafel der Prinzessin Antonia in Teinach, 2002, ISBN 3-935164-01-7, vor. Scha-
Pierre Deghaye über das Verhältnis zwi- de, kann man da nur sagen, dass man
schen Oetinger und Boehme und Eber- nicht öfter solche Bücher findet, die Li-
hard Zwink selbst über Oetinger und teratur mit Hilfe der analytischen Psycho-
Swedenborg. Der Spezialist für den schwä- logie aufschlüsseln und damit völlig neue
bischen Pietismus, Reinhard Breymayer Zugänge und Einsichten liefern.12 Freud-
erklärt, was es mit Oetingers Fehde mit sche Interpretationen gibt es ja bei wei-
Christian Thomasius auf sich hat. An- tem häufiger. Bösartig könnte man mei-
meldungen bei PD Dr. Sabine Holtz, nen, dass Freud (in seiner vordergründi-

11 Rowohlt, Reinbek 1999.


12 Frietsch schreibt sogar, dass nach Anfang der 60-er Jahre dieser Zugang ganz aus der Germa-
nistik verschwand.

20
geren Variante) zu studieren eben gerin- ren weittragende Fundamente. Ein wei-
gerer Anstrengung bedarf, fordert die terer Abschnitt ist dem absolut innovati-
Jungsche Tiefenpsychologie doch ein gro- ven Bemühen gewidmet, die zwei so un-
ßes Wissen, auch auf den Sektoren der terschiedlichen Bereiche der Literatur
Religionswissenschaft, Anthropologie, und der Jungschen Lehre für einander
Symbolkunde usw. fruchtbar zu machen und dafür eine so-
Für mich war es jedenfalls höchst über- genannte strukturale Tiefenpsychologie
raschend, ja geradezu verblüffend zu se- zu entwickeln, die man dann ebenso bei
hen, wie deutlich der dichterische Wer- anderen Autoren anwenden könnte. Ein
degang von Peter Handke dem Ablauf Überblick über die Ergebnisse der bishe-
des Individuationsweges entspricht, wie rigen Handke-Forschung bildet dann die
ihn C.G. Jung beschreibt. Verblüffend, da Grundlage für die eigenen Thesen von
allgemein bekannt ist, dass Handke mit Wolfram Frietsch. Roman für Roman
Jung weder biographische noch intellek- werden Inhalt, Hauptakteure und die
tuelle Berührungspunkte hat und trotz damit verbundenen archetypischen Bil-
alledem die Folge seiner Romane vom der und Symbole eingehend und absolut
Kurzen Brief bis zurTetralogie genau den überzeugend besprochen. Hier spürt man
archetypischen Entwicklungsgang des auch am deutlichsten, wieviel Energie
Menschen nachzeichnet. Diese Werke und eigene Reifeerfahrung vom Autor in
sind also in ihrem zeitlichen Nacheinan- diese auch sprachlich präzise Arbeit in-
der ein perfekter Ausdruck der im Indi- vestiert wurde. Somit erweist sich das
viduationsweg in genau derselben Rei- Buch gleichsam als ein wunderbarer Füh-
henfolge auftauchenden Archetypen von rer zum Individuationsprozess, exempli-
der Persona, über Schatten und Anima fiziert am Werk Handkes. Ein Buch also
bis zum Selbst. Damit ist gleichzeitig eine für jeden, der sich für den von Jung deut-
entscheidende Wende in der Beurteilung lich gemachten psychischen Entwick-
von Handke vollzogen. Der Autor, des- lungsgang des Menschen interessiert und
sen Werk meist als ein Musterbeispiel für nicht nur für den Literaturliebhaber.
Narzissmus und Subjektivismus gilt, zeigt
sich bei Frietsch auf einmal als Wegwei- Viele fragen sich, woher denn Gerhard
ser einer transpersonalen, objektiven psy- Wehr die Energie nimmt, so viele Bü-
chischen Wirklichkeit, die für den Men- cher zu schreiben. Zwei Stück sind es wie-
schen allgemein Gültigkeit hat. derum, die es hier anzuzeigen gilt. Das
Da bei Literaturwissenschaftlern eine erste mit dem Titel Kabbala ist in der
Kenntnis der analytischen Psychologie Reihe Diederichs Kompakt (Heinrich
nicht automatisch vorauszusetzen ist, er- Hugendubel, Kreuzlingen, München
läutert Frietsch in einem eigenen, sehr 2001, ISBN 3-7205-2314-4) erschienen
konzisen und informativen Kapitel de- und gibt, wie schon der Reihenname klar

21
macht, eine kurzgefasste Übersicht über von vielen anderen herkömmlichen, zwar
die esoterische Tradition des Judentums. faktenreichen, aber ohne innere Einstim-
Für diejenigen, die sich – ohne Beiwerk mung verfassten Religionsgeschichten.
– schnell und doch profund informieren Wehr stellt in jedem Abschnitt eben die
wollen, kann man sich kaum ein ideale- Fragen, die den Menschen an sich bewe-
res Büchlein vorstellen. Die Elemente des gen und die uns nachfühlen lassen, wel-
kabbalistischen Denkens, die Geschich- che Qual und welcher Trost die entspre-
te, die klassischen Texte, die berühmte- chende Religionsauffassung kennzeich-
sten Kabbalisten, von allem ist übersicht- nen. Und in welcher kurzgefassten Ge-
lich und faktenreich die Rede.Angespro- schichte zum Hinduismus würde man so
chen wird auch die christliche und die viel über den Tantrismus, überYoga oder
praktische Kabbala. Eine Zeittafel, die über Ramakrishna, Vivekananda oder die
mit 1175 beginnt (Anfänge der Kabbala Brahma Samaj erfahren? Und immer
in der Provence) und mit 1763 (Fried- wieder die hervorragend ausgewählten
rich Chr. Oetinger beschreibt die kabba- Auszüge aus den jeweiligen heiligen
listische Lehrtafel der PrinzessinAntonia) Schriften. Hier geht es um den Menschen
endet, ein Glossar der wesentlichsten als heilsbedürftiges Wesen und nicht um
Fachausdrücke und eine Bibliographie den Hindu, Moslem oder Juden. Für den
ergänzen das handliche Bändchen. Faktensuchenden gibt es trotzdem viele
Zum Leitthema dieses Kaleidoskops, Anmerkungen, ein Glossar und eine um-
der Toleranz, hat auch Gerhard Wehr ei- fangreiche Bibliographie.
nen neuen Beitrag geliefert. Die Sieben
Weltreligionen heißt das ebenfalls bei Latein, Altgriechisch und Hebräisch
Diederichs, Hugendubel 2002 herausge- sowie selbstverständlich einige moderne
kommene Werk (ISBN 3-7205-2310-1). Sprachen müsste man können, um sich
Von den religiösen Konflikten müssen mit den Originaltexten der esoterischen
wir nicht mehr schreiben, die Tageszei- Tradition vertraut machen zu können.
tungen und Fernsehnachrichten sind voll Jean-Pierre Brach, seit neuestem Pro-
davon. Kann es da schaden, wenn wir uns fessor an der religionswissenschaftlichen
die Zeit nehmen und ein wenig über die Abteilung der École Pratique des Hautes
Geschichte, die Motive und Glaubens- Études in Paris, kann das alles. Sonst wäre
inhalte anderer Religionsgemeinschaften sein neuestes Buch nicht möglich gewe-
nachdenken? Dieses Buch ist ein ausge- sen. Jean-Pierre Brach hat nämlich einen
zeichneter Führer dazu, denn hier kommt der wichtigsten Renaissancetexte zur Zah-
Gerhard Wehrs umfangreiches Wissen lenmystik herausgegeben, übersetzt, mit
um mystische und esoterische Traditio- einer Einführung und einer Fülle von An-
nen voll zum Tragen. Darin unterschei- merkungen versehen, die von einem ge-
det sich das vorliegende Buch deutlich radezu stupenden Fachwissen zeugen.

22
Guillaume Postel
Postel: Des admirables se- Erstwerk Die okkulten Wurzeln des Na-
crets des nombres platoniciens
platoniciens, Librai- tionalsozialismus ein lobreiches Vorwort
rie Philosophique J. Vrin, Paris 2001, (in der deutschen Fassung) beigesteuert
ISBN 2-7116-1532-4, das sind die not- habe, sondern weil das Thema sehr emo-
wendigen bibliographischen Angaben. tionsgeladen ist und daher möglichst ru-
Guillaume Postel (1510–1581), der sich hig überlegt werden soll. Beim hier vor-
vom Himmel gesandt glaubte, um die liegenden Buch handelt es sich um einen
Menschen die wahren Geheimnisse der sicherlich bis jetzt fehlenden und daher
Zahlen zu lehren, beruft sich einerseits grundsätzlich zu begrüßenden Über-
auf Platon und andererseits auf die jüdi- sichtsband über Gruppierungen und Per-
sche Kabbala. Ohne die Natur der Zah- sonen nach 1945, die Okkultismus, „Sa-
len zu verstehen, so meint er, könne man tanismus“ oder auch Ufologie mit natio-
die uns umgebende Welt nie begreifen. nalsozialistischem Gedankengut, oder
In der Zahl würden nämlich Immanenz besser, was sie sich darunter vorstellen, zu
und Transzendenz zusammenfallen, was vereinbaren suchen. DieAbsurdität eines
ihre Verwendung als Mengenangabe ei- solchen Unterfangens, sofern es die im
nerseits und ihre Eignung für Analogien Buch erwähnten Personen tatsächlich
andererseits erklärt. Aber auch von der ernsthaft in Betracht gezogen haben soll-
Seelenwanderung spricht Postel ausführ- ten, ergibt sich natürlich schon allein aus
lich und versucht aus der ihm bekann- der Tatsache, dass Versuche dieser Art
ten klassischen und sakralen Literatur zwischen 1933–1945 in Deutschland mit
dafür Beweise anzuführen. Wie viele Jahre Sicherheit im KZ geendet hätten.
Jean-Pierre Brach an diesem Buch gear- Die Schwierigkeiten eines solchen Über-
beitet hat, weiß ich nicht, aber jetzt ist sichtswerkes dieser Art aber sind immens.
wiederum ein weiteres wichtiges Quel- Wie soll man bei der Besprechung so vie-
lenwerk der Esoterik in einer modernen ler unterschiedlicher Personen und Grup-
Sprache verfügbar. pierungen, die notwendigerweise besten-
falls einige Seiten ausmachen kann, die
Zum Abschluss des Rezensionsteiles bei jedem Menschen gegebenen Wider-
möchte ich mich etwas ausführlicher mit sprüchlichkeiten ausreichend berücksich-
Nicholas Goodrick Clarkes neuestem tigen oder gar analysieren?Wie kann man
Werk Black Sun: Aryan Cults, Esote- in anderen Worten das für einen Histo-
ric Nazism and the Politics of Identi- riker unabdingbare „ethische“ Ziel der
ty
ty, NewYork University Press, NewYork Objektivität und die nötige Differenzie-
2002, beschäftigen. Ausführlicher sicher- rung bei einer Personenbeschreibung er-
lich nicht nur deswegen, weil ich mit dem reichen, auf die alle Menschen Anspruch
Autor seit langen Jahren freundschaftlich haben, auch diejenigen, die Ansichten
verbunden bin und für dessen brillantes vertreten, die man selbst verabscheut oder

23
einfach lächerlich findet. Zusätzlich ver- rungsprobleme eine große Rolle, die in
schärft wird diese Schwierigkeit in einem früheren Jahrzehnten nicht so von Bedeu-
Buch wie dem vorliegenden, wo Perso- tung war. Da muss man Goodrick-Clar-
nen Erwähnung finden, die noch mitten kes Analyse und seiner Warnung vor ras-
im Lebensprozess stehen und deren wei- sistischen Übergriffen sicherlich zustim-
tere Entwicklungsschritte folglich unab- men. Aber diese Angst hat recht wenig
sehbar sind. Die gesellschaftliche Ächtung mit der Koppelung von Nationalsozia-
von Menschen aber, auf die das Verdikt lismus, Okkultismus und Satanismus zu
des Neonazismus, Satanismus oder gar tun, sondern mit den objektiven Proble-
die Kombination von beiden fällt, ist of- men, denen sich die Jugend gegenüber
fensichtlich. Eine schwere Verantwortung sieht. Sie kann ja auch keine unmittelba-
für den Autor. ren und schnellen Lösungsansätze erken-
Ich wäre also mit der Zuschreibung nen (die es wahrscheinlich auch gar nicht
solcher Attribute äußerst vorsichtig und gibt). Deshalb hat diese Angst ja nicht
würde vorher die psychologischen und nur diese „Eso-Nazi“-Randgruppen er-
soziologischen Ursachen genauestens zu fasst – und es handelt sich nach wie vor
erforschen suchen. Im Grunde gehe ich um Randgruppen – sondern leider viel
deshalb mit der von Rüdiger Sünner in weitere Bevölkerungsschichten. Dabei
der Internetzeitschrift Atalante Nr.6 ver- macht der Autor auf eine sehr interessante
öffentlichten sehr lesenswerten Rezensi- Parallele aufmerksam. In der untergehen-
on dieses Werkes völlig einig. Auch ich den Habsburger-Monarchie um die Wen-
glaube, dass in zahlreichen Fällen, insbe- de zum 20. Jahrhundert bestand eben-
sondere bei jungen oft idealistischen Men- falls eine multikulturelle Gesellschaft, in
schen (ich spreche hier nicht von grö- der sich viele zum Deutschtum Bekenn-
lenden Heil-Hitler-Heulern), sich hinter dende von den anderenVölkern bedrängt
all dem weit eher eine generelle Antihal- fühlten, was dann zur Bildung von zahl-
tung und tiefe Abneigung gegen das ge- reichen völkischen und/oder rassistischen
samte von Materialismus getragene mo- Gruppierungen führte. Es gibt also be-
derne Leben ausdrückt als eine Verherr- deutende Ähnlichkeiten zur heutigen Si-
lichung irgendwelcher politischer oder re- tuation, die sich aber nunmehr auf die
ligionsverachtender Richtungen. In den gesamte Welt ausgebreitet hat und nicht
60-er und 70-er Jahren war diese Anti- nur auf den deutschsprachigen Raum be-
haltung eben von psychedelischen Dro- schränkt ist.
gen, Hippykultur, Marxismus und freier Ein Zitat aus dem Buch möchte ich in
Sexualität getragen. Aber das schockiert diesem Zusammenhang herausstellen, da
heute niemanden mehr. Natürlich spielt es von grundlegender Bedeutung über-
jetzt auch die Angst vor Identitätsverlust haupt für das Zusammenleben von Men-
durch Globalisierung und Einwande- schen und Völkern ist und zu unserem

24
Generalthema Toleranz perfekt passt: van Helsing bilden den Abschluss des
„Die Risiken einer Rassenreligiosität sind Werkes.
groß… Wann immer menschliche Grup- Das Buch offenbart allerdings ein Di-
pen in absoluten Kategorien von Gut und lemma: Für den Spezialisten bringt es
Böse, Licht und Dunkelheit betrachtet nicht allzuviel Neues, denn dazu sind die
werden, wird sowohl die menschliche einzelnen Kapitel nicht ausführlich ge-
Gemeinschaft als auch die Menschlich- nug. Für den Laien hingegen könnte es
keit selbst geschwächt.“ Doch nun end- wiederum zu speziell sein, denn die mei-
lich zum Buch selbst. sten dort genannten Personen sind nur
Der erste und gerade für die Leser aus wenigen bekannt und die aufgezeigten
unserem Sprachraum vielleicht auch in- Theorien doch zu skurril für ein allge-
teressanteste, weil am meisten Neues ver- meines Interesse. Aus Erfahrung weiß
mittelnde Teil behandelt die eher bizarre man zudem, dass der Großteil der Käu-
Neonazi- und weiße Rassismusszene in fer solcher Bücher entweder Sympathi-
England und den USA. Weiter geht es santen der dort besprochenen Szenerie
mit einem Kapitel über Julius Evola und oder aber deren heißblütige Gegner sind,
das KaliYuga. Francis Parker Yockey und die sich beide kaum von ihren bereits
Savitri Devi, der Goodrick-Clarke ja be- gefassten Meinungen abbringen lassen.
reits ein eigenes Buch gewidmet hat, füh- Damit fürchte ich, dass der von Good-
ren zum Gesamtbereich Nationalsozialis- rick-Clarke intendierte und manchmal
mus und Okkultismus. Die angeblichen auch mit Verve vertretene Aufklärungs-
Ufos der NS-Zeit, die in die Antarktis effekt viel geringer ausfällt als gewünscht.
verbracht worden seien und deren „Pro- Dazu kommt, dass der klar bezogene
pagandisten“ wie der Wiener Wilhelm christliche Standpunkt des Autors z. B.
Landig und der Chilene Miguel Serrano von einem „Satanisten“ oder einem nor-
spielen dabei die tragende Rolle.Auch auf dischen Heiden kaum als objektiv ange-
die historischen Quellen zum Okkultmy- sehen werden kann und damit auch nicht
thos des Nationalsozialismus, über die ich akzeptabel ist. Für mich, der ich mich
in vier Folgen in den ersten GNOSTIKA- mit derjenigen Seite des Komplexes Na-
Heften schrieb, geht der Autor dabei ein. tionalsozialismus und Okkultismus, die
Die Black-Metal-Musik ist ein weiterer hier im Mittelpunkt steht, eher nur am
Schwerpunkt, worauf satanistisch-ego- Rande beschäftigt habe, bietet das Buch
manische und unmittelbar darauf christ- zweifellos eine interessante Zusammen-
lich orientierte Gruppierungen folgen, die fassung und – sollte ich je den Bedarf
sich in ihrem weißen Überlegenheits- danach spüren – auch weiterführende Li-
wahn auf die Bibel berufen. Nordisches teraturangaben in den zahlreichen infor-
Heidentum in der rassistischen Variante mativen Fußnoten. Aber da ich doch ei-
und Weltverschwörungstheorien à la Jan nigermaßen mit den wesentlichsten hier

25
genannten Namen vertraut bin, habe ich und Umsturz sind einfach nicht beleg-
schon die Ausnahmestellung eines „ge- bar.14 Hier hätte Goodrick-Clarke auch
bildeten Laien“ inne, der zumindest theo- Rat beim amerikanischen Historiker Ri-
retisch in der Lage ist, das kurz gefasste chard Drake von der Universität Monta-
Material auch in die immer wieder not- na einholen können, der sich in seinen
wendige Perspektive zu setzen. Büchern ganz speziell mit dem moder-
In einer GNOSTIKA-Nummer nun, in nen Terrorismus in Italien auseinander-
der Evola einen so prominenten Platz gesetzt hat und den er sogar in den Fuß-
einnimmt, komme ich auch nicht um- noten des evolakritischenTeiles an erster
hin, die zwiespältigeWeise anzusprechen, Stelle anführt. Drake, der ursprünglich
in der Nicholas Goodrick-Clarke diesen dezidiert antievolianisch ausgerichtet
umstrittenen Autor behandelt. Zwiespäl- war,15 hat nämlich nach weitergehenden
tig deswegen, weil Evola auf den ersten Studien seine Meinung revidiert und sag-
anderthalb Seiten in dem ihm gewidme- te anlässlich einer von der Provinz Mai-
ten Kapitel ohne Umschweife als „der land geförderten Tagung zum 100. Ge-
Philosoph“ erscheint, „der den Terrori- burtstag Evolas im Jahre 1998 folgen-
sten als Inspiration diente“,13 worauf über des:16 „Die Lebensgeschichte Evolas hat
mehrere Seiten hinweg eine detaillierte zwar historische Bedeutung, wird aber im
und bis auf einige unrichtige Bemerkun- allgemeinen nicht auf historische Weise
gen objektive Darstellung der evoliani- behandelt. Als übler Lehrmeister der neo-
schen Entwicklung folgt, die eben nicht faschistischen Terroristen dämonisiert,
so linear ist. Wohlgemerkt, hier geht es tritt er vielmehr als Mensch gewordener
nicht darum, dass man Evola nicht kriti- politischer Mythos in Erscheinung und
sieren sollte. Im Gegenteil. An Evola ist nicht als Figur der trockenen und nüch-
sehr viel kritikwürdig. Aber seine immer ternen Geschichte. Tatsächlich gehört er
wieder und auch in diesem Buch kolpor- aber zu einer langen und vielfältigenTra-
tierten angeblichen Aufrufe zu Gewalt dition der Geistesgeschichte in Europa

13 Die Schuldzuweisung an einen Autor, der, ohne selbst zur Gewalt aufzurufen, allein durch
seine kämpferischen und oft einseitigen Analysen irgendwelche Leser oder Anhänger tatsäch-
lich zu Gewaltakten inspiriert, ist kein so einfach zu lösendes ethisches Problem. Ein typi-
scher Fall dafür ist Friedrich Nietzsche.
14 Sh. dazu das zwar teils polemische, aber doch Fakten aufzählende Buch des Leiters der römi-
schen Evola-Stiftung Gianfranco de Turris, Elogio e difesa di Julius Evola – il barone e i terroristi,
Edizioni Mediterranee, Roma 1997. Dass der Mailänder Politologe Giorgio Galli ein Vorwort
zu diesem Buch schrieb, obwohl er konträre politische Ansichten vertritt, führt er eben auf die
dort zusammengestellte Faktenlage zurück, der er – bis jetzt – nichts entgegensetzen könne.
15 Sh. seinen Aufsatz „Julius Evola and the Ideological Origins of the Radical Right in Contem-
porary Italy“ in Peter Merkl (Ed.), Political Violence and Terror: Motifs and Motivations, Ber-
keley, University of California Press, 1986.
16 Sh. Julius Evola. Un pensiero per la fine del millenio, Atti del convegno di Milano 27–28. novem-
bre 1998, Roma, Fondazione Julius Evola, 2001, S. 184.

26
und zwar zur Gruppe derjenigen Den- Die Aufgabe des Lebens besteht nicht dar-
ker…, die die moderne Welt für hoch in, auf der Seite der Mehrzahl zu stehen,
gefährlich halten, sowohl für die physi- sondern dem inneren Gesetz gemäß, das Du
erkennst, zu leben. (Mark Aurel)
sche Existenz als auch für das psycholo-
gische Gleichgewicht und den mensch- Die Musik muß laut sein, damit wir nicht
lichen Geist. Wir müssen daher unserem hören, wie die Welt zusammenbricht.
Bild von Evola eine neue Dimension hin- (Graffiti in Dresden)
zufügen. Unsere heutige Vorstellung von
ihm als nicht vorzeigbarer Baron des Jene Stunde … wird keine Schrecken ha-
schwarzen Terrorismus reicht nämlich ben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht
fallen, wir werden steigen.
nicht für diesen Denker, der so reich war (Gottfried Benn in einem Brief über den Tod)
an kritischen Intuitionen über die mo-
derne Welt.“ Ähnliche Gedanken vor- Ich liebe die großen Verachtenden, weil sie
bringende Intellektuelle der Linken, wie die großenVerehrenden sind und Pfeile der
z. B. Herbert Marcuse, so meint Drake Sehnsucht nach dem anderen Ufer.
weiter, hätten eine solche „Quarantäne“ (Friedrich Nietzsche: Zarathustra)
nicht erleiden müssen.
Die zehn Gebote Gottes sind deshalb so klar
An diesem einen und für sich allein und verständlich, weil sie ohne Mitwirkung
eher unwesentlichen Beispiel mag man einer Sachverständigenkommission zustan-
sehen, wie schwierig es ist, auch fast sech- de gekommen sind. (Charles de Gaulle)
zig Jahre nach Niederringung der natio-
nalsozialistischen und faschistischen Dik- Der Gedanke, daß die wirtschaftliche Glo-
taturen auf diesem Themengebiet histo- balisierung sich auch auf die Globalisierung
Gottes erstrecken könnte, beunruhigt mich.
risch objektiv zu sein. Zu viele Verwer-
Ebenso schreckt mich dieVorstellung einer
fungen gibt und bedarf es nicht nur frei- homogenen Kultur für alle. Ich fürchte mich
er Geister, sondern auch enormer Ver- vor einem unpersönlichen, dogmatisch für
antwortung, um echte Schuld von blo- alle geltenden Standard-Gott, der ersetzen
ßen Schuldzuweisungen zu trennen. Eine würde, was jeder Mensch zuerst mit seinem
wahrhafte Sisyphusarbeit, die aber im- Gewissen ausmachen muß. Kultur und Re-
mer wieder versucht werden muss, will ligion sollten derAusdruck der individuel-
len Seele sein. (Paulo Coelho)
man Klarheit über die Zusammenhänge
schaffen, die eine Wiederholung solcher Religion ist die Metaphysik der Massen,
Tragödien in diesem oder (eher wahr- Metaphysik die Religion der Denker.
scheinlich) in einem anderen, noch tük- (Baruch de Spinoza)
kischeren Gewand tatsächlich verhindern
können. Damit à Dieu bis zur nächsten Num-
Nach so viel Moral passen die Sprü- mer.
che des Quadrimesters hervorragend. H. T. Hakl

27
➠ Christoph Riedweg: Pythagoras
Pythagoras. ➠ Christoph Schulte: Die jüdische
Leben – Lehre – Nachwirkung. Pb., Aufklärung
Aufklärung. Philosophie, Religion,
206 S., m. Abb. München 2002. C. H. Geschichte. Pb., 279 S., m. Abb., Mün-
Beck Verlag. ISBN 3-406-48714-9. chen 2002. C. H. Beck Verlag. ISBN
3-406-48880-3.
Eine gründliche und umfassende Mo-
nographie über Pythagoras, die den hi- Die Aufklärung im 18. Jahrhundert
storischen Denker, Philosophen und hat parallel zu ihrem Erscheinen eine
Weisen von Samos seiner Legenden ent- jüdische Aufklärung erlebt, die unter
kleidet. Dabei widmet sich der Autor dem Begriff der „Haskala“ bekannt
Fragen wie: Was hat es mit der Wieder- wurde. Während nach Schulte die eine
geburt auf sich, was mit einer Verwen- Aufklärung zu Ende ging, begann die
dung von Musik zu Heilzwecken, was mit jüdische als „nachgeholte, späte Aufklä-
Sphärenharmonie oder der Zahl als quan- rung“. (18) Diese gründliche und um-
titatives und qualitatives Instrument? fassende Abhandlung gibt einen erhel-
Die wenigen Zeugnisse, die uns über lenden Einblick in die Stellung der jü-
Pythagoras, seine Philosophie und „eso- dischen Philosophie im 18. Jahrhundert
terische“ Schule vorliegen, reichen aus, wie auch über die Auseinandersetzung
um zur Legendenbildung beizutragen. der deutschen Philosophie mit ihr. Da-
Riedweg unternimmt es, diese Legen- bei gelingt es Schulte, die Aufklärung
den zu untersuchen und deren Einfluss von einer anderen Seite her zu begreif-
bis heute – beispielsweise wurde der Ge- bar zu machen. Der Widerspruch zwi-
danke der Sphärenharmonie von Johan- schen traditioneller jüdischer Gelehr-
nes Kepler und Hans Kayser aufgegrif- samkeit und Religiosität auf der einen
fen – nachzuspüren. Es gelingt Chri- und den judenfeindlichen Vorurteilen
stoph Riedweg, ein objektives aber auch auf der anderen Seite, lässt diese Analy-
ernüchterndes Bild eines Weisen zu se umso brisanter werden. Auch die
schaffen, dessen Einfluss bis heute nicht Auseinandersetzung mit der Kabbala
abgeklungen ist. Pythagoras als Legen- prägte diese Zeit. Und ihre Einstellung
de, Pythagoras als Name und Pythago- zu dieser eben nicht „Geheimlehre“
ras als Lehrer werden hier losgelöst be- (122) zeigt, wie differenziert man die
trachtet, wobei der Schwerpunkt auf ei- „Haskala“ betrachten muss. Ein wesent-
ner sehr unprätentiösenAuseinanderset- liches und wichtiges Buch, sowohl zur
zung liegt. Somit gibt dieses Buch eine Aufklärung als auch zur jüdischen Ge-
gute Basis für eine gründliche Ausein- schichte.
andersetzung mit Pythagoras. Wer kann
denn schon verlangen, dass man beim F. W. Schmitt
„historischen“ Pythagoras stehen zu blei-
ben hat?

28
ELISABETH STAEHELIN
ZUM M OTIV DER P YRAMIDEN ALS P RÜFUNGS - UND
RÜFUNGS
E INWEIHUNGSSTÄTTE
INWEIHUNGSSTÄTTENN
(TEIL 2 / FORTSETZUNG AUS GNOSTIKA 20)

W ir Heutige kennen das Motiv der Feu- Wiener Freimaurer.Als überragende Per-
er- und Wasserprobe noch aus der Zau- sönlichkeit muss er eine grosse Wirkung
berflöte, aus dem Kunstwerk, das sich auf Mozart und Schikaneder ausgestrahlt
dank Mozarts unsterblicher Musik einen haben, und man kann bei ihnen eine
ersten Platz im Opernrepertoire hat si- Kenntnis seiner intensiven Beschäftigung
chern können. Das Libretto40 dieser letz- mit Ägypten und deren Ergebnisse im
ten Mozart-Oper von 1791 speist sich aus oben genannten Aufsatz voraussetzen.
mannigfachen Quellen und hat erhebli- Dieser war im gleichen Jahr 1784 erschie-
che Rätsel aufgegeben, so dass viel Tinte nen, als Mozart in den Bund aufgenom-
geflossen ist, um seine geistige Herkunft men wurde.42 Man darf ihn als einen ech-
und Textgeschichte zu erhellen. Die Sach- ten Born ansehen, aus dem die Zauber-
verhalte sind jedoch heute recht gut auf- flöte, mindestens, was den geistigen Hin-
gearbeitet. Für den Ägyptologen steht tergrund anbelangt, geschöpft hat. Dass
selbstverständlich die Studie von Siegfried die Zeitgenossen derAnsicht waren, Schi-
Morenz41 im Zentrum, und wir brauchen kaneder und Mozart hätten Ignaz von
uns daher nur mit einigen Punkten zu Born in der Gestalt des Sarastro ein Denk-
befassen, die für unser spezielles Thema mal gesetzt, ist ebenfalls nicht abwegig.
einschlägig sind. Wir verzichten hier dar- Eine andere Quelle, die manche im Zau-
auf, in die Entstehungsgeschichte des Li- berflötenlibretto greifbaren Bächlein ge-
brettos im Detail einzutreten und über- speist hat, ist die von Ch.M.Wieland her-
gehen die Frage der alleinigen Urheber- ausgegebene Märchensammlung Dschin-
schaft Schikaneders oder einer möglichen nistan, aus der wir bereits den Stein der
Mitverfasserschaft C.L. Metzlers, alias Weisen kennengelernt haben. Übrigens ist
Giesecke. aus einem Brief des Komponisten Ignaz
In den Achtziger Jahren des 18. Jahr- von Seyfried bekannt, dass Schikaneder
hunderts war der bereits genannte Ignaz den Dschinnistan durch Giesecke kennen-
von Born das geistige Oberhaupt der gelernt hat.43 So rührt bereits der Titel

40 Das Libretto auch vollständig In W. A. Mozart, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie II, Werk-
gruppe 5, Bd. 19, Kassel/Basel 1970.
41 Die ältere Literatur bei S. Morenz (siehe Anm. 15) aufgeführt. An neuerer Literatur, außer der hier
sowieso erwähnten, ist noch Alfons Rosenberg, Die Zauberflöte, München 1964, zu nennen.
42 Vgl. dazu FML, Sp. 1068–1070 (s. v. Mozart 2.) und Sp. 1703–06 (s. v. Wien). Dazu P. Nettl,
Musik und Freimaurerei, S. 11–33 Mozart und der Bund.
43 Abgedruckt bei P. Nettl, a. a.0., S. 97–99.

29
der Oper von einem Wielandschen Mär- brennt, muss der Horizont hellrot sein,
chen Lulu oder die Zauberflöte her, das und wo das Wasser ist, liegt schwarzer
aber einen ganz anderen Inhalt hat. E. Nebel. Die Szenen sind Felsen, jede Sze-
von Komorzynski hat den aus Dschinni- ne schliesst sich mit einer eisernen Türe.
stan stammenden Einzelheiten einen gan- Tamino ist leicht angezogen, ohne San-
zenAufsatz gewidmet44 und kommt zum dalen. Zwei schwarz geharnischte Män-
Schluss, dass man schon beim blossen ner führen Tamino herein. Auf ihren Hel-
Durchblättern fast in jedem Märchen men brennt Feuer. Sie lesen ihm die trans-
Details findet, die einen an die Zauber- parente Schrift vor, welche auf einer Py-
flöte gemahnen.45 So haben verschiede- ramide geschrieben steht. Diese Pyrami-
ne Geschichten aus der Märchensamm- de steht in der Mitte ganz in der Höhe,
lung Motive geliefert, die im Zauberflö- nahe am Gegitter.
tenlibretto verarbeitet worden sind. Si-
cher ist es aber nicht so, dass die Feuer- Der Gesang der beiden Geharnischten
und die Wasserprobe der Oper Ihr Vor- hat folgenden Wortlaut:
bild in Wielands Stein der Weisen haben, Der,
sondern sowohl die Geschichte aus dem welcher wandert diese Strasse voll Beschwerden,
Dschinnistan als auch dasTextbuch grei- Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden.
Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,
fen auf die gleiche Quelle, nämlich auf Schwingt er sich aus der Erde himmelan!
Abbé Terrassons Roman zurück. Paul Erleuchtet wird er dann im Stande sein,
Nettl hat einerseits zeigen können, wie Sich den Mysterien der Isis ganz zu weihn.
stark sich der Operntext an Sethos anlehnt
und andrerseits, dass Schikaneder die Die Anlehnung an den oben mitgeteil-
deutsche Übersetzung von Matthias Clau- ten Text, den Sethos in der Pyramide vor
dius benutzt hat.46 Besonders schön lässt dem Beginn der Prüfungen angetroffen
sich das im 28.Auftritt verfolgen, wo fol- hat (in der Übertragung von Claudius),
gende Bühnenanweisung steht:47 ist nicht zu übersehen. Selbstverständlich
musste die Darstellung den Bühnenmög-
Das Theater verwandelt sich in zwei gro- lichkeiten Rechnung tragen, man verlegte
sse Berge; in dem einen ist ein Wasser- daher die Prüfungen nicht in die Pyra-
fall, worin man Sausen und Brausen hört; mide, sondern liess diese in der Mitte in
der andre speit Feuer aus; jeder Berg hat der Höhe erscheinen. Auch sind die zu
ein durchbrochenes Gegitter, worin man zeigenden Proben auf zwei beschränkt,
Feuer und Wasser sieht; da wo das Feuer nur auf Feuer und Wasser, während im

44 Egon Komorzynski, „Die Zauberflöte“ u. „Dschinnistan“, Mozart-Jb. 1954, Salzburg 1955, 177–194.
45 Komorzynski, a.a. 0., S. 191.
46 P. Nettl, Musik und Freimaurerei, S. 107 ff.
47 Neue Mozart-Ausgabe (vgl. Anm. 40), S. 287.

30
Text der beiden Geharnischten alle vier einander von Feuer und Wasser, das sich
Elemente genannt sind. Der französische von der rituellen Reihenfolge Wasser-
Musikwissenschaftler Jacques Chailley Feuer bei den Freimaurern unterscheiden
glaubt in einer Analyse von Libretto, Büh- soll.49 Hier dürfte jedoch ganz einfach die
nenanweisungen und Mozartscher Ver- Vorlage bei Sethos ausschlaggebend ge-
tonung, sowie unter Heranziehung von wesen sein.
Zügen aus der Initiationspraxis der Frei- Noch verschiedene andere Motive der
maurer, jedoch auch die beiden anderen Oper mögen von Terrassons Roman be-
Elemente Erde und Luft in der Einwei- einflusst sein. Das Feuer auf den Helmen
hung von Tamino und Pamina greifen der Geharnischten erinnert an die auf
zu können.48 Nur sind sie nach ihm nicht einem Helm sitzende Lampe des Ame-
so offen gezeigt, sondern müssen aus dem des beim Hinabstieg in den Brunnen-
Ganzen herausdividiert werden. Seine schacht. Die Tatsache, dass im 15. Auf-
Argumentation vermag allerdings nicht tritt auf Taminos Flötenton die wilden
zu überzeugen. Tiere hervorkommen um zuzuhören, was
Auf der Bühne werden jedenfalls nur an sich ein Orpheus-Motiv ist, dürfte auf
die Feuer- und die Wasserprobe darge- die Orpheus-Episode im Sethos-Roman
stellt. Die Pyramide, auf der in transpa- zurückgehen. Auch die Schlange, die am
renter Schrift der Text erscheint, den die Anfang der Oper Tamino bedroht, hat
beiden Geharnischten singend „vorlesen“ ein Pendant im Reptil, das Sethos un-
und der alle vier Elemente nennt, dürfte schädlich macht. Die Königin Daluca
freilich für die Erde stehen. Denn wie bei und die Königin der Nacht haben ver-
Abbé Terrasson, an den sich der Wort- wandte Züge. Für weitere Einzelheiten
laut so eng anlehnt, müssten sich die Prü- sei auf Nettl verwiesen.50 Die Tatsache,
fungen eigentlich in der Pyramide, so- dass in der Zauberflöte nicht nur ein
mit „unterirdisch“ abspielen. Immerhin Mann, sondern auch eine Frau einge-
werden das Feuer und das Wasser in die weiht wird, ist auffällig. Es ist möglich,
zwei Berge des Bühnenbildes verlegt, die dass dies in gewisser Weise mit dem Pro-
die Pyramide gleichsam flankieren. Chail- blem der Adoptionslogen51 zusammen-
ley diskutiert auch ausführlich das Nach- hängt, das gerade seit der Mitte der sieb-

48 Jacques Chailley, La Flûte Enchantée. Opéra Maçonnique, Paris 1968, S. 147 ff. Auch Papageno
und Papagena sollen ihre eigenen Elementenproben durchlaufen, a. a. 0., S. 163 ff.
49 Chailley, a. a. 0., S. 151–156.
50 P. Nettl, Musik und Freimaurerei, S. 109 ff.
51 Die Freimaurerei, im grösseren Kontext der Männerbünde zu sehen, schliesst ja an sich die Frauen
aus. Man hat aber dann, vor allem in Frankreich, von 1775 an, eigentliche Damenlogen gegrün-
det, die ihre eigenen Rituale und Grade besassen, vgl. FML, Sp. 17 ff. (sv. Adoptionsmaurerei).
Chailley (S. 81 ff., 117 ff., 161 f.) möchte in der Königin der Nacht und ihren Damen sogar die
Vertreterinnen der weiblichen Maurerei sehen, die immer irgendwie mit der an sich rein männli-
chen Freimaurerei auf Konfrontationskurs stand. Pamina hatte auf Grund ihrer Tugend eine Aus-

31
ziger Jahre eine grössere Rolle spielte und spricht schon der Name Sethos. Jedoch
vielleicht durch Cagliostros Ägyptische ist seine Handlung eine ganz andere, und
Maurerei noch an Gewicht gewann. vor allem weicht sie ganz entscheidend
Morenz hat indes bereits auf ein anti- von derjenigen der Zauberflöte ab. Die
kes Vorbild, die Chariklea in Hellodors Feststellung, die Mysterienhandlung sei
Aithiopika hingewiesen, die wie ihr Ge- hier wie dort die gleiche,55 lässt sich so
liebter Theagenes, unzählige Prüfungen nicht halten. Denn es gibt keine Einwei-
erleiden muss, dann aber mit ihm zusam- hung und auch keine Elementenprobe.
men am Ende des Werkes die Priester- Was den König Thamos mit der Zauber-
weihe erhält.52 Gleicherweise bekommt flöte verbindet, ist mehr der ägyptisieren-
das nach vielen Entbehrungen vereinigte de Hintergrund und die Atmosphäre.
Paar der Zauberflöte – das Opernlibret- Die Zauberflöte hat schon in der Ent-
to konnte ohnehin auf einen weiblichen stehungszeit einen tiefen Eindruck hin-
Gegenpol des Helden nicht verzichten – terlassen und auch dieAnregung zu Fort-
die Einweihung. Zuvor aber hat es gemein- setzungen gegeben.56 Die bekannteste
sam die Elementenproben bestanden. stammt aus Goethes Feder, ist aber ein
In der Literatur wird immer wieder auf Fragment geblieben. Auch hier spielen
die Wichtigkeit des „heroischen Dramas“ Feuer- und Wasserprobe eine zentrale
Thamos, König in Ägypten von Tobias Rolle, aber in einem anderen Sinn.Tami-
Philipp von Gebler 53 als einer Hauptquel- nos und Paminas neugeborener Sohn ist
le für die Zauberflöte hingewiesen, zu auf Wunsch der Königin der Nacht von
dem Mozart bereits 1773 respektive 1779 Monostatos den Eltern entrissen und in
Chöre vertont und Zwischenaktmusiken einem goldenen Sarg eingeschlossen wor-
geschaffen hat.54 Der Oberpriester Sethos, den. Das Kind liegt in einem tiefen Erd-
hinter dem sich eigentlich der vom Thro- gewölbe zwischenWasser und Feuer, und
ne vertriebene König Menes verbirgt, die Eltern müssen, um es retten zu kön-
spielt eine Hauptrolle in diesem Stück. nen, durch die Elemente schreiten. Goe-
Gewiss ist dieses seinerseits dem Ro- the hat keinen Komponisten für die Ver-
man Abbé Terrassons verpflichtet, dafür tonung seines Librettos Der Zauberflöte

nahmestellung erlangt, weil sie sich würdig wie ein Mann benahm: „Ein Weib, das Nacht und Tod
nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht“.
52 S. Morenz untersucht: Zauberflöte, S. 61–63 die Stellung der Frau im Hinblick auf die antiken
Mysterien.
53 Zu Gebler FML, Sp. 558 und Nettl, Musik und Freimaurerei, Anm. zu S. 34 und 83. Der Text von
Thamos, König in Ägypten, jetzt gut greifbar in W.A. Mozart, Neue Ausgabe sämtlicher Werke,
Serie II, Werkgruppe 6, Bd. 1, Kassel/Basel 1956. Dort auch Harald Heckmann zur Geschichte
des Werks, S. VII–IX.
54 S. Morenz, Zauberflöte, S. 17 und P. Nettl, a. a. 0., S. 104.
55 S. Morenz, a. a. 0., S. 17.
56 Zu den Fortsetzungen der Zauberflöte P. Nettl, a. a. 0., S. 143 ff.

32
zweiter Teil gefunden, weder sein Freund rühmter Staroperateur. Später, ab 1778,
Karl Friedrich Zelter noch Paul Wranitz- war er Professor der Kameralwissenschaft
ky, die er darum angegangen hatte, ha- (Staatswirtschaftslehre) und beschloss sein
ben sich auf den Plan eingelassen.57 Auch Leben als Erweckungs- und Erbauungs-
Schikaneder selber hat noch eine Fort- schriftsteller. Seit seiner Jugend der Re-
setzung der Zauberflöte verfasst unter formbewegung des protestantischen Pie-
dem Titel Das Labyrinth oder der Kampf tismus verhaftet, hat er sein Leben im-
mit den Elementen, die 1792 herauskam, mer als eine Fügung der göttlichen Vor-
und zu der Peter von Winter die Musik sehung angesehen, wobei eigenes Wol-
schrieb.58 Sie hat indes keine Zukunft len und Wünschen konsequent zurück-
gehabt, ebenso wenig wie die anderen zustellen waren. Dass sein Glaube jedoch
späten Versuche, die Nettl aufführt (so- nicht immer ungefährdet blieb, dass er
gar eine Oper Nitokris, der Zauberflöte durch harte Prüfungen und Zweifel hin-
zweiter Teil hat im 19. Jahrhundert das durchzugehen hatte und durch die histo-
Licht der Welt erblickt).59 rischen und geistigen Entwicklungen sei-
In einem ganz anderen Zusammen- ner Zeit schwer angefochten wurde, be-
hang spielen die Pyramiden als Stätte der zeugt er vielfach in seiner Lebensgeschich-
Prüfung eine Rolle in dem seinerzeit te. Besonders hat er während mehr als
hochberühmten und vielgelesenen Werk zwanzig Jahren einen Glaubenskampf
Das Heimweh von Jung-Stilling. Johann mit dem Determinismus geführt, aus
Heinrich Jung, genannt Stilling (1740– dem ihn die Bekanntschaft mit Kants
1817), hatte eine sehr bewegte Lauf- Kritik der reinen Vernunft während sei-
bahn.60 Er stammte aus frommen klein- nes Wirkens in Marburg befreite.62
dörflichen Verhältnissen im Siegerland
(Westfalen), war zunächst Schneiderge- In dieser Stadt schrieb Jung-Stilling
selle, Dorfschulmeister und Hauslehrer, seinen langen, vier grosse Oktavbände
wurde dann Augenarzt61 und ein be- starken Roman Das Heimweh,63 vom
57 P. Nettl, a. a. 0., S. 145 f.
58 P. Nettl, a. a. 0., S. 150 ff.
59 P. Nettl, a. a. 0., S. 154.
60 Für Jung-Stilling habe ich folgende Literatur benutzt: Johann Heinrich Jung-Stilling, Lebensge-
schichte, hrg. v. G. A. Benrath, Darmstadt 1976; G. Stechet, Jung Stilling als Schriftsteller, Berlin
1913 = Palaestra CXX); Erich Schick, Jung-Stillings Heimweh und Heimat, Basel 1943; Ernst
Benz, Jung-Stilling in Marburg, Marburg 1949; Max Geiger, Aufklärung und Erweckung. Beiträ-
ge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie, Zürich 1963;
Anne Marie Stenner-Pagenstecher, Das Wunderbare bei Jung-Stilling, Hildesheim/Zürich/New
York 1985.
61 In die Zeit seines Medizinstudiums in Strassburg fällt die Bekanntschaft mit Herder und Goethe.
Goethe gab 1777 den ersten Teil von Jungs Biographie als Henrich Stillings Jugend heraus. Dazu
G. A. Benrath in der Lebensgeschichte, S. XII f.
62 Lebensgeschichte, S. 448–451. Dazu auch Benz, a. a. 0., S. 15 ff. und Geiger, a. a. 0., S. 497 ff.
63 Das Heimweh, Bd. 1–4, Marburg 1794–96.

33
August 1793 bis im Dezember 1794.64 tragen, und diese wiederum stehen für
Es handelt sich dabei vordergründig um bestimmte Phänomene der Zeit. Doch
die religiöse Entwicklungsgeschichte ei- hat Jung-Stilling mit seinem Heimweh
nes jungen Mannes, Christian von Osten- daneben zweifellos noch ein weiteres Ziel
heim, der vom „Heimweh“ nach einer im Sinn gehabt. Er glaubte nämlich, der
besseren Welt getrieben und von der Vor- Beginn des Endzeitalters sei bereits an-
sehung erwählt, als ein moderner Kreuz- gebrochen, und wollte daher seine Zeit-
ritter dazu bestimmt ist, nach Osten in genossen erwecken und warnen. Durch
den Orient zu ziehen. Nach langer Reise die Aufdeckung von Erscheinungen und
wird er schliesslich eine Gemeinschaft Strömungen, die den Glauben gefährden,
von Gläubigen in Solyma, einem neuen, sollten den Lesern die Augen geöffnet
nicht genau lokalisierbaren Land des Frie- und ihnen durch eschatologische Verhei-
dens regieren, das irgendwo östlich von ssungen Beistand geleistet werden.65 Die
Buchara und Samarkand in der „mon- Geschichte, die derAutor zu diesem End-
golischen Tartarei“ anzusiedeln ist. zwecke entwarf, bediente sich des damals
Der ganze inhaltsreiche Roman ist eine so hoch im Schwange stehenden Themas
grosse Allegorie, die die Reise des Chri- des Geheimbundes mit den Prüfungen,
sten durch die Welt mit all ihren Verfüh- die der Neophyt zu bestehen hatte, und
rungen und Anfechtungen seiner himm- just in diesem Zusammenhange war auch
lischen Heimat entgegen zum Inhalt hat. das Motiv der gefahrvollen Reise in den
Christian von Ostenheim, der diese Idee Orient beliebt.66
verkörpert, wird als Mitglied eines gehei- Damit stellt sich die Frage nach Jung-
men Ordens von Kreuzrittern, die dem Stillings eigener Zugehörigkeit zur Frei-
„grossen Monarchen des Ostens“ dienen, maurerei.67 Heute ist sie erwiesen, ja er
zunächst gesalbt, mit Feuer und Geist hat sich selber dazu bekannt, nur ist un-
getauft und dann auf seinen Prüfungs- sicher, von wann bis wann sie dauerte. In
und Einweihungsweg geschickt. Als Ge- den späteren achtziger Jahren steht er der
salbter bekommt er den Namen Eugeni- Königlichen Kunst in ihrem damaligen
us. Die Namen spielen eine grosse Rolle Zustand durchaus kritisch gegenüber und
in dem Werk, es sind durchwegs spre- äussert sich auch missbilligend über die
chende Namen, die teilweise verklausu- Entartungen der Logen. Ja, er gibt sei-
liert die Personen zeichnen, welche sie nen maurerischen Lesern direkt den Rat,

64 Lebensgeschichte, S. 489 ff.


65 Schick, a. a. 0., S.109 ff.; Benz, a. a. 0., S. 22 ff.; Geiger, a. a. 0., S. 287 ff.
66 Ferd. Josef Schneider, Die Freimaurerei, S. 194 (die geheimen Verbindungen von Ritterorden in den
Bundesromanen aus der Begeisterung der Zeit für das maurerische Templertum erklärt). S. 220 f.
(zum fernen Reiseziel im Osten und den Leiden u. Prüfungen des Helden in den Bundesromanen).
67 Zum Folgenden vgl. Stecher, a.a. 0., S. 133–135; Geiger, a. a. 0., S. 227 ff., bes. S. 231 ff. und FML,
Sp. 804 (s. v. Jung gen. Stilling).

34
„sich jetzt aus allen Ordensverbindungen Während seiner langen Reise gelangt
los“ zu machen, wobei er nicht der Frei- Christian Eugenius von Ostenheim auch
maurerei an sich eine Absage erteilt, son- nach Kahira (Kairo). Dort wird er einem
dern nur die masonischen Degenerati- Bundesbruder übergeben, der den Auf-
onserscheinungen seiner Zeit anprangert. trag hat, ihn zunächst nach Theben zu
Die Idee der echten wahren Freimaure- bringen. Jung-Stilling kennt das Land am
rei hält er nach wie vor hoch, und gerade Nil nicht von eigener Anschauung her.
der Inhalt des Heimwehs weist darauf hin, Wahrscheinlich hat er sein Wissen weit-
wie er sich die Verwirklichung einer sol- gehend aus den Werken Pocockes und
chen in der Zukunft vorstellt. Er lässt Nordens bezogen, denn er empfiehlt sei-
denn auch im vierten Teil der Geschich- nen Lesern diese Reisebeschreibungen zur
te seinen Helden Eugenius in Solyma ei- Lektüre. „Von mir ist so etwas nicht zu
nen Orden für Männer edler Handlun- erwarten“, lässt er seinen Protagonisten
gen und dessen Gemahlin Urania einen sagen, „ich war nicht um der Reise, son-
weiblichen Orden mit entsprechenden dern die Reise um meinetwillen da, folg-
Satzungen begründen. So ist, wenn auch lich kann und darf ich auch nur von mir
der Autor zur Abfassungszeit desHeim- reden“.
wehs möglicherweise die Konsequenz ei- Der ganze lange Abstecher nach The-
nes Austrittes gezogen hatte und kein ben hat den Zweck, dass Christian via
aktives Mitglied des Bundes war, das die Inschrift auf einer Steinplatte in der
Werk gleichwohl von freimaurerischem dortigen Nekropole, auf eine weitere
Gedankengut durchsetzt. schriftliche Anweisung stösst, die im In-
Für uns Heutige wären die Allegorien nern eines dabeistehenden Kanopenkru-
des Romans nicht leicht zu verstehen – ges verborgen ist. Diese besagt, es sei an
auch den Zeitgenossen ging es teilweise der westlichen (!) Seite einer der grössten
ähnlich – wenn uns der Verfasser nicht memphitischen Pyramiden, durch siche-
selber dazu eine Aufklärung geliefert hät- re Merkmale bezeichnet, ein gewisser
te. Kurz nach dem Erscheinen des eigent- Stein mittels verborgener Handgriffe her-
lichen Textes hat er nämlich noch einen auszuziehen, um den geheimen Eingang
Schlüssel zum Heimweh 68 verfasst, in dem zu finden. Der tiefere Sinn dieser theba-
er auf den von ihm unterlegten Sinn und nischen Reise ist jedoch, dass der Jüng-
auch auf die Bedeutung der verklausu- ling zuerst an die Stätte der ursprüngli-
lierten Namen eingeht. Welche Rolle chen ägyptischen Weisheit geführt wird,
spielen nun Ägypten und im speziellen „welche anfangs in der wahren Schöp-
Falle die Pyramiden im Heimweh Jung- fungs-Religion bestand, allmählich aber
Stillings?69 in allerhand Symbole und Geheimnisse
68 Der Schlüssel zum Heimweh, Marburg 1796.
69 Die Erlebnisse im Zusammenhang mit d. pharaonischen Denkmälern stehen im 2. Buch d. 2. Teils.

35
verhüllt wurde und endlich in die aller- sche Luft zu atmen (in einem Fall auch
sinnlosesteAbgötterei ausartete.“ Das be- nur aus den Fenstern der Pyramide!). Die
deutet, dass der Kreuzritter „alle Systeme riesige Ausdehnung dieses Phantasiege-
allerArten menschlicher Weisheit vorbei- bäudes gibt Jung-Stilling die Möglichkeit,
und zur alten reinen und lauteren Quel- seinen Helden während Wochen drei lan-
le der Vernunftweisheit gehen“ und „aus ge unterirdische Reisen machen zu las-
der ersten Urquelle aller Erkenntnisgrün- sen, die den drei Einweihungsstufen ent-
de in der menschlichen Seele schöpfen“ sprechen. Dazwischen wird jeweils ein
müsse. Der Kanopus, der als „Halbge- Examen mit einem philosophisch-geist-
borener“ bezeichnet wird, meint den lichen Unterricht eingeschoben. Für Spei-
„Vernunftmenschen in seinem Naturzu- se, Trank und Ruhemöglichkeiten ist
stand, an dem zwar der Kopf geboren ist, immer wieder gesorgt, so dass der Prüf-
der ganze übrige Körper aber in seinem ling neben all den Schrecknissen und
Ei“ (nämlich dem eiförmigen Kruge) Ängsten, die er auszustehen hat, wenig-
„stecken bleibt, wenn ihm die göttliche stens in dieser Beziehung nicht leiden
Gnade nicht zur vollen Geburt hilft,“ was muss.
im Falle des Kreuzritters durch die Ein- Obwohl sich, wie bereits erwähnt,
weihung geschehen wird. Jung-Stilling durch die Werke von Po-
In Kairo zurück, muss Christian Eu- cocke und Norden ein gutes Bild von den
genius allein um Mitternacht mit einem Pyramiden und speziell vom Inneren
Öllicht und einem Feuerzeug versehen, derjenigen des Cheops machen konnte,
nach der in Theben erhaltenen Anwei- greift er vom wirklichen Plan des Gebäu-
sung den geheimen Eingang der grossen des nur wenig auf, sondern erfindet eine
Pyramide öffnen und sich dann im In- seinen Zwecken dienliche innere Pyra-
nern zurechtfinden. Jung-Stilling geht midenstruktur. Einige Motive mögen aus
ebenfalls von der Vorstellung aus, dass alle antiken Schriftstellern stammen, die aber
Pyramiden, von den memphitischen an- nicht unbedingt aus eigener Quellenlek-
gefangen bis hin zum Labyrinth im Fa- türe gewonnen sein müssen. Der heraus-
yum, unterirdisch miteinander verbun- nehmbare Stein etwa erscheint bei Stra-
den sind. Es ist also möglich, tagelang in bo (B.17,1,33) und wird bei Pococke und
den Pyramiden durch Korridore und Säle Norden erwähnt.
zu pilgern, ohne einmal an die Oberflä- Nach dem mitternächtlichen Einstieg
che kommen zu müssen. Und wie die in die grosse Pyramide gelangt Eugenius
Maulwürfe steigen seine als „Felsenmän- durch einen Gang in eine erste Kammer,
ner“ bezeichneten Ordensangehörigen, in deren Mitte eine steinerne lebensgro-
die die Neophyten bei ihren Einweihungs- sse Harpokratesfigur sitzt. Ein schriftli-
zeremonien betreuen, mit ihren Kandi- cher Hinweis befiehlt ihm, auf des Got-
daten von Zeit zu Zeit ans Licht, um fri- tes Schoss Platz zu nehmen, und alsbald

36
verschwindet das steinerne Bild mit sei- wen und eines „Apis oder Ochsens“, be-
nem Passagier in der Art eines Aufzuges sitzt. Die Verwendung dieses Motivs71
durch einen runden Brunnen in die Tie- besagt in Jung-StillingsAllegorie, dass Isis
fe. Wieder spielt also der Schacht, wie als die metaphysische Gottheit, die den
schon bei Terrasson und Wieland, eine allgemeinen Geist der Natur meint, von
Rolle, und dabei dürfte der reale, vom der sich selber überlassenen Vernunft
Eingang der grossen Galerie herabführen- endlich gefunden und für die wahre ewi-
de Stollen der Cheopspyramide Pate ge- ge Gottheit gehalten wird; es ist aber nur
standen haben. der Gott, den der Zeitgeist an die Stelle
Die Pyramiden meinen in Jung-Stil- des wirklichen Erlösers setzen will. Isis
lings Allegorie die verschiedenen alten steht für die Mutternatur mit ihren vier
philosophischen Systeme; der Mensch Köpfen, die Verstand und Weisheit (Men-
muss jedoch den Weg zur Erkenntnis in schenkopf), Empordrang nach dem Ur-
der Tiefe seiner eigenen Seele suchen und licht (Adlerkopf), Macht und Stärke (Lö-
finden, und Harpokrates als „Gott des wenkopf) und Tätigkeit zum allgemei-
Stillschweigens“ deutet darauf hin, dass nen Besten (Stierkopf) meinen. Sie ist
man nichts mehr als nur noch die Stim- nicht die wahre Gottheit, aber sie besitzt
me der Wahrheit hören darf. den Schlüssel zur richtigen Erkenntnis.
Später stösst er auf das Bild einer ko- Nachdem Eugenius sie verlassen hat,
lossalen verschleierten Isis, die den be- stellt sich ihm ein furchteinflössender
kannten, bei Plutarch (De Iside… Kap. 9) Mann mit drei Hundeköpfen entgegen,
überlieferten Spruch trägt: „Ich war, ich der ihn jedoch passieren lässt, nachdem
bin und werde sein, noch nie hat ein Sterb- der Neophyt seine Fragen zu seiner Zu-
licher meinen Schleier aufgedeckt“.70 In friedenheit beantwortet hat. Jung-Stilling
diesem Falle aber hat die Isis noch eine wollte in ihm den Fatalismus verkörpern,
weitere Inschrift, die verkündet, dass der- bei dem die grübelnde Vernunft letztlich
jenige, der tot war und nun lebendig ist, anlangt und dessen drei negative Haupt-
ihr Angesicht enthüllt habe, und dass je- leidenschaften Gotteshass, tobende Ver-
der mit Geist und Feuer Getaufte dies zweiflung und Selbstsucht sein sollen.
auch tun könne. Es gelingt Eugenius In der Folge findet Eugenius wieder ei-
ebenfalls, als er aber den Schleier zurück- nen Fahrstuhl, in Gestalt eines Harpo-
schlägt, sieht er, dass die Statue die vier krates, dem er sich anvertraut und der
Köpfe einer Frau, eines Adlers, eines Lö- ihn empor führt in einen Saal, in dem

70 Theodor Hopfner, Plutarch. Über Isis und Osiris II, Darmstadt 1967, 83 f. und J. Gwyn Griffiths,
Plutarch's De Iside et Osiride, [Swansea] 1970, S. 283–285. Vgl. auch G. Steindorff, ZÄS 69,
1933, 71 und E. Graefe, GM 2, 1972, 19–21.
71 Ezechiel 1,10 und Apokalypse 4,6–8. Dazu vgl. Othmar Keel, Jahve-Visionen und Siegelkunst,
Stuttgart 1977, S. 235 ff.

37
sich drei seiner Ordensangehörigen, „Fel- schliesst er sich, den einzigen möglichen
senmänner“, aufhalten. Dort darf er sich Weg durch den Schlund des Tieres zu
zunächst von seinen Strapazen erholen, nehmen, zumal er erkennt, dass er es
wird dann aber einer ausgedehnten Be- nicht mit einem Lebewesen, sondern mit
lehrung und einem anschliessenden Ex- einer Maschine zu tun hat. Diese bewegt
amen unterzogen, bei dem Kantische sich alsbald mit ihrem Inhalt rückwärts,
Philosophie eine grosse Rolle spielt. Eu- und Eugenius kann durch den Leib hin-
genius gewinnt schliesslich die Überzeu- durch kriechend schliesslich aus einer
gung, dass die sinnliche Vernunft nur für Öffnung des sonderbaren Gefährts aus-
die sinnliche Welt anwendbar sei, jedoch steigen, muss aber gegen einen schreck-
für die jenseitige nicht tauge, weil man lich feuchten Wind und die Dunkelheit
dafür glauben müsse. Im allgemeinen ankämpfen, da seine erlöschte Lampe
Licht der Aufklärung erkenne man, dass nicht mehr anzuzünden ist. Er landet auf
man sich in der Pyramide in einem ver- einem kleinen viereckigen Brett ohne
nünftigen Lehrgebäude befinde und al- Halt oberhalb eines herabstürzenden
les, was man gelernt und gefunden habe, Stromes und vermag sich trotz der an-
„Felsenmännerarbeit“ (d.h. Offenbarung) dauernden Zugluft, die ihn bis auf die
sei, dass sich also hier Vernunft und Of- Haut durchnässt, da festzuklammern.
fenbarung gänzlich vereinigen liessen. Plötzlich wird er mitsamt seiner Planke
Diese Erörterungen sind eng zu verbin- emporgehoben und erreicht einen obe-
den mit Jung-Stillings eigenem Suchen ren Raum, der in einen Gang führt. Die-
in der Marburger Zeit und mit seiner ser ist schwach erleuchtet, wird jedoch
Erlösung aus den Banden des Determi- immer heller und wärmer, so dass Euge-
nismus durch Kants Philosophie. Damit nius schnell wieder trocknet. Am Ende
ist der erste zur Einweihung nötige Grad findet er bei nun bereits unerträglicher
erreicht. Der zweite, folgende bringt nun Hitze eine kleine Kammer, zu deren bei-
die für unser Motiv wichtigen Einzelhei- den Seiten in Kaminen starke Feuer lich-
ten. terloh brennen. Mit einer letztenAnstren-
Zunächst wird Eugenius durch endlo- gung springt er zwischen den Bränden
ses Umherwandern auf eine schwere Ge- hindurch, gewinnt eine sich jetzt öffnen-
duldsprobe gestellt. Endlich – wir erfah- de Tür und ist gerettet. Wiederum wird
ren später, dass sich dieses unter der Insel eine Erholungspause eingeschaltet, wäh-
des Moerissees abspielt – vernimmt er aus rend derer Eugenius von einem „Felsen-
der Ferne das Getöse von Wassermassen mann“ erfährt, er habe nun seinen Weg
und gelangt zu einem Loch, aus dem ihm aus der Schöpfung durch alle vier Ele-
ein riesiges Krokodil entgegenfährt. mente zurückgelegt und sei dem Ur-
Durch seine bisherigen Prüfungen an alle sprung nahe. ImSchlüssel erklärt der Ver-
möglichen Schrecknisse gewöhnt, ent- fasser sein Verständnis dieser Proben, von

38
denen er wissen will, sie seien als Reini- und ihm eine zweite grosse Belehrung
gungen „bei allen Einweihungen in die zuteil werden lässt. Die Mumien stellen
Geheimnisse der uralten Weisen“ im Ge- die balsamierten Leichen vieler prakti-
brauch gewesen. Bei ihm meinen sie aus- scher Philosophen vor, und schlussend-
serdem den Übergang seines Kandidaten lich erzeigt sich das Gewölbe als „Begräb-
von der sinnlichen Körperwelt in die „sitt- nisstätte der physischen Vernunft, die
liche Geisterwelt“, wie er die geistige Welt nunmehr in geistlichen Dingen auch zur
nennt. Die Erde bedeutet ihm hier die Leiche geworden ist“ und von Eugenius
Sinnlichkeit, das Wasser jedoch die Ein- beigesetzt wird.
bildungskraft, die aber zur Quelle wirk- Noch eine dritte besonders schlimme
licher Erkenntnis nicht tauge. Hat der Hürde gilt es für den dritten Grad zu
Mensch dies begriffen, besitzt die wahre nehmen: Eugenius wird nämlich von ver-
Einsicht aber noch nicht, bleibt ihm nur kleideten Leuten überfallen, in denen er
noch der Schluss, dass der Tod das Ende Räuber zu erkennen glaubt, die im Auf-
sei. Diese Idee der „Vernichtigung“ stellt trag eines die Kreuzritter bekämpfenden
das Krokodil dar, durch das der Kandi- Gegenbundes handeln.72 Er muss sich
dat hindurch muss, aber sein Gottvertrau- entscheiden, ob er zur Gegenpartei über-
en rettet ihn und ist das Brett, an dem er gehen oder lieber sterben will. Selbstver-
sich anklammert. Durch die Luft als Ver- ständlich wählt er das Letztere und be-
stand „ringt er sich durch, bis in die Feu- steht damit auch die letzte Prüfung.
ergegend“; das besage, dass die Vernunft Nach diesen langen und aufreibenden
(= das Feuer) ihm zeige, dass seine jetzige Vorbereitungen ist Eugenius endlich so
Lage nicht die natürliche sei, sie dränge weit, dass er initiiert werden kann. In ei-
ihn gleichsam durch Ihre fortstossende nem königlichen, hellerleuchteten Saal
Kraft dem Ziel entgegen… Die Erquik- wird er im Kreise anderer Adepten vom
kung, die diesem Kampf folgt, bedeutet Grossmeister am Altar zum Hauptmann
die Gewissheit, dass der Seele ein neues und Führer der Kreuzritter geweiht. Man
Licht aufgehen werde. gürtet ihn mit dem „Schwerte des Gei-
Die Prüfungen indessen sind noch stes“, gibt ihm den Regimentsstab und den
nicht zu Ende. Der Neophyt muss wie- Ornat der „Felsenmänner“. Dieser bedeu-
der weiter wandern und gelangt in einen tet die „Hülle des Todes“, und Eugenius
Raum, in dem sich „mehr als dreissig erhält ihn „zum Zeichen, dass er dieser
Mumien oder alte aegyptische Leichen verdorbenen Welt abgestorben und nun
befinden“, und aus einer besonders gro- ein Bürger der Geisterwelt geworden sei“.
ssen ertönt die Stimme eines „Felsenman- Nach vollendeter Zeremonie wird der
nes“, die ihn erneut ins Examen nimmt Eingeweihte durch ein Loch eines mem-

72 Zum Motiv des Gegenbundes vgl. Ferd. Josef Schneider, Die Freimaurerei, S. 221.

39
phitischen Ruinenhügels aus der unter- der Elementen-Probe den Sethos-Roman
irdischen Welt entlassen. Von dort wan- als Anregung benutzt hat, liegt auf der
dert er zu Fuss zunächst nach Kahira und Hand. Dass der Autor einiges aus dem
dann seiner weiteren hohen Bestimmung wohl zu Unrecht Cagliostro zugeschrie-
entgegen. benen Werk Confessions du Comte de C…
avec l'histoire de ses voyages en Russie,Tur-
DieWirkungen, die Jung-Stillings Heim- quie, Italie, et dans les Pyramides d'Egypte,
wehbuch gezeitigt hat, sind für uns nur Au Caire 1787,74 für diese Szenen ge-
schwer vorstellbar. Es wurde in mehrere schöpft hat, wie schon angenommen wur-
Fremdsprachen übersetzt und hat eine de,75 scheint freilich nicht überzeugend.
recht eigentliche Erweckungsbewegung Eher könnte man vermuten, dass in der
nicht nur in Deutschland, sondern auch blassen, langfädigen und wenig kontu-
in England, Dänemark und Schweden, rierten Beschreibung des Pyramidenbe-
ja bis nach Russland hinein ausgelöst. Die suches des Comte de C., ein allerdings
wohl am schwersten wiegende Folge war, schwacher Schein des Einstiegs in Abbé
dass sogar Scharen frommer deutscher Terrassons Sethos-Roman nachleuchtet.
Auswanderer ab dem Jahre 1817 in den Die Einweihungs-Szenen dieses Wer-
Kaukasus zogen, um sich dort im ber- kes überstanden mühelos die Jahrhun-
genden Osten niederzulassen.73 dertwende und behielten ihre Anzie-
Das Heimweh von Jung-Stilling ist ein hungskraft. Zu erneuter Aktualität ka-
merkwürdiges Konglomerat der verschie- men sie in dem in Paris 1814 erschiene-
densten Elemente, die um das Grund- nen Werk La Franche-Maçonnerie rendue
Thema der Orient-Reise des Helden her- à sa véritable origine, ou l' antiguité de la
umgruppiert werden. Freimaurerischer Franche-Maçonnerie prouvée par l'explica-
Ägyptenenthusiasmus und masonische tion des mystères anciens et modernes von
Begeisterung für das Templertum verbin- Alexandre Lenoir 76 (1762–1839). Die-
den sich mit betont christlicher, persön- ser französische Archäologe, Mitglied
licher Frömmigkeit und entschiedener mehrerer gelehrter Gesellschaften, stützt
Ablehnung der destruktiven aufkläreri- sich immer noch auf die Elementen-Prü-
schen Vernunft. In den Dienst dieser fungen Terrassons und behandelt sie, wie
Haltung werden im Ägyptenteil des Bu- wenn sie tatsächliche historische Quel-
ches die pharaonischen Denkmäler ge- len wären. Um deren Aussagen noch zu
nommen. Dass Jung-Stilling für seine unterstreichen, gibt er eine Abbildung
Schilderung des Pyramideneinstiegs und dieser Proben bei, die auf Grund der Be-

73 Vgl. dazu Benz, a. a. 0., S. 25, 32; Geiger, a. a. 0., S. 293 f.


74 Wolfstieg, Bibliographie, Nr. 14369.
75 Stecher, a. a. 0., S. 219–221.
76 Warren R. Dawson/Eric P. Uphill, Who was who in Egyptology 2, London 1972, S. 173.

40
schreibungen im Sethos-Roman von J. bole für die Elemente bei den Lehrlings-
M. Moreau dem Jüngeren77 angefertigt Reisen.
worden ist.78 Es ist klar, dass hier nicht In einem zweiten Teil kam dann der
ein nüchterner Wissenschaftler, sondern Ägyptologe Paul Guieysse (1841–1914)
in erster Linie der engagierte Freimaurer zu Worte, der unter de Rougé und Mas-
spricht, der seinen Orden bis auf das alte pero studiert hatte und nun als Vertreter
Ägypten zurückführen möchte, indem er der modernen Ägyptenwissenschaft ein
in der Freimaurerei eine Imitation der Aperçu der altägyptischen religiösen Vor-
ägyptischen Mysterien sieht. stellungen gab. Er betonte, dass, wenn
Die Frage dieses Zusammenhanges hat auch in den Mysterien der griechisch-rö-
die maurerischen Gemüter auch später mischen Welt gewisse Ähnlichkeiten mit
immer wieder beschäftigt. Doch hat die der Freimaurerei beobachtet werden könn-
Geburt der Ägyptologie auch in der ten, man in dieser Beziehung vergeblich
Königlichen Kunst ihre Spuren hinter- bei den antiken Autoren seriöse, Anga-
lassen. Am 4. 2. 1887 wurden in der Pa- ben aus altägyptischer Sicht suche. Und
riser Loge des „Grand Orient de France“ erst recht finde man keine solchen in den
zwei Vorträge gehalten, um Klarheit über pharaonischen Texten.
das Problem zu erlangen.79 In einem er- Damit sind wir allerdings zeitlich ein
sten Teil sprach Louis Amiable über die Stück vorausgeeilt und wollen von den
antiken Einweihungen, in deren Elemen- Proben freimaurerischen Selbstverständ-
tenproben unschwer Abbé Terrasson wie- nisses zur literarischen Rezeption, jetzt im
der zu erkennen ist, doch ging der Red- 19. Jahrhundert, zurückkehren.
ner nicht auf den Sethos-Roman direkt
zurück, sondern auf ein Zwischenglied, In seinem Voyage en Orient, im Kapitel
ein Buch Cours oral de Franc-Maçonnerie Les Pyramides 80 von 1850, greift der ro-
symbolique von 1863, dessen Verfasser mantische Dichter Gérard de Nerval
Cauchois hiess. Demgegenüber stellte (1808 –1855) das Motiv der Pyramiden-
Amiable die damals gebräuchlichen Sym- Einweihung auf.

77 Jean Mallinger, Les origines Égyptiennes des usages et symboles maçonniques, Lille 1978, S. 64 ist
zu entnehmen, dass die bei Lenoir veröffentlichten „Gravures“ von Moreau dem Jüngeren – unter
ihnen befindet sich ausser den Sethos-Proben auch eine Darstellung der Isis-Prozession des Sethos-
Romans – schon früher, nämlich in Delaulnayes Histoire générale et particulière des Religions et
du Culte de tous les peuples du monde tant anciens que modernes, Paris 1791, erschienen sind.
78 Jetzt auch wieder abgebildet in: Jurgis Baltrušaitis, La quête d'Isis. Essai sur la légende d'un mythe,
Paris 1985 (Les perspectives dépravées), Abb. 33; vgl. auch dazu S. 46–51.
79 Egypte ancienne et la Franc-Maçonnerie in: Bulletin du Grand Orient de France, Paris 1887, 1–
56.
80 Erstmalig erschienen in: Le National, 1850. Nerval hat es in der Schlussphase der Redaktionsar-
beit von Voyage en Orient verfasst. In diesem Werk bildet es den vierten Abschnitt des Teiles: Les
femmes du Caire. Vgl. dazu Gérard de Nerval, Reise in den Orient, Werke I, München 1986
(Winkler Dünndruckausgabe) hrg. v. Norbert Miller und, Friedhelm Kemp, S. 888.

41
Er erzählt, wie er auf der Cheopspyra- einen Fluss durchschwimmen, doch in
mide die Bekanntschaft eines preussi- der Mitte des Flusses wurde er durch eine
schen Offiziers81 gemacht habe, der nach- von zwei riesigen Rädern ins Werk ge-
träglich zur Lepsius-Expedition stossen setzte heftige Bewegung zurückgeworfen.
sollte, die damals bereits im Fayum ar- Schon ganz entkräftet gelang es ihm, eine
beitete. Mit ihm zusammen besucht er vor ihm auftauchende Eisenleiter zu er-
das Innere der Pyramide. Auf dem Weg reichen. Diese hatte die Eigenart, dass
zur Königinnenkammer kommen sie am jede zurückgelassene Sprosse sogleich hin-
Brunnenschacht vorbei und unterhalten ter dem höhersteigenden Initianden ab-
sich über die Einweihungen der Alten. brach und im Wasser versank. Zudem
„Niemand ist beschlagener in den My- wurde er durch einen gewaltigen Wind
sterien der Antike als die Deutschen“, ständig hin und hergeschüttelt und konn-
bemerkt de Nerval, worauf ihm der Preu- te mit Not und letzter Anstrengung ge-
sse beschreibt, wie die Prüfungen vor sich rade noch zwei vor ihm heruntergelasse-
gegangen sein sollen. Zuerst habe man ne Eisenringe packen und so durch die
den Initianden auf einen Wagen gesetzt Türe entkommen, die sich vor ihm öff-
und auf der abschüssigen Galerie bis in nete. Er erreichte den Tempel, wurde dort
die Mitte der Pyramide gerollt. Dort sei von den Priestern empfangen und um-
er von Priestern niederen Grades emp- schritt die Statue der Isis.
fangen und zum Brunnenschacht gelei- Im Folgenden malen sich die beiden
tet worden, den er, die brennende Lam- Gesprächspartner aus, wie es wäre, wenn
pe auf einer Art Helm auf dem Kopf, mit man Mozarts Zauberflöte mit der gan-
Hilfe von Eisengriffen hinabgestiegen sei. zen italienischen Truppe des Kairener
Drei bedrohliche Männer mit Bronze- Theaters in entsprechenden Kostümen
masken des Anubis musste er zu Boden im Innern der Pyramide aufführte. Der
werfen und weitergehen.Als nächstes traf Preusse weiss weiter zu vermelden, dass
er auf einen grossen Raum, der den Ein- der durch die Prüfungen gegangene Kan-
druck eines dichten dunkeln Waldes mach- didat durch langes Fasten, durch Unter-
te. Sobald er diesen durchqueren wollte, weisungen und durch Stillschweigen end-
wurde alles hell erleuchtet, und glich ei- lich dazu geläutert wurde, das entschlei-
ner grossen Feuersbrunst, die aber nur erte Angesicht der Göttin zu sehen. Doch
durch Feuerwerkskörper und bituminö- zu seinem Erstaunen verwandelte sich
se Substanzen an Eisenstäben inszeniert dieses in das Antlitz der vom Neophyten
war. Nachdem es dem Kandidaten auf am meisten geliebten Frau oder dessen
Kosten einiger Verbrennungen gelungen Idealbild der vollkommenen Schön-
war, den Wald zu passieren, musste er heit…Auch andere antike Initianden wie

81 Ebenda wird Anm. 262, S. 899 vermutet, bei ihm sei möglicherweise Hermann Abeken gemeint.

42
Moses, Triptolemos, Orpheus und Pytha- lomo) handelt, um die freimaurerische
goras werden von den Beiden behandelt, Bausage vom salomonischen Tempel und
und der Auszug der Israeliten, sowie die dessen ermordetem Baumeister. Dort spie-
Begründung der Mysterien von Eleusis, len die Pyramiden mit weitausgedehn-
von Samothrake und der mystischen Ge- ten unterirdischen Gängen als Zuflucht
meinden des Libanon damit in Verbin- vor der Sintflut eine Rolle.
dung gebracht. Auch die gescheiterte Prü- Bisher haben wir uns auf deutsche und
fung von Orpheus und der Verlust der französische Literatur beschränkt, aber
Eurydike kommen zur Sprache. auch in England hat unser Thema seinen
Niederschlag gefunden. So hat Thomas
Voyage en Orient de Nervals ist mehr und Moore (1779–1852) unser Motiv in sei-
anderes als eine Beschreibung einer erleb- ner ProsaromanzeThe Epicurean 84 von
ten Fahrt in den Orient. Aus Briefen des 1827 ebenfalls verwendet.85 Wieder, wie
Autors weiss man, dass sie mit seiner wirk- beiAbbé Terrasson, soll der Stoff aus einer
lichen Reise von 1843 nicht überein- griechischen Handschrift stammen, die
stimmt.82 Diese liegt der Schilderung zwar Moore übertragen haben will. In einem
zu Grunde, wird aber mit nicht selber er- angeblichen Brief an den Übersetzer, der
lebten Episoden und mit Früchten seiner dem Text vorangestellt ist, wird ein Zu-
ausgedehnten Lektüre angereichert. Rei- sammenhang mit den Initiationsriten im
sewirklichkeit und Fiktion gehen so stän- Sethos-Roman expressis verbis erwähnt.
dig ineinander über, und das Ganze ist als
ein in der Realität verankertes literarisches Der Held, der griechische Epikureer
Kunstwerk, aber keinesfalls alsTatsachen- Alciphron, reist nach einerTraumerschei-
bericht zu werten. nung an den Nil, um dort das ewige Le-
Es ist klar, dass sich de Nerval bei der ben zu suchen. Bei einem nächtlichen
Beschreibung der Einweihungen stark an Fest der Mondgöttin verliebt er sich je-
Abbé Terrasson hält,83 aber in manchen doch in eine junge Priesterin. Um sie zu
Zügen auch entscheidend von ihm ab- gewinnen, folgt er ihren Spuren in eine
weicht. Der Dichter war selber Freimau- Pyramide, sieht sich aber dort mit den
rer, und masonische Themen finden sich Elementenproben konfrontiert, die er
auch sonst ganz ausgeprägt in seinem besteht, in der Hoffnung, die schöne
Werk. So rankt sich eine andere Ge- Ägypterin erringen zu können. Der ei-
schichte aus Voyage en Orient, die von der gentliche Grund, der ihn die Einweihung
Königin von Saba und von Soliman (Sa- suchen lässt, bleibt dem zuständigen Prie-

82 Vgl. dazu ebenda, S. 845 ff.


83 Auch schon gesehen v. Jean Richer, Gérard de Nerval et les doctrines esotériques, Paris 1947, S. 31 ff.
84 Wolfstieg, Bibliographie Nr. 41682.
85 Vgl. James Stevens Curl, The Egyptian Revival, London 1982, S. 84.

43
IN EIGENER SACHE
ster indes nicht verborgen. Aus der da-
durch entstehenden Gefahr vermag ihn Aus unserem Leserkreis ist derVorschlag
jedoch eben dieses Mädchen zu retten, an uns herangetragen worden, auch einen
so dass er heil dem unterirdischen Laby-
rinth entkommt. Unterstützungsfonds
Der heute vergessene Roman war ein für unsere Zeitschrift GNOSTIKA aufzu-
grosser Erfolg, wurde in mehrere Spra- bauen. Das ist geschehen und die ersten
chen übersetzt und kam noch im Erschei- Spenden haben sich freudig begrüßt ein-
nungsjahr 1827 auch auf französisch her- gefunden. Das hereinkommende Geld ist
aus. Verschiedene Einzelheiten bei der zweckgebunden und wird ausschließlich
Fassung de Nervals machen es wahr- zur Erhaltung bzw. zum Ausbau von
scheinlich, dass der Franzose nicht nur GNOSTIKA eingesetzt. Förderabos be-
den Sethos-RomanAbbé Terrassons, son- ginnen bei EUR 33,00 (dem jetzigen Abo-
dern auch The Epicurean von Thomas Grundpreis) aufwärts. Für Ihre Unter-
Moore gekannt hat. stützungen stehen gerne die AAGW-Kon-
Mit diesem Abstecher in die englische ten: Raiffeisenbank eG Sinzheim, BLZ
Romantik sind wir zum Anfang unseres 665 623 00, Konto 622 605 oder: Post-
Artikels zurückgekehrt. Vollständigkeit bank Karlsruhe, BLZ 660 100 75, Kon-
sollte in diesem Aufsatz weder erreicht, to 908 74-753 zur Verfügung, mit der
noch angestrebt werden. Gewiss liesse Bitte, die entsprechende Förderabsicht
sich bei weiterem Suchen unser Motiv (Spende, Förderabo) zu vermerken.
auch noch anderswo finden, jedoch dürf-
ten unsere Ausführungen gezeigt haben,
welche Faszination und Strahlkraft das
Buch von Abbé Terrasson im 18. und 19. An dieser Stelle möchten
Jahrhundert besessen hat. Von seiner far- wir uns einmal ganz herz-
bigen Schilderung ging das Thema der lich für den Zuspruch be-
Pyramideneinweihung mit den Elemen- danken, der GNOSTIKA
tenproben, das über keinerlei Grundlage immer wieder erreicht,
in einem altägyptischen Sachverhalt ver- vor allem aber auch für
jene finanziellen Zuwen-
fügt, aus. Als ägyptisierendes Motiv hat
dungen, die uns über den
es seine oben beschriebenen Wege ge- Unterstützungsfonds
nommen, wurde indessen stets abgewan- bereits übermittelt wur-
delt und den Bedürfnissen seiner jeweili- den. Vielen DanDankk !!!
gen Benutzer angepasst.

44
HEINRICH BECK
PHILOSOPHISCHE GESICHTSPUNKTE
ZUM VERSTÄNDNIS VON
HOMÖOPATHIE
in 4 Thesen, wobei die 2 ersten sich auf das Wesen des Organismus und
seiner Erkrankung, und die 3. und 4. auf die homöopathische Medizin und
ihre Wirkweise beziehen.

D ie 1. These betrachtet die Konsti-


tution des materiellen Körpers und er-
die materielle Grundlage oder sei es, weil
die formende Form in eine unangemesse-
innert an die (von der modernen Infor- ne Verfassung geraten ist. Besonders bei
mationstheorie in gewisser Weise wieder chronischen Erkrankungen scheint es sich
aufgenommene) Auffassung des Aristo- um eine Indisposition oder Deformati-
teles, dass jeder materielle Körper „ge- on der zentral steuernden Form zu han-
formter Stoff“ ist, also aus einer formba- deln (weil periphere Maßnahmen nicht
ren stofflichen Grundlage („Hyle“) und mehr verhindern können, dass die Pro-
einer sie formenden Form („Morphe“) zesse wieder in ihre eingerastete Sinnwid-
besteht; letztere ist ganz und gar wirken- rigkeit zurückfallen, z. B. bei einem chro-
deWirk-lichkeit („Energeia“). Bei den Or- nischen Leberleiden).
ganismen erschöpft sich die „formende
Form“ (= die „Seele“, im philosophischen Die 3. These focussiert die Konstitution
Sinne des Wortes) nie ganz in ihrem sicht- des homöopathischen Medikaments
baren materiellen Ausdruck, sondern und sagt, dass die „Form“ des Ausgangs-
behält stets ein nicht direkt wahrnehm- stoffes durch Zerreiben bzw.Verschütteln
bares „Inneres“, die „Formspitze“. So zei- und Verdünnen auf ein festes oder flüssi-
gen z. B. die Entwicklungsstadien des ges Material übertragen wird, was in meh-
Schmetterlings – Raupe, Puppe, Falter – reren aufeinanderfolgenden Schritten wie-
eine jeweils verschiedene materielle Ge- derholt wird. So findet ein entsprechen-
stalt; sie sind aber Ausdruck desselben In- der „In-formationsvorgang“ statt, wobei
dividuums, es liegt ihnen eine identische durch jeden weiteren Wiederholungs-
„formende Form“ zugrunde. schritt die übertragene Form immer tie-
fer und sublimer in das aufnehmende
Die 2. These bezieht sich auf das Wesen Material eingeht, bis sie schließlich prak-
der Erkrankung und sieht es in einer tisch nicht mehr wahrnehmbar ist.
Deformation der körperlichenVorgänge.
Das heißt, diese spielen sich nicht mehr Der 4. Schritt fragt nach der Wirkweise
in der Weise ab, wie es dem ganzheitli- des homöopathischen Medikaments
Medikaments.
chen Sinn entsprechen würde – sei es, weil Diese fußt darauf, dass die (unsichtbare)

45
„Formspitze“ des Medikaments mit der seine kranke Verfassung (z. B. eine Dys-
(gleichfalls der Wahrnehmbarkeit entzo- funktion der Leber) sich zum Sinn (hier:
genen) „Formspitze“ des erkrankten Or- der Aufgabe der Leber) im Widerspruch
ganismus in Berührung kommt. So kann befindet. Indem durch das „krankheits-
ein in-formierender Einfluss vom Medi- ähnliche Medikament“ dieser Wider-
kament ausgehen, das heißt es wird eine spruch verstärkt wird („Erstverschlimme-
Reformation im erkrankten Organismus rung“), wird gewissermaßen ein „Druck“
ausgelöst, wobei dessen formende Form oder „Sog“ auf die Lebenskraft des Or-
(und Leibstofflichkeit) aus der sinnwid- ganismus ausgeübt; sie wird noch mehr
rigen, krankhaften Verfassung zurückge- angefordert, das heißt in neuer Weise
holt wird. Dies geschieht durch „Pro-vo- „hervorgerufen“. Entsprechend könnte
kation“, indem die Form des Medika- man denken, sind die Übel in der Evolu-
ments eine Ähnlichkeit mit dem Erschei- tion des Lebens und der Geschichte der
nungsbild der Krankheit, d.h. der defor- Menschheit von der göttlichen Vorse-
mierten Form des Organismus aufweist hung wohl mit dem Ziel „zugelassen“,
und sie so in ihrem ursprünglichen We- damit so die Kräfte des Guten umso mehr
sensinn „anspricht“ und neu „hervorruft“ herausgefordert (und durch die Überwin-
(„similia similibus“); der Organismus dungsanstrengung im Kampf mit den
„antwortet“, seine Selbstheilungskräfte Übeln trainiert) werden.
wurden gereizt. Je weiter (durch die Zahl 2. Bei der Herstellung des homöopa-
der „Verdünnungsschritte“) die wirken- thischen Medikaments wird durch wie-
de Form des Medikaments ins Unsicht- derholtes Schütteln (bzw. Zerreiben) und
bare „aufgestiegen“ ist, desto höher ist sei- Verdünnen dessen Potenz erhöht, indem
ne heilende Potenz, weshalb die hochpo- die wirkende Form immer mehr ins In-
tenten Mittel besonders bei chronischen nere dringt und so ins Unsichtbare „auf-
Erkrankungen wirken, deren formende steigt“. Der Ausdruck „Höhe“ bezeich-
Form noch zentraler und das Ganze be- net hier nichts Räumliches, sondern – im
treffend aus den Fugen geraten ist. analogen, übertragenen Sinne – die zen-
trale und ganzheitliche Umfassungskraft
Erläuterungen zum 4. Schritt: Wirk- und durchdringende Wirkmacht, die
weise des homöopathischen Medika- „über“ den Dingen steht, um dadurch
ments
ments. umso tiefer in sie einzudringen (so wie
1. Durch das homöopathische Medi- man im sozialen oder politischen Bereich
kament, das in seiner Struktur Ähnlich- von einer „hoch“gestellten Persönlichkeit
keit mit dem Krankheitsbild des erkrank- spricht); je weiter heraus (oder höher hin-
ten Organismus aufweist, werden dessen auf), desto tiefer hinein. Nach der philo-
Selbstheilungskräfte „pro-voziert“. Die- sophischen Ganzheitstheorie, auf die der
se „Provozierbarkeit“ gründet darin, dass 1. Schritt anspielt, ist das Ganze stets „frü-

46
her“ und „mehr“ als die Summe seiner in allen Teilen ist und in jeweils verschie-
Teile, indem das ganzheitsstiftende Prin- dener Weise wirkt, ist es selbst kein phy-
zip die Teile (durch „Teilung“ der ur- sischer Teil, sondern vielmehr „unsicht-
sprünglichen Einheit) allererst erzeugt bar“ – die „formende Form“ des Orga-
und in ihrem „Sinnort“ bestimmt; inso- nismus in ihrer „Spitze“.
fern es selbst den Teilen vorausgeht und

NEUERSCHEINUNG ZU

Heinrich Beck:
Der Akt-Charakter des SeinsSeins. Eine spekulative Weiterführung der Seinsleh-
re Thomas v. Aquins aus einer Anregung durch das dialektische Prinzip He-
gels. 2., ergänzte Aufl. mit Ergänzungen zur Metaphysik des materiellen Seins.
Peter Lang Verlag. Frankfurt 2001. Pb., 491 S. ISBN 3-631-36692-2.
„Die ‚systematische Kernaussage‘ zum ‚Akt-Charakter des Seins‘ lautet: Das Seiende ist
darauf angelegt, mit seinem Sein eine Kreisbewegung zu vollführen, nämlich auf der
Grundlage seines anfänglichen In-sich-Seins aus sich hervor- und sich selbst sowie ande-
ren gegenüberzutreten, um aus solcher Be-gegnung reicher und tiefer zu sich zurückzu-
kehren. Dieser ‚im Sinne des Seins‘ liegende Dreischritt ‚von In-sistenz zu Ek-sistenz zu
neuer Re-insistenz‘, der in seinem Grunde ein ‚partizipierender Mit-vollzug des Göttli-
chen‘ ist‚ schließt ein ‚ek-sistentielles Wagnis‘ ein: Es kann gelingen und bedeutet dann
Selbstfindung und Selbstverwirklichung; es könnte aber auch scheitern.“ (9)
Die Weiterführung und damit Erneuerung und Rettung der Gedankengänge des Tho-
mas von Aquin in und für die zeitgenössische Philosophie gelingt Heinrich Beck auf
eindrückliche Art und Weise. Er holt dabei die Philosophie weg von bloßer universitärer
Gelehrtheit und führt sie zurück, wohin sie eigentlich gehört: zur Frage, was Sein seiner
Bedeutung und seinem Sinn nach ist (11). Was nun Heinrich Beck mit „Akt“ meint, ist
der zentrale Vorgang des Aus-dem-Sein-Hinaustretenden und durch das Sein wieder In-
das-Sein-Zurückkehrenden, sodass der Mensch in seinem Menschsein durch diesen zir-
kulären Dreischritt zu sich selbst im Sein kommen kann. Dass nun Heinrich Beck „Sein“
in seiner spiral- und kreisförmigen Bewegung transparent macht, ohne dabei den Grund
– den Aspekt des Seins eben – außer Acht zu lassen, ihn immer mitzudenken, macht
Faszination und Erschwernis dieses Buches aus. Wer kann schon von sich behaupten,
diese Gedankengänge wirklich durchdrungen zu haben? Nicht von ungefähr bezieht Beck
die Hegelsche Dialektik mit ein, um diese äußerst komplexen und in ihrer Einheitlich-
keit auch widersprüchlichen Seins-gänge transparent zu machen. Man muss die Ausfüh-
rungen gründlich studieren, um sich ihrer Bedeutung auch in Hinblick auf die Finalität
des Endlichen (der Materie) und auf das Unendliche (dem Sein) bewusst zu werden.
Keine leichte aber lohnende Lektüre, wegen Thomas von Aquin, vor allem aber um des
Seins willen.
Wolfram Frietsch

47
ULRICH WOLFGANG
GESCHICHTE, INHALTE UND WANDLUNGEN DES
TOLERANZBEGRIFFS
Toleranz bedeutet Duldung. Wer etwas scheint uns das passive Erdulden als Be-
toleriert, duldet damit ihm fremde Denk- zeichnung angemessener. Umgekehrt
undVerhaltensweisen, die zu ertragen ihm heißt dies aber auch, daß wir nur dann
schwerfallen. Was da geschieht, tangiert etwas tolerieren können, wenn noch ein
oftmals die Schmerzgrenze. So hat denn gewisses Minimum an Übereinstimmung
Toleranz immer etwas mit Selbstüberwin- möglich ist. Bei dem Versuch einer Defi-
dung und Großmut zu tun. Etwas tole- nition des Toleranzbegriffs sollte dieser
rieren, heißt aktiv in freier Selbstbestim- Tatbestand nicht unbeachtet bleiben.
mung und eigener Verantwortung han- Dennoch muß wer Toleranz übt, Un-
deln. Hingegen bedeutet erdulden die behagen undAblehnung überwinden. Ir-
passive Hinnahme eines Zustandes, den gendwann jedoch ist bei jedem die Gren-
zu vermeiden außerhalb unserer Macht ze erreicht, wo Duldung nicht mehr mög-
liegt. Andererseits schließt der Begriff lich ist. Die Schmerzgrenze ist überschrit-
Duldung auch dasTolerieren von Unrecht ten und die Konfliktzone erreicht. Wo
mit ein, das uns oder anderen zugefügt dem Einzelnen dieToleranzgrenze gesetzt
wird.Wenngleich die Begriffe Dulden und ist, hängt von Herkunft, Erziehung, Bil-
Tolerieren an sich die gleichen Worte in dung, Religion aber auch Gruppenzuge-
zwei verschiedenen Sprachen sind, verwen- hörigkeiten und Erfahrungen, manchmal
den wir im Zusammenhang mit Unrecht auch vom Lebensalter ab. Darüberhin-
das Wort tolerieren nur ungern. Warum? aus hat jeder Mensch bestimmte Priori-
Nun, irgendwie ist es ein Unterschied, ob täten und dementsprechend auch be-
man Unrecht duldet oder ob man Unrecht stimmteVorstellungen über seine persön-
toleriert. Dulden scheint uns in diesem Fall liche Zukunft und die Zukunftsperspek-
auch etwas von der Ohnmacht zu vermit- tiven seiner Familie, seiner engeren Hei-
teln, die man spürt, wenn man sich au- mat und seiner Nation. Die Erwartung,
ßerstande sieht, einen durch Dritte verur- daß er solche von ihm als existenziell be-
sachten Zustand nicht ändern zu können. wertete Perspektiven durch Duldung
Wer hingegen Unrecht toleriert, hat nach kontraproduktiv wirksam werdender
unserem Sprachgefühl zum Unrechtstat- Entwicklungen in Gefahr bringen läßt,
bestand eine geringere Distanz. Wo jegli- muß ihm unzumutbar erscheinen.
che Bereitschaft zur Akzeptanz fehlt oder Wo dies dennoch geschieht, kann der-
sogar fehlen sollte, benutzen wir die Be- artige unangebrachte Duldung in die Ka-
zeichnung tolerieren überhaupt nicht. Hier tastrophe führen. An anderer Stelle die-

48
ses Vortrages wird anhand eines Beispiels schwelende Unruhesituation für profane
aus der Literatur auf diese Problematik Machtinteressen instrumentalisiert und
noch gesondert eingegangen. Wichtig ist mißbraucht wird. Das war beispielsweise
nur, daß wir die Faktoren und Randbe- im 30-jährigen Krieg der Fall. Erst mit dem
dingungen, die Toleranz erfordern, mög- Westfälischen Frieden wurde nach dreißig-
lich machen oder unmöglich machen, jährigem Mordbrennen ein Religionsfrie-
berücksichtigen, wenn wir das Toleranz- den hergestellt, der ein toleranteres Mit-
verhalten anderer beurteilen oder sogar einander der christlichen Religionen er-
kritisieren. möglichte. Es gibt eine stattliche Reihe ver-
Betrachten wir die Geschichte der To- gleichbarer Ereignisse – auch aus dem
leranz, vollzog sich nach einigen Ansät- Bereich religionsersetzender Ideologien –
zen antiker Denker der Durchbruch mit auf die hier einzugehen zu weit führen
dem allmählichen Aufstieg des Bürger- würde. Wir lernen daraus, daß dort, wo
tums in Europa und Amerika. jegliche Toleranz fehlt, die Gefahr tödli-
In der Antike war es unter anderem der cherAuseinandersetzungen wächst.Ande-
griechische Philosoph Pyrrhon von Elis – rerseits kann falsch verstandene Toleranz
er lebte 360–270 v. Chr. – der sich mit zu ebenso folgenschweren Entwicklungen
dem Gedanken der Toleranz beschäftigte. führen, wenn ständiges Nachgeben eine
Von ihm stammt der Satz: „Weisheit ist Grenze erreicht, die dann nur noch mit
Zurückhaltung im Urteil. Nicht dies ist so Mitteln der Gewalt zu halten ist. Das ist
sondern nur dies scheint mir so ist dem sorg- es, was mit der schwierigen Dreierbezie-
fältigen Denker gestattet zu sagen.“ hung von Toleranz, Fanatismus und Into-
Der kontradiktorische Gegensatz zur leranz gemeint ist.
Toleranz bedeutet Fanatismus, während Toleranz als Begriff ist im Deutschen
Intoleranz in einem dialektischen Wider- erstmals bei Luther nachweisbar. Grund-
spruchsverhältnis zur Toleranz steht. Aus sätzlich unterscheidet man drei Hauptar-
Toleranz selbst entspringt Intoleranz ge- gumentationslinien: Im Bereich der poli-
genüber dem Fanatismus. Die konkrete tischen Theorie wurde dasVerhältnis von
Verhältnisbestimmung dieser Dreierbezie- Staat und Kirche zu regeln versucht. Ziel
hung ist der theoretische und praktische war die konsequente Trennung von Staat
Kern derToleranzproblematik. Fanatismus und Kirche. Eine Thematik, die Martin
gedeiht zumeist dort am ehesten, wo reli- Luther in einer Schrift aus dem Jahr 1523
giöse Überzeugungen oder auch religions- behandelte. Der Titel lautete: „Von welt-
ersetzende Ideologien die Menschen der- licher Obrigkeit wieweit man ihr Gehor-
artig stark erfassen, daß sieAndersdenken- sam schuldig sei.“ Die zweite Argumenta-
de als Feinde betrachten. Zu folgenschwe- tionslinie sah als entscheidendes Organ das
renAuseinandersetzungen und Verfolgun- Gewissen der einzelnen Person an, das
gen kommt es jedoch erst dann, wenn die zunächst als Stimme Gottes interpretiert

49
wurde. Hieraus folgerte man, daß eine derToleranzbegriff überladen wird. DaTo-
innere Haltung nicht mit äußerer Gewalt leranz stets mit Selbstüberwindung und
erzwungen werden kann. Zum Dritten individueller Leidensbereitschaft verbun-
ging es um das Verhältnis zwischen den den ist, kann in vielen Situationen die
Religionen und Konfessionen. Also um Duldung bereits das Maximum dessen
die gegenseitige Duldung zwischen den sein, was ein Mensch aufzubringen in der
unterschiedlichen christlichen Konfessio- Lage ist. Möglichweise ist es sogar für die
nen aber auch zwischen christlichen und Sache der Toleranz eher schädlich, wenn
nichtchristlichen Religionen. man die recht unterschiedlichen Begriffe
Mit der Reformation begann ein allmäh- Akzeptanz und Toleranz miteinander ver-
licher Prozeß derVerweltlichung des Staa- mischt.
tes und damit verbunden, ebenso allmäh- Doch zurück zur Geschichte der Tole-
lich, eineAbnahme kirchlicher Macht.Was ranz im europäischen Kulturkreis. Sofern
die Staaten und deren Regierungen betraf, in früheren Zeiten der Begriff „Toleranz“
so war man letztlich daran interessiert, daß überhaupt Verwendung fand, blieb er auf
religiöser Friede herrschte, eine Entwick- den Bereich der Religion beschränkt, wo-
lung, die Toleranzideen durchaus förder- bei man in aller Regel hierunter die christ-
lich war. In der zeitgenössischen Literatur lichen Religionen verstand. So definiert
dominieren in der Toleranzthematik zwei Zedler in seiner Enzyclopädie aus der er-
Schwerpunkte: dieToleranzdefinition und sten Hälfte des 18.Jahrhunderts Toleranz
die Toleranzgrenzen. In einem Zeitschrif- folgendermaßen:
tenaufsatz über das Toleranzproblem äu- „Die Tolerantz einer Religion oder wid-
ßerte sich einAutor folgendermaßen: „To- rigen Religionsverwandten, lat. Toleran-
leranz ist eine Geisteshaltung, die es er- tia, Tolerantia religionis oder Tolerantia
möglicht, Störungen im zwischenmensch- Dissententium in religione; Dieses Wort
lichen Bereich zu vermeiden. Nicht Dul- wird insgemein von einer Obrigkeit ge-
dung von anderen, sondern Anerkennung brauchet, welche in einer Provinz oder
ihrer unterschiedlichenAuffassungen und Stadt geschehen lässet, daß auch andere
Lebensweisen ist seit der Aufklärung un- Religionsverwandten außer der daselbst
ter Toleranz zu verstehen.“ eingeführten Religion, und welcher sie
EineAuffassung, die bereits der Geheim- selbst zugetan ist, die freye Uebung ihres
rat Goethe vertrat. In seinen Maximen und Gottesdienstes darinnen haben mögen.
Reflexionen lesen wir hierzu: „ Toleranz Dergleichen Tolerantz derer Protestieren-
sollte eigentlich nur eine vorübergehende den, Dissidenters oder NonConformisten,
Gesinnung sein; sie muß zurAnerkennung so in vielen Stücken von der englischen
führen. Dulden heißt beleidigen.“ Kirche abweichen, ist in England durch
Allerdings müssen wir angesichts eines eine Parlamentsacte verstattet worden.“
so hohen Anspruchs fragen, ob hier nicht

50
Weiter heißt es dann: liefert: „Die Toleranz muß in einem Staa-
„Die Erfahrung lehrt uns täglich, daß te jedem Freiheit geben, alles zu glauben,
Privatpersonen von unterschiedenen Mey- was er will, aber sich nicht so weit erstrek-
nungen, wenn sie sonst nur wollen, gantz ken, daß sie die Frechheit und Ausgelas-
friedlich und schiedlich bey einander le- senheit junger unbesonnener Leute auto-
ben und wohnen. Ein Exempel davon se- risiert, die dem kühn Hohn sprechen, was
hen wir alle Tage in unserem eigenen das Volk verehrt“. Hier werden Grenzen
Deutschland an denen in demselben vor- der Toleranz deutlich gemacht, die uns
nehmlich tolerierten drey Hauptreligio- auch heute noch nachdenklich machen
nen, als nehmlich der Römisch Catholi- sollten.
schen, der Evangelisch Lutherischen und Eine neue Dimension derToleranzidee
der Reformierten. Der Grund der Tole- vertrat Gotthold Ephraim Lessing in sei-
rantz, so man den Irrgläubigen angedei- nem 1779 veröffentlichtem Werk Nathan
hen läßt, muß in der allgemeinen Liebe der Weise. Darin vergleicht er die drei
und Erbarmung liegen und der Zweck Weltreligionen Christentum, Judentum
derselben bloß dieser seyn, daß sie den ir- und Islam mit Ringen, die einander zum
renden Nächsten von dem Irrtum seines Verwechseln ähnlich sind. Er sieht die
Weges nach und nach unter dem Segen drei Religionen auf einer Ebene und er-
Gottes zu überzeugen suchet, wozu sie weitert somit den bisher auf die christli-
theils alle evangelischen Mittel, doch ohne chen Religionen beschränkten Toleranz-
Zwang anwendet, theils die Hindernisse begriff um zwei weitere Religionen.
aus dem Weg räumet und der Wahrheit Dieser Sicht der Dinge wollte sich ins-
Platz machet… Wodurch auf solche Wei- besondere die katholische Kirche nicht
se durch dieTolerantz keineswegs der Lie- anschließen. In der „Encyclopädie der
be Gottes und des Nächsten zunahe ge- katholischen Theologie und Hilfswis-
treten wird…“ senschaften“ aus dem Jahr 1899 wird Les-
Soweit die Zedlersche Toleranzdefiniti- sings Nathan wie folgt apostrophiert:
on aus dem Jahre 1734, bei der Nicht- „Der religiöse Indifferentismus im wei-
christen vor der Tür blieben. Grundsätz- teren Sinne behauptet, ohne der allgemei-
lich ging es, wenn damals von Toleranz nen Skepsis zu huldigen, die Gleichwer-
die Rede war, ausschließlich um die inter- tigkeit der zahllosen Religionen. Dabei
konfessionelle Duldung. Nach Zedler ist werden alle unterschiedslos für gleich
diese Art von Duldung offenbar lediglich wahr oder als bloße Äußerungsformen
ein Übergangszustand bis zu dem Zeit- eines und desselben Naturinstinkts aus-
punkt der erfolgreichen Missionierung gegeben. Das Drama „Nathan der Wei-
Andersgläubiger. se“ von Lessing sowie manche religions-
Von Friedrich dem Großen ist uns aus philosophischen Werke von Max Müller
der gleichen Epoche folgendes Zitat über- stellen klassische Muster dieser mittleren

51
Form des Indifferentismus dar. Zu sei- ge Katholiken im religiösen Bereich an-
ner Widerlegung genügt die Bemerkung dere Vorstellungen für verbindlich hal-
daß die Gleichberechtigung aller Religio- ten als beispielsweise Freidenker. Weil von
nen schon an der inneren Unmöglich- ihnen nicht erwartet werden kann, daß
keit ihrer gleichen Wahrheit und Güte sie sich ihrer Kirche folgenreich wider-
scheitern muß. Gleiche Wahrheit kann setzen, muß diese Haltung toleriert wer-
ihnen deshalb nicht zukommen, weil sie den. Bisweilen entschloß sich auch die
nachAusweis der vergleichenden Religi- Obrigkeit, von sich aus auf dem Gebiet
onswissenschaften, statt bloße indifferen- großzügig gewährter Duldung ein Übri-
te Formen einer Urreligion darzustellen, ges zu tun. Aus der Geschichte kennen
sich vielmehr in feindlichsten Lehrsätzen wir dafür den Begriff „Toleranzedikt“. So
bewegen. „Die gleiche Encyclopädie de- ein Edikt wurde in aller Regel dann er-
finiert „Toleranz“ folgendermaßen: „To- lassen, wenn die Herrscher es für richtig
leranz im weiteren Sinne bedeutet die erachteten, bei der Behandlung religiö-
geduldige Ertragung eines beliebigen ser Minderheiten auf Diskriminierung
Übels, dem man nicht ausweichen kann oder Unterdrückung zu verzichten. Das
oder darf. Im engeren Sinne die Duldung erste Dokument dieser Art stammt aus
einer abweichenden religiösen Überzeu- frühchristlicher Zeit, als der römische
gung, die man innerlich weder billigt Kaiser Konstantin im Jahre 313 neben
noch mit Gleichmut betrachtet, äußer- anderen Glaubensbekenntnissen nun
lich aber durch Gegenmaßregeln auch auch den Christen die freie Religionsaus-
nicht hindert, vielmehr geflissentlich zu- übung gestattete. Aus der vorkonstanti-
läßt. Das wesentliche Merkmal der Tole- nischen Zeit ist uns ein besonderes Zeug-
ranz besteht darin, daß sie sich eigentlich nis christlicherToleranzvorstellungen be-
nur einem Übel gegenüber bestätigen kannt. In seinen „Divinae Institutiones“
kann, sei es ein physisches (z. B. Unwis- tritt Laktanz bereits vor diesem Edikt für
senheit) oder, wie es meistens der Fall ist, Humanität und Toleranz ein. Zwar kennt
ein moralisches (z. B. Sünde, Irrlehre) er nichts wichtigeres als die Religion, doch
denn wahrhafte Güter, wie Tugend und müsse sie geschützt werden, indem man
Wahrheit werden nicht einfach geduldet, stirbt, nicht indem man tötet – durch
sondern gebilligt, geschützt und geför- Geduld, nicht durch Grausamkeit, durch
dert.“ Die Encyclopädie widmet dem Glauben nicht durch Verbrechen. Wollt
Stichwort „Toleranz“ erstaunlicherweise Ihr die Religion durch Blutvergießen und
nahezu fünf engbedruckte Seiten. We- Qualen verteidigen, dann verteidigt ihr
sentlicher Grundsatz ist unter anderem, sie nicht, sondern besudelt und entehrt
daß dem Irrenden Toleranz gewährt wird, sie.“
nicht aber der Irrlehre. Diese Toleranzin- Bereits wenige Jahre nach dem Religi-
terpretation bedeutet, daß strenggläubi- onsedikt des Kaisers Konstantin wurde

52
das Christentum zur Staatsreligion, das wobei hier allerdings noch ergänzend auf
nun die anderen – mit dem Makel des das Toleranzedikt von Joseph II. von
Heidentums belasteten – Gottesvorstel- Österreich verwiesen wird. In beiden
lungen verdrängte. Die Dominanz des Fällen wird auch auf die in der Technik
katholisch geprägten Christentums en- übliche Toleranzdefinition eingegangen.
dete erst mit der Reformation im 16. Jahr- Danach werden zulässigeAbweichungen
hundert. Aber erst nach dem 30-jähri- von vorgeschriebenen Abweichungen
gen Krieg wurde es üblich, die freie Reli- ebenfalls als Toleranz bzw. Toleranzen
gionsausübung staatlicherseits zuzusi- bezeichnet.
chern. Die neue obrigkeitliche Religions- Im Jahre 1978 dann finden wir in Mey-
toleranz verpflichtete nun den Staat und ers enzyklopädischem Lexikon die wohl
seine Bürger, ohne daß diese die Entschei- weitgehendste Begriffserklärung:
dung selbst beeinflussen konnten. Der „Toleranz: eth.-soziale, religiöse sowie
Herrscher seinerseits übte diese Form von politische und rechtliche Handlungsre-
Toleranz im wesentlichen dann, wenn gel für das Geltenlassen eth.-sozialer, po-
– Größe, Macht und Bedeutung entspre- litischer wissenschaftl.-philosophischer
chender Gruppierungen eine solche Überzeugungen, Werte und Wertesyste-
Maßnahme geraten erscheinen ließen, me, sowie der ihnen entsprechenden
– Ruhe und Ordnung andernfalls bedroht Handlungen anderer; im engeren Sin-
schienen, ne die Duldsamkeit gegenüber (religiö-
– wirtschaftliche oder politische Grün- sen) Glaubensüberzeugungen anderer in
de für derartige Maßnahme sprachen. Staat und Gesellschaft. Wer diese allum-
Humanitäre Erwägungen im heutigen fassende Erklärung zur Kenntnis nimmt,
Sinne spielten dabei eine untergeordnete erfährt, daß nun neben dem Geltenlassen
Rolle, wenngleich die entspannende und von Auffassungen und Meinungen jetzt
versöhnliche Geste sicherlich von vielen auch die entsprechenden Handlungen in
Bürgern, auch des jeweilig anderen Glau- das zeitgeistorientierte Toleranzdenken
bens begrüßt wurde. eingeschlossen werden.
Auch im 18. und 19. Jahrhundert wur- Die Totalität dieser Definition läßt jetzt
de, wenn von Toleranz die Rede war, le- allerdings nun den Toleranzbegriff der
diglich an die Beziehungen zwischen den Beliebigkeit und Unverbindlichkeit an-
vorwiegend christlich geprägten Religi- heimfallen, denn wer alles will, wird letzt-
onsvarianten gedacht. lich überhaupt nichts erreichen. Überdies
Interessanterweise wird auch noch im kann eine derart weit gefaßte Verhal-
Brockhaus des Jahres 1934 der Toleranz- tensnorm dazu führen, daß jegliche Wer-
begriff überwiegend religiös definiert. Das tepriorität im unendlichen Meer gleich-
Gleiche gilt für ein 1953 in der damali- bewerteter Auffassungen verloren geht.
gen Sowjetzone erschienenes Lexikon, Ein Staat, der eine derartige Toleranzvor-

53
stellung zur Maxime macht, wird, was die unselige Geist des Marcuse lebt weiter.
Gestaltung der Gesellschaft anbelangt, So konnten Spiegelleser der Ausgabe 5/
diese dem Zufall einer durch nichts be- 94 unter der Überschrift „Ekelhafte Wirk-
einflußbaren Entwicklung überlassen lichkeit“ nachlesen, daß in unserem Land
müssen, was in der Realität dem Verzicht Autorenlesungen, Theater und Kinovor-
auf jeglichen gesellschaftlichen Gestal- stellungen, insbesondere aber politische
tungswillen des Staates gleichzusetzen ist. Veranstaltungen konservativer, rechter,
Die sogenannte Frankfurter Schule hat aber auch vermeintlich rechter Richtun-
sich – wie könnte es auch anders sein – gen, niedergeschrien und gesprengt wer-
ebenfalls mit dem Toleranzbegriff ausein- den. Da gibt’s denn „auch schon mal was
andergesetzt. Nun sind, wie die Überset- in die Fresse“, wie sich die Vertreter des
zung des ursprünglich griechischen Wor- repressiven Toleranzgedankens auszu-
tes unschwer erkennen läßt, Philosophen drücken pflegen. Der Spiegel nennt dann
Freunde der Weisheit. Dem 20. Jahrhun- eine Reihe von Beispielen alltäglich prak-
dert blieb es vorbehalten, mit Herbert tizierter Gewalt, die erschreckend sind.
Marcuse einen Weisheitsfreund hervor- Festzustellen bleibt lediglich, daß das
gebracht zu haben, dem es gelungen ist, grundgesetzlich gesicherte Recht auf freie
mit dem Begriff der „repressiven Tole- Meinungsäußerung, aber auch das eben-
ranz“ einen Toleranzbegriff eigener Qua- falls durch das Grundgesetz manifestier-
lität ins Leben gerufen zu haben. Der te Recht auf freien Informationszugang
Erfinder dieses seltsamenToleranzbegriffs durch brutale und Terror ausübende Min-
kommt geistig aus einer Welt, die wir mit derheiten beschädigt wird. Kein Staat, der
dem Zusammenbruch kommunistischer sich so etwas bieten läßt, kann dauerhaft
Regime hoffentlich für immer überwun- Bestand haben. Der Aufruf zur repressi-
den haben. Marcuse rief seine damals ven Toleranz ist darum gleichbedeutend
noch jungen Zuhörer zu „Verstössen ge- mit dem Aufruf, bestehende Verhältnis-
gen den Konsens der Duldsamkeit und se mit Gewalt zu ändern. Ein solches
des Einverstandenen“ auf. Seine These: Denken zeigt aber auch, daß man sogar
„lieber engagierte Wut, als dieses ent- den Toleranzbegriff soweit pervertieren
spannte Hinnehmen“ führte dann sehr kann, daß am Ende die nackte Gewalt
bald zu der Frage, ob Gewalt überhaupt steht. Wer sich mit der Toleranzproble-
oder nur Gewalt gegen Sachen, mögli- matik befaßt, wird sich zwangsläufig auch
cherweise aber auch Gewalt gegen Men- mit den Bereichen des täglichen Lebens
schen angewendet werden dürfe, wenn auseinandersetzen müssen, in denen das
es um den Kampf gegen den Imperialis- ungeliebte Andere uns zur Reaktion her-
mus und deren Befürworter geht. Inzwi- ausfordert. Dabei handelt es sich um die
schen sind die kommunistischen Gewalt- vielen kleinen und größeren Anlässe, die
systeme in Europa überwunden, aber der wir als Störungen unserer Befindlichkeit

54
erleben. Wie und ob wir hier korrigie- geraten ist. Denn es behandelt eine Grund-
rend eingreifen, kann entscheidend da- satzfrage, die jeden derToleranz übt oder
für sein, in welchem menschlichen Kli- zur Toleranz gedrängt wird, beschäftigen
ma wir leben. Daß Toleranz oder besser muß. Wann wird Toleranz zur Dumm-
Duldung eine sehr problematische An- heit oder gar Feigheit?
gelegenheit sein kann, zeigt uns Max Was diesen seltsamen Biedermann be-
Frisch in seinem, zunächst als Hörspiel trifft, so hat er sich überwunden und den
konzipierten, Theaterstück „Biedermann Mann mit völlig anderer Lebensart und
und die Brandstifter“. Die Geschichte ist Bildung toleriert. Für ihn spricht, daß er
schnell erzählt: die Eskalation des Bösen nicht vorherse-
Ein Mann, eben der Biedermann, wird hen konnte. Durch seine Untätigkeit und
eines Abends durch einen ungepflegt aus- Gutgläubigkeit hat er sich jedoch nach
sehenden, ordinären Kerl gestört, der ihn Meinung des Autors schuldig gemacht.
bittet, wegen des strömenden Regens ei- Tatsächlich ist die Gefahr, daß Toleranz
nen kurzen Moment unterstehen zu dür- als Nachgiebigkeit und Dummheit miß-
fen. Ihm wird dann nicht nur ein kurzer verstanden wird, immer gegeben. Wir alle
Aufenthalt gewährt, sondern auch noch kennen den Spruch, daß wer den klei-
ein reichhaltiges Abendbrot serviert. Er nen Finger gibt, sehr bald die ganze Hand
bleibt sogar noch zur Nacht und auch an reichen muß. Kommen wir nun zu unse-
den folgenden Tagen. Der tolerante Bie- rer Gegenwart: Kriege, Fundamentalis-
dermann überwindet seine natürliche Ab- mus, Terrorismus weltweit. Bei uns eine
neigung und nimmt auch noch die Freun- ausufernde Kriminalität, Gewalt auf den
de des Eindringlings auf, die Gewehre und Straßen und in der Schule, Drogenpro-
sonstige Waffen mitbringen. Der Bieder- bleme, Massenarbeitslosigkeit, Staatsver-
mann versäumt den rechten Zeitpunkt, drossenheit, Politikerkorruption und ho-
dem ganzen Spuk ein Ende zu machen he Staatsverschuldung. Täglich wird un-
und muß letztlich sogar dulden, daß Ka- sere Toleranzbereitschaft auf eine harte
nister mit brennbarem Material eingela- Probe gestellt. Um Verhältnisse zu schaf-
gert werden. Zum Schluß brennt das Haus fen, die unsere unmittelbare Welt lebens-
und die ganze Stadt nieder. Die Brand- wert erhalten ist ein Minimalkonsens er-
stifter ziehen weiter und beginnen woan- forderlich. Ein Minimum also an Über-
ders das gleiche Spiel. Das Stück wurde einstimmung, Solidarität mit den Mit-
nach dem Kriege auf nahezu allen Büh- menschen und Loyalität zum Staat, die
nen aufgeführt. In seiner offensichtlich Bereitschaft, notfalls auch etwas für den
bewußt angelegten Vordergründigkeit war Staat zu opfern und zu begreifen, daß wer
es wohl vom Autor eigens für die Nach- nehmen will auch geben muß. Daß man
kriegsdeutschen verfaßt worden. Seltsam dem anderen nicht zufügt, was man selbst
nur, daß es inzwischen in Vergessenheit nicht erdulden möchte. Respekt vor dem

55
anderen, seiner Unverletzlichkeit und vor blik sowie das Verhältnis der Bundesre-
seinem Eigentum gehören dazu. Und publik zum vorangegangenen Dritten
eben auch Toleranz. Sie ist ebenso un- Reich. Und jedesmal vollzogen Staat,
verzichtbar wie die anderen hier genann- Kirche und Parteien zusammen mit der
ten Verhaltensweisen. Diese werden veröffentlichten Meinung die jeweiligen
durch die Duldung des anderen und sei- Gesinnungsschwenks des Zeitgeistes.
nes Andersseins auf besondere Weise ver- Uneingeschränkt und total. Ob in jedem
vollkommnet. Doch Toleranz ist eine sehr Fall zu Recht oder zu Unrecht sei hier
persönliche, aber auch freiwillige Lei- dahingestellt. Stets aber wurde auch dem
stung. Darum kann es eine obrigkeitlich Untertan genauestens verdeutlicht, was
verordnete Toleranz nicht geben. Wer es er zu dulden und was er nicht zu erdul-
unternimmt, Toleranzverhalten und To- den hat. Sicher – jedes Land hat sein Ge-
leranzgrenzen normativ zu fixieren, setzt nerationsproblem aber kaum ein Land in
sich damit über die sehr individuellen der Welt hat eine derartig hohe Zahl völ-
Leidensgrenzen des einzelnen Menschen lig unterschiedlich geprägter Menschen
hinweg, was einer wesentlichen Beschrän- wie Deutschland. Wie die gegenwärtige
kung seiner Freiheit und Würde gleich- Epoche von späteren Generationen be-
kommt. Zu verlangen, daß Bürger eines urteilt werden wird, hängt von Randbe-
Landes die durch ihren Kulturraum ge- dingungen und Entwicklungen ab, die
prägten Vorstellungen zugunsten von heute noch nicht absehbar sind. Nach
Denk und Verhaltensmustern hintanstel- den Erfahrungen der Vergangenheit
len, die eigenen tradierten Normen und scheint eine erneut negative Beurteilung
Werten konträr entgegenstehen, bedeu- nicht ganz auszuschließen zu sein. Eines
tet schwerwiegenden Konflikten den Weg jedoch dürfte unbestritten sein: Die un-
zu bereiten. Betrachten wir die sehr un- terschiedlich geprägten Generationen un-
terschiedlichen Epochen der letzten hun- seres Landes weisen ebenso unterschie-
dert Jahre, so gab es in diesen Jahrzehn- dliche Toleranzgrenzen und Duldungs-
ten mehrfach tiefgreifende Änderungen verhalten auf. Das sollte alle vorsichtig
des Zeitgeistes. Die retrospektive Beur- machen, die aus falschem Harmoniebe-
teilung der jeweils vorangegangenen Zeit- dürfnis, Vereinheitlichungen des Zustim-
spanne führte regelmäßig zu einem um- mungs- und Ablehnungsverhaltens an-
fassenden Ablehnungsverhalten verbun- streben. Wer allerdings den Versuch un-
den mit ideologisch überhöhten Gegen- ternehmen sollte, Toleranzwerte für alle
steuerungen. Die hieraus resultierende verbindlich zu machen, pervertiert die
und öffentlich geförderte Meinungsbil- Toleranz zur Toleranzdiktatur. Das wäre
dung kennzeichnet das Verhältnis der dann eine Diktatur wie jede andere auch.
Weimarer Republik zum Kaiserreich, das Denn die verbindliche Vorgabe eines be-
des Dritten Reichs zur Weimarer Repu- stimmten Toleranzverhaltens ist ohne

56
Androhung von Sanktionen nun einmal auf eine Fülle schwieriger Fragen stößt.
nicht durchsetzbar. So kann schlußend- Letztlich aber bleibt es jedem einzelnen
lich eine obrigkeitlich verordnete Ver- überlassen, wie er sich mit dem Thema
pflichtung zurToleranz die Förderung der Toleranz auseinandersetzt und wo er sei-
Intoleranz zur Folge haben. Darüber recht- ne sehr persönlichen Grenzen der Tole-
zeitig nachzudenken, kann spätere Ent- ranz sieht.
täuschungen vermeiden helfen. Wie aber nun steht es mit der soge-
Fassen wir zusammen:Toleranz ist ein- nannten freimaurerischenToleranz? Oder
zelfallorientiert. Niemand auf dieser Welt anders gefragt: Gibt es eine spezifische
kann von sich behaupten, daß er alles, freimaurerischeToleranz, die sich von den
wirklich alles, toleriert. Andererseits gibt anderen Toleranzvorstellungen generell
es kaum jemanden, der absolut nichts zu und substanziell unterscheidet? Die Ant-
dulden bereit ist. Zweitens ist Toleranz wort darauf kann nach Lage der Dinge
eine freiwillige und auf Grund persönli- nur lauten: Nein, eine eigene freimaure-
cher Einstellung entstandende Haltung. rische Toleranz gibt es nicht und kann es
Wer Toleranz erzwingt oder zu erzwin- nach unserem Selbstverständnis wohl
gen versucht, verstößt damit fundamen- auch nicht geben. Denn wie bereits aus-
tal gegen die Toleranzidee. Neben der geführt, sind die Leidensgrenzen und da-
individuellen auf freier Entscheidung mit die Vorstellungen darüber, was noch
beruhenden Toleranz, gibt es die soge- und was nicht mehr toleriert werden
nannte obrigkeitliche Toleranz, wie sie kann, außerordentlich unterschiedlich.
beispielsweise durch Toleranzedikte von Dies gilt für alle Menschen gleicherma-
Fürsten verordnet wurde. Dem Unterta- ßen, ob sie nun Freimaurer sind oder
nen wird diese Form von Duldung ge- nicht. Andererseits würde die Festlegung
setzlich verordnet. Der Bürger muß die- auf ein für alle Freimaurer verbindlich
ses Edikt akzeptieren, weil es Gesetzes- vorgegebenes maurerischesToleranzver-
kraft hat. Wenn er sich an dieses Edikt halten die freie Willensentscheidung des
hält, ist er keineswegs tolerant, sondern Einzelnen in unangemessener Weise be-
nur ein gesetzestreuer Bürger. Daraus ist schränken. Noch mehr: Eine derartige
einmal mehr ersichtlich, daß es zur Tole- Forderung wäre ein eklatanter Verstoß
ranz der freien Entscheidung des Ein- gegen das, was wir unter Toleranz verste-
zelnen bedarf. Drittens ist ein Mensch hen, nämlich jedem seine eigene Mei-
nicht intolerant, wenn er bestimmte Er- nung und Auffassung auch dann unein-
scheinungen nicht zu tolerieren vermag. geschränkt zuzugestehen, wenn wir eine
Dafür wird er auf einem anderem Ge- andere Einstellung für richtig oder rich-
biet möglicherweise die Toleranz zeigen, tiger halten. Aus diesem Grunde war es
die andere vermissen lassen. Wir sehen auch nicht erforderlich, gesondert auf das
also, daß, wer sich mit Toleranz befaßt, einzugehen, was unter freimaurerischer

57
Toleranz möglicherweise verstanden wer- nach ist der Maurer verpflichtet, dem Sit-
den könnte. Denn eine freimaurerische tengesetz zu gehorchen. Weiter heißt es
Toleranz gibt es ebenso wenig wie eine dann: „Und wenn er die Kunst recht ver-
spezifische freimaurerische Liebe, Freiheit steht, wird er weder ein engstirniger Got-
oder Nächstenliebe. Alle diese Begriffe tesleugner, noch ein bindungsloser Frei-
entziehen sich einer Zuordnung zu be- geist sein.“ Im nächsten Absatz folgt dann
stimmten Sozietäten oder Gruppierun- dieAussage: „Heute hält man es für ratsa-
gen. Und darin liegt auch ihr eigentli- mer, sie nur zu der Religion zu verpflich-
cher Wert. Oder schlicht und allgemein ten, in der alle Menschen übereinstimmen,
verständlich formuliert: Jeder Versuch, und jedem seine besonderen Überzeugun-
ein bestimmtes Toleranzverhalten ver- gen selbst zu belassen.“ DieseAussage ist
bindlich vorgeben zu wollen, ist bereits aus den religiösen Auseinandersetzungen
einVerstoß gegen den Toleranzgedanken. des 17. Jahrhunderts in England zu ver-
Auf der anderen Seite steht die maureri- stehen. Gemeint waren dabei lediglich die
sche Selbstverpflichtung, Toleranz, Brü- christlichen Konfessionen auf der Insel.Als
derlichkeit und Nächstenliebe zu üben die „Alten Pflichten“ formuliert wurden,
und auszuüben. Jeder Freimaurer ver- war jedoch der religiöse Friede bereits wie-
sucht darum, dieser maurerischen Grund- der hergestellt. Darum der zeitliche Be-
forderung auf seine Weise gerecht zu wer- zug: „Heute jedoch hält man es für ratsa-
den. Wie und in welchem Umfang und mer…“. Das heißt, daß diese Form der
auf welchen Gebieten er seine Toleranz- Toleranz bereits Teil des staatlich geregel-
vorstellungen verwirklicht, bleibt letztlich ten Konsenses war.
ihm überlassen.Als guter Freimaurer wird Man verpflichtete die Maurer also auf
er wissen, welchen Mindestanforderun- eine Verhaltensweise, die bereits verord-
gen er entsprechen muß, um als Freimau- netes Recht war. Auch in den folgenden
rer bestehen zu können. UnsereAufgabe Abschnitten geht es um den Umgang mit
sehen wir darin, durch beispielhaftesVer- den Gesetzen und das Verhalten gegen-
halten den Mitbruder davon zu überzeu- über denen, die als Maurer mit dem Ge-
gen, daß tolerantes Denken und Handeln setz in Konflikt geraten. Wer also in den
unsere Welt lebenswerter gestalten kann. „Alten Pflichten“ einen Hinweis auf eine
Wenn es gelingt, die individuellen Tole- spezifische maurerische Toleranz sucht,
ranzgrenzen des Einzelnen ein Stück zu muß nach Lage der Dinge enttäuscht
erweitern, betrachten wir dies als Erfolg. werden. Was aber bleibt, ist die Forde-
Die „Alten Pflichten“ von 1723, die rung an alle Freimaurer, sich in besonde-
auch heute noch für alle Freimaurer ver- rem Maße dem Gedanken der Toleranz
bindlich sind, behandeln das Toleranz- verpflichtet zu fühlen und diese Haltung
thema im erstenAbschnitt unter der Über- als maurerischenAuftrag zu betrachten.
schrift „Von Gott und der Religion“. Da-

58
er es formulierte. Am 1. Dezember 1929
Oskar R. Schlag: trat er eine Stelle als Philatelist in der
sein Leben und seine Bibliothek Luzerner Briefmarkengrosshandlung
Géza Sekula an. Doch schon zehn Mo-
O skar Rudolf Schlag wurde am 22.
März 1907 als Sohn des Kinobesitzers Xa-
nate später kündigte er, um sich wissen-
schaftlichen Gebieten zuzuwenden. Schlag
ver Schlag und der Louise Schlag, geb. zog nach Zürich und arbeitete zunächst
Hartan im niederbayerischen Osterhofen für den Unternehmer Strohhofer, wobei
geboren. Während seiner Taufe geschah er sich wieder für spiritistische Experi-
bereits Aussergewöhnliches: Der Pfarrer mente zur Verfügung stellen musste.
liess den kleinen Oskar vor Schreck ins Wahrscheinlich durch Vermittlung von
Taufbecken fallen, weil sein Messgewand Schrenk-Notzing kam er in Zürich mit
durch eine Kerze, die ein Ministrant un- dem esoterischen Kreis um Carl Gustav
geschickt hielt, in Brand geriet. Noch oft Jung (1875–1961), Eugen Bleuler (1857–
in seinem Leben sollte Oskar Schlag durch 1939) und Rudolf Bernoulli (1880–
das Element Wasser bedroht werden und 1948) in Kontakt. Später stiess unter an-
jedesmal beinahe ertrinken. Dennoch hör- deren noch der bekannte Graphologe
te er nie auf, das Wasser zu lieben. Max Pulver (1889–1952) zur Gruppe,
Als er drei Jahre alt war, zogen seine der in Schlag grosses Interesse für die Gra-
Eltern mit ihm und seinen neun Ge- phologie wecken konnte.
schwistern nach Landshut in Bayern. Im Herbst 1930 fanden die ersten Sé-
Dort besuchte er die Volks- und Real- ancen statt, in denen die Gruppe Unter-
schule. Infolge von Krieg und Inflation weisungen eines sogenannten Wesens von
verarmte seine Familie, und Oskar konn- „hoher geistiger Reife“ erhielt, das sich
te deshalb die Oberrealschule nicht re- selbst „Atma“ nannte. In den folgenden
gulär beenden. Er beschloss, seine Fami- vier Jahren schrumpfte der esoterische
lie finanziell zu unterstützen, und eröff- Kreis merklich zusammen; nur noch der
nete ein eigenes Briefmarkengeschäft. In bekannte Mäzen Fritz Allemann, das
dieser Zeit wuchs sein Interesse an Eso- Ehepaar Bernoulli und Oskar Schlag als
terik. 1927 wurde der Parapsychologe Medium nahmen daran teil. Diese Sit-
Albert Freiherr von Schrenk-Notzing zungen wurden über mehrere Jahrzehn-
(1862–1929) auf ihn aufmerksam. Die- te fortgesetzt. Fritz Allemann war es auch,
ser konnte ihn für spiritistische Experi- der Oskar Schlag das Studium der Gra-
mente gewinnen, die schnell für Aufse- phologie bei Max Pulver und die Ausbil-
hen sorgten. Schlag galt als das Jahrhun- dung zum Psychologen bei Oscar Pfister
dert-Medium von Landshut. ermöglichte. Von 1937 an arbeitete Schlag
Einige Jahre später verspürte Schlag den als wissenschaftlicher Graphologe und
Wunsch, ein „Stück Welt“ zu sehen, wie hielt Vorlesungen am C. G. Jung-Institut

59
Schlag war Mitbegründer der Schwei- rem viele wertvolle Werke, mit denen, er
zer Parapsychologischen Gesellschaft und sich intensiv beschäftigte. Sein Hauptin-
Mitglied der Hermetischen Gesellschaft. teresse galt der Esoterik und Grapholo-
Mit 41 Jahren begann er, sich auch der gie. Schlag hegte keine bibliophilen In-
Freimaurerei zuzuwenden. Am 5.Dezem- teressen. Er sammelte seine Literatur nach
ber 1948 wurde er in die Loge Sapere inhaltlichen Kriterien, was den zum Teil
Aude von Zürich aufgenommen. Ein Jahr äusserst schlechten Zustand der Bücher
später reiste er in die Vereinigten Staa- erklärt. Bei der Auswahl war er oft sehr
ten; zuerst lebte er in New York, dann unkritisch. So findet sich, das muss man
zog er nach Kalifornien. In NewYork liess schon auch festhalten, nebenWertvollem
er sich in die Ludwig Uhland Lodge Nr. recht viel Ramsch.
735 einweihen, bald darauf wurde er zum Die Freimaurerliteratur bildet anzahl-
Gesellen befördert und 1950 zum Mei- mässig nur einen kleinen, dafür aber
ster erhoben. Oskar Schlag war auch wichtigen Teil der Bibliothek. Schwer-
Mitglied des berühmten Hochgradsy- punkte sind Magie, Mantik, esoterische
stems des Ancient and Accepted Scottish Belletristik, Alchemie sowie Symbolik.
Rite in New York. Er blieb bis zu seinem Des Weiteren sammelte Schlag Literatur
Tod am 29. November 1990 in allen drei um den Golden Dawn, zu Aleister Crow-
Logen tätig. ley und zur neuen Theosophie und de-
Laut Helmut Gareus, Meister vom Stuhl ren Umfeld. Aus dem Gebiet der Alche-
der Loge Sapere Aude, verfügte Schlag mie sind viele, auch alte, oft illustrierte
über „ausserordentliche Fähigkeiten und Werke vorhanden – eine wichtige Quel-
ein fundamentales Wissen in allen gei- lensammlung zur alchemistischen Ikono-
steswissenschaftlichen Belangen“. Ob- graphie. Disziplinen wie Religionswissen-
wohl Schlag oft von Krankheit und sei- schaft und Psychologie, die für die Er-
ner eigenen Ungeduld geschwächt wur- forschung der Esoterik von Bedeutung
de, widmete er sein ganzes Leben esote- sind, hat er ebenfalls gepflegt. Erwähnens-
rischen Lehren. Mit seinen graphologi- wert ist eine Vielzahl von Publikationen,
schen Gutachten und psychoanalytischen oft in hektographierter Form, die nie in
Kenntnissen versuchte er, vielen Men- den Handel gelangte. Schlag hat sie dank
schen zu helfen. seiner Beziehungen zu diversen Logen
erhalten.
Charakterisierung der Bibliothek Schlag Ein besonderer Schwerpunkt bildet die
Zeitschriftensammlung; sie umfasst etwa
Schon als Zwanzigjähriger wurde O. 517 Titel und gilt als bemerkenswert.
Schlag von Büchern stark angezogen. Auf Viele dieser Periodika besitzen Selten-
seinen zahlreichen Reisen durchstöberte heitswert: als Beispiel aus dem 19. Jahr-
er Antiquariate und erstand unter ande- hundert sei die Zeitschrift Luzifer mit

60
ihrem speziell illustrierten Einband ge- Insgesamt mussten etwa 26.000 Titel
nannt. Sie wurde ab 1888 u. a. von H. P. katalogisiert werden. Davon stammen
Blavatsky, der Begründerin der moder- ungefähr 500 Werke aus dem 15. bis 18.
nen theosophischen Bewegung, heraus- Jahrhundert.
gegeben. Auch inzwischen sehr gesuchte Die Bibliothek Schlag zählt neben den-
Zeitschriften des 20. Jahrhunderts, wie jenigen von Manly P. Hall (Kalifornien)
Hain der Isis (1927–) und Merlin, von und J. R. Ritman (Amsterdam) zu den
der nur gerade drei Hefte erschienen sind, umfangreichsten bekannten Privatsamm-
befinden sich in der Bibliothek. lungen.

Gerhard Wehr on, eine kritische Beleuchtung des Werks


von C. G. Jung in seiner Haltung ange-
Almuth u. Werner Huth: sichts der beiden geistigen Hemisphären,
Praxis der Meditation nicht zuletzt im Aufweis der Konsequen-
(256 Seiten, Kösel, München 2000) zen, die sich aus einer Begegnung zwi-
schen Meditation und Psychotherapie er-
W enn zwei namhafte Nervenärzte und geben.
Psychoanalytiker, die als kompetente Me- Zu einem Teil ist der Buchtitel durch-
ditationslehrer ausgewiesen sind, als aus gerechtfertigt, insofern eingangs auf
Frucht einer jahrzehntelangen Bemü- den Kern der Meditation angesichts der
hung ein Meditationsbuch herausgeben, Vielfalt ihrer Erscheinungsformen hin
dann darf ihr Werk besondere Aufmerk- gewiesen und der Charakter jener Seins-
samkeit beanspruchen, insbesondere, erfahrungen beispielhaft aufgezeigt wird,
wenn sie, wie im Fall des Münchener die grundsätzlich, wenngleich in unter-
Ehepaares Huth, mit der westlichen wie schiedlicher Intensität in einem jeden
in der östlichen Geisteswelt (u. a. Zen) Menschenleben auftauchen. Daran
gründlich vertraut sind. Der Buchtitel knüpfen die Praxisanweisungen für das
entspricht freilich eher einer Untertrei- gegenständliche Meditieren wie für das
bung, die der buchhändlerischen Erwar- nichtgegenständliche Kontemplieren an.
tung des Verlegers zu dienen sucht. Es Hierbei handelt es sich um eine Ergän-
ist der reiche, an die Dimensionen der zung dessen, was die beiden Autoren in
westlich-östlichen Spiritualität heranfüh- ihrem wiederholt aufgelegten Handbuch
rende Gehalt, der es verdient, der Leser- der Meditation (München 1990) bereits
schaft von GNOSTIKA vorgestellt zu wer- behandelt haben, und zwar bis hin zur
den: u. a. die Bearbeitung der Chakren, Erleuchtungserfahrung, zur Initiation als
die Einschätzung der Rolle des Meisters, einem zentralen Phänomen der Medita-
die Einführung ins Wesen der Initiati- tion, nicht zuletzt einschließlich der lan-

61
gezeit viel zu wenig beachteten Schwie- tive Weltflucht‘ für einzelne Fälle zutref-
rigkeiten, die als „spirituelle Krisen“ im fen, verfehlt aber völlig das Wesen der
meditativen Vollzug auftauchen können. Sache. Er verwechselt eine zeitweilig ge-
Insofern bilden beide Werke in Fortfüh- wollte Abkehr von der Welt mit einer
rung und Vertiefung eine organische Ein- phobischen Flucht, übersieht aber dabei
heit. Was die besondere Note des hier sowohl das Interesse an der Naturwirk-
anzuzeigenden Bandes anlangt, so wird lichkeit als vor allem auch die großen so-
sie bereits durch drei Leitworte intoniert: zialen Errungenschaften, die wir den
durch ein psychologisches, in dem C.G. Mystikern in Ost und West verdanken.
Jung sagt, es komme nicht darauf an „an- Beides findet sich von den Zeiten des
deres“ zu sehen, sondern qualitativ „an- Frühbuddhismus und die christliche Klo-
ders“ sehen zu lernen. Das zweite Zitat sterkultur bis in die Gegenwart“ (S. 104).
entstammt der christlichen Tradition, Die beiden Autoren führen als markante
nämlich der aus dem späten Mittelalter Beispiele für diese Geistes- und Lebens-
stammenden „Theologia Deutsch“ (An- haltung recht unterschiedlich geprägte
dechs 1989), einer Grundschrift der Menschen an, etwa Hildegard von Bin-
nacheckhartschen deutschen Mystik, die gen und Franz von Assisi, über Nikolaus
Martin Luther 1516 und 1518 erstmals von Kues bis zu führenden Physikern
herausgegeben hat. Das dritte Leitwort unserer Zeit, „die insgeheim Mystiker
ist buddhistischen Zusammenhängen waren“. Daneben stehen Beispielgestal-
entnommen. Alle diese Textabschnitte ten der älteren wie der neueren Religions-
werfen auf Wesen und Vollzug der Me- und Geistesgeschichte, unter ihnen Be-
ditation ein erhellendes Licht. Und es nedikt von Nursia, Sri Aurobindo, Ru-
entspricht dem ganzheitlichen Ansatz, dolf Steiner, sowie Dag Hammarskjöld.
der durch das gesamte Werk von Almuth Die Liste ließe sich unschwer erweitern.
und Werner Huth hindurch bezeugt ist, Was die spirituelle Meisterschaft an-
wenn die Zusammengehörigkeit von spi- langt, so wird an die vielfältigen Defizite
ritueller Innerlichkeit und aktiver Wirk- im westlichen Denken sowie in der kirch-
samkeit betont wird, bei der es darum lichen Religiosität im Gegenüber zu öst-
geht,, das „innen“ Empfangene nicht lichen Geisteshaltungen erinnert. Das
etwa egoistisch für sich zu behalten, son- geschieht in Übereinstimmung einerseits
dern es bis in die soziale und ökologisch- mit C.F. von Weizsäcker, andererseits mit
weltverantwortliche Tat umzusetzen. D. T. Suzuki. Gleichzeitig betonen die
Damit ist einem selbstgenügsamen, dazu Autoren die Zusammengehörigkeit von
einseitigen Spiritualismus eine deutliche Herzensweisheit und Verstandesdenken.
Absage erteilt. Das bewahrt vor der fälschlichen Unter-
„Daher mag der von dem Soziologen stellung, man könne nach Art spirituali-
Max Weber geprägte Begriff ‚kontempla- stischer Schwärmer im New Age auf die

62
Pflege der Verstandesklarheit verzichten, ren verzichtete, deren Erfahrungen und
wenn man einen inneren Weg beschrei- Eigenwert er gering zu schätzen schien,
tet, auf dem ein Erfahrener – eine be- steht auf einem anderen Blatt. So ist es
grenzte Zeit lang – beisteht. verständlich, wenn A. und W. Huth fest-
In der Auseinandersetzung mit Person stellen:
und Werk C. G. Jungs erkennen A. und „Jungs Haltung und die seiner Vorgän-
W. Huth dessen wichtige Rolle in der ger reicht in unserer immer mehr zusam-
Vermittlung westlicher wie östlicher Gei- menwachsenden Welt für einen zukünf-
stesart voll an, markieren jedoch Jungs tigen Umgang mit dem Osten einfach
Korrektur- bzw. Ergänzungsbedürftigkeit nicht mehr aus…“ (S. 213).
dort, wo er den Eindruck erweckt, „die Erhellend ist – abgesehen von weite-
östliche Haltung (verletzt) die speziell ren, hier nicht zu referierenden Aspek-
christlichen Werte“ – eine eigenartige ten –, was zur Verhältnisbestimmung von
Akzentuierung, die wohl im Kontext sei- Meditation und Psychotherapie dargelegt
ner generellen Intentionen zu interpre- wird. Aufgeführt sind eine Reihe augen-
tieren sein dürfte. Wenn Jung beispiels- fälliger Gemeinsamkeiten, die zwischen
weise in seiner Gedächtnisrede auf Ri- dem psychoanalytischen und dem me-
chard Wilhelm (1930) gewisse Zeitgenos- ditativen Weg bestehen. Gewarnt wird
sen mit „heimatlosen Seeräubern“ ver- jedoch vor einer „überstürzten Ehe“, bzw.
glich, „die sich an fremden Küsten die- einer kurzschlüssigen Vermengung bei-
bisch niederlassen“ und sich östliches der, zumal Zielsetzung und Methodik bei
Geistesgut in Unkenntnis der eigenen diesen Disziplinen einer Nivellierung wi-
spirituellen Tradition leichtfertig aneig- derstehen und an den Schamanismus er-
nen, wollte er jene treffen, die das vom innernde Praktiken dieser Art einer Re-
Osten her Begegnende „blindlings nach- gression in prärationale Bewusstseinszu-
ahmen“. Dem geistigen Europa sei mit stände entsprächen.
einer bloßen Sensation nicht geholfen. Insgesamt liegt uns mit dieser „Praxis
„Wir müssen vielmehr lernen zu erwer- der Meditation“ ein Werk vor, das aktu-
ben, um zu besitzen …“ Man könnte als ellen Erkenntnisansprüchen genügt, so-
Beleg hierbei auf psychopathologische wohl hinsichtlich eines zuverlässigen
Phänomene verweisen, die bei Dornacher Geleites auf dem Weg der individuellen
Steiner-Anhängern auftraten und über Selbst-Verwirklichung, wie auf dem der
die er gut Bescheid wusste, oder an gewis- west-östlichen Begegnung, bei der es ent-
se Asconeser Zirkel, ehe dort (ab 1933) scheidend darauf ankommt, dass der je-
die von Jung mitgestalteten Eranos-Ta- weils Begegnende in seinen eigenen Wur-
gungen stattfanden. Dass er selbst wäh- zeln gefestigt ist. Echter Dialog kann nur
ren seiner eigentümlichen Indienfahrt auf von Erfahrung zu Erfahrung geschehen.
die Begegnung mit spirituellen Leitfigu-

63
GNOSTIKA
TEIL II

A US DEM A RCHIV
Die Wiedergabe von Material aus unserem Archiv hat den Sinn, interessante, sonst
kaum zugängliche Quellentexte zu erschließen. Unser Ziel ist es, einen aufklärerisch-
wissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung einer anderen Geistesgeschichte und -traditi-
on zu leisten. Dazu gehören auch solche Bereiche, die normalerweise nicht oder kaum
wissenschaftlich berücksichtigt und bearbeitet werden, also: Alchemie, Magie, Okkul-
tismus, Geheimgesellschaften usw. Die hier abgedruckten Beiträge verstehen sich als
Hilfestellung und Möglichkeit, beide Seiten unserer Geisteswelt zu sehen. Es kann also
sein, daß manchem Leser Beiträge nicht nur unverständlich, sondern auch unhaltbar
scheinen, wofür wir um Verständnis und Toleranz im Interesse der Sache bitten müssen.
Wir werden aus unserem umfangreichen Archiv Kurioses, Einmaliges, Seltenes und schwer
Aufzufindendes publizieren, um damit zur vorurteilsfreien Forschung und möglichen
Aufarbeitung beizutragen.

Falls möglich werden kurze einleitende Kommentare den abgedruckten, seltenen Ma-
terialien vorangestellt, um den Leser über die Bedeutung des hier Veröffentlichten zu
unterrichten. Wir werden uns verstärkt darum bemühen, aber ob es immer gelingen
wird, muß dahingestellt bleiben. Vielmals mangelt es an Informationen oder schlicht-
weg an fehlender Zeit für Recherchen bei wenig bekannten Menschen.

Wir haben soweit als möglich versucht, für die hier veröffentlichten Texte Rechtsinha-
ber zu finden, was für einige Beiträge aber leider ohne nähere Quellenangaben nicht
möglich war. Falls sich jemand im Besitz von Abdruckrechten befinden sollte, möge er
sich bitte mit uns in Verbindung setzen.

➠ INHALT und QUELLEN


der folgenden Archiv-Texte:

65
Einführung
66
JULIUS EVOLA: Yoga. Sexology, September 1959, S. 115–117.
Sexualität im Yoga
69
ORDEN DER RITTER UND BRÜDER ST . JOHANN DES EVANGELISTEN AUS ASIEN IN EUROPA:
Recapitulation und Instruction der ersten Haupt- und Grund-Stuffe
Grund-Stuffe.
XIV. Abschnitt und XV. Abschnitt 1746, S. 35–43

64
Einführung

Der Text Sexualität im Yoga von Julius Evola wurde ursprüng-


lich in der amerikanischen Fachzeitschrift Sexology vom Septem-
ber 1959, S. 115–117 veröffentlicht. Da kein italienischer Ur-
text bekannt ist, erfolgte die Übersetzung aus dem Amerikani-
schen. Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen weitgehend
unbekannten Text Evolas, der auch in einschlägigen Bibliogra-
phien nicht aufscheint. In deutscher Sprache handelt es sich um
eine Erstveröffentlichung.

Gründer der Asiatischen Brüder war wahrscheinlich Hans


Heinrich von Ecker und Eckhoffen (1750–1790). Die „Asiati-
schen Brüder“ erlebten ihre Hauptblütezeit in den 80er Jahren
des 18. Jahrhunderts. Es gab zahlreiche Logen, die in verschiede-
nen Städten wirkten. Zu den „Asiatischen Brüdern“ gehört ein
rituelles Gradsystem, das an die Freimaurer erinnert. Die „Kab-
bala“ – und man kann aus ihren Schriften schließen, dass sie sich
intensiver mit ihr auseinandersetzten – war fester Bestandteil ih-
rer Lehren. Karl R. H. Frick vermutet in seinem Buch Die Er-
leuchteten, dass ein „gnostischer Luziferianismus“ und „sexual-
magische Tendenzen“ ebenfalls zu ihrem Lehrsystem gehörten.
Wir haben hier Abschnitte aus der Recapitulation und Instruc-
tion der ersten Haupt- und Grund-Stuffe abgedruckt. Diese
Zeugnisse belegen, dass bei den Asiatischen Brüdern „esoteri-
sches“ Gedankengut, namentlich der Magie und der „christli-
chen“ Kabbalah gepflegt wurde. Die äußerst seltenen Dokumente
können demnach als Beleg für eine geheime Tradition gelten, die
sich von anderen „Geheimgesellschaften“ dadurch unterschei-
det, dass hier bewusst auf ein von der Renaissance ausgehendes
Wissen zurückgegriffen wurde.

65
JULIUS EVOLA
SEXUALITÄT IM YOGA

Wie im Westen allgemein bekannt ist, stellt die alte Philosophie des Yoga eine
Methode dar, um die individuellen körperlichen und geistigen Energien zu entwi-
ckeln. Im Osten ist sie vor allem dazu verwendet worden, höhere Formen des Be-
wusstseins und der Einheitsekstase zu erlangen. Ihr Endziel war immer das Errei-
chen der Unsterblichkeit, indem man zu einem Stadium kam, wo das Lebensprin-
zip, das die gesamte Natur durchwirkt, mit der Seele vereinigt ist. Dieses Stadium
der Glückseligkeit kennt man als Nirvana.
Vielen sind die asketischen Praktiken des Yoga wohlbekannt: Selbstkontrolle
und Keuschheit, tiefe Meditation und Konzentration, das Festhalten des Körpers in
verschiedenen Stellungen sowie die Regulierung des Atems.
Weniger bekannt ist die Existenz eines besonderen Yogazweiges, der sich auch
der Sexualität und des weiblichen Geschlechts bedient. Dieser Zweig heißt tantri-
scher Yoga. Seine Ursprünge sind aller Wahrscheinlichkeit nach in einer sehr alten
südindischen Zivilisation zu suchen, die sich durch die Verehrung einer Göttin und
orgiastische Rituale auszeichnete. Diese antike Religion wurde um das sechste vor-
christliche Jahrhundert wiederbelebt und übte einen entscheidenden Einfluss auf
Hinduismus und Buddhismus aus. Dabei entwickelte sich die als Tantrismus be-
kannte Richtung.
Der Tantrismus weist unterschiedliche Formen auf. Die niederste davon ist eine
Art schwarzer Magie. Ihre Anhänger glauben, dass man sich durch die Evokation
weiblicher Gottheiten in den Körpern junger Frauen, mit denen man in einem
Rauschzustand an verlassenen Orten, in Wäldern oder Friedhöfen Verkehr hat,
übernatürliche Kräfte aneignen kann.
Aber andere Formen des Tantrismus haben dieselben spirituellen Ziele wie Yoga.
Die Einzelheiten der entsprechenden Lehre werden geheim gehalten, die Praxis
jedoch beruht auf dem Prinzip der „Umwandlung des Giftes in Medizin“. Unter
Gift versteht man dabei den Umgang mit Frauen wie auch berauschenden Substan-
zen, der in allen anderen Yogaformen ja streng verboten ist.
In einigen alten Brahmanentexten wurde die sexuelle Vereinigung einem göttli-
chen Opfer gleichgesetzt und die Frau bzw. ihr Sexualorgan als das Feuer angese-
hen, in dem dieses Opfer dargereicht wurde. In einem dieser Texte (Shatapata-brah-
mana) lässt man die Frau den Ausspruch tun: „Wenn Du mich für das Opfer ver-
wenden willst, dann wird Dir jegliche Gnade, die Du durch mich erflehst, gewährt

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werden.“ Im buddhistischen Tantrismus wird uns dazu ein besonderer Typus von
Mann vorgestellt, der das Nirvana nicht durch Askese, sondern eben durch den
Verkehr mit Frauen erlangt.
Die Zuschreibung eines sakralen Charakters für den Sexualverkehr war im anti-
ken Osten (wie auch im antiken Westen) weithin üblich. Aber das Charakteristische
am Tantrismus ist ein spezielles sexuelles Verhalten, um zur Einheitsekstase zu
kommen. Im Wesentlichen ist diese Technik dem ähnlich, was bei uns coitus reser-
vatus genannt wird, das heißt, es handelt sich um einen Sexualakt, bei dem der
Ausstoß des Samens unterbunden wird. Aber der Tantra-yoga bedingt ein sorgfältig
einzuhaltendes Vorgehen.
Zuerst ist eine lange und schwierige Vorbereitung vonnöten. Ein Text legt dazu
die Grundregel fest, dass der Mann dabei immer seine sinnlichen Empfindungen zu
beherrschen hat. Zuerst muss er mehrere Monate damit zubringen, die Frau nur
„anzubeten“ und zu begehren, wobei er zwar in ihrem Bett schläft („drei Monate
auf ihrer rechten Seite, drei Monate auf ihrer linken“), sie körperlich jedoch nicht
berührt.
Ein weiteres Element ist eine Art von Trance, in die der Mann gehen muss. In
manchen Fällen kommen auch Drogen und Duftstoffe zur Anwendung. In einem
Text wird vorgeschrieben, am Punkt des Orgasmus den Atem anzuhalten. Wörtlich
steht dort zu lesen: „Wenn der Schüler seinen Atem anhält, wird sein Samen nicht
fallen, selbst wenn er von der jüngsten und anziehendsten Frau umarmt wird.“
Auch die Frauen müssen sich einer entsprechenden Vorbereitung unterziehen.
Als ihr geeignetstes Alter wurde das sechzehnte Lebensjahr angesehen, ein Alter,
das jedoch angesichts der früheren Entwicklung der Mädchen im Osten einem Alter
von zwanzig bis dreiundzwanzig bei der westlichen Frau entspricht. Die mit dieser
Aufgabe betrauten Mädchen dürfen jedoch in keinem Falle schon Mütter sein. Ihre
Körper werden dabei mit Hilfe einer nyasa genannten Technik „lebendig gemacht“,
ebenso wie die Schülerinnen die Kunst der „magischen Körperstellungen (asana)
erlernt haben müssen.
Es steht mittlerweile fest, dass das Yogatraining die bewusste Kontrolle einiger
Nerven und Muskeln ermöglicht, die normalerweise dem Willen nicht unterworfen
sind. Etwas Ähnliches müssen wir auch für diese Hindufrauen annehmen, denn
man schrieb ihnen die Fähigkeit zu, das weibliche Organ so zusammenpressen zu
können, dass sie das männliche Organ im Moment der Ejakulation gleichsam abzu-
würgen vermochten. Die tantrischen Texte schreiben dazu ebenfalls vor, dass selbst,
wenn im Augenblick des Orgasmus der Samen schon unmittelbar vor der Ejakulati-

67
on steht, der Yogi die Fähigkeit aufbringen muss, den Samen mittels einer besonde-
ren Kraftanstrengung zurückzuhalten. Der Hauptzweck dieses ganzen Vorgehens
besteht darin, dass zwar der sexuelle Höhepunkt erreicht wird, aber mit einer ganz
anderen Qualität. Er soll sich so in einen andauernden Zustand verwandeln, das
heißt, dass er, statt eine nur kurz andauernde Empfindung zu sein, zu einer Art von
Trance oder Ekstase wird, die während des Verkehrs für längere Zeit aufrecht bleibt.
Diese ekstatische Trance würde sich dann nicht von jenen Arten unterscheiden,
die durch andere Yogaformen erlangt werden. Sie könnte auch zu einem Kontakt
mit der unsichtbaren Welt führen und sich als Schwelle zum großen Nirvana erwei-
sen, jenem glückseligen Einheitszustand mit dem Lebensprinzip des Universums.
Die Gefahren dieser Praktiken fanden in den Schriften jedoch ebenfalls Erwäh-
nung. Die Praktik wurde nämlich mit dem „Ritt auf einem Tiger“ verglichen. Der-
jenige, der dieser Aufgabe nicht gewachsen ist, riskiert Krankheit und Wahnsinn
oder eine sexuelle Vergiftung, „die ihn von der Stufe des Menschen auf diejenige
eines Dämons zurückfallen läßt.“ Anders ausgedrückt sind in einem solchen Fall
die Folgen also nur noch von einem modernen psychiatrischen oder neuropathi-
schen Standpunkt aus zu beurteilen.
In einem privat gedruckten Buch fanden wir das interessante Zeugnis eines
Europäers in Indien, der sich aus bloßer Neugier auf einen Sexualverkehr mit ei-
nem eingeborenen Mädchen einließ, das eine Ausbildung in tantrischen Praktiken
besaß. Wichtig bei diesen Sexualakten ist die dabei verwendete „umgekehrte Umar-
mung“. Es ist nämlich die Frau, die aus symbolischen Gründen die aktive Rolle
übernimmt: Der Mann entspricht dem Geist, der bewegungslos ist, wohingegen die
Frau der Natur entspricht, die rastlos in Bewegung steht.
An dem Punkt, an dem der Orgasmus dann nahe schien, begann das Mädchen
ihr weibliches Organ in extremer Weise zu kontrahieren. Das Ergebnis für den
Mann, der eigentlich nur seine Sexualerfahrungen bereichern wollte, war völlig
unerwartet: „Ein blendendes Licht zuckte bis in das Innerste meines Hirnes und
ich verlor beinahe das Bewußtsein.“ Während des Verkehrs mit dem Mädchen hatte
er auch Halluzinationen gehabt. In der Folge legte er großen Bedacht darauf, diese
Erfahrung nicht mehr zu wiederholen.
Viele Einzelheiten des tantrischen Yoga sind aus historischen Gründen interes-
sant. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass diese Praktiken auf kulturellen
und philosophischen Lebensvoraussetzungen beruhen, die sehr verschieden von
denjenigen der modernen westlichen Menschen sind.

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➠ GNOSTIKA ARCHIVTEIL ENDE

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eines geschichtlichen Wandels, der auf
BÜCHER … CD -ROMS … CDS „ahistorischen, überzeitlichen Grund-
strukturen“ beruht. Für Voegelin selbst
Eric Voegelin: Ordnung und Geschich- steht nun programmatisch am Anfang
te. Band 1: Die kosmologischen Rei-
te seines Werkes der Satz: „Die Ordnung
che des Alten Orients – Mesopotamien der Geschichte enthüllt sich in der Ge-
und Ägypten. Herausgegeben von Jan schichte der Ordnung“ (27). Er ist Pro-
Assmann. Geb., 286 S., Wilhelm Fink gramm und Aufgabe zugleich. Doch
Verlag, München 2002. ISBN 3-7705- Wirkung entfaltete Voegelin bislang nur
3584-7. in einem kleinen Kreis. Auf eine umfas-
Der Name Eric Voegelin (1901–1985) sende Rezeption wartet man noch. Die
wird in letzter Zeit auch einem breiteren Herausgabe von „Ordnung und Ge-
Publikum mehr und mehr zum Begriff. schichte“ wird hierzu einen wesentlichen
Die Herausgabe seines Hauptwerkes „Or- Beitrag leisten können.
der and History“ in deutscher Sprache,
ein Werk an dem Voegelin seit den 50er Herbert van Erkelens: Wolfgang Pau-
Jahren gearbeitet hatte, wird nun mit die- li und der Geist der Materie
Materie. Pb., m.
sem Band in Angriff genommen. Voe- Abb., 278 S., Königshausen & Neu-
gelin geht es um die „philosophische mann, Würzburg 2002. ISBN 3-8260-
Untersuchung betreffend die Ordnung 2222-X.
der menschlichen Existenz in Gesellschaft Diese Biographie ist eher eine Lebens-
und Geschichte“ (13). So untersucht er beschreibung von Wolfgang Pauli aus tie-
wesentliche Ausdrucksformen der poli- fenpsychologischer Sicht mit hochinter-
tischen und geistigen Ordnung in der essantem Material, das Innenleben des
Vergangenheit, beginnend im alten Ägyp- Physikers, Nobelpreisträgers und als Nach-
ten. Hierfür wurde dankenswerterweise folger Einsteins gehandelten Mannes be-
als Herausgeber JanAssmann gewonnen. schreibend. Pauli zog es ab den 30er Jah-
Für ihn gehört „Voegelins Theorie des ren zur Tiefenpsychologie, genauer zu C.
kosmologischen Mythos … zu den wich- G. Jung. In einer Reihe von Sitzungen
tigsten und einflussreichsten kulturwis- und Briefen, Gesprächen und fernmünd-
senschaftlichen Konzepten, die auch für lichen Mitteillungen – eine Traumserie
die orientalischen und Altertumswissen- Paulis bildete das Herzstück von Jungs
schaften von Bedeutung sind. Hier wird „Psychologie undAlchemie“ (25) –, setzte
zum ersten Mal derVersuch gemacht, den sich Pauli mit dem kreativen Potential
Denkformen der frühen Hochkulturen seines Unterbewusstseins auseinander.
im Rahmen einer umfassenden Evoluti- Jung und Marie Louise von Franz, aber
onstheorie gerecht zu werden.“ (17) Da- auch Aniela Jaffé waren hier seine An-
bei geht esVoegelin um die Beschreibung sprechpartner. Jedenfalls enthüllt van

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Erkelens Buch eine Seite an Pauli, die uns ler, Kunsthistoriker und Soziologen mit-
zu denken geben sollte. Der Naturwis- gewirkt. Aus diesem breitgefächerten
senschaftler, der sich mit Synchronizität, Wissen ist ein gewichtiges Werk entstan-
Tiefenpsychologie, Fludd, Kepler und den, dessen Tragweite man erst langsam
seinen eigenen Träumen beschäftigte, er wird erschließen können. So soll dieThe-
kann auch paradigmatisch für eine Zeit se, dass die Individualisierung schon auf
stehen, in der einseitig rational ausgerich- das Frühmittelalter zurückdatiert werden
teter akademischer Snobismus neurotisch kann, nur stellvertretend für weitere ge-
und krank machen konnte. Wie viele sind nannt werden. Auch, dass das Ich ein
der Intoleranz des wissenschaftlichen Dis- Produkt ist und nichts notwendig sich
kurses zum Opfer gefallen? Nun, Wolf- Ergebendes, kann unter kulturhistori-
gang Pauli scheint einer von ihnen gewe- schen Gesichtspunkten fruchtbar für eine
sen zu sein. ichzentrierte Gesellschaftsanalyse sein. Zu
erwähnen ist noch, dass die Beiträge dan-
Kulturgeschichte kenswerterweise leserfreundlich geschrie-
Richard van Dülmen (Hrsg.): Entde- ben sind, verständlich und dank der be-
ckung des Ich
Ich. Die Geschichte der In- gleitenden Illustrationen auch dement-
dividualisierung vom Mittelalter bis sprechend abwechslungsreich.
zur Gegenwart. Geb., m. Abb., 638 S.,
Böhlau Verlag, Köln 2001. ISBN 3-412- Giovanni Pico della Mirandola: Kom-
02901-7. mentar zu einem Lied der Liebe Liebe.
Großformatig und gut 3 kg schwer, Italienisch-deutsch. Übersetzt, mit einer
reich bebildert und von 24 Beiträgen Einleitung und Anmerkungen, hrsgg.
namhafter Autoren getragen, den Zeit- von Thorsten Bürklin. Geb., 257 S., Fe-
raum vom Mittelalter bis zur Gegenwart lix Meiner Verlag, Hamburg 2001. ISBN
abdeckend, kommt das Buch über die 3-7873-1552-7.
Entdeckung des Ich daher. Immer mehr Pico gilt als einer der wesentlichenAn-
rückt das Ich in den Mittelpunkt unserer reger einer „esoterisch“ geprägten Renais-
Welt, muss man daher unterscheiden sance. Seine „900 Thesen“ aus dem Jah-
zwischen Individualisierung und Selbst- re 1486 hatten weitgehenden Einfluss,
bestimmung? Und welche Folgen erge- waren sie doch ein Kompendium von kab-
ben sich daraus? Zweck des Buches ist es, balistischen, arabischen, platonischen, py-
„die Schritte und Phasen der Individua- thagoreischen Gedanken, die beweisen
lisierung unter Berücksichtigung der so- wollten, dass alles einer Wahrheit ent-
ziokulturellen Entwicklung der jeweili- springt. Zeitgleich schrieb er auch seinen
gen Epoche nachzuzeichnen“ (1). Dabei „Kommentar zu einem Lied der Liebe“,
haben an diesem Buch Historiker, Theo- das das Thema Einheit und Mannigfal-
logen, Mediziner, Literaturwissenschaft- tigkeit aus einer anderen Sicht aufgreift.

87
Pico setzt sich hier auch überaus kritisch Erik Leibenguth: Hermetische Poesie
mit Marsilio Ficino auseinander. Beide des Frühbarock
Frühbarock. Die „Cantilenae in-
gehörten zur Florentiner Akademie und tellectuales“ Michael Maiers. Ed. m.
es darf nicht vergessen werden, dass Fici- Übers., Kommentar u. Bio-Bibliographie.
no einen umfangreichen Kommentar Geb., 604 S., Max Niemeyer Verlag,
zu Platons Gastmahl („Über die Liebe“, Tübingen 2002. ISBN 3-484-36566-8.
Meiner Verlag) verfasst hat. Picos Werk, Ein solches Werk macht Hoffnung da-
das einen weiteren Aspekt jener Kraft des rauf, dass weitere Werke über eine Epo-
Eros (bzw.Amor), der in der Renaissance che folgen, die immer noch viel zu wenig
eine so maßgebliche Rolle spielte, behan- aufgearbeitet ist. Der Leibarzt Rudolf II.,
delt, liegt in deutscher Ausgabe vor als Rosenkreuzer und Alchemist, Michael
weiterer Beitrag zur neuplatonischenTra- Maier (1568–1622), dessen Schriften Ein-
dition der Renaissance. fluss auf Isaac Newton hatten, was weiß
man von ihm wirklich? Sein hier unter-
Berthold Heinecke: Wissenschaft und suchtes alchemistisches Lehrgedicht, ver-
Mystik bei J. B. van Helmont (1579– 1579– bunden mit einer umfassenden, kriti-
1644
1644). Pb., 206 S., Peter Lang Verlag, schen Würdigung Maiers, trägt jedenfalls
Bern 1996. ISBN 3-906753-92-1. entscheidend dazu bei, die Legendenbil-
Johann Baptista van Helmont beschäf- dung um Maier mehr und mehr zurück-
tigte sich eingehend mit Alchemie, Ma- zudrängen. Seine Rezeption bis zur Ge-
gie, Astrologie, Hermetik, Kabbala und genwart, eine detaillierte biographische
war als Arzt den Gedanken des Paracel- Studie und ein ausführliches Literaturver-
sus verpflichtet. Er hatte Kontakt zum zeichnis bilden den Rahmen dieser Unter-
Rosenkreuzer Robert Fludd. Helmonts suchung. Hauptgegenstand ist die Über-
Werk wurde aber der Häresie verdäch- setzung und mit ausgiebigen Erläuterun-
tigt und konnte erst nach seinem Tod gen versehene „Cantilenae intellectuales“.
durch seinen Sohn Mercurius van Hel- In ihr vereinen sich alchemistische, mu-
mont veröffentlicht werden, der ein sikalische und dichterische Bezüge zu ei-
Freund von Knorr von Rosenroth und nem nicht gerade leicht verständlichen
Leibniz war. Helmont lebte in einer Zeit Werk. Der ausführliche und kongeniale
des Übergangs zur Moderne, sie prägte Kommentar ermöglicht es auch dem „Lai-
seine Gedankengänge und gibt weitere en“, sich zurecht zu finden. Ein Buch, das
Aufschlüsse über eine für die „Esoterik“ sowohl für Maier, als auch für die Ro-
bedeutsame Epoche. Seine andere Art senkreuzerforschung und die Zeit um
„Wissenschaft“ zu betreiben, wird hier 1600 wichtige Erkenntnisse liefert.
ausführlich von Berthold Heinecke dar-
gestellt und zeigt, dass auch Helmont Rosenkreuz als europäisches Phäno-
nicht nur historisch interessant sein kann. men im 17
17. Jahrhundert
Jahrhundert. Hrsgg. v. der

88
Bibliotheca Philosophica Hermetica. Schon immer war Delphi Inbegriff für
Geb., m. Abb., 404 S., Frommann-Holz- „das“ Orakel schlechthin. Doch es gibt
boog, Amsterdam 2002. ISBN 3-7728- noch andere Städte im griechischen Al-
2206-1. tertum, die sich der Orakeltechnik be-
Eine Aufsatzsammlung mit einer Rei- dienten. Der Autor stellt diese Techni-
he von Spezialisten zum Thema „Rosen- ken vor und erläutert, warum die Grie-
kreuz“ bringt neue Erkenntnisse zur Ro- chen das Orakel konsultierten, welche
senkreuzergeschichte. Vor allem die Bei- Rolle es spielte und welche Funktion es
träge von Carlos Gilly in diesem Band hatte. Für Rosenberger sind Orakel auch
sind in ihrer Gründlichkeit und ihrem Medien- und Kommunikationszentren.
Verständnis für ein Phänomen, das haupt- Das Verhältnis zwischen Orakelspruch
sächlich von Legenden lebt, ein so we- und Auslegung, das ja zu einiger Verwir-
sentlicher Beitrag zur Rosenkreuzerfor- rung beim Fragenden führen konnte, be-
schung, dass sie als erstes genannt wer- legt nicht nur die Widersprüchlichkeit
den müssen. Weitere Beiträge von Martin des Zukünftigen, sondern auch die Hilf-
Brecht, Roland Edighoffer,Adam McLe- losigkeit des Menschen vor der Zukunft.
an oder Gerhard Wehr zeigen, wie kom- Zu gerne wüsste er, was ihn erwartet, aber
plex das europäische Rosenkreuzertum Orakel waren selten eindeutig, dennoch
ist. Erwähnt werden sollen aus der Reihe wurden sie jahrhundertelang konsultiert.
der Beiträge wenigstens neben Susanna Dabei spielte die richtige Vorbereitung
A° kerman noch Wilhelm Schmidt-Bigge- auf den Orakelspruch, nämlich die men-
mann und Joost R. Ritman, der Grün- tale Voraussetzung, eine genauso ent-
der der „Bibliotheca Philosophica Her- scheidende Rolle wie jene Verwalter des
metica“ zu Amsterdam, ohne dessen In- Wissens, die Priester und Seher. Letzte-
itiative in Zusammenarbeit mit der Her- ren kommt eine Vermittlerrolle zu, die
zog August Bibliothek Wolfenbüttel die- wir heute mit gemischten Gefühlen be-
ser Band sicherlich nicht zustande ge- trachten. Dennoch, das Orakel be-
kommen wäre. Wir können hier nicht herrschte Politik und Gesellschaft und
auf die Beiträge im einzelnen eingehen, noch immer besitzt die Antike eine gro-
die das Phänomen Rosenkreuz bis heu- ße Anziehungskraft (183).
te behandeln, aber es kann dringend
empfohlen werden, sich mit „allen“ Ar- Christina von Braun: Versuch über
tikeln auseinander zu setzen. den Schwindel
Schwindel. Religion, Schrift, Bild,
Geschlecht. Geb., m. Abb., 671 S., Pen-
Veit Rosenberger: Griechische Orakel
Orakel. do Verlag, Zürich 2001. ISBN 3-85842-
Eine Kulturgeschichte. Geb., m. Abb., 406-4.
214 S., Theiss Verlag, Darmstadt 2001. Die Autorin schreibt aus zwei Berei-
ISBN 3-8062-1562-6. chen unseres Alltags: Geschlechterbilder

89
und Vergleich zwischen jüdischen und Was ist Religionswissenschaft? Ant-
christlichen Denkwelten. Daran arbei- wort: „die empirische, historische und sy-
tet sie die Wirkung und damit die wirk- stematische Erforschung von Religion
lichkeitsschaffende Kraft der abendlän- und Religionen.“ (7) Religionswissen-
dischen Simulationstechniken auf. Der schaft umfasst eine Vielzahl an Diszipli-
Materialreichtum und die Fülle an zu- nen und lebt von unterschiedlichen Fra-
sammengetragenen Belegstellen aus gestellungen in Bezug auf das Religiöse.
mehreren Jahrhunderten in Wort und Neben den religiösen Fragestellungen
Bild, sowie der immer wieder hergestell- werden auch Bereiche wie „New Age“
te Bezug zur Gegenwart, ist beeindruk- oder religionsethnologische Zugänge zu
kend. Ob man ihren Thesen – beispiels- Mythen, Riten und Symbolen berück-
weise zu Echnaton oder ihre Rezeption sichtigt. Klaus Hock geht auch auf Mircea
Freudscher Gedanken – immer folgen Eliade, C.G. Jung, Rudolf Otto und Frie-
möchte, tritt, gemessen an der Brisanz drich Heiler ein, um nur einige wenige
des Themas, eher in den Hintergrund. zu nennen. Klaus Hocks Buch gibt ei-
Der Schwindel, der uns ergreift, wenn nen umfassenden und ausgewogenen
wir an der Wirklichkeit zweifeln, und Überblick über eine universitäre Diszi-
jener der sich einstellt, wenn wir gerade plin, der für Studierende und Lehrende
die Wirklichkeit nach unserem Gutdün- gleichermaßen interessant ist. Er vermit-
ken formen möchten, ist im Grunde ein telt auch dem Interessierten einen Ein-
und derselbe. Die Autorin macht die- blick in die Zusammenhänge und Viel-
sen „Schwindel“ bewusst und zieht viel- fältigkeit dieser Disziplin.
mehr den Leser in diesen „Schwindel“
hinein, denn „von der Wechselbezie- Gilles Deleuze: Henri Bergson zur Ein-
hung dieser konträren Denkströmun- führung. Tb., 170 S., JuniusVerlag, Ham-
gen, in der es um Betrüger und Simu- burg 2001. ISBN 3-88506-336-0.
lanten, um schwindelerregende Räume „Bergson war der intellektuelle Star sei-
und Erregungsschwindel, um ‚verrück- ner Epoche, Von einer ganzen Generati-
te Interpreten‘ und ‚falsche Lesearten‘ on wird der Bergsonismus wie eine Be-
und um die Möglichkeiten geht, die freiung aufgenommen: wie die Errettung
Wirklichkeitsmacht des kollektiven des Menschen von der Fesselung und dem
Imaginären zu hinterfragen“ (555), da- Zugriff der technisch-wissenschaftlichen
von handelt dieses Buch. Rationalisierung des Lebens.“ (13) Berg-
sons Grundgedanken über Intuition, Zeit,
Einführungen Dauer, Gedächtnis oder „elan vital“ sind
Klaus Hock: Einführung in die Religi- auch heute noch wirksam. Die Einfüh-
onswissenschaft
onswissenschaft. Pb., 211 S., Darm- rung von Gilles Deleuze (1925–1995)
stadt 2002. ISBN 3-534-15081-3. arbeitet einen roten Faden heraus, der den

90
Leser die Gedankengänge Bergsons über- dies ist hier auf beispielhafte Art gelun-
zeugend nachvollziehen lässt. Aufberei- gen. Die Einführung zu einem Philoso-
tet wird dabei sehr gründlich und syste- phen über den Whitehead den berühm-
matisch. ten Ausspruch tat, dass die abendländi-
sche Philosophie nur eine Fußnote zu
Christof Rapp: Aristoteles zur Einfüh- Platon sei, enthält für ein Platonverständ-
rung. Tb., 206 S., Junius Verlag, Ham-
rung nis im Wesentlichen das, worauf man auf-
burg 2001. ISBN 3-88506-346-8. bauen kann. Dabei folgt der Autor nicht
Auch diese Einführung versucht kom- einfach den Werken, sondern legt über-
petent das Werk auf verständliche Art aus spannend eine Platon-geschichte vor,
und Weise aufzuschließen. Politische Phi- der auch die Einordnung und der Bezug
losophie, Ethik, Poetik, Physik und vor zum Heute gelingt. Eine Einführung, die
allem auch die aristotelische Logik, die ihrem Namen gerecht wird!
uns ja bis heute beherrscht, werden dar-
gestellt. Seine Metaphysik und seine Christina Schefer: Platons unsagba-
Theorie der Seele ist beleuchtet und in re Erfahrung
Erfahrung. Ein anderer Zugang zu
ihrer Tragweite eingeordnet. Sich mit Ari- Platon. Geb., 276 S., Schwabe & Co AG
stoteles auseinander zu setzen ist immer Verlag, Basel 2001. ISBN 3-7965-1561-4.
noch wesentlich, formulierte doch er die Christina Schefer legt eine Platoninter-
Grundlagen unseres abendländischen pretation vor, die neue Impulse zur Be-
Diskurssystems. Diese Einführung dient schäftigung mit einem „unsagbaren“ Pla-
einem besseren Verständnis des einfluss- ton geben kann. Mit „unsagbar“ meint
reichen Denkers. sie jene Urerfahrung, die das Werk Pla-
tons durchzieht. „Diese unsagbare Erfah-
Platon rung ist weder eine ‚ontologische Erfah-
Martin Suhr: Platon
Platon. Pb., 186., Cam- rung‘ noch eine Erfahrung des ‚Göttli-
pus Einführungen, Frankfurt 2001. ISBN chen‘ (qeĩon) im philosophischen Sinn;
3-593-36830-7. sie verweist vielmehr auf lebendige reli-
Natürlich ist es unmöglich, einen Den- giöse Erfahrung in den antiken Mysteri-
ker wie Platon auch nur annährend in enkulten.“ (223) Um eine solche zu ma-
einer Einführung darzustellen. Aber ist chen, bedarf es der Schau und diese Art
das die Aufgabenstellung? Eigentlich des „Philosophierens“ findet Platon nur
nicht, denn der Leser möchte eben eine in den alten Mysterien. Für Christina
Ein-führung und keine wissenschaftliche Schefer ist demnach „seine Philosophie
Abhandlung. Der schmale Grat zwischen im ganzen als Mysterieneinweihung“ zu
wissenschaftlichem Anspruch und Les- verstehen (224). Die höchste Weihe fin-
barkeit muss einfach zugunsten der letz- det sich dann in der Erfahrung mit Apol-
teren einseitig beschritten werden. Und lon, der als „lebendiger Gott“ wirkt, wo-

91
bei dies letztlich, weil eben unsagbar, nur vertrauen und die Bilder, leicht erkenn-
angedeutet werden kann. Aus dieser Not bare Zeichen, die am Wege stehen, die er
kann eine Tugend werden, indem man selbst an den Weg gestellt hat, befragen,
die Kunst des „Deutens“ nutzt. Apollon um auf diese Weise, statt richtiger Mei-
deutet etwas an, indem er weder sagt (= nung, ein Wissen in die Hand zu bekom-
enthüllt) noch verbirgt, auch Platon deu- men.“ (49) Dem Philosophen Franz Von-
tet auf etwas. „Diese Andeutung der Er- essen gelingt es, die Ideenlehre Platon neu
fahrung des Apollon ist das Platon-Para- – und damit „uralt“ – aufzuschließen;
digma schlechthin.“ (227) Gemeint ist Platon also sagen zu lassen, was er wirk-
eben jene Urerfahrung, die angedeutet lich meint. Ein bemerkenswertes Buch,
aber nicht er griffen oder be griffen wer- anregend und „weg“-weisend.
den kann. Eine Neu-Interpretation eben
des „anderen“ Platon liegt hier vor, die Religion
richtungsweisend sein könnte. Peter Schäfer / Shaul Shaked (Hrsg.):
Magische Texte aus der Kairoer Ge-
Franz Vonessen: Platons Ideenlehre
Ideenlehre. niza
niza. Band II. Geb., m. Abb., 458 S.,
Wiederentdeckung eines verlorenen Mohr Siebeck, Tübingen 1997. ISBN 3-
Wegs. Band 1: Seelenlehre. Geb., 483 16-146667-5.
S., Die Graue Edition. Kusterdingen Der Band beschäftigt sich mit der jü-
2001. ISBN 3-906336-30-1. dischen Magie, so wie sie in den Frag-
Franz Vonessen hat ein kämpferisches menten der Kairoer Geniza aufzufinden
Buch über Platon geschrieben. Vorurtei- ist. Damit sind Texte des spätantiken/
le über ihn räumt er weg und Platon selbst frühmittelalterlichen Judentums desVor-
verleiht er das Wort. Vonessen begreift deren Orients gemeint. Die Bandbreite
Platon über die Metapher, die ein legiti- der Texte reicht von liturgisch-magischen
mes Erkenntnismittel darstellt und weg- Texten, Beschwörungsgebeten, Bann-
weisend sein kann. Damit gelingt es ihm, und Fluchtexten bis zu Texten zum Dä-
dem Leser jenes philosophische Staunen monenzwang und zur Herstellung von
bei der Interpretation der platonischen Amuletten. Eine gründliche philologische
Philosophie zu vermitteln, so dass er, Einführung und der Abdruck des Origi-
durch den Autor an der Hand, den ur- naltextes sowie die deutsche Übersetzung
sprünglichen Sinn (wörtlich für Weg, 17) davon bilden die einzelnen Kapitel. Ein
zu begreifen meint. Vonessen zeigt, dass Faksimile Anhang zeigt die Texte dann
Platon den Leser nicht täuschen wollte, noch einmal im Original. Trotz der (wohl
sondern sehr vieles voraussetzte, das wir notwendigen) wissenschaftlichen Um-
heute mitdenken müssen, um ihn erfas- ständlichkeit – eine provozierende Fra-
sen zu können. „Platons Angaben fol- ge: Wo ist eigentlich der Text? – handelt
gend, gilt es lieber dem ‚Auge der Seele‘ es sich, aus „magisch-historischer“ Sicht,

92
um hochinteressante Beispiele für Magie ters für den Gottesdienst untersucht,
und ihre praktische Anwendung. Ein wobei gezeigt werden kann, dass die kul-
dankenswertes Projekt für die Aufarbei- tischen Versammlungsreden der frühen
tung und den seriösen Umgang mit ei- Christen sich neben jenen wortzentrier-
ner, im allerweitesten Sinne, „esoteri- ten Versammlungen mit eher synago-
schen“ Vergangenheit die zeigt, dass die galem Charakter entwickelten. Der Au-
Grenze zwischen Liturgie und Magie flie- tor zeigt in seiner umfassenden Untersu-
ßend war. chung die Entstehung der urchristlichen
Gottesdienste aus ihrem Umfeld heraus
Peter Wick: Die urchristlichen Gottes- und zur Zeit ihres ersten Auftretens.
dienste
dienste. Entstehung und Entwicklung
im Rahmen der frühjüdischen Tem- Hubert Wolf (Hrsg.): Inquisition, In-
pel-, Synagogen- und Hausfrömmig- dex, Zensur
Zensur. Wissenskulturen der Neu-
keit. Paperback, 423 Seiten, Verlag W. zeit im Widerstreit. Pb., 340 S., Ferdi-
Kohlhammer, Stuttgart 2002. ISBN 3- nand Schöningh Verlag, Paderborn 2001.
17-016692-1. ISBN 3-506-77670-3.
In der vorliegenden Arbeit werden ver- Durch die Öffnung des Archivs der
schiedene Modelle des altisraelitischen Glaubenskongregation im Jahre 1998
Gottesdienstes aufgezeigt und deren konnte die Zeit der römischen Inquisiti-
Funktion untersucht, so der Opferkult on und Indexkongregation neu erforscht
oder das Gebet. Erforscht werden der werden. In diesem Band ist eine Auswahl
Tempelgottesdienst im ersten Jahrhun- repräsentativer Forschungsüberblicke zu
dert und die Bedeutung der Priester- dem genannten Thema versammelt. Mit
schaft, des Opferdienstes und der Zeiten, dementsprechenden Titelangaben wer-
in denen solche Gottesdienste durchge- den hier auf recht diplomatischeArt und
führt wurden. Über die Entwicklung der Weise behandelt: Neue Einsichten in den
Synagogen, das religiöse Leben im Haus Galilei-Prozess, die Haltung der katholi-
und die Bedeutung von Tempel und Syn- schen Kirche zu den Naturwissenschaf-
agoge für den religiösen Lebensvollzug ten, ihre Rolle bei der Hexenverfolgung
werden auch jene Gruppen und Gestal- und die Bücherzensur. Auffallend ist das
ten, die für die damalige Zeit maßgeb- vorsichtige Herantasten an einen The-
lich waren, Gegenstand der Beobach- menbereich, der jahrhundertelang nicht
tung. Dazu gehören die Pharisäer, die nur die Phantasie der Menschen beschäf-
Essener, Philo, Johannes derTäufer eben- tigt hat. Um so wichtiger ist es, eine di-
so wie Paulus und seine auf ihn basieren- stanzierte Haltung einzunehmen. Doch
de religiöse Ordnung. Religiöse Hand- muss man auch zwischen den Zeilen le-
lungen aus dem Neuen Testament wer- sen können, um die Brisanz der einzel-
den hinsichtlich ihres Funktionscharak- nen Beiträge in Bezug auf ihreAussage-

93
kraft genügend würdigen zu können. Es Friedrich Weinreb gilt als kongenialer
wird dem Leser in Hinblick auf sensatio- Erzähler und Nachschöpfer einer ande-
nelle Enthüllungen nicht entgegengear- ren jüdischen Tradition, die man der
beitet, aber es wird dokumentiert, was mündlichen Kabbala zurechnen kann.
sich – vorerst – sagen lässt. Seine Lebendigkeit und Anschaulichkeit
des Erzählens, verbunden mit einer tie-
Florian Uhl / Arthur R. Boelderl (Her- fen Innerlichkeit, lässt die Bibel in einem
ausgeber): Zwischen Verzückung und neuen Lichte erscheinen. Weinreb ver-
Verzweiflung
Verzweiflung. Dimensionen religiöser steht es, der „Josefsgeschichte“Tiefen ab-
Erfahrung. Pb., 246 S., Parerga, Düs- zulauschen und bildlich und spannend
seldorf 2001. ISBN 3-930450-64-X. aufzuzeigen, sodass der Hörer einfach er-
Erfahrung bildet die Grundlage der Re- griffen und mitgerissen werden muss.
ligion. Religiöse Erfahrung kann aber Weinreb ist ein „anderer“ Erzähler. Durch
nicht so einfach in einen religiösen Dis- ihn tönt noch jene uralte mystisch-eso-
kurs integriert werden. Zu komplex ist terische Tradition, die längst vergessen
die damit in Zusammenhang stehende schien. Weinreb berührt hier Bereiche,
Fragestellung: Wie ist religiöse Erfahrung die uns ver-traut sein sollten, aber es den-
denkbar? Wie kann man den subjekti- noch von ihrer Bedeutung her nicht
ven Aspekt derselben aufarbeiten? Die sind, denn wir trauen diesen Geschich-
hier versammelten zwölf Beiträge nam- te nicht zu, dass sie unser Leben berüh-
hafter Vertreter ihres Faches (Peter Din- ren könnten. Weinreb zeigt aber: diese
zelbacher, Gianni Vattimo, Peter Wid- Geschichten der Bibel sind lebendig und
mer, Catherine Clement, u. a.) bilden den in uns wirksam. Es ist Genuss und Pri-
Versuch ab, fächerübergreifend Verzü- vileg zugleich, Weinreb zuhören zu dür-
ckung und Verzweiflung im religiösen fen.
Erleben zu durchleuchten. Die Bandbrei-
te reicht vom Mittelalter bis zur Neuzeit Lateinisch-Deutsch
Lateinisch-Deutsch. Ausführliches
und die Beiträge beleuchten einzelne As- Wörterbuch von Karl Ernst Georges.
pekte. Den Zusammenhang, der zwi- Digitale Bibliothek Band 69, 1 CD-Rom.
schen Verzückung und Verzweiflung be- Directmedia. Berlin 2002. ISBN 3-
steht, kann der Leser dann für sich durch 89853-169-4.
eine quasi Zusammenschau erreichen. Hier wird das erste lateinisch-deutsche
Großwörterbuch auf CD-ROM vorge-
Friedrich Weinreb: Das Unerkannte legt. Der Gothaer Gymnasialprofessor
Diesseits der Religionen
Religionen. Die Wieder- und angesehene Lexikograph Karl Ernst
entdeckung einer inspirierten Lebens- Georges (1806–1895) erschließt darin
weise. 8 Hör-CDs. Ca. 8,4 Stunden. den großen Reichtum des klassischen La-
ISIOM. ISBN 88-85151-50-7. tein. Mit mehr als 62.000 Hauptstich-

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wörtern, 200.000 Bedeutungsvarianten fasst den vollständigen Text des Nach-
und rund 300.000 Belegstellen ist es seit schlagewerkes.
Generationen ein unverzichtbares Ar-
beitsinstrument für alle, die mit „Latein“ Musik CD´s
zu tun haben. Neben Übersetzungen, Gustav Mahler: Symphonie Nr. 2 in c-
Angaben zur Etymologie, zum Bedeu- Moll Auferstehung
Moll, „Auferstehung
Auferstehung“. Dirigent: Riccar-
tungswandel und zur Phraseologie fin- do Chailly mit dem Royal Concertge-
den sich detaillierte und übersichtliche bouw Orchestra (Amsterdam) und dem
Nachweise der Bedeutung der Stichwör- Prague Philharmonic Choir. Solisten:
ter und ein Fundus an lateinischen Zita- Melanie Diener und Petra Lang. 2 CDs,
ten. Eine unentbehrliche CD-Rom für 34:12 und 77:25 Min., DDD. DG 470
alle, die Latein brauchen und sich lästi- 283-2.
ges Blättern ersparen möchten. Mit der Einspielung der 2. Sympho-
nie von Mahler ist dem Dirigenten nicht
Bilderlexikon der Erotik
Erotik. Digitale Bi- nur eine sehr gelungen, sondern auch
bliothek Band 19, 1 CD-Rom. Directme- eine, die Mahler wieder jene geheimnis-
dia, Berlin 1999. ISBN 3-932544-24-2. volle Tiefe wiedergibt, die einfach zu ihm
Mit dem „Bilderlexikon der Erotik“ gehört. Mahler hat in seiner „Auferste-
gab das Wiener Institut für Sexualfor- hungs“-Symphonie Texte aus „Des Kna-
schung zwischen 1928 und 1931 ein ben Wunderhorn“ und Klopstocks Ode
Nachschlagewerk heraus, das in vier „Auferstehung“ eingearbeitet. Für den
schweren Quartbänden und mehr als Solopart konnte Riccardo Chailly die
4000 Artikeln und 6000 Bilddokumen- Grammy Preisträgerin Petra Lang und die
ten erstmals das erreichte Wissen über die bekannte Sängerin Melanie Diener ge-
menschliche Sexualität und ihre Rolle in winnen. Chor, Orchester, Solisten und
der Literatur, in der Kunst und in der So- Dirigent ergeben eine gelungene Mi-
zialgeschichte zusammenfasste. Mehr als schung, die Lust auf mehr macht.
siebzig Wissenschaftler aus den verschie-
densten Gebieten waren an der Abferti- Magdalena Kožená: Le Belle Immagi-
gung beteiligt. Zweck war es, „die Serio- ni. 1 CD, 68:15 Min., DDD. DG 471
ni
sität und wissenschaftliche Bedeutung 334-2.
sexualkundlicher Forschung und Er- Die tschechische Mezzosopranistin
kenntnisse zu erweisen und zu bekräf- Magdalena Kožená singt unter der Be-
ten“. Die damals noch junge Sexualfor- gleitung von Michel Swierczewski und
schung sollte als eigenständige Wissen- den Prager Philharmonikern Stücke von
schaft etabliert werden, was aber begreif- Mozart, Gluck und von ihrem Lands-
licherweise zu damaliger Zeit nicht ge- mann Josef Mysliveček (1737–1781).
lang. Die elektronische Neuausgabe um- Die drei „Opernkomponisten“ eint, dass

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sie alle auch mit Prag verbunden waren. Lieder für ein breites Publikum neu. Be-
Gluck lebte und studierte in Prag, Mo- eindruckend und berührend.
zart hatte nur gute Erinnerungen an Prag
und Mysliveček stammt aus Prag. Was Barbara Bonney (Sopran) und Antonio
liegt noch näher, als diese drei auf einer Pappano (Klavier): While I Dream
Dream. Lie-
CD zusammenzuführen. Das Ergebnis ist der von Franz Liszt und Robert Schu-
ein sehr schöner und einfühlsamer Ge- mann. 1 CD, 72:47 Min., DDD. DG
sang, glänzend begleitet. 470 289-2.
Liszt und Schumann kannten sich und
Juan Diego Flórez: Rossini Arias. 1 teilten beide eineVorliebe für Beethoven
CD, 59:41 Min, DDD. DG 470 024-2. und für Schubert-Lieder. Obwohl beide
Der Dirigent Riccardo Chailly und das von unterschiedlichem Charakter, verbin-
„Orchestra Sinfonica e Coro di Milano det sie doch das Lied. Barbara Bonneys
Giuseppe Verdi“ begleiten den Gesang einfühlsame und durch die Klavierbeglei-
von Juan Flórez durch die Arien des Gioa- tung kongenial unterstützte, ausdrucks-
chino Rossini, der von 1792–1868 leb- starke Stimme bietet überaus bewegend
te. Flórez' unprätentiöser und einfühlsa- die Lieder zweier Romantiker dar.
mer Gesangsstil verbunden mit einer
empfindsamen und rücksichtvollen Be- Mitsuko Uchida: Schubert Klavier So-
gleitung machen diese CD zu einem be- nate in Es-Dur und 6 Moments musi-
sonderen Hörgenuss. Der peruanische caux
caux. 1 CD, 67:36 Min., DDD, DG
Sänger ist auf dem besten Wege eine gro- 470 164-2.
ßer Tenor zu werden. Für ihre Einspielung von Schönbergs
Klavierkonzert bekam Mitsuko Uchida
Anne Sofie von Otter mit Liedern von schon den Grammophon Award zuer-
Cécile Chaminade (1857–1944). Mit kannt. Hier präsentiert sie nun die Es-
Bengt Forsberg (Klavier), Nils-Erik Dur Sonate und die Moments musicaux
Sparf (Violine) und Peter Jablonski (Kla- ihres Lieblingskomponisten Franz Schu-
vier). 1 CD, 76:09 Min., DDD. DG 471 bert. Durchsichtig und klar, mit einem
331-2. Gefühl für das große Ganze spielt sie
Wer die hier eingespielten Lieder hört, Schubert, dabei durchaus so, dass man
wird über das Gefällige weit darüberhin- ihn sich neu erhören muss. Sie bietet kei-
aus gehende Kompositionen vernehmen. ne gängige Schubertkost, sondern eine
Die in der Nähe von Paris geborene Kom- lebendige und dynamischeAuseinander-
ponistin Chaminade schrieb zwischen setzung mit dem ganz großen Sonaten-
1890 und 1910 etwa 140 Lieder, die aber komponisten.
eher dem Broterwerb dienen mussten. F. W. Schmitt
Anne Sofie von Otter entdeckt nun ihre

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AUTORENPORTRAITS
Heinrich Rudolf Beck
Beck, o. Univ. Professor, Dr. phil., Dr. h. c.; als Inhaber des Lehr-
stuhls Philosophie I der Univ. Bamberg em. 1997; sechs weitere Professuren an Uni-
versitäten in Europa und Amerika, u. a. in Salzburg, Madrid und Buenos Aires; Mit-
glied d. Europ. Akademie der Wissenschaften und Künste und der Internat. Akade-
mie der Wissenschaften. – Studium der Philosophie, Psychologie, Kath. Theologie,
Pädagogik, Soziologie. – Publikationen u. a.: Philosophie der Erziehung (Hrsg.),
Freiburg/Basel/Wien 1979; Natürliche Theologie. Grundriß philosophischer Got-
teserkenntnis, München/Salzburg 1988; Kreativer Friede durch Begegnung der
Weltkulturen (Hrsgg. zus. mit G. Schirber), Frankfurt/M./u. a. 1995; engl. Ausg.:
New Delhi/Indien 1996; span.: Maracaibo/Venezuela 1996; chines.: Peking 1998;
japan. in Vorbereitung.

Elisabeth Staehelin
Staehelin, geb. 1935, ist Ägyptologin. Nach Ausbildung zur Buchhänd-
lerin, Studien in Basel und Heidelberg; Promotion 1965 mit Diss.Untersuchungen
zur ägyptischen Tracht im Alten Reich, Berlin 1966. Seit 1965 Assistentin und von
1968 bis 1995 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ägyptologischen Seminar der
Universität Basel. – Ausgew. Publikationen: Ägyptens heilige Pillendreher, Basel
1982; „Zu den Farben der Hieroglyphen“ in: E. Hornung, Zwei ramessidische Kö-
nigsgräber, Mainz 1990; „Alma Mater Isis“ in: Ägypten-Bilder, hrsgg. v. E. Staehelin
/ B. Jaeger, Freiburg Schweiz/Göttingen 1997; Von der Farbigkeit Ägyptens, Leip-
zig 2000. Zus. mit E. Hornung: Studien zum Sedfest, Genf 1974; Skarabäen und
andere Siegelamulette aus Basler Sammlungen, Mainz 1976; Sethos – ein Pha-
raonengrab, Basel 1991.

Ulrich Wolfgang
Wolfgang, geb. 1927 in Berlin, hat ein humanistisches Gymnasium be-
sucht, studierte Betriebswirtschaft und war nach einem berufsbedingten Auslands-
aufenthalt als Werbefachmann tätig. Seine Werbeagentur wird seit 1970 von seinem
Sohn weitergeführt. Ulrich Wolfgang ist seit 1972 Freimaurer und hat u. a. vier Jahre
die freimaurerische Zeitschrift Eleusis redigiert, in der in leicht veränderter Fassung
der hier abgedruckte Beitrag erschienen ist.

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ISSN 1434-7628

Gnostika
Zeitschrift für Symbolsysteme

98 www.aagw-gnostika.de

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