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David Bronsen

Joseph Roth
Eine Biographie

Gekürzte Fassung

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Die vorliegende Ausgabe ist eine von Katharina Ochse gekürzte Fassung
des 1974 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenen gleichnamigen
Buchs von David Bronsen.
ISBN 3-462-02237-7
© 1993 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Umschlaggestaltung und Einband: Kalle Giese, Overath

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!


FÜR ELISABETH AUGUSTIN, DIE LANGJÄHRIGE
FREUNDIN UND UNERMÜDLICHE HELFERIN
Inhalt

Vorbemerkung zur gekürzten Ausgabe................................5


Einleitung.............................................................................6
1 Die verlorene Heimat Zur Klärung eines fingierten
Briefes und eines /zu Roths Lebzeiten/ nie veröffentlichten
Romans ................................................................................9
2 Phantasie und Wirklichkeit Geburtsort und Vaterstadt im
Leben Joseph Roths ...........................................................14
3 Die ersten Jahre und die Volksschule 1894-1905 .........24
4 Brody und das Gymnasium 1905-1913...........................40
5 Die Beziehung zur Monarchie und das Lemberger
Zwischenspiel 1913............................................................53
6 Ankunft und Studium in Wien 1913-1916 ......................67
7 Kriegsdienst 1916-1918 .................................................89
8 Die journalistischen Anfänge Wien 1918-1920 ...........108
9 Aufbau und Abbau einer Karriere Berlin 1920-1922 ..125
10 Unterwegs in Wien, Prag und Deutschland Die Geburt
eines Romanciers 1923 ....................................................139
11 Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung« 1923-1925 ...150
12 Die ersten großen Reisen: Frankreich und Rußland
1925-1927 ........................................................................168
13 Die wachsende Entfremdung 1927-1929...................192
14 Der lange Leidensweg: Friedls geistige Erkrankung213
15 Menschliche Beziehungen 1929-1932 .......................228
16 Der künstlerische Höhepunkt .....................................248
17 Die ersten Emigrationsjahre 1933-1936 ...................273
18 Der Kampf gegen den Faschismus und der Kampf um
Österreich 1936-1938 ......................................................296
19 Die Emigration als Grenzsituation 1938-1939..........337
20 Der Tod eines Mythomanen1 ......................................393
ANMERKUNGEN............................................................410
Personalien der Interviewten...........................................466
Danksagung .....................................................................480
Sekundärliteratur (Auswahl)* .........................................483
Anhang.............................................................................497
Erstausgaben der Werke von Joseph Roth ......................500
Namenregister..................................................................503
Vorbemerkung zur gekürzten Ausgabe

Um die Roth-Biographie von David Bronsen, die seit Jahren


vergriffen ist, einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen,
wurde die sehr umfangreiche Erstausgabe von 1974 gekürzt. Bei
der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um eine von David
Bronsens Witwe genehmigte gekürzte Fassung, die den
Einwänden der Kritik an der Erstausgabe Rechnung trägt.
Gekürzt bzw. gestrichen wurden vor allem Passagen aus Roths
Werk, das inzwischen leicht zugänglich ist. Darüber hinaus
wurden die Aussagen der von Bronsen befragten Zeugen und die
Beschreibungen der historischen Hintergründe auf die für Roths
Biographie relevanten Angaben beschränkt. Einige Passagen
mußten wegen der Kürzungen umgestellt werden. Der
Lesbarkeit halber wurden nur Kürzungen innerhalb von Zitaten
durch Punkte und Ergänzungen, die durch die Umstellungen
bzw. Streichungen erforderlich waren, durch Schrägstriche
gekennzeichnet.
Die Auswahlbibliographie wurde von Rainer Joachim Siegel
auf den neuesten Stand gebracht.
Katharina Ochse

-5-
Einleitung

Hundertsechzig Interviews, durchgeführt in zwölf Ländern


und fünfzig Städten, Durchsicht von Archiven und Ermittlungen
aller Art in New York, Amsterdam, Wien, Berlin, Frankfurt,
Köln, Marbach a. 11., Weimar, Prag, Paris, London Jerusalem;
Auswertung von Unterlagen in Bundesministerien,
Meldeämtern, Polizeipräsidien, Spitälern und einer Irrenanstalt,
damit hatte ich anfangs wirklich nicht gerechnet. Ich hatte mich
auf eine überaus lange und oft unübersehbare Odyssee
eingelassen. Vorjahren fing sie an, zu einer Zeit, in der mir der
erste Gedanke an eine Roth-Biographie noch fern lag. Als
Student in Wien fielen mir an einem schicksalhaften Tag im
Jahre 1954 beim Besuch eines Antiquariats einige Bücher eines
Autors auf, dessen Name mir kein Begriff war. Ich blätterte in
den Romanen Joseph Roths, las hier und da ein paar Seiten,
fühlte mich angesprochen, erstand die Bücher und gelobte mir,
nur nachts darin zu lesen und tagsüber fleißig meinem Studium
nachzugehen. Diesem guten Vorsatz vermochte ich nicht treu zu
bleiben. Schon am nächsten Morgen setzte ich die spät in der
Nacht unterbrochene Lektüre von Hiob fort. Darauf folgte Die
Flucht ohne Ende, dann Hotel Savoy, und dann, und dann... Ich
staunte, daß ein und derselbe Verfasser den erzösterreichischen
Radetzkymarsch und den erzjüdischen Hiob geschrieben hatte,
und ich wunderte mich, daß die in Paris sich zutragende
Legende vom heiligen Trinker nicht weniger überzeugend war,
was Atmosphäre und Milieu betrifft, als das in einem
jüdischslawischen Grenzort der alten österreichischen
Monarchie spielende Falsche Gewicht. Da das Interesse mit dem
Lesen wuchs, brachte ich bald in Erfahrung, daß nicht alle
Werke dieses österreichischen Schriftstellers auf der Wiener
Universitätsbibliothek erhältlich waren und daß es die
gesammelten Werke Joseph Roths gar nicht gab -, erst zwei
Jahre später sollte man sie heraussuchen. Und nirgends war eine

-6-
Biographie aufzutreiben, die mich über sein Leben und die
Zusammenhänge seines Werkes hätte aufklären können. Ich
fragte meine Studienkollegen über Roth aus -, die meisten
antworteten ausweichend oder gestanden ihre Unkenntnis. Man
schickte mich zu einem bekannten Wiener Schriftsteller, und ich
machte mir Notizen über seine Erinnerungen an Joseph Roth.
Ich suchte einen alten Freund Roths auf, der mit ihm das
Gymnasium in Brody besucht hatte, einen anderen, der mit ihm
in den zwanziger Jahren an der »Frankfurter Zeitung« gearbeitet
hatte, und eine Journalistin sowie einen akademisch geschulten
Graphiker, die Roth in der Emigration gekannt hatten. Fünf
Interviews wurden es, die ich sorgfältig aufbewahrte. Zu
welchem Zweck wußte ich noch nicht...
Selbst nach Abschluß des Studiums und meiner Rückkehr
nach Amerika wollte mir Joseph Roth nicht aus dem Sinn.
Allmählich keimte die Idee eines reizvollen Arbeitsprojektes.
Nach einiger Zeit gelang es mir, eine amerikanische Universität
für mein Vorhaben zu interessieren, und mit Hilfe eines
Stipendiums kehrte ich zur Alten Welt zurück, diesmal einzig
und allein zu dem Zweck, Roths Leben zu erforschen. Ich kam
mit den Adressen von acht Roth-Freunden in der Tasche an.
Jeder von ihnen schickte mich zu vier oder fünf anderen, die ich
›unbedingt‹ auch interviewen mußte und die ihrerseits das
gleiche taten. Nach zwanzig Interviews bildete ich mir ein, über
Roth Bescheid zu wissen; nach dreißig fing ich an zu zweifeln;
nach fünfzig war ich nahe daran zu verzweifeln. Je länger ich
die Interviews und Nachforschungen fortsetzte, je mehr wurde
mir klar, daß Roth jedem Bekannten den Eindruck zu geben
gewußt hatte, gerade er sei sein liebster Freund und verstehe ihn
am besten. Was sollte man aber trotz dieser Entdeckung mit all
den divergierenden Aussagen anfangen, zum Beispiel mit den
dreizehn verschiedenen Versionen über die Identität seines
Vaters, die Roth unter seinen Freunden in Umlauf gebracht
hatte? Wie sollte man sich Klarheit über seinen Geburtsort

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verschaffen, den Roth zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
benannt hatte? Und wie sollte man aus den widersprüchlichen
Äußerungen der Freunde klug werden, die stets im Brustton der
Überzeugung beteuerten: »Roth war schwermütig«; »Er war
leichtlebig«; »Er liebte das Militär«; »Er haßte das Militär«; »Er
war Leutnant in der k. u. k. Armee«; »Er hatte den Rang eines
Einjährig-Freiwilligen«; »Er war ein Sozialist«; »Er war ein
Monarchist«; »Er war Glaubensjude«; »Er war ein eifriger
Katholik«; »Er war vereinsamt«; »Er war der geselligste
Mensch, den man sich vorstellen kann«?
Nach und nach dämmerte mir, daß ich es mit der
unüberwindlichen Einbildungskraft eines Mythomanen zu tun
hatte, der seine Lebensgeschichte immer wieder umdichtete, der
das in der Phantasie Erlebte zur Wirklichkeit und schließlich
zum Mythos steigerte und damit zum guten Teil seine
Lebenshaltung begründete. Aus den Aussagen von Roths
Lebensgefährtinnen und Trinkkumpanen, von Schriftstellern,
Verlegern, Professoren, Journalisten, Hoteliers, Kellnern,
Polizisten, Ärzten, Psychiatern, Schauspielern, Politikern,
Beamten, Talmudisten und Geistlichen ergab sich eine
unvergleichlich spannende Lebensgeschichte, von der ich mich
in all den Jahren der Nachforschungen und des Schreibens nicht
lösen konnte.
D.B.

-8-
1
Die verlorene Heimat
Zur Klärung eines fingierten Briefes
und eines /zu Roths Lebzeiten/
nie veröffentlichten Romans

In dem Nachlaß Joseph Roths, von dem noch Teile verstreut


sind 1 , befinden sich drei handgeschriebene Manuskriptseiten mit
folgenden Anfangszeilen: »Heute früh kam ein Brief von
Naphtali Kroj aus Buenos Aires. Mein Freund Naphtali
schreibt:...«la Es folgen die angebliche Abschrift eines eine Seite
langen Briefes in der Handschrift Joseph Roths und zwei weitere
Seiten, auf denen Roth seinen Kommentar dazu gibt. Der Brief
handelt von dem Auswandern des Briefschreibers in ein fernes
Land, bezieht sich aber bei der Schilderung jedes neuen
Erlebnisses auf die Verhältnisse in der verlassenen Heimat.
Roths Bemerkungen hierzu wollen frühe Erinnerungen an den
alten Freund wachrufen, haben aber darüber hinaus einen
gewichtigeren Anlaß, da sie die Möglichkeit einer Rückschau
auf das beiden gemeinsame Heimatdorf bieten. Dabei verhalten
sich Brief und Kommentar zueinander wie zwei aufeinander
abgestimmte Tafeln eines Diptychons. In Wirklichkeit wurde
der Brief genauso von Roth verfaßt wie die sich anschließende
Glosse. Das angebliche Schreiben Krojs ist im Stil Roths
abgefaßt, der Satzbau und sogar die für Roth typische
Interpunktion verraten den Urheber.
In dem fingierten Brief wird das vollzogen, was Roth selbst
nie recht gelungen ist - der Sprung aus dem alten in ein neues
Leben. Der wahrscheinlich halb ersonnene, halb miterlebte
Naphtali Kroj darf von sich behaupten: »Hier bin ich mein
eigener Vater.« Im Kommentar hingegen hebt Roth, im eigenen
Namen sprechend, das Gefühl der Heimatlosigkeit hervor. Zwar
befinde sich sein Freund Naphtali Kroj in derselben Lage, aber

-9-
er mache sich nichts daraus. Roth neigte dazu, das Leben leicht
zu nehmen - dafür gibt es ebenso viele Beispiele im Kommentar
wie im Brief -, nur fiel ihm das in der Praxis meist schwer. Je
weiter er sich von seiner Kindheit durch die sich dazwischen
schiebenden Jahre entfernt fühlte, desto mehr stand die Kindheit
für ihn im Zeichen der Vergänglichkeit und der Auflösung der
Habsburger Monarchie. Das Gefühl der verrinnenden Zeit, das
als stärkster Eindruck des Radetzkymarsch empfunden wird,
fand seinen frühesten Nährboden in Roths galizischem
Heimatort, in Brody, auf das er, ohne es mit Namen zu nennen,
sowohl im Brief als auch im Kommentar anspielt. Immer wieder
drängte es Roth, seine Verwunderung über jene untergegangene
Heimat in Zusammenhang mit der eigenen verflossenen Frühzeit
zu bringen: »das Reich der Habsburger... versank im Meer der
Zeiten... mit seiner gesamten bewaffneten Macht... so
vollkommen, so für immer, wie die armselige mit dem
Imperium nicht zu vergleichende Kindheit eines Untertanen.
Aber in der Erinnerung, in der das Große klein und das Geringe
mächtig werden kann, identifiziert sich der kleine Teil einer
Kindheit mit einem kolossalen Reich...«2 So lauten einige
bezeichnende Zeilen eines Feuilletons von Roth aus dem Jahre
1929. Dieselbe ins Mythische hineinreichende Empfindung
bringt er ein paar Jahre später in dem Bekenntnis zum
Ausdruck: »Mein stärkstes Erlebnis war der Krieg und der
Untergang meines Vaterlandes, des einzigen, das ich je
besessen: die österreichischungarische Monarchie3 .«
Goethes Wort »Der Mensch kann seine Jugendeindrücke nicht
los werden« 4 , trifft überzeugend auf Roth zu, dessen
Jugendeindrücke aus einem entfernten Winkel Galiziens
stammten. Brody ist jene »Stadt, in der man geboren wurde«
und die »nicht mehr vorhanden ist«. Und in engerem Sinne wird
auch Brody gemeint mit den Worten: »weil meine Heimat nicht
mehr vorhanden ist, bin ich nirgends zu Hause«. Jener nur noch
im Gedächtnis bewahrte Heimatort befand sich an der äußersten

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Grenze der bald nicht mehr vorhandenen Habsburger
Monarchie. Von dort aus bis zur russischen Grenze brauchte
man kaum zehn Kilometer zurückzulegen, aber achthundert
Bahnkilometer mußte man hinter sich bringen, ehe man zur
imperialen Hauptstadt Wien gelangte.
Die Armut in Galizien, die bereits seit Ende des 18.
Jahrhunderts weit bekannt war, nahm während des ausgehenden
19. Jahrhunderts noch zu. Im Gegensatz zu den benachbarten
Ländern und anderen Provinzen Österreich-Ungarns, sowie dem
angrenzenden Russisch-Polen, welche alle einen gewissen
Aufschwung bei dem zunehmenden Umfang des Kapitalismus
erlebt hatten, wurde die wirtschaftliche Entwicklung in Galizien
kaum davon berührt. Die Industrialisierung in diesem Kronland
war lediglich auf ein Fünftel jener im übrigen Kaiserreich
angewachsen. Und in Galizien, wo jährlich
fünfundfünfzigtausend Menschen den Hungertod starben,
übertraf die Armut der jüdischen Bevölkerung noch die der
anderen Bewohner5 . Kein Wunder also, daß man in Brody unter
den Juden von den sogenannten Seh-Händlern sprach; das waren
die ärmsten der armen Juden - jene, die mit allem handelten, was
es zu sehen gab6 . Jeder Einwohner von Brody verfügt über einen
Vorrat von Anekdoten über das Treiben der Schmuggler. Wenn
sie im Winter »schwarz« über die russische Grenze gingen,
legten sie Decken auf den Schnee, damit sie keine Spuren
hinterließen. Kamen sie in umgekehrter Richtung von
Radziwillow, der letzten russische n Grenzstadt, nach Brody, so
warfen sie gleich nach der Grenzüberschreitung ihre
Schmugglerware - oft waren es Bettdecken - aus dem fahrenden
Zug. Neben den Gleisen standen bereits andere Schmuggler, die
die Ware aufhoben und sie unter Umgehung der Zollinspektion
nach Brody brachten.
Wo so viel Wagemut und Mutterwitz nötig waren, um das
Leben zu meistern, mußten die Untüchtigen und
Zukurzgekommenen naturgemäß dem Spott preisgegeben

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werden. Es kursierten viele Witze in Brody, ebenso wie in ganz
Galizien, über jenen Teil der Brodyer Juden, der als »Brody
narunim« (Toren) bezeichnet wurde, ähnlich wie die Juden in
Russisch-Polen sich über die »Chelmer Narren« lustig machten.
Die Scherze über tolpatschige Käuze, närrische Schneider und
begriffsstutzige Totengräber kamen Roths Spieltrieb entgegen,
und so verleibte er sie seinem eigenen Erzählfundus ein. Einen
ihnen gebührenden Platz nahmen die Brody narunim in einem
im Geiste entworfenen und kapitelweise vorgetragenen, aber nie
zu Papier gebrachten Roth-Roman ein. Andrea Manga Bell, die
langjährige Lebensgefährtin, berichtet, Roth habe seinen
schönsten Roman nie geschrieben. Erdbeeren sollte er heißen
und von seinem galizischen Geburtsort in lose
zusammengefügten Episoden handeln, wobei Aufbau,
Themenbehandlung, Charaktertypen und Humor es
wahrscheinlich machen, daß der Roman sich dem Charakter der
jiddischen Literatur genähert hätte. Der Brief von Naphtali Kroj
samt den Stimmungsbildern im hinzugefügten Kommentar
gehören zu den wenigen schriftlich erhaltenen Teilen dieses
Romans 7 .
Roth, der sich lieber als Wiener und Österreicher ausgab,
merzte Brody aus seinen Angaben aus. Wenn er im vorletzten
Absatz seines Briefkommentars über »meine Heimat« spricht,
wird diese nicht näher identifiziert. Auch im Radetzkymarsch,
wo er sein Heimatdorf als letzte Garnisonsstadt des Leutnants
Carl Joseph von Trotta vor seinem Ausscheiden aus der Armee
eingehend schildert, wird der Name des Ortes offen gelassen,
während er in Das falsche Gewicht mit »Szwaby« umschrieben
wird. Aber das Nest an der Ostgrenze des Habsburger Reiches
blieb für Roth eine nie versiegbare Quelle der Inspiration. Viele
Personen und Elemente von Personen, aus denen er
Romanfiguren zusammensetzte, die in Hotel Savoy, Tarabas,
Der Leviathan, Die Büste des Kaisers, Hiob und
Radetzkymarsch auftreten, entsprechen Personen, denen er in

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der »Heimat« begegnet war. Und viele Personen- und
Ortsnamen, die in seinen Novellen und Romanen vorkommen,
decken sich mit Bezeichnungen, die ihm von seiner Jugendzeit
her geläufig waren8 . Galizien, mit seiner Mischung von Juden,
Polen, Ruthenen und Deutschen, bedeutete für ihn die ethnische
Fülle des Völkergemisches und die daraus hervorgehenden
Kulturunterschiede. Und der schwankende und doch fesselnde
Begriff Vaterland, den er sich dort zu eigen machte, war für ihn
von jung an mit dem bittersüßen Geschmack des Verfalls
durchtränkt.
Auf merkwürdig ostjüdische Art vollzieht Roth in seinen
Bemerkungen zu dem Brief des Naphtali Kroj die Wendung von
heiterer Verspieltheit bei der Schilderung seiner Landsleute zur
wehmütigen Trauer über den schmerzlichen Verlust der
konkreten Bindung: »weil meine Heimat nicht mehr vorhanden
ist, bin ich nirgends zu Hause«. Diese Beziehung, über die er
mit Nicht-Galiziern meist verhüllt oder gar nicht sprach, ließ ihn
nie los.

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2
Phantasie und Wirklichkeit
Geburtsort und Vaterstadt im Leben Joseph
Roths

Während der sechseinhalb Emigrationsjahre Joseph Roths, die


zugleich die letzten vor seinem Tod waren, kam es ihm öfters
vor, als bestünde sein Leben aus Katastrophen, aus vergangenen
und noch bevorstehenden. Die Welt schrumpfte zusammen, so
viele von ihm bereiste und bewohnte Orte und Städte erschienen
ihm, da sie ihm nicht mehr zugänglich waren, wie ausgelöscht.
In dieser Untergangsstimmung, die ihn ständig zum Genuß
großer Mengen Kognak und Pernod zwang, erzählte er betrübt
einer ihm nahestehenden Freundin von dem Einstürmen
russischer Truppen in sein heimatliches Galizien beim Ausbruch
des Ersten Weltkrieges und der Vernichtung ihm bekannter
Ortschaften. Dieses Gespräch beschloß er mit einem Hinweis
auf das Dorf, das er als seinen Geburtsort bezeichnete:
»Schwaby gibt es nicht mehr. Alles was ich betreten, geht
unter1 .« /Schwaby und Schwabendorf sind/ eingedeutschte
Schreibweisen für Szwaby, ein Ort, der rund drei Kilometer von
Brody entfernt lag. In Wirklichkeit wurde Roth in Brody
geboren. Roths Urgroßvater mütterlicherseits, ein Brodyer
Grabsteinmetz, der in der Nähe des dortigen jüdischen Friedhofs
gewohnt hatte, hieß Moische Jossif Gräber. Nach ihm wurde
Roth benannt. Sein Zuname wurde von der folgenden
Generation zu »Grübel« umgeformt, so daß sein Sohn, mit dem
Vornamen Jechiel, bereits den neuen Familiennamen trug.
Dieser war es, der die jiddischen Vornamen seines Vaters
verdeutschte und seinen Enkel als Moses Joseph Roth im
jüdischen Matrikelamt zu Brody eintragen ließ2 . Bis zu seinem
19. Lebensjahr unterschrieb Roth bei allen formellen Anlässen
mit seinem vollständigen Namen; so sieht man beispielsweise

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seinen Namen in eigener Handschrift als »Moses Joseph Roth«
auf allen Formularen, die er während seiner sechs Semester an
der Wiener Universität ausfüllte. Ausgemerzt wurde der erste
Vorname bei seinen ersten literarischen Versuchen, die in den
Wiener Zeitungen ab 1914 erschienen, und dann gänzlich
fallengelassen nach seinem Einrücken ins österreichische Heer
im Jahre 1916. Erst 1920, als Roth Wien verließ, um sich in
Berlin niederzulassen, veränderte er plötzlich auch seinen
Geburtsort. Alle von ihm aus Berlin, Paris und Amsterdam noch
erhaltenen Urkunden und Heimatscheine lauten entweder auf
Schwaby oder Schwabendorf. So erklärt Roth zum Beispiel
1930 in einem Brief an eine Wiener Redaktion, er sei in
»Schwabendorf, eine[r] deutsche[n] Kolonie Wolhyniens«3
geboren, und in einem 1934 von ihm für seine französische
Übersetzerin verfaßten Lebenslauf berichtet er: »né... à Svaby,
colonie allemande...«4 Roth fing mit der Mystifikation in bezug
auf seinen Geburtsort bei seinem ersten Auslandsaufenthalt an.
Das Unbehagen, das er in der deutschen Hauptstadt seiner
Herkunft wegen empfinden mußte, kommt in seinen verärgerten
Worten zum Ausdruck: »Kein Ostjude geht freiwillig nach
Berlin. Wer in aller Welt kommt freiwillig nach Berlin5 ?«
Alexander Granach, sein jüdischgalizischer Landsmann, der sich
in Berlin als Schauspieler einen Namen machte, mußte ebenso
wie Roth erfahren, was es für einen Bewohner jener Stadt
bedeutete, aus Galizien zu stammen. In seiner Lebensgeschichte
Da geht ein Mensch sagt er darüber: die Berliner sprächen über
Galizien so gehässig wie über kein anderes Land. Kein Mensch
nähme Anstoß daran, wenn Rumänien, Bulgarien, Serbien oder
Montenegro genannt würden. Sobald aber das Wort »Galizien«
falle, versäume keiner, die Nase zu rümpfen...6
Roth litt unter solcher Geringschätzung. Aus diesem Grund
nahm er jene Korrektur vor, die ihm einige Konflikte in seinem
ohnedies an Konflikten reichen Leben ersparen sollte. Dem
Klang nach erinnerte der Name Brody an ein galizisches

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Krähwinkel, mit dem Roth lieber nichts zu schaffen haben
wollte. Gab er Schwaby als Geburtsort an, so war das in
Anbetracht der geringen Entfernung von Brody kaum gelogen,
und außerdem war Roth in seiner Jugend öfters durch den
kleinen Ort gewandert. Jedenfalls, und darauf kam es ihm an,
machte die kleine »Berichtigung« einen neutralen Eindruck und
führte nicht zu unliebsamen Gedankenverbindungen.
Wesentlich komplizierter jedoch als die Geschichte seines
Geburtsortes ist Roths unablässige Beschäftigung mit einem
nicht existenten Vater. Roths Spintisieren beginnt mit der
Geschichte seiner Geburt, und die selbsterdachten Legenden
ranken sich um einen sagenhaften, seine
Identität dauernd verändernden Erzeuger. Die Mutter war für
seine Erfindungsgabe wenig ergiebig. Da er sie täglich leibhaftig
vor sich sah und sie ihm ziemlich prosaisch erschie n, brauchte er
sich nicht mit ihr zu befassen. Wichtig war sie ihm nur im
Hinblick auf den nicht vorhandenen Vater, in dessen
imaginärem Schattenbild sie unterging. Roths flüchtige
Bemerkungen über seine Mutter weichen nur wenig voneinander
ab. In einer biographischen Angabe nennt er sie eine
»russischpolnische Jüdin« 7 , in einem Lebenslauf läßt er sie »une
juive russe«8 sein, in einem Brief an einen Freund schildert er
sie als eine Jüdin aus dem slawischen Osten9 .
Der Vater dagegen war ihm eine unerschöpfliche Quelle
immer neuer Erfindungen. Von ihm berichtet er an derselben
Stelle, an der von der angeblich in Kattowitz verlassenen Mutter
die Rede ist: »Es muß ein merkwürdiger Mensch gewesen sein,
ein Österreicher vom Schlag der Schlawiner, er verschwendete
viel, trank wahrscheinlich und starb, als ich sechzehn Jahre alt
war, im Wahnsinn. Seine Spezialität war die Melancholie, die
ich von ihm geerbt habe. Ich habe ihn nie gesehen. Doch
erinnere ich mich, daß ich als Knabe von vier, fünf Jahren
einmal von einem Mann geträumt habe, der meinen Vater
darstellte. Zehn oder zwölf Jahre später sah ich zum erstenmal

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eine Fotografie meines Vaters. Ich kannte sie bereits. Es war der
Herr aus meinem Traum10 .« Von der Mutter erzählt Roth
wortkarg, daß sie ukrainische Lieder sang, wenn sie sich
unglücklich fühlte. Dafür wird der unbekannte, laut eigener
Angabe nur im Traum erlebte Vater mit jenen
Charaktereigenschaften ausgestattet, die Roth selbst
auszeichneten - Verschwendung, Trunksucht und Melancholie.
Zipper und sein Vater, ein Werk Roths, da man als
»Familienroman« bezeichnen darf, läßt der Verfasser mit den
aufschlußreichen Worten beginnen: »Ich hatte keinen Vater -
das heißt: ich habe meinen Vater nie gekannt - Zipper aber
besaß einen. Das verlieh meinem Freund ein besonderes
Ansehen, als wenn er einen Papagei oder einen Bernhardiner
gehabt hätte. Wenn Arnold sagte: ich gehe mit meinem Vater
morgen auf den Kobenzl - so wünschte ich mir, auch einen
Vater zu haben. Man konnte ihn bei der Hand nehmen, seine
Unterschrift nachahmen, man konnte von ihm Rügen, Strafen,
Belohnungen, Prügel erhalten11 .«
Der Romananfang verrät ungestillten Liebeshunger und die
Sehnsucht nach Bindung und Führung; daß er keinen Vater
hatte, empfand
Roth als einen emotionellen Verlust, der sich zeit seines
Lebens bemerkbar machte und sein literarisches Schaffen
mitbestimmte. An dem Hotelnomaden nagte ein ständiges
Heimweh nach dem, was nie nachzuholen war und keine
Möglichkeit der Erfüllung in sich barg. Später, als ganz Europa
unter dem faschistischen Ansturm zusammenzubrechen schien,
gesellte sich die Klage um die dahingegangene Habsburger
Monarchie zu seiner Wehmut; und die Trauer um den
abwesenden Vater wurde zum eigentlich erst im Rückblick
empfundenen Schmerz über den verstorbenen »Landesvater«,
den Kaiser Franz Joseph I. Der verwaiste Österreicher rief die
aufgelöste und entschwundene Monarchie durch seine Dichtung
erneut ins Leben. Und der Sohn, der sich nie damit abgefunden

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hat, vom Vater verlassen worden zu sein, schuf sich ihn in
mannigfachen Gestalten durch sein unaufhörliches Fabulieren.
In einem Brief an einen Literaturforscher schreibt er: »Ich bin
der Sohn eines österreichischen Eisenbahnbeamten (frühzeitig
pensioniert und in Wahnsinn gestorben...12 .«
Zwei Freundinnen, mit denen er zu verschiedenen Zeiten in
intimen Beziehungen stand, vertraute er ein » Geheimnis« an,
das sie nicht weitersagen durften: »Mein Vater war der ›Kapsel-
Roth‹, der bekannte Wiener Munitionsfabrikant 13 .«
Einem befreundeten russischen Emigranten erzählte er: »Ich
bin das uneheliche Kind eines hohen österreichischen
Staatsbeamten.« Demselben Vertrauensmann sagte er zu einem
anderen Zeitpunkt: »Der Mann, den meine Mutter heiratete, war
nicht mein Vater, denn ich stamme von einem Edelmann ab14 .«
»Ich bin der natürliche Sohn eines polnischen Grafen, mit
dem meine Mutter eine kurze Liebschaft hatte«, erklärte er
einem deutschen Bekannten in Paris, der 1933 Deutschland aus
politischen Gründen verlassen mußte15 .
In Berlin, Paris und Amsterdam gab er sowohl mündlich16 wie
schriftlich an17 , sein Vater sei Kunstmaler gewesen - dies
vielleicht in Anlehnung an das Selbstporträt des verlotterten
Kunstmalers im Radetzkymarsch.
Als er in der Anfangsperiode des Nationalsozialismus anfing,
sich für den Katholizismus zu interessieren, behauptete er einem
Auslandskorrespondenten in Berlin gegenüber, sein Vater, ein
Jude von Geburt, sei zu jener Konfession übergetreten18 . Im
Winter 1936/37 erklärte er einem Verwandten in Paris: »Die
überstürzte Eheschließung meiner Mutter bezweckte, einen
Fehltritt mit einem Offizier zu vertuschen. In Wirklichkeit bin
ich der Sohn jenes Offiziers. Ich erfuhr das erst vor kurzem von
ehemaligen Kameraden, denen ich wieder begegnet bin19 .« Zur
gleichen Zeit behauptete er einem Schriftstellerkollegen
gegenüber: »Mein Vater war ein Offizier, der in jeder Garnison

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eine andere Frau hatte20 .«
Diese Versionen änderten sich je nach Bedarf und Laune, so
daß er imstande war, einem in Berlin ansässigen Journalisten,
dessen politische Gesinnung ihm eine Zeitlang verdächtig
scheinen mußte, mit offensichtlichem Stolz mitzuteilen: »Bin
ein alter Jud von Vater und Mutter her21 .«
Es war ein in Paris lebender lettischer Talmudist, dem Roth
sich in mancher Hinsicht offenherziger erschloß als allen
anderen Freunden. Was er ihm erzählte, entspricht, mit
Auslassungen und Abweichungen, noch am ehesten der
Wahrheit: »Mein Vater war ein wenig praktischer Mann, der die
Hoffnung hegte, Hopfenhändler zu werden, ein Plan, den er aber
nie in die Tat umsetzen konnte. Die Ehe war ihm keine
Liebesbeziehung, und als ich als einziges Kind kaum anderthalb
Jahre alt war, ließ er meine Mutter und mich im Stich und zog
zu einem Wunderrabbi. Es wird ihm nachgesagt, daß er beim
Hofstaat des Rabbis in Wahnsinn starb22 .«
Diese Phantastereien über den Vater verknüpfte Roth mit
anderen über seine Geburt. Die »Umstände« dieser Geburt
vertraute Roth den beiden Freundinnen an, mit denen er längere
Zeit liiert war. Man sei zu arm gewesen bei ihm zu Hause, um
eine Wiege anzuschaffen. So habe man ihn als neugeborenen
Säugling auf die Fensterbank gelegt und sich nicht weiter um
ihn gekümmert. Er sei blau geworden vor Kälte, und als er sich
beinah - schon im zartesten Alter - eine tödliche
Lungenentzündung zugezogen hätte, habe man ihn in Sicherheit
gebracht 23 .
Dem achtjährigen Töchterchen seiner langjährigen
Lebensgefährtin Manga Bell band er ein wunderliches Märchen
auf: er sei als Rabe zur Welt gekommen und seine
unbarmherzige Vogelmutter habe ihn aus dem Nest geworfen.
Am nächsten Morgen kam die kleine Tochter Bell in aller Frühe
auf Zehenspitzen zu ihm - so erzählt sie selbst - und betastete
seinen Rücken, um das Vorhandensein etwaiger Überreste von
-19-
Hügeln feststellen zu können24 .
Dieses Phantasiegebilde Roths enthält eine Assoziation zu der
Rabenmutter, die sic h nicht um ihre Brut kümmert. Im Jahre
1931 veröffentlichte Roth eine Reminiszenz /mit dem Titel Die
Wiege/ in einem deutschen Wochenblatt25 , die alle
Komponenten enthält, die in seinen erfundenen Geschichten
vorkommen - das Bild der Hilflosigkeit und des
Ausgesetztseins, das vergebliche Verlangen nach Verständnis
und die Wehmut, an der der Unglückliche sich erwärmte - hier
allerdings in schöner künstlerischer Transposition.
Mit diesen Andeutungen über das seiner Wiege beraubte,
preisgegebene Kind beklagte Roth sein Los und bekannte sein
ungestilltes Verlangen nach Liebe. In der Geschichte von der
verschenkten Wiege spiegelt sich das ihn kennzeichnende
Gefühl, immer wieder werde ihm ein Stück seines Lebens
entrissen. Und in dem Bild der »ahnungslosen« Mutter machte
er ihr noch einmal und nachträglich, zehn Jahre nach ihrem
Tode, den Vorwurf der Verständnislosigkeit. Ohne sich jemals
in literarischer oder weltanschaulicher Hinsicht den
Expressionisten anzuschließen, gehörte Roth zu ihrer
Generation, und seine Überbewertung des Vaters stimmt, mit
umgekehrten Vorzeichen, mit der solcher Zeitgenossen wie
Walter Hasenclever, Franz Kafka, Georg Trakl und Franz
Werfel überein. Sie alle fühlten sich wie Stiefkinder; die hier
genannten wegen des Zerwürfnisses mit dem Vater; Roth, weil
er nie einen Vater gehabt hatte. Die unter der Macht des Vaters
leidenden und dagegen rebellierenden Expressionisten und Roth,
der sich nach einem Vater sehnte, ähnelten sich insofern, als der
Vater für sie zu einer allmächtigen Gestalt wurde. Hierfür gibt
Werfel eine der überzeugendsten Erklärungen: »Was versteht ihr
unter - Herrschaft des Vaters? - Alles. Die Religion: denn Gott
ist der Vater der Menschen. Der Staat: denn König oder
Präsident ist der Vater der Bürger. Das Gericht: denn Richter
und Aufseher sind die Väter von Jenen, welche die menschliche

-20-
Gesellschaft Verbrecher zu nennen beliebt. Die Armee: denn der
Offizier ist der Vater der Soldaten. Die Industrie: denn der
Unternehmer ist der Vater der Arbeiter26 !«
Die Wahrheit über Roths Eltern und insbesondere über seinen
Vater ist im großen und ganzen bescheidener, in einigen
wenigen Aspekten jedoch bemerkenswerter als seine
Phantastereien über sie. Seine Mutter, das Zweitälteste von
sieben Kindern, wurde, wie all ihre Geschwister, in Brody
geboren. Ihr Vater, Jechiel Grübel, der sich 1866 verheiratet
hatte, war in jüngeren Jahren Tuchhändler. Er kaufte Stoffe in
England ein und verkaufte sie nach Rußland. In Brody hatte er
sich niedergelassen, da dieser Grenzort eine Zeitlang als
Freistadt Zollvergünstigungen genoß, die sich bei der
Wareneinfuhr nach Rußland ausnützen ließen. Im
fortgeschrittenen Alter fristete er das Leben eines kleinen
Angestellten in einem Teegeschäft. Als seine Frau an der Geburt
des siebenten Kindes starb, mußten Rebekka, die älteste, und
Maria, die später Roths Mutter wurde, dem Vater und den fünf
jüngeren Brüdern den Haushalt führen. Alle Familienmitglieder
konnten sowohl Jiddisch wie Polnisch, sprachen aber
untereinander Deutsch, und die Brüder - Siegmund, Heinr ich,
Norbert, Salomon und Willy - hatten, mit Ausnahme des
zweitjüngsten Bruders, nichtjüdische Namen. Roths Mutter, die
im Familienkreis mit »Maria« angeredet wurde, kannte man als
»Miriam« und ihre Schwester Rebekka als »Riwke« unter den
entfernteren, jiddisch sprechenden Verwandten. Roth sollte alle
seine Onkel näher kennenlernen und besuchte sie auch
mehrmals, freilich bisweilen mit gemischten Gefühlen und, da
er zeitweise finanziell von ihnen abhängig war, manchmal mit
dem Verlangen, sich von ihnen loszusagen. Besonders
Siegmund, der Roths Vormund wurde, tat viel zur Unterstützung
Joseph Roths und seiner Mutter, und gerade deshalb zog es der
sensible Roth während seiner Wiener Studienzeit vor, am
Hungertuch zu nagen, als weiterhin auf den begönnernden

-21-
Onkel angewiesen zu sein27 . Roths Vater, Nachum Roth28 ,
stammte aus Westgalizien und war unter Chassidim, jener
ostjüdischen Sekte mit mystisch lebensfrohem Einschlag,
aufgewachsen und eine Zeitlang Rabbinatskandidat gewesen.
Als Wildfremder wurde er von einem Freund der Grübel-
Familie bei den Lemberger Brüdern eingeführt und als
eventueller Bräutigam für Maria vorgeschlagen. Nachum wies
sich als Getreideeinkäufer für Rechnung eines Hamburger
Exporthauses aus. Die Auskünfte, die man über ihn erhielt,
machten einen ungünstigen Eindruck und gaben Anlaß zu
Bedenken, aber da man die Schwester versorgt haben wollte,
setzten die männlichen Mitglieder der Familie bald darauf die
Hochzeit fest29 . Die Trauung fand 1892 - Maria war zu der Zeit
Mitte der Zwanzig - im Tempel zu Brody statt. Das Paar wurde
nach österreichischem Recht vom Rabbiner getraut. Roths
Geburt war daher sowohl nach landesgesetzlicher wie auch nach
jüdischer Auffassung und entgegen seinen eigenen Aussagen
durchaus legitim.
Die Brüder Marias hatten gemeinsam eine ansehnliche Mitgift
beigesteuert, was die Partie in den Augen des Bräutigams wohl
als begehrenswert erscheinen ließ, zudem sie auch für eine
glanzvolle Hochzeit sorgten. Nachum beabsichtigte, die Mitgift
in einem Holzhandel in Westpreußen anzulegen, um
selbständiger Geschäftsmann zu werden, wollte fürs erste jedoch
die bisherige Stellung beibehalten. Aber das Schicksal machte
ihm, der kaum anderthalb Jahre mit seiner Frau verleben sollte,
einen Strich durch die Rechnung. Für seine Hamburger Firma
lagerte er Waren in Kattowitz (Schlesien) ein. Während er
seinen privaten Geschäften nachging, wurde ihm die Nachricht
überbracht, derjenige, dem er die Beaufsichtigung des Lagers in
Schlesien anvertraut hatte, habe die Waren veruntreut. Nachum
fuhr daraufhin mit seiner Frau im Spätherbst 1893 zunächst nach
Kattowitz. Hierauf bezieht sich wahrscheinlich Roths
Bemerkung »... mein Vater... ließ sie in Kattowitz allein und

-22-
verschwand auf Nimmerwiedersehen«. Von dort reiste er nach
kurzem Aufenthalt allein nach Hamburg, um die Angelegenheit
mit seiner Firma, da er für die veruntreuten Waren
verantwortlich war, zu regeln. Über den Ausgang dieser
Verhandlungen läßt sich nichts ermitteln. Doch steht fest, daß
Nachum Roth, der von Hamburg nach Berlin mit dem Zug fuhr,
seines Verhaltens wegen aus dem Eisenbahnwaggon entfernt
und isoliert werden mußte. Er wurde zunächst in einer Anstalt
für Geisteskranke in Deutschland untergebracht und darauf
seinen nächsten Verwandten in Rzeszów (Westgalizien)
übergeben. Diese wiederum brachten ihn bei einem
Wunderrabbi in Russisch-Polen unter.
Maria Roth, die einige Zeit vergeblich auf die Rückkehr ihres
Mannes gewartet hatte, blieb schließlich nichts anderes übrig,
als ins Haus ihres Vaters in Brody zurückzukehren, wo sie am 2.
September 1894 ihren Sohn Moses Joseph gebar. Es bestand
kein weiterer Kontakt zwischen Maria und Nachum, der, nach
der ersten kurzen Nachricht über sein Unglück, als verschollen
galt.
Es war Salomon Grübel, der der Sache nachging und zu
Nachum reiste. Die Begegnung, die inmitten des Hofstaates
eines chassidischen Rabbis stattfand, sollte die letzte der
Grübels mit Roths Vater sein. Salomon Grübel schilderte den
Mann, den er antraf, als bildschön, mit blondem Vollbart und
den gleichen leuchtenden Augen, die Joseph Roth besaß. Aber
dieser Mensch mit dem angenehmen Äußeren lachte
unaufhörlich und war völlig unzurechnungsfähig. Maria führte
den
Haushalt ihres Vaters weiter bis zu seinem Tode im Jahre
1907. Roths Vater starb drei Jahre später, noch immer in
derselben Umgebung, in geistiger Umnachtung, ohne jemals
seinen Sohn, von dessen Existenz er keine Ahnung hatte,
gesehen zu haben30 .

-23-
3
Die ersten Jahre und die Volksschule
1894-1905

»Je westlicher der Herkunftsort des Juden, desto mehr Juden


gibt es, auf die er herabschaut. Der Frankfurter Jude verachtet
den Berliner Juden, der Berliner Jude verachtet den Wiener
Juden; der Wiener Jude verachtet den Warschauer Juden. Dann
kommen noch die Juden ganz dahinten aus Galizien, auf die, sie
alle herabschauen, und dorther bin ich, der letzte aller Juden1 .«
Mit leichter Verbitterung lachte Joseph Roth über die
Selbstironie seines Witzes. Der unmittelbare Anlaß für seine
Bemerkung war der letzte Besuch, den er seinem heimatlichen
Galizien im Frühling 1937, zwei Jahre vor seinem Tod,
abstattete. An diese Heimat, zu der es keine wirkliche Rückkehr
geben konnte, war er durch Sehnsucht und Ablehnung, Liebe
und Haß, Stolz und verschämte Verlegenheit gebunden. Er, der
sie früh verließ, suchte die verlorene Heimat in den vielen
Stationen seiner Irrfahrten durch die fernsten Länder
Westeuropas. Wiedergefunden hat er sie nur in der literarischen
Gestaltung der östlichen Welt, in Juden auf Wanderschaft, Hiob,
Das falsche Gewicht, Hotel Savoy, Tarabas, Der Leviathan,
einigen Stellen des Radetzkymarsches und der Büste des
Kaisers.
Nicht ganz anderthalb Jahrhunderte - von 1772 bis 1918 - war
Galizien das größte Kronland und der Nordostrand der
Habsburger Monarchie. Innerhalb der 78 492 qkm der erst nach
dem Wiener Kongreß endgültig festgesetzten Grenzen lagen die
Tiefebene Nordgaliziens, das Hochgebirge der Tatra, das
Mittelgebirge der Karpathen, und in der Gegend, in der Roth
aufwuchs, ungeheure Waldungen, sowie das Plateau und die
Sumpfgebiete - im Radetzkymarsch ist von diesen die Rede -
Podoliens. Auf den langen, strengen und schneereichen Winter

-24-
folgt ein später Frühling und ein kurzer, aber heißer Sommer.
Getreide, Holz, Salz und Petroleum sind die Schätze des armen
Landes. Noch zu Roths Zeit befand sich der Boden Galiziens,
dessen Haupterwerbsquellen Land- und Forstwirtschaft waren,
zu einem Drittel im Besitz großer Landherren.
Die Okkupation Galiziens durch die Österreicher machte die
jüdische Frage erstmalig in neuerer Zeit in Österreich aktuell,
denn zu der Zeit lebten bereits etwa 200 000 Juden in Galizien.
Obwohl Joseph II. kein besonderer Freund der Juden war,
gedachte er sie in seine Reformpläne einzubeziehen.
Zu Ansätzen bürgerlicher Emanzipation der galizischen Juden
kam es 1789 durch das Toleranzpatent, das bekannt machte, die
Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden sollten im
Interesse des Allgemeinwohls aufgehoben werden. Man vertrieb
die Juden zwar aus den Dörfern, aber ein Teil der alten
Sondersteuern fiel weg. Handels- und Gewerbefreiheit wurden
den Juden zugesichert, obwohl ihnen die Führung des
Meistertitels weiterhin versagt blieb, und zum erstenmal durfte
der Jude Fabrikbesitzer werden.
Joseph Roth verbrachte seine ersten Jahre in Brody zwar
keineswegs im Getto, wohl aber in einer fast geschlossenen
jüdischen Siedlung. Roths Großvater, der noch in der
Orthodoxie verankert war, schien einer ganz anderen Welt
anzugehören als die vornehmen und modisch gekleideten
Kunden /von Roths Onkel, Kaiman Ballon, der von Beruf
Schneider war./ Auch auf der Straße stachen die galizischen
Juden von ihren polnischen und ruthenischen Mitbürgern durch
ihre Gewänder und ihre Sprache ab. Beides hatten die Vorväter
aus jenem Deutschland des 14. Jahrhunderts mitgebracht, von
dem sie so unbarmherzig behandelt worden waren. Dort
eigneten sie sich die zur Tracht gewordene Kleidung an: den mit
breitem Gürtel versehenen Kaftan, die kurze, unter den Knien
angebundene Hose, und das Samtkäppchen, das auch beim
Essen und Schlafen nicht abgenommen wurde. Auf der Straße

-25-
trug man eine hohe Pelzmütze, im Winter einen Pelzmantel und
an Feiertagen einen Talar aus schwarzer Seide. Zur männlichen
Haartracht gehörten die langen Stirnlocken und der Vollbart.
Als Roth heranwuchs, muß sich in dem Großvater eine
Wendung zur Modernität vollzogen haben, denn er erhob keinen
Einspruch, als sein Enkel in die Volksschule statt in den Cheder
ging, und er machte auch bei seinem Besuch des Gymnasiums
keine Schwierigkeiten. Die streng orthodoxe Mutter sorgte
/weiter/ nicht nur dafür, daß die wichtigsten Feiertage
eingehalten wurden, sondern auch dafür, daß das tägliche Essen
koscher war. h einem kleinen Notizbuch2 Roths aus dem Jahr
1919 findet sich folgende Darstellung vom Glauben seiner
Jugend: »Ich haßte den Teufel. Aber an Gott glaubte ich nur
schüchtern und während ich genau wußte, daß er nicht existierte,
betete ich dennoch zu ihm. Zwei Jahre lang, von meinem
vierzehnten bis zum sechzehnten Lebensjahr, war ich ein
Atheist. Ich sah zum Himmel empor und wußte, daß er aus
blauer Luft bestand. Ich hatte aber gar nicht gemerkt, daß Gott
nicht verschwunden, sondern gleichsam nur übergesiedelt war,
aus dem Himmel irgendwohin anders, ich wußte nicht wohin,
wahrscheinlich aber in meine Nähe. Daß niemand die Welt
regierte, war mir offenbar. Daß aber Jemand meine eigenen
Wege überwachte, fühlte ich. Ich betete oft und meine Gebete
waren sehr kurz. Sie bestanden in einem Gedanken, ja, nur in
einem Einfall. Der, zu dem ich betete, half immer, er strafte
niemals. Ja, ich schämte mich nicht, ihn um seine Unterstützung
bei meinen unedlen, beinahe verbrecherischen, auf jeden Fall
aber sündhaften Unternehmungen zu bitten. Er half auch da. Ich
hätte ihn immer verleugnet. Aber desto eifriger glaubte ich ihn.
[sic] Er war da, wie eine Wirklichkeit. Erst zwei Jahre später
wuchs Gott, den ich nur für mich in Anspruch genommen hatte,
zum Weltengott und Herrn des Alls. Daß er mir gut gesinnt war,
gleichsam aus alter Kameradschaft, wußte ich. Ich fürchtete ihn
nicht. Ich vertraute ihm. Und wenn mir Schlimmes widerfuhr,

-26-
war mir's keine Strafe, sondern eine mir noch verborgene,
maskierte Gnade.«
Der Chassidismus, mit seiner Verehrung des Gefühls und
seiner Ablehnung des Verstandes, fand unter den galizischen
Juden starke Verbreitung. /Seine/ Lehren, daß Gott in allen
Dingen walte, daß zwischen ihm und der Welt eine
ununterbrochene Bindung bestehe, und daß man Gott mit jeder
Beschäftigung diene, befriedigten die mystischen Neigungen
ihrer Anhänger. In mancher Hinsicht weist der Chassidismus
Berührungspunkte mit dem Katholizismus auf. Während die
gläubige n Polen und Ukrainer sich bei jedem Unheil an einen
zuständigen Heiligen wenden konnten, erhoffte sich der Chassid
(das Wort heißt soviel wie »der Fromme«) Hilfe von seinem
Zaddik (»der Gerechte«), auch Wunderrabbi genannt. Roth muß
es sehr beschäftigt haben, daß sein Vater seine letzten geistig
umnachteten Jahre bei einem chassidischen Rabbi verbrachte.
Vielleicht war es diese Erinnerung, die ihn bewog, in den späten
zwanziger Jahren in Berlin einen chassidischen Wunderrabbi um
Hilfe zu bitten, als seine Frau in eine schwere Psychose verfiel.
Mehrere Freunde Roths bescheinigen ihm einen starken Hang
zur Wundergläubigkeit. Dazu wäre zu sagen, daß Roths
Wundergläubigkeit nicht mit echtem Glauben gleichzusetzen ist.
Vieles spricht dafür, daß Roth nie wirklich im traditionellen
Sinne religiös war.
Brody war der Mikrokosmos, in dem Roth mit einer Welt
voller Gegensätze in Berührung kam. In seinem 1927
erschienenen Essay Juden auf Wanderschaft schildert er »Das
jüdische Städtchen« im Osten, wobei Brody, ohne namentliche
Erwähnung, wahrheitsgetreu beschrieben wird3 .
Die Sümpfe, die Roth /im Radetzkymarsch/ auf so suggestive
Weise schildert4 , spiegeln sich im Namen seiner Geburtsstadt,
der von dem slawischen Wort »brod« (Furt) abgeleitet ist,
dessen Mehrzahlform »brody« ist. Dieses Brody und das
umliegende Galizien, die Roth - was seine Person betraf - meist

-27-
bestrebt war, als nicht existent zu betrachten, ließ er bei guter
Laune und bei richtiger Anteilnahme in wundersamer
Ausstattung aufleuchten. Einem jungen begeisterten Franzosen
gegenüber, mit dem Roth einst eine gemeinsame Reise nach
dem Osten erwog, erklärte Roth: »Der Wind, der über Galizien
weht, ist bereits der Wind der Steppen, bereits der Wind von
Sibirien5 !«
Ungehemmter konnte Roth bei seinem dichterischen Schaffen
aus den Jugenderinnerungen schöpfen - so auch in bezug auf
Brody als Mittelpunkt eines emsig betriebenen Schmuggels.
Roths Roman Das falsche Gewicht schildert das Milieu, sein
durch mehrere Werke spukender Kapturak stellt den
Schmugglertyp dar. Wie Roth in der Schilderung aus dem
Radetzkymarsch darlegt, bestand die Schmugglerware oft aus
Menschen. Die Juden Rußlands standen unter
Auswanderungsverbot, und einen Reisepaß konnten sie sich
nicht leisten. Manche wollten um jeden Preis dem Militärdienst,
der alle religiösen Vorschriften negierte, entkommen. So
wandten sie sich an einen Kapturak und gelangten bei Nacht und
Nebel über die Grenze - Hiob bietet ein Beispiel dafür - und
Brody bildete eine der Etappen auf der langen Reise nach
Amerika6 .
Brody war der Sitz einer k. k. Bezirkshauptmannschaft mitten
in der Kornkammer Galiziens, fünfundachtzig Kilometer
nordöstlich von Lemberg. Als Roth zur Schule ging, fanden das
30. galizischbukowinische Feldjägerbataillon und drei
Eskadrons des 13. Ulanenregiments in der dortigen Garnison
Quartier. Breite Straßen, steinerne, mit Blech gedeckte Häuser
und das aus dem 14. Jahrhundert stammende Mlodecki-Schloß
bestimmten das Stadtbild. Zu den Bildungsstätten gehörten das
Staatsrealgymnasium und eine katholische sowie eine jüdische
Volksschule.
Als einzige größere Stadt in dem großen, dünnbesiedelten
Gebiet zwischen Lemberg und Dubno bildete Brody den

-28-
Hauptumschlagplatz des galizischen Handels und die
Umsatzstelle für den österreichischrussischen Verkehr. Über 20
Groß- und 200 Kleinhändler, fast lauter Juden, trieben zu Roths
Zeit Handel mit Getreide, Vieh, Pelzwerk, Wolle aus Rußland,
Baumwolle, Seidenwaren, oberösterreichischen Sensen, Leder,
Juwelen, Perlen, Borsten und Federn. 1879, nach
hundertjährigem Bestehen als Freistadt, kam es durch das
Drängen der russischen Regierung und sich benachteiligt
fühlender österreichischer Industrieller zur Abschaffung von
Brodys Sonderstellung. Damit war es auch mit der großen Zeit
von Brody vorbei. Die Konsulate der verschiedenen Staaten
schlössen ihre Türen, die reichsten Kaufleute wanderten aus,
und Brodys wirtschaftliche Bedeutung, die schon seit 1848 im
Abklingen war, erlitt einen Niedergang, von dem es sich nicht
mehr erholte. Infolgedessen nahm auch die Einwohnerzahl
rapide ab. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung
auf 25 000 angewachsen, im Jahre 1900 waren es nur noch 17
360, wovon 11 854 oder 72 Prozent der Gesamtbevölkerung aus
Juden bestand 7 . Keine andere Stadt in Galizien und vermutlich
im ganzen österreichischen Kaiserreich wies einen so hohen
Prozentsatz an Juden auf.
Brody hatte bereits um die Jahrhundertwende seine große Zeit
längst hinter sich. Aber trotz des Verfalls hatten die Brodyer
Juden es im großen und ganzen besser als der Durchschnitt der
galizischen Juden. Vielleicht war die in ganz Galizien bekannte
Brodyer Großmannssucht auf den einstigen Ruhm und
Wohlstand, von dem man immer noch zehrte, zurückzuführen.
Roth, der, sobald er zu verdienen anfing, fast immer über seine
Verhältnisse lebte und oft dafür sorgte, daß andere diese seine
Eigenart zur Kenntnis nahmen, macht in Juden auf
Wanderschaft auf »die naive Sucht des Kleinstädters, den
Ortsgenossen zu imponieren« 8 aufmerksam.
Die vermutlich älteste erhalten gebliebene photographische
Aufnahme von Roth zeigt ihn im Alter von etwa vier Jahren9 .

-29-
Auf einem großen gepolsterten Stuhl steht das versonnene, ernst
dreinblickende Kind, modisch herausgeputzt.
Eine zweite Aufnahme zeigt den nunmehr neunjährigen Roth
zusammen mit seiner Mutter10 . Dieser ist ein Hang zur Eleganz
anzumerken. Spitzen bedecken den üppigen Busen, aus dem
kräftigen runden Gesicht mit dem herrischen Mund sprechen
Energie, überschäumendes Temperament, Eigensinn und ein
Anflug von Rechthaberei. Wie lassen sich diese Bilder, die für
eine in die Augen springende Wohlhabenheit sprechen, mit
Roths zahlreichen Beteuerungen der Armut zusammenreimen?
Stefan Zweig bescheinigt ihm: »Ungern hat Roth von diesen
Jahren beschämender Entbehrung in späterer Zeit erzählt. Aber
wir wußten, daß er bis zum einundzwanzigsten Jahre nie einen
Anzug getragen, der für ihn selber geschneidert worden war,
immer nur die abgetragenen, abgelegten von anderen, daß er an
Freitischen gesessen, wie oft vielleicht gedemütigt und in seiner
wunderbaren Empfindsamkeit verletzt, - wir wußten, daß er nur
mühsam durch rastloses Stundengeben und Hauslehrerei das
akademische Studium fortsetzen konnte11 .«
In einem Brief an seine französische Übersetzerin schildert er
seine Jugend lakonisch, aber vielsagend als »très pauvre«12 . Im
Gegensatz hierzu führt /Roths/ Vetter /Miguel Grübel/ aus:
»Roth lebte mit seiner Mutter bestimmt in bescheidenen
Verhältnissen, aber die Unterstützung von selten seines
Vormundes war zweifellos soweit hinreichend, daß er nicht in
Armut oder Not lebte13 .« Und schließlich bezieht sich Stefan
Zweigs Frau Friderike auf die Aussage von Roths ihm eng
vertrauter Kusine Paula Grübel, der Tochter Siegmunds: »Seine
Mutter und er selbst seien, so erzählte mir eine Cousine Roths,
von ihren Verwandten herzlich umsorgt worden und nicht, wie
er es hinstellte, der Armut ausgesetzt gewesen14 .«
Wo liegt hier Dichtung, wo Wahrheit? Warum machte Roth
soviel Aufhebens von seiner angeblich schäbigen Kleidung, wo
doch die wenigsten Brodyer Jungen sich durch elegante Kleider

-30-
auszeichneten und er beim Besuch des Gymnasiums ohnedies
acht Jahre lang eine vorgeschriebene Uniform tragen mußte?
Wahr ist, entgegen seinen erdichteten Aussagen, daß Roth in
zwar beschränkten, aber durchaus bürgerlichen Verhältnissen
aufgewachsen war. Unter wirklicher Not hat er nur während
seiner Studienzeit in Wien gelitten, und auch dort nur deshalb,
weil er sich von seinem Vormund abwandte und sich weigerte,
sich weiterhin von ihm unterstützen zu lassen15 . Im späteren
Leben und vor allem in der Emigration übertrug Roth die alten
gestauten Ressentiments und die Mißgunst auf jeden - man
denke vor allem an Stefan Zweig -, den er um Geld bitten
mußte. Denn in früher Jugend mußte er sich gefällig erweisen,
um dasjenige zu bekommen, was ihm, seinem Gefühl nach, vo n
vornherein hätte vergönnt sein sollen.
Roth war ein Schulbeispiel für das, was amerikanische
Psychologen unter »deprived child« verstehen. Die Liebe, das
Verhätscheltwerden, wie er es sich wünschte, und die
Geborgenheit, die er entbehrte, das psychische Ausgesetztsein,
das er von jung auf empfand, verlegte er auf die von ihm
erdichtete äußerliche Not und machte damit halb unbewußt
darauf aufmerksam, daß man an ihm wettzumachen habe, was
ihm so dringend gefehlt hatte. In späteren Jahren kam das in
seiner verzweifelten Suche nach Nichmachzuholendem und
einer stetigen Flucht vor sich selbst zum Ausdruck.
Daß er gerne betonte, er habe alte - das heißt für andere
bestimmte - Kleider getragen, spricht für sein Empfinden, den
anderen gehöre auch die Liebe, die ihm entzogen wurde. Roth,
der es nicht über sich bringen konnte, direkt über seine
emotionalen Bedürfnisse zu sprechen, verachtete später als
betonter Bohémien demonstrativ das Familienleben, das ihm in
früher Kindheit das vorenthalten hatte, was er so dringend
brauchte.
Das psychische Manko, das sich symbolhaft in der
Behauptung über das Tragen gebrauchter Kleider zu erkennen
-31-
gab, verwandelte sich, sobald er gut zu verdienen anfing, in sein
kompensierendes Gegenteil. Dem zeitweise sich peinlich
geckenhaft kleidenden Roth der zwanziger und frühen dreißiger
Jahre wurden Kleider zum Sinnbild für Eigenliebe und
Selbstachtung. Dieser Hang zum Luxus fand seinen Ursprung in
der verletzten Eigenliebe und diente als Gegenmaßnahme zur
stets latenten Neigung zur Selbstvernichtung. Somit fungierte
seine Prunksucht als Teil von Roths Selbsterhaltungstrieb.
Darum ist es auch bezeichnend, daß sie bei ihm in den letzten
fünfzehn Monaten seines Lebens, als er sich selbst aufgab,
weitgehend aufhörte, eine Rolle zu spielen und er seinem
Aussehen keine besondere Wichtigkeit mehr beimaß.
Von seinem erdichteten Ich ausgehend, verspürte Roth eine
innige Solidarität mit jedem, der wegen Hilflosigkeit, Armut
oder Lebensfremdheit in Not zu leben schien. Diese Menschen
waren die Modelle für seine literarischen Gestalten, und solche
Menschen sind es, die er in all seinen europäischen Stationen
aufspürte. Irmgard Keun, die diesen Aspekt Roths aus nächster
Nähe beobachtete, bemerkt dazu: »Roth war imstande, jeden
und alles zu verraten. War aber einer in Not, so war das für ihn
eine Aufforderung, die er nicht umgehen konnte16 .« Die
Urquellen kindlicher Not wirkten auf ihn wie ein kategorischer
Imperativ. In dieser Beziehung ist die Tatsache bemerkenswert,
daß Roths erster Vorname, Moses, den er als
Zweiundzwanzigjähriger bei formalen Anlässen für immer
verschwinden ließ, in den Unterschriften seiner Briefe aus dem
Jahr 1926 an Benno Reifenberg, der für ihn psychisch die Rolle
eines älteren Bruders spielte, in der jiddischen Form »Mojsche«
wieder auftauchte, wenn Roth sich in Klagen über sein Los
erging17 . Seine besondere Sympathie galt den aus der
jiddischsprachigen Literatur bekannten »Luftmenschen« und
Schlemihlen, die ihren Lebensunterhalt quasi aus der Luft
bezogen. Alle wirtschaftlichen Möglichkeiten einer normalen
Gesellschaft sind einem solchen Menschen verschlossen, und

-32-
darum setzt der durch und durch unpraktische Schlemihl seine
Hoffnungen auf Pläne, die ans Wunderhafte grenzen. Roth
zeigte eine ausgesprochene Begabung im Aufspüren der
verschiedenen Spielarten dieser wenig beneidenswerten
Menschengattung, die im Leben nicht richtig Fuß fassen kann
und sich in keine Gesellschaftsschicht einzufügen vermag. In
seinem heimatlichen Galizien mußte die Not seiner Landsleute
Roths Mitgefühl erwecken. Denn trotz der mannigfaltigen
Beschäftigung der Juden, trotz der Tatsache, daß fast die ganze
dürftige Industrie von den Juden beherrscht wurde, war deren
überwiegende Mehrzahl bitterarm. Ein Memorandum des
Aggudat Achim (»Brüderbund«, eine galizischjüdische
philantropische Gesellschaft) vom Mai 1890 wies die polnische
Abteilung des österreichischen Parlaments darauf hin, daß 85
Prozent der jüdischen Bevölkerung das Leben mit einem
jährlichen Einkommen von weniger als 200 Gulden im Jahr
fristen mußte, und daß 60 Prozent aller Juden nur durch die
Hilfe der öffentlichen Fürsorge auskommen konnte. Und
Statistiken aus dem Jahre 1910 stellen fest, daß - während 56
Prozent der christlichen Bevölkerung Galiziens berufstätig
waren und 44 Prozent arbeitslos - die entsprechenden
Prozentsätze unter den Juden mit 39 Prozent und 61 Prozent
eine noch größere Diskrepanz aufwiesen18 . Charakteristisch für
Roth, der dazu neigte, den Notleidenden überlegene
menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, ist der Satz, mit dem
er seiner ostjüdischen Heimat bescheinigt, man müsse »Achtung
haben vor Schmerz, menschlicher Größe und vor dem Schmutz,
der überall das Leid begleitet...19 «
Auf allen seinen Wanderungen fühlte Roth sich immer von
neuem von dem in seinen Augen Größe bergenden Leid
ergriffen. Zum Beispiel verrät der folgende Passus, der 1926
anläßlich einer Reportagenreise in Rußland entstand, tiefe
Ergriffenheit: »Meine traurigsten Erlebnisse verdanke ich
meinen Wanderungen durch die ›Moldawanka, das Judenviertel

-33-
in Odessa. Da geht ein schwerer Nebel herum, wie ein
Schicksal, da ist der Abend ein Unheil, der aufsteigende Mond
ein Hohn. Die Bettler, sie sind hier nicht nur die übliche Fassade
der Straße, hier sind sie dreifache Bettler, denn hier sind sie zu
Hause20 .«
Die Kindhe itsjähre des Sechs- bis Zehnjährigen, in denen
Roth seinen ersten regulären Schulunterricht genoß, brachten im
geistigen wie im emotionalen Bereich Erlebnisse mit sich, die
von dauernder Bedeutung für ihn blieben. Bis in die neunziger
Jahre des 19. Jahrhunderts wurde der Großteil der jüdischen
Schüler Galiziens in dem alten Schultypus, »Cheder« genannt,
unterrichtet. Das änderte sich erst durch die Stiftung der Baron-
Hirsch-Volksschulen. Die öffentliche, kostenfreie, vom Staat
anerkannte und unterstützte Baron-Hirsch-Schule in der
Pfarrgasse zu Brody besuchte Roth während der Jahre 1901 bis
1905. Diese Lehranstalt, die man im Volksmund meist »die
jüdische Gemeindeschule« nannte, hatte den mährischen Juden
Dr. Leopold Herzl zum Direktor. Auch mehrere Mitglieder des
rein jüdischen Lehrkörpers waren Mährer, die der Schülerschaft
etwas fremd vorkamen, weil sie nicht Jiddisch konnten. Roths
Volksschullehrer hießen Dodalen, Reik und Tuwim. Joseph
Wildholz, ein gebürtiger Brodyer, dem nachgerühmt wurde, er
könne den Faust in vier voneinander unabhängigen
Kommentaren auslegen, war der hochgeachtete Deutschlehrer.
Außer den zwei Stunden Deutsch, die zum Tagesprogramm
gehörten, lernte man auch Polnisch und Hebräisch. Für
sämtliche Fächer, auch für den obligaten Religionsunterricht,
war Deutsch die Unterrichtssprache. Allerdings gehörte zu
letzterem Fach der gemeinsame Besuch des samstags vormittags
in der Synagoge in hebräischer Sprache abgehaltenen
Gottesdienstes.
Die Vormittage von 8 bis 1 Uhr verbrachte Roth unter der
strengen Aufsicht seiner Volksschullehrer. Im letzten Schuljahr
kamen noch zwei weitere Stunden nachmittags hinzu, zur

-34-
Vorbereitung auf das Gymnasium und zur näheren Einführung
in die Religion. Im Laufe der vier Volksschuljahre hatten Roth
und seine Mitschüler die Grammatik der hebräischen Sprache
durchgenommen und darauf den ganzen Pentateuch, d.h. die
fünf Bücher Moses von Genesis bis Deuteronium - abgesehen
von den heiklen, für die Jungen nicht geeigneten Stellen - ins
Deutsche übersetzt.
Was Roth an formaler jüdischer Bildung und Erziehung ins
Leben mitbrachte, das verdankte er der Volksschule und dem
Gymnasium. Juden auf Wanderschaft und Hiob erbringen den
Beweis seiner Vertrautheit mit jüdischen Riten und Bräuchen.
Später bereitete es ihm öfters Genugtuung, mit diesen
Kenntnissen zu glänzen. So vermerkte er 1924 anläßlich eines
Besuches im Walther-Rathenau-Museum: »In einem Zimmer
fand ich auf einem Tisch in friedlicher und sinnreicher
Nachbarschaft den alten, weisen ›Schulchan Aruch‹, den
religiösen bonton der jüdischen Diaspora-Orthodoxie...21 « Aus
der Schule und seiner frühesten Jugend stammen auch die
Ansätze zu Roths komplizierter Beziehung zu den Juden. In
Juden auf Wanderschaft schildert er den Fall des Juden aus
Radziwillow, der ersten russische n Nachbarstadt Brodys jenseits
der alten österreichischen Grenze: »Ich gehe in jeder großen
Stadt Juden aus Radziwillow suchen. In jeder großen Stadt treff'
ich zwei oder drei. Wir reden miteinander... Ich bin ein Patriot,
ich hab' ein jüdisches Herz22 .« Dieses Verflochtensein mit dem
Judentum und mit den Juden, mit denen man aufwuchs, bezog
Roth auf seine eigene Person mit den Worten: »Ich sehe, daß
man nicht umsonst 4 000 Jahre Jude gewesen ist, nichts als Jude.
Man hat ein altes Schicksal, ein altes, gle ichsam erfahrenes
Blut23 .«
Gut fünfundsechzig Jahre liegt Roths Besuch der Volksschule
zurück, und dennoch brachten neun von den zehn noch lebenden
Bekannten und Mitschülern Roths bei ihren Äußerungen über
ihn zwei Themen aus jener Zeit zur Sprache. Auffallend finden

-35-
sie heute noch die Absonderung, in der er lebte und die soweit
ging, daß er wenig Anschluß unter seinen Mitschülern fand und
sich keinem unter ihnen anvertraute. Das Verhalten der Mutter,
sowie ihre Beziehung zu ihrem einzigen Kind, so meinen die
Zeugen, gaben der Stadt Rätsel auf, die zu Gerüchten führten.
Einer berichtet, die mitunter extravagant gekleidete Mutter, die
so gut wie gar nicht in Gesellschaft verkehrte, war auf der
Straße, abgesehen von ihren täglichen Besorgungen, nur bei
ihren Spaziergängen mit ihrem Söhnchen zu sehen. Die Mutter-
Sohn-Beziehung machte von außen den Eindruck großer
Vertrautheit, gelegentlich aber schien es, als wolle sie den
umhüteten Jungen nicht allein über die Straße gehen lassen24 .
Ein gleichaltriger katholischer Pole, der ein Mitschüler seines
Gymnasiums war, erzählt rückblickend, daß die Mutter den
Sohn so gut wie möglich kleiden ließ, wobei der kontaktarmen
Frau die Anstrengung anzumerken war, durch selbstbewußtes
Auftreten zu imponieren, um auf diese Weise das Fehlen ihres
Gatten zu vertuschen25 .
Bestenfalls nur vermutend, legen diese Beobachter hiermit
den Finger auf Traumata in Roths Kindheit, deren Ursprünge in
den Augen der jüdischen Bevölkerung Brodys eine eigenartige
Bedeutung bekamen. Das Jiddische kennt nämlich keinen
Unterschied zwischen Voll- und Halbwaise, und die Tatsache,
daß Roth ohne Vater aufwuchs, wurde allgemein als
bedauernswertes Unglück betrachtet. Hinzu kommt das
wesentlich belastendere und geheimnisumwitterte Brandmal -
nämlich das Schicksal von Roths verschollenem Vater.
Gewöhnliche Krankheiten betrachteten die galizischen Juden als
ein vorübergehendes Unglück, die Geisteskrankheit hingegen
galt als Schandfleck, den man um jeden Preis verbergen mußte.
Der »Meschuggene« (Irrsinnige) ist ein von Gott Bestrafter, der
oft genug Kummer über seine Familie bringt und nicht selten die
Verehelichung junger Mitglieder der Familie erheblich
erschwert.

-36-
Roths Mutter war es immerhin gelungen, das Geheimnis um
ihren Mann zu wahren, denn das Gerücht, das die Runde machte
und das allgemein als Wahrheit akzeptiert wurde, lautete ganz
anders. Ganz Brody war davon überzeugt, Roths Vater habe sich
erhängt 26 . Diese »Tatsache« wurde auch als der Grund für die in
den Augen der Brodyer übertriebene Besorgtheit der Mutter
ihrem Kind gegenüber ausgelegt. Täglich führte Maria Roth,
geborene Grübel, den kleinen Moses Joseph an der Hand durch
die stille Pfarrgasse in die Volksschule, die er erst mit sieben
Jahren besuchen durfte. Täglich wartete sie fünf Stunden lang,
bis die Schule aus war, nahm den Jungen wieder an die Hand
und brachte ihn nach Hause. Diese Bevormundung setzte sie
noch im ersten Jahr des Gymnasiums fort, bis es schließlich dem
jungen Roth zu peinlich wurde.
Jeder der mit der Mutter in Berührung kam, berichtet, das
Thema »Roth's Vater« sei ihr ein Tabu gewesen27 . Von keiner
Seite sollte das Geheimnis gelüftet werden. Roths Lemberger
Vetter Miguel Grübel berichtet: »Roths Vormund und mein
Vater, die einzigen, die bezüglich dieses Punktes unmittelbar
etwas hätten wissen können, sprachen niemals über Roths Vater
und weigerten sich, Fragen zu beantworten, die man ihnen in
diesem Zusammenhang stellte28 .« Maria Roth, deren
Hauptbeschäftigung aus Kochen und Stricken bestand und die
alle übrige Energie auf ihren Sohn verwandte, blieb nichts
anderes übrig, als in ihrem Kind eine Ersatzbefriedigung zu
suchen, die alles aufwiegen sollte, was ihr abging. Sie wachte
besorgt über ihn, sie hungerte derart nach seiner Liebe, wollte
ihn so sehr an sich binden, daß sie ihn gerade dadurch
abschreckte. Dem soeben zitierten Vetter bleiben die folgenden
Aussprüche Roths in Erinnerung, die, obgleich
verallgemeinernd und in der Mehrzahl gehalten, sich nur auf
seine eigene Mutter beziehen können: »Alle Mütter sind
dumm«; »Die Mütter muß man erziehen können«; »Die Mütter
glauben etwas Großartiges zu leisten, wenn sie einen Braten

-37-
zubereiten29 .« Diese Äußerungen zeugen für die nicht
verwundenen Ressentiments des Sohnes, der sich gleichsam
einer Gefühlserpressung zu entziehen trachtete, zugleich aber
mit schweren Schuldgefühlen beladen blieb.
In den vier Jahren nach dem Ersten Weltkrieg besuchte Roth
seine Mutter nur einmal und traf dann erst bei ihr ein, als sie
schon im Sterben lag. Geschrieben hat er ihr während dieser
Zeitspanne nicht, obwohl seine Onkel ihn deshalb mahnten und
er mit anderen in regem Briefwechsel stand 30 . Später stellte sich
heraus, daß Roth dieser Mutter, von der er sich früh lösen
wollte, in vielem nachartete; wie die Mutter sich in der Liebe
und Anhänglichkeit ihres Sohnes enttäuscht sah, so muß der
Sohn sich mißverstanden gefühlt und die Mutter für sein wenig
glückliches Naturell verantwortlich gemacht haben. Das
Bedürfnis, seine Liebesobjekte in Besitz zu nehmen, die
Eifersucht als Zeichen übergroßen Verlangens nach Liebe, hatte
er mit dieser Mutter, mit der er nicht auskommen konnte,
gemein. Und ebenso wie es zur Entzweiung mit der Mutter kam,
sollten auch alle anderen Liebesbindungen Roths in die Brüche
gehen. Die nicht zu stillende Sehnsucht nach Liebe führte zur
Verlockung nach immer neuer Liebe.
Wenn Roth seine Mutter auch wissentlich ablehnte, bildete sie
dennoch die bedeutsamste und engste Bindung seines Lebens.
Diese Mutterbindung, die aus verdrängter Liebe und nicht
eingestandenem Haß bestand, einer Mischung, die für Roth
bezeichnend war, machte ihn für den Alkoholismus und die
Depression empfänglich, beraubte ihn der Möglichkeit,
realistisch mit dem Leben fertig zu werden, und belastete ihn
später noch, als er von zahllosen, ihn liebenden Anhängern
umgeben war, mit dem Gefühl schmerzvoller Vereinzelung. An
diese Bindung muß man auch bei seiner Bemerkung über die
»Skepsis... welche die Folge eines Lebens ohne Kindheit ist31 «
denken, und mitbestimmend war sie in der Wahl seiner Gattin
jüdischgalizischer Herkunft, die in ihrer Ungebildetheit,

-38-
Kontaktarmut und ihrem Anlehnungsbedürfnis ein Abbild der
Mutter darstellte. Die Geborgenheit, die Roth nie wieder im
Leben zuteil wurde, hatte er nur in den ersten Jahren unter der
mütterlichen Obhut gekannt. Wie zwiespältig er ihr
gegenüberstand, geht aus seinen widerspruchsvollen Zeilen
hervor: »Ich liebte die Freiheit. Die Zeit, die ich bei meiner
Mutter verbrachte, war meine glücklichste Zeit. In der Nacht
stand ich auf, kleidete mich an und ging aus dem Haus 32 .«
Der nahende Tod der Mutter bot Roth die letzte Möglichkeit,
sich seine Mutter als Idealgestalt vorzustellen. Von
Gebärmutterkrebs befallen, wurde sie 1922 nach kurzem
schwerem Leiden in Lemberg operiert. Auf ihre Bitte hin reiste
der ihr entfremdete Sohn zu ihr und traf noch rechtzeitig vor der
Operation ein. Wie immer erzeugte die Betroffenheit bei Roth
das Bedürfnis nach der kraftspendenden Erfindung. So erzählte
er, er habe die ganze Nacht nach der Operation an ihrer Seite
verbracht. In der Frühe wachte sie auf und entdeckte, daß das
Hemd, das er nach seiner Reise nicht habe ausziehen können,
zerrissen war. Ungeachtet seines Protests sei sie aufgestanden,
habe ihm das Hemd, so gut sie konnte, zusammengeflickt, sich
dann mit Mühe ins Bett gelegt, und sei bald danach gestorben33 .
Wieder einmal wurde diese unvollkommene Frau auf dem Wege
der Phantasie, und zwar im letzten Augenblick ihres Lebens, zu
einer völlig selbstlosen Mutter, die nur für ihren Sohn da war
und für ihn das Letzte an Liebe und Sorgfalt hingab.
Die Beziehung zur Mutter gehörte zu den schmerzlichen
Punkten in Roths Jugend. In jeder Lebensphase kehrte er zu
ihnen zurück, um sie zu beschuldigen und zu befragen, - sie
waren Orakel in seinem Leben Und immer schrak er vor ihnen
zurück, da er diese Punkte nicht u berühren wagte. Er zog Kreise
um sie, und es hing von der Gesellschaft ab, in der er sich
befand, ob die Kreise erweitert oder enger gezogen wurden.

-39-
4
Brody und das Gymnasium 1905-1913

Es war das K. K. Kronprinz Rudolf-Gymnasium, das Roth


den Ausblick auf eine größere Welt gewährte als die seines
unmittelbaren jüdischslawischen Milieus. Außer dem
Gymnasium in Lemberg, das den Söhnen österreichischer
Offiziere und Beamten vorbehalten war, war die Anstalt in
Brody das einzige deutsche Gymnasium Galiziens. Die
nationale Vielfalt, aus der Lehrkörper und Schülerschaft sich
zusammensetzten, läßt sich aus der Tatsache ableiten, daß die
Feiertage von drei verschiedenen Religionen gehalten wurden;
die römischkatholischen, die griechischkatholischen und die
jüdischen. Obzwar die jüdischen Professoren in der Minderzahl
waren, bestand reichlich die Hälfte der 700 Schüler aus Juden,
und die vierunddreißig Schüler in Roths Klasse waren sogar zu
zwei Dritteln Juden1 . In der Anstalt, die wegen ihrer Strenge
bekannt war2 , wurden polnische Literatur und Geschichte in
polnischer Sprache unterrichtet, alle anderen Gegenstände
hingegen auf deutsch. Da nach Roths Aufnahme im Gymnasium
eine Klasse nach der anderen auf die polnische
Unterrichtssprache überging, wird er wohl damals schon vom
Bewußtsein einer zu Ende gehenden Zeit durchdrungen gewesen
sein. Roth gehörte dem letzten Jahrgang an, dessen
Unterrichtssprache noch durchweg Deutsch war3 . Zu den
Besonderheiten der Gymnasien in Brody und Lemberg gehörte
die vorgeschriebene Montur. Auf photographischen Aufnahmen
Roths trägt er fast immer seine Uniform, deren am Kragen
angebrachte Litzen sein Schuljahr bezeichnen (so etwa wurde
die zweite Oberklasse durch zwei Litzen gekennzeichnet).
Anders als die meisten Mitschüler ist er fast durchweg mit
kurzgeschorenem Haar abgebildet, was wohl »das Deutsche« an
ihm hervorkehren sollte. Die acht Schuljahre - Roths
Gymnasiumbesuch fiel in die Jahre 1905-1913 - wurden auf

-40-
sechzehn Klassen verteilt. Dabei gab es für jede Klasse eine A-
und eine B-Gruppe, die sich offiziell in nichts unterschieden und
nur den Zweck hatten, die einzelnen Klassen nicht zu groß
werden zu lassen. Nur beim Religionsunterricht trafen die Aund
B-Klassen zusammen. In der Klasse seines jüdischen
Religionsprofessors, Dr. Oser Frost, übersetzten Roth und seine
Klassengenossen aus dem Hebräischen, meistens aus dem
Psalter, aber auch Abschnitte aus den Gebetbüchern. Derselbe
Lehrer hielt Vorlesungen über jüdische Geschichte, und
samstags um 11 Uhr morgens führte er seine Schüler vom
Gymnasium aus zum Gottesdienst in die Alte Synagoge. Für die
Matura wurde es den Gymnasiasten überlassen, sich für Latein
oder Griechisch als Prüfungsgegenstand zu entscheiden. Roth
optierte für das erstere.
Es war zu einem großen Teil das Verdienst des Gymnasiums,
daß Roth in der Jugend so viel Anregungen erhielt, deutsches
Kulturgut als Nährboden für das eigene Naturell in sich
aufnehmen und sich in die deutsche Sprache, die damalige
Kultursprache Osteuropas, vertiefen konnte. In diesem Geist
äußert er sich mit den Worten: »Dem Ostjuden ist Deutschland...
das Land Goethes und Schillers, der deutschen Dichter, die jeder
lernbegierige jüdische Jüngling... kennt...«4 Wie sehr Roth auch
in den Gymnasiumjahren ein Einzelgänger blieb, tritt durch die
folgende Aussage eines ehemaligen Mitschülers deutlich zutage:
»Im Gymnasium hatte Joseph Roth so gut wie keinen Anschluß,
weder bei den katholischen noch bei den jüdischen Schülern.
Auch ich habe wenig Kontakt mit ihm gehabt, aber ich war
vielleicht der einzige, der hin und wieder ein paar Worte mit
ihm wechselte. So kam es, daß er mich einmal zu sich einlud. Er
war damals in der 5. Klasse, also 16 Jahre alt. Diesen Besuch
habe ich nie vergessen. Roth empfing mich in einem großen
Zimmer, in dem ich mich zuerst an das Dämmerlicht gewöhnen
mußte, denn draußen war hellichter Tag. Roths Mutter, eine
gutaussehende, imposante Erscheinung, ging im Zimmer auf

-41-
und ab, beachtete mich kaum, und begrüßte mich nicht einmal,
was einen unheimlichen Eindruck auf mich machte. Ich mußte
die ganze Zeit an Grillparzers Ahnfrau denken, die ich gerade
gelesen hatte. In der Stadt wurde viel davon gesprochen, daß
Roths Mutter abgesondert lebte und keinen Umgang mit irgend
jemand außer ihrem Sohn pflegte.
Roth selber wirkte ernst und einsam, aber er freute sich
offensichtlich über meinen Besuch. Seine ersten Worte waren:
›Zu uns kommt niemand. Meine Mutter will das nicht. Du bist
der erste, der mich hier besucht.‹
Kaum hatte ich mich hingesetzt, so drückte mir Roth ein
dickes Heft in die Hand und bat mich, drin zu lesen. Das ganze
Heft war voll von Gedichten und Erzählungen, die Roth in
seiner schönen Handschrift verfaßt hatte. Ich merkte, daß er
ungeduldig war, mit mir darüber zu sprechen, aber ich beachtete
das Heft nicht weit er, und lenkte die Konversation auf ein
anderes Thema. Ich erzählte, wir jüdischen Schüler gehörten
einem zionistischen Verein an, der zwar offiziell verboten war,
was uns aber nicht davon abhielt, viele Veranstaltungen, bei
denen wir uns untereinander zu Hause besuchten, abzuhalten.
Dabei befaßten wir uns mit jüdischer Geschichte und Kultur,
aber es gab auch rein gesellschaftliche Zusammenkünfte. Auf
meine Frage, warum er sich nicht unserem Verein anschloß,
antwortete Roth: ›Ich bin Assimilant!‹ Meine Verwunderung
muß ihm aufgefallen sein, denn er fügte gleich hinzu: ›Aber
nicht hier.‹ (Ich kann mich noch erinnern, wie er mit dem Finger
auf den Boden zeigte.) ›Ich bin kein polnischer Assimilant,
sondern ein österreichischere dachte mir, ›Was haben wir mit
Habsburg zu schaffen?‹ Besucht habe ich ihn auch nicht mehr 5 .«
Bei der beschriebenen Szene handelt es sich um einen
Kindheitskomplex von Heimat und Vaterland und letztlich um
eine Frage der Zugehörigkeit, um die Roth sein Leben lang
ringen sollte und die zugleich seine schöpferische Spannung
bewirkte. Die unmittelbare Folge von Roths Außenseitertum

-42-
war eine Schwermut, die noch nicht von der leichten Heiterkeit
überdeckt wurde, die er in späteren Jahren gern hervorkehrte.
Die Verletzbarkeit, die sich in späteren Jahren immer neuer
Masken bediente, brachte es mit sich, daß er seiner Umwelt
mißtrauisch gegenüberstand. In ihm steckte das Unbehagen
eines Menschen, der sich entdeckt glaubte, wenn man ihm näher
kam, und darum hielt er sich immer in einiger Entfernung von
der Umwelt. Nur wo sie ihm als Objekt für seine Betrachtungen
entgegentrat, packte er sie und suchte sich ihrer zu bemächtigen;
irgendwie dirigieren und leiten, wenn auch nur in der Phantasie,
wollte er immer, das war er seinem Geltungsbedürfnis schuldig.
Diesen tiefverankerten Charakterzug verlieh er auch dem
Spiegel-Ich in seinen Romanen - Benjamin Lenz im
Spinnennetz, Nikolai Brandeis in Rechts und Links und Graf
Chojnicki im Radetzkymarsch. Alle drei Gestalten wissen mehr
von der Welt als die anderen, spielen eine führende, wenn auch
meist geheimnisvolle Rolle in ihr, durchschauen die inneren
Zusammenhänge von Macht, Politik und menschlichem Streben
und ziehen sich, nachdem sie eine Zeitlang den Lauf der Dinge
beeinflußt haben, ganz in sich selbst zurück und kehren der Welt
den Rücken.
Der Gymnasiast Joseph Roth ließ sich vorläufig für sein
Außenseiterturn durch die Anerkennung seiner Überlegenheit
entschädigen auch dies ist ein Charakterzug der obengenannten
Romangestalten. Der Stolz, den er darüber empfand,
Klassenprimus im Gymnasium zu sein, kommt in dem
wichtigtuerischen Ton der folgenden, an seine Kusine Resia in
Lemberg gerichteten Zeilen, in denen von einem Besuch in
Lemberg die Rede ist, zum Ausdruck: »Jedoch ist es noch nicht
so sicher, ob ich hinkommen werde, da ich letztens eine
Privatlektüre aufgegeben bekommen habe. Das kommt Alles
daher, daß ich ein Vorzugsschüler bin, der mehr
Verpflichtungen hat6 .« Jahre später erzählte er einer Verehrerin,
er habe die anderen Schüler durch seine Begabung und seinen

-43-
Intellekt besiegen müssen, da sie körperlich stärker gewesen
seien. Dies habe er zuwege gebracht, indem er sich in allen
philologischen Fächern auszeichnete und bereits in seiner
Gymnasiumzeit als Dichter bekannt war7 . Daß seine Mutter,
sein Großvater und die Lemberger Verwandten seine
Fähigkeiten schätzten, geht aus dem spöttischliebevoll
gemeinten Spitznamen hervor, den ihm seine Familie gab.
»Muniu Faktisch« hieß er für sie, und so nannte er sich auch
selbst allen Blutsverwandten gegenüber. Dem älteren Roth
bereitete es sichtlich Freude, wenn er erzählte, wie es zu dem
Namen gekommen war. »Als Kind war ich ein Klugscheißer«,
versicherte er lachend einer Freundin. Muniu sei die
Verkleinerungsform von »Salomon« und symbolisiere seine
Gescheitheit. Und »Faktisch« habe man ihn deshalb genannt,
weil er es sich als junger Naseweis zur Gewohnheit gemacht
habe, seinen Behauptungen Nachdruck zu verleihen, indem er
auf den Tisch klopfte und selbstbewußt beteuerte, »Das ist
faktisch8 !« [Ein früherer Klassenkamerad hingegen berichtet,
Miniu sei eine Koseform von Moses. Roth dürfte dies
verschwiegen haben, da er seinen jüdischen Vornamen später
unterschlug]9 . Als er Galizien verlassen hatte, wurde der
Spitzname zu »Mu« verkürzt, und als »Mu« oder »M«
unterschrieb er die Briefe an seine spätere Frau, die
Schwiegereltern und noch bis zum Ende seines Lebens an die
Lemberger Kusine Paula. In Max Landau, seinem Professor der
deutschen Literatur, fand der sensible Gymnasiast einen Freund
und Förderer, der ihm gern seine Berufung zum Dichter
bescheinigte. Landau, ein polnischer Jude, galt wie Roth als
»Assimilant«, aber anders ausgerichtet als dieser. Die Zukunft
Brodys, so meinte er, sei polnisch und nicht deutsch. Er gab sich
durch seine polenfreundliche Einstellung zugleich
antizionistisch und antihabsburgisch10 .
Die Beziehung zu seinem Deutschlehrer war für Roth von
maßgebender Bedeutung für seine geistige und literarische

-44-
Entwicklung und trug mit dazu bei, daß er schon damals den
Plan hegte, sich literarisch zu betätigen. Bei ihm dürfte Roth
auch zum erstenmal die lenkende Hand einer ihm verwandten
und verständnisvollen Natur gespürt haben. Roth erschloß einem
anderen nicht leicht sein Herz, aber dennoch, und trotz seiner
Schüchternheit, faßte er Vertrauen zu seinem Mentor. Daß
dieser verspielt sein konnte und Sinn für Schabernack hatte,
muß ihn in den Augen Roths, der ähnliche, aber zu dieser Zeit
noch unterdrückte Anlagen hatte, sehr anziehend gemacht
haben. Professor Landau, der selbst Sonette verfaßte, verhe hlte
keineswegs seine Sympathie für die dichterischen Bemühungen
des scheuen, aber intelligenten Roth und bezeichnete ihn früh
als »Dichter«. Der Lehrer unterzog die in deutscher und
polnischer Sprache abgefaßten Gedichte seines
Lieblingsschülers mehrmals einer eingehenden Kritik in der
Deutschstunde. Ein ehemaliger Mitschüler Roths erinnert sich,
daß die Kritik des Pädagogen oft unsanfter Natur war. Seine
Neigungen galten der Klassik, er schätzte die Meisterschaft der
Form mehr als den Elan und ermahnte den jungen, der Romantik
zugeneigten Roth zur Mäßigung. Vor der versammelten Klasse
äußerte er sich rigoros, Roth müsse den Aufbau der Verse
beherrschen, seiner Poesie mangele es an geschliffenem
Formgefühl. Roth fühlte sich verletzt, grollte darüber, gestand
aber bald danach in privater Unterhaltung, der Lehrer habe recht
gehabt11 .
Ging es jedoch um Prosaaufgaben, so hatte der Lehrer selten
etwas an den Aufsätzen des Klassenprimus auszusetzen. Diese
Aufgaben pflegte er den A- und B-Klassen vorzulesen, wobei er
nicht mit Anerkennung kargte. »Jetzt werden wir uns ein
Vergnügen leisten«, bemerkte er einmal. »Ich werde euch einen
Aufsatz von Joseph Roth vorlesen12 .«
Wirkte Roth außerhalb des Gymnasiums scheu und befangen
- beim Deutschunterricht war kaum etwas davon zu merken. Er
führte erhitzte Diskussionen über Literatur mit seinem Professor

-45-
und zögerte nicht seine eigenen Ansichten zu verteidigen. Über
literarische Werke sprach er gern in kritischwissenschaftlicher
Form und erwies sich als der einfallsreichste seiner Klasse bei
der Analyse von Lessings Laokoon und der darauffolgenden
Auseinandersetzung über Kunstgesetze13
Die literarischen Einflüsse, die Roth in sich aufnahm und zu
verarbeiten bemüht war, zeichnen sich durch ihre
Verschiedenartigkeit aus. Große Teile des Faust kannte er
auswendig und mit Schillers Dichtung befaßte er sich
eingehend.
Petrarca ließ er auf Anraten von Landau, der Form wegen, auf
sich einwirken, auch biblische Motive wob er in seine Gedichte
ein14 . In einem Interview in Paris, in der Emigration, behauptete
Roth: »Parmi les écrivains plus anciens, je préfère Rabelais,
mon cher La Fontaine dont, tout petit, j'apprenais les fables par
cœur, Balzac, Flaubert...15 « Soweit sich dies auf den
Gymnasiumunterricht bezieht, handelt es sich wohl um eine
Erfindung Roths, denn laut Aussage des Schulkollegen, der bei
den Roths in Untermiete wohnte, hatte Roth in der Schule nicht
Französisch belegt 16 . Dagegen ist Roths frühe Begeisterung für
Heinrich Heine über jeden Zweifel erhaben. Heine war für Roth
ein Vorbild und zugleich ein Wesensverwandter. Im
Gymnasium wechselte Roth seine Poesie mit Schmähschriften
und Satiren ab, die an Heine geschult waren17 . Er konnte viele
Gedichte von Heine auswendig hersagen und legte noch
während seiner Wiener Studienzeit Proben seiner
Heinekenntnisse ab. Mehrmals zieht er Heine als literarischen
Maßstab heran. So gab er Bernard von Brentano, seinem
Kollegen an der »Frankfurter Zeitung« in den zwanziger Jahren,
brieflich den Rat: »Lesen Sie französische Feuilletons, Heines
Prosa noch einmal18 .« In Berlin, Frankfurt und Paris war Heine
Roth als Mensch und Schriftsteller oft gegenwärtig. Als Roth
sich im Dezember 1930 für die »Frankfurter Zeitung« zu einer
Reise durch den Harz rüstete, ließ ihm der Zeitungsbesitzer

-46-
Heinrich Simon - in Anbetracht der gemeinsamen Route und der
verwandten Betrachtungsweise - ein Exemplar von Heines
Harzreise ins Hotel bringen19 . Durch Roths frühe Beschäftigung
mit Heine wurde sein Augenmerk auch auf Ludwig Borne
gelenkt, und Ludwig Marcuse teilt mit, daß sein Freund Roth es
gewesen sei, der ihn auf die Idee gebracht habe, sein Buch über
Borne zu schreiben20 .
Jener Heine, der sich den »fröhlichsten Dichter« und »den
armen Lazarus« nannte, war wie Roth ein Zerrissener, und sein
Wesen läßt sich, ebenso wie das Roths, am besten durch
Antinomien umschreiben. Bei beiden lagen die schwärmerische
und die rationalistische Veranlagung dicht beisammen. In
beiden steckte ein unüberwindlicher Hang zur Romantik, der im
Widerspruch stand zu ihrem kritischen Geist. Bei beiden war die
Selbstironie ein Gegengewicht für ihre Überempfindsamkeit.
Bei beiden war der Zynismus oft genug die Kehrseite der
Sentimentalität, und besonders bei Roth konnte Sehnsucht in
Rührseligkeit umschlagen. Als er fast ein Vierteljahrhundert
nach dem Gymnasiumbesuch dem verehrten Professor Landau
in Warschau wiederbegegnete, konnte er nur mit Mühe Tränen
der Rührung unterdrücken. Und als Landau Roth sagte, er dürfe
bestellen, was er wolle, erbat Roth sich panierte Mazess als
Mahlzeit21 . Sowohl Heine wie Roth hatten ein starkes
Mitteilungsbedürfnis und erschlossen sich doch bestenfalls nur
zögernd. Jeder von ihnen verdient sich lange Zeit seinen
Lebensunterhalt durch den Tageslohn des Journalismus, und
beide sahen ihre wirkliche Berufung im literarischen Schaffen.
Beide waren an politischen Strömungen interessiert, beide
machten eine politische Wandlung - Heine allerdings nur
bedingt - von links nach rechts durch und verbrachten Jahre
ihres Lebens in der Verbannung. Beide waren schlagfertig und
überlegen im Wortgefecht, wiewohl Heine mehr Hang zur
Polemik hatte. Beide zögerten nicht, zeitweise persönlichen
Erwägungen in ihrem kritischen Urteil einen großen Platz

-47-
einzuräumen. Beide zürnten jenen Juden, die ihrer Religion
untreu wurden (man denke an Heines Gedicht »Einem
Abtrünnigen«). Und beide paktierten mit dem Christentum, um
sich den Zutritt zu einer anderen Lebenssphäre zu erschließen,
blieben jedoch im Grunde sehr jüdisch eingestellt - Heine
schrieb noch am Ende seines Lebens jüdische Gedichte. Sowohl
der eine wie der andere konnte ein unverschämter Schnorrer sein
- bekannt ist Heines an Meyerbeer gerichtetes Wort: »Seyn Sie
überzeugt, daß ich so wenig undankbar als möglich seyn
werde«22 - und beide ließen das Geld durch die Finger rinnen.
Beide waren dünnhäutig und verletzbar, beiden war das
Rachegefühl nicht fremd.
Nicht in allen Fächern vermochte Roth sich auszuzeichnen.
Auf dem Gebiet der Mathematik wies er einen peinlichen
Mangel an Talent auf, die Ziffern und Formeln wollten sich
nicht zusammenreimen, und die
Stunde wurde ihm zum Greuel, wenn der
Mathematikprofessor Sanat Um seines Versagens wegen in die
Ohren zwickte23 . Für die polnischen Fächer, »Krajowka«
genannt, brachte Roth ebenfalls wenig Liebe auf. Für seine
Prüfungen über diesen Gegenstand warf er kaum einen Blick in
die Bücher, denn die Pflege des Polnischen vertrug sich nicht
mit seinem österreichischen Patriotismus. So sagte er einmal:
»Meine polnische Sprache reicht nur von hier bis Krakau24 .«
Damit meinte er, nur für diese kurze Strecke könne er sich mit
seinem Polnisch behelfen.
Um so mehr Mühe gab sich Roth bei den Aufgaben für den
Deutschunterricht. Als ein Mitschüler auf den breiten linken
Rand seiner Übungshefte anspielte, entgegnete Roth pedantisch:
»Das ist Formsache 25 .« Es muß seiner Eigenliebe und seinem
Streben nach Überlegenheit geschmeichelt haben, daß er für
mehrere Schüler der Klasse die Deutschaufgaben und für die
Matura auch noch ihre schriftlichen Aufgaben verfertigte.
Als Roth einmal von Max Landau eingeladen wurde, vertraute
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Roth seinem Lehrer an, er hoffe, Schriftsteller zu werden26 .
Mehrere Briefe, Notizen /und Gedichte/ Roths aus dieser Zeit
legen Zeugnis dafür ab, wie sehr er von diesem Wunsch
besessen war. /Am 2.9.1912/ schreibt er an Frau Rosia Grübel,
die Mutter von Resia und Paula: »Es träumt doch ein jeder junge
Mensch von einer glücklichen, großen Zukunft, wie sollte es ein
Dichter nicht?! Sind es vielleicht Luftschlösser, die ich mir
baue? Nun, man baut Aeroplane, ich werde also in meine
luftigen Paläste gelangen können. Hoffentlich aber werden sie
auf festem Boden stehn, so daß ihr noch öfters mich dort werdet
besuchen können. ›Der Wille ist mein Gott.‹ Und mit Fleiß und
Ausdauer kommt man auch zum größten Ziele 27 .« Die
Zuversicht, die aus diesen Zeilen spricht, steigert sich zum
Rausch. Eine Widerspiegelung davon findet sich in den meist
unvollendeten oder nur in Bruchstücken erhaltenen Märchen
und Erzählungen, die Roth damals zu Papier brachte28 . Sie
haben alle das gemeinsame Motiv des jungen Mannes, der
auszog, um sein Glück zu suchen und die Welt zu erobern, und
dem dies auch gelingt. Es dürfte wohl stimmen, was Roth in
bezug auf seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg behauptete: sie
weisen auf einen bedeutsamen Einschnitt in seinem Leben hin.
Denn nie wieder sollte diese naive, draufgängerische und
zuversichtliche Einstellung zum Leben in seinem
schriftstellerischen
Werk zu finden sein. Die jugendliche Eroberungslust
zerschellte bei der ernsthaften Konfrontation mit einer
Wirklichkeit, die er keine swegs seinem Willen zu unterwerfen
vermochte. Sein Hang zur Legendenbildung muß wohl mit der
schmerzlichen Einsicht angefangen haben, daß die Taten, die er
vollbringen konnte, und der Mensch, der er sein wollte, nie mit
seinen Hoffnungen und Erwartungen in Übereinstimmung zu
bringen sein würden.
Je näher die Zeit der Matura und die Aussicht auf mehr
Bewegungsfreiheit heranrückten, desto mehr steigerte sich seine

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Ungeduld. Ein Brief nach dem anderen aus den Jahren 1912 - 13
verleiht sowohl seiner Unzufriedenheit mit Brody wie auch
seiner Freude auf den bevorstehenden Ortswechsel Ausdruck.
An Resia schreibt er in bezug auf ihr reges gesellschaftliches
Leben in Lemberg: »Es ist ganz recht und schön so. Natürlich,
in Brody gibt es das nicht, von einem sogenannten ›Ball‹
abgesehen, den meine Klasse veranstaltet, an dem ich jedoch
nicht teilnehmen werde, da es nicht meine Gesellschaft ist. - Im
übrigen ist es hier sehr langweilig. -«29 An seinen Onkel Willy
schreibt er: »Was hört man in Nürnberg? Ist es dort auch so
kalt? - Hier liegt frühmorgens ein weißer Reif auf allen Dächern
und nachts ist es bitterkalt. - Hoffentlich komme ich bald aus
Galizien heraus 30 .« Und kurz vor der Matura schreibt er noch an
Resia und Paula: »Nun ist bald schnell das ganze Jahr herum
und die Matura und alle Mühen und Unannehmlichkeiten der
Schulbank und ich gehe in die große, in die größte aller Schulen,
in's Leben. Hoffentlich werde ich auch diese Anstalt mit sehr
gutem Erfolg besuchen31 .«
An solche Gedankengänge knüpfen auch seine Prosaversuche
dieser Zeit an. Immer wieder kommt die Gestalt des
Einzelgängers vor, der im Gegensatz zu seiner Umwelt steht und
dessen Überlegenheitsgefühl, Lehrern und Mitschülern
gegenüber, einen Anstrich der Verachtung annimmt. Diese
Mustergestalt schreibt sich gleichermaßen Neid wie Stolz zu
und sieht sich als eine Ausnahmeerscheinung32 . Neben den
Märchen und Erzählungen gibt es die verschiedenen Fassungen
einer fingierten Autobiographie von Roth. Hier geht es um einen
Ich- Erzähler, der für einsam und arrogant gelten möchte und
überall bei den Frauen Glück hat. Sie fallen ihm zu, er nimmt sie
und wirft sie fort, ohne einer einzigen treu zu bleiben, denn
anderes ist ihm wichtiger: »Dagegen wollte ich sehr vielen
gefallen. Es war mein Ehrgeiz, vollendete Anzüge und Manieren
zu besitzen, weitgereist, erfahren und elegant zu sein, ein
Weltmann.« Es sind dies Neigungen, denen der Autor in den

-50-
zwanziger Jahren vollauf frönen konnte. Roth, das furchtsame
Muttersöhnchen, entwarf mit seinen Selbstporträts pikareske
Wunschbilder, in denen seine Feinfühligkeit verschwiegen und
rohe Gewalttaten hervorgehoben werden. Damit schneiderte sich
der schmächtige, übersensible Roth ein stoischsouveränes Image
zusammen, das ihn in seiner Phantasie hart, wagemutig,
männlich und unabhängig werden ließ33 .
An anderen Stellen zeigt er, wie er in einer ihm feindlich
gesonnenen Umwelt alle Gefahren überwindet, wie er Lehrern,
die ihm übel wollten, nachschlich und sie durch die Ermittlung
ihrer Schwächen in seine Macht bekam. Er gefällt sich in der
Rolle des unbarmherzigen Jägers und Verfolgers und genießt die
Furcht, die er mit seinen Taktiken erregt. Er zeigt sich sogar
stolz auf jene angebliche Armut in der Kindheit, die er in
späteren Jahren Mitleid heischend als so bedauernswert
darstellte.
Siebzehn Jahre nach seinem Gymnasiumabschluß schrieb
Roth einen Artikel für eine Berliner Zeitschrift, den er mit dem
Titel versah: »Aus dem Tagebuch des Schülers Joseph Roth.«
Darin verbindet er alte Erinnerungen mit vorgeblich
gegenwärtigen Erfahrungen: »Meiner törichten Hoffnung, die
mich vor der ersten Schulstunde meines Lebens bis hart vor die
des Abiturs begleitet hat, daß ich mit dem Reifezeugnis in der
Hand endgültig den großen und kleinen, beschämenden und
degradierenden Schikanen der Schule entronnen sein würde,
widersprach die Wirklichkeit leider in einem
niederschmetternden Ausmaß...
Ich wüßte gern, aufweiche Weise man der Schule entrinnen
könnte... Jedes Buch und jeder Aufsatz, die ich [heute] schreibe,
liefere ich mit der alten wohlvertrauten Ängstlichkeit ab, mit der
ich vor zwanzig und mehr Jahren den gefahrvollen Weg meiner
Schulhefte zu begleiten pflegte34 .«
Roth legte als Schüler Wert auf gute Zensuren, da sein
Ehrgeiz nach Anerkennung dürstete. Obwohl er nach Angaben
-51-
von Moses Wasser /- einem früheren Mitschüler -/ und anderen
kein Streber war und seine Schularbeiten mit derselben
Leichtigkeit erledigte wie später seine schriftstellerischen
Arbeiten, war ihm die Bestätigung zu der Zeit eine dringende
Notwendigkeit, die Spannungen mit sich brachte. Um so mehr
muß ihn der Triumph, den er beim Ablegen seiner
Reifeprüfungen auskosten konnte, befriedigt haben. Roth trat am
selben Tag zur Reifeprüfung an wie der Mitschüler David
Schapiro, dessen Vater Großgrundbesitzer und einer der
reichsten Juden in Brody war. Schon früher war Schapiro
bestrebt gewesen, Roth den Rang abzulaufen, und er hatte sich
bei der Vorbereitung auf die Abschlußprüfungen die größte
Mühe gegeben, denn es ging um die Verleihung der
Auszeichnung. Theoretisch durfte eine beliebige Anzahl von
Schülern die Matura mit Auszeichnung bestehen, aber wegen
der antisemitischen Einstellung des Schuldirektors sollte die
Ehre nicht mehr als einem jüdischen Jungen zuteil werden. So
ging es praktisch um Roth oder Schapiro. Beide hatten ohne
Vorbereitung über zwei Themen zu schreiben, von denen das
längere lautete: »Über Opportunismus und Kompromisse.«
Nach den abgelegten Reifeprüfungen der teilnehmenden
Gymnasiasten wurden die Arbeiten von dem versammelten
Professorenkollegium diskutiert. Die Auseinandersetzung über
die Auszeichnung entschied Doktor Schirmer mit dem
Argument, Schapiro werde in künftigen Jahren im Kaffeehaus
sitzen und täglich eine Reihe von Zeitungen durchsehen. In der
führenden Wiener Zeitung - der »Neuen Freien Presse« - werde
er jene Beiträge am lesenswertesten finden, die Moses Joseph
Roth geschrieben haben werde. So wurde nur in Roths
Reifezeugnis Ende Mai 1913 die glanzvolle Eintragung
gemacht: »sub auspiciis imperatoris«35 . Der Waisenjunge hatte
mit den freudlosen Brodyer Jahren abgerechnet und die erste
einschneidende Etappe seines Lebens mit einem
verheißungsvollen Erfolg beendet.

-52-
5
Die Beziehung zur Monarchie und
das Lemberger Zwischenspiel
1913

Märchenhafte Züge, Mythos, Ethos und Traum verdichten


sich bei der Heraufbeschwörung der Monarchie im Werk und in
der Phantasie Joseph Roths. Mythos und Ethos decken sich bei
dessen Behauptung: »Den Einsichtigen... ist es längst klar
geworden, daß die alte österreichischungarische Monarchie eine
universale Aufgabe zu erfüllen bestimmt war...«1 Der Mythos
wird historisch verklärt und begründet, wenn Roth in der
Emigration mündlich hervorhebt, wie stark das Zeremoniell und
der Kontakt mit Karl V. im alten Österreich erhalten geblieben
waren2 . In einen Wunschtraum privater Sehnsucht mündet der
Mythos bei Roths Bemerkung: »Der Vater heißt Franz Joseph,
der Erste3 .« Und ein Anflug von Legendenhaftem und mythisch
Bindendem spricht aus den Zeilen: »Des Kaisers Arm reicht
sehr weit. Von Triest, Sarajevo, Mostar über Budapest, Wien,
Prag, Krakau, Lemberg bis nach Tarnapol und Czernowitz und
noch weiter... In allen Sprachen aller Völker lebt er vielfach,
und das private, unwahrscheinliche und bereits unwirklich
erscheinende Unglück läßt ihn in den Augen der einfachen, von
ihm geographisch entfernten Menschen nur noch legendärer
erscheinen4 .« Schließlich wird Österreichs Herrscher, Kaiser
von Gottes Gnaden und apostolischer König von Ungarn im
Radetzkymarsch eine Apotheose zuteil5 .
Mehr als ein halbes Jahrhundert bereits saß der alte Kaiser auf
seinem Thron und regierte das zweitgrößte Reich Europas. Sein
ganzes Reich hatte er bereist, selbst nach Brody soll er
gekommen sein, und die dortigen Juden zitierten gern, was er
bemerkte, als er auf einen Balkon heraustrat und die große Zahl
der Juden gewahrte, die ihm ihre Huldigung darbrachten: jetzt

-53-
wisse er, warum er König von Jerusalem heiße6 .
Roth, der sich schon als Kind zur Monarchie bekannte, wird
wohl einigen Andachten beigewohnt haben, die jährlich am 18.
August, dem
Geburtstag des Kaisers, mit großer Feierlichkeit in
Anwesenheit des Bezirkshauptmanns und des
Ortskommandanten in der Synagoge zu Brody gehalten wurden.
Der Kaiser war der »gute« Kaiser Franz Joseph für die Juden
Galiziens; man dichtete ihm philosemitische Züge an und
betrachtete ihn als den Schirmherrn der Juden. Die innige
Verehrung und Anhänglichkeit der galizischen Juden dem
Kaiser Franz Joseph gegenüber drückt sich in der hebräischen
Bezeichnung »Kireh« aus, die sie einzig und allein auf seine
Person anwendeten. Das Wort besteht aus den
Anfangsbuchstaben von »Kaiser Iarum Hodo«, d. h. »Möge der
Allmächtige seine Majestät erheben« 7 . Die über alle Kronländer
verstreuten - aber am dichtesten in Galizien und der Bukowina
angesiedelten - zweieinviertel Millionen Juden des Habsbur ger
Reiches bildeten in der Tat in ihrer Mehrheit schon aus
Selbsterhaltungstrieb ein staatserhaltendes Element, wenn auch
die Linksgerichteten und die Zionisten unter ihnen andere Wege
zu gehen gedachten. Denn der Einigung halber trieb der Kaiser
eine zweckbedingte Politik, die den Juden manche Vorteile
verschaffte. Die sogenannte »Judenfreundlichkeit« Franz
Josephs sahen die Juden dadurch bestätigt, daß er sich dreimal
geweigert hatte, die Wahl des antisemitischen Karl Lueger zum
Bürgermeister von Wien zu bestätigen. Von Johannes Urzidil,
mit dem Roth 1923 öfters in Prag zusammentraf, erfuhr er eine
Anekdote, die auch unter galizischen Juden die Runde machte:
»Als Kaiser Franz Joseph bei einem Manöver in eine kleine
galizische Gemeinde kam, begrüßte ihn am Stadttor der
orthodoxe Rabbiner in vollem Ornat, indem er Segenssprüche
aus der Thorah in hebräischer Sprache rezitierte. Einer der
Herren der Kaiserlichen Suite mokierte sich halblaut: ›Was soll

-54-
das? Kein Mensch versteht das Gemauschel!‹ Franz Joseph
wandte sich um. Er, der kein Wort Hebräisch verstand, maß den
Spötter von oben bis unten und sagte; ›Ich verstehe den Herrn
Rabbiner sehr gut8 .‹« Diese Anekdote liegt, in leicht
abgeänderter Form, einer Szene im Radetzkymarsch zugrunde9 .
Aber nicht nur der verehrungswürdige, von Mythen umwobene
Kaiser tritt uns in Roths Anekdoten entgegen; wenn die Laune
es gebot, kam auch ein vergreistes und vertrotteltes
Landesoberhaupt zum Vorschein. So soll der Kaiser in seiner
Geistesabwesenheit manchmal den Weltkrieg mit früheren von
ihm erlebten Kriegen verwechselt haben. Als man ihm die
Nachricht brachte, Przemysl sei gefallen, rief er - laut Roth -
hoch erfreut: »Bravo! Haut die Preußen10 !«
In seinem Versuch, Roths Treue zur Monarchie zu begründen,
legt sein Freund Stefan Zweig dar: »Geheimnisvollerweise
waren in unserem sonderbaren Österreich die eigentlichen
Bekenner und Verteidiger Österreichs niemals in Wien zu
finden, in der deutschsprechenden Hauptstadt, sondern immer
nur an der äußersten Peripherie des Reiches, wo die Menschen
die mildnachlässige Herrschaft der Habsburger täglich
vergleichen konnten mit der strafferen und minder humanen der
Nachbarländer11 .«
In der Tat, wenn die Juden Galiziens zu ihrem östlichen
Nachbarland hinüberschauten, mußten sie sich glücklicher
schätzen als ihre russischen Glaubensgenossen. Seit den
siebziger Jahren hatte es dort von offizieller Seite inspirierte
Pogrome gegeben, die fallweise durch die Bezichtigung des
Ritualmordes ausgelöst wurden. Mit dem Regierungsantritt des
Zaren Alexander in. im Jahre 1881 fing eine Terrorisierung und
Unterdrückung an, die in den folgenden drei Jahrzehnten zur
Auswanderung von zwei Millionen russischer Juden nach
Amerika führte. Im Gegensatz zu den Praktiken in Rußland
wurde es den Juden in Österreich nicht verwehrt, sich in den
Städten niederzulassen oder Land zu erwerben, und kein

-55-
Numerus clausus versperrte ihnen den Zugang zu den
Gymnasien und Universitäten. Mit der Verfassung von 1868
wurde die Gleichberechtigung der österreichischen Juden
anerkannt, die ihnen dann auch im Landtag bestätigt wurde.
Freilich war die Hintansetzung der Juden von Seiten der
Instanzen weiterhin Regel, aber gerade weil Österreich kein
festgefügtes, über einen Leisten geschlagenes Preußen war,
sondern ein bunt zusammengestückeltes und in seiner Labilität
weniger unerbittliches Land, waren Ausnahmen leichter möglich
und wurden nicht als Verstoß gegen das offiziell Festgelegte
empfunden. Roth drückte es so aus: »Die Zeit war damals
strenge, wie man weiß. Aber sie erkannte Ausnahmen und liebte
sie sogar. Es war einer jener wenigen aristokratischen
Grundsätze, denen zufolge einfache Bürger Menschen zweiter
Klasse waren, aber der und jener bürgerliche Offizier
Leibadjutant des Kaisers wurde; die Juden auf höhere
Auszeichnungen keinen Anspruch erheben konnten, aber
einzelne Juden geadelt wurden und Freunde von Herzögen...«12
In dem 1929 als Erzählung veröffentlichten Kapitel Der stumme
Prophet läßt Roth eine seiner Gestalten behaupten: »Und doch
war zu meinen Zeiten, als noch der Mensch wichtiger war als
seine Nationalität) die Möglichkeit vorhanden, aus der alten
Monarchie eine Heimat aller zu machen. Sie hätte das kleinere
Vorbild einer großen zukünftigen Welt sein können und
zugleich die letzte Erinnerung an eine große Zeit Europas, in der
Norden und Süden verbunden gewesen waren13 .« Aber der
Wahlspruch der alten Monarchie - »viribus unitis« - war immer
brüchiger geworden. Stefan Zweigs Wort von den eigentlichen
Bekennern und Verteidigern Österreichs an der Peripherie des
Reiches kann man höchstens als halbe Wahrheit betrachten,
denn gerade die Deutsch-Österreicher in den Grenzgebieten der
Monarchie waren nach 1871 geneigt, ihr eigentliches Vaterland
in Deutschland zu sehen. Zu letzteren ist auch Adolf Hitler zu
zählen, der in Mein Kampf voller Verachtung konstatiert: »Das

-56-
alte Österreich war ein ›Nationalitätenstaat‹14 .« In der nicht zu
seinen Lebzeiten gedruckten Fortsetzung zu »Mein Kampf«
führt Hitler diesen Gedanken weiter aus: »Tatsächlich hatte
Deutschland Österreich-Ungarn ge genüber eine einzige
Verpflichtung zu erfüllen, nämlich: Das Deutschtum dieses
Staates mit allen Mitteln zu retten und die verkommenste,
schuldbeladenste Dynastie, die das deutsche Volk je zu ertragen
gehabt hat, zu beseitigen15 .« Äußerungen dieser Art reizten Roth
zu der überspitzten Formulierung, daß »Nicht unsere Tschechen,
nicht unsere Serben, nicht unsere Polen, nicht unsere Ruthenen
haben [Österreich] verraten, sondern nur unsere Deutschen, das
Staatsvolk«16 . In der Emigration neigte Roth eben dazu, die
Schuld für die Auflösung der Monarchie bei dem »Staatsvolk«
zu suchen, auch hin und wieder bei den aufbegehrenden
Nationalitäten, nicht aber bei dem starren Feudalismus und den
großen Herren, die ihre Sonderstellungen und Privatinteressen
über die Not der Massen setzten. Auch die deutsche und
ungarische Ausrichtung der Oberschicht der Monarchie hat er
nicht hinreichend als die schwächste Stelle des Staatsgebildes
erkannt. Und auf die wirklichen Mängel Franz Josephs hat er so
gut wie niemals hingewiesen. Tatsache war, daß von manchen
das Porträt Franz Josephs nicht als die Verkörperung eines
Mythos angesehen wurde, sondern als Sinnbild des
Völkerkerkers und des Fortwurstelns. So konnte Bruno Schulz,
ein anderer Untertan Franz Josephs und wie Roth ein galizischer
Jude, vom Thema des kaiserlichen Porträts ausgehend, die
Sachlage ganz anders darstellen: »Die Welt wurde zu jener Zeit
allseits von Franz Josef I. umschlungen - und es gab keinen
Ausweg neben ihm: Auf allen Horizonten wuchs er empor, aus
allen Ecken tauchte dieses allgegenwältige und unvermeidliche
Profil auf und sperrte die Welt wie ein Gefängnis ab...«17
Trotz der kleineren und größeren Zugeständnisse an seine
Völker hat Franz Joseph nie richtig das dringende
Nationalitätenproblem angepackt, da er nicht von seinem starren

-57-
Festhalten an Zentralisierung abzuweichen vermochte. Und trotz
seines sprichwörtlichen »Kabinettsfleißes« hat er nie ein
systematisches, auf die Zukunft gerichtetes Programm
konzipiert, das über die kleinen Tagesausgleiche hinausführte.
Bis zuletzt war seine Herrschaft vom Mißtrauen - seinen
Völkern, der Verfassung und dem demokratischen Denken
gegenüber - gekennzeichnet. Er, dem der Ausspruch nachgesagt
wird, »Der Mensch fängt mit dem Baron an«, betrachtete seine
Armee und den Feudaladel als die eigentlichen Garanten seiner
Herrschaft und stand der Realität und den Erfordernissen des
modernen Lebens fern und fremd gegenüber.
Roth, der in der Zeit der Zersetzung und des Untergangs /des
Habsburger Reichs/ aufwuchs, fängt diese Atmosphäre
meisterhaft im Radetzkymarsch ein. In der Emigration spitzten
sich Roths Formulierungen über die Auflösung des Habsburger
Reiches noch mehr zu. Einem Mitkämpfer für die Sache der
Monarchie hielt er vor Augen: »Die einzigen Menschen, auf die
sich die Habsburger verlassen konnten, waren die Juden18 .«
Waren die Juden laut Roth als eine Art Schutzmacht der
Dynastie zu betrachten, so machte er andererseits einen Teil der
Judenheit mitverantwortlich für den Niedergang der Monarchie.
Die Nationalitäten lockerten das Gebäude des Reiches auf - so
meinte er -, worauf sich ihnen noch die jüdischen Intellektuellen
zugesellten, deren »einzige Beschäftigung« darin bestünde, den
Ast, auf dem sie saßen, abzusägen19 .
Da die Völker Ostmitteleuropas durcheinander lebten und
politische Grenzen schwerlich mit den Territorien der
ethnischen Nationalitäten in Einklang zu bringen waren, mußte
die Auflösung der großräumigen politischen Ordnung der
Habsburger zu neuen Konflikten führen.
Am 12. November 1918 verkündigte der französische
Premierminister Georges Clemenceau, »L'Autriche, c'est ce qui
reste«, und meinte damit das klebe Donau-Alpenland, das nicht
einmal ein Achtel der Bodenfläche und der Bevölkerung des

-58-
alten Reiches umfaßte. Nach der Zerstückelung des Reiches war
es mit der friedlichen Zeit und der

60
Autonomie der galizischen Juden vorbei. Roths galizischer
Landsmann, der Schauspieler Alexander Granach, erfuhr das
Kriegsende am eigenen Leibe: »Die Polen und die Ukrainer
kämpften weiter um den Bahnhof, um die Stadt Stryz, um
Galizien; die Heimkehrenden und die Juden waren in der Mitte.
Die galizischen Juden, die bis jetzt friedlich gelebt hatten,
spürten plötzlich, daß mit Österreich auch sie den Krieg verloren
hatten. Denn beide Armeen hatten dieselbe Losung: ›Bej Zyda!
Haut den Juden20 !‹« Während des Krieges hatten die Russen die
Juden Galiziens wegen angeblicher Unterstützung der
Österreicher eingesperrt und gehenkt. Nach Kriegsende folgten
die Ukrainer und Polen schnell dem Beispiel der zaristischen
Armee und veranstalteten Pogrome. Und als die Polen sich bei
Kriegsende die Stadt Lemberg von den Ruthenen erkämpften,
richteten die Sieger als erstes am 22. und 23. November 1918
blutige Gemetzel unter den Juden an. Unter den Juden des
ehemaligen Galizien prägte sich ein neues Wort: »Die Polen
sind ausgebrochen21 !« Aber diese Ereignisse lagen noch in
unerkennbarer Ferne, als Roth bald nach Erlangung der Matura
mit der Absicht nach Lemberg übersiedelte, dort mit dem
Studium zu beginnen. Da er in seiner Gymnasialzeit die Ferien
regelmäßig bei seinem Onkel Siegmund Grübel in Lemberg
verbracht hatte, war ihm die Stadt bereits vertraut. Als Roth im
Sommer 1913 dort eintraf, war Lemberg noch die Hauptstadt
Galiziens - des größten Kronlandes der Monarchie - und Sitz des
XI. Korpskommandos. In dieser Stadt, die noch ein paar Jahre
auf ihren Spitznamen »Klein-Wien« stolz bleiben sollte,
begegnete man zum letztenmal österreichischem Barock und
Rokoko, ehe die russische Grenze eine andere Welt erschloß.
Seit 1871 war Polnisch die Unterrichtssprache an der
-59-
Universität geworden, was vermutlich einer der Gründe war, die
Roth dazu bewegten, sein Studium dort sehr bald abzubrechen.
Es scheint, daß Roth während seines kurzen Aufenthalts in
Lemberg mehr mit seinen eigenen Aufzeichnungen als mit dem
Studium beschäftigt war. Miguel Grübel, Sohn des Onkels
Heinrich Grübel, berichtet, er habe zu der Zeit öfters bei Roth
hereingeschaut: »Ich war damals erst sechs Jahre alt. Roth, der
auf mich einen ernsten Eindruck machte, war so oft ich ihn
besuchen kam, mit Schreiben beschäftigt. Einmal fragte ich ihn:
›Was schreibst du soviel?‹ Seine Antwort hat mich verblüfft:
›Damit es Frühling werde22 .‹«

6l

Da Roth bei seinem Onkel und Vormund Siegmund Grübel,


einem Malz- und Hopfen-Großhändler, wohnte und mit diesem
ihm wenig kongruenten Kaufmann umzugehen gezwungen war,
steigerte sich sein latenter Groll gegen diesen sehr bald zu kaum
unterdrückter Feindseligkeit.
Verewigt hat Roth ihn in der Gestalt von Bloomfield, dem
Onkel aus Amerika in Hotel Savoy, dem bescheinigt wird:
»Nein, es war nicht leicht, von Bloomfield Geld zu
bekommen23 .« Aber in jenem Haus der Ulica Hofmana 7, in
dem der Onkel und sein Mündel sich für immer entfremdeten,
machte Roth /1913/ die Bekanntschaft einer Dame, die er bald
tiefer verehren sollte als alle Blutsverwandten. Frau Hélène von
Szajnocha-Schenk wohnte im selben Stock wie Siegmund
Grübel, der der Hausbesitzer war. Diese geschiedene Frau eines
Krakauer Universitätsprofessors war die Schwester des Dr. Josef
Freiherrn von Schenk, einem der letzten Justizminister der
Monarchie, und die Tochter des Präsidenten des Landgerichts in
Czernowitz. Roths Freund Józef Wittlin, der Frau Szajnocha
1918 kennenlernte, bemerkt über ihren Einfluß auf Roth:

-60-
»Manch eine wichtige Entscheidung für sein Leben und für sein
literarisches Schaffen faßte Roth am Krankenbett dieser Greisin,
deren Geist jung und frisch war wie der Esprit der französischen
Damen im Zeitalter der Aufklärung24 .« Zwischen Roth und
dieser feinfühligen und in Literatur bewanderten Dame entstand
eine Beziehung, deren Art sich durch die Tatsache enthüllt, daß
sie sich »Mutter« und »Sohn« nannten25 . Außer seiner Frau war
Frau Szajnocha die erste, die von Roths Arbeit an seinem ersten
Roman Spinnennetz erfuhr 26 . Die Verehrung und
Anhänglichkeit, die Roth für sie empfand 27 , übertrug er, nach
eigener Angabe, von 1925 an auf die Schwiegermutter Benno
Reifenbergs. Es handelte sich auch hier um eine Adlige
polnischer Herkunft, mit einigen der Frau Szajnocha
wesensverwandten Charakterzügen. Auch in der neuen
Bekannten bemühte sich Roth, eine Ersatzmutter zu finden28 .
Alle Indizien sprechen dafür, daß Roths Beziehung zur
Lemberger Universität bereits mit der Immatrikulation im
Herbst 1913 aufhörte. Belegt ist die Tatsache, daß er vom 2. bis
9. September 1913 den Tagungen des XI. Zionisten-Kongresses
in Wien beiwohnte29 (zu denen übrigens auch Franz Kafka
erschienen war). Derjenige, der dies zu berichten weiß, teilt
weiter mit, Roth habe sich unter die Teilnehmer des Kongresses
gemischt und sich als Korrespondenten ausgegeben. War es
vielleicht Übermut, der dem Bewußtsein entsprang, fürs erste
dem heimatlichen Galizien entronnen zu sein? Denn soweit sich
dies dokumentieren läßt, benutzte Roth die Gelegenheit, sich in
Wien niederzulassen, und verbrachte dort einige leidlich
unbekümmerte Monate bis zu Beginn des nächsten Semesters
der Wiener Universität. Was Roth in den Sitzungen des
Kongresses erfuhr, geht aus dessen Protokoll hervor: man sprach
über die Errichtung einer Universität in Jerusalem und setzte
sich für eine geistigkulturelle Fundierung des Zionismus und
dessen Eindringen in das jüdische Kulturgut ein. Der Beschluß
des Kongresses machte es dem einzelnen Zionisten zur Pflicht,

-61-
sich mit Palästina persönlich und wirtschaftlich zu verbinden.
Dabei gab man zu, daß die Diaspora für den größten Teil der
Juden ihr dauerndes Schicksal bleiben werde. Über die
Erlernung der hebräischen Sprache unterhielt man sich - die
Verhandlungen wurden zum Teil in dieser Sprache geführt - und
über die Schaffung einer neuen großen interterritorialen
Organisation für alle Juden. Zum Abschluß wies Chaim
Weizmann, der Vorsitzende des Permanenzausschusses und
später der erste Präsident des neugegründeten Staates Israel,
darauf hin, daß sich die westlichen Hochschulen den
ostjüdischen Studenten immer mehr verschlossen: im
Studienjahr 1912-13 hatten zahlreiche deutsche und
schweizerische Universitäten scharfe Verfügungen gegen deren
Zustrom erlassen30 .
Es ist auffallend, wie oft Roth sich im Laufe seines Lebens
publizistisch zum Zionismus äußerte. Dabei gewinnt man
keinesfalls den Eindruck, daß er jemals diesen Weg für seine
Person, wie es bei Kafka ansatzweise der Fall war, erwog, wohl
aber, daß er immer wieder seine Einstellung rechtfertigen
wollte. Bei allen Abwandlungen seiner religiösen Anschauungen
scheint er nicht von s einer ursprünglichen Sympathie für die
Auffassung des orthodoxen Ostjuden, nach der das zionistische
Ziel vor Erscheinen des Messias eine Häresie bleiben müsse,
abgewichen zu sein. So stellt er 1926, anläßlich einer Reise im
Kaukasus, wo er mit russischen Juden zusammentraf, fest, die
Ostjuden orthodoxer Prägung seien dem Zionismus unfreundlich
gesinnt31 . Ein Jahr später, in Juden auf Wanderschaft, bemerkt
Roth über den gläubigtraditionellen Ostjuden: »Dieser Jude ist
kein ›nationaler‹ Jude im westeuropäischen Sinne. Er ist Gottes
Jude... Einem ostjüdischen Chassid und Orthodoxen ist ein
Christ näher als ein Zionist. Denn dieser will das Judentum von
Grund aus verändern. Er will eine jüdische Nation, die ungefähr
so aussehen soll, wie die europäischen Nationen... Diese Juden
merken nicht, daß der Fortschritt der Welt die jüdische Religion

-62-
vernichtet und daß immer weniger Gläubige ausharren und daß
die Zahl der Frommen zusammenschmilzt. Sie sehen die
jüdische Entwicklung nicht im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Welt. Sie denken erhaben und falsch32 .«
Aus diesen Zeilen spricht Roths Bewunderung für eine
Gesinnung, die auf verlorenem Posten steht und mit der er sich
auf ambivalente Weise identifiziert. Der Zionismus, welcher die
Nation über die Religion stellt (schließlich hatte der Gründer des
Zionismus, Theodor Herzl, erst die Taufe als eine mögliche
Lösung der Judenfrage in Erwägung gezogen) und der daran
interessiert ist, die Lebensbedingungen der Juden denen der
anderen Völker anzugleichen, mußte den frommen Ostjuden
abstoßen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kam es unter den
traditionell ausgerichteten Juden zu einem erweiterten Interesse
für die Bewegung.
Roth wie /Arthur/ Schnitzler33 hielten an dem übernationalen
Ideal der österreichischen Monarchie, in der sie aufwuchsen,
fest. Indessen ist gerade das Entstehen des Zionismus auf die
Zunahme der nationalen Spannungen im Habsburger Reich
zurückzuführen, in dem der Nationalismus der Deutschen und
Ungarn den Nationalismus der Slawen und Juden
herausforderte. So kann es auch nicht wundernehmen, daß
gerade Wien die Geburtsstätte des Zionismus und lange Zeit das
Zentrum der zionistischen Bewegung war.
Während der Emigration, zu einer Zeit, in der er sich für einen
frommen Katholiken ausgab, wies er in einem
rechtskatholischen Blatt die These eines zionistischen
Wortführers zurück, die Auswanderung nach Palästina sei die
beste Abhilfe für den in katholischen Ländern schwelenden
Antisemitismus, und die Katholiken dieser Länder sollten nur
froh sein, sich der jüdischen Mitbürger entledigen zu können34 .
Roth greift an mit der Beschuldigung, ein solcher
Gedankengang »verbindet... den katholischen Charakter eines
Landes mit dessen antisemitischem, dieweil doch der

-63-
katholische Glaube der Wirtsvölker nichts mit ihrem
Antisemitismus zu tun hat: man könnte eher sagen, im
Gegenteil«35 . Er räumt ein, »Der Zionismus ist vielleicht eine
wirtschaftliche, eine politische, ja eine, im irdischen Sinne,
moralische Notwendigkeit«36 , obwohl der Katholik und der
gläubige Jude, aber nicht der Zionist, die Juden als »das
auserwählte - und auch zum Fluch auserwählte - Volk, nicht für
eine beliebige, zufällig des Vaterlandes beraubte, Nation
halten« 37 . Hat Roth hier vorgeblich den Standort seiner
religiösen Gesinnung geändert, so bleibt er seiner
ursprünglichen Auffassung von Würde und Mission des
gläubigen Judentums treu. Und ebenso wie er der Monarchie
trotz der nationalen Gärung die Treue bewahrte, vertrat er einen
Katholizismus, der sich in der Praxis gegen den Universalismus
versündigte.
Galizien, das im Laufe dieses Jahrhunderts von so vielen
Konvulsionen erschüttert wurde, verdankte Roth nicht nur die
weltanschauliche Ausrichtung und die Prädisposition mancher
Charakteranlagen, sondern auch die sprachliche Orientierung.
Deutsch war für den Autor des Radetzkymarsch nicht das
einzige Ausdrucksmittel seines Wesens, denn er wurde in ein
sprachliches Vielerlei hineingeboren. In der Mischkultur seiner
Geburtsstadt sprach man Deutsch, Ukrainisch, Polnisch und
Jiddisch.
Roths Brodyer Mitschüler polnischer Herkunft, Stanislaw
Strzetelski, weiß zu berichten, daß Roth mit ihm in der
Gymnasialzeit fließend polnisch sprach und neben
deutschsprachigen Gedichten auch einige auf polnisch
verfaßte38 .
Roth konnte genügend Russisch, um sich in seiner
Emigrationszeit in russischen Zeitungen mit kyrillischer Schrift
zurechtzufinden39 . Gern versuchte er sich in dieser Sprache bei
russischen Freunden in einem russischen Restaurant in der Rue
Mazarine zu Paris, wo er behauptete, Isaak Babels Werke im

-64-
Original gelesen zu haben40 . In derselben Stadt pflegte er kleine
Notizen in russischer Sprache an Joseph Constantinowsky, einen
russischen Bildhauer, zu richten, mit dem ihn eine herzliche
Sympathie verband 41 .
Des Französischen, mit dessen Erlernung er 1920 anfing,
bediente er sich im Laufe längerer Aufenthalte in Frankreich mit
Gewandtheit und verfaßte sogar neckische Gedichte42 wie auch
lange Briefe in dieser Sprache, in denen freilich sprachliche
Flüchtigkeiten vorkommen.
Vom Hebräischen, das er in der jüdischen Volksschule gelernt
hatte, behielt er so viel, daß er fünfunddreißig Jahre später,
während der Emigration, einige hebräische Gebete an einem
Pariser Cafetisch zu übersetzen vermochte43 .
Jiddisch sprach Roth immer wieder gern mit ostjüdischen
Landsleuten, und das Café Odéon in Paris wurde ihm während
der späten dreißiger Jahre zum Treffpunkt mit Freunden, die
Jiddisch sprachen44 . Dieser Sprache bediente er sich als
spontanes Ausdrucksmittel für Zorn und Scherzhaftigkeit. Seine
langjährige Lebensgefährtin, Andrea Manga Bell, erinnert sich
der Schalkhaftigkeit und Selbstironie, mit denen er der
Alkoholiker, ihr das jiddische Lied beibrachte:

Oj, oj, oj!


Schicker is der Goj*Schicker is er, trinken mis er,Weil er is a
Goj!45

In einer jiddischen Unterhaltung mit einem lettischen


Talmudisten in Paris entwickelte Roth in launischer
Ausgelassenheit und mit spielerischem Unterton eine geradezu
kabbalistische Theorie über das Jiddisch: »Der Klang der
jiddischen Sprache ist Schicksalsgemeinschaft«, behauptete er,
»und Jiddisch ist die Schicksalssprache der Juden.« Er war
weiter der Ansicht, nur einer, der Jiddisch könne, sei imstande,
-65-
ein vorzügliches Deutsch zu schreiben.

*schicker: betrunken; Goj: Nichtjude.

-66-
6
Ankunft und Studium in Wien
1913-1916

Wehr hier in Fohlen Reist d' findet insgemeinEin groben


Edelmann, und Ein besudelt Schwein.Viel stinckendt Juden
Volck,Viel Ratzen
Und der Mäuse,Die Ochsen seindt gar klein, hingegen große
Läuse.

Diese Verse entstammen einer anonymen Feder aus Wien


Anno 1690. Nicht wesentlich anders war der Eindruck, den die
›zuag'rasten‹ Galizier auf die Wiener machten, als Roth im
Herbst 1913 in der Stadt eintraf, nach der er sich schon so lange
gesehnt hatte. Aber die eigene Vergange nheit und die Vorurteile
anderer machten einem in den ersten Tagen des Rausches das
Herz nicht schwer. Man lebte in der Reichs-, Haupt- und
Residenzstadt Wien, fühlte sich als Bürger einer Großmacht,
glaubte zunächst noch gerne an die sprichwörtliche
Lebensfreude der Stadt, in der man Fuß zu fassen gedachte. Man
spazierte über die Ringstraße, bewunderte sowohl die in
Grünflächen eingebetteten Monumentalbauten wie auch - so
drückte sich Roth später aus - »die stolzen Häuser am Ring...
und die öffentlichen Gebäude, das Parlament, [den] Justizpalast,
die Universität, die Bodenkreditanstalt, das Burgtheater, die
Hofoper...«1 Zum Höhepunkt seiner Berührung mit dieser
glanzvollen traditionsreichen Welt gehörten die Augenblicke,
die den jungen Roth »in die körperliche Nähe des Kaisers
geführt hatte[n]«2 . Um sechs Uhr früh sei er nach Schönbrunn
hinausgefahren, um den Kaiser nach Ischl abreisen zu sehen:
»Und es war wirklich der Kaiser. Da kam er nun, alt und
gebeugt, müde... und schon am frühen Morgen verwirrt von der
Treue seiner Untertanen, vielleicht auch ein wenig vom

-67-
Reisefieber geplagt, in jenem Zustand, der dann im
Zeitungsbericht ›die jugendliche Frische des Monarchen‹ hieß,
und mit jenem langsamen Greisenschritt, der ›elastisch‹ genannt
wurde, trippelnd fast und mit sachte klirrenden Sporen, eine alte
schwarze und etwas verstaubte Offiziersmütze auf dem Kopf,
wie man sie noch zu Radetzkys Zeiten getragen hatte, nicht
höher als vier Mannesfinger. Die jungen Leutnants verachteten
diese Mützenform. Der Kaiser war der einzige Angehörige der
Armee, der sich so streng an die Vorschrift hielt. Denn er war
ein Kaiser3 .« Aus der kleinen eintönigen Grenzstadt war er
gekommen, gerade erst neunzehn geworden, und wurde
Bewohner einer Weltstadt von eindreiviertel Millionen
Menschen. An der Wiener Universität würde er sich demnächst
einschreiben, täglich ihre breite imposante Freitreppe besteigen,
sich in den Hörsälen, wo viele Entdeckungen in der Welt des
Geistes und der Literatur auf ihn warteten, eine Zukunft
aufbauen, unt er der Studentenschaft alle Sprachen hören, die auf
dem Papiergeld des ausgedehnten Reiches vermerkt waren.
Für den Wiener Mittelstand war es eine Zeit der Ruhe und
Geborgenheit, viele wollten von dem drohenden Gewitter am
Horizont nichts wissen, man genoß das Leben in nichtsahnender
Sorglosigkeit. Seit der Jahrhundertwende zeichnete sich eine
späte Blütezeit in der Architektur, der Musik, der Malerei und
der Literatur in Wien ab. Otto Wagner baute die ersten
modernen Häuser Europas; sein Schüler, Josef Hoffmann,
gründete zusammen mit Josef Olbrich, Gustav Klimt und
Koloman Moser die Wiener Sezession unter der Devise, »Der
Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Freiheit«. Zum Gegenspieler
der Sezession wurde Adolf Loos, der sich für eine schmucklose
Baukunst einsetzte.
Die Operninszenierungen Gustav Mahlers strebten eine
spätromantische Verwirklichung des Gesamtkunstwerkes an.
Neuerer in der Musik waren Arnold Schönberg, Gründer der
Wiener Schule, welcher als erster die Zwölftonmusik

-68-
komponierte, und seine Schüle r Alban Berg und Anton Webern.
Die Malerei Gustav Klimts stellte eine byzantinisch
anmutende Stilisierung höchsten Grades dar. In den Bildern
Egon Schieies hingegen wurden die Keime des Expressionismus
sichtbar, der sodann in den unter die Haut bohrenden Gemälden
Oskar Kokoschkas einen seiner Höhepunkte erreichte. Die
Lebensangst (die sich im Schaffen Egon Schieies spiegelte) und
die Todessehnsucht (die sich als belebendes Element in den
Gedichten Georg Trakls niederschlug) wurden durch die quasi
revolutionär vorstoßenden psychoanalytischen Studien Sigmund
Freuds beleuchtet und untersucht.
Auf literarischem Gebiet wimmelte der Himmel Jung-Wiens
von Sternen: Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler,
Richard Beer-Hofmann, Peter Altenberg, Hermann Bahr, Felix
Saiten. Auch der Wortfanatismus Karl Kraus' und die
Theaterarbeit Max Reinhardts standen im Zeichen des Anbruchs
einer neuen Zeit.
Ein beachtlicher Teil dieser schöpferisch Begabten waren
Juden. Juden zeichneten sich in der Presse, im Theater, in der
bildenden Kunst und im Verlagswesen aus. Bezüglich der
aufsehenerregenden Rolle der Juden im Wiener Kulturleben
bemerkte der judenfeindliche christlichsoziale Politiker
Bielolawik in einer Sitzung des Wiener Gemeinderates
sarkastisch: »Kultur ist, was ein Jud vo m ändern abschreibt4 .«
Trotz vieler Schattenseiten war diese Stadt ein Mekka für die
kleinen Ostjuden der Habsburger Monarchie. Die Väter kamen
in ihren Kaftanen, pferchten sich in den Winkelgassen der
Leopoldstadt zusammen, verständigten sich schlecht und recht
auf jiddischdeutsch, hausierten, handelten mit Trödelkram und
erkämpften sich den mühsamen Aufstieg zum Kleinhändler.
Aber ihre Söhne machten bereits den großen Sprung,
absolvierten die Universität, wurden Anwälte, Ärzte, Gelehrte,
Literaten, Warenhausbesitzer, zogen in die innere Stadt oder
zum Alsergrund und gehörten einer anderen Welt an. Auch für

-69-
Roth war die Übersiedlung nach Wien und somit der erste
Kontakt mit dem Westen ein verheißungsvolles Ereignis. So
schien der frühe Traum von einer würdigen Heimat sich
zunächst verwirklichen zu wollen. Aber die Begeisterung sollte
nur kurze Zeit währen, wenige Monate später würde der große
Krieg ausbrechen, in kaum fünf Jahren sollte der Glanz des
Vielvölkerstaates verblassen und die geheimen Hoffnungen des
jungen Mannes zunichte machen. Roth war allein nach Wien
gekommen und hatte ein kleines Zimmer in Untermiete in der
Rembrandtstraße 35 im 2. Gemeindebezirk (Leopoldstadt)
bezogen. Er reichte das Abgangszeugnis der Lemberger
Universität ein und das dort nicht abgeschlossene Semester
wurde ihm voll angerechnet. So stand er nun im zweiten
Semester, als sein Studium an der Wiener Universität mit dem
Sommersemester 1914 anfing.
Auf allen fünf »Nationalen [Stammrollen] für ordentliche
Hörer der philosophischen Fakultät« ist der vollständige Name,
»Moses Joseph Roth« eingetragen, während als
Staatsbürgerschaft »österreichisch« vermerkt ist. Geburtsort und
Kronland lauten auf »Brody in Galizien«; die Muttersprache ist
»Deutsch«, die Religion »mosaisch«; die Frage nach
»Vornamen, Stand und Wohnort seines Vaters« wird nicht
beantwortet. Als Wohnung des Studierenden wird in dem ersten
Nationale »Rembrandtstraße 35« angegeben, auf allen weiteren
Rollen »Wien XX, Wallensteinstraße 14/16 III Stiege«. Dies
war der trostlose Arbeiterbezirk Brigittenau, dessen Einwohner
zu zwanzig Prozent aus Juden bestanden. Hinter »Name, Stand
und Wohnort seines Vormundes« steht auf dem ersten Nationale
»S. [Siegmund] Grübel, Lemberg, Kaufmann«, auf allen
weiteren Nationalen »Maria Roth, Privat, dz. Wien,
Wallensteinstraße 14/16«, denn im Spätsommer 1914, bei
Ausbruch des Krieges, war Roths Mutter ihm nachgereist, und
Mutter und Sohn hatten sich zusammen einquartiert. Die
Hörerlisten der von Roth besuchten Vorlesungen an der

-70-
philosophische n Fakultät lassen nichts von dem wahllosen, bei
manchen Studenten der humanistischen Fächer während der
ersten Semester vorkommenden »Ausprobieren« erkennen; von
Anfang an legte er sich auf die Germanistik fest.
An Professor Brecht, dem Ordinarius für neuere deutsche
Literatur, fand Roth von Anfang an Gefallen. Im nächsten
Semester belegte er wieder eine Vorlesung bei ihm, im dritten
und vierten je zwei Vorlesungen und ein Seminar und im
fünften und letzten eine Vorlesung und ein Seminar, und zwar
über folgende Gegenstände: »Geschichte des deutschen Romans
und der verwandten Gattungen«; »Geschichte der deutschen
Literatur im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts«; » Geschichte
des deutschen Romans im 18. Jahrhundert«; »Seminar für
deutsche Philologie - Ausgewählte Gedichte Goethes«; »Das
klassische Drama Goethes und Schillers«; »Das Drama des 16.
Jahrhunderts«; »Seminar für deutsche Philologie - Interpretation
von Opitzens ›Buch von der deutschen Poeterey‹«; »Geschichte
des deutschen Dramas vom Ende des Mittelalters bis auf die
englischen Komödianten, nebst Erklärung aus verschiedenen
dramatischen Werken«; »Interpretation des Lalebuchs
(›Schildbürger‹) - Seminar für neuere deutsche Philologie«.
Beim Privatdozenten Eduard Castle, einem der Autoren der
Deutsch-österreichischen Literaturgeschichte, der als Lehrer
den Ruf hatte, ausführlich, aber trocken zu sein, belegte er
»Epochen der deutschen Nationalliteratur und Grundzüge ihrer
Entwicklung«. Auf dem Gebiet der älteren Literatur nahm er bei
Professor Jellinek am »Proseminar für deutsche Philologie -
Mittelhochdeutsche Übungen« teil. Bei dem bekannten Forscher
Professor Carl von Kraus hörte er Vorlesungen über die
»Geschichte der deutschen Literatur von der Mitte des 13.
Jahrhunderts bis zum Ausgang des Mittelalters«. Freilich wird
Roth, der sich immer von der Phantasie leiten ließ, sich nur
wenig von diesem Kolleg angesprochen gefühlt haben, da
Professor von Kraus seine literarischen Untersuchungen ganz im

-71-
Zeichen der streng wissenschaftlichen Philologie betrieb5 .
Die restlichen von Roth besuchten Vorlesungen sind über
andere Abteilungen verstreut: »Psychologie« und
»Sprachpsychologie«; »Geschichte des Humanismus«; »Über
Trugschlüsse«; zwei Semester lang belegte er »Erklären und
Bestimmen von Musikwerken«; ferner »Ethnographische
Übungen und Referate«; und »Die Stellung der venezianischen
Kunst im Rahmen der allgemeinen Kunstentwicklung«.
Einige Jahre nach dem durch seinen Kriegsdienst bedingten
Abbruch seines Studiums erzählte Roth einem Leipziger Vetter,
wie sehr er von seinen germanistischen Studien in Wien
enttäuscht worden sei. Er habe Dichtung erwartet und
Germanistik vorgefunden6 . Nur den von ihm verehrten Professor
Brecht klammerte er aus seiner abfälligen Kritik aus. Nach den
zwei Proseminaren, die er im ersten Wiener Semester belegte,
hatte Roth Zugang zu einem Hauptseminar Professor Brechts
(»Geschichte der deutschen Literatur im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts«), an dem er sich im dritten Semester beteiligte.
Die Referate, die Roth dort hielt, erregten alsbald die
Aufmerksamkeit seines Professors. Heinz Kindermann, der dies
zu berichten weiß, durch seine zahlreiche Bände umfassenden,
sich mit dem internationalen Drama befassenden
Veröffentlichungen bekannt, ist heute emeritierter Professor für
Theaterwissenschaft der Universität Wien. Als Assistent
Professor Brechts war Kindermann damals bei der Verlesung
von Roths Seminararbeiten zugegen und behielt sie als scharf
durchdachte, mit geschliffener Eleganz verfaßte Essays in
Erinnerung. Zudem fielen sie ihm auch durch die
Eigenwilligkeit ihrer Auffassung auf, denn Roth verließ den
Boden des literarisch Gegebenen, um anzudeuten, wie er die
Originalwerke gestaltet hätte. Bei aller Anerkennung mußte
Professor Brecht seinen Schüler ermahnen, sich an die Texte zu
halten7 . Professor Brecht interessierte sich insbesondere für den
Werdeprozeß der Romangestaltung, und seine Strukturanalysen

-72-
der von ihm behandelten Romane, wie auch seine Deutungen
des Barockromans, betrachtete Roth als die wertvollste
Anregung seines Studiums8 . Etwas von Roths Hochstimmung zu
diesem Zeitpunkt läßt sich aus der Bemerkung eines
Studienfreundes herauslesen - daß die Welt »ihm damals schön
und zauberhaft erschien« 9 . Roths Briefe aus dieser Periode
vermitteln das Gefühl einer noch heilen Welt, in der man seinen
Plänen und Hoffnungen nachgehen durfte. In einem dieser
Briefe sieht er sich als »der verträumte deutsche Lyriker, der
Kunstenthusiast und Germanist im 6. Semester und Schüler des
Herrn Prof. Brecht«10 . Brecht unterhielt sich gern und länger mit
ihm als mit den anderen Studenten, der Einwanderer aus
Galizien wurde sein Lieblingsschüler. Dabei vertraute Roth dem
Mentor seine Hoffnung auf eine germanistischwissenschaftliche
Laufbahn als Lehrer an". In späteren Jahren kam Roth auf diesen
fallengelassenen Plan mit der Behauptung zurück, die
Lehramtsprüfung habe er gerade abgelegt, als der Krieg
ausbrach12 . Daraus spricht Roths Bedürfnis, Unvollendetes
wenigstens in der Phantasie zur Vollendung zu bringen. In
Wirklichkeit war ein Minimum vo n acht Semestern zur
Ablegung der Lehramtsprüfung (Roth absolvierte nur sechs)
erforderlich, und sein Name kommt weder im Index des k. k.
Prüfungsamts für das Lehramt noch in den Indexen nach 1918
vor.
Zwar war die - übrigens reichlich distanzierte - Beziehung zu
seinem Professor während seiner Studienzeit eine dauernde
Quelle der Anregung, ansonsten aber bot ihm seine menschliche
Umwelt vorerst nur wenig Halt. Ins Germanistische Seminar
kam er fast immer ohne Begleitung, im Hörsaal saß er meistens
ein wenig abgerückt von den übrigen Studenten und blieb eine
Insel für sich. Was die anderen Studenten für Hochmut hielten,
war die abkapselnde Scheu, die sich als Hochmut tarnte13 .
Mutter, Sohn und eine Tante lebten in der armseligen
Wohnung in der Wallensteinstraße von der

-73-
Flüchtlingsunterstützung und gelegentlichen Aushilfen
Siegmund Grübels14 . Die wenigen erhaltenen Briefe Roths aus
seiner Studienzeit sprechen von der privaten Not: »Ich habe
knappes Schuhmaterial und die Schuster lassen sich viel
bezahlen. So ein Schusterherz ist härter als eine Schuhsohle.
(Nebenbei gesagt: ich hatte heute in der Suppe auch harte
Fiesolen.)«15 * Er kann nicht die

*Ein wienerischpolnischer Kalauer: Bohnen, hart wie


Schuhsohlen. sechzig Heller für ein Exemplar von » Österreichs
Illustrierter Zeitung« aufbringen, in der einige seiner Gedichte
abgedruckt stehen, und es fehlt ihm ein ebenso großer Betrag,
um ins Kaffeehaus zu gehen16 . Die Aussicht auf ein kleines
Honorar macht ihm große Freude: »Zwei Gedichte im Extrablatt
machen 12 k.17 !«Trotzdem ist der Ton dieser Briefe von
spielerischer Leichtigkeit, der Krieg wird vorläufig mit keinem
Wort erwähnt, und die Schilderung der Entbehrungen wird ins
Humorvolle gewendet.
Der erste Mensch, dem der junge Student in Wien sich
anschloß, erhöhte durch sein Beispiel Roths Skepsis dem
geordneten Bürgerleben gegenüber, wie auch seinen bereits
vorhandenen Hang zur Boheme. Es handelte sich um Joseph
Czecher, einen Bruder der Großmutter mütterlicherseits, der vor
vielen Jahren in Wien angefangen hatte, Jura zu studieren, eine
Zuwendung von seiner Familie erhielt und Jahrzehnte hindurch
keinen anderen Ehrgeiz hatte, als Student zu sein. Als
Sechzigjähriger begann er als Konzipient bei einem
Rechtsanwalt zu arbeiten, für den er Pfändungen ausführte. Aber
auch dann setzte er den Rhythmus seines Studentenlebens
unbekümmert fort. Von 6 Uhr abends an saß er im Kaffeehaus,
spielte Karten bis zur Sperrstunde und kippte ein Glas nach dem
anderen. Mehrmals im Monat traf sich Roth mit dem Onkel, der
nie ausgeschlafen war, sich aber immer gutgelaunt gab, in
dessen Kaffeehaus, Ecke Nußdorfer- und Währingerstraße. In

-74-
Roths Gesellschaft war der Onkel ausgelassen und erzählte ihm
in heiterer Stimmung skurrile Einzelheiten aus seinem Leben.
Roth bewahrte Czecher die Treue und suchte ihn auch später an
seinem Stammtisch auf, so oft er in Wien war. Im März 1938,
als Roth sich ganz kurz zum letzten Male in Wien aufhielt, war
der bereits über 80 Jahre alte Onkel der einzige Blutsverwandte,
dem er einen Besuch abstattete18 .
Die niemals veröffentlichten autobiographischen Notizen
Roths aus dem Jahre 1919 gewähren einen Einblick in die Seele
des Studenten und zeigen, wie wenig er sich seiner Umgebung
anpaßte - ebensowenig wie der Onkel Czecher, aber ohne sich
wie dieser mit seinem Geschick abfinden zu können. Es versteht
sich von selbst, daß die in diesen Aufzeichnungen angedeuteten
Emotionen glaubwürdiger sind als die angeblich ihnen zugrunde
liegenden »Ereignisse«: »Ich saß unter den jungen Leuten, die
mir zuwider waren, die ich aber beneidete. Sie hatten
Lebenslust, sie waren laut, kräftig, es schien mir, daß sie das
Leben genossen, stärker als ich, bunter lebten sie, weil
gewöhnlicher. Ich wäre gerne ein Student mit einem Band
geworden [durchgestrichen: obwohl ich mich und meine
törichten Wünsche auslachen mußte, hegte ich sie doch]. Ich
mußte meine eigenen Wünsche auslachen. Das Leben der
Studenten war durch die Literatur geheiligt worden, alle
deutschen Lyriker hatten die Jugend besungen, alle großen
Männer hatten, wie mir damals schien, durchaus
vorschriftsmäßig ihre Studentenzeit absolviert, es blieb mir also
nichts anderes übrig, als mir genau dieselben Erlebnisse zu
wünschen. Bei dieser Gelegenheit will ich feststellen, daß es
eine bestimmte Art von Romantik gab, die mich rührte. Es war
die Romantik der sogenannten nationalen Überlieferungen. Für
Paraden hatte ich einen lebhaften Sinn, ich fühlte kalte Schauer
beim andauernden Rasseln einer Trommel, ich ging zu
offiziellen katholischen Feierlichkeiten und hätte mich jüdis ches
Blut, das durch meine Adern fließt - wer hätte es noch nicht

-75-
gemerkt? - nicht gehindert, ich wäre ein Anhänger der scharf
nationalen Bewegungen geworden. Zum Glück hinderten sie
mich selbst daran. Es wäre mir nicht auf eine Lüge
angekommen. Nichts wäre mir leichter gewesen, als meine
jüdische Mutter zu verleugnen. Aber ich war zu stolz, nicht zu
ehrlich. Ich mochte nicht. Es paßte mir nicht. Einmal, so stellte
ich mir vor, würden sie schon zu mir kommen, um mich zu
bitten. Sie kamen nicht. Welch ein Glück!... Ich bemitleidete
mich, weil ich von dem Recht der Jugend auf Romantik keinen
Gebrauch zu machen verstand und war mit mir unzufrieden. Sah
ich die Umzüge, Feste, Uniformen der ändern, so kam ich mir
fremd in dieser Welt vor, ausgestoßen, beinahe geächtet. Dieses
Leid stachelte meinen Ehrgeiz an, denn ich hoffte, durch
überragende Leistungen meinen Mangel an geselligen
Fähigkeiten wettzumachen. Ich konnte nicht tanzen. Ich
besuchte hier und da einen Ball, stand in der Ecke, sah
unbedeutend aus und fühlte, daß ich dank diesem
unbedeutenden Gesicht gar nicht die Berechtigung hatte, nicht
zu tun, wie die anderen. Ich fühlte, daß man mir mein Recht,
eine Ausnahme zu sein, nicht zugestehen würde und meine
auffallende Einsamkeit als Arroganz verstehen müsse. Es blieb
mir also nichts übrig, als die Not meiner Arroganz noch zu
verstärken und abweisender zu werden, als ich es schon von
Natur war. Vielen Frauen gefiel diese Haltung und ich hatte, wo
ich mich zeigte, mehr Glück, als die Tänzer. Allein, die Frauen
begannen mich schon früh zu langweilen. So sehr ich auch in
ihnen forschte, ich konnte nichts von dem Außergewöhnlichen
entdecken, das Bücher aller Zeiten und Völker den Frauen
zuschrieben. Ich kannte Alle, wenn ich Eine kannte, und da
meine Neugier befriedigt war, sie es aber ist, die unsere meist
schlafenden Sinne erst weckt, suchte ich nicht mehr nach
Abenteuern und es gab nicht Eine, die mir so gefallen hätte, daß
ich ihretwegen eine Mühe, geschweige denn eine Gefahr, tragen
wollte.

-76-
Dagegen wollte ich sehr vielen gefallen. Es war mein Ehrgeiz,
vollendete Anzüge und Manieren zu besitzen, weitgereist,
erfahren und elegant zu sein, ein Weltmann. Es fehlte mir das
Geld für Reisen, großartige Abenteuer, wirkliche Eleganz und
Erfahrungen. Ich mußte alles vortäuschen, mich durch Instinkte,
Lektüre, Beobachtungen heranbilden und lügen. Ich log sehr
viel, erzählte geschickt von fremden Ländern, sprach weise von
den Frauen und lernte in jener Zeit erst das eigentliche
Handwerk des Schriftstellers und des Hochstaplers: Die
Formulierung. Ich erfuhr oft, daß man mir viel zutraute, man
hielt mich für klüger, als ich war und oft dachte ich mit
Schauern daran, daß man mich eines Tages auf eine harte Probe
stellen könnte, der ich nicht gewachsen wäre. Ich vermied es
also, mich prüfen zu lassen, auch harmlose Gesellschaftsspiele,
bei denen es auf Geistesgegenwart, Witz, Eleganz ankam,
machte ich nicht mit. Ja, ich lernte nicht tanzen, aus Angst, ich
würde kein vollendet guter Tänzer. Ich erhielt also alle in dem
Glauben, ich könnte wirklich alles, wenn ich nur wollte. Erst
viel später lernte ich die Kenntnisse und Fähigkeiten der ändern
so gering schätzen, daß ich einsah, ich hätte wirklich alles viel
besser gekonnt.
Es lag mir daran, bei den Prüfungen nicht in Verlegenheit zu
kommen und dem Professor so gewachsen zu sein, wie ich es
früher meinen Lehrern gewesen war. Infolgedessen bereitete ich
mich sehr sorgfältig vor, besuchte die Prüfungen anderer,
behorchte die Eigenheiten der Professoren und führte Buch über
sie. Ich notierte die Art, zu fragen, die Art, zu höhnen, die
ständigen Phrasen, die jeder gebrauchte, ich bereitete mich für
den Professor vor, mehr als auf den Gegenstand, ich malte mir
den Hergang der Prüfung aus, konstruierte mir wahrscheinliche
Dialoge, Fragen und Antworten. Ich fürchtete nicht etwa einen
Durchfall, sondern eine Verlegenheit. Meine Prüfungen wurden
dank diesen Vorbereitungen glänzende Duelle. Ich focht gegen
den Prüfenden. Ich empfand ihn als einen Feind, den es zu

-77-
vernichten, zumindest abzuwehren galt. Ich haßte ihn, während
er mich prüfte. Eine halbe Stunde später verachtete ich ihn.
Derlei glänzende Leistungen verhalfen mir zu Stipendien. Ich
gab sie mit vollen Händen aus. Ich brachte ein paar Hunderter in
einigen Wochen um, schaffte mir Anzüge an, wohnte in einem
vornehmen Hotel und machte kleine Reisen. Ich war ein
Hochstapler. Ich lebte mehrere Existenzen. Ich trug die besten
Kleider. Ich wäre auf diesem Weg und mit diesen Mitteln wohl
bald zu einer besonderen Stellung im Leben gelangt, wenn ich
mir über meine besonderen Fähigkeiten ganz im klaren gewesen
wäre. Allein, ich wußte noch gar nicht, was ich werden wollte
oder konnte...«19
Das bedrückende Gefühl der kaschierten Unzulänglichkeiten,
das aus diesen Zeilen spricht und Roth erst in Wien so intensiv
kennenlernen sollte, ebenso wie die Sensibilität der
künstlerischen Psyche, die nicht weiß, ob sie sich nach innen
oder nach außen wenden soll, trieb Roth zum Außenseitertum
und zur Empörung, gleichzeitig aber auch zu
Anpassungsversuchen und zur Überkompensation. Trotz seiner
Armut gelang es ihm nach einiger Zeit, wie ein Stutzer
aufzutreten. Als solchen beurteilte ihn auch ein Mitstudent im
Jahre 1915: »Roth fiel mir auf. Er war sehr dünn, gepflegt, gut
gekleidet. Sein blondes Haar trug er in der Mitte gescheitelt, es
war immer mit Pomade glatt gekämmt. Er kam mir wie der
klassische Typ eines Wiener Dandy aus Beamtenkreisen vor, ein
sogenannter ›Gigerl‹. In seinen schönen blauen Augen, die oft
ironisch blickten, trug er ein Monokel [derart, daß] sein spitzes
Gesicht durch das Monokel leicht arrogant [wirkte]20 .« Diese
Zeilen stammen von Józef Wittlin, der überrascht war, in dem
arrogant wirkenden Dandy einen jüdischgalizischen Landsmann
zu finden. Wie Roth hatte auch Wittlin literarische Ambitione n;
seine 1919 erschienenen expressionistischen Gedichte in
polnischer Sprache werden heute in Polen neu entdeckt. Die
beiden Namensvettern blieben mehr als zwei Jahrzehnte

-78-
verbunden; als Wittlins Kriegsroman Das Salz der Erde 1937 in
einem Amsterdamer Emigrantenverlag in deutscher Übersetzung
erschien, hatte er Roth die Vermittlung und das Vorwort zu
verdanken. Ein anderer, ebenfalls aus Galizien stammender
Student, Soma Morgenstern, der noch in Roths letzten
Lebensjahren Tür an Tür mit ihm in Paris wohnte, erzählt, er
habe Roth ungefähr zur gleichen Zeit kennengelernt und
ebenfalls gesehen, daß Roth manchmal ein Monokel trug und
damit einherstolzierte. Dies habe nicht verhindert, daß beide
vom Fleck weg befreundet waren21 . Morgenstern und Wittlin
konnten auch beobachten, wie der menschenscheue Roth sich in
Gesellschaft intimer Freunde verwandelte und daß er viel
auszugehen begann. Die Schüchternheit legte er durch einen
Willensakt ab, er gefiel sich in der neuen Rolle des
Draufgängers; so erzählte er Wittlin einmal voller Stolz, er sei in
einem öffentlichen Lokal einem hübschen Mädchen begegnet,
dem er lächelnd eine Münze entgegengehalten und das er mit
der Aufforderung angesprochen habe: »Fräulein, darf ich Sie mit
diesem Heller einladen?« Nach Roths Darstellung folgte auf
diesen Auftakt ein längeres Verhältnis 22 .
Die erfundenen Liebesabenteuer Roths konnten primitiv und
direkt sein. Hingegen lassen die Briefe, die er zu dieser Zeit an
Mädchen schickte, erkennen, wie kompliziert und grüblerisch
seine Beziehungen zum anderen Geschlecht in Wirklichkeit
waren. Ein aufgesetzter unvollendeter Brief, den er vielleicht nie
ins Reine schrieb und abschickte, gibt darüber Aufschluß:
»Ihr Brief hat mich mehr betrübt, als überrascht. Denn er hat
mir wieder einmal gezeigt, daß Sie mich nicht verstehen. Nicht
deshalb, weil Sie nicht können, sondern, weil Sie nicht wollen.
Sie haben den ›telegrammartigen Stil‹ meiner Briefe durchaus
unrichtig erfaßt. Es war ja nur die Erwartung des Wiedersehn's,
das alles übrige sagen sollte, wozu dann viel schreiben?! - Und
Rache nehmen? - Sie halten mich wirklich für sehr kleinlich,
wenn Sie mir sowas zutrauen. Rache nehmen kann ein

-79-
Ingenieur, ein Buchhalter, ein Telegraphenbeamter, ein Advokat
- ich kann es nicht! Sie sind ein merkwürdiges Weib. Sie haben
die Demut eines Mädchens, das ergeben liebt und gleichzeitig
den Stolz einer Königin. Sie können zartfühlend sein, wie eine
Mutter und brutal, wie eine Tierbändigerin. Ihre Seele ist sanft,
wie der Himmel im Mai und grollend, wie das tückische
Meer...«23
In seinem Bestreben, Anschluß zu finden, Bildung zu
erwerben und dadurch akzeptiert zu werden, und
selbstverständlich auch aus Neigung und Interesse, las Roth
emsig. Die Jahre des Studiums und, in geringerem Maße, die
Pariser Zeit um die Mitte des nächsten Jahrzehntes waren
Perioden fruchtbaren Lesens. Seinen Freund Wittlin hielt er über
seine literarischen Entdeckungen auf dem laufenden: von den
Österreichern gefielen ihm am besten Hofmannsthal, von dem er
noch mehr als zwanzig Jahre später mehrere Gedichte
auswendig hersagen konnte24 , und Schnitzler, über den er 1930
schrieb: »daß er repräsentativ für eine Epoche, ein Land, eine
Monarchie war und ist; daß seine dramatische und epische
Leistung mit den lächerlichen privaten Konfessionen und
Reportagen der ›jungen Generation nicht zu vergleichen ist; daß
seine Sprache der dichterische Reiz der Melancholie auszeichnet
und nicht der blanke, nackte Schimmer einer Tatsachenhäufung
und nicht das Rufzeichen-Pathos politischer Anklagen25 .« Mit
Freud, den er später als den Beichtvater der schönen Jüdinnen
Wiens bespöttelte26 , konnte sich Roth, der vor intimen
Geständnissen zurückschreckte, nicht anfreunden. Auch Karl
Kraus gegenüber - hier war Wittlin nicht einer Meinung mit dem
Freund - wahrte Roth eine skeptische Distanz und zählte sich nie
zu dessen Anhängerschaft. (»Ich gestehe«, schrieb er am Ende
seines Lebens, »daß ich, der ich Karl Kraus nicht leiden konnte,
zeit meines Lebens viel von ihm gelernt habe... Von Karl Kraus
habe ich immerhin gelernt, innerhalb der schreibenden Welt
Spreu vom Weizen zu unterscheiden.«)27 Mörikes Dichtung, die

-80-
auf die eigene einwirkte, machte ihm besondere Freude28 . Unter
den französischen Romanciers, von denen er zu lernen
behauptete, figurierte an erster Stelle Stendhal, den er zu der
Zeit noch in deutscher Übersetzung las29 . Ebenfalls in
Übersetzung las er die Werke Joseph Conrads, von dessen
Darstellung dunkler Leidenschaften er begeistert war30 . Über
Conrads Bücher sollte er eines Tages schreiben: »Sie sind
bewegt wie das Meer und ruhig wie das Meer und tief wie das
Meer31 .«
In den beiden ersten Kriegsjahren waren wohl die eigenen
schriftstellerischen Anfänge am beglückendsten für Roth. In
»Österreichs Illustrierter Zeitung« erschienen seine ersten
Gedichte, Kurzgeschichten und Essays.
Kurze Zeit, /nachdem Roth im August 1915 dieser Zeitung
seine Mitarbeit angeboten hatte,/ erscheinen seine dichterischen
Versuche, teilweise in dichter Folge, auch noch während seines
Militärdienstes. Mehrmals handelt es sich um zarte
Stimmungsbilder, erfüllt von traumhafter Sehnsucht.
»Welträtsel«32 spricht mit gedämpfter Trauer von Versäumen
und Nichterfüllung:
Sterne gibt's, die ewig scheinen wollten
Und doch verglüh'n...
Wolken gibt's, die eher weinen sollten
Und weiterzieh'n...
Steine gibt's, die viel zu fragen wüßten, Doch keiner spricht...
Menschen gibt's, die sich was fragen müßten, Und sagen's
nicht...

Weniger poetisch gelungen ist »Herbst«33 , ein Bild der


Vergänglichkeit, das, vom Titelwort her sich erweiternd, auf
Menschengeschick übergreift. »Wo?«34 suggeriert das kurze
Aufleuchten unzusammenhängender Momentaufnahmen aus

-81-
wirklicher oder fiktiver Erinnerung, durch den Refrain an ein
bekanntes Liliencron-Gedicht anklingend:

Ich war einmal ein kleines Kind, Das angstgequält zur Mutter
floh, Wenn durch den Schornstein fuhr der Wind -Ich weiß nicht
wo......
Ich hab einmal gehört ein Lied, Das klang so zart und müde
so.
Als ich von meiner Heimat schied, - Ich weiß nicht wo......
Es hat einmal mein Herz gebebt,....Mohnblumen brannten
lichterloh,....Ich hab' einmal ein Glück erlebt....Ich weiß nicht
wo....

»Herbstwindes Kriegsgeschichten« 35 beklagen in sieben


kurzen Episoden die Grausamkeiten des Krieges, sympathisieren
aber dennoch mit der Sache Österreichs.
»Über die Satire«36 behandelt auf etwas gespreizte Art jene
literarische Gattung, von der Roth sich bereits im Gymnasium
angesprochen fühlte: »[Die Satire] ist Pädagogin ohne
pädagogische Absicht... Man kann die Dummheit nicht töten,
wohl aber auslachen. Und die Satire lacht sie aus.«
Von merkwürdiger Bedeutung für Roths gesellschaftliche
Entwicklung war seine Anstellung als Hauslehrer bei der Gräfin
Trautmannsdorff. Bei den Angehörigen dieser alten
österreichischen Adelsfamilie erlangte Roth, zumindest als
Beobachter, Zutritt in eine Welt von Stil und Niveau, die ihn
vornehmer und gesitteter anmutete als alles, was er bisher
kannte37 . Wie stark Roth von dem Kontakt mit dieser Welt
beeindruckt war, läßt sich aus der Tatsache erkennen, daß er
wiederholt bemüht war, diese Eindrücke literarisch zu
verarbeiten. In einer kurzen unveröffentlichten Erzählung, »Der
Hauslehrer«38 , schildert er, wie er seine nicht näher

-82-
umschriebene »Heimat« verläßt und im Eisenbahnwaggon eine
Dame von Welt kennenlernt, bei der er Hauslehrer wird:
»Niemand begleitet mich, ich hatte nicht Abschied zu nehmen,
nicht zu winken, nicht zu grüßen. Ich kehrte meiner Heimat den
Rücken. Ich sah höhnisch auf ihre Türme, ihre Gesamtansicht
lag vor mir, wie eine gleichgültige Ansichtskarte. Ich betrachtete
die Frau, die mit mir fuhr.
Ihr Aussehen verriet nicht ihr Alter, aber viel Wichtigeres:
daß sie jeden Tag ihre Haut salbte, schminkte, daß sie von Geld
und nicht von Arbeit, nicht einmal von fremder, lebte und gute
Schneider hatte. Sie war dreißig, fünfunddreißig oder vierzig.
Sie gehört, so dachte ich, zu den ersten Kreisen der Hauptstadt,
in die ich jetzt fuhr, und es wäre gut, mit ihr zu sprechen.«
Symbolisch beschreibt Roth in diesen Zeilen den Sprung in
eine neue Welt. Ende der zwanziger Jahre erzählte Roth der
Frau eines befreundeten Zeitschriftenredakteurs, wie sehr er die
gute Kinderstube und die souveräne Gewandtheit der beiden
Söhne der Gräfin Trautmannsdorff bewunderte, und verglich
dabei deren Schönheit mit seiner eigenen »Häßlichkeit«39 . Noch
in den Pariser Exiljahren erinnerte sich Roth wohlwollend jener
Familie und der Impulse, die ihm durch sie zuteil wurden40 . Als
er sich ab Mitte der zwanziger Jahre in Deutschland zur
Gewohnheit machte, seinen weiblichen Bekanntschaften gelbe
Rosen zu schicken und auf der Eisenbahn erster Klasse zu
fahren, ahmte er damit jenen Lebensstil nach, der ihn im Hause
der Gräfin so beeindruckt hatte.
Zeitlebens trieb Roth einen Kult mit seinem Österreichertum
und hielt sich später immer wieder, wenn auch meist nur
kurzfristig, in Wien auf, aber entscheidend fmür sein
österreichisches Gebaren war die kurze Zeitspanne von 1913 bis
1916. Während dieser Zeit, in der die
Monarchie der Auflösung entgegenging, verarbeitete Roth die
neuen Eindrücke und Erfahrungen, die auf ihn eindrangen, und
eignete sich manche äußerlichen Eigenheiten des Wieners an.
-83-
Für den ohne Vater und ohne Führung aufgewachsenen
mittellosen Juden aus Brody bedeutete Wien die große Welt,
bedeutete den Kontakt mit westlicher Denkungsart und
kultivierter Lebensform, bedeut ete die Stadt, in der man
ungehobelte Manieren und kleinliche Gesinnung ablegte. Die
Spazierstöcke, die Roth in Berlin und Paris trug, die engen
Offiziershosen, die er seit seinem Militärdienst zu tragen
pflegte, der Handkuß und die Galanterie - all diese
Gepflogenheiten - die Atmosphäre der Wiener »zweiten
Gesellschaft«, auf die er sich einstellte - verblieben ihm aus den
Jahren seines Kontaktes mit der Donaustadt. Der Spieltrieb des
Österreichers und die Traurigkeit des Ostjuden gingen bei ihm
eine eigena rtige Verbindung ein. Vieles war bei ihm ernstes
Spiel und gespielter Ernst: das eintönige Leben machte er zum
Theater, wobei Ironie und Drauflosphantasieren einander
abwechselten, und er entwickelte eine Überzeugungskraft, die
ihn selbst überzeugte. Ihn, der gesellig war und stets vereinsamt,
bewog alles, was ihn absonderte, dazu, nach Höherem und
Schönerem zu streben. Aber bei aller Bereitschaft zur Wandlung
ließ sich sein in Galizien verankertes jüdisches Wesen nicht
abschütteln. Auch dafür sorgten die Erfahrungen, die er in der
Hauptstadt machte. Neben der Anziehungskraft des
lebensfreudigen Wien, das ihn in seinen Bann zog, mußte Roth
bald die Mängel dieser Stadt und die sich in ihr abspielenden
Reibereien unter den verschiedenen Nationalitäten verspüren.
Im Parlament wüteten die Vertreter der verschiedenen Nationen
bis Kriegsausbruch gegeneinander, auf der Straße kam es zu
blutigen Demonstrationen. An Wiens erster Bildungsstätte,
deren Studenten mitunter zu den radikalsten Elementen der
Deutschnationale n gehörten, wurden Hader und Zwist oft in
blutigem Handgemenge aus getragen41 .
In den Augen der Deutsch-Nationalen war Wien im Begriff,
ein überfremdetes Babel zu werden. Von den 1 674 957
Einwohnern von 1900 waren nur 46,4 Prozent gebürtige Wiener,

-84-
und im Jahre 1910 machten 175 318 Juden 8,6 Prozent der
gesamten Wiener Bevölkerung aus. Die Juden fielen zu sehr auf;
zwischen 1912 und 1914 war der Prozentsatz der inskribierten
jüdischen Studenten an der Wiener Universität bis auf 27,54
angewachsen42 . Allein aus Roths Geburtsort Brody studierten im
Jahre des Kriegsausbruchs mehr als 300 jüdische Studenten in
Wien43 . Bei jedem Aufleben nationaler Gefühle wandten sich
die Gemüter gegen die »Semiten«, und dabei wurde die
Universität in Mitleidenschaft gezogen. Bereits in den siebziger
und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts konnte der alldeutsche
Georg Ritter von Schönerer auf den Wiener Hochschulen viele
Studenten und Gymnasiallehrer zu fanatischen Judenhassern
machen.
Im Wintersemester 1914-15 kam es manchen vor, als sei die
Universitätsbibliothek von jüdischen Flüchtlingen überströmt.
Plötzlich waren Bücher verschwunden, es herrschte Entrüstung,
der Verdacht fiel auf die jüdischen Studenten aus Galizien. Die
Aktentaschen der Studenten wurden nunmehr strenger
kontrolliert, der Handapparat zum Herausnehmen der Bücher
aus den Magazinen durfte fortan nur vom Dienstpersonal
bedient werden. Die einheimischen Studenten mieden die
Galizier oder ließen sie ihren Unmut merken. Kein Galizier, und
sicher nicht der überempfindliche Joseph Roth, blieb von der
damaligen Atmosphäre unberührt. Roths Gesicht nahm bei
Berührung mit den Deutschösterreichern einen starren Ausdruck
an, er bediente sich des wohltuenden Schutzes einer
unsichtbaren Maske, man sollte ihm nichts von seinen inneren
Gefühlen anmerken44 . Der unterdrückte Ärger spiegelt sich in
einer Äußerung Roths aus jener Zeit: »Dem Wiener fehlt ein
Teil des Gehirns, und zwar gerade jener Teil, wo die Intelligenz
ihren Sitz hat45 .« Noch 1927 vergegenwärtigte er sich die am
eigenen Leibe verspürten Nachwirkungen, als er in Juden auf
Wanderschaft konstatierte: »Die Wiener Universität, auf der...
die Borniertheit herrscht...46 «

-85-
»Es ist furchtbar schwer, ein Ostjude zu sein, es gibt kein
schwereres Los, als das eines fremden Ostjuden in Wien« 47 ,
fand Roth. Die Ostjuden waren zuletzt gekommen und waren
schon deswegen am schlechtesten angeschrieben.
Zwei Wochen nach der österreichischen Kriegserklärung am
28. Juli 1914 waren die Russen in Galizien eingefallen, vom
Norden rückten die 4. und 5. russische Armee heran, vom
Nordosten die 3. und 8., und näherten sich der Linie Przemysl-
Lemberg. Es kam zu Massendeportationen der Juden, manche
wurden als österreichische Spione aufgehängt, Synagogen
wurden zerstört, besonders von Kosaken wurde geplündert,
gemordet, vergewaltigt. Nahezu 400 000 jüdische Flüchtlinge
aus Galizien flohen nach Ungarn, Mähren, Böhmen und
Wien. Die Umwälzungen ließen sich mitten im Krieg nicht
ohne weiteres verkraften, die einheimische Bevölkerung
empfand die Flücht linge als Last, sie waren unerwünscht und
wurden unfreundlich empfangen. »Der Krieg hat viele
ostjüdische Flüchtlinge nach Wien gebracht«, schrieb Roth. »So
lange ihre Heimat besetzt war, gab man ihnen Unterstützungen‹.
Man schickte ihnen nicht etwa das Geld nach Haus. Sie mußten
in den kältesten Wintertagen, in den frühesten Nachtstunden
anstehen. Alle: Greise, Kranke, Frauen, Kinder. Sie
schmuggelten. Sie brachten Mehl, Fleisch, Eier aus Ungarn.
Man sperrte sie in Ungarn ein, weil sie die Nahrungsmittel
aufkauften. Man sperrte sie in Österreich ein, weil sie
nichtrationierte Lebensmittel ins Land brachten. Sie
erleichterten den Wienern das Leben. Man sperrte sie ein48 .«
»Wien«, meinte der Wiener Hofrat Otto Friedländer, »ist ein
Tor zu hundert Vergangenheiten« 49 . Auf Roth ist der Spruch in
einem anderen Sinne anwendbar. Die Unannehmlichkeiten, die
er in Wien erfuhr, warfen ihn auf seine jüdische Herkunft
zurück, die er der Gräfin Trautmannsdorff verschweigen mußte
und die er abschütteln wollte. »Jede, noch so äußerliche
Assimilation ist eine Flucht, oder der Versuch einer Flucht aus

-86-
der traurigen Gemeinschaft der Verfolgten; ist ein Versuch,
Gegensätze auszugleichen, die trotzdem vorhanden sind«50 ,
schreibt er aus eigener Erfahrung.
In Wien, der Heimstätte der größten jüdischen Gemeinde
Mitteleuropas, wurde der Jude, wenn er sich mit seinen
antisemitischen Verfolgern identifizierte, häufig genug zum
Selbstverfolger. In seiner Schilderung dieser Spezies, die sich
bei den Antisemiten anzubiedern versuchten, zitiert Arthur
Schnitzler das damals in Wien geprägte Scherzwort: »Der
Antisemitismus sei erst dann zu Ansehen und Erfolg gediehen,
als die Juden sich seiner angenommen51 .« Weil man ihm Haß
und Verachtung entgegenbrachte, sah sich der Jude als
hassens und verachtenswert, die jüdische Identität wurde zum
Brandmal, dessen man sich entledigen mußte. Theodor Lessing,
der eine Zeitlang von den negativen Vorstellungen seiner
Umwelt in bezug auf seine Glaubensgenossen durchdrungen
war, stellt fest: »Es lebt kein Mensch aus jüdischem Blut, bei
dem wir nicht wenigstens Ansätze zum jüdischen Selbsthasse‹
fanden52 .«
Auch Roth, der zeit seines Lebens seinem Judentum
gegenüber »gespalten« blieb, machte die Verrenkungen und
Verleugnungen des »jüdischen Selbsthasses« durch. Einerseits
ließ ihn sein Überlegenheitsgefühl, das ebenfalls auf jüdischem
Bewußtsein beruhte, in sein Notizbuch53 notieren: »Begabter
Jude: man weiß nie, ob es Talent oder das Judentum ist.«
Andererseits litt er unter einem negativen Selbstbildnis, das den
Demütigungen entsprach, die Juden von Antisemiten zugefügt
werden. Bezeichnend jedoch ist, daß sich der jüdische Selbsthaß
bei Roth darin ausdrückte, daß er die westlichen, assimilierten
Juden, zu denen auch er gehörte, zur Zielscheibe seiner
gelegentlich heftigen antisemitischen Ausbrüche machte. Die
nichtassimilierten, an der Orthodoxie festhaltenden Juden seiner
Urheimat nahm er hingegen immer konsequent in Schutz. In
einem Augenblick der Selbstprüfung vertraute er seinem

-87-
intimsten Kumpan in Paris in seiner letzten Lebenszeit an,
bereits in früher Jugend sei er wie so viele Juden von der
deutschen Kultur verblendet gewesen und habe aus dem
gettohaft anmutenden Leben Brodys heraus gewollt. Er sehe
aber ein, seitdem er aus dem jüdischen Zusammenhang gerissen
worden sei, fühle er sich verdoppelt und nicht mehr heimisch in
seiner Haut 54 .
Bald sollten neue und entscheidende Erlebnisse auf Roth
einstürmen. Der »verträumte deutsche Lyriker« meldete sich am
31. Mai 1916 freiwillig zum Militärdienst. Als Augenzeuge
sollte er miterleben, wie Österreich, nach den Worten Karl
Kraus', die »Versuchsstation für Weltuntergang« wurde.

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7
Kriegsdienst
1916-1918

»An Meine Völker!


Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch
Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu
weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten
des Krieges zu bewahren.
Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen. Die
Umtriebe eines haßerfüllten Gegners zwingen Mich, zur
Wahrung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schütze ihres
Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres
Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu
greifen...
Ich vertraue auf Österreich-Ungarns tapfere und von
hingebungsvoller Treue erfüllte Wehrmacht.
Und Ich vertraue auf den Allmächtigen, daß Er Meinen
Waffen den Sieg verleihen werde. Franz Joseph1 .«
Joseph Roth sprach rückblickend, von der Emigration her, mit
Hochachtung über die »sprachliche Erhabenheit«2 dieser
folgenschweren Kriegserklärung des österreichischungarischen
Kaisers und Königs Franz Joseph.
Seit achtundvierzig Jahren hatte Österreich keinen Krieg
geführt. Nur die Graubärte im Reich, die das biblische Alter von
siebzig Jahren erreicht hatten, konnten noch aus eigener
Erfahrung über die Kriegserlebnisse von Königgrätz erzählen.
Die von 1866 bis 1914 währende Friedenszeit wurde Roth, wie
aus einer Äußerung aus dem Jahre 1929 hervorgeht, zu einem
Symbol des Unwiederholbaren: »[Damals] bestand nur -
unsichtbar noch - die Gefahr jener großen Friedensstörung, die
einige Jahre später ein Weltkrieg wurde. Aber indessen war

-89-
Frieden. So satt und so tief, wie nur der Friede aus dem Anfang
des zwanzigsten Jahrhunderts sein konnte, der friedlichste aller
Frieden der menschlichen Geschichte3 .« Als der große Krieg
ausbrach, begrüßten ihn die Massen mit tobender
Begeisterung. Der erste Akt in Die letzten Tage der
Menschheit von Karl Kraus gibt hiervon eine bezeichnende,
wenn auch ins Groteske verzerrte Widerspiegelung. Und als der
Krieg nicht aufhören wollte, wurde er für viele - in den von
Freud an Albert Einstein gerichteten Worten - »der Krieg...
[gegen den] wir uns... empören, wir vertragen ihn nicht
mehr...«4 .
Als Roth dreizehn Jahre nach dem Attentat auf den
österreichischen Thronfolger den Tatort Sarajewo besichtigte,
lieferten angeblich persönliche Erinnerungen an jenen
verhängnisvollen Tag den Rahmen zu seinem journalistischen
Bericht »Wo der Weltkrieg begann«. In diesem Bericht
verknüpft Roth belanglos Privates mit dem grauenvollen
Weltgeschehen: »Der Weltkrieg begann in Sarajewo, an einem
heißen Sommertag 1914. Es war Sonntag, ich war Student. Am
Nachmittag kam ein Mädchen, man trug damals Zöpfe. Sie hielt
einen großen gelben Strohhut in der Hand, er war wie ein
Sommer, erinnerte an Heu, Grillen und Mohn. Im Strohhut lag
ein Telegramm, die erste Extraausgabe, die ich je gesehen hatte,
zerknüllt, furchtbar, ein Blitz in Papier. ›Weißt‹, sagte das
Mädchen, ›sie haben den Thronfolger erschossen. Mein Vater is
aus'in Kaffeehaus hamkumma. Gelt, mir bleibn net hier?‹...5 «
Im Gegens atz zu vielen österreichischen und deutschen
Schriftstellern war Roth bei Ausbruch des Krieges pazifistisch
eingestellt; für die großen Vernichtungsschlachten hatte er nur
Worte bedauernder Mißbilligung. Sein Studienkollege Józef
Wittlin berichtet, sie seien sich beide darüber einig gewesen, daß
nur die Obrigkeit und das Militär diesen Krieg gewollt hätten,
die Zivilisten aber, die unter dem Krieg Leidenden, müßten ihn
widerwillig auf sich nehmen6 . Je länger der Krieg jedoch

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dauerte, desto fadenscheiniger kam Roth und seinem Freund
Wittlin ihre pazifistische Haltung vor. Man konnte sich an ihr,
angesichts des eigenen Unbeteiligtseins beim Eintreffen der
Listen der Gefallenen aus den Schlachten in Serbien und am
Isonzo sowie den blutigen Vernichtungskämpfen in Galizien,
nur schwer aufrichten. Die anderen Studienkollegen rückten ein,
nur sie blieben unter den Minderjährigen und Greisen zurück;
die Antikriegsprinzipien nahmen sich hohl aus, denn man war
ohnedies für kriegsuntauglich erklärt worden. »Schon zweimal«,
bemerkt Wittlin, »hatte uns die Kaiserlich-Königliche Armee
verschmäht und uns - als notorischen Schwächlingen - den
Dienst in ihren berühmten Regimentern verweigert7 .« Als der
Studienfreund Soma Morgenstern auf Urlaub in Wien in seiner
Fähnrich-Uniform eintraf, war Roth von seiner Erscheinung
sichtlich beeindruckt, es kam ihm wie eine Schande vor, noch in
Zivil herumlaufen zu müssen. Jahre später äußerte sich Roth
folgendermaßen zu seiner Handlungsweise in jenen Tagen: »Als
der Krieg ausbrach, verlor ich meine Lektionen, allmählich, der
Reihe nach. Die Rechtsanwälte rückten ein, die Frauen wurden
übelgelaunt, patriotisch, zeigten eine deutliche Vorliebe für
Verwundete. Ich meldete mich endlich freiwillig zum 21.
Jägerbataillon8 .« In seiner zum Teil fingierten, aus losen
Aufzeichnungen bestehenden Autobiographie berichtet Roth
über seine seelische Verfassung in jener Zeit. Die zeitlichen und
faktischen Angaben bieten keine Anhaltspunkte für den
wirklichen Verlauf der Geschehnisse, hingegen spricht aus den
Zeilen, wenn auch stilisiert und nicht ohne Selbstironie, eine
aufrichtige Sehnsucht nach einem Lebensziel: »Nun hatte ich
also einen starken Ehrgeiz ohne Ziel, ich war ein Wanderer ohne
Weg. Ich mußte Geld haben. Ich überlegte die Möglichkeit einer
reichen Heirat. Ich trat in Verbindung mit einem jüdischen
Heiratsvermittler. Aber ich konnte die Bedingungen, die Väter
reicher Bräute an einen Schwiegersohn stellen, nicht erfüllen.
Ich wollte sofort Geld haben, nicht erst nach der Beendigung

-91-
meiner Studien und ohne die Verpflichtung, einen bürgerlichen
Beruf zu ergreifen. Es gab also nur noch einen Ausweg: das
Militär.
Ich meldete mich, man wies mich zurück, weil ich zu
schwach war. Nun beschloß ich, auszuwandern, in einen
fremden Erdteil, zur Fremdenlegion zu gehn, ein neues Leben zu
beginnen. Es tat mir leid um mich. Ich dachte mit süßer Wehmut
an den fremden, fernen, heimatlosen Tod eines so begabten
herrlichen Menschen, wie ich es war. Ich stellte mir ein
einsames Alter in einer Wildnis vor, als Mönch, als Einsiedler,
als Bitterer. Schmerzerfüllt war ich und gleichzeitig schon
ausgesöhnt mit meinem Schicksal. Es waren die süßesten
Träume meines Lebens...
Da brach eines Tages der Krieg aus... Ich meldete mich sofort.
Diesmal nahm man mich.
Meine Überlegenheit gegenüber Vorgesetzten, Kameraden
und dem System hätte mich vor dem Feld bewahrt, wenn ich
nicht selbst die Sehnsucht nach dem Krieg gehabt hätte. Ich
suchte mir selbst einen Vorwand, um gemeinsam mit vielen
irgendeinem Ziel entgegenzugehen, war es das Verderben, was
schadete es? Ich konnte nicht mehr allein sein. Ich ging in den
Krieg, wie alte Junggesellen, die ihre Einsamkeit nicht ertragen
können, in die Ehe treten. Nun war ich nicht mehr allein. Nun
gingen wir alle, Tausende, Millionen - und es war mir gleich, ob
unser Unterfangen sinnlos war oder einen Sinn hatte9 .« 1916
sollte sich Roth erneut auf seine Kriegsdiensttauglichkeit hin
untersuchen lassen. Roths in Wien lebender Onkel Heinrich
Grübel schmiedete mit Hilfe der Frau eines Redakteurs des
»Neuen Wiener Journals«, die in seinem Hause verkehrte, einen
Plan, wie Roth es sich »richten« könne. Roth sollte seine
Mitarbeit am pazifistischen und regierungsfeindlichen »Abend«
verschweigen und sich als Mitarbeiter des »Neuen Wiener
Journals«, eines regierungsfreundlichen Blattes, bezeichnen,
was ihn vor dem Kriegsdienst bewahren würde. Jener Redakteur

-92-
des »Neuen Wiener Journals« versprach, Roth zu decken, wenn
die Militärbehörden Erkundigungen einholen sollten, und
darüber hinaus zu versichern, Roth sei als Mitarbeiter der
Zeitung unentbehrlich. Roth zeigte sich jedoch über diesen Plan
wenig erbaut und machte ihm mit der energischen Bemerkung
ein Ende: »Das ist nicht meine Art. Ich kann nicht sagen, daß
ich bei dem ›Neuen Wiener Journal bin, wenn ich für den
›Abend‹ arbeite10 .« Zu jener Zeit beschlossen Roth und sein
Freund Wittlin, sich freiwillig zu melden. In ihren
Unterhaltungen malten sich die beiden das Kommende aus: die
Kriegserlebnisse, an denen sie teilhaben würden, sollten eines
Tages in ihren schriftstellerischen Werken ihren Niederschlag
finden. Man würde für das Wiener 21. Feldjäger-Bataillon
optieren, bei dem sie mehrere Freunde und Studienkollegen
hatten und dessen Einjährigen-Schule sich im III. Bezirk Wiens
befand. Außerdem nahm man sich vo r - dieses Vorhaben ging
nicht in Erfüllung - in der Freizeit das Universitätsstudium
fortzusetzen".
Da Roth und Wittlin als gebürtige Galizier in Wirklichkeit
dem zur Zeit an der italienischen Front kämpfenden
Infanterieregiment Nr. 80 unterstanden, mußten sie erst die
Aufnahme in das exklusive 21. Feldjäger-Bataillon erwirken. Zu
dem Zweck wandten sie sich an Wittlins Onkel, einen seit
Jahren in Wien stationierten Militärarzt im Rang eines Obersten:
Dieser empfahl sie mit lobender Fürsprache dem
Kommandanten des Ersatztruppenteiles der Feldjäger, welcher
wiederum seine Einwilligung zur Aufnahme, dem Reglement
gemäß, von der Genehmigung des Heimatregiments der beiden
abhängig machte. Daraufhin fuhren die beiden
Einsatzbegierigen nach der ungarischen Ortscha ft Rima-
Szómbat, dem Standort der Ersatztruppe des Infanterieregiments
Nr. 80, um die erwünschte Genehmigung Zu erhalten und sich
erneut einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Dort
versuchte der ob ihres Ansinnens etwas verwunderte Arzt des

-93-
heimatlichen Regiments ihnen klar zu machen, daß sie mit ihrer
schwachen Konstitution kaum den Anforderungen des
Kriegseinsatzes genügen würden. Wollten sie unbedingt zum
Militärdienst, so sollten sie Vernunft annehmen und
Kanzleischreiber werden. Ihre Ablehnung begründete Wittlin
folgendermaßen: »Wir waren der Ansicht, daß der einzige und
geeignete Platz für Dichter im Kriege der Dienst in der
vordersten Linie‹ sei. Denn nur dort lernt man Leben und Tod
kennen, selbst wenn man Pazifist ist12 .« Nach einer
Unterredung, die wohl anders verlief als das, was der
Regimentsarzt sonst gewöhnt war, ließ dieser sich überreden
und erklärte die beiden tauglich für den Frontdienst. Roth und
Wittlin hatten alle Widerstände überwunden und kehrten voller
Stolz nach Wien zurück.
Eine Akte, die sich im Osterreichischen Bundesministerium
des Inneren zu Wien befindet, gibt Aufschluß über die Daten der
Ereignisse jener Tage:
»Roth, Moses Josef geb. 1894 in Brody, Zuständig G. O.
[Geburtsort] in Wien gemustert am 31. 5. 1916 Zahl 1264
Landwehr geeignet befunden, eingerückt am 28. 8.191613 .«
Nach einer dreimonatigen Wartezeit bezogen Roth und
Wittlin die Einjährigen-Schule des 21. Feldjäger-Bataillons.
Dort machte die Hochstimmung der beiden in kürzester Frist
einer trübgestimmten Ernüchterung Platz. Der Rekrutendienst
erschien den beiden Freunden nicht anders als eine Schinderei;
sie litten unter dem aufreibenden Zwang der Disziplin ebenso
wie unter dem Anschnauzen und den übrigen Erniedrigungen
seitens ihrer Vorgesetzten. Und angesichts der strammeren
Kameraden wurde ihnen die eigene Unbeholfenheit und
Schwächlichkeit quälend bewußt.
Trotz seiner unangenehmen Erfahrungen fühlte Roth sich vom
Zauber der Uniform keineswegs unberührt. Stefan Zweigs Frau
Friderike erzählte er Jahre später von seinem Stolz, als er die
armselige Eleganz des Studenten mit der feineren des »bunten
-94-
Tuchs« vertauschen konnte14 . Eine Aufnahme von Roth in
seiner Ausbildungskompanie zu Wien läßt seinen Dünkel
deutlich erkennen15 . In der Uniform mit dem schwarzen Streifen
in der Mitte, der gelben Borte am Unterarm und dem Knopf am
Kragenaufschlag, konnte er sich mit einem Mädchen auf dem
Schwarzenbergplatz und im Prater sehen lassen. In dieser
Ausstaffierung genoß Roth beim Exerzieren im Freien die
Bewunderung in den Auge n der Zuschauer, und seiner Eitelkeit
in bezug auf sein Äußeres wurde Genüge getan. Auf dieses
Gesehenwerden, auf das Roth Wert legte, spielt Franz Theodor
Csokor, der sich an die erste Begegnung mit Roth erinnert, an:
»auf der ›Wasserwiese‹ im Wiener Prater des Weltkriegs, bei
dem nämlichen Bataillon, deinen Einundzwanzigjägern, denen
du viel Liebe bewahrt hast...16 « In Roths zurechtgebogenen
»autobiographischen« Reminiszenzen kommen seine Eitelkeit
und sein Überlegenheitsgefühl ebenfalls zum Ausdruck: »Ich
freute mich über den Gleichklang marschierender Schritte und
die meinen hörte ich zuerst. Ich war ein guter Soldat. Ich liebte
das Exerzieren. Ich liebte es, weil es mich zwang, eine
unbeschreibliche unausschöpfliche Dummheit gemeinsam mit
den anderen - und mit welch einer Genauigkeit - zu erleben. Ich
haßte die Kameraden, die nicht exerzieren konnten oder einen
Widerwillen gegen das Militär empfanden. Es waren die
feinsten Menschen. Aber es erfüllte mich mit Feindschaft gegen
sie, wenn ihre Gewehrläufe bei einem bestimmten Kommando
aus der geraden Reihe der anderen hinausragten. Ich konnte
nichts gegen dieses Gefühl, das ich zu bekämpfen suchte17 .«
Wie sehr Roths Erinnerungen später von der Phantasie
korrigiert wurden, merkt man, wenn man einen Passus von
Wittlin mit einem von Roth, der sich auf dieselbe Person
bezieht, vergleicht. Zu ihrer militärischen Ausbildungszeit in
Wien sagt Wittlin: »Herzlosigkeit und Stumpfsinn blühten,
Gemeinheit war gesellschaftliche Pflicht. In späteren Jahren
haben Roth und ich uns noch oft an jene Zeiten erinnert.

-95-
Besonders plastisch war uns der Zugführer Marek im
Gedächtnis geblieben, der uns noch nach Jahren wie die
Miniatur des ›großen Führers‹ von Deutschland vorkam; er sah
ihm sogar ähnlich18 .« Diametral entgegengesetzt ist Roths
Darstellung desselben Tatbestands: »Außerdem ging ich noch
aus einem ganz ändern Grund freiwillig ins Feld.
Nach all dem, was ich von mir erzählt habe, wird es
niemanden wundern, daß ich sehr schnell Offizier werden
wollte. Meine vorgesetzten Unteroffiziere konnte ich nicht
leiden, ebensowenig wie früher meine Lehrer, später meine
Professoren. Ich erinnere mich ihrer, es waren zwei, welche die
Einjährigen-Abteilung abrichteten, sie hießen: Marek und
Türling. Der erste war schwarz von Haar und Schnurrbart und
hinterließ mir einen glänzenden Eindruck. So oft ich an ihn
denke, sehe ich den Glanz, der von allen Bestandteilen seiner
Persönlichkeit ausging. Seine Haare glänzten schwarz, seine
Backen rot, seine kleinen Augen braun. Sie hatten die braune
Helligkeit von Biergläsern, die man vor eine Lampe hält. Ich
weiß nicht, ob er sein Haar und seinen Bart mit einer Salbe
bestrich, oder ob es eine natürliche Salbe war, die sein Körper
jeden Tag produzierte und nicht nur über seine Haut drang,
sondern auch über seine Uniform und besonders seine Knöpfe
und die silberne Medaille, die er an der Brust trug. Er hatte sich
schon vor dem Feinde ausgezeichnet. Deshalb durfte er so lange
im Hinterland Einjährige ausbilden. Er mag ein sehr gutmütiger
Mensch gewesen sein. Er sah sogar gutmütig aus19 .« In dem
unvollendeten Manuskript, das an diesem Punkt abbricht, wird
besonders durch diese Stelle klar, wie sehr Roth das Bedürfnis
hatte, sein eigenes Leben und alles, was mit ihm zusammenhing,
zu mythologisieren. Bis zu welchem Grad dies mit Roths
späterem literarischen Schaffen verflochten war, merkt man an
der Tatsache, daß er den Zugführer Marek sechzehn Jahre später
im Radetzkymarsch in den »Oberst Marek« verwandelte, den
Vorstand der Kavalleriekadettenschule in Mähris ch-

-96-
Weißkirchen, an der der fünfzehnjährige Carl Joseph von Trotta
seine Schülerausbildung erhielt20 . »Oberst Marek«, so berichtet
Wittlin, »war die spöttelnde Bezeichnung einiger Kameraden
unter den Einjährig-Freiwilligen für jenen Zugführer mit den
großtuerischen Allüren« 21 .
Ein Lichtblick für die beiden Freunde mitten in der
Stumpfsinnigkeit des Rekrutendienstes war die neu angeknüpfte
Freundschaft mit Ludwik Brudzinski, einem polnischen
Studenten, der ebenfalls erst eingerückt war. In der Wohnung
Brudzinskis, in der Nähe des alten Johann-Strauß- Theaters,
pflegten die drei Freunde Abende zu verbringen, die Wittlin als
»unvergeßlich« bezeichnet. Man las sich gegenseitig die
literarischen Arbeiten vor: Roth seine Gedichte und
Erzählungen, Wittlin die Dramen, an denen er sich versuchte,
und Brudzinski Abhandlungen über seine Studiengebiete:
Kunstgeschichte und Archäologie.
Am 21. November 1916 starb, sechsundachtzigjährig, der alte
Kaiser. Achtundsechzig Jahre hatte er regiert, länger als
irgendein anderer Monarch in der Geschichte Europas.
Roth hat in mehreren Schriften die Erinnerung an das Leben
und den Tod des Kaisers bewahrt - im Radetzkymarsch, in Die
Kapuzinergruft, in den Aufsätzen »Seine k. und k. apostolische
Majestät«22 , »Die k. und k. Veteranen« 23 , und »Rede über den
alten Kaiser«24 . Roth selber wohnte jenem Begräbnis bei: »Als
er begraben wurde, stand ich, einer seiner vielen Soldaten der
Wiener Garnison, in der neuen feldgrauen Uniform, in der wir
ein paar Wochen später ins Feld gehen sollten, ein Glied in der
langen Kette, welche die Straßen säumte. Die Erschütterung, die
aus der Erkenntnis kam, daß ein historischer Tag eben verging,
begegnete die zwiespältige Trauer über den Untergang eines
Vaterlandes, das selbst zur Opposition seine Söhne erzoge n
hatte. Und während ich es noch verurteilte, begann ich schon, es
zu beklagen. Und während ich die Nähe des Todes, dem mich
noch der tote Kaiser entgegenschickte, erbittert maß, ergriff

-97-
mich die Zeremonie, mit der die Majestät (und das war:
Österreich-Ungarn) zu Grabe getragen wurde. Die Sinnlosigkeit
seiner letzten Jahre erkannte ich klar, aber nicht zu leugnen war,
daß eben diese Sinnlosigkeit ein Stück meiner Kindheit
bedeutete. Die kalte Sonne der Habsburger erlosch, aber es war
eine Sonne gewesen...25 «
Laut Wittlin wurden die drei Freunde bald getrennt und in
weniger begehrte Einheiten versetzt, weil Kameraden
deutschnationaler Gesinnung den Vorgesetzten hinterbrachten,
daß sie sich auf polnisch unterhielten. Brudzinski wurde nach
Mähren verschickt, Wittlin nach dem besetzten Kraœnik, zum
Bataillon der Feldjäger Nr. 18, wegen seines schlechten Rufes
als »Hurenbataillon« bekannt, während Roth zunächst noch in
Wien verblieb26 . Erst im Frühjahr wurde er nach Galizien
beordert.
Diesen Zeitabschnitt seines Militärdienstes umrankte Roth mit
den farbigen Blüten seiner Fabulierkunst. Einmal versichert er:
»Ich habe mich freiwillig ins Feld 1916 gemeldet und war 1917-
18 an der Ostfront. Ich bin Fähnrich geworden und
ausgezeichnet mit der großen Silbernen, dem Verdienstkreuz,
dem Karl- Truppenkreuz. Ich habe zuerst bei den 24. Jägern
gedient, dann bei der Landwehr 27 .« Mit derselben
Unbekümmertheit machte er sich ein anderes Mal zum
Angehörigen des Regiments der Wiener Deutschmeister28 . Es
war nicht immer Geltungssuc ht, was ihn zur Erfindung solcher
Legenden trieb. Wenn es ihm gerade einfiel und die richtige
Zuhörerschaft anwesend war, machte er sich /dabei/ selbst zur
Zielscheibe seines Witzes.
Aus seinen Briefen29 aus dieser Zeit geht hervor, daß er sich
in der Stadt Lemberg befand und bei einer Militärzeitung tätig
war. Dies wird auch durch einen Bescheid30 von sehen des
Österreichischen Kriegsarchivs bestätigt: »Josef Roth [fand] im
Jahre 1917 als Einjährig-Freiwilliger im Bereich der 32.
Infanterietruppendivision im Pressedienst Verwendung. Die 32.

-98-
ITD. unterstand zu dieser Zeit der Heeresgruppe Böhn Ermolli
im Räume Lemberg.« Vermutlich stimmt Roths Angabe, eine
seiner Dienstpflichten habe zu der Zeit darin bestanden, Briefe
zu zensurieren31 .
Anzunehmen ist, daß Roth ziemlich regelmäßig nach
Lemberg reiste, so daß er seine Post an die Adresse der
Lemberger Verwandten schikken lassen konnte. Jedenfalls steht
fest, daß er dort nicht nur die Verwandten, sondern auch die von
ihm verehrte und bei seinem Onkel in Untermiete wohnende
Frau Szajnocha, die er als »Mutter« anredete, besuchte.
In einem Brief an Resia vom 24. August 1917 schreibt er:
»Auch ich schwebe nicht über der Welt, wie du meinst,
höchstens schwimme ich, und zwar in galizischen Sümpfen.«
Gütig versucht er der Kusine ihre bedrückte Stimmung
auszureden, gibt ihr Ratschläge, wie sie sich fassen solle, und
bestätigt ihr mit freundlicher Sympathie: »Du hat Recht. Es war
schön, als wir frei und sorgenlos waren. Was wußten wir vom
Leben? Dieser grausame Krieg hat unsre Jugend still gemacht.
Wenn wir ihn überleben, sind wir reife Menschen. Die Jugend
aber, die einer in sich hat, ist stark, auch wenn man 80 zählt32 .«
Sehr verschieden hiervon ist der Ton seines Briefes an Resias
Schwester, seine Lieblingskusine Paula. Paula ist aus anderem
Holz geschnitzt, ihr mutet er mehr zu. In seinem Brief an Resia
stellt er fest: »Auch fehlt Dir die Energie, die Paula in hohem
Grade besitzt33 .« Paula gegenüber darf er sich aussprechen,
mehr über seine eigenen Sorgen äußern: »Ich befinde mich
gegenwärtig in einem ostgalizischen Augiasstall, einem ganz
kleinen Städtchen. Im grauen Dreck sieht man bloß ein paar
Judengeschäfte. Alles schwimmt, wenn es regnet, alles stinkt,
wenn die Sonne scheint. Doch hat der Aufenthalt hier einen
großen Vorzug: man ist 10 Kilometer vom Schuß entfernt.
Reservestellung.
Materiell geht es mir nicht mehr so, wie früher. Die Zeitung
geht nämlich ein und nun die Aureole des Redakteurs

-99-
entschwunden ist, bin ich nichts mehr als ein Einjährig-
Freiwilliger. Dementsprechend die Behandlung.
Doch will das nichts sagen bei Leuten meines Schlages.
Hauptsache ist das Erleben, die Intensität des Fühlens, das starke
Sich-Hineinbohren in das Ereignis. Ich habe furchtbare
Momente erlebt und Momente voller grausiger Schönhe it. Zum
aktiven Schaffen ist hier wenig Gelegenheit, ein paar lyrische
Gedichte ausgenommen, die aber eher passivem Empfinden
entspringen...
Ich glaube in 2-3 Wochen von hier wegzukommen. Vielleicht
gelange ich nach Lbg., [Lemberg] Personalsammelstelle, um
dort wieder ins Feld zu kommen, vielleicht auch Sternberg.
Möglich ist es auch, daß unsere Redaktion nach Albanien geht,
um dort eine albanische Zeitung zu gründen. Ich käme dann
mit34 .«
Zweiundzwanzig Jahre später sollte Paula Grübel, der Roth
während des Weltkriegs viele seiner Gedichte zum Bewahren
anvertraute, seinem Freund Hermann Kesten berichten, /sie
hoffe, mit Hilfe von Wittlin, rund 150 Gedichte Roths, die sie
aufbewahrte, ordnen zu können/ 35 . Eine weitere Anzahl von
Roths Gedichten, von denen nur ein kleiner Teil in
österreichischen Zeitungen und Zeitschriften während der
Kriegsjahre erschienen war, wurde Józef Wittlin überlassen.
Dieser hob sie in seiner Warschauer Wohnung auf, wo sie 1939,
bei Ausbruch des Krieges, einem Bombenangriff zum Opfer
fielen36 . Über »Galizien, das große Schlachtfeld des großen
Krieges«37 - so nannte Roth später den Raum, in dem er den
größten Teil seines Kriegsdienstes verrichtete und der ihm
zugleich die engere Heimat war - schrieb er öfters in den
zwanziger Jahren als Reisereporter für die »Frankfurter
Zeitung«.
Anklänge an seinen Kriegsdienst finden sich in großer Zahl in
Roths Reportagen und Romanen. Wenn er, was er im Krieg sah
und erlebte, auch willkürlich aufbauschte, so waren es doch
-100-
Erlebnisse, von denen er nicht loskam und die ihm noch viele
Jahre nachher durch den Kopf gingen. Angesichts eines
polnischen Invalidenbegräbnisses im Jahre 1924 vermerkte
Roth: »Wir haben Massengräber gesehn, verschimmelte Hände,
ragend aus zugeschütteten Gruben, Oberschenkel an
Drahtverhauen und abgebrannte Schädeldecken neben
Latrinen38 .« Als Kriegsberichterstatter stand Roth, wie er in dem
zitierten Brief an Paula berichtet, »10 Kilometer vom Schuß
entfernt«. Den Einsatz scheint er, entgegen seinen Aussagen,
nicht mitgemacht zu haben. Für seine sensible Natur gab es
allerdings ohnedies genug Aufwühlendes: fürchterliche Szenen
der Verheerung. In der Kriegszeit versuchte er zum erstenmal,
das Unerträgliche im Suff zu vergessen. Während eines Urlaubs
in Wien Anfang April 1917, den er dazu benutzte, eine
Reportage für den »Abend« über den gerade tagenden
»Kranzprozeß« zu schreiben - eine Gerichtsverhandlung, die die
Preistreiberei des Dr. Josef Kranz, des ehemaligen Präsidenten
der Allgemeinen Depositenbank, betraf - lief er nachts in
verzweifeltem, schwer angetrunkenem Zustand einem
erstaunten Freund in die Arme39 . Es waren die ersten Anzeichen
jener verheerenden Trunksucht, die nach der psychischen
Erkrankung seiner Frau, von 1928 an, unabwendbar wurde.
Vorläufig standen ihm noch gute Zeiten bevor. Nach seiner
Entlassung aus dem Militärdienst konnte er das übermäßige
Trinken zunächst unterlassen. Roth verlieh seinen Geschichten,
auch in seinen eignen Augen, immer mehr Wahrscheinlichkeit,
indem er sie, allerdings stets in anderer Form, einmal in leichter,
dann wieder in mehr ausgesprochener Abwandlung, mehreren
Freunden erzählte. Durch die Wiederholung und das
Vertrautwerden mit ihnen nahmen sie an Glaubwürdigkeit zu
und destillierten sich zu einer Erinnerungssubstanz, die dem
Niederschla g wirklicher Erlebnisse gleichkam. Die erdachten
Erfahrungen erregten ihn bei der Mitteilung nicht weniger als
wirkliche Erfahrungen es getan hätten. Das Erfinden von

-101-
Geschichten war für Roth nicht ganz dasselbe wie das
Schreiben. Es ging von der eigenen Person aus und wurde nicht
durch eine unpersönliche Feder, sondern durch Gebärde und
Mienenspiel auf andere übertragen. Nach der Niederschrift
seines Romans Die Flucht ohne Ende teilte Roth von 1927 an
mit seinem Helden, Oberleutnant Franz Tunda, mehrere vo n
dessen Kriegserlebnissen. »Die Flucht ohne Ende enthält meine
Autobiographie zum großen Teil«, bezeugte er ausdrücklich.
»Ich war 6 Monate in russischer Gefangenschaft, entfloh, und
kämpfte zwei Monate in der roten Armee, dann zwei Monate
Flucht und Heimkehr 40 .« 1934 erzählte er einem französischen
Publizisten bei einem Interview:
»J'avais vingt ans à la déclaration de la guerre. Je me suis
engagé. Je me suis battu sur le front russe. J'ai été très fier d'être
nommé sous lieutenant. Fait prisonnier, je me suis évadé après
trois mois de captivité41 .«
Mehreren seiner Freunde vertraute er in plastischer
Detailliertheit die Erlebnisse seiner angeblichen russischen
Kriegsgefangenschaft an, aber in den Kriegsgefangenen- und
Vermißtenkarteien des Österreichischen Kriegsarchivs ist er
nirgends eingetragen. Außerdem machen eine Reihe
nachweisbarer Tatsachen seine Angaben schon rein zeitlich sehr
fragwürdig. Laut Datum eines an Paula gerichteten Briefes42
befand er sich am 24. Februar 1918 in Wien, wo er nichts
Unfriedlicheres erlebte als den Besuch eines Dichterabends, eine
Vorstellung im Deutschen Volkstheater und ein Violinkonzert.
Eine Militärfahrkarte für die »K. k. Österreichischen
Staatsbahnen« in Lemberg wurde ihm in eben dieser Stadt am
19. April 1918 ausgestellt43 . Am nachhaltigsten und ergiebigsten
sind seine Geschichten über seinen erdichteten Offiziersrang
und seine Verbundenheit mit der österreichischen Armee. Die
Entlassung als Einjährig-Freiwilliger war ihm zu unscheinbar:
»Ich wollte nicht dritter Klasse fahren, ewig salutieren, ich
wurde ein ehrgeiziger Soldat, kam zu früh ins Feld, an die

-102-
Ostfront, ich meldete mich in die Offizierschule, ich wollte
Offizier werden. Ich wurde Fähnrich44 .«
Wenige Jahre nach seiner Entlassung verwandelte Roth sich
in die Gestalt, an der er bis zum Ende seiner Tage festhielt: er
wurde österreichischer Offizier in Zivil. Selbst denen, die ein
Auge dafür hatten, erschien er in dieser seiner neuen persona
überzeugend. Aus dem zum Erlebnis gesteigerten Mythos ergab
sich Roths Lebenshaltung. In Berlin und anderswo pflegte Roth
zu sagen: »Man muß wissen, mit wem man im Schützengraben
liegen kann45 .« Und wenn er einem versicherte, »Mit Ihnen
möchte ich auf Wache stehen« 46 , so galt das in seiner Soldaten-
Terminologie ebensoviel wie eine Tapferkeitsmedaille. In der
Emigration stieg er die Rangleiter der entschwundenen
österreichischen Armee höher hinauf und unterschrieb seine an
politisch Andersdenkende gerichteten Briefe als:
Joseph Roth, ehem. Leutnant der k. u. k. Armee47 .
In seine m »Brief an einen Statthalter«, den er 1938 an Seyss-
Inquart, den ersten nationalsozialistischen Statthalter Österreichs
nach dem
Anschluß und späteren Reichskommissar für das besetzte
Holland, richtete, erwähnt der »kaiserkönigliche Leutnant« kurz
und gleichsam beiläufig seine Auszeichnungen: »eine große
silberne Tapferkeitsmedaille und ein goldenes Verdienstkreuz
am Bande der Tapferkeitsmedaille«48 und macht darauf
aufmerksam, daß er, um nicht »möglicherweise in den Listen
der preußischen Armee zu figurie ren« 49 , sich verpflichtet fühle,
auf seinen Rang zu verzichten. Wenn es auch nirgends Belege
für die Verleihung jener Ehrenzeichen gibt, die sich Roth
zuschrieb, so ist doch der Ton der moralischen Entrüstung und
schmerzvollen Trauer, der aus diesem Brief spricht,
genausowenig gekünstelt wie die Verzweiflung, die Roth
anläßlich des Anschlusses ergriff. Er mußte eben als eine
heroischtragische Figur auftreten, um Klage über die Tragik der
Stunde erheben zu können. Unter diesem Aspekt gesehen,
-103-
scheinen die Unterschrift des offenen Briefes - »Joseph Roth,
ehemals kaiserköniglicher Leutnant« - und die vorgeblichen
Auszeichnungen dieses Leutnants den Erfordernissen der
Umstände und Roths Empfinden angemessen zu sein. In einem
Brief, den Roth drei Monate vor der Abreise ins Exil schrieb
und in dem beinahe alles aus der Luft gegriffen ist, stehen zwei
Sätze, die dem Briefschreiber von Herzen kamen: »Mein
stärkstes Erlebnis war der Krieg und der Untergang meines
Vaterlandes, des einzigen das ich je besessen habe: der
österreichischungarischen Monarchie. Auch heute noch bin ich
durchaus patriotischer Österreicher und liebe den Rest meiner
Heimat wie eine Reliquie 50 .«
Als Roth einmal seiner eigenmächtigen Selbstbeförderung
wegen von einem wirklichen Oberleutnant seiner ehemaligen
Kompanie zurechtgewiesen wurde, beschwichtigte er: »... wenn
man befreundet ist, ist das doch ganz egal51 .«
Solange er in der Armee war, dachte Roth geringschätzig über
das Militär und machte sich oft heitererbittert mit Józef Wittlin
darüber lustig52 . Als die Monate des entwürdigenden
Gehorsams, der Mißhandlung, der Roheit und
psychischphysischen Grausamkeit überstanden waren, der
Vergangenheit angehörten und somit dem die Dinge im Stillen
verarbeitenden Gedächtnis überantwortet waren, erschien ihm
das Rohe und Abstoßende in milderem Licht. Seine Leutnants
Tunda (Die Flucht ohne Ende) und Trotta (Radetzkymarsch) und
auch noch den Rittmeister Taittinger (Die Geschichte von der
1002. Nacht) umgab er mit dem Hauch seiner romantisierenden
Sehnsucht. Zwischen Leben und Literatur gab es für ihn keine
Grenzen mehr; in der Emigration eiferte der körperlich
Gebrochene für die Schaffung einer österreichischen Legion, in
der er selber - so beteuerte er - als Offizier dienen würde. Indem
Roth sich zum Offizier machte, reihte er sich in eine große
Tradition ein, fühlte er sich geläutert, wurde er ansehnlicher und
feiner. Er gehörte nun zum alten Österreich, in dem man in

-104-
weiten Kreisen für den Nimbus des Offiziers empfänglich war,
der weitaus vornehmer und achtunggebietender wirkte als ein
Schriftsteller. Diese Idealisierung des Offiziers findet man auch
im Leben und Schaffen von Ferdinand von Saar, Franz Karl
Ginzkey, Rainer Maria Rilke, Heimito von Doderer und
Alexander Lernet-Holenia. Zur Mythologisierung gehörte, daß
der Österreicher gern hervorhob, er mache sich ein anderes,
humaneres Bild von einem Offizier, als dies anderswo der Fall
sei. Roth schuf sich eine eigene Variante der angeblichen
Menschlichkeit der österreichischen Armee. Seine Liebe zur
Monarchie sei im Weltkrieg erwacht, erzählte er einem Vetter
Ende der zwanziger Jahre. Als Fähnrich in schäbiger Uniform
sei er einmal in Wien auf der Straße von einem Obersten gestellt
worden, der wissen wollte, weshalb er so schlecht angezogen
sei. Auf Roths Erwiderung, sein Äußeres erkläre sich aus seiner
Armut, habe ihm der Oberst Geld gegeben, damit er sein
Äußeres besser versorgen könne. »Das konnte nur in der k. und
k. Monarchie vorkommen«, meinte Roth, »ein preußischer
Oberst hätte mich in den Knast gesteckt. Die k. und k.
Monarchie war die menschlichste der Autokratien53 .«
Im Zivilleben witterte Roth viel Hinterlist - man denke an
seinen Roman Das falsche Gewicht - Niedertracht und
Gemeinheit. In der Armee dagegen, so wollte es ihm scheinen,
war alles unverrückbar und einfach. Ein General war ein
General, ein Pferd ein Pferd, ein Befehl ein Befehl. Blickte man
auf die in der Jugend verbrachte Militärzeit zurück, so fand man
in ihrer strengen Hierarchie treue Kameradschaft, beherztes
Zusammenhalten und Hilfsbereitschaft. Im Dienst war alles
einfacher, ehrlicher; die Gefahr, der man dort die Stirn bieten
mußte, brach von außen herein, man kämpfte gegen den äußeren
Feind, kämpfte für das Vaterland und geliebte Menschen,
verteidigte mit Gleichgesinnten eine große Sache und war der
allgemeinen Dankbarkeit versichert. Das Leben war
anstrengend, aber unkompliziert, man reagierte auf Befehle, war

-105-
der eigenen Verantwortung enthoben, in eine Gemeinschaft
eingeordnet und von ihr beschützt.
Das Faible, zu dem Roth sich bekannte, hatte verschiedene
günstige Aspekte. Unter anderem den, daß die Individualität
durch die Uniform aufgehoben wurde, - man konnte die Last des
Gefühls seiner selbst von sich abschütteln. In einer späteren, in
Form eines Briefes abgefaßten Reportage schreibt Roth: »Ich
gestehe Ihnen gerne, daß ich mich an der musikalischen
Exaktheit der Gewehrgriffe freue und an jener gewissen
Präzision der Sorglosigkeit, mit der ein Soldat sich seinem
disziplinierten Schicksal überläßt54 .« 1928, im Erscheinungsjahr
dieser Reportage, wurde der Gedanke in dem Roman Zipper und
sein Vater deutlicher ausgearbeitet55 .
Andere hatten unwiderleglich mehr im Krieg erlebt und
erlitten, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Roths
»Hochstapelei« in bezug auf seinen phantasierten Offiziersrang
lagen keineswegs opportunistische Motive zugrunde. Wenn er
auch gefallsüchtig war, so war er seinem ganzen Benehmen
nach nicht darauf aus, sich um die Gunst anderer zu bemühen.
Seine Handlungsweise, von der manches der Öffentlichkeit nie
zu Ohren kam, war in der Hauptsache Selbstzweck. Als Offizier
fühlte er sich größer, mutiger, edler. Er schuf sich um, weil ihm
die angeborenen Eigenschaften nicht genügten. Er lebte das
selbstkreierte Ich, und es wurde für eine Weile wahr und immer
wieder wahr. Die Erschaffung dieses Ich war ihm ebenso ein
Bedürfnis wie das literarische Schaffen, und er feilte an sich
selbst, wie er an seinen Sätzen feilte. Beides sollte vollkommen
sein, und dem unerfüllbaren Verlangen nach solcher doppelten
Vollkommenheit und der eigenen Unzulänglichkeit halber
verfiel er in späteren Jahren immer mehr dem Alkohol. Als
Leutnant Roth sollte er lebensfähig werden. Wie ein anderer, der
schwache Augen hat, sich eine Brille aufsetzt, so legte er sich
eine militärische Laufbahn zu. Es war eine andere Art Brille, die
er sich durch seine eigene Phantasie verschaffte und durch die er

-106-
die Welt betrachten wollte. Je mehr die Nachkriegswelt aus den
Fugen geriet und sein eigenes Leben von Mißgeschick
heimgesucht wurde, desto unentbehrlicher wurde ihm die
dichterische Korrektur.
Als ein linksorientierter Deutscher Roth in der Emigration
einmal wegen seiner »romantischen Verherrlichung« des alten
Österreich tadelte und ihm mit der Frage auf den Pelz rückte:
»Roth, Sie sind so gescheit, wie können Sie ein Monarchist
sein«, erwiderte dieser aufbrausend und gereizt: »Weil mir die
Scheißer in der Monarchie lieber waren als die Kacker in der
Republik56 !« Die Gereiztheit seiner Replik verrät die
Verzweiflung über seine Anhänglichkeit und die Tatsache,
daß er sich hart bedrängt fühlte. Trotz all ihrer Mängel, so wollte
er glauben, habe die Monarchie Format gehabt. An ihre Stelle
seien die »Stammler« getreten. Roth richtete den Blick in den
Zeiten des aufkommenden Radikalismus und der nahenden
Gewalt reaktionär rückwärts. Mit der Monarchie war er in
Berührung gekommen, als er jung war und es bereits mit ihr zu
Ende ging, und er verband sie, genau wie das Militär, mit seiner
Jugend und Kindheit, die ihm teuer waren, wie alles aus seiner
Vergangenheit.
Wenn Roths Beteiligung am Ersten Weltkrieg nicht so
heldenhaft ausfiel, wie er es sich gewünscht hätte, so bedeutete
dieser Krieg dennoch einen grausigen gewaltsamen Einbruch in
sein Leben. Der Weltkrieg war der große Scheideweg; mit ihm
war die Schwärmerei der Jugenddichtung von ihm abgefallen.
Roth kehrte nach seiner Entlassung ernüchtert in eine rohe und
glanzlos gewordene Welt zurück. »Der Ernst des Lebens« fing
an, und dieser Ernst war düster. Als Enkel in der Welt der Enkel
war er zu spät auf die Welt gekommen.

-107-
8
Die journalistischen Anfänge Wien
1918-1920

Alle Berichte über Joseph Roth als Heimkehrer, die wahren


und die von ihm erfundenen, zeugen von seiner Armut. In seiner
Phantasie war die Armut - mit der er bereits als Schüler und
Student vertraut geworden war, ohne jedoch wirklich notleidend
gewesen zu sein - immer mehr als nur ein Zustand der
Mittellosigkeit. Sie wurde ihm zum Symbol für allerlei
Entbehrungen in einer teilnahmslosen Welt. Darum reizte es ihn,
über seine Heimkehr ebenso pointiert zu erzählen wie -
gelegentlich - auch über die in der Kindheit erlittenen
Entbehrungen.
Zurückgekehrt war er Mitte Dezember 1918, wenige Wochen
nach Kriegsende. Was er als Student vor dem Jahre 1916 ersehnt
hatte, wurde ihm jetzt durch die Not auf gezwungen: ganz auf
sich gestellt zu sein. An eine Fortsetzung des unterbrochenen
Studiums war nicht mehr zu denken. Es wurde ihm klar, was er
später in seinem Roman Zipper und sein Vater schrieb, »daß er
nicht mehr den Doktor machen würde. Er mußte schnell eine
Arbeit suchen1 .« Während seiner beiden Dienstjahre beim
Militär hatte Roth kleine, nicht signierte Berichte für die
Tageszeitung »Der Abend« geschrieben. Und im Januar und
Februar 1918 waren in »Der Friede. Wochenschrift für Politik,
Wirtschaft und Literatur« einige knappe Feuilletons von Roth
veröffentlicht worden. Fred Heller, ein Redakteur dieser
Wochenschrift, beschreibt einen Besuch Roths während eines
Wiener Urlaubs im Sommer 1918 und seine ersten tastenden
Schritte nach seiner Rückkehr ins Zivilleben:
»Im Jahre 1918, im letzten Jahre des Weltkrieges, kam ein
junger Soldat in abgetragener Uniform in die Redaktion der
Wiener Wochenschrift ›Der Friede‹. Ich empfing ihn, denn ich

-108-
war damals kurz zuvor als Kriegsinvalide heimgekehrt und in
den Redaktionsstab der pazifistischen Zeitschrift eingetreten.
Der persönliche Eindruck des Soldaten war der eines armen,
schlecht genährten, fröstelnden Menschen, den die alte Uniform
noch bedauernswerter aussehen machte. Er brachte zwei
Gedichte. Ob wir sie drucken wollten? Aus Mitleid mit dem
armen Teufel las ich die Verse sofort, obwohl unser literarischer
Redakteur Alfred Polgar war, der sich mit seinen
Entscheidungen meist lange Zeit ließ. Die Verse des jungen
Soldaten waren wunderschön. Begeistert versicherte ich ihm,
daß die Gedichte bestimmt in unserer Zeitschrift erscheinen
würden, und er dankte tausendmal. Acht Tage später wurde zum
erstenmal ein Gedicht von Joseph Roth veröffentlicht. Und von
da ab kam der neu entdeckte Dichter oft und gern zu mir und
erzählte mir von seiner traurigen Jugend und sprach von seiner
Ungewissen Zukunft, wenn der Krieg zu Ende sein werde. Sollte
er Schriftsteller werden? Reichte sein Talent dafür? Ich
bestärkte ihn, ich glaubte an ihn, nur versuchte ich ihn zu
überreden, nicht bloß Gedichte, sondern auch kleine
Erzählungen zu schreiben, denn mündlich erzählte er eigenartig
und fesselnd. Aber Joseph Roth kam von der Lyrik nicht los.
Der Krieg war aus. Roth mußte sich für einen Zivilberuf
entscheiden. Ich war inzwischen in die Redaktion einer Wiener
Tageszeitung übergesiedelt und machte nun Roth den
Vorschlag, sich als Reporter zu versuchen. Der Versuch glückte:
er schrieb seine Berichte in Form von lyrischironischen
Feuilletons, die sich im Stil freilich noch an Alfred Polgar
anlehnten, aber durch feine, kluge, menschliche Beobachtungen
eine eigene Note bekamen. Seine Arbeiten fielen bereits auf,
und als eine neue Tageszeitung gegründet wurde, konnte Roth
eine fixe Stelle erhalten. Die Zeitung bestand dann allerdings
nicht lange, doch hatte Roth durch die tägliche journalistische
Arbeit Routine bekommen und Selbstvertrauen. Jetzt glaubte der
ewig zögernde, skeptische und krankhaft selbstkritische Roth an

-109-
sich und sein Können. Ein wenig später war er alles andere als
bescheiden - der Erfolg berauschte ihn...2 .« Die Journalistik, die
Roth in dieser oder jener Form bis zum Ende seines Lebens und
ab 1923 auch neben der schriftstellerischen Tätigkeit betrieb,
war ihm quasi unbeabsichtigt in den Schoß gefallen. Mehrere
Male machte er auf die beiläufige Art seiner Berufsergreifung
aufmerksam: »aus Mangel an Geld [begann ich] für Zeitungen
zu schreiben... Man druckte meine Dummheiten. Ich lebte
davon. Ich wurde Schriftsteller3 .« An anderer Stelle sagte er:
»Ich wurde eines Tages Journalist aus Verzweiflung über die
vollkommene Unfähigkeit aller Berufe, mich auszufüllen4 .«
Der am 26. Januar 1918 zum erstenmal erschienene »Friede«
bemerkte über sich selbst auf der Titelseite: »›Der Friede‹
vertritt keine Partei, keine Gruppe. Er will helfen, über die
wichtige n Fragen unseres öffentlichen Lebens Klarheit zu
verbreiten...5 .« Die pazifistische Einstellung der Zeitschrift, die
bereits aus dem Titel herauszulesen ist, war Grund jener
Maßnahme, über die sie sich am 6. September 1918, im
vorletzten Kriegsmonat, bekla gte: »Die Feldpost befördert den
›Friede‹ nicht mehr. Wir sind freilich von keiner Behörde
verständigt worden, daß ein Verbot gegen den ›Friede‹ erlassen
worden sei, aber die Hefte kommen zurück und tragen den
Vermerk: ›unzulässig‹...6 « Insgesamt sind im Jahr 1918 nur fünf
kurze Feuilletons von Roth, von denen keines eine ganze Spalte
einnimmt, unter der Rubrik »Anmerkungen« erschienen,
unterzeichnet mit den letzten Buchstaben seiner beiden Namen:
»h«. Von seinen angebotenen Gedichten ist nur eins abgedruckt
worden, in derselben Rubrik, und zwar am 6. Dezember 1918,
anläßlich des Todes eines stillen alten Mitarbeiters der
Redaktion7 .
Mehreren Mitarbeitern der Eliteredaktion des »Friedens« hat
Roth in späteren Jahren nahegestanden: Oskar Maurus Fontana,
der sich noch an Roths Redaktionsbesuche erinnert8 , Anton
Kuh, Rudolf Olden, Karl Tschuppik, Karl Otten, Ernst Weiß,

-110-
Franz Werfel. Zu den bekannten Schriftstellern, die für die
Zeitschrift schrieben, gehörten auch Robert Musil, Peter
Altenberg, Alben Ehrenstein, Felix Weltsch, die Brüder Capek
und Theodor Tagger, der später als Ferdinand Bruckner bekannt
wurde. Aber den nachhaltigsten Einfluß unter allen seinen
Kollegen hatte Roth dem »Leiter des literarischen Teiles«,
Alfred Polgar, zu verdanken. Genau wie man in Polgars Werk
den Einfluß der Prosaminiaturen Peter Altenbergs, dessen
Nachlaß er 1925 herausgab, das Schaffen seines Mentors
erkennen konnte, könnte man auch im Werk Roths Polgars
Vorbild erkennen. Von den verschiedenen Ehren- und
Spitznamen, mit denen Polgar gekennzeichnet wurde, war der
bekannteste »Meister der kleinen Form« und der witzigste wohl
der ihm von Anton Kuh verliehene »Marquis Prosa«. Als der
neunzehn Jahre jüngere Roth in der Redaktion des »Neuen
Tages« erneut unter der Leitung Polgars arbeiten durfte,
bedeutete der berufliche Umgang mit seinem Vorgesetzten für
ihn so viel wie eine berufliche Lehrzeit. Wenn Roth Polgar
lobte, wurde ihm auch klar, was er selber erstrebte. 1925 schrieb
er für die »Frankfurter Zeitung«: »Polgar schreibt kleine
Geschichten ohne Fabel und Betrachtungen ohne Resümee. Er
bedarf keines eigentlichen ›Inhalts‹, weil jedes seiner
meisterlich gemundhabten Worte voller Inhalt ist. Kein Anlaß
ist ihm zu gering. Gerade an den geringen Anlässen zeigt er
seine Meisterschaft. Er poliert das Alltägliche so lange, bis es
ungewöhnlich wird9 .« Tatsache ist, daß Polgars und Roths
Veranlagung in einiger Hinsicht Ähnlichkeiten aufwies, so daß
sie sich, unabhängig voneinander, dieselben Themen für ihre
Feuilletons aussuchten - so etwa Mädchen-Revuen, die Anlaß zu
kulturkritischen Bemerkungen gaben, Ländergrenzen, das
Moskauer jüdische Theater, Hotelpersonal, den Clown Grock.
Beide waren Moralisten nach der Schule von La Rochefoucauld,
mit ausgeprägtem Feingefühl für die pessimistisch angehauchte,
psychologisch durchleuchtete Kleinstudie. Beide haben »Die

-111-
kleinen Leute« (so heißt ein Feuilleton von Polgar) immer
wieder zu Hauptpersonen ihrer Prosastücke gemacht.
In den ersten Tagen seiner Ankunft in Wien lebte Roth von
der Hand in den Mund. Da inzwischen sowohl sein Vormund,
Siegmund Grübel, als auch seine Mutter, die sich beide während
des Krieges als Flüchtlinge in Wien aufgehalten hatten, in die
galizische Heimat zurückgekehrt waren, beschloß Roth, ihnen
nachzufahren. Drei Monate blieb er fort. Bei seiner neuerlichen
Rückkehr nach Wien erzählte er seinem jungen, in Wien
lebenden Vetter Miguel Grübel von den abenteuerlichen
Erlebnissen, die ihm mittlerweile zuteil wurden: seinen Plan,
nach Lemberg zu gehen, konnte er nicht verwirklichen, da dort
von neuem Krieg geführt wurde. Die Polen hielten die Stadt
Lemberg besetzt, die Ukrainer hatten sie umzingelt, so daß
niemand die Frontlinie überschreiten konnte. Als Roth auf
Umwegen nach Brody und zu seiner Mutter gelangte, fand er
seine Geburtsstadt in den Händen der Ukrainer. Da man ihm
dort nach kurzem Aufenthalt bedeutete, man werde ihn in die
ukrainische Armee einreihen, flüchtete Roth, um nicht nochmals
in Kriegshandlungen verwickelt zu werden, und versuchte, nach
Wien zurückzukehren. Beim Überqueren der Karpathen geriet er
in einen neuen Krieg, diesmal zwischen Tschechoslowaken und
Ukrainern, wobei die letzteren ihn zum zweitenmal in ihre
Armee einzureihen gedachten. In beiden Fällen handelte es sich
um die seit November 1918 bestehende Armee der
Westukrainischen Republik. Einiges von diesen Erlebnissen
transponierte Roth auf die Rote
Armee der Russischen Revolution in seinem acht Jahre später
erschienenen Roman Die Flucht ohne Ende.
In den Karpathen wich Roth wieder aus, schlug den Weg über
Ungarn ein und kehrte schließlich in den letzten Märztagen 1919
nach Wien zurück10 . Der beleibte, Zigarren rauchende
Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift »Der Friede«,
Dr. Benno Karpeles, verschaffte Roth im April des ersten

-112-
Nachkriegsjahres die feste Anstellung bei der Zeitung, zu der er
selbst übergesiedelt war, dem »Neuen Tag«. Der Eintritt in die
Redaktion des »Neuen Tages«, dessen erste Nummer am 3.
März erschienen war, verschaffte Roth zum erstenmal einen
gesicherten Lebensunterhalt. Bereits der Auftakt zu seiner
Arbeit war bezeichnend für Roths zunächst noch bescheidenen
Aufstieg. Der Chefradakteur Karpeles ließ sich vorerst auf keine
weiteren Gespräche mit seinem neuesten Mitarbeiter ein. Statt
dessen schickte er ihn sofort zum Schneider, wo Roth auf
Kosten seines Vorgesetzten der erste Anzug seit der Heimkehr
angefertigt wurde11 . Am 20. April 1919 erschien Roths erstes
Feuilleton in »Der Neue Tag«. Zwischen diesem Datum und
dem 30. April des darauffolgenden Jahres, an welchem Tag die
Zeitung eingestellt wurde, hatte Roth über hundert Beiträge
geliefert, von denen fast ein Fünftel als ›Wiener Symptome‹
bezeichnet worden war. Gezeichnet hat er seine Arbeiten sehr
verschieden, als »Joseph Roth«, »Josef Roth«, »Josephus«, »J.
R.«, »j. r.«, »R.«, »th«. Aus der Fülle seiner Gedankengänge
sowie aus den Schlagzeilen, die in seinen Glossen die
Aufmerksamkeit auf sich lenkten, ergibt sich sowohl ein Bild
des freudlosen Wiens der Zeit unmittelbar nach dem Kriege als
auch seiner eigenen geistigen Verfassung. Was an Glanz von der
Vornehmheit der ehemaligen Haupt- und Residenzstadt des 53
Millionen umfassenden Reiches, die ihn sechs Jahre zuvor in
Erstaunen versetzt hatte, als er sich, von Galizien kommend, im
ersten Semester dort niederließ, übrig geblieben war, schien den
Verfall nur noch zu unterstreichen. Die Stadt hatte keine
Schäden durch unmittelbare Kriegseinwirkungen erlitten, war
aber in materieller wie auch geistiger Hinsicht verändert, und
auch ihre Seele schien verworren und krank nach den lange n
Kriegsjahren und dem chirurgischen Eingriff, der ihr die
territorialen Glieder abgeschnitten hatte. Manche von Roth
geschilderte Szene klingt wie eine Wehklage über »das
gestoßene, geschundene, verhungerte, vom Kriege und seinen

-113-
Anleihen gezeichnete, durchgehaltene, Schulter an Schulter
überstandene, Theisinger und Tode entgangene, von Blockaden
gedrosselte und von Ernährungsmaßnahmen rationierte«
Menschenbild Wiens 12 . Das Rothsche Thema »Heimkehr«, das
er immer wieder in seinen ersten sechs Romanen behandelt,
findet seinen ersten Niederschlag in den damaligen
Zeitungsporträts, wie etwa in dem vom zurückgekehrten
General, der sich aus allen sinnfälligen Bezügen herausgerissen
sieht: »Bemüht, in die Zukunft zu sehen, sieht er
Vergangenheit... Er war General, im Gefüge der Brigade. Er war
›komplett‹, als ihn die anderen grüßten. Er war nie Individuum.
Immer ein Bestandteil. Wie ein Kopf, ein Kolbenhals, ein
Tornister, eine Wasserjacke. Erfand seine Ergänzung im
Gehorsam der anderen. Jetzt ist er Überrest, Fragment, Brigadier
ohne Brigade. Stratege ohne Dienstreglement, Herr ohne Diener.
Aber Herr noch immer, mit der Gloriole einer tragischen Ironie
um die Generalskappe, standesbewußt ohne Stand und ehrenhaft
ohne Kodex13 ...« In diesen prägnanten Zeilen wurde der
Grundton angestimmt, der Roth aus tiefster Seele kam und
seinem literarischen Schaffen zugrunde liegen sollte. Es ist die
bittersüße resignierende Melodie des Spätgeborenen, der auf
seinem Wege in die Zukunft unversehens kehrt macht und
rückwärts schreitet in eine nie erreichbare Vergangenheit.
Als Roth zwei Jahre später nach Berlin übersiedelte,
registrierte er das Tagesgeschehen und das lokale Geschehen
mehr aus der Vogelschau. In Wien fühlte er sich weniger
isoliert, mehr persönlich beteiligt. Hier gibt er sich
österreichisch, verwendet Austriazismen in seinen
Zeitungsglossen, beweist, wie vertraut er ist mit allen Gassen
und Winkeln der Stadt, leidet aber auch an ihrer Not und ihrem
Schicksal. Psychisch gelingt ihm die Verarbeitung der täglich zu
bewältigenden Lappalien nur schwer, und mit dem
Lebenskampf wird er nicht fertig. Das Trinken, dem er zeitweise
während des Militärdienstes im Weltkrieg verfallen war, macht

-114-
ihm wieder zu schaffen. Bekannte aus der Redaktion waren
schockiert und verwundert, als sie erfahren mußten, daß Roth,
der äußerst gewissenhaft in der Abfassung und Ablieferung
seiner Zeitungsbeiträge war, einige Male versoffen und zerlumpt
auf der Straße liegend aufgefunden wurde14 .
Der journalistische Bildausweis, den Roth damals bei sich
trug15 , verrat etwas von seiner geistigen Verfassung. Sein
rundliches, glattrasiertes Gesicht läßt ihn zwar jünger erscheinen
als seine fünfundzwanzig Jahre, aber Besorgtheit und eine Art
Erschrockenheit sind ihm anzusehen. Später sollte man ihn für
viel älter halten, als er in Wirklichkeit war.
Wie sehr Roth seine journalistische Tätigkeit beschäftigte, ist
aus dem Notizbuch16 ersichtlich, in das er zu der Zeit
Eintragungen machte. Neben einer Reihe
unzusammenhängender Gedanken, die er wahrscheinlich
ausarbeiten wollte, und einigen schnell zu Papier gebrachten
Gedichten führte er, säuberlich aufgezählt, unter den Rubriken
»Feuilletonstoff« und »Symptome« mehr als neunzig mögliche
Feuilletonthemen auf, von denen allerdings nur ein Bruchteil
verwertet wurde. In seinen kleinen Artikeln im »Neuen Tag«
werden schon Eigenschaften sichtbar, die in noch stärkerem
Maße seine späteren Feuilletons für die »Frankfurter Zeitung«
kennzeichnen sollten. Die Willkür des eigenen Gesichtswinkels
hemmte jeden Versuch, einen Tatbestand sachlich und
unpersönlich wiederzugeben. Was er beschrieb, vertiefte sich
zum inneren Erlebnis. Sechs Jahre später faßte er es in der
»Frankfurter Zeitung« selber in Worte: »ich... kann nicht...
›berichten‹. Ich kann nur erzählen, was in mir vorging und wie
ich es erlebte17 .« Als das Dritte Kaffeehaus in der Hauptallee
des Praters niederbrannte, mußte Roth darüber berichten. Unter
Roths Hand wurde das faitdivers zu einem Feuilleton, das die
Atmosphäre des teilweise zum Skelett ausgebrannten Lokals zu
erfassen versuchte. Datum, Tageszeit, Ursache des Brandes und
Materialschäden wurden in seiner Darstellung nicht erwähnt.

-115-
Der Chefredakteur mußte befremdet feststellen, dies sei keine
Berichterstattung. So ließ er Stefan Fingal /einen Kollegen, der
Roth bis zuletzt die Treue halten sollte/ die Reportage schreiben.
Roth nahm es zur Kenntnis, ohne sich gekränkt zu zeigen, denn
was er geschrieben hatte, war von Fingais Mitteilungen zu
verschieden, als daß ein Vergleich möglich gewesen wäre18 .
Andererseits fühlte Roth sich ganz in seinem Element, als er von
seiner Zeitung mit dem Auftrag eines »Sonderberichterstatters«
nach »Deutsch-Westungarn« geschickt wurde. Es handelte sich
um das jetzige Burgenland, das Österreich im Friedensvertrag
von Saint-Germain zugesprochen wurde, aber in dem nunmehr
zufolge ungarischen Widerspruchs eine Volksabstimmung zur
Entscheidung der nationalen Zugehörigkeit durchgeführt werden
sollte. Diese erste journalistische Erkundungsreise Roths war
der Auftakt zu den ausgedehnten Fahrten, die er von 1925 an in
großem Stil in Deutschland, Frankreich, Polen, Italien,
Jugoslawien, Albanien und Rußland unternehmen sollte. In
Deutsch-Westungarn exerziert er bereits seine Erkundungstaktik
vor: die vordringlichen Fragen der Tagespolitik werden
mittelbar ergründet, indem sie in die Darstellung der
Erlebnissphäre einzelner mit ihr in Berührung Stehender
einbezogen werden. Als linksbürgerliche Zeitung hoffte der
»Neue Tag« - bereits wegen der politischen Konstellation in
Ungarn -, durch die Berichte seines Mitarbeiters für den
Anschluß Deutsch-Westungarns an Österreich Stimmung
machen zu können. Bela Kun, der Führer der ungarischen
Räteregierung, mußte am 1. August 1919 sein Amt niederlegen.
Der ehemalige österreichischungarische Großadmiral Horthy,
der im selben Jahr eine Nationalregierung gegen die
Räteregierung gebildet hatte, sollte erst am 1. Mai 1920 nach der
Einnahme von Budapest Reichsverweser werden. Anfang
August 1919, in der frühesten Zeit des Interims, trat Roth seine
Reise an. Im Laufe dieser einwöchigen Reise genoß er die
Gastfreundschaft eines deutschwestungarischen

-116-
Großgrundbesitzers, der ihm nahelegte, sich auf die Seite
Ungarns zu stellen. Der Großgrundbesitzer fühlte sich
natürlicherweise viel stärker zu Horthys Nationalregierung als
zum demokratischen Österreich hingezogen, wo das
sozialdemokratische Übergewicht in der Koalitionsregierung auf
die Wahrscheinlichkeit einer Agrarreform hindeutete. Nach
seiner Rückkehr verlieh Roth seiner Sympathie für seinen
reichen Gastgeber Ausdruck und äußerte zudem die private
Meinung, mit seiner Beseitigung würde ein kulturerhaltendes
Element verloren gehen19 . Roth gebärdete sich während der
frühen zwanziger Jahre zwar sozialistisch, zollte aber dem
Großbürgertum Achtung, von dessen Lebensweise und
Weltoffenheit er sich angesprochen fühlte. Es mag sein, daß die
Armut und die Einschränkungen seiner Jugendzeit dabei eine
mitbestimmende Rolle spielten. In der zweiten Hälfte der
zwanziger Jahre dehnte er seine Sympathie unter ähnlicher
Begründung auf den Adel aus, den er noch in der ersten
Nachkriegszeit ablehnte.
In seiner Berichterstattung kümmerte Roth sich nur wenig um
die Argumente dieser oder jener Seite. In der ersten Reportage
entwirft er ein Bild der deutschen Bauern Deutsch-Westungarns,
die nicht ohne weiteres die Frage beantworten konnten, ob sie
Deutsche seien, und konstatiert: »Nationallehre?
Volkszugehörigkeit? Das gilt den wenigsten etwas20 .« Roth
gelangt dennoch zu dem Urteil, mit dem Anschluß an Österreich
könne man den Bauern »Eben das [geben] was ihnen fehlt: den
Zusammenhang mit der deutschen Kultur«. Der Beitrag endet
etwas unentschieden mit einer Aufforderung, die doch etwas
Obligatorisches hat: »Sie mögen für uns stimmen. Wir werden
sie herzlich aufnehmen21 !« In den weiteren beiden Beiträgen
klammert Rom die Anschlußfrage aus und berichtet plastischer
und viel überzeugender über das, was ihn offensichtlich mehr
interessierte - Begegnungen mit Städten und Originalen,
Stimmungen und Menschenschicksalen, mit einer uralten

-117-
jüdischen Gemeinde, sowie über Szenen in einem Tanzlokal, in
dem es temperamentvoll zugeht, und in einem ungemütlichen
Wirtshaus.
Roth nutzte den Aufenthalt im Burgenland - die Bezeichnung
wurde erst 1920 amtlich eingeführt - auch zu einem ganz
anderen Zweck aus. Kurz zuvor hatte er sich in Wien um einen
Reisepaß bemüht und war auf Schwierigkeiten gestoßen, da
seine Zuständigkeit ungeklärt war. Anläßlich seiner
journalistischen Streifzüge machte er die Bekanntschaft eines
Pfarrers, der ihm bereitwillig einen Taufschein ausstellte. Dabei
verlegte Roth Szwaby, den Vorort seines wirklichen
Heimatortes, des galizischen Brody, nach der
deutschwestungarischen Ortschaft Schwaben. Auf Grund des
wohl kaum legitimen Taufscheins wurde ihm einige Zeit später
in Wien ein Reisepaß ausgehändigt22 . In seinen Wiener
Zeitungsbeiträgen aus den Jahren 1918 bis 1920 erweist sich
Roth als ein skeptischer und dennoch zukunftsfreudiger
linksorientierter junger Mann, der eindeutig gegen den
Klerikalismus und den Monarchismus Stellung nimmt. »Jeder
Klerikalismus ist reaktionär« verkündet er in einem
Zeitungsartikel23 . In einem anderen vermerkt er über das
republikanische Österreich: »... wir [sind] zwar ein
funkelnagelneuer Staat geworden, aber mit alten k. k. Brettern
jämmerlich geflickt...24
Ein paar Jahre später tat Roth den Glauben an den Fortschritt
und die »schönere Zukunft« als abergläubisch ab. Jetzt kann er
noch mit ehrlicher Überzeugung von der jüngeren Generation
behaupten: »Diese Jugend wird keinen Bierulk kennen und kein
faschingsbuntes Deutschtum, keinen mittelalterlichen
Mummenschanz und keine Reaktion. Diese Jugend wird nicht
blindgehorsam und blutberauscht für Popanze in Kriege ziehen!
Sie wird das Leben lieben und die Arbeit und ein Geschlecht
zeugen, das fern von hirnverbrannter Ideologie und hohlem
Kitsch, haßwütigem Nationalismus und sklavischer

-118-
Götzenverehrung, mitten im Tag stehend, Grenzen
überbrückend und weitvereinigend, die Emporentwicklung der
Menschen sichern wird25 .« Beim Emporkommen des
Nationalsozialismus klammert er sic h dann an einen
österreichischen Nationalismus. 1919 verdiente der
hochgespielte Patriotismus in seinen Augen einzig und allein
Hohn: »Man sah:... Karl Kraus am Kreuzknauf des
Stephansturmes, wie er die letzte ›Fackel‹-Nummer am
Weltbrand entzündete... Plötzlich gab es noch einen lauten
Krach. Die Erde sank in die Tiefe. Wie ein verbrannter
Gummiballon. Sie war nur noch ein Häufchen Asche.
Nur ein paar Millionen Österreicher, die sich auf den
Kometenschwanz hinübergerettet hatten, waren vom ganzen
Erdball übrig geblieben und bildeten ein neues Österreich. Der
Komet erholte sich bald von seinem ersten Schreck über die
plötzliche Belastung und begann langsam herumzuschweifen.
So bewahrheitete sich denn schließlich doch das alte Wort von
Österreichs ewigem Bestand.
Allerdings hätte es mit Rücksicht auf den Kometen heißen
sollen: ›Austria irret in orbe ultima‹26 .«
Es dauerte nicht lange, bis die älteren Kollegen in der
Redaktion auf den rührigen und produktiven jungen Mitarbeiter
aufmerksam wurden. Zu den älteren zählten außer Karpeles,
Polgar, Anton Kuh, Egon Erwin Kisch und Rudolf Olden, die
ihn vom »Frieden« her kannten, noch Karl Tschuppik, Karl
Otten, Arnold Höllriegel (Richard Bermann) und der begabte
Karikaturist Carl Josef. Mit Polgar, Kuh und dem ihm nunmehr
eng befreundeten Fingal kreuzten sich Roths Wege ein paar
Jahre später in Berlin. Mit den meisten anderen traf er zeitweise
während der Emigration wieder zusammen. Mit dem damaligen
Chefredakteur Benno Karpeles und dem Historiker Karl
Tschuppik vollzog sich teilweise dieselbe Wandlung wie mit
Roth. Sie wurden, wie er, in den folgenden Jahren
Monarchisten. Ihnen bewahrte Roth all die Jahre hindurch eine

-119-
Verbundenheit, die an Sentimentalität grenzte.
Verbindlicher noch /als zu Karpeles/ war die Beziehung zu
Karl Tschuppik, bei der persönliche Sympathie und eine ähnlich
geartete seelische Veranlagung zu gegenseitigem Begreifen
führten. Tschuppik war es, dem Roth die Beziehung zum
»Prager Tagblatt« verdankte27 , in dem in den Jahren 1923-1924
eine ziemlich la nge Reihe von Roths Reportagen abgedruckt
wurde. Roth pflegte den Freund in späteren Jahren »Baron
Tschuppik« zu nennen und stattete ihm in seinem Quartier im
Hotel Bristol, das dieser von 1917 bis 1937 bewohnte, einen
»Staatsbesuch« ab, so oft ihn seine Wege nach Wien führten. In
einer Rezension über Tschuppiks Lebensgeschichte Maria
Theresias nannte Roth ihn einen »›homo austriacus‹ unter den
Historikern« 28 . Und Tschuppik eignete Roth sein letztes Buch,
einen Roman aus dem habsburgischen Österreich, mit den
Worten zu: »Dem letzten Ritter meiner Welt29 !«
Vom Herbst 1919 an besserte sich Roths finanzielle Lage.
Sobald seine journalistischen Arbeiten eine großzügigere
Lebenshaltung zuließen, wurde das Kaffeehaus zu einer seiner
geregelten Tagesstationen. »Das Wiener Kaffeehaus ist kein
Kaffeehaus, es ist eine Weltanschauung«, vermerkte einmal
Alfred Polgar. Für Roth, der nie eine Beziehung zum »Zuhause«
gewann und dem die Häuslichkeit immer suspekt bleiben sollte,
wurden die Lokale in Wien, Berlin, Frankfurt, Paris,
Amsterdam, Brüssel, Nizza und Marseille, in denen er fortan
einen beträchtlichen Teil seines Lebens verbringen sollte, nebst
einigen Hotels zur einzigen Behausung, in der er sich
wohlfühlte. In späteren Jahren saßen meist Bekannte plaudernd
und trinkend an seinem Tisch, während Roth seine Arbeiten
verfaßte. Die innerliche Vereinsamung bedingte die äußerliche
Geselligkeit. War er zu einem Ruhepunkt gelangt, so tauchte er
aus den Tiefen auf, beteiligte sich an der Konversation, nahm
wieder etwas zu sich und wandte sich abermals der Arbeit zu. In
seinem damaligen Lieblingslokal, dem Café Herrenhof in der

-120-
Herrengasse, gab er mündlichen Kommentar zu seinen
Zeitungsartikeln über das Wiener Tagesgeschehen. Jene
gesellige Räumlichkeit erwies sich auch als das beste Milieu für
das Gedeihen seines Witzes und der damit verbundenen
Angriffslust. Dort verspottete er eines Abends in einem größeren
Kreis ein neuerlich in Wien inszeniertes und gänzlich verfehltes
Theaterstück. Als einer in der Tafelrunde ihm zuflüsterte, der
Dramatiker, von dem die Rede war, säße am Nebentisch, setzte
Roth ungeniert seine mokanten Anwürfe fort. Schließlich kehrte
sich der Geschmähte um und sagte gereizt: »Roth, vergessen Sie
nicht, ich bin einen Kopf größer als Sie.« Roth, der an
Wortgefechten dieser Art seinen Spaß hatte, parierte
schlagfertig: »Und was für einen30 !« Im Café Herrenhof lernte
Roth im Herbst 1919 das zierliche, noch nicht achtzehnjährige
Mädchen kennen, das seine Frau werden sollte.
Während er sich mit Stefan Fingal unterhielt, war Roths Blick
auf zwei Mädchen gefallen, die in nächster Nähe saßen. Jene,
die Roths Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte dichtes dunkles
Haar, das tief in die Stirn fiel. Sie wirkte anmutig mit ihrem
grazilen Schädel und feinen Gesichtszügen, großen dunklen
Augen und vollem Mund. Sie hatte etwas Scheues an sich, war
aber lebhaft, und sobald sie lächelte, sprangen zwei Grübchen in
die Mundwinkel. Roth und sein Freund sprachen die Mädchen
an, kokettierten mit ihnen und unterhielten sie mit allerlei
Scherzen. Nach einer Weile standen die beiden Mädchen auf,
verabschiedeten sich korrekt, aber nicht abweisend, und
verließen das Lokal, ohne ihre Namen verraten zu haben. Roth,
der beobachten konnte, daß die Dunkelhaarige einen schön
geformten Körper hatte und einen Kopf kleiner war als er, ging
ihr nach und hielt sie auf der Straße an. »Ich bin eine Polin«,
lautete die mit fingiert polnischem Akzent gesprochene
Antwort. Die Widerspenstige gab jedoch preis, sie heiße
Friederike und werde von allen Friedl genannt. Nach einigem
Bitten verriet sie auch ihre Adresse in der Leopoldstadt, dem

-121-
zweiten, hauptsächlich von Juden bewohnten Wiener Bezirk31 .
Als Roth dort einen Besuch abstattete, lernte er die Eltern
Friedls und ihre jüngeren Schwestern, Hedy und Erna, kennen.
Die Eltern waren galizische Juden namens Reichler, die vor der
Jahrhundertwende nach Wien gezogen waren; alle drei Töchter
waren in Wien geboren. Roth erfuhr auch, daß Friedl verlobt
war, und zwar mit Hanns Margulies, einem langen, blassen und
mageren jungen Mann, der gelegentlich für den »Neuen Tag«
schrieb. Die Verlobung löste sich durch Roths Werbung, wurde
ein zweitesmal geschlossen, als Roth 1920 nach Berlin ging,
zerschlug sich dann endgültig, als Roth und Friedl 1922
heirateten.
Friedls eine Schwester, die damals erst zwölf Jahre alte Hedy,
erzählt, daß Roth bald Abend für Abend die Reichlers aufsuchte,
in deren Wohnung er plaudernd und in guter Stimmung große
Mengen schwarzen Tees zu sich nahm. Hedy duzte den
Hausfreund, betrachtete ihn bald als den großen Bruder und
durfte sich alles von ihm wünschen. Als sie einmal voller
Begeisterung ausrief: »Du hast aber eine schöne Uhr!«, versetzte
Roth, den es stets zu Demonstrationen der Großzügigkeit reizte:
»Willst du sie? Du kannst sie haben!«, und steckte ihr die Uhr
zu. Als Hedy ein anderes Mal, als es geregnet hatte, mit nassen
Füßen nach Hause kam, führte Roth sie auf der Stelle in ein
Schuhgeschäft und kaufte ihr neue Schuhe. Noch Jahre später,
als die bereits erwachsene Hedy bei einer Wiederbegegnung
sagte: »Zeig mir die neue Zigarettendose«, überreichte sie ihr
Roth mit der impulsiven Bemerkung: »Du kannst sie behalten.
Ich kaufe immer in Hunderten32 .« Stefan Fingal berichtet, daß in
jenen Tagen ein Zauber von Friedl auf Roth ausstrahlte.
Manchmal hatte sie ein berückendes Lächeln - so sieht sie auf
einigen Aufnahmen aus, die aus dieser Zeit stammen. War sie
allein mit ihm, so konnte sie heiter, selbst ausgelassen sein, voll
weiblichen Charmes. Kam aber ein Dritter hinzu, so verstummte
sie, und im Kreise von Roths Kollegen wurde sie schweigsam,

-122-
verlegen und verriet jene Befangenheit, die sich acht Jahre
später in eine nicht mehr endende Beklemmung verwandelte.
Roths Welt war der nur mäßig Gebildeten fremd, mit
Journalisten wußte sie wenig anzufange n, obendrein wurde sie
bei Fremden leicht menschenscheu. Roths
Einfühlungsvermögen brachte sie ihm näher, vieles erfaßte sie
intuitiv, und es berührte ihn und schmeichelte ihm - in den
ersten Phasen der Freundschaft -, wie das Mädchen an ihm hing,
in ihm Kraft und Rückhalt suchte. Es war Roth seit jeher ein
Bedürfnis, den Freunden Rat und Trost zu spenden, es war auch
seine Art, die Freunde für sich einzunehmen. So spann sich ein
Verhältnis zwischen Friedl und ihm an. Er bezeigte ihr große
Aufmerksamkeit, ging auf ihre Sorgen ein, und war zu der Zeit
noch zart und verständnisvoll". Unter dem Einfluß dieser
Bindung schränkte Roth das Trinken stark ein, ohne es jemals
ganz aufzugeben. Neue Töne erklangen in jenen Monaten in
seinen Artikeln. Eine lyrische Stelle in einem Feuilleton Roths
lautet: »... ich stopfte die Sekunden voll mit dem Glück meiner
Liebe. Die Minuten mit der Überfülle meines Herzens...34 «
Roth, der eine stark eifersüchtige Natur war, nahm seine Frau in
Besitz, fürchtete sich aber unüberwindlich davor, selbst in
Besitz genommen zu werden. Die ersten Anzeichen dieser
Furcht machten sich in der Beziehung zu Friedl bemerkbar, als
sie ihn zur Heirat drängte. Roth beschwichtigte, wich aus,
vertröstete sie auf »später« und machte einen entgeisterten
Eindruck. Er hätte lieber alles in der Schwebe gelassen35 .
Von außen her griff nun das Ereignis ein, das Roth auf neue
Wege bringen sollte. Am 30. April 1920 wurde der erst seit
dreizehn Monaten erscheinende »Neue Tag« eingestellt. Das
hohe Niveau der Zeitung hatte einen Aufwand erfordert, der sie
unrentabel machte36 .
Wieder mußte Roth sich die Frage stellen: »Was nun?«
Diesmal jedoch brauchte er nichts zu befürchten, er hatte sich
als routinierter Zeitungsmann bewährt, man zahlte bereitwillig

-123-
für seine Artikel und Feuilletons. Als er von dem
bevorstehenden Eingehen der Zeitung erfuhr, übte er sich eifrig
im Französisch, sprach von seiner Begeisterung für Paris und
seiner Absicht, sich dort niederzulassen, sah jedoch davon ab,
als man ihm klarmachte, seine Zukunft als Journalist und
Schriftsteller stünde auf dem Spiel37 . Zunächst hielt Roth in
Wien nach einer neuen Stellung Ausschau, mußte aber bald, im
Einklang mit einem Wort von Alfred Polgar, feststellen, daß die
Stadt »ausgedörrt war von alles versandender ökonomischer
Not«38 . Roth entschloß sich zu einer Lösung, die viele Wiener
und österreichische Künstler vor und nach ihm wählen sollten:
nach Berlin zu gehen. Er verabschiedete sich von Friedl mit dem
Versprechen auf ein Wiedersehen und fuhr mit Stefan Fingal am
1. Juni 1920 nach Berlin39 , das ihm ganz neue Möglichkeiten
erschließen sollte. Die Beziehung zu Friedl war auf einmal
weniger drückend geworden, an ihm lag es jetzt, zu disponieren,
wie er wollte. Später erklärte er, einer der Gründe, die ihn
bewegen hätten, nach Berlin zu gehen, seien Verwicklungen
durch die Liebe zu einer verheirateten Frau gewesen40 .
Moritz Scheyer, einem Redakteur des »Neuen Wiener
Tagblatts«, dem Roth von Zeit zu Zeit ein Feuilleton lieferte,
blieb ein in seiner Zeitung gedruckter Satz von Roth im
Gedächtnis haften, der einen anderen Beweggrund für die
Abreise vermuten läßt: »Wenn man einen großen Schmerz hat,
ist es gut, seinen Aufenthaltsort zu wechseln41 .« Mit dieser
Sentenz hatte Roth die Devise für sein ganzes Leben
aufgezeichnet. Noch sehr oft sollte er sich nach ihr richten.

-124-
9
Aufbau und Abbau einer Karriere Berlin
1920-1922

»Ich gehe im Sommer nach Berlin, denn im Sommer kann


man auf einer Parkbank übernachten und sich mit einer Tüte
Kirschen satt essen1 .« Dies teilte Roth seinem Leipziger Vetter
Fritz Grübel im Frühsommer 1920 mit, bei dem er auf der Reise
nach Berlin einige Tage verbrachte. Pure Koketterie war das
nicht. Er war mit wenig Geld von Wien abgereist - dies weiß der
Vetter zu berichten - und litt zudem an einem
Lungenspitzenkatarrh.
Je nach Stimmung, Laune und Einfall variierte Roth die
Begründung für seine Umsiedlung nach Berlin. Fünfzehn Jahre
später erklärte er dem französischen Kritiker Frédéric Lefèvre in
Paris: »L'inflation in'a chassé de Vienne, on n'y pouvait plus
vivre. Je suis parti pour où il y avait quelque chose à gagner2 .«
Phantasie und Teilwahrheiten halten sich die Waage in einer
anderen »Erläuterung«: »Ich übersiedelte nach Berlin - die
Liebe zu einer verheirateten Frau, die Furcht, meine Freiheit zu
verlieren, die mir mehr wert war als mein dubioses Herz, zwang
mich dazu3 .« Düsterer, aber auch gefühlsbetonter klingt seine
von Unmut diktierte Behauptung, kein Ostjude gehe freiwillig
nach Berlin4 . Die erste Erfahrung, die Roth mit Berliner
Behörden machte, schien diesen erst nachträglich schriftlich
fixierten Groll zu bestätigen. Man verweigerte ihm nämlich die
Aufenthaltsbewilligung, die Stefan Fingal, seinem auf dem
Balkan geborenen Reisepartner, binnen 48 Stunden ausgestellt
wurde. Verdutzt flüsterte Roth seinem Freund zu: »Mit den
Papieren stimmt es nicht 5 .« Diese Erfahrung liegt jener Stelle
über den nicht in Ordnung zu bringenden Dokumentenwust der
Ostjuden in seinem später entstandenen Essay Juden auf
Wanderschaft mit zugrunde6 .

-125-
* Seit seiner Auswanderung nach Amerika führt dieser den
Namen »Fred Grübel«. In den Anmerkungen wird er
durchgehend mit diesem Namen zitiert.
Nach erneutem Gesuch erhielt Roth endlich den notwendigen
Stempel der Berliner Behörde, so daß er sich in der Stadt
niederlassen durfte, die von 1920 bis 1925, mit längeren
Unterbrechungen, zur Stätte seines Schaffens wurde. Fürs erste
jedoch machte sogar das Finden einer geeigneten Unterkunft
Schwierigkeiten.
In einem Berliner Notizbuch7 steht die Annonce, die Roth
bald während seiner Quartiersuche aufsetzte, ehe er sie in die
Zeitung setzen ließ: »Jüngerer Schriftsteller, Schriftleiter an
einem Berliner Blatt, ist, der Gegenwart entsprechend, nicht in
der Lage, die abnorm hohen Preise zu bezahlen, die für Zimmer
mit Niveau ve rlangt werden. Er sucht also unterzukommen, wo
Vermieter drohenden Zwangseinquartierungsgästen einen
Menschen vorziehen, der durch gesellschaftliche Werte
eventuelle Gegenleistung [?] bringt. Der Suchende zahlt das
Erforderliche pünktlich und bietet Gewähr für tadellose
Umgangsformen, Ordnung und Geist. Zuschriften erbeten an die
Geschäftsstelle.«
An allen Stationen seines Lebens fand der sensible Roth eine
Fülle von Widerwärtigkeiten, Elend und Unmenschlichkeit, die
ihm höchst zuwider waren. Das Berlin der frühen zwanziger
Jahre mit seiner Hungersnot, Arbeitslosigkeit und politischen, in
Schlägereien ausartenden Demonstrationen forderte in ihm die
Stellungnahme des Moralisten heraus. Im Gegensatz zu Wien
war Berlin keine organisch gewachsene und im Laufe vo n
Jahrhunderten historisch geprägte Stadt. Es war die Moloch-
Großstadt, wie sie von Georg Heym und den Expressionisten
besungen wurde. Eine Stadt, die ihre Riesenarme immer weiter
ausbreitete, dafür aber, im Gegensatz zu Wien, für das Neue und
Experimentelle aufgeschlossen war. »... diese Stadt,« fand Roth,
-126-
»[ist ein] penibles Konglomerat von Plätzen, Straßen,
Mietskasernenwürfeln, Kirchen und Palästen. Eine ordentliche
Verworrenheit; eine planmäßig exakte Willkür; eine
Ziellosigkeit von zweckhaft scheinendem Aspekt. Noch nie
ward so viel Ordnung auf Unordnung verwandt...«8 Roth lebte
in einem ständigen Spannungsverhältnis zu dieser Stadt,
schwankend zwischen schwarzen Depressionen und hymnischer
Begeisterung. Er wäre für Berlin nie auf die Barrikaden
gegangen, aber die wirtschaftlichen, politischen und geistigen
Schwankungen der deutschen Hauptstadt wurden auch ihm zum
Erlebnis. In Berlin sah er sich genötigt, ein rüdes
Tagesgeschehen, mit dem er sich weht ohne weiteres
identifizieren konnte, in sich aufzunehmen. Aber wenn auch
noch in bescheidenem Maße, waren die ersten Berliner Jahre für
Roth Erfolgsjahre - er machte Karriere. Zwanzig
Tageszeitungen gab es im Berlin der »goldenen Zwanziger
Jahre«, es herrschte die Blütezeit des Expressionismus, im
Theater wurde Ergreifendes und Großartiges geleistet,
waghalsige Verleger ließen auch Unbekannte zu Wort kommen;
mehr als 20 000 neue Titel wurden durchschnittlich in einem
Jahr herausgebracht. In Berlin und nicht in Wien befand sich
nunmehr der deutschsprachige Mittelpunkt der schöpferischen
Leistung der Künste und des wachsamen Geisteslebens.
Aber zur gleichen Zeit gab es in den goldenen Zwanziger
Jahren auch sehr viel, was nicht glänzte. Der große verlorene
Krieg lag erst ein paar Jahre zurück und warf durch seine
Nachwirkungen drohende Schatten. Die Geburt der Weimarer
Republik wurde von den Unheils-Prophezeiungen des
Untergang des Abendlandes begleitet. Deutschland, das ein
halbes Jahrhundert zuvor im Übermut der Gründerjahre
schwelgte, fühlte sich gedemütigt, der Gedanke an die Zukunft
flößte Mißtrauen ein. In der Wirtschaft herrschte Chaos, große
Vermögen wurden durch Inflation und Deflation
weggeschwemmt, rechtsnationale Elemente griffen immer mehr

-127-
zur Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Kurz vor Roths Ankunft,
im März 1920, hatte der antirepublikanische Kapp-Putsch
stattgefunden, zwei Jahre später sollte sich Roth genötigt sehen,
sich publizistisch zum Rathenau-Mord zu äußern. Die Künstler
des Expressionismus wiegten sich in Sicherheit in dem Glauben,
durch die Mittel des politischen Theaters könne man den Übeln
Abhilfe schaffen, aber ihre zündenden Parolen wurden von den
Umständen und dem Geschrei des Ungeistes übertönt.
In den Heften der »Freien Deutschen Bühne« tauchte Roths
Name zum erstenmal nach seiner Übersiedlung nach Berlin auf.
Am 4. Juli 1920 war die erste der kurzen Serie seiner
sarkastischschneidenden Filmrezensionen erschienen. »Die
Neue Berliner Zeitung«* war die erste Berliner Tageszeitung,
die Roth eine Gelegenheitsbeschäftigung verschaffte. Ihr lieferte
er als Reporter ohne fixe Anstellung seine Beiträge 9 . Es handelte
sich hierbei um ein Boulevard-Blatt, das 1919, am Tage der
Erschießung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, ge
* Ab 9.3.1921 hieß die Zeitung »Das 12 Uhr Blatt«. gründet
worden war und der »BZ am Mittag« Konkurrenz machte. Diese
dürre Übergangszeit war es, die Roth zu dem ironischen Einfall
reizte, zu Beginn seines Berliner Aufenthaltes sei er der einzige
Zeitungsredakteur gewesen, der nach Drucklegung der Zeitung
diese höchstselbst auf der Straße feilbot10 .
Täglich führten die Wege des nach Beschäftigung suchenden
jungen Journalisten von der Jerusalemkirche südlich vom
Dönhoffplatz durch das alte Zeitungsviertel und hinüber zur
Lindenstraße. Rasch hintereinander gelang es ihm, als freier
Mitarbeiter an einer Reihe von Zeitungen aufgenommen zu
werden. Arnold Höllriegel, den er als Mitarbeiter des »Neuen
Tages« in Wien kennengelernt hatte, brachte ihn zum
bürgerlichliberalen und fortschrittlichen »Berliner Tageblatt«,
wo er selbst für das Feuilleton arbeitete. Chefredakteur Theodor
Wolff suchte gerade einen begabten Reporter, und Roth wurde
für die Beilage für Vermischtes engagiert. An derselben

-128-
Zeitung, die sich mit einiger Berechtigung den Slogan »das
deutsche Weltblatt« zugelegt hatte, schwang Alfred Kerr als
ungekrönter König unter den Theaterkritikern das Zepter. Als
Roth eines Tages dem Feuilleton-Redakteur Erich Vogeler
etwas für das Feuilleton anbot, fand der Beitrag Gefallen und
wurde gedruckt.
Der »Vorwärts«, bei dem er ebenfa lls als Mitarbeiter
aufgenommen worden war, vertrat als sozialistisches Blatt jene
linksgerichtete Politik, von der sich Roth zu dieser Zeit
angesprochen fühlte. Links war damals schließlich jeder, der
sich gegen Krieg und Nationalismus und zum Arbeiterstand
bekannte.
Durch die mit mehreren Zeitungen angeknüpften Kontakte
konnte Roth sicher sein, für seine journalistischen Arbeiten
Abnehmer zu finden, aber andererseits verzettelte er sich
dadurch. Zur Konzentration seiner Kräfte kam es erst, als der
»Berliner Börsen-Courier« ihm 1921 zur hauptsächlichen
Arbeitsstätte wurde. Jahrzehntelang setzte diese führende
Börsen- und Wirtschaftszeitung ihre Ehre darein, die
ausführlichsten Theaternachrichten zu bringen. Diese
ungewöhnliche Kombination, die den »Courier« zu einer
Zeitung machte, die nur in der »Vossischen Zeitung« des
Ullstein- Verlags eine Konkurrenz gleichen Ranges hatte, war
das Verdienst des Chefredakteurs Dr. Emil Faktor. Dieser
Prager Jude galt als der einzige Chefredakteur einer Zeit, der
Theater- und Feuilletonredakteur in einer Person war. Unter und
in seiner Redaktion in der Beuthstraße begannen viele
Journalisten, die später von sich reden machten, verheißungsvoll
ihre Laufbahn: Joseph Roth, Leo Lania, Stefan Lorant, Felix
Lorant, Felix Joachimson, Friedrich Walter und Eugen
Szatmari11 . Herbert Ihering, der Mann, der das »verbindliche
Theater« forderte, ebenfalls von Faktor entdeckt, stand diesem
als Theaterkritiker zur Seite. Oskar Loerke, der seitdem als
Lyriker in die jüngere Literaturgeschichte eingegangen ist,

-129-
brachte literarische Beiträge, während Leo Greiner als
Buchrezensent fungierte12 .
Bei dieser Berliner Zeitung, deren Team aus lauter Nicht-
Berlinern bestand, kam Roth zunächst in die Lokalredaktion, wo
er Gerichts- und soziale Reportagen lieferte13 . Bereits vom
Februar 1921 an stand sein Name unter seinen Beiträgen im
Feuilleton, und bald danach erschienen sie in unregelmäßigen
Abständen, aber meistens am Sonntag, bis zu seinem Austritt
aus der Zeitung im September 1922, und dann noch gelegentlich
bis zum 15. 4. 1923.
Roths Feuilletons - er sagt es selbst in einem mustergültigen
kleinen Essay, das den Titel »Feuilleton« trägt - sind
»wunderbare, bunte Seifenblasen... wahre Regenbogenblasen« 14 .
Ihr gemeinsamer Nenner ist die mühelose Leichtigkeit, bei der
Beobachtung sich mit Phantasie und Nachdenklichkeit paart. In
fast allen ist es ein einsamer Wanderer, ein Fremder, der sieht
und hört und sich das Seine denkt: »Das ist gewiß: daß ich ein
Einsamer bin in dieser fremden Stadt und daß mich des
Morgens, wenn ich durch die Straße gehe, ein Schauder der
Heimatlosigkeit überfällt inmitten so vieler Heimatlichkeit15 .«
Die Einsamkeit dieses Fremden findet an sich selbst Gefallen:
über den Alltagsmenschen wird bemerkt: »Er wußte nicht, daß
auch die Seligkeit... am mächtigsten genossen wird, wenn man
einsam bleibt...16 « Die ungewöhnliche Sehweise bringt das
Vermögen mit sich, mitten in der Dumpfheit des Alltags
Wunder zu vernehmen. »Wunder« ist der Titel eines Feuilletons,
in dem der Autor verkündet: »Ich kann ausgezeichnete
Phantasien erleben und wundere mich nicht17 .«
Das Feuilleton entsprach dem humanen Empfinden Joseph
Roths, das sich darin äußerte, daß er alles Geschehen ins
Menschliche umsetzte. Dabei diente ihm stets das private Leben
zum Maßstab, die kleine Existenz: »Jedes Ereignis von
Weltgeschichtsqualität muß ich auf das Persönliche reduzieren,
um seine Größe zu fühlen und seine Wirkung abzuschätzen18 .«

-130-
»Das Diminutiv der Teile ist eindrucksvoller, als die
Monumentalität des Ganzen19 «, stellt er fest und erinnert
damit an die Weitordnung der österreichischen
Biedermeierdichtung. Mit wachsamem Auge will Roth alles
erfassen, er verzichtet aber darauf, in die Menschen, auch die
großen, einzudringen und das rein Private bloßzulegen.
Es ist eine heiterbeschwingte Welt, die er zeichnet, aber
zugleich eine verkehrte. Nach Roths Auffassung fühlt sich der
Mensch mit Hilfe der Technik Meister der Dinge, aber immer
gibt es etwas Hintergründiges, das sich nicht nach
Menschenregeln richtet und alle Menschenpläne zunichte
macht: »Außerhalb deines Lebens werden Gesetze erdacht und
ausgeführt20 .« In diesem Satz ist der Kerngedanke all seiner
noch nicht geschriebenen Romane vorgezeichnet. Die Fäden des
Schicksals bleiben dem Menschen verborgen, Ungewißheit ist
sein Los und die Gefahr lauert dort, wo man sie am wenigsten
erwartet. In seinen inneren Regungen labil und inkonsequent,
der Welt gegenüber machtlos, die Langeweile der Welt nicht
ertragend, flüchtet der Mensch ins Sinnlose. Das Paradoxon
dient Roth als das geeigneteste Sprachmittel, diese Haltung
auszudrücken: »Entsetzt über die Aussichtslosigkeit, irgend
etwas ›tun‹ zu können, stürzte er sich kopfüber in rastlose
Tätigkeit21 .«
Auch seine Auffassung von der Aufgabe und Rolle des
Schriftstellers kommt zu Wort. Sie ist weit entfernt vom
Standpunkt des zur Zeit herrschenden Expressionismus: »Der
Schöpferische steht also fern der Gegenwart, fern seiner
Umwelt, fern seinem Volk; er steht abseits in säkularer
Entfernung. Er ist seinem Volk nicht Bedürfnis, wie tägliches
Brot. Er ist Wegweiser an einer Straße, die zu betreten verboten
und unmöglich ist. Es ist schwer, sich etwas scheinbar
Überflüssiges vorzustellen: ein Wegweiser der vergebens nach
Wanderern späht22 .« Der Schriftsteller bleibt dennoch ein
Auserwählter, der aber auf das Außerordentliche seiner Stellung

-131-
zu verzichten hat: »Man ist nicht auserwählt, um lediglich für
Auserwählte zu schaffen. Der Künstler muß sich einfügen in die
Gesamtheit. Die Gesamtheit muß sich dem Künstler
erschließen23 .«
Die vage Beziehung Roths zum Sozialismus war nur wenig
von den ideologischen Grundsätzen dieser Bewegung geprägt.
Vielmehr war sie ihm gefühlsmäßig der Bund der
Menschlichkeit, mit dem man sich solidarisch fühlen konnte. In
einer lieblosen Welt, in der der Kapitalismus mit Egoismus und
Ausbeutung identifiziert wurde, suggerierte der Sozialismus ein
Korrektiv. Dabei schwebte Roth der Wunsch nach Geborgenheit
auf Erden vor, an die er allerdings nicht glauben konnte. Im
Grunde war ihm der »Fortschritt« suspekt, ganz gleich ob er sich
in amerikanischer oder russischer Form offenbarte. Amerika war
ihm der »Repräsentant des grobkarierten Fortschritts, der
Grammophonkultur und des Wolkenkratzens (sie)24 .« Für das
Rußland der »herrschenden Bolschewisten« mit dem
»polizeilichen Knutenhieb« kann er ebensowenig Bewunderung
aufbringen. Die Zitate entstammen einem »Humanität«
betitelten Feuilleton - ein Begriff, den er oft anwandte. Schon zu
dieser Zeit war sein Blick rückwärts gewandt, im neunzehnten
Jahrhundert sah er sein Ideal: »Die Gemeinheit, der die
Humanität zum Opfer in Europa fiel, nennen wir ›Ordnung‹.
Auch vor hundert Jahren logen die Vertreter der Gemeinheit,
daß sie Ordnung verträten. Aber die gemein Behandelten logen
nicht mit. Scharf war die Trennung zwischen Bestie und
Mensch. Diesen schützte Humanität vor jenem25 .«
Roths Erörterungen über die Bestialität folgten die
Tagesereignisse wie eine Probe aufs Exempel. Im August 1921
war der republikanisch gesinnte und führende Vertreter der
Zentrumspartei, Matthias Erzberger, wegen seiner Unterstützung
der sogenannten »Erfüllungspolitik«* einem Attentat zweier
Nationalisten zum Opfer gefallen. Und im Juni 1922 wurde
Walther Rathenau, der von nationalistischantisemitischen

-132-
Gruppen befehdete Reichsaußenminister, ermordet. Mit diesen
Ereignissen wurde Roth vorexerziert, was er ein Dutzend Jahre
später in der Emigration viel intensiver und persönlicher
erfahren sollte. Vorläufig konnte er sich noch in der
Privatsphäre von der Tagespolitik unbetroffen fühlen. Hinzu
kam, daß er nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten
Leben besseren Zeiten entgegenzugehen schien. Innerhalb eines
Jahres verlor er zwar seine Mutter durch den Tod, aber er
gewann eine Braut. Einige Monate nach Roths Ankunft in
Berlin war Friedl ihm nachge
* Es war dies ein herabsetzendes Schlagwort der Feinde der
Weimarer Republik für die Bemühungen der deutschen
Regierung Wirth-Rathenau im Jahre 1921, die auf der Londoner
Konferenz geforderten Reparationsleistungen so gut wie
möglich zu erfüllen. Sie wollten damit die Unerfüllbarkeit der
Forderungen andeuten und bessere Bedingungen erreichen. reist
und kehrte nach kurzem Aufenthalt wieder nach Wien zurück26 .
Zu der Zeit schrieb Roth nach langem Schweigen an seine
Mutter und sprach von Heiratsplänen. Ein Mitschüler aus Brody,
der nunmehr in Wien lebte, berichtet, 1920 oder 1921 habe er
Roth flüchtig auf der Straße in Wien gesehen. Dabei habe ihm
Roth mit etwas bedrückter Miene erzählt, seine Mutter habe sich
gegen die Heirat mit Friedl ausgesprochen, die er soeben
besuchen wollte. Über die Beweggründe seiner Mutter äußerte
sich Roth nicht.
Die Nachricht von der Erkrankung der Mutter erhielt Roth aus
Lemberg, wo sie sich im Spital einer Gebärmutterkrebs-
Operation unterziehen mußte. Roth war nach der Operation in
Lemberg eingetroffen und konnte die letzten Stunden der
sterbenden Mutter miterleben. Die Schmerzen der Mutter seien
unerträglich gewesen und der Tod ein Erlöser, erzählte er später
seinem Freund Józef Wittlin in Worten, die sich auf einen
xbeliebigen Todesfall hätten beziehen können. Stefan Fingal
teilte er noch mit, man habe nach der Operation die Gebärmutter

-133-
der Verstorbenen aufbewahrt, und auf Roths Bitten sei es ihm
gestattet worden, diese im Spitallaboratorium in Augenschein zu
nehmen. Was er wirklich über das Ende seiner Mutter empfand
und was er sich dabei dachte, äußerte er nicht in Wort oder
Schrift, er fraß es nur in sich hinein. Jene Furcht, die die Mutter
ihm als Kind eingeflößt hatte, war längst gewichen, er sah ein,
nachdem er älter geworden war, daß die Strenge, die sie zur
Schau trug, zum Teil ihrer Unsicherheit entsprang. Diese Frau,
die ihre Tage ohne geistige Interessen verbrachte, die sich in
Wien fremd gefühlt hatte und nur mit den nächsten Verwandten
verkehrte, war selber hilfsbedürftig und einsam. Doch waren die
unterschwelligen Ressentiments dem Sohn geblieben, »dem
ewigen grausamen Gesetz der Natur« gemäß - dies ist ein Wort
Roths -, das Söhne und Mütter zwingt, einander »fremd und
fremder« zu werden. Selbst das kurze Beisammensein mit der
Mutter brachte Reibereien mit sich. Die Mutter war stolz auf
diesen ungewöhnlichen Sohn, der seinen Weg in die Welt
machte, aber sie hatte ihn nie verstanden; nah verwandt, waren
sie einander fremd. Er lernte sie nicht lieben, und sein
Einfühlungsvermögen, das die Seelen Fremder zu durchleuchten
vermochte, versagte bei der eigenen Mutter. Sie hatten nie
zueinandergefunden. Die Verbindung mit Friedl unterhielt Roth
einstweilen durch Korrespondenz und Reisen nach Wien. Mehr
als anderthalb Jahre war das so weitergegangen. Dann kam von
ihr der Brief, der zur Entscheidung drängte. Sie sei mit dem
Journalisten Hanns Margulies verlobt, die Eltern hätten es so
arrangiert. »Ich kann Dich nicht vergessen, aber ich muß
heiraten27 .« In aller Eile packte Roth seine Sachen und fuhr nach
Österreich. Arn 2. März 1922 traf er in Wien ein und nahm
Quartier in der Taborstraße bei den Eltern seiner Braut28 . Drei
Tage später, am 5. März, fand im Pazmanitentempel, in der
Straße gleichen Namens, die Trauung statt. Vollzogen wurde sie
vom Rabbiner Dr. Funk nach orthodoxem Ritus und in
Gegenwart zweier Zeugen - Roths Onkel Heinrich Grübel und

-134-
Friedls Vater Siegmund [Selig] Reichler29 . Ansonsten war von
den Angehörigen des Bräutigams nur der Vetter Michael
Grübel"" zugegen. Die übrigen Hochzeitsgäste waren
Verwandte und Freunde der Braut 30 . Längere Zeit blieb Roth
dann von Berlin fort. Zuerst fuhr er mit Friedl nach Lemberg,
um seine Braut bei den Grübels einzuführen und sie der Frau
Szajnocha vorzustellen, dann führte der Weg abermals nach
Wien. Seine Beiträge für den »Berliner Börsen-Courier« aus
dieser Zeit wurden mit der Post geschickt; einer, vom 19. Juni
1921, trägt die Überschrift »Reise nach Kultur-Wien«. Ein Brief
von Roth vom 28. August 1922 an seine Kusine Paula Grübel in
Lemberg gibt Aufschluß über die Geistesverfassung seines
Urhebers. Der Ton des Briefes ist voller Zuversicht und
Unternehmungslust, Roths Bewußtsein ist nach außen gerichtet,
das Ergehen von Friedl und Paula beschäftigt ihn. Im eigenen
Innern scheint alles sich zum besten zu fügen: »Ich hätte nie
geglaubt, daß ich ein kleines Mädchen so dauerhaft lieb haben
könnte. Ich liebe ihre Scheu vor Geständnissen und ihr Gefühl,
das Furcht und Liebe ist und das Herz, das immer dasjenige
fürchtet, was es liebt31 .«
Nachdem er den Sprung in die Ehe gewagt hat, vor dem er so
lange zögerte, rät Roth seiner Kusine Paula, ihren Freier nicht
abzuweisen, weil die »gemeinsamen geistigen Interessen« nicht
vorhanden zu sein scheinen. »Jeder produktive, auch einseitige
Mann ist wertvoll und liebenswert. Ich bitte dich, Dein Herz
weiter zu öffnen, als Du es tust und voll zu leben32 .«
Nach der Rückkehr nach Berlin zogen Roth und seine Frau
zunächst zu Alfred Beierle /einem Berliner Schauspieler,/ in die
Mommsenstraße33 und kurz darauf in eine eigene Wohnung in
Schöneberg. Von dieser Wohnung, der einzigen, in der das
Ehepaar jemals hausen sollte, * /Nach seiner Emigration nach
Mexiko nennt er sich Miguel Grübel/

12}
-135-
schrieb Roths späterer Verleger Gustav Kiepenheuer: »Für
kurze Zeit hatte er einmal eine Wohnung gemietet, und ich sah
ihn in dem düstern, riesigen Berliner Zimmer, die Hände in den
Manteltaschen, wie in einem Wartesaal auf- und abgehen, als
lauere er auf das Abfahrtszeichen seines Zuges34 .«
Bruno Frei, ein linksradikaler Journalist aus Wien, wohnte mit
seiner Frau in unmittelbarer Nähe der Roths, und die zwei
Ehepaare kamen in der ersten Zeit fast täglich zusammen. Die
Treffpunkte waren der Akademie-Ball, das Theater oder die
Wohnung des einen oder des anderen Ehepaares. Von Roths
Frau erinnert sich Frei: »Sie war eine der schönsten Frauen, die
ich je gekannt habe. Roth liebte sie sehr 35 .« Ohne daß Roth seine
Frau gesellschaftlich herausstellte - das hätte seine keimende
Eifersucht ihm nicht erlaubt -, zeigte er sich in der ersten Zeit
fast immer mit ihr. Friedl gab sich bereitwillig, und wenn es
Roth an Zeit gebrach, war sie es, die seine Manuskripte in die
Redaktion des »Berliner Börsen-Couriers« trug und seine
Honorare kassierte. Als Roth bald wieder zu seinen gewohnten
Arbeitsstätten an Kaffeehaustischen zurückkehrte, holte sie ihn
nach vollbrachtem Arbeitstag in dem betreffenden Lokal ab36 .
Auch die Entbehrungen, die ihr auferlegt wurden, nahm sie
stillschweigend hin. Sie sollten sich eine Zeitlang häufen... Im
September 1922 spitzten sich eine Reihe von Differenzen
zwischen Roth und dem Chefredakteur des »Berliner Börsen-
Couriers« zu. Roth hatte Dr. Emil Faktor viel zu verdanken, zur
gleichen Zeit aber ging der Chefredakteur - den die Mitarbeiter
»einen zopfigen Mann« und den »Erfinder der künstlichen
Langeweile« nannten37 - dem sensiblen Untergeordneten auf die
Nerven. Eine Reihe von kleinen Mißverständnissen zwischen
den beiden wogen bei Roth bald mehr als das Positive der
gegenseitigen Beziehung. Roth fühlte sich nicht genügend
beachtet, eine gelegentliche Geste oder eine unbedachte
Äußerung von seiten des Chefredakteurs führten dazu, daß Roth
sich in seiner Würde angetastet fühlte. Hinzu kam, daß er ein

-136-
höheres Gehalt forderte, wobei er gleichzeitig andeutete, er
fühle sich in seinen Meinungsäußerungen behindert. Ein Teil
seiner Forderungen wurde ihm erfüllt, wobei ihm Vorhaltungen
über die mangelnde Kollegialität in seiner Einstellung zum
»Berliner Börsen-Courier« gemacht wurden38 . 'In einem Brief
vom 17. September 1922 erklärt Roth schließlich, er habe sich
entschlossen zu kündigen, um nicht »täglich meinen
Sozialismus zu verleugnen39 .«/
Der jungen Ehegattin muß der Schritt unbesonnen erschienen
sein. Roths Empfindlichkeit, die sich aus Erinnerungen an
verjährte Ungerechtigkeiten anderer speiste, wog bei ihm
anscheinend schwerer als der berufliche Ehrgeiz, und so kam es
zu dem radikalen Bruch mit seinem Brotgeber. Unversehens saß
man auf dem Trockenen. Aber so einfach war das Motiv seines
Handels nicht - der Affekt, der ihn zu seinem Entschluß drängte,
schloß Berechnung nicht aus. In Berlin herrschte die Inflation,
so daß die Anerkennung, die er sich dort erarbeitet hatte, ihm
und seiner Frau keinen sicheren Lebensunterhalt mehr
verschaffen konnte. In Österreich hingege n hatte sich die
Währung früher stabilisiert. Viele in Deutschland tätige
Österreicher kehrten nun nach Wien zurück, um die prekäre Zeit
zu überleben. Wer als Journalist oder Schriftsteller vom Verkauf
seiner Arbeit abhängig war, gab sich nunmehr mit dem Schilling
zufrieden. Auch Roth hatte vor, in Wien zu überwintern, zudem
führte er aber noch anderes im Schilde. In seinem Berliner
Notizbuch finden sich Pläne für ein Theaterstück - zum Milieu
hochadeliger Kreise in Dresden bildet die hereinplatzende
Revolution den Hintergrund - das jedoch nicht über den Aufriß
hinausgelangte. Dasselbe Notizbuch enthält ein Romanfragment
von mehr als fünfzig Seiten, in dem eine unübersichtliche Reihe
von Heiraten stattfindet, aber abgesehen von ein paar prägnanten
Personenschilderungen bleibt der Versuch bedeutungslos und
ohne erkennbaren Aufbau.
Bereits seit einiger Zeit hatte sich Roth mit dem Gedanken

-137-
getragen, sich an einem Roman zu versuchen. Seine
journalistische Tagesarbeit würde er an Wiener Redaktionen
fortsetzen, aber sobald er sich durch seine Tageseinkommen
gesichert wußte, wollte er den Roman, der ihm im Kopf
herumspukte, in Angriff nehmen.

-138-
10
Unterwegs in Wien, Prag und Deutschland
Die Geburt eines Romanciers
1923

Im Sommer 1920 hatte Roth auf der Suche nach einem


Lebensunterhalt Wien mit Berlin vertauscht. Aus ähnlichen
Gründen war er danach zusammen mit seiner Frau zu seinem
Ausgangspunkt zurückgekehrt. Wien sollte ihm nun für ein
halbes Jahr zu einer von mehreren Stationen im Dienste seiner
journalistischen Tä tigkeit werden. Beim erneuten Aufenthalt in
Wien bot ihm die Stadt andere Lebensmöglichkeiten als
viereinhalb Jahre zuvor, als er zu Beginn seiner journalistischen
Karriere bestrebt war, dort als relativ Unbekannter Fuß zu
fassen. Diesmal knüpften sich die Beziehungen zu seinen
Berufskollegen reibungslos an; vom 18. Juni an konnte man
seine Feuilletons öfters in der »Wiener Sonn- und
Montagszeitung«, im »Neuen 8-Uhr-Blatt« und gelegentlich in
»Der Tag« lesen. Aus ihnen geht hervor, daß Roths Einstellung
zu Wien sich geändert hatte. Die Stadt schien ihm nunmehr
abseits vom Weltgeschehen zu stehen und war für ihn selbst
eine Zwischenstation auf dem Weg zu Wichtigerem. Im
Gegensatz zu der langen Reihe von hauptsächlich
brisantpolitisch ausgerichteten Reportagen über Deutschland,
die er sehr bald für das »Prager Tagblatt« schreiben sollte, lagen
seinen Wiener Feuilletons meist skurrile Einfalle und belanglose
Geschehnisse zugrunde. Nachmittags, zwischen 2 und 4,
verwandelte sich das Café Rebhuhn in der Goldschmiedgasse,
einer Seitengasse des Stephansplatzes, aus einem bürgerlichen
Lokal in ein Journalistenkaffeehaus. Um diese Zeit und in jenem
Café saß Roth fast täglich an einem Ecktisch, wo er den Betrieb
überblicken und seine Aufträge entgegennehmen konnte. Don
schrieb er meist innerhalb weniger Stunden die ihm

-139-
übertragenen Arbeiten zu Ende, während er sich zwischendurch
gewohnheitsgemäß scherzend über seine vorletzte
schriftstellerische Leistung ausließ.
Die Bewunderung der Kollegen für die Geschmeidigkeit
seiner
Schreibweise nahm Roth gelassen hin. Er durchlebte eine
leidlich unbekümmerte Zeit, das Lachen fiel ihm nicht schwer,
die spätere Neigung zu Pose und Haltung war ihm noch nicht
anzumerken. Roth schien den Freunden offen und aufgeräumt zu
sein, sie sahen ein wenig einen Bohémien in ihm, der das
Verlangen verspürte, hinter die Dinge zu schauen. An seiner
Seite im Café Rebhuhn war in jenen Tagen mit absoluter
Regelmäßigkeit Roths dreiundzwanzigjährige Frau Fried! zu
sehen, die gut gelaunt war, solange ihr Mann sich vergnügt
zeigte.
Mit dem Eindruck der Gelassenheit Roths paarte sich der des
unauffälligen Ehrgeizes, von dem seine Frau, da sie sich mit ihm
identifizierte, genauso erfüllt war wie er selbst. /Oskar Maurus/
Fontana, der damals selber seinen ersten Roman, eine
Novellensammlung und mehrere Dramen veröffentlicht hatte,
beruft sich auf ein Schriftstellergespräch mit Roth nach einer
zufälligen Begegnung im Wiener Stadtpark. Roth, der mit seiner
Frau eben im Begriff war, ein paar heiße Maiskolben zu
verzehren, winkte dem gerade vorbeispazierenden Fontana zu,
und als dieser sich neben dem Ehepaar niederließ, begrüßte ihn
Friedl mit einem schelmischen Lächeln und den Worten: »Sie
sehen, wir leben von Kukuruz.« In dem sich daran
anknüpfenden Gespräch unterrichteten sich die zwei Freunde
gegenseitig über ihre literarischen Zukunftspläne. Als Fontana
schließlich aufstand, um seinen Weg fortzusetzen, versicherte
Roth leicht orakelnd, sie würden beide den ersehnten Aufstieg
erleben und das erreichen, was sie sich durch ihre Kunst
erhofften, ohne sich jedoch durch die Anerkennung beeinflussen
zu lassen1 .

-140-
Roths geistige und gefühlsmäßige Ansprechbarkeit brachte
bei ihm je nach Umgebung und Menschenkreis verschiedene
seelische Schichten zum Vorschein. Der Roth, der seinen
Bekannten abends im Literatencafe Herrenhof seine Aufwartung
machte, gebärdete sich anders als der Tagesschriftsteller im Café
Rebhuhn. Dort fiel an ihm nicht die journalistische Leichtigkeit
auf, sondern das Bestreben, seine Zeit zu begreifen, eine
Grundhaltung, die in jener Atmosphäre leicht auf Zustimmung
rechnen konnte. Um die logenartigen Tische des Café Herrenhof
versammelten sich die einzelnen Gruppen. Franz Werfel,
Hermann Broch und Anton Kuh gehörten zu den Stammgästen
des Lokals. Milena Jesenska, Kafkas Freundin, unterhielt sich
mit Bekannten aus dem Prager Kreis. Karl Tschuppik,
Chefredakteur der »Stunde«, konferierte mit Kollegen aus
seinem Zeitungsstab. Die Schar um Alfred Adler machte den
Ort zu ihrem Treffpunkt, und die Jünger Freuds trafen dort
regelmäßig zusammen.
Auch hier machte sich das Vielschichtige und Abwägende an
Roth bemerkbar. In den Auseinandersetzungen über die
dahingegangene österreichische Monarchie vertrat er die
Meinung, die Vergangenheit biete keine
Fortsetzungsmöglichkeiten, man müsse völlig neu beginnen. In
seinem Kreise kannte man Roth als den aufrichtigen
Antikonservativen mit Neigungen nach links. Er rang /aber/ mit
der geistigen Bewältigung der alten Monarchie und schwankte
zwischen Widerwillen und Bewunderung, wobei die
anerzogenen Sympathien der frühesten Jugend mit den
ernüchternden Erfahrungen späterer Jahre im Widerspruch
standen. Kaiser Franz Joseph erschien ihm gespenstisch, er hatte
sich selbst überlebt. Aber die Welt, die er vertrat, besaß in Roths
Augen große humane Werte. Auch dabei blieb es nicht. Roth
wehrte sich, wollte sich nicht fortreißen lassen, wurde
mißtrauisch gegen das eigene Bild der Monarchie und stellte
von neuem ihre vielen negativen Aspekte heraus. Er

-141-
beargwöhnte die keimende Neigung in sic h, die alte
österreichischkosmopolitische Idee seinen eigenen
übernationalen Gefühlen gleichzustellen. Es war der Anfang
eines längerwährenden Gesinnungswandels, der mit inneren
psychischen Spannungen sowie mit der objektiven Erbitterung
über den politischen Weg Deutschlands durchsetzt werden
sollte.
In beruflicher Hinsicht blieb für Roth manches zu wünschen
übrig. Trotz seiner Emsigkeit erwiesen sich seine Einnahmen in
Wien als dürftig, er sah sich genötigt, seine Beziehungen weiter
auszubauen. Von dem befreundeten Karl Tschuppik, der bis
Ende 1917 das Prager Tagblatt geleitet hatte, ließ er sich dessen
jüngerem Bruder, dem Chefredakteur eben dieser Zeitung,
Walter Tschuppik, empfehlen. Im Spätsommer 1923 reiste Roth
mit Friedl nach Prag. Es war der Auftakt zu mehreren Prager
Besuchen in den darauffolgenden Monaten, während denen er
öfters bei Walter Tschuppik und dessen Frau Tanja einkehrte.
Diese schildert die erste Begegnung mit dem Ehepaar Roth wie
folgt: »Mir fiel als erstes Roths Gepflegtheit auf. Er war mit
rosaweißkariertem Hemd erschienen, was für jene Zeit
ausgefallen wirkte. Bei seinen hellen Augen, rötlich blonden
Haaren und dem rosigen Teint wäre ich nicht auf die Idee
gekommen, er sei jüdisch. Er war hübsch und schmal und ließ
sich bald das Bedürfnis anmerken, charmant und unterhaltsam
zu sein. Er las mir aus der Hand und fabulierte so überzeugend
dabei, daß ich nicht von seiner Behauptung überrascht war, er
könne auch in die Ferne sehen2 .« Das »Prager Tagblatt«, die
verbreitetste deutsch-österreichische Zeitung außerhalb Wiens,
war im Gegensatz zur deutschnationalen »Deutsche Zeitung
Bohemia« - der anderen deutschsprachigen Zeitung Prags -
liberaler Gesinnung und somit den Sympathien Roths konform.
Zwischen dem 9. 2.1923 und dem 25.12.1924 erschienen
vierunddreißig Beiträge Roths im »Prager Tagblatt«. Nur vier
von ihnen haben in der Tschechoslowakei erlebte Begebenheiten

-142-
zum Gegenstand: diese kurzen ziselierten Plaudereien mit der
meist obligaten Pointe umschrieb man in der Zeitungsredaktion
mit der Bezeichnung »Entrefilet«. Die übrigen Artikel waren
ungleich ernsteren Inhalts und handelten samt und sonders von
der düsteren politischen und wirtschaftlichen Lage des
Nachkriegs-Deutschland. Es sind Augenscheinreportagen,
entstanden unter dem Eindruck der geschilderten Ereignisse,
denen Roth mehrere Monate hindurch in Köln, Chemnitz,
Düsseldorf, Berlin, Hamburg und Wiesbaden nachjagte.
Ergreifende und quälende Bilder leuchten in seinen Reportagen
auf, vom gegenseitigen Eifern der Hakenkreuzbinden- und
Sowjetstern-Tragenden, von Putschisten im Rheinland, von
unheildrohendem Grölen. Die kurzbefristeten Aufenthalte, die
Roth in Prag zwischen seinen Erkundungsreisen in Deutschland
verbringen konnte, waren wie Pausen in der Etappe vor dem
nächsten Einsatz. Roth und seine junge Frau - so bezeugt
Johannes Urzidil - waren froh, abends die Pension Flora, wo sie
in bescheidenen Verhältnissen wohnten, zu verlassen und
Einladungen folgen zu können. Mit Johannes Urzidil und dessen
Frau verband sie eine herzliche Beziehung, bei der sich bei Roth
das Verlangen bemerkbar machte, sich heimisch zu fühlen und
auszuruhen. In Prag, wie kurz zuvor in Wien, setzte Roth seine
Abrechnung mit der Vergangenheit fort. Die von Roth und
Urzidil geführten Unterhaltungen kreisten immer von neuem um
die alte Habsburger Monarchie und die ostslawische Welt, der
sie beide entstammten. Die beiderseits ausgetauschten
Anekdoten über die innerlich zerstrittenen, aber letztlich
friedlich miteinander auskommenden Völker des alten
Österreich führten zu Erörterungen über die Völkerpolitik des
untergegangenen Staatsgebildes.
Roth hatte eine feine Witterung für die Atmosphäre Prags,
wohin ihn seine Wege bis Ende 1930 mehrmals führten. Auch
zu der Redaktion des »Prager Tagblatt« hielt er seine
Beziehungen aufrecht. Als er 1929 einen jungen Freund an den

-143-
Chefredakteur dieser Zeitung empfehlen wollte, schrieb er
charakteristischerweise: »Lieber Herr Dr. Blau, Herr Pierre
Bertaux ist einer der liebenswürdigsten Franzosen und mein
Freund, lernbegierig und wo hlerzogen und ironisch genug, um
den Ton unserer geistigen Heimat Prag zu verstehen3 .« Während
seiner Prager Aufenthalte schrieb Roth eine Arbeit zu Ende, die
er in den letzten Wochen des vorhergehenden Jahres in der
Hinterstube einer kleinen Berliner Kond itorei in der Potsdamer
Straße zu schreiben angefangen hatte. Seinem Berliner
Nachbarn, Bruno Frei, war an Roth eine ungewohnte
Geheimnistuerei bei dessen Arbeit an einem größeren
Manuskript aufgefallen, und als Frei ihn in jener Konditorei
auszufragen versuchte, wollte Roth nur soviel preisgeben: »Ich
versuche einmal etwas anderes4 .« Die Beweggründe für Roths
Verhalten lassen sich aus den Anfangszeilen eines seiner
späteren Feuilletons herauslesen: »Wenn deutsche Journalisten
Bücher schreiben, bedürfen sie beinahe einer Entschuldigung.
Wie kamen sie dazu? Wollen die Eintagsfliegen in den Rang
höherer Insekten aufsteigen5 ?« Das wohlgehütete Geheimnis,
das nicht vorzeitig gelüftet werden sollte, verhüllte das
Entstehen von Roths erstem Roman. Aus einem Brief vom 28.
Dezember 1922, den Friedl an Roths Kusine Paula Grübel
richtete, geht hervor, mit welcher Konzentration er an die Arbeit
heranging: »Er [Roth] hat keine Zeit. Er arbeitet sehr fleißig an
seinem Roman... Deshalb ist Muh auch oft launisch und kann
nicht Briefe schreiben6 .«
Am 6. Oktober 1923 erschien in der Wiener
»Arbeiterzeitung« die Ankündigung vom bevorstehenden
Abdruck eines Romans von Joseph Roth. Es war das erstemal,
daß Roths Name in dieser Zeitung stand, und die Tatsache, daß
er als deutscher Autor vorgestellt wird, spricht für die Annahme,
er sei der Redaktion nicht näher bekannt gewesen. Vom 7.
Oktober bis 6. November wurden die 30 Kapitel des
Spinnennetzes in 28 Fortsetzungen in der offiziellen Zeitung der

-144-
Sozialistischen Partei Österreichs abgedruckt. Wie später bei
seinem Hauptwerk, dem Radetzkymarsch, der zuerst in der
»Frankfurter Zeitung« veröffentlicht wurde, arbeitete Roth noch
am Manuskript, als bereits die ersten Kapitel erschienen waren.
Anders als bei dem unvergleich vollendeteren Radetzkymarsch
macht sich das am Spinnennetz bemerkbar, da es offensichtlich
nur in groben Zügen konzipiert und ständig bis zum letzten
Kapitel durch die Erlebnisse seiner Erkundungsreisen für das
»Prager Tagblatt« gespeist wurde. Erst wenn man sich diese
Reportagen vergegenwärtigt, wird es klar, wie sehr der Roman
eine Ausbeute der journalistischen Tätigkeit des Autors darstellt.
Gleichlautende Zitate werden aufgenommen, wie etwa jenes
vom Totschlagen der »Judenbrut«7 . Hitler, Ludendorff, Graf
Zeppelin, Hindenburg, Stinnes und Noske werden namentlich
erwähnt in diesem Zeitroman, der nach lebenden Vorbildern
geschrieben wurde. Der blonde Dr. Trebitsch, Jude und
Verfasser antijüdischer Flugschriften, erinnert nicht zufällig an
den 1927 verstorbenen jüdischen Wiener Antisemiten desselben
Namens. Und die Zeitung »Nationaler Beobachter« ist nichts
anders als ein Abbild des am 8. Februar 1923 gegründeten
»Völkischen Beobachters«.
Theodor Lohse, der Held des Romans und ein Produkt seiner
Zeit, ist stellvertretend für menschliches Treibgut im Strudel
chaotischer Geschehnisse. Wie die Hauptfiguren der nächsten
fünf Roth-Romane, Die Rebellion, Hotel Savoy, Die Flucht ohne
Ende, Zipper und sein Vater, Rechts und Links, und noch des
vorletzten, Die Kapuzinergruft, ist er Heimkehrer. Wie sie alle
ist Lohse bemüht, seinen Weg in einer verworrenen und
undurchschaubaren Welt zu finden. Aber im Gegensatz zu ihnen
ist Lohse ein Mensch, der durch seine Taten zum Ungeheuer
wird. Ihm, dem die Macht zur Apotheose wird, fehlen alle
Werte, indes fanatischer Egoismus einen Schutzwall gegen
Selbstkritik bildet. Unter Roths Romanen und Novellen - allein
Rechts und Links bildet eine bedingte Ausnahme - behandelt nur

-145-
Das Spinnennetz das Vorwärtskommen und den Erfolg. Dabei
bleibt Theodor Lohse ein halbes Abstraktom, als literarische
Figur entbehrt er der tieferen Einfühlung und der
Überzeugungskraft. Man hat ihm bona fide den Drang nach
Macht zu glauben, in Wirklichkeit aber läßt ihn der Autor wie
eine Marionette agieren.
Nur die Schwachen und Zaghaften gedeihen bei Roth zu
bedeutsamen Romanfiguren, während seine Darstellung der
Starken im Lauten und Hohlen steckenbleibt. In den späteren
Heimkehrerromanen leidet der Zukurzgekommene an der
Gesellschaft, während im Spinnennetz die Hauptgestalt die
anderen zu seinen Opfern macht. Aber auch hier scheint der
Roman beweisen zu wollen - die Stellen, die Lohses
Ernüchterung darstellen, zeugen davon -, daß das Streben um
die Güter und die Anerkennung der Welt sich in krasseste
Enttäuschung verwandeln muß. Im Kern entspricht dies Roths
Absicht in seinem späteren Napoleonroman Die Hunden Tage,
von dem er versicherte, »Je voudrais faire un ›humhle‹ d'un
›grand‹«8 . Das Bild des steilen Aufstiegs symbolisiert nur die
Nichtigkeit allen menschlichen Strebens. Es ist das Thema der
Vanitas vanitatum, und Theodor Lohse ist die romanhafte Figur
einer modernen Haupt- und Staatsaktion ohne den
metaphysischen Halt seiner barocken Vorgänger. In der
Mehrzahl der Roth-Charaktere steckt die Sehnsucht nach einer
richtungweisenden Ordnung - auch Theodor Lohse ist ein
solcher Charakter in seiner Flucht nach vorn. Aber jeder
Versuch, ins Getriebe der Welt einzudringen - die nächsten
Romane werden dies verdeutlichen -, läßt die Menschen wirr
und die Welt sinnloser erscheinen. Sie verstricken sich in der
vermeintlichen Ordnung der Welt, denn sie sind für den Gang
der Dinge mit Blindheit geschlagen. »Die Blinden sind auch
noch verworren«, pflegte Roth seinem Freund Hermann Kesten
zu sagen9 . Ist Lohse das typologische Porträt einer
zeitbedingten, dem Nihilismus anheimgefallenen deutschen

-146-
Menschenart, so ist der erst im zweiten Romanteil eingeführte
Ostjude Benjamin Lenz die Verkörperung der Verachtung jener
Welt, der die Hauptgestalt verfallen ist. Gelassen, mit der
Geringschätzung des Außenseiters, sieht Lenz auf das rastlose
Treiben der »westlichen« Welt herab. Nur wenige Gestalten in
Roths Werk - die Ausnahmen sind Benjamin Lenz, Nikolai
Brandeis in Rechts und Links und Graf Chojnicki im
Radetzkymarsch - kennen die Wirklichkeit, durchschauen die
Dunkelheiten des Lebens und ahnen das Bevorstehende. Diese
Ausnahmen, die Roth allesamt mit Eigenschaften ausstattete, die
er sich selbst zuschrieb, sind großzügig und freigebig bis zur
Verschwendung. Auf ihr Vermögen legen sie keinen Wen und
verschenken es mit vollen Händen. Sie wissen, daß sich der
große Lebenskampf nicht lohnt, und versuchen, sich aus dem
Spiel zu halten - Lenz durch seine Entfremdung, Brandeis,
indem er sich zurückzieht, Chojnicki, indem er sich zuletzt in
den Wahnsinn flüchtet.
Steht Das Spinnennetz inhaltlich in keinem tieferen
Zusammenhang nut Roths eigenem Leben, so überrascht es
andererseits nicht, daß dieser Erstlingsroman viel an Motiven
und Stoffen aufweist, die nur in lo sein Zusammenhang zur
eigentlichen Handlung stehen, in späteren Romanen aber wieder
aufgenommen und besser verarbeitet werden.
Vieles an Roths Roman ist sprung- und episodenhaft, mancher
Passus wirkt roh und unverarbeitet wie eine Synopsis, in der nur
referiert und nicht gehandelt wird. Die viele n überflüssigen,
oberflächlich entworfenen Figuren, die nicht recht zur Geltung
kommen, verraten den Mangel an Konzentration. Wie Lohse
bleibt auch Lenz im Erdachten stecken. Von diesem soll der
Leser glauben: »Er haßte Europa, Christentum, Juden,
Monarche n, Republiken, Philosophie, Parteien, Ideale,
Nationen. Er diente den Gewalten, um ihre Schwäche, ihre
Bosheit, ihre Tücke, ihre Verwundbarkeit zu studieren10 .« Der
Stil, der hin und wieder aus einem übernervösen

-147-
Expressionismus in die kühle Nüchternheit der Neuen
Sachlichkeit hinüberwechselt, ist uneinheitlich.
In späteren Jahren klammerte Roth Das Spinnennetz aus
seiner literarischen Produktion aus. So schrieb er 1932 an einen
Wiener Professor: »Mein erstes Buch erschien 1923 oder 1924.
Es hieß Hotel Savoy11 .« Immerhin muß den damaligen Lesern
des Romans das Aktuelle an ihm einen überwältigenden
Eindruck gemacht haben, da Hitler und Ludendorff - zwei
Gestalten aus dem Roman - am 8. und 9. November, zwei Tage
nach dem Abdruck der letzten Fortsetzung, ihren Putsch in
München versuchten. Mit der Niederschrift dieses Werkes
vollbrachte Roth, was er sich selbst schuldig zu sein glaubte. In
mehreren Feuilletons nahm er Stellung gegen die sich
unpolitisch gebärdenden Schriftsteller Deutschlands, so etwa in
einem Beitrag für das »Prager Tagblatt«; »Die Tradition des
politisch ›indifferenten‹ deutschen Dichterwaldes gebeut
Schweigen in allen Fragen des öffentlichen Lebens... Niemals
haben die deutschen Dichter so laut gesprochen, wie sie jetzt
schweigen... [Der deutsche Dichter] wohnt in München und
erlebt nicht die Materialisation der Brutalität Adolf Hitler...12 «
1923 war für Roth ein Jahr des Aufschwungs. In Wien, Prag und
Deutschland ging er seinen journalistischen Aufgaben nach,
während er gleichzeitig seinen ersten Romanversuch
abschließen konnte. Im Juni desselben Jahres erschien sein
erster Beitrag in dem in Berlin erscheinenden »Tagebuch« - eine
Nebenbemerkung über die verdrehte Moral einer
Papierhändlerin, die Geld für einen der Rathenaumörder
einsammelte13 . Bis 1933 erschienen Aufsätze von ihm in dieser
Zeitschrift und in der Emigration bis zum Ende seines Lebens in
der in Paris herausgegebenen Fortsetzung, »Das Neue Tage-
Buch«. Am 21. Januar 1923 konnte man sein erstes Feuilleton in
der »Frankfurter Zeitung« lesen. Damit begann, mit
Unterbrechungen, eine journalistische Tätigkeit, die fast ein
Jahrzehnt währen und ihn in ganz Deutschland bekannt machen

-148-
sollte.
Im Jahre 1924 brach sich seine Produktivität Bahn. In diesem
einen Jahr schrieb er neben vielen jour nalistischen Beiträgen
zwei Romane hintereinander.

-149-
11
Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung«
1923-1925

»Manche Mitarbeiter der ›Frankfurter Zeitung‹ gebärdeten


sich so, als wäre ihre Anstellung ein Orden, den sie um den Hals
trugen. Roth hingegen ließ sich nicht ankränkeln. Er blieb offen
und zugänglich1 .« So äußerte sich ein Bekannter, der Roths
zunehmende Anerkennung während der zwanziger Jahre
verfolgen konnte. Aber wenn Roth sich auch nur ausnahmsweise
Eitelkeit anmerken ließ, so brachte sein Eintritt in den
Arbeitsstab der angesehensten Zeitung Deutschlands dennoch
ein neues Verhalten mit sich, das seine Lebensführung während
der sechzehn Jahre, die ihm noch beschieden waren, bestimmen
sollte. Es erschlossen sich ihm die Tore Europas, mit einer
ersten Reportage fingen seine großen Fahrten an - zuerst durch
Deutschland, dann weiter hinaus, nach Polen, Frankreich,
Jugoslawien, Italien, Rußland, Albanien. Die Wanderlust, eine
Erscheinungsform seiner Unruhe, wurde ihm zum Habitus auf
seiner Suche nach dem Wunder der inneren Freiheit. Und mit
der Achtung größerer Kreise, die ihm zuteil wurde, fielen ihm
Gehälter und Honorare zu, die ihn zu einer
Verschwendungssucht verlockten, welche er in der Emigration
mit einem weit geringeren Einkommen nicht verantworten, aber
auch nicht ablegen konnte.
Rudolf Geck, von 1907-1924 Leiter des Feuilletons der
»Frankfurter Zeitung« war es, der Roth zu Beginn des Jahres
1923 als Berliner Mitarbeiter engagierte.
Geck, dessen Porträtbüste heute noch im Flur des neuen
Quartiers der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« - der
Nachfolgerin der »Frankfurter Zeitung« - steht, vertrat die
Ansicht, man gefährde die Formulierung, wenn man mehr als
vierzig Zeilen pro Stunde schreibe. Schon darum war er von der

-150-
stilistischen Sorgfalt seines »Mitstreiters« Roth - so nannte er
alle seine Mitarbeiter - eingenommen. Als Roth zum erstenmal
das Gebäude in der Großen Eschenheimer Straße 31 in Frankfurt
betrat, das die »Frankfurter Zeitung« und ihre
Druckerei beherbergte, befand er sich in einem Labyrinth von
Korridoren, Stockwerken, Gängen und Treppen, die im Laufe
vieler Jahre dem viel kleineren ursprünglichen Bau hinzugefügt
worden waren. Zu den scharf voneinander getrennten
Redaktionen für Handel, Politik und Feuilleton führte der
repräsentative, im Stil der Jahrhundertwende erbaute und mit
Wendeltreppe, Schmiedeeisengeländer und Marmorsäulen
verzierte Hauptaufgang. Im Gegensatz zu ihm wirkten die
Gänge schmal und nüchtern, die Zimmer der
Feuilletonredaktion, in denen Bücher sich an den Wänden
stapelten und in denen die Mitarbeiter an einfachen Tischen
arbeiteten, muteten in ihrer Schmucklosigkeit kahl an. Aber das
Gremium, aus etwa achtzig Mitgliedern bestehend, das die
Redaktion, die Frankfurter Zentrale und die auswärtigen
Korrespondenten bildeten2 , vereinte die beste Mannschaft der
damaligen Zeitungswelt Deutschlands. Außer von Friedrich
Sieburg und Benno Reifenberg - letzterer übernahm 1924 die
Feuilletonleitung der Zeitung - erschienen dort in den zwanziger
Jahren die Beiträge von Siegfried Kracauer, Walter Benjamin,
Max Picard, Ernst Block, Ilja Ehrenburg, René Schickele,
Gotthard Jedlicka und Julius Meier-Graefe. Bernard von
Brentano (der durch Roths Fürsprache an die Zeitung
gekommen war), Friedrich Torberg, Heinz Liepman und Erik
Graf Wickenbur g begannen dort ihre schriftstellerische
Laufbahn. Zeitweise erschienen in den Spalten der Zeitung die
Arbeiten von Ernst Glaeser, Rudolf Binding, Alfons Paquet und
Anna Seghers. Und einige der ersten Gedichte Bert Brechts
wurden dort abgedruckt.
In Roths ersten Beiträgen in der »Frankfurter Zeitung« wie
auch in späteren Aufsätzen ist von wertloser Währung, von

-151-
Hunger und Not die Rede. Roth selber jedoch, der sich zum
erstenmal in seinem Leben mit einem Vorschuß in der Tasche
auf die Reise machte, erweckte den Eindruck, als wolle er
endgültig von diesen Sorgen Abschied nehmen. Hans Natonek,
Journalist und später Schriftsteller, lernte Roth anläßlich des
gemeinsamen Aufenthaltes in Leipzig kennen. Während
Natonek es vorzog, in einer bescheidenen Pension abzusteigen,
legte Roth Wert darauf, sich im Hotel Fürstenhof, einem der
vornehmsten Hotels der Stadt, einzuquartieren. Nach Ablauf
seines Aufenthalts überließ Roth dem Hotelpagen den Inhalt
seines Koffers und parierte Natoneks verwunderte Miene mit
der hingeworfenen Bemerkung, er werde sich auf dem Weg zum
Bahnhof Neues kaufen3 . Bei einem späteren Aufenthalt in dieser
Stadt - so erzählt Roths Leipziger Vetter, war ein Mahnbrief für
Roth im Hotel Fürstenhof eingetroffen. Roth, der inzwischen
durch seine Allüren in arge Geldschwierigkeiten geraten war,
ließ den Vetter auf den Umschlag des nicht geöffneten Briefes
schreiben: »Adressat nach Kairo, Ägypten, abgereist, Adresse
unbekannt4 .«
Roths Feuilletons für die »Frankfurter Zeitung« entfernten
sich selten von den gesehenen und erlebten Gegenständen, die
ihnen zugrunde lagen. Den Menschen im Menschen suchend,
skizziert er denkwürdige und bizarre Klein- und Kleinstporträts.
Die Kleinlichkeit und Niedertracht der Menschen bohren sich in
sein Bewußtsein, aber er versäumt nicht, der Last ihrer Trauer
zu gedenken. Die sinnlosen Institutionen, die die Menschen
entzweien und ihr Leben erschweren, bilden in Roths knappen
Darstellungen die Gegenkraft zum Bild der Menschen, die im
Schatten der sie unterjochenden Mechanismen untergehen.
Mitglied, Anklage, Ironie, Empörung, aber auch Neckerei und
Trivialität sind die Saiten, die er abwechselnd in seinen
Feuilletons anschlägt.
Für das Wechselhafte der Menschen und der Dinge hatte er
von Anfang an ein feines Gespür. Roths Objekte entfalten sich

-152-
aus dem Unbeständigen, seine Phantasie dehnt oft den
unmittelbaren Gegenstand mittels einer Kette kleiner Ereignisse
aus. Das Feuilleton »Der Herr mit dem Monokel« bietet hierfür
ein überzeugendes Beispiel. Von dem im Titel genannten Herrn
und seinem Monokel wird berichtet:
»Es bestand nicht die geringste Gefahr, daß dieses Monokel
jemals aus der Augenhöhle fallen und mit leise klagendem
Klang auf dem harten Pflaster zersplittern könnte. Es war so, als
stünde der Herr nicht lebendig und körperlich am Rand des
Bürgersteigs, um die Straßenbahn zu erwarten, sondern, als wäre
er eine Figur aus dem Modeheft für elegante Herren, bei deren
Anblick wir, wenn sie ein Einglas trägt, auch nicht die nervöse
Furcht hegen, daß das zarte Instrument zerbrechen könnte5 .«
Das Unerwartete tritt jedoch ein, das Monokel fällt zu Boden
und zerschellt, und in feinen Nuancen registriert der Autor den
Wandel, der in dem Herrn vor sich geht und der sich noch weiter
fortsetzt. An anderer Stelle liefert Roth selber Kommentar zu
seiner Methode: »Der ›gute Beobachten ist der traurigste
Berichterstatter. Alles Wandelbare begreift er mit offenem, aber
starrem Äug'. Er lauscht nicht in sich selbst. Das aber müßte er.
Er könnte dann wenigstens von seinen Stimmen berichten. Er
verzeichnet die Stimme einer Sekunde in seiner Umgebung.
Aber er weiß nicht, daß andere Stimmen ertönen, sobald er seine
Horcherstellung verlassen hat. Und ehe er's niederschreibt, ist
die Welt, die er kennt, nicht mehr dieselbe6 .« Mitten in der
Schilderung einer Stadt liefert er das Exempel zur Theorie:
»Während ich dies schreibe, sieht Marseille schon anders aus.
Und was ich in tausend Worten berichte, ist ein kleiner Tropfen
aus dem Meer des Geschehens, mit dem freien Äug' nicht zu
sehen, zitternd auf der dünnen Spitze einer Feder7 .«
Roths Betrachtungsweise und Gestaltungsprinzip entspringen
zwar seiner Anlage, werden aber auch wie er sich in einer
Buchrezension ausdrückt: »Diktiert... von dem echten
journalistischen Gewissen, das unaufhörlich mahnt: Werdet nur
-153-
nicht langweilig. Alles ist aktuell8 !« Roth gefiel sich darin, sich
im journalistischen Betrieb als Handarbeiter zu betrachten.
Einem befreundeten Bildhauer gegenüber drückte er seine
Bewunderung für dessen Beruf aus und gestand ihm sein
eigenes Bedürfnis, seine Hände zu gebrauchen9 . Dabei zeigte er
jene schmalen Hände mit den auffallend langen Fingern vor, auf
die er stolz war. Charakteristisch für den Handwerker in Roth,
der nach Bestätigung verlangte, wie auch für den Phantasten in
ihm, war seine Liebe zu Uhren, sein Bedürfnis zu zerlegen und
an ihnen zu basteln. Denn eine Uhr, von der er behauptete, sie
sei »eine Dichtung aus Ziffern« 10 , erschien ihm als so fein
konstruiert wie die Gespinste seiner Phantasien. Vielen seiner
Freunde schenkte er im Laufe seines Lebens Uhren mit
eingravierter Widmung, womit er sich sozusagen durch die Zeit
verewigen ließ. »Ich schenke dir diese Uhr aus boshaftem
Grunde«, sagte er mit verschmitztem Lächeln einem späteren
Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung«. »Jedesmal wenn du sie
aufziehst, mußt du an mich denken11 .« Roth selber sammelte
planlos Uhren und trug oft eine am Handgelenk, während er eine
zweite in der Tasche hatte. Mehr als einmal sagte er von sich:
»Ich habe mich ins Uhrwerk verliebt. Es ist wie ein
Märchenge fühl für mich, wenn ich sehe, wie die feinen Räder
ineinandergreif en. Das Leben wird zum kleinen Uhrgehäuse
reduziert12 .«
In seinen Werken und vornehmlich im Radetzkymarsch ticken
die
Standuhren und Taschenuhren als Symbole für das
dahinfliehende Leben und den unaufhaltbaren Wandel der Zeit.
In späteren Jahren wurde seine Beschäftigung mit Uhren zu
einer Manie. Roth verlieh ihnen Gefühle und menschliche Züge
und versuchte, halb in der Trunkenheit, aus ihnen und ihren
»tickenden Räderchen mit den spitzen Zä hnchen13 « das Rätsel
der Welt herauszulesen. Mit dem Minutiösen, das ihn am
Uhrwerk faszinierte, hatte es eine weitere, auf Roth selbst

-154-
bezogene Bewandtnis, denn er sah darin ein Gleichnis für sein
Schreiben. Auch seine Handschrift bestünde aus den kleinsten
Handbewegungen14 . Um dies gleichsam zu unterstreichen und
somit seine Schrift noch feiner zu gestalten, pflegte er eine
Hälfte seiner Federspitze umzubiegen15 . »Roth hat mir einmal
seine Handschrift erklärt«, erzählt sein Leipziger Vetter. »Dabei
demonstrierte er, wie sehr das alles bei ihm bemessen war. So
entsprach eine Zeile seiner Handschrift genau einer
Druckzeile16 .« Bezeichnend ist auch die Aussage des Mannes
von Roths Schwägerin. Diesem teilte Roth mit, daß er einmal im
Gymnasium versucht hatte, Schillers » Glocke« auf die
Rückseite einer Briefmarke zu schreiben, und daß ihm dies auch
gelungen wäre, hätte er einen japanischen Pinsel oder eine
Haarfeder gehabt17 .
Hatte Roth 1923 der »Frankfurter Zeitung« 14 journalistische
Arbeiten geliefert, so betätigte er sich 1924 dort bereits 65 Mal
als Mitarbeiter. Im selben Jahr erschien außerdem noch eine
Reihe Artikel von ihm im Berliner »Vorwärts« und in »Lachen
Links«, das sich im Untertitel »Das republikanische Witzblatt«
nannte, war wiederholte Male vornehmlich satirischpolitische
Dichtung von ihm zu lesen18 . Trotzdem reichten seine Kräfte
auch noch für längere Arbeiten aus. In Berlin hatte er sich mit
Friedl im Hotel am Zoo niedergelassen und hintereinander in
einem schöpferischen Moment die Arbeit an zwei Romanen in
Angriff genommen. Das Manuskript des ersten, Hotel Savoy,
schickte er an seinen Freund Oskar Maurus Fontana in Wien,
der zu der Zeit als Lektor des dortigen Ernst Peter Tal- Verlages
fungierte. Trotz der warmen Empfehlung des Lektors wagte der
Verleger es nicht, das Werk eines jungen und unbekannten
Autors zu veröffentlichen. Draufhin wandte sich Roth an Rudolf
Leonhard, den expressionistischen Lyriker, der soeben in Berlin
in dem jungen fortschrittlichen Schmiede-Verlag die
Lektorstelle übernommen hatte19 . Leonhard ließ sich noch das
zweite Manuskript - Die Rebellion - schicken und bewog den

-155-
Verleger Salter, die beiden Romane im selben Jahr
herauszugeben.
Roths polnischer Freund Józef Wittlin weiß zu berichten, daß
»Hotel Savoy« in Lodz angesiedelt ist und daß der Autor dabei
an das dortige gleichnamige Hotel gedacht hatte. In einer
Reportage über diese Stadt, die Roth ein paar Jahre nach der
Veröffentlichung des Buches schrieb, erteilt er Auskunft über
den Ort, der ihm im Roman zur Kulisse diente20 . Das westlich
und modern wirkende, Luxus und Elend beherbergende Hotel
Savoy mit seinen sieben Stockwerken wird im Roman zum
mikrokosmischen Gleichnis für die Undurchschaubarkeit und
Unentrinnbarkeit der Welt. Das Hotel ist zugleich »ein reicher
Palast und ein Gefängnis 21 «, und der Held Gabriel Dan macht
eine bedeutsame Entdeckung: »Ich sah, daß keiner von ihnen
freiwillig im Hotel Savoy wohnte. Jeden hielt ein Unglück
fest22 .«
Wie Gabriel Dan ist die Hauptfigur von Rebellion, Andreas
Pum, ohne Anhang in der Welt. Beide möchten ins Leben
hinein. /Sie/ trauen sich zu, das Leben zu meistern. Für Gabriel
Dan soll das Hotel dafür als Versuchsstation dienen: » Im Hotel
Savoy konnte ich mit einem Hemd anlangen und es verlassen als
Gebieter von zwanzig Koffern...23 « Aber der scheinbar
festgefügten Miniaturwelt des Hotels Savoy haftet etwas
Unheimliches und Geheimnisvolles an. Darum möchte Gabriel
hinter die Kulissen schauen und dem unsichtbaren Gestalter
dieser Ordnung auf die Spur kommen.
Jeder erzählt ihm, Herr Kaleguropulos, der angebliche
Besitzer des Hotels, treffe regelmäßig dort zur Inspektion ein.
Wann er zu erwarten ist, weiß ein jeder: er kommt immer am
Abend, ehe die Sonne untergeht, aber niemand kennt ihn und
keiner hat ihn jemals gesehen. So schlagen Gabriels
Bemühungen, seiner ansichtig zu werden, jedesmal fehl.
Alles, womit sich Gabriel im Hotel Savoy auseinandersetzt,
erweist sich am Ende als Illusion, und jeder, mit dem er in
-156-
Berührung kommt und auf den er seine Hoffnung setzt, wird
ihm zur Enttäuschung. Die geheimnisvolle Ordnung im Hotel,
obwohl sie von allen als Wirklichkeit erlebt wird, ist nur Schein,
beruht auf einer verlogenen Vorspiegelung der Autorität, denn
Kaleguropulos entpuppt sich als der Gott, den es nicht gibt. Der
Wert aller Erfahrungen Gabriels, dem das erhoffte Glück und
Vermögen nicht in den Schoß gefallen sind, besteht in seiner
Einsicht: »Es ging ihnen schlecht, den Menschen. Das Schicksal
bereiteten sie sich selbst und glaubten, es käme von Gott. Sie
waren gefangen in Überlieferungen, ihr Herz hing an tausend
Fäden, und ihre Hände spannen sich selbst die Fäden24 .«
Das große Thema, das Roths erste drei Romane, Spinnennetz,
Hotel Savoy und Die Rebellion verbindet, ist das der Ordnung.
Bereits im Spinnennetz wird dieser Begriff zum Gegenstand
ätzender Ironie. Angesichts der blutigen, von den
Rechtsnationalen verursachten Straßenkrawalle heißt es dort:
»Es ist ein Sieg der Ordnung25 .« Und als die ersten
Ausschreitungen neue Unruhen nach sich ziehen, heißt es
abermals: »Es war ein Sieg der Ordnung26 .« Auch das im Titel
des ersten Romans enthaltene Gleichnis wiederholt sich in der
Rebellion. In diesem Roman lautet es: »Wie Spinnen sitzen die
Behörden, lauernd in den feinmaschigen Geweben der
Verordnungen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir ihnen
anheimfallen27 .« Die Fabel der Rebellion macht ausdrücklich
klar, daß alle vier Hauptpersonen - der Invalide Andreas, der gut
situierte Herr Arnold, Willi, der gemeine Verbrecher, und
Katharina, die Andreas heiratet, um ihn dann bei der ersten
Gelegenheit abzuwimmeln - sich als Hüter der Ordnung
betrachten. Die Rollen sind jedoch ungleichmäßig verteilt, denn
während die anderen über die Ordnung verfügen und die
Verhältnisse schaffen, unter denen Andreas zu leben hat, bleibt
diesem nichts anders übrig, als sich in die vorgeschriebene »
Ordnung« zu fügen. Nachdem es Andreas durch einige
glückliche Zufälle gelungen ist, sein Leben vorübergehend zu

-157-
stabilisieren, entreißen ihm eine Reihe von willkürlichen
Schicksalsschlägen den letzten Lebenshalt. Als Andreas ganz
am Ende eine gerichtliche Vorladung bekommt, die einen
Prozeß wieder aufrollen soll (es mag sein, daß dies sich nur
noch in Andreas' Phantasie abspielt), der ihn bereits zugrunde
gerichtet hat, übt er sich auf eine Rede ein, die er gerne halten
möchte: »›Hoher Gerichtshofs wollte er sagen. ›Ich bin ein
Opfer dieser Verhältnisse, die Sie selbst geschaffen haben28 ‹.«
Die einzelnen von Andreas erlittenen Ungerechtigkeiten werden
zum Lauf der Welt, das Hämische des Schicksals wird zum
kosmischen Gesetz erweitert, wenn Andreas Gott - als den
obersten Richter - verklagt: »Andere, die Du liebst und nährst,
dürfen uns züchtigen und müssen Dich nicht einmal preisen.
Ihnen erläßt Du Gebete und Opfer, Rechtschaffenheit und
Demut, damit sie uns betrügen29 .«
Solch ein Gesetz macht aus dem Leben derer, die sich in die
Ordnung fügen müssen, ein Gefängnis auf Erden, und mit der
Andeutung dieses Gedankens beginnt und schließt der Roman.
Nur diejenigen bleiben von Pessimismus und seelischer
Anarchie unberührt, die wie Willi, Katharina und Herr Arnold
sich von der Suche nach der geltenden Ordnung und den
weltanschaulichen Fragen des »Warum« und »Wozu« nicht
behelligen lassen und sich mit der Verkapselung im eigenen
Egoismus zufriedengeben.
Die kleine, wirkungslose Rebellion des Andreas Pum soll ein
Ausdruck der Empörung über die Ungerechtigkeit der Welt sein.
/Wie/ beim mittelalterlichen Ackermann von Böhmen rechnet
Andreas mit Gott (oder richtiger, soweit es den Ackermann
betrifft, mit dessen Stellverteter, dem Tod) wegen der bösen
Schläge, die ihm auf Erden zuteil werden. Auf beide
Hauptgestalten trifft das Wort aus Roths Roman zu: »... er
suchte eine Erklärung für die sichtliche Ungerechtigkeit Gottes
und seiner Irrtümer...30 « Es ist dies ein Thema, das sich in der
deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts keiner

-158-
Aktualität erfreut, wohl aber in der jiddischen Literatur31 . Der
speziell jüdische Charakter der Behandlung des
Gerechtigkeitsproblems /in dieser Literatur/ beruht darauf, daß
man von dem Mißhandelten ausgeht, der sich in der Gewalt
derer befindet, denen gegenüber er wehrlos ist und die er nicht
zur Verantwortung ziehen kann. So wird Gott, der All
verantwortliche, vom einfachen Menschen zur Rechenschaft
gezogen: Er hat Rede und Antwort über unverdientes Leid zu
stehen.
Mit den jiddischen Geschichten hat Roth auch den ironischen
Unterton gemein, denn da wie dort gibt es keine Abhilfe für das
Elend und keine Rechtfertigung für das niederträchtige
Verhalten derjenigen, denen es gut geht. Das Leben läßt sich
nicht bessern, man kann höchstens nach Mitteln suchen, die es
erträglicher machen. Ein solches Mittel ist die Ironie, die auch in
der Erzählweise die anschaulich gemachte unabänderliche
Trostlosigkeit der Welt dem Leser erträglicher macht.
Eine Möglichkeit gäbe es, sich über die Trostlosigkeit dieser
Welt hinwegzusetzen. Würde ein Wunder geschehen, wäre alles
gut. Solch ein wunder, ein bescheidenes und ironisches, war der
rechtzeitig eingetretene Zitteranfall Andreas' zu Beginn des
Romans, der ihm die Drehorgellizenz und den Leierkasten
einbringt. Da aber der Held der Rebellion zur Auflehnung über
die Mißstände in einer Welt getrieben wird, die sich für geordnet
hält, wird Gott, der unglaubwürdige Urheber und Urbeweger
dieser Welt, selbst ironisiert. So wird die Möglichkeit des
Wunders in einer schlecht funktionierenden Welt schließlich
auch noch ausgeschlossen.
Andreas Pum und Gabriel Dan wollen beide
herausbekommen, wer die Welt regiert. Für Andreas scheitert
die Annäherung an Gott, für Gabriel mißglückt die Aufklärung
über den irdischsymbolischen Stellvertreter Gottes. Andreas,
dem einfältigeren, scheint das Unglück rätselhaft und
unerklärbar. Für Gabriel erweist sich die scheinbare höhere

-159-
Ordnung als Betrug. Sowohl in Rebellion wie in Hotel Savoy
sind die Menschen nichtig, ihr ganzes Tun und Streben
belanglos, und das Höhere, wonach sich die Hauptgestalten
zeitweise sehnen, bleibt ihnen unerreichbar. Was der Autor
gestaltet, ist das Gegenteil von einer Theodizee, obwohl der
Themenkreis von den Quellen des Glaubens herrührt. Der
Chassidismus, den Roth als Kind kennenlernte und der sein
frühes Fühlen und Denken mitbestimmte, ist nicht in ihm
erloschen, in einem Winkel seines Herzens bleibt er Gottsucher.
An dem Kindheitsglauben kann er sich jedoch nicht aufrichten.
Die Loyalität bindet ihn an »seine« Ostjuden, aber deren fester
Glaube ist ihm nicht gegeben. Er umreißt das Verhältnis von
Mensch zu Gott und Gott zu Mensch, bringt sogar einen
Überrest von der chassidischen Idee der Allgöttlichkeit der Welt
und der Allgegenwart Gottes in sein Schaffen hinein, aber nur
um jedesmal diese Tendenzen ad absurdum zu führen. In der
Rebellion wird das vermeintlich Wunderbare banalisiert, die
Welt selbst entgöttert: Gott ist ein skurriles Hirngespinst, das
aus Ratlosigkeit Andreas mit einem bescheidenen Broterwerb
abspeisen möchte. In Hotel Savoy ist der geheime Urheber und
Beweger aller Dinge ein greisenhafter Liftjunge mit biergelben
Augen, der in seinem brennenden Hotel umkommt.
Selbstverständlich schreibt Roth mit diesen zwei Werken
keine Autobiographie, dafür aber ein getarntes Register seiner
inneren Problematik, das unverfälschter ist als alles, was er als
Lebensgeschichte ausgab. Der Gottsucher Roth begegnet seiner
eigenen großen Sehnsucht unerbittlich rational mit der
skeptischen Ablehnung des Metaphysischen. Am besten hat es
Ludwig Marcuse formuliert: »man müßte... Roth einen
metaphysischen Positivisten nennen« 32 . Andreas glaubt auf
Grund eigener Erfahrung, Gott endgültig den Rücken kehren zu
dürfen, denn »Es schien ihm, daß er hinter das Geheimnis der
Welt gekommen war«33 . Er bricht mit Gott und zieht es in seiner
Vision vor, in die Hölle zu gehen, weil der Ungerechte es nicht

-160-
verdient, daß man sich mit ihm abgibt. Gabriel seinerseits gibt
das Suchen na ch dem gleichnishaften Reflex auf, weil es das
Urbild dieses Reflexes gar nicht gibt.
Die Anerkennung, die die schöpferische Leistung durch die
Veröffentlichung dieser beiden Romane fand, spiegelte sich in
dem gestärkten Selbstbewußtsein wider, das Roth in jenen
Tagen anzumerken war. Eine sprudelnde Laune spricht aus dem
Brief, den er am 15. Juli 1924^ an seine Lemberger Kusine
sandte, um ihr seine Reportage-Reise nach dem ehemaligen
Galizien und dem übrigen Polen im Auftrag der »Frankfurter
Zeitung« anzukündigen. Drei Ränder des Briefbogens sind mit
kauzig verspielten Karikaturen ausgefüllt; mit kindlichen
Federstrichen zeichnet sich Roth im Eisenbahnwaggon, zeichnet
er den Lemberger Bahnhof, dann Paula, mit weit zum Umarmen
ausgestreckten Armen, versehen mit dem Eitkett: »Paula
umarmt ihn«; ferner Frau von Szajnocha mit hingereichter
Hand, den gedeckten Abendtisch, die Onkel und Tanten, Vettern
und Freunde, die er zu sehen gedenkt - alles mit erläuternder
Beschriftung. Am unteren Rand zeichnet er sich selbst, aufrecht
stolzierend, Friedl in zierlichem Kostüm mit Wuschelkopf und
schließlich ein großes, mit einem Rettich versehenes
Willkommensschild. Als Unterschrift zeichnet er in Erinnerung
alter Tage mit der Abkürzung seines jiddischen Kosenamens
/»Mu«/.
Roths auf der angekündigten Fahrt entstandene Reportage
Reise durch Galizien fängt an wie seine drei Jahre später
geschriebene Abhandlung über osteuropäische Juden, Juden auf
Wanderschaft. Er ergreift Partei, will mit den Vorurteilen gegen
Galizien aufräumen und nimmt Land und Leute in Schutz gegen
die Anwürfe des Westens. Die sprichwörtliche Unsauberkeit
dieser Ecke Osteuropas stimme nicht, oder nicht mehr.
Ansonsten findet er die Zustände und Gebräuche genauso wie
sie ihm von jung an vertraut waren.
Roth, dem als Wanderer die Scholle ein wandelbarer Begriff

-161-
war, zeigt hier bereits das romantische Faible für den seßhaften
Bauern, dessen »Opfermut« und »Frömmigkeit« ihm Ehrfurcht
einflößten. Mit der fortschreitenden Neigung zum
Konservatismus wird ihm der Bauer in seinen späteren
Romanen zum Sinnbild der Treue und der Beständigkeit in einer
verkehrten, unbeständigen Welt werden. Der Verfasser der
Reportage gibt vor, das Land vom Krieg her zu kennen, aber mit
keinem Wort erwähnt er seine Herkunft, durch die er das Land
schon mit Kindesaugen erblickt hatte. Seine Reportage ist eine
Mischung aus dem Abstand, an dem ihm gelegen ist, und den
verbindlichen Erinnerungen lange zurückliegender Erlebnisse.
Seine Lust an Seltsamem, die im heimatlichen Galizien genährt
wurde, wird bei der neuerlichen Begegnung wieder geweckt,
aber seine Darstellung der dortigen Unordnung und Not verrät
einen Anflug von Verwunderung.
Lemberg macht er zum Gegenstand seiner nächsten
Reportage, wobei er die Reminiszenzen über diese Stadt in die
Zeit des Armeekommandos, seiner Arbeit an der
österreichischen Feldzeitung und der k. u. k.
Personalsammelstelle im Weltkrieg zurückverlegt. Die
polyglotte deutsche, ruthenische und jiddische Farbigkeit der
Stadt verteidigt er dem neuerdings intensivierten polnischen
Nationalbewußtsein gegenüber35 .
Den Abschluß seiner Galizienreise bildete der Bericht, »Die
Krüppel. Ein polnisches Invalidenbegräbnis 36 .« Einen makabren
Aufzug Kriegsinvalider durch die Straßen Lembergs schildert
der Journalist halb realistisch, halb als eine Vision des
Entsetzens. Es ist das Thema vom mißbrauchten, nicht voll
gelebten Menschenleben - diesmal im Physischen, in der
Mißgestaltung ausgedrückt -, das Roths ganzes literarisches
Werk durchzieht.
Dieses Thema bildet auch den Kern der Novellen April, die
Geschichte einer Liebe und Der blinde Spiegel, die 1925
veröffentlicht wurden. Beide gewähren einen Blick in die

-162-
Grundstimmung des Autors, die nicht wie in Hotel Savoy und
Rebellion durch die Geschehnisse von Krieg und Nachkrieg,
Hunger und Heimatlosigkeit, eine vermeintlich hinlängliche
Begründung findet und die zugrundeliegende innere Labilität
des Romanciers verdeckt. In April sind es nicht Existenzsorgen,
die den Ausschlag geben, der Trieb der Seele zeigt sich
unmittelbar. So leuchtet diese Novelle in seltener Eindeutigkeit
einen Teil von Roths eigenster psychischer Beschaffenheit aus.
Der namenlose Erzähler in April ist wie Gabriel Dan ein mit
seinem Ich Beschäftigter. Hotel Savoy fängt mit dem Fürwort
»ich« an, und das Wort kommt dreiunddreißigmal in den ersten
sechzehn Absätzen vor; zehnmal steht es zu Beginn dieser
Absätze. Wie Gabriel Dan, findet sich der Erzähler in April
gleichsam durch Zufall in die Kleinstadt verschlagen, die ihn
beherbergt; wie Gabriel hat dieser keine festen Pläne, er weiß
nicht, wie lange er bleiben wird, und läßt sich am Ende durch
einen zufälligen Anlaß wieder forttreiben. Beide Figuren sind
allein in der Welt und die äußere Unbeständigkeit ihres
Schicksals entspricht der eigenen emotionalen Brüchigkeit. In
beiden Werken wird der Mangel an Beständigkeit durch das
Bild des Fortschwimmens zum Ausdruck gebracht. »Sie werden
nach dem Westen gespült, wie Fische zu gewissen
Jahreszeiten« 37 , heißt es in Hotel Savoy. In April lautet das
mehrmals angestimmte Leitmotiv:
»Auf den Wellen einer der unzähligen Regenbächlein
schwamm, tänzelte, drehte sich kokett und unbekümmert ein
Strohhälmchen und ahnte nichts von dem Kanalschacht, dem es
zutrieb, in dem es verschwinden wurde38 .« Die Zusammenhänge
werden allzu augenfällig durch die überflüssige Bemerkung des
Erzählers: »Der Regen, die Harmlosigkeit des Strohhalms, das
Kanalgitter und ich gehörten zusammen39 .« Im Roman und in
der Novelle werden die Gedanken des Helden von einer Frau in
Anspruch genommen, von der er sich die Sehnsucht nach Liebe
vorspiegeln läßt, ohne sich ernstlich verlieben oder überhaupt

-163-
binden zu können. Jedesmal wird die Feuerprobe einer echten
Gefühlsbindung durch Ausflüchte umgangen, ohne daß die
rationalisierende Hauptfigur sich jemals ihre Bindungslosigkeit
eingesteht.
Nacht, Nebel und die Unbestimmtheit, die den Einzug des
Erzählers in die Kleinstadt umgeben, gehören zu den
impressionistischen Merkmalen dieser Novelle. Der Erzähler,
der sich in einer romantischen Verachtung für alles nicht
Grenzenlose und Erhabene gefällt, verliebt sich in eine schöne
Frau, die er bei seinen Spaziergängen immer hinter einem
Fenster betrachtet und mit der er nie ein Wort wechselt. Die
Novelle ist von der schwülen Atmosphäre züngelnder Erotik
durchtränkt: »Rund um die Bänke^ die in der Mitte der Beete
standen, war das Gras ein wenig müde und hergenommen von
der nächtlichen Liebe der Menschen40 .« Aber wenn die
Wirkungen der Liebe beschrieben werden, sind es immer die
Erlebnisse anderer. Im Leben des Erzählers bleibt alles
unausgegoren und unerfüllt. Das Verhältnis, das er mit Anna,
der Kellnerin, hat, ist so unpersönlich wie offensichtlich
unbefriedigend. Nur das Weinen der Geliebten und das Bild
ihres Unglücks erregten in ihm Zärtlichkeit und Freude, und nur
seine eigene n Schuldgefühle erzeugen vorübergehend den
Schein der Bindung. Diese scheinbar unbekümmert
hingeworfene Geschichte einer charmantromantischen Liebelei
ist in Wirklichkeit das Lebensgeheimnis eines mimosenhaft
empfindlichen Menschen, der mit allen Fasern danach strebt,
sich das rohe Leid auf Kosten einer näheren menschlichen
Beziehung fernzuhalten. Ein einziges Mal durchbricht die
Erzählung das Nun und Jetzt und verlegt das Leben des
Erzählers in eine ferne Zukunft:
»Damals war ich noch Teil der Welt, Strohhalm im Strom des
Geschehens, schwimmend und fortgerissen. Ich weinte über den
Verlust einer Papiertüte, einer Nutzlosigkeit. Seitdem ich alt bin,
weine ich nicht mehr und lache nicht. Niemand kann mir ein

-164-
unmittelbares Leid zufügen. Über Schmerz und Freude bin ich
hinausgewachsen41 .« Wenn der Erzähler zum Schluß sich
wieder einmal »fortreißen« läßt, verzichtet er stoisch auf
menschliche Regungen und erringt ein imaginäres, von allem
gelöstes Gleichgewicht. Die Geringschätzung, die er anfangs für
die kleine Stadt empfand, in der er sich für kurze Zeit aufhielt,
bezieht er in ironischer Banalisierung auf die eigene Person:
»›Das Leben ist sehr wichtig!« lachte ich. ›Sehr wichtig!« und
fuhr nach New York42 .«
Fini, die Heldin des kleines Werkes /Der blinde Spiegel/, ist
wie die Mädchen in Rilkes Buch der Bilder ein Gleichnis für
schuldlose Zerbrechlichkeit und darüber hinaus ein verstelltes
Sinnbild für die Lebensangst des Autors. Fini ist Gabriel Dan
und der Erzähler des April ins Weibliche abgewandelt. Der
Name der Heldin suggeriert als Fragile und Widerstandslose,
aber auch das Bedeutungslose der Gestalt. Bereits 1918 hatte
Roth in Barbara43 , seiner ersten gedruckten Erzählung, die
Gestalt eines Mädchens, das Fini in vielem ähnelt, zur
Versinnbildlichung derselben Themen - Enttäuschung,
Verkanntsein, sinnloses Leid und unsinniges Leben -
geschaffen.
Der Blinde Spiegel zeichnet eine stumme, bindungslose Welt,
in der Beziehungen sich schnell lösen. Gott ist zu entfernt, um
sich um die Menschen zu kümmern: »Groß und sternenreich ist
der Himmel über uns, zu hoch, um gütig zu sein...«44 Vielleicht
birgt die Liebe den Schlüssel zum Rätsel dieser verwirrenden
Welt, deutet der Erzähler an. Aber Fini leidet an der Liebe, wird
im Stich gelassen und geht daran zugrunde.
Fini ertrinkt, und ihr Leichnam kommt, genau wie in
Rebellion, ins anatomische Institut, wo man über zu wenig
Leichen verfügt. Zu einer Zeit, bevor er selber anfing, sich den
Tod herbeizuwünschen, war dies für Roth eine bereitliegende
Chiffre für trostloses Alleinsein und existentielle Haltlosigkeit.
1925 fühlte sich Gustav Stresemann, der Chef des
-165-
Auswärtigen Amtes, veranlaßt, vom »Silberstreif am Horizont«
zu sprechen, der sich für Deutschland abzuzeichnen begann.
Diese Hoffnung sollte jedoch, was die Politik betraf, nicht in
Erfüllung gehen. Am 5. März 1925 schrieb Roth einen
würdevollen Aufsatz für die »Frankfurter Zeitung«, der die
Überschrift »Abschied vom Toten« trug: »Diese Stadt [gemeint
ist Berlin] in ihrer Hast herzlos, nüchtern durch ihren deutliche n
Drang zur Zweckmäßigkeit und dort, wo sie gefühlvoll zu sein
versucht, so oft an der Peripherie des Kitsches - diese Stadt
bekam für einen Tag ein schmerzliches und sogar tragisches
Antlitz.
Friedrich Ebert, der Präsident des Deutschen Reiches, war
gestorben. Als Hindenburg im April der Kandidat der
Reichsparteien wurde, fühlte sich Roth persönlich betroffen.
Max Krell, Redakteur beim Ullstein Verlag, berichtet über
Roths Stimmung in jenen Tagen: »1925, als der Nachfolger
Friedrich Eberts gewählt werden sollte, war ich Joseph Roth in
Leipzig begegnet. Am entscheidenden Tag sagte er: ›Wenn es
Hindenburg wird, reise ich ab, ich weiß, was dieser Wahl folgen
wird45 ‹.« In der Nacht der Hindenburgwahl mußte Roth das
Grölen enthemmter Straßenpassanten anhören, »Siegreich woll'n
wir Frankreich schlagen« 46 aber es stimmt nicht, wie Krell
versichert, daß Roth am Tage nach der Wahl bereits nach Paris
abreiste. Mit dem Plan, nach Paris zu gehen, hatte er sich schon
seit der Veröffentlichung seiner Bücher getragen, Hindenburgs
Wahl gab seinem Vorhaben, das im Mai in Erfüllung ging,
lediglich neuen Auftrieb47 .
Roth, der behauptet hatte, an der »Frankfurter Zeitung« das
Lied mit einem Orchester zu spielen, zog es doch auf einmal
vor, Solist zu sein. Mit der Zeitung wollte er brechen, sich in
Paris niederlassen, sich dort als freier Schriftsteller
durchschlagen. Im Frühjahr 1925 setzte sich Roth mit Bernard
von Brentano in dessen Wohnung über die Lage auseinander.
Roth wollte wissen, ob Brentano Lust hätte, seine Stelle bei der

-166-
Berliner Redaktion der »Frankfurter Zeitung« zu übernehmen.
»Von dieser verdammten Zeitungsschreiberei habe ich
genug«, meinte Roth; »ich gehe nach Paris und schreibe
Romane«, denn er war zu der Überzeugung gelangt, der
Journalismus nehme ihm seine beste Kraft48 . Als Roth dem
neuen Feuilletonleiter Benno Reifenberg seine Absichten
vortrug, redete ihm dieser zu, das Vernünftigste wäre, sich
seinen schriftstellerischen Ambitionen zu widmen, aber auch
seine Tätigkeit als Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung« in
Paris fortzusetzen. Nach einigem Zögern ging Roth darauf ein49 .
Durch Roms Vermittlung trat Bernard von Brentano in die
Berliner Redaktion ein und Roth selber kehrte nach Berlin
zurück, um seinen Haushalt aufzulösen, was rasch erledigt war.
Den spärlichen Hausrat, unter dem sich eine Sammlung von
Taschenmessern befand, die sich Roth »zwecks Notwehr«
zugelegt hatte, trat er an Bruno Frei, seinen Wiener Bekannten,
ab50 . Mitte Mai setzten sich Roth und Friedl in einen Zug nach
Frankreich. Die Tore von Paris sollten sich ihm endlich öffnen.
Sein erster Brief vom 16. Mai 1925 aus Paris an Benno
Reifenberg zeugt davon, wie glücklich er sich an seinem neuen
Aufenthaltsort fühlte.

-167-
12
Die ersten großen Reisen:
Frankreich und Rußland
1925-1927

/In keiner Stadt hat sich Roth so wohl gefühlt wie in Paris1 ./
Die Seine-Stadt hatte in seinen Augen alle Vorzüge, die er an
Berlin vermißte; aber auch Wien, zu dem er sich gern bekannte,
war seinen komplizierten Bedürfnissen weitaus weniger
kongruent. Roth, der aus der entlegensten Provinz stammte,
brauchte die Zivilisation der Großstadt, die er in seinem
nächsten, teilweise in Paris geschriebenen Roman, Die Flucht
ohne Ende, schmähen sollte, und er fand sie in der ihm
gemäßesten Form in der französischen Hauptstadt. Oswald
Spenglers pathetische Äußerung über die »Riesenstadt« enthüllt,
im Hinblick auf Roth, einen Teil der Wahrheit: »Wer einmal der
ganzen sündhaften Schönheit dieses letzten Wunders aller
Geschichte verfallen ist, der befreit sich nicht wieder.
Ursprüngliche Völker können sich vom Boden lösen und in die
Ferne wandern. Der geistige Nomade kann es nicht mehr. Das
Heimweh nach der großen Stadt ist stärker vielleicht als jedes
andere2 . Auch tiefere Ursachen lagen Roths Vorliebe für Paris
zugrunde. Bereits Heine ha tte bemerkt, der Jude fühle sich in
Paris nicht als Außenseiterund falle dort nicht durch sein
Temperament auf wie in Deutschland. Für Roth, dessen Leben
ein einziger Kampf um Anpassung war - was man nicht mit
Konformismus verwechseln darf -, mußten diese Gründe sehr
ins Gewicht fallen. In Juden auf Wanderschaft faßt er selber in
Worte:
»[Die Ostjuden] haben es schon aus äußeren Gründen in Paris
leicht. Ihre Physiognomie verrät sie nicht. Ihre Lebhaftigkeit
fällt nicht auf. Ihr Witz begegnet dem französischen auf halbem
Weg. Paris ist eine wirkliche Weltstadt. Wien ist einmal eine

-168-
gewesen. Berlin wird erst einmal eine sein... In Paris erst fangen
die Ostjuden an, Westeuropäer zu werden. Sie werden
Franzosen. Sie werden sogar Patrioten3 .« Der sonst so kritische
Roth, beflügelt durch das Gefühl, endlich »seine« Heimat
gefunden zu haben, macht aus Paris ein Märchenland der
Vollkommenheit und begründet auch gleich die Quelle seiner
seelischen Verwandtschaft mit dieser Stadt:
»Die Viehtreiber, mit denen ich frühstücke, sind vornehm und
edel, mehr, als unsere Minister, der Patriotismus ist hier
berechtigt, der Nationalismus ist eine Kundgebung europäischen
Gewissens, jede Ankündigung ist eine Dichtung, die Affichen
des Magistrats sind so vollendet wie unsere beste Prosa, die
Kinoreklamen enthalten mehr Phantasie und Psychologie als
unsere modernen Romane, die Soldaten sind verspielte Kinder,
die Polizisten amüsante Feuilletonisten... Woher kommt es? Es
ist doch die Stimme des Blutes und des Katholizismus. Paris ist
katholisch im weltlichsten Sinn dieser Religion, zugleich
europäischer Ausdruck des allseitigen Judentums4 .« Als er sich
1925 Frankreich zuwandte, bedeutete das den Verzicht auf die
zeitweilige Hoffnung in bezug auf Amerika. Wie Heine und
Borne im vorigen Jahrhundert, glaubte Roth eine Zeitlang, daß
Amerika mit den Problemen fertig werden könnte, die Europa
nicht imstande war zu lösen. Deutliche Spuren dieses Glaubens
lassen sich in dem Roman Hotel Savoy erkennen, in dem der
Ausruf »Amerika« Verheißung und Vollendung bedeutet5 . Aber
nachdem Roth die Bindung mit Frankreich einging, scheidet
Amerika für ihn als ein möglicher Ort zur Verwirklichung eines
menschenwürdigen Lebens aus. In Hiob (1930) wird Amerika
als das Land der Wurzellosigkeit und Entfremdung dargestellt,
während es in den zeitkritischen Feuilletons von Roth als Ort
des auf Kosten menschlicher Substanz erzielten technologischen
leeren Fortschritts gekennzeichnet wird.
In Frankreich kamen Roths innere Konflikte zeitweise zur
Ruhe, dort schien die ewige Frage der Zugehörigkeit weniger

-169-
aktuell. Als Rudolf Leonhard 1926 vor seiner ersten Abreise
nach Paris in Berlin von Roth Abschied nahm, kam dieser nach
dem letzten »Aufwiedersehen« zum Treppenabsatz gelaufen, um
dem Kollegen noch nachzurufen: »Sie werden in Paris erstaunt
sein, daß man dort Bürger sein kann, ohne sich schämen zu
müssen6 !« In einer seiner ersten Reportagen über Frankreich
bemerkt Roth, Deutschland sei von einem Zaun umgeben,
innerhalb dessen die begrifflichen Klischees unverrückbar
fixiert seien. In Frankreich hingegen seien die zur Nomenklatur
erhobenen Begriffe wie »Liebe«, »Treue«, »Wahrheit« nicht
heiliggesprochen worden; dort lasse sich der Mensch nicht
durch Vorschriften bestimmen, dort dürfe er sich wandeln. »Wir
[Deutschen] nennen das immer ›Treulosigkeits und Anpassung
ist halber ›Verrat‹7 .« Ein Aufatmen nach innerem
Waffenstillstand, Erleichterung, von der man spürt, daß sie nicht
fingiert ist, sprechen aus /dem zu Roths Lebzeiten unpubliziert
gebliebenen Reisebuch Die weißen Städte8 /.
Im Herbst 1925 kamen der Feuilletonredakteur der
»Frankfurter Zeitung« und seine Frau nach Paris und besuchten
zusammen mit Roth und Friedl eine Ausstellung für
Kunstgewerbe. Den Reifenbergs fiel die gute Laune ihrer
Begleiter auf. Friedl lächelte einnehmend, wirkte sehr elegant,
hing sich bei Roth ein und fühlte sich, wie sie selbst sagte,
»horsconcours pariserisch« 9 . Roth machte einen glücklichen
Eindruck und schien auf seine schöne Frau stolz zu sein10 . Viele
Aufnahmen von Roth und Friedl stammen aus ihrer ersten
Pariser Zeit. Auf einigen sitzen sie auf dem Rasen oder auf einer
Bank und lesen zusammen eine Zeitung. Aber die meisten -
mehr als ein Dutzend - zeigen Friedl ohne ihren Mann, im Parc
du Luxembourg vor einem Denkmal, an einem Tisch im Freien,
mit einem Hund spielend, mit Paula Grübel und deren
Schwester beim Spaziergang. Gepflegtheit und weiblicher
Charme sprechen aus den Bildern, luxuriös wirkt die auffallend
große Anzahl von Mänteln, Pelzen, Kleidern und Hüten, die sie

-170-
zur Schau stellt. Die dichten dunklen Haare trägt sie meistens
tief in die Stirn, das Photographiertwerden scheint ihr
Vergnügen zu machen, sie wollte gefallen und ließ sich gern
bewundern. In ihren Briefen an die nächsten Verwandten ist
immer wieder von Kleiderkäufen die Rede, und es scheint Roth
Freude gemacht zu haben, diese Neigung seiner Frau zu fördern.
Wie jedermann, dessen Verhältnis zur Frau problematisch und
nicht intuitiv ist, theoretisierte Roth gern über das weibliche
Geschlecht. Viele Notizblätter schrieb er in Paris voll mit
Spekulationen über die Frau. Später, und besonders nach der
geistigen Erkrankung seiner Frau, verdunkelte sich Roths Bild
vom weiblichen Geschlecht. Mißtrauen wurde bei ihm zu einem
Hauptcharakteristikum, die eigene Unzulänglichkeit äußerte sich
in Form pathologischer Eifersucht, die Frau wurde ihm zum
Triebobjekt und zur Inkarnation der Selbstsucht, an der der
Mann zugrunde geht. In seinem schriftstellerischen Werk
nehmen die Frauen ihren Männern fast immer etwas, selbst
wenn sie sie lieben. Ansätze davon sind schon in seinen Pariser
Notizen zu erkennen, wenn auch noch verspielt. Die
nachstehenden, bisher unveröffentlichten Erörterungen zeigte er
seiner Frau, die zustimmend hinzufügte: »C'est vrai! Friederike
Roth.« Und wie zum Zeugnis und zur Bescheinigung, daß seine
Frau in seinen Verallgemeinerungen mit einbegriffen war, steht
unter ihrer Unterschrift in Roths Handschrift, eingeklammert:
»(aus eigenen Erfahrungen).«
»So lange man jung ist« [fängt Roth an], »glaubt man, man
müsse, um die Frauen zu kennen, mit möglichst vielen schlafen
(Irrtum auch der reiferen Romanciers oder ihre Ausrede vor den
eigenen Frauen). Wenn man älter wird, schläft man mit einigen
Frauen, um sich zu überzeugen, daß es immer dieselbe ist.
Außerdem ist der Mann immer in einer faulen Lage. Denn
weil bei ihm aus natürlichen Gründen der Coitus immer einen
Höhepunkt bedeutet, glaubt er, der Coitus sei auch die ganze
Enthüllung der betreffenden Frau. Es ist bemerkenswert, daß die

-171-
meisten Männer selbst angezogen bleiben, während sie die Frau
ausziehen. Sie verlieren die Geduld und haben keine Zeit mehr,
sich selbst zu entkleiden. Indessen verbirgt die nackte Frau
immer noch mehr als ein Mann im Pelzmantel. Für sie ist der
Coitus so selbstverständlich, daß er eher einen Anfang als ein
Ende bedeutet. Sie gibt sich den Männern nicht, um zu erfahren,
sondern um die Neugier zu befriedigen, und während sie geil
aussieht, ist sie nur neugierig.
Es ist viel leichter, mit einer Frau als aus ihr einen Menschen
zu machen.
Sie ist nämlich nur ein Gefäß für Menschen.
Wie aber macht man doch einen Menschen aus einer Frau?
Indem man:
1. sie nicht liebt.
2. sie nicht liebt.
3. sie nicht liebt. Wenn man sie aber doch liebt? -Da kann
man nix machen!
Die Sitte ist ebenfalls weiblichen Geschlechts. Ein Beweis
dafür, wie wandelbar sie ist.
Die Frauen sind die Bahnbrecher der neuen Welt.
Sie haben weniger Disziplin und mehr Instinkt für das Faule
[?] wie für das Kommende.
Ebenso wie sie konservativ sind in Kleinigkeiten, sind sie
(nicht revolutionär, aber) liberal in den großen Dingen,
besonders Formen, der Sittlichkeit...11
Der innere Aufschwung, den ihm Paris bedeutete, machte bei
Roth neue Kräfte frei. Zum erstenmal seit seiner Studienzeit las
er wieder intensiv. Die Lust am Lernen und Wissen wurde
wacher, er wandte sich der französischen Literatur zu, durch die
er sich Frankreich zu nähern trachtete. Er lernte die ersten Bände
von Prousts Werk kennen, las 1925 Claudels Le Soulier de Satin
und vertiefte sich in die merkwürdigen Selbstenthüllungen

-172-
Jouhandeaus 12 .
Am häufigsten von allen Autoren tauchte [jedoch] Flaubert in
seinen Gesprächen auf. Als Benno Reifenberg darauf zu
sprechen kam, welch großen Eindruck Flauberts Ägyptisches
Tagebuch auf ihn gemacht habe, stimmte Roth eifrig zu und
meinte, Flaubert sei ein Meister der Sprache, dessen Dienst am
Wort die größte Bewunderung verdiene 13 . Einem anderen
Berufskollegen teilte er mit, er verehre an Flaubert den
meisterhaften Erzähler, nicht nur wegen seiner stilistischen
Präzision und Objektivität, sondern auch, weil er die Fabel nicht
zu einer sekundären Angelegenheit mache 14 . Roth hatte
hinreichenden Grund, eine künstlerische Verwandtschaft mit
Flaubert herauszufühlen. Mit Flaubert teilte er sowohl das
Interesse für kleine Schicksale wie auch das kur iose Gemisch
aus Mitleid und distanzierender Ironie. Als Skeptiker begegnen
sie sich in der Desillusion, die bei beiden ein Hauptmoment ist.
Roths literarisches Programm im Hinblick auf Werke wie Flucht
ohne Ende und Zipper und sein Vater ließe sich auch mit den
bekannten Worten Flauberts ausdrücken:
»Ce qui me semble à moi le plus haut dans l'art et le plus
difficile, ce n'est ni de faire rire ni de faire pleurer, ni de vous
mettre en rut ou en fureur, mais d'agir à la façon de la nature,
c'est-àdire de faire rêver.« Bei Roth lag jedoch die
Gefühlsregung selten tief unter der Oberfläche, er mußte sich,
anders als Flaubert, vor dem Pathos in acht nehmen. Nicht von
ungefähr lobt er in einigen seiner Buchrezensionen die
Gefühlsunterdrückung, und es wurde als Anerkennung
aufgefaßt, als er einem seiner Freunde ein Buch mit der
Widmung »Dem guten, unpathetischen Kämpfer« schenkte15 .
Roth, der sonst nicht um die Erneuerung der Erzähltechnik - nur
um modern zu wirken - bemüht war, schloß sich, der nüchternen
Beherrschung des Gegenstandes wegen, am Ende der zwanziger
Jahre eine Zeitlang der Richtung der Neuen
Sachlichkeit an. Aber die Absage an das Programmatische

-173-
ließ dann nicht lange auf sich warten. Bei Roth wurde die
Sachlichkeit zur Ironie, und seine Ironie war eine immerhin
noch gefühlvolle Abwehr gegen das Mitgefühl.
Über Stendhal sprach Roth zwar weniger, aber in einem ganz
anderen Ton. Ihn betrachtete er als den großen Schriftsteller, der
er, wie er einem Freund anvertraute, am liebsten selber gewesen
wäre16 . Wenn es bei Flaubert die Nüchternheit war, die ihm
zusagte, so zog ihn bei Stendhal das Entgegengesetzte an. Der
kühne Aufstieg, die Machenschaften des Opportunisten, die
ungezügelten Liebesaffären, der Held als Willensmensch, lauter
Dinge, die bei Roth im Spinnennetz, Rechts und Links und Die
Hundert Tage fehlschlagen, finden bei Stendhal ihre
Vollendung. Flaubert und Stendhal umfassen die
gegensätzlichen Tendenzen Roths, die nie zur Verschmelzung
kamen. Flauberts Nüchternheit findet ihren Kontrapunkt in
Stendhals Bemerkung: »Je sais que je suis très passionné.«
Stendhals Satz in Vie de Henn Brulard, »La nature in'a donné
les nerfs délicats et la peau sensible d'une femme«, läßt sich
genausogut auf Roth anwenden. Auch er konnte durch ein Wort
aus der Fassung gebracht werden, ein Mienenspiel oder eine
beiläufige Geste gaben ihm Anlaß zur Spekulation und zu
starken Gefühlsschwankungen. Roth wie Stendhal waren
gefühlsmäßig der Meinung, die menschliche Niedertracht
zwinge einen zur Heuchelei: man muß sich eine Maske
aufsetzen, sich eine Haltung geben, wenn man sich in der
groben Welt behaupten will.
Im September, Oktober und November 1925 unternahm Roth
im Auftrag seiner Zeitung eine ausgedehnte Reise durch den
Süden Frankreichs, auf der er Lyon, Vienne, Tournon, Avignon,
Les Beaux, St. Rémy, Nîmes, Arles, Tarascon, Beaucaire,
Marseille aufsuchte. Die weißen Städte heißt die Reportage 17 ,
die eigentlich eine Entdeckungsreise durch Raum und Zeit
darstellt. Vergangenheit und Gegenwart bringt er ständig
miteinander in Verbindung: die Frauen Avignons sind für ihn

-174-
die Nachkommen der Römer, und einen Bürger aus Lyon
bekleidet er im Geiste mit der Rüstung der Antike18 , um seinen
Lesern die Kontinuität der Kultur in diesen Gegenden vor
Augen zu führen. Die Einheit der Welt offenbart sich ihm in der
Verschiedenheit ihrer Äußerungen. Er konstatiert: »Es gibt kein
unbeschränkt und allein ›Kommendes‹, kein endgültig
›Verlorenes‹. Im Kommenden ist das Vergangene 19 .« Die
einschneidenden Umwälzungen, die die Zeit mit sich brachte
und ihn in Mitteleuropa bedrückten, waren scheinbar in diesen
Landesteil nicht eingedrungen. So richtet er seine Gedanken mit
spürbarer Erleichterung nicht auf den Augenblick, wie es bei
seinen Reportagen in Deutschland und den übrigen Ländern der
Fall war, sondern auf das Ewigwährende. Er bedient sich einer
Bemerkung Stendhals: »Das, was ich in einer Stadt zu
beobachten liebe, sind ihre Menschen20 «, aber der einzelne
heutige Mensch steht hier nicht im Mittelpunkt seines Interesses.
Er wandert durch die Jahr hunderte, die Atmosphäre, Tradition
und Geschichte umfassen.
Roth fühlte sich in einem freundlichen Element. Er
bewunderte die Mischung der Rassen, zwischen denen es sich
erübrigte, sich nach Abkunft und Rasse auszuweisen und
brachte alledem seine Sympathie entgegen. Seine Sprache fließt
ohne Stockung dahin, seine impressionistischen Wendungen
kommen von selbst, seine Prosa gehört zu dem Schönsten, was
er seiner Zeitung je liefern sollte. Die Sonne des Südens, die er
mit der Beschaffenheit des Landes in Verbindung bringt,
spiegelt sich in seiner Seele wider. Er ist heiter und aufgeräumt,
er steht nicht im Widerspruch zu seiner Umwelt und das gibt
ihm eine ungewohnte Ruhe und Abgeklärtheit.
Im Frühjahr 1926, auf der Rückreise von einer
Redaktionskonferenz in Frankfurt, machte Roth einen Abstecher
nach dem Ruhrgebiet, ehe er seine Reise nach Paris fortsetzte.
Die Reportagen, die daraus entstanden, stehen in krassem
Gegensatz zu denen über Südfrankreich, dessen heilsamer

-175-
Einfluß ihn nicht losließ.
Das Temperament des Berichterstatters nahm vieles mit
Unwillen auf. »Dunst, Rauch, Staub« stoßen ihn ab. Nachdem er
den organisch gewachsenen französischen Midi gepriesen hat,
klagt er über die »Enge« und »die Kälte« des Ruhrgebietes, die
ihm zur Qual werden. Er reibt sich an der Grobheit des
Arbeiterlebens und der primitiven Anspruchslosigkeit der
sozialen und kulturellen Einrichtungen. »Hier ist der Rauch ein
Himmel. Alle Städte verbindet er«, stellt er in einem anderen
Beitrag der Reportageserie fest21 . Die Menschen, die ihm
begegnen, sind »Bewohner des Rauchlandes, der großen
Rauchstadt, Gläubige des Rauchs 22 ...« Die Kunstschätze, die es
dort zu sehen gibt, seien von Kohlenstaub bedeckt: »Niemals
wird ein reiner, nackter Sonnenstreifen sie vergolden. Niemals
wird ein sauberer Regen sie waschen. Niemals wird eine echte
Wolke sie beschatten23 .« In Frankreich feierte er den Sieg der
Natur. Hier schildert er den trostlosen Sieg über die Natur.
Roth deutete an, der Kontakt mit Frankreich mache ihm
Hoffnungen, die seine freudlose Jugend nicht hatte erwarten
lassen, die aber den Träumen seiner Kindheit entsprächen24 .
Allein, die Kindheitsträume sollten nur kurze Zeit Wirklichkeit
werden, denn bei seiner Rückkehr nach Paris Anfang April fand
Roth eine niederschmetternde Nachricht von der Redaktion
seiner Zeitung vor, die den neugewonnenen Halt zu vernichten
drohte. Ab 1. Mai habe er seine Pariser Stellung einem anderen
abzutreten und seine Tätigkeit anderswo fortzusetzen. Dies,
obgleich es, wie ihm Benno Reifenberg brieflich eingesteht,
richtig sei, daß man ihm »die Zusicherung für Paris
einigermaßen fest gegeben« habe25 . Friedrich Sieburg, der neue
Vertreter der »Frankfurter Zeitung« in Paris, hatte sich die
dortige Alleinvertretung des Feuilletons gesichert, was sofort zu
einem gespannten Verhältnis zwischen Roth und Sieburg führte,
die Reifenberg beschönigend als »Gegensatz« umschrieb.
Schmerz und Enttäuschung sprechen aus Roths /Brief an

-176-
Reifenberg/: »Sie ahnen nicht, wieviel privat und die
litterarische Carrière betreffend, mir zerstört wird, wenn ich
Paris verlasse26 .« Umgehend kündigt der gekränkte Roth seine
Absicht an, aus der Zeitung auszuscheiden und abermals an
Berliner Blättern mitzuarbeiten. Drei Monate lang unterbreitet
die Redaktion Roth Vorschläge über die verschiedenen Länder,
für die man ihn gerne verpflichten möchte. Den ersten
Vorschlag, der Italien betraf, weist Roth als »Ausflucht« zurück,
was Reifenberg nicht abstreitet, obwohl er persönlich, wie er
versichert, der Ansicht ist, Mussolinis Faschismus sei ein
aktuelles Problem, das er gern ausgeleuchtet sehen würde.
Schließlich erklärt sich der Zeitungsverlag bereit, Roth als
Feuilletonkorrespondenten sowohl nach Moskau als auch nach
Spanien zu schicken. Ende Mai war man im Zeitungs gremium
übereingekommen, Roth eine Reise nach Amerika anzutragen.
Dies veranlaßte Roth, einen teilweise sarkastischen Brief zu
senden, in dem er seinen Vorgesetzten auseinandersetzt, trotz
seiner »spezifischen Begabung, gewisse Institutionen, Sitten und
Gebräuche der bürgerlichen Welt ironisch zu behandeln«,
bestehe bei ihm keine Gefahr, daß er bei einer Reise nach
Moskau etwa zur »Anerkennung der zweifelhaften Erfolge der
russischen Revolution« neige: Seine Skepsis werde ihn davor
bewahren, sich von irgendeinem Enthusiasmus dazu hinreißen
zu lassen, die eine Weltordnung über die andere zu stellen.
Zum erstenmal lassen sich in diesem Brief Anzeichen einer
Gesinnung feststellen, die Roth im letzten Jahrzehnt seines
Lebens stark beschäftigen sollte:
»Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit gestehen - ohne Sie mit
einer Beichte belästigen zu wollen -, daß mein Verhältnis zum
Katholizismus und zur Kirche von einer verblüffend ändern Art
ist, als man von einer flüchtigen Kenntnis meiner Person, meiner
Aufsätze und selbst meiner Bücher glauben könnte. Schon
dieser Umstand allein garantiert mir eine gewisse Distanz zu den
Dingen in Rußland 27 .« Dieser scheinbar hingeworfene Gedanke

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steht in Einklang mit anderen Stellen des Briefes, die darauf
abzielen, den Urheber interessant zu machen und seine
Originalität hervorzuheben. Mit ebenso wenig Bedenken konnte
er im Laufe seiner darauffolgenden Rußlandreise behaupten, er
sei »kein Konservativer«28 . Aber wenige Jahre später kam er
unter ganz anderen Voraussetzungen auf sein »Verhältnis zum
Katholizismus und zur Kirche« zurück und intensivierte es. Roth
hatte sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, nach Rußland zu
reisen, setzte es aber bei der Redaktion durch, daß er die Reise
erst im Spätsommer anzutreten brauchte. Damit gewann er Zeit
für eine Studie, an der er bereits lange Zeit arbeitete. In den
vorangegangenen Monaten - vom 1. Juli bis Mitte September
erschien keine Arbeit von ihm - hatte er sich mit einem großen
Aufsatz beschäftigt, Juden auf Wanderschaft. Auf der ersten
Seite der heute noch erhaltenen Bürstenabzüge dieser Arbeit
steht der Vermerk: »Korrekturen von der Druckerei eingegangen
am 30. Aug. 1926 umgehend korrigiert zurück an den Verlag
Die Schmiede.« Nachdem einige Seiten des Aufsatzes am 20.
März 1926 in der »Wiener Morgenzeitung« zum Vorabdruck
gelangten29 , erschien er im Frühling des folgenden Jahres im
Verlag Die Schmiede in Berlin, in der Reihe »Berichte aus der
Wirklichkeit«: Der Abschluß des Aufsatzes, »Die Lage der
Juden in Sowjetrußland«, wurde erst auf der Rußlandreise
abgefaßt und erschien vorerst als Reisereportage in der
»Frankfurter Zeitung« 30 .
Dieser lange schöne Essay, der zu den besten seiner Arbeiten
gehört, enthält Roths offenes Bekenntnis zu den Ostjuden. Sein
bis dahin nie in Worte gefaßtes Eingeständnis, er könne sich
niemals von seiner Herkunft, an die er sich am liebsten nicht
erinnert hätte, und von den
Bindungen seiner Kindheit, von denen er sich mit aller
Gewalt lösen wollte, trennen, kommt in diesem Essay durch die
hierin ausgesprochene Sympathie sogar deutlicher zum
Ausdruck als in seinem später erschienenen Hiob-Roman.

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Die Abhandlung erweckt beim Leser den Eindruck, als sei sie
von einem Westeuropäer geschrieben, der jedoch die
menschlicheren Eigenschaften bei den Juden des Ostens findet
und sich auch ihrer Sache annimmt.
Indirekt schildert Roth sein eigenes Schicksal in Juden auf
Wanderschaft, und diese unverkennbare unterschwellige
Identifizierung ist es, die der Arbeit so viel Anziehungskraft
gibt:
»Viele wandern aus Trieb oder ohne recht zu wissen, warum.
Sie folgen einem unbestimmten Ruf der Fremde, oder dem
bestimmten eines arrivierten Verwandten, der Lust die Welt zu
sehen und der angeblichen Enge der Heimat zu entfliehen, dem
Willen zu wirken und ihre Kräfte gelten zu lassen.
Viele kehren zurück. Noch mehr ble iben unterwegs. Die
Ostjuden haben nirgends eine Heimat, aber Gräber auf jedem
Friedhof. Viele werden bedeutend. Viele werden schöpferisch in
fremder Kultur. Viele verlieren sich und die Welt 31 .«
Im letzten Jahrzehnt seines Lebens offenbarten sich in Roth,
dem Lebens- und Weltkrisen hart zugesetzt hatten, viele
Psychen, die im Widerspruch zueinander standen. In Juden auf
Wanderschaft machen sich bereits Ansätze dazu bemerkbar. Er,
der selber ein Assimilantentyp war, verwirft die Assimilation:
»Die Emigranten assimilieren sich - leider! - nicht zu langsam,
wie man ihnen vorwirft, sondern viel zu rasch an unsere
traurigen Lebensbedingungen32 .« Bei aller Bereitschaft zu
persönlichen Kompromissen behält der Autor seine Sympathie
für die kompromißlosen orthodoxen Juden und an dem Abfall
anderer findet er die Erhärtung seiner leidenschaftlichen
Überzeugung: »Die Großväter kämpften noch verzweifelt mit
Jehova, schlugen sich die Köpfe wund an den tristen Mauern des
kleinen Bethauses, riefen nach Strafe für ihre Sünden und
flehten um Vergebung. Die Enkel sind westlich geworden. Sie
bedürfen der Orgel, um sich in Stimmung zu bringen, ihr Gott
ist eine Art abstrakter Naturgewalt, ihr Gebet ist eine Formel33 .«
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Mit schweifendem Blick wird in Juden auf Wanderschaft das
Los der Ostjuden im Westen und in den » Gettos« von Wien,
Berlin und Paris betrachtet, großartige Schilderungen vermitteln
ein Bild der jüdischen Städtchen des Ostens, die Lage der
russischen Juden wird erörtert, und mit kauzigverhaltenem
Humor werden die Träume und Erwägungen jener Ostjuden
eruiert, die sich auf die Auswanderung nach Amerika
vorbereiten.
Mitte August bringt Roth seine Frau zu ihren Eltern nach
Wien und tritt daraufhin die Reise nach Rußland an, wo er sich
vier Monate lang aufhält. Während dieser Zeit erscheint von ihm
neben losen Beiträgen eine Folge von achtzehn Reiseberichten,
die meist in Wochenabständen in der »Frankfurter Zeitung«
abgedruckt werden. In seinen ersten Reportagen aus Rußland
übt er wenig Kritik und beschränkt sich auf Allgeme ines und
eher Positives. Nicht der Politik und ihren Neuerungen gilt seine
Aufmerksamkeit, sondern dem eigenen, skurrilen Erlebnis, und
was ihm dazu einfällt. Die Durchsuchung der Koffer beim
Passieren der Grenze wird bei ihm zu einer bedeutungsvollen
Begebenheit34 . Ein Wolga-Dampfer gibt ihm Anlaß zu
Reflexionen über die Verteilung der Klassen, Reflexionen, die
an eingeflochtene Bemerkungen in seinem Hotel Savoy
gemahnen und mit denen er durch die symbolische Einteilung
von »oben« und »unten« die neue Schichtung der sowjetischen
Gesellschaft zu entschlüsseln trachtet35 . Selbst die Fliegen und
Spinnen von Astrachan liefern ihm Stoff zu ein paar
Zeitungsspalten36 .
Von der achten Reportage an wird seine Stellungnahme
sicherer, sein Blick kritischer. Er schildert das graue Leben und
die armselige Masse, das geschäftige hastende Rußland, das in
seinen Augen »das Zeichen von Amerika an der Stirn« trägt 37 .
Er läßt sich unverblümt sowohl über den vom Staat geförderten
Atheismus und die Politik gegenüber der Kirche aus38 , wie auch
über die öffentliche Meinung, die Zeitungen und die Zensur 39 .

-180-
Mehrmals beschäftigt er sich mit Art und Wesen der Frau und
ihrer Stellung in der russischen Gesellschaft40 , und zum
Abschluß seiner Reise verfaßt er zwei Reportagen über die
Schule und die Jugend 41 .
Seine Reise führt ihn nach Moskau und Leningrad, darauf
folgt eine Wolgafahrt nach Astrachan, dem Kaukasus und Baku.
Roth gibt sich liberal, betrachtet alles mit wachem Auge und
regem Interesse, zeigt eine skeptische Aufgeschlossenheit für
die Errungenschaften des jungen Staates und stellt fest, daß
hauptsächlich nur Händler und Gastwirte mit der Regierung
unzufrieden sind 42 . Das eigentlich Revolutionäre jedoch scheint
ihm überlebt, das Bürokratische habe überhand genommen, so
daß der wirkliche Revolutionär heute der Opposition angehören
müsse43 .
Das Subtile in Roth, der für die Undefinierbarkeit der Dinge
ein so feines Organ hat, fühlt sich durch die sowjetische
Klassenordnung abgestoßen:
»Entweder man ist Arbeiter oder Funktionär oder Büro-
Angestellter. Man ist aktiv oder man wird erst aktiv. Man ist in
der Partei oder man bereitet sich gerade vor, in die Partei
aufgenommen zu werden... Man ist niemals ganz
Privatmensch... Die ganze Welt ist ein ungeheurer Apparat44 .«
Mit der Schule fange es an; dort werde den Schülern die Lehre
vom »kollektivistischen Bewußtsein« und einem »banalen
Optimismus, der nur proletarisch gefärbt, aber im Wesen
derselbe ist, wie er in Amerika grassiert«, eingeprägt 45 .
Bei aller Achtung vor dem Arbeitseifer und der
Zukunftsfreude des Landes bemängelt er die geistige Leere und
die kleinbürgerliche Verständnislosigkeit der Selbstironie
gegenüber.
Bei der von ihm konstatierten allgemeinen Nivellierung
scheint den Berichterstatter der Wandel der russischen Frau am
meisten zu verdrießen. Roth, der sich in unbeschwerten Stunden

-181-
neckisch als einen Philosophen der Liebe ausgab, schüttelt
förmlich den Kopf über ein Land, in dem die Frau zum
»öffentlichen Faktor« geworden sei und wo keine erotische
Kultur herrsche. Die Revo lution, die der Frau alle Rechte
verlieh, habe ihr alle Vorrechte genommen. Da sie nicht mehr
Gegenstand der Werbung sei, habe ihre natürliche Eitelkeit
keine Nahrung mehr. Man glaube in Rußland revolutionär zu
sein, wenn man den Befehlen der Natur und den Forderungen
des einfachen Verstandes wörtlich gehorche. Roth hingegen ist
der Ansicht, es sei reaktionär, die Frau durch Gleichstellung in
ein Neutrum zu verwandeln; revolutionär wäre es, sie durch
Achtung weiblich sein zu lassen. Wir seien alle Säugetiere, die
sich von den vierfüßigen durch eine sexuelle Aufklärung
unterschieden, welche die erotische Beziehung nicht nur auf
Körper und Bewußtsein beschränke, sondern Verständnis für die
komplizierte und künstlerische Steigerungen erfordernde Liebe
vermittele46 . Noch nach seiner Rückkehr nach Berlin macht
Roth seinen Kollegen gegenüber seiner Entrüstung darüber Luft,
daß Werbung und Erotik im neuen Rußland keine Rolle spiele:
»... an Stelle des Seelenrausches herrscht dort nur noch die
Lust«47 .

16l

Intensität und Begeisterung sind nur in seiner Abhandlung


über das Los der russischen Juden zu finden. Seine neunte
Folge, »Die Lage der Juden in Sowjetrußland« vom 9.
November 1926 wird wortgetreu unter demselben Titel in
seinem Essay Juden auf Wanderschaft aufgenommen. Freudig
eröffnet er:
»Heute ist Sowjetrußland das einzige Land in Europa, in dem
der Antisemitismus verpönt ist, wenn er auch nicht aufgehört
hat. Die Juden sind vollkommen freie Bürger ---- mag ihre

-182-
Freiheit auch noch nicht die Lösung der jüdische n Frage
bedeuten. Als Individuen sind sie frei von Haß und Verfolgung.
Als Volk haben sie alle Rechte einer ›nationalen Minderheit‹
Die Geschichte der Juden kennt kein Beispiel einer so
plötzlichen und einer so vollkommenen Befreiung48 . Ende
Dezember trat Roth die Reise nach dem Westen an. Zu
Weihnachten suchte er seinen Freund Józef Wittlin in dessen
Haus in Bolislawow in der Höhe von Lodz auf. Roth zeigte sich
über den schönen Christbaum erfreut und begann dann von
seinen Rußlanderlebnissen zu erzählen. Er schickte voraus, er
sei froh, sich auf der Heimreise zu befinden; nach kurzer Pause
und unter vehementem Kopfschütteln meinte er, er sei von
Rußland »enttäuscht«. Jeder junge Mann in Mitteleuropa
betrachte sich als Rebell und schaue nach Rußland. Er für seinen
Teil habe seine früheren Gedanken revidieren müssen49 .
Wie viele seiner Zeitgenossen, die sich in einer Ära
fortlaufenden Umbruchs befanden, war Roth - wohl halb
unbewußt - auf der Suche nach einer gültigen Autorität und der
damit verbundenen Stabilität einer Weltanschauung. Ein Bertolt
Brecht konnte durch die Parteinahme für den Marxismus sein
Bedürfnis befriedigen, sich ganz mit einer Ideologie zu
identifizieren. Ihm gelang es auch, sein marxistisches Ideal und
die Praxis des kommunistischen Rußland
50
auseinanderzubehalten . Roth dagegen, der in der
Weltgeschichte einen Sinn sehen und an eine bessere Zukunft
glauben wollte, bedeutete das rein Theoretische nur wenig,
wenn er sich durch den Augenschein von jener Verflachung
überzeugen mußte, die er in seinen Reportagen beschrieb. Der
einzige für ihn annehmbare Sozialismus hätte eine humanitäre
Moral verkörpern müssen.
Nach seiner Rückkehr nach Berlin, wo er sich einige Wochen
aufhält, lenkt Roth das Gespräch immer wieder auf das große
Thema Rußland. Bei einer Begegnung mit dem inzwischen zur
kommunistischen Partei

-183-
übergetretenen Freund Bruno Frei reizt es ihn - wohl durch
die eigene Enttäuschung dazu angestachelt -, diesen zu
provozieren: »Es ist wohl nichts mit der Sowjetunion.«
»Warum?« wollte Bruno Frei wissen.
»Das Geld haben sie nicht abgeschafft. Man muß überall
immer noch zahlen51 !« Daran knüpfte sich eine lange
Diskussion, aus der, laut Bruno Frei, hervorging, Roth habe
prophetische und visionäre Vorstellungen gehabt, als er seine
Rußlandreise antrat. Preis weitere Behauptung, Roth sei in
bezug auf die Theorie des Marxismus gänzlich ungeschult
gewesen und habe zudem für die Bücher, die ihn darüber hätten
aufklären können, nur Verachtung gehabt, ist der Wahrheit nicht
fern, obwohl Roth sich auf der Rußlandreise mit Lenins
Schriften befaßt hatte. Was aber Frei, den Parteigänger,
seinerseits unsicher machte und ihn dazu verleitete, die
Argumente seines Freundes auf ihren vermeintlich weltfremden
Kern zu reduzieren, war Roths treffsichere Behauptung, in
Rußland habe sich die marxistische Theorie darin erschöpft, ein
Kleinbürgertum zu züchten, und zwar in einem Land, das
niemals eine Bourgeoisie im westlichen Sinne gehabt habe.
Nach kürzeren Aufenthalten in Berlin und Frankfurt läßt sich
Roth erneut in Paris nieder, wo er im März 1927 seinen neuesten
Roman, Die Flucht ohne Ende, den er in Rußland konzipiert und
zu schreiben angefangen hatte, vollendet52 . Zu Weihnachten
erscheint das Werk im Kurt Wolff Verlag zu München; kurz
danach druckt der Verlag ein vierseitiges Flugblatt, das den
Autor als »Der deutsche Dichter der neuen Generation« anpreist
und Auszüge aus elf Rezensionen führender Zeitschriften und
Zeitungen bringt. Der Roman kommt dem Geschmack der Zeit
entgegen; nicht nur diese Rezensionen, sondern überhaupt die
Mehrzahl der zu jener Zeit erschienenen lassen ihm
Anerkennung zuteil werden und einige erkennen ihm einmalige
Qualitäten zu: »Dieses Buch ist ein bedeutendes, zeitwichtiges
Werk, Chronik in vollendetem Sinn; es gibt keinen Schriftsteller

-184-
der Gegenwart, der auf seelischer Basis mit solcher Präzision,
mit soviel Esprit, mit so edler Eleganz und mit solcher
treffsicheren Genauigkeit zu schreiben vermag53 .«
Die unmittelbaren, in Rußland gewonnenen Eindrücke finden
im Roman ihren Niederschlag; nicht nur, daß alle Stationen der
Rußlandreise verzeichnet werden, auch mehrere der in den
Reportagen aufgezeichneten kultursoziologischen Urteile
werden von neuem eruiert.
So gehören auch die ersten, in Rußland spielenden Partien,
zusammen mit den letzten, in denen es sich um Paris dreht, zu
den besten des Buches und wirken prägnanter und
überzeugender als die mittleren. Die dort entworfenen Bilder
von satter Dekadenz, Heuchelei und Europamüdigkeit im
Rheinland erscheinen vergleichsweise konstruiert und flüchtig
hingeworfen.
Den Hintergrund zur Geschichte des österreichischen
Oberleutnants Franz Tunda, der in russische Gefangenschaft
gerät, an der Revolution auf seilen der Bolschewisten teilnimmt
und schließlich nach dem Westen flieht, um über Wien und
Deutschland nach Paris zu gelangen, bildet die Konfrontation
der revolutionären Neuordnung im Osten mit der traditionellen
Ordnung im Westen. Das Fazit ist, daß keine Alternativen
genügen können. In einem Satz aus einer in Rußland
entstandenen Reportage hat Roth alles vorweggenommen:
»Wenn bei uns eine alte und, wie man sagt: müde Kultur durch
Girls, Faschismus, flache Romantik pathologisch banal wird, so
wird hier eine eben erst geweckte, brutal kräftige Welt gesund
banal54 .« In dieser Reportage entscheidet sich Roth noch mit
Vorbehalt für den Westen: »Vorläufig bleibt immer noch die
geistige Physiognomie Europas interessanter - wenn auch ihre
politische und soziale Physiognomie schauderhaft ist55 . -« - Im
Roman hingegen halten sich die Vorzüge und die Niedertracht
von Ost und West die Waage.
An Natascha, Tundas revolutionärer Lebensgefährtin, die die
-185-
Liebe als eine bürgerliche Erscheinung abtut, und an Tundas
Bruder, dem doppelzüngiggleisnerischen Kapellmeister in einer
Stadt am Rhein, wird die negative Antwort auf die
unausgesprochene Frage, ob man reinen Herzens und mit
aufrichtiger Überzeugung dem Kodex einer der beiden Kulturen
entsprechend leben kann, veranschaulicht. In Juden auf
Wanderschaft bezeichnet Roth den »Traum des Ostjuden von
einer westeuropäischen Humanität« als »lächerlich« 56 und in
diesem Roman wie in seinen russischen Reportagen die
sowjetische Alternative als lebensunwürdig. Mit anderen
Worten, für den sehr europäischen Roth und sein Spiegelbild
Tunda hat Europa ausgespielt, obwohl es der einzige Ort bleibt,
wo man sich das Leben überhaupt noch vorstellen kann.
Tunda, der sich weder an einem Glauben noch an einem
Aberglauben aufrichten kann, er, der sich nicht politisch
engagieren und in keiner Programmatischen Moral oder
Lebenslüge einen Halt finden kann und der jeden Hinweis auf
Zukunft und Bindung als Illusion betrachtet, lebt als Treibgut
unter den Menschen und zwischen den Welten von Ost und
West.
Das Streben des Autors, seinem Werk die Überzeugungskraft
des Dokumentarischen zu verleihen, wird durch dessen
Untertitel, »Ein Bericht« unterstrichen. Mit diesem »Bericht«
und auch noch mit den beiden folgenden Romanen, Zipper und
sein Vater und Rechts und Links, begab sich Roth in den Bereich
einer Neuen Sachlichkeit mit journalistischem Einschlag. In Die
Flucht ohne Ende versucht er nicht, Charaktere auszuarbeiten,
aus Franz Tunda macht er keine abgerundete Gestalt. Die
Episoden im Leben Tundas werden dem Leser nicht durch
literarische Inszenierung vor Augen geführt, sondern meistens
umschrieben oder referierend berichtet. Auch die Umrisse einer
klaren Fabel fehlen. Der Roman mündet in kein »Ende«,
sondern er bricht ab, da er keinen eigentlichen Schluß haben
kann. Sein Vorhaben, den »modernen Roman« im Zeichen der

-186-
Neuen Sachlichkeit zu gestalten, kann Roth nur zum Teil
verwirklichen, denn die Voraussetzungen hierfür stehen zu
wenig im Einklang mit seinen eigentlichen Antrieben. Nicht nur
Tatsachenmaterial, also das »Beobachtete«, worauf er sich
angeblich stützt, bildet den Gehalt der Flucht ohne Ende,
Erdichtetes kommt immer wieder hinzu und ist für die
eigenartige Atmosphäre des Romans viel maßgebender als das
»Nichtkomponierte«. Die Melancholie der
Untergangsstimmung, das versonnenbittersüße Lächeln über die
Vergeblichkeit menschlichen Strebens, verdankt man nicht den
berichtenden Stellen über Tundas Irrfahrten, sondern den
zahlreichen dichterischphilosophischen Einschaltungen des
Autors selbst. So bemerkt er etwa: »In den Seelen mancher
Menschen richtet die Trauer einen größeren Jubel an als die
Freude. Von allen Tränen, die man verschluckt, sind jene die
köstlichsten, die man über sich selbst geweint hätte57 .« Die
Lebensmüdigkeit, die eine Neigung zur Schwermut verrät,
macht jenseits vom zeitlich Bedingten des Romans seine
eigentliche Atmosphäre aus und gibt ihm eine gewisse
künstlerische Größe, obgleich manches darin heute
journalistisch verflacht wirkt. Ein französischer Kritiker, Félix
Bertaux, dem Roth von 1927 an ein Jahrzehnt lang eng
verbunden bleiben sollte, schreibt in einer Würdigung des
Romans in bezug auf dessen Autor: »... il se garde de juger58 .«
Roth nimmt aber in Wirklichkeit immer wieder Stellung, seine
eigenen Ansichten geben dem Buch sein Gepräge, was bei ihm,
der sogar als Journalist keine wirklich sachlichen Berichte
zustande bringen konnte, kaum anders möglich war.
Das Bekenntnis zur Neuen Sachlichkeit erfolgte bei Roth
ruckartig und wider Erwarten. Noch auf seiner Rußlandreise
äußerte er seinen Mißmut über die Unzulänglichkeit der
russischen Presse, welche sich mit dem rein objektiv
Wahrgenommenen zufrieden gibt: »Man achtet sehr scharf auf
die Einhaltung der ›Authentizität^ Man hat alles aus der

-187-
sogenannten ›ersten Hand‹... Die ›Zuschrift aus dem Publikum‹,
der ›Bericht des zufälligen Augenzeugen‹ werden in den Rang
der sachverständigen Berichterstattung erhoben.... Aber die
Sowjetpresse gibt sich mit dieser privaten Authentizität
zufrieden, und deshalb ist ihr ›Zeitungsbericht‹ nicht mehr wert
als eine primitive ›Zeugenaussage‹... Weiß diese junge Presse,
weiß diese junge Regierung noch nicht, daß man zur Spiegelung
des Lebens der Spiegel bedarf? Daß man aber keineswegs einen
beliebigen Gegenstand, eine Teekanne oder eine Hacke oder ein
Fleischmesser als Spiegel verwenden kann?... [Es gibt] in den
russischen Blättern fast lauter richtige Tatsachen und fast lauter
falsche Berichte; Geständnisse und keine Aufklärung; Angaben
und keine Bilder59 .«
Zeugnisse von Roths Hand lassen jedoch die Gründe für seine
Schwenkung zur Neuen Sachlichkeit erkennen. In einem Brief
legt Roth seine Gedanken über Zweck und Art des eigenen
Dienstes an der Aktualität dar: »Es ist mein Bemühen, die
Deutschen von ihrem Aberglauben zu heilen, die Kunst sei
etwas Abseitiges, die Literatur ein Ornament des Lebens, eine
Sache der stillen Abende und der Frauen. Die Literatur ist nötig
wie eine Maschine, ein Winterrock und eine Medizin. Unnötig
sind überflüssige Naturbeschreibungen in deutschen Romanen
und Regiebeschreibungen wie: er setzte sich auf einen in der
Nähe stehenden Stuhl, zog die Brieftasche und entnahm ihr eine
Visitenkarte. Unnötig sind die vielen Zeilen, über die der Leser
ausruhend hinwegliest und die er für ›epische Breite» hält.
Überflüssig sind die vielen ausführlichen Liebesszenen, in
denen sich die Unkenntnis der Liebe offenbart. Und überflüssig
sind die Werke hochachtbarer, einmal groß gewesener, alt und -
was noch schlimmer ist - wohlhabend gewordener Schriftsteller.
Ich wünsche allen Kollegen Reichtum. Aber nicht denjenigen,
die ihn nicht vertragen können60 .« Mit alledem will Roth
klarmachen, daß zwischen Literatur und Journalismus keine
Kluft besteht, daß er sich als literarischen Chronisten betrachtet.

-188-
Aber er ist kein »unbeteiligter Chronist«; - eine Bezeichnung,
die er in seiner Rezension über Efraim Frisch anwendet. Das
Mitleid und das Pathos, die nicht zum rein Dokumentarischen
gehören, sind bei ihm nie weit von der Oberfläche entfernt, wie
es Flucht ohne Ende beweist61 . Das Mitgefühl, das in der Neuen
Sachlichkeit doch fehl am Platze ist, kann in diesem Werk nicht
fehlen, weil Roth sich so unverkennbar mit seiner Hauptfigur
identifiziert. Tunda ist ebenso alt wie er: Im Jahre 1926 sind
beide 32 Jahre alt. Im Vorwort führt er Franz Tunda als einen
»Gesinnungsgenossen« ein; »in einer kleinen Stadt Galiziens«62
sind sowohl Tunda wie auch sein Autor geboren. Die russische
Gefangenschaft, die zu den Erfahrungen Tundas gehört, zählte
Roth anderen gegenüber fortan zu den abenteuerlichen
Erlebnissen der eigenen Vergangenheit. Und die Abkunft
Tundas, der der Sohn eines österreichischen Majors und einer
polnischen Jüdin ist, macht Roth zeitweilig ebenfalls zu seiner
eigenen. Ähnliche Identitätsbindungen lassen sich zwischen
Robert Musil und seinem Helden des Mann ohne Eigenschaften
feststellen. Im Jahre 1913 sind Autor und Romanheld beide 32
Jahre alt. Beide sind die Ingenieure und Mathematiker und
stammen aus dem im Roman angedeuteten Klagenfurt. Bei
Musil jedoch sorgen Kühle und Abstand sowie eine zerebrale
Ironie, die Roth nicht liegt, für die Ausschaltung des
Pathetischen.
Musils Ulrich und Franz Tunda sind beide Luftmenschen in
einer Zeitenwende und Produkte einer Übergangsperiode. Beide
Romane berühren die Grundthemen der Literatur ihrer Zeit:
Gesellschaftskritik, die ausgehöhlte bürgerliche Kultur, die
zerfließende Identität, die Unfähigkeit zur Bindung und
Gestaltung des eigenen Lebens. Der Krieg, der im Mann ohne
Eigenschaften als Vorahnung dargestellt wird, wird in Flucht
ohne Ende als Erlebtes und Erlittenes vorausgesetzt, und Tunda
selbst fungiert als Heimkehrer aus diesem Krieg. In dem
nächsten Roman, Zipper und sein Vater, wird ein gleichartiges

-189-
Thema angeschnitten. Dort heißt es:
»Gestehen wir, daß wir zu Unrecht zurückgekommen sind.
Wir wissen soviel wie die Toten, wir müssen uns aber dumm
stellen, weil wir zufällig am Leben geblieben sind... Wir
vergeben nicht, wir vergessen. Oder noch besser: wir vergessen
nicht, wir sehen gar nicht, wir geben nicht acht. Es ist uns
gleichgültig... Wir empören uns nicht, klagen nicht an,
verteidigen nicht, erwarten gar nichts, fürchten gar nichts ----
daß wir nicht freiwillig sterben, ist alles63 .«
Die Rolle des teilnahmslosen Heimkehrers, welche von Tunda
und Zipper dumpf und affektlos gespielt wird, gehört zum
literarischen Bestand der zwanziger Jahre. Die Resignation und
Lebensunlust der kontaktlos gewordenen Kriegsgeneration ist
mancherorts aufzuweisen64 . Bei Roth jedoch ist diese
Problematik mehr als bloße Zeiterscheinung, obwohl sie durch
die Zeit hervorgerufen wurde. Das Motiv der Verlorenheit läßt
sich in seinem Œuvre wie auch in der inneren Einsamkeit des
gesellig wirkenden Roth von Anfang bis zu Ende verfolgen. Als
die »Mode« des Heimkehrerromans sich bei ihm überlebt,
tauchen Abwandlungen des Grundthemas auf. In Tarabas ist es
das Bild vom » Gast auf dieser Erde«, in Kapuzinergruft das
»vom Tode Be urlaubter«. Seine meisten Werke entsprechen
nicht dem üblichen Schema eines Konflikts zwischen Kämpfer
und Gegenkämpfer, der eine Zeitlang unentschieden bleibt und
dessen Ausgang nicht vorauszusehen ist. Im Gegenteil, bei Roth
ringen die Gestalten mit einer Übermacht, der sie von
vornherein unterlegen sind. Ihre innere Haltlosigkeit wird auf
die Zivilisation und die Zeitläufe projiziert, in denen sie leben;
die im Inneren nicht existente Ordnung wird von der Außenwelt
als krasseste Ordnungslosigkeit empfunden. Bei zunehmender
Intensivierung der ins Zeitliche übertragenen Problematik wirkt
sie im Werk wie auch beim Autor wieder ins Private zurück: die
Auflösung einer zeitlichen Epoche kommt als Auflösung der
Persönlichkeit zum Ausdruck. In beiden Fällen läßt sich der

-190-
wehrlose Mensch erkennen.

-191-
13
Die wachsende Entfremdung
1927-1929

»In diesem Land [gemeint ist Deutschland] habe ich keinen


Verlag, keine Leser, keine Anerkennung. Aber auch keinen
Schmerz, weil mich nichts traurig macht, keine Enttäuschung,
weil ich nichts erhoffe, keine Wehmut, weil ich gleichgültig bin
und kalt. Jetzt schneit es fortwährend, die Welt sieht aus wie aus
einer deutschen Konditorei, kandiert, sentimental, süß zum
Kotzen. Ich habe nichts mit dieser Landschaft gemein, nichts
mit diesem Himmel. Aber auch nichts mit dieser Art von
Technik, Pflaster der Straße und Bau der Häuser, mit dieser
Gesellschaft, mit dieser Kunst1 .«
Diese brieflich festgehaltenen Zeilen Roths stammen aus der
Zeit vor seiner Rußlandreise, deuten aber einen seelischen
Prozeß an, der mit den seelischen Nachwirkungen dieser Reise
zusammen zu einer Krise führen mußte. Hier bedient sich Roth
noch einer negierenden Abwehr: er leide nicht, möchte er den
Adressaten glaubenmachen, denn alles sei ihm gleichgültig.
Aber ein Brief, den er einige Monate später an denselben
Arbeitskollegen richtet, spricht von der Beklemmung, die durch
seine wachsende Entfremdung hervorgerufen wird. Dabei
springt es in die Augen, wie sehr die innere Welt der Phantasie
seine Reaktion auf die Außenwelt unsicher macht:
»Ich werde immer einsamer, lieber Freund. In den tausend
Kleinigkeiten des Lebens, in Geschmacksfragen, Essen,
Kleidung, Restaurant und Vergnügungen noch einsamer als in
den prinzipiellen, weltanschaulichen... Selbst meine Frau
entfernt sich von mir, trotz ihrer Liebe. Sie ist normal und ich
bin, was man verrückt nennen muß. Sie reagiert nicht so wie ich,
nicht so stark, nicht so zitternd, sie ist weniger atmosphärisch
bestimmbar, sie ist geradeaus und gescheit. Mich erregt jetzt

-192-
Alles, das Gespräch am Nachbartisch, ein Blick, ein Kleid, ein
Gang. Es ist wirklich nicht ›normal‹. Ich fürchte, ich werde jede
Gesellschaft aufgeben, alle Verbindungen abbrechen müssen.
Ich glaube gar nichts mehr. Ich sehe durch Lupen. Ich schäle die
Haut von den Dingen und Menschen, lege ihre Geheimnisse
bloß - dann kann man freilich nicht mehr glauben. Früher als das
Objekt, das ich betrachte, weiß ich, wie es sich gestalten wird,
verändern und was es tun wird. Vielleicht würde es ganz anders.
Aber mein Wissen von ihm ist so stark, daß es sich genau so
benimmt, wie ich gedacht hatte. Fällt mir von jemandem ein, er
würde eine Schlechtigkeit begehen, flugs begeht er sie. Ich
werde den anständigen Menschen gefährlich, einfach durch
mein Wissen von ihnen.
Das ist ein schauderhaftes Leben, es schließt Liebe ganz aus
und beinahe Freundschaft. Mein Mißtrauen ertötet, wie eine
Desinfektion Bazillen, jede Wärme...2 «
Durch das wieder zur Gewohnheit werdende übermäßige
Trinken, das die Spannungen lindern sollte, kommen bald auch
körperliche Leiden zum Vorschein. Was später seinen
Briefpartnern gegenüber ganze Seiten füllen sollte, erwähnt
Roth zunächst noch lakonisch und bagatellisierend: »Leber
durch Kalvados gerötet. Sonst gut3 .« Roths unaufhörliche
Beschäftigung mit den Eindrücken seiner Rußlandreise gesellte
sich zu der Entfremdung, die er durchmachte. Die seelische
Verarbeitung ging zweigleisig vor sich. Die Erlösung der
Menschheit durch eine vernünftige sozialistische Politik, an die
er in den frühen zwanziger Jahren noch glauben wollte, stellte
sich für ihn als unausführbare Utopie heraus. Roth war nunmehr
überzeugt, die Sowjetunion habe ihre humanitäre Zielsetzung
verlassen und der Kommunismus in der Form des totalitären
Staates den Menschen nur noch mehr sich selbst entfremdet.
Fühlte sich Roth von der Sowjetunion als politischem Gebilde
angewidert, so fühlte er sich andererseits auf merkwürdige
Weise von den Russen und ihrer Wesensart angesprochen. Noch

-193-
während der Rußlandreise schrieb er: »Es ist ein Glück, daß ich
nach Rußland gefahren bin. Ich hätte mich niemals kennen
gelernt 4 .« Kaum war Roth nach Deutschland zurückgekehrt, so
fing er an, über seine vermeintliche russische Herkunft zu
fabulieren. Seine Mutter machte er nunmehr zu einer russischen
Jüdin und sich selber, wie Friedrich Kargan, den Helden seines
unvollendeten, zu dieser Zeit entstandenen Romans Der stumme
Prophet, zu einem Halbrussen und Halbösterreicher. Während
Roth die russische Herkunft seiner mütterlichen Linie
herausstrich, berief er sich andererseits auf die angeblich
österreichische Herkunft seiner väterlichen Linie5 . Ende der
zwanziger Jahre, so erzählt Siegfried Kracauer, ein Kollege von
der »Frankfurter Zeitung«, sei Roth »Der Österreicher« in Berlin
gewesen6 , eine Rolle, die er mit großer Überzeugungskraft
gespielt habe. Ein jüdischer Journalist, der fest überzeugt war,
Roth sei nur mütterlicherseits von jüdischer Herkunft, vermerkte
über ihn: »In seiner äußeren Erscheinung wie in seinem
Auftreten war nicht ein einziger jüdischer Zug - in seiner
aristokratischen Zierlichkeit, in der Leisheit seines Benehmens,
in dem bezaubernden Takt seiner Herzensoffenheit glich er am
meisten dem späten Nachkömmling eines alten, in die letzte
kulturelle Vollendung gezüchteten österreichischen
Adelsgeschlechts7 .« Mit dem österreichischen Offiziershabitus,
den er sich zugelegt hatte, dem Schnurrbart, den er sich zu
dieser Zeit wachsen ließ, den engen Hosenbeinen, dem nunmehr
obligatorischen Spazierstocks, dem wehenden Mantel mit dem
hochgeschlagenen Kragen, der betont aufrechten Haltung und
den vollendeten österreichischen Manieren lebte Roth
unverkennbar in der verflossenen Welt der Habsburger
Monarchie. Roth war im Begriff, sein früheres Leben
»abzustreifen«, wie es im Hotel Savoy heißt. Wiederholte Male
bemerken die Stammtischgenossen aus der damaligen Zeit:
»Roth hat uns nie erzählt, wo er herstammte«8 , oder »Er sprach
nie über seine Vergangenheit. Er wurde nicht vertraulich9 .« In

-194-
der Zeit, in der Roth sich in der Öffentlichkeit »umdichtete« und
sich eine imaginäre österreichische Behausung erschuf, füllte er
lange Briefe mit Klagen über die Bindungslosigkeit und das
Leiden an Deutschland und seiner Zeit: »Nichts bindet mich, ich
bin nicht sentimental genug, um an Zukunft, Familie und
dergleichen zu denken... ich könnte... nicht jetzt nach
Deutschland. Es ist eine tragische Sache und keine Laune...
Wäre ich jetzt dort, ich würde wahnsinnig. Alles wird bei mir
persönlich. Wenn man den [Johannes] Becher einsperrt, sitze ich
in Haft. Ich weiß nicht, was geschehen könnte. Ich wäre
imstande, jemanden zu erschießen, Bomben zu werfen, ich
glaube, ich würde dort ein Ende nehmen und kein gutes. Ich
begebe mich in Lebensgefahr, wenn ich nach Deutschland fahre.
Ich kann es physisch nicht10 .«
Nicht allzu lange nach der Niederschrift dieses in Marseille
geschriebenen Briefes sah sich Roth dennoch genötigt, nach
Deutschland, und zwar nach Frankfurt, zurückzukehren. Dort
exerzierte er seine kavaliermäßige Anschauungswelt vor, in der
er selber zu einer Art Romanfigur wurde. Zu dieser
Anschauungswelt gehörten die enormen Trinkgelder, die er gab,
und die Tatsache, daß er stets darauf bestand, die Zeche aller
versammelten Trinkkumpane zu bezahlen. Mit einer Mark pro
Zeile bekam Roth das damals höchste von der »Frankfurter
Zeitung« ge zahlte Honorar" und litt trotzdem an Geldmangel,
ohne in Wirklichkeit luxuriös zu leben. Aber seine Freigebigkeit
entsprang auch oft echteren Bedürfnissen als bloßem
Renommieren. Sein Freund Ludwig Marcuse berichtete: »Roth
hat enorm viel geholfen - mit Empfehlungen, wenn die
gebraucht wurden, aber ebenso bereitwillig mit Geld. Wenn er
nur 10 Mark in der Tasche hatte und ich ihm mitgeteilt hätte, ich
brauchte Geld, so hätte er mir sein ganzes Geld gegeben und
wäre zu einem Dritten gegangen, um den um Geld
anzuflehen12 .« Immer fand Roth eine kleine oder größere Schar
von Leuten, die ihm in öffentlichen Lokalen Gesellschaft

-195-
leisteten. Auch beim Schreiben brauchte er Menschen um sich.
Sobald er mit Schreiben für eine Weile aufhörte, wandten sich
ihm die versammelten, an seinen Lippen hängenden Verehrer
zu, unter denen sich gelegentlich auch Verärgerte befanden,
denn Roth zeigte sich häufig streitbar und angriffslustig. Sein
ausgesprochenes Talent, einen Kreis um sich zu versammeln,
beruht auf verschiedenen Gründen. Roth besaß in hohem Grade
die Gabe, sein Visavis glauben zu lassen, gerade dieses sei sein
bester Freund und er zöge allein ihn ins Vertrauen. Er zauberte
aus seinen Tischgenossen menschliche Wärme und Innigkeit
hervor und vergalt sie ihnen mit der Suggestion tiefer
Sympathie. Um dieser Suggestion willen war Roth, von der
eigenen »Aufrichtigkeit« gerührt, imstande, Behauptungen
aufzustellen, die er nur im Augenblick ernstnahm. Es war dies
seine Art, in der Unbeständigkeit des Moments menschlichen
Halt zu gewinnen.
Nicht weniger anziehend war die Anregung, die Roth anderen
mit seiner Wortgewandtheit und den witzig rechts und links
ausgeteilten ironischen Bemerkungen verschaffte: »Die
Diskussionen, an denen er teilnahm, waren immer herrlich. Sehr
entschieden war er in dem, was er ablehnte, und er hatte
funkelnde Augen, wenn er eine Bosheit abfeuerte. Noch in der
Melancholie konnte er witzig sein, aber dann wurde der Witz
sarkastisch, was wohl mit seiner Verwundbarkeit
zusammenhing. War er gut aufgelegt, so war er brillant, er
amüsierte sich, er lachte, und seine Repliken waren wie Blitz
und Donner...13 «
Roth, der einen beträchtlichen Teil seines Lebens in Cafés
verbrachte, fehlte dennoch etwas, was eigentlich zum
Stammtischler gehört. Dies geht aus brieflichen Bemerkungen
wie den folgenden deutlich hervor: »Sie irren sich, wenn Sie
glauben, ich hätte eine ›Umgebung‹. Ich treffe Den und Jenen,
wie man einen Stein oder einen Baum am Wege trifft. Ich bin
ein Wanderer, ich habe keine Freunde und Bekannten14 .«

-196-
Bereits auf der Rußlandreise hatte er sich beklagt: »Meine
Einsamkeit ist riesengroß, insupportable15 .«
Mehreren ihm Näherstehenden fiel es auf, daß Roth genau
wußte, wie er mit seinen Bekannten umgehen mußte, und daß es
nicht zwei Menschen gab, die er auf die gleiche Weise
behandelte. Manche hielten ihn für einen großen Psychologen,
der sein Psychologisieren zum Gesellschaftsspiel machte.
Ludwig Marcuse, einer der intimsten Freunde Roths, bemerkt
über ihn: »... er gab mir zwanzig Jahre lang Unterricht in
Diplomatie16 «. Zu den vielen Rothschen Weisheiten, die
Marcuse seinem Freund verdankt, gehört der Rat: »Je mehr
Vorschuß Sie von Ihrem Verleger bekommen, um so fester
binden Sie ihn an sich.« Freilich schoß Roth über das Ziel
hinaus, sowie die Angst in ihm aufkam, sich nicht durchsetzen
zu können oder nicht ernstgenommen zu werden. Dies war z. B.
der Fall, sooft er sich Gedanken über den Umgang mit Heinrich
Simon, dem Vorsitzenden der Redaktionskonferenz und
Mitinhaber der »Frankfurter Zeitung«, machte. Simon, der
Enkel von Leopold Sonnemann, dem Begründer des Blattes, war
es, der Rudolf Geck, den Leiter des Feuilletons, auf Roth
aufmerksam gemacht hatte, eine Tatsache, die dieser nicht leicht
vergessen konnte. »Roth schärfte mir ein«, erzählt Marcuse
weiter, »wenn man viermal soviel Hemden als Simon besitzt
und viermal soviel für Blumen ausgibt, würde man Simons
Achtung gewinnen. Mehrmals setzte er mir auseinander, wie
man bei Simon auftreten müßte17 .« Ganz in diesem Sinn legt
Roth dem Freund in einem Brief nahe : »Frischen Sie ein paar
Beziehungen auf, verkehren sie in einer Gesellschaft, die den
Snobs imponiert...18 « Aus dem Bedürfnis heraus, den Snobs zu
imponieren, nahm Roth selber hochmütige Allüren an, aber das
war nur eine weitere Maske, um in der Welt bestehen zu
können. So war er imstande, sich in einem Restaurant mit dem
Ober genauestens über das Menü zu beraten und sechs bis acht
Gänge zu bestellen, um von jedem nur einen Bissen zu essen19 .

-197-
Und als er 1927 einen Vertrag mit seinem neuen Verleger Kurt
Wolff abschloß, lud er diesen mit seinem letzten Geld zu einem
großen Festessen im Frankfurter Hof ein. Hinterher meinte er
mit einer herrischen Geste: »Man muß bei den Verlegern
auftreten können - es sind doch alle Lumpen20 !«
1927 rüstete sich Roth /wieder einmal/ für einige ausgedehnte
Auslandsreisen als Spezialkorrespondent seiner Zeitung. Im Mai
fuhr er für zwei Monate nach Albanien. Am
bemerkenswertesten von allen Reportagen, die Roth über /dieses
Land/ schrieb, ist jene, in der er sich mit dem dortigen
Konservatismus und Traditionalismus auseinandersetzt. In
Albanien, wo er nichts vorfand, was er mit seiner eigenen
Person und seiner Vergangenheit in Zusammenhang bringen
konnte, verwirft er einen »unproduktiven Konservatismus« und
einen inhaltlosen Traditionalismus, die, rückwirkend, nur dazu
dienten, den Einwohnern das Leben zu erschweren21 .
Auf der Rückreise nach Deutschland hielt sich Roth kurze
Zeit in Jugoslawien auf, einem Land, das er ebenfalls zum
Gegenstand einer Reportage machte22 . Immer mehr brauchte er
die Zerstreuung und das Sich-Selbst-Vergessen, die das Reisen
ihm ermöglichte. Hintereinander meldete er sich für eine
ausgedehnte Reportagereise nach der anderen. Auf seine Bitte
hin schickte ihn die Zeitung nach Mitteldeutschland. Er hatte es
sich in den Kopf gesetzt, den Spuren Heines auf der Harzreise
nachzugehen. Vor Antritt der Reise schickte ihm Heinrich
Simon Heines Harzreise mit einer herzlichen Widmung, aber
kaum war Roth an seinem Bestimmungsort angelangt, so sandte
er die Nachricht, er müsse die Reise abbrechen, alles sei ihm zu
spießig, kleinstädtisch und monoton. Im Zeitungsgremium
meinten die einen, er sei störrisch und schwierig, die anderen
fanden ihn zu sensibel, aber wenig später gewährte man ihm
seinen Wunsch, über die Zustände im Saarland zu berichten23 .
»Briefe aus Deutschland« lautet der Titel der Serie, die fünf
Wochen lang, vom 16. Dezember 1927 an, in der »Frankfurter

-198-
Zeitung« erschien. Als Pseudonym für die Serie hatte er sich den
Namen »Cuneos« - der Keil - zugelegt, womit er seine
sozialistische Absicht andeutete. Wie einst in Wien in seinen
journalistischen Lehrjahren zieht er seine Erkundigungen an Ort
und Stelle ein, er besucht eine Kohlengrube und einen Hochofen
und unterhält sich mit dem Personal an ihren Arbeitsstätten.
Einen fünfzigjährigen Grubenarbeiter, der den Anstrengungen
der Nachtschicht nicht mehr gewachsen ist, fragt er: »Würden
Sie, wenn Sie Söhne hätten, sie auch in die Grube schicken?«
»Keinesfalls«, lautet die Antwort, und nach einer Weile:
»Aber mein Vater hat das auch gesagt - und mein Großvater
auch24 .« Eindringlich schildert Roth den Kohlenstaub, das
Elend, die von unzureichendem Lohn verursachte Not und das
Leiden der Menschen, das durch seine Einfühlungsgabe zu
seinem eigenen wurde. Das nicht zu bewältigende Leid, dem
durch Fürsorge nicht abgeholfen werden konnte, veranlaßt Roth,
seine Serie mit einer metaphysischen Wendung abzuschließen:
»Und ich beschloß, am nächsten Tag in die Kirche zu gehn - wo
bis auf weiteres noch der Trost gefunden wird, den die
Sozialpolitik nicht geben kann25 .«
Über Roths kritische Schärfe äußerte sich zu der Zeit eine
zaghafte Stimme in der Zeitungsredaktion: »Er schreibt so
fanatisch, daß die wirtschaftlichen Kreise es ihm übelnehmen
werden.« Aber im Rückblick findet Benno Reifenberg: »Eine
von Roths großartigsten Reisen war die im Saargebiet. Er
schrieb sehr aggressiv und wir haben seine Artikel mit Wonne
gebracht 26 .« Allerdings brach Roth auch diese Reise vorzeitig
ab, lieferte aber nachträglich alle geplanten Reportagen. Ein
Brief an Reifenberg begründet seine Handlungsweise: »Ich bin
weggefahren, weil es mir unmöglich ist, im Saargebiet zu
schreiben... Aber ich bin durchsättigt vom Saargebiet und kenne
es wie Wien. Sie werden sehn27 .« Hierzu meint Reifenberg:
»Roth war wie eine Diva, er hatte Launen. ›Man stellt mich
nicht an die Stelle, die ich will, sagte er mir damals. In

-199-
Wirklichkeit hat ihn das Thema gelangweilt, und er fühlte sich
seelisch angegriffen28 .«
Von Mitte Mai bis Mitte Juli 192829 ist Roth abermals
unterwegs - dieses Mal durch Polen, und die sich daraus
ergebenden Reportagen führen den Titel »Briefe aus Polen«. Im
allgemeinen sind diese Artikel unter seinem Niveau und machen
einen blassen Eindruck. Der niederdrückende Kummer um seine
Frau, von dem im nächsten Kapitel die Rede sein wird, ließ alles
Unpersönliche unwichtig erscheinen.
Wirklich engagiert ist er bei seiner im Oktober und November
unternommenen Italienreise, die ihn über Wien nach Triest,
Meran, Mailand, Rom, Neapel und Genua führte30 . Roth war
entschlossen, die italienische Diktatur schonungslos zu
demaskieren und zitiert ein paar Sätze aus einer Rede
Mussolinis, um auf das Abscheuliche im Faschismus
hinzuweisen: »Ihr müßt überzeugt sein, daß im faschistischen
Staat alle Minister und alle Staatssekretäre nichts anderes sind
als Soldaten. Sie gehen, wohin der Chef ihnen zu gehen befiehlt,
und sie bleiben, wenn ich ihnen befehle zu bleiben31 .«
In der Zeitungsredaktion riet man zur Vorsicht und der
ständige Korrespondent der Zeitung in Rom erhob Einspruch
gegen die Publikation von Roths Artikeln über Italien32 . Auf
diese Knebelung reagiert Roth heftig in einem Brief an Benno
Reifenberg: »So ist es doch wohl so, daß Mussolini das Ideal
des internationalen Bürgertums ist und daß es gefährlich ist, ihn
in einer als bürgerlich geltenden Zeitung anzugreifen oder zu
ironisieren33 .« Als er seine Artikel der »Neuen Rundschau«
anbietet, stößt er wieder auf eine Mauer. Ausweichend, aber
ablehnend antwortet der Chefredakteur Rudolf Kayser: »Ich
möchte nochmals wiederholen, daß mich ein Aufsatz über den
italienen Faschismus sehr interessieren würde, den wir aber
doch aus bestimmten Gründen als polemischkritisch vermeiden
müssen, da sonst erfahrungsgemäß (denken Sie an den Fall
Flake)* wir in Italien unmöglich wären. Vielleicht läßt sich aber

-200-
eine Form finden, die diese Bedenken ausschließt34 .«
Man entschloß sich schließlich in der Redaktion, drei von
Roths Artikeln mit der Überschrift Das vierte Italien35
abzudrucken, allerdings erst nachdem man mehrere
Streichungen vorgenommen und auch den Autorennamen
weggelassen hatte. Voller Bitterkeit berichtete Roth einem
holländischen Kollegen in Berlin diese Vorgänge, die er als
skandalöse Ungehörigkeit betrachtete, und versicherte
außerdem, selbst bei einem Blatt wie der »Frankfurter Zeitung«
sei kein Platz mehr für die Wahrheit36 .
Zunächst zog es Roth vor, sich in seinen Zeitungsbeiträgen
auf die Privatsphäre zu beschränken. Im Januar und Februar
1929 erscheinen einige seiner schönsten Feuilletons - sieben
meisterhafte Betrachtungen über sein »Hotelleben«. Es handelt
sich um scheinbar Unauffälliges. Seine Ankunft in einem seiner
Lieblingshotels, der Hotelportier, ein alter Kellner, ein Koch, ein
Zimmermädchen und der Hotelleiter bilden jeweils den
Gegenstand der Abhandlung. Die Darstellung ist realistisch und
zugleich idyllisch. Roth entwirft eine glückliche, geord
*Gemeint ist der damals im italienischen Südtirol lebende
Romancier Otto Hake, der sich in seinem Sommerroman einige
leicht ironische Bemerkungen über den Faschismus erlaubte,
was zu seiner Verhaftung und späteren Ausweisung führte.

176 netê Welt, in der sich der Schreibende frei und glücklich
bewegt. Das Schreiben bereitet ihm ein spürbares Vergnügen, er
komponiert mit einer Gelassenheit und Vertrautheit, die
Tagebuchaufzeichnungen suggerieren, denn er behandelt einen
intimen Bereich, in dem das Hotelpersonal zu seinen nächsten
Verwandten wird. Als im darauffolgenden Jahr diese Feuilletons
zusammen mit Roths Reportagen über Deutschland, Rußland,
Polen und Albanien in einem Sammelband erscheinen
(Panoptikum, beim Verlag Knorr & Hirth), wird die sprachliche

-201-
Vollendung der Hotelserie mitbestimmend für die treffende
Rezension des bewundernden Freundes Ludwig Marcuse: »Roth
ist ein Einzelfall in Deutschland: es gibt Schriftsteller, deren
Impressionen seine Sehkraft haben; es gibt Schriftsteller, deren
Gehirn seine Luzidität und seine prachtvolle Selbständigkeit hat;
aber es gibt kaum einen Schriftsteller, welcher dieses
beobachtende Denken hat - diese einzigartige Balance zwischen
Sinnlichkeit und Reflexion; niedergelegt in Sätzen, die zugleich
exakt abbilden, hintergründig erkennen und Melodien zaubern -
die zugleich vernunfthell sind und geheimnisdunkel37 .«
In »Abschied vom Hotel«, dem letzten zur Hotelserie
gehörenden Feuilleton, schreibt Roth: »ich hätte noch gern den
und jenen meiner Freunde in diesem Hotel wiedergesehen, aber
ich muß es morgen schon verlassen. Lange genug bin ich
diesmal hier gewesen. Ich wäre unwürdig des großen Glücks,
ein Fremder zu sein, wenn ich noch länger bliebe. Ich könnte
dieses Hotel zum Heim degradieren, wenn ich es nicht ohne Not
verließe. Ich will hier heimisch sein, aber nicht zu Hause. Ich
möchte kommen und gehen, kommen und gehen. Es ist schöner
zu wissen, daß hier ein Hotel auf mich wartet... Ich bin fremd in
dieser Stadt, deshalb war ich hier so heimisch38 . Fremdheit, die
Unmöglichkeit, heimisch im Leben und in der Welt zu werden,
bildet das Grundmotiv von Roths zwischen den Jahren 1927 und
1929 konzipierten Romanen. In dem bereits behandelten Flucht
ohne Ende wie in Zipper und sein Vater (1928), Rechts und
Links (1929) und Der stumme Prophet, an dessen Manuskript
Roth in dieser Zeitspanne arbeitete, ohne es jemals zu vollenden
(und das erst 1966 vom Kiepenheuer & Witsch-Verlag
herausgegeben wurde), handelt es sich um lauter Außenseiter.
Der jeweilige Held dieser Romane, sei es Franz Tunda, Arnold
Zipper, Nikolai Brandeis oder Friedrich Kargan, ist jedesmal ein
Heimkehrer, der nicht heimfindet. Brandeis' Geständnis, »Ich
habe nicht die Fähigkeit, lange auf einem Fleck zu bleiben« 39 ,
trifft genauso gut auf die Hauptgestalten der drei anderen

-202-
Romane zu, die auch seiner Beteuerung beipflichten könnten,
»es gehört keine Stärke dazu, etwas zu erobern... Aber
verlassen,... darauf kommt es an« 40 . Alle vier Gestalten üben
sich im Verlassen: der kleinbürgerliche Zipper, dem »nichts
gleichgültiger war als eine öde, geregelte Arbeit«41 in der
eigenen Heimat; der großbürgerliche Brandeis, von dem
behauptet wird, »Dieser Kerl kauft jetzt ganz Deutschland
auf«42 , und der dann doch alles liegen und stehen läßt, um seiner
Wege zu gehen; und wie Tunda die abendländische Zivilisation
abschreibt, schreibt Kargan - nicht anders als Brandeis - die
russische Revolution, an die er sich gebunden hatte, ab.
In allen vier Romanen werden die Hohlheit der Zivilisation
und der menschenfeindliche Zeitgeist für die Lebensunfähigkeit
der Romanhelden und ihr Unvermögen, den ihnen gebührenden
Platz in der Gesellschaft einzunehmen, verantwortlich gemacht.
Die geistige Anarchie der Zeit, die das Schicksal dieser
Menschen angeblich bestimmt, scheint dem Autor und seinen
Gestalten letztlich als Alibi zu dienen. Es klingt wie die
Widerlegung seiner eigenen These, wenn der Autor in Rechts
und Links solche Sätze wie die folgenden durchschlüpfen läßt:
»Glauben Sie nicht, daß es sogenannte schädliche Ideen sind,
die diese jungen Leute treiben! Angst und Durst treiben sie...
Ideen sind Vorwände43 .« Es sind seelisch Beschädigte, die der
Welt entfliehen, um sich selbst zu entkommen. Die
Fluchtmotive erreichen in diesen Werken ihren Höhepunkt,
wobei die Flucht durch die Gesellschaftsklassen, die politischen
Parteien und mehrere Länder Europas führt.
In seinem Bedürfnis, die immer wieder mißlungene
Eingliederung seiner Gestalten rational erfaßbar zu machen und
sich selbst von diesem unheimlich erscheinenden Phänomen zu
überzeugen, greift der Autor zu einer Noterklärung. Als er
Benno Reifenberg die Arbeit an Rechts und Links zum erstenmal
ankündigt, berichtet er kurz: »Schreibe Generationsroman44 .«
Und in diesem Roman vermerkt er: »um wieviel schwächer die

-203-
Söhne sind als die Väter waren« 45 . In Zipper und sein Vater
taucht Roth selber als Romangestalt auf, um zu beteuern: »Wir
werden uns nie verständlich machen, mein lieber Arnold, wie
Dein Vater es noch konnte46 .« Und in Der stumme Prophet läßt
Roth den alten Herrn von Maerker sagen, der älteren Generation
sei es noch möglich gewesen, im Leben Fuß zu fassen: »Und
doch war zu meinen Zeiten, als noch der Mensch wichtiger war
als seine Nationalität, die Möglichkeit vorhanden, aus der alten
Monarchie eine Heimat aller zu machen47 .« Aber in keinem
dieser Romane überzeugen die Ansätze zu einer Darstellung der
Generationen. Erst im Radetzkymarsch sollte es Roth gelingen,
einen gültigen Generationsroman zu schreiben. Vorläufig ist er
selber zu sehr im Bann der Zeit und zu sehr von der eigenen
Entfremdung und den damit zusammenhängenden Ängsten
bedrängt, als daß er die Distanz und den für eine solche Aufgabe
erforderlichen zeitlichen Überblick gewinnen könnte. Während
die Gestalten des Radetzkymarsch tatsächlich in ihrer Zeit
eingebettet sind, werden die Werke aus den Jahren 1927 bis
1929 zwar als Zeitromane bezeichnet, enden aber jedesmal mit
einem Rückzug aus allen Zeitbezügen. Desillusion und
Wirklichkeitsverlust und das damit zusammenhängende Gefühl
der Vergeblichkeit, die den Romanen zugrunde liegen, sind
gleichzeitig in solchem Maße die unbewältigten Erfahrungen
des Autors selber, daß ihm die Plastizität der Darstellung nicht
gelingen kann. Die Bemerkung in Rechts und Links:
»Verworren sind in den Herzen und Hirnen der Menschen
Überzeugung und Leidenschaften, und es gibt keine
psychologische Konsequenz« 48 , klingt zugleich wie eine
Selbstentlarvung des Verfassers und wie eine Bitte um
Entschuldigung wegen künstlerischer Unvollkommenheit. Wo
auch dem Autor die Beziehung zur Wirklichkeit entgleitet, wird
die Motivierung vernachlässigt und Franz Tunda muß gestehen,
er führe Tagebuch über seine Erfahrungen, »damit ich morgen
noch weiß, daß es wahr gewesen ist«49 , während Arnold Zipper

-204-
betonen muß, zu einer Entscheidung zwischen mehreren
Möglichkeiten sei er nicht fähig50 . Die mangelhafte
Individualisierung der Gestalten dieser Romane erklärt sich
dadurch, daß Roth halbkonzipierte Spiegelbilder seines Ichs
entwirft. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß er
sich am Schluß von Zipper und sein Vater mit einer
Selbstcharakterisierung einschaltet, in der er sich beinah mit
seiner Romangestalt identifiziert: »Ich beglückwünsche Dich
dennoch zu Deinem neuen Beruf. Versuche Du nur weiter,
vergeblich zu spielen, wie ich nicht aufhören will, vergeblich zu
schreiben51 .«
Als Roth Benno Reifenberg von seiner Arbeit an Zipper und
sein Vater benachrichtigt, preist er sein eigenes Schaffen,
vermutlich weil er auf einen Vorabdruck des Romans in der
»Frankfurter Zeitung« hofft. Aus demselben Schreiben geht
hervor, daß ihm immer noch die Richtung der Neuen
Sachlichkeit vorschwebt: »Ich bin langsam, gründlich, voller
Angst, ich könnte was Falsches sehn, mein ›Stil‹ ist ja nichts
anderes als eine genaue Kenntnis des Zustands... Ich bin kein
Leerschreiber. Ich habe keine ›Gedanken‹ - nur Kenntnisse52 .«
Und wie in Flucht schreibt er auch explizit in Zipper, der Autor
verfasse mit dem Roman einen »Bericht«53 , denn es sei
»Aufgabe des Autors abzuschreiben, was er sehe«54 . Was Roth
bei Zipper »sieht« und berichtet, hat er bereits in Flucht
angedeutet. Hier heißt es von Tunda: »Er verließ [seine
ehemalige Freundin] mit jener falschen, hoffnungslosen
Freudigkeit, die dem Lächeln müder Artisten im Variete gleicht,
mit jener Freudigkeit, die wir hundertmal am Tage anlegen, als
hätten wir uns vor einem Publikum zu verneigen55 .« Von Zipper
heißt es am Romanschluß, im Musikcafe habe er als Clown auf
der Bühne zwei Geigentöne zu spielen; »und nun wissen Sie,
daß Arnolds musikalisches Talent gerade noch dafür reicht,
diese zwei Töne himmlisch zu spielen« 56 . Hat er aber seine zwei
Töne gespielt, so kommt ein anderer Clown, der Zipper zu

-205-
diesem Zweck engagiert hatte, und gibt ihm eine Ohrfeige. Was
sich als Bericht ausgibt, ist in Wirklichkeit metaphorischer
Ausdruck für den Statisten im Leben, der dem letzten Anspruch
auf menschliche Würde entsagt und der durch die Erniedrigung,
die ihm zum Schicksal wird, sich vollends mit der Welt entzweit
findet.
An Rechts und Links zeigt sich, wie sehr Ungeplantes, aus der
Psyche des Autors Steigendes, beim Verfassen des Romans die
Überhand gewann und das ursprüngliche Konzept des
Handlungsablaufes untergrub. Die erste schriftliche Mitteilung
über diesen Roman bekundet: »Mein nächstes Buch behandelt
den Unterschied der Generationen und heißt: Der jüngere
Bruder, Es ist die Generation der deutschen
Geheimverbindungen, Separatisten, Rathenaumörder - also die
Generation unserer jüngeren Brüder, der heute 25-Jährige n57 .«
In Wirklichkeit verwendet der Autor nur wenig Mühe auf die
Gestaltung Theodors, des jüngeren rechtsradikalen Bruders.
Hingegen widmet er mehr als ein Drittel des Romans dem
älteren konservativen Bruder, Paul Bernheim. Sobald jedoch der
rätselhafte Brandeis im zweiten Drittel des Romans auftritt,
schwindet das Interesse des Romanciers für beide Brüder, die
schon dem Titel nach stellvertretend für ihre Zeit hätten wirken
sollen. Mit banalisierender Geste wischt er am Ende alle beide
fort: »... die schwächlichen Paul Bernheims, die Gefangene ihrer
törichten Wünsche wurden; die kläglich verworrenen Theodors,
die im ewigen dichten Schatten der öffentlichen Pathetik
lebten...5S« Das Fazit des Romans ist eigentlich
Austauschbarkeit, da der Nazianhänger Theodor schließlich mit
einer Stelle bei einer jüdischen Zeitung vorliebnimmt, und Paul,
der kurze Zeit zu einem erbitterten, in revolutionären Kreisen
verkehrender Kriegsgegner und Pazifist wurde, wird nach dem
Krieg Bankier. Da die im Titel angedeutete Gleichung nicht
aufgeht, sah sich Roth zu der Behauptung genötigt, es gäbe kein
rechts und links. So schreibt er einen als »Selbstverriß«

-206-
betitelten Artikel, der sich als Rüge gegen sich selbst ausgibt, in
Wirklichkeit aber als Vorwurf dem verdutzten Leser gegenü ber
zu verstehen ist, der Roths angeblich differenzierte
Betrachtungsart geistig nicht nachvollziehen kann. »Es war
unbedacht, wenn nicht leichtsinnig von mir, auch nur einen
Augenblick an die Möglichkeit zu denken, der Leser von heute
würde den Namen Rechts und Links eine breitere symbolische
Bedeutung gestatten und ohne weiteres begreifen, daß dieser
Titel weniger ein bestimmtes Buch kennzeichnen sollte, als
meine eigene Haltung den anatomischen, topographischen,
politischen Richtungen gegenüber59 .«
Brandeis, dessentwegen das Bruderpaar in der zweiten
Romanhälfte gleichsam beiseite geschoben wird und mit dem
Paul und Theodor nur lose in Zusammenhang gebracht werden,
ist ein naher Geistesverwandter von Benjamin Lenz in Roths
Erstlingsroman, Das Spinnennetz. Beide stammen aus dem
Osten, machen sich die Scheinordnung des Westens, in dem sie
leben, zunutze, stehen ihm jedoch voller Verachtung gegenüber.
Beide Gestalten sind Selbstprojektionen des Autors, mit dem
Unterschied, daß der fünf Jahre später konzipierte Brandeis am
Ende an Lebensmüdigkeit krankt und nicht weiter kann.
Nicht anders als Brandeis leidet auch Friedrich Kargan in Der
stumme Prophet an Selbstentfremdung. Ihm schien es, »als wäre
er aus seinem eigenen Leben seit Jahren ausgezogen und als
lebte er in einem fremden;60 . Und die Bilanz, die Kargan im
Hinblick auf sein Leben zieht, gilt genauso für Zipper und
Tunda: »Es ist nicht meine Welt, in die ich zufällig durch die
Geburt gefallen bin. Ich hatte nichts in ihr zu tun. Ich lebte
immer in dem Gefühl, meine Zeit versäumt zu haben61 .« Der
heimatlose Kargan setzt seine Hoffnungen auf die russische
Revolution, um eine neue Welt, in der er sich zu Hause fühlen
kann, aufzubauen, zieht sich aber zum Schluß mit der
emotionalen Überzeugung der Vergeblichkeit zurück.
Wiederum mißlingt der Anpassungsversuch. Roth, den derselbe

-207-
Versuch bestenfalls zu mangelhafter Befriedigung führte, geht
immerhin eine Liaison mit den Erfindungen seines
schöpferischen Geistes ein. Manches an Kargan stimmt mit
Roths wirklicher oder von ihm erdachter Biographie überein.
Kargan wächst als uneheliches Kind bei seinem Großvater,
einem reichen Teehändler, auf, verlebt einen Teil seiner frühen
Jahre an der russischgalizischen Grenze und studiert an der
Wiener Universität. Auch hier greift Roth die Fiktion der
Nichtfiktion von Flucht und Zipper wieder auf. So täuscht der
Erzähler vor, seine Figur unmittelbar nach dem Leben
darzustellen und behauptet darüber hinaus, »Friedrich Kargan«
sei ein Deckname und er verschweige absichtlich einige
Merkmale, »die zu einer Identifizierung Kargans führen
könnten...62 .« In jedem dieser Romane dient dem Autor
offenkundig die seelische Verbundenheit zur Legitimierung für
den fingierten Lebensbezug. Daß das lange verschollene
Manuskript des nie vollendeten Romans Der stumme Prophet
als ein »Trotzki-Roman« galt, ist Roths eigenen Äußerungen
zuzuschreiben. Noch Ende 1938 in Paris, als Roth längst die
Absicht aufgegeben hatte, das Manuskript drucken zu lassen,
kam er beiläufig auf seinen »Trotzki- Roman« zu sprechen63 .
Obwohl sich Roth seit seiner Rußlandreise für das Schicksal
Trotzkis, vor allem seit dessen Entmachtung, interessierte, ist
die Bezeichnung in bezug auf das Buchmanuskript irreführend.
Während Savelli - man lese »Stalin« - mehrmals, wenn auch
mehr oder weniger unprofiliert, auftritt, ist die Trotzkigestalt,
»T.« benannt, die beschrieben wird als »ein dunkelgelbes
Angesicht mit schwarzem Schnurrbart und breiter schwarzer
Fliege am Kinn, einem Zwicker auf der starken Nase und mit
dunklen Augen, die eine Art unstillbaren Hungers zu verraten
scheinen« 64 , eine eher bedeutungslose Randerscheinung.
Entgegen seiner bisherigen Gewohnheit arbeitete Roth
unverhältnismäßig lange - von 1927 bis Ende 1928 - an dem
Manuskript. Im Jahre 1929 erscheinen »Ein Kapitel Revolution«

-208-
in der Anthologie 24 neue deutsche Erzähler, herausgegeben
von Hermann Kesten, und in der »Neuen Rundschau« Der
stumme Prophet. Es handelt sich in beiden Fällen um Teile des
nicht weitergediehenen Manuskripts. Daß Roth ungewohnte
Zweifel an seinem künstlerischen Vorhaben gekommen waren,
läßt sich aus den Zeilen seines Briefes an den befreundeten
französischen Kritiker Félix Bertàux herauslesen: »War der
stumme Prophet... einigermaßen verständlich? Ich fürchte, er hat
verworren gewirkt65 .« Bereits Ende 1928 hatte Roth versucht,
das Manuskript im S. Fischer Verlag unterzubringen, der einen
Teilabdruck des Manuskripts für die »Neue Rundschau«
übernommen hatte. Aber das unvollendete Buchmanuskript fand
keine Gnade vor den Augen des Verlegers Samuel Fischer.
Darüber berichtet Roth wieder brieflich an Bertaux: »Herrn
Fischer hat mein Roman gar nicht gefallen. Ich lasse ihn
infolgedessen nicht erscheinen - weil ich nicht möchte, daß der
Verlag ein Buch von mir ohne Überzeugung herausbringt66 .«
Durch diese Absage entmutigt, ließ Roth die Arbeit liegen. Und
als 1929 Trotzkis Autobiographie erschien, muß ihm ein
Weiterarbeiten an seinem Projekt recht zweifelhaft
vorgekommen sein.
Die heute erhältliche Ausgabe des Romans - eine Kompilation
aus drei verschiedenen unvollständigen Fassungen - weist
notwendigerweise mehrere Unstimmigkeiten auf und ist nur
bedingt als Roth-Roman zu betrachten. Die einzelnen Teile sind
gewichtiger als das Ganze, und das Treiben Kargans interessiert
weniger als die eingestreuten Stimmungsbilder. Es ist am
besten, man betrachtet das Buch als Disposition eines Romans,
in dem die letzte Objektivierung und Ausgestaltung noch nicht
erreicht sind. So gesehen wird dem Leser, wenn er sich das
übrige Schaffen Roths vor Augen hält, ein Schlüssel gegeben,
mit dessen Hilfe er Absicht und Ausführung des Autors in
Zusammenhang bringen kann.
In dem Vorwort zu seiner Anthologie, in der Roths »Ein

-209-
Kapitel Revolution« den ersten Beitrag bildet, verficht der
Herausgeber, Hermann Kesten, die Sache der Neuen
Sachlichkeit und stempelt somit auch Roth zu einem
Exponenten dieser Richtung. In seiner Einleitung zu der Flucht
ohne Ende hatte sich Roth auf die empirische Wirklichkeit und
faktische Verifizierbarkeit seiner Zeugenschaft berufen.
Inwiefern ist Roths Schaffen dieser Jahre tatsächlich der Neuen
Sachlichkeit zuzurechnen? Eine solche Klassifizierung beruhte
von vornherein auf einem halben Mißverständnis, an dem Roth
selber schuld war. Die erste briefliche Ankündigung über das
Konzept von Flucht ohne Ende zeigt, wie zwiespältig seine
Einstellung war: »Ich habe Stoff für ein Buch... Ich kann am
besten ein ganz ›subjektives‹, also im höchsten Grad objektives
Buch schreiben. Es ist im höchsten Grad dichterisch, mehr, als
ein Roman... Um es zu formulieren, was Sie nicht mögen und
ich immer muß:
Bücher mit sachlichem Anlaß in dichterische Sphäre gehoben.
Wäre ich der Verleger, es wäre mein Motto67 .«
Wenn sich Roth bei der Niederschrift von Flucht auch um die
»Sachlichkeit« bemühte, so interessierte er sich nur bedingt für
die soziale Lage seiner Hauptgestalt und seinen Ort in der
objektiven Welt. Was aber in diesem Roman noch zum Teil
überzeugt, führt in Zipper und sein Vater, Rechts und Links und
Der stumme Prophet zu einer Schaffenskrise. In diesen
Romanen werden die persönliche Problematik, die Fluchtmotive
und die Skepsis unergiebig. Roths Werke, die als Zeitromane
und politische Studien verstanden sein wollten, bedeuten
vielmehr eine Absage an die Politik, eine Abkehr von der Zeit,
und werden zu getarnten Tagebüchern der Beziehungslosigkeit.
Damit werden ihnen auch die Aussagekraft und die Wirkung
einer echten Mitteilung genommen.
Roth war in eine künstlerische Sackgasse geraten, die
Obsession der Entfremdung führte zu dem Zwang, sich über
bereits Behandeltes noch einmal zu äußern, schon geschriebene

-210-
Werke wurden ihm zum Fundus für andere. Symptomatisch ist
das sich mehrmals wiederholende Motiv dieser Romane von der
schwärmerischen Liebe zu einer meist fernen Frau, bei der es zu
keiner richtigen Bindung kommt. Das Bewußtsein, daß er sich
verrannt hatte und daß er sich nunmehr auf der Suche nach einer
für ihn geeigneten erzählerischen Konzeption befand, kommt in
Roths gegen Ende des Jahrzehntes energisch vorgebrachten
Worten zum Ausdruck: »Mir ist daran gelegen, schöne
Geschichten zu erzählen, nicht aber wirkliche Geschehnisse zu
schildern. Man darf meine Romane nicht als
68
Geschichtsbücherbetrachten .« Das Gefühl, ausbrechen, neue
Wege beschreiten zu müssen, führt Roth dazu, in mehreren
Schriften Stellung gegen das »Dokumentarische« und die Neue
Sachlichkeit zu nehmen. In seinem Aufsatz »Schluß mit der
›Neuen Sachlichkeit« /wendet er/ sich gründlich und radikal von
jener Richtung ab, die eine Zeitlang die seine war: »[Die
dokumentarische Mitteilung,] die ›das Leben‹ selbst zu
bezeugen scheint, ist weit entfernt, nicht nur von der ›inneren‹
oder »höheren Wahrheit‹, sondern auch von der Kraft der
Wirklichkeit. Und erst das ›Kunstwerk‹ ist ›echt wie das
Leben‹ 69 .«
Zum Teil gegen sich selbst polemisierend, schrieb sich Roth
frei. Im nächsten Abschnitt seines Lebens wird der Durchbruch
vollzogen. In Hiob (1930) und Radetzkymarsch (1932) spielt
Roth nicht mehr den Zuschauer, er wird zum Schöpfer
geschlossener Welten und somit Herr seiner Materie wie nie
zuvor.
Zum Ausgleich für die wachsende und existentielle
Unsicherheit, die soviel in Frage stellte, bemühte sich Roth um
eine Stabilisierung seiner materiellen Existenz. Nach allen
Seiten streckte er die Fühler nach besseren
Verdienstmöglichkeiten aus. Nachdem Roth mit den Verlagen
Ullstein, Zsolnay und S. Fischer unterhandelt hatte, schloß er
1927 einen Vertrag mit dem Verleger Kurt Wolff, der seit 1908

-211-
vornehmlich Autoren des Expressionismus ein Publikum
verschafft hatte. So erscheinen Die Flucht ohne Ende und
Zipper und sein Vater als gelb gebundene Kurt Wolff- Bände.
Aber Roth gab sich nicht lange mit der Tatsache zufrieden, daß
seine Bücher im selben Verlag mit Heinrich Mann, Franz Kafka,
Franz Werfel, Georg Heym und Carl Sternheim herauskamen,
und setzte seine Suche nach einer ergiebigeren Einnahmequelle
fort.
Durch die Vermittlung Hermann Kestens, des Cheflektors des
Gustav Kiepenheuer Verlags, kommt es zu einer Unterredung
zwischen Roth und dem Verlagsinhaber Gustav Kiepenheuer.
Auf Grund der Fürsprache von Hermann Kesten, mit dem Roth
bis Ende seines Lebens verbunden bleiben sollte, wie auch der
Befürwortung des Verlagsprokuristen Walter Landauer, den
Roth bereits vom Schmiede Verlag kannte, wo Landauer als
Volontär fungiert hatte, entschloß sich Gustav Kiepenheuer,
Roths Vertrag von Samuel Fischer abzukaufen und seinem
neuen Autor eine ansehnliche Monatsrente zuzusichern70 . In
diesem Verlag sollten die beiden größten Romane Roths
erscheinen.

-212-
14
Der lange Leidensweg:
Friedls geistige Erkrankung

»Friedl war eine entzückende Person. Als ich sie das erste
Mal in den frühen zwanziger Jahren am Kurfürstendamm sah,
war es, als ob der Frühling vorbeispazierte. Ein paar Jahre später
war das Gesicht spitz geworden, sie wirkte still und matt, die
Lebhaftigkeit und die blühende Gesundheit waren fort1 .« So
erinnert sich ein ehemaliger Berliner Redakteur an die gesunde
Friedl und an die ersten Anzeichen ihrer Krankheit, die zum
Verfall und schließlich zu einer furchtbaren Auflösung führten.
Freilich war es mit der scheinbar »blühenden Gesundheit« nie
weit her. Bereits früh litt sie unter einer labilen Gesundheit.
Kaum später als ein Jahr nach der Hochzeit schreibt sie auf einer
Postkarte an Roths Kusine: »Ich bin leider nicht gesund, deshalb
schreibe ich so wenig2 .« Im folgenden Jahr, 1924, war Friedl
mehrere Wochen leidend, fühlte sich durch eine perniziöse
Anämie wie ausgelaugt und hütete das Zimmer im Hotel am
Zoo, während Roth, der augenscheinlich sehr besorgt um sie
war, ihr Leber vom Schlächter holte, die er dann im
Hotelzimmer zubereitete3 . Im Mai 1925 schreibt Roth von Paris
aus an seinen Feuilletonredakteur: »Meine Frau bleibt vorläufig
hier, sie ist krank, ich fürchte, es ist Lunge 4 .« Und von Marseille
aus schreibt er Ende August desselben Jahres an einen
Berufskollegen: »Meine Frau liegt im Bett mit Fieber5 .«
Diese zierliche, auffallend hübsche und reizvolle, aber
gehemmte junge Frau stammte aus kleinsten, drückenden
Verhältnissen. Nur mit Hilfe reicher Verwandter fand ihre
Familie während ihrer Jugend ein Auskommen. Im Ersten
Weltkrieg lieferte Friedl getreu den Lohn, den sie als
Angestellte in der Wiener Gemüse- und Obstzentrale verdiente,
ihren Eltern ab, die ihr erlaubten, ein paar Heller als

-213-
Taschengeld für sich zu behalten6 . Von der mangelhaften
Bildung des zarten Geschöpfs zeugen die fahrige, unentwickelte
Handschrift und die ungeschickte Formulierung ihrer Briefe aus
der früheren Zeit ihrer Ehe. Und diese Friedl war es, die einen
Mann geheiratet hatte, der nach ein paar Jahren
Phantasiehonorare verdiente, ihr elegante Roben und
Handschuhe aus Athen und teure Schuhe in Paris kaufte, mit ihr
im Schlafwagen reiste und in Hotels in vielen Städten wohnte.
Denn nach den ersten finanziell schwierigen Jahren, die Friedl
gleichmütig und hilfsbereit hingenommen hatte7 , machte es sich
Roth, sobald seine Mittel es ihm erlaubten, zur Aufgabe, seine
Frau zu verwöhnen. Aber für diese verschwenderische
Freigebigkeit mußte Friedl einen hohen emotionalen Preis
bezahlen. Roth, der selber bemüht war, die einfachen
Verhältnisse, aus denen er stammte, zu überkompensieren,
wollte nicht, daß man seiner Frau ihre Herkunft ansah. Roth
hatte eine bestimmte Vorstellung davon, wie sie sein sollte und
wie er sie sich wünschte und gestattete ihr nur wenig
Selbständigkeit und eigene Ansichten. Ludwig Marcuse, der
gute Freund und scharfe Beobachter, bemerkt dazu: »Ich kannte
Friedl am Anfang als ein reizendes, intelligentes, sehr lustiges
Wiener Mädchen. Aber Roths Typ war die elegante,
zurückhaltende Dame, und er modelte an seiner Frau, bis er sie
zu einem Dichtungsgeschöpf machte und ihr jede Natürlichkeit
raubte. Sie mußte nach seinen Anweisungen spielen, und er hat
sie zugrunde gerichtet. Obgleich sie in sexueller Hinsicht eher
temperamentvoll war, durfte sie sich das nicht anmerken lassen.
Nach außen muß te sie sich distanziert und korrekt geben8 .«
Roth hatte sich eine Frau ausgesucht, die schutzbedürftig war
und bei der er das eigene Bedürfnis, beschützt zu werden,
dadurch abreagieren konnte, daß er sie beschützte. Am Anfang
war er auch noch von der Lieblichkeit seiner Frau fasziniert.
Aber im Grunde genommen war »das kleine Mädchen« für ihn
da, um es zu bilden und zu formen und um zu ihm aufzublicken.

-214-
Er konnte sie mit Stolz in die Gesellschaft führen, und ihre
Schönheit sollte ihm in den Augen anderer eine Bestätigung
sein.
Benno Reifenbergs Frau entsinnt sich:
»Friedl schien ihre Erfüllung darin zu suchen, Roth, den sie
idealisierte, zu gefallen. Aber Roth hatte nicht immer Geduld
mit ihrem kindlichen Narzißmus und sagte ihr einmal: ›Du hast
heute wieder zu lange in den Spiegel geguckt. Du bist dumm.‹
Friedl, die sich auf die intellektuelle Höhe Roths erheben wollte,
bemühte sich, ihrem Mann zur Seite zu stehen und ihm geistig
ebenbürtig zu werden. Es war für sie eine große Anstrengung,
denn sie besaß keine besondere Intelligenz. Von
hochintelligenten Menschen umgeben, kämpfte sie, um sich in
ihrer Position zu behaupten. Was sie intuitiv tat, war richtig;
anfangs war sie noch spielerisch, und Roth fand auch
Vergnügen daran, aber nach einiger Zeit war es vorbei mit ihrer
Spontaneität. Sie sprach affektiert und gewöhnte sich preziöse
Manieren an.‹«
Diese Frau, die in Roths Händen zu seinem Kunstwerk wurde,
war bald so weit, daß sie seine Druckfahnen korrigieren und ihm
als Sekretärin und Lektorin behilflich sein konnte. Sie studierte
seine Kritiken und bemühte sich, seine Artikel zu kritisieren10 .
In demselben Brief, in dem Roth sich über seine Einsamkeit auf
seiner Rußlandreise beschwert, bemerkt er: »Meine Frau kommt
mir immer näher, sie schreibt mir seltsame Liebesbriefe: lauter
unzufriedene, scharfe, beinahe böse Kritiken über meine Artikel.
Vielleicht meint sie mich und weiß es nur noch nicht. Ich bin
wohl sehr sentimental geworden11 .«
Friedl, die nicht wußte, was sie allein mit sich selbst anfangen
sollte, fand früh Anlaß, sich darüber zu beklagen, daß ihr
Ehemann sie zuviel allein ließ. Bereits im ersten Ehejahr
schreibt sie als Nachschrift zu einem Brief an Paula Grübel: »12
h [mitternachts] ist schon und Muh noch nicht da, was sagst Du
dazu?! Schrecklich12 !!!!« Bei einer ganzen Reihe von Freunden
-215-
Roths - bei Ludwig Marcuse, Hermann Kesten, Bernard von
Brentano, Soma Morgenstern - vergoß Friedl Tränen über Roths
Gewohnheit, sie ohne ein Wort der Erklärung, wohin er ginge
und wann er zurück sein werde, zu verlassen. Es stellte sich bald
heraus, daß Roth die eheliche Gemeinschaft ebensowenig lag
wie die Seßhaftigkeit. Von Fernweh gepackt, schreibt er an
Reifenberg im August 1925 aus Marseille: »Von der Bläue
dieses Meeres machen Sie sich einen Begriff, wenn Sie an
Waschblau denken... 700 Schiffe stehn im Hafen. Ich weiß
nicht, ob ich mich nicht plötzlich einschiffe. Meine Frau weint
jeden Tag, wäre sie nicht hier, ich wäre längst fort. So empfinde
ich zum erstenmal die Anwesenheit meiner Frau. Erst in einem
Hafen ist man verheiratet13 .« Die Unvernunft Roths sollte
schlimme Auswüchse verursachen durch die Irrationalität der
Eifersucht. 1926, auf einem Presseball in Berlin, mußten
Journalisten, die am selben Tisch wie Roth und Friedl saßen,
eine Szene mitansehen, die sie sprachlos machte. Friedl hatte
gerade ein paar beiläufige Bemerkungen über die dort spielende
Lifa-Kapelle fallen lassen. Zur Verblüffung aller stand Roth auf,
steigerte sich in einen Wutanfall hinein und warf seiner Frau in
äußerster Erregung vo r, l88
sie hätte mit dem slawischen Geiger geschlafen. Darauf
ergriff er den Arm der schluchzenden Friedl und führte sie
hinaus. In der Folge munkelten die Augenzeugen von einem
Ehebruch Friedls und stellten Mutmaßungen über die mangelnde
Potenz Roths an14 . Im Jahre 1926, so erzählt ein Schwager
Friedls, dem sich Roth anvertraute, kam die Krankheit, die sie
überwältigen sollte, zum erstenmal zum Ausbruch. Roth und
seine Frau hielten sich bei dem Schriftstellerfreund René
Schickele in Badenweiler auf. Man befand sich in einer
größeren Gesellschaft von Literaten, als der Diener mit dem
Bescheid zu Roth kam, der Briefträger sei mit einem größeren
Geldbetrag für ihn gekommen. Roth, der in ein Gespräch
verwickelt war, sagte zu Friedl: »Es sind die 3 000 Mark von der

-216-
Zeitung. Geh, Friedl, übernimm du es.« Friedl stand auf ging zur
Tür, während Roth sich wieder der Gesellschaft zuwandte.
Abends, beim Schlafengehen, sagte Friedl zu ihrem Mann: »Du,
da hast du das Geld«, und legte 2 000 Mark hin. Auf Roths
verdutzte Frage, wo das übrige Geld geblieben sei, entgegnete
Friedl: »Ja, weißt du, der Geldbriefträger war so arm. Da habe
ich ihm 1 000 Mark gegeben.« Von da an beobachtete Roth
seine Frau, ohne daß ihm besondere Anzeichen auffielen.
Es verging ungefähr ein Jahr, Roth hielt sich im Pariser Hotel
Foyot auf, als sich der achtzigjährige Erzbischof von Reims bei
ihm melden ließ. »Ich kenne Ihre Bücher«, sagte dieser. »Ich
habe Ihnen eine Mitteilung zu machen.« Roth, der diese
Geschichte ebenso wie auch die vorangegangene, selbst
weitererzählt hat, hatte von Friedl erfahren, sie habe mit dem
Erzbischof auf ihrer letzten Reise nach St. Raphael an der
französischen Riviera im selben Abteil gesessen. Er behauptet,
geantwortet zu haben: »Ja, meine Frau erzählte mir, Sie hätten
mit ihr geflirtet.«
»Ihre Frau stammt doch aus kleinen Verhältnissen, nehme ich
an«, kam die Entgegnung. »Mir erzählte sie lang und breit, sie
sei eine geborene Gräfin Dönhoff. Ihre Frau wird dem
Wahnsinn verfallen. Sie ist auf dem besten Weg dazu.«
Wie weit diese Geschichten der Wahrheit entsprechen, läßt
sich nicht eruieren. Immerhin fügte Roth hinzu, er habe diese
Vorgänge als Warnsignale betrachtet und von der Zeit an
angefangen, heimlich Psychiater zu konsultieren. Friedl zeigte
sich zunehmend kränklich, reizbar und vergeßlich. Im Februar
1928 bricht bei Friedl eine nicht näher umschriebene
Krankheit aus. Am 13. Februar schreibt Roth aus St. Raphael:
»... ich habe plötzlich meine Frau, die krank geworden ist und
nach dem Süden mußte, hierher führen müssen... Ich bleibe noch
bis zum 16. und führe meine Frau noch in einen anderen Ort, wo
es keinen Mistral gibt. Es geht ihr schon besser und sie läßt Sie
grüßen15 .« Am 24. desselben Monats schreibt er aus demselben
-217-
Ort: »Meiner Frau geht es besser... Sie bleibt hier, während ich
heute schon nach Paris fahre, 2-3 Tage dort bleibe und dann
wahrscheinlich nach Berlin gehe, um einen Vertrag mit Fischer
zu machen16 .
Mehr als ein bloßes Alarmsignal war der Vorfall, der sich in
der ersten Märzwoche 1928 abspielte17 . Roth, der sich in Berlin
aufhielt, hatte Friedl in St. Raphael zurückgelassen. Die
Augenzeugen, Benno Reifenberg und seine Frau Maryla,
berichten, zu später Stunde habe es auf einmal an ihrer Tür in
Frankfurt geklopft. Der Anblick der Frau, die sie hereinließen,
erfüllte sie mit Entsetzen. Die sonst so gepflegte Friedl, die
soviel Wert auf ihr Äußeres legte, war kaum wiederzuerkennen.
Die Haare hingen ihr in wirren Strähnen herunter, ihre Kleidung
war zerdrückt, sie hatte eine schiefe Körperhaltung, und
während sie sprach, waren ihre Hände fortwährend in
Bewegung. »Mit etwas wie Panik in der Stimme erklärte Friedl,
sie käme soeben von St. Raphael, und daß sie es dort nicht
länger aushalte. Da ihr Zimmer oberhalb der Zentralheizung lag,
meinte sie, es kämen Gespenster aus den Rohren, und sie hatte
auch die Vorstellung von aufsteigenden Erddämpfen, die sie
erschreckt haben sollen. Dann packte sie gegen Roths Freunde
aus. Die hätten nur so getan, als ob sie nett wären, aber sie
könnte sie durchschauen.
Ich brachte sie im Frankfurter Hof unter, rief Roth in Berlin
an, und verbrachte zusammen mit meinem Mann, der mich nicht
mit Friedl allein lassen wollte, die ganze Nacht in ihrem
Zimmer. Sie konnte nicht schlafen, sprach immer wieder von
Feinden, brachte alles durcheinander und richtete noch einmal
Beschuldigungen gegen Roths Freunde und viele andere
Menschen...18 «
Bei den fortgesetzten Wahnreden Friedls gewannen die
Reifenbergs den Eindruck, die Frau benütze die Gelegenheit, um
seit langem in ihr gestaute Aggressionen loszuwerden, und daß
sie absichtlich gestört wirken wolle. Als sie dies dem Arzt

-218-
anvertrauten, meinte dieser nur, man müsse achtgeben, denn sie
könne aus dem Fenster springen.
Roth seinerseits verhielt sich so, als handelte es sich um eine
gewöhnliche und vorübergehende Krankheit, und vermied
nähere Angaben über das Ergehen seiner Frau.
Im Herbst übersiedelt Roth mit seiner Frau für mehrere
Monate nach Paris und mietet sich mit ihr im Hotel Foyot ein.
Während dieses Aufenthaltes ist er fast immer mit Friedl
zusammen, will aber offensichtlich den Ernst ihrer Krankheit
nicht wahrhaben. Muß er allein fortgehen, so schließt er seine
Frau im Hotelzimmer ein. Dem jungen Pierre Bertaux
gegenüber, zu dem Roth eine besonders herzliche Beziehung
unterhält, deutet er in einem Schreiben vom 7. März 1929 zum
erstenmal an, es handele sich um Tieferreichendes, als er bisher
zugeben wollte: »Was meine Frau betrifft, so ist ihre jetzige
Krankheit nur eine akute Verschärfung einer chronischen
Schwäche, einer vollkommenen Widerstandslosigkeit, an der ich
selbst nicht unschuldig bin, die zum Teil ihre Ursache in
verschiedenen Ereignissen hat. Und von diesen Dingen, von
denen ich seit Monaten und bald seit Jahren nicht sprechen
kann, bin ich tiefer bedrückt als von Krankheiten. Vielleicht
kann ich sie erst nach zehn Jahren schreiben, wenn ich dann
noch ein Schriftsteller bin. Vorläufig schleppe ich an ihnen und
quäle mich19 .«
Ansonsten fährt er fort, die Wahrheit zu leugnen oder zu
vertuschen.
Roth, der immer noch die Fähigkeit zu besitzen glaubte, seine
Frau heilen zu können, verwarf jeden Vorschlag, sie in einem
Sanatorium unterzubringen. Aber der Verfall ließ sich nicht
aufhalten. Immer wieder kehrte der umnachtete Zustand zurück,
in dem sie zuweilen kleine Zettel an ihren Mann schrieb, die
nicht zu entziffern waren. Nachdem Friedl sich heimlich in
einen Zug gesetzt und bei anderer Gelegenheit einen
Selbstmordversuch gemacht hatte, wurde es Roth schließlich
-219-
klar, daß er mit der Krankheit nicht allein fertig werden
konnte20 .
/Auf Anraten von Dr. Ernst Wollheim, der bei Friedl
Schizophrenie diagnostizierte,/ brachte Roth schließlich seine
Frau in die /Berliner/ Nervenheilanstalt Westend. Aber nach
zwei Monaten hielt es Roth nicht länger aus. Ludwig Marcuse
teilt mit: »Als ic h eines Tages in Berlin eintraf, mußte ich mit
Roth zur Anstaltsdirektion gehen. Dort sagte Roth: ›Wenn Sie
mir meine Frau nicht herausgeben, stelle ich das ganze Haus auf
den Kopf.‹ Man wollte sie trotzdem nicht herausgeben, und erst
auf Roths wiederholtes Bitten ließ man es mit Unwillen
geschehen21 .«
Da er sich für die Zeitung wieder auf Reisen begeben mußte,
quartierte Roth seine Frau bei seinem längjährigen Freund
Stefan Fingal in der Grolmannstraße ein, wo sie bis Anfang
1930 unter der Obhut einer Krankenschwester wohnte. Fingal
war es, der auf Roths Bitte einen ostjüdischen Wunderrabbi aus
dem Getto in der Hirtenstraße holte, der Fried! die Krankheit
austreiben sollte. Dieser betete wie besessen, leierte Formeln
herunter und geriet außer sich vor Inbrunst, so daß Friedl ihn
wirklich zu beachten schien. Roth selber fühlte sich fasziniert
und hingezogen zu dem Jiddisch sprechenden Rabbi, gab ihm
größere Geldsummen, fragte ihn aus und unterhielt sich mit ihm
stunden- und tagelang über Gott, Glauben und menschliches
Schicksal. Nach einigen lichten Momenten, die die
»Austreibung« bei ihr bewirkte, verfiel Friedl indessen in eine
Lethargie, die nur von Stöhnen und giftigen, haßerfüllten
Ausfällen unterbrochen wurde. Versuchte Roth mit ihr zu reden,
so höhnte sie, »Der Grübel redet schön«, und spottete über seine
dunkle vaterlose Herkunft.
Roth, dem die Kränkung anzumerken war, bemühte sich
immer weiter, den Kontakt mit seiner Frau wiederherzustellen.
Zu diesem Zweck versuchte er, sich auf ihr Niveau zu stellen,
gebärdete sich wie ein Verrückter und lief vor seiner Frau auf

-220-
allen Vieren. Nach eigener Aussage soll sie ihn jedoch
verächtlich angeschaut haben, als ob sie damit sagen wollte,
»Nein, nein, das wird dir nicht gelingen22 .« Im früheren Stadium
der Krankheit, als Friedl zwischen den einzelnen Anfällen noch
luzide Momente erlebte, neigte Roth dazu, ihren Zustand auf
Mißhandlungen zurückzuführen, die sie in ihrer Jugend erlitten
haben wollte. Aber er nahm sich die scharfen Angriffe, die sie
bald gegen ihn ric htete, zu Herzen, und es erging ihm wie Luigi
Pirandello seiner irrsinnigen Frau gegenüber: er fragte sich, ob
er nicht der Mensch sei, der er in der Einbildung seiner Frau
war. So ging Roth immer mehr dazu über, sich anzuklagen, er
sei selber am Zustand seiner Frau schuld. Für sich wird er an
private und unaussprechlich peinliche Dinge gedacht haben,
aber seinen Freunden gegenüber versuchte er »Begründungen«
akzeptabel zu machen, die ihn in kein allzu schlechtes Licht
stellten. Es schien ihm fast Genugtuung zu bereiten, wenn er
feststellte, er habe sich nicht genug um seine Frau gekümmert
und versäumt, sie mit seinen Freunden zusammenzubringen.
Roth hörte nicht auf, sich von Ärzten und Psychiatern beraten
zu lassen, ließ mehrere Verhöre von Fachleuten über sich
ergehen und wandte sich unter anderem an den Schriftsteller-
Arzt Alfred Döblin und den Schweizer Psychiater Eugen
Bleuler23 . Ein anderer Psychiater machte darauf aufmerksam,
daß Friedl mit Verachtung über ihre Eltern spreche als »die, die
dort« und folgerte daraus, daß es sich um eine Ablehnung ihrer
Herkunft handele. Hat Roth dabei an die Ähnlichkeit mit seiner
eigenen Einstellung seiner Herkunft gegenüber gedacht? Wie
dem auch sei, er akzeptierte bereitwillig den Rat des Psychiaters,
Friedl nach Wien zu bringen und sie in ihre alte Umgebung zu
versetzen. Er schöpfte erneut Hoffnung und brachte seine Frau
in Begleitung seines Schwiegervaters und Pflegepersonals mit
einem eigens an den Wiener Schnellzug angehängten Waggon
nach Wien. Aber auch dort kam es zu keinem Umschwung. Jede
geistige Tätigkeit schien bei der Kranken auszusetzen, man

-221-
mußte sie füttern, sie beschmutzte das Bett und wog bald nur
noch 70 Pfund. Und nach einiger Zeit erwies sich die Lage im
Elternhaus als unhaltbar, da die Nachbarn sich über den Lärm
beschwerten und die Tochter den Eltern zu einer unzumutbaren
Last wurde24 .
Ein Schreiben an René Schickele macht klar, daß er durch das
nicht abzuschüttelnde Leid selber aus dem Gleichgewicht gerät:
»Ich schreibe Ihnen in größter Not... meine Frau ist schwer
krank, Psychose, Hysterie, absoluter Mordwille, sie lebt kaum -
und ich gehetzt und umringt von finsteren und roten Dämonen,
ohne Kopf, ohne Fähigkeit, einen Finger zu rühren, ohnmächtig
und gelähmt, hilflos, ohne Aussicht auf Besserung25 .«
Daß Friedl gerade von einer Geisteskrankheit heimgesucht
wurde, erscheint wie eine Bestätigung von Roths Glauben an
eine verborgene, aber immer lauernde Tücke im Leben, denn
nichts war so sehr dazu angetan, ihn, dessen eigener Vater in
geistiger Umnachtung gestorben war, zugrunde zu richten. Als
er bei seiner Lektüre über die Psychiatrie von der Erblichkeit der
Schizophrenie erfuhr, fing er an, sich den Kopf darüber zu
zerbrechen, ob auch er an Schizophrenie erkranken könne, und
die Angst vor dem Wahnsinn brachte es mit sich, daß er noch
mehr dem Trunk verfiel26 .
Bereits als junger Mann hatte sich Roth mit dem Wahnsinn
beschäftigt27 . Bald nach der Erkrankung seiner Frau und seiner
ersten Begegnung mit Psychiatern begann Roth die
psychiatrische Literatur durchzuarbeiten. Ein Vetter, der ihn im
Hotel am Zoo besuchte, berichtet von der Menge psychiatrischer
Werke, die bei ihm auf dem Bücherregal standen. In seiner
ausgedehnten Korrespondenz mit Psychiatern bedient sich Roth
der gängigen Fachausdrücke, um den Fall seiner Frau zu
erläutern: »Nach der offiziellen Psychiatrie: ›Katatonie auf
schizophrener Grundlage‹... infantile, schizoide Konstitution;
peinliche sexuelle Erlebnisse in der Pubertät, soziale
Minderwertigkeitsgefühle, hergeholt aus kleinbürgerlicher

-222-
Abstammung, in der Ehe; künstlicher Abortus vor zehn Jahren;
starke Hysterie, Menstruation meist in Ordnung... sehr begabt,
künstlerischer Intellekt; erste zwei Anfälle 1928, 1929, rein
hysterischer Natur; immer, wahrscheinlich heute noch, das
›Schizophrene‹ vom ›Hysterischen‹ überlagert.27 "« Solange
Friedl bei ihren Eltern wohnt, bittet Roth laufend um eine
genaue Beschreibung von Friedls Benehmen. Er will darüber
informiert werden, auf welche Weise sich das Krankhafte bei ihr
äußert, weil, wie er behauptet, er »daran einigermaßen besser
ablesen kann, in welchem Stadium der Besserung sie sich
befindet«28 .
Ab 1930 tritt eine merkwürdige Idee Roths in den Briefen
hervor: die Rettung Friedls habe man durch das eigene Unglück
zu erkaufen. Die durch die Krankheit seiner Frau verursachte
Zerrüttung seiner finanziellen Grundlage war ein Tribut, den
Roths Bedürfnis nach Sühne erforderlich machte. Er wollte
damit sich selbst und anderen beweisen, was er in einem
anderen Brief ausführte: »Ich würde gern mein Leben für ihre
Gesundheit geben, wenn es ihr hülfe29 .« Vom November 1930
bis zum Dezember 1933 verlebt Friedl ihre Tage im Sanatorium
Rekawinkel, etwa zwanzig Kilometer von Wien entfernt. Als
Roth in die Emigration geht und nicht mehr imstande ist, den
Aufenthalt seiner Frau im Sanatorium zu bezahlen, muß die
Kranke in eine öffentliche Anstalt eingewiesen werden. Die
Notlage entscheidet für ihre Unterbringung in der Landes-Heil-
und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke »am Steinhof«
in Wien, und Roth verpflichtet sich, für die Verpflegungskosten
aufzukommen. Die in ihrer dortigen Mappe befindliche
Aufnahme zeigt Friedl mit kahlgeschorenem Kopf und
schwammigen Gesichtszügen, die kaum noch eine Ähnlichkeit
mit denen der bildhübschen Frau aus der Zeit vor 1928
aufweisen. Aus der in dieser Anstalt bewahrten
Krankheitsgeschichte Friedls läßt sich die Entwicklung ihrer
Krankheit verfolgen. In ihr ist die Rede von einem »bunten

-223-
Wechsel der Symptome: psychomotorische Sperrungs- und
Erregungszustände, Zerfahrenheit, sexuelle Erregung, manische
Zustandsbilder, vage Verfolgung und Größenideen,
Halluzination... Die Kranke leidet an einer schweren
Schizophrenie...« Hervorstechend sind die ums Sexuelle
kreisenden Phantasien, die einen größeren Raum unter den
Aufzeichnungen einnehmen. Roth selber berichtete, daß er auf
Anraten der Ärzte Friedl in einer Zelle für Tobsüchtige, in der
sie sich damals befand, beschlafen hatte. Da es keine Möbel gab
und die Wände und der Fußboden mit Gummi ausgelegt waren,
mußte ihnen der Fußboden als Bett dienen30 . Als Roth das
nächste Mal seine Frau am Steinhof besucht, befindet sie sich in
einem aggressiven Zustand und droht, ihn körperlich
anzugreifen. Obwohl es nicht sicher war, daß sie ihn erkannt
hatte, erklärt Roth zwei Bekannten: »Ich habe sie besucht, sie
haßt mich31 .« Bei einem späteren Aufenthalt in Wien treibt es
Roth wieder zur Anstalt, wie zum Herd seines Leidens und zur
Erneuerung seiner Schuldgefühle, und zwar trotz allen Bittens
und Abratens seiner Freunde. Diesmal darf er Friedl nur durch
das Guckloch ihrer Zellentür sehen. Die tiefe Depression, die
der Anblick seiner Frau bei Roth auslöst, bewegt einen Freund,
ihn zu fragen, warum er sich dem ausgesetzt habe. Für einen
Augenblick streift Roth die Niedergeschlagenheit von sich ab
mit der beherzten Antwort: »Einmal im Leben muß man sich zur
Rechenschaft ziehen32 .«
Wie lähmend der Zustand seiner Frau sich eine Zeitlang auf
den einzigen ihm noch verbliebenen Halt, seine
schriftstellerische Tätigkeit, auswirkte, ist aus einer Briefzeile an
Stefan Zweig zu ersehen: »... ich weiß nicht, wann ich endlich
imstande sein werde, mich vor einem Blatt Papier zu
konzentrieren. Es scheint vorläufig für alle Ewigkeit
unmöglich..."« An seine Schwiegermutter schreibt er: »Mein
ganzes Leben ist ruiniert. Ich habe 14 Jahre umsonst gearbeitet
und gelebt. Was soll jetzt aus mir werden? Ich versuche nur

-224-
noch, Friedls wegen etwas zu verdienen. Am Leben liegt mir gar
nichts mehr 34 .« Am ergreifendsten ist der Angst- und
Schmerzensschrei, der sich in einem Brief an René Schickele
zusammenballt:
»Mit... der seelischen Belastung muß man allein fertig
werden. Und da hilft es leider nicht, daß man selbst ein
Schriftsteller ist. Das ist man offiziell und privat ist man ein
ganz kleiner armer Teufel, der schwerer schleppt als ein
Straßenbahnschaffner. Die Zeit allein und nicht die Begabung
kann uns die Distanz geben, und ich habe nicht viel Zeit mehr.
Zehn Jahre meiner Ehe haben mir vierzig bedeutet und meine
natürliche Neigung, ein Greis zu sein, unterstützt das äußere
Unglück in einer schrecklichen Weise. Acht Bücher bis heute,
mehr als 1 000 Artikel, seit zehn Jahren jeden Tag zehnstündige
Arbeit, und heute, wo mir die Haare ausgehen, die Zähne, die
Potenz, die primitivste Freudefähigkeit, nicht einmal die
Möglichkeit, einen einzigen Monat ohne finanzielle Sorgen zu
leben. Und diese Canaille von Litteratur35 !...« Da die Inhalte
seines Lebens immer mehr zusammenschrumpften und das
literarische Schaffen ihm als einziger Gegenpol zur Ablenkung
von seiner Ausweglosigkeit ve rblieb, wurde ihm die Literatur,
von der nunmehr alles abhing, zugleich »Canaille« und letzte
Rettungsmöglichkeit. So konnte er in einem anderen
Zusammenhang mit ebenso viel Aufrichtigkeit beteuern: »La
littérature c'est la sincérité même, la seule expression vraie de la
vie36 .«
Bei Roths Gepflogenheit, Erlebnis und Literatur miteinander
zu verquicken, ist es kaum überraschend, daß seine nächsten
Romane stellenweise von der Krankheit seiner Frau inspiriert
wurden. Während er die ersten Seiten von Hiob im Hause Stefan
Fingais schrieb, saß Friedl schwer gestört im Nebenzimmer37 .
So wird der in diesem Roman beschriebene Wahnsinnsfall die
Beschreibung der Erkrankung seiner eigenen Frau. In einem
Brief an die Schwiegermutter bestätigt Roth das auch: »Friedl

-225-
sollte lieber mein Buch nicht lesen. Es ist darin beschrieben, wie
Mirjam geisteskrank wird, und das wird sie doch verstehn...
Vielleicht schadet es ihr, wenn sie mein Buch liest38 .« Im
Radetzkymarsch ist es der Graf Chojnicki, dessen Äußeres
weitgehend dem von Roth ähnelt, der wahnsinnig vom
Schlachtfeld zurückkehrt und in der Wiener Irrenanstalt Steinhof
untergebracht wird. Roth schöpft aus eigener Erfahrung bei
seiner Erwähnung des Gucklochs in der Tür, wie auch bei der
Schilderung: »Chojnicki saß in einer kahlen Stube, aus der man
alle Gegenstände weggeräumt hatte, weil er manchmal wütend
werden konnte39 .«
/Im Juni 1935, drei Monate nach der Auswanderung seiner
Schwiegereltern nach Palästina/ wird Friedl in die
Landespflegeanstalt Mauer-Ohling bei Amstetten eingewiesen40 ,
und Roth beantragt zur gleichen Zeit die Scheidung. Es handelt
sich, wie er konstatiert, um »un procès affreux« 41 . Es ist ein
Antrag, den er nach kurzer Zeit zurückzieht. Von nun an erzählt
Roth allen Freunden, seine Frau sei gestorben; auf diese Art
versuchte er wohl dem sieben Jahre währenden Leid ein Ende zu
bereiten. So war Stefan Fingal erstaunt und hielt es für ein
Zeichen von Delirium tremens, als er im Mai 1939 von Roth,
wenige Tage vor dessen Einlieferung ins Spital, in dem er auch
starb, hörte: »Du weißt doch, daß Friedl herkommt, und ich
kann sie nicht ernähren. Was soll ich denn machen42 ?«
Was aus Friedl geworden war, konnte ihre Schwester Hedi
erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf amtlichem Wege
ermitteln. 1940 erhielt der Direktor der Heilanstalt Mauer-
Öhling die Anweisung, alle Geisteskranken seiner Anstalt
»zwecks besserer Pflege« - dies war die übliche Umschreibung
für Euthanasie - nach einem Heim in Linz zu verschicken. Von
einer planmäßigen Ankunft dieses Transports läßt sich
erklärlicherweise nichts ermitteln. Die amtliche Todeserklärung,
die der überlebenden Schwester übermittelt wurde, lautet, der
15. Juli 1940 sei der Tag, den Friederike Roth nicht mehr erlebt

-226-
habe43 . Somit überlebte Friedl ihren Mann um zehneinhalb
Monate, Ein Aufsatz, den Roth 1937 mit der Überschrift
»Psychiatrie« in einer Emigrantenzeitschrift veröffentlichte,
zeigt, daß er sich endlich mit dem Schicksal seiner Frau
abgefunden und sich auch gefühlsmäßig von ihm distanziert hat:
»Jeder Psychiater weiß, daß es schwierig ist, den Familien-
Angehörigen eines Geisteskranken die absolute Notwendigkeit
einer Internierung beizubringen. Es ist menschlich, nicht
zugestehen zu wollen, daß der Bruder mit dem man
aufgewachsen ist, mit dem man gestern noch zusammen Mittag
gegessen hat, mitten in der Nacht plötzlich den Verstand
verliert. Man kämpft verzweifelt gegen diese Vorstellung und
gegen den Psychiater. In manchen Stunden spricht der als krank
erklärte Bruder vernünftig und zusammenhängend, manchmal
sogar unerwartet klug und oft geistreich. Man unterschreibt also
einen »Revers« und holt ihn heim. Eine Woche später verbirgt
er eine Hacke unter dem Kopfkissen. Zwei Wochen später köpft
er die ganze Familie44 .« Der Anlaß zu diesen Gedankengängen
ist nicht der psychiatrische Fall seiner Frau. Roth benutzt einen
solchen Fall zum Gleichnis für die »politischen Psychopathen«,
nämlich die Diktatoren, die luzide Intervalle hätten, nur von Zeit
zu Zeit erregt seien, und eines Tages die ganze europäische
Völkerfamilie köpfen könnten.
Wenn Roth auch nach so vielen Jahren Abstand zu Friedls
Geisteskrankheit gewinnen konnte, formte sich andererseits
während des Ringens um seine Frau eine fixe Vorstellung in
ihm, die er nicht mehr los wurde. »Gott hat mich geschlagen45 «,
heißt es an einer Stelle. An einer anderen sagt er genauer: »Es ist
ein Fluch, der mich getroffen hat, noch mehr als [Friedl], ich bin
gläubig genug, um an einen Fluch zu glauben46 .« Von der
Gottesstrafe sollte er bis zu seinem Tode überzeugt sein.

-227-
15
Menschliche Beziehungen
1929-1932

Gutmütig scherzend bringt Roth die Sympathie zum


Ausdruck, die er für seinen Verleger hegte: »Zweimal lehnte
mich Kiepenheuer ab. Auch das drittemal hätte er mich
abgelehnt, wenn wir uns nicht kennengelernt hätten.
An einem Sonntag tranken wir Schnaps. Er war schlecht, wir
wurden beide krank davon. Aus Mitleid schlössen wir
Freundschaft, trotz der Verschiedenheit unserer Naturen, die
sich nur im Alkohol finden. Kiepenheuer ist nämlich ein West-
Phale, ich ein Ost-Phale. Es läßt sich kaum ein größerer
Gegensatz denken. Er ist ein Idealist, ich bin ein Skeptiker. Er
liebt die Juden, ich nicht. Er ist ein Fortschritts-Phantast, ich bin
ein Reaktionär. Er ist immer jung, ich bin immer alt. Er wird
fünfzig, ich werde zweihundert. Ich könnte sein Urgroßvater
sein, wäre ich nicht sein Bruder. Ich bin radikal, er ist konziliant.
Er ist höflichunbestimmt, ich bin prägnant. Er ist gerecht, ich
bin ungerecht. Er ist ein Optimist, ich ein Pessimist1 .«
Frau Bettina Hürlimann, der Tochter Gustav Kiepenheuers,
heute selber Verlegerin in der Schweiz, macht es sichtlich
Freude, über die Beziehung zwischen Roth und ihrem Vater zu
sprechen: »Der Verleger kommt nicht mit allen seinen
Schriftstellern aus - das weiß ich heute aus eigener Erfahrung.
Aber mein Vater hat Roth enorm geschätzt, und ich glaube, das
Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Für mich war Roth der
liebste Autor meines Vaters, darum hing ich so an ihm. Brecht
war mir zu wild und Georg Kaiser war unnahbar. Ich liebte das
Behutsame und Leise an Roth2 .«
Roth, der in der Regel Abneigung gegen jene empfand, auf
die er finanziell angewiesen war, machte Kiepenheuer
gegenüber, den er mit »Meister« anredete, eine Ausnahme. So

-228-
konnte er im Jahre 1930 über ihn an einen Freund schreiben: »Er
gibt mir Alles, meiner Frau auch [gemeint ist die Unterstützung
Friedls], er ist wirklich herzlich zu mir...3 «
»Eine Reverenz vor Joseph Roth« lautet die Überschrift jener
Zeilen, mit denen Gustav Kiepenheuer verklärt und liebevoll
auf seinen Umgang mit Roth zurückblickt: »Joseph Roth
begegnete ich zum erstenmal am Anhalter Bahnhof, als er aus
dem Wiener D-Zug stieg; von diesem Augenblick an war unsere
Freundschaft besiegelt. Er, der ewige Passagier, kam für einige
Wochen oder Monate nach Berlin, und nun begannen für mich
eine Reihe von ersprießlichen Begegnungen menschlicher und
verlegerischer Art, die sich bei all seinen späteren Aufenthalten
dort oder anderswo fortsetzten. Unsere Treffpunkte waren sein
Zimmer im Hotel am Zoo, seine Ecke bei Mampe am
Kurfürstendamm, in Paris das Café Deux Magots und vor allem
die Schreibstube des Hotel Foyot... Joseph Roth war der
Aristokrat unter meinen Autoren. Er bezeugte einem jeden seine
Ehrerbietung; seine Stimme erhob sich nie zu einem lauten
Wort; er war für jeden da, ohne sich selbst jemals zu verlieren.
Wenn er in der Dämmerung zu mir kam und mit seinen
schmalen, weißen Händen in den Rock griff, um ein blaues
Heftchen oder perforierte Zettelchen aus einem Notizbuch
herauszuholen, so geschah dies mit einer gewissen Feierlichkeit
und einem Respekt vor der eigenen Arbeit. Denn auf diesen
Papierchen stand in seiner feinen, gestochenen Schrift das
Ergebnis des Tages... Seine blauen Augen schienen oft
besinnlich auf einem auszuruhen und wichen dann langsam ab
in einen fernen Himmel oder eine ferne Hölle. Hinter ihrem
versöhnenden Aufblitzen lag es stets wie Verzicht. Man war ihm
nah, aber manchmal nicht näher als einem heißgeliebten, schon
dahingegangenen Freund 4 .«
Wie auf einer gewohnten Reiseroute legte Roth den Weg zu
den täglich von ihm frequentierten Berliner Cafés zurück. Hin
und wieder trieb es ihn zum Romanischen Café nahe der Kaiser-

-229-
Wilhelm- Gedächtniskirche, zu dessen Stammgästen Fritz
Kortner und Eise Lasker-Schüler gehörten, in dem Karl Kraus
bei seinen Berliner Besuchen zu sehen war und in dem sich
Literaten sowie Avantgarde-Maler über Kunst und das
Tagesgeschehen unterhielten. Mit Egon Erwin Kisch, mit dem
er sich mit einiger Regelmäßigkeit zu Beginn der dreißiger Jahre
traf, verbrachte er viele Mittagsstunden in einer Nische des
Café-Kestaurants Schwannecke, um dann als nächste
Tagesstation die Mampestube, Ecke Kurfürstendamm und
Joachimsthalerstraße, aufzusuchen. Jedes Lokal war für ihn ein
Treffpunkt und ein Beobachtungswinkel, in jedem schrieb er in
Schulhefte, trank er einen Kognak oder Steinhäger nach dem
anderen, sann er nach und versammelte er Leute um sich. In der
Mampestube saß Roth meistens mit Hermann Kesten und
Walter Landauer zusammen. Zu ihnen gesellte sich »ein
österreichischer Kreis«, wie Willy Haas es ausdrückt5 . Neben
diesem traf man dort Karl Tschuppik, Anton Kuh, Alfred
Polgar, Roda Roda und Valeriu Marcu an. Georg Zivier, der sich
zu dieser Zeit in der Mampestube aus geschäftlichen Gründen
mit Roth traf, erzählt: »Ich führte damals mit einem Partner eine
Presse-Agentur, und Joseph Roth war unser bestes Pferd im
Stall. Was er schrieb, riß man uns aus den Händen. Er gab uns
öfters zehn Feuilletons oder Kurzgeschichten in einer Woche,
die wir dann an 30 Zeitungen verkauften. Roth spielte gern den
smarten Geschäftsmann, aber mir machte die Pose Spaß. Er
bekam 75 Prozent des Honorars und verlangte immer eine
sofortige Abrechnung und die Bezahlung in bar. Dabei gab er
sich immer schnodderig und gut gelaunt. Er machte nicht den
Eindruck eines Dichters, sondern vielmehr vo n einem, der es mit
Pferden zu tun hatte6 .« In diesem Kreis nahm Roth mit Vorliebe
die Selbsteingenommenheit der Schriftsteller aufs Korn. Eines
Abends saß Roth mit ein paar Freunden am Tisch, als Ernst
Toller, dessen sprichwörtliche Eitelkeit allgemein bekannt war,
hereinkam. Da kein anderer Platz frei war, sah er sich genötigt,

-230-
sich so zu setzen, daß er dem Lokal den Rücken zuwandte.
Darauf fragte ihn Roth: »Wollen wir nicht die Plätze wechseln?«
Auf Tollers Antwort: »Warum, ich sitze hier ganz gut«,
reagierte Roth mit bissigem Spott: »Aber sehen Sie, wenn jetzt
ein Photograph kommt und uns aufnimmt, kriegt er mich und
nicht Sie 7 !«
Unerbittlich war Roth, wenn er den Stil seiner
schriftstellernden Zeitgenossen kritisch beurteilte. Bezeichnend
war seine Bemerkung: »In Frankreich muß selbst der
Hilfsredakteur einer Provinzzeitung ein klassisches Französisch
schreiben. In Deutschland hingegen heißt man Jakob
Wassermann, man schreibt Tiefenschmus, macht Salat aus der
deutschen Sprache und wird als großer Dichter angesehen8 .«
Trotz Roths Eigenbrötelei erweckte er kaum jemals den
Eindruck schriftstellerischer Eitelkeit, und von sich selbst war er
zu sehr überzeugt, als daß er die literarische Bestätigung von
irgendeiner Seite gesucht hätte. Für die Kritiker seiner Bücher
interessierte er sich nur insofern, als sie den Büchermarkt
beeinflussen konnten. Ernst wurde Roth, wenn er sich über die
literarische Berufung äußerte.
Für bildende Kunst und Musik zeigte er nur geringes
Interesse, dagegen war ihm die Technik des Schreibens ein
fesselndes Thema. Ihre Ausübung verglich er mit dem täglichen
Üben des Violinspielers. »Der Schriftsteller muß jeden Tag
mindestens einen Satz schreiben«, behauptete er9 . Ein anderes
Wort von ihm lautet: »Ich möchte so schreiben, daß ich in ein
Lesebuch komme10 .« Dies ist schließlich ohne sein Zutun
geschehen, als ein Feuilleton von Roth über einen
österreichischen Heimatdichter in ein österreichisches
Volkslesebuch aufgenommen wurde". Seine Freude darüber
bekundete Roth mit dem Ausruf: »Das ist mein Nobelpreis12 .«
Seit der Erkrankung seiner Frau mißglückten Roths
Aufheiterungsversuche oft, und statt die Tischgenossen mit
skurrilen Bemerkungen mitzureißen, verfiel er mitunter in

-231-
schwere Depressionen. Denn Roth, der Ironiker, der sich
zwischen Lachen und Weinen entscheiden mußte, war nicht
mehr immer imstande, sich der Waffe der ironischen Abwehr zu
bedienen. Merkte er den Eindruck, den er durch seine
Gefühlsschwankungen machte, so raffte er sich seufzend auf mit
der Bemerkung: ›Ist ja alles Quatsch, Kinder. Nehmt doch nicht
so ernst, was mich quält, ich verstehe eben einfach nicht zu
leben13 .‹ Aber im richtigen Stadium der Betrunkenheit fühlte er
sich weiterhin von dem Drang beseelt, alle Welt zu beschenken
und aller Welt Freude zu bereiten.
Seit Jahren schon hatte Roth eine rege Korrespondenz geführt,
aber bei dem zunehmenden Gefühl der Leere und Haltlosigkeit,
das sich durch seine Schuldgefühle in bezug auf seine Frau noch
verstärkte, wurde ihm das Briefschreiben zur
Lebensnotwendigkeit. Hermann Kesten, der zu den vier oder
fünf Menschen gehört, die mit Roth während der letzten zehn
Jahre seines Lebens am häufigsten zusammen waren, berichtet
über seinen Freund als Briefschreiber: »Häufig saß ich müßig
neben Roth, und er schrieb Briefe, zwei, ein halbes Dutzend, ein
Dutzend Briefe, hintereinander weg, mit hurtiger Präzision und
winziger Schrift, ohne Unterbrechung, als schreibe er unter
Diktat, ein entschlossener Schreiber, der jedes Wort wog, jeden
Einfall, jede Empfindung mit der Genauigkeit einer Goldwaage.
Zugleich schrieb er mit der prägnanten Geschwindigkeit eines
Fußball-Mittelstürmers14 .«
Roths Briefe, die nicht für fremde Augen bestimmt waren und
erst recht nicht für die Nachwelt, zeigen ihn unverhohlen und
meist ohne das Posieren, das ihm im persönlichen Umgang
bereits zur eingefleischten Gewohnheit geworden war. Zum Teil
hängt das damit zusammen, daß seine literarischen Schöpfungen
und das Bild, das er im öffentlichen Leben von sich selbst gab,
durch seine Legendenbildung miteinander verquickt wurden,
während seine Briefe eine ganz andere Funktion für ihn
erfüllten. Seine Briefe schreibt er kurz und sachlich, sie wollen

-232-
nur Mitteilungen sein und sind selten von seiner Phantasie
beeinflußt, während er sich in seinen Büchern auslebt und sich
in seine erdachten Ich-Vorstellungen einspinnt. Selbst die
Ichbezogenheit, die sowohl seinen Lebensstil wie seine Briefe
prägt, scheint in letzteren naiv und spontan. Roth, der
Briefschreiber, offenbart heftige Antipathien und Sympathien,
fürchtet sich nicht davor und kümmert sich nicht darum,
welchen Eindruck er dadurch macht. Er paßt sich zwar an die
Art des Adressaten an, bleibt aber meist schlicht und ehrlich und
macht aus seinem Herzen viel weniger eine Mördergrube, als es
im unmittelbaren menschlichen Umgang bei ihm sonst der Fall
ist. Der Roth, den man aus seinen Briefen kennenlernt, ist eine
Mischung aus Weisheit, Schlauheit, Selbstbewußtsein und
Naivität. Ein impulsiver Gefühlsmensch, in dem letztlich der
Verstand dominiert und der ein tiefes Mißtrauen gegen das
»Gefühlvolle« und Pathetische hegt. Er kann sehr herzlich sein
und ist auch dann ein treuer, zuverlässiger Freund, wenn er -
sogar seinen besten Freunden gegenüber - oft aggressive und
negative Gefühle empfindet. Aber zur wirklichen, nicht
obsessiven Bindung ist er nicht fähig, denn seine ganze
Leidenschaft verausgabt er für seine Arbeit, die ihm mehr
bedeutet als jede menschliche Beziehung.
In den Jahren 1925-1926 schreibt Roth regelmäßig an Bernard
von Brentano und Benno Reifenberg, wobei er zum Teil
dieselben Themen behandelt. Während er Brentano gegenüber
stets den Ratgeber und Trostbringer spielt, den Gebenden und
nicht den Nehmenden, macht er Reifenberg zu einem großen
Bruder, bei dem er Verständnis und Halt in emotionaler Hinsicht
sucht. Zwischen 1927 und 1934 verbindet ihn eine rege
Korrespondenz mit dem Germanisten und Gymnasialprofessor
Félix Bertaux und seinem Sohn Pierre. Die Briefe an den Vater
sind korrekt, distanziert und offensichtlich von persönlichem
Interesse diktiert, da Bertaux Sen. Roth in seiner Eigenschaft als
Mitarbeiter der »Nouvelle Revue Française« bei dem Erfolg

-233-
seiner Werke in Frankreich von Nutzen sein kann. Aus den
Briefen an Pierre hingegen strahlt nicht nur Begeisterung,
sondern auch viel mehr Mut, Offenheit und Unbekümmertheit,
als sonst bei ihm zu finden ist, was man wohl eindeutig für ein
Echo auf Pierres Wesensart halten muß. Ein Kapitel für sich
sind die mehr als zweihundert Briefe, die Roth zwischen dem 8.
September 1927 und Ende 1938 an Stefan Zweig schrieb. Dem
vorsichtigen, stets zurückhaltenden Zweig, der sich für einen
Erasmus hielt, aber eigentlich ein braver Bürger war, wird von
berufener Seite »seine Schwäche für alles Dämonische, vom
sicheren Ufer her«15 nachgesagt.
Noch in seiner »Abschiedsrede« auf Roth wird dies spürbar:
»Es war in Joseph Roth ein russischer Mensch - ich möchte fast
sagen ein Karamasowscher Mensch..., ein Mann, der in allem
das Äußerste versuchte; eine russische Inbrunst des Gefühls
erfüllte ihn, eine tiefe Frömmigkeit, aber verhängnisvollerweise
auch jener russische Trieb der Selbstzerstörung. Und es war in
Roth noch ein zweiter Mensch, der jüdische Mensch mit einer
hellen, unheimlich wachen, kritischen Klugheit, ein Mensch der
gerechten und darum milden Weisheit, der erschreckt und
zugleich mit heimlicher Liebe dem wilden, dem russischen, dem
dämonischen Menschen in sich zublickte16 .« Zweig, der aus
reichem Hause stammte, dessen Bücher riesige Auflagen hatten
und der den Armen als Millionär galt, empfand es als Schuld,
daß es ihm so gut ging17 . Von den beiden Egozentrikern bleibt
Roth immer der Überlegene. Bis zum Schluß bemüht sich Zweig
übrigens, von Verantwortungsgefühl getrieben, Roth mit
Zuspruch und Unterstützung an die Hand zu gehen. Roth
hingegen kann nur dann hilfsbereit sein, wenn er es mit einem
Menschen zu tun hat, der sich in echter Not befindet, was seiner
Ansicht nach bei Zweig nie wirklich der Fall war. Dies bringt es
mit sich, daß kaum eine andere Beziehung Roths so sehr auf
Berechnung basierte wie die zu Zweig. Sein Freund Franz
Werfel behauptete von Zweig: »Es gibt keinen zweiten

-234-
Schriftsteller, der mit ähnlicher Großmut und Freigebigkeit
seinen Kollegen geholfen hat wie er18 .« Zweig, der in der
Emigration jahrelang Schriftstellern monatliche Renten
auszahlte, war auch Roths großer Gönner. Aber Roth fühlte sich
gereizt, daß dieser »nichtsahnende Bürger« ihn mit Plänen und
guten Vorsätzen erziehen wollte. Mit verletztem Selbstgefühl
erzählte Roth einem Freund in Paris, Zweig habe ihn auf sein
Hotelzimmer zitiert, ihm eine Moralpredigt verpaßt und ihm erst
dann das dringend gebrauchte Geld gegeben19 .
Diese Art Behandlung, auch wenn sie sich zum Teil nur in
seiner Phantasie abspielte, erinnerte Roth zu sehr an seine
unerfreuliche Beziehung zu seinem Vormund und Onkel
Siegmund Grübel. Wieder sah er sich auf einen Menschen
angewiesen, der ihn bevormunden wollte und dem er nicht
entrinnen konnte. Richard Friedenthal, Zweigs langjähriger
Kollege beim Insel Verlag, teilt mit, Roth sei derjenige unter
Zweigs Bittstellern gewesen, den Zweig am meisten schätzte20 .
Aber Roths Vorhaltungen und Sticheleien brachten Zweig
schließlich so weit, daß er ihn einen »geliebten Alpdruck«
heißen mußte21 . Und als Zweig 1935 vom Schriftsteller Joseph
Breitbach erfährt, er leihe Roth Geld, warnt er: »Das wird Sie
die Freundschaft mit Roth kosten22 .« In der Emigration
klammert sich Roth an Zweig, er übt Gefühlserpressung, zeigt
sich eifersüchtig, weil Zweig scheinbar anderen den Vorzug in
bezug auf seine Hilfeleistung gibt, und macht ihn für seine
»Rettung« verantwortlich: »Ich kann Sie... nicht von der
freundschaftlichen Pflicht befreien, mich zu retten... Sie sind der
Einzige, der mir tatsächlich helfen kann. Nur mit Ihnen kann ich
mein Leben verändern und retten... Bitte, antworten Sie mir
sofort und helfen Sie mir und retten Sie mich wirklich23 .« Wenn
Zweig nicht gleich auf seine Hilferufe reagiert, appelliert Roth
an Zweigs Schuldgefühle: »Sie allein haben noch die Kraft,
mich mit Gewalt herauszureißen, wenn Sie es überhaupt
wollen... Wenn Sie nicht fest entschlossen sind mich zu retten,

-235-
bin ich verloren, ganz bestimmt24 .« An anderer Stelle spielt er
den indignierten: »Sie haben die PFLICHT, mich anzuerkennen,
als Freund, ob ich Ihnen zehn oder zwanzig 1000 Jahre nicht
schreibe...25 .«
Immer wieder stellt Roth seine Besorgnis um den politischen
Wandel Deutschlands in den Mittelpunkt seiner brieflichen
Auseinandersetzungen mit Zweig. Dieser sieht noch 1929
keinen Anlaß zum Pessimismus, während Roth, der sich auf
seinen »Instinkt« beruft und sich als eine Art Prophet betrachtet,
den übervorsichtigen Zweig zu überreden versucht, endlich
Farbe zu bekennen26 .
Es macht die Beziehung nicht einfacher, daß beide dasselbe
Metier betreiben. Während Zweig in Gegenwart anderer die
schriftstellerische Überlegenhe it Roths offen zugab27 , pflegte
sich Roth abschätzig über den Schriftsteller Zweig
auszusprechen. Zweigs einziger Roman, Ungeduld des Herzens,
gehöre, so meinte Roth, ebensowenig zur großen Literatur wie
Zweig selber zu den großen Schriftstellern28 . Andererseits
räumte Roth mehrmals ein, es gäbe ein Gebiet, auf dem Zweig
seine Sache sehr gut mache. So erzählte er, er habe Zweig
mehrere Seiten seines im Entstehen begriffenen Romans Die
Hundert Tage vorgelesen, um gewisse Schwierigkeiten im
Aufbau zu besprechen. Zweig habe darauf zu Lösungen geraten,
die Roth glänzend fand. »Technisch ist der ›Stez‹ sehr
geschickt«, beteuerte Roth daraufhin, sich des Spitznamens
bedienend, der in aller Munde war29 . Diese Beziehung, die in
der Emigration dem einen wie dem anderen unentbehrlich wird,
macht in Roths letztem Lebensjahr eine nicht mehr zu
überwindende Krise durch...
1929 machte Roth eine weibliche Bekanntschaft, die zu der
tiefsten geistigen und erotischen Bindung führte, zu der er mit
einer Frau fähig war. Der Beginn war ein neckisches Vorspiel zu
den bewegten sechs Jahren, die die beiden miteinander
verbringen sollten. An einem Sonntag im August 1929 besucht

-236-
Roth eine vermögende geschiedene Frau in ihrem Landhaus am
Stölpchensee bei Berlin. Dort trifft er nicht eine, sondern drei
Frauen an, und zwar alle in Badekleidung am Seeufer: die Frau
des Hauses, Lotte Israel, eine Freundin Ernst Tollers, Marika
Hasenclever, die Schwester Walter Hasenclevers, und eine
auffallend aparte Mulattin, die man Roth als »Frau Andrea
Manga Bell« vorstellt. Die tiefe Verbeugung, mit der Roth der
Exotin seinen Respekt zum Ausdruck brachte, schien die Frau
des Hauses zu reizen. Diese, selber mit einem extravaganten
gelben Badeanzug bekleidet, macht einen Sprung zu Frau Bell
und reißt ihr den Bademantel auf. Roth, gar nicht verlegen,
richtet mit gespieltem Ernst das Wort an die halb Entblößte:
»Haben Sie nicht den Eindruck, gnädige Frau, daß die Damen
umsonst den Bauch einziehen?« Daraufhin verabschiedet er
sich, geht zum nahegelegenen Bahnhof, ruft Frau Manga Bell an
und bewegt sie zu einem Rendezvous in der Mampestube. Für
beide wird die Begegnung zu einem erregenden Erlebnis. Beide
bestellen Kaffee, weil keiner den anderen merken lassen will,
daß er vorher schon getrunken hat30 .
Es ist kein alltäglicher Lebenslauf, den Manga Bell - so
nennen sie die Bekannten - zu erzählen hat. Sie ist die in
Hamburg geborene Tochter einer blonden Hamburgerin
hugenottischer Herkunft und eines kubanischen Negers, der
nach Leipzig gegangen war, um Musik zu studieren, Liszt-
Schüler wurde und später Komponist und Vorsitzender eines
Musikkonservatoriums. Manga Bell hatte zur Zeit der ersten
Bekanntschaft mit Roth vier Jahre in Berlin verbracht und
verkehrte im literarischen Kreis von Franz Blei, der sie zum
Ullstein- Verlag brachte. Dank seiner Fürsprache wurde sie
Redakteurin der Kunstzeitschrift »Gebrauchsgraphik«, wodurch
sie den Lebensunterhalt für sich und ihre zwei Kinder verdienen
konnte. Besonders interessierte Roth die Geschichte von Manga
Bells Mann, dessen offizieller Titel »le Prince de Douala et
Bonanyo« lautete. Es handelte sich um einen Negerfürsten der

-237-
ehemals deutschen Kolonie Kamerun, der eine Zeitlang am
kaiserlichen Hof in Berlin erzogen worden war. Nach dem Sieg
der Alliierten im Ersten Weltkrie g über die deutsche
Schutztruppe Kameruns übernahmen die Franzosen den
größeren Teil Kameruns und damit den Bereich des Prinzen
Alexandre Manga Bell, um das Land dann ab 1920 als
Völkerbundsmandat zu verwalten. Frau Manga Bell lernte ihren
Mann in Hamburg kennen, wo er Medizin studierte. Ihrem
zugleich kultivierten und brutalen Ehemann, der ihr durch seine
Brutalität Angst einjagte, ihr aber anfangs griechische
Liebeslieder schrieb, gebar sie einen Jungen und ein Mädchen.
Als er nach ein paar Jahren in seine Heimat zurückkehren
wollte, brach seine Frau mit ihm und ließ ihn trotz seiner
Drohungen allein fahren. Gleich beim ersten Beisammensein
von Roth und Manga Bell fand das ungleiche Paar Gefallen
aneinander. Roth fühlte sich von ihrem Witz und ihrem
Einfallsreichtum angesprochen. »Sie haben sich unter der Nase
aufgenordet«, meinte sie einmal, womit sie auf seinen blonden
Schnurrbart anspielte. Dabei konnte sie aggressiv sein, fühlte
sich sehr bewußt Negerin und konnte gelegentlich gegen die
Weißen losziehen31 .
Manga Bell bewahrt eine Fülle von Erinnerungen an Roth und
ist durch ihr gutes Gedächtnis imstande, zahllose Situationen aus
jedem Jahr ihres Zusammenlebens mit ihm bis in Einzelheiten
wiederzugeben:
»Roth, der im sechsunddreißigsten Lebensjahr stand, als ich
ihn kennenlernte, zeigte sich gern älter und reifer als er war, wie
er überhaupt eine Koquetterie mit seinem Alter trieb. Als er
mich fragte, für wie alt ich ihn hielte, antwortete ich:
›Sechsundfünfzig‹. Erwirkte geschmeichelt und meinte: ›Ich bin
ein alter Jud‹.
Eigentlich war Roth häßlich, aber er hat Frauen stark
angezogen, und immer wieder gab es welche, die sich in ihn
verliebten und die hinter ihm her waren. Ich habe nie einen

-238-
anderen Mann mit soviel sexueller Anziehungskraft gekannt. Er
ging langsam wie eine Schnecke, alles war an ihm gebremst, nie
merkte man ihm eine spontane Bewegung an, er lauerte, jede
Miene war bedacht. Aber er konnte zart sein wie kein anderer,
und ich war ganz vernarrt in ihn. Roth hatte viele Schrullen. Er
haßte mecha nische Geräte und ging nie zum Telephon. Und in
all der Zeit, in der ich ihn kannte, hat er nie ein öffentliches
Verkehrsmittel benutzt. Seine Anzüge ließ er von einem sehr
teuren und guten Schneider nach Maß anfertigen, brachte dann
aber die Hosen zu einem anderen Schneider in einem entlegenen
Seitengäßchen und ließ die Beine enger machen. Seine Schlipse,
die sein Stolz waren, habe ich ihm genäht. Er hatte eine
Sammlung von Spazierstöcken und kaufte immer wieder neue.
Einer, den ich ihm schenkte, gefiel ihm ganz besonders. Am
Knauf war ein alter Jude geschnitzt, und an der Stelle, wo das
Holz einen Knorren bildete, glotzte ein Glasauge. Seine
Uhrensammlung war ihm eine echte Leidenschaft. Bei jedem
Juwelier mußte er sich die Uhren in der Auslage anschauen.
Kaufte er eine, so klemmte er sich eine Uhrmacherlupe ins
Auge, sobald er ins Hotelzimmer zurückgekehrt war, und
verbrachte Stunden damit, sie auseinanderzunehmen und wieder
zusammenzusetzen. Roth war zugleich genußsüchtig und
puritanisch. Das Tanzen, das er als einen ›Ausbund der Geilheit‹
ansah, verbot er mir. Ich durfte auch keinen Badeanzug tragen,
obwohl er mich das erstemal in Badekleidung gesehen hatte. ›Es
zieht das Unglück an‹, meinte er, ›es ist Exhibitionismus‹. Mit
seiner Eifersucht hat er mich oft furchtbar bedrückt. Mein
Friseur mußte zu uns kommen, weil er mich nicht allein
fortgehen ließ. ›Der Friseurladen ist ein Bordells behauptete er.
Als ich in der ersten Zeit noch meine Arbeit als Redakteurin
fortsetzte, war ihm das nicht recht. Er nannte mich nicht
›selbständig‹, sondern ›selbsttätig‹ was als eine sexuelle
Anzüglichkeit aufgefaßt werden sollte. Er wollte mich abhängig
machen, und ich sollte neben ihm hocken, während er schrieb.

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Nach einiger Zeit wollte mich Roth heiraten. Ich neckte ihn:
›»Roth« hört sich so hart nach »Andrea« an.‹ Mein Mann, der
weiterhin darauf bestand, ich solle zu ihm ziehen, und mich
einmal mit einem Flugzeug abholen lassen wollte, hätte nie in
die Scheidung eingewilligt. Und Roth selber war mit einer
Irrsinnigen verheiratet, von der er nicht loskam32 .«
Nachdem Roth mit Manga Bell zusammengezogen war,
vergnügte er sich mit den Kindern, wenn er gerade in der
Stimmung war. In der ersten Zeit beobachtete er mit großem
Spaß ein Spiel, das das zehnjährige Mädchen, das mit dem
Kosenamen »Tüke« gerufen wurde, mit ihrem nur wenig älteren
Bruder eingeführt hatte. Das Spiel bestand darin, daß die beiden
einen Roman schreiben wollten, in dem das Mädchen alles
behandeln sollte, was sich auf dem Land, ihr Bruder alles, was
sich am Meer abspielte33 . Belustigt war Roth auch darüber, daß
Tüke schauspielerisches Talent zeigte und sich mit großem
Geschick die Dialekte aller Orte aneignete, an denen man sich
gerade mit ihr aufhielt. Schwieriger und gespannter wurde die
Lage, sobald Roths Mittel knapp wurden. Wie kompliziert Roths
Beziehung zu Geld war, geht u. a. auch aus Manga Bells
Äußerung zu diesem Thema hervor:
»Noch vor Hitler, als Roth achtzigtausend Mark im Jahr
verdiente, sagte er: ›Oy weh, ich weiß, warum du so traurig bist.
Wir haben nur genug Geld, um drei Wochen leben zu können.‹
Für das Trinken konnte er jederzeit Geld erübrigen, aber in ein
Restaurant ging er ungern, wie er überhaupt ungern Geld für das
Essen ausgab. Ein Lieblingsspruch von ihm war ›ein Tischtuch
ist ein Leic hentuchs Er wollte den Eindruck erwecken, er lebe
nur vom Geist und esse gar nichts. ›Seit drei Jahren habe ich
keine Mahlzeit zu mir genommen‹ sagte er, so daß viele der
Meinung waren, er lebe nur vom Alkohol. Aber spät nachts,
wenn niemand dabei war, hat er doch gegessen. Einmal,
nachdem wir ausgemacht hatten, wir wollten alle ins Restaurant
gehen, entdeckte ich, daß er vorher allein essen gegangen war.

-240-
Als wir dann zusammen im Restaurant waren, aß er nichts mehr.
Versuchte ich ernsthaft mit Roth über Geldsachen zu
sprechen, entzog er sich mit solchen Äußerungen wie: ›Ich
arbeite ohnehin wie ein Karussellesel‹ oder: ›Jedes kleine
Mädchen wäre froh, Joseph Roth als Freund zu haben.‹ Kritisch
wurde die Lage, als wir Deutschland wegen Hitler verlassen
mußten. Manchmal schickte uns mein Bruder in Hamburg, der
ein reicher Kakaohändler war, Geld. Aber sonst waren ich und
meine zwei Kinder von Roth abhängig. Roth hat vielen Leuten
erzählt, er habe einen neunköpfigen Negerstamm zu ernähren.
Er entwarf höchst erfinderische Briefe an meinen Mann, der in
Kamerun Plantagenbesitzer war, um ihn um Geld anzuflehen,
die ich dann in meiner Handschrift abschickte. Eine Zeitlang
gab Roth meine Tochter in ein Kloster und meinen Sohn in ein
Pensionat, um sich auf diese Art die finanzielle Belastung zu
erleichtern. 34 «
Roths Suche nach den »Quellen des Geldes«war es, die -
zeitweilig - zum Bruch zwischen Roth und Reifenberg und mit
der »Frankfurter Zeitung« führte. Auf diese »Wandlung« spielte
Reifenberg an, als er zu Roths Widmung in seinem Exemplar
des Radetzkymarsches - »in wandelbarer, aber ewiger
Freundschaft« - vermerkt: »Die Wandlungen schmerzten, wenn
sie auch vor der Ewigkeit nicht gelten mögen35 .« Der Auftakt zu
Roths Zerwürfnis mit der »Frankfurter Zeitung« und seinem
Austritt kündigt sich Ende März 1929 in einem Schreiben an
Stefan Zweig an: »Inzwischen haben mich die Münchener
Neuesten eingeladen, sie wollen mir offenbar einen Antrag zur
Mitarbeit machen. Ich habe so wenig Geld und die Zeitungen
sind mir so gleichmäßig verhaßt, daß ich noch nicht weiß, ob ich
nicht doch annehmen soll36 .« Im Juni 1929 vollzieht Roth den
schon lange in Erwägung gezogenen Bruch mit der »Frankfurter
Zeitung« und am 18. August desselben Jahres erscheint sein
erstes Feuilleton in den »Münchner Neuesten Nachrichten«. Der
sich verletzt fühlende Reifenberg macht Roth brieflich darauf

-241-
aufmerksam, daß er dessen Ansinnen, gleichzeitig für beide
Zeitungen zu schreiben, von vornherein als »indiskutabel«
zurückgewiesen habe, und erst daraufhin habe Roth »sich
nachträglich Gründe moralischer Art für [seinen] Weggang aus
der Frankfurter Zeitung [zu] konstruieren« versucht37 . Diese
Zurechtweisung kann Roth schon deshalb nicht auf sich beruhen
lassen, weil ihn mehrere Zeitungen wegen seines Übertritts zu
dem Münchener Blatt der Unmoral zeihen. Auf die Nachricht
von Roths neuem Engagement reagiert F. C. Weiskopf, den
Roth von Prag her kannte, mit heftigen Vorhaltungen im »Berlin
am Morgen«: »Man liest diese Worte und - glaubt sie nicht.
Man liest sie nochmals und erfaßt langsam ihren Sinn: das
stocknationalistische Münchener Blatt hat den großen Reporter,
den glänzenden Stilisten, den Schriftsteller von Rang, Josef
Roth, einfach im Versteigerungswege erstanden, wie man etwa
einen Posten Papier oder Druckerschwärze ersteht...
Josef Roth, der verbissene Hasser des nationalen
Chauvinismus preußischer und bayerischer Couleur bei den
›Münchner Neuesten Nachrichten!‹...38 «
Noch schonungsloser wirkt der Angriff der Berliner Zeitung
»Welt am Abend« in einer Glosse mit der sarkastischen
Überschrift: »Ware
Schriftsteller. Nun hat die Flucht ein Ende.« Dort heißt es:
»Man fragt sich: wie ist das möglich, ausgerechnet zu einem der
borniertesten, in sturstem Nationalismus Münchener Observanz
machenden Blatte, hinter dem allerdings viel Geld steckt. «
Hier scheint der Hund begraben zu liegen: Joseph Roth, der
nicht nur ein guter Journalist, sondern auch ein
Romanschriftsteller ist, der den Durchschnitt überragt, wurde
der Frankfurter regelrecht weggekauft.
Er bekommt in Zukunft in München ein Monatshonorar von
2000 Mark und hat dafür - zwei Artikel zu liefern. Also
eigentlich eine Bezahlung dafür, daß er nichts schreibt, d. h.

-242-
nichts mehr für die anderen schreibt...39 .«
In seinem Innersten getroffen und von schlechtem Gewissen
geplagt, reagiert Roth übertrieben und beinah theatralisch in
seiner Antwort an Reifenberg:
»Auf keinen Fall mute ich Ihnen zu, mir moralische Gründe
für meinen Abgang von der F. Z. zu liefern. Ich bedarf ihrer
keineswegs. ›Moralisch‹ ist alles, was ich mache. ›Unmoralisch‹
war vieles, was Sie gegen mich gemacht haben... Sicher ist, daß
der ›Radikalismus‹, also die Anständigkeit der F. Z., zum
großen Teil meine Anständigkeit war, und daß die F. Z. diesen
Teil verliert. Es ist etwa, wie jetzt erst durch verschiedene
Zeitungsnotizen für mich klar wird, nicht so, daß ein Mitarbeiter
von einem radikalen Blatt zu einem reaktionären geht, sondern
das Bewußtsein, eine radikale Macht löste ihr Bündnis mit einer
anderen, so stark, daß man aus dieser Tatsache in der
(armseligen) Öffentlichkeit sogar einen ›Linksruck der
Münchner Neuesten‹ konstatieren zu müssen glaubt. Niemals
hat ein ›Feuilletonist‹ und was er tat, so viel symptomatische
Bedeutung bekommen. Sie selbst wissen sehr gut, daß der Glanz
meines Radikalismus die ganze Frankfurter Zeitung verschönt
und sogar legitimiert hat. Wenn ich von ihr gehe, so ist das also
nicht ein Fall, bei dem irgend jemand nach moralischen
Gründen‹ nachträglich oder gleichzeitig zu suchen hätte. Das ist
eine Katastrophe. Ich selbst bin identisch mit Radikalismus; und
wo Joseph Roth schreibt, wird es radikal, im Abort oder im
Parlament, so wie es überall kühl wird, wo ein Wind bläst. Ich
also bleibe Joseph Roth, so lange ich eine Zeile schreibe. Die
Frankfurter Zeitung aber ändert sich, sobald sie den Glanz
meiner Zeilen entbehrt40 .« Im weiteren sehr lang gewordenen
Brief führt Roth aus, was die Zeitung noch alles bei ihm auf dem
Kerbholz hat: seine Bedenken wegen einiger Mitarbeiter der
Zeitungsredaktion; die angebliche Zensur, welche »lächerliche
Nichtskönner« über seine Artikel ausüben; und daß Reifenberg
sich mit »zwei Tölpeln« über die Publikation seiner Artikel

-243-
berate. Hier treten ähnliche Ressentiments über ungenügende
Anerkennung zutage wie die, die Roth 1922 zu seinem Austritt
aus der Redaktion des »Berliner Börsen-Couriers« veranlaßten.
Fühlte sich Reifenberg durch Roths Austritt aus der »Frankfurter
Zeitung« persönlich getroffen, so drückte sich die Stimmung im
Redaktionsstab in professionellem Unbehagen aus. »Das ist
Pflaums Geschoß«, lautete der dortige Kommentar41 , womit
Generalkonsul Pflaum, der Leiter des Verlags Knorr & Hirth
und Herausgeber der »Münchner Neuesten Nachrichten«
gemeint war. Rückblickend deutet Reifenberg den Vorgang
folgendermaßen: »Roth verlangte damals ein höheres Gehalt.
Damit erklärten wir uns einverstanden, wenn er sich
verpflichtete, für keine andere Zeitung zu arbeiten. Er wurde
zornig und meinte, einige Mitglieder des Zeitungsstabes
machten ihm die weitere Mitarbeit einfach unmöglich. In
Wirklichkeit war es aber die Geldfrage, die ausschlaggebend für
seinen Abschied war, aber man muß Roth auch aus seiner
Empfindlichkeit heraus verstehen. Seine äußere Rauheit und
Überheblichkeit war alles Abwehr gegen die eigene
Verwundbarkeit42 .«
Trotz Roths Behauptung, durch seinen Eintritt in die
»Münchner Neuesten Nachrichten« könne man von einem
›Linksruck‹ dieser Zeitung sprechen, ist kein einziges seiner in
dieser Zeitung erscheinenden Feuilletons politisch ausgerichtet.
Statt dessen will er die Welt in ihren kleinsten Bruchteilen
widerspiegeln. Dies liest man bereits aus Titeln wie »Die
Puppen«, »Ein Wiedersehen«, »Die neue Waschmaschine« und
»Alte und neue Photographen« heraus. Mit »Puppen« meinte er
die weiblichen Wachsbüsten, die noch zur Zeit seiner Kindheit
in den Schaufenstern der Friseurläden gestanden und einen
»kosmetische[n] Mythos... der Frau« dargestellt hätten, und
somit »die Realität von gestern übertrafen«. Hingegen werde der
Mythos bei den heutzutage in den Schaufenstern stehenden
Puppen, die lebenswahr sein wollten, durch einen billigen

-244-
Realismus abgelöst: »Ein Hochmut aus nichtrostendem Stahl,
eine ›Nirosta‹-Arroganz ist eingegraben mitten in die sachliche
Intelligenz dieser Physiognomien, die gewiß von der Kenntnis
der Automobilmarken und des Sportbetriebs gebildet wurden.
Sehr selbstbewußt, siegreich, hart wie diese Zeit, stehen sie,
die ihre eigentlichen Geschöpfe sind, in den Schaufenstern43 .«
Nach der Veröffentlichung seines letzten Feuilletons am 1. Mai
1930 in den »Münchner Neuesten Nachricht en« - insgesamt
handelt es sich um etwa dreißig Beiträge - tritt Roth wieder
brieflich mit Reifenberg in Kontakt. In den Briefen, die
zwischen Roth und Reifenberg im Mai, Juni und Juli hin- und
hergehen, kommt es zu scharfen Auseinandersetzungen. Auf
Reifenbergs Rüge, Roth habe sich in der »Weltbühne« derart
über die »Frankfurter Zeitung« ausgelassen, daß die ganze
Zeitungsredaktion dies als Diffamierung betrachte44 , antwortet
Roth, er habe nur geschrieben, seine Weltanschauung sei nicht
die der »Frankfurter Zeitung« gewesen, was nicht als
Beleidigung aufzufassen sei45 . Vorläufig will Roth noch immer
nicht auf Reifenbergs Vorschlag eingehen, seine Artikel wieder
allein bei der »Frankfurter Zeitung« erscheinen zu lassen.
Während seine Feuilletons vom Zeitungs vertrieb des Gustav
Kiepenheuer Verlags verkauft werden, verpflichtet er sich, eine
Artikelserie für die »Kölnische Zeitung« unter dem Titel Kleine
Reise zu schreiben, die, wie er meint, »ziemlich viel einträgt«46 .
Wie lustlos er diese neue Aufgabe beginnt, geht aus einer
Erwähnung der Arbeit bei den »Münchner Neuesten
Nachrichten« hervor, die er indirekt mit dem neuen Auftrag in
Zusammenhang bringt: »Diesem Schmonzes bin ich nicht mehr
gewachsen47 .« Trotzdem bezeichnet er seine Veröffentlichungen
in der »Kölnischen Zeitung« als »50 Seiten solider Arbeit«48 .
Die Kleine Reise sollte ihn durch Mitteldeutschland und das
Ruhrgebiet führen49 , und Städte dieser Gegenden werden auch
in der Artikelserie behandelt, aber deren Gehalt läßt es
fragwürdig erscheinen, ob Roth diese Reise, die er schon vorher

-245-
als »schauderhafte Arbeit«50 bezeichnet, wirklich angetreten hat.
Seinem Image getreu, antwortet er auf eine Umfrage der
»Literarischen Welt«: »Haben Sie von Ihren Reisen produktive
Eindrücke empfangen?« mit der Behaup tung: »Ich habe... alles,
was ich schreibe, meinen Reisen zu verdanken51 .« Aber an
anderer Stelle klagt er um dieselbe Zeit: »Die sogenannte Musik
des Räderrollens empfinden wir als Hammerschläge auf das
Kleinhirn und die Schläfen52 .« Wie dem auch sei, bei seinen in
der »Kölnischen Zeitung« erscheinenden Feuilletons handelt es
sich um von bewundernswerter Beobachtungsgabe zeugende
Charakterskizzen, die er ohne weiteres geschrieben haben
könnte, ohne in einen Zug Zu steigen.
Im Juli 1930 kommt man vorerst in der Redaktion der
»Frankfurter Zeitung« überein, Roths neuesten Roman, Hiob, im
Vorabdruck erscheinen zu lassen, und ab November desselben
Jahres sind Roths Feuilletons bereits wieder in dieser Zeitung zu
lesen. Binnen kurzem freundet sich Roth mit Friedrich Traugott
Gubler an, einem Schweizer, der anstelle von Reifenberg die
Leitung der Feuilletonredaktion übernommen hatte und der es
sich zur Aufgabe machte, Roth nach Kräften zu fördern. Die
gegenseitige Sympathie, die die beiden bald füreinander
empfinden, erlaubt es Gubler einmal in Gegenwart eines Dritten
- und nicht ganz im Scherz - zu sagen: »Roth, Sie müssen viel
trauriger werden. Je trauriger Sie sind, desto schöner schreiben
Sie.53 « Gubler hatte so unrecht nicht. Das Leid und die Trauer
hatten den Romancier eine Zeitlang auf Irrwege geführt,
zugleich aber Schöpferisches in ihm vorgeformt, das er sonst
nicht erreicht hätte. Das Verstreichen der Zeit verhalf ihm zu
einiger Distanz gegenüber den Ereignissen. Die vielen Klagen
waren ihm ein Ventil gewesen und die menschlichen Kontakte
ein Trost, obwohl es ihm angesichts der Krankheit seiner Frau
wie eine Sünde vorgekommen wäre, zuzugeben, daß es ihm in
psychischer Hinsicht besser ging. Die Bindung zu Manga Bell
hatte einen Genesungs- und Reifungsprozeß zur Folge, der zu

-246-
seinen beiden besten Romanen führte.

-247-
16
Der künstlerische Höhepunkt

»Inzwischen habe ich täglich 12 Stunden an meinem Roman


gearbeitet... Ich bleibe ungefähr 4 Wochen hier, die letzten 30
Seiten meines Romans zu schreiben, eine Seite pro Tag1 .« So
schreibt Roth Ende Februar 1929 aus Paris an Félix Bertaux
über das Gedeihen der Niederschrift des Hiob. Drei Wochen
später kann er in der Tat an dieselbe Adresse mitteilen: »Mein
Roman ist in einer Woche fertig2 .« Um dem Glück
nachzuhelfen, wickelt Roth das Manuskript in weiches Leder,
wofür er eine besondere Schwäche hatte, ein, und überbringt es,
da er fürchtete, es könne bei der Post verloren gehen, persönlich
seinem Verleger3 . Am 12. Oktober 1930 erscheint das Buch, mit
dem er zum erstenmal einen durchschlagenden Erfolg erlebt.
/Roth verzichtet in diesem Roman/ auf das Rüstzeug, das er sich
als vorübergehender Anhänger der Neuen Sachlichkeit zu eigen
gemacht hatte, nämlich Skepsis und Kritik sowie Abstand und
Ironie. /Die Erzählweise ist bewußt einfach gehalten, wie schon
der Untertitel ahnen läßt. Hiob ist der/ Roman eines einfachen
Mannes. Von der Hauptfigur Mendel Singer wird schon in der
zweiten Zeile berichtet: »Er war fromm, gottesfürchtig und
gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude4 .« Das »Gewöhnliche«
wird auch durch die kurz darauffolgenden Sätze bestätigt:
»Hunderttausende vor ihm hatten wie er gelebt und unterrichtet.
Unbedeutend wie sein Wesen war sein blasses Gesicht 5 .« Um
der Fabel Mustergültigkeit zu verleihen, lehnt sich der Roman
im breiten Bogen seines Werdegangs an den biblischen
Namensvetter des Titelhelden an und läßt an einigen Stellen eine
große Ähnlichkeit im Wortgebrauch mit der »Vorlage«
erkennen. Aber anders als der biblische Hiob lebt Roths Mendel
Singer nicht im Überfluß, und nichts an ihm verdient besondere
Beachtung. Auserwählt ist Mendel Singer nur als
Heimgesuchter, als der leidende Mensch, der scheinbar

-248-
unverschuldete Schläge solange ertragen muß, bis er an Gott irre
wird und sich gegen ihn auflehnt. Die Inspiration zu diesem
jüdischsten seiner Romane schöpft Roth aus der Quelle seiner
größten Betroffenheit - der zermürbenden und nicht
endenwollenden Qual durch die unheilbare geistige
Umnachtung seiner Frau, für die er sich verantwortlich fühlt.
Seine Briefe an die Schwiegereltern sind von Wehklagen erfüllt,
die im Roman ihren nachträglichen Niederschlag finden. Aus
Paris schreibt er an die Schwiegermutter: »Der liebe Gott straft
uns, wer weiß, wofür... ich bin ganz ohnmächtig gegen dieses
Schicksal...6 « Wiederholte Male beschwört er » Gottes Hilfe«7
und wie ein Refrain aus dem Munde Mendel Singers klingt die
Klage: »Ich fahre mit schwerem Herzen, wie ein alter Jud«, um
darauf wieder einmal fortzufahren: »Vielleicht hilft endlich
Gott...8 « Sein Grübeln über den unersichtlichen Grund der
Heimsuchung führt zum Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit,
eine Wendung herbeizuführen, wobei seine Gedanken hin und
her pendeln zwischen dem Fluch, von dem er getroffen wurde,
und dem Wunder, das endlich geschehen sollte.
Noch nach dem Erscheinen Hiobs bleibt das Buch für den
Autor auf merkwürdige Weise mit dem Krankheitsfall
verbunden. Nicht nur, daß er den Schwiegereltern Anweisungen
erteilt, man dürfe Friedl nicht erlauben, das Buch zu lesen, weil
darin beschrieben sei, wie Mendel Singers Tochter Mirjam
geisteskrank wird9 ; er schreibt auch, Hiob müsse eine Auflage
von 30 000 haben10 , damit er finanziell saniert werde und
weiterhin für Friedl und die Schwiegereltern sorgen könne.
Die Beziehung des biblischen Hiob zu Gott gründet von
Anfang bis Ende im Glauben, obwohl der Glaube sich
abwechselnd in Auflehnung, Zorn, Bestürzung und Verwirrung
kundtut. Auch Mendel Singers Zorn gegen Gott und selbst sein
Wunsch, Gott aus seinen Gedanken zu bannen, vermögen nicht
abzuschütteln, was stärker ist als menschliches Wollen: »Sein
Herz war böse auf Gott, aber in seinen Muskeln wohnte noch

-249-
die Furcht vor Gott11 .« Hermann Kesten macht darauf
aufmerksam, er habe Roth beraten, ein Wunder sei für den
Schluß seines Hiobromans unerläßlich12 . Dies legt die
Vermutung nahe, daß Roth ursprünglich den Roman anders
konzipiert hatte, obwohl nichts in seiner Struktur für diese These
spricht. Bereits auf der achten Seite des Romans prophezeit der
Rabbi, zu dem Mendels Frau gepilgert ist, in Worten, die zu
einem Leitfaden des Buches werden: »Menuchim, Mendels
Sohn, wird gesund werden. Seinesgleichen wird es nicht viele
geben in Israel. Der Schmerz

2l6
wird ihn weise machen, die Häßlichkeit gütig, die Bitternis
milde und die Krankheit stark13 .« Dieser Roman, der von
Anfang an auf die Erfüllung dieser Prophezeiung angelegt ist,
konnte nur durch das angekündigte Wunder zur Abrundung
gelangen. Diese Abrundung kann den modernen Leser freilich
irritieren. Der Romanschluß wurde und wird oft beanstandet, u.
a. auch von Ludwig Marcuse. /Seinen/ Einwand 14 , der Schluß
stehe nicht in Einklang mit dem Ton der Verhaltenheit, der den
Roman sonst kennzeichnet, kann man nicht leicht widerlegen.
Denn das Wunder, das die literarische Anlage erfordert und auf
das der Leser bereits mit der einsetzenden Märchenformel (»Vor
vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens Mendel
Singer«)15 vorbereitet wird, muß selbstverständlich in anderer
Tonart wiedergegeben werden. Aber dem Autor vorzuwerfen, er
identifiziere sich nicht mit der »ungläubigen Gläubigkeit seiner
Leser«, heißt dem Autor eine Absicht unterstellen, die der
seinen entgegengesetzt ist. Marcuse sagt mit anderen Worten,
Roth täusche eine Theodizee vor, die der kritischen Ratio des
modernen Menschen nicht standhalte, aber wenn Roths Fabel
wirklich einer solchen Aufgabe dienen sollte, dann schöpft sie
ihre Beweiskraft nicht aus der Vernunft, sondern aus dem
Glauben. Roth selber hat sich bezeichnenderweise nie die Mühe

-250-
gemacht, seinen Romanschluß zu verteidigen, aber seiner
literarische n Gestaltung gemäß hätte er Martin Buber zitieren
können: »Die Frage des Geschlechts, ›Warum leiden wir, was
wir leiden?‹ hatte von Anbeginn einen religiösen Charakter;
›warum?‹ ist hier keine philosophische Frage nach dem Wesen
der Dinge, sondern eine religiöse nach dem Handeln Gottes16 .«
Die Schläge des Unglücks, die der Mensch ertragen muß, sind
demnach nicht mit dem Verstand zu begreifen, mit dem man die
phänomenale Welt erfaßt, sondern, wie im Falle Hiobs, eine
religiöse Angelegenheit, die in der Natur Gottes wurzelt.
Der bindungslose und nirgends seßhafte Roth befand sich im
Kampf mit nicht zu beantwortenden Fragen, die seine Kräfte
überforderten. Weil er sich an nichts anderem aufrichten konnte,
empfand er überaus stark, wie unerläßlich der Glaube an Gott
ist, ohne jedoch wirklich glauben zu können. In Mendel Singer
zeichnet er einen Menschen, der durch harte Schicksalsschläge
von allen tieferen Bindungen losgerissen wird, bis die letzte und
tiefste, die Bindung an Gott, in die Brüche zu gehen droht. Im
wesentlichen ist Hiob ein Mysterienspiel in
osteuropäischjüdischem Gewand, ein Spiel, das durch
Aufhebung des Unglaubens Trost schenken kann. Dieser Trost
besteht nicht aus der Vorspiegelung einer Deutung der
Beziehungen zwischen Gott und Mensch, sondern aus der
Bewahrung des aufs äußerste bedrohten Glaubens. Nur durch
die Einwirkung des Wunders wird die Aufrechterhaltung des
Glaubens möglich. Somit wird nicht nur der schwankende
Glaube Mendel Singers durch das spät eingetroffene Wunder
gerettet, sondern Gott selber als ein des Glaubens Würdiger. Es
versteht sich von selbst, daß ein so zartes, auf dem Glauben
beruhendes Gebilde durch den Zusammenstoß mit Aktualität
und Wirklichkeit leicht verletzt werden kann. Daß der Autor
selber wußte, wie heikel sein Unternehmen war, ergibt sich aus
gewissen Beteuerungen des verborgenen Erzählers. Um zu
beweisen, daß Gott nicht verschwunden ist und sich weiterhin

-251-
um die Welt kümmert, eigentlich um Gott nicht entfliehen zu
lassen, muß jener mit Einschüben nachhelfen. Es sind jedesmal
Stellen, wo von sinnloser Ungerechtigkeit die Rede sein könnte:
nachdem die Geschwister den Kopf des Säuglings Menuchim
ein dutzendmal ins Wasser gestoßen haben, um dann
nachzuprüfen, ob er tot sei, heißt es: »Nichts geschah ihm. Da
trugen ihn die Kinder schweigsam und voller Angst ins Haus
zurück. Eine große Furcht vor Gottes kleinem Finger, der eben
ganz leise gewinkt hatte, ergriff die zwei Knaben und das
Mädchen17 .«
Nach der Vollendung seines Romans und bevor er zum
Vorabdruck gelangt, liest Roth Stefan Zweig einige Szenen
daraus vor, zuletzt die über das Fest des Sederabends und das
Wiedererscheinen Menuchims. Zweig, der bei der Lesung zu
Tränen gerührt wird, teilt seinem Freund Richard Friedenthal
mit, der Roman sei ein Werk hohen Ranges, in dem er die
Gestaltung von Roths Ehetragödie sehe, und daß er an mancher
Stelle in der Darstellung von Mendel Singers lüsterner, am Ende
dem Wahnsinn anheimfallender Tochter ein Abbild Friedls
erkenne 18 .
Kurz nach der Publikation des Buches schreibt Zweig eine
Rezension, in der er von allen früheren Romanen Roths
feststellt: »... sie reizten ohne zu befriedigen, und man
bewunderte sie, ohne sie ganz zu lieben, und ich wünschte mir
sehr heftig, gerade weil ich den gewaltigen Könner, den
wahrhaftigen Menschen in Joseph Roth so sehr fühlte und
bewunderte, dieser Begabteste von allen möchte einmal sich in
einem Werk ganz innerlich zusammenfassen.
Das hat Joseph Roth nun in [Hiob] auf das überraschendste
getan...19 «
Roth, der im Ernst rebellieren und verzweifeln konnte, konnte
sich bei seinem existentiellen Sprung in den Glauben nicht ganz
ernstnehmen, denn dazu war bei ihm die Skepsis gegenüber der
eigenen Sehnsucht zu stark. Daran mag es liegen, daß Roth nach
-252-
einiger Zeit Hiob fast als einziges unter seinen Werken nicht
gelten ließ. Als Hans Natonek wenige Wochen vor Roths Tod
diesem seine Bewunderung für seinen Hiob-Roman ausdrückte,
konterte Roth: »Es ist mir zu virtuos in seinem Geigenton:
Paganini; das Leid ist zu schmackhaft und weich20 .«
Die kommerziellen Hoffnungen, die sich Roth in bezug auf
seinen Roman machte, gingen zum Teil in Erfüllung - Hiob
erreichte die erhoffte Auflage von 30 000 Exemplaren21 . 1931
erschien die amerikanische Ausgabe, die im November
desselben Jahres von der größten amerikanische n
Buchgmeinschaft zu ihrem »Bookofthe-Month« ernannt wurde,
was die Zeitschrift »Time« veranlaßte, das Buch als »bestseller«
zu bezeichnen22 . Erleichtert schreibt Roth an die
Schwiegermutter: »Im November kommt endlich das Geld aus
Amerika. 1000 Dollar vorerst, aber ich bin schon damit
glücklich...23 « 1933 erscheint auch die englische Ausgabe; dort
wird der Verkauf des Buches durch ein Interview Marlene
Dietrichs stimuliert, in dem sie den Roman als ihr Lieblingsbuch
ausgibt24 . Sie, der Roth 1937 bei einem gemeinsamen
Abendessen in Wien persönlich seine Dankbarkeit aussprechen
konnte25 , verleiht noch viele Jahre später in ihrer
Autobiographie ihrer Verehrung für das Buch Ausdruck26 .
Auch auf andere Einnahmequellen hatte Roth Aussicht. Aus
Antibes, wo er einige Wochen mit Stefan Zweig verbrachte,
schreibt er 1931: »... der herrschende Antisemitismus verhindert
die Verfilmung eines jüdischen Stoffes. Vor einem Jahr hätte ich
mit [Hiob] 100 000 Mark verdient. Aber ich habe Glück so
wenig, wie jeder alte Jud 27 .« Die Verfilmung, die letztlich doch
noch zustande kam, ist merkwürdige Wege gegangen. Die große
Produktionsgesellschaft, die es hätte drehen wollen, liquidierte
eines schönen Tages und wurde mit einer noch größeren
fusioniert. Mit der ›Masse‹ gingen an diese auch die Filmrechte
von Roths Roman über. Das Drehbuch von /Ossip/ Dymow...
gefiel ihr anscheinend nicht. Sie ließ ein neues schreiben, das sie

-253-
wohl dem Bedürfnis und Verständnis ihres Publikums
angepaßter erachtete. In ihm wurde der jüdische Melamed27
/Mendel Singer/ in einen katholischen Mesner verwandelt und
die Handlung aus Zuchnow in Russisch-Polen nach Gossensass
in Südtirol verlegt28 .« Als dieser »Otto Brower Film der Fox-
Gesellschaft« unter seinem Originaltitel Sins of Man Ende 1938
einem jüdische n Publikum in Jerusalem vorgeführt wurde,
führte die Rezension eines empörten Kritikers den sarkastischen
Titel: »Mendel Singer läßt sich taufen29 .« Wenn Hiob in seiner
metaphysisch ausgerichteten Perspektive eine ganz andere
Tendenz zeigt als Roths bisheriges Werk, so bildet es zugleich
auch dessen Kulmination. Denn die Hiobsfigur, die die nicht zu
beantwortenden letzten Fragen über die menschliche Existenz
stellt, steht in vielfacher Abwandlung im Mittelpunkt oder am
Rande all seiner früheren Romane. Mit Hiob wird dem
Fragensteller zum erstenmal eine positive Antwort erteilt. Aber
vom Standpunkt der anderen Werke, und vermutlich für den
Autor selbst, bedeutet dies, daß die Suche nach der nicht zu
findenden Aufklärung sich im Namen eines Scheinfriedens in
eine Ausflucht verkehrt.
Mit seinem nächsten Roman, dem Radetzkymarsch, versucht
Roth eine neue Orientierung, er stellt sich auf eine geschichtlich
bedingte Sicht und die Analyse einer traditionsverwurzelten,
aber brüchig gewordenen Lebensordnung ein. Das untergehende
Imperium und das versunkene Zeitalter Kaiser Franz Josephs,
die Roth als Stoff seiner Elegie dienen, waren beide mit den
ersten vierundzwanzig Jahren seines eigenen Lebens identisch,
über beide hatte er in den dazwischenliegenden Jahren
nachgedacht und sie zu verschiedenen Zeiten anders gesehen
und gewertet.
Ende 1930 kündigt Roth Stefan Zweig das früheste Konzept
seines Romans an: »Wie gerne würde ich jetzt meinen
altösterreichischen Roman schreiben!... ich... beschäftige mich
mit dem Roman, (Der Radetzkymarsch heißt er) und behandelt

-254-
Altösterreich von 1890 bis 1914. Mündlich werde ich Ihnen die
Fabel erzählen30 .« Aus der endgültigen Fassung des Romans,
der die Zeit von 1859 (die Schlacht von Solferino) bis 1916 (das
Todesjahr Franz Josephs) umspannt, kann man ersehen, daß die
Szene von der Errettung des Kaisers durch die Heldentat des
jungen Ahnherrn der Trottas 1930 noch nicht eingeplant

* Lehrer war, ebensowenig wie die vom Tod des Kaisers.


Vermutlich erstrebte Roth zu diesem Zeitpunkt ein Bild der
fortschreitenden Auflösung, wie dies bei Robert Musils Mann
ohne Eigenschaften der Fall ist, ohne den eigentlichen
Untergang mit einzubeziehen. Wie es zum Titel kam - der schon
feststand, als Roth Stefan Zweig über die frühesten Pläne des
Buches unterrichtete -, schildert der Verleger Gustav
Kiepenheuer: »... eines Tages gingen [Roth und ich] auf dem
Augustus-Platz in Leipzig auf und ab und besprachen den Druck
des Buches und suchten einen Titel. Als ich rief:
›Radetzkymarsch‹, umarmte er mich, faßte mich am Arm und
zog mich zu Felsche, den Einfall zu begießen. Dann holte er
seine flache silberne Uhr aus der Weste, öffnete den Deckel,
ritzte mit einem Taschenmesser dort das Datum, unsere Namen
und Radetzkymarsch ein und überreichte sie mir zum Andenken
an diese Stunde. Ich trug sie stets bei mir, bis sie mir im Krieg
verlorengegangen ist, wie Joseph Roth selbst31 .« Bevor Roth zu
schreiben begann, machte er zum ersten und letzten Mal
vorbereitende Studien für einen Roman. Er studierte das
habsburgische Hofzeremoniell, sammelte Bilder der k. u. k.
Armee, verschaffte sich ein dickes Buch mit Abbildungen von
Regimentsuniformen und Rangabzeichen und machte sich mit
dem Kanzleideutsch der alten Monarchie vertraut 32 . Vor der
Drucklegung ließ Gustav Kiepenheuer Alexander Lernet-
Holenia, einen seiner Autoren, die im Manuskript
vorkommenden militärischen Einzelheiten überprüfen33 . Auch
bei diesem Roman verließ sich Roth im wesentlichen auf

-255-
Vorstellungen, die ihm seine Phantasie eingab, und nicht auf ein
vorher zu Papier gebrachtes Konzept. Daß der Autor erst nach
Beginn der Arbeit und auf Anregung seines Verlagsfreundes
Walter Landauer beschloß, Kaiser Franz Joseph im Roman
auftreten zu lassen34 , wird als Indiz für den Stegreifprozeß
angesehen. Und Andrea Manga Bell, die die Kapitel des
Romans für den Vorabdruck in der »Frankfurter Zeitung«
abtippte, meint, als dreiviertel des Buches fertig war, suchte er
immer noch nach einem passenden Schluß. Frau Bell erzählt
auch noch, daß Roth, der immer Angst hatte, seine Manuskripte
könnten verloren gehen, und grundsätzlich alle Kapitel als
Einschreibsendung an die Zeitung schickte, sich maßlos ärgerte,
als sich herausstellte, daß er das vierte Kapitel35 in der
Betrunkenheit bei einer Taxifahrt verloren hatte. Gehetzt und
aufgewühlt verbrachte er einen unglücklichen Nachmittag mit
der Suche nach dem verlorenen Manuskript, ehe er anfing, es
von vorn zu schreiben. Beim zweitenmal kamen ihm noch mehr
Einfalle, so daß Walter Landauer der Meinung war, es sei eins
der besten Kapitel36 .
Roths Briefe und die Aussagen der Freunde ermöglichen es,
eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte zu verfolgen.
Obgleich Roth seine journalistische Arbeit weitgehend
einschränkte, ist keiner seiner Romane so langsam gewachsen.
Sein Verleger schreibt vo m »... Ergebnis des Tages: häufig nur
ein einziger Satz, den er langsam akzentuiert vorlas. Daran hatte
er den ganzen Morgen an einem Marmortischchen gefeilt und
gegrübelt, und aus diesen Papierchen wurde der Roman des
ehemaligen Österreichs 37 .« Wie langsam der Schreibprozeß
fortschritt, läßt sich daraus ersehen, daß Roth nicht imstande
war, einen Termin, der ihm am Herzen lag, einzuhalten. Im Juli
1931 teilt er Stefan Zweig mit, der Roman müsse wegen einer
finanziellen Vereinbarung bis Ende September fertig sein38 . Ein
ganzes Jahr nach der gesteckten Frist zieht sich die Arbeit hin,
während Roth einige seiner früheren Romane in Eiltempo

-256-
geschrieben hat.
Gegen Krankheit mußte er schon öfters ankämpfen: zum
erstenmal muß er nun auch mit der Fülle des Stoffes kämpfen
und besorgt sein, daß er sie nicht bewältigen werde. An Pierre
Bertaux schreibt er: »Ich war lange krank und elend, und ich
arbeite verzweifelt am Radetzky-Marsch. Der Stoff ist zu groß,
ich bin zu schwach und kann ihn nicht bändigen39 .« Friedrich
Gubler berichtet er von dem Unmut, der ihn beim Nichtgelingen
packt, und von der Angst vor der Unzulänglichkeit: »An einem
Tag ist Alles gelungen, am nächsten Alles Dreck. Tückisch und
trügerisch ist Alles... Ich fürchte, ich fürchte, ich bin ein
Patzer40 .«
Vom 17. April 1932 an erschien der Roman im Vorabdruck in
der »Frankfurter Zeitung«. Nach mehreren Monaten des
Schweigens berichtet er Stefan Zweig: »Stellen Sie sich vor, daß
mein Roman in der Zeitung zu laufen anfing, als er noch nicht
fertig war. Und ich mußte, den grausamen Atem der Zeit
sozusagen im Nacken und von ihm natürlich gelähmt, nicht etwa
angefeuert, weiterschreiben, dazwischen umbauen, korrigieren
und endlich einen flüchtigen Schluß bauen. Inzwischen hat der
Hamburger Buchklub das Buch noch für August gekauft. Ich
muß korrigieren und umarbeiten, in Einem, jeden Tag ganz
grausam acht Stunden und bin dabei vollkommen geschwächt
und meine Hände zittern41 .«
Das lange und anstrengende Ringen, das der Stoff und die
eigenen Ansprüche mit sich brachten, sowie die beim Abschluß
des Buches plötzlich eintretende Leere, machten den Autor in
bezug auf die Qualität seiner Schöpfung unsicher. Am 18.
September 1932 schreibt er Stefan Zweig, seit fünf Tagen sei
das Buch fertig. Ferner: »... ich weiß ganz gena u, daß mein
Buch nicht geworden ist, was es sein sollte. Natürlich kann ich
Ihnen genau sagen, warum und wieso. Aber wozu das sagen?
Mitten im Schreiben schon hab ich es genau gespürt,..« Roth
spricht Zweig in bezug auf den Radetzkymarsch kritischen Sinn

-257-
ab, da der Freund sich positiv über das Buch ausgelassen hat,
und ergeht sich erneut in Selbstbezichtigungen: »Ich weiß, wie
ich in diesem Roman gefehlt habe, die Geschichte selbst zu
Hilfe gerufen, zu schändlicher Hilfe für meine ›Komposition‹,
schäbig war Das und verlogen. Deshalb habe ich so lange daran
herumgebastelt, 2 Jahre, das ist kein Beweis für Gesundheit,
Kraft und Produktivität42 .«
Seine Darstellung der Welt der Habsburger Monarchie hatte
alte Reminiszenzen in Roth wach werden lassen, längst
Verarbeitetes holte er hervor, um es neu Zu formen und
künstlerisch zu gestalten. Kein Werk hatte ihn so sehr in Bann
gehalten, keines ihn so tief in die Zeit und den Mythos der
eigenen erzählten Welt versenkt. Eingehüllt fühlte er sich in die
von ihm erzeugte Atmosphäre und gekettet an die von seiner
Phantasie gestaltete Welt, in der er zugleich Schöpfer und
Betrachter war. Im zweiten Teil des Romans wird das Galizien
des Autors über lange Strecken zum Schauplatz der Handlung,
und das anschaulich geschilderte, aber ungenannte Städtchen, in
dem der Leutnant Carl Joseph dann in Garnison liegt, ist das
geliebtgehaßte Brody. Roth war in eine erdichtete Welt
eingedrungen, die ihm das Gefühl der Geborgenheit verlieh,
aber auch Angst und Bedrückung auslöste. Wie einer aus einer
vergrabenen Welt, der nicht hinaus will und dennoch fürchtet,
sich selbst und den Kontakt mit lebenden Menschen zu
verlieren, schreibt er an Friedrich Gubler: »Ich bin unglücklich,
verworren, ganz unfähig, aus den Mauern herauszukommen, die
ich um mich und den Roman gebaut habe, oder sind es Berge
vielmehr, zwischen denen ich wandle, voller Angst...43 « Der
Erzähler des Romans gebärdet sich als Miterlebender,
Anteilnehmender und Überlebender einer versunkenen Zeit, mit
der er seelisch nicht fertig wird. Der Gestalter dieser Welt wurde
seinerseits durch die eigene Schöpfung gestaltet. Bald nach
Abschluß des Romans fing er an zu behaupten: »Der
Leutnant von Trotta, der bin ich44 .« Es war ein Vorgang, der

-258-
weitergären und in der Emigration seinen besten Nährboden
finden sollte. Mit der Zeit handelte es sich dann nicht nur um ein
Selbstporträt, sondern um das Porträt einer Welt, die er der
Wirklichkeit vorgezogen hätte. Im Roman läßt der Autor
stellenweise die Melodie des Militärmarsches durch starke
sprachliche Rhythmisierung erklingen, und wiederholte Male
spielt sich die Musik wie von selbst im Kopf des Leutnant Carl
Joseph. Eine Textstrophe des Marsches möge einen Begriff
davon geben, welche Wirkung und welches Ethos ihm
zugedacht wurde:

Kameraden, halts enk fest zusamm!


Wir ziehn hinaus in Gottes Nam, Mit Herz und Hand fürs
Vaterland, Machts Österreich nur ka Schand 45 .

Aber in Roths Roman wird Österreich viel Schande gemacht,


so daß das dargestellte Österreich kaum noch an die Idee von
Österreich he ranreicht. Der Doppelsinn des Titels geht aus den
Zeilen hervor: »Daheim, in der mährischen Bezirksstadt W, war
vielleicht noch Österreich. Jeden Sonntag spielte die Kapelle
Herrn Nechwals den Radetzkymarsch. Einmal in der Woche, am
Samstag, war Österreich46 .« Die Idee von Österreich existiert
nur noch als Ideal in einer gefährdeten Welt, in der
Vortäuschung des Wortes, das als Untertitel des Buches hätte
dienen können, das der Bezirkshauptmann in die silberne
Tabatière eingravieren läßt, die er seinem Sohn schenkt: »in
pericula securitas47 .«
Einiges im Vorwort /zum Radetzkymarsch/ läßt die Absichten
und das Motiv des Autors erahnen: »Ein grausamer Wille der
Geschichte hat mein altes Vaterland, die
österreichischungarische Monarchie, zertrümmert. Ich habe es
geliebt, dieses Vaterland, das mir erlaubte, ein Patriot und ein
Weltbürger zugleich zu sein, ein Österreicher und ein Deutscher

-259-
unter allen österreichischen Völkern. Ich habe die Tugenden und
die Vorzüge dieses Vaterlandes geliebt, und ich liebe heute, da
es verstorben und verloren ist, auch noch seine Fehler und
Schwächen. Deren hatte es viele. Es hat sie durch seinen Tod
gebüßt...4S« Dem untergegangenen Vaterland gedenkt er
sozusagen als Wiedergutmachung mit seinem Roman ein
literarisches Denkmal zu setzen, das seiner würdig ist. Aber in
ihm und in seinem Vorwort ist auch von den Fehlern und
Schwächen Österreich-Ungarns die Rede. Wie Roth in seinem
Vorwort klarstellt, ist der Aufstieg und Niedergang der Familie
der Trottas das Korrelat zum Schicksal der Monarchie in den
letzten Jahrzehnten ihres Bestehens. Auf der zweiten Seite des
Romans rettet der Leutnant Joseph Trotta durch rasches
Eingreifen das Leben des damals noch jungen Kaisers Franz
Joseph in der Schlacht von Solferino. Nach Genesung der
hierbei erhaltenen Verwundung wird der Offizier befördert und
in den Adelsstand erhoben. Seine weitere Lebensdarstellung
beschränkt sich auf knapp zehn Seiten, die übrigen dreihundert
beschäftigen sich mit dem Leben seines Sohnes, des
Bezirkshauptmannes, und, im wesentlichen, mit dem Carl
Joseph, des Enkels. Dennoch bleibt der Einfluß des Helden von
Solferino im ganzen Roman spürbar, denn nur die Tatsache, daß
Carl Joseph, sein letzter Abkömmling, sich auf ihn beziehen
kann, verleiht diesem in seinen eigenen Augen
Daseinsberechtigung. Ist der Ahnherr der leuchtende
Stellvertreter aller Großväter, so ist der Enkel dagegen der
Nachkomme einstiger Herrlichkeit. Jener bildet den Maßstab, an
dessen Größe sich der kleiner geratene Enkel unentwegt mißt.
Carl Joseph ist nicht weit vom Stamm gefallen. Seine äußere
Ähnlichkeit mit dem Großvater ist auffallend, aber seine
schwächliche Nase und der weiche Mund verraten, daß die
angestammte Härte aus ihm gewichen ist. In gleicher Weise ist
der Lebenswandel des Enkels eine schwächere Wiederholung
der Laufbahn des Großvaters. Wie dieser sucht Carl Joseph,

-260-
allerdings vergeblich, eine Sendung beim Militär. Wie der Held
das Leben des Kaisers rettete, so rettet Carl Joseph in köstlicher
Ironie das kaiserliche Porträt, dessen Rahmen mit Fliegendreck
betüpfelt ist, aus dem unwürdigen Freudenhaus. Den Helden traf
eine Kugel ins linke Schlüsselbein, als er sein Leben für den
Kaiser in die Schanze schlug. Carl Joseph erhält eine
Verwundung an der gleichen Stelle, als er an der Spitze
kaiserlicher Truppen von streikenden Fabrikarbeitern
niedergeschlagen wird. Beide nehmen Abschied von der Armee,
der Großvater aus Empörung über eine geringfügige
Unwahrheit, die mit seinem Ehrgefühl unvereinbar war, Carl
Joseph, weil der Zwiespalt zwischen anerzogenem Ideal und
erlebter Realität die militärische Laufbahn für ihn unmöglich
macht. »Du bist der Enkel des Helden von Solferino. Denk
daran, dann kann dir nichts passieren49 !« In Dutzenden von
Variationen und Anspielungen - oft bei nichtigen Anlässen -
kommen diese Mahnungen zum Ausdruck. In ihrer Erwiderung
bezieht sich die angesprochene Psyche auf den Toten: »Ich bin
sein Enkel50 !« Der ruhmreiche Vorfahr, so scheint es, hat schon
alles getan, dem Nachkommen sind die großen Taten nicht
vergönnt, nur noch beklagen darf er sich: »Ich hab' keine
Gelegenheit [dem Kaiser] das Leben zu retten; leider51 !« Im
Augenblick, da der neuernannte Hauptmann Trotta sein
Adelsprädikat erhält, wird das Ende des Geschlechts zwischen
Klammern vorgezeichnet: »(von nun bis zum Erlöschen des
Geschlechts)52 .« Die Lebenden zehren von den Toten, denn die
toten Großväter scheinen immer noch die Träger der Monarchie
zu sein. Das Abstraktum Tod verdrängt die lebensfähige
Vergangenheit und zwingt in eine unerträgliche Gegenwart
hinein. »Die Welt, in der es sich noch lohnte, zu leben, war zum
Untergang verurteilt. Die Welt, die ihr folgen sollte, verdiente
keinen anständigen Bewohner mehr. Es hatte also keinen Sinn,
dauerhaft zu lieben, zu heiraten und etwa Nachkommen zu
zeugen53 .« Am kränkelnden Körper des großen »Staatsgebildes«

-261-
ist das Absterben der einzelnen Zellen nicht ein Prozeß des
ewigen Wechsels von Sterben und Werden, sondern schlechthin
ein Gleichnis des Siechtums, denn die »Krankheit war nichts
anderes als ein Versuch der Natur, den Menschen an das Sterben
zu gewöhnen54 .« Das vereinzelte Sterben der Freunde und
Angehörigen ist eine Art Vorübung für das Massensterben des
großen Weltkriegs und für das schmerzliche Hinscheiden der
Monarchie.
Das Lebensschicksal des Enkels, der in seiner rückwärts
gewandten Sehnsucht keinen Halt findet und sich nicht in eine
neue Sinngebung vorwärts bewegen kann, kommt in den Worten
zum Ausdruck: »Immer mußte man beim Großvater einkehren,
um sich ein bißchen zu stärken55 !« Über allem schwebt der
Schatten des Kaisers als symbolischer Mittelpunkt des Romans
und zentrale Figur des alten Österreich. Was es bedeutet, von
ihm entfremdet zu werden, zeigt sich am Schicksal des Helden
von Solferino. Die Katastrophe, die diesem auf dem
Schlachtfeld vorschwebte, stellte sich in Ansätzen zu seinen
Lebzeiten ein, sein Weltbild gerät aus den Fugen, als ihm bei
seiner Beschwerde über die verfälschte Darstellung seiner
Heldentat im Lesebuch seines Sohnes keine Genugtuung zuteil
wird: »Vertrieben war er aus dem Paradies der einfachen
Gläubigkeit an Kaiser und Tugend, Wahrheit und Recht...56 .«
Was hier verloren geht, ist mehr als das Vertrauen zu einem
sterblichen Staatsoberhaupt, denn der Kaiser war »eine Majestät
von Gottes Gnaden« 57 , einer, der »wußte, daß Gott selbst ihn auf
seinen Thron gesetzt hatte...58 «
»Und hunderttausendmal verstreut im ganzen weiten Reich
war der Kaiser Franz Joseph, allgegenwärtig unter seinen
Untertanen, wie Gott in der Welt«59 , heißt es vom kaiserlichen
Bildnis.
Der Kaiser ist der letzte Bürge für die Übernationalität der
Monarchie und das Zusammenhalten der Völker und
Konfessionen. Bezeichnenderweise wohnt der

-262-
römischkatholische Kaiser während seines Aufenthaltes in
Galizien einem griechischorthodoxen Gottesdienst bei und
nimmt von einer jüdischen Gemeinde das hebräische Gebet zum
Segen des Kaisers entgegen. Der Kaiser verkörpert also eine
ökumenischpatriarchalische Humanität, die in ihrer
Vielseitigkeit die zahlreichen Völker der Monarchie umfaßt.
Der Kaiser, als Vorspiegelung des Gottväterlichen, ist eine
diesseitige Verwirklichung jenes »in penculo securitas«, das
déridée von Osterreich innewohnt. Aber wie sehr »periculum«
vorgegriffen und wie wenig die Sicherheit gegenüber dem
Verfall abgestützt ist, führt der Erzähler durch seine Technik der
faktischen Zurücknahme vor Augen. Auf derselben Seite, auf
der von der hunderttausendmaligen Allgegenwärtigkeit des
Kaisers unter seinen Untertanen die Rede ist, wird verkündet:
»... der Kaiser schien eines Tages, innerhalb einer ganz
bestimmten Stunde, alt geworden zu sein; und seit jener Stunde
in seiner eisigen und ewigen, silbernen und schrecklichen
Greisenhaftigkeit eingeschlossen zu bleiben... Seine Gnade
selbst, die über der Familie der Trottas ruhte, war eine Last aus
scheidendem Eis. Und Carl Joseph fror es unter dem blauen
Blick seines Kaisers60 .« Was /damit/ besagt werden soll, ist, daß
der Kaiser, neben allem anderen, das Symbol einer sterbenden
Monarchie in einer sterbenden Welt ist, und daß sein durch das
Altern bedingtes Zurückweichen aus dieser Welt und die damit
verbundenen Konsequenzen mit dem Zurückweichen dessen
gleichzusetzen wäre, der ihn auf den Thron gesetzt hat. Ahnlich
geartet ist die Beziehung zur Tradition. Die immer wieder
ersehnte Einkehr beim Großvater und darüber hinaus beim
Kaiser ist als Ausdruck einer Hinwendung zu Ordnung und
Tradition zu verstehen, welche jedoch nie in die Reichweite der
Selbstüberzeugung gelangt, da es keine Tradition mehr gibt, in
der die Enkel der Monarchie heimisch werden könnten. Der
Kaiser befindet sich im Herbst des Lebens, und die anderen
Hüter der Tradition, nämlich die Armee und schließlich auch

-263-
das Beamtentum, haben den Glauben an sich und ihre Aufgabe
verloren, so daß sie alle zum Spiegelbild der Hinfälligkeit des
Reiches werden. Die Tradition darf sich noch im äußeren Glanz
zeigen, wie bei dem imposanten und Ehrfurcht einflößenden
Pomp der Fronleichnamsprozession, aber im Grunde hat die
Tradition keine Lebenskraft mehr und wird nur noch so
nebenbei gepflegt. Nicht auf ein sich verwirklichendes Ideal ist
der Roman angelegt, sondern auf das gedankenlos Menschliche
bei der Aufrechterhaltung leer gewordener Formen. Die Enkel
wachsen aus einer überlebten, zum Anachronismus gewordenen
Tradition heraus, das dahinterstehende Ordnungsprinzip geht
selbst in die Brüche, und zahllose Vereinzelte werden der
seelischen Obdachlosigkeit ausgesetzt. Was ebenfalls als
schwindende Tradition empfunden wird, ist die persönliche
Beziehung in einer patriarchalischen Welt, in der der Vater
seinem Sohn etwas wie Halt und Zugehörigkeit mitgibt: »Er
hatte eine Art Heimweh nach dem Vater, aber er wußte
zugleich, daß sein Vater nicht mehr seine Heimat war61 .« Auch
hier wird nur noch die Form beim Verlust der eigentlichen
Substanz gewahrt. So behandelt der Bezirkshauptmann seinen
Sohn wie einen Untergebenen, indem er über seinen Beruf
sowie über seine weiteren Lebensentscheidungen verfügt. Der
Sohn bleibt seinerseits in der Unmündigkeit stecken und erweist
sich als unfähig, es selber zur Vaterschaft und zum
Ordnungsträger in einer patriarchalischen Welt zu bringen. Von
dem Kaiser heißt es: »Er hatte das Gefühl, daß er sich vor Gott
zusammennehmen müsse wie vor einem Vorgesetzten62 .« In
seiner hierarchisch geordneten Welt ist alles auf
Dienstverhältnis aufgebaut, selbst der Kaiser hat in ihr seinen
Vorgesetzten. Bezeichnend ist die dem Bezirkshauptmann
zugeschriebene Vorstellung, »in allen Kronländern lediglich
große und bunte Vorhöfe der Kaiserlichen Hofburg zu sehn und
in allen Völkern der Monarchie Diener der Habsburger«63 .
Dienen ist somit mit einer Treue verbunden, die mit

-264-
Selbstverleugnung gleichzusetzen ist, denn Dienen setzt in
diesem Fall das Aufgehen im Vorgesetzten bis zur
Selbstentäußerung voraus - es heißt eigentlich die Identität des
Vorgesetzten selber annehmen. So ist genau genommen jeder
Gutgesinnte ein Diener im Reich und ein Abbild des höchsten
sichtbaren Dieners, Franz Josephs. Vollends erweist sich dies an
dem »Muster eines Staatsbeamten« 64 , dem Bezirkshauptmann,
in seinem Willen zur Einordnung und Unterordnung ebenso wie
in seiner äußeren Erscheinung und seinem Backenbart, die ihn
zu einem Spiegelbild des Kaisers machen. Als Vertreter des
Kaisers hat er diesem möglichst zu gleichen. Auf diese Art
ähneln sich alle Diener im Reich, und die Ähnlichkeit führt zu
einer Verbrüderung im Geist. Bei der Begegnung zwischen
Kaiser und Bezirkshauptmann scheint es diesem, »als stünde
hinter dem Schreibtisch sein älterer Bruder«65 . Bei solch einer
geistigen Verbrüderung hat der Tod eines jeden Dieners die
Schwächung aller Diener und somit die des Kaisers und der
Monarchie zur Folge. Der nach seinem Tod nicht zu ersetzende
Hausdiener Jacques verkörpert in seinem unscheinbaren Amt
das Gewissen einer Herrschaft und einer Weltordnung, welche
er dadurch auf seine An vor dem Zusammenbruch bewahrt.
Erschütterung, Verfall und Zusammenbruch des
patriarchalisch aufgebauten Gefüges von Ordnung, Tradition
und Gehorsam wird vor allem durch die Kündigung des
Dienstverhältnisses verursacht. Graf Chojnicki, die fähigste und
weitsichtigste der Romanfiguren, schlägt sämtliche ihm
angebotenen Ämter aus, weil er es sinnlos findet, einem
Vaterland zu dienen, das dem voraussehbaren Ende
entgegengeht 66 . Diese Überzeugung Chojnickis rüttelt zum
erstenmal an der Gutgläubigkeit des Bezirkshauptmanns; ein
Vorgang, der seinen Schatten vorauswirft. Jede Preisgabe des
Dienstverhältnisses erschüttert den Glauben und die Sicherheit
anderer, greift auf größere Komplexe über und bringt das ganze
Weltgebäude ins Wanken. Zum Schluß wird selbst die

-265-
Standfestigkeit des Bezirkshauptmanns bei der verheerenden
Nachricht, sein Sohn wolle sein Glück im Privatleben suchen,
rettungslos unterhöhlt: »... die Erwägung seines Sohnes, die
Armee zu verlassen, wirkte auf Herrn von Trotta etwa so, wie
wenn er eine Mitteilung von der gesamten kaiser- und
königlichen Armee erhalten hätte, daß sie gesonnen sei, sich
aufzulösen. 67 «
Der nicht aufzuhaltende Verfall der Ordnung, der mit zum
Leitmotiv des Romans gehört, leitet seine Beweiskraft zum
guten Teil vom Bild der Menschen her, die diese untergehende
Welt bevölkern. Die deutschösterreichische Welt, die der Autor
gestaltet, wird von liebenswürdigen Außenseitern,
Unschlüssigen und ratés bewohnt, denen das Mißlingen zur
zweiten Natur geworden ist und die der Wirklichkeit nicht
gewachsen sind. Alle sind sie scheu, bedrückt, ohnmächtig. Der
unbefriedigte Hang zu Glauben und Liebe verzichtet auf
Erfüllung und verwandelt sich in heimliche Traurigkeit, in
ungestillte Sehnsucht, pie Jungen sind früh alt, Tatkraft und
Gefühl sind in ihnen erloschen, selbst die Worte kommen
stockend zustande, die Welt ist mechanisch geworden, und die
Mechanik der Gebräuche ersetzt Gedanken und Entscheidungen.
Die Charaktere des Romans werden sorgfältig und individuell
gezeichnet, jeder hat sein tieferes Wesen, das psychologisch
erfaßbar ist, aber im Grunde bleiben sie undifferenziert, denn die
psychologischen Einzelheiten sind gleichzeitig
Verallgemeinerungen. Die Charakteristika des einen sind in der
Regel auswechselbar und allen anderen zugehörig. Doktor
Demant, der Maler Moser, Carl Joseph, der Bezirkshauptmann,
der Kaiser selbst - alle sind aus demselben Holz geschnitzt.
Nicht um ihrer selbst willen sind sie da, mit ihnen wird
metaphorisch die Lebensunfähigkeit des Staates aufgezeigt, und
an ihren Schwächen und ihrer Zerrissenheit läßt sich der
fortschreitende Zerfall der Monarchie ablesen.
Die Psychologie der leidenden, aus der eigenen Welt

-266-
herausgewachsenen und sich leicht verirrenden Menschheit wird
ganz am Rande behandelt, dem Zeitmotiv untergeordnet. In der
Zeit sind die tödlichen Keime eines sich wandelnden Zeitgeistes
enthalten: »Die Zeit will uns nicht mehr! Diese Zeit will sich
erst selbständige Nationalstaaten schaffen68 !« Die Zeit ist die
versickernde Spanne vor jener Katastrophe, die unaufhaltsam
zum Durchbruch drängt. Die Zeit ist im übertragenen Sinne die
Sense des Schnitters: »Der Kaiser war ein alter Mann. Er war
der älteste Kaiser der Welt. Rings um ihn wandelte der Tod, im
Kreis, im Kreis und mähte und mähte6 '.« Dabei wird die Zeit
nicht quantitativ eingefangen und nach Jahreszahlen gemessen,
sondern in ihrer Bestimmungskraft und Körperlichkeit
empfunden. Zeit lastet auf diesem Roman, wird zum
eigentlichen Thema, wächst zu ungeheurer Wucht an - zwängt
sich zwischen die Menschen und die nicht mehr erreichbare
Vergangenheit der Größe und Bindung. Die Fabel des Romans
hat der Autor konzipiert, aber deren Ablauf wurde ihm durch die
geschichtliche Auflösung der Monarchie vorgeschrieben. Sich
dem zu widersetzen, hieße das Unmögliche wollen, die Zeit
aufhalten. Auf literarischem Wege geschieht das jedoch immer
wieder. Die Welt wird im ersten Drittel des Romans in der
Breite epischer Ruhe wiedergegeben. Mit gefälliger
Behaglichkeit werden mehrere Seiten mit der Beschreibung
eines Mittagessens gefüllt70 . Das Ungehetzte erinnert an Stifter,
soll ein Ausdruck der Sicherheit sein, ist aber in Wirklichkeit,
vom Standpunkt des Autors, die Sehnsucht nach ihr. Roths
Erzähltechnik wurzelt in der Dinghaftigkeit. In einer Welt, in
der alles Lebendige sich verräterisch verändert, verleihen die
unbelebten Gegenstände einer vertrauten Alltagswelt Halt und
ein Gefühl für das Organische der Gebundenheit und der
Tradition alles dessen, was so langsam zustande gekommen war.
In zähflüssigem Festhalten wird die Krise gleichsam für den
Augenblick gebannt; der Blitz leuchtet auf, schläft aber noch
nicht ein. Der Zeitlupenstil bietet vorübergehend einen

-267-
Ausschnitt aus einem erstarrten Gruppenbild; dann nehmen die
Zeit und mit ihr das Fatum weiter ihren unerbittlichen Lauf, um
das neueste Unheil sichtbar zu machen.
Durch Vorwegnahme, Vorzeichen und Prophezeiungen
werden die wichtigen geschichtlichen Begebenheiten eingeleitet
und abgesteckt. »Der Tod schwebte über ihnen, und er war
ihnen keineswegs vertraut. Im Frieden waren sie geboren und in
friedlichen Manövern und Exerzierübungen Offiziere geworden.
Damals wußten sie noch nicht, daß jeder von ihnen, ohne
Ausnahme, ein paar Jahre später mit dem Tode
zusammentreffen sollte. Damals war keiner unter ihnen
scharfhörig genug, das große Räderwerk der verborgenen,
großen Mühlen zu vernehmen, die schon den großen Krieg zu
mahlen begannen71 .« Die Voraussage verkündet das Schicksal,
das nicht überraschen kann, aber die Minuten des Wartens auf
die kommende Katastrophe bewirken die Spannung.
Neben der Prophezeiung steht die Rückschau. Erstere gewährt
einen Blick in die Zukunft, letztere ermöglicht das Nacherleben.
Chronologie, Einzelgeschehen und Erzähler werden durch das
Imperfektum in straffer Bezogenheit miteinander verwoben,
aber plötzlich wird die Zeitform aus dem Mikrokosmos
gesprengt, der Erzähler entfernt sich, und im Visieren der
Ganzheit rückt alles aus der unmittelbaren Reichweite; durch die
Verallgemeinerung wird der Gegenstand verdrängt. In dem
Maße, in dem die Charaktere sich von herkömmlichen Werten
und vom herkömmlichen Glauben lösen, lösen sich auch die
unmittelbaren Zusammenhänge der literarischen Technik. Der
Erzähler schlüpft aus Charakter und Geschehen heraus und läßt
sich dort nieder, wo alles bereits vorbei ist, wendet sich
gleichsam um, um Charakter und Geschehen nun wieder aus der
Ferne zu betrachten, mit dem
Ergebnis, daß die Charaktere noch ohnmächtiger,
preisgegebener, hilfloser erscheinen. »Er schlief ruhig ein, er
glaubte, das Schwerste hätte er überstanden. Er wußte nicht, der

-268-
alte Herr von Trotta, daß ihm das Schicksal bitteren Kummer
spann, dieweil er schlief. Alt war er und müde, und der Tod
wartete schon auf ihn, aber das Leben ließ ihn noch nicht frei.
Wie ein grausamer Gastgeber hielt es ihn am Tische fest, weil er
noch nicht alles Bittere gekostet hatte, das für ihn bereitet war72 .
Obwohl der Erzähler sich allwissend gebärdet und häufig so
tut, als stehe er über dem Geschehen, bleibt ihm dieses
Geschehen manchmal verwunderlich: »So merkwürdig, so
wandelbar und so verworren ist die menschliche Seele 73 .« An
einer Stelle, in der der Erzähler an die direkte Rede anknüpft,
um seinem eigenen Ergriffensein Ausdruck zu verleihen, läßt
sich erkennen, wie sehr der Erzähler hier Anteil nimmt;
nachdem es dem Bezirkshauptmann in den Sinn gekommen ist,
wenn Jacques sterbe, so sterbe gewissermaßen der Held von
Solferino und der Kaiser selbst, schaltet sich der Erzähler ein:
»Oh! Nicht nur Jacques war heute krank geworden74 .« Es ist
dies die Erzählkunst des mündlichen Erzählers, der das Erzählte
hier und da mit Seufzern, Kopfschütteln und Kommentaren
unterbricht. Roths Erzähler ist zwar anonym, aber einer, der
durch die Einfügung von »wir« und »uns« bald als fiktiver
Chronist persönlichen Kontakt aufnimmt - »Es bleibt uns nur
noch übrig, von den letzten Tagen des Herrn Bezirkshauptmanns
Trotta zu berichten« 75 - bald als Kommentator die Annäherung
durch einen der vielen Rückblicke aus der Spätzeit zustande
bringt - »Heutzutage sind die Begriffe von Standesehre und
Familienehre und persönlicher Ehre, in denen der Herr von
Trotta lebte, Überreste unglaubwürdiger und kindischer
Legenden, wie es uns manchmal scheint«76 . Gerade das letzte
Zitat und seine darauffolgende Widerlegung (»Damals aber
hätte einen österreichischen Bezirkshauptmann von der Art
Herrn von Trottas die Kunde vom plötzlichen Tod seines
einzigen Kindes weniger erschüttert, als die von einer auch nur
scheinbaren Unehrenhaftigkeit dieses einzigen Kindes«77 ) läßt
erkennen, daß der Standort des Erzählers die Nachkriegszeit ist

-269-
und daß sein Mitfühlen auf Nacherleben beruht. Dadurch schafft
sich der Erzähler einen Spielraum, der von Objektivität weit
entfernt ist. So versetzt er sich manchmal ganz in die
Perspektive einer der Gestalten, um über eine andere zu urteilen.
Der Bezirkshauptmann schreibt seinem Sohn: »Zu meiner Zeit
waren auch die Offiziere, wie mir scheinen will, aus einem
härteren Holz.« Die Reaktion des Sohnes wird von dem Erzähler
mit einer aus dem Brief übernommenen Bemerkung verbunden,
die dem Vater auf Kosten des Sohnes recht gibt: »Und hatte der
Leutnant schon vorher Angst gehabt, dem Alten
gegenüberzutreten, so war es ihm jetzt ganz unmöglich, den
Urlaub zu Hause zu verleben. Später, später, wenn ich den
ordentlichen Urlaub habe, sagte sich der Leutnant, der aus einem
ganz anderen Holz geschnitzt war, als die Leutnants aus der
Jugendzeit des Bezirkshauptmanns 78 .«
Der Autor zollt der Noblesse und dem Stil der Monarchie
Achtung und scheut sich, die brüchige, aber geliebte Welt der
Vergangenheit anzugreifen oder sie gar der Lächerlichkeit
auszusetzen, was er sich ja auch in seinem Vorwort ausdrücklich
verbeten hatte. Dennoch versagt er sich nicht eine gelinde,
versteckte, keineswegs verletzende Ironie, die ständig und ohne
Kommentar auf die Diskrepanz zwischen den rechtskräftigen,
traditionsbedingten Anforderungen und einer aktuellen
Wirklichkeit hinweist, die vom Schein der Sicherheit und vom
Schein der Autorität lebt. Zu dieser Ironie genügt das
Beieinander von Anspruch und Praxis, wie dies in den zitierten
Stellen, in denen beides jeweils auf derselben Seite zur
Darstellung gelangt, aufgezeigt wurde. Hier rücken Autor und
Erzähler zusammen und werden identisch, indem sie Rückschau
auf »eine geliebte Leiche« halten. Die Worte beziehen sich auf
die Gefühle des Leutnants Carl Joseph im Hinblick auf seine
verstorbene Geliebte, die Frau des Wachtmeisters Slama. Zuvor
gehen die Worte voraus: » Wahrscheinlich hätte ich sie gar nicht
mehr besucht!‹ dachte der Leutnant. ›Ich hätte sie vergessen.

-270-
Ihre Worte waren zärtlich, sie war eine Mutter, sie hat mich
geliebt, sie ist gestorben!‹... An der Schwelle seines Lebens lag
sie, eine geliebte Leiche 79 .« Wichtig für das Nichtvergessen des
Leutnants ist hier, daß es die Frau Slama nicht mehr gibt, denn
die Tatsache ihres Todes stellt eine Beziehung dar, die in dieser
Heftigkeit und Ichbezogenheit zu Lebzeiten der Geliebten nie
existiert hatte.
Sechs Wochen nach Abschluß des Romans schreibt Roth
einen Brief, in dem indirekt ebenfalls von einer geliebten Leiche
die Rede ist. »Mein stärkstes Erlebnis war der Krieg und der
Untergang meines Vaterlandes, des einzigen, das ich je
besessen: der österreichischungarischen Monarchie. Auch heute
noch bin ich durchaus patriotischer
Österreicher und liebe den Rest meiner Heimat, wie eine Art
Reliquie80 .« Roth sagt nicht, sein stärkstes Erlebnis sei das
Miterleben seines Vaterlandes gewesen, sondern dessen
Untergang. Und seine eigentliche Liebe galt keineswegs dem
»Rest« seiner Heimat, nämlich der eher selten von ihm
besuchten österreichischen Republik, in der es sich viel weniger
aufhielt als in Frankreich, sondern jener Reliquie, die er in
seinem Gedächtnis bewahrte.
Dieses Buch, /Radetzkymarsch/ das eine Auflage von 40 000
Exemplaren erleben und im Laufe der Jahre in zwölf
europäische Sprachen übersetzt werden sollte, wurde für den
Autor kein gutes Geschäft. Zwar konnten 25 000 Stück der
Originalausgabe verkauft werden81 , aber die neuen
Reichsgesetze des inzwischen errichteten nationalsozialistischen
Staates sorgten dafür, daß der finanzielle Erfolg ausblieb und
Roth sogar um seine Tantiemen geprellt wurde. Im Juli 1933
überweist Roms amerikanischer Verleger $ 2 500 nach Berlin82
zur Deckung der Übersetzungsrechte unter anderem, woraus
Roth jedoch keinen Nutzen ziehen konnte. Im November 1932
schreib t er an Félix Bertaux, er gedenke Ende des Jahres nach
Paris zu fahren. Der zu Prophezeiungen neigende Roth

-271-
prophezeit dabei mehr, als er ahnen konnte: »Ich werde
allerdings mit dem Geld Schwierigkeiten haben und mich selber
sehr billig einrichten müssen. Die Erträgnisse vom Radetzky-
Marsch können sich erst im Frühjahr bemerkbar machen83 .« Der
Weg nach Paris wurde ihm zum Weg in die Emigration und zum
Abbruch aller direkten Beziehungen zu Deutschland.

-272-
17
Die ersten Emigrationsjahre
1933-1936

»Es ist Zeit, wegzugehen. Sie werden unsere Bücher


verbrennen und uns damit meinen. Wenn einer jetzt
Wassermann heißt, oder Döblin oder Roth, darf er nicht länger
abwarten. Wir müssen fort, damit es nur Bücher sind, die in
Brand gesteckt werden1 .« Das Zitat gibt die Worte Roths
wieder, die er im Juni 1932 in der Mampe-Stube in Berlin
äußerte, als das Verbot der nationalsozialistischen Sturmtruppen
aufgehoben wurde. Ludwig Marcuse und Leonhard Frank
bezeichnen den Tag des Reichstagsbrandes, den 27. Februar
1933, an dem sie selber beschlossen, Deutschland zu verlassen,
als das Anfangsdatum von Roths Emigration2 . Hermann Kesten
bleibt dabei, Roth habe sich am 30. Januar 1933 in Berlin, am
Tage von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, von ihm
verabschiedet, um unverzüglich die Reise nach Paris
anzutreten3 , was im Einklang mit der Aussage von Roths
Berliner Arzt 4 , sowie auch der von Andrea Manga Bell steht, die
ihn begleitete5 . Roth selber erzählte später, er habe Berlin am
30. Januar 1933 mit einem frühen Morgenzug verlassen, und
zwar noch vor der Nachricht von Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler, weil er die habe kommen sehen und die
Atmosphäre in Deutschland ihm unerträglich geworden sei6 .
Mitte Februar äußert sich Roth zum erstenmal schriftlich
Zweig gegenüber zu den Vorgängen in Deutschland:
»Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen
Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten - unsere
literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet - führt das
Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser
Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen
Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert7 .« Bereits vor Hitlers

-273-
Machtergreifung hatte Roth Gespräche mit Augenzeugen des
von Stahlhelm und SA ausgeübten Terrors geführt. Es handelt
sich um Ereignisse, die von ihm im Dezember 1930 während
seiner im Auftrag der Frankfurter Zeitung unternommenen
Harzreise beschrieben wurden. Roths Vetter Fred Grübel
berichtet, Roth habe ihn unmittelbar danach in Leipzig besucht,
kurz nach den sächsischen La ndtagswahlen, bei denen zum
erstenmal das sozialistische Sachsen die Nationalsozialisten zur
zweitstärksten Partei gemacht hatte. Roth erzählte seinem
Verwandten, er fühle sich angewidert von dem, was er auf der
Harzreise erfahren habe, und beteuerte: »Ihr wißt ja gar nicht
wie spät es ist. Diese Städte [gemeint waren Halberstadt und
Goslar] stehen fünf Minuten vor dem Pogrom.« Grübel teilt mit,
angesichts der Nazis fühlte sich Roth bei diesem Besuch sehr
jüdisch und sprach auch zum erstenmal, soweit er sic h erinnern
kann, von »wir Juden«. Dabei entwickelte Roth eine eigenartige
These. Es gäbe nur eine Macht, die den Nazis Einhalt gebieten
könne, meinte er, und diese Macht sei der Vatikan. Deshalb sei
es unerläßlich, daß die Juden mit dem Papst verhandelten. Der
Vatikan - dies meinte er voller Respekt - sei finanziellen
Argumenten zugänglich, und darum müßten die Juden
Riesensummen aufbringen, um den Papst dazu zu bewegen, die
Nazis mit dem Bannfluch zu belegen. Dies wäre, nach Roths
Auffassung, die lebenswichtigste Kapitalanlage, die die Juden
machen könnten. Der richtige Vermittler für dieses
Unternehmen sei Moses Waldmann, der Redakteur der
»Jüdischen Rundschau«, den Roth für den intelligentesten Juden
hielt, dem er je begegnet war. Roth selber soll, laut Aussage von
Grübel, in diesem Sinn an Moses Waldmann geschrieben
haben9 .
Damals schon, und während der Emigrationsjahre, sparte
Roth seine heftigste Ablehnung für solche Juden auf, die seiner
Ansicht nach bereit waren, mit den Nazis zu paktieren. Als ein
namhafter jüdischer Bankier - der Roth ein paar Jahre später, in

-274-
der Emigration, gelegentlich finanzielle Unterstützung
zukommen ließ - knapp vier Monate vor Hitlers
Machtergreifung in Roths Gegenwart in Berlin die Bemerkung
fallen ließ, »Vielleicht werden die Nazis ein paar arme Juden
totschlagen, aber uns kann doch nichts passieren«, zuckte Roth
vor Wut, versetzte ihm eine Ohrfeige und schrie ihm laut
»Saujude« zu10 . Denselben Rigorismus zeigte Roth im Laufe der
ganzen Emigration. Früh steckt er die Richtlinie ab, die er
einhalten wird: »Jede Hoffnung ist aufzugeben, endgültig,
gefaßt, stark, wie es sich gehört. Zwischen uns und [Hitler] ist
Krieg. Jeder Gedanke an den Feind wird mit dem Tode bestraft.
Alle Schriftsteller von Graden, die dort geblieben sind, werden
den literarischen Tod erleiden11 .«
Zu der Zeit, nämlich im Sommer 1933, dachte noch ein Golo
Mann, »... wir würden vor Weihnachten wieder zu Hause sein,
ein Regime wie dieses würden die Deutschen sich nicht lang
gefallen lassen12 .« Roth hat in der Tat vieles richtig
vorausgesagt. Am 18. Februar 1933 schreibt er einem Wiener
Verleger: »Bereiten Sie sich mit aller nötigen Diskretion darauf
vor, daß Sie bald mehrere deutsche Autoren bekommen können.
Die jüdischen Verleger in Deutschland werden zusperren13 .«
Anfang April warnt er Zweig: »... unsere Bücher sind im Dritten
Reich unmöglich... Die Buchhändler werden uns ablehnen. Die
14
SA -Sturmtruppen werden die Schaufenster einschlagen .«
Inzwischen inszeniert der »Minister für Volks aufklärung und
Propagand a« Joseph Goebbels sein großes Autodafé. Die
öffentlichen Bibliotheken Deutschlands werden von allen
Büchern »gesäubert«, die, weil sie der Nazi-Ideologie
widersprechen, als »Schund und Schmutz« gebrandmarkt und
am 10. Mai 1933 öffentlich verbrannt werden. Unter ihnen
befinden sich die wichtigsten Werke der deutschen und
internationalen Literatur der Gegenwart sowie viele Klassiker
seit den Tagen der Aufklärung. Zweihundertfünfzig jüdische
und nichtjüdische Schriftsteller werden verboten oder gehen in

-275-
der Folgezeit aus Protest ins Exil. Roths Reaktion auf dieses
Ereignis ist aus seinem zu dieser Zeit mehrmals angewandten
Spruch ersichtlich: »Tout comprendre, c'est tout confondre«,
womit er sagen will, Kompromisse mit Deutschland seien
nunmehr einzig und allein eine Demonstration der Feigheit und
dürften nicht mit Menschenliebe verwechselt werden15 . Jeden,
der ihm verdächtig scheint, möchte er belehren. So beschwört er
Zweig, seine Bücher nicht länger im Insel Verlag erscheinen zu
lassen: »Nehmen Sie keine Rücksicht auf die Insel. Jedermann,
ganz gleichgültig, wer er ist, wie er früher war, der öffentlich
heute in Deutschland tätig ist, ist eine BESTIE... Noch einmal: Sie
müssen entweder mit dem in. Reich Schluß machen, oder mit
mir16 .«
Der Fall Bernard von Brentano ist ein Beispiel dafür, wie die
Gesinnung in Roths Augen einen Freund zum Feind machen
konnte. Durch Roths Fürsprache war Brentano in den Stab der
»Frankfurter Zeitung« gekommen, und viele Briefe Roths an ihn
aus den Jahren 1925-1926 zeugen für Roths kameradschaftliche
und hilfsbereite Beziehung zu Brentano. Als Brentano sich Ende
der zwanziger Jahre als radikal marxistischer Zeitkritiker
gebärdet, kühlt Roths Beziehung zu ihm ab, und Roth vermeinte
aus mehreren Gründen »Mangel an menschlicher Substanz« bei
ihm feststellen zu müssen17 . Völlig suspekt wurde Brentano
Roth - und nicht nur ihm - in der Emigration. Roth, der Brentano
für einen Goebbels-Agenten in der Schweiz hielt, bekam - so
berichten Beobachter aus der Emigration - bei der Erwähnung
von Brentanos Namen »Schaum vor den Mund«18 .
Komplizierter und zugleich gravierender, was die persönlichen
Gefühle betraf, war Roths Einstellung seinem langjährigen
Freund Benno Reifenberg gegenüber. Reifenberg selbst hat über
Roth geschrieben: »Sein politisches Vokabular hatte eine
Einfachheit behalten, einfach wie die Fibel der Kinder, und wie
diese unterschied er gute und böse Menschen und irrte sich auch
nicht, denn er gedachte nicht zu verstehen, da wo es zu urteilen

-276-
galt19 .« Roth, der es gewohnt war, bei Reifenberg auf
Verständnis zu stoßen und in ihm, dem Halbjuden, die
brüderliche Herzlichkeit eines Gleichgesinnten zu finden, nahm
es dem Freund persönlich übel, daß er sich in Nazi-Deutschland
zu halten versuchte. Als René Schickele Reifenberg in Schutz
nehmen wollte, vertrat Roth unmißverständlich seinen
Standpunkt: »Seit wann ist es so, daß ein Schriftsteller sagen
darf: ich muß lügen, weil meine Frau leben und Hüte tragen
muß? Und seit wann ist es üblich, Das gutzuheißen? Seit wann
ist die Ehre billiger, als das Leben und die Lüge ein
selbstverständliches Mittel, das Leben zu retten20 ?« Reifenberg
selber konstatiert: »Ab dem Moment, wo Hitler zur Macht kam,
haßte Roth die frankfurter Zeitung‹ und hörte auf, für sie zu
schreiben. Artikel von Siegfried Kracauer, den wir mit viel
Mühe nach Paris hinausschafften, haben wir noch eine Zeitlang
nach seiner Ausreise erhalten und auch gedruckt. Roth hingegen
war unerbittlich in seiner Ablehnung21 .«
Roth hat 1934 die Art seiner Stellungnahme zu den neuen
Verhältnissen in Deutschland in einem als »Unerbittlicher
Kampf« betitelten Artikel in einer Emigrantenzeitung dargelegt.
Es ist seine Antwort auf eine von der Zeitung aufgeworfene
Frage über »Die Mission des Dichters 1934«, zu der u. a. Alfred
Döblin, Klaus Mann, Arnold Zweig, Bertolt Brecht und Walter
Mehring sich äußerten: »Seitdem es Dichter gibt, haben sie
keine andere Aufgabe, als diese: ihre Werke zu gestalten.
Solange es Dichter gibt, werden sie keine andere Mission haben.
Aber Ihre Frage, was die Aufgabe des Dichters in dieser,
unserer, Zeit, sei, erfordert wohl die Auskunft: ob der Dichter
Stellung zu nehmen habe zu der Grausamkeit, zu der
Niedertracht, zu der Unmenschlichkeit der Welt von heute.
Darauf ist zu antworten: daß der Dichter so wenig, wie jeder
andere, ein Recht hat, keine Stellung zu nehmen zu der
Unmenschlichkeit der Welt von heute; daß der Dichter niemals -
und auch heute nicht - das Recht hat, sich auf seine ›Berufung‹

-277-
zu berufen und auf seine angebliche Pflicht, sich um ›zeitlose‹
Dinge zu kümmern. Talent und Genie befreien keineswegs von
der selbstverständlichen Pflicht, das Böse zu bekämpfen...
Die Aufgabe des Dichters in unserer Zeit ist - um Ihre Frage
ganz präzise zu beantworten: der unerbittliche Kampf gegen
Deutschland, denn dieses ist die wahre Heimat des Bösen in
unserer Zeit, die Filiale der Hölle, der Aufenthalt des
Antichrist22 .«
Für Roth wie für die Mehrzahl der Flüchtlinge in den ersten
Emigrationsjahren war es selbstverständlich, Frankreich als das
erste in Frage kommende Asylland auf dem europäischen
Kontinent zu betrachten. Wien und Österreich hingegen
erschienen Roth weniger geheuer. So schreibt er an Zweig: »Die
österreichischen Zeitungen behandeln mich als nicht existent -
seit Hitler. Ich habe auch keine Freunde mehr in den [dortigen]
Redaktionen23 .«
Roth, der einst von sich behauptet hatte, »Ich glaube, daß ich
nicht schreiben könnte, wenn ich einen ständigen Wohnsitz
hätte24 «, wußte auch während der Emigration immer wieder
neue Aufenthaltsorte ausfindig zu machen, um sich die nicht
endenwollende Zeit zu verkürzen, wenn er auch jedesmal nach
Paris zurückkehrte. So schweift er zwischen 1933 und 1939
durch Salzburg, Rapperswil am Zürcher See, Zürich, Marseille,
Nizza, Sanarysurmer, Amsterdam, Brüssel, Ostende,
Steenockerzeel (dem belgischen Wohnsitz des österreichischen
Thronprätendenten), Wilna, Lemberg, Warschau und Wien.
Roth, der »Hotelbürger«, wie er sich selber nannte, vertauschte
nunmehr den Englischen Hof in Frankfurt und das Berliner
Hotel am Zoo mit dem Hotel Beauvau in Marseille, dem Eden
Hotel in Amsterdam, dem Hotel de la Couronne in Ostende,
dem Bristol Hotel in Wien, aber vor allem und mit Vorliebe mit
seiner eigentlichen Heimstätte, dem Hotel Foyot in der Rue de
Tournon zu Paris. Trotz der bedrückenden Atmosphäre und
Sorgen verschiedener Art bleibt Roth produktiv: in den ersten

-278-
anderthalb Jahren der Emigration vollendet er u. a. vier
Novellen: Der Korallenhändler, der postum den
Titel Der Leviathan bekam25 , Stationschef Fallmerayer11 ', Die
Büste des Kaiser?7 und Triumph der Schönheit?*, von denen die
beiden letzteren lange Zeit nur in der französische Übersetzung
erhältlich waren, in der sie 1934 in Paris erschienen29 .
Stationschef Fallmerayer handelt, ähnlich wie April, Die
Geschichte einer Liehe, von einer Leidenschaft, die einer fast
Unbekannten gilt und dann an der Konfrontation mit der
unerquicklichen Wirklichkeit scheitert, mit dem Unterschied,
daß es in der ersten Novelle eine Zeitlang - wenigstens
scheinbar - zur emotionellen Erfüllung kommt. In Zürich erzählt
Roth Gotthard Jedlicka, er habe mit dem Gedanken gespielt,
eine Novelle mit dem Titel Die Liebesehe30 zu schreiben, ohne
den Einfall weiter auszuarbeiten. Zufällig sei er auf den Namen
des Historikers Fallmerayer gestoßen, der ihm derart gut
gefallen habe, daß er zu dem Entschluß gekommen sei, dieses
Namens wegen eine Novelle zu schreiben; während er über den
Namen nachdachte, sei ihm der ganze Inhalt der Novelle
zugeflogen. Zu deren Niederschrift vermerkte Roth noch: »Da
ich nicht in guter Verfassung bin, bringe ich so viel Handlung
wie nur möglich, denn wenn ich Handlungen beschreibe,
schreibe ich rascher. Es ist immer schwerer, Gefühle
darzustellen als Handlungen31 .«
In der Büste des Kaisers tritt »der Nachkomme eines alten
polnischen Geschlechts, der Graf Franz Xaver Morstin32 « als
Hauptfigur auf. Jahre zuvor war Roth auf diesen Zunamen
gestoßen. Anläßlich einer zu journalistischen Zwecken
unternommenen Reise Roths in Polen im Jahre 1928
veröffentlichte er ein Feuilleton in Briefform über das
literarische Leben dieses Landes. Dort heißt es:
»Es wird Ihnen... gewiß nicht jene kleine Notiz in den
Blättern entgangen sein, in der von einer Zusammenkunft
polnischer Dichter auf dem Gut des Grafen Morstin die Rede
-279-
war. Dieser Name hat einen guten Klang - nicht nur einen
gesellschaftlichen unter den Überresten der alten europäischen
Feudalität, sondern auch einen literarischen. Die Familie kam im
16. Jahrhundert aus dem Süden nach Polen. Ein Jahrhundert
später brachte sie zwei bedeutende polnische Schriftsteller
hervor: Andrea und Hieronymus Morstin. In dem Haus der
Morstins in Krakau sah ich das Porträt eines Vorfahren,
angefertigt von einem französischen Hofmaler: ein romantisches
Angesicht, stolz und bitter und von jenem noblen Hochmut, der
ein Vorrecht der wirklieh traurigen ist. Zum ersten Male schien
es mir, daß die Trauer ein Verdienst sein kann und nicht nur ein
Attribut, sondern gewissermaßen auch eine Ursache der
Adligkeit 33 .«
Jener porträtierte Vorfahre mit dem romantischen Angesicht
inspirierte Roth zu seinem Porträt eines polnischen Adligen,
dessen Geschlecht - so heißt es in der Novelle - ebenfalls »aus
Italien stammte und im sechzehnten Jahrhundert nach Polen
gekommen war34 « und der als übernational fühlender Anhänger
der österreichischen Monarchie die ser auch nach ihrem
Untergang die Treue hält. Roths Freund Józef Wittlin
beschreibt, wie es dazu kam: »Ich habe 1928 in Krakau Roth mit
dem polnischen Dramatiker und Dichter Ludwig Hieronymus
Morstin zusammengeführt. Roth war beeindruckt von dem, was
er über die Morstins erfuhr und machte seinen Helden in der
Büste des Kaisers zu einem leidenschaftlichen Verehrer des
Kaisers Franz Joseph, wie er überhaupt seine Liebe für den
Kaiser auf alle sympathischen Menschen übertrug. Aber die
wirklichen Morstins waren bei der Neugründung Polens mit
Leib und Seele dabei und trauerten dem österreichischen Kaiser
bestimmt nicht nach. Der junge Morstin war verärgert und hat
sich mir gegenüber wegen des Mißbrauchs seines
Geschlechtsnamens beschwert35 .« Die Inspiration Roths wirkte
sich jedoch günstig aus; die Novelle wurde im »Times Literary
Supplement« vom 2i. Januar 1939 als die beste einer 1938 in

-280-
englischer Sprache erschienenen Sammlung österreichischer
Novellen qualifiziert36 . Ahnliches wiederholte sich bei der
Veröffentlichung von Triumph der Schönheit. Der darin
vorkommende Dr. Skowronnek hatte ebenso wie der
gleichnamige schachspielende Freund des Bezirkshauptmanns
von Trotta im Radetzkymarsch einen wirklichen Arzt namens
Loebl zum Vorbild gehabt. Wie der Dr. Skowronnek der
Novelle, der dort als Erzähler auftritt, ordinierte der Frauenarzt
Loebl in einem Kurort, nämlich in Franzensbad, und war
darüber hinaus ein belesener Mann, der mit Schriftstellern und
Künstlern verkehrte. Als Dr. Loebl meinte, sich in Roths Dr.
Skowronnek wiederzuerkennen, mußte ihm Roth auf seine
Frage hin gestehen, daß er bei der Zeichnung seiner Arztfiguren
an ihn gedacht habe. Dr. Loebl zeigte sich darauf verletzt, da er
im Radetzkymarsch als Provinzler und in der Novelle als
Weiberfeind dargestellt wurde37 . Die Geschichte, die Dr.
Skowronnek in der Novelle erzählt, handelt von einer schönen,
aber geistig beschränkten Frau, die ihren Mann, der in sie
vernarrt ist, rücksichtslos mehrfach betrügt. Als er ihr dies
schließlich vorwirft und droht, mit ihr zu brechen, wird sie zu
einer scheinbar unheilbaren Kranken, die ihren Mann durch ihre
Krankheit völlig unterjocht und ihn obendrein mit ihrer
Eifersucht erbarmungslos quält. Bei ihrer Übersetzung der
Novelle findet Blanche Gidon - wohl mit Recht -, daß sich
Weiberhaß darin offenbare. Roth verteidigte sich mit der
Erklärung, es handele sich nicht darum, sondern um seine
Überzeugung, daß eine Frau, wenn sie feststellen müsse, ihr
Mann könne sie nicht lieben, wie sie es möchte, zu einem
Subjekt des Teufe ls werde38 . Roth hat möglicherweise bei dieser
Äußerung an die Folgen seiner eigenen intimen Beziehungen zu
Frauen gedacht, aber in der Novelle selbst dreht es sich um
anderes. Bei der dort dargestellten Frau Gwendolin läßt sich ein
rascher und bunter Wechsel der Symptome konstatieren:
Lähmung der Beine, religiöse Anwandlungen, die Unfähigkeit

-281-
zu essen und Psychose. Ihr Mann fühlt sich verantwortlich für
ihren Zustand und macht sich schwere Vorwürfe, u. a. den, daß
er sie so lange allein ließ; er wendet sich an alle möglichen
Leute und sucht Mittel und Wege zu ihrer Heilung. Er opfert
dabei sein Vermögen und seine Gesundheit auf. Der Arzt, der
von vornherein versichert hat, die Frau wolle eben krank sein
und könne gesunden, wenn sie nur den Willen dazu aufbrächte,
behält am Ende recht, denn nachdem die Frau ihren Mann
zugrunde gerichtet hat, wird sie auf einmal wieder völlig
gesund.
Roth befreit sich in dieser Novelle zum erstenmal von seinen
jahrelang gestauten Ressentiments gegen Friedl und rechnet
gleichze itig mit ihr ab. Er beschuldigt sie sozusagen in der
Gestalt Gwendolins, ihn auf dem Wege der Schuldgefühle, die
sie in ihm weckte, emotional erpressen und ihn mittels ihrer
Krankheit beherrschen zu wollen. Roth hatte sich, genau wie der
Ehemann, den er darstellt, selbst als williges Opfer ins Leid
gestürzt.
Im Dezember 1933 verläßt Roth die Schweiz und kehrt für
fünfeinhalb Monate nach Paris zurück, wo er sich »geschäftlich
in einer sehr schwierigen Situation39 « befindet. Unter den
Emigranten hatte es sich inzwischen herumgesprochen, daß man
nirgends so billig leben konnte wie in Südfrankreich40 . Bald
sammelten sich so viele deutsche Schriftsteller in Nizza und
Sanarysurmer - einem malerischen, zwischen Toulon und
Marseille liegenden Fischerdorf - an, daß man mit
Recht diese Orte als Zentrum der literarischen Emigration
bezeichnete. Ab Anfang Juni mietet sich Roth in Marseille ein
und fährt dann Mitte Juli auf Einladung Hermann Kestens nach
Nizza, wo er mit kurzen Unterbrechungen bis Juni 1935 bleibt.
An seine Schwiegermutter schreibt Roth über seine
Übersiedlung: »Mein Freund [Hermann Kesten] hat mich
eingeladen, wie ich jetzt seit Monaten schon leider überall als
Eingeladener leben muß. Wie lange das noch gehen wird, weiß

-282-
ich noch nicht41 .« In Sanary oder in Paris verabredete ich mit
Heinrich Mann«, so schreibt Hermann Kesten, »wir wollten in
Nizza zusammen ein Haus nehmen. Auch Joseph Roth wollte
mit mir in Südfrankreich zusammen sein. Und so mieteten wir
im Herbst 1934* auf der Promenade des Anglais Nr. 121 ein
Haus mit drei möblierten Etagenwohnungen, im ersten wohnten
meine Frau und ich, über uns im zweiten Stock Joseph Roth mit
der schönen Manga Bell, und darüber im dritten Stock Heinrich
Mann mit Frau Nelly Kroeger... Heiter verbrachten wir die
folgenden Monate zusammen, trafen uns in einem kleinen Bistro
zum Essen oder Trinken oder saßen vor dem Cafe de France
oder auf der Place Masséna im Café Monod unter den Arkaden
und wandelten zuweilen unterm Sternenhimmel entlang in unser
Haus zurück, in eifriger Diskussion über die Gesetze des
historischen Romans. Wir schrieben damals jeder einen
historischen Roman, Heinrich Mann den Henri Quatre, Joseph
Roth Die hundert Tage über Napoleon und ich meinen Roman
über Ferdinand und Isabella42 .«
Roth verkehrte damals mit dem unmittelbar in der Nähe
wohnenden Biographen Valeriu Marcu, mit René Schickele, der
von seinem Haus auf den Höhen von Nizza aus den Fernblick
auf das Mittelmeer genoß, er unterhielt sich in den Cafés gern
mit Franz Theodor Csokor und hin und wieder mit Annette
Kolb, Ferdinand Bruckner und Walter Hasenclever und traf sich
in Abständen mit Franz Werfel, der in Sanarysurmer länger als
die meisten verblieb, weil es ihm als »letzter Zipfel von Europa«
galt43 . Zu den weiteren in Sanary wohnenden Schriftstellern, die
Roth jedoch wegen ihrer politischen Gesinnung mied, gehörten
die linksstehenden Autoren Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger
und Friedrich Wolf. Die Beziehung zwischen Roth und René
Schickele, die sich bereits seit

*
Das richtige Datum ist Juli 1934. Der Verf.
1930 kannten, blieb, wie Schickeles Frau versichert, eine
-283-
»Literatenfreundschaft«, ohne daß die beiden sich gefühlsmäßig
näher gekommen wären44 . In seinem letzten Brief an seinen
Kollegen, den er kurz nach seiner Abreise aus Nizza schreibt,
erklärt Roth: »Ich liebe Sie, den Schriftsteller besonders, ›den
Menschen‹ konnte ich nicht ›kennen lernen‹, vielleicht durch
meine Schuld, es sei denn auch durch Ihre45 .« Dies hat Roth
jedoch nicht davon abgehalten, sich einige Male Schickele
gegenüber gründlich auszusprechen und ihm brieflich
mitzuteilen, wie sehr er unter der Krankheit seiner Frau leide,
was die Literatur für ihn bedeute und wie er sich politisch und
weltanschaulich dem Nationalsozialismus gegenüber verhalte.
Auffallend anders gestaltete sich die Beziehung zu Schalom
Asch, dem jiddisch schreibenden Romancier, der an seine
Eintrittspforte in Nizza einen hebräischen Willkommens grüß
angebracht hatte, und Roth zusammen mit Kesten und anderen
einmal zu einem Sederabend am Pesach, dem jüdischen
Osterfest, »zu Mazze, dem ungesäuerten Brot, und Fisch und
Geflügel und Torten... und zu Palästinawein« einlud46 . Der
erzjüdische Asch fühlte sich zum Christentum hingezogen. Kam
es daher, daß Roth, der sich selber für einen Katholiken ausgab,
ihn immer mit leichtem Spott behandelte? Als Roth von seiner
Wirtin einmal in Ludwig Marcuses Gegenwart ausgerichtet
wurde, ein fremder Herr habe ihn während seiner Abwesenheit
besuchen wollen, fragte er nach näheren Kennzeichen. Als die
Wirtin erklärte, »Alle Sprache n hat er gesprochen, aber keine
ordentlich«, wußte Roth sofort, wer gemeint war und fügte
hinzu: »Und Jiddisch kann er auch nicht.«
»Der jüdische Schriftsteller«, das war die Umschreibung, die
Roth meist in bezug auf Asch bei Deutschen und Franzosen
gebrauchte47 . 1934 erscheint im Verlag Allen de Lange in
Amsterdam Roths Antichrist, ein Buch, das Hermann Kesten als
»die Summe seiner Theologie, sozusagen das Bekenntnis vom ›
Wunden seiner Bekehrung [zum Katholizismus]« bezeichnet48 .
Roth selber charakterisiert das Werk als: »Nichts Episches,

-284-
sondern ein Steckbrief gegen den Antichrist49 .« Noch während
er an dem Buch schreibt, unterrichtet er René Schickele: »... die
einzelnen Abschnitte enthalten alle Formen, in denen [der
Antichrist] auftritt. Und genau Das ist der Inhalt meines Buches:
der Antichrist ist Freund und Feind. Und am Ende sitzt schon
ein Teilchen von ihm in mir selber, wenn es danach gehen sollte,
müßten wir Beide erkennen, daß wir die letzten Christen sind.
Das ist diese Zeit: man erkennt nicht Christus - er ist zu weit -
sondern seinen Feind 50 .« Dieses Buch ist es, daß Roth erst in
einen Rausch der Begeisterung versetzt und das er weniger als
ein Jahr später als »Mißerfolg51 « bezeichnen muß. Der
Antichrist sollte für Roth eine Abrechnung aus visionärer Sicht
mit der entgötterten Gegenwart sein, wobei er die Technik zu
den verführerischen Verkleidungen des Bösen zählte, die den
Menschen entmenschlicht und seinem wahren Wesen
entfremdet. Roth neigte dazu, selbst in der Kirche die Zeichen
der Verdorbenheit zu sehen: »Ich sehe in Frankreich oft Pfarrer
auf Motorrädern. Zum Kotzen. Der Vatikan glaubt, naiv, damit
könne er den Teufel besiegen. Siehe Konkordate. Goldene
Telephone. Kino! Im Vatikan! ›Neue Zeit‹! Dummköpfe, Esel!
Der Antichrist52 !!!« Roths Zivilisationsfeindlichkeit hatte sich
bereits vor der Emigration bemerkbar gemacht. Noch als
Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung« sprach er von dem
»Teufel in den Explosionsmotoren« und deutete die
Mechanisierung als »eine Bewaffnungserscheinung der neue n
Zeit53 «. Dem, dem er dies anvertraute, nämlich Friedrich
Traugott Gubler, schrieb er noch im Jahre 1931: »Ich werde
Ihnen Artikel schicken, 3 im Monat. Ich will die ›Gespenster der
Gegenwart‹ schreiben. (Mit Zitaten von Picard) Schicken Sie
mir durch P. noch ein brosch. Exemplar seines
Menschengesichts zu54 .« Diese ursprünglich journalistisch
gedachten Artikel sind es, die Roth drei Jahre später zu seinem
»Steckbrief gegen den Antichrist« aneinanderreiht, mit
Hinweisen auf Antisemitismus und Nationalsozia lismus ausbaut

-285-
und dabei noch auf Stellen in längst publizierten Feuilletons
zurückgreift55 .
In einer visionären Bildsprache, die sich an die
apokalyptischen Offenbarungen des Apostels Johannes - die
Quelle von Roths Titel - sowie an die Kundgebungen und
Bußpredigten alttestamentarischer Propheten anlehnt, geißelt
Roth die Niedergangserscheinungen einer verderbten Welt: das
Konkordat des Vatikans, den Unglauben, das Überhandnehmen
der Technik, das Filmwesen, den Kommunismus, den
Antisemitismus und das natio nalsozialistische Deutschland. Als
der Erfolg - mit Ausnahme des Buchverkaufs in Holland -
ausbleibt und die negativen Stimmen sich mehren, gibt Roth zu,
das Buch »hätte halb so groß sein müssen56 «, er habe das Buch
»zu hastig g£" macht, gegen meinen literarischen Rhythmus 57 .«
Ein jüdischer Rezensent der »Jüdischen Welt-Rundschau« sieht
darin »... deutlich die Spuren beginnender geistiger
Umnachtung58 «, und Ludwig Marcuse, der nach eigener
Aussage jedes Wort von Roth mit Begeisterung gelesen haben
will, stellt noch viele Jahre später fest: -»Der Antichrist ist -
auch in sprachlicher Hinsicht - ein absolut schlechtes Buch.
Wenn Roth, wie in diesem Fall, seine Anschauungen nicht in die
dichterische Gestaltung einbezog, war das Ergebnis trostlos59 .«
Einem Nicht juden jedoch gelingt es, in Roths Antichrist zu
sehen, was den übrigen Kritikern entgangen war. Im
Erscheinungsjahr des Buches schreibt der holländische Essayist
Menno ter Braak einen brillanten Aufsatz darüber, in dem er
kenntnisreich das Phänomen des Antichrists untersucht, es in
kultur- wie geistesgeschichtlichen Zusammenhang einordnet,
um dann festzustellen, daß Roth mit seinem Buch auf etwas
ganz anderes hinauswill:
»Wie bei anderen jüdischen Schriftstellern... ist das Problem
der Gerechtigkeit bei Roth der zentrale Punkt, um den sich alles
dreht. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dieses Problem sei ein
speziell jüdisches Problem und stehe in organischem

-286-
Zusammenhang mit dem Leben des jüdischen Volkes in der
Diaspora; denn welches Volk ist mehr an Gerechtigkeit
gebunden als das Volk, das sich auf das Recht als einzige Macht
gegenüber den Machtmitteln zahlenmäßig stärkerer Völker, bei
denen es oft nur offiziös Gastfreiheit genießt, berufen muß? Die
Gerechtigkeit ist für die Schwachen das einzige Argument, auf
das sie sich der rohen Macht gegenüber stützen können.
Gerechtigkeit steht wiederum in unmittelbarem Zusammenhang
mit dem Glauben, denn wie könnte die Gerechtigkeit, die die
Schwachen rechtfertigt, wirklich Gerechtigkeit sein, wenn sie
nicht auf ewige Wahrheiten gründete? Für Joseph Roth ist das
Problem der Gerechtigkeit zugleich das Problem des Antichrists.
Wo der Antichrist regiert, werden die heiligen Gaben, die dem
Menschen verliehen wurden, zu toten mechanischen
Machtmitteln, wird der Mensch ein Schatten seiner selbst. In
Hollywood verschafft er sich Unsterblichkeit in Gestalt eines
Schattens. In Sowjetrußland ist die Maschine für ihn das
Goldene Kalb geworden, um das er herumtanzt, weil er es selbst
angefertigt hat. Vor allem Rußland widmet Roth große
Aufmerksamkeit, weil man dort behauptet, die menschliche
Würde für alle wiederherstellen zu wollen. ›Aber Gültigkeit
kann die Würde des Menschen, der ein Ebenbild Gottes ist,
nicht dort erlangen, wo die Würde des Menschen als sein
Verdienst betrachtet wird, und nicht als eine Gnade.‹
Diese Gegenüberstellung von Verdienst und Gnade deutet
darauf hin, daß das Problem der Gerechtigkeit für Roth, wie für
so viele Angehörige seiner Rasse, an erster Stelle ein
metaphysisches Problem ist; und wo der Antichrist wühlt, hat
der Mensch, Roth zufolge, dieses metaphysische Problem aus
den Augen verloren...60 « Anfang Juli 1935 kehrt Roth nach Paris
zurück. Dort springt in die Augen, was man an der
französischen Riviera zur Not noch verdrängen konnte: es
fanden sich immer mehr Emigranten ein, das Elend nahm zu, die
Stimmung wurde düsterer und die Ratlosigkeit wuchs.

-287-
Zweieinhalb Jahre war man schon im Exil, und das Ende war
nicht abzusehen. Man hatte das Vorstadium von dem erreicht,
was Franz Theodor Csokor ein paar Jahre später als ein in
extremis empfinden sollte: »Mir ist, als stünden wir am Grabe
einer ganzen Welt...61 « Die Hoffnungen, mit denen man sich am
Anfang trösten konnte, waren im Schwinden.
Für Roth hatte sich bereits seit einiger Zeit die zermürbende
Routine des Alltags in der Emigration eingestellt. Spät morgens
wachte er widerstrebend und mit einem Staunen über den Lauf
der Welt auf, blieb noch eine Weile im Bett liegen und schleppte
sich dann mit langsamen Schritten gegen die Mittagszeit
hinunter und setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Fensters.
Das Frühstück überschlug er, er fing den Tag gleich mit einem
Pernod oder Kognak an und ließ sich alle erhältlichen Zeitungen
an den Tisch bringen62 . »Es ist ein masochistischer Genuß,
Zeitungen zu lesen63 «, schreibt Roth, ein Thema berührend, das
jedem Emigranten vertraut war. Kaum einer, der über seine
Emigrantenjahre schreibt, versäumt, darüber zu berichten, mit
welcher Intensität man sich ins Zeitungslesen vertiefte.
Hermann Kesten erzählt: »Wir lasen täglich Dutzende
Zeitungen, deutsche und ausländische. Wir suchten zwischen
den Zeilen. Jede Nachricht überraschte uns, obwohl wir sie
erwarteten, ja vorhergesagt hatten64 .« Man versuchte, in
Nebensächlichkeiten, die in der Zeitung standen, einen Anlaß
zur Hoffnung zu finden, und geriet in Verzweiflung über jede
neue Nachricht von Hitlers Erfolgen. Die Diskussionen kreisten
um die Tagespolitik, um die Frage, wie es zum moralischen
Zusammenbruch Deutschlands habe kommen können und um
den weiteren Verlauf der Dinge. Hier beteuerte Roth, zum Krieg
müsse es kommen. Am Anfang werde Deutschland Siege feiern,
aber am Ende werde es verhungern und eine Niederlage
erleiden65 . Früher oder später führte das Gespräch zu dem
Thema, wie man zu Geld kommen könne. Es veranlaßte die
Schriftsteller gewöhnlich zu erbitterten Auslassungen über die

-288-
Verleger. Die Gedanken liefen im Kreis, man konnte sich nicht
lange von dem losmachen, was jeden bedrängte, man
wiederholte sich, so daß »jedes Gespräch unvermeidlich zur
politischen Diskussion« zurückführte, wie Stefan Zweig
bezeugt66 . Man ärgerte sich nicht nur über das Vertriebensein,
die Entwurzelung und die Entbehrungen, sondern oft genug
auch über die Mitemigranten selbst, die in Gruppen gespalten
waren, die sich bitter befehdeten. Einigkeit herrschte nur in
bezug auf die Ablehnung des Dritten Reiches, was aber zur
Verständigung nicht ausreichte, weil die Ideologien im übrigen
zu sehr entgegengesetzt waren. Im großen und ganzen kann man
die Emigranten in drei Gruppen einteilen: die Kommunisten; die
um Leopold Schwarzschild, den Herausgeber des »Neuen Tage-
Buchs« gruppierten Leute, die Nationalsozialismus und
Kommunismus mit gleicher Entschiedenheit ablehnten; und
schließlich die österreichischen Monarchisten und Katholiken.
Zu Roths Aufgaben im Exil gehörte auch seine Mitarbeit an
verschiedenen Organen der Emigration. Für Schwarzschilds
Wochenzeitschrift »Das Tagebuch«, das von der
Emigrantenzeitschrift »Das Neue Tage-Buch« abgelöst wurde,
hatte Roth bereits ab 1923 geschrieben, als die Redaktion sich
noch in Berlin befand. Von befugter Seite wird Leopold
Schwarzschild bestätigt, er sei »Deutschlands bedeutendster
politischer Publizist seit Friedrich Gentz« gewesen67 . Selbst
Churchill soll seinen Ministern die Lektüre von Schwarzschilds
prophetischen Artikeln empfohlen haben, die rücksichtslos und
zutreffend auf die Fehler hinwiesen, die die Westmächte
begehen würden; recht sollte Schwarzschild auch behalten in
bezug auf seine Kritik an der nachgiebigen englischen Politik
Hitler gegenüber und ihrem Versagen beim italienischen
Überfall auf Abessinien68 . Außer Roth arbeiteten an dieser
einflußreichen und am meisten gelesenen Exilzeitschrift mit:
Max Brod, Klaus Mann, Ernst Weiß, Roda Roda, Thomas
Mann, Alfred Kerr, Arnold Zweig, Egon Erwin Kisch, Karl

-289-
Tschuppik, Ludwig Marcuse, Walter Mehring, Lion
Feuchtwanger, André Maurois, Emu Ludwig und Alfred
Kantorowicz. Mehr als vierzig Artikel, von denen die meisten
politischen Inhalts waren, steuerte Roth zwischen 1933 und!939
bei.
Außerdem schrieb Roth ab 6. Juli 1934 für das »Pariser
Tageblatt«, eine bürgerlichliberale vorsichtige Zeitung, die mit
materiellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und bemüht war,
sich die Leser aller politischen Richtungen zu erhalten. Der
Herausgeber und Chefredakteur, der frühere Chefredakteur der
»Vossischen Zeitung«, Georg Bernhard, wurde 1936 abgelöst,
was zur Spaltung der Redaktion führte. Das »Pariser Tageblatt«
wurde eingestellt und Bernhard leitete daraufhin die Redaktion
der neugegründeten »Pariser Tageszeitung«. Vor allem 1939, in
seinem letzten Lebensjahr, erschienen mehrere Artikel von Roth
dort, gelegentlich unter den Pseudonymen »Hamilkar« und
»Christine von Kandl«.
Vom 19. Dezember 1938 an sind Artikel von Roth auch in der
»Oesterreichischen Post«, dem von Martin Fuchs und Klaus
Dohrn herausgegebenen Zentralorgan der österreichischen
Legitimisten zu finden, darunter einige bemerkenswerte
Beiträge wie die »Rede über den alten Kaiser69 «, ein Bekenntnis
zum alten Österreich, und »Wiegenfest«, aus Anlaß von Hitlers
Geburtstag am 20. 4. 193970 . In seiner zwischen Februar und
Mai 1939 erschienenen Serie »Schwarzgelbes Tagebuch«
entrollt er ein plastisches Bild von den Hoffnungen und dem
Leiden der emigrierten österreichischen Monarchisten. Ebenfalls
monarchistisch ist der von 1930-1938 in Wien erscheinende und
von Professor Franz von Hildebrandt und Klaus Dohrn
herausgegebene »Christliche Ständestaat«. Klaus Dohrn, ein
1933 von Deutschland nach Österreich ausgewanderter Sachse,
unterhielt engere Beziehungen mit dem österreichischen
Thronprätendenten Otto von Habsburg71 . Der
katholischmonarchistischkonservativen Richtung dieses

-290-
»Wochenheftes« paßte sich Roth mit Eifer in einer Reihe von
längeren Aufsätzen an, mußte sich aber trotzdem gegen
Vorwürfe von seilen der Leser verteidigen. Eine Anmerkung der
Redaktion lautet: »Wir brachten seinerzeit eine Würdigung J.
Roths..., mußten aber dann am Echo dieses Artikels feststellen,
daß Roths Werke, insbesondere sein Radetzkymarsch, vielfach
eine von der unseren einigermaßen abweichende.Deutung
erfahren.« Roths von der Redaktion abgedruckte Antwort ist
maßvoll, aber entschieden: »Der ›Oesterreichische Gedanke‹ ist
kein ›patriotischer‹, sondern beinahe ein religiöser. Wir sind
nicht ›der zweite deutsche Staats sondern der erste, sozusagen:
der allererste deutsche und übernationale und christliche Staat.
Jene Leser aber, die einen österreichischen Schriftsteller meiner
Art etwa für einen »Kritikaster‹ halten, sind in der Tat nicht
Verteidiger des ersten universalen und katholischen deutschen
Staates, sondern des ›zweiten‹ und des ›kleinen
Alpenländchens‹. Es sind brave, wohlmeinende ›Gau‹-
Verteidiger. (Aus dem Stoff, aus dem sie gemacht sind, kann
man unter Umständen auch ›Gauleiter‹ machen.) Es sind
wohlgesinnte Benutzer der Worte: ›landfremd‹, ›Scholle‹, ›Blut
und Boden‹. Unösterreichische, antiösterreichische Worte: Denn
die wahren Worte, die in Österreich ›zuständig‹ sind, wären,
universal, katholisch, übernational, gottgläubig und
gottwohlgefällig. Wer dieses Österreich liebt, dieses Österreich,
das wir wieder erwecken wollen, darf Kritik üben. Wer die
Tradition im Blute hat, fürchtet niemals, er könnte sie
verletzen72 .« Trotz Roths reger und um Aufklärung bemühter
Arbeit an den Blättern der Emigration macht er sich keine
Illusionen darüber, was man mit dem gedruckten Wort im Exil
erreichen könne. So schreibt er in einem Artikel, der /zu Roths
Lebzeiten/ anscheinend nie veröffentlicht wurde: »Die Tinte ist
ebenso vergeblich vergossen, wie das Blut. Finden wir uns
damit ab, daß die Welt, für die wir einmal zu schreiben gedacht
hatten, taub und stupide geworden ist und daß wir nur noch

-291-
wenig mehr - vielleicht gar nichts in ihr zu suchen haben73 .« Das
Gefühl, mißverstanden und ignoriert zu werden, daß man in den
Wind spreche, sowie das Gefühl der Bedrohung und der
schrecklichen Vorahnung beherrschen die Emigrantenzeitungen
und -Zeitschriften von damals und machen deren Lektüre heute
noch beklemmend. In ihnen verengt sich der Gesichtskreis oft
zu einem Teufelskreis - zwangsläufig trachtet man in jeder
neuen Ausgabe die neuesten Krisen und Probleme zu erörtern
und zu lösen. Die Nervosität, die sich in diesen Blättern
bemerkbar macht, ist eine Folge des Gefühls, keinen festen
Boden mehr unter den Füßen zu haben. An Roth, der Hast und
Geschä ftigkeit immer verachtet hatte, machte sich nunmehr eine
gewisse Fahrigkeit bemerkbar. Ein Beobachter aus jener Zeit
erzählt: »Was mich am meisten beeindruckte, war die Tatsache,
daß Roth den ganzen Tag über immer irgend etwas tun mußte,
immer beschäftigt war, Ratschläge gab, das elektrische
Fußballspiel spielte, sich unterhielt, trank, einen Brief schrieb
oder an einem Roman arbeitete...74 « Zum Lesen fand er nicht die
richtige Ruhe, so daß sein Freund Ludwig Marcuse es für
ausgeschlossen hält, daß er in der Emigration ein ganzes Buch
durchgelesen hätte. Mußte er sich über ein Buch äußern, so habe
er, laut Marcuse, drei oder vier Seiten darin gelesen und dann
ein »absolut treffendes Urteil« abgegeben75 . »Ich halte mich an
das gute Wort des von mir keineswegs geschätzten Karl Kraus:
›Ein Dichter, der liest, ist wie ein Kellner, der ißt‹76 «, schreibt
Roth einmal als Ausrede. Und ein anderes Mal bringt er als
Entschuldigung vor: »Tolstoi warnt die Schriftsteller vor dem
vielen Lesen. Es kann einen ruinieren77 .«
Um so unentbehrlicher wird ihm dafür die Tätigkeit des
Schreibens: »Man muß schreiben, gerade dann, wenn man nicht
mehr glaubt, durch das gedruckte Wort etwas bessern zu
können. Den Optimisten mag es leicht fallen zu schreiben. Den
Skeptikern, um nicht zu sagen: den Verzweifelten, fällt es
schwer, und deshalb sollte ihr Wort gewichtiger sein. Umglänzt

-292-
sollten sie sein von dem Glanz des Vergeblichen78 .« Mit dieser
Äußerung über den Beruf des Schriftstellers in den Jahren des
Faschismus und der Emigration legt Roth ein Bekenntnis der
Hilflosigkeit ab und sagt er zugleich dem Feind und der
Hilflosigkeit den Kampf an. Buch um Buch schreibt Roth in der
Emigration, die Hälfte seines Œuvres ist zwischen 1933 und
1939 entstanden, in seiner schriftstellerischen Arbeit sieht er die
Rechtfertigung seines Lebens.
Roths stärkster Abwehrmechanismus in der Emigration war
seine schöpferische Arbeit. Das nahezu pausenlose Schreiben
war für ihn eine Aufgabe, die dem Dasein Inhalt verlieh und
gleichzeitig eine nahezu pausenlose Konzentration erforderte,
die eine Projektion seiner überwachen Phantasiewelt ins
Objektivierte und somit teilweise eine Ablenkung von den
inneren Spannungen herbeiführte. Stefan Zweig war sich der
positiven Wirkung von Roths schöpferischer Hingabe bewußt:
»Es war ein Wunder gegen alle Logik, gegen alle medizinischen
Gesetze, dieser Triumph des in ihm schaffenden Geistes über
den schon versagenden Körper. Aber in der Sekunde, da Roth
den Bleistift faßte, um zu schreiben, endete jede Verwirrung;
sofort bega nn in diesem undisziplinierten Menschen jene eherne
Disziplin, wie sie nur der vollsinnige Künstler übt...79 «
In Zweigs Augen war Roth sich selbst gegenüber der
»allerstrengste« Richter. Vor seinen Augen habe er ganze
Manuskriptseiten zerrissen, nur weil »ein einziges Beiwort noch
nicht das rechte Gewicht, ein Satz noch nicht den vollen
musikalischen Klang zu haben schien80 .« Diese Schilderung, die
eher zu dem Roth aus der Zeit vor der Emigration paßt,
entspricht dem Bild, das Roth auch während der Emigration von
sich selbst bewahren wollte. /Doch/ der Roth der Emigration
fand nicht die innere Ruhe, um längere Arbeiten reifen zu lassen
und zu überarbeiten, abgesehen davon, daß er der Vorschüsse
wegen ständig neue Verträge schloß, sich zu stets neuen
Publikationen verpflichtete, wodurch er sich dann unter dem

-293-
Druck und dem Drängen der Verleger zur Eile antreiben lassen
mußte. Die Inspiration, auf die er noch bei Hiob und dem
Radetzkymarsch warten konnte, spielte nunmehr eine
untergeordnete Rolle oder mußte sogar negiert werden. Er
mußte weiterarbeiten, auch wenn er müde oder durch allerlei
äußere und innere Anlässe zerstreut war. Er mußte die
Produktivität, die Einfalle durch Anstrengung erzwingen. Es ist
bezeichnend, daß er auch bei seinen Romanen zu Stoffen greift,
die ihn beim Schreiben nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Nicht
von ungefähr schreibt ihm Zweig in bezug auf seinen Roman
Tarabas und seine Abhandlung Antichrist: »Der Fehler der
letzten Jahre lag doch... darin, daß Sie aus rein materiellen
Tendenzen Ihre Stoffe über ihr natürliches Maß dehnten...81 «
Merkwürdigerweise trat die günstige Wendung in der
allerletzten Zeit seines Lebens ein. Als er sich nach dem
Anschluß beinah völlig aufgibt und von der Zeit löst, kehrt die
alte Vollendung wieder und erreicht vor allem in der Legende
vom Heiligen Trinker eine neue und letzte Brillanz.
Die Arbeit wurde nach wie vor an Cafetischen verrichtet,
denn wo es möglich war, mußte er zwei oder drei Kumpane um
sich haben. Hin und wieder warf er ein Wort in ihre
Unterhaltung ein, ohne mit dem Schreiben aufzuhören und die
Seiten der Schulhefte, in die er schrieb, zu füllen82 . Die Anzahl
der Getränke, die er tagsüber in regelmäßigen Abständen zu sich
nahm, mehrte sich zusehends am Abend inmitten zahlreicher
Gesellschaft.
Die Nächte der Emigration waren für Roth oft genug weniger
erträglich als die Tage. Zweig schildert er den Verlauf einer
Schreckensnacht: »Ich [gehe?] bis 3h morgens herum, ich lege
mich angezogen um 4h hin, ich erwache um 5h und wandere irr
durch's Zimmer.... Sie wissen doch, was Zeit bedeutet, eine
Stunde ist ein See, ein Tag ein Meer, die Nacht eine Ewigkeit,
das Erwachen ein Höllenschreck, das Aufstehen ein Kampf um
Klarheit gegen einen bösen Fiebertraum83 .« Nach seiner

-294-
Rückkehr von der Riviera hält Roth es neun Monate 1 1 ans aus.
Im März 1936 ist er wieder unterwegs, diesmal nach
Amsterdam.

-295-
18
Der Kampf gegen den Faschismus
und der Kampf um Österreich
1936-1938

Ein beträchtlicher Teil der Emigrationsliteratur der


Vorkriegszeit erschien in Amsterdam in deutscher Sprache.
Klaus Mann, der sich längere Zeit in Holland aufhielt, berichtet
über die Entstehung dieser Verlage:
» [Fritz] Landshoff, der in Berlin ein Direktor des
Kiepenheuer-Verlages gewesen war, gründete 1933 in
Amsterdam den Querido-Verlag, die deutsche Abteilung einer
alteingesessenen holländischen ›Uitgeversmij‹. Der Chef der
Firma, Emanuel Querido - Niederländer von
portugiesischjüdischer Abstammung - war ein weißhaariger
Mann von kleiner Statur und großem Temperament,
humorigpatriarchalisch, mit blitzblauen Kapitänsaugen in einem
verwitterten, lustigklugen Gesicht. Der alte Sozialdemokrat
haßte den Fascismus in jeder Form, besonders aber in der
deutschen; gerade deshalb war ihm die Betreuung der
antifascistischen deutschen Literatur eine Herzenssache -
Landshoff [nahm sich] der Leitung des neuen deutschsprachigen
Verlages an. Die meisten emigrierten Autoren von Bedeutung
erschienen bei Querido - Jakob Wassermann, Heinrich Mann,
Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Arnold Zweig,
Vicki Baum, Erich-Maria Remarque, Emil Ludwig, Alfred
Döblin, Bruno Frank, Leonhard Frank, Ludwig Marcuse, Joseph
Roth, Valeriu Marcu, um nur diese zu nennen.
... der feine, grundanständige und grundgescheite,
witzigmelancholische Walter Landauer, der mit Landshoff
gemeinsam den Kiepenheuer Verlag in Berlin geleitet hatte,
[führte seit 1934] die deutsche Abteilung des Verlages Allert de
Lange zu Amsterdam... Zwischen seinem Unternehmen und

-296-
Querido bestand eine Art von freundschaftlicher Rivalität,
wobei das Beiwort stärker zu akzentuieren ist als das Substantiv.
Die literarische Emigration war produktiv genug, um zwei
Verlage mit erstklassigem Material zu versorgen1 .«
Zu den deutschsprachigen Autoren, die im Verlag Allert de
Lange ihre Werke veröffentlichten, gehörten Franz Blei, Bertolt
Brecht, Bernard von Brentano, Max Brod, Ferdinand Bruckner,
Sigmund Freud, Georg Hermann, Ödön von Horvâth, Gina
Kaus, Hermann Kesten - der auch als Lektor tätig war -, Egon
Erwin Kisch, Annette Kolb, Siegfried Kracauer, Valeriu Marcu,
Alfred Neumann, Alfred Polgar, Theodor Plivier, Joseph Roth,
René Schickele, Karl Tschuppik und Stefan Zweig. Außerdem
erschienen dort Übersetzungen aus den Werken von Schalom
Asch und Józef Wittlin.
Roth selber gelang es auch noch, bei einem dritten
holländischen Verlag Unterkunft zu finden, dem katholischen
Verlag De Gemeenschap in Bilthoven, bei dem er sich zudem
für die Herausgabe von Büchern Ödon von Horvâths und Franz
Theodor Csokors einsetzte2 . Die Weltwirtschaftskrise brachte es
mit sich, daß Roths finanzielle Lage schon vor der
nationalsozialistischen Machtergreifung prekär geworden war.
So schreibt er am 16. 2. [1932?] an seine Schwiegermutter: »Der
[Gustav Kiepenheuer] Verlag muß innerhalb 6 Wochen neues
Geld bekommen oder zusperren.... Meine ganze materielle
Existenz ist gefährdet ---- Die F. Zeitung ist selbst bedroht und
kann mir nur noch schicken, was ich für Zigaretten brauche3 .«
Zwei Tage vor dem Ende des Jahres 1932 schreibt er noch an
einen befreundeten Schriftsteller, es gehe ihm » Geldlich trotz
dem Erfolg [des Radetzkymarsches] miserabel, weil der Verlag
kein Geld hat, mir den Vorschuß stehn zu lassen4 .« Die meisten
Autoren Gustav Kiepenheuers müssen ins Ausland fliehen, um
ihr Leben zu retten, und viele Bücher des Verlags, der sich bis
1933 fast ausschließlich auf die Avantgarde der jungen
deutschen Literatur stützte, fallen den Bücherverbrennungen

-297-
anheim. Die Gestapo beschlagnahmt die Bücherbestände, was
zur Vernichtung von fünfundsiebzig Prozent der Produktion und
schließlich zur Liquidation des Kiepenheuer Verlags führt5 .
Roths Verlagsrechte werden nach der Schweiz überwiesen,
wodurch ihm allerdings durch die Devisengesetze und die
Verfolgungen des Dritten Reiches nur wenige Gelder gerettet
werden können6 . Obendrein werden ihm vorher noch die großen
Summen, die er dem Verlag schuldete, abgezogen7 . Fortan
erscheinen die Erstausgaben aller Bücher Roths, mit Ausnahme
der übersetzten und in Paris erschienenen Novellen Le Triomphe
de la Beauté und Le Buste de l'Empereur, zuerst in Holland. Der
Inhaber des Querido Verlags, der 1934 die ersten
niederländischen Taschenbücher herausbrachte, nahm Roths
Tarabas im selben Jahr in diese Reihe auf. Ferner wurden dort
Das falsche Gewicht (1937) und, postum, Der Leviathan (1940),
aus dem im Dezember 1934 ein Abschnitt unter dem Titel Der
Korallenhändler im Neuen Tage-Buch, Paris, vorabgedruckt
worden war, verlegt. Im Verlag Allert de Lange werden
Stationschef Fallmerayer (1933), Der Antichrist (1934), Die
Hundert Tage (1935), Beichte eines Mörders (1936) und Die
Legende vom heiligen Trinker (1939) verlegt, im Verlag De
Gemeenschap Die Kapuzinergruft (1938) und Die Geschichte
von der 1002. Nacht (1939). Blickt man auf diese Verlage, die
sich um die deutsche Literatur so verdient machten, zurück, so
ergibt sich eine traurige Bilanz. Emanuel Querido, der seinen
Autoren bescheidene Renten zahlte, die es ihnen ermöglichten,
sich über Wasser zu halten, ist nach der Besetzung Hollands
verschleppt und ermordet worden, und sein weitgehend von
Juden geführter Verlag wurde mit sämtlichen Lagerbeständen
vernichtet. Walter Landauer, der einzige Jude im Allert de
Lange Verlag, versuchte 1940 beim Einmarsch der Deutschen
vergeblich durch Gift und einen Sprung aus einem Fenster
Selbstmord zu begehen und starb schließlich in Bergen-Belsen.
Der Verlag De Gemeenschap, der aus idealistischen Gründen

-298-
und weniger wegen des Gewinns publizierte, ging durch die
Besetzung zugrunde und wurde nicht, wie der Querido Verlag,
nach dem Krieg wieder neu errichtet.
Im Oktober 1933 war Roth zum erstenmal nach Amsterdam
gefahren", um mit dortigen Verlagen Kontakt aufzunehmen. Als
er im Mai 1935 wieder nach Amsterdam kam, berief Walter
Landauer eine Pressekonferenz für ihn ein. Roth unterhielt sich
mehrere Stunden mit einer kleinen Anzahl von Journalisten in
seinem Zimmer im Eden Hotel, wich aus, wenn diese das
Gespräch auf die Literatur zu lenken versuchten, und sprach
statt dessen über »den blauen Wimpel«, den man einem
Passagierschiff soeben für die schnellste Überfahrt zuerkannt
hatte, und deutete das als ein Symbol für die Hetzjagd moderner
Zeiten und der allerorts sich abspielenden hektischen
Mechanisierung. Am Abend des 12. Juni 1936 hält Roth vor
einem größeren Publikum in der dem Verlag Allert de Lange
angeschlossenen Buchhandlung einen Vortrag über den
»Aberglauben an den Fortschritt«, »mit großem moralischen
Erfolg«, wie er selber behauptet9 . Diesmal geht es formeller zu,
Roth bestimmt selber, wer zugelassen werden darf, und sorgt
dafür, daß ein Wasserglas voll Genever, zu dem er im Laufe der
Vorlesung öfters greift, auf dem Lesepult steht10 . Eingeführt
wird Roth von Anton van Duinkerken, der die Einleitung zu der
holländischen Übersetzung des Antichrist geschrieben hatte. Er
kann dabei auf einen Erfolg dieses Buches in Holland
hinweisen, den es anderenorts nicht hatte. Einleitend führt Roth
aus: »Sie werden gespürt haben, in welchem Maße die sittlichen
Gesetze unserer Welt täglich und fast stündlich außer Kraft
gesetzt werden ---- [Den] ›Aberglauben an den Fortschritt...
halte ich nicht nur für die Ursache unserer Enttäuschungen,
welche uns die Menschheit dieser Tage bereitet, sondern auch
für eine der entscheidendsten Ursachen der Verwirrung, die
über die Welt gekommen ist11 .«
An sich bieten diese Gedankengänge nichts Neues. Bereits

-299-
1930 polemisierte Roth schriftlich gegen den »Ungeist der
modernen Zivilisation« und bezeugte seine » Gegnerschaft...
gegen den Unfug dieser Gegenwart...«12 . Bemerkenswert an
seinen 1936 geäußerten Worten ist jedoch, daß Roth - sicherlich
unbewußt - sich an den Wortlaut eines Vertrages von Goebbels,
den er vier Jahre zuvor rezensiert hatte, anlehnt. Über diesen
Vortrag, der den Titel »Fortschritt und Standpunkt« hatte,
schrieb Roth:
»Der Glaube an den Fortschritt ist, dem Redner zufolge, der
überwundene Aberglaube des XIX. Jahrhunderts; der
›Standpunkt‹ ist: das siegreiche Ideal des deutschen Menschen
von heute. Der ›Fortschritt‹ bedeutet gewissermaßen die
›horizontale‹, das heißt: verflachende Tendenz eines
›materialistischen‹ Zeitalters. Der ›Standpunkt‹ aber bedeutet
die ›vertikale‹: das heißt: ›vertiefende‹ einer Zeit, in der der
›Idealismus‹ wieder erwacht 13 .«
Nichts wäre törichter, als Roth auf Goebbels Linie festlegen
zu wollen. Schließlich gehörte der Ausdruck des Unbehagens
über die technische Umwälzung der vergangenen Jahrzehnte
bereits zu den Gemeinplätzen der Literatur wie auch zu denen
der geistesgeschichtlichen Äußerungen der Zeit. Dennoch muß
man feststellen, daß Roth ebenso wie Goebbels in der
Aufklärung und im Liberalismus eine zersetzende und
Unordnung verursachende Geistesströmung sah. Und gegen
Goebbels 1 Nazi-Parole vom »jüdischen Marxismus«, der die
kommunistische Bewegung mit getragen habe, hätte Roth wohl
kaum etwas einzuwenden gehabt. Das ungleiche Paar hatte eben
die Neigung zum Irratio nalismus gemein, die auf beiden Seiten
auf einer willkürlichen Auffassung der Geschichte beruhte, die
nach Bedarf umgedeutet wurde.
Einen merkwürdigen Eindruck macht der von /Roth/
aufgestellte Stammbaum von »diesem ekelhaften nationalen
Sozialismus = Nationalsozialismus, dessen Väter die
Sozialdemokraten, dessen Großväter die liberalen Juden

-300-
waren« 14 . Ähnlich verblüffend wirken seine Behauptungen,
Hitler sei ein linker Liberaler vom Schlage Rousseaus gewesen
und der Nationalstaat eine Erfindung der französischen
Revolution15 . Roths Anti-Kommunismus, den sein Freund
Ludwig Marcuse als »pathologisch« bezeichnet16 , riß ihn zu der
Folgerung hin: »[Der Kommunismus] hat den Fascismus und
den Nationalsozialismus gezeugt und den Haß gegen die
Freiheit des Geistes. Wer Rußland gutheißt, hat damit auch das
Dritte Reich gutgeheißen17 .« Zum weiteren Verständnis von
Roths Weltbild gehört Manga Bells Erklärung, Roth habe den
Protestantismus gehaßt, weil er für ihn die Auflockerung der
Ordnung bedeutete18 . Da Luthers Reformation in Roths Augen
zur Zerstörung der abendländischen Einheit führte, sah er in
Luther den Vorgänger Hitlers und behauptete verschiedentlich:
von der Reformation sei das Hakenkreuz übrig geblieben19 ;
»Dem Verfasser dieser Zeilen scheint es in der Tat, daß das
Neuheidentum Hitlers mit den Thesen von Wittenberg
zusammenhängt und ohne diese undenkbar wäre«20 ; »Wir
könnten leicht aus der Geschichte Deutschlands seit Luther
nachweisen, daß es von diesem über Friedrich den Zweiten,
Bismarck, Wilhelm bis Hitler ganz organisch, natürlich, ja sogar
selbstverständlich zugegangen ist21 .« Der damalige Direktor des
Allert de Lange Verlags erinnert sich an einen Spaziergang, den
er mit Roth über das Damrak machte: »Roth versicherte mir, daß
es Holland im kommenden Krie g nicht so ergehen würde wie im
letzten, daß auch wir dieses Mal viel würden leiden müssen. In
dem Augenblick fiel ihm ein vorbeigehender Soldat auf, an
dessen Uniform das Koppel fehlte. Dieses gehörte wohl zur
Montur, aber laut Vorschrift durfte der Soldat es außerhalb des
Dienstes ablegen. Roth wartete meine Erklärung nicht ab,
sondern wollte mich zu der Ansicht bekehren: ›Mit Eurer Armee
werdet Ihr nicht viel anfangen können, denn Soldaten ohne
Koppel sind keine Soldaten22 ^«
Täglich nach dem Aufstehen ließ sich Roth mit dem

-301-
Ruderboot vom Eden Hotel über den Kanal zum Damrak
hinüberrudern, was ihm den kurzen Umweg zu Fuß ersparte.
Seine Beziehungen zu den Amsterdamern bestanden weitgehend
aus Begegnungen in Cafés. Gewohnlich führte ihn seine
»Reiseroute« zuerst ins Hotel de Pool am Damrak, wo sich die
holländischen Journalisten zum Billard einfanden und Roth, in
einer tiefen Fensternische sitzend, sich stundenlang mit seinem
Manuskript beschäftigte; darauf ging er entweder ins Café
Scheltema unten im Gebäude des Algemeen Handelsblad oder
zum Amstelstroom in der Kalverstraat, wo er das Kommen,
Gehen und Treiben der Menschen genoß. Abends konnte man
ihn meist im Café Reynders am Leidseplein treffen, wo er zu
den Gästen gehörte - in der Regel waren es Maler, Schriftsteller
und Journalisten -, die nicht eher fortgingen, bis sie bei
Sperrstunde dazu aufgefordert wurden. Nach ein Uhr morgens
spazierte er zum Kring, einer Künstlersozietät, die für
Mitglieder geöffnet blieb, nachdem alle Cafés geschlossen
hatten. Dort verzog er sich in eine Ecke und unterhielt sich mit
Vicki Baum oder anderen Emigranten. In fast jedem dieser
Lokale gibt es ältere Kellner, die sich heute noch an Roth, seine
Trinkgewohnheiten und seinen Stammsitz erinnern. So erzählen
zwei Kellner im Café de Pool, Roth sei ein paar Monate lang
täglich und immer allein gegen Mittag gekommen, habe sich in
seine Nische gesetzt und eine Flasche Bols (Genever) bestellt.
Erst wenn die Flasche halb leer war, fing er an zu schreiben.
Wenn man sich Roth in Erinne rung ruft, meint einer der Kellner,
denkt man nicht an ihn, wie er steht und geht, sondern wie er
sitzt, schreibt und trinkt23 .
»Roth war Amsterdam sympathisch,« /erzählt der Journalist
Johan Winkler/ »weil es auf eine Geschichte menschlicher
Toleranz zurückblickt, mit der sich Paris, Wien und Berlin nicht
messen können. Trotzdem war ihm die Stadt nicht kongruent.
Amsterdam konnte ihm nicht die Atmosphäre bieten, nach der er
sich sehnte, immer klaffte hier Widerspruch zwischen ihm und

-302-
den anderen. Es fing schon damit an, daß die anderen
Emigranten meist Sozialisten waren. Roth sprach im Café über
Gott, Kaiser und Österreich, er zeichnete mit dem Finger die
Umrisse der alten Monarchie auf den Tisch und beharrte auf
seiner apokalyptischen Version des Antichrist...24 « Roths
Bedürfnis, sich aus seinem Außenseitertum heraus Vertraute zu
verschaffen und sie unter dem Hotelpersonal zu suchen, machte
sich wieder in Amsterdam bemerkbar, dieses Mal jedoch mit
unangenehmen Folgen. Zu dem »chef de réception« des Eden
Hotels, Andries van Ameringen, faßt er eine besondere
Zuneigung, er nennt ihn »André« und sehr bald auch »meinen
Sekretär«.
»Ich bekam in letzter Zeit,« - so erzählt Roth - »soviele Bitten
von allen möglichen Leuten, Widmungen in ihre Bücher zu
schreiben, daß ich fast den ganzen Tag damit beschäftigt
gewesen wäre, hätte ich das alles persönlich tun müssen. Darum
habe ich diese Arbeit manchmal meinem Sekretär überlassen.
Dadurch... erlangte der chef de réception noch größere Fertigkeit
im Schreiben meiner Unterschrift. Von dieser Fertigkeit, und
von dem großen Vertrauen, das ich zu ihm hatte, hat der Mann
leider Mißbrauch gemacht25 .«
Einem Amsterdamer Polizeiprotokoll kann man den
Hintergrund dieser Angelegenheit entnehmen. Roth hatte es sich
zur Gewohnheit gemacht, van Ameringen kleine und größere
Geldbeträge »vorzuschießen«, die dieser zum Begleichen von
Roths Rechnungen verwenden sollte, wobei - so lautete die
Übereinkunft - die Ausgaben vom Hotelbesitzer Blansjaar
kontrolliert und verrechnet werden sollten. Drei Wochen
hintereinander hatte Roth zu diesem Zweck jeweils sechzig
Dollar, zwanzig Dollar und zwanzig englische Pfund zur
Verfügung gestellt, für die er keine Belege verlangte. Am 11.
November 1936 muß Roth vor der Fremdenpolizei erscheinen,
um nachzuweisen, daß er als Ausländer genug Geld besaß, um
dem Staat nicht zur Last zu fallen. Roth holt aus Blansjaars

-303-
Geldschrank das Geld, das er dort aufbewahrt hatte - nämlich
fünfhundertfünfzig Dollar - und nimmt Ameringen als
Dolmetscher mit. Da Roth, wie er zu Protokoll gibt, ungern
größere Summen bei sich trägt, übergibt er Ameringen, zu dem
er »vollkommen Vertrauen« hatte, auf dem Rückweg das Geld
in einem offenen Umschlag mit der Bitte, es bei seiner Rückkehr
im Hotel in den Geldschrank zurückzulegen. Als Ameringen
jedoch aus dem Hotel verschwindet, schöpfen Roth und
Blansjaar Verdacht und sehen im Geldschrank nach. Auf dem
Briefumschlag steht: »$ 550 Geld, Roth« in Ameringens
Handschrift. Vierhundert Dollar liegen darin; den Rest hatte
Ameringen entwendet und außerdem, wie sich bald
herausstellte, auf dem Hauptpostamt in Roths Namen zwischen
hundert und hundertfünfzig schwedische Kronen abgehoben, die
Roth von seinem schwedischen Verleger überwiesen wurden.
Außerdem hatte er auch die 80 Dollar und die 20 englischen
Pfund behalten, die Roth ihm in den letzten drei Wochen
ausgehändigt hatte26 . Wohl am bemerkenswertesten an dieser
Geschichte ist die Art und Weise, wie Roth, der in der
Emigration dauernd unter Geldnot litt, diesen schwer
erträglichen Geldverlust hinnahm. Vorher bereits hatte man
Roth darauf aufmerksam gemacht, Ameringen habe etwas von
einem Hochstapler an sich, und in der Tat hatte Ameringen, wie
aus dem Protokoll hervorgeht, im Jahr zuvor eine zweiwöchige
Gefängnisstrafe verbüßen müssen. Roth, der selber derartiges
geahnt haben mag, schlug jedoch die Warnung in den Wind. Als
man ihm nachher Vorhaltungen machte, antwortete Roth
ungehalten: »Was geht mich das Geld an? Ich habe einen
Freund verloren27 !« Roth, der sich einbildete, Ameringen noch
ein paarmal von weitem in der Stadt gesehen zu haben, vertraute
einem Bekannten an, »Man sollte ihn in Ruhe lassen. Der Junge
könnte sich etwas antun«, und betrachtete den Dieb weiterhin
als Freund 28 . Roth, dem das Leben ein ständiger Umbruch war,
blieb in seine n freundschaftlichen Bindungen treu und

-304-
beständig. Der Geldverlust war immerhin schmerzlich genug für
ihn, so daß er noch Monate später darauf zurückkam. Im
Feburar 1937 schreibt er: »(Sie haben vielleicht gelesen, daß mir
im Amsterdamer Hotel mein Honorar für den Roman gestohlen
wurde). Es ist der Roman [gemeint ist Die Geschichte von der
1002. Nacht], der in der Gemeemchap erscheint«27 ". Und im
Mai 1937 schreibt er einem holländischen Bekannten: »Ich bin
offen gestanden, seit dem Raub, den mein Sekretär an mir
begangen hat, vollkommen entblößt...«.27b Von allen Leuten,
denen Roth in Amsterdam begegnet war, freute ihn am meisten
die Bekanntschaft mit Anton van Duinkerken (eigentlich Willem
Asselbergs), dem Essayisten, Historiker, Redakteur, Dichter,
Schriftsteller und brillanten Polemiker, der 1940 zum
außerordentlichen Professor für das Studium Vondels an der
Universität in Leiden, 1952 zum Professor in Nimwegen ernannt
wurde. Ein Wortvirtuose von sprühendem Geist im Deutschen
wie in seiner holländischen Muttersprache, erzkatholisch und
zugleich ein geselliger Bonvivant, der im Trinken nicht weit
hinter Roth zurückstand. Als Roth starb, schrieb van Duinkerken
über ihn: »Roth... [hatte] scheue Augen, die große Schrecken
gesehen hatten und die nach Güte, Gott und Anteilnahme
suchten29 .«
»Als ich ihn kennenlernte, hatte ich den Eindruck, es mit
einem genial angehauchten Menschen zu tun zu haben, der
jedoch diese Seite seines Wesens nur durch Alkohol
hervorzuzaubern vermochte. Fünf oder sechs Schnäpse trank er
hintereinander, darauf kam es wie eine Erleuchtung über ihn,
eine Lawine von Aphorismen wach aus ihm hervor, ein
Sturzbach von Einfällen. Wenn man ihn einen Bohémien
nannte, wies er das nicht zurück. Man hätte sich Roth nicht als
Besitzer einer Wohnung und als Familienvater vorstellen
können. Er wollte frei sein und vertrug keine Einschränkungen
des Gefühls. Immer stand er gewissermaßen auf Kriegsfuß mit
dieser Welt und litt unter den Pharisäern, die ihn einzwängten.

-305-
Zum Teil kam das daher, daß sehr viel von einem Kind in ihm
steckte. Das kam in seinem Schaffensdrang zum Ausdruck - er
fabulierte ständig und seine Phantasie kam nicht zur Ruhe, wenn
er die Feder niederlegte...30 «
Am 4. Juli 1936 schreibt Stefan Zweig an Roth: »Ich komme
eben aus Brüssel... Ich finde Brüssel zum Arbeiten unmöglich,
Ostende wird Ihnen besser gefallen, es gibt hier hunderte billiger
Hotels, außerdem wie überall in Belgien ein für Sie sehr
vorteilhaftes Schnapsverbot. Wir können einander sehr
bestärken und haben das beide notwendig - erneuern wir die
alten Hiobzeiten!... Ich freue mich sehr auf Sie...31 .« Am 9. Juli
findet sich Roth in Ostende ein, ohne Manga Bell und ihre
Kinder, denen er bei seinem monatelangen Aufenthalt in
Amsterdam ferngeblieben war. Zwischen Roth und Manga Bell
war es zu schweren Spannungen gekommen, die mehrmals zu
Trennungen geführt hatten. In Südfrankreich, so erzählt Manga
Bells Tochter, mußte sie sich als vierzehnjähriges Mädchen von
Roth sagen lassen: »Deine Mutter kann man nicht einen
Augenblick allein lassen, sie legt sich gleich mit jedem
Taxichauffeur und Liftboy ins Bett.«
»Ich schlug ihn derart heftig auf den Mund«, so berichtet die
Beleidigte, »daß das Blut strömte. Nachher erklärte Roth jedem,
der zuhörte, ›Wenn ich den Kindern nicht ständig Geschenke
kaufe, schlagen sie mich gleich auf den Mund 32 .‹« Hermann
Kesten erinnert sich, daß Roth während des Aufenthalts in Nizza
seine Lebensgefährtin einsperrte und daß Roth ihn früher schon
gebeten hatte, Manga Bell zu sich zu nehmen, um sie zu
bewachen33 . Ludwig Marcuse, der mit Roth und Manga Bell
öfters zusammentraf, ergänzt: »Durch Roths Einfluß hat auch
Manga Bell sehr viel getrunken, so daß die beiden oft
gemeinsam einen moralischen Katzenjammer durchmachten. In
Paris soll Manga Bell - laut Roth - einen Revolver in der
Handtasche getragen haben. Einmal, als die zwei sich im Café
Sélecte nach einer mehrtägigen Trennung wieder treffen

-306-
wollten, mußte ich Roth begleiten, um aufzupassen, daß sie
nicht nach dem Revolver griff. Es ist aber nichts passiert34 .«
Außenseitern gegenüber neigte Roth dazu, die Kinder Manga
Bells für die Reibereien und finanziellen Schwierigkeiten
verantwortlich zu machen. Im Oktober 1935 gelingt es Roth
endlich, den Jungen in einer Schule und das Mädchen in einem
Kloster unterzubringen35 . Und ehe er im März 1936 für längere
Zeit nach Amsterdam fährt, läßt er seine Frau für »eine Weile«
bei einem verläßlichen Freund in Paris 36 . Angesichts der
Geldnot, in der er sich befand, und der schwierigen
Verhältnisse, in denen er lebte, machte er sich Gedanken, ob er
nicht überhaupt mit seinem Anhang brechen sollte:
»Die Kinder kann ich nicht umsonst unterbringen. Ich kann
nicht eine kleine stinkige 11/2 Zimmerwohnung nehmen, und
mit dem ganzen Zirkus zusammen leben. Obwohl ich ganz
genau weiß, daß Frau und Kinder mir niemals Dank wissen
werden für alles, was ich für sie getan habe, kann ich doch nicht
alle in dieser Not allein lassen. Meine Liebe geht durchs
Gewissen, ebenso wie bei vielen durch den Magen.... [Da ich
aber keine andere Möglichkeit sehe,] trenne [ich] mich gegen
mein Gewissen, von den 3 armen Menschen, die von mir leben.
Ich kann es tun. Aber ich brauche ein Jahr, um diese Tat zu
überwinden, ebenso, wie ich zwei Jahre gebraucht hatte, um die
Krankheit meiner Frau zu überwinden, an der ich immer noch
glaube, schuldig zu sein.... Ich muß frei sein, aber ich will nicht
schlecht sein. Ich kann weder die Menschlichkeit, noch die
Freiheit aufgeben37 .« Das alte Gefühl, das Gebundensein nicht
mehr aushaken zu können, und das unsinnige, ständig sich
steigernde Bedürfnis, ausbrechen zu müssen, waren nicht mehr
zu meistern:
»Ich werde... die Weihnachtstage nicht überstehen können.
Sie ahnen kaum, wie sehr ich mich vor ihnen fürchte. Mein
ganzer Negerstamm kommt angerückt, zum Überfluß und
paradox, mit deutschen Tannenbäumen und arischen

-307-
Sentiments. Nichts ist mir dermaßen verhaßt, wie Harzgeruch
ohne Geld, wenn ich nicht einmal das Kleingeld habe, um in ein
Restaurant zu gehen... Ich erleide unwahrscheinliche
ägyptische Plagen, wenn die Frau nicht ins Kino gehen kann.
Ich muß frei sein, am Abend, ich muß allein sein können, und
mit gutem Gewissen allein sein können. Es steckt in dieser Frau
- wie übrigens in allen - der fatale und sehr natürliche Drang,
mich einzuengen, familiär und zum Haustier zu machen, und ich
kann mich mit gutem Gewissen nur dann davor schützen, wenn
ich sie nicht entbehren lasse. Ohne gutes Gewissen aber kann
ich mich nicht für frei halten. Dann litte ich doppelt.
... meine ganze Kraft verplempert sich in solchem Dreck,
Dreiviertel meines Tages verwende ich für törichtes Zeug, für
lächerliche Sorgen, Keiner ist da, weit und breit, der mir auch
nur ein Telephongespräch abnehmen täte. Ich möchte auch gar
nicht, daß die Frau es tut. Alles wird mir dann ausgelegt werden,
eines Tages, als ›Arbeit‹, ›Verdienst‹ und dergleichen. Ich will
nicht, daß man für mich koche, tippe, telephoniere; ich will
keine Dienste. Alles Das rächt sich eines Tages bitterlich. Ich
muß souverän sein, wie ein Sultan im Harem. Ich bezahle nicht
mit Beischlaf und auch nicht mit Erhaltung sogenannter Dienste.
Ich pfeife darauf.
Ich wünschte, eine höhere Gewalt würde mich befreien...3S.«
Nach einer mehr als zwei Monate währenden Trennung von
Manga Bell ist Roths Stimmung gedämpfter, Reue und
Schuldgefühle, aber auch immer noch Unwille sprechen aus
seinen Zeilen: »Frau Manga Bell mußte ich auch etwas [Geld]
schicken - Diese Frau, die durch ihre Schwäche 50 Prozent
meines Unheils verursacht hat, ist doch ein armer Mensch, und
ich kann nicht ohne tiefste Betrübnis an sie denken39 .« Ein
weiterer Monat vergeht, Roth wird krank, fühlt sich allein und
verlassen und entbehrt die Handlangerdienste Manga Bells bei
seiner Korrespondenz und dem Abtippen und Ordnen seiner
Manuskripte. Er macht Anknüpfungsversuche und schickt

-308-
mehrere Telegramme an sie, die unbeantwortet bleiben, was ihn
ratlos macht: »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. So viele
Jahre, so viel Menschlichkeit umsonst. Ich bin schrecklich
traurig, daß mich ein Mensch so fallen läßt, wie einen Ballast.
Ich bin schrecklich traurig40 .« Als Roth ein »äußerst
erschreckendes« von der Tochter Manga Bells unterzeichnetes
Telegramm mit der Botschaft »prière venir immédiatement«
erhält, fürchtet er, seiner Lebensgefährtin sei Furchtbares
zugestoßen und erkundigt sich telephonisch nach ihr, scheut sich
aber, nach Paris und zu den Kindern zurückzukehren41 . Aus
Ostende schreibt er Mitte Juli 1936 an seine Übersetzerin:
»Frau Manga Bell habe ich 200 fr. geschickt.... Von dem
Geld, [das mir Stefan Zweig] zurückläßt, könnte ich August mit
Frau Manga Bell in Brüssel leben. Ich habe es ihr geschrieben,
aber sie antwortet nicht. Für Paris reicht mein Geld nicht. Ich
muß in Frieden arbeiten, sonst ist mein Leben völlig ruiniert. Ich
habe ein übermenschliches Maß an Arbeit, Aufregung geleistet,
an Demütigung erlitten. Frau Manga Bell hat sich konstant
geweigert, nach den Gesetzen meines Lebens zu leben.
Ihre Kinder waren und sind ihr viel wichtiger, als ich. Ich
werde mich für ihre Kinder opfern. Der Junge ist groß genug,
das Mädchen könnte das Geld haben, das [man]
überflüssigerweise für den Jungen schickt. Es sind übrigens
keine Kinder mehr, sondern zwei erwachsene Menschen, die
mich hassen, die Manga Bell gegen mich hetzen und mich
›boche‹ nennen.... Ich kann Frau Manga Bell allein erhalten, ich
kann aber nichts mehr von den Kindern hören. Ich selbst stehe
am Rande des Abgrunds. Ich kann auch die geringste psychische
Last nicht mehr ertragen, wenn ich nicht umkommen soll. Und
ich will nicht umkommen. Ich will nichts von Menschen wissen,
die ausgerechnet mich ›boche‹ genannt haben. Das ist
unerträglicher Dank 42 .« Roth kann angesichts der
bevorstehenden Lösung von Manga Bell die Schuldgefühle
bannen, indem er sich als Mißhandelten darstellt und sich in

-309-
einen Zorn hineinredet, der ihm die Kraft zum entschiedenen
Handeln gibt. Außerdem braucht er sich nicht mehr so sehr vor
dem Verlassen- und Alleinsein zu fürchten, da er sich eben in
Ostende mit der im Jahr zuvor freiwillig aus Deutschland
emigrierten Schriftstellerin Irmgard Keun angefreundet hat und
bald mit ihr zusammenwohnt. Manga Bells Kommentar hierzu
lautet: »Egon Erwin Kisch war es, der Roth und die Keun
zusammenbrachte, und das habe ich Kisch nie verziehen. Ich litt
schrecklich und monatelang, als Roth mich verließ. Die ganze
Zeit sagte ich mir: ›Eine Hand ist mir abgehauen‹43 .« Ein Jahr
nach dem Bruch mit Manga Bell versucht Roth, da die alten
Reibereien mit ihr verblaßt waren und neue sich in seinem
Verhältnis zu Irmgard Keun einstellten, den Kontakt mit seiner
ehemaligen Lebensgefährtin wieder aufzunehmen. Hierzu
bemerkt Manga Bell: »Auch während der Zeit, in der Roth mit
Irmgard Keun zusammen war, hörte er nicht auf, an mich zu
schreiben. Er bat mich mehrmals um Rat und meinte, ›Du hast
doch immer Mittel für alles‹. Anfang 1938 war es endlich aus
zwischen den beiden. Da stand Roth auf einmal vor meiner Tür
und wollte zu mir zurückkehren, aber ich habe mich
überwunden und ihn nicht hereingelassen44 .« Das Wenige an
emotioneller Geborgenheit, das Roth eine Zeitlang beschieden
war, war ihm entglitten. Das Gefühl der gesteigerten
Haltlosigkeit kommt nun in einem Selbstbestrafungsprozeß zum
Ausdruck. Bei seinem Amsterdamer Besuch 1938 bekennt er
Anton van Duinkerken: »Wenn man eine Frau verraten hat, hat
man nie wieder Glück auf«"den. Angefangen hat es damit, daß
meine Mutter mich verfluchte.«
»Waren das Familiengeheimnisse«, fragt sich van
Duinkerken, »die man nicht hätte hören dürfen? Roth erzählte
mir das in einem Augenblick, in dem er völlig besoffen war und
furchtbar gegen sich selbst wütete45 .«
Einige Male unternehmen Roth und Irmgard Keun die kurze
Straßenbahnfahrt von Ostende nach dem kleinen Badeort

-310-
Bredene sur mer, um Roths Freund, Egon Erwin Kisch, der sich
dort aufhält, zu besuchen.
»Kisch [so berichtet Arthur Koestler] bildete eins der Zentren
der Emigration. Fast alle Emigranten, die sich außer Roth und
Irmgard Keun in Bredene sehen ließen, waren Mitglieder der
Kommunistischen Partei, darunter Willi Münzenberg, der
Korninternchef des westeuropäischen Agitprop und sein erster
Leutnant und seine rechte Hand, Otto Katz. Die Keun
sympathisierte mit uns und beteiligte sich an unseren
Gesprächen über die Ereignisse in Spanien, wo der Bürgerkrieg
gerade ausgebrochen war, während Roth mit seiner Ansicht
zurückhielt und nur an der Gesellschaft von Kisch interessiert
war. Die zwei fanden offensichtlich Gefallen aneinander, aber
ihre Beziehung beschränkte sich auf ein gegenseitiges Frotzeln,
zu wirklichen Diskussionen zwischen den beiden kam es nicht.
Sagte man etwas zu Roth, so antwortete er aphoristisch, ohne
ernst zu werden. Manchmal mischte er sich unter die Leute, weil
er die animalische Wärme suchte, und blieb auch dann einsam.
Wegen seiner Sympathien für die Zeit Kaiser Franz Josephs
betrachteten wir ihn als den letzten Saurier der Monarchie. Roth
war ein Mensch, der alle Hoffnung aufgegeben, die Welt
abgeschrieben hatte46 .«
Sehr überzeugend wirken die Eindrücke, die Irmgard Keun in
der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft mit Roth gewann: »Als ich
Joseph Roth zum erstenmal in Ostende sah, da hatte ich das
Gefühl, einen Menschen zu sehen, der einfach vor Traurigkeit in
den nächsten Stunden stirbt. Seine runden blauen Augen starrten
beinahe blicklos vor Verweiflung, und seine Stimme klang wie
verschüttet unter den Lasten von Gram. Später verwischte sich
dieser Ausdruck, denn Roth war damals nicht nur traurig,
sondern auch noch der beste und lebendigste Hasser...47 «
Anderthalb Jahre verbringt Irmgard Keun mit Roth. Ostende,
Paris, Wilna, Lemberg, Warschau, Wien, Salzburg, Brüssel und
Amsterdam sind die Stationen ihres gemeinsamen Weges, und

-311-
es sind zugleich die
Stationen, die sie in ihrem Roman Kind aller Länder
nachzeichnet. Nach eigener Aussage ist dieses Werk die
Darstellung ihres Lebens mit Roth, wobei dieser für den
charmanten und verlotterten Emigrantenschriftsteller Modell
steht, der sich und seinen familiären Anhang durch wunderliche
pekuniäre Kunstgriffe über Wasser hält. Über den Beginn ihrer
Beziehung zu Roth erzählt Irmgard Keun: »Egon Erwin Kisch
und seine Frau Gisela führten mich ins Café Flore in Ostende.
Wenig später kam Stefan Zweig mit einem Herrn herein, der vor
Trunkenheit schwankte und dessen Rock mit Zigarettenasche
bedeckt war. Kisch sagte belustigt, mit einem Blick auf den
Rock, ›Was? Ohne Krone ! Ohne Hermelin!‹ und stellte mir
Joseph Roth vor. Ich hatte Deutschland 1935 im Alter von
fünfundzwanzig Jahren verlassen, aber Roth gab sich damit
nicht zufrieden, er wollte gleich am ersten Abend wissen,
warum ich nicht schon 1933 emigriert sei. Beim ersten Gespräch
mit ihm fielen mir seine zarten schmalen Hände mit den
ungewöhnlich langen Fingern auf. Sie paßten schlecht zu seinem
schrecklich dicken Bauch, und später entdeckte ich, daß seine
Beleibtheit und seine mageren Beine ihm etwas vom Aussehen
einer Kreuzspinne verliehen.
Beim Gehen und Stehen hielt er sich kerzengerade, wohl weil
er klein war. Seinen rötlich blonden Schnurrbart hatte er sich
wachsen lassen, um seine defekte Zahnreihe zu bedecken. Mich
haben seine Zähne nicht gestört, er litt aber darunter und wollte
sich trotzdem kein Gebiß machen lassen. Er hatte blaue, etwas
hervorstehende Augen und sehr schöne lange Wimpern. Als ich
ihm einmal ein Kompliment darüber machte, erzählte er mir, er
sei einmal durch eine Augeninfektion erblindet, so daß man ihm
alle Wimpern ausreißen mußte. Durch diesen Vorfall mußte er
in einer Schar von blinden Männern endlos im Kreis
herumgehen, wobei er manchmal an die Wand taumelte. Es
hörte sich ein wenig wie The Ballad of Reading Gaol an. Ich zog

-312-
sehr bald in Roths Hôtel de la Couronne. In Belgien fingen wir
den Tag mit dem Horoskop des Paris Soir an. Roth meinte halb
im Ernst, dadurch könnten wir erfahren, wo das nächste Geld
herkommen würde. In der Zeit, in der ich sein Leben teilte,
haben wir nicht gehungert, aber wir waren dauernd in
Geldverle genheit. Immer mussten wir uns Sorgen machen,
wovon wir die Hotelrechnung bezahlen sollten, ob das
vorhandene Geld reichen würde, bis das Buch, an dem gerade
gearbeitet wurde, fertig war. Unsere Sachen haben wir ein
paarmal verpfändet und einmal, als unsere Visa abgelaufen
waren und wir in ein anderes Land reisen mußten, fuhren wir im
teureren Waggon Lit, weil man so am ehesten um die
Paßkontrolle herumkam. Aber irgendwie kam immer Geld,
gerade wenn es am schlimmsten aussah...
Er merkte, daß es mir Freude machte, seine Geschichten
anzuhören. Wir haben am selben Tisch unsere Bücher
geschrieben, aber über Literatur hat er mit mir nicht gesprochen
- das tat er lieber mit Hermann Kesten. Statt dessen unterbrach
er sich hin und wieder beim Schreiben und sagte: ›Kaninchen,
ich hab a' scheene Erfindung.‹ Er lächelte und gleich war er
mitten drin. Manchmal ging es auf eine winzige Begebenheit
zurück, die sich in unserer Gegenwart abgespielt hatte, aber
seine sekundenschnell reagierende Phantasie hatte sie in etwas
anderes verwandelt.
Ich spielte gerne Schabernack mit ihm, aber bei seinen
Hirngespinsten in bezug auf Legitimismus und k. und k. Offizier
machte ich nicht mit. Auf der Grande Place in Brüssel wollte er
bei einem militärischen Aufmarsch ›habt Acht‹ stehen. Da habe
ich abgewinkt - ›ohne mich‹ -, denn ich bin keine Romantikerin.
Ich konnte echte Rohheit zeigen, Roth konnte sie nur spielen.
Wir waren manchmal stachelig wie Igel zueinander, aber er war
es, der darunter litt. Roth konnte verletzend und arrogant sein,
aber wenn es zu weit ging, lenkte er ein und sagte: ›Man soll
einen Menschen nicht beschämen.‹...48 «

-313-
Um das Jahresende 719367 kehrt Roth nach Paris zurück.
/Über Roths politische Haltung nach 1933 berichtet/ Bruno Frei,
in den frühen zwanziger Jahren Roths Nachbar in Berlin: »Im
Frühjahr 1933 war ich zum erstenmal in Paris. Nach einer
kurzen Begegnung mit Roth in Les Deux Magots gingen wir
zusammen auf sein Zimmer im Hotel Foyot, weil ich ihn über
die Politik, die er vertrat, herausgefordert hatte und ihn um eine
gründliche Aussprache bat. Er hatte eine große Wandlung
durchgemacht, gab sich als Monarchisten aus und war als
Verteidiger des österreichischen Ständestaats ein Anhänger des
Faschismus geworden. Ich machte ihm meine Einstellung als
Kommunist klar und zog ihn zur Rechenschaft. Roth bekannte
sich zu Dollfuß und Schuschnigg und hielt mir vor, die
Kommunisten hätten in Deutschland durch ihre Störaktionen
eine stabile
Regierung unmöglich gemacht und somit den Nazis Vorschub
geleistet. Wir konnten uns nicht einigen, Roth wurde immer
erregter, trank dabei unentwegt schwarzen Schnaps, geriet bald
in Raserei und zerschlug die Möbel. Wir gingen unversöhnt
auseinander und zu einer weiteren Auseinandersetzung ist es
nicht mehr gekommen. Das heißt, wir sahen uns immer wieder
in größerem Kreis, aber unsere Gespräche beschränkten sich auf
Neckereien49 .«
Gustav Regler, der ebenfalls Kommunist war, teilt mit: »1933
bis 1935 erregte ich Roths Mißfallen wegen meines Glaubens an
die extreme Linke... Ich hielt ihn für einen echten Dichter und
einen reinen Tor.
Daß er den geheimen Kummer über sein Jahrhundert, in dem
er noch leben mußte, in Hennessy und Fernet Branca ersäufen
mußte, hat mich damals um so mehr bekümmert, als er damit
jeden Einfluß auf die Jüngeren verlor; aber wollte er je Einfluß
haben50 ?« Auch Arthur Koestler spricht im Sinne der damaligen
Linken mit seiner Stellungnahme: »Wir hielten seine Haltung
der Monarchie gegenüber für reine Don Quichotterie51 .«

-314-
Roth hat es nicht bei seinem Bekenntnis bewenden lassen,
Anhänger der Wiederherstellungsidee zu sein, er versucht,
Politik zu machen und Kräfte für die Bewegung, die nunmehr
die seine geworden ist, zu mobilisieren. In der ersten Zeit steckt
er voller Pläne für die Restauration der Habsburger, die er durch
persönlichen Einsatz zu inszenieren gedenkt. So schreibt er
Zweig 1933: »... in Österreich ist die Geschichte so, daß Herr
Dollfuß innerlich bereit ist, die Monarchie anzuerkennen.
Sobald das fait accompli geschaffen ist, wird er zustimmen.
Unser Plan ist, den toten Kaiser von Lequeto nach Österreich zu
schaffen und damit auch den lebenden. Wir brauchen dazu 30
000 Schilling, die haben wir nicht vorläufig52 .« Oder er glaubt
sich auf Nachrichten stützen zu dürfen, die ihm verheißungsvoll
erscheinen: »Ich habe die Mitteilung, daß die Habsburger bald
nach Wien kommen und daß die Wittelsbacher mit ihnen in sehr
intimem Konnex stehen. Der Katholische Klerus in
Deutschland, in Bayern zu mindest, ist davon unterrichtet. Der
protestantische in Österreich ist vollkommen umgeschwenkt
vom Nationalsozialismus zu Österreich53 .« Die Monarchisten,
mit denen er gemeinsame Sache macht, möchte er zu größerer
Aktivität anspornen und sie aus der Reserve ihres phantasielosen
Zauderns herauslocken. /Aber/ man reagiert nicht auf Projekte,
die ihn begeistern, und ist taub für seinen Vorschlag, im Namen
der Bewegung..er Königin von England eine Bittschrift zu
überreichen54 . Noch im Frühjahr 1939, ein Jahr nach dem
Anschluß und wenige Monate vor seinem Tod, heckte Roth
einen Plan aus, mit dem er den Lauf der Geschichte umleiten
wollte. Er weiht einen geheimen Kurier einer monarchistischen
Bewegung Tirols in seinen Plan ein, Truppenverbände aus
österreichischen Emigranten zu rekrutieren, die sich bei
Kriegsausbruch mit österreichischen Legionen vereinigen
sollten, die gezwungen worden waren, in der Wehrmacht
mitzukämpfen, um somit mit Hilfe der Alliierten einen Keil
mitten durch Großdeutschland zu treiben55 .

-315-
Angesichts der Hitlerschen Barbarei erloschen Roths frühere
Bedenken über die Mängel der alten Monarchie 56 . »[Wo war]
nun die ganze Grausamkeit der Habsburger zu erkennen«, fragt
er rhetorisch, »[wenn nicht in ihrer] tyrannischen Tendenz zur
friedlichen Einigung der Völker der Monarchie [um] eine
großzügige und weitangelegte Welt- und Völkerpolitik [zu]
betreiben ;..57 ?« Durch die Revision seiner Meinung über die
österreichische Staatspolitik stattet er seine alte Heimat mit einer
neuen Vergangenheit aus. Noch üppiger wuchert seine Phantasie
in einem Artikel, den er 1935 in einer Wiener Zeitung publiziert.
Es sind hymnischsentimentale Töne, die er anschlägt,
wohlwissend, daß seine Herzensergüsse einen begrenzten Kreis
erreichen würden58 .
/Klaus Dohrn, der Herausgeber des »Christlichen
Ständestaates«, der Roth den Kontakt zu dem Thronfolger
vermittelte, berichtet:/ »Roth [war] am Tag der Verabredung so
nervös, daß er mehr trank als gewöhnlich, so daß er nach
Alkohol roch und ein wenig torkelte. Ich habe ihn nie ganz
nüchtern und auch nie ganz betrunken gesehen, aber diesmal
machte ich ihm den Vorwurf: ›Hättest Du diesem Anlaß zuliebe
das Trinken nicht einmal lassen können?‹ Roth erwiderte: ›Was
verstehst du boche davon, wenn ich meinen Kaiser besuche?‹
Roth hatte dann gleich eine Auseinandersetzung mit Otto, von
dem er wissen wollte: ›Majestät, wer ist hier der Legitimist, Sie
oder ich?‹ Ein anderes Mal beklagte er sich bei Otto über einige
seiner Anhänger, die Roth nicht paßten, und fügte hinzu: ›Wir
haben zwar noch keinen Hof, aber die Camarilla haben wir59 .‹«
Roth, der Brodyer Jude, sah sich nunmehr als den Intimus des
österreichischen Thronanwärters. »J'ai vu mon empereur«, rief
er mit Stolz seiner Übersetzerin zu60 . Der Kaiserin Zita, die
wegen ihres strengen
Katholizismus bekannt war, habe er laut eigener Aussage
erzählt, er werde erst dann glücklich sein, wenn er ins Kloster
gehe61 . »Roth war in Hochstimmung, wenn er Otto verließ«,

-316-
sagt Jean Janès aus. »Wenn man ihm dann nicht respektvoll
zuhörte, war er verstimmt oder wütend, denn er wollte als
eminence grise akzeptiert werden62 .« Otto selber hat Roths
Besuche noch klar in Erinnerung: »Roth gehörte zu den
tragenden Säulen der Bewegung und unterstützte sie durch das
Prestige seines Namens. Er war mit Leib und Seele dabei, sehr
verbunden mit der Tradition, und mit allen Fasern seines
Herzens Offizier. Etwa drei Wochen vor dem Anschluß,
ungefähr zwischen dem 25. Februar und dem 5. oder 6. März,
war er in Wien und versuchte bei Schuschnigg vorzusprechen.
Als ich nach dem Anschluß daran ging, eine Exilvertretung
aufzubauen, stellte sich Roth sofort zur Verfügung. Ein
Tagespolitiker war er nicht, denn die kleinen Dinge machten ihn
ungeduldig. Roth dachte übernational und wollte das
Tagesgeschehen in großem Rahmen sehen. Er interessierte sich
besonders für die österreichische Legion, die wir aufstellen
wollten, und gedachte auch persönlich und militärisch
mitzumachen...63 .«
Roth, der sich 1923 noch in Wiener Kaffeehäusern atheistisch
oder antireligiös äußerte64 , hatte sich mit seiner neuentdeckten
Liebe zu den Habsburgern zum Hasser von deren Feinden - des
»Preußentums« und des Protestantismus - entwickelt und sich zu
deren Stützen bekannt: dem k. und k. Militär und dem
Katholizismus. Der österreichische Patriotismus, der
Monarchismus und die Neigung zum Katholizismus haben alle
dieselben Wurzeln. Es handelt sich um das Bedürfnis eines
Bindungslosen nach der Unterwerfung, des Festhalten an altem
Brauch wie an der geheiligten Tradition, und um die Sehnsucht
des Gefährdeten nach Ordnung, Hierarchie und Geborgenheit. In
der Bejahung seiner Abhängigkeit von den von ihm erwählten
Autoritäten findet er das Ideal, das das dubiose Leben noch
lebenswert macht und dem Eindruck des ständig Zerfließenden,
der seine Existenz kennzeichnet, entgegenwirkt. Da aber die
Gegenstände seiner Liebe selber verlebt oder im Rückzug

-317-
begriffen sind, muß er seine Zugehörigkeit mit Inbrunst betonen.
»Glauben wir! Glauben wir!«, heißt es 1934 in einem Brief an
Ernst Krenek. »Da die Dreckkerle [d.h. die Nazis] an die Hölle
glauben, können wir ihnen nicht mehr mit der raison begegnen,
sondern mit dem Glauben, dem Glauben an den Himmel65 .«
Über Roths religiöse Praktiken als Katholik steht Aussage
gegen Aussage. Hans Natonek, ein getaufter Jude, erzählt: »Zu
Weihnachten 1938 ging eine größere Gruppe Emigranten in
Paris zur Mitternacht-Mette. Wir sahen alle, wie Roth nach der
Beichte zur Kommunionbank ging und die Hostie empfing. Er
kehrte mit einem so verklärten Blick zurück, daß ich seine
Gefühle für echt halten mußte. Sein Katholizismus muß mehr
als pure Einbildung gewesen sein66 .« Jean Janès berichtet, in den
letzten Monaten von Roths Leben sei er jeden Sonntag mit ihm
zur Messe in eine vornehme, eigens für die Österreicher
reservierte Kapelle des Dominikanerklosters auf dem Boulevard
Latour-Maubourg gegangen, wo der Kanonikus Brenningmeyer
um n Uhr den Österreichern eine Predigt zu halten pflegte67 , was
auch von Friderike Zweig bestätigt wird68 . Max von Riccabona,
der sich als der Urgroßneffe eines Kardinals und dreier
Fürstbischöfe ausweisen kann, erzählt, er sei ebenfalls bei
diesen Kirchbesuchen mit Roth anwesend gewesen, ergänzt
jedoch erläuternd:
»Weniger als zwei Wochen vor seinem Tod kam ich gerade
dazu, als Roth im Café Tournon zusammenbrach. Es dürfte etwa
drei Uhr nachmittags gewesen sein; ich ging über die Straße und
sah, wie er hineingetragen wurde. Er muß draußen im
Vorgärtchen gesessen haben, denn er trug seinen hellgrauen
Frühjahrsmantel. Roth, der auf einer Bank lag, als ich
hineinging, erkannte mich und sagte: ›Herr von Riccabona, ich
muß Ihnen sagen, ich bin gar nicht katholische Ich fragte, ob ich
dies dem Kanonikus Brenningmeyer sagen sollte, und er nickte.
Darauf rief ich bei Brenningmeyer an und teilte ihm das mit. Ich
hörte, Brenningmeyer soll Roth besucht haben, aber was weiter

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geschah, weiß ich nicht. Später interpellierte mich Soma
Morgenstern darüber, aber ich habe ihm nichts davon erzählt69 .«
Erika Mann bezeugt: »Als ich Roth einmal über seinen
Katholizismus herausforderte, hat er eine Zeitlang getobt und
dann gesagt: ›Erlauben Sie, ich bin getauft. Mein Bischof heißt
Chaptal70 .‹« Roth äußerte sich zu dieser Frage 1937 in Wien in
aller Öffentlichkeit, nachdem er seinen Vortrag »Der
Aberglaube an den Fortschritt« vor den Herren der jüdischen
Studentenverbindungen gehalten hatte. Bei der anschließenden
Diskussion stellte man ihm nämlich die Frage, warum in der
Zeitung zu lesen sei, er gedenke fortan seine Werke im
katholischen Verlag De Gemeenschap erscheinen zu lassen.
Roths abrupte Antwort lautete: »Weil ich getauft bin71 .«
Die Stimmen, die sich zu dieser Behauptung negativ
verhalten, drücken sich mit Emphase aus. René Schickele
behauptet, bei Roths bestürzender Unkenntnis der katholischen
Lehre und des katholischen Gottesdienstes sei es
ausgeschlossen, daß man ihn jemals zur Taufe zugelassen
hätte72 . Pierre Bertaux meint seiner Sympathie für Roth nicht
Abbruch zu tun, wenn er konstatiert: »Je crois que son
catholicisme était une position politique. Je suis convaincu qu'il
n'avait aucune foi en lui73 .« Manga Bell, die behauptet, nie
Anlaß gehabt zu haben, Roths Katholizismus ernstzunehmen,
kommentiert: »Soma Morgenstern und ich haben oft darüber
gespaßt. Einmal fragte ich Morgenstern, als der mich in Les
Deux Magots grüßte, ›Wissen Sie, wo sich Roth herumtreibt?‹
›In der Messe Latour-Maubourg.‹ ›Und wann kommt erwieder?‹
›Wenn der Meßwein alle ist74 .‹« Die katholisch erzogene
Irmgard Keun sagt aus: »Roth wußte nichts vom Katholizismus.
In den achtzehn Monaten, die wir zusammen verbrachten, ging
er kein einziges Mal zur Messe, geschweige denn zur
Kommunion. Dafür hat er mir mehrmals gesagt: ›Bitte, laß mich
katholisch beerdigen75 ^«
Während Friedrich Torberg, der ein überzeugter Glaubensjude

-319-
ist, Roths Katholizismus »zu seiner Exaltiertheit und seinen
Provokationen« zählt7 ', behauptet Kesten, Roth habe ihm zwar
mehrmals versichert, er sei nie getauft worden, aber er für
seinen Teil finde die ganze Polemik über Roths Taufe
unergiebig, da man im Tiefinnersten ein Christ sein könne, ohne
die Taufe empfangen zu haben77 .
Wie dem auch sei, die Identitätsspannungen des katholischen
Juden oder des jüdischen Katholiken Roth erreichten nun wieder
eine Zeitlang einen Höhepunkt, da ein neuer Auftrag ihn zu
seinen jüdischen Landsleuten in den Osten führte.
Im Februar und März 1937 hält Roth in mehreren Städten
Polens auf Einladung des polnischen Pen-Clubs seinen Vortrag -
meist in polnischer Sprache - »Der Aberglaube an den
Fortschritt«78 . Seine Aufgabe, die herzlich wenig nach seinem
Geschmack ist, führt ihn auch nach Wilna, und von dort aus
benachrichtigt er seine Übersetzerin Blanc he Gidon, er komme
soeben aus Warschau und bereise nun die Grenzstädte: »Ich
fahre von einem kleinen Ort zum anderen, ein Wanderzirkus,
jeden zweiten Abend im Smoking, es ist schrecklich, jeden
zweiten Abend den gleichen Vortrag79 .«
»Jeder von uns ist gefesselt an seine Vergangenheit80 .« Dieses
so typische Roth-Wort hat sich wieder einmal anläßlich seines
Aufenthalts in Lemberg bewahrheitet. Es war nicht die
triumphale und übermütige Rückkehr vom Juli 1924, als der
neugeborene, von seiner schönen Gattin begleitete Romancier
selbstbewußt im Auftrag der »Frankfurter Zeitung« dort
hingefahren war. Die dreizehn dazwischenliegenden Jahre
hatten seinen Lebenswillen gebrochen und ihn an sich selbst und
der Welt irre gemacht. Trotzdem lebt Roth in dem vertrauten
und von ihm verleugneten ehemaligen Galizien auf. »Seit
ewigen Zeiten bin ich nicht mehr da gewesen. Ich muß es noch
einmal sehen«, sagte er erwartungsvoll auf der Fahrt nach
Lemberg zu Irmgard Keun81 . In Lemberg, wo alles glatt und
vereist ist und man Taxischlitten benutzt, in denen man auf

-320-
Stroh sitzt - wie Roths Begleiterin berichtet - wohnen sie im
Hotel Europejski. Am Nachmittag halten sie sich meistens im
Café Roma in der Akademicka Allee auf, wo Irmgard Keun
ihren Roman Nach Mittemacht zu Ende schreibt; es ist das
Lokal, das Roth Jahre zuvor als ein »Literaten-Cafe« schilderte,
in dem »sich die Grenzen zwischen Seßhaftigkeit und Bohème«
verwischen82 . Das Angebot der Grübels, bei ihnen zu wohnen,
weist Roth mit kaum unterdrückter Heftigkeit zurück, was er
Irmgard Keun gegenüber mit der Erklärung begründet: »Bei
Verwandten leben ist furchtbar. Außerdem haben die Juden
schrecklich kleine Schnapsgläser, so groß wie Fingerhüte83 .«
Die alten Ressentiments des ehemaligen Mündels tauchen
wieder auf, obwohl die Einladung von seinen ungefähr
gleichaltrigen Cousins ausging, die er in der kurzen Zeit des
Aufenthalts zu Hause immerhin mehrere Male besucht. Seine
eigentliche Wiedersehensfreude gilt der Frau von Szajnocha-
Schenk (»Die mußt du kennenlernen, - eine edle Dame«, sagt er
zu Irmgard Keun), aber auch mit Paula, die ledig geblieben war,
der verwitweten Resia und Heini, der nunmehr
Weingroßhändler geworden ist, unterhält er sich nicht ungern.
Paula hatte den Kontakt mit ihm all die Jahre aufrechterhalten
und ihn einige Male auch aufgesucht, zuletzt im Jahr zuvor, als
sie ein paar Wochen in Roths Amsterdamer Eden Hotel, wo die
Beziehung eher herzlicher Natur war, verbrachte. Aber hier in
ihrem eigenen Milieu weckt sie eine unterschwellige Reizbarkeit
in ihm, vor allem, wenn sie versucht, Roth von seinem
übermäßigen Trinken abzubringen. Anscheinend neigte Roth
dazu, in Paulas väterlichem Hause den Zorn, zu dem der nun
verstorbene Siegmund Grübel ihn früher reizte, an dessen es mit
ihm gut meinender Tochter auszulassen. Ein Glas
Himbeerwasser, das Paula lieber Roth eingeschenkt hätte, reicht
sie dessen Freundin, mit dem Ergebnis, daß diese schnurstracks
zum Badezimmer läuft, um sich dort zu übergeben. Hierauf
herrscht der aufgebrachte Roth seine Kusine an, »Warum gibst

-321-
du ihr auch so was?« Als Paula Roth zu einem anderen
Zeitpunkt mitteilt, sie wäre gern bereit, ihm ein Gebiß anfertigen
zu lassen, erzählt Roth - der sofort abwinkt - Irmgard Keun
davon und schließt mit dem erbitterten Kommentar: »Bezahlt
Paula meine Zähne, dann besitzt sie auch einen Teil von mir84 .«
Ganz anders wird aber die Stimmung Roths, wenn er mit
Paula zum jüdischen Friedhof hinauswandert, dort durch die
Gräberreihen geht und die hebräischen Namen einzelner
Grabsteine laut liest. Diese Begebenheit schildert Paula in einem
Brief an Blanche Gidon, in dem sie Roths Bemerkung
wiedergibt, »Hier liegen viele gute Menschen begraben« und
mit dem Kommentar schließt: »Im Grunde ist er sehr jüdisch
geblieben85 «.
»... das Heimweh ist eine süße Krankheit, die man nicht
missen mag, wie die Sehnsucht und die Liebe. Es ist also
manchmal, als wären die Menschen, obwohl sie Füße zum
Wandern haben, dennoch den Bäumen ähnlich, in einem
bestimmten Teil der Erde unsichtbar, unerklärbar verwurzelt.
Sie können vor Heimweh krank werden und sterben. Kranke
aber können gesunden, sobald sie wieder den heimatlichen
Boden berühren86 .« So lautet eine Stelle in einem Ruth-
Feuilleton aus dem Jahr 1930. Und noch früher hatte er
geschrieben: »Juden sind leicht gerührt - das wußte ich. Aber ich
wußte nicht, daß ein Heimweh sie rühren könnte87 .« Diese
Zeilen verallgemeinern, aber die Aussagen Irmgard Keuns
lassen erkennen, daß Roth mit ihnen seinen eigenen Fall
schildert: »Roth lebte in Polen unter den Juden auf. Dort aß er
wieder ordentlich und war gesund und natürlich. Nur dort, wo er
herstammte, war er nicht tausendfach zersplittert. Er zeigte sich
stolz auf die ärmsten der Juden, wie solche, zu denen er mich
einmal führte, die in einem Keller wohnten, in dem die Kerzen
auch bei Tag brannten. Er setzte sich an ihren Tisch und sprach
Jiddisch mit ihnen, so daß man seine Menschenliebe
herausfühlte und ich ihn selber lieben mußte. Er erzählte mir

-322-
auch in einem Ton der Bewunderung von jüdischen
Verwandten, die vollkommen orthodox lebten, aber bei denen er
mich als Nichtjüdin nicht einführen dürfe.
Als ich ihn fragte, warum er denn nicht nach Brody fahre,
wurde er still und in sich gekehrt. Er hatte Angst vor dem
Wiedersehen. Ich glaube, etwas zog ihn dorthin, aber die
Erinnerungen, sowohl die guten wie die bösen, die sich dort
seiner bemächtigt hätten, hätten ihn zu sehr erregt 88 .«
Roth, dessen Lebensführung in den letzten Jahren radikalen
Änderungen unterworfen wurde, war die Emigration zu einer
Belastungsprobe der Identität geworden - er wußte nicht mehr,
wo der Misrach* lag. Aus den Lebensgeschichten emigrierter
deutscher Schriftsteller geht deutlich hervor, daß diejenigen am
besten bestehen und am ehesten in der veränderten Lebenslage
Fuß fassen konnten, die sich von vornherein mit sich selb st und
der eigenen Herkunft identisch fühlten. Im Falle Roth jedoch
handelt es sich um eine ständig schwankende Identität, die sich
in den vielen Brechungen der Mythomanie spiegelte. Es war
eine weitere Form der Flucht, die sich in dem Bedürfnis nach
einer ständigen Korrektur seiner eigenen Lebensgeschichte
sowie in dem Bestreben, zu einem ihm gemäßen Image zu
gelangen, ausdrückte. In der Emigration war Roth wieder
bestrebt, intensiver als zuvor, das eigene Ich zu verbessern.
Diesmal befand er sich in einem Fangnetz, aus dem er sich
schwer befreien konnte. Er wollte den zweifachen Makel von
sich abschütteln, als Deutscher und als Jude zu gelten. Das
Dilemma, mit dem er kämpfte, wurde während der Emigration
von einem nach Frankreich geflüchteten deutschen Juden
umrissen: der Jude sei dadurch gekennzeichnet, daß er mehr und
immer noch anderes sei als nur Jude, daß sein Leben gleichsam
aus zwei Quellen gespeist werde, der jüdischen und einer
anderen; seine gesamte Existenz sei von einem Dualismus
durchtränkt, vo n dem er nicht los komme, sofern er unter
anderen Völkern lebe89 .

-323-
Im Jahre 1935 behauptet Roth - der nunmehr dabei war, ein
neues Ich zu kreieren - mit Worten, die stellvertretend für viele
ähnliche stehen können: »Ich bin mit Wonne ein Abtrünniger
von Deutschen und Juden und bin stolz darauf. Ich bin
infolgedessen kein Abtrünniger von Christen und Menschen90 .«
Dadurch, daß Roth seine Identität als Jude »aufgibt«, hört auch
die Gefahr auf - zumindest in seinen eigenen Augen - man
könne seine Ablehnung des Nationalsozialismus auf sei
* hebr.: Sonnenaufgang. Himmelsrichtung, zu der man sich
/in westlich von Jerusalem liegenden Ländern/ beim Beten
wendet. ne jüdische Herkunft zurückführen. Dies geht so weit,
daß er bei einem Gesuch um Unterstützung von sehen des
»American Guild for German Cultural Freedom« faktisch einen
nichtjüdischen Joseph Roth vorschiebt. Die Auskunft, die er
beim Ausfüllen des Fragebogens über sich erteilt, lautet:
»Gehört zur deutschen Emigration auf Grund seiner
Überzeugung als Katholik und österr. Legitimist. War nicht
verbrannt und nicht verboten und hat selbst durch einen gegen
Hitler gerichteten Artikel ›Ich verzichte‹ sein Verbot in
Deutschland durchgesetzt91 .« Dadurch, daß Roth angeblich nicht
von Staats wegen verboten wurde (wahr ist, daß er von der
Bücherverbrennung betroffen und auf die Liste der
»Unerwünschten« gesetzt wurde), sondern durch sein eigenes
Zutun das »Verbot« erwirkt hatte, konnte er sich von dem
Verdacht, sich die Ungunst der Nazis »unverdienterweise«, d. h.
als Jude, zugezogen zu haben, befreien. Ein belgischer Jude, der
Roth erst in der Emigration kennenlernte, meint: »Roth war ein
nichtassimilierter Ostjude, der gern den assimilierten Juden
Österreichs mimte92 .« In diesem Paradox steckt ein Körnchen
Wahrheit, denn den assimilierten österreichischen Juden Wiens
war die jüdische Kompomente ihres Ich in der Tat oft genug
ziemlich gleichgültig. Bei Roth dagegen, der vom Jüdischsein
durchtränkt war, konnte dieses Stadium der Gleichgültigkeit nur
auf die wohl widersprüchlichste Art erreicht werden, nämlich

-324-
durch Vorsatz und Anstrengung. Dem seinem Wesen nach viel
weniger jüdischen Zweig schreibt er: »Mein Judentum ist mir
nie anders, als eine akzidentelle Eigenschaft erschienen, etwa
wie mein blonder Schnurrbart (er hätte auch schwarz sein
können). Ich habe nie darunter gelitten, ich war nie darauf
stolz93 .« Und Roth, der in Juden auf Wanderschaft freimütig
versichert hatte, er sehe ein, man sei nicht umsonst 4000 Jahre
Jude gewesen, nichts als Jude94 , ist jetzt davon überzeugt, daß
die Juden, da sie sich in Auflösung befinden, in fünfzig bis
hundert Jahren nicht mehr vorhanden sein werden95 .
Weiterhin behauptet er, man gehe in Deutschland schließlich
nicht gegen die Juden allein vor, »obwohl sie, wie immer, das
schärfste Geschrei erheben96 «. Letzteres schreibt er allerdings
1933, zu Beginn der Naziherrschaft, aber noch vier Jahre später
gibt er sich der Illusion hin, der Antisemitismus in Deutschland
sei nur ein Vorwand für den »Antichristianismus«97 . Indem er
das Jüdische in sich sozusagen wegeskamotiert, will er sich auch
von den Juden distanzieren, die er angesichts der großen
Zusammenhänge des Zeitgeschehens als quantité négligeable
betrachten möchte.
1929 hatte Roth vorgehabt, ein Buch mit dem Titel Die Juden
und ihre Antisemiten** zu schreiben, und noch zu Beginn der
Emigration greift er auf dieses Projekt zurück, ohne jedoch
damit vorwärts zu kommen". Strenggenommen hätte sich der
Roth der Emigration selber zu den Antisemiten zählen können.
/Roths Bemühungen, sich von den Juden abzusetzen, erhellt die
Beobachtung des Kulturphilosophen Erich Kahler,/ unter den
Juden herrsche ein Verwandtschaftsgefühl, das sie als Gruppe
von anderen Gruppen absetze. Dieses Gefühl der
Verwandtschaft habe mit persönlichen Beziehungen nichts zu
tun - da diese sich für manche Juden mit Nichtjuden
angenehmer gestalte - und auch nicht mit persönlicher
Sympathie. Im Gegenteil, das Verwandtschaftsgefühl komme
oft am stärksten in der ungestümen Gereiztheit über jüdische

-325-
Eigenheiten zum Ausdruck, nämlich im jüdischen Selbsthaß,
wie er in diesem Ausmaß unter anderen Völkern kaum zu finden
sei100 .
Vor der Emigration war Roth noch imstande, Gutes wie
Schlechtes an den Juden zu finden und dabei seinen
Beobachtungen eine Prise Ironie beizugeben, wie etwa, wenn er
konstatierte: »... man muß nicht einmal überzeugter Antisemit
sein, um zu wissen, daß die Juden der Welt die Heiligen und die
Lästerer geben101 .« In der Emigration dagegen lassen sich viele
seiner Behauptungen beinah in der Rubrik der Naziparole
unterbringen, »Die Juden sind unser Unglück«, wie z. B., »Die
Juden haben den Marxismus gesät und das Hakenkreuz geerntet
- den Schlamassel haben sie sich selbst eingebrockt102 «; »Les
juifs... ont amenées [sic] le socialisme et la catastrophe de la
culture européenne 103 «; und was seine monarchistische Politik
betraf, so waren »die liberalen Juden [unter anderem] die
Totengräber der Monarchie104 .«
Privat, in Gesellschaft, auf deren Sympathie er rechnen
konnte - fast immer waren es Juden - machte er Spaße über die
eigene Gespaltenheit. So schließt er einmal auf einer Karte »mit
christlichen Weihnachtsgrüßen aus jüdischem Herzen«, und ein
anderes Mal versichert er demselben Adressaten, hätte er einen
Sohn gehabt, so hätte er ihn taufen, aber auch beschneiden
lassen105 . In seinen Publikationen jedoch, wo er sich
gewissermaßen »offiziell« äußert, schlägt er einen anderen Kurs
ein. Dort heißt es, es sei ehrenvoller, keiner Nation anzugehören,
und wünschenswerter, zwischen den Rassen zu stehen [hier
spielt er auf die Juden an] als in einer von ihnen zu wurzeln106 .
Zu Roths damaligem Abschied von den Lemberger Verwandten
fällt Irmgard Keun nichts Nennenswertes ein. Was Roth nicht
wissen konnte, war, daß er sich von den Grübels zum letzten
Male verabschiedete. Alle Lemberger Familienangehörigen
Roths, die er damals besuchte, wurden im Zweiten Weltkrieg
von den Nazis umgebracht. Auch Paula, die nach Erhalt der

-326-
Nachricht von Roths Tod mit einer Mappe von mehr als 150
Gedichtmanuskripten ihres Vetters nach Paris geeilt war, ging
mitsamt ihrem literarischen Reisegepäck zugrunde. Bei
Kriegsausbruch wurde sie in einen politischen Prozeß in
Südfrankreich verwickelt, und obwohl sie vom Gericht
freigesprochen wurde, blieb ihr durch den inzwischen erfolgten
Einmarsch der Deutschen keine Zeit, ihren Plan, nach Amerika
auszuwandern, zu verwirklichen. Blanche Gidon hat als Letzte
einen Brief von ihr erhalten, in dem sie, bereits von einem
deutschen Internierungslager in Frankreich aus, um Zusendung
von Butter und Tabak bittet. Es sollte ihr letztes Lebenszeichen
sein, bevor sie erschossen wurde107 .
Dem Vetter Miguel Grübel, der Roth und seine Freundin bei
deren Ankunft in Wien vom Bahnhof abholt, erzählt Roth mit
sichtlichem Stolz - indem er auf das monarchistische Abzeichen
weist, das er zu tragen pflegte - ein Eisenbahner im Zug habe
stramm gestanden, sobald er das Abzeichen erblickt habe108 . Zu
den ersten Gängen Roths, nachdem er sich im Hotel Bristol
einquartiert hatte, gehört sein Besuch bei Franz Theodor Csokor,
mit dem er zwei Jahre zuvor in Nizza viele Stunden im Café
verbracht hatte. Von ihm will er über die politische Lage
Österreichs informiert werden. Er will wissen, was Csokor vom
Bundeskanzler Schuschnigg und vom Kardinal Innitzer halte
und ob die Österreicher sich gegen eine n eventuellen
Anschlußversuch Deutschlands wehren würden109 . war Roth mit
deutschen Emigranten zusammen, gab er sich aggressiv, sobald
die Diskussion sich um Österreich drehte. Dies war besonders
der Fall, wenn sich einer in seiner Gegenwart zu bemerken
erdreistete, Hitler sei schließlich ein Österreicher. Dafür hatte er
eine Antwort parat, die er wiederholte Male von sich geben
sollte: »Bei uns konnte Hitler nichts werden - bei uns war er ein
kleiner Strolch. Bei euch ist er groß geworden110 .« Befreundeten
Österreichern jedoch bekannte er seine Sorge um Österreich und
auch das Gefühl, mit der Sündhaftigkeit führender

-327-
österreichischer Persönlichkeiten sei nicht zu rechnen. Einem
alten Brodyer Bekannten vertraut er an: »Weißt du, wer der erste
sein wird, der Österreich verraten wird? Unser guter Kardinal
Innitzer. Der Innitzer ist ein Sudetendeutscher; von ihm halte ich
nichts111 .« Roth sollte diesmal mit seiner Voraussage recht
behalten, denn am 13. März 1938, nach dem deutschen
Einmarsch in Wien, proklamierte Kardinal Innitzer dem
österreichischen Volk sein Bekenntnis zum Deutschen Reich als
»selbstverständliche Pflicht«, deren Erfüllung »allen gläubigen
Christen« aufgetragen sei, und unterzeichnet seinen ersten Brief
an den Wiener Gauleiter Bürckel mit der Schlußformel »Heil
Hitler«.
Auch dem Bundeskanzler Schuschnigg, den er unter
österreichischen Freunden ausschließlich »Schuschnjak« nannte,
um damit anzudeuten, daß es sich um einen germanisierten
Slowenen-Namen handele112 , schenkt er kein Vertrauen. In Paris
hatte sich Roth einige Monate zuvor über Schuschnigg
folgendermaßen geäußert: »Dieser Alpenmensch, der von
Österreich nichts versteht, wird Österreich verraten, weil er
nicht will, daß Deutsche auf Deutsche schießen113 .« Auch in
diesem Fall irrte sich Roth nicht. Andererseits nahm er den
Austrofaschismus in Kauf, da er antinazistisch war und bis zum
Anschluß in dem von Dollfuß errichteten autoritärklerikalen
Ständestaat nur ein Übergangsstadium zu einem
monarchistischen Österreich sehen wollte. Roth äußert kein
Wort des Tadels für Dollfuß' Ausschaltung der
Sozialdemokraten und das blutige Niederschlagen des
Arbeiteraufstands von 1934 in Wien114 , wobei er völlig
übersieht, daß der Kampf gegen die Sozialdemokratie
Österreichs die Abwehrkraft gegen den eigentlichen Feind,
nämlich den Nationalsozialismus, unterhöhlt und somit das
Land für den Anschluß reif macht. Im beunruhigten Wien, wo
sich die Gespräche fortwährend um Hitler-Deutschland und
seine Außen- und Innenpolitik drehen, erscheint das Unheil

-328-
näher und bedrohlicher als in Paris, Brüssel und Amsterdam.
In Wien, so berichtet Irmgard Keun, wirkte Roth gekünstelter
in seinem Benehmen als kurz zuvor in Polen. Dort habe er mit
seinen Verwandten Hochdeutsch gesprochen, während er sich in
Wien eines wienerisch gefärbten Deutsch befleißigte.
Ärgerlicher erscheint inij daß Roth sie nun wieder »die Preußin«
nannte. Ihre gereizte Einwendung, sie sei zwar in Berlin geboren
- wofür sie nichts könne - habe aber die Stadt mit acht Jahren
verlassen, scheint Roth wenig beeindruckt zu haben.
Aufreibend empfindet Irmgard Keun Roths Bedürfnis, sie
ständig bei sich zu haben und sie keinen Augenblick aus den
Augen zu lassen. Hinzu kommt, daß er infolge des Trinkens
nunmehr Augenblicke durchmacht, in denen das Bewußtsein
aussetzt. »Nachts im Hotelzimmer schaute er mich einmal mit
schweifendem Blick und in einem Zustand furchtbarer
Beängstigung an und fragte dringend: ›Wo ist die Frau Keun?‹
Ich brüllte ihn an: ›Frau Keun ist unten im Restaurant und Sie
sollen schlafen gehen!‹ Am nächsten Tag schien er sich des
Vorfalls nicht zu erinnern, und ich habe auch nichts davon
erwähnt. Als ich mit einem Wiener Arzt namens Franki, der mit
Roths Fall vertraut war, darüber sprach, meinte er, Roth sei ein
unheilbarer Alkoholiker, da sein Orga nismus ohne Alkohol
nicht mehr auskomme. Auf meine Bemerkung hin, daß ich es
mit ihm kaum mehr aushalte, riet er mir, Roth zu verlassen115 .«
Nach Salzburg, wo sie die Zweigs besuchen, Brüssel,
Ostende, wo sie sich wieder mit Kesten zum gemeinsamen
Aufenthalt treffen, Amsterdam und Paris, führt der qualvolle
gemeinsame Weg der beiden, die sich immer mehr aneinander
reiben. Für Roth wird die tägliche Not zu einer Dauerkrise, die
aus Geldschwierigkeiten, Krankheitssymptomen, Angst und
Hoffnungslosigkeit besteht, die er auf die Außenwelt projiziert,
mit dem Ergebnis, daß alle Stationen seines Weges einer
erdrückenden Einförmigkeit unterliegen. Am ungehemmtesten
eröffnet er sich Stefan Zweig, zunächst weil er sich von ihm

-329-
Geld erhofft, aber darüber hinaus, weil dieser sich am
empfänglichsten für seine Klagen erweist: »Ich werde ja doch
daran krepieren, an diesem Gemansch von Hirn, Hand, Bettel,
Vorschuß, gewissenloses Garantieren für Wechsel, die mein
Kopf nicht sicher einlösen kann - und alles vergebens, ohne
Leser, ohne den Glauben, der von außen kommt, Echo auf den
innern - zwei Monate ist Gesundheit da, dann wüstestes
Befinden, Angst und Irrsinn, Beklemmung, Herzweh, Finsternis.
Zwei, drei wichtige Katastrophen, innere, der Tod eines Nahen,
und man ist erledigt...116 «
Zu Beginn des Jahres 1938 in Paris ist es so weit, Irmgard
Keun löst das Verhältnis und gibt sich mit den folgenden Zeilen
Rechenschaft über die letzten Monate des Zusammenseins:
»Roth hatte das Bestreben, einen Menschen in seine
Bestandteile zu ze rlegen und wieder zusammenzusetzen, um sie
mit Haut und Haar zu besitzen. Er wollte über Menschen
gebieten, seine hypnotischen Kräfte an ihnen erproben. Hatte er
dann sein Ziel erreicht, verlor er das Interesse an ihnen. Aus mir
wollte er etwas machen, was ich nicht war. Oft sagte er mir:
›Eine Frau benimmt sich nicht so.‹ ›Eine Dame tut sowas nicht.‹
Mit dem Taxichauffeur durfte ich anstandshalber nicht sprechen.
Ein Paket zu tragen, war mir nicht erlaubt. Er wollte aus mir
eine ergebene Magd machen, mich zur ›Zartheit‹ erziehen. Er
drängte mich in die Rolle eines bemitleideten Wesens hinein, bis
ich selber daran glaubte, er zermürbte mich so, daß ich weinen
mußte.
Roth war in jeder Hinsicht eifersüchtig und machte mich auch
so, so daß ich ihm seinen Umgang mit einer Frau Schmidt in
Wien übelnahm, obwohl er harmlos war. Durch den Alkohol
verstärkte sich diese Tendenz noch bei ihm, so daß er mich zum
Schluß nicht mehr aus den Fingern ließ. Nicht einmal austreten
konnte ich, ohne daß er unruhig wurde. Schlief ich ein, so hatte
er seine Finger in meine Haare eingewühlt, auch noch, wenn ich
aufwachte. Abschiede waren ihm unerträglich geworden, so daß

-330-
ich ihm schwören mußte, ich würde ihn nie verlassen. Durch
seine wahnsinnige Eifersucht fühlte ich mich immer mehr in die
Enge getrieben, bis ich es nicht mehr aushielt, bis ich unbedingt
ausbrechen mußte.
In Paris verließ ich ihn mit einem tiefen Seufzer der
Erleichterung und ging mit einem französischen Marineoffizier
nach Nizza. Ich hatte das Gefühl, einer unerträglichen Belastung
entronnen zu sein117 .« Die Sorge um die Politik lenkt Roth
diesmal vorübergehend vom privaten Leid ab. Am 12. Februar
1938 kommt es zum Berchtesgadner Abkommen zwischen
Hitler und Schuschnigg, wonach alle inhaftierten
österreichischen Nationalsozialisten begnadigt werden sollen
und Arthur Seyß-Inquart auf Hitlers Geheiß Innen- und
Sicherheitsminister Österreichs wird*.
In diesem Augenblick sieht sich Roth auf einmal vor eine
große Aufgabe gestellt, die ein einziges Mal in seinem Leben
seine Hoffnungen auf eine geschichtsbewegende politische
Rolle für sich scheinbar in Erfüllung bringt: er fährt nämlich mit
dem Wissen und Einverständnis

* Letzteres erfolgt am 18. Februar 1938. des österreichischen


Thronprätendenten nach Wien, um dort mit Schuschnigg
Kontakt aufzunehmen und - wenn irgend möglich - den
Anschluß zu vereiteln118 . Unmittelbar vor der Abfahrt schreibt
er an seinen Freund Pierre Bertaux, der nunmehr zum Chef de
cabinet beim Ministre de l'Éducation Nationale und zum Leiter
des französischen Rundfunks in deutscher Sprache bei Radio
Strasbourg aufgerückt war, um ihn auf dem laufenden zu halten.
Der Brief zeigt Roth - sich selbst bespiegelnd - auf der Bühne
des Weltgeschehens, von wo aus er, herrscherartig, aller Welt
seine Urteile und Ratschläge erteilt:

»Paris-EstBuffet-Bar

-331-
[24. 2. 1938]
Lieber Freund, 1.) vor der Abfahrt: in Österreich
wahrscheinlich Belagerungszustand. damit Innenpolitik ganz in
Händen Skubls* bleibt. 2.) Jesuitisch - typisch: Hälfte der
Österreicher Nazis, die freigelassen waren, schon wieder
eingesperrt. 3.) Für Frankreich MEINE Ratschläge:a.) MIT
Rußland; b.) MIT Tschechoslowakei OFFEN zu erklärendes
MILITÄRISCHES BÜNDNIS ; c.) Eintreten für Österreich, offen d.)
Pyrenäen. Herzlichst, mein Zug geht
Ihr alter Joseph Roth
Bitte noch: Ce Soir sagen, daß ich aus Wien schreibe!119 «

Die Euphorie Roths, der sich schon im Begriff glaubte, einen


Putsch vorzubereiten, der Otto von Habsburg auf den Thron
bringen würde, ist schnell verraucht. Franz Theodor Csokor
schildert Roth bei seinem letzten Wiener Besuch, vermutlich
nach den erfolglosen Versuchen, mit den führenden Politikern
Wiens Kontakt aufzunehmen: »Wir sind uns... kurz vor dem
Umbruch, im ›Bristol‹ zu Wien [zum letzten Mal

*D. h. des Polizeipräsidenten Wiens. Der Verf. begegnet];


dort standest du müde schon und kämpfend mit der Zerstörung
um Dich und in Dir, Schildwache für eine Idee120 .« Roth, der
sich so sehr vor dem Abschied fürchtet, muß eine ganze Reihe
nunmehr endgültiger Abschiede in Wien durchstehen. Seine
Schwägerin und Friedls Schwester, Hedi Davis, verwendet
ebenfalls dieses Wort: »Roth kam ungefähr zwei Wochen vor
dem Anschluß unter falschem Namen und wollte den Anschluß
mit Hilfe der kaiserlich Gesinnten verhindern. Schuschnigg
gehörte zu den Leuten, die er sprechen und beeinflussen wollte.
Als er drei Tage vor dem Anschluß wieder fortging, begleitete
ich ihn zum Bahnhof, wo ich ihm sagte, ich möchte auch weg
von Wien. Seine Antwort war: ,Da hast du Geld, kauf dir eine

-332-
Karte und komm nach Paris, es wird sic h schon etwas finden^
So vom Fleck weg ging es nicht. Ich konnte nicht wie Roth
alles stehen und liegen lassen und von heute auf morgen
fortgehen. Nach mehrmonatigem Abwarten verschafften mir
Freunde in England ein ›Permit‹, und im August fuhr ich nach
London. Roth selber sah ich beim Wiener Abschied zum letzten
Mal121 .«
Laut Aussage von Freunden ist Roth tatsächlich bis zum
Polizeipräsidenten Skubl vorgedrungen, der ihm jedoch
nahelegte, das Land schleunigst zu verlassen122 . Der ehemalige
Bundeskanzler Schuschnigg hingegen teilt mit, er könne sich
nicht an eine Unterredung mit Roth erinnern, er habe sich aber
in jenen Tagen mit sehr viel Leuten unterhalten, die er nicht
mehr alle in Erinnerung habe123 . Einstweilen ist Otto von
Habsburg dabei, »die Erfüllung des Vermächtnisses meines
Vaters124 « - nämlich die Kaiserkrone - anzustreben. Anläßlich
des Berchtesgadner Abkommens und knapp vor Österreichs
Untergang kommt es zu einem Briefwechsel zwischen ihm und
dem Bundeskanzler. /Schuschnigg lehnt jedoch Ottos
Aufforderung, ihm die Kanzlerschaft zu übergeben, ab./
Die Dinge nehmen ihren Lauf. Am 11. März erfolgt
Schuschniggs Aufforderung an die Österreicher, bei einem
eventuellen Einmarsch deutscher Truppen keinen Widerstand zu
leisten, und darauf sein Rücktritt. Am gleichen Tag beruft der
neue Bundeskanzler Seyß-Inquart eine provisorische
nationalsozialistische Regierung und ersucht um die Entsendung
deutscher Truppen nach Österreich. Am 12. März wird Wien
von der deutschen Wehrmacht besetzt, und am nächsten Tag
verkündet Seyß-Inquart den Anschluß Österreichs an
Deutschland. Tags darauf trifft Hitler in Wien zur formalen
Vollziehung dieses Staatsakts ein. /Die Wiener Bevölkerung
jubelt dem ›Führer‹ begeistert zu./
Roth, der diese niederdrückenden Ereignisse in den Pariser
Zeitungen verfolgt, bringt noch den Mut auf, am 16. März, nach
-333-
einer Einleitung von Pierre Bertaux, im Rundfunk über die
Geschehnisse der letzten Tage und von einer zukünftigen
Wiederherstellung eines freien Österreich zu sprechen125 . Privat
jedoch ist er nur der Verzweiflung fähig. » Cher ami, j'ai perdu
ma patrie, je n'ai plus rien!« klagt er126 . Im Neuen Tage-Buch
gibt er seiner Verzweiflung in einem Artikel Ausdruck, der den
symbolischen Titel »Toten-Messe« führt. »Eine Welt ist
dahingeschieden, und die überlebende Welt gewährt der toten
nicht einmal eine würdige Leichenfeier. Keine Messe und kein
Kaddisch wird Österreich zugebilligt.« Es sind Worte der
Trauer, die sich im zweiten Satz an das Heine-Gedicht »
Gedächtnisfeier« anlehnen, die aber auc h in einem nur allzu
wahren Kassandra-Ruf bei der Prophezeiung gipfeln: »Die
Kulturwelt wird bald davon überzeugt sein, daß man eine
Heimat des europäischen Gedankens nicht aufgeben kann, ohne
die zweite, dritte und vierte zu verlieren127 .« Und im »Brief an
einen Statthalter«, der sich als offener Brief an Seyß-Inquart
richtet und in derselben Zeitschrift abgedruckt wird, verleiht er
auf adäquate Weise seinem Abscheu Ausdruck. In diesem Brief
bedient er sich als angeblicher ehemaliger »kaiserköniglicher
Leutnant« der Respektformel eines Offiziers einem »Statthalter«
gegenüber, verkündet aber mit soldatischer Zucht und
schneidender Ironie, »daß meine soldatischen Eigenschaften in
der Stunde des Abenteuers, das Ihr Führer vorbereitet, nicht
Ihrer österreichischen Statthalterei und nicht dem jüngst
erfundenen und erzwungenen neuen ›Großdeutschland‹ dienen
werden, sondern dessen Feinden128 «.
An Stellen wie diesen entzündet sich Roths Intensität und
sprachliche Prägnanz. Daß solche Stellen auch in seiner um
diese Zeit abgeschlossenen Kapuzinergruft vorkommen, trägt
dagegen unwillkürlich dazu bei, das Gefühl der Lähmung, das
dem Roman sonst anhaftet, zu unterstreichen. Roth, der sich
manchmal bis zur Selbstauflösung in seine Gestalten
hineinversetzt hatte, gelingt es diesmal nicht, seinen Gestalten

-334-
Individualität und Gesicht zu verleihen und ihnen die
Überzeugungskraft des Erlebten einzuhauchen, sechs Jahre nach
der Veröffentlichung des Radetzkymarsch setzt Roth mit der
Kapuzinergruft die Geschichte des neuzeitlichen Österreich in
der Form eines Familienromans fort. Wie der erste Roman mit
der Schlacht von Solferino beginnt und 1916 mit dem Tod Franz
Josephs schließt, so beginnt der zweite im Frühling 1913129 und
endet mit dem Anschluß. Franz Ferdinand Trotta entstammt dem
bürgerlichen Zweig der Trottas aus dem slowenischen Sipolje
und ist der Vetter jenes Leutnants Carl Joseph von Trotta, der im
Radetzkymarsch bei Kriegsausbruch gefallen war. Nach seiner
Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft findet er sich in der
verwandelten Welt der österreichischen Nachkriegszeit nicht
mehr zurecht. Seine wenig glückliche Ehe und die Geburt eines
Sohnes, über den er sich zunächst freut, können ihm keinen Halt
geben. Er und seine Freunde dämmern rückwärtsgewandt
willenlos dahin, nicht der Monarchie schlechthin und vor allem
nicht dem alten Deutschösterreich, sondern den verlorenen
Kronländern nachtrauernd. Hier, wie im Radetzkymarsch, soll
sich das Schicksal des Staates in den Schicksalen Einzelner
spiegeln, und hier noch deutlicher als in dem früheren Roman
wird wieder gezeigt, wieviel schwächer und blutloser die
jüngere Generation ist als die Vorfahren. Die Tradition hat ihre
letzte bindende Kraft verloren, und selbst der Wille zum Leben
und die Regung der Lebenstriebe sind erstarrt oder verkümmert.
In keinem Werk Roths sind sich die Geschlechter so fremd und
in keinem ist deren körperliches Verhältnis zueinander so kalt
wie in der Kapuzinergruft. In anderen Werken ließ sich Roth
von wirklich erlebten Figuren inspirieren, mit denen er sich
identifizieren konnte. Hier sind es allein die unappetitlichen
Gestalten, die er aus dem Leben schöpft. Sein Vorbild für
Elisabeth, die Frau Franz Ferdinands, die sich zeitweise einer
lesbischen Liebe hingibt, ist die seinen Unwillen erregende
Tochter eines bekannten deutschen Dramatikers, die auch noch

-335-
das Vorbild für die Verführerin Elisabeths abgibt130 .
Die unglückliche Entstehungsgeschichte des Romans läßt sich
daraus erkennen, daß Roth, der dem Gemeenschap Verlag ein
Manuskript von 350 Seiten in Aussicht gestellt hatte, zu dessen
Verdruß schließlich eines von 173 Seiten liefert131 , wie auch aus
der Tatsache, daß die Erstausgabe des Romans mehrere
Diskrepanzen aufweist, wie etwa die, daß der Name eines Cafés
und der eines Dorfes stellenweise anders lauten132 . Die
Konzeption des mit dem Anschluß schließenden Buches datiert
aus der Zeit, in der er noch mit Manga Bell lebte, und ein Teil
des Manuskripts entstand 1937, in der Periode des
Zusammenseins mit Irmgard Keun133 .
Das Ergreifendste und Wahrste am Roman sind die letzten
paar Seiten, die die Reaktion des »Helden« auf die Kunde des
Anschlusses wiedergeben. Aber der Roman selber wurde nicht
auf diesen Schluß - von dem Franz Theodor Csokor meint, »Er
zeigt, wie Roth von den Ereignissen überwältigt wurde«134 - hin
angelegt. Und da über die Vorgeschichte des Anschlusses kein
Wort mitgeteilt wird, wird der Leser auf die Schlußpartie auch
nicht vorbereitet. Im Neuen Tage-Buch, in dem das
Schlußkapitel im Vorabdruck erscheint, steht als Vorwort der
Vermerk: »Seit mehreren Monaten hatte Joseph Roth eine Art
Fortsetzung seines ›Radetzkymarsch‹ fast vollendet. Fast: Bis
aufs letzte Kapitel. Vor dem letzten Kapitel zögerte und stockte
er. Jetzt, nach dem Ende Österreichs, hat er es geschrieben. Wir
veröffentlichten das traurigschöne unpathetische, stille
Manuskript135 .« Für die Buchfassung fügt Roth dem vorläufigen
Schluß des Vorabdrucks weitere zehn Zeilen hinzu, in denen der
trostsuchende Ich- Erzähler Einlaß zum Sarg »meines Kaisers
Franz Joseph« erbittet. Die letzte Zeile klingt in einer Frage der
Ratlosigkeit aus: »Wohin soll ich jetzt, ein Trotta?...136 « Auf
literarischpersönlichem Weg nimmt Roth wieder einmal
Abschied.

-336-
19
Die Emigration als Grenzsituation
1938-1939

/Selbst Stefan Fingal, der vom Beginn der zwanziger Jahre bis
1939 in engem Kontakt mit Roth stand, gestand in seinem
Nachruf, es falle ihm/ ungemein schwer, die einzelnen Phasen,
die Roth vom Sozialismus zum Bürgertum und dann zum
Monarchismus führten, zu begreifen1 .
Roth, der noch 1923 ein gesellschaftskritisches Feuilleton in
einer linksgerichteten Zeitung als »Der rote Joseph« signierte2 ,
verspürte nach den Schockerlebnissen des Weltkriegs und dem
durch den Zusammenbruch Österreich-Ungarns plötzlich
entstandenen Vakuum sehr stark die Notwendigkeit eines neuen
Beginns. Er schlug eine neue Richtung ein, und an die Stelle des
Kindheitsglaubens an die Monarchie trat ein zeitgemäßer
Glaube, der des Sozialismus. Aber was Roth sich unter
Sozialismus vorstellte, war nie der Zeit angepaßt und mußte zu
schwerer Enttäuschung führen. In seinen fortschrittsgläubigen
Zeitungsartikeln wird mit keinem Wort angedeutet, wie die
sozialistische Zukunft aussehen soll. Er spricht zwar von
Revolution, aber nicht von Parteidogmatik, wirtschaftlicher
Planung oder überhaupt vom Gedankengebäude des
Sozialismus. Nicht viel anders als bei Kurt Tucholsky, der als
einer der ersten unter den Emigranten die Waffen streckte, war
der Sozialismus bei ihm eine humanitäre Angelegenheit, ohne
die Absicherung eines Dogmas.
Aus dem Revolutionär wurde ein Reaktionär. Dennoch hätte
der legitimistische Roth einen großen Teil der Feuilletons
schreiben können, die er als »Sozialist« für Linkszeitungen
schrieb, sofern sie sich mit Aufrüstung, Kriegsverherrlichung,
Nationalsozialismus, dem völkischen Gedanken und Fememord
befaßten. Neu war die Absage des Monarchisten an den

-337-
»Aberglauben an den Fortschritt«, der Katholizismus, für den er
jetzt eintrat, und etwa die Tatsache, daß er, der sich früher als
Apologet der Arbeiter ausgab, seine Ideale nunmehr bei der
Aristokratie und in einem hierarchischen Staatsgefüge zu finden
glaubte. Roths Sozialismus wie auch sein Monarchismus sind
durch dieselbe Grundhaltung moralischer und psychischer
Sensibilität gekennzeichnet, obwohl Roths Leben sich nicht
gerade synthetisch entwickelte. Selbst sein politisches
Vokabular - für die entgegengesetzten politischen Lager
verwendet - weist eine auffallende Kongruenz auf: die Würde
des Menschen steht im Vordergrund ebenso wie ein
Universalismus, dessen Horizont nicht mit dem der eigenen
Nationalität zusammenfällt. Ferner die Vorspiegelung einer
Gemeinschaft und einer gültigen Autorität, die Halt und die
Grundlage für eine menschenwürdige Existenz versprachen.
Roths ganzes Leben läßt sich auf einen Nenner bringen: auf
das Bedürfnis, sich an etwas aufzurichten. Sein politisches
Weltbild war auch nicht anders ausgerichtet - es sollte ihm das
bringen, was er auch im Trinken suchte, die Aussöhnung mit
Leben und Welt und den Ausweg aus der Isolierung. Heimweh
steckte dahinter, dasselbe Heimweh wie jenes nach dem Vater,
nach Menschen, Liebe und einer Heimat - ein nie zu erfüllendes
Heimweh, das immer halb abstrakt blieb. Nicht umsonst weist
Alfred Polgar in seinem Roth-Nekrolog mit seiner Feststellung
daraufhin: »... das Heimweh des inkarnierten Österreichers, der
er war, galt weniger dem Stück Erde als der Idee: Österreich,
dem geistigseelischen Klima...«3 Ebenso wie Roths Begriff vom
Sozialismus utopisch war, ging es ihm bei seiner Auffassung
von einem restaurierten Österreich um einen Idealstaat.
Ungeachtet der Tatsache, daß Roth, nicht anders als bei seinem
kurzlebigen Glauben an den Sozialismus, keinen einleuchtenden
Plan hatte, wie ein restauriertes monarchistisches Österreich
aussehen sollte. Auch hier tritt der Traum an die Stelle der
Wirklichkeit, wie aus der Beteuerung einer seiner Gestalten in

-338-
der Kapuzinergruft hervorgeht: Österreich sei kein Staat, keine
Heimat, keine Nation, es sei eine Religion und dabei die einzige
Übernation, die es je gegeben habe4 .
Wie eine vorweggenommene Antwort auf die Frage Stefan
Fingais, wie es zu seinem politischen Umschwung gekommen
sei, klingt das Bekenntnis der Hauptgestalt aus der
Kapuzinergruft: »... ich glaube, immer beobachtet zu haben, daß
der sogenannte realistische Mensch in der Welt unzulänglich
dasteht, wie eine Ringmauer aus Zement und Beton und der
sogenannte romantische wie ein offener Garten, in dem die
Wahrheit nach Belieben ein- und ausgeht...5 Hans Natonek, ein
anderer Roth-Freund, begreift, wie die folgenden Zeilen
beweisen, was Fingal unbegreiflich bleiben sollte: »Als echter
Romantiker hat [Roth] rückwärts gelebt, ›à la recherche du
temps perdus er marschierte, taumelte in eine bessere
Vergangenheit zurück (die er aus eigener Anschauung nicht
kannte); er beschwor den Schatten Vorkriegsösterreichs und
seines Kaisers und hielt ihm in kindlicher Sohnesliebe die
Treue. Einmal verliebt in den österreichischen Traum, lebte er
ihn in der Dichtung und in der persönlichen Gestalt, im Geist
und im Fleisch, wie ein Liebender seine Liebe erlebt; wie ein
Romantiker Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheidet.
Gelebter Traum und gelebte Dichtung - das ist Legende...6 Mit
dem Anschluß Österreichs an Deutschland hörten für den
Romantiker Roth der gelebte Traum und die Legende auf. Er
hatte sich an eine äußerliche Konstellation geklammert, die er
nicht beeinflussen konnte, nämlich die Unabhängigkeit
Österreichs und die Aussicht auf eine Restauration der
Habsburger Monarchie. Durch deren Verlust war der Traum
ausgeträumt, aus dem Träumer wurde ein Trauernder, dem die
Welt leer geworden war.
Die Emigration als archetypische Situation der Unsicherheit
und Angst gehört wohl mit dem Erlebnis von Krieg,
Konzentrationslager und feindlicher Besetzung des eigenen

-339-
Landes zu den belastendsten Grenzsituationen in der ersten
Hälfte des Jahrhunderts. Das Hauptmerkmal der Grenzsituation
besteht laut Karl Jaspers darin, daß der Mensch auf sich selbst
zurückgeworfen wird, d. h., daß er auf einmal ohne die bisher
für Leben und Wohlergehen notwendigen Stützen auskommen
muß. Speziell im Leben des Emigranten bedeutet das den
Verlust von Heimat, sozialem Rang, möglicherweise Familie,
Beruf, Existenzmöglichkeit sowie der Bindung an Freunde und
Gemeinschaft und religiöse Vorstellungen. Es impliziert die
Preisgabe der lebenschützenden Routine, die Machtlosigkeit
gegenüber der Depression und die Verminderung der
Selbstachtung, in manchen Fällen auch die Hilf- und
Hoffnungslosigkeit, die psychische und physische Gefährdung
zur Folge haben können. Für den Schriftsteller bedeutet es
obendrein den Verlust seiner Leserschaft und somit seiner
Daseinsberechtigung.
Für Roth, der seine Sicherheit immer von außen beziehen
mußte, hörte die Welt auf, eine Quelle äußerer Sicherheit zu
sein. Er war jetzt gleichzeitig ein Getriebener und Vertriebener,
und es ist dieser Roth, an den Hans Natonek dachte, als er
meinte, Roth gehöre »zur gefährdeten Generation... die auf dem
weiten Weg durch die Emigration schwach in den Knien wird
und zusammenbricht«7 . Die Vorzeichen des Zusammenbruchs
und die Bereitschaft, sich aufzugeben, kündigen sich bei Roth
deutlich an, als er im November 1937, anderthalb Jahre vor
seinem Tod, sein Pariser Hotel räumen muß. »Man verliert eine
Heimat nach der anderen, sage ich mir. Hier sitze ich am
Wanderstab. Die Füße sind wund, das Herz ist müde, die Augen
sind trocken. Das Elend hockt sich neben mich, wird immer
sanfter und größer, der Schmerz bleibt stehen, wird gewaltig und
gütig, der Schrecken schmettert heran und kann nicht mehr
schrecken. Und das ist eben das Trostlose8 .«
1927 hatte sich Roth zum erstenmal im Hotel Foyot
eingemietet, und zehn Jahre seines Lebens war ihm das

-340-
vornehme, aus dem 18. Jahrhundert stammende Gebäude an der
Ecke Rue de Tournon und de Vaugirard, gegenüber dem Senat,
eine innere Heimat. Roth genoß teilweise freie Unterkunft in
seinem Lieblingsquartier. Nach längerer Bekanntschaft
betrachtete der Hotelbesitzer es als eine Ehre, Roth unter seinen
Gästen zu zählen, und überließ ihm eine winzige, mit einem
Minimum an Möbeln eingerichtete Mansarde, die Roth in den
letzten Jahren seines dortigen Aufenthalts kostenfrei bewohnte.
Er knüpfte Beziehungen an zu einem alten Kellner, der ihm laut
eigener Aussage die besten beignets aussuchte, zu der directrice
und vor allem zu dem Nachtportier, seinem »eher Auguste«, mit
dem er seine Geschäfte und Verlagsverträge besprach und der
ihm durch die Herzlichkeit, mit der er ihn nachts empfing, das
Gefühl gab, nicht in einen Durchgangsort, sondern in die
Geborgenheit zurückzukehren. Ein Wort aus Stefan Zweigs
Nachruf auf Roth in Zusammenhang mit dessen Bindung an das
Hotel Foyot wirkt pathetisch, ist aber aus Roths Perspektive
durchaus zutreffend: »... es war das Schicksal Joseph Roths,
daß, wo immer er eine Sicherheit fand, sie erschüttert werden
sollte«9 . Denn das Hotel hatte ausgedient, war windschief und
einsturzgefährdet und mußte auf Anordnung des Magistrats
abgerissen werden. Roth harrte als letzter Gast im Hotel aus,
weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren, und machte
keine Anstalten auszuziehen. Ein paar Tage lang ging er
weiterhin in das Hotel, in dem nunmehr kein Nachtportier zu
sehen war, aber auch keine Spiegel, keine Teppiche, keine der
vertrauten Topfpalmen im überglasten Foyer. Hinten war Lärm,
man versteigerte das Hotelinventar. Erst als man anfing, das
Hoteldach über seinem Kopf abzutragen, zog er aus.
Einige Wochen lang wohnt Roth im nahegelegenen Hotel
Paris-Dinard, kann sich aber dort nicht einleben und zieht nach
dem Anschluß ins Hotel de la Poste, in dessen Café Tournon er
schon jahrelang verkehrt und von dem aus er schweren Herzens
die Zertrümmerung des gegenüberliegenden Hotel Foyot

-341-
mitangesehen hatte. »Seiner« Rue de Tournon war er treu
geblieben, und in den fünfzehn Monaten, die ihm zum Leben
übrigblieben, verließ er sie nur ein einziges Mal für eine längere
Reise.
Roth, der Nähe im Unverbindlichen suchte und für den
Kontakt, um persönlich sein zu können, der Einfühlung
bedurfte, ändert sein Verhalten nach dem Anschluß - er
beschränkt sich nicht auf private Beziehungen, sondern widmet
sich intensiv einer Anzahl Maßnahmen und Institutionen, die die
Not der Emigranten zu lindern bemüht sind.
Als Roth kurz nach dem Anschluß von einem in Paris
studierenden jungen Österreicher gebeten wird, sich an einer
Hilfsorganisation für österreichische Emigranten zu beteiligen,
antwortet er, man könne selbstverständlich mit seiner Hilfe
rechnen. Ziel der Organisation, die bald den Namen »Entreaide
Autrichienne« führt, war es, Aufenthaltsbewilligungen und
Papiere für österreichische, in Frankreich lebende Flüchtlinge zu
besorgen und ihnen somit eine Existenz zu ermöglichen.
Präsident der Vereinigung wird Martin Fuchs und als
Vizepräsident figuriert Ernst Hoor, der Student, dem Roth seine
Mitarbeit versprach. Die Mitglieder, die in der Mehrzahl
legitimistisch eingestellt sind, dehnen ihre Tätigkeit in der Zeit
vor dem Kriegsausbruch auf politische Bestrebungen aus und
bemühen sich um die Mobilisierung katholischmonarchistischer
Kräfte gegen Hitler10 . In seinem Bemühen, der »Entreaide«
Vorschub zu leisten, wendet sich Roth an Otto von Habsburg,
von dem er eine Zuwendung erhält, aber was die Leistungen der
Organisation anbelangt, bleibt Roth - so drückt er sich einem
Freund gegenüber aus - »unzufrieden« 11 .
In der Errichtung eines österreichischen Vereins für kulturelle
Belange will Roth eine mögliche Trostquelle für der Heimat
entflohene Künstler sehen. Die französischen Behörden zögern
zuerst mit der Genehmigung, und selbst nachdem diese erreicht
ist, ergeben sich Schwierigkeiten in der Verwaltung der »Liga

-342-
für das geistige Österreich«. Deren damaliger Sekretär Kurt
Lichtenstein erzählt, sowohl er wie der Expressionist E. A.
Rheinhardt wollten Robert Musil als Präsident haben, während
Roth, dem die Förderung der Liga besonders am Herzen lag,
meinte, er werde mit jedem einverstanden sein, den die Liga und
deren anderer Gründer, Franz Werfel, für geeignet hielten.
Werfel wollte jedoch von Musil nichts wissen, und auch Musil
scheint angedeutet zu haben, ihm läge nichts an der Mitarbeit an
einer Organisation, in der Werfel eine führende Rolle spiele. So
habe man sich darauf geeinigt, ohne Präsidenten auszukommen
und dafür drei gleichberechtigte Vizepräsidenten - nämlich
Roth, Werfel und Rheinhardt - einzusetzen.
Roth wärmte sich am eigenen Mitgefühl, und indem er half,
fühlte er sich den Menschen verbunden. Jetzt, da es ihm
vorkommt, als verliere die Welt ihren Sinn, kommt ihm das
Helfen, bei dem er überlegen muß, womit dem einzelnen gedient
ist, wichtiger und vor allem zweckmäßiger vor als das
Schreiben. Als ein holländischer Journalist ihn fragt, welchen
Einfluß die Geschehnisse der letzten Monate auf sein
literarisches Werk ausüben, scheint - so der Journalist - sein
ermatteter Körper sich zu beleben, und einigermaßen energisch
erwidert er: »Was geht mich die Literatur an? Das einzige,
worauf es ankommt, ist, daß die Menschen zu essen haben12 .«
Wiederholte Male begibt er sich auf geschwollenen Füßen zu
dem befreundeten sozialistischen Beamten und späteren
Parlamentsabgeordneten Olivier de Pierrebourg, wenn es sich
darum handelt, Heimatlosen und Unbehausten bei den vielen
Komplikationen des Emigrantendaseins auf offiziellem Weg
Hilfe zu verschaffen13 . Manchmal führt Roth die Bittsteller
selber zur Polizei, wie Friderike Zweig bezeugt: »Ich erinnere
mich, wie er... einmal einen verzweifelten Vater und seine Schar
kleiner Kinder in ein Taxi verstaute, um mit ihnen in die
allgewaltige und oft grausame Préfecture zu fahren, und ihnen in
stundenlangem Bereden des Beamten ein dringliches Papier

-343-
verschaffte14 .« Durch seinen Einsatz für die Notleidenden fühlt
Roth sich als Verbündeter gegen die lieblose Welt. Darum wird
er Mitglied des Deutschen Hilfskomitees, und in dieser Funktion
sieht er zu, wie »hunderte... Menschen jeden Tag Schlange
stehen, um 30 francs für die Arbeitskarte, einen Zettel, für ein
freies Essen, einen elenden Betrag zur Beruhigung des
Hotelwirts - keineswegs zur Befriedigung - zu bekommen----Ich
gestehe, daß ich immer dann hingehe, wenn es mir ganz schlecht
geht, und ich weide mich sündhaft daran, daß Einer beglückt
davongeht, wenn ich ihm versteckt ein Heft Autobuskarten
gebe15 .« Dies schreibt er Stefan Zweig, dem er ein anderes Mal
anvertraut, wenn sich einer in dringender Not befinde, gerate er
in »höchste Panik«16 , so daß er gar nicht umhin könne, dem
Betreffenden auszuhelfen, gleichviel wie es um seine eigenen
Mittel bestellt sei. Zweig, der dies am besten versteht, beruft
sich darauf in seinem Nachruf: »Er war und blieb ein Edelmann
und wahrhaft gütiger Mensch, immer bestrebt, Freundschaft zu
erweisen, auch wenn die Freundschaft nicht viel mehr zu tun
vermochte, als den anderen die Gewißheit zu geben, sie sei da.
Er hatte nichts und gab, er war selbst hilflos und half. Die ohne
Heimat fühlten eine Art Geborgenheit im Schutz seiner
Ohnmacht17 .«
Die Zahl der Menschen »ohne Heimat« wächst. Im Jahr 1938
kommt es zu einer Massenflucht, und die Zahl der Emigranten
nimmt riesige Dimensionen an. Durch das Münchener
Abkommen vom 29. September 1938 liefern die Westmächte
die Tschechoslowakei an Hitler aus, was zu einer neuen
Abwanderung führt. Am 7. November 1938 dringt der
siebzehnjährige Herschel Grynszpan (dessen Eltern zusammen
mit über 15 000 in Deutschland lebenden polnischen Juden in
der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober ins Niemandsland an der
deutschpolnischen Grenze abgeschoben und Hunger und Kälte
ausgesetzt werden) in die Deutsche Botschaft in Paris ein und
schießt aus Rache auf den Zweiten Legationsrat Ernst vom Rath.

-344-
Als dieser zwei Tage später dem Attentat erliegt, haben die
Nazis ihren Vorwand für die Inszenierung der Kristallnacht vom
9. und 10. November, bei der die Synagogen in Brand gesteckt
und alle jüdischen Männer verhaftet werden. Der wirkliche
Grund der Aktion war, durch grausame Behandlung die jüdische
Auswanderung - die seit Hitlers Machtantritt auf 170 000, etwa
ein Drittel der deutschen Juden, angewachsen war - zu
beschleunigen. Durch den Anschluß jedoch hätte sich die
jüdische Bevölkerung im Reich um 185 000 Personen vermehrt,
also um mehr, als bis zu diesem Datum aus Deutschland
emigriert waren18 . 1936 hatten Roths Hoffnungslosigkeit und
Pessimismus einen Tiefpunkt erreicht, der sich in seiner im
»Neuen Tage-Buch« erschienenen Publikation »Statt eines
Artikels« spiegelte: »Es gibt für mich... kein ›Thema‹, das mir
gestatten würde, einen Artikel mit [einem] Mindestmaß von
Zuversicht zu schließen... Ich lese mit großer Bewunderung die
aktuellen Aufsätze deutscher Schriftsteller. Ich beuge mich vor
dem Edelmut, der sich in Resolutionen äußert, in
Protesttelegrammen, in der Teilnahme an Kongressen, auf denen
die Güter der Menschheit verteidigt werden, in Pamphleten, die
Europas Führer und Feinde zu demaskieren suchen, in Artikeln,
Kritiken und Glossen, in denen sich ein Achtung heischender,
elanvoller Glaube an den berühmten ›Rest des europäischen
Gewissens‹ täglich äußert. Nun, an diesen ›Rest des
europäischen Gewissens‹ glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht
an die Wirksamkeit jener bescheidenen Tröstungsversuche, die
aus historischen Rückblicken auf die finsteren Perioden der
Vergangenheit bestehen und in die mehr oder minder verhüllte
Mahnung münden, doch ja nicht zu verzweifeln: vorgestern
habe es beinahe schon so ausgesehen wie heute. Die Erinnerung
an ein zwar vergangenes, aber - wie man sieht - keineswegs
überwundenes Unglück ist nicht imstande, mein gegenwärtiges
zu mildern... [Weiterhin zu schreiben] wäre auch zwecklos,
denn ich glaube... nicht, daß das Wort noch eine unmittelbare

-345-
›aktuelle‹ Kraft hat, selbst dort, wo es keiner Art von staatlicher
Zensur oder redaktionellem Bedenken unterworfen ist. Den
Sieben Weisen von Europa erzähle ich nichts Neues. Zu den
siebzig Millionen ändern spreche ich vergebens. Was soll mein
Wort gegen Kanonen, Lautsprecher, Mörder, törichte Minister,
ratlose Diplomaten, dumme Interviewer und Journalisten, die
durch den Nürnberger Trichter die ohnehin verworrenen
Stimmen dieser Babel-Welt vernehmen19 ?«
Selbst in diesem vielleicht pessimistischsten Artikel Roths
gab es noch einen Lichtblick für ihn: die Errichtung der
Habsburger Monarchie in Österreich - so beteuert er - werde die
sichere Niederlage der nationalsozialistischen Ideologie
bedeuten20 ! Aber mit dem Anschluß schwindet auch dieser
Lichtblick mehr und mehr, und die alte Überzeugungskraft kann
sich nicht mehr recht entzünden, wenn es darum geht, die Sache
der Legitimisten zu verteidigen. Nach dem Anschluß sind Roths
sich mit dem Zeitgeschehen befassende Artikel von Ernst,
Ergriffenheit und Würde geprägt, aber mit Analyse und dem
Bemühen zum Verstehen haben sie wenig zu schaffen. Statt
dessen steigern sie sich oft ins Apokalyptische, in Sentenzen wie
der folgenden: »Der Schmerz galoppiert über die ganze Welt,
auf einem höllischen Hengst, rundum, rundum und keinen
Flecken läßt er aus 21 .«
Im Spätherbst 1938 muß Roth seine Reiseunlust überwinden,
um seine Amsterdamer Verleger aufsuchen zu können. Dort läßt
er sich aus Loyalität von seinem früheren Hotelier Antonius
Blansjaar, der inzwischen das Eden Hotel aufgegeben hat, zu
dessen City Hotel in der Utrechtsestraat am Rembrandtsplein
führen, wo er die wenigen Tage seines Aufenthalts verbringt.
Hier begegnet er wieder dem Kunsthistoriker Frans Hannema,
mit dem er sich bei früheren Aufenthalten im Eden Hotel
angefreundet hatte. Hannemas erstes Wort über seinen alten
Freund lautet: »Joseph Roth war der beste Freund meines
Lebens - er hat mich immer wie einen Bruder behandelt.«

-346-
»Im Sommer 1936«, so erzählt er weiter, »nachdem Roth
Amsterdam verlassen hatte, erhielt ich mitten in der Nacht ein
Telegramm von ihm aus Brüssel: ›Es denkt an Dich Dein
Joseph.‹ Und als ein Aufsatz von mir 1937 im Monatsheft »De
Gemeenschap« erschien, schrieb er mir: ›Schreib nur so weiter,
Frans. Du wirst der Welt etwas zu sagen haben.‹ Roth hat sich
selten mit Bekannten geduzt, aber mit mir tat er es bereits am
Tag unserer ersten Bege gnung. Ich bin der Herkunft nach ein
halber Österreicher, und vielleicht liegt es daran, daß wir uns so
gut verstanden.
Ich weiß nicht, was er bei diesem Besuch zu erledigen hatte,
aber ich kann mich erinnern, daß Dr. Landshoff vom Querido
Verlag ihn einmal im City Hotel aufsuchte. Ich kam gerade
vorbei und hörte Roth schreien: ›Nein, ich tue das nicht, ich
wünsche es nicht. Das kommt überhaupt nicht in Frage.‹ Er
kehrte Landshoff den Rücken, und es war ihm anzusehen, daß er
wütend war. Landshoff lächelte freundlich und meinte, ›Wir
können auch später darüber sprechen.‹ Ob Roth finanziell etwas
erreicht hat, kann ich nicht sagen, aber seine Geldsorgen wurde
er nicht los. Im Café Reynders war ich einmal dabei, wie Roth
und Kroonenburg, der Direktor des Alleit de Lange Verlags,
einer Gruppe von Schriftstellern zuhörten, die die
Notwendigkeit der Verleger in Frage stellten. Einige waren der
Ansicht, die Autoren sollten einen kooperativen Verlag gründen
und den Gewinn teilen. Als man Roth, der sich noch nicht dazu
geäußert hatte, um seine Meinung bat, sagte er nur: »Ja, wer gibt
mir dann meine Vorschüsse?« Bei seinem letzten Besuch in
Amsterdam war ich jeden Tag mit Roth zusammen, obwohl er
manchmal ein paar Stunden verstreichen ließ, ohne ein Wort
von sich zu geben. ›Warum brauchen wir zu reden, wenn wir
uns gut verstehen?‹ fragte er. Es war die Zeit nach dem
Anschluß, und er wirkte sowohl geistig wie körperlich
geschlagen, so daß ich ihm manchmal beim Gehen den Arm
reichen mußte. Aber in dieser Verfassung, die oft von tiefer

-347-
Melancholie geprägt war, hatte er Momente, in denen er laut
lachen konnte. Er hatte eine Schwäche für ausgefallene Typen,
die er immer wieder aufspürte und an denen er Freude fand.
Wenn es ihm schlecht ging, suchte er solche Leute auf. Ein
Schwede namens Marx, der ganz in Weiß gekleidet war und der
ein eingenähtes Hosenband um die Taille trug, hatte sich im
Hotel eingemietet. Roth, der sich mit ihm unterhielt, erfuhr, daß
er ein Handelsreisender war, der durch seine Kleidung für einen
neuen Gürtel werben wollte, den er ›Reglo-Patent‹ nannte. Roth
zeigte sich sehr interessiert, ermunterte ihn, von sich und seinem
wunderbaren Gürtel zu erzählen, forderte ihn auf, mit uns zu
trinken, und brachte ihn so weit, daß er sich ans Klavier setzte
und ein Lied über das Patent sang, das Roth den
›Hosenbandwalzer‹ nannte. ›Frans‹, sagte Roth begeistert, ›das
ist ein köstlicher Kauz. Wir müssen dafür sorgen, daß er immer
zu trinken hat.‹
Während dieses Aufenthalts arbeitete Roth an seiner Legende
vom heiligen Trinker. Über das Manuskript geriet er einmal in
panischen Schrecken. Er mußte es verlegt haben, denn er rief in
großer Bestürzung, ›Was soll ich jetzt tun, um Gottes willen,
mein Manuskript ist weg!‹ Als er es wiederfand, sagte er, nach
dieser Publikation werde er aufhören zu schreiben.
Bei seinem vorletzten Abschied hatte mir Roth eine Widmung
auf das Originalmanuskript der Beichte eines Mörders
geschrieben und es mir als Andenken geschenkt. Dieses Mal fiel
der Abschied sehr schwer. Ich schlug ihm vor, sich doch in
Amsterdam niederzulassen, er könnte mit mir bei meiner Mutter
wohnen, aber er antwortete, ›Ach Frans, ich lebe überhaupt
nicht mehr, ich lebe nur auf einem Umweg, durch meine
Bücher.‹
Für die Bahnfahrt mußte er sich das Geld vom Hotelwirt
leihen, denn er kehrte in großer Geldverlegenheit nach Paris
zurück. Ich begleitete ihn zum Bahnhof und kaufte ihm von dem
geliehenen Geld eine Karte erster Klasse. Dazu bemerkte Roth:

-348-
›Das ist nun typisch, mein lieber Frans. Ich habe fast kein Geld
und man löst mir eine Karte erster Klasse^ Ich antwortete:
›Joseph, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.‹ »Nein, mein
lieber Freunds sagte er, ›wir sehen uns nie wieder.‹ Ich umarmte
und küßte ihn und sah, daß er eine Träne im Auge hatte. ›Da ist
mir halt etwas ins.Auge gekommen‹, meinte er. ›Frans, geh bitte
weg, denn ich könnte den Abschied jetzt nicht ertragene Roth
stieg in den Zug, setzte sich in sein Abteil, zog den Mantel um
sich, brütete wie ein Vogel vor sich hin und blickte nicht mehr
aus dem Fenster. Es war sein letzter Abschied von Amsterdam.
Ich habe ihn nicht wieder gesehen22 .
Roths wachsende finanzielle Not wurde ihm in der
Emigration zur fixen Idee. Neben dem Kummer um die
politische Lage Europas nimmt kein Problem soviel Platz in
seinen Briefen ein wie seine Klagen über Geldschwierigkeiten.
Die Sorgen um den Unterhalt, das Grauen vor finanziell
bedingter Abhängigkeit und das Bewußtsein, auf andere
angewiesen zu sein, führen zur seelischen Beschädigung und
reißen alte Kindheitstraumata auf, die er sich ab Mitte der
zwanziger Jahre mit demonstrativer Verschwendung zu
kompensieren bemühte. Das Gefühl äußerer Freiheit, das er sich
an Stelle der mangelnden inneren Freiheit zu erkaufen
versuchte, läßt ihn jetzt im Stich, und er kommt sich wie ein
Gefangener vor, wie einer, der »in hundert Netzen« zappelt 23 .
Auch die Art und Weise, wie er Geld aufzutreiben versucht,
beschreibt Roth auf bildhafte Art: »Mit lechzender Zunge laufe
ich herum, ein Schnorrer mit heraushängender Zunge und mit
wedelndem Schwanz24 .« Klaus Mann bezeugt Roths Taktiken
den Verlegern gegenüber: »Die Visiten [Roths] brachten
mancherlei Aufregung. Er bestand auf exorbitanten Vorschüssen
- sei es von Querido, sei es von de Lange, es kam ihm nicht
darauf an...«25 Bei Freunden und Verlegern macht Roth es sich
zur Gewohnheit, unverblümt auf seine Not hinzuweisen und
möglichst viel zu verlangen. Durch seinen Eifer zieht er sich die

-349-
Mißgunst der schriftstellernden Kollegen zu, die das Gefühl
haben, er nähme ihnen weg, was ihnen gebühre. René Schickele
überläßt sich solchen Gefühlen in einem Brief an die Frau des
Kunstkritikersjulius Meier-Graefe: »Für uns Autoren von de
Lange ist Roth der reine Staubsauger. Kein Stäubchen, kein
Krümelchen vom Tisch des Herrn, das nicht in das saugende
Loch hineinginge! Was bleibt für uns 26 ?« Dabei führen Roths
Praktiken häufig nicht zum erwünschten Ziel. So führt Friderike
Zweig aus: »Eine große Schwierigkeit bei den Hilfsaktionen für
Roth, ihm nämlich gute Abschlüsse für fremdsprachige
Ausgaben seiner Bücher zu verschaffen, stellte sich Stefan
Zweig entgegen, indem er mehrmals entdecken mußte, daß Roth
bereits die betreffenden Rechte vergeben hatte. Zu seiner
Entschuldigung muß man geltend machen, daß er dies
wahrscheinlich in stark benebeltem Zustand getan und es
vergessen oder die Abmachung nicht genügend ernst genommen
hatte27 .«
Von 1933 an ist Roth von seinem deutschen Lesepublikum
abgeschnitten, und von seinen in Amsterdam veröffentlichten
Büchern werden jeweils nur noch 1000 oder 1500 Exemplare
verkauft, so daß sein Einkommen auf einen Bruchteil von dem
zusammenschrumpft, was er ein paar Jahre zuvor in
Deutschland verdient hatte. Immerhin werden aber zwischen
1933-1938 achtundzwanzig Übersetzungen seiner Werke in
Dänemark, England, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen,
Polen, Rumänien, Schweden, Spanien, der Tschechoslowakei,
Ungarn und Amerika veröffentlicht. Damit stand Roth,
zusammen mit Arnold Zweig, an zwölfter Stelle der
Übersetzungen aller Autoren der Emigration28 . Daß er trotzdem
mit seinen pekuniären Angelegenheiten nicht zu Rande kam, lag
mehr an inneren als äußeren Gründen. Prinz Hubertus zu
Löwenstein, in dessen Wohnung in der Rue de Vaugirard Roth
in seinen letzten Emigrationsjahren mehrmals zu Gast war,
meint, bei noch so großer Verelendung sei Roth immer der

-350-
»grandseigneur« geblieben29 . Es war dies ein Image, auf das
Roth trotz größter Not nicht verzichten konnte. Durchaus
glaubhaft ist Roths Versicherung 1934 an Zweig: »... 50 Prozent
meiner Schulden habe ich für andere gemacht...30 « Kurt
Lichtenstein, der damalige Sekretär der Liga für das geistige
Österreich, ist einer der vielen, die dies beweisen können: »Roth
sagte mir einmal tief deprimiert, er habe soviel Schulden, daß er
gar nicht mehr wisse, wo ihm der Kopf stehe. Zur Aushilfe gab
ich ihm 3000 Francs, denn meine Familie hatte eine Fabrik in
der Schweiz, und im Gegensatz zu den meisten Emigranten
hatte ich auch nach der Auswanderung keine finanziellen
Sorgen. Aber gleich am selben Abend verteilte er das Geld unter
alle möglichen Leute. Er wußte nicht, daß ich zusah, wie er von
einem zum anderen ging und mein Geld verschenkte31 .«
Es mag sein, daß die Armut und die Entbehrungen der frühen
Jahre für Roths Empfinden Zeichen waren, daß sich niemand
um ihn kümmerte und daß seine scheinbar lieblose Umwelt ihn
für unbedeutend hielt. Seine späteren kostspieligen Bedürfnisse
richteten die Aufmerksamkeit auf ihn und ermöglichten ihm
vielleicht die einzigen Macht- und Wertgefühle neben seinem
literarischen Ruhm, die ihm zuteil werden sollten. Diese
hinfällige Stütze seiner Identität und seines Selbstgefühls scheint
ihm unentbehrlich gewesen zu sein, da sie den Selbsthaß und die
Schuldgefühle eindämmte, die ihn sonst bedrängten. Fast
jedesmal, wenn Roth in seinen Briefen auf das Thema seines
chronischen Geldmangels zurückkommt und wieder um Geld
fleht, erwähnt er seinen eigenen Tod oder Selbstmord. Dadurch
beabsichtigt er wohl, das Herz seines Gönners zu erweichen,
aber seine reflexartige Assoziation spricht auch dafür, daß
Einschränkung für ihn den Verlust seines letzten Halts bedeutet:
»Trachten Sie, bitte, daß [der New Yorker Verleger] mir sofort -
und noch vor dem ersten - den Antichrist bezahlt. Ich komme
um32 «, heißt es einmal. Und ein anderes Mal: »Versprechen Sie
mir folgendes:

-351-
Daß Sie mir für 1 Jahr 12 000 Mark besorgen können, bevor
Sie abreisen.
Dies Allein ist wichtig...
Es ist der Punkt, wo [die Not] mich nicht mehr treibt, sondern
tötet. Wollen Sie mir, Lieber, einen Nekrolog schreiben33 ?« Die
Eindringlichkeit, mit der Roth um Geld bittet, paart sich mit
einer anderen Eigenschaft, die den Umgang zwischen Geldgeber
und Geldempfänger schwierig macht. Der Schriftsteller Joseph
Breitbach erzählt: »Roth verachtete jeden, der ihm Geld gab,
weil er sich dadurch abhängig machte34 .« Niemandem sollte
diese Lektion so nachdrücklich zuteil werden wie Stefan Zweig.
Eine Zeitlang macht Roth Zweig zu seinem besten Freund in der
Emigration. Angesichts des gemeinsamen Aufenthalts 1936 mit
Zweig in Ostende schreibt er Blanche Gidon: »Zweig ist rührend
zu mir, wie ein Bruder35 .« Roth läßt sich auf ein
Abhängigkeitsverhältnis ein, gerade das, wogegen er sich stets
gesträubt hatte, von dem er sich aber im geheimen angezogen
fühlte. Vieles spricht dafür, daß Zweig in seiner Beziehung zu
Roth nicht so sehr die Rolle des Bruders spielt, sondern
vielmehr zu einer Vaterfigur wurde, zum Vater, den Roth nie
gehabt hatte. Zweig, der seine Rolle spielt, so gut er kann,
genügt aber nicht den Ansprüchen, die der um viele Jahre
Jüngere an ihn stellt. Roth spornt Zweig zu größerem Einsatz an,
wirft ihm Halbherzigkeit vor, verlangt von ihm die Rettung
seines Lebens und führt sich selbst als gutes Beispiel an: »Ich
ließe mich in Stücke für Sie hauen, ganz wörtlich: innerhalb
einer so ernsten, so tragischen Beziehung, wie es Freundschaft
ist, gibt es nur das Bedingungslose. Das Bedingungslose6 .«
Als Zweig ihm ankündigt, er gehe nach Portugal, »wo es
keine Zeitungen und keine Post gibt37 «, fühlt sich Roth
verlassen und stellt ihn als Deserteur hin, der seinen Freund im
Stich läßt: »Es ist gut, daß Sie hinfahren, wo es keine Post gibt.
Also können Sie eventuelle Nachrichten über mich nicht
erreichen38 .« Von diesem Brief vom 10. Januar 1938 an kühlt

-352-
die Beziehung von Roths Seite ab. Bereits in den letzten
Monaten zeigte sich Roth immer verärgerter über Zweig, und in
seinen Gesprächen nennt er ihn nur noch »den Seiden-Stefan«,
eine verächtliche Anspielung auf die Textilfabrik von Zweigs
Vater39 . Ein halbes Jahr läßt Roth verstreichen, ehe er sich
wieder brieflich meldet, um Zweig mitzuteilen: »Mein
Schweigen ist nur ein stummer chronischer Vorwurf10 .«
Während Roths Ressentiments zunehmen, gibt ihm der von
Sehnsucht nach Ruhe und Erlösung beseelte Zweig Beweise
seiner hingebungsvollen Freundschaft: »Roth, wie wenige sind
wir und Sie wissen, so sehr Sie sich gegen mich wehren, daß
kaum irgend jemand so sehr an Ihnen hängt wie ich, daß ich alle
Ihre Erbitterungen ohne Gegenerbitterung fühle: es hilft Ihnen
nichts, Sie können gegen mich tun was Sie wollen, mich privat,
mich öffentlich herabsetzen oder befeinden, Sie kommen doch
nicht davon los, daß ich eine unglückliche Liebe zu Ihnen habe,
eine Liebe, die an Ihrem Leiden leidet, an Ihrem Haß sich
kränkt41 .«
Inzwischen war es zur Trennung zwischen Zweig und seiner
Frau Friderike gekommen, und als diese nach dem Anschluß
nach Paris übersiedelt, beschäftigt sich Roth immer mehr mit
ihr. Ihr gegenüber ergreift er Partei gegen Zweig, verurteilt ihn
mit harten Worten wegen seiner angeblichen Schuld an der
Trennung und versichert sie seiner Sympathie 42 . Seinerseits hält
Zweig Roth die Treue über den Tod hinaus, und noch in seinem
Abschiedsbrief, in dem er am 22. Februar 1942 seinen Entschluß
zum Selbstmord ankündigt, bittet er seine geschiedene Frau, die
Erinnerung an Roth wachzuhalten. Er selber sei froh, versäumt
er nicht zu bemerken, daß Roth »diese Qualen nicht
durchmachen« mußte43 .
Nach seiner Rückkehr aus Amsterdam wird Roths Welt
restringierter, die Spaziergänge, die er nachts manchmal drei
Stunden lang zu machen pflegte, haben längst aufgehört, das
Café Tournon wird zugleich sein Schreibquartier und sein

-353-
Domizil, in das er sich mittags hinsetzt und von dem er sich nur
kurz fortrührt44 . Über diese Zeit berichtet
Ludwig Marcuse: »Roth fand immer Getreue, denen es eine
Ehre war, sich ihm unterzuordnen und alles für ihn zu tun, was
in ihren Kräften lag. Eine solche Getreue war die Wirtin des
Café Tournon, die, wie so viele Frauen, eine besondere Neigung
zu ihm faßte. Sie bereitete ihm selbst seine Rühreier, servierte
ihm Kaffee, ihm allein holte sie Zeitungen und was er sonst
brauchte45 .« Hans Natonek schildert diese Germaine Alazard
folgendermaßen: »Die aus dem französischen Süden stammende
Wirtin war mit ihren fünfundzwanzig Jahren eine Schönheit,
deren Anblick einem Freude machte. Die anderen Hausgäste
behandelte sie höflich, aber mit Distanz; zu Roth war sie aber
lieb und fürsorglich. Bei ihr lebte er wie ein Millionär ohne
Millionen46 .« Mme. Alazard gibt gern Auskunft über ihren
damaligen Lieblingsmieter: Roth vivait à l'Hôtel Foyot, juste en
face. Quand cet hôtel a été démoli, il aurait souhaité venir
s'installer ici, mais je n'avais alors rien de libre. Il a donc logé
quelque temps à l'Hôtel Paris-Dinard. Quand finalement, j'ai eu
une chambre disponible, je lui ai fait savoir et il a emménagé.
Même quand il était à l'Hôtel Foyot, Roth avait coutume de
venir ici au café chaque soir.
Il n'écrivait pas dans sa chambre - pour cela il avait besoin de
l'ambiance d'un café. C'est plutôt dans sa chambre qu'il pensait;
il constituait son roman pour toute la journée, puis il pouvait
l'écrire d'un seul trait. J'avais l'habitude de conserver le
manuscrit auquel il travaillait aussi longtemps qu'il ne l'avait pas
terminé. Je le posais près de la caisse enregistreuse et le lui
donnais quand il descendait pour qu'il continue à écrire. Il me
disait alors: ›Vous voyez, j'ai une bonne secrétaires Dès la
première ligne, il me disait que chaque page qu'il écrivait lui
vaudrait un Pernod: c'est une anecdote qui dévoile le côté
blagueur de Roth. Son goût prononcé pour le Pernod lui
provoquait des troubles de la vue. De ce fait, je devais lui mettre

-354-
des gouttes dans les yeux deux ou trois fois par jour. ›Madame,
vous voulez me mettre des gouttes dans les yeux?‹ me
demandaitil plusieurs fois par jour, tout comme un enfant...
Un jour, alors qu'il allait remonter dans sa chambre, je lui
refusais net de lui servir de l'alcool; alors, il s'est tourné vers moi
et in'a saisie à la gorge, le regard furieux. J'ai crié: ›Mais
qu'estce que vous faîtes?‹ H a lâché prise et in'a fait des excuses.
Le lendemain, il in'a envoyé des rosés et il a imploré mon
pardon. Tous les soirs, 10 à 15 amis venaient le voir. Il
s'entretenait avec chacun, d'entre eux et continuait à écrire,
entouré de ses amis. A l'Hôtel Foyot, il se comportait en grand
seigneur et payait pour tout le monde. Plus tard, alors qu'il était
devenu vraiment pauvre, on continuait à lui demander de
l'argent.
A la fin de sa vie, il a eu des difficultés pour marcher à cause
de ses jambes qui étaient enflées, et parfois, il lui arrivait de ne
pas pouvoir mettre ses chaussures. Et à cette époque il ne voyait
plus clair non plus. Mais jamais il n'a perdu su clarté de
pensée47 .« Nach all den verflossenen Jahren weiß Mme. Alazard
genau, in welcher Schublade die neckischen und verspielten,
verzweifelten und hilfeflehenden Zettel und Papierfetzen, die
Roth ihr geschrieben hat, liegen. Mehrmals figuriert sie dort als
›Madame l'oiselle‹, da sie sich tagsüber in einer Art Käfig hinter
der Kasse aufhielt. Hier folgen einige Zetteltexte in Roths etwas
fehlerhaftem Französisch. Eine Bitte um ein geistiges Getränk
ist mit einer mit der Hand gezeichneten »offiziellen«
Quittungsmarke versehen und hat folgenden Wortlaut:
Demande
Le soussigné demande votre, haute bienveillance en espérant
que la grâce de votre cœur lui sera agréée et que votre haut
ministre repondra à la demande de
Votre très humble serviteur Pans, le 25 Juillet 1938
Joseph Roth

-355-
Die folgenden Zeilen schickte er seiner Wirtin nach der
geschilderten Szene, bei der er sich beinah an ihr vergriffen
hätte:
Madame l'oiselle, Madame l'oiselle, je vous prie de tout mon
cœur de bien vouloir me pardonner. Je suis parfois insensé. Je
vous aime beaucoup.
JR
Auch Verse befinden sich unter den Andenken:

Pourquoi êtes vous boulversé? d'où vient il votre chagrin?


L'équilibre est la meilleure preuve de l'amour.
Madame l'oiselle est fâchée et je ne sais pas pourquoi puisque
je n'ai péché aujourdhui plus qu'hier
Je ne suis pas du tout pécheur -Ce sont les poissons qui me
pèchent je suis raté - et ›rateur‹.----
Zu dieser Beziehung bemerkt Pierre Bertaux: »Roth avait
besoin de tendresse et il pouvait être infiniment tendre48 .« Es
scheint jedoch, daß der Mann der Wirtin von den Wohltaten, die
seine Frau Roth erwies, wenig erbaut war. Über ihn erzählt Roth
einmal einem Durchreisenden: »Ich habe hier Kredit, weil ich
mich mit der Wirtin sehr gut verstehe, aber ihr Mann denkt die
ganze Zeit an das Geld, das er nicht kassiert, und wird
eifersüchtig. Die Summen, die ich schulde, machen ihn so
sinnlich49 .«
Jean Janès erzählt, Roth, Soma Morgenstern und er seien die
einzigen Mieter in dem winzigen Hotel oberhalb des Cafés
gewesen: »Wir drei und die Leute, die Roth besuchen kamen,
waren der Umsatz. Wir Emigranten waren wie auf einem Schiff
auf der Seine - ›un asile flottant sagten wir damals, und jeder
versuchte, so gut er konnte, die Zeit zu überstehen. Alle waren
wir Roth zugetan, aber es ist der Wirtin zu verdanken, daß es
ihm überhaupt noch so gut ging, denn ohne sie hätte er sich

-356-
früher zu Tode getrunken. 50 «
In den Monaten vor seinem Tod ist Roth jetzt meistens der
Besuchte und immer seltener der Besuchende. Ein anderer, der
ihn regelmäßig aufsucht und ebenso offen seiner Zuneigung
Ausdruck verleiht, ist der russischjüdische Bildhauerund
Schriftsteller Joseph Constantinowsky. Dieser von Leben
Übersprudelnde bricht in Ausrufe der Begeisterung aus, wenn er
an Roth denkt: »Quel homme, Roth. Der muß noch auf dem
Sterbebett Spaße gemacht haben! Weil ich ihm einmal sagte, er
sehe wie mein Vater aus, hat er sich, so oft er mich jemandem
vorstellte, als meinen Vater ausgegeben, obwohl ich der Ältere
war51 .«
Roths Übersetzerin Blanche Gidon erzählt: »Unsere
Bekanntschaft fing mit einem Streit an, da Roth mit meiner
Übersetzung des Radetzkymarsch nicht einverstanden war. Wir
haben uns aber bald ausgesöhnt, und seitdem herrschte zwischen
uns eine herzliche Beziehung. Ich habe seine Werke für den
Pariser Plon Verlag übersetzt, von denen die meisten in der vom
damaligen Verlagslektor Gabriel Marcel geleiteten Reihe ›Feux
Croises‹ erschienen. Bei einem Werk mittlerer Länge sollten wir
uns das Honorar von 3000 Francs teilen, aber ich habe ihm oft
meine Hälfte überlassen. Frau Manga Bell meint, er sei geizig
gewesen, aber ich glaube im Gegenteil, daß er von anderen
erwartete, sie sollten genauso unbekümmert mit Geld umgehen,
wie er es tat. Während der Kriegsjahre konnte ich Roth dadurch
einen letzten Dienst erweisen, daß ich seinen Nachlaß bei mir im
Keller verwahrte. Nach Kriegsende suchte mich ein Vetter
Roths, der Fritz Grübel hieß, mit einem Brief Friderike Zweigs
auf, in dem ich gebeten wurde, dem Überbringer den Nachlaß zu
übergeben, da man ihn in der Harvard Universität unterbringen
wollte. Ich glaube, Roth wäre damit nicht einverstanden
gewesen, weil er Amerika nicht mochte, aber ich habe alles bis
auf einige Fotos hergegeben, die ich als Andenken an meinen
Freund behielt52 .«

-357-
Das Schicksal von Roths Nachlaß wurde bereits von Hermann
Kesten dargestellt: »[Nach Roths Beerdigung] ging ich in sein
Zimmer, um seine nachgelassenen Manuskripte zu retten. Ich
hatte die erste Frau von Stefan Zweig, die hochbegabte
Schriftstellerin Friderike Zweig, und einen anderen Freund von
Roth, den ehemaligen Korrespondenten der ›Frankfurter
Zeitung‹ Soma Morgenstern, gebeten, mitzukommen.
Wir packten alles Geschriebene und Gedruckte zusammen
und schafften es in einem Taxi zur Pariser Wohnung von Frau
Friderike Zweig, der einzigen von uns, die eine Wohnung hatte;
denn Morgenstern und ich lebten in Zimmern kleiner Hotels.
Friderike Zweig und ich hatten besprochen, wenn möglich noch
andere Bücher von Joseph Roth aufzutreiben sowie seine im
Exil in vielen Ländern erschienenen Aufsätze und Feuilletons zu
sammeln, damit nicht alles unrettbar verlorenginge.
Als sich im Mai 1940 Hitlers Armeen der Stadt Paris
näherten, überließ Friderike Zweig vor ihrer Flucht den
literarischen Nachlaß Roths, aus dem einige Erzählungen in den
Amsterdamer Exilverlagen Allen de Lange und Querido
erschienen waren, der französischen Übersetzerin von Joseph
Roth, Madame Blanche Gidon. Diese schickte ihn 1946 nach
New York, wo ihn eine Wiener Advokatin, Dr. Caroline
Birmann, in Verwahrung nahm im Interesse etwaiger
Rechtsinhaber. Nach dem Ende des Weltkriegs ging ich mit
Fritz Landshoff daran, den Nachlaß genauer zu prüfen, ob und
welche Werke noch zur Publikation reif wären. Wir fanden
rasch heraus, daß es eine Reihe Romane und Novellen gab, die
aber nur mit großer Mühe aus der mikroskopisch kleinen
Handschrift Roths zu entziffern waren, unter anderm auch jenen
›Trotzki‹-Roman, der [inzwischen] unter dem Titel ›Der stumme
Prophet‹ erschienen ist...
Als ich dann im Mai 1962 nach New York zurückkam, rief
ich Frau Dr. Birmann an und erkundigte mich nach dem
Nachlaß Roths... [Mit ihr kam ich schließlich] überein, den

-358-
Nachlaß von Joseph Roth dem Leo Baeck Institut in New York
zu übergeben53 .«
/Ein enger Vertrauter wird für Roth in den letzten Jahren
Joseph Gottfarstein, ein orthodoxer Jude und gebürtiger Lette.
Die beiden sprechen - auf jiddisch - über ›Gott und die Welt‹
miteinander. Gottfarstein glaubt, daß Roths Sympathie für ihn
mit seiner Gläubigkeit und seiner ostjüdischen Herkunft
zusammenhing54 . Die Erinnerungen dieses Jiddischisten
erwecken den Eindruck/, daß Roth mit seinem Freund eine Art
Symbiose einging, wobei sich ein Hauch von Gottfarsteins
existentieller Sicherheit auf Roth übertrug, die es ihm für kurze
Augenblicke ermöglichte, seiner Lebensangst Herr zu werden.
Aber die Dinge waren bereits zu weit fortgeschritten, Geist und
Körper waren schon zu sehr unterhöhlt, als daß diese letzte
hinfällige Bastion seines Lebenswillens lange den Anfechtungen
der aussichtslosen Emigration und vor allem der durch den
Anschluß verursachten Bereitschaft zur Kapitulation hätte
standhalten können. Roths Reserven waren aufgebraucht. Seine
Nerven und Geist verzehrenden Lebensverhältnisse treiben ihn
nicht nur dazu, überall Mißgunst zu wittern, sie rufen auch alte,
halbgeheilte Ängste der Ausgesetztheit hervor und machen ihn
in seinem Fühlen und Denken regressiv. »Ich bin ein Kind und
krank und verloren55 «, klagt er. Das
Gefühl, von allen verlassen zu werden, packt ihn an seiner
empfindlichsten Stelle. »Ihr laßt mich Alle sitzen... ich bleibe so
allein56 «, so verleiht er seiner Trostlosigkeit Ausdruck. Die
Vereinsamung treibt ihn zu Hilferufen: »Ich werde kränker und
ich habe niemanden. Meine Einsamkeit ist so stark, daß ich
mich an jeden Beliebigen klammere...57 «
In Roths Notizen zu einer fingierten Autobiographie, die er in
den frühen zwanziger Jahren konzipierte, entwarf er ein Bild
von sich, in dem er bestrebt war, sein Außenseitertum und seine
seelische Verlorenheit in Stärke umzubilden: »Ich, der Einzige
unter Allen, lebte ohne Zukunft, ohne Liebe, ohne Freundschaft,

-359-
ohne Anschluß. Alle hatten eine Gegenwart, auf der sie ein Jahr
ums andere aufschichteten zu einem stattlichen Turm. Alle
lebten in umzäunten Gehöften, Gefühle gediehen auf ihrem
Boden, Hoffnungen, Schmerzen. Jeder hatte sich für irgendeine
Richtung der Windrose entschieden und marschierte in
Gemeinschaft mit seinen Gesinnungsgenossen geradeaus zu
seinem Ziel. Viele hatten es verloren, sie verirrten sich abseits
vom Weg, aber auch dann waren sie nicht allein. Ich allein, ich
gewann, ich verlor nicht, ich suchte nicht, verirrte mich nicht,
ich glaubte nicht, ich fühlte nicht, ich zerstörte nicht. Ich
schwamm wie ein Baumstamm auf der Oberfläche des Meers,
und hatte doch das Gehirn eines klugen Menschen58 .« Der
Verfasser dieser Zeilen sieht etwas Positives darin, daß er sich
nicht als Gemeinschaftswesen betrachten kann und daß seine
seelische Verfassung ihn zwingt, seinen Mitmenschen
gegenüber stets Abstand zu wahren. Aber die Zeile, die diesen
Passus abschließt, läßt erkennen, welche Gefühle dieser Haltung
zugrunde liegen, und daß Roth, der den anderen immer ein
halber Fremder blieb, es auch sich selbst ge genüber war: »Ich
sehnte mich nach der Bewußtlosigkeit eines Holzstammes.«
Auch Roths Gefühl der Bedrohung wird in der Emigration
akut und offenbart sich symptomatisch in seiner wiederholt
geäußerten Angst vor Spitzeln - Gestalten, die mehrfach in
seinen Romanen auftreten. Dabei, so erzählt Klaus Dohrn, sei
Roth von den gefürchteten Spitzeln fasziniert gewesen, denn
ihre geheimnisvolle Existenz machte sie in seinen Augen zu
Doppelwesen, die Zugang zum Verborgenen und
Hintergründigen hatten. Ihn selbst habe Roth von einem Spitzel
überwachen lassen, als er ihn vorübergehend für einen
Doppelagenten t. Zuletzt habe sich, erklärt Ludwig Marcuse,
seine Angst vor
Verfolgung zu Anfällen von Verfolgungswahn und
Zwangsvorstellungen gesteigert, die er sich von niemandem
habe ausreden lassen60 . Das Gefühl der psychischen Gefährdung

-360-
und der eigenen Unzulänglichkeit scheint in den
Emigrationsjahren öfters eine beklemmende Unruhe bei ihm
ausgelöst zu haben. Valerie Schwarzschild, die Witwe des
Herausgebers des Neuen Tage-Buches, berichtet, daß Roth ihr
mit Tränen in den Augen seine dünnen Arme zeigte und
erzählte, er habe sich bereits als Kind wegen seines Körperbaus
geschämt 61 . Eine Anzahl satirischabfälliger Feuilletons über
Boxer62 , die Roth zu einer Zeit erscheinen ließ, als sich manche
deutsche Intellektuelle für Berufsboxer begeisterten, lassen
erkennen, welche Gefühle er für Athleten hegte. Wie zur
Überkompensation droht Roth in der Emigration öfters mit der
Anwendung brachialer Gewalt - eine Drohung, die er dann auch
einige Male verwirklicht. Auf der Terrasse eines Lokals auf den
Champs- Elysées ohrfeigt er einen Deutschen, der sich als Nazi-
Anhänger ausweist63 , und als in dem russischen Restaurant
Dominique eine abfällige Bemerkung über Roths Begleiterin
Manga Bell gemacht wird, droht er mit seinem Stock, den er
über die Köpfe der versammelten Gäste schwingt64 . Die Tochter
Manga Bells spricht von Roths »Verteidigungskomplex«, der
sich unter anderem darin zeigt, daß er sich eine Sammlung von
spitzen Schustermessern zulegt. Außerdem trägt er eine
gußeiserne Kugel in einem Taschentuch bei sich und versichert
seiner Ziehtochter, mit dieser Kugel könne man mit Leichtigkeit
jemandem den Schädel zerschmettern65 . Irmgard Keun sagt
ergänzend dazu aus, in der Zeit, die sie mit ihm verlebte, habe
Roth mindestens vierzig Taschenmesser gekauft66 . Von allen
Heimsuchungen, die Roth in seinen letzten Lebensjahren
zusetzen, ist die Angst vor dem Wahnsinn wohl die
grauenerregendste. Klaus Dohrn erzählt, daß Roth den
Wahnsinn als eine reelle Gefahr für sich und Manga Bell
betrachtete. Über Manga Bell teilt Roth einmal mit sichtlicher
Erschütterung mit: »Ich sehe schon die Anzeichen. Sie wird
auch verrückt, genau wie meine Frau67 .« Und Stefan Zweig
vertraut er an: »Wenn Sie genau wüßten, wie es mir geht! Wie

-361-
umstellt ich ringsum bin von Finsternissen! Ich fürchte,
tageweise für meinen Verstand, und die Ahnungen kommen
wieder, die ich seit meiner Knabenzeit nicht mehr gekannt hatte:
daß ich im selben Alter verrückt werde wie mein Vater. Ich
leide entsetzlich, lieber Freund 68 !« Zu den Widerwärtigkeiten in
Roths Existenz gehört der unaufhörliche Wechsel von
Krankheiten in den letzten zehn Jahren seines Lebens.
Gelbsucht, Grippe, morgendliches Erbrechen, ein chronisches
Magenleiden, dann wieder Magen- und Darmkatarrh, eine
Hornhautentzündung, darauf eine Augeninfektion,
Hämorrhoiden, eine Leber-Zirrhose, geschwollene Beine, im
November 1938 ein Zusammenbruch: das ist die
Bestandsaufnahme seiner Plagen69 . Gelegentlich deutet Roth,
der nicht nur täglich eine beträchtliche Menge Alkohol
konsumiert, sondern auch etwa achtzig Zigaretten pro Tag
raucht 70 , seine Krankheiten als psychosomatische
Erscheinungen. So meint er in bezug auf die
Hornhautentzündung: »Auge nur Ausdruck seelischer
Depression71 .« Und als von einem »ekelhafte[n]« und nicht
mehr zu kurierenden Magen- und Darmkatarrh die Rede ist,
stellt er fest: »... diese körperliche Krankheit [ist] lediglich die
Folge [der] katastrophalen Lage, in der ich mich befinde72 .« Wer
Roth nach langer Trennung in der Emigration wiedersah,
erschrak über sein Aussehen, denn er war in der Zwischenzeit
erstaunlich gealtert. Sein einst schlanker Körper war
aufgetrieben und gedunsen. Er, der sich früher so aufrecht hielt,
ging nun mühsam gekrümmt. Sein Bemühen, weiterhin
militärische Haltung zu bewahren, führte zu dem Eindruck
körperlicher Mißbildung, zumal seine geschwollene Leber
seinen Rock an der einen Seite aufbauschte73 . Soma
Morgenstern schildert Roth, wie er ihn 1937 bei einem
Zusammentreffen in Wien erlebte, nachdem er ihn seit Oktober
1934 nicht mehr gesehen hatte: »[Ich] hörte nun... zum ersten
Mal das bereits heisere, von Husten unterbrochene alkoholische

-362-
Gelächter, das ihn in den letzten Jahren seines Lebens... öfter
und schmerzlicher... plagen sollte... Ich sah ihn, indes er sich
vom Lachen mit einem Schluck Cognac erholte, genau an. Die
Veränderung im Gesicht und in der Gestalt erschütterte mich. Er
war damals weniger als dreiundvierzig Jahre alt, und - mein
Herz vergibt es mir nicht, daß ich es so aufschreibe: - er sah aus
wie ein sechzigjähriger Säufer. Sein Gesicht mit deutlichen
Backenknochen, zu kurzem Kinn, einst von stets wacher
Schaugier belebt, war jetzt gedunsen und schlaff, die Nase
gerötet, die blauen Augen voll Blutwasser in den Winkeln, das
Haar am Kopf stellenweise wie ausgerupft, der Mund von einem
dunkelroten, slowakisch herabhängenden Schnurrbart völlig
verdeckt. Wie er aber, ans Telefon gerufen, langsam auf einen
Stock gestützt ging, auf dünnen Beinen in schmalen, altmodisch
eng zugeschnittenen Hosen, schlaff hängenden
Bauches, der so schlecht zu der feinknochigen Gestalt paßte,
machte der ostgalizische Jude den Eindruck eines vornehmen,
wenn auch verkommenen österreichischen Aristokraten alten
Stils - also genau den Eindruck, den zu machen er aus allen
Leibes- und Geisteskräften sich Zeit seines Lebens redlich, und
leider manchmal auch unredlich, gemüht hat74 .
Das Leben des so beschworenen Roth hing nur noch an einem
seidenen Faden, denn er hatte nach und nach alle ihm zur
Verfügung stehenden Fluchtmittel aufgebraucht. Reisen und
Trinken hatten sich lange Zeit für ihn ergänzt: beides bedeutete
die Rettung aus momentanen Schwierigkeiten und Spannungen
sowie ein zeitweiliges Abblenden der Gegenwart. Was für
andere Ferien und Ausspannung zuwege brachten, konnte der
unablässig beschäftigte Roth bestenfalls durch Ortswechsel
erreichen. Das Reisen hatte Aktivität und immer erneuten
Aufbruch in ein Leben gebracht, das sonst mit den landläufigen
Spielarten der Betätigung nichts anzufangen wußte. Es
ermöglichte ihm, die psychische Integrität zu wahren, denn
Abreisen hieß, das Vergangene abschütteln, die Spannungen

-363-
vorübergehend herabsetzen. So konnten Abreise und
Wiederbegegnung eine vorläufige Aussöhnung mit sich und
anderen ermöglichen.
In der Emigration jedoch wurde das Reisen schwieriger, das
Wechseln des Aufenthaltsortes problematischer. Abgesehen
davon, daß Deutschland und schließlich auch Österreich als
gewohnte Reiseziele wegfielen, wuchsen die finanziellen
Schwierigkeiten. Außerdem kam die Tatsache hinzu, daß die
durch das Trinken unterhöhlte körperliche Verfassung Roths das
Reisen für ihn immer beschwerlicher machte. Und am Ende
gesellte sich zu seinen übrigen Ängsten die Furcht, nicht mehr
nach Paris zurückkehren zu können, wenn er die Stadt wieder
verlassen würde75 .
Übrig blieb ihm nur noch sein bewährtestes Rettungsmittel.
1936 konstatiert Roth: »Ich komme einfach mit der Welt nicht
zu Rande... Ich kenne, glaube ich, die Welt nur, wenn ich
schreibe, und wenn ich die Feder weglege, bin ich verloren. Der
Alkohol ist keine Ursache, sondern eine Folge, wahrscheinlich,
die allerdings den Zustand verschlimmert76 .« Der Autor von
Flucht ohne Ende hatte sich in die Flucht der Produktivität
gestürzt.
Roth selbst war sich darüber klar, daß er durch seine
übersteigerte Produktion seinem Ruf schadete: »Ich habe mir
den Namen ruiniert, durch Fleiß, es sind zu viele Bücher
hintereinander77 .« Durch die Sorge um den Lebensunterhalt war
dies nur zum Teil bedingt. So berichtet er in demselben Brief, er
habe es durchgesetzt, daß sein nächstes, bereits fertiges Buch
später erscheinen dürfe, als ursprünglich ausgemacht war. Durch
sein Schreiben, das in den Augen der Außenwelt den Anstrich
des Moralischen tragen sollte, suchte er in Wirklichkeit nach
seelischer Deckung. An drei verschiedenen Stellen bekennt er
unverblümt: »Ich schreibe jeden Tag, nur, um mich zu verlieren,
in erfundenen Schicksalen78 .«
»Ich arbeite inzwischen, um mich zu betäuben79 .«
-364-
»... ich arbeite, um zu fliehen80 .«
Roth sorgte beizeiten dafür, daß den durch die Flucht in die
Produktivität verursachten Anstrengungen eines Tages ein Ende
gesetzt würde, und zwar durch die Flucht in den Alkohol. Der
Alkohol, der ihn kaum noch berauschte, sagt sein Arzt aus,
diente ihm als Betäubungsmittel, von dem er abhängig wurde,
weil er die Dosis ständig erhöhen mußte81 . Eine Sorte Getränk
genügte ihm nicht mehr. Er hatte, so erzählt ein damaliger
Freund, wenn er im Café schrieb, nicht nur ein einzelnes Glas,
sondern mehrere Gläser mit verschiedenem Inhalt neben sich
stehen: ein halbleeres Glas Bier, ein Gläschen Fernet-Branca
und ein Gläschen mit Kognak82 . Als er aber den Pernod zu
einem seiner Lieblingsgetränke machte, bemerkte der Mann von
Blanche Gidon, der Arzt war, nun sei ihm nicht mehr zu
helfen83 . Roth zeigt sich erfinderisch und voller
Spitzfindigkeiten, wenn es darum geht, Ausreden für sein
Trinken zu finden: »Machen Sie sich bitte um mein Trinken gar
keine Sorgen. Es konserviert mich viel eher, als daß es mich
ruiniert. Ich will damit sagen, daß der Alkohol zwar das Leben
verkürzt, aber den unmittelbaren Tod verhindert. Und es handelt
sich für mich darum: Nicht das Leben zu verlängern, sondern
den unmittelbaren Tod zu verhindern. Ich kann nicht auf Jahre
hinaus rechnen. Ich versetze gewissermaßen die letzten 20 Jahre
meines Lebens beim Alkohol, weil ich noch 7 oder 14 Tage
Leben mir gewinnen muß.« Zum Schluß wird er allerdings
bedenklich: »Freilich kommt dann, um beim Bilde zu bleiben,
plötzlich ein Punkt, wo der Wucherer vor der Zeit über einen
herfällt. So ungefähr ist die Situation84 .« Gleich im ersten Jahr
der Emigration schreibt Roth von seinem »Trieb zur
Selbstvernichtung«, der sich bei ihm »ganz nackt« zeige und
von dem er sagt: »Vielleicht ist es ein Zeichen, daß ich
aufhöre«85 . Wiederholte Male ist in seinen Briefen von Tod und
Selbstmord die Rede, am
Anfang noch mit Grauen, aber am Schluß ist der Tod, der

-365-
nunmehr als ersehnter Exitus gesehen wird, für ihn »der
verführerische, sanftgebettete Abgrund«86 , der ihn immer mehr
anzieht. Daß Roth ein heimlicher Selbstmörder war, war für
viele seiner Freunde kein Geheimnis. Ernst Erich Noth, der öfter
mit Roth in der Emigration zusammentraf, meint: »Roth hat den
Alkohol dazu verwendet, zunächst seine selbstmörderische
Tendenz zu bremsen, schließlich aber sie zu vollziehen87 .«
1923 hatte Roth in seinem ersten Roman, dem Spinnennetz,
aktuelle Ereignisse behandelt: den aufkommenden
Nationalsozialismus. Alle weiteren Romane der zwanziger Jahre
lassen sich ebenfalls als Zeitromane etikettieren: Hotel Savoy,
Die Rebellion, Die Flucht ohne Ende, Zipper und sein Vater,
Rechts und Links und Der stumme Prophet setzen den Weltkrieg
voraus und beschäftigen sich mit dem Heimkehrermotiv, der
Ratlosigkeit und dem Wertverlust der Nachkriegszeit. Dem
Roman Zipper und sein Vater liegt das Generationsproblem
zugrunde, während Rechts und Links als politischer Roman zu
verstehen ist und Der stumme Prophet, leicht verschlüsselt, den
Hintergrund der großen Ereignisse aufzudecken vorgibt, die zur
russischen Revolution und deren Nachspiel führten.
In der schöpferischen Zwischenperiode von 1930 bis 1932
bricht Roth mit seinem Hang zur Aktualität und vollendet seine
zwei größten Werke, Hiob und den Radetzkymarsch. In der
Emigration tritt bei ihm abermals eine Wende in seiner
schriftstellerischen und diesmal zugleich auch in seiner
journalistischen Orientierung ein. Roths anmutige, verspielte
und ironisierende Feuilletons der zwanziger Jahre -
»Seifenblasen« nannte er sie einmal, ohne damit
Geringschätzung ausdrücken zu wollen - finden in der
beklemmenden Atmosphäre des Exils keinen Nährboden und
verschwinden aus seinem Repertoir. Hitlers Machtergreifung
führt zu einer weiteren Veränderung in seinem Schaffen. Von
1933 an kommt es bei ihm zu einer klaren thematischen
Trennung zwischen Literatur und Reportage. Fortan und bis zum

-366-
Ende seines Lebens befassen sich Roths Beiträge für Zeitungen
und Zeitschriften mit ganz wenigen Ausnahmen einzig und
allein mit dem alles andere überragenden Problem der Politik. In
seinen Romanen und Novellen jedoch unterdrückt er die
Tagespolitik und flüchtet aus der Zeit. Die Abkehr von den
beklemmenden Zeitgeschehnissen führt zur Flucht in die
geschichtliche Vergangenheit (Die Hundert Tage und Die
Geschichte von der 1002. Nacht), zur Verwendung räumlich
entlegener oder zeitentrückter Themen (Stationschef
Fallmerayer, Tarabas, Beichte eines Mörders, Das falsche
Gewicht und Der Leviathan) oder zum rein Privaten, wie Die
Legende vom heiligen Trinker, in das keine Spur des politischen
Drucks aus der Außenwelt eindringt. Ausnahmen bilden nur Die
Kapuzinergruft und Die Büste des Kaisers. In der Konzeption
ähnelt Die Kapuzinergruft den Zeitromanen der zwanziger Jahre
insofern, als sie Bilder einer dahinvegetierenden
zeitgenössischen Gesellschaft darstellt, die an sich selber irre
geworden ist. Die wirklichen Zeitgeschehnisse werden hier nicht
besprochen, und weder der Anschluß Österreichs noch der
Nationalsozialismus werden am Schluß des Romans direkt
erwähnt. In Die Büste des Kaisers spiegelt sich zwar die Trauer
über die untergegangene Habsburger Monarchie, aber es lassen
sich in ihr kaum irgendwelche konkreten Zeitbezüge feststellen.
Diese beiden Werke der Trauer sind unverkennbar aus den
emotionalen Voraussetzungen der Emigration entstanden. Das
gleiche trifft mit umgekehrten Vorzeichen für die anderen
Werke zu, in denen sich Roth einigermaßen bewußt von
politischen »Trauerthemen« abwandte.
Wenn Roth in seinem literarischen Schaffen auch danach
strebte, die Emigration zu vergessen, so war diese dennoch,
wenn auch indirekt, die Ursache für eine Reihe von
künstlerischen Fehlgriffen und Mißerfolgen. Denn der Roth, der
mit Hiob und dem Radetzkymarsch so überzeugend den Weg zu
sich selbst gefunden hatte, verirrte sich mit Tarabas, den

-367-
Hundert Tagen und der Beichte eines Mörders. In diesen
Werken war Roth bemüht, Stoffe und Erlebnisse zu verarbeiten,
die außerhalb seines intimen oder mythisierten
Erlebnisbereiches standen. Roth mußte in sich schauen, den
eigenen Gefühlen freien Lauf lassen, das behandeln, was ihm
innerlich verwandt war, wenn sich seine Inspiration entzünden
und ihm die Authentizität der Atmosphäre gelingen sollte. Nur
so wurden seine Werke lebenswahr. Am deutlichsten tritt das im
Tarabas zutage, in dem oft seitenlang das Gekünstelte des
Erdachten die Spontaneität des Erlebten, des innerlich
Beteiligtseins überlagert. Völlig anders wird es in der
großartigen ergreifenden Pogromszene, bei der Roth sich
offensichtlich selber betroffen fühlte. Wieder einmal
bewahrheitet sich bei ihm sein altes Wort, er könne nur erzählen
[überzeugend erzählen, möchte man hinzufügen], was in ihm
vorgehe und wie er es erlebt habe88 .
Im Falschen Gewicht, der Geschichte von der 1002. Nacht
und der Legende vom heiligen Trinker dagegen findet Roth zu
den Höhen seines Künstlertums zurück. Was war die Ursache?
Im letzten Absatz der Geschichte von der 1002. Nacht legt Roth
einem Hersteller von Wachsfiguren die folgenden Worte in den
Mund - wobei er in Wirklichkeit an sich selbst denkt: »›Ich
könnte vielleicht Puppen herstellen, die Herz, Gewissen,
Leidenschaft, Gefühl, Sittlichkeit haben. Aber nach dergleichen
fragt in der ganzen Welt niemand. Sie wollen nur Kuriositäten in
der Welt; sie wollen Ungeheuer. Ungeheuer wollen sie89 !‹«
Ebenso wie Roth seine »Seifenblasen« in der Emigration
aufgeben mußte, muß er wohl auch der Überzeugung gewesen
sein, daß er, um zeitgemäß zu wirken, kuriose, den Leser
allerdings wenig berührende, »Ungeheuer« konstruieren müsse,
statt leicht- oder schwerlebige Puppen zu kreieren, die eine
eigenartige Anziehungskraft auf ihn ausüben und eine
Atmosphäre schaffen, die das Gelingen von Roths Kunst
garantiert. Aber auch Roths »Ungeheuer«, nämlich Tarabas und

-368-
Napoleon, werden ihm unter der Hand zu Puppen, und nicht
anders verhält es sich bei dem angeblich ruchlosen und
niederträchtigen Spitzel Golubtschik in der Beichte, dessen
einzige, durch Eifersucht ausgelöste brutale Handlung ihn
keineswegs zu einem wirklichen Ungeheuer macht.
Bezeichnend ist Roths briefliche Bemerkung zu Tarabas, dem
ersten seiner »Ungeheuer«: »Glänzender Stoff, fern von
Dtschld., aber mit deutlicher Beziehung dazu...90 « Die
»Ungeheuer« sind somit die moralisch Schuldigen, die an Nazi-
Deutschland gemahnen sollen, obwohl dieser Bezug nur dem
Leser auffallen könnte, der eben nach diesem Bezug sucht.
Dabei sind diese Gestalten ähnlich zu verstehen wie jene der
gelungenen Werke, nämlich Eibenschütz im Falschen Gewicht,
Taittinger in Geschichte von der 1002. Nacht und Andreas in
Legende vom heiligen Trinker. Gemeinsam ist ihnen allen, daß
der Konflikt, der zwischen Gegner und Widersacher ausgetragen
wird und der der Fabel jeweils ihren Antrieb gibt, keineswegs
ein äußerlicher ist. Nicht ein menschlicher Kontrahent kommt
der jeweiligen Hauptgestalt in die Quere, sondern der namenlose
Lauf der Dinge, d. h. das unerforschliche Schicksal, das sie eine
Zeitlang gewähren läßt, ihr aber immer auf den Fersen bleibt
und sie dabei in ein immer enger zugezogenes Netz verstrickt,
bis sie schließlich zur Strecke gebracht wird. Dieses radikale
Mißverhältnis zwischen dem ungenügsamen Ich und der
anonymen Übermacht ist es, das auch die »Ungeheuer« als
schwächliche Puppen erscheinen läßt. Bei Tarabas und
Napoleon, Golubtschik und Eibenschütz sowie auch bei Nissen
Piczenik in der Erzählung Der Leviathan und bei Taittinger ist
es das mangelnde innere Gleichgewicht und das Unbehagen an
der eigenen Beschaffenheit, das alle in die Arme des
gleichgültigen und zugleich unerbittlichen Schicksals treibt. Es
ist dies eine literarische Umsetzung der Behauptung Blaise
Pascals, alles Unglück fange damit an, daß der Mensch nicht
ruhig in seinem Zimmer verweilen könne. Das Fazit, das für alle

-369-
Hauptgestalten zutrifft, lautet salopp in der Wiener
Umgangssprache einer Figur aus der Geschichte von der 1002.
Nacht, die sich speziell auf den Fall Taittinger bezieht: »Ich
glaub', er hat sich verirrt im Leben. Derlei gibt's manchmal. Man
verirrt sich halt91 !« Sich verirren heißt schuldig werden, etwas,
was bereits in der Veranlagung begründet ist. Roths Gestalten
bekämpfen ihre Veranlagung vergeblich, da keine von ihnen
über den eigenen Schatten springen kann. Kommen sie zur
Besinnung, geben sie sich - jede auf ihre Art - Rechenschaft
über die eigene Schuld und ihren irren Lebenswandel, so folgen
Zweifel an sich selbst, Schuldgefühle und ein später Versuch der
Umkehr, der zum gänzlichen Verzicht, zur Preisgabe ihrer selbst
oder zu beidem führt.
Roths erster in der Emigration geschriebener Roman,
Tarabas, der 1934 veröffentlicht wurde, hat den Untertitel, den
alle seine Romane ebensogut hätten haben können: Ein Gast auf
dieser Erde. Wie vielleicht bei keinem anderen schöpfte Roth
bei diesem Roman aus vielen Quellen. Über eine dieser Quellen
sagt Roths Wiener Vetter aus: »Ich erinnere mich, daß Roth,
lange noch bevor er den Tarabas verfaßt hatte, von einem
Offizier der polnischen Haller-Armee erzählte, den er
kennengelernt hatte. Die Haller-Armee hat durch ihre
Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung im eigenen Lande,
häufig in Form von Judenpogromen, eine traurige Berühmtheit
erlangt. Im Zuge einer solchen Ausschreitung hätte nun der
betreffende Offizier einem Mann, den er zufällig auf der Straße
sah, seinen roten Bart ausgerissen. Diese Untat hätte er dann
dermaßen bereut, daß er keine Ruhe finden konnte, bis es ihm
gelang, den Verletzten ausfindig zu machen, ihn um Verzeihung
zu bitten und ihm als Entschädigung ein Vermögen zur
Verfügung zu stellen. Ich vermute nun, daß dieser Offizier der
Haller-Armee, trotz der Verschiedenheit der Nationalität, als das
Vorbild für Tarabas diente92 .«
Der Roman läßt an verschiedene literarische Einflüsse

-370-
denken. Naheliegend ist der Gedanke an Gogols Roman Taras
Bulba, wegen des ähnlich klingenden Titels und der darin
vorkommenden Kriegsbegeisterung und soldatischen
Grausamkeit, die Roth auch seinem Tarabas zuschreibt.
Dostojewskis Brüder Karamasow kommen einem ebenfaUs in
den Sinn, denn Roths den Schlüsselpunkt bildende Episode, in
der Tabaras dem Juden Schemarjah den Bart ausreißt, findet ihr
Gegenstück in einer Szene, in der Dostojewskis Dimitrij einen
pensionierten Hauptmann auf die gleiche Art zurichtet. Diese
Brutalität führt bei ihm, genau wie bei Tarabas, zu Reue und
religiöser Wandlung.
In einem Brief vom 22. Mai 1933 schreibt Roth über andere
Anregungen: »PAR DISCRETION :
St. Julien l'hospitalier auf modern, statt der Tiere: Juden, und
zum Schluß die Entführung. Sehr katholisch.
Ich habe den ganzen Stoff in einer ukrainischen Zeitung
gefunden. Er ist ganz vollendet93 . Was Roth in der von ihm
erwähnten ukrainischen Zeitung fand oder ob es sie überhaupt
gab, läßt sich nicht ermitteln, möglich ist aber, daß er sie
erwähnt, um anzudeuten, daß er sich doch nicht übermäßig an
Flauberts Erzählung und andere literarische Vorlagen anlehnte.
In Wirklichkeit erweckt das Buch, das Roth nach Aussage
desselben Briefes in drei Monaten fertigstellen wollte, mehrmals
den Eindruck des Zusammengelesenen. Daß sich Roth dessen
bewußt war, mag wohl auch mit ein Grund dafür sein, daß er
später in fünf verschiedenen Briefen beteuert, der Roman sei
»schlecht« und gefalle ihm nicht94 .
Eine wichtige Quelle für die Romanhandlung hat der Autor
allerdings verschwiegen. Ein handgeschriebenes, mit dem
Jahresdatum 1924 versehenes, aber /zu Roths Lebzeiten/ nie
veröffentlichtes dreiseitiges Manuskript Roths mit dem Titel
»Das Haus des Herrn Kristianpoller« läßt dies klar erkennen943 .
Roths dort vorkommende Behauptung, das Ereignis, worüber er
erzählen wolle, habe tatsächlich in Brody stattgefunden, haben
-371-
drei ehemalige Brodyer ausdrücklich bestätigt95 . Es handelt sich
dabei um den Herrn Kristianpoller, der im Roman mit dem
gleichen Namen wie der jüdische Wirt, der den Oberst Tarabas
beherbergt, auftritt, und der, ähnlich wie im Roman, ein
ungewöhnlich großes Haus mit dicken Mauern und
unterirdischen Gängen besitzt. Die dort befindlichen
übertünchten Heiligenbilder sprechen dafür, daß das
Haus einmal ein Kloster war, das möglicherweise von Kaiser
Joseph 11. aufgelöst wurde und später in den Besitz eines Juden
gelangte. Zufällig erspäht ein polnischer Bauer das Bild der
Mutter Gottes an einer Mauer dieses Bauwerks und setzt andere
davon in Kenntnis. Von den daraus entstehenden, die Juden wie
die Christen in Mitleidenschaft ziehenden Folgen erzählt Roth
dann96 . Im Roman führen sie zum Höhepunkt, der Judenhetze.
Indirekt bewirkt der Pogrom, daß Tarabas sich an einem Juden
vergreift und dann zur Besinnung kommt. Tarabas macht somit
seine »Prüfung« und schließlich seine »Erfüllung« durch, denn
so lauten die Untertitel zu den zwei Hälften des Romans. Am
Ende sagt sich der seiner Erfüllung entgegengehende und Buße
tuende Tarabas: »Manche haben gewußt, Tarabas, daß du die
Welt betrügst und dich selbst. Es war nicht dein Rang, den du
gewaltig spazierenführtest, eine Maskerade war deine Uniform.
So wie du jetzt bist, gefällst du mir, Tarabas97 !«
Ahnlich hätte sich Roths Napoleon, bei dem es sich ebenfalls
um Verblendung, Schuld und Sühne handelt, am Ende der
Hunden Tage ausdrücken können. Etwas abgeschwächt wird in
Beichte eines Mörders die gleiche Thematik von Schuld und
Sühne noch einmal aufgenommen. Die Mattheit und geringe
Überzeugungskraft der drei Romane machen nicht den
Eindruck, daß sich der Autor mit dieser Thematik identifiziert
oder selber von ihr durchdrungen ist. Trotzdem taucht sie bei
ihm öfters auf und berechtigt zu der Charakteristik, die er in
seiner ersten Ankündigung des Tarabas gab: »Sehr
katholisch.«Roth verfolgte damit weiterhin den Weg, den er mit

-372-
dem Antichrist eingeschlagen hatte, und in dem er die Thematik
auf exaltierte und scheinprophetische Art auf seine eigene
Person bezog. Programmatisch fast klingt sie noch in einer
Abhandlung aus seiner letzten Lebenszeit an, die aber nicht
veröffentlicht wurde: »Wer nicht einsieht, daß der Mensch
geboren ist, das Böse zu überwinden, um es zu büßen, kann es
nicht abschaffen durch die ›Tat‹98 .«
Roths Napoleon und sein Tarabas ähneln sich insofern, als sie
beide gewalttätige Herrschertypen sind, an denen die
Armseligkeit irdischer Macht aufgezeigt wird. Über dieses echt
barocke Motiv, das sich bei Roth nicht anders als bei den
barocken Trauerspielen von Lohenstein und Gryphius in
unbekümmerter Willkür an die Geschichte anlehnt, war der
Romancier anfänglich genauso begeistert wie bei seiner früheren
Konzeption von Tarabas. »Es ist ein großer Stoff.... Ich lebte
ganz darin«, berichtet er Stefan Zweig". Seiner Übersetzerin
verrät er, warum er Napoleon in der Zeit zwischen seiner
Rückkehr von Elba, seiner Niederlage von Waterloo und seiner
Verbannung nach Sankt Helena darstellen will: »II in'intéresse,
ce pauvre Napoleon - il s'agit pour moi de la transformer: un
Dieu redevenant un homme - la, seule phase de sa vie, où il est
›homme‹ et malheureux. C'est la seule fois dans l'histoire où on
voit qu'un ›incroyant‹ devient VISIBLEMENT petit, tout petit. Et
c'est ça qui in'attire. Je voudrais faire un ›humble‹ d'un ›grand‹.
C'est visiblement la PUNITION DE DIEU , la première fois dans
l'histoire moderne. Napoléon abaissé: voilà le symbole d'une
âme humaine absolument terrestre qui s'abaisse et qui s'élève à
même temps100 .« Daß Roth bei der Darstellung eines
gedemütigten und an sich selbst zweifelnden Napoleon ein
Wunschbild vorschwebte, das auf verschlüsselte Art auf
Deutschland abzielte, ergibt sich aus einem Gespräch zwischen
Roth und einem holländischen Journalisten bei Roths Aufenthalt
im Jahre 1935 in Amsterdam. Dem Journalisten gegenüber führt
er aus, er habe einen historischen Roman geschrieben, um die

-373-
Tragik eines Diktators aufzuzeigen - denn als einen solchen
betrachte er Napoleon -, der Gottes Stelle einnehmen möchte.
Ob darin eine Parallele zu der zeitgenössischen Geschichte zu
finden sei, überlasse er dem Leser101 . Um die Thematik der
Hybris zu unterstreichen, teilt er wenige Tage später einem
anderen holländischen Journalisten mit, der tragische, aber nicht
historisch belegte Wendepunkt in seinem Roman vollziehe sich
dort, wo Napoleon, kaum in das Schloß Ludwigs VXIII,
eingezogen, ein elfenbeinernes Kruzifix mit Füßen tritt102 . Roths
anfängliche Begeisterung für den Roman hält aber in diesem
Fall nicht einmal für die Dauer der Verfassungszeit vor. »... ich
bin ekelhaft bedrängt sogar beängstigt von meiner dummen
Arbeit«, berichtet er. »Das ist das erste und das letzte Mal, daß
ich etwas ›Historisches‹ mache. Der Schlag soll es treffen... Es
ist unwürdig, einfach unwürdig, festgelegte Ereignisse noch
einmal formen zu wollen - und respektlos103 .« In seinem Aufsatz
über den »Aberglauben an den Fortschritt« hatte Roth vermerkt,
daß es Schriftstellern in der Emigration natürlich erscheine, zu
historischen Stoffen zu greifen. Der Roman selber zeigt
allerdings am besten, wie wenig Roth diese Richtung lag. Als
ihm die Aufgabe noch reizvoll erschien, erwähnte er sie im
Zusammenhang mit Flauberts historischem Roman
Salammbô104. Flaubert jedoch ging es um eine »résurrection du
passé«, die ihn zu anstrengenden Studien historischer Quellen
und einer Studienreise zum Schauplatz des von ihm behandelten
Geschehens nötigte. Roth hingegen kümmerte sich ebensowenig
um die historische Glaubwürdigkeit seines gebrochenen
Napoleons, der sich trostheischend an seine Mutter wendet, wie
um die Tatsache, daß der Sohn der Wäscherin Angelina, den der
Autor als vierzehnjährigen Tambour bei der Schlacht von
Waterloo (1815) fallen und von Napoleon begraben läßt, zu der
Zeit nicht älter als zehn Jahre hätte sein können, da seine Mutter
erst schwanger wurde, nachdem Napoleon Kaiser (1804)
geworden war. Roths »historischer Roman« ist in Wirklichkeit

-374-
eine Privatisierung der Geschichte, die die Fragen von Politik
und Staatsgeschichte sowie eine genauere Darstellung der
Schlacht von Waterloo einfach ausschließt und sich Napoleons
lediglich als symbolischer Figur bedient. Blanche Gidon hatte er
zwar begeistert über die offensichtliche Einmaligkeit seines
Einfalls geschrieben, am Beispiel Napoleons die Verwandlung
eines Großen in einen Niedrigen aufzuzeigen, aber die Fabel ist
früheren, die er geschrieben hatte, gar nicht so unähnlich.
Nikolai Brandeis verzichtet am Schluß von Rechts und Links auf
der Höhe seiner Macht auf alles und zieht davon. Diese
mehrmals inszenierte Loslösung von der Welt, die Erkenntnis
der Nichtigkeit allen Treibens scheint Roth länger und vor allem
viel intensiver beschäftigt zu haben als das Thema von Schuld
und Sühne der ersten dreieinhalb Jahre der Emigration. Als ein
schriftstellernder Kollege in einer Rezension feststellt, Roth sei
bei seinem Napoleon-Roman weit unter seinem eigenen Niveau
geblieben, gratuliert Roth ihm dazu, daß er den Mut aufgebracht
habe, ihm unverblümt die Wahrheit zu sagen105 . Und als der
Roman sich auch noch als finanzieller Mißerfolg erwies, reagiert
er Irmgard Keun gegenüber mit dem bitteren Scherz: »Die
Hundert Tage sind mein Waterloo106 .«
In dem überfüllten Raum eines Amsterdamer Künstlercafes
las Roth 1936 aus seiner im selben Jahr erscheinenden Beichte
eines Mörders vor, nachdem er sie im dortigen Eden Hotel zu
Ende geschrieben hatte107 . Obwohl der Zeitungsbericht, der
diese Information bringt, nichts über die Wirkung auf die
Zuhörer aussagt, ist anzunehmen, daß der Eindruck beim
mündlichen Vorlesen viel stärker war als bei der Lektüre des
Buches. Die Zuhörer im Roman finden die in einer Nacht
erzählte Lebensgeschichte des ehemaligen zaristischen
Geheimpolizisten Golubtschik atemberaubend, und auch die
holländischen Zuhörer Roths werden der bewegten, spannenden
Fabel gebannt zugehört haben. Wenn man den Roman jedoch
selbst liest, fällt der Mangel an künstlerischer Gestaltung und

-375-
epischer Breite auf. Alles macht einen schematischen Eindruck,
auch wenn man in Erwägung zieht, daß es sich um eine
Rahmenerzählung handelt, die mit den Worten eines Mannes
wiedergegeben wird, von dem man kein schriftstellerisches
Talent erwarten kann. Hinzu kommt, daß die Eingleisigkeit der
Handlung und die begrenzte Einbeziehung von Charakteren und
Welt - ähnlich wie bei Tarabas und den Hundert Tagen - nicht
ein Wesenszug des Romans, sondern einer der Novelle ist.
Der bei der Erzählung des Mörders anwesende, mit mehreren
von Joseph Roths Lebenserfahrungen und Eigenschaften
ausgestattete deutsche Schriftsteller betrachtet die
Lebensgeschichte, die er schriftlich festhält, als »eine ewig
gültige, trostlose Geschichte..., unabhängig von Zeit und
Raum...108 « Die Lehre, die diese »trostlose Geschichte« enthält,
entstammt diesmal nicht dem Barock, sondern dem Ideal des
Biedermeier, das vor schuldigmachendem Handeln warnt, wie
etwa in Grillparzers Der Traum ein Leben. Golubtschiks
Verstrickung in Niedertracht, Verrat und einen vermeintlichen
Doppelmord ist darauf zurückzuführen, daß er es sich als rang-
und mittelloser illegitimer Sohn des Großfürsten Krapotkin in
den Kopf gesetzt hat, den adligen Namen seines Vaters zu
führen und in den Genuß der damit verbundenen Vorteile zu
kommen. Die Lehre, die der weise gewordene Golubtschik aus
seinen Jugendsünden zieht, lautet: »Damals wollte ich noch die
Hölle auf Erden, das heißt, ich dürstete nach Gerechtigkeit. Und
wer die absolute Gerechtigkeit will, der ist der Rachsucht
verfallen109 .« Verfallen war Golubtschik auch eine Zeitlang der
Mephisto-Figur Jenö Lakatos, der stets bereit war, das Streben
der Unzufriedenen und Hochhinauswollenden zu unterstützen.
Aber der einst vom Teufel besessene Golubtschik erwacht
beizeiten, eben wie Grillparzers Rustan, aus seinem bösen
Traum.
Mit dem kurzen Roman Das falsche Gewicht (1937)
unternimmt Roth noch einmal die Reise in das galizische

-376-
Grenzland seiner Geburt, und »Szwaby«, sein Tarnname für
Brody, wird zu einem der Schauplätze der Handlung. Trotzdem
scheint Roth die Identifizierung mit seiner eigenen
geographischen Herkunft nicht angenehm zu sein, denn in einer
Weisung an seine Übersetzerin, die offenbar die naheliegende
Schlußfolgerung gezogen hatte, läßt er Galizien zugunsten einer
phanlasierten Bukowina verschwinden: »Le falsches Gewicht se
joue en Bukowinê et pas en Pologne autrichienne d'autre
fois110 .« In diesem Werk erweist Roth sich wieder als großer
Erzähler. Gelungen ist hier die Atmosphäre, überzeugend das
Lokalkolorit und bildhaft einprägsam ist die menschliche
Charakterzeichnung auf eine Art, wie sie ihre Entsprechung in
den vorherigen drei Romanen nur ausnahmsweise findet. Mit
einiger Verwunderung konstatiert Stefan Zweig: »Von Roth
habe ich plötzlich [Das falsche Gewicht] bekommen... Es ist
eigentlich ein Wunder, wie unbeschädigt doch sein Gehirn
geblieben ist. Er ist genau der große Künstler wie früher und
vielleicht hat nur das Stoffliche für uns nicht mehr die Frische
und Neuheit von damals. Es sieht doch so aus, als wäre er noch
rettbar111 .« Zwölf Jahre lang hatte der Soldat Eibenschütz
pflichtgetreu seinen Militärdienst versehen. Dem Drängen seiner
Frau nachgebend, verläßt er die Armee, die ihm zur geistigen
Heimstätte geworden war, und wird als neugebackener
Zivilbeamter mit dem Titel eines Eichmeister in ein
altösterreichisches Städtchen in unmittelbarer Nähe der
russischen Grenze versetzt. Er, der sich früher ganz in seinem
Element fühlte, muß sich nun in einer »giftige[n] Gegend 112 «
zurechtfinden - wie sie am Schluß des Romans aus der Sicht
einer anderen Gestalt umschrieben wird -, die ihm keine stabilen
Anhaltspunkte bietet. Mit seiner schlichten Soldatenmoral und
der eingetrichterten Ehrfurcht vor dem Gesetz hätte er die
Gerechtigkeit in Person verkörpern sollen, aber seine
Rechtschaffenheit bei der Prüfung der Maße und Gewichte der
Händler in seinem Bezirk führt nur dazu, daß ihm von allen

-377-
Seiten Furcht und Haß entgegengebracht wird. Das Gesetz, als
feststehende Richtlinie für das menschliche Handeln und das
öffentlich anerkannte Schutzmittel gegen das Chaos, kann nicht
verhindern, daß das Chaos in Eibenschütz' Leben einbricht und
ihn bis zu seinem Ende verfolgt. In Beichte eines Mörders findet
man in variierender Form eine Aussage über die Tücke der
Gesetze: »... die Gesetze schützen vor der Willkür nicht, denn
die Gesetze werden nach Willkür ausgelegt 113 .« Eibenschütz ist
jedoch kein Auslegender, sondern einer, der vorsätzlich von der
Absicht ausging, sich an das Gesetz zu halten und seine Pflicht
zu tun. Trotzdem irrt er, wenn er seine Pflicht tut, und er irrt
ebenfalls, wenn er vo n seinen Vorsätzen abläßt. In dieser
verwirrenden Kleinwelt, in der die anerzogene
Unteroffiziersdisziplin ihn nicht begreifen läßt, daß das Gesetz
keineswegs eine Gewähr für die Gerechtigkeit bietet und die
Gerechtigkeit selbst eine abstrakte Vorstellung ist, die mit dem
konkreten Leben wenig zu schaffen hat, mißlingt ihm alles.
Ohne ersichtlichen Grund werden Drohbriefe an die Adresse des
gewissenhaften Eibenschütz geschickt, seine Frau betrügt ihn
mit seinem eigenen Kanzlisten, der seinerseits seinem
Vorgesetzten zu schaden sucht, und dabei gelingt es dem
Eichmeister meistens nur, die weniger Geschickten unter den
Händlern wegen Rechtsübertretung dem Gericht auszuliefern.
Von fast allen Seiten isoliert und abgewiesen, fühlt er sich
unwiderstehlich von der Zigeunerin Euphemia angezogen und
sorgt dafür, daß ihr Liebhaber, der unbestrafte Mörder und
Menschenschmuggler Jadlowker, ins Zuchthaus kommt.
Eibenschütz' leidenschaftliche, aber kurzfristige Liebschaft ist
schon zu Ende, noch bevor sich der heimlich zurückgekehrte
Jadlowker durch einen tödlichen Anschlag auf Eibenschütz
rächt. Sterbend hat dieser die Vision, er sei nunmehr selber ein
Händler, der mit falschen Gewichten wöge und sich von
zahllosen falschen Gewichten umgeben sieht. Auf einmal
kommt »der große Eichmeister, der größte aller Eichmeister«

-378-
herein, prüft seine Gewichte und sagt dem erstaunten
Eibenschütz: »Alle deine Gewichte sind falsch und alle sind
dennoch richtig. Wir werden dich also nicht anzeigen"4 .« Bereits
zuvor, als Euphemia mit ihm gebrochen hatte, schien es
Eibenschütz, als sei sein ganzes Leben sinnlos geworden. In der
Form der erlebten Rede fragte er sich damals, welch böser Gott
ihn zu Euphemia gebracht habe, und darauf noch in der Form
der direkten Rede: »Wer regiert eigentlich die Welt115 ?« Im
Augenblick seiner größten Verlassenheit hatte sich der
Eichmeister die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. In der
abschließenden Vision, in der Eibenschütz stirbt und die ganze
Tragweite des Werks erkennbar wird, gibt Gott ihm in der
Gestalt des allergrößten Eichmeisters sozusagen Antwort auf die
damalige Frage und gleichzeitig die Erklärung dafür, warum
sein Leben so sehr in die Irre geführt hat. Der kleine
Eichmeister, der im dunkeln tappte und um Klarheit bat, wird
nun von einer alles andere überschattenden Verwirrung
ergriffen. In jener letzten Antwort auf die letzten Dinge lösen
sich alle Gesetze, alle Richtlinien, alle vermeintlichen
Anhaltspunkte in Dunst auf; sogar an der Gerechtigkeit des
Gesetzgebers, der so zweideutig antwortet, muß gezweifelt
werden, ebenso wie an dessen widersprüchlichem Befund und
der Berechtigung seines Anspruchs, Menschen zu verurteilen
und freizusprechen. Denn der große Eichmeister scheint sich
nicht besonders um die Genauigkeit seiner eigenen Gewichte zu
kümmern. Kein Wunder, daß Eibenschütz unmittelbar darauf für
tot erklärt wird, denn nur durch den Hinweis auf ein
unwiderlegliches, alles durchdringendes Gesetz hätte sich sein
gebrochener Lebenswille noch aufrichten können.
Leibniz' »Uhrmachergott« ließ alle Menschen an der Doktrin
der »prästabilisierten Harmonie« teilhaben und bewirkte
dadurch, daß jeder auch an der heilspendenden göttlichen
Abordnung beteiligt war. Roth hingegen entwirft ein
entgegengesetztes Gottesbild, das Bild eines Schöpfers, der sich

-379-
in seiner Fehlentwicklung ad absurdum führt und sich die
Glaubwürdigkeit verscherzt, da er weder für sich noch für die
Menschheit imstande ist, eine bindende Ordnung zu stiften. Das
gegen Gott gerichtete Gottesgericht wird ausdrücklich oder
implizit an mehreren Stellen in Roths Werk inszeniert, am
klarsten wohl am Ende der Rebellion und des Falschen
Gewichts, verschlüsselt in Hotel Savoy und ironisiert in der
Legende vom heiligen Trinker. Roth, der von der Angst ergriffen
war, niemals den Sinn seines Lebens zu erfahren, redet sie sich
bei der Fragestellung »Wer regiert eigentlich die Welt?« aus der
Seele. Seine Antwort fällt zweimal positiv aus, nämlich in Hiob,
in dem er einen jüdischen, und in Tarabas, in dem er einen
christlichkatholischen Gott vorschiebt. Sonst handelt es sich bei
ihm um einen deus absconditus - einen sich verhüllenden und
entziehenden Gott -, der die nach ihm Suchenden unbefriedigt
und mit dem Gefühl der Verlassenheit im Stich läßt.
Die Erzählung, deren Beginn im Dezember 1934 im Neuen
Tage-Buch als DerKorallenhändler vorabgedruckt wurde und
dann 1940 postum bei Querido unter dem Titel Der Leviathan
erschien, entwirft wiederum getreu ein Bild der Heimat des
Autors. Hier wird, ebenso wie im Falschen Gewicht, eine
Beziehung zum Metaphysischen hergestellt, denn der
Korallenhändler Nissen Piczenik steht in einer untergründigen
und nicht näher definierten Beziehung zum »Leviathan... der
sich auf dem Urgrund aller Wasser ringelte, [und dem] Gott
selbst für eine Zeitlang, bis zur Ankunft des Messias nämlich,
die Verwaltung über die Tiere und Gewächse des Ozeans,
insbesondere über die Korallen, anvertraut [hatte]116 . Und auch
hier wird die Hauptgestalt ihrer Redlichkeit und ihres
Lebenshalts beraubt, während die große Sehnsucht, die dadurch
entsteht, nur gereizt, aber nicht gestillt wird und erst im Tod zur
Ruhe kommt. Somit ist Piczenik, ebenso wie
Eibenschütz, ein Verlorener, der den Weg zu sich selbst nicht
gefunden hat.

-380-
Die Verzahnung, die Das falsche Gewicht und den Leviathan
durch die verwandte Thematik verbindet, wird noch
offensichtlicher durch die Tatsache, daß Nissen Piczenik, der die
Hauptrolle im Leviathan spielt, ein paarmal im Falschen
Gewicht erwähnt wird. Dieses Hinüberwechseln der Gestalten
ist für Roths Werk so bezeichnend und kommt so häufig vor,
daß der Begriff Comédie humaine sich einem von selbst
aufdrängt. La Comédie humaine, Balzacs gewaltiges, aus mehr
als hundert Werken bestehendes Lebenspanorama, veranlaßte
Victor Hugo 1850 bei seiner Grabrede über den verstorbenen
Romancier zu der Feststellung, alle Bücher dieses Schriftstellers
schlössen sich zu einem einzigen Buch zusammen117 . Von Roths
wesentlich kleinerem Œuvre kann man das nicht behaupten, da
es sich nicht, wie bei Balzac, auf einen Staat und eine
Nationalität beschränkt. Auch bei dem Hinweis auf Roths
Comédie humaine muß differenziert werden, denn anders als bei
Balzac sind die in mehreren Werken wiederkehrenden
gleichnamigen Charaktere nicht immer miteinander identisch.
So stirbt z. B. Nissen Piczenik im Leviathan kinderlos, während
er im Falschen Gewicht »schulpflichtige Kinder« hat. Und im
Tarabas ist er Inhaber eines Kramladens, während er im
Leviathan sein Leben lang Korallenhändler war. Dabei lebt jede
dieser gleichnamigen Gestalten an einem anderen Ort. Im Hiob
gibt es noch einen vierten Piczenik, der allerdings den
Vornamen Nathan hat und nur ein einziges Mal erwähnt wird.
Insgesamt sind es mehr als vierzig Figuren und eine
beträchtliche Anzahl ausgefallener Ortsnamen, die mehrfach
von Roth verwendet werden. Einige dieser Reinkarnationen sind
mit ihren Namensvettern identisch, einzelne berufen sich auf das
Leben, das sie in anderen Werken geführt haben und entwickeln
sich weiter, manche weisen zumindest gemeinsame Züge auf,
während andere den gleichen Namen führen, obgleich sich das
gar nicht logisch erklären läßt. Eine lange Reihe von
Eigennamen hat Roth ihm bekannten, hauptsächlich aus Brody

-381-
stammenden Menschen entlehnt, aber auch hier kann man nicht
verallgemeinern, da einige der in seinen Werken vorkommenden
Gestalten ziemlich genau ihren lebenden Originalen
nachgebildet wurden, während andere nur den Namen mit ihnen
gemein haben. Dies alles legt die Vermutung nahe, daß Roth
von einem epischen Universum erfüllt war, das ein eigenes
Leben bei ihm führte. Die einmal von ihm verwendeten Figuren
gingen nicht mehr verloren, sie blieben in seiner Erinnerung
haften, wurden ihm vertraut und nahmen für ihn
Wirklichkeitscharakter an. Sie gehörten einer von ihm
konzipierten Welt an, in der er alle Menschen persönlich kannte,
obgleich deren Identität oft variabel blieb. Als er beim
Schreiben wieder zu einer solchen Figur griff, ging es ihm nicht
notwendigerweise darum, bereits festgelegte Gestalten neu
erstehen zu lassen oder an frühere Lebensgeschichten
anzuknüpfen, sondern aus einer Privatwelt zu schöpfen, deren
Vertrautheit ihm die Gewähr für die Echtheit seiner Kunst gab.
Der Rittmeister Baron Taittinger ist eine weitere Figur aus der
Rothschen Comédie humaine. Im Radetzkymarsch dient er mit
Carl Joseph von Trotta im selben in Mähren gelegenen k. u. k.
Regiment, wo er als leise, hager und genäschig geschildert wird
und als einer, der seine Vorgesetzten genau kannte und
stundenlang Domino oder Schach mit sich selbst oder dem
Obersten zu spielen pflegte118 . In der Geschichte von der 1002.
Nacht kehrt der erst flüchtig umrissene Taittinger als
Hauptgestalt zurück, diesmal als ein gesellschaftlich gewandter,
begüterter und charmanter, aber geistig beschränkter und in
praktischen Dingen völlig inkompetenter Lebemann.
Am 20. Juni 1937 kündigt Roth an, daß dieser Roman »schon
gesetzt... aber nicht korrigiert und durchgearbeitet« sei119 . Am 8.
August 1937 berichtet er Stefan Zweig: »Ich habe den großen
Roman ›1002. Nacht‹ fertig... Ich habe [beim Verlag De
Gemeenschap] erreicht, daß mein... Buch nicht Weihnachten,
sondern erst 38 erscheint120 .« 1938 kommt es mit der

-382-
Kapuzinergruft, die er erst nach seinem »großen Roman«
vollendet, zu Roths erster Publikation in jenem Verlag. Aus dem
zuletzt zitierten Brief geht auch hervor, daß Roth das Erscheinen
der Geschichte von der 1002. Nacht aufschieben wollte, da er
nun der Meinung war, es sei nicht gut, zu viele Bücher
hintereinander zu veröffentlichen. Vermutlich ließ er dann die
Kapuzinergruft zuerst veröffentlichen, da sie ihm durch die vo m
Anschluß inspirierten Schlußseiten plötzlich aktuell und folglich
leichter verkäuflich vorkam. Als Roths Kusine Paula Grübel
kurz nach dem Tode Roths auf Hermann Kestens Bitte die in
ihrem Besitz befindlichen Werke seines Nachlasses aufzählt,
teilt sie mit: »Orginalmanuskript, 2 Maschinencopien und ein
Korrektur-Exemplar des nicht erschienenen Romans: ›Die
Geschichte aus der 1002. Nacht‹ befindet sich bei mir. Wie es
Ihnen gewiß bekannt ist, hat Roth das Buch nicht erscheinen
lassen. In poln. Übersetzung ist es herausgegeben121 .«
Der bereits gedruckte Roman, der auch vor Ende seines
Todesjahres erschien, zeigt Roth, wie es einer seiner
Bewunderer ausdrückte, der ihn noch aus der Zeit vor der
Emigration kannte, »auf der Höhe seines glanzvollen
Könnens...122 «. Der assoziative Titel weckt mancherlei
Erwartungen: man ist auf phantastische und die Sinne reizende
Bilder der bunten Welt des Morgenlands und eine märchenhafte
Liebesgeschichte zwischen einem Fürsten und seiner
Scheherezade gefaßt. Roth entspricht auf seine - allerdings stark
ironisierende - Art den Erwartungen, denn er bietet eine Fülle an
Einfallen und Einzelheiten und erreicht eine künstlerische
Vollendung, die ihm seit dem Radetzkymarsch und dem Hiob
nicht mehr gegeben war. Für die orientalischexotische Note
sorgt »der Schahin-Schah, der heilige, erhabene und große
Monarch, der unumschränkte Herrscher und Kaiser aller Staaten
von Persien,...123 der Herr der dreihundertfünfundsechzig Frauen
und der fünftausenddreihundertzehn Rosen von Schiras... 124 «
Der Roman entwirft außerdem das breitangelegte

-383-
Gesellschaftsporträt eines noch unbekümmerten Österreich aus
den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Anders als im
Radetzkymarsch handelt es sich hier um eine heile Welt, die
keinen Anlaß bietet, über Untergang und Auflösung zu reden:
»Es herrschte damals tiefer und übermütiger Frieden in der
Welt. In den Zeitungen der Monarchie las man: Hof- und
Personalnachrichten, Berichte über die Vorbereitungen zum
nächsten Fiakerball, Feuilletons über den Kahlenberg, über die
Katakomben der Stefans-Kirche, über ländliche Feste in Agram,
Aussichten für die Tabaksernte der braven Schwaben im Banat,
Manöverberichte aus der Umgebung von Lemberg,
Schilderungen eines Kinderfestes im Prater unter dem
Protektorat einer kais erlichen Hoheit, von Kegelvereinsfesten
der Schlachtermeister, Tischler, Schuster; und was dergleichen
mehr an friedlichen, heiteren, sinnlosen Ereignissen in der nahen
Welt und in der weiten vorkommen mochte125 .« Und wenn ein
einzelnes Mal vom Anbrechen der schrecklichen Zeit der
Preußen die Rede ist126 , so kann dies aus der unmittelbaren Sicht
des Romans nur Königgrätz bedeuten, wenn auch der Autor
selbst sich wohl anderes dabei gedacht haben wird.
Aber trotz des Märchenmotivs und der Heiterkeit, die die
ersten Kapitel des Romans kennzeichnen, mündet das Werk,
was Baron Taittin ger, die von ihm verführte Mizzi Schinagl und
deren unehelichen und mißratenen Sohn sowie einige
Randpersonen anbelangt, unausweichlich in eine jämmerlich
elende Realität. In keinem seiner Romane nähert sich Roth so
sehr wie in diesem, mit all seiner heiteren Stimmung und
Eleganz neben Enttäuschung und Melancholie, der literarischen
Richtung Jung Wiens und vor allem dem Beispiel Arthur
Schnitzlers. Ist Taittinger nicht von vornherein wie Schnitzlers
Anatol ein leichtsinniger Melancholiker, so ist er doch ein
Leichtsinniger, der in Melancholie endet. Im Falschen Gewicht,
das so völlig anders konzipiert und dennoch vom selben
Lebensgefühl durchtränkt ist, steht der Satz: »Die meisten

-384-
sterben dahin, ohne von sich auch nur ein Körnchen Wahrheit
erfahren zu haben.... Manchen aber ist es vergönnt, noch in
diesem Leben zu erkennen, was sie eigentlich sind 127 .« Die
wenigen jedoch, die in Roths Werk einen Einblick in die eigene
Seele gewinnen, gelangen gerade dadurch in einen heillosen
Konflikt mit sich und der Welt. Der junge Zipper in Zipper und
sein Vater und Franz Tunda in Flucht ohne Ende gehören zu
denen, die mehr Wahrheit über sich erfahren, als sie ertragen
können. Aber keinem anderen wird die zermürbende und
verhängnisvolle Erkenntnis der eigenen Verwerflichkeit in dem
Maße zuteil wie gerade Taittinger. Seine »muntere
Herzlosigkeit128 « und Unbekümmertheit, aber auch der Glaube
an sich selbst und der Lebenserhaltungstrieb bleiben ihm nur so
lange erhalten, als ihm seine undurchdringliche Ich-Bezogenheit
erhalten bleibt. Erst als die Selbstbesinnung ihm zum
Bewußtsein bringt, was er im Leben angerichtet hat, gilt es nicht
mehr seiner Umwelt, sondern sich selbst zu entfliehen, so daß
ihm von den ihm zur Verfügung stehenden »drei Auswegen129 «,
nämlich die Flucht nach Wien, die Flucht ins Trinken und die
Flucht in den Tod, nur noch letzterer übrig bleibt. Das
Hauptcharakteristikum, das die Puppen kennzeichnet, von denen
am Ende des Romans die Rede ist, besteht in deren
Äußerlichkeit und in ihrer Unfähigkeit, die Fäden, an denen sie
baumeln, zu sehen. Nachdem die schützende Unwissenheit
aufgehoben ist, führt die Handlung, die mit einem
märchenhaften Anfang einsetzte, notwendigerweise zu einem
bösen Ende.
In seinem letzten Werk sorgt Roth dadurch für einen
glücklichen, wenn auch tödlichen Ausgang, daß kein Strahl der
Selbsterkenntnis jemals in das Gehirn der Hauptgestalt
einzudringen vermag. Klaus Dohrn erzählt von der zufälligen
Begegnung seines in Paris lebenden
Stiefvaters mit einem angetrunkenen, um eine Spende
bittenden clochard, die dieser in der Kirche nach dem Anhören

-385-
der Messe abzugeben versprach. Im Café Tournon hört Roth
diese Anekdote von Klaus Dohrns Bruder Joachim, findet sie
schön und meint: »Daraus werde ich eine Geschichte machen.
Sie wird meine letzte sein130 .« Mit Unterbrechungen arbeitet
Roth vier Monate lang an der Legende vom heiligen Trinker,
liest sie zum Abschluß im April 1939 einer Gruppe von
Bekannten in der Wohnung Friderike Zweigs vor und widmet
die Novelle bei dieser Gelegenheit seiner Gastgeberin131 . Walter
Mehring, der einer Vorlesung beigewohnt hatte, als die Novelle
noch im Entstehen war, meint, daß Roth auf diese Novelle
»besonders stolz« war. »›Mein Testaments sagte [Roth]; ›meine
Verleger werden sich daran für meine Vorschüsse schadlos
halten132 .‹«
Einer seiner Bekannten aus der Emigration sagt aus, Roth
habe immer mit einem mitleidig ironischen Lächeln zugesehen,
wenn ein anderer sich in seiner Nähe betrank 133 . Es war auch der
mit ernsten Dingen kämpf ende Ironiker in Roth, der auf Franz
Bleis Frage, warum er denn so viel trinke, zur Antwort gab: »...
es ist mein Auftrag von Gott, Säufer zu sein, um mich in seinem
ändern Auftrag demütig zu halten134 .« Roths »Testament« ist
von einem lyrischen Gelöstsein und einer halbversteckten Ironie
erfüllt, deren Pointe bereits im Titel enthalten ist. Mit
heitermelancholischer Verspieltheit beschreibt der so lange auf
Wunder hoffende Roth eine Reihe von Wundern, die dem
Trinker und clochard Andreas zuteil werden. Die Glücksfälle
und Rückfälle der letzten drei Wochen seines Lebens machen
die Legende des heiligen Trinkers aus. Mit dem Auftritt des
seltsamen Botschafters, der Andreas mitteilt, »... Gott schickt
Sie mir in den Weg« 135 , fängt die Novelle an, die sich im Stil
und Rhythmus dem Legendenton annähert. Ungebeten schenkt
jener Fremde Andreas zweihundert Francs mit der Bitte, sie
gelegentlich, wenn er sie entbehren kann, zu Ehren der kleinen
Heiligen Thérèse von Lisieux an der Kapelle Ste. Marie des
Batignolles zu Händen des Priesters, der die Messe gerade

-386-
gelesen hat, zurückzugeben. Andreas, ein heilloser und ohne
festen Wohnsitz lebender Trinker, der in früheren Jahren als
Mörder des Mannes seiner Geliebten zu Zuchthaus verurteilt
wurde, scheint dennoch der Gnade Gottes teilhaftig geworden zu
sein, denn nach Roths ironisierender Andeutung ist er ein
Sünder, der Gott nahe ist. Was sich hier als Ironie ausgibt, läßt
auch die Möglichkeit offen, ernst genommen zu werden, und
diese Möglichkeit wird durch die Überlieferungen über Heilige
zumindest nicht ausgeschlossen. So schreibt ein Berufener, der
sich mit den »Abwandlungen« der »Heiligenvita« befaßt: »Es ist
keine Seltenheit, daß ein Heiliger sein Leben als Unheiliger
anfängt, ja es ist fast das deutlichste Zeichen, daß Tugend durch
Gottes Gnade tätig wird, daß man erst Vater und Mutter
ermorden oder in Blutschande leben und dennoch wie Gregorius
seine Tage als Heiliger beschließen kann. Vielleicht stehen
gerade solche Heilige dem gewöhnlichen Sterblichen am
nächsten136 .«
Die »Wunder« mehren sich - immer sind es durchaus
diesseitige, materielle Begünstigungen -, so daß Andreas »durch
die fast ununterbrochene Reihe der Wunder in den letzten Tagen
bereits überzeugt war, daß sich die Gnade auf ihn niedergelassen
hatte...137 « Ist man bereit, der Anschauungsweise der Novelle zu
folgen, so kann man den Anspruch auf Gnade und Heiligkeit des
Andreas anerkennen. Der Heilige ist tugendhafter als die
anderen und fällt auch dadurch auf. Ausübende Tugend versteht
sich als servus dei - als Dienst Gottes - und wird durch das
Wunder bestätigt. Ehe Andreas des ersten Wunders teilhaftig
wird, antwortet er dem Unbekannten, der ihn bittet, ihm einen
»ungewöhnlichen Gefallen« zu tun: »Ich bin zu jedem Dienst
bereit 138 .« Dies bleibt seine unveränderliche Einstellung bei
allen Begegnungen: allen ist er zu Willen, alle, die mit ihm
zusammentreffen, gewinnen dabei, in den meisten Fällen
freilich, weil sie ihn ausnützen und er alles mit sich geschehen
läßt. Selbst die Tat, die ihn zum Verbrecher machte und ihn aus

-387-
der Bahn schleuderte, geschah, weil er seine Geliebte Caroline
gegen den mörderischen Anschlag ihres Mannes in Schutz
nehmen wollte.
Die theologischen Tugenden, die zur Definition des Heiligen
gehören, nämlich spes (Hoffnung), fides (Glaube) und cañtas
(Nächstenliebe), lassen sich alle bei Andreas feststellen, und in
diesem Zusammenhang hat auch die merkwürdige Beziehung,
die er zu der Heiligen Thérèse von Lisieux unterhält, ihre
Bewandtnis. Unter dem Imprimatur der Kirche steht die
Behauptung, die großen Ehren, die der so gut wie Unbekannten
zuteil wurden, beruhten auf einer Heiligkeit, die sich durch das
unerschütterliche Vertrauen in Gott und eine absolute Liebe zu
ihm auszeichnete. Gott habe Thérèse auserwählt, um eben daran
zu erinnern, daß es die große Liebe und nicht die großen Taten
seien, die das Wesen der Heiligkeit ausmachten139 .
Will man den Glauben an Andreas' zweifelhafte Eignung zum
Heiligen durchaus aufrecht erhalten, so muß man von den
moralischen Tugenden absehen, von justitia (Gerechtigkeit),
prudentia (Umsichtigkeit), fortitudo (Tapferkeit) und vor allem
temperantia (Mäßigkeit), die von einem wirklichen Heiligen zu
erwarten sind und von denen in seinem Verhalten gerade das
Gegenteil nachweisbar ist. Man muß auch über den Umstand
hinwegsehen, daß immer an Andreas Wunder geschehen,
während andere in seiner Umgebung von ihnen unberührt
bleiben. Dennoch gelingt es Roth in seiner letzten Schöpfung,
die Distanz zwischen dem Heiligen und dem Profanen
gleichsam verschwinden zu lassen. Die Technik, die es ihm
ermöglicht, durch ironische Mittel die sich unwillkürlich
einstellenden Einwände gegen Andreas' vermeintliche Heiligkeit
zum Schweigen zu bringen, hatte Roth ganz am Anfang seiner
schriftstellerischen Laufbahn im Jahre 1919 beschrieben. Es
handelt sich um ein paar Zeilen in einem ironisch gehaltenen
Märchen, das er damals in einer Wiener Zeitung veröffentlichte:
»Es ist sehr leicht, Märchen zu erzählen. Wäre das, was ich hier

-388-
schreibe, eine Erzählung, eine Novelle oder so was, ich müßte
sagen, woher der... Musikant die Geige habe. Aber in einem
Märchen ist alles so einfach. Die Geige ist da und basta. Man
frage also nicht, wie sie in den Besitz des... Musikanten kam140 .«
In seiner Legende vom heiligen Trinker ist ebenfalls »alles so
einfach«, jede Motivierung des Wieso und Woher erübrigt sich.
Die Glücksfälle stellen sich mit verblüffender Häufigkeit ein,
wobei offengelassen wird, ob es sich wirklich um Wunder oder
nur Zufälle handelt. Die Schwierigkeit der Darstellung eines
kontrollierbaren Wunders, wie es im Hiob vorkommt, wird
umgangen, indem der Erzähler bloß feststellt: »... es war einfach
ein Wunder, und innerhalb des Wunders gibt es nichts
Verwunderliches141 .« Dadurch, daß der Autor keinen Wert auf
Beweise legt, kann er sie sich auch ersparen. Das Verfahren, bei
dem hinter die Kulissen geschaut wird und Antworten verlangt
werden, wie in Rebellion und in Hotel Savoy, wird hier restlos
aufgegeben. Die durch Alkoholdünste benebelte Perspektive aus
der Erlebniswelt des Andreas läßt keine derartige Kontrolle zu,
während der Erzähler sich seinerseits kein Nachdenken erlaubt.
Darum lautet seine »Begründung« für die Tatsache, daß gerade
Andreas für das Geschenk der zweihundert Francs ausgesucht
wird: »... warum wissen wir nicht 142 .« Die Vieldeutigkeit der
Wunder, die sich alle vor einem realistischen
Hintergrund abspielen, sowie der Wechsel von Präzision und
Verschwommenheit machen den Reiz dieser Novelle aus. So
fängt sie in der ersten Zeile mit eine r festen Zeitangabe an: »An
einem Frühlingsabend des Jahres 1934«, und der erste Absatz
endet mit der Bemühung um Genauigkeit, die in einer
Selbstberichtigung zum Ausdruck kommt: »... die Obdachlosen
von Paris [pflegen unter der Brücke der Seine] zu schlafen, oder
besser gesagt: zu lagern143 .«Wer aber der Herr ist, der dort
hinuntersteigt, um Andreas aufzusuchen, wird nicht erklärt und
auch nicht, warum er gegen Ende der Novelle noch einmal
erscheint, um Andreas abermals zweihundert Francs zu

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schenken, und dabei leugnet, Andreas bereits begegnet zu sein.
Die Novelle besteht aus fünfzehn kurzen Kapiteln, in denen
Andreas, in dem ein guter Kern steckt, jedesmal erneut versucht,
sich zu rehabilitieren. Durch das Hin und Her zwischen Kirchen
und Taverne, zwischen dem stets lockenden Untergang und der
immer wiederholten Hoffnung auf das Heil entsteht die
Spannung dieses Werkes. Andreas beschließt, »ein neues Leben
zu beginnen« 144 , aber immer wieder fällt er in das alte zurück. In
den Romanen der zwanziger Jahre, in Hotel Savoy, Rebellion,
Flucht ohne Ende, Zipper und sein Vater und Rechts und Links,
ging es ausnahmslos um die Existenzfrage einzelner: welche
Lebensmöglichkeiten einem die Welt bietet und wie und wo
man sich einzufügen hat, wenn die Existenzfrage auch in jedem
Fall ungelöst blieb. Andreas geht es aber nicht darum, eine Rolle
zu spielen, sondern ein Versprechen zu halten, denn ebenso wie
sein Leben selbst bedeuten die zweihundert Francs sowohl
Verantwortung wie Auftrag. Andreas trägt sich mit einem
Auftrag, mit dem er nicht fertig wird, den er aber auch nicht
abschütteln kann. Mehrere Male ist er nahe daran, sich seiner
Schuld - d. h. seiner Verantwortung und seines Auftrags - bei
der Heiligen Thérèse zu entledigen, aber immer wieder hält ihn
etwas davon ab. Dreimal kommt auf der letzten Seite der
Novelle das Wort »schuldig« vor. Die vielen Versuche, mit
dieser Schuld fertig zu werden, ergeben die Peripetien der
Novelle.
Am Ende bricht Andreas in der Taverne zusammen und wird
in die nahe Kapelle gebracht, begleitet von einem jungen
Mädchen, das den Namen der Heiligen Thérèse trägt und das er
in der Taverne mit diesem Namen angesprochen hatte. Mit einer
letzten Bewegung greift er zur Rocktasche, in der sich das Geld
befindet, das er schuldig geblieben ist und abgeben möchte, und
haucht sein Leben aus.
Dank seiner naiven, durch Bewußtsein und Intellekt völlig
unberührten Gewißheit, waren die von Andreas erlebten Wunder

-390-
eben echte Wunder, und die Heilige Thérèse wird ihm zu einer
lebenden Heiligen, wodurch er seinerseits quasi zu einem
Heiligen wird. Bei der leibhaftigen Erscheinung »seiner«
Heiligen kann er auch in gutem Glauben einen Augenblick vor
seinem Tod sagen: »Ich habe nicht gedacht, daß eine so große,
eine so kleine Heilige, eine so große und so kleine Gläubigerin
mir die Ehre erweist, mich aufzusuchen, nachdem ich so lange
nicht zu ihr gekommen war145 .« Der Tod ist für Andreas die
endgültige Unbewußtheit einer bewußtlosen, aber scheinbar
doch noch Erfüllung bringenden Existenz, denn der Tod scheint
hier anzudeuten, daß dem armen Helden im letzten Augenblick
die ersehnte Gnade zuteil wurde.
Im Radetzkymarsch sagt der Bezirkshauptmann angesichts
des schmerzlosen Todes von Jacques, seinem alten Diener: »So
möcht' ich einmal sterben...146 .« Und als der Regimentsarzt im
selben Roman zum letztenmal vor seinem bevorstehenden Duell
trinkt, trinkt er, der bereits mit dem Leben abgerechnet hat:
»Auf einen leichten Tod147 !« Die Legende vom heiligen Trinker
beendet der Autor mit einem ähnlichen Wunsch, bei dem er sich
selbst einschließt: » Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so
leichten und so schönen Tod148 !« Wie hat man dies zu
verstehen? Nach so vielen Irrfahrten beschließt der Autor sein
letztes Werk und somit sein Oeuvre mit einer literarischen Bitte
um Erlösung. Sein Andreas hatte mit Hilfe des Trinkens eine
Stufe der Gläubigkeit erlangt, die dem immer nüchternen
Trinker Roth verwehrt blieb. Darum spricht Rot im eigenen
Namen, wenn er den bisherigen ironischen, aber indirekten
Bezug auf sich fallen läßt und dem Tod als einzigen sicheren
Erlöser im eigenen Namen eine Einladung erteilt. Nicht umsonst
schrieb ein naher Freund des Autors von der »schweren
Todessüße« dieser Erzählung149 . Daß Roth in seiner letzten Zeit
beim Warten auf den geladenen Gast ungeduld ig wurde, geht
aus verschiedenen Anekdoten hervor. Eine solche gibt auch
Friedrich Torberg zum besten: »Nur selten fand [sich Roth]

-391-
bereit, zum Essen ein weiter als fünf Minuten [von seinem
Hotel] entfernt gelegenes Restaurant aufzusuchen. In einem
solchen Lokal geschah es einmal, daß ein besonders beflissener
Kellner die selbst in den kleinsten Lokalen übliche Frage, ob
Monsieur die Mahlzeit nicht mit einem Aperitif beginnen wolle,
schon mehrmals gefragt hatte und keine Antwort bekam - Roth
sah verloren und wasserblau an ihm vorbei und hatte die Hand
leicht an das eine der tabakvergilbten Enden seines blonden
Schnurrbarts gelegt. Der Kellner ließ sich's nicht verdrießen.
›Quelque chose pour commencer, Monsieur?‹ fragte er
abermals. Und jetzt bekam er eine merkwürdige Antwort. ›Je ne
commence pas‹, sagte Roth, ohne sich zu rühren. ›Je ne
commence plus. Je suis finiI50‹.«

-392-
20
Der Tod eines Mythomanen1

Bei gutem Wetter pflegte Joseph Roth an einem grünen Tisch


auf der Terrasse des Cafés Tournon zu schreiben. Ansonsten
ließ er sich auf die Polsterbank in der linken Ecke des Lokals
neben dem Fenster nieder. Vor fünf Wochen hatte er dort seinen
Schwanengesang, Die Legende vom heiligen Trinker,
abgeschlossen. Mit der Einfühlung des Alkoholikers, der einen
Schicksalsgenossen beschreibt, hatte Roth dort vermerkt: »... zu
jenem langsamen Untergang entschlossen, zu dem Trinker
immer bereit sind - Nüchterne werden das nie erfahren! -, begab
sich Andreas wieder an die Ufer der Seine unter die Brücken2 .«
Roth, der manchmal zwölf bis vierzehn Stunden an einem Tag
arbeitete, hatte in den letzten paar Wochen selten ein Wort zu
Papier gebracht 3 . Statt dessen verbrachte er, in sich gekehrt,
Stunden der Schwermut, das Kinn tief auf die Brust gesunken,
während seine Feder unberührt auf einem von vielen Papieren
umgebenen, mit wenig Worten beschriebenen Schreibblock lag.
Sah man ihn in dieser Verfassung, so wußte man nicht, ob er
über einem Roman grübelte oder nur vor sich hin döste.
Gewöhnlich verließ Roth seinen Stammtisch erst in den späten
Morgenstunden, um schwerfällig und mühsam die zwei zu
seinem Hotelzimmer führenden Treppen zu erklimmen. Das
kleine Zimmer war nichts weiter als ein von einer Dachluke
erhellter Schlafraum, den das breite Bett fast ganz ausfüllte.
Einem der vielen, die kamen und gingen und es sich zur
täglichen Aufgabe machten, bei Joseph Roth einzukehren,
vertraute er spöttelnd an: »Wenn ich morgens aufstehe, falle ich
gleich aus dem Bett in den Gang4 .« Die geschwollenen Füße
machten ihm das Gehen beschwerlich, selbst die regelmäßigen
Besuche im Café Les Deux Magots wurden seltener. Er
beschränkte seine Spaziergänge auf die von ihm so genannte
»Republik Tournon« 5 , jene unmittelbare Nachbarschaft, die vom

-393-
Hotel bis zum Senatspalais am Ende der Straße reichte. Man
zählte das Jahr 1939 und der Anschluß Österreichs, der Roth zur
Verzweiflung gebracht hatte und der den Zusammenbruch
seines letzten ideellen Halts bedeutete, lag schon fünfzehn
Monate zurück. Es war der letzte Sommer vor Ausbruch des
Krieges, und viele Emigranten und Freunde Roths aus
Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, die versucht
hatten, in Paris Fuß zu fassen, bemühten sich jetzt, anderswo
Sicherheit zu finden. Im Frühling 1939 wurde Roth von einem
Komitee unter der Ägide der Gattin des Präsidenten Roosevelt
eingeladen, nach Amerika zu kommen6 . Im Jahr vorher hatte er
sich noch um die Auswanderung nach Mexiko bemüht, aber als
der seit kurzem dort lebende Vetter ihm berichten mußte, er sei
nicht in der Lage, ihm zur Erfüllung seines Wunsches zu
verhelfen, ließ Roth diesen Rettungsgedanken fallen7 . Die
Mahnungen der Freunde, sich beizeiten umzusehen, schlug Roth
in den Wind, und über das zu verschaffende »Affidavit«, ein
Wort, das mit eintöniger Regelmäßigkeit in den ihn aus Amerika
erreichenden Briefen vorkam, ließ er sich mit Spott aus. Roth,
erst vierundvierzig Jahre alt, hatte sich auf seinen Tod
eingestellt. Wenn das Thema rechtzeitiger Rettung erneut
aufgeworfen wurde, antwortete Roth häufig: »Hier, hier sterben
an dieser Ecke, an diesem Caféhausfenster8 .«
»Il décroche«, so meinten die besorgten Freunde, die
mitansehen mußten, wie er sich dem Verfall hingab9 . Aber
selbst noch in diesem letzten Stadium der herbeigesehnten und
zugleich gefürchteten Auflösung bewahrte er sowohl die
chevaleresk österreichischen Manieren, die seinen Habitus
bestimmten, wie auch jene heitere Verspieltheit, die zu seinem
Charme gehörte und ihn für Augenblicke davor bewahrte, in den
Abgrund zu starren10 .
Bis ins letzte Jahr seines Lebens blieb Roths Arbeitstisch im
Café Sammelpunkt der vielen Besucher, die sich im Kommen
und Gehen ablösten. In später Nacht brachte Roth einmal

-394-
spaßeshalber das Gespräch auf die »drei Schichten«, die sich um
seinen Tisch versammelten. Vom Einbruch der Dunkelheit bis
Mitternacht verweilte die erste Schicht, nämlich die mondäne
Welt - Journalisten, Schauspieler, Verehrer auf der Durchreise.
Von Mitternacht bis 3 Uhr saßen die intimeren Freunde da, die
deutschen Emigranten Soma Morgenstern und Jean Janès, die
beide im selben Hotel mit Roth wohnten, und gelegentlich auch
Ernst Toller, Stefan Zweig, denen sich Friderike Zweig,
Hermann Kesten, Ludwig Marcuse, Walter Hasenclever, Arthur
Koestler, Franz Werfel, Emil Ludwig, Egon Erwin Kisch,
Valeriu Marcu, Walter Mehnng, Joseph Constantinowsky,
Hertha Pauli, Sybil Rares, Hubertus
Prinz zu Löwenstein, Alfred Kantorowicz, Gustav Regler, der
alte Mitschüler aus Brody, Dr. med. Eduar Broczyner, Dr. med.
Herbert Stoerk, Josef Bornstein - der Chefredakteur der »Pariser
Zeitung« -, Leopold Schwarzschild, die Journalisten Rudolf
Olden, Hans Siemsen, Hans Natonek, Ernst Erich Noth und der
Verlagslektor Karl Retzlaw anschlössen. In größeren Abständen
erschienen um diese Zeit Alfred Polgar, der ehemalige
Senatspräsident der Freien Stadt Danzig Hermann Rauschning,
die Professoren Georg Bernhard und Franz von Hildebrandt
sowie auch österreichische Aristokraten und Vertreter der
monarchistischen Bewegung. Nach drei Uhr saß Roth oft noch
weitere zwei Stunden allein mit Joseph Gottfarstein. Zwischen
diesen beiden bestand eine Seelengemeinschaft, die das
Sprechen unnötig machte. Nach einigem Schweigen, das auf das
Aufbrechen der anderen folgte, hielt Roth seinem Freund
gegenüber Rückschau, übte Kritik an den vielen Leuten und
ihren Gesprächen und verglich die Mitglieder der zweiten
Schicht mit der vorangegangenen. Wenn Roths Lust an der
Unterhaltung nachließ und die Müdigkeit kaum noch
niederzukämpfen war, ließ sich die Verzweiflung nicht mehr
durch bon mots bannen; er starrte auf die zwanzig oder dreißig
Untertassen, die seinen täglichen Verbrauch von »Suze à la

-395-
Mirabelle« markierten, und versank in trauriges Nachsinnen.
Nach anhaltender Stille verabschiedete sich Roth von seinem
Freund mit den heiser hervorgebrachten Worten, »Jetzt ist die
Schicksalsstunde, jetzt kehrt jeder in sein eigenes Gehäuse
zurück«11 . Mehr als fünfzehn Jahre zuvor hatte Roth, sich selbst
zur Zerstreuung, die eigene Seelengeschichte in einem
Notizbuch12 aufgezeichnet, in dem sich der alles
vorwegnehmende Satz befindet: »So einsam, wie einmal mein
Tod werden sollte, war heute schon mein Leben.« Gewohnt hat
Roth im Café, als Mittelpunkt der Geselligkeit. Das Zimmer, in
dem das Alleinsein auf ihn lauerte, benutzte er nur zum
Schlafen. Im letzten Jahr waren ihm, da sein Körper von
Magenkrämpfen und Erbrechen geschüttelt wurde, die Nächte
zu Schrecknissen geworden13 .
Die starken Getränke, die ihm das Leben erträglich machen
sollten, hatten seine Lebenskraft zerfressen. Eine chronische
Magenentzündung machte die Nahrungsaufnahme weitgehend
unmöglich, er vertrug nur ein Biskuit mit zwei Schlucken
Alkohol. Mehr konnte sein Magen nicht verarbeiten. Am letzten
Abend vor der Einlieferung ins Spital saß Roth allein mit
Jean Janès und Hans Siemens im Café. Es war Montagabend,
außer der Besitzerin, Germaine Alazard, waren die drei die
einzigen im Lokal. Um halb 9 abends war Roth, der mehrere
Stunden nicht getrunken hatte, völlig nüchtern und - übermannt
von Todesgedanken - ein Bild der Depression und der
Müdigkeit. Der halb leere Raum bedrückte ihn, er gemahnte zu
sehr an das Nichts und die lastende Einsamkeit. Als die Kasse
kurz erklang, fiel ihm ein, daß er an diesem Tage einen
wohlhabenden Gönner um Geld angegangen hatte und auf
dessen nächsten Besuch vertröstet worden war. Er sprach von
dem Begriff »Rechenschaft« mit seinen Gesprächspartnern und
schloß mit den Worten: »Alles muß man bezahlen auf dieser
Welt, selbst die Reichen für ihr Geld'4 .«
Am nächsten Tag schien er wieder gefaßt zu sein, man merkte

-396-
ihm etwas von Vitalität an und von jener Eigenschaft, die die
französischen Freunde mit »il a de la présence« umschrieben15 .
Zur Tischrunde gehörten Stefan Fingal, Hans Natonek und Dr.
med. Eduard Broczyner. Alle Anwesenden reagierten mit
Entsetzen auf den Emigranten, der ohne Gruß herantrat und
erregt die Nachricht überbrachte, Ernst Toller habe sich in
seinem New Yorker Hotelzimmer aufgehängt. Roth, der mit
Toller in Berlin während der zwanziger Jahre öfters
zusammengekommen war, rief, vor Erschütterung stammelnd:
»Wie dumm von Toller, sich jetzt aufzuhängen, da es mit
unseren Feinden zu Ende geht16 .« Es war ein letztes
Sichaufbäumen des Lebenswillens und der Lebensbejahung. Die
Freunde, die sich später über diese Äußerung unterhielten,
glaubten nicht, daß Roths Optimismus vom Alkohol angeregt
worden war. Viele dachten zu der Zeit, der Nationalsozialismus
gehe seinem Ende entgegen. Beim Sprechen hatte Roth sich
halb aufgerichtet, die nicht zu meisternde Aufregung war ihm
im Gesicht anzusehen. Bevor er aufstehen konnte, beugten sich
seine Knie, und er fiel mit schwerer Wucht in den Stuhl zurück,
auf dessen Lehne sein Arm einen Augenblick lang baumelte,
ehe sein ganzer Körper auf den Fußboden glitt. Mme. Alazard,
die so häufig die Rolle der sorgsamen Betreuerin Roths gespielt
und diese Szene mit Grauen verfolgt hatte, ließ den halb
Bewußtlosen auf sein Zimmer bringen, ging selbst mit, klopfte
noch an die nicht weit entfernte Tür von Soma Morgenstern und
berichtete ihm von Roths Kollaps. Morgenstern antwortete, er
werde sich sofort anziehen und kommen. Die Wirtin ging darauf
zum Telephon und rief erst seinen Arzt, dann Mme. Gidon und
Frau Friderike Zweig an. Während sie noch telephonierte, kam
Roth mit sichtlicher Mühe die Treppe herunter und nahm wieder
an seinem Tisch Platz. Auf seinem Zimmer hatte ihm Dr.
Broczyner eine Koffein-Injektion gegeben und bestellte ihm
einen Kognak. Auf die verdutzten Einwände der Zuschauer
erklärte er: »Man darf ihm das nicht entziehen17 .« Roth, der

-397-
einiges von Mme. Alazards Telephongespräch aufgefangen
hatte, meinte leise protestierend, er weigere sich, ins
Krankenhaus zu gehen, er werde sich nicht vom Fleck rühren.
Kurze Zeit danach erschien der Arzt samt Krankenwagen, und
kurz darauf traf Frau Zweig ein18 . Die beiden Frauen und die
anderen Anwesenden pflichteten dem Arzt bei, als er dem
Schwerkranken freundlich zuredete. Soma Morgenstern, der
inzwischen heruntergekommen war, sah Roth suchend um sich
blicken, begriff sofort und überreichte ihm den alten zerknüllten
Hut und den unentbehrlichen Stock. Die beiden Damen wollten
ihm den Vortritt lassen, so erzählte Mme. Alazard, worauf Roth,
stets Kavalier, eine anmutige Geste machte: »Les dames
d'abord.« Halb gehend, halb von seinen Freunden gestützt,
begab sich der keuchende Roth in den Krankenwagen, der ihn in
das Hôpital Necker brachte19 .
Der Gatte Blanche Gidons, Röntgenologe und Professor der
Medizin, hatte einen Kollegen im Spital verständigt. Roth wurde
im ersten Stock, in »La salle Lefort«, am Ende eines großen,
durch eine Glaswand vom übrigen Raum getrennten
Gemeinschaftssaales untergebracht. Durch diese Wand wirkte
der Raum wie ein kleines Privatzimmer20 . Gleich am ersten
Abend bekam Roth von mehreren Freunden Besuch. Von Mme.
Alazard, die nach Roths Einlieferung einige Minuten an seinem
Bett verbringen durfte, erfuhr Karl Retzlaw, der am folgenden
Morgen ins Café kam, dieser befände sich zwar im Spital, aber
er käme bald zurück, es handele sich nur um eine
Erschöpfung21 . Mit dem geschulten Auge der Frau eines Arztes
schätzte Mme. Gidon die Lage anders ein, als sie Roth am
zweiten Tag seines Spitalaufenthalts besuchte. Roth erkannte
sie, schien in ruhiger Verfassung zu sein, war aber schweigsam.
Innerlich erschrak sie über seinen Zustand und fühlte sich
veranlaßt, das zu sagen, was man einem Schwerkranken sagt,
um ihn aufzumuntern: er werde bald wiederhergestellt sein und
das Spital verlassen dürfen. Roths phlegmatisches Verhalten

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verriet jedoch, daß er ebensowenig an eine Genesung glaubte
wie sie. Und als sie sich verabschiedete, geschah es in der
Gewißheit: »Jamais, il ne sortirait plus 22 .«
Von seiner Einlieferung am Dienstag, 23. Mai, an bis zu
seinem Tod am frühen Morgen des darauffolgenden Samstags
strömte ein feierlicher Zug von Freunden und Verehrern an
seinem Bett vorbei. Soma Morgenstern, Stefan Fingal, Dr.
Herbert Stoerk, Hans Natonek, Frau Friderike Zweig, Dr.
Eduard Broczynerjean Janès und Frau Pauline Kulka, eine
Kusine von Roths Mutter, kamen alle mehr als einmal. Am
Nachmittag des zweiten Tages fand sich Stefan Fingal, der drei
Tage hintereinander Besuche abstattete, bei ihm ein. Er
beobachtete die alte Krankenschwester, die ihn neckisch duzte
und den eintretenden Fingal mit »petit« ansprach. Roth erkannte
den Freund sofort und sagte: »Du weißt, ich bin wieder krank.«
Auf Fingais beschwichtigende Bemerkung: »Es wird nicht so
schlimm sein, du kommst schon wieder heraus«, folgte zunächst
keine Antwort. Eine Bronchitis hatte sich bei Roth eingestellt
und erschwerte ihm das Sprechen. Die Worte, die er schließlich
äußerte - »Ich muß weg hier« - kosteten ihn sichtliche
Anstrengung. Als Fingal schon aufgestanden war und sich
verabschieden wollte, betrat Frau Kulka das Zimmer. Auf Roths
Gesicht spiegelte sich Freude, und Fingal konnte gerade noch
beim Verlassen des Zimmers hören, wie jene mit Verzweiflung
in der Stimme ihm Vorhaltungen machte: der Alkohol sei an
allem schuld und habe ihn zugrunde gerichtet23 .
Als Hans Natonek hereinkam, erzählte ihm Roth, ihm graue
davor, die »Einsamkeitstrauer des Doppelfeiertages« der
bevorstehenden Pfingsten im Spital zu erleiden24 .
Immer mehr steigerte sich bei ihm das Gefühl, dem Spital
entrinnen zu müssen. Soma Morgenstern berichtet: »Bei
meinem Besuch im Spital erkannte mich Roth gleich. Er winkte
mich ganz nahe an sein Bett und flüsterte mir ins Ohr, ich solle
ihm einen Anzug verschaffen, er müsse fort25 .

-399-
Am Donnerstag stellte der Arzt Herbert Stoerk anläßlich
seines freundschaftlichen Besuchs bei Roth Delirium tremens
sowie den Beginn einer Lungenentzündung fest26 .
Der Freund aus den Kindertagen in Brody, Dr. Eduard
Broczyner, berichtet: »Roth war im Delirium, als ich ihn
besuchte, und hatte bereits eine Lungenentzündung. Auf meine
Fragen nach seinem Befinden ging er nicht ein. Statt dessen
monologisierte er über die Lage in Deutschland und den
kommenden Krieg. Man hatte ihm allen Alkohol entzogen, was
ein unverzeihlicher Fehler war. Es war Pech, daß er ins
Armenspital gekommen war, und noch dazu als Fremder. Es
wurde nicht einmal eine genaue Anamnese gemacht. Als ich ihn
nach zwei Tagen besuchte - ich wohnte nicht in Paris, sondern
in Lagny, 30 Kilometer von Paris entfernt -, sprach ich sofort
mit dem Professor Fissinger und machte ihn darauf aufmerksam,
daß der Patient ein Schweralkoholiker sei und man ihm sofort
und öfters Alkohol geben müsse. Man gab ihm welchen,
ansonsten kümmerten sich die Ärzte wenig um ihn. Sie staunten
nur, daß er als Fremder ein so wunderbares Französisch sprach.
Hätte er von Anfang an kleine Dosen Alkohol bekommen, wäre
es nicht zu einem Delirium tremens gekommen. Er hatte ein
schwaches Herz, das die Aufregungen des Deliriums nicht
vertragen konnte. Ob Roth noch lange gelebt hätte, ist schwer zu
beurteilen, aber diese Erkrankung hätte nicht zum Exitus zu
führen brauchen, wenn er entsprechend behandelt worden
wäre27 . Frau Friderike Zweig erzählt von ihrem letzten Besuch
bei dem schon besinnungslosen Roth, der seine Zechkellner
einmal mit gellenden, dann wieder mit abgerissenen Schreien zu
sich rief: »Mon cher Victor, une fine!«
»Jean, un boæ28 !«
Als Stefan Fingal am Freitagmorgen Roth zum letztenmal
lebend sah, hatte er 40 Grad Fieber, er erkannte die Leute um
ihn her nur halb, und seine Worte waren nicht leicht zu
verstehen. Seinem Besucher bedeutete er mit zittriger Stimme:

-400-
»Ich muß unbedingt den Kaplan Oesterreicher sprechen.«
Gemeint war der österreichische Priester und vormalige Jude,
den Roth als seinen Seelsorger betrachtete, seitdem er einige
katholische Praktiken zu den seinen gemacht hatte. Nach diesem
gestammelten Satz verlor Roth den Faden und redete
Unzusammenhängendes.
Fingal berichtet weiter: »Roth war angeschnallt unter der
Decke, gefesselt mit Riemen. Eine Sitzgelegenheit gab es nicht,
obwohl solche Vorrichtungen in fast allen Spitälern zu finden
sind. Dieser Mißstand bedeutete für Roth einfach den Tod, denn
der an Bronchitis Leidende mußte sitzen. Als zwei weibliche
Besucher eintraten, bedauerte ich den armen Roth, daß er da
liegen mußte und seine Freunde ihn nicht besser hatten
unterbringen können. Ich zeigte auf die Riemen und fragte:
›Muß das sein?‹ Eine der Besucherinnen antwortete: ›Nun, wenn
er keine Ruhe gibt, muß es sein.‹ Roth, der fiebrig war und dem
die Hände zitterten, hörte nicht mehr zu. Zuerst hatte er noch die
Hände halb geballt gehalten, um das Zittern zu unterdrücken,
aber auch diese letzte Anstrengung unterließ er. Er schien die
Waffen zu strecken29 .«
Fingal wartete, bis sich die Besucherinnen entfernten. Hierauf
ereignete ich das, worauf er in einem Nachruf anspielte: »Die
letzten Worte, die er zu mir sprach, waren: ›Hüte dich vor diesen
Leuten, es sind böse Menschen.‹ Dann, mit der Anstrengung
eines Verzweifelten, der ahnte, daß er niemals wieder das Licht
des Lebens sehen würde, empfing er einen nach dem anderen
dieser bösen Menschen, flehte sie an, etwas für ihn zu tun, ihn
aus diesem schrecklichen Hospital fortzubringen... Ich kann
nicht sage n, ob Joseph Roth hätte gerettet werden können. Aber
ich weiß, daß eine feine Dame, als er ins Hôpital Necker
eingeliefert wurde, angab, Joseph Roth hätte einen Herzschlag
erlitten. Warum sagte die feine Dame das? Weil es ihr peinlich
war, zu sagen, daß es sich um einen Fall von Delirium tremens
handelte. Sonst hätte man ihn in eine Trinkerheilstätte gebracht.

-401-
Im Hospital gab es nicht einmal Kissen mit Rückenstütze. Man
ließ ihn liegen, und als er fort wollte, band man ihn fest. Joseph
Roth, mit Riemen festgeschnallt in einem Armenhospital! Eine
leichte, mehr zufällige Erkältung ging in eine Bronchitis über,
die Bronchitis in eine Lungenentzündung30 .«
Im vorhergehenden Monat hatte Roth sein letztes literarisches
Werk, Die Legende vom heiligen Trinker, mit den
hoffnungsvollen Worten beendet: »Gebe Gott uns allen, den
Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod31 !« Es war ihm
jedoch kein leichter und schöner Tod vergönnt, er kam fiebernd,
elend und leidend um. Sein Delirium hielt ihn während der
letzten neun Stunden seines Lebens in solcher Erregung, daß er
weder essen noch schlafen konnte. Die Luft staute sich in seinen
Lungen, er wurde von schreckhaften, verstörten, zur
Trinkerpsychose gehörenden Vorstellungen gequält. Die
französische Krankenschwester, die von alledem Zeugnis
ablegte, konnte, da sie des Deutschen nicht mächtig war, Roths
letzte gemurmelte Worte nicht verstehen32 . Dafür konnte sie
ihrer Entrüstung über den Alkohol Ausdruck geben, der nach
Roths Tod in seinem Zimmer gefunden wurde. Trotz strengen
Verbots hatte ihn jemand hineingeschmuggelt33 . Die
französische Todesurkunde gibt genaue Auskunft über Roths
Todesstunde, verleugnet jedoch seinen Beruf: »Le vingtsept mai
mil neuf cent trenteneuf, cinq heures cinquantecinq minutes est
décédé 151 rue de Sèvres, Joseph ROTH, né à Szwaby (Autriche)
le deux septembre mil huit cent quatrevingtquatorze, sans
profession, domicilié 18 rue de Tournon, fils de Guilleaume
ROTH, et de Marie GRÜBEL, époux décédés. Epoux de Frédéric
(sic) REICHLER. Dressé le vingtneuf mai mil neuf cent trenteneuf,
treize heures cinquante minutes34 .«
Als Stefan Fingal am Samstagmorgen zur frühesten
Besuchsstunde ins Spital kam, konnte er nur noch dem
Leichnam Roths einen Kuß auf die Stirn drücken. In diesem
Augenblick eilte eine junge, im Krankenhaus tätige tschechische

-402-
Hilfsärztin herbei, um Fingal mitzuteilen, sie haben soeben
erfahren, es handele sich um Joseph Roth, und zu versichern:
»Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mich nicht von seinem
Bett fortgerührt35 .«
Die Pfingstfeiertage, die Roth nicht im Spital verbringen
wollte, hatte er nicht mehr erlebt. Am ersten Pfingsttag lag
bereits die schwarzumrandete Todesanzeige im Hôtel de la
Poste. An diesem ersten Tag nach Roths Tod wurde das Café de
Tournon die Stätte einer seltsamen Auseinandersetzung. Eine
Anzahl der nächststehenden Freunde des Verstorbenen hatte
sich eingefunden, um über seine kirchliche Zugehörigkeit zu
entscheiden. Der Mythomane Roth, zu dessen Tisch alle diese
Leute so oft gepilgert waren, hatte durch seine jahrelang
erzählten Legenden seine Anhänger nunmehr post mortem
gezwungen, zu versuchen, Klarheit in die von ihm gestiftete
Verwirrung zu bringen.
Die Gemüter erhitzten sich, die gegenseitigen Ressentiments
kamen im Ton der Gespräche zum Ausdruck. Frau Pauline
Kulka, eine getaufte Jüdin, machte den ändern deutlich, sie als
Roths einzige anwesende Verwandte bestehe auf einer
katholischen Bestattung, da dies auch im Einklang mit den
Wünschen des Verstorbenen sei. Die Nichteinverstandenen
mußten sich damit abfinden und auf die Anwesenheit eines
Rabbiners verzichten, obwohl Joseph Gottfarstein, nach einer
privaten Unterredung mit Soma Morgenstern, sich vornahm,
Kaddisch, das hebräische Gebet für die Toten, am Grab zu
sagen36 . Es gab noch eine praktische Erwägung, die eine
Notlösung erforderlich machte. Friderike Zweig, Soma
Morgenstern und Jean Janès waren für die Kosten des
Spitalaufenthaltes aufgekommen. Die zunächst in Betracht
gezogene Möglichkeit, Roth auf dem Friedhof Montmartre
beerdigen zu lassen, wo der von Roth von Kind auf verehrte
Heinrich Heine liegt, erwies sich als unerschwinglich. Man
mußte sich mit einem wenig repräsentativen Ort abfinden, dem

-403-
Cimetière Thiais, in der Banlieue, südöstlich von Paris37 .
Indessen stellte sich heraus, daß ein eindeutiger Beweis für
Roths Taufe nicht erbracht werden konnte. So einigten sich die
katholischen Freunde auf eine »bedingt« katholische
Beerdigung, die für Zweifelsfälle vorgesehen ist. Der Sarg wird
dann nicht in die Kirche gebracht, und es wird keine Totenmesse
vor dem Altar gelesen38 . Dafür sollte Roth in die »division
catholique« des Friedhofs kommen, in dem es auch Parzellen für
Juden und Mohammedaner gab39 . Die Beerdigung selbst
hingegen sollte nach dem katholischen Ritus erfolgen40 . Im
übrigen war man übereingekommen, nach der religiösen
Zeremonie keine Reden zu halten.
Im Rückblick auf das Begräbnis sprechen alle, die damals
anwesend waren, von der Unmenge Menschen, die am 30. Mai
1939 um 4 Uhr nachmittags auf dem Friedhof eingetroffen
waren, um von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen. Zum
letztenmal vor dem Auseinandergehen versammelte sich der
Kreis um Roth. Es kamen Friderike Zweig, Pauline Kulka,
Blanche Gidon, Germaine Alazard, Soma Morgenstern, Eduard
Broczyner, Stefan Fingal, Hans Natonek, Jean Janès, Otto von
Habsburgs Sekretär Graf Degenfeld, der von Nizza hergereiste
Hermann Kesten, Alfred Polgar, Joseph Gottfarstein, Josef
Bornstein, Egon Erwin Kisch, dessen Frau Gisela, Bruno Frei,
Fritz Landshoff, der französische Abgeordnete Olivier de
Pierrebourg, der Kritiker und Journalist Fred Bérence aus der
französischen Schweiz, die Freunde aus dem »Schutzverband
Deutscher Schriftsteller« und der »Liga für das Geistige
Österreich«, wie auch Couleurstudenten in voller Wichs und mit
blankem Rapier. Monarchisten und Kommunisten, Ostjuden und
Katholiken strömten zu dem offenen Grab hin. Die schöne
Mulattin Andrea Manga Bell, die Schauspielerin Sybil Rares
und die Litauerin Sonja Rosenblum, die alle zu Roth in intimen
Beziehungen gestanden hatten, standen nun am Rande des
Grabes nebeneinander, in der Trauer vereint41 . »In dieser

-404-
Gemeinde«, so berichtete Blanche Gidon, »erblickte man
berühmte Schriftsteller und Künstler, Emigranten aus Wien,
Prag, Berlin, Leute aller politischen Richtungen Journalisten.
Und auch Unbekannte, arme Vaterlandslose, die [Roth] selbst
eines Tages in die Büros der Polizeipräfektur begleitet hatte, um
für sie die Papiere zu erlangen, die ihnen den Aufenthalt in
Frankreich erlaubten42 .«
Als amtierende Geistliche waren der Kanonikus Adalbert
Brenningmeyer und der Kaplan Johannes Oesterreicher
erschienen. Als letzterer - ohne Stola - 43 an das Grab trat, um
mit der Zeremonie anzufangen, entstand ein Gemurmel unter
einer Schar Ostjuden aus Roths galizischer Heimat. Einige
klagten laut, Roth sei Jude, er müsse nach jüdischem Brauch
beerdigt werden, andere sagten weinend, ein Rabbiner müsse
kommen44 . Hermann Kestern erinnert sich: »... im selben
Moment, als der Pater Oesterreicher zu sprechen begann, fuhr
ein Güterzug über eine ganz nahe Bahnüberführung, die den
Friedhof durchschnitt, der Zug rauchte, ratterte und pfiff45 .« Der
österreichische Thronprätendent, für den Roth nach eigener
Aussage ein »schwarzgelber, von übernationalem Denken
beseelter Jude war«46 , hatte eine Abordnung österreichischer
Legitimisten zur Beerdigung geschickt, um Kränze mit
schwarzgelben Schleifen niederzulegen, darunter einen, dessen
Band nur den Namen »Otto« aufwies. Der Sohn des letzten
österreichischen Kaisers hatte den Grafen Franz
Trautmannsdorff veranlaßt, einen Kranz in seinem Namen
niederzulegen47 . Dieser führte seinen Auftrag aus, indem er Frau
Friderike Zweig, die nach französischem Brauch Roths Familie
zu vertreten hatte, einen Kranz überreichte48 , hierauf eine
Erdscholle auf das Grab warf und laut vernehmbar intonierte:
»Dem treuen Kämpfer der Monarchie, im Namen seiner
Majestät, Otto von Österreich49 .« Egon Erwin Kisch, Führer der
Wiener Roten Garde und wegen seiner linksgerichteten
Reportagen bekannt, von dem Roth einmal gesagt hatte: »Kisch

-405-
ist kein rasender Reporter, das ist ein Spitzname, den ersieh
nicht ohne Selbstironie gegeben hat; er ist ein gewissenhafter
und gründlicher Berichterstatter50 «, hatte sich kurz vorher mit
der Bestimmung abgefunden, sich aller Ansprachen oder
Aussagen bei der Beerdigung zu enthalten. Jetzt aber trat er, von
Wut ergriffen, aus der Reihe der um ihn geschälten
Kommunisten, schleuderte eine Scholle ins Grab, darauf einen
roten Nelkenstrauß und rief mit einer Stimme, die alles andere
übertönte: »Im Namen deiner Kollegen vom SDS 51 .«
Mehrere Juden waren ans Grab getreten und beteten auf
Hebräisch, während eine sichtliche Spannung die sich
gegenseitig anstarrenden

* Gemeint war die Pariser Gruppe des Schutzverbandes


Deutscher Schriftsteller, dessen Vorstand Kisch und Bruno Frei
beauftragt hatte, den SDS bei der Leichenfeier zu vertreten.
Monarchisten und Kommunisten durchzuckte. Joseph
Gottfarstein, durch die unangenehme Stimmung entmutigt, sah
von seinem Vorsatz ab, Kaddisch zu sagen52 . Eine Delegation
der »Liga für das Geistige Österreich«, die aus Professor
Friedmann, Paul Stefan und Viktor Tischler bestand, trat als
nächste ans Grab und legte einen rotweißen Kranz mit der
Inschrift, »Die Liga für das Geistige Österreich - ihrem
Präsidenten, Österreichs großem Dichter« nieder53 . In den Tagen
nach dem Tode Roths folgten die Nachrufe der Freunde. Der in
London lebende Stefan Zweig hatte sich wegen seines
Nichterscheinens bei der Beerdigung mit der Begründung
entschuldigt, er könne nicht mitansehen, wie Roth von einem
Priester eingesegnet werde54 . Nun gedachte er in einer
englischen Zeitung jenes Mannes, den er drei Jahre später von
Brasilien aus in seinem Abschiedsbrief vor seinem Selbstmord
zum letztenmal erwähnen sollte55 . Über dieselbe Londoner
Trauerfeier, an der auch Stefan Zweig als Redner teilnahm,
schrieb Alfred Kerr: »Ich denke zurück an die Londoner
-406-
Totenfeier für Ernst Toller und Joseph Roth. Vor allem an den
Schluß: als Frank Osborn tief Bewegendes aus der Sonate 110
von Beethoven gab...
Wir liebten Tollers dichterisches Beginne n; wir verteidigten
seine späteren Versuche - doch nur solang das möglich war.
Toller legte früh den Nachdruck weniger auf das Schaffen als
auf eine philantropische Geschäftigkeit. Roth, hundertmal
gehaltvoller, heiterer, lebt in uns gerade wegen dieses he iteren
Zugs liebreich fort. An sein Lächeln denken wir lange.
Requiescat56 .«
Die Absicht der »Liga für das Geistige Österreich«, Roths
sterbliche Überreste »dem befreiten Heimatboden zu
übergeben«, ist nie verwirklicht worden. Und die Freunde aus
der Emigration, die versprachen, ihm ewig die Treue zu wahren,
mußten kurz darauf dafür sorgen, selbst mit dem nackten Leben
davonzukommen. Im Gegensatz zu den vielen Besuchen, die
Roth zu seinen Lebzeiten gewohnt war, wanderten und wandern
auch heute nur selten Besucher zu seinem entlegenen Grab
hinaus. Derjenige, der sich bis vor kurzem die Mühe machte,
fand eine roh behauene waagerechte Betonplatte auf einer
schräg eingesunkenen Betonunterlage vor, die so fest zwischen
angrenzenden Grabsteinen eingeklemmt war, daß es gänzlich
unmöglich gewesen wäre, dort eine Blume einzupflanzen. Die
Grabinschrift war und ist heute noch zugleich schlicht und
pathetisch:
JOSEPH ROTH
Poète Autrichien
MORT A PARIS EN EXIL2. 9. 1894-27. 5. 1939

Weder das Kreuz noch der Davidstern wurden dort


eingemeißelt. Der unpoliert graue Beton war stellenweise mit
braunen Flechten überdeckt. Kein Schmuck, kein Grashalm und
kein Blume zierten das Grab.

-407-
Ein Blick in die Aufzeichnungen der Friedhofsverwaltung
gibt Aufschluß darüber, daß der treue Freund Stefan Fingal, der
1919 zusammen mit Roth in Wien seine Journalistenlaufbahn
begann, nicht ganz anderthalb Jahre später mit ihm nach Berlin
ging und sich während des französischen Exils mit Gärtnerarbeit
durchschlug, die Beerdigung sowie auch die Parze lle bezahlt
hat.
Während der Kriegsjahre sorgte die Wirtin Germaine Alazard
mit Hilfe der 250 Francs, die eine Gruppe von Freunden Roths
bei ihr hinterlegt hatte, für die Instandhaltung und gesetzlich
vorgeschriebene Erneuerung der Grabkonzession. Ab 1947
übernahm die österreichische Gesandtschaft in Paris die
Zahlungen57 . Schließlich wurde das Grab nach all den Jahren
der provisorischen Bestattung am 17. April 1970 auf Initiative
des Österreichischen Unterrichtsministeriums neu gestaltet und
ein neuer Grabstein eingeweiht. Nach der Umbettung lautet die
neue, mit goldenen Lettern versehene Inschrift des Grabsteins
weitgehend wie die alte, obzwar Roth nunmehr als »Ecrivain
Autrichien« bezeichnet wird. Sein ohnehin kurzes Leben hat
man allerdings um vierundzwanzig Tage gekürzt, da sein
Geburtsdatum irrtümlicherweise mit dem 26.9.1894 angegeben
wird.
In seinem größten Werk, dem Radetzkymarsch, hatte Roth
liebevoll ironisch und trauernd die Auflösung des
österreichischen Greisenreiches dargestellt, in dem die Dinge
sich bestenfalls in langsamer Behaglichkeit entwickelten. Der
Autor selbst hatte mit verhaltener Ungeduld seinen eigenen
Untergang beschleunigt und war noch nicht 45 Jahre alt, als er
vom Leben Abschied nehmen mußte. Das alte Österreich, so
dachte er während der Emigration, sei vorzeitig
zusammengebrochen, es hätte noch viele Jahre dauern können.
Auf seinen eigenen Tod hätte Roth jedoch nicht viel länger
warten können, denn eine Internierung beim Einmarsch der
Deutschen hätte er nicht überlebt. Der Tod sei »nicht vorzeitig,

-408-
nicht rechtzeitig, sondern eher zu spät«58 gekommen, hatte er
über Grillparzer geschrieben. Es waren Worte der Einfühlung
eines alter ego.

-409-
ANMERKUNGEN

I, II, III, IV, V, VI = Bezieht sich auf die Bandzahlen von:


Joseph Roth, Werke in sechs Bänden. Herausgegeben von Fritz
Hackert und Klaus Westermann, Verlag Kiepenheuer 6c Witsch,
Köln, und Allen de Lange, Amsterdam, 1989-91
Briefe = Joseph Roth. Briefe 1911-1939, herausgegeben und
eingeleitet von Hermann Kesten, Verlag Kiepenheuer & Witsch,
Köln 1970
Gedächtnisbuch = Joseph Roth. Leben und Werk. Ein
Gedächtnisbuch, herausgegeben von Hermann Linden, Verlag
Gustav Kiepenheuer, Köln, Hagen 1949
(Bei Zitaten aus diesen sechs Werken werden die Zahlen der
Seiten ohne vorheriges »S.« angegeben.)
FZ = Frankfurter Zeitung
Int. = Interview
K & W = Aus dem Archiv des Verlags Kiepenheuer &
Witsch, Köln lB = Befindet sich im Joseph-Roth-Nachlaß des
Leo-Baeck Instituts, New York.
Anmerkungen
I DIE VERLORENE HEIMAT
1. /Der größte Teil des Nachlasses liegt heute im Leo-Baeck-
Institut, New York. Der endgültige Verbleib des sogenannten
Berliner Nachlasses, der zahlreiche Manuskripte umfaßt, stand
bei der Vorbereitung der gekürzten Fassung der Biographie
noch nicht fest. Dies trifft auch zu für Manuskripte, die sich bei
der Erstveröffentlichung im Besitz von David Bronsen
befanden. Sie sind mit dem Vermerk ›in Privatbesitz« versehen
worden./
1a. »Heute früh kam ein Brief«, IV, 1037-1044.
2. »Die k. und k. Veteranen«, In: FZ, 18. 6. 1929, in, 65.

-410-
3. Aus Roths Brief vom 28. 10. 1932 an Prof. Otto Forst de
Battaglia. Die Rechtschreibung des Namens im Briefband ist
fehlerhaft. Briefe, 240.
4. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den
letzten Jahren seines Lebens 1823-1832, Berlin 1956, S. 499.
5. Vgl. Raphael Mahler, »The Economic Background of
Jewish Emigration from Galicia to the United States«. In: Yivo
Annual of Jewish Social Sciences, 7 (1952), S. 256, 257, 264.
6. Diese und die folgenden Informationen verdankt der Verf.
Dr. med. Eduard Broczyner.
7. »Erdbeeren«, IV, 1008 - 1036.
8. Int. Dr. med. Eduard Broczyner; Int. Miguel Grübel.

2 PHANTASIE UND WIRKLICHKEIT


1. Int. Andrea Manga Bell.
2. Int. Fred Grübel.
3. Brief an die Redaktion Menorab vom 7. 6. 1930. /In
Privatbesitz./
4. Brief an Blanche Gidon vom 16. 2. 1934, Briefe, 313.
5. Juden auf Wanderschaft, 11, 865.
6. Da geht ein Mensch, Berlin o. D., S. 135.
7. Brief an Prof. Otto Forst de Battaglia, Briefe, 239.
8. S. Anmerkung 3
9. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe,
165.10. Ebd.
11. 1, 503.
12. S. Anmerkung 7. Im Briefband steht irrtümlich »im
Wohnheim« statt »in Wahnsinn«.
13. Int. Andrea Manga Bell; Int. Irmgard Keun.
14. Int. Joseph Constantinowsky.

-411-
15. Int. Klaus Dohrn.
16. Int. Dora Landau.
17. In einem Amsterdamer Polizeiprotokoll.
18. Int. Nico Rost.
19. Int. Fred Grübel.
20. Int. Ludwig Marcuse.
21. Int. Bernard von Brentano.
22. Int. Joseph Gottfarstein.
23. Int. Andrea Manga Bell; Int. Irmgard Keun.
24. Int. Andrea Rebuffé.
25. Die literarische Welt, 17. 12. 1931, III, 407-408.
26. Zitiert von Egbert Krispyn, Style and Society in German
Literary Expressionism, Gainesville, Florida 1964, S. 13.
27. Int. Fred Grübel; Int. Miguel Grübel.
28. Der Name ist in Joseph Roths Trauschein im Matrikelamt
der Israelitischen Kulturgeme inde in Wien registriert.
29. Int. Miguel Grübel; Int. Klara Grübel.
30. Int. Fred Grübel.

3 DIE ERSTEN JAHRE UND DIE VOLKSSCHULE


1. Int. Irmgard Keun.
2. /In Privatbesitz./
3. Dies bestätigte der Brodyer Dr. med. Eduard Broczyner.
4. V, 258.
5. Int. Prof Pierre Bertaux.
6. »Aus der vergangenen Zeit«, eine Erzählung von Leo
Herzberg-Fränkel (Brodyer Schriftsteller und Sekretär der
dortigen Handelskammer). In: Polnische Juden. Geschichten
und Bilder, Wien 1867, behandelt ebenfalls das Schmuggeln an

-412-
der Grenze zwischen Brody und Radziwillow.
7. Lemberg hatte 57 000 Juden - beinah 28 Prozent der
Gesamtbevölkerung der Stadt - die zahlenmäßig größte jüdische
Gemeinde Galiziens.
8. 11, 829.
9. [S. Abbildung 1]10. [S. Abbildung 4]
11. »Joseph Roth«. In: Europäisches Erbe, Frankfurt/Main
1960, S. 254.
12. An Blanche Gidon, 16. 2. 1934, Briefe, 313.
13. Int. Miguel Grübel.
14. Friderike Zweig, Spiegelungen des Lebens, Wien 1964, S.
200.
15. Int. Fred Grübel.
16. Int. Irmgard Keun.
17. S. Roths Briefe an Benno Reifenberg vom 9.4.1926 und
29.4.1926, Briefe, 87 und 90.
18. Ignacego Schipera, A. Tartakowera, Aleks. Hafftki, Hrsg.,
¯ydzi W Polsce Odrodzonej, Warschau 1932-1933, 1, S. 410.
19. Juden auf Wanderschaft, II, 827.
20. »Die Lage der Juden in Sowjetrußland«, aus Juden auf
Wanderschaft, FZ, 9. 11. 1926, II, 888.
21. »Besuch im Rathenau Museum. Zum Todestag Walther
Rathenaus«. In: FZ, 24. 6. 1924, II, 207.
22. Juden auf Wanderschaft, II, 876.
23. Ebd. 889.
24. Int. Mendel Singer.
25. Int. Stanislaw Strzetelski.
26. Int. Prof. Dov Sadan.
27. Int. Moses Wasser.
28. Int. Miguel Grübel.

-413-
29. Ebd.
30. Ebd.
31. Die weißen Städte, II, 454.
32. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe,
166.
33. Int. Irmgard Keun.

4 BRODY UND DAS GYMNASIUM


1. Int. Moses Wasser.
2. Vgl. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 51.
3. Int. Stanislaw Strzetelski; Int. Alexander Rosenfeld.
4. Juden auf Wanderschaft, II, 828.
5. Int. Abraham Farnes.
6. 1911, Briefe, 23.

7. Int. Andrea Rebuffé.


8. Int. Andrea Manga Bell.
9. Int. Moses Wasser.
10. Int. Mendel Singer.
11. Int. Stanislaw Strzetelski.
12. Int. Dr. med Eduard Broczyner.
13. Int. Mendel Singer.
14. Int. Fred Grübel; Int. Stanislaw Strzetelski.
15. Frederic Lefèvre, »Une heure avec Joseph Roth«. In: Les
Nouvelles Littéraires, 2. 6. 1934. In deutscher Übersetzung in
III, 1031-1035 (Anhang).
16. Int. Moses Wasser.
17. Int. Stanislaw Strzetelski.
18. II. 2. 1926, Briefe, 78.

-414-
19. Int. Herben Küsel.
20. Int. Ludwig Marcuse.
21. Int. Moses Wasser; Int. Stanislaw Strzetelski.
22. Zitiert von Ludwig Marcuse, »Hymnen und
Schmähgedichte Heines an die Adresse Meyerbeers«. In: Die
Zeit, 29. 3. 1963.
23. Int. Stanislaw Strzetelski.
24. Int. Moses Wasser.
25. Int. Moses Wasser.
26. Int. Moses Wasser.
27. LB.
28. Die Manuskripte der Märchen: LB.
29. O. D., Briefe, 25.
30. O. D., ca. 1912; LB.
31. 2. 9. 1912, Briefe, 24.
32. LB. Die Erzählung ist unvollendet.
33. Das Manuskript befindet sich /in Privatbesitz./
34. III, 231-232.
35. Int. Moses Wasser; Int. Dr. med Eduard Broczyner; Int.
Fred Grübel. Das Reifezeugnis wurde lange Jahre vom Vater
Fred Grübels in Leipzig aufbewahrt.

5 DIE BEZIEHUNG ZUR MONARCHIE UND DAS


LEMBERGER ZWISCHENSPIEL
1. »Dreimal Österreich! Bemerkungen zum Buch des
österreichischen Bundeskanzlers von Schuschnigg«. In: Das
Neue Tage-Buch, 22. 1. 1938, III, 779.
2. Int. Jean Janes.
3. »Rede über den alten Kaiser«, öze Österreichische Post
(Paris), 1. 7.1939, III

-415-
939.
4. Ebd. 940.
5. Radetzkymarsch, V, 321-2.
6. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
7. Int. Leo Brisker.
8. Der Wortlaut stammt von Friedrich Abendroth, »Reichs-
und Bundesvolk. Das zweifache Zeugnis des Joseph Roth«. In:
Hochland, (Juni 1958), S. 429. Johannes Urzidil teilte im
Interview mit, er habe Roth diese Anekdote erzählt.
9. V, 349-50.
10. Int. Karl Retzlaw.
11. »Joseph Roth.« In: Europäisches Erbe, Frankfurt/Main
1960, S. 252-253.
12. Radetzkymarsch, V, 316.
13. III, 922.
14. München 1942, S. 9.
15. Hitlers Zweites Buch, Stuttgart 1961, S. 185.
16. Die Kapuzinergruft, VI, 315.
17. »Der Frühling«. In: Die Zimtläden und alle anderen
Erzählungen, München 1966, S. 145-146.
18. Int. Klaus Dohrn.
19. Ebd.
20. Da geht ein Mensch, Berlin o. D., S. 170.
21. Int. Miguel Grübel.
22. Int. Miguel Grübel.
23. Hotel Savoy, IV, 223. Dieser Hinweis stammt ebenfalls
von Miguel Grübel.
24. Gedächtnisbuch, 57.
25. Int. Józef Wittlin.

-416-
26. Dies geht aus einem Brief vom 28.12.1921 von Friedl
Roth an Paula Grübel hervor. Briefe, 38.
27. Vgl. Roths Brief vom 30.7.1928 an Benno Reifenberg, aus
dem Roths Verantwortungsgefühl dieser Frau gegenüber
hervorgeht. Briefe, 136.
28. Int. Maryla Reifenberg.
29. Int. Soma Morgenstern.
30. Aus Protokollunterlagen der Bibliothek der Israelitischen
Kultusgemeinde, Wien.
31. »Reise in Rußland. Das Völker- Labyrinth im Kaukasus«.
In: FZ. 26. 10. 1926, II, 618.
32. II, 843.
33. Olga Schnitzler, Spiegelbild der Freundschaft, Salzburg
1962, S. 99.
34. Joseph Roth, »Juden, Judenstaat und die Katholiken«. In:
Der Christliche Ständestaat, 26. 9. 1937, III, 737-738.
35. Ebd. 737-738.
36. Ebd. 739.
37. Ebd. 739.
38. Int. Stanislaw Strzetelski.
39. Int. Jean Janès.
40. Int. Joseph Riwkin.
41. Int. Joseph Constantinowsky.
42. An Germaine Alazard. Kopien davon befinden sich /in
Privatbesitz./
43. Int. Joseph Gottfarstein.
44. Int. Soma Morgenstern; Int. Stefan Fingal; Int. Dr. med
Eduard Broczyner.
45. Int. Andrea Manga Bell.

-417-
6 ANKUNFT UND STUDIUM IN WIEN
1. Kapuzinergruft, VI, 270.
2. »Seine k. und k. apostolische Majestät«. In: FZ, 6. 3. 1928,
n, 911.
3. Ebd. 331.
4. Friedrich Herr, Land im Strom der Zeit, Wien, München
1958, S. 295.
5. Int. Prof. Heinz Kindermann.
6. Int. Fred Grübel.
7. Int. Prof. Heinz Kindermann.
8. Ebd.
9. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 49. IQ. Briefe, 33.
11. Int. Prof. Heinz Kindermann.
12. Johan Winkler, »Joseph Roth in ons land. Ontmoeting met
den schrijver van Der Antichrist« In: AlgemeenHandelsblad,
ochtendblad, 19.5.1935.
13. Int. Prof. Heinz Kindermann.
14. Int. Miguel Grübel.
15. Mittwoch [1915 oder 1916], Briefe, 31.
16. Ebd.
17. Ebd.
18. Int. Miguel Grübel.
19. Die autobiographischen Notizen befinden sich in
Privatbesitz.
20. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 49-50.
21. Int. Soma Morgenstern.
22. Int. Józef Wittlin.
23. Das Original LB.
24. Int. Prof. W. J. A. Asselbergs.

-418-
25. »Die Überschätzung der Jungen«. In: Münchner Neueste
Nachrichten, 17.2. 1930, in, 175.
26. Vgl. Frederic Lefèvre, »Une heure avec Joseph Roth«. In:
Les Nouvelles Littéraires, 2. 6. 1934. /In deut scher Übersetzung
im ni, 1031-1035 (Anahng).
27 »Schwarzgelbes Tagebuch«. In: Die oesterreichische Post,
1. 5. 1939, III, 898.
28. Int. Józef Wittlin.
29. Ebd.
30. Ebd.
31. »Geschenk an meinen Onkel«, II, 996.
32. I, 1101 (Anhang).
33. I, 1101 (Anhang).
34. Ebd.
35. I. 3.5.
36. I, 6.
37. Int. Prof. Dr. med. Ernst Wollheim.
38. II, 1014-1017.
39. Int. Valerie Schwarzschild.
40. Int. Jean Janès.
41. Toni Stolper, Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit,
1888-1947, Tübingen 1960, S. 44.
42. Vgl. William A. Jenks, Vienna, and the Young Hitler,
New York 1960, 8.39, 118 und 120.
43. Int. Prof. Dov Sadan.
44. Int. Prof. Heinz Kindermann.
45. Int. Miguel Grübel.
46. II, 877.
47. Ebd. 858.

-419-
48. Ebd. 864.
49. Kurt Adel, Geist und Wirklichkeit. Vom Werden der
österreichischen Dichtung, Wien 1967, S. 362.
50. Juden auf Wanderschaft, n, 842.
51. Jugend in Wien, Wien, München, Zürich 1968, S. 157.
52. Der jüdische Selbsthaß, Berlin 1930, S. 40.
53. /In Privatbesitz./
54. Int. Joseph Gottfarstein.

7 KRIEGSDIENST
1. Egon Caesar Conte Corti und Hans Soko\, Der alte Kaiser.
Franz Joseph I. vom Berliner Kongreß bis zu seinem Tode,
Graz, Wien, Köln 1955, S. 422-424.
2. Int. Klaus Dohrn.
3. »Die k. und k. Veteranen«. In: FZ, 18. 6. 1929, III, 68.
4. Sigmund Freud, Gesammelte Werke, XVI, London 1950, S.
26.
5. 11, 731-733
6. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 52-53.
7. Gedächtnisbuch, 53.
8. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe, 167.
9. Die Aufzeichnungen befinden sich /in Privatbesitz./10. Int.
Miguel Grübel.
11. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 53.
12. Ebd. 54.
13. Bundesministerium für Inneres. Referat 33/M.
14. Friderike Zweig, Spiegelungen des Lebens, Wien 1964, S.
200.
15. Abbildung 12.

-420-
16. »Ein Abschiedswort von Franz Theodor Csokor«. In: Die
oesterreichische Post, 1. 7. 1939.
17. A. a. O.
18. Gedächtnisbuch, 55.
19. Aus Roths autobiographischen Aufzeichnungen, a. a. O.
20. V, 158.
21. Int. Józef Wittlin. In der Kapuzinergruft, (in, 269) ist
ebenfalls vom Zugführer Marek‹ und dem ›Korporal Türling‹
die Rede.
22. II, 910-915.
23. III, 64.
24. III, 938.
25. »Seine k. und k. apostolische Majestät«. In: FZ, 6. 3.
1928, n, 910-911.
26. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 56.
27. Brief an Prof. Otto Forst de Battaglia vom 28. 10. 1932,
Briefe, 239-240.
28. Int. Andrea Manga Bell.
29. Zwei Briefe, beide vom 24. 8. 1917, gerichtet an die
Kusinen Resia und Paula. Briefe, 34-36.
30. /In Privatbesitz./
31. Int. Andrea Manga Bell.
32. Briefe, 34.
33. Ebd.
34. Ebd. 35-36.
35. [S.] Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer
Autoren 1933-1949, hrsg. von Hermann Kesten, Wien,
München, Basel 1964, S. 104-105. Datum des Briefes: 15. 6.
1939.
36. Józef Wittlin, Gedächtnisbuch, 52.

-421-
37. »Reise durch Galizien«. In: FZ, 20.11.1924, II, 281.
38. »Die Krüppel. Ein polnisches Invalidenbegräbnis«. In:
FZ., 23. 11. 1924, II, 290.
39. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
40. Brief an Prof. Otto Forst de Battaglia vom 28. 10. 1932,
Briefe, 240.
41. Frederic Lefèvre, »Une heure avec Joseph Roth«. In: Les
Nouvelles Littéraires, 2. 6.1934. /In deutscher Übersetzung in
III, 1031-1035, (Anhang)./
42. Briefe, 36-37.
43. Das Original: LB
44. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Gebunstag«, Briefe,
167.
45. Int. Irmgard Keun.
46. Int. Nico Rost.
47. Friedrich Torberg. »Kleines Requiem für Joseph Roth«.
In: Forum (September 1954).
48. III, 804.
49. Ebd. 803.
50. Brief an Prof. Otto Forst de Battaglia vom 28. 10. 1932,
Briefe, 240.
51. Franz Blei »Joseph Roth«. In: Zeitgenössische Bildnisse,
Amsterdam 1940, S. 245.
52. Int. Józef Wittlin.
53. Int. Fred Grübel.
54. »Briefe aus Polen. Blick auf die Straßen«. In: FZ, 8. 7.
1928, II, 947. 55. IV, 548.
56. Int. Martin Fuchs.

8 DIE JOURNALISTISCHEN ANFÄNGE

-422-
1. IV, 533.
2. »Erinnerungen an Joseph Roth.« Erschienen 1938 in einer
Emigrantenzeitung in Argentinien. Nähere Daten über den
Artikel, der sich /in Privatbesitz/ befindet, sind nicht zu
ermitteln.
3. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe, 167.
4. Die weißen Städte, II, 451.
5. 2.2.1918.
6. 6.9.1918.
7. 6.12.1918.
8. Int. Oskar Maurus Fontana.
9. »Einbruch der Journalisten in die Nachwelt«. In: FZ, 19.
12. 1925, II, 521.
10. Int. Miguel Grübel. 11. Int. Hedi Davis.
12. »Wiener Symptome«. In: Der Neue Tag, 1. 6. 1919, I, 35.
13. »Wiener Symptome«, ebd., 15. 6. 1919, I, 38.
14. Int. Miguel Grübel. 15. /In Privatbesitz./ 16. /In
Privatbesitz./
17. Die weißen Städte, II, 453.
18. Int. Stefan Fingal.
19. Int. Miguel Grübel.
20. »Der Anschluß Deutsch-Westungarns.« In: Der Neue Tag,
8. 8. 1919, I, 106.
21. Ebd.
22. Int. Miguel Grübel.
23. »Die reaktionären Akademiker.« In: Der Neue Tag,
1.2.1920, I, 236.
24. »Wiener Symptome.« In: Der Neue Tag, 22. 6. 1919, I,
40.
25. »Versuchsklassen.« In: Der Neue Tag, 21. 3. 1920, I, 263-

-423-
264.
26. »Weltuntergang.« In: Der Neue Tag, 18. 12. 1919, I, 196-
198.
27. Int. Tanja Tschuppik.
28. »Maria Theresia.« In: Das Neue Tage-Buch, 24. 11. 1934,
S. I, III, 557.
29. Joseph Roth, »Abschied von Karl Tschuppik«. In: Der
Christliche Ständestaat, i. 8. 1937, S. 725, III, 723.
30. Int. Andrea Rebuffé.
31. Int. Stefan Fingal.
32. Int. Hedi Davis.
33. Int. Stefan Fingal.
34. »Die Tyrannei der Stunde.« In: Der Neue Tag, 12. 10.
1919, I, 154.
35. Int. Stefan Fingal.
36. Ebd.
37. Int. Miguel Grübel.
38. Alfred Polgar, »Der große Dilettant. Zu Egon Friedells
»Kulturgeschichte der Neuzeit‹. Der Mann und das Werk«. In:
Der Monat, 16 (Jan. 1950), S. 412.
39. Int. Stefan Fingal.
40. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe,
168.
41. Moritz Scheyer, »Joseph Roth gestorben«. In: Nouvelles
d'Autriche, 5. 6.

9 AUFBAU UND ABBAU EINER KARRIERE


1. Int. Fred Grübel.
2. »Une heure avec Joseph Roth.« In: Nouvelles Littéraires, 2.
6. 1934. /In deutscher Übersetzung in III, 1031-1035 (Anhang)./

-424-
3. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe, 168.
4. Juden auf Wanderschaft, II, 865.
5. Int. Stefan Fingal.
6. III, II, 859-860.
7. /In Privatbesitz/.
8. »Das steinerne Berlin«, III, 229.
9. Int. Paul Otte.
10. Vgl. Frederic Lefèvre, »Une heure avec Joseph Roth«, a.
a. O.
11. Vgl. Pern [Paul Marcus], »Walter Kaul - 60 Jahre«. In:
Der Ausbau, 17. 2. 1961.
12. Int. Herbert Ihering.
13. Int. Fritz Weltmann.
14. Berliner Börsen-Conner, 24. 7. 1921, I, 616.
15. »Die fremde Stadt«. In: Berliner Börsen-Courier, 21. 8.
1921, I, 638.
16. »Der blaue Dienstag«. In: Berliner Börsen-Courier, 18. 4.
1922, I, 792.
17. Berliner Börsen-Courier, 6. 4. 1922, I, 787.
18. »Oberschlesien«. In: Berliner Börsen-Courier, 29. 5.
1921, I, 570.
19. »Spaziergang«. In: Berliner Börsen-Courier, 24. 5. 1921,
I, 565.
20. »Verkehrte Welt«. In: Berliner Börsen-Courier, 11. 2.
1923, I, 928.
21. »Der blaue Dienstag«. In: Berliner Börsen-Courier, 18. 4.
1922, I, 792.
22. »Der Normalmensch.« In: Berliner Börsen-Courier, 27.
11. 1921, I, 685.
23. Ebd. 686.

-425-
24. »Humanität«. In: Berliner Börsen-Courier, 7. 8. 1921, I,
631.
25. Ebd. 632.
26. Int. Miguel Grübel.
27. Int. Stefan Fingal; Int. Soma Morgenstern.
28. Vgl. Trauungszeugnis 44/11.? vom 5.3.1922, ausgestellt
vom Matrikelamt der isrealitischen Kultusgemeinde in Wien.
29. Ebd.
30. Int. Miguel Grübel.
31. Briefe, 39.
32. Ebd.
33. Alfred Beierle, a.a. O.
34. Gedächtnisbuch, 40.
35. Int. Bruno Frei.
36. Int. Fritz Gotfurt.
37. Int. Johannes Urzidil.
38. Int. Herbert Ihering.
39. Briefe, 40.

10 UNTERWEGS IN WIEN, PRAG UND DEUTSCHLAND


1. Int. Oskar Maurus Fontana.
2. Int. Tanja Tschuppik.
3. Wortlaut einer Karte, die sich /in Privatbesitz/ befindet.
4. Int. Bruno Frei.
5. »Einbruch der Journalisten in die Nachwelt«. In: FZ, 19.
12. 1925, II, 519.
6. Briefe, 38. Der Brief trägt die Überschrift »Berlin am 28.
Dezember 1921«, die Jahreszahl muß aber einem Irrtum der
Briefschreiberin zuzuschreiben sein, da sie erstmals 1922 mit

-426-
Roth zusammen in Berlin wohnte. Roths Frau irrte sich auch
bezeichnenderweise bei der Datierung eines Briefes vom 14. 7.
1924, indem sie versehentlich »1914« schrieb.
7. Das Spinnennetz, IV, 99.
8. Brief an Blanche Gidon vom 17. 11. 1934, Briefe, 395.
9. Hermann Kesten, Meine Freunde, die Poeten, München
1959, S. 280.10. Das Spinnennetz, IV, 110.
11. Brief an Prof. Otto Forst de Battaglia vom 28. 10. 1932,
Briefe, 240.
12. »Der tapfere Dichter.« In: Prager Tagblatt, 20. 2. 1924,
11, 59.
13. »Anne Witte.« In: Das Tagebuch, 4 (1923), S. 864-865. I,
1012-1014.

11 MITARBEITER DER »FRANKFURTER ZEITUNG«


1. Int. Oskar Maurus Fontana.
2. Int. Benno Reifenberg und dessen Aufsatz, »Die zehn
Jahre/1933-1943«. In: Die Gegenwart, a. a. O., S. 42.
3. Int. Hans Natonek.
4. Int. Fred Grübel.
5. Vorwärts, 23. 3. 1924, II, 131.
6. Die weißen Städte, II, 452.
7. Ebd. 502.
8. »Ein Bummel um die Welt«. In: FZ, 8. 1. 1928, II, 906.
9. Int. Joseph Constantinowsky. iG. »In Deutschland
unterwegs. Glashütte«. In: FZ, 24. 5. 1925, II, 402. 11. Int.
Hermann Linden.
12. Int. Siegfried Kracauer; Int. Benno Reifenberg.
13. »Delinquent Schaper«. In: Präger Tagblatt, 25. 3. 1924. I,
963. S. auch »In Deutschland unterwegs«, a. a. O.

-427-
14. Int. Benno Reifenberg.
15. Int. Benjamin Constantinowsky.
16. Int. Fred Grübel.
17. Int. Alexander Pompan.
18. Vgl. Joseph Roth. Der Neue Tag. Unbekannte politische
Arbeiten 1919 his 1927, Wien, Berlin, Moskau, hrsg. von
Ingeborg Sültemeyer, Berlin, Amsterdam 1970, jetzt in i und 11.
19. Int. Oskar Maurus Fontana.
20. »Briefe aus Polen. Russische Überreste. Die
Textilindustrie in Lodz«. In: FZ, 19. 7. 1928. II, 949-953.
21. Hotel Savoy, IV, 236.
22. IV, 228.
23. IV, 150.
24. IV, 220.
25. Das Spinnennetz, I, 127.
26. Ebd. 128.
27. IV, 310.
28. IV, 327.
29. IV, 331.
30. IV, 326.
31. /Im Alten Testament wird es eingehend in den Büchern
Hiob und Jonah gestaltet. Roth selbst greift es in seinem Hiob-
Roman auf. Behandelt haben das Thema auch Jizchok Perez in
»Bontsche Schweig« und Isaak Bahevis Singer in »Gimpel der
Tor«./
32. Legende vom heiligen Tanker. In: Münchner Merkur, 29.
3. 1958.
33. IV, 309-310.
34. Briefe, 42-44. Im Briefband steht irrtümlich »Mayer« statt
»Mayen«.

-428-
35. »Lemberg die Stadt«, II, 287.
36. FZ, 23. 11. 1924, II, 289-292.
37. IV, 202.
38. IV, 334.
39. IV, 338.
40. IV, 339.
41. IV, 343. 42. IV, 351.
43. Abgedruckt in: Österreichs Illustrierte Zeitung, 14. 4.
1918, IV, 14-22.
44. IV, 363.
45. Das alles gab es einmal, Frankfurt/Main 1961, S. 262.
46. Hans Natonek, »Joseph Roth«. In: Die neue Weltbühne,
35 (1939), S. 683.
47. Vgl. Roths Brief an Erich Lichtenstein vom 22. 1. 1925,
Briefe, 44.
48. Int. Bernard von Brentano; und Bernard von Brentano, Du
Land der Liebe, Tübingen, Stuttgart 1952, S. 224-225.
49. Int. Benno Reifenberg.
50. Int. Bruno Frei.

12 DIE ERSTEN GROSSEN REISEN


1. S. 16. 5. 1925, Briefe, 45
2. Untergang des Abendlandes, München 1959, S. 246.
3. II, 872.

16. 5. 1925, Briefe, 45-46.

5. Vgl. IV, 192 und alle Stellen, bei denen von der Gestalt
Zwonimir die Rede ist.

-429-
6. Rudolf Leonhard, »Bemerkungen. Geschichten von Joseph
Roth«. In: Die neue Weltbühne, 35 (1939), 22, S. 793.
7. Die weißen Städte, II, 453.
8. Ebd. 453-454.
9. Int. Benno Reifenberg.
10. Int. Maryla Reifenberg.
11. /In Privatbesitz./
12. Int. Józef Wittlin.
13. Int. Benno Reifenberg; Int. Thea Sternheim; s. Blanche
Gidon, »Joseph Roth«. In: Der kleine Bund, Bern, 24. 2. 1950.
14. Int. Hans Natonek.
15. Die Widmung steht in Roths Rechts und Links und lautet
vollständig; »Dem guten, unpathetischen Kämpfer, Erich
Kuttner, dem Menschen und Schriftsteller, Sein alter Joseph
Roth.« Das Buch befindet sich in der Amsterdamer
Universitätsbibliothek.
16. Int. Klaus Dohrn.
17. II, 451-502.
18. II, 459.
19. II, 489.
20. II, 503.
21. »Der Rauch verbindet Städte«. In: FZ, 18. 3. 1926, II, 547.
22. Ebd. 548.
23. Ebd.
24. Vgl. II, 454-45525. 7. 4. 1926, Briefe, 84.
26. Brief vom 9. 4. 1926 an Benno Reifenberg, Briefe, 86.
27. An Benno Reifenberg, 2. 6. 1926, 91-92.
28. »Öffentliche Meinung, Zeitungen, Zensur«. In: FZ, 28. 12.
1926, II, 659.
29. »Ein Jude geht nach Amerika«, 20. 3. 1927. II, 879-880
-430-
30. Am 9. 11. 1926.
31. II, 831.
32. Ebd. 832.
33. Ebd.
34. »Die Grenze Niegoreloje«. In: FZ, 21. 9. 1926, II, 594-
596.
35. »Auf der Wolga bis Astrachan«. In: FZ, 5. 10. 1926, II,
601-609.
36. »Die Wunder von Astrachan«. In: FZ, 12. 10. 1926, II,
609-612.
37. »Wie sieht es in der russischen Straße aus?«. In: FZ,
31.10.1926, II, 622-625.
38. »Die Kirche, der Atheismus, die Religionspolitik«. In: FZ,
7. 12. 1926, II, 637-643.
39. S. Anmerkung 28.
40. »Die Frau, die neue Geschlechtsmoral und die
Prostitution«. In: FZ,, 1.12. 1926, II, 632-637,1.12.1926 und
»Die russische Frau von heute«. In: FZ, u. Morgenblatt, 25. 12.
1926, II, 647-650.
41. »Die Schule und die Jugend«. In: FZ, 18. und 19. 1. 1926,
II, 659-672.
42. S. Anmerkung 35.
43. »Die Frau von den Barrikaden«. In: FZ., 10. 4.1927, II,
707-709. Vgl. auch: »Rußland geht nach Amerika«. In: FZ., 23.
r. 1926, H, 629: »Die Brandfackeln der Revolution sind
ausgelöscht. Sie zündet wieder die ordentlichen, guten und
braven Laternen an.«
44. S. Anmerkung 37.
45. S. Anmerkung 41. Das erste Zitat stammt aus dem Artikel
vom 18.1.1927, das zweite aus dem vom 19. 1. 1927.
46. S. Anmerkung 40.

-431-
47. W. E. Süskind, »Joseph Roth«. In: Die Literatur, Oktober
1931, S. 17-19.
48. »Die Lage der Juden in Sowjetrußland«, FZ, 9.11.1926;
abgedruckt in: Juden auf Wanderschaft, 11, 887.
49. Int. Józef Wittlin.
50. Vgl. Fritz Sternberg, Der Dichter und die Ratio,
Erinnerungen an Bertolt Brecht, Göttingen 1963, S. 50; und
Wolfdietrich Rasch, »Bertolt Brechts marxistischer Lehrer«. In:
Merkur, Oktober 1963, S. 992-993.
51. Int. Bruno Frei.
52. Vgl. Brief an Bernard von Brentano vom 26. 9. 1926,
Briefe, 95, und an Benno Reifenberg vom [Oktober 1926?],
ebd., 100.
53. »Aus dem Stachelschwein«; zitiert in dem
Verlagsflugblatt.
54. »Rußland geht nach Amerika«. In: FZ, 23. II. 1926, II,
630.
55. Ebd. 632.
56. II, 833.
57. IV, 396.
58. »Lettres étrangères: ›Die Flucht ohne Ende‹ par Joseph
Roth.« In: La Nouvelle Revue Française, 15 (1928) 175, S. 562.
59. S. Anmerkung 28, S. 657-658.
60. Zitiert von Manfred Georg, a. a. O.
61. Vgl. die abschließenden Zeilen des Romans, IV, 496.
62. IV, 391.
63. IV, 548 und 604.
64. S. Egon Kisch, Schreib das auf, Kisch, Berlin 1930, S. 66.
13 DIE WACHSENDE ENTFREMDUNG
1. Brief an Bernard von Brentano vom 29. 11. 1925, Briefe,

-432-
68.
2. Brief an Bernard von Brentano, o. D. Briefe, 75.
3. Brief an Benno Reifenberg vom 28. 12. 1927, Briefe, 115.
4. Brief aus Odessa an Bernard von Brentano vom 26. 9.
1926, Briefe, 95
5. Int. Ludwig Marcuse.
6. Int. Siegfried Kracauer.
7. C. Z. Kloetzel, »Erinnerungen an Joseph Roth«. In:
Mitteilungsblatt Tel-Aviv, 18. 5. 1951.
8. Int. Siegfried Kracauer.
9. Int. Fritz Gotfurt.
10. Brief an Benno Reifenberg vom 30. 8. 1925, Briefe, 64.
11. Int. Helga Hummerich (ehemalige Verlagssekretärin der
FZ).
12. Int. Ludwig Marcuse.
13. Int. Benno Reifenberg.
14. Brief im Besitz von Prof Gotthard Jedlicka, o. D.
15. Brief an Benno Reifenberg [Oktober 1926?], Briefe, 100
16. ›»Ein Gast auf dieser Erde.« Unvergessener Roth.« In:
Aufbau, 29. 9.1944.
17. Int. Ludwig Marcuse.
18. 19. 6. 1927 Briefe, 105
19. Int. Alexander Pompan.
20. Int. Siegfried Kracauer.
21. Vgl. »Artikel über Albanien«. In: FZ, 30. 7. 1927, II, 736-
741.
22. »Blick nach Südslawien«. In: FZ, 16. 7. 1927, II, 746-749.
23. Int. Karl Zimmermann; Int. Hermann Linden.
24. »Unter Tag. In: FZ, 27. 11. 1927, II, 793-794.

-433-
25. »Das Werk«. In: FZ, 28. 1. 1928, 11, 816.
26. Int. Benno Reifenberg.
27. O. D., Briefe, III.
28. Int. Benno Reifenberg.
29. Die Datierung geht aus der an Félix Bertaux und Stefan
Zweig gerichteten Korrespondenz hervor; vgl. Briefe, 130 und
133.
30. Der Reiseplan geht aus Spesenrechnungen hervor: LB.
31. »Das vierte Italien. Die allmächtige Polizei«. In: FZ, 11.
11. 1928, II, 987.
32. Int. Benno Reifenberg.
33. O. D. /In Privatbesitz./
34. Datiert 16. 10. 1928; aus dem Archiv der Neuen
Rundschau.
35. »Erste Begegnung mit der Diktatur«, II, 976-980;
»Diktatur im Schaufenster«, II, 980-984; »Die allmächtige
Polizei«, II, 984-987.
36. Nico Rost, »Mijn grote vriend Joseph Roth«. In: De
Vooruit, 16. 6.1960.
37. »Ein objektives Herz. Joseph Roth: Panoptikum. Verlag
Knorr & Hirth.« In: Die tägliche Rundschau, 16. 3. 1930.
38. »Abschied vom Hotel«. In: FZ, 24. 2. 1929, III, 28-30.
39. Rechts und Links, V, 769. 40 Ebd. 770.
40. Zipper und sein Vater, IV, 537.
42. Rechts und Links, IV, 737.
43. IV, 670.
44. Brief vom 8. 1. 1928, Briefe, 118.
45. IV, 618.
46. IV, 607.
47. Der stumme Prophet, IV, 922.

-434-
48. IV, 630.
49. Die Flucht ohne Ende, IV, 424.
50. IV, 543.
51. IV, 607.
52. Brief vom 23. 4. 1927, Briefe, 102.
53. IV, 590.
54. IV, 601.
55. IV, 481-482.
56. IV, 602.
57. Brief an Félix Bertaux vom 5. 1. 1928, Briefe, 116.
58. IV, 771.
59. III, 130.
60. IV, 836.
61. Ebd. 884-885.
62. Ebd. 776.
63. Int. Elisabeth Freundlich.
64. IV, 798.
65. Datiert 28. 3. 1928, Briefe, 151.
66. Datiert 29. 12. 1928, Briefe, 140.
67. Brief an Benno Reifenberg vom 30. 8. 1925, Briefe, 62.
68. Int. Miguel Grübel.
69. III, 156.
70. Int. Fritz Landshoff.
14 DER LANGE LEIDENSWEG
1. Int. Eric Burger.
2. An Paula Grübel, am 27. 7. 1923. Im Besitz des Verf.
3. Int. Willy Hafkus.
4. An Benno Reifenberg, am 16. 5. 1925, Briefe, 46.

-435-
5. An Bernard von Brentano am 22. 8. 1925, Briefe, 57.
6. Int. Alexander Pompan.
7. Int. Benno Reifenberg.
8. Int. Ludwig Marcuse.
9. Int. Maryla Reifenberg. 10. Int. Stefan Fingal.
11. An Benno Reifenberg, Oktober 1926, Briefe, 100.
12. An Paula Grübel, am 28. 12. 1922, Briefe, 38.
13. Datiert 26. 8. 1925, Briefe, 60.
14. Int. Manfred Georg; Int. Stefan Fingal.
15. Brief an Félix Bertaux, Briefe, 122-123.
16. Brief an Félix Bertaux, Briefe, 123.
17. Der Vorfall läßt sich an Hand eines Briefes von Rom vom
6. 3. 1928 an Prof. Pierre Bertaux datieren; Briefe, 124.
18. Int. Maryla Reifenberg.
19. Briefe, 148.
20. Int. Maryla Reifenberg; Int. Ludwig Marcuse; Int. Fritz
Gotfurt.
21. Int. Ludwig Marcuse.
22. Int. Stefan Fingal; Int. Joseph Gottfarstein.
23. Int. Stefan Fingal.
24. Int. Alexander Pompan.
25. Datiert 10. 12. 1929, Briefe, 155-156.
26. Int. Fred Grübel.
27. »Die Insel der Unseligen«, In: Der Neue Tag, 20.4.1919,
I, 23-27; »Hephata. Stätte der Menschlichkeit«. In: FZ, 18. 12.
1926, II, 536-541.
273. Der betr. Brief trägt die Überschrift: »Sehr verehrter Herr
Dozent«; datiert 20. 7. 1931. /Ohne Fundortangabe./
28. An seinen Schwiegervater, datiert 13. 10. 1931. /Ohne

-436-
Fundortangabe./
29. An die Schwiegermutter o. D. /Ohne Fundortangabe/
30. Aus einem Brief von Joseph Mayen an Hermann Kesten,
vom 11. 3.1971.
31. Int. Friderike Zweig; Int. Willy Haas.
32. Alfred Beierle, »Ich lebte mit Joseph Roth«, In: Roland
von Berlin, 5. 6. 1949.
33. Datiert 16. 9. 1929, Briefe, 154.
34. Datiert 12. 4. 1933.
35. Datiert 20. 1. 1930, Briefe, 156.
36. Frédéric Lefèvre, »Une heure avec Joseph Roth«. In: Les
Nouvelles Littéraires, 2. 6. 1934. /In deutscher Übersetzung in
III, 1031-1035 (Anhang).
37. Int. Fred Grübel. 39. O. D.
39. V, 450.
40. Am 12. Juni 1935. Dies geht aus der Krankengeschichte
der Heilanstalt »am Steinhof« hervor.
41. Brief an Blanche Gidon vom 17. 6. 1935, Briefe, 414.
42. Int. Stefan Fingal.
43. Int. Hedi Davis.
44. Das Neue Tage-Buch, 5 (1937) 30, III, 717-718.
45. Aus einem Brief vom 14.9.1934 an die Schwiegermutter.
/Ohne Fundortangabe./
46. An die Schwiegermutter, o. D. /Ohne Fundortangabe./

15 MENSCHLICHE BEZIEHUNGEN
1. »An Gustav Kiepenheuer zum 50. Geburtstag«, Briefe, 168.
2. Int. Bettina Hürlimann.
3. Brief an Benno Reifenberg vom 17. 5. 1930, Briefe, 164.

-437-
4. Gedächtnisbuch, 40-42.
5. Int. Willy Haas.
6. Int. Georg Zivier.
7. Int. Fritz Gotfurt.
8. Int. Fred Grübel.
9. Int. Noa Kiepenheuer.
10. Int. Benno Reifenberg.
11. »Auf das Antlitz eines alten Dichters«; zuerst erschienen
in der FZ, 30.5. 1927. In dem Artikel handelt es sich um den
Linzer Dichter Eduard Samhaber. II, 699-701.
12. Int. Benno Reifenberg.
13. Max Tau, Das Land das ich verlassen mußte, Hamburg
1961, S. 219.
14. Hermann Kesten, »Briefe schrieb er, wie er sprach.
Erinnerungen an Joseph Roth«. In: Die Welt, 31. 1. 1970.
15. Robert Neumann, »Meine Freunde die Kollegen«. In: Die
Zeit, 15. 6.1962.
16. »Abschiedsrede.« In: Die oesterreichische Post, 1. 7.
1939.
17. Brief an Roth vom 5. September, ohne Jahresdatum; K &
W. 18. Zitiert von Friderike Zweig, Stefan Zweig. Wie ich ihn
erlebte, Stockholm 1947, S. 400-401.
19. Int. Ludwig Marcuse.
20. Int. Richard Friedenthal.
21. Stefan Zweig/Friderike Zweig, Briefwechsel 1912-1942,
Bern 1951, S. 282.
22. Int. Joseph Breitbach.
23. Brief an Stefan Zweig vom 2. 1. 1936, Briefe, 445.
24. Brief an Stefan Zweig [Dezember 1935?], Briefe, 444.
25. Brief an Stefan Zweig [Mai? 1937], Briefe, 492.

-438-
26. Brief an Stefan Zweig vom 8. 10. 1937; eine Photokopie
befindet sich im Besitz des Verf.
27. Vgl. Max von Riccabona, »Herr Roth im Café Tournon.
Erinnerungen aus den letzten Tagen Joseph Roths«. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 9. 1969.
28. Int. Fritz Landshoff.
29. Int. Ludwig Marcuse.
30. Int. Andrea Manga Bell; Int. Philipp Hergesell; Int.
Hermann Kesten.
31. Int. Andrea Manga Be ll; Int. Hermann Kesten.
32. Int. Andrea Manga Bell.
33. Int. Walter Ladengast.
34. Int. Andrea Manga Bell.
35. »Erinnerungen an Joseph Roth. In: Die Gegenwart, 4
(1949), 21, S. 17.
36. Datiert 29. 3. 1929, Briefe, 152.
37. Brief von Reifenberg vom 29. 6. 1929. Herr R. gestattete
dem Verf., aus diesem Brief, der sich in seinem Besitz befand,
zu zitieren.
38. »Rot und Schwarz«, erschienen am 13. 6. 1929.
39. Erschienen am 12. 6. 1929.
40. Datiert 3. 7. 1929. S. Kommentar zu Anm. 33.
41. Int. Fritz Weltmann.
42. Int. Benno Reifenberg.
43. Erschienen am 13. 10. 1929. III, 106-107.
44. Brief von Benno Reifenberg vom 14. 5. 1930, Briefe, 163.
45. Brief von Roth vom 17. 5. 1930, Briefe, 163-164.
46. Brief an Benno Reifenberg vom 17. 7. 1930, Briefe, 172.
47. Brief an Stefan Zweig vom 20. 6. 1930, Briefe, 170. (Es
müßte »diesen Schmonzes« [Unsinn] heißen, was Roth

-439-
vermutlich auch schrieb. Der Verf.)
48. Brief an Stefan Zweig vom 22. 9. 1930, Briefe, 179.
49. Vgl. Brief an Stefan Zweig vom 17. 7. 1930, Briefe, 172.
50. Ebd.
51. Die literarische Welt, 6 (1930), 26, S. 3.
52. ›»Romantik‹ des Reisens«. In: Prager Tagblatt, 9. 8.
1930, II, 575.
53. Int. Hermann Linden.
16 DER KÜNSTLERISCHE HÖHEPUNKT
1. Datiert 27. 2. 1929, Briefe, 146-147.
2. Datiert 19. 3. 1929, Briefe, 150.
3. Hiob, V, 3.
5. Ebd.
6. An die Schwiegermutter, o. D. /Ohne Fundortangabe./
7. So die Briefe an die Schwiegermutter vom 9.10. [1930?]
und 12.12. [1932].
8. Brief aus Berlin an die Schwiegermutter, o. D.
9. O. D.
10. Brief aus Leipzig an die Schwiegermutter, o. D., aber
vermutlich 1931 geschrieben.
11. V, 101.
12. Hermann Kesten, »A propos de Joseph Roth«. In:
Allemagne d'aujourd'hui, (1957) 3, S. 48.
13. V, 11.
14. »Eine neue Hiob-Legende.« In: Das Tagebuch, n (1930),
S. 1773.
15. V, 3.
16. Der Gott der Leidenden. Werke, II, Heidelberg 1964, S.
436.

-440-
17. V, 13.
18. Int. Richard Friedenthal; Int. Stefan Fingal.
19. »Der Roman Hiob von Joseph Roth«. In: Kölnische
Zeitung, 26. 10. 1930.
20. Hans Natonek, »Joseph Roth«. In: Die neue Weltbühne,
35 (1939).
21. Brief von Fritz Landshoff vom 14. 8. 1961 an den Verf.
22. 9. 11. 1931, S. 70
23. O. D. /Ohne Fundortangabe./
24. Peter Halley, »Marlene Dietrich Confesses«. In: Sunday
Referee, 1. 11. 1936.
25. Int. Alexander Pompan.
26. Marlene Dietrich's ABC, New York 1962, S. 192.
27. Brief an die Schwiegermutter, o. D. /Fundort unbekannt./
28. hk, »Hiob als Film«: In: Pariser Tageszeitung, 6. 6. 1939.
29. Schalom Ben-Chorm, »Mendel Singer läßt sich taufen«.
In: Haaretz, 30. 12. 1938.
30. 20. 11. 1930, Briefe, 187-188.
31. Gedächtnisbuch, 42.
32. Int. Fred Grübel.
33. Int. Hans Flesch- Brunningen.
34. Hermann Kesten, Gedächtnisbuch, 22.
35. Es handelt sich hierbei um Carl Josephs Beileidsbesuch
beim Wachtmeister Slama, wobei ersterem seine Liebesbriefe an
Slamas verstorbene Frau ausgehändigt werden.
36. Int. Andrea Manga Bell.
37. Gustav Kiepenheuer, Gedächtnisbuch, 42.
38. 8. 7. 1931, Briefe, 207.
39. 20. 3. [1932], Briefe, 215.

-441-
40. Sonntag [1932], Briefe, 218.
41. 7. 8. 1932, Briefe, 222.
42. Briefe, 227-228.
43. Sonntag [1932], Briefe, 218.
44. Int. Prof. Dr. med. Ernst Wollheim.
45. Zitiert in: Hermann Gsteu, Geschichte Österreichs,
Innsbruck, Wien 1947, S. 390.
46. V, 424. 47. V, 175.
48. V, 874 (Anhang).
49. V, 169.
50. V, 209.
51. Ebd.
52. V, 145.53. V, 316.54. V, 269.55. V, 247.56. V, 149.57. V,
346.58. V, 344.59. V, 203.
60. Ebd.
61. V, 339.
62. V, 347.
63. V, 255.
64. V, 244.
65. V, 405.
66. V, 288f.
67. V, 363.
68. V, 290.
69. V, 342.
70. V, 161ff.
71. V, 223.
72. V, 372.
73. V, 387.
74. V, 272.75. V, 448.

-442-
76. V, 392. Bei beiden Zitaten stammt das kursiv Gedruckte
vom Verf.
77. Ebd.
78. V, 245.
79. V, W.
80. An Prof. Otto Forst de Battaglia, 28. 10. 1932, Briefe, 240.
81. Brief von Fritz Landshoff vom 14. 8. 1961 an den Verf.
82. Der diesbezügliche Beleg: LB. 1933 erschien die
amerikanische Übersetzung.
83. Datiert 14. 11. 1932, Briefe, 240-241.

17 DIE ERSTEN EMIGRATIONSJAHRE


1. Int. Fred Grübel.
2. Vgl. Ludwig Marcuse, Mein zwanzigstes Jahrhundert,
München 1960, S. 157, und Leonhard Frank, Links wo das Herz
ist, München 1952, S. 183.
3. Int. Hermann Kesten.
4. Int. Prof. Dr. med. Ernst Wollheim.
5. Int. Andrea Manga Bell.
6. Int. Jean Janès.
7. Brief an Stefan Zweig von [Mitte Februar 1933], Briefe,
249.
8. Als Ergebnis dieser Reise s. »Brief aus dem Harz«, III,
270-275, erschienen in der f Z am 14. 12. 1930, und
»Halberstadt, ›Tannhäuser‹, Schach«, HI, 282-288, FZ, 4. 1.
1931.
9. Int. Fred Grübel.10. Int. Andrea Rebuffé.
11. Brief an Stefan Zweig vom 22. 5. 1933, Briefe, 266.
12. Golo Mann, »Exil und Gegenwart«: In: Exil-Literatur
1933-1945, Inter Nationes/Bad Godesberg 1968, S. 39.

-443-
13. An Bêla Horovitz, Briefe, 251.
14. 6. 4. 1933, Briefe, 261.
15. Int. Blanche Gidon. Das Wort benutzt er auch in einem
Brief an Stefan Zweig vom 8. 9. 1937, Briefe, 511.
16. 7. 11. 1933, Briefe, 287 und 289.in
17. Briefe an Efraim Frisch vom 5. 11. 1929, Briefe, 143.
18. Int. Jean Janès; Int. Soma Morgenstern.
19. »Erinnerung an Joseph Roth.« In: Lichte Schatten. Aus
den literarischen Schriften von Benno Reifenberg,
Frankfurt/Main 1953, S. 212.
20. Briefe an René Schickele, Montag. [Ende 1933 oder
Anfang 1934], Briefe, 302.
21. Int. Benno Reifenberg. /Zur Geschichte der »Frankfurter
Zeitung« siehe
Günther Gillessen: »Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter
Zeitung im Dritten Reich«, Berlin 19867
22. Pariser Tagblatt, 12. 12. 1934, III, 559.
23. 23. 9. 1934, Briefe, 381, s. auch Briefe an die
Schwiegermutter v. 3. 8. 1933 und 18. 10. 1933 (Fotokopien in
Privatbesitz).
24. Zur Antwort auf eine Umfrage in: Die Literarische Welt, 6
(1930) 26, S. 3.
25. Vorabdruck eines Abschnitts im Dezember 1934 unter
dem Titel Der Korallenhändler im Neuen Tage-Buch. Erschien
1940 unter dem Titel Der Leviathan bei Querido, Amsterdam,
VI, 544.
26. Erschien in: Novellen deutscher Dichter der Gegenwart,
hrsg. von Hermann Kesten, Amsterdam 1933, V, 456-478.
27. Erschien in französischer Übersetzung unter dem Titel Le
Buste de l'Empereur III: 1934, Paris 1934, V, 655-676.
28. Erschien ebenfalls in französischer Übersetzung unter

-444-
dem Titel Le Triomphe de la Beauté in: Nouvelles Littéraires,
Paris 1934, V, 629-654.
29. Die Büste des Kaisers wurde erstmalig deutsch abgedruckt
in: Joseph Roth. Romane Erzählungen Aufsätze, Köln-Berlin
1964. Diese Erzählung und Triumph der Schönheit erschienen
1973 in: Joseph Roth. Die Erzählungen, Köln, V, 655-676.
30. Hermann Kesten teilt mit, Roth habe diesen Titel ihm
gegenüber erwähnt.
31. Int. Gotthard Jedlicka.
32. V, 655.
33. »Briefe aus Polen. Das literarische Leben«. In: FZ, 2. 8.
1928, II, 954. 34. V, 655.
35. Int. Józef Wittlin.
36. Gemeint ist: Great Stones from Austria, hrsg. von Count
Kurt Strachwitz, London 1938.
37. Int. Soma Morgenstern.
38. 14. 6. 1934, Briefe, 337.
39. Brief an Stefan Zweig vom 18. 5. 1934, Briefe, 329.
40. Irmgard Keun, Kind aller Länder, Düsseldorf 1959, S.
167.
41. 14. 9. 1934. Eine Kopie des Briefes befindet sich /in
Privatbesitz./. Einen Brief mit ähnlichem Inhalt schreibt Roth an
Carl Seelig am 17.7.1934, Briefe, 354-355.
42. Hermann Kesten, Meine Freunde die Poeten, München
1959, S. 44-45.
43. Alma Mahler-Werfel, Mein Leben, Frankfurt/Main 1963,
S. 250.
44. Int. Anna Schickele.
45. Brief an René Schickele vom 13. 6. 1935, Briefe, 414.
46. Hermann Kesten, Meine Freunde die Poeten, a. a. O., S.
133.
-445-
47. Int. Ludwig Marcuse.
48. Meine Freunde die Poeten, a. a. O., S. 295.
49. Brief an Carl Seelig vom 28. 3. 1934, Briefe, 324.
50. 31. 1. 1934, Briefe, 312.
51. Brief an Stefan Zweig vom 15. 2. 1935, Briefe, 402.
52. Brief an Ernst Krenek vom 31. 10. 1934, Briefe, 391.
53. Int. Friedrich Traugott Gubler.
54. 31. 1. 1931, Briefe, 191.
55. Dies betrifft besonders die Stellen über das Filmwesen im
Antichrist. Vgl. »Bemerkungen zum Tonfilm«, III, 57, und
»Verfilmung eines Mordprozeses«, III, 203.
56. Brief an Carl Seelig vom 11. 11. 1934, Briefe, 394.
57. Brief an Stefan Zweig vom 15. 2. 1935, Briefe, 402. Vgl.
auch den Brief an Félix Bertaux vom 8. 3. 1934, Briefe, 319.
58. Schalom Ben-Chorin, »Zum Tode Josef Roms«. In:
Jüdische Welt-Rundschau, 1939, S. 5.
59. Int. Ludwig Marcuse.
60. Aus dem Holländischen übersetzt. Menno ter Braak, »De
Antichrist. Naar aanleidmg van Joseph Roth, Der Antichrist«.
In: Over waardigheid en macht, Amsterdam 1945, S. 69-70.
(Ursprünglich 1934 erschienen.)
61. Brief an Lina Loos vom 17. 6.1939. In: Die silberne
Dame. Die Briefe von und an Lina Loos, hrs. von Franz Theodor
Csokor und Leopoldine Rüther, Wien, Hamburg 1966, S. 212.
62. Int. Andrea Manga Bell; Int. Ludwig Marcuse; Int. Jean
Janès; Int. J. C. S. Warendorf.
63. »Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers«, III, 733.
64. Meine Freunde die Poeten, a. a. O., S. 425.
65. Int. Karl Retzlaw.
66. Stefan Zweig an Joseph Roth, 29. 3. 1935, Briefe, 411.

-446-
67. Golo Mann, »Leopold Schwarzschild«: In: Monat, 18
(1966) 218, S. 50.
68. Vgl. p. ehr. b., »Prophet in der Fremde«: In: Die Zeit, 10.
12. 1965.
69. Abgedruckt in III, 938-945.
70. Abgedruckt in III, 929-930.
71 Int. Klaus Dohrn; Int. Otto von Habsburg.
72. »Joseph Roth an den ›Christlichen Ständestaat«. In: Der
Christliche Ständestaat, 23. 6. 1935, III, 674.
73. »Der Maulkorb für deut sche Schriftsteller« LB, III, 853.
74. Brief von Bil Spira vom 5. 8. 1969 an den Verf.
75. Int. Ludwig Marcuse.
76. Brief an Carl Seelig vom 1. 10. 1933, Briefe, 281-282.
77. Int. Soma Morgenstern.
78. »Aus Joseph Roths Schriften«, ausgewählt von Friderike
Zweig. In: Die Oesterreichische Post, 1. 7. 1939.
79. »Joseph Roth«. In: Europäisches Erbe, Frankfurt/Main
1960, S. 262.
80. Ebd.
81. 2. 6. 1936, Briefe, 478.
82. Int. Jean Janès.
83. Mittwoch [Februar 1936], Briefe, 450-451. Meine Lesung
der ersten Zeile lautet: »Ich [gehe]...«. Im Briefband steht: »Ich
[sitze]...«. Der Verf.
18 DER KAMPF GEGEN DEN FASCHISMUS UND DER
KAMPF UM ÖSTERREICH
1. Klaus Mann, Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Berlin,
Frankfurt/Main 1958, S. 327, 329.
2. Int. Anton van Duinkerken.
3. Eine Kopie dieses Briefes befindet sich /in Privatbesitz./

-447-
4. Brief an Albert Ehrenstein vom 29. 12. 1932, Briefe, 244.
5. Vgl. Vierzig Jahre Kiepenheuer 1910 - 19)0. Ein
Almanach, hrsg. von Noa Kiepenheuer, Weimar 1951, S. 8-9.
6. Vgl. Briefe, 351f. und 593.
7. Der Brief an Stefan Zweig vom 5.12.1932, Briefe, 244,
spricht von 22 000 Mark Schulden. Im Brief an Félix Bertaux
vom 2. 2. 1933, Briefe, 248, ist von 18 000 Mark die Rede. Im
Brief an Stefan Zweig vom 22. 3.1933, Briefe, 258, erörtert Roth
nochmals den ganzen Fall.
8. Dies geht aus einem Brief an die Schwiegereltern vom 2.
10.1933 hervor. Eine Kopie desselben befindet sich /in
Privatbesitz./
9. Brief an Stefan Zweig vom 15. 6. 1936, Briefe, 479.
10. Christian de Graaf, »Bij het overlijden van Joseph Roth«:
In: Algemeen Handelsblad, 30. 5. 1939.11. » Glauben und
Fortschritt«, ein Vonrag, gehalten am 12. 6.1936, III, 69iff.
12. Vgl. »Eine Rede Rudolf Borchardts«. In: Die Literarische
Welt, 14. 2.1930, III, 174.
13. »Die Nationale Kurzwelle«. In: Das Tagebuch, 29. 10.
1932, III, 465.
14. Brief an Ernst Krenek vom 24. 10. 1934, Briefe, 388.
15. Int. Klaus Dohrn.
16. Int. Ludwig Marcuse.
17. Brief an Stefan Zweig vom 30. 11. 1933, Briefe, 296.
18. Int. Andrea Manga Bell.
19. Joseph Roth, »Der Segen des ewigen Juden«: In: Die
Wahrheit, S. 5. Diese 1934 in Prag erschienene Publikation trägt
kein näheres Datum. LB, III, 530.
20. Joseph Roth, »Emigration«: Es handelt sich um einen
Beitrag für einen wohl nie veröffentlichten Sammelband, III,
760.

-448-
21. Joseph Roth, »Tua culpa«: In: Die Oesterreichische Post,
1. 2.1939, III, 919.
22. Int. A. P. J. Kroonenburg.
23. Int. Gees H. Donker; Int. Cornelius Gaze; Int. Johan
Winkler; Int. Halbo Kool.
24. Int. Johan Winkler.
25. Übersetzung aus: »Oostenrijksche Schrijver Joseph Roth
Opgelicht in een Hotel. Een ›chef de reception« voortvluchtig.«
In: De Telegraaf, 14. 11. 1936.
26. Protokoll des Amsterdamer Polizeipräsidiums,
Warmoesstraat 48, aufgenommen vom Polizeiinspektor Charles
Jean de Vries Humd am 13. 11. 1936.
27. Int. Maurits Mok.
27a. Brief an Blanche Gidon vom 28. 2. 1937, Briefe, 489-
490.
27b. Brief an Cornelius Vos vom 10. 5.1937 In: Aber das
Leben geht weiter und nimmt uns mit, Der Briefwechsel
zwischen Joseph Roth und dem Verlag De Gemeenschap 1936-
1939. Hrsg. von Theo Bijvoet und Madeleine Rietra. Köln,
1991, S. 90-91.
28. Int. Frans Hannema.
29. Übersetzung aus: »In Memoriam.« In: Dagblad de Tijd,
30. 5. 1939.
30. Int. Anton van Duinkerken.
31. Briefe, 484.
32. Int. Andrea Rebuffé.
33. Int. Hermann Kesten.
34. Int. Ludwig Marcuse.
35. S. Brief an Stefan Zweig vom 12. 10. 1935, Briefe, 429.
36. S. Brief an Stefan Zweig vom 19. 3. 1936, Briefe, 455.
37. Brief an Stefan Zweig vom 1. 9. 1935, Briefe, 427.
-449-
38. Brief an Stefan Zweig vom 26. 11. 1935, Briefe, 441-442.
39. Brief an Blanche Gidon vom 26. 5. 1936, Briefe, 474.
40. Brief an Friderike Zweig vom 24. 6. 1936, Briefe, 483.
41. Brief an Blanche Gidon vom 8. 7. 1936, Briefe, 485.
42. Brief an Blanche Gidon vom 15. 7. 1936, Briefe, 486.
43. Int. Andrea Manga Bell.
44. Int. Andrea Manga Bell.
45. Int. Anton van Duinkerken.
46. Int. Arthur Koestler.
47. Irmgard Keun, Gedächtnisbuch, 59-61.
48. Int. Irmgard Keun.
49. Int. Bruno Frei.
50. Brief von Gustav Regler vom 2. 5. 1961 an den Verf. 51.
Int. Arthur Koestler.
52. 2. 10. 1933, Briefe, 282.
53. Briefe an René Schickele [September 1934?], Briefe, 376-
377.
54. Int. Martin Fuchs.
55. Max von Riccabona, »Herr Roth im Café Tournon.
Erinnerungen aus den letzen Tagen Joseph Roths«: In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.9. 1969, und Brief von Max
von Riccabona vom 5. 11. 1969 an den Verf.
56. Vgl. Juden auf Wanderschaft, II, 834.
57. »Schwarzgelbes Tagebuch«. In: Die Österreichische Post
(Paris), 15. 2. 1939, III, 892.
58. Joseph Roth, »In der Kapuzinergruft«, 27. 5. 1935, III,
671.
59. Int. Klaus Dohrn.
60. Int. Blanche Gidon.
61. Int. Miguel Grübel.
-450-
62. Int. Jean Janès.
63. Int. Otto von Habsburg. In seinem Brief vom 6. 11. 1938
an Ottos Erzieher Heinrich Graf Degenfeld, Briefe, 524, zeigt
sich Roth dankbar für Ottos Wunsch, er möge gesünder werden
und sich den ärztlichen Vorschriften unterwerfen. Gleichzeitig
spricht Roth seine Freude über seinen bevorstehenden Besuch
bei Otto aus. Vermutlich fand die erwähnte Unterhaltung zu
diesem Zeitpunkt statt.
64. Int. Oskar Maurus Fontana.
65. 31. 10. 1934, Briefe, 391.
66. Int. Hans Natonek.
67. Int. Jean Janès.
68. Friderike Maria Zweig, Spiegelungen des Lebens, Wien
1964, S. 204.
69. Brief von Max von Riccabona vom 5. 11. 1969 an den
Verf.
70. Int. Erika Mann.
71. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
72. Vgl. Hermann Kesten, »A propos de Joseph Roth«: In:
Allemagne d'aujourd'hui 3 (1957), S. 48.
73. Int. Pierre Bertaux.
74. Int. Andrea Manga Bell.
75. Int. Irmgard Keun.
76. Int. Friedrich Torberg.
77. Hermann Kesten, »A propos de Joseph Roth«, a. a. O.
78. Vgl. Victor Winner, »Ein altösterreichischer Dichter. Zum
zehnten Todestag von Joseph Roth«. In: Die Zeit, 2, 1. 6.1949,
S. 19-20. Ähnliches steht auch in einer Wiener Zeitung vom
24.3.1937: LB. Name der Zeitung und Titel des Artikels sind dort
nicht verzeichnet.
79. Brief vom 28. 2. 1937, Briefe, 489.
-451-
80. Brief an Stefan Zweig vom 31. 8. 1933, Briefe, 276.
81. Int. Irmgard Keun.
82. »Reise durch Galizien«. In: FZ, 22. 11. 1924, II, 289.
83. Int. Irmgard Keun.
84. Int. Irmgard Keun.
85. Int. Blanche Gidon.
86. »Die Scholle«. In: Münchner Neueste Nachrichten, 29. 1.
1930, III, 168.
87. Juden auf Wanderschaft,, II, 875.
88. Int. Irmgard Keun.
89. Erich Stern, Die Emigration als psychologisches Problem,
Paris 1937, S. 94.
90. Brief an Stefan Zweig vom 14. 8. 1935, Briefe, 421.
91. Die Urkunde trägt das Datum 31. 5. 1937 und befindet
sich in der Deutschen Bibliothek, Frankfurt/Main.
92. Int. Siegfried van Praag.
93. 24. 7. 1935, Briefe, 417-418.
94. 11, 889.
95. Brief an Stefan Zweig vom 22. 3. 1933, Briefe, 257.
96. Ebd.
97. S. Anrn. 11.
98. S. Brief an Stefan Zweig vom 15. 1. 1929, Briefe, 141.
99. Roth hat für dieses Buch am 27. 7. 1933 mit dem Allen de
Lange Verlag einen Vertrag geschlossen, wie aus einer Urkunde
des LB hervorgeht.
100. Erich Kahler, The Jews Among the Nations, New York
1967, S. 6.
101. »Das Moskauer Jüdische Theater«, u, 680.
102. Int. Andrea Manga Bell.

-452-
103. Brief an Blanche Gidon vom 27. 2. 1935, Briefe, 406.
104. »Abschied von Karl Tschuppik«. In: Der Christliche
Ständestaat, 1. 8.1937, III, 721.
105. Int. Dr. med. Ernst Wollheim.
106. S. Anm. 19.
107. Int. Klara Grübel; Int. Blanche Gidon.
108. Int. Miguel Grübel.
109. Int. Franz Theodor Csokor.110. Int. Karl Retzlaw.
111. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
112. Int. Soma Morgenstern.
113. Int. Klaus Dohrn.
114. Vgl. den Brief an Stefan Zweig vom 18. 2. 1934, Briefe,
314.
115. Int. Irmgard Keun.
116. 18. 8. 1937, Briefe, 506.
117. Int. Irmgard Keun.
118. Int. Otto von Habsburg.
119. Briefe, 520.
120. Franz Theodor Csokor, »Ein Abschiedswort«. In: Die
Österreichische Post, 1. 7. 1939.
121. Int. Hedi Davis.
122. Int. Stefan Fingal.
123. Int. Kurt von Schuschnigg.
124. Claus Gatterer, »Kein Bruderzwist ums Haus Habsburg«.
In: Die Zeit, 14. 6. 1966.
125. Int. Pierre Bertaux.
126. Fred Bérence, »Joseph Roth, romancier de l'Autriche des
Habsbourg, vient de mourir à Paris«. In: Les Nouvelles
Littéraires, 3. 6. 1939.

-453-
127. III, 797.
128. III, 804.
129. In der Erstausgabe sowie in I, 317, heißt es: »April des
Jahres 1914«; in der Neuauflage der Kapuzinergruft, 1972, steht
»1913«, da der Textzusammenhang diese Änderung erforderlich
macht, ebenso in VI, 229.
130. Int. Andrea Manga Bell.
131. Dies geht aus einem Brief des Verlags De Gemeenschap
vom 10. 9. 1938 an Roth hervor. /S. Aber das Leben marschiert
weiter und nimmt uns mit. Der Briefwechsel zwischen Joseph
Roth und dem Verlag De Gemeenschap 1936-1939, S. 160-
162.7
132. Vgl. F. C. Weiskopf, »Totentanz«. In: Literarische
Streifzüge, Berlin 1956, S. 107.
133. Int. Andrea Manga Bell; Int. Irmgard Keun. Vgl. auch
Friderike Maria Zweig, Spiegelungen des Lebens, a. a. O., S.
189.
134. Int. Franz Theodor Csokor.
135. »Der schwarze Freitag«: In: Das Neue Tage-Buch, 23. 4.
1938, S. 403-405.
136. IV, 346. In der Erstausgabe lautet die Schluß zeile:
»Wohin soll ich, ich jetzt, ein Trotta?...«

19 DIE EMIGRATION ALS GRENZSITUATION


1. Stefan Fingal, »Joseph Roth gestorben«: In: Pariser
Tageszeitung, 28./29. Mai 1939.
2. Titel des Feuilletons: »Ruhr-Totenfeier mit Shimmyklang«.
In: Vorwärts, 21. 4. 1923, I, 993-994.
3. »Joseph Roth.« In: Die Oesterreichische Post, 1. 7. 1939.
4. VI, 337.
5. VI, 273.

-454-
6. »Die Legende Roth.« In: Die Oesterreichische Post, 1. 7.
1939.
7. »Joseph Roth.« In: Die neue Weltbühne, 1. 6. 1939.
ANMERKUNGEN 3/9
8. »Rast angesichts der Zerstörung«, III, 814.
9. »Abschiedsrede.« In: Die Oesterreichische Post, 1. 7. 1939.
10. Int. Ernst Hoor.
11. Int. Frans Hannema.
12. Anton Qohan Winkler], »Ontmoeting met Roth«. In: Het
Volk, 26. 11.1939.
13. Int. Hermann Kesten; Int. Karl Retzlaw; Int. Conrad
Lester.
14. Spiegelungen des Lebens, Wien, Stuttgart, Zürich 1964, S.
199.
15. Brief an Stefan Zweig vom 7. 11. 1935, Briefe, 433.
16. Brief an Stefan Zweig vom 20. 7. 1934, Briefe, 363.
17. »Joseph Roth.« In: Die Oesterreichische Post, 1. 7. 1939.
18. Vgl. Herbert Rosenkranz, ›Reichskristallnacht‹. 9.
November 1938 in Österreich, Wien, Frankfurt, Zürich 1968, S.
7-8.
19. in. Das Original in: Das Neue Tage-Buch, 17. 10. 1936.
20. A. a. O., III, 689.
21. »Dem Anschein nach«; III, 829. Das Original in: Das
Neue Tage-Buch, 3. 12. 1938.
22. Int. Frans Hannema.
23. Brief an Stefan Zweig vom 21. 10. 1935, Briefe, 431.
24. Brief an Stefan Zweig [Februar 1936?], Briefe, 450.
25. Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Berlin, Frankfurt
1958, S. 330.
26. René Schickele, Werke in drei Bänden, Köln, Berlin 1959,

-455-
III, S. 1221. Der Brief trägt das Datum 10. 5. 1935.
27. Spiegelungen des Lebens, S. 134.
28. Vgl. Walter A. Berendsohn, a. a. O., S. 157-158.
29. Vgl. Prince Hubertus zu Löwenstein, Towards the Further
Shore, London 1968, S. 208.
30. Brief an Stefan Zweig vom 20. 7. 1934, Briefe, 363.
31. Int. Conrad Lester.
32. Vgl. Roths Brief an Zweig vom 20. 7. 1934, Briefe, 365.
33. Brief an Stefan Zweig [Sommer 1934], Briefe, 355-356.
34. Int. Joseph Breitbach.
35. 15. 7. 1936, Briefe, 486.
36. Brief an Stefan Zweig vom 11. 5. 1936, Briefe, 471.
37. Brief von Stefan Zweig an Roth [Januar 1938], Briefe,
518.
38. Brief an Stefan Zweig vom 10. 1. 1938, Briefe, 518.
39. Int. Irmgard Keun.
40. Brief an Stefan Zweig vo m 13. 7. 1938, Briefe, 522.
41. Brief von Stefan Zweig an Roth [Herbst 1937], Briefe,
514.
42. Int. Friderike Zweig.
43. Stefan Zweig/Friderike Zweig, Briefwechsel 1912-1942,
Bern 1951, S. 357-358.
44. Int. Jean Janès.
45. Int. Ludwig Marcuse.
46. Int. Hans Natonek.
47. Int. Germaine Alazard.
48. Int. Pierre Bertaux.
49. Int. Richard Jokel.
50. Int. Jean Janès.

-456-
51. Int. Joseph Constantinowsky. Constantinowskys
Schriftstellername war zuletzt »Joseph Constant«.
52. Int. Blanche Gidon.
53. Hermann Kesten, »Meine Suche nach dem Erbe von
Joseph Roth. Ein literarischer Schatz konnte gerettet werden«.
In: Aufbau, 8. 4. 1966.
54. Int. Joseph Gottfarstein.
55. Brief an Blanche Gidon vom 15. 7. 1936, Briefe, 486.
56. Brief an Stefan Zweig vom 9. 9. 1934, Briefe, 378.
57. Brief an Stefan Zweig vom 6. 12. 1938, Briefe, 443.
58. Das unveröffentlichte Manuskript befindet sich /in
Privatbesitz./
59. Int. Klaus Dohrn.
60. Int. Ludwig Marcuse.
61. Int. Valerie Schwarzschild.
62. Z. B.: »Der Bizeps auf dem Katheder«, II, 5; »Heimkehr
eines Boxers«; III, 102; »Der Sport-Schmock«, III, 234.
63. Int. Andrea Manga Bell.
64. Int. Joseph Riwkin.
65. Int. Andrea Rebuffé.
66. Int. Irmgard Keun.
67. Int. Klaus Dohrn.
68. Brief vom 11. 7. 1934, Briefe, 349.
69. Dies geht aus Roths Korrespondenz wie auch aus den
Aussagen seiner Bekannten hervor.
70. Int. Maurits Mok.
71. Brief an Stefan Zweig [24. 5. 1931], Briefe, 201.
72. Brief an Stefan Zweig vom 7. 8. 1932, Briefe, 222.
73. Int. Helga Hummerich; Int. Maryla Reifenberg; Int.
Joseph Cons tantinowsky; Int. Maurits Mok.
-457-
74. Aus einem unveröffentlichten Manuskript. Dem Autor sei
gedankt für seine freundliche Erlaubnis, daraus zu zitieren.
75. Vgl. Gerd Schreiner, »Ontmoeting met Roth«. In: Het
Volk. Avondblaä, 26. 11. 1938.
76. Briefe an Stefan Zweig vom 17. 2. 1936, Briefe, 452.
77. Brief an Stefan Zweig vom 8. 8. 1937, Briefe, 503.
78. Brief an Stefan Zweig vom 3. 4. 1936, Briefe, 467.
79. Brief an Blanche Gidon vom 26. 5. 1936, Briefe, 473.
80. Brief an Stefan Zweig vom 11. 7. 1934, Briefe, 349.
81. Int. Prof. Dr. med. Ernst Wollheim.
82. Int. Walter Mehring.
83. Int. Maryla Reifenberg.
84. Brief an Stefan Zweig vom 12. 11. 1935, Briefe, 436.
85. Brief an Stefan Zweig vom 22. 12. 1933, Briefe, 298.
86. Benno Reifenberg, »Erinnerungen an Joseph Roth«. In:
Lichte Schatten. Aus den literarischen Schriften von Benno
Reifenberg, Frankfurt am Main, 1953, S. 205. Diese Stelle lehnt
sich an Roths Wortlaut in Das Falsche Gewicht an, VI, 202.
87. Int. Ernst Erich Noth.
88. Die weißen Städte, II, 453.
89. VI, 514.
90. Brief an Stefan Zweig, 22. 5. 1933, Briefe, 265.
91. VI, 509.
92. Int. Miguel Grübel.
93. Brief an Stefan Zweig, Briefe, 265.
94. Vgl. den Brief an Stefan Zweig vom 22.12.1933, Briefe,
297; Brief an Carl Seelig vom 12. 3. 1934, Briefe, 319; ebenfalls
an Carl Seelig vom 7. 7. 1934, Briefe, 347; Brief an Stefan
Zweig vom 26.3.1934, Briefe, 320; Brief an Stefan Zweig vom
15. 2. 1935, Briefe, 402.

-458-
94a. S. V, 877-879.
95. Int. Dr. med. Eduard Broczyner; Briefe an den Verf. von
Leo Brisker vom 15. 4. 1973 und Paul Gold vom 26. 4. 1973.
96. Das Manuskript befindet sich /in Privatbesitz/.
97. Tarabas, V, 602.
98. Clemenceau, S. 33, in einem Typoskript: K & W. Auf S.
24 steht ein Hinweis, der zu der Datierung 1939 berechtigt, III,
975.
99. Brief vom [Sommer 1934], Briefe, 355.
100. Brief an Blanche Gidon vom 17. 11. 1934, Briefe, 394-
395.
101. J. W. Qohan Winkler], »Joseph Roth bezoekt
Amsterdam«: In: Het Volk, Amsterdam, 8. 5. 1935.
102. »Joseph Roth in ons Land. Ontmoeting met den schrijver
van ›Der Antichrist^« In: Algemeen Handelsblad, ochtendblad,
Amsterdam 19. 5. 1935.
103. Brief an René Schickele [o. D.], Briefe, 412.
104. Brief an Carl Seelig, 11. 11. 1934, Briefe, 394.
105. Int. Ernst Erich Noth. S. Noths Erinnerungen eines
Deutschen, Hamburg, Düsseldorf 1971, S. 227.
106. Int. Irmgard Keun.
107. S. Christiaan de Graaf, »Duitsche Literatuur. Joseph
Roth: ›Beichte eines Mörders‹. Verlag Allen de Lange,
Amsterdam«. In: Algemeen Handelsblad, 29. 9. 1936.
108. VI, 72.
109. VI, 42.
110. Brief an Blanche Gidon vom 21. 7. 1937, Briefe, 499.
111. Brief vom 5. 7. 1937. In: Stefan Zweig/Friderike Zweig,
a. a. O., S. 318.
112. VI, 223.

-459-
113. VI, 42.
114. VI, 222.
115. VI, 187.
116. Der Leviathan, VI, 547.
117. S. Ernst Robert Curtius, Balzac, Paris 1933, S. 384.
118. V, 243-244.
119. Brief an das Ehepaar Gidon, Briefe, 495.
120. Briefe, 503.
121. Brief vom 15. 6. 1939. In: Deutsche Literatur im Exil,
Briefe europäischer Autoren 1933 - 1949, hrsg. von Hermann
Kesten, Wien, München, Basel, 1964, S. 105.
122. Hermann Linden, Gedächtnisbuch, 10.
123. VI, 349.
124. VI, 374.
125. VI, 406.
126. VI, 357.
127. VI, 176.
128. VI, 450.
129. VI, 417.
130. Int. Klaus Dohrn.
131. Int. Jean Janès.
132. Zitiert von Gotthard Jedlicka, »Erinnerungen an Joseph
Roth«. In: Neue Zürcher Zeitung, 9. 2. 1957.
133. Int. Maurits Mok.
134. »Joseph Roth.« In: Franz Blei, Zeitgenössische Bildnisse,
Amsterdam 1940, S. 239.
135. Die Legende vom heiligen Trinker, VI, 516.
136. André Jolies, Einfache Formen, Halle (Saale) 1956, S.
44.!37. VI, 535.

-460-
138. VI, 515.
139. Aus dem Vorwort (ohne Seitenzahl) von The
Autobiography of St. Thérèse of Lisieux: The Story of a Soul,
Garden City, New York.
140. »Das Märchen vom Geiger«. In: Der Neue Tag, 28. 12.
1919, I, 205.
141. VI, 533. 142. VI, 515.
143. VI, 515.
144. VI, 519.
145. VI, 543.
146. V, 281.
147. V, 233.
148. VI, 543.
149. Stefan Fingal, »Gedenkblatt zum 10. Todesjahr von
Joseph Roth.« In: Aufbau, 24. 6. 1949.
150. »Kleines Requiem für Joseph Roth.« In: Forum,
September 1954, S. 28.

20 DER TOD EINES MYTHOMANEN


1. Ich verwende den französischen Begriff »Mythomane« - im
Sinne eines Menschen, der Legenden über sich selbst verbreitet
-, da es keine entsprechend prägnante Bezeichnung dafür im
Deutschen gibt.
2. III, 164.
3. Int. Hans Natonek.
4. Ebd.
5. Hans Natonek, »Joseph Roth«. In: Die neue Weltbühne, 35
(1939), 22, S. 680.
6. Int. Fred Grübel.
7. Int. Miguel Grübel. Sich auf Briefe stützend, die ich

-461-
einsehen durfte, teilte G. mir mit: »Am 6. Oktober 1938 schrieb
mir Roth aus Paris, daß er sich darum bemüht, für zehn
Kameraden die Einreiseerlaubnis nach Mexiko zu beschaffen.
Zugleich ersuchte er mich, mich über die Möglichkeit einer
Einreisebewilligung für ihn selbst zu erkundigen, denn: ›... ich
kann nicht gut zu gleicher Zeit für meine Kameraden sorgen und
auch für mich selbst bei offiziellen Persönlichkeiten.‹ Ich war
damals noch zu kurze Zeit in Mexiko, um für ihn etwas
unternehmen zu können, gab ihm aber in dieser Angelegenheit
alle Auskünfte, die er wünschte. Nach einem kurzen
Briefwechsel schrieb er mir schließlich am 26. Jänner 1939, daß
die Erfordernisse der mexikanischen
Einwanderungsbestimmungen für ihn unerfüllbar wären.«
8. Hans Natonek, »Joseph Roth«, a. a. O.
9. Int. Jean Janès.
10. Blanche Gidon, Gedächtnisbuch, 195-197. 11. Int. Joseph
Gottfarstein.
12. /In Privatbesitz./
13. Int. Jean Janès.
14. Int. Jean Janès.
15. Ebd.
16. Int. Stefan Fingal und: Stefan Fingal, »Joseph Roth
gestorben«. In: Österreichische Nachrichten, 2. 6.1939. In
zeitlicher Hinsicht ist dies die dem Ereignisdatum am nächsten
stehende schriftlich festgehaltene Version von Roths Äußerung.
Es gibt eine Reihe anderer, die sich nur wenig voneinander
unterscheiden. Vgl. F. C. Weiskopf: »Wie schade, daß Ernst
Toller aus dem Leben gegangen ist, da man schon sehen kann,
daß es mit unseren Feinden zu Ende geht!« In: Literarische
Streifzüge, Berlin 1956, S. 211. Ludwig Marcuse, der die
Begebenheit aus zweiter Hand erfuhr, schreibt in seiner
Autobiographie: »Er schrie auf: ›Das hättest du nicht tun sollen.‹
« In: Mein zwanzigstes Jahrhundert, München 1960, S. 255.
-462-
17. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
18. Int. Friderike Zweig.
19. Diese Schilderung stützt sich auf die Aussagen von
Germaine Alazard, Friderike Zweig, Hans Natonek, Dr. med.
Eduard Broczyner und Soma Morgenstern.
20. Int. Blanche Gidon; Int. Germaine Alazard; Auskunft vom
Hôpital Necker.
21. Int. Karl Retzlaw.
22. Int. Blanche Gidon.
23. Int. Stefan Fmgal.
24. Hans Natonek, »Joseph Roth«, a. a. O.
25. Int. Soma Morgenstern. Hermann Kesten, der Roths
Spitalaufenthalt in seinem Roman Die Zwillinge von Nürnberg
beschrieb (vgl. sein »Der Tod des Dichters« in: Gedächtnisbuch,
241-247), bestätigt selbst, daß dies nicht als Tatsachen- oder
Zeugenbericht anzusehen sei.
26. Int. Dr. med. Herben Stoerk.
27. Int. Dr. med. Eduard Broczyner.
28. Int. Friderike Zweig.
29. Int. Stefan Fingal.
30. Stefan Fingal, »Gedenkblatt zum 10. Todestag von Joseph
Roth«. In: Aufbau, 24. 6. 1949.
31. VI, 543.
32. Int. Hans Natonek.
33. Int. Prof. Heinrich Sussmann.
34. Auszug aus den Sterbematrikeln des Standesamtes des 15.
Stadtbezirks von Paris.
35. Int. Stefan Fingal.
36. Int. Joseph Gottfarstein; Int. Soma Morgenstern.
37. Int. Jean Janès.

-463-
38. Ebd.
39. Auskunft, erteilt von der Friedhofsverwaltung des
Cimetière Thiais.
40. Brief an den Verf. von Msgr. John. M. Oesterreicher vom
20. 11. 1961.
41. Int. Stefan Fingal.
42. Blanche Gidon, Gedächtnisbuch, 198.
43. Gotthard Jedlicka, »Erinnerungen an Joseph Roth«: In:
Neue ZürcherZeitung, 9. 2. 1957.
44. Int. Hans Natonek.
45. Hermann Kesten, Brief vom 20. 2. 1949. In: Deutsche
Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1939-1949, hrsg.
von Hermann Kesten, Wien, München, Basel 1964, S. 352. Im
Brief steht der Name des Geistlichen irrtümlich als
»Oestreicher« geschrieben; der richtige Titel war damals
»Kaplan«.
46. Int. Otto von Habsburg.
47. Ebd.
48. Int. Friderike Zweig.
49. Int. Stefan Fingal; Int. Bruno Frei.
50. Joseph Roth, »Kein rasender Reporter«. In: Neue
Deutsche Blätter (Prag), Juni 1935, III, 675.
51. Int. Stefan Fingal; Int. Bruno Frei.
52. Int. Joseph Gottfarstein; Int. Soma Morgenstern.
53. Österreichische Nachrichten, 2. 6. 1939
54. Int. Friderike Zweig.
55. Sunday Times, 28. 5. 1939.
56. Zitiert von Walter A. Berendsohn, Die humanistische
Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur, Zürich
1946, S. 72-73.

-464-
57. Diese Informationen entnehme ich einem Brief der
österreichischen Gesandtschaft zu Paris vom 14. 3.1947,
gezeichnet von Dr. Ernst Lemberger und gerichtet an Mme.
Germaine Alazard, und deren brieflicher Antwort vom 26. 3.
1947.
58. »Grillparzer«. In: Das Neue Tagebuch (Paris), 4. 12. 1937,
III, 751.

-465-
Personalien der Interviewten

Besonderer Dank gebührt den nachfolgend aufgeführten


Interviewten, ohne deren Aussagen und Hilfsbereitschaft die
Roth-Biographie nicht viel mehr als eine Aufzählung von Daten
und trockenen Fakten geworden wäre. Bereitwillig ließen sich
die meisten viele Stunden lang ausfragen, und mehrere unter
ihnen haben dem Verf. gestattet, drei-, vier- und fünfmal
zurückzukehren, um neue Fragen zu stellen und bereits
gelieferte Informationen nachzuprüfen. Städtenamen geben den
Wohnort zur Zeit des Interviews an.
Germaine Alazard, Paris. Besitzerin des Hôtel de la Poste,
Roths Domizil von 1937 bis zu seinem Tod.
Erna Avni, Doar-Na Hagilboa/Israel. Schwester von Roths
Frau. Kannte Roth ab 1919 in Wien.
A. C. Bakels, Amsterdam. Verleger. Sah Roth bei seinen
Aufenthalten in Amsterdam während der Emigration.
Theo. Bauer-Stemheim, Paris. Erste Frau von Carl Sternheim.
Kannte Roth in Paris in der Emigration.
Prof. PierreBertaux, Sèvres/Frankreich. Lernte Roth 192/in
Berlin kennen und sah ihn mit Abständen bis zum Tode Roths.
1938 Chef de cabinet beim Ministre de l'Éducation Nationale
und Leiter des französischen Rundfunks in deutscher Sprache
bei Radio Strasbourg. Heute Professor der Germanistik an der
Universität Paris.
Prof. Dr. med. Rudolf Bilz, Mainz. Psychoanalytiker und u. a.
Wissenschaftler auf dem Gebiet des Alkoholismus. Vermittelte
Informationen und Erläuterungen über Roths Alkoholismus.
Autor von Der Trinker.
Antonius Marinus Blansjaar, Amsterdam. Mitinhaber des
Eden Hotels, Amsterdam, das Roth 1933-1936 öfters besuchte.
Louis de Bourbon, Den Haag. Schriftsteller; einer der

-466-
Mitarbeiter des Verlags De Gemeenschap, in dem 1938 und
1939 zwei Roth-Romane erschienen.
L. P.J. Braat, Amsterdam. Bildhauer und Dichter. Traf sich
mit Roth in Amsterdamer Cafés während der Emigration.
Leonie Brandt-Reimern, Amsterdam. Schauspielerin.
Unterhielt sich mehrere Male mit Roth in Amsterdam während
der Emigration.
Joseph Breitbach, Paris. Schriftsteller. Lernte Roth 1927 in
Prag in der Redaktion des Prager Tagblatts kennen. Sah ihn
wieder 1932 in Berlin und dann öfters in der Emigration.
Bernard von Brentano, Journalist und Schriftsteller, und seine
Frau Margot von
Brentano, Wiesbaden. Roth vermittelte Bernard von Brentano
seine Stelle bei der Frankfurter Zeitung. 1924-1927 enge
Freundschaft, darauf Bruch der Beziehung von sehen Roths.
Leo Brisker, Tel Aviv. Früher Lehrer in einem hebräischen
Gymnasium in Polen. Mitschüler Roths im Brodyer
Gymnasium.
Annemarie Brach, französische Riviera. Witwe von Hermann
Broch. Kannte Roth in der Emigration.
Dr. med. Eduard Broczyner, Wien. Mitschüler Roths im
Brodyer Gymnasium. Kannte ihn ebenfalls in Wien und in Paris
während der Emigration.
Max Brod, Jerusalem. Schriftsteller. Einige Begegnungen mit
Roth 1923 in den Redaktionsräumen des Prager Tagblatts.
Ada Bronthaler, Kronberg/Taunus. Schwester von Benno
Reifenberg. Begegnungen mit Roth während semer Mitarbeit an
der Frankfurter Zeitung.
Auguste Euer, Paris. Geschäftsleiter des Café Les Deux
Magots zu Paris. Kannte Roth während der Emigration durch
seine Besuche in diesem Café.
Eric Burger, New York. Journalist und Publizist. Kannte Roth

-467-
in Berlin in den zwanziger Jahren.
Prof. F.].]. Buytendijk, Nijmegen. Psychiater. Kannte Roth in
Holland in der Emigration.
Jean Cassou, Paris. Museumsdirektor. Kannte Roth in Paris in
der Emigration.
Joseph Constantinowsky, Paris. Russischjüdischer Bildhauer
und Schriftsteller. Verkehrte mit Roth 1934-1939 in Paris.
Franz Theodor Csokor. Schriftsteller. Begegnete Roth in
Wien während des Ersten Weltkriegs und sah ihn später
zeitweise in Wien und in Südfrankreich während der
Emigration.
Hedi Davis, London. Schwester von Roths Frau. Sah Roth
regelmäßig 1919-1920 in Wien, dann zeitweise in derselben
Stadt bis zu ihrer Auswanderung 1938 nach London.
Heinrich Graf von Degenfeld-Schonburg, Pöcking/Obb.
Sekretär und Adjutant von Otto von Habsburg. Briefwechsel mit
Roth in den späten dreißiger Jahren.
Maurits Dekker, Amsterdam. Holländischer Romancier. Traf
sich mehrmals mit Roth in Amsterdam in der Emigration.
Klaus Dohm, Zürich. Zeitschriftenagent. Deutscher, der sich
während der Emigration der österreichischen
Monarchistenbewegung anschloß. Sah Roth regelmäßig in Paris
während der dreißiger Jahre und vermittelte ihm den Zugang zu
Otto von Habsburg.
Cees H. Donker, Amsterdam. Kellner. Bediente Roth im Café
de Pool, am Damrak, Amsterdam, in den dreißiger Jahren.
Milan Dubrovic, Bonn. Tätig im österreichischen
Diplomatendienst im Ausland. Gespräche mit Roth, 1923, in
Wiener Kaffeehäusern.
Anton van Duinkerken, Nijmegen. (Schriftsteliername von
Prof. W. J. M. A. Asselbergs.) Dichter, Schriftsteller, Kritiker,
Mitglied des Verlags De Gemeenschap. Begegnungen mit Roth

-468-
1935-1938 in Amsterdam.
Charlotte Ehlers, Köln. Sekretärin von Fritz Landshoff im
Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin. Sah Roth 1929-1933 bei
seinen Verlagsbesuchen.
Jan Engelman, Amsterdam. Dichter. Sah Roth 1935
mehrmals in Amsterdam.
Fred von Eugen, Amsterdam. Verlagsleiter. Lernte Roth 1934
in Amsterdam kennen.
Walter Fein, Amsterdam. Schauspieler und Sänger. Deutscher
Emigrant. Bewohnte 1934 gleichzeitig mit Roth das Eden Hotel
in Amsterdam.
Stefan Fingal, Lausanne. Kannte Roth 1918-1920 als
mitarbeitender Journalist an Wiener Tageszeitungen. Ging mit
Roth 1920 nach Berlin; betreute Roths seelisch erkrankte Frau in
den späten zwanziger Jahren. Sah ihn wieder in Paris in der
Emigration.
Gottfried Hermann Fischer, Frankfurt. Geschäftsführer und
späterer Inhaber des S. Fischer Verlags. Kannte Roth in den
zwanziger Jahren in Frankfurt.
Hans Flesch-Brunningen, Wien. Schriftsteller. Lernte Roth
1932 in Berlin kennen. Weitere Begegnungen in Wien und Paris
in den dreißiger Jahren.
Oskar Maurus Fontana, Wien. Schriftsteller. Kannte Roth
1918-1920 in Wien und traf sich mit ihm dort wieder mit einiger
Regelmäßigkeit im Jahre 1923.
Prof. Otto Forst de Battaglia, Wien. Professor an der Wiener
Hochschule und Schriftsteller. Empfänger eines wichtigen
Briefs von Roth vom 28.10.1932, Briefe, 239-240.
Bruno Frei, Wien. Kommunistischer Journalist. Kannte Roth
1921-1922 als Nachbar in Berlin, dann gelegentliche
Begegnungen Mitte der zwanziger Jahre ebenfalls in Berlin und
1933-1939 in Paris.

-469-
Richard Friedenthal, Schriftsteller, und seine Frau Lieselotte
Friedenthal, London. Lernten Roth 1927 durch Stefan Zweig
kennen.
Elisabeth Freundlich, Wien. Journalistin. Kannte Roth 1938-
1939 in Paris.
Martin Fuchs, Wien. Österreichischer Pressereferent in Paris
bis zum Anschluß. Eine führende Kapazität der österreichischen
Monarchistenbewegung in der Emigration. Sah Roth während
der Zeit in Wien und Paris. Nach dem Zweiten Weltkrieg
Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten in Wien.
Leo Fuks, Amsterdam. Direktor der judaistischen
Bibliotheksammlung »Rosenthaliana« der Amsterdamer
Universitätsbibliothek. Vermittelte Informationen über Galizien,
wo er herstammt, und den Chassidismus.
Cornelius Gaze, Amsterdam. Kellner. Bediente Roth im Café
de Pool, am Damrak, Amsterdam, in den dreißiger Jahren.
Manfred George, New York. Mitarbeiter Roths 1921-1922 am
Berliner Börsen-Courier. Später Chefredakteur des Aufbau,
New York.
Frits Gerth, Amsterdam. Barmixer. Bediente Roth in De
Amstelstroom in Amsterdam in den dreißiger Jahren.
Blanche Gidon, Paris. Roths Übersetzerin. Kannte Roth 1932-
1939 in Paris.
Fritz, Gotfurt, London. Zeitungsredakteur in Berlin an
verschiedenen Zeitungen in den frühen zwanziger Jahren.
Kannte Roth während der Zeit.
Joseph Gottfarstein, lettischer, in Paris lebender Talmudist.
Früher jiddischsprachiger Journalist, ebenfalls in Paris. Intimer
Freund und Gewährsmann Roths in Paris ab 1934. Kam fast
täglich mit Roth in Paris zusammen bis zu dessen Tod.
Raoul Gouygou, Paris, Kellner. Bediente Roth im Café Les
Deux Magots.

-470-
M. Graaf-Mengelberg, Amsterdam. Witwe von Christiaan de
Graaf, einem Amsterdamer Dichter, Kritiker und Journalisten,
der über Roth und seine Werke in Amsterdamer Zeitungen
schrieb. Roth besuchte die beiden in Amsterdam in den frühen
dreißiger Jahren.
Kurt Grossmann, New York. Biograph von Carl von
Ossietzky. Kannte Roth in den zwanziger Jahren in Berlin und
in Paris in der Emigration.
Fred Grübel, New York. Leiter des Leo Baeck Instituts, New
York. Sohn von Roths Onkel Salomon Grübel. Roth besuchte
die beiden mehrere Male in Le ipzig in den zwanziger Jahren.
Klara Grübel, Wien. Frau von Roths Lieblingsonkel Willi
Grübel. Kannte Roth in den zwanziger Jahren.
Miguel Grübel, Mexico City. Sohn von Roths Onkel Heinrich
Grübel. Lernte Roth 1913 in Lemberg kennen, sah ihn in Wien
während des Ersten Weltkriegs, dann 1919-1920 ebendort,
weiter in den späteren zwanziger Jahren und gelegentlich bei
Roths Besuchen zu Wien in den dreißiger Jahren bis 1938.
Friedrich Traugott Gubler, Winterthur.
Cheffeuilletonredakteur der Frankfurter Zeitung 1930-1933;
während der Zeit Umgang mit Roth.
Willy Haas, Hamburg. Ehemaliger Herausgeber der
Literarischen Welt, der Roth mehrere Beiträge lieferte. Kannte
Roth in Berlin 1925-1933.
Otto von Habsburg, Pöcking/Obb. Sohn des letzten
österreichischen Kaisers. Sah Roth einige Male in
Steenockerzeel/Belgien und Paris in der Emigration.
Willy Hafkus, Berlin. Oberkellner des Hotel am Zoo, Berlin.
Roth unterhielt sich mit ihm bei seinen dortigen Aufenthalten in
den zwanziger Jahren.
Frans Hannema, Amsterdam. Kunsthistoriker. Bewohnte
zeitweise 1934 bis 1938 das Eden Hotel und das City Hotel mit

-471-
Roth in Amsterdam.
Jakob Hegner, Lugano. Verleger. Kannte Roth in den
zwanziger Jahren in Berlin.
Philipp Hergesell, London. Journalist. Arbeitete für Das 12
Uhr Blatt in Berlin, als Roth dort 1920 freier Mitarbeiter war.
Henje Herzmann, Tel Aviv. Hausfrau. Mitschülerin Roths im
Brodyer Gymnasium.
M. M. Hilman, Amsterdam. Arztgattin. Begegnete Roth als
Emigrantin 1933 in Paris.
Rudolf Hirsch, Frankfurt. Ehemaliger Verlagsdirektor des S.
Fischer Verlags. Lernte Roth in den zwanziger Jahren in Berlin
kennen und sah ihn 1934 in Paris wieder.
Ernst Hoor, Wien. Leiter von British Petroleum, Wien.
Gehörte als österreichischer Student in Paris der
österreichischen Monarchistenbewegung an und lernte Roth
1937 dort kennen.
Lajos Horvâth, Wien. Bruder von Ödön Horvâth. Lernte Roth
1926 in Wien kennen. Sah ihn gelegentlich dort in den späten
zwanziger Jahren und 1938 bei der Beerdigung seines Bruders.
Bettina Hürlimann, Zürich. Verlegerin. Tochter von Roths
Verleger Gustav Kiepenheuer. Sah Roth öfters 1930-1932 in
Berlin und 1932 als Studentin in Paris.
Helga Hummeñch, Frankfurt. Verlagssekretärin der
Frankfurter Zeitung. Kannte Roth durch seine Besuche der
Zeitungsredaktion in den Jahren 1923-1933. Besuchte Roth
1933 in Paris.
Walter Ihering, Berlin. Theaterkritiker des Berliner Börsen-
Courier, als Roth 1921-1922 dort Mitarbeiter war.
Jean Janès, Paris. Verlagslektor. Deutschjüdischer Emigrant,
der zum Katholizismus übergetreten war. Lernte Roth 1921 in
Berlin kennen. Wohnte Tür neben Tür mit Roth im Hôtel de la
Poste in Paris von 1937 bis Roths Tod, und sie sahen sich in

-472-
dieser Zeit täglich.
Prof. Gotthard Jedlicka, Zürich. Professor der bildenden
Künste. Schrieb Beiträge für die Frankfurter Zeitung in den
zwanziger Jahren, in welcher Zeit er sich gelegentlich mit Roth
in Frankfurt traf. Begegnungen mit Roth 1933 in Rapperswil
nahe Zürich und nachher bei Jedlicka in Zürich.
Dr. med. Ephraim jedlin, Tel Aviv. Mitschüler Roths im
Brodyer Gymnasium.
Richard Jokel, London. Journalist. Lernte Roth 1923 in Wien
kennen und sah ihn einige Male 1933-1938 in Paris.
Hermann Kesten, Rom. Schriftsteller. Langjähriger Freund
Roths und Herausgeber von Joseph Roth. Werke in drei Bänden
und Joseph Roth. Briefe 1911-1939.1927-1933 literarischer
Leiter des Gustav Kiepenheuer Verlags. Mitte Juli 1934 bis Juni
1935 wohnte Roth im selben Haus mit Kesten in Nizza. Umgang
mit Roth ab 1927 bis zu dessen Tod.
Irmgard Keun, Weiden bei Köln. Schriftstellerin. Lernte Roth
1936 in Ostende kennen. Seine Lebensgefährtin 1936-1938.
Begleitete ihn während dieser Zeit auf seinen Reisen nach
Brüssel, Amsterdam, Wilna, Polen, Wien, Salzburg, Paris.
Noa Kiepenheuer, Weimar. Witwe von Roths Verleger
Gustav Kiepenheuer. Kannte Roth in Berlin 1929-1933.
Besuchte ihn noch von Berlin kommend in Paris während der
Emigration. Führte Tagebuch, mit vielen Eintragungen über
Roth, über die sie den Verf. ausführlich informierte.
Prof. Heinz Kindermann, Wien. Assistent von Roths
Lieblingsprofessor Walther Brecht in Wien. Kannte Roth 1914-
1916. Später Professor für Theaterwissenschaft an der Wiener
Hochschule.
Arthur Koestler, London. Schriftsteller. Lernte Roth 1936 in
Breedene/Belgien kennen.
Annette Kolb, Paris. Schriftstellerin. Kannte Roth seit 1930

-473-
und sah ihn während der Emigration in Südfrankreich wieder.
Halbo Kool, Amsterdam. Schriftsteller und Kritiker. Traf sich
einige Male mit Roth während der Emigration im Café
Reynders, Amsterdam.
Siegfried Kracauer, New York. Zusammen mit Roth
Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung bis 1933. Später Publizist
und fachwissenschaftlicher Autor in Amerika.
Antonie Piêter Johannes Kroonenburg, Amsterdam. Seit 1934
Betriebsleiter der Buchhandlung und des Verlags Allert de
Lange, Amsterdam, in dem mehrere von Roths in der
Emigration geschriebenen Werken erschienen. Öfters
Zusammenkünfte mit Roth.
Ludwig Kunz, Amsterdam. Kritiker für Literatur und bildende
Kunst. Schriftliche Verbindung mit Roth im Jahre 1932.
Herbert Küsel, Frankfurt. Zusammen mit Roth Mitarbeiter der
Frankfurter Zeitung bis Roths Austritt 1933.
Walter Ladengast, Wien. Schauspieler. Besuchte Roth und
Andrea Manga Bell in Paris während der Emigration.
Dora Landau, Lugano. Tochter eines Berliner
Zeitungsredakteurs galizischer Herkunft, der mit Roths Mutter
verwandt war. Kannte Roth in Berlin in den zwanziger Jahren
und in Paris in der Emigration.
Fritz H. Landshoff, Bentveld/Holland. Mithinhaber des
Gustav Kiepenheuer Verlags, Berlin, bis 1933. Hernach Gründer
der Emigrantenabteilung des Querido Verlags in Amsterdam.
Kannte Roth 1928-1933 in Berlin und sah ihn öfters in
Amsterdam und Paris während der Emigration.
Prof. Conrad Lester, Wien. Zusammen mit Roth Mitgründer
der Liga für das geistige Österreich in Paris während der
Emigration. Später Professor in Amerika.
Heinz Liepman, Hamburg. Journalist und Schriftsteller.
Schrieb zeitweise für die Frankfurter Zeitung in den zwanziger

-474-
Jahren, wodurch er Roth kennenlernte.
Hermann Linden, Berlin. Zeitweilig Mitarbeiter der
Frankfurter Zeitung. Kannte Roth 1927^1933. Herausgeber von
Joseph Roth. Leben und Werk. Ein Gedächtnisbuch.
Andrea Manga Bell, Paris. Lernte Roth 1929 in Berlin kennen
und war 1931-1936 seine Lebensgefährtin.
Erika Mann, Kilchberg am Zürchersee. Schauspielerin und
Schriftstellerin. Tochter von Thomas Mann. Begegnungen mit
Roth in Wien, Amsterdam und Paris in der Emigration.
Gabriel Marcel, Paris. Philosoph, Dramatiker, Romancier.
Lektor beim Plon Verlag und Herausgeber von einigen
Rothwerken in französischer Sprache in den dreißiger Jahren.
Gelegentliche Begegnungen während der Zeit.
Paul Marcus, London. Publizist. Kannte Roth während der
zwanziger Jahre in Berlin.
Prof. Ludwig Marcuse, Bad Wiessee/Obb. Einer der intimsten
Freunde Roths. Sah Roth 1923-1933 häufig in Frankfurt und
Berlin, dann in Paris während der Emigration bis zu Roths
letztem Lebensjahr.
Walter Mehring, Ascona/Schweiz. Schriftsteller. Kannte Roth
in Berlin in den zwanziger Jahren und in Paris während der
Emigration.
Peter de Mendelssohn, London. Schriftsteller. Kannte Roth
1933-1934 in Paris.
Maurits Mok, Bergen aan Zee/Holland. Holländischjüdischer
Dichter und Kritiker. Kannte Roth 1936-1938 in Amsterdam.
Soma Morgenstern, New York. Journalist und Schriftsteller.
Stammt aus Galizien. Lernte Roth 1913 als Student an der
Wiener Hochschule kennen, sah ihn wiederholte Male in Wien
in den zwanziger Jahren und einige Male in den dreißiger
Jahren, bis zum Anschluß Österreichs. Wohnte 1938-1939
zusammen mit Roth im Hôtel de la Poste in Paris.

-475-
Hans Natonek, Tucson/Arizona. Journalist und Schriftsteller.
Begegnungen mit Roth in den zwanziger Jahren in Leipzig. Sah
Roth regelmäßig 1938-1939 in Paris.
Robert Neumann, London. Schriftsteller. Begegnungen mit
Roth in der Schweiz während der Emigration.
Ernst Erich Noth, Milwaukee/USA. Journalist, Schriftsteller.
Kannte Roth in Berlin in den zwanziger Jahren und sah ihn
wieder in Paris in der Emigration.
José Orabuena, Locarno. Schriftsteller. Öfters mit Roth
zusammen im Sommer 1933 in Paris.
Paul Otte, Berlin. Journalist. Arbeitete für Das 12 Uhr Blatt
in Berlin, als Roth dort Anfang der zwanziger Jahre freier
Mitarbeiter war.
Abraham Farnes, Jerusalem. Archäologe. Mitschüler Roths
im Brodyer Gymnasium.
Hertha Pauli, New York. Schriftstellerin. Sah Roth in Wien
in den dreißiger Jahren und dann in Paris nach dem Anschluß
Österreichs.
Johannes Urzidil, New York. Schriftsteller. Mitarbeiter Roths
am Prager Tagblatt. Traf sich öfters mit Roth 1923 in Prag.
Friedrich Walter, London. Schriftsteller. Kannte Roth in Paris
in der Emigration.
J. C. S. Warendorf, Amsterdam. Rechtsanwalt. Unterstützte
finanziell DasNeue Tage-Buch vom 1. 7. 1933 bis zu dessen
Auflösung und lernte Roth in der Pariser Redaktion dieser
Zeitschrift während der Emigration kennen.
Moses Wasser, Geschäftsmann, und seine Frau Ethel Wasser,
Wien. Moses Wasser wohnte bei Roth und dessen Mutter in
Untermiete während der gemeinsamen Gymnasialzeit von
Moses Wasser und Roth. Ethel Wasser kannte Roth in Brody
und 1913-1916 an der Wiener Hochschule, wo sie beide
Studenten waren.

-476-
Fritz Weltmann, London. Journalist und Schriftsteller. Anfang
der zwanziger Jahre Mitarbeiter Roths am Berliner Tageblatt.
Erik Graf Wickenburg, Wien. Journalist und Schriftsteller. Ab
1928 Mitarbeiter Roths an der Frankfurter Zeitung.
Heinz Wielek, Amsterdam. Journalist. Deutscher Emigrant;
kannte Roth in Amsterdam in der Emigration.
Jean Wildt, Paris. Maler. Gebürtiger Brodyer; kannte Roth in
Brody und sah ihn in Wien in den dreißiger Jahren wieder.
Johan Winkler, Amsterdam. Holländischer Journalist. Sah
Roth öfters bei dessen Aufenthalten ab 1934 in Amsterdam,
publizierte Zeitungsinterviews über ihn und besuchte ihn ein
paarmal in den späten dreißiger Jahren in Paris.
JózefWittlin, New York. Polnischjüdischer, in Galizien
geborener und auf polnisch schreibender Dichter, Übersetzer
und Schriftsteller. Lernte Roth 1915 als Mitstudent an der
Wiener Hochschule kennen, rückte mit ihm 1916 ins
österreichische Heer ein, traf sich noch während des Krieges mit
ihm in Lemberg; weitere Zusammenkünfte in Lemberg in den
zwanziger Jahren.
Prof. Dr. med. Ernst Wollheim, Arzt, und Frau Wollheim,
Würzburg. Dr. Wollheim wurde 1928 in Berlin zur
Untersuchung von Roths geistig erkrankter Frau herangezogen.
Hat auch Roth ärztlich behandelt. Kontakte mit Roth in der
Emigration bis 1938.
Karl Zimmermann, Journalist. Frankfurt. Kannte Roth als
Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung bis Roths Austritt 1933.
Georg Zivier, Berlin. Publizist. Kannte Roth zwischen 1926-
1933 in Berlin. Führte während der Zeit eine Presse-Agentur,
wobei er Roths Feuilletons an verschiedene Zeitungen
verkaufte.
Elisabeth Zwart-Spanjer, Amsterdam. Begegnungen mit Roth
1935 in Amsterdamer Künstlerlokalen.

-477-
Arnold Zweig, Ost-Berlin. Schriftsteller. Wie Roth ein Autor
des Gustav Kiepenheuer Verlags. Begegnungen mit Roth Ende
der zwanziger Jahre in Berlin, dann 1931 in Wien und 1933 in
Paris.
Friderike Zweig, Stamford/Connecticut/USA. Erste Frau von
Stefan Zweig. Kannte Roth 1927^1939. Gegenseitige Besuche
in Wien, Salzburg und Paris.
Bei den folgenden Personen wurden Informationen allein
durch Korrespondenz eingezogen:
Leonore Brandt, Cincinnati/USA. Besuchte Roth 1934 in
einem Pürkersdorfer Sanatorium außerhalb Wiens, wo er eine
Alkoholentziehungskur durchmachte.
Axel Eggebrecht, Hamburg. Publizist. Begegnungen mit Roth
in den späten zwanziger Jahren in Berlin.
Paul Gold, New York. Goldschmied. Kannte Roth in Brody.
Ernst Glaeser, Wiesbaden. Schriftsteller. Kannte Roth in den
zwanziger Jahren und gab 1929 eine Reihe von Roths
Reportagen in einem Sammelband heraus.
Prof. AlfredKantorowicz, Hamburg. Schriftsteller. Kannte
Roth in den zwanziger Jahren in Berlin und in Paris während der
Emigration.
Prof. Ernst Krenek, Palm Springs/Kalifornien. Komponist.
Beziehungen zu Roth in der Emigration.
Hubertus Prinz zu Löwenstein, Bonn-Bad Godesberg.
Historiker und Politiker. Begegnungen mit Roth in der
Emigration; verschaffte ihm zeitweise finanzielle Unterstützung
durch die »American Guild for German cultural Freedom«.
Józef Moyen, Warschau. Journalist. Begegnungen mit Roth in
Lemberg in den zwanziger Jahren, dann wieder in Paris in der
Emigration und zum letztenmal 1937 in Lemberg.
Msgr. John M. Oesterreicher, South Orange/New Jersey.
Katholischer Geistlicher jüdischer Geburt. Umgang mit Roth in

-478-
der Emigration in Paris; wohnte dessen Beerdigung bei.
Max von Riccabona, Tirol. Besuchte Roth verschiedene Male
1939 in Paris. War damals geheimer Kurier für eine tirolisch
monarchistische Widerstandsbewegung.
Bil Spira (Willy Freier), Paris. Aus Wien gebürtiger Zeichner.
Besuchte Roth 1938-1939 im Café Tournon in Paris.
Max Tau, Oslo. Verlagslektor. Kannte Roth in den zwanziger
Jahren in Paris.

-479-
Danksagung

Die für dieses Buch unerläßlichen und sich über Jahre


hinziehenden Forschungsreisen wären ohne Unterstützung nicht
realisierbar gewesen. Danken möchte ich jenen, die sie möglich
machten:
Professor Henry Hatfield, Cambridge/USA, und der Harvard
Universtity für ein Forschungsstipendium. Mein Dank gebührt
Professor Hatfield auch dafür, daß er es an Hinweisen und
Vorschlägen zum Buch nicht fehlen ließ.
Den Professoren Paul Stöcklein und Norbert Altenhofer,
Frankfurt, die sich für mich bei der Alexander von Humboldt-
Stiftung einsetzten, wie der Stiftung selbst für ein
Jahresstipendium.
Dr. Wolfgang Kraus und Dr. Reinhard Urbach der
Österreichischen Gesellschaft für Literatur für freie Unterkunft
in Wien. Reinhard Urbach verdanke ich außerdem eine lange
Reihe von Gefälligkeiten professioneller und persönlicher Natur.
Dem Österreichischen Unterrichtsministerium für eine
Forschungsspende.
Der Washington University für einen Forschungsurlaub und -
Zuwendungen.
Meine Forschungen führten mich in viele Bibliotheken und
Archive. Insbesondere möchte ich danken:
Dr. Fred Grübel, dem Leiter des Leo Baeck Instituts, New
York, für die Einsicht in den Joseph-Roth-Nachlaß und seine
ständige Hilfsbereitschaft.
Frau Dr. Renate Matthaei und Frau Alexandra von Miquel
vom Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, für die Einsicht in
das dortige Archiv und für deren überaus hilfreiche Kritik am
Manuskript.
Frau Noa Kiepenheuer vom Gustav Kiepenheuer Verlag,

-480-
Weimar, für die Einsicht in die dortigen Rom-Materialien und
die große Hilfeleistung durch die Vermittlung ihrer
Tagebucheintragungen über Roth.
Wichtige Informationen und Unterlagen für die Biographie
ergaben sich außerdem durch die Einsicht in das Zeitungsarchiv
der Nationalbibliothek, Wien, die Einschreibungsformulare
Roths auf der Wiener Universität, die Archive der Frankfurter
Zeitung, Frankfurt, sowie verschiedenartige Sammlungen der
Wiener Library, London, der Bibliothèque Nationale, Paris, der
Deutschen Bibliothek, Frankfurt/Main, und der Bibliothek des
Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Museum, Marbach a. 11.
All den vielen Personen, die mir mit Rat und Tat beistanden,
spreche ich meinen herzlichen Dank aus. Insbesondere richte ich
den Ausdruck meiner Dankbarkeit an:
Dr. med. Eduard Broczyner, Wien, der mehrere Partien des
Buches auf ihre Richtigkeit hin überprüfte, immer wieder neue
Informationsquellen vermittelte und Beziehungen mit alten
Roth-Freunden für mich herstellte.
Dr. Soma Morgenstern, New York, der es mir erlaubte, aus
einem unveröffentlichten Manuskript seine Schilderung Roths
zu zitieren.
Frl. Monique Gombert, Lilie/Frankreich, die viele
Informationen, Aufnahmen und Photokopien beschaffte.
Dr. Leos Houska, Prag, der verschiedene Auskünfte der
Prager Quellen lieferte.
Professor Dennis Greene, Tucson/USA, der mir bei den
Interviews von Arthur Koestler und Hans Natonek behilflich
war.
Frau Margareta Bais- Treimel, Amsterdam, die ausgezeichnete
Dienste bei der Forschungsarbeit, den Interviews und dem
Abtippen leistete.
Frau Elisabeth Augustin, Amsterdam, die getreu während der

-481-
langen Entstehungszeit hindurch mit mir um jede Zeile dieses
Buches rang und mir immer von neuem Mut machte.

-482-
Sekundärliteratur (Auswahl)*

Zusammengestellt von Rainer-Joachim Siegel

»Co-Existent Contradictions: Joseph Roth in Retrospect«,


Papers of the 1989 Joseph Roth Symposium at Leeds University
to commemorate the 50th anniversary of his death (Hrsg. Helen
Chambers), Riverside, California 1991
»Joseph Roth« (Hrsg. Heinz Ludwig Arnold), Text + Kritik,
Sonderband, München 1974 (bzw. 1982)
»Joseph Roth 1894-1939.« Eine Ausstellung der Deutschen
Bibliothek Frankfurt am Main. (Hrsg. Günter Pflug, Ausstellung
und Katalog: Brita Ecken und Werner Berthold),
Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek Nr. 7,
Frankfurt/M. 1979
»Joseph Roth 1894-1989.« Katalog eine r Ausstellung,
gemeinsam veranstaltet vom Bundesministerium für Auswärtige
Angelegenheiten und von der Dokumentationsstelle für neuere
österreichische Literatur in Wien, zusammengestellt von Heinz
Lunzer und Victoria Lunzer-Talos, Zirkular, Sondernummer 17,
Wien 1989.
»Joseph Roth, Interpretation Rezeption Kritik.« Akten des
internationalen interdisziplinären Symposiums 1989 (Hrsg.
Michael Kessler/Fritz Hacken), Stauffenburg-Colloquium Bd.
15, Tübingen 1990.
»Joseph Roth. Leben und Werk. Ein Gedächtsnisbuch.«
(Gesammelt, ausgewählt und herausgegeben von Hermann
Linden), Köln-Hagen 1949
»Joseph Roth. Werk und Wirkung.« (Hrsg. Bernd M. Kraskê ),
Sammlung Profile 32, Bonn 1988
»Joseph Roth in Nederland.« (Koos van Weringh/Toke van

-483-
Heimond), De Engelbewaarder 16, Amsterdam 1976
»Joseph Roth und die Tradition.« Aufsatz- und
Materialsammlung (Hrsg. David Bronsen), Schriftenreihe Agora
27, Darmstadt 1975

(Texte über Joseph Roth in folgenden Veröffentlichungen:)


Austriaca. Juin 1990, Numero 30
» Galizien - eine literarische Heimat.« (Hrsg. S. H.
Kaszynski), Seria Filologia
Germañska Nr. 27, Poznan 1987 Het oog in't zell. Jaargang 6,
nummer 4, april 1989

* Die Daten wurden der Joseph Roth-Bibliographie von


Rainer-Joachim Siegel, Morsum/Sylt, Cicero Presse, 1993,
entnommen.

»Österreichischpolnische literarische Nachbarschaft« (Hrsg.


Huberta Orlowskiego), Seria Filologia Germañska Nr. 19,
Poznan 1979
Abendroth, Friedrich »Reichs- und Bundesvolk. Das
zweifache Zeugnis des Joseph Roth.« In: Hochland 50 (1958),
S. 422-429
Ahl, Herbert »Ein Kranz mit schwarzgelber Schleife. Joseph
Roth.« In: Herben Ahl »Literarische Portraits«, München-Wien
1962, S. 173-179
Antkowiak, Alfred »Joseph Roth und sein Werk.« In: Neue
deutsche Literatur, 5:8 (Aug. 1957), S. 14^149
Arens, Hanns »Erinnerung an Joseph Roth.« In: Allgemeine
Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 6. 11. 1964
Aussenhofer, Hansotto »Gift in veilchenblauen Kelchen.
Joseph Roths Kampf gegen den Nationalsozialismus.« In:

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Publik, 5. 9. 1969
»Joseph Roth im Widerspruch zum Zionismus.« In: Emuna,
5,1970, S. 325-330
»Der Tinten-Terror der Bürokratie. Zwei Jahre nach Lenins
Tod: Joseph Roths Berichte über die Sowjetuntion der
zwanziger Jahre.« In: Publik, 28. 5. 1971, S. 24
Backer, Hans Willibald »Joseph Roth - Erinnerungen an einen
seltsamen Menschen und Dichter.« In: Frankfurter Rundschau,
26. 8. 1950
Baum, Wilhelm »An der Peripherie. Joseph Roth und
Österreich.« In: »Das größere Österreich. Geistiges und soziales
Leben von 1880 bis zur Gegenwart, loo Kapitel mit einem Essay
von Ernst Krenek.« (Hrsg. Kristian Sotriffer), Wien 1982, S.
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Baumgart, Reinhard »Auferstehung und Tod des Joseph Roth.
Drei Ansichten.« Edition Akzente, München 1991
Beierle, Alfred »Ich lebte mit Joseph Roth.« In: Roland von
Berlin, 5. 6. 1949
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Berlin und Weimar 1978
Birnbaum, Uriel »Der wahre Osten. Zu 2 Büchern von Joseph
Roth.« In: Uriel Birnbaum »Von der Seltsamkeit der Dinge«, o.
O. 1982, S. 68-84
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Bildnisse«, Amsterdam 1940, S. 237-248
Böhm, Anton »Das große schwarze Gesetz. Notizen zu
Joseph Roths Gesamtwerk.« In: Wort und Wahrheit 14 (1959),
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von Joseph Roth.« In: Deutsche Rundschau 83 (1957), S. 274-
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Santner, Eric L. »Geschlossenheit, Geschichte und Welt in
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Scheible, Hartmut »Joseph Roth. Mit einem Essay über
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»Joseph Roth, Hofmannsthal und das Kunstgewerbe.« In:
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Unglücks. Zum Briefwechsel zwischen Zweig und Roth« bzw.
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Essays über jüdische Schriftsteller.« Königstein/ Ts. 1986, S.
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Siepmann, Thomas »Joseph Roths ›Radetzkymarsch‹ in der
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Sperber, Manes »Rebell oder Revolutionär? Zu dem
nachgelassenen Roman ›Der stumme Prophet‹ von Joseph
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Spieker, Sven »Österreicher, Juden, Emigranten und Rivalen.

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Steiner, Carl »Frankreichbild und Katholizismus bei Joseph
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Steinmann, Esther »Von der Würde des Unscheinbaren«.
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Stix, Gottfried »Das periphere Österreichtum des Joseph
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österreichischen Literatur.«, Rom!974. S. 55-73
»Vom ›roten Joseph‹ zu Joseph Roth.« In: Akten des 5.
Internationalen Germanistenkongresses, Cambridge 1975.
Jahrbuch für internationale Germanistik 2, Bern-Frankfurt/M
1976, S. 223-230
Stöcklein, Paul »Bemerkungen zu Joseph Roth.« In:
»Weinblatt und Winkel« (Hrsg. Fritz Barkowsky und Dieter
Hoffmann), Kronberg 1983, S. 38-47
»Woher der Haß? Die unbeachtet gebliebene
Antisemitismusdeutung Joseph Roths aus den dreißiger Jahren.«
In: Communia. Internationale katholische Zeitschrift, 13:5
(Sept. 1984), S. 467-483
Strasser, Alfred »Le retour au pays d'une génération perdue
dans ›La fuite sans fin‹ de Joseph Roth.« In: Germanica I, 1987,
S. 67-69
Strelka, Joseph, »Ein Erzähler Österreichs.« In: Joseph
Strelka »Brücke zu vielen Ufern. Wesen und Eigenart der
österreichischen Literatur.« Wie n-Frankfurt/M-Zünch 1966, S.
105-112
Sültemeyer, Ingeborg »Das Frühwerk Joseph Roths 1915-

-494-
1926. Studien und Texte.« Wien-Freiburg-Basel 1976
Süskind,W(ilhelm) E(manuell) »Joseph Roth.«In: Die
Literatur 34 (1931/1932), I, S. 17-20
Torberg, Friedrich »Gedenken an Joseph Roth.« In: Friedrich
Torberg »Pamphlete, Parodien, Postscripta«, München-Wien
1964, S. 384-386
Trommler, Frank »Roman und Wirklichkeit. Eine
Ortsbestimmung am Beispiel von Musil, Broch, Roth, Doderer
und Gütersloh.« Sprache und Literatur 30, Stuttgart-Berlin-
Köln-Mainz 1966
Wapnewski, Peter »Hiob. Leben und Werk des Joseph Roth.«
In: Peter Wapnewski »Zumutungen.« München 1982, S. 140-
162
Weiskopf, Franz Karl »Totentanz«, »Abschiedssymphonie«,
»Joseph Roth, das Haus Habsburg und die Tschechen« In: Franz
Karl Weiskopf »Gesammelte Werke«, Berlin 1960, Bd. VIII, S.
176-180, 279-281 bzw. 322-327
(Werfel, Franz) »Franz Werfel zum Tode Joseph Roths.« In:
Österreichische Nachrichten 9. 6. 1939
Westermann, Klaus »Joseph Roth, Journalist. Eine Karriere
1915-1939.« Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und
Literaturwissenschaft, Bd. 368, Bonn 1987
Wiegenstein, Roland H. »Die gerettete Welt des Joseph
Roth.« In: Frankfurter Hefte 12, 1957, 8, S. 581-586
Willerich- Tocha, Margarete »Rezeption als Gedächtnis.
Studien zur Wirkung Joseph Roths.« Europäische
Hochschulschriften, Reihe 1, Bd. 736, Frankfurt/M-Bern-New
York 1984
Woldan, Alois »Kritik und Anerkennung - der junge
Sowjetstaat in Joseph Roths feuilletonistischem Werk.« In:
Österreichische Osthefte, 28 (1986), Hft. 3, S. 341-349
Wolff, Kurt »Briefwechsel eines Verlegers 1911-1963.«

-495-
(Hrsg. Bernhard Zeller und Ellen Otten), Frankfurt/M 1966
Zechenter, Anna. »Vom Pazifismus zum Monarchismus. Die
Joseph-Roth-Rezeption im Polen der Zwischenkriegszeit.« In:
Mnemosyne, Heft 10 (Januar 1991), S. 6-33
Zelewitz, Klaus »Joseph Roth. Zweimal politische
Illusionen.« In: »Peripherie und Zentrum. Festschrift für
Adalbert Schmidt.« (Hrsg. Gerlinde Weiss und Klaus Zelewitz),
Salzburg-Stuttgart-Zürich 1971, S. 347-358
Zimmermann, Arthur »Der poetische Realismus bei Joseph
Roth.« In: »Jahrbuch für internationale Germanistik«, Bd. 12,
Bern-Frankfurt/M-Las Vegas 1980, S. 56-74
Zimmermann, Werner »Joseph Roths ›Radetzkymarsch‹.« In:
W. Zimmermann »Deutsche Prosadadichtungen unseres
Jahrhunderts. Interpretationen für Lehrende und Lernende.«
Düsseldorf 1971, Bd. I, S. 296-373
Zohn, Harry »Österreichischejuden in der Literatur. Essays.«
Tel Aviv 1964
Zuckmayer, Carl »Als war's ein Stück von mir. Hören der
Freundschaft.« Frankfurt 1966
Zweig, Arnold »Die große Legende.« In: Die Literarische
Welt 7 (1931), Nr. 2, S. (l)-2
»Dem Freunde Joseph Roth.« In: Orient, 3 (1942), Nr. 6, S. 4-
6
Zweig, Friderike »Spiegelungen des Lebens.« Wien-Stuttgart-
Zürich 1964
Zweig, Stefan und Friderike »Ein Brie fwechsel, 1912-1942.«
Bern 1951
Zweig, Stefan »Joseph Roth.« In: Stefan Zweig
»Europäisches Erbe.« Frankfurt/M 1960, S. 251-264»Briefe an
Freunde.« (FIrsg. Richard Friedenthal), Frankfurt/M 1978

-496-
Anhang

(unveröffentlichte Dissertationen)
Alcantara, Christiane M. »Das Menschenbild in den Romanen
Joseph Roths.« University of California, Davis. California 1979
Aussenhofer, Hansotto »Joseph Roth und das Judentum. Ein
Beitrag zum Verständnis der deutschjüdischen Symbiose im
zwanzigsten Jahrhundert.« Bonn 1970
Bankowska, A. »Wo gibt es Sicherheit? Aspects of Narration
in the Novels of Joseph Roth.« Edinburgh 1982
Beug, Joachim Klaus Robert »Joseph Roth. Untersuchungen
zum Problem der Wirklichkeitsdarstellung.« Northwestern
University, Evanston, Illinois 1960
Eckart, Rolf »Die Kommunikationslosigkeit des Menschen im
Romanwerk von Joseph Roth.« München 1959
Häberli, Hans Peter »Ein Ich im All. Freundschaft in Werk
und Leben Joseph Roths.« Zürich 1978
Heger, Roswitha »Die frühe Epik von Gerhard Fritsch (1924-
1969). Der Einfluß von Joseph Roth und Ernst Wiechert.« Wien
1974
Hofstetter, Hanswerner »Wirtschaft der Verworrenheit.
Analyse des Romans ›Beichte eines Mörders‹ von Joseph Roth.«
Zürich 1980
Houska, Leos »Joseph Roth und das Haus Habsburg.« Praha
1971
Jansen, Peter Wilhelm »Weltbezug und Erzählhaltung. Eine
Untersuchung zum Erzählwerk und zur dichterischen Existenz
von Joseph Roth.« Freiburg 1. Br. 1958
Knittel, Michael Franz Georg. »Säkularisierter und
jüdischreligiöser Individualismus im Erzählwerk Joseph Roths.«
University of California, Irvine, California 1986

-497-
Komstke, Werner »Joseph Roths Zeitromane.
Handlungsstruktur, Erzählform und Figurenwelt als Ausdruck
weltanschaulicher Haltung.« Jena 1977
Kurer, Alfred »Joseph Roths Radetzkymarschs Interpretation.
Ein Beitrag zum Phänomen des Spätzeitlichen in der
österreichischen Literatur.« Zürich 1968
Lusher, Harold Edward »Joseph Roth, Robert Musil und Karl
Kraus. Their Image of the Old Monarchy and Emperor Franz
Joseph.« John Hopkins University, Baltimore, Maryland 1958
Lutcavage, Charles Patrick »The Habsburg Monarchy as
depicted in the works of Joseph Roth and Heimito von Doderer.
A Comparative analysis.« Harvard University, Cambridge,
Massachusetts 1958
Plank, Ilse »Joseph Roth als Feuilletonist. Eine Untersuchung
von Themen, Stil und Aufbau seines Feuilletons.« Erlangen
1967
Pöthe, Angelika »Das Hiobsmotiv im epischen Werk Joseph
Roths. Zum Verhältnis von mythischer ›Vorlage‹ und
sozialgeschichtlicher Darstellung.« Jena 1980
Powell, Ward Hughes »The Problem of Primitivism in the
Novels of Joseph Roth.« University of Colorado, Colorado
Springs, Colorado 1956
Roper, L. P. »Irony and Detachment in some Novels by
Joseph Roth.« Sheffield 1981
Rosenfeld, Sidney »Raumgestaltung und Raumsymbolik im
Romanwerk Joseph Roths.« University of Illinois, Urbana,
Illinois 1965
Sanankoua, Boubakav »Das Bild der Revolution und der
Revolutionäre bei Joseph Roth.« Innsbruck 1983
Sanger, Curt »The Decadence of Austrian Society in the
Novels of Joseph Roth.« University of Cincinnati, Cincinnati,
Ohio 1966

-498-
Sewell Saur, Pamela »Family Relationships in the Works of
Joseph Roth.« University of Iowa, Iowa City, Iowa 1981
Wegner, Erika »Die Gestaltung innerer Vorgänge in den
Dichtungen Joseph Roths.« Bonn 1964
Wlasaty, Siegfried »Das Bild der untergehenden
Österreichungarischen Monarchie bei Joseph Roth, Karl Kraus
und Robert Musil.«, Innsbruck 1964
Ying, Kë »Joseph Roths Roman ›Die Geschichte von der
1002. Nacht‹. - Entstehung, Fassungen, Thematik.« Wien 1990.

-499-
Erstausgaben der Werke von Joseph Roth

Hotel Savoy. Roman. Berlin: Die Schmiede 1924.


Die Rebellion. Roman. Ebd. 1924. April.
Die Geschichte einer Liebe. Berlin: J. H. W. Dietz Nachf.
1925.
Der blinde Spiegel. Ein kleiner Roman. Ebd. 1925.
Juden auf Wanderschaft. Berlin: Die Schmiede 1927.
Die Flucht ohne Ende. Ein Bericht. (Roman) München: Kurt
Wolff 1927.
Zipper und sein Vater. (Roman) Ebd. 1928.
Das Moskauer jüdische Theater. In: »Das Moskauer Jüdische
Akadamische Theater«. Berlin: Die Schmiede 1928.
Rechts und Links. Roman. Berlin: Gustav Kiepenheuer 1929.
Ein Kapitel Revolution (Fragment aus dem postum
erschienenen Roman Der stumme Prophet). In: »24 neue
deutsche Erzähler«. Hrsg. von Hermann Kesten. Ebd. 1929.
Der stumme Prophet (Fragment aus dem postum erschienenen
Roman Der stumme Prophet). In: »Die Neue Rundschau«.
Berlin 1929.
Briefe aus Deutschland. In: »Fazit. Ein Querschnitt durch die
deutsche Publizistik«. Hrsg. von Ernst Glaeser. Hamburg:
Gebrüder Enoch 1929.
Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Berlin: Gustav
Kiepenheuer 1930.
Panoptikum. Gestalten und Kulissen. München: Knorr &
Hirth 1930.
Radetzkymarsch. Berlin: Gustav Kiepenheuer 1932.
Stationschef Fallmerayer. In: »Novellen deutscher Dichter der
Gegenwart.« Hrsg. von Hermann Kesten. Amsterdam: Allen de
Lange 1933.
-500-
Tarabas, ein Gast auf dieser Erde. Roman. Amsterdam:
Querido 1934.
Le triomphe de la beauté. In: »Nouvelles Littéraires«. Paris
1934.
Le buste de l'empereur. In: »1934«. Paris 1934. Deutsche
Erstveröffentlichung Die Büste des Kaisers postum in: Joseph
Roth: Romane Erzählungen Aufsätze. Köln: Kiepenheuer &
Witsch 1964.
Der Antichrist. Amsterdam: Allen de Lange 1934.
Die Hundert Tage. Roman. Ebd. 1935.
Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht. (Roman) Ebd.
1936.
Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eichmeisters.
(Roman) Amsterdam: Querido 1937.
Die Kapuzinergruft. Roman. Bilthoven: De Gemeenschap
1938.
Die Geschichte von der 1002. Nacht. Ebd. 1939.
POSTUM ERSCHIENEN
Die Legende vom Heiligen Trinker. Amsterdam: Allen de
Lange 1939.
Der Leviathan. Amsterdam: Querido 1940.
Werke in drei Bänden. Hrsg. von Hermann Kesten. Köln -
Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1956.
Romane, Erzählungen, Aufsätze (Teilsammlung). Ebd. 1964.
Der stumme Prophet. Roman. Mit einem Nachwort von
Werner Lengning. Ebd. 1966.
Das Spinnennetz. Roman. Mit einem Nachwort von P. W.
Jansen. Ebd. 1967.
Der Neue Tag. Unbekannte politische Arbeiten 1919 bis 1927
Wien, Berlin, Moskau. Hrsg. und mit einem Vorwort von
Ingeborg Sültemeyer. Ebd. 1970.

-501-
Briefe 1911-1939. Herausgegeben und eingeleitet von
Hermann Kesten. Ebd. 1970.
Die Erzählungen. Mit einem Nachwort von Hermann Kesten.
Ebd. 1973. (Erstveröffentlichung von Der Vorzugsschüler und
Triumph der Schönheit in der Originalfassung.)
Perlefter. Fragmente und Feuilletons aus dem Berliner
Nachlaß. Herausgegeben vo n Friedemann Berger. Gustav
Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1978.
(Erstveröffentlichung u. a. von Wasserträger Mendel, Mein
Freund Tunda und Jugend.)
Berliner Saisonbericht. Unbekannte Reportagen und
journalistische Arbeiten 1920-39. Herausgegeben und mit einem
Vorwort von Klaus Westermann. Kiepenheuer & Witsch 1984.
Werke 1-6. Ebd. 1989-1991. Das journalistische Werk (Bd. 1-
3). Hrsg. von Klaus Westermann. (Fast alle bisher
unveröffentlichten journalistischen Arbeiten liegen in diesen
Bänden vor.) Romane und Erzählungen (Bd. 4-6). Hrsg. von
Fritz Hacken. (Erstveröffentlichung von Das Kartell in Bd. 4
und der ersten Druckfassung von Die Geschichte von der 1002.
Nacht.)

-502-
Namenregister

Adler, Alfred 127


Alazard, Germaine 300-302, 335.
336. 341. 353, 383, 385, 387
Alexander III., Zar 57
Altenberg, Peter 68, 102
Ameringen, Andries van 257-259
Asch, Schalom 243, 253
Asselsbergs, W. J. M. A. 354
Avni, Erna s. Reichler, Erna
Babel, Isaak 64
Bahr, Hermann 68
Bakels, A. C. 387
Balzac, Honoré de 49, 322
Baum, Vicky 252, 257
Becher, Johannes R. 170
Beer-Hofmann, Richard 68
Beierle, Alfred 359, 366
Ben-Chorin, Schalom 372
Benjamin, Walter 135
Bérence, Fred 377
Berg, Alban 67
Bernhard, Georg 248, 334
Bertaux, Félix 164, 182, 202, 214, 233, 364, 365, 372, 374
Bertaux, Pierre 129, 190, 202, 221, 271, 281, 283, 302, 350, 379, 387
Bielolawik 68
Bilz, Rudolf 387
Binding, Rudolf 135
Birmann, Caroline 304
Blansjaar, Antonius Marinus 258, 294, 387
Blau, Sigmund 129
Blei, Franz 200, 253, 326, 357, 382
Bleuler, Eugen 192
Bloch, Ernst 135
Börne, Ludwig 49, 150
Bornstein, Josef 334, 341
Bourbon, Louis de 387
Braak, Menno ter 245, 372
Braat, L. P. J. 387

-503-
Brandt, Leonore 397
Brandt-Re³man, Leonie 387
Brecht, Benoît 135, 161, 237, 253
Brecht, Walther 69, 70-71, 392
Breitbach, Joseph 204, 298, 367, 379, 387
Brenningmeyer, Adalbert 270, 342
Brentano, Bernard von 49,135,147-148,187, 202, 236-237, 253,350, 361,
363, 365, 387
Brentano, Margot von 387
Brisker, Leo 352, 380, 388
Broch, Annemarie 388
Broch, Hermann 126
Broczyner, Eduard 334, 335, 336, 337-338, 341, 351, 352, 353, 356, 376,
377, 380, 383, 384, 388
Brod, Max 247, 253, 388
Bronthaler, Ada 388
Bruckner, Ferdinand (Theodor Tagger) 102, 242, 253
Brudzinski, Ludwik 90, 91
Buber, Martin 216
Buer, Auguste 388
Bürckel, Josef 278
Burger, Eric 365, 388
Buytendijk. F. J. J. 388
Æapek, Josef 102 Æapek, Kare³ 102
Cassou, Jean 388
Castle, Eduard 69
Claudel, Paul 153
Clemenceau, Georges 59
Conrad, Joseph 77
Constantinowsky, Benjamin 360
Constantinowsky, Joseph 64, 302, 333, 349, 353, 360, 379, 380, 388
Czecher, Joseph 72
Csokor, Franz Theodor 89, 242, 246, 253, 256, 277, 281, 285, 373, 377, 388
Davis, Hedi geb. Reichler 111-112, 196, 282, 357, 358, 366, 377, 388
Degenfeld-Schonburg, Heinrich Graf von 341, 376, 388
Dekker, Maurits 388
Dietrich, Marlene 218, 369
Döblin, Alfred 192, 234, 237, 252
Doderer, Heimito von 97
Dohrn, Joachim 326
Dohrn, Klaus 248, 305, 306, 325, 350, 353, 355, 362, 373, 374, 375, 377,

-504-
379, 381, 388
Dollfuß, Engelbert 266, 267, 278
Donker, Cees H. 374, 388
Dostojewski, Feodor M. 314
Dubrovic, Milan 388
Duinkerken, Anton van (W. J. M. A. Asselbergs) 255, 259, 263-264, 373,
374, 375, 389
Ebert, Friedrich 147
Eggebrecht, Axel 397
Ehlers, Charlotte 389
Ehrenburg, Ilja 135
Ehrenstein, Albert 102, 373
Einstein, Alben 85
Engelman, Jan 389
Erzberger, Matthias 120 Eugen, Fred von 389
Faktor, Emil 117-118, 123
Fallmerayer, Jakob Phillip 239
Fein, Walter 389
Feuchtwanger, Lion 242, 247, 252
Fingal, Stefan 109, 111, 112, 113, 114, 121, 191,195, 196, 286, 287, 335,
337, 338-339, 34°, 341, 344, 353, 357, 358,
359,365,366,377,382,383,384,389
Fischer, Gottfried Bermann 389
Fischer, Samuel 182, 184
Fissinger, Noël 338
Flake, Otto 175
Flaubert, Gustave 49, 153-154, 314, 315
Flesch-Brunningen, Hans 369,389
Fontana, Oskar Maurus 102, 126, 138, 357, 359, 360, 375, 389
Forst de Battaglia, Otto 349, 356, 357, 359, 370, 389
Frank, Bruno 252
Frank, Leonhard 234, 252, 370
Franz Joseph I. 24,55-59, 66-67,84, 91,127, 219-220, 224-231, 240, 264, 284
Frei, Bruno 123, 129, 148, 162, 266,
341, 359, 361, 363, 375, 384, 389 Freud, Sigmund 67, 77,127, 253,355
Freundlich, Elisabeth 365, 389
Friedell, Egon 358
Friedenthal, Richard 204, 216, 367, 368, 389
Friedländer, Otto 82
Friedmann 343
Frisch, Efraim 166, 371

-505-
Frost, Oser 45
Fuchs, Martin 248, 290, 357, 375, 389
Fuks, Leo 389
Funk, Dr. 122
Gaze, Cornelius 374, 389
Geck, Rudolf 134
Gentz, Friedrich 247
Georg (George), Manfred 363, 365, 389
Gidon, Blanche 241, 271, 273, 277, 298,303,304,317,335,336,341,349, 350,
359,361, 366, 371, 375,376, 377, 379, 380, 381, 383, 384, 390
Gidon, Ferdinand 309, 336, 381
Glaeser, Ernst 135, 397
Goebbels, Joseph 236-237, 254
Goethe Johann Wolfgang 18,45,69
Gogol, Nikolai 314
Gold, Paul 380, 397
Gotfurt, Fritz 359,363,366-367,390
Gottfarstein, Joseph 304, 334, 340-341,343, 350, 353,355,376,379, 383, 384,
390
Gouygon, Raoul 390
Graaf, Christian de 374, 381
Graaf-Mengelberg, M. 390
Gräber, Moische Jossif 21
Granach, Alexander 22, 60
Greiner, Leo 118
Grillparzer, Franz 82, 318, 345
Grossmann, Kurt 390
Grübel, Fred (Fritz Grübel) 114, 253, 3°3, 349, 35°, 351, 352, 354, 357,
358,360,366,367,369,370,377,382, 390
Grübel, Heini 272
Grübel, Heinrich 27, 60, 87, 122
Grübel, Jechiel 21, 26, 31, 47
Grübel, Klara 350, 377, 390
Grübel, Maria s. Roth, Maria
Grübel, Miguel (Michael) 35, 60, 103,122, 277, 349, 350, 351,353, 354, 355,
357, 35«, 359, 3^5, 375, 377, 380,382, 390
Grübel, Norben 27
Grübel, Paula 35, 47, 52, 92-93, 95, 122,129,145, 151, 167, 272-273, 277,
323, 353, 356, 365
Grübel, Rebekka 27
Grübel, Resia 47,51,52,92,272,356

-506-
Grübel, Rosia 51
Grübel, Salomon 27-28
Grübel, Siegmund 27, 35-36, 61, 69, 103, 204, 272
Grübel, Willy 27, 52
Grynszpan, Herschel 292
Gryphius, Andreas 315
Gubler, Friedrich Traugott 213, 221-222, 244, 372, 390
Haas, Willy 52, 200, 366-367, 390
Habsburg, Otto von 248-249, 281-282, 342, 373, 375, 377, 384, 390
Hafkus, Willy 366, 390
Hannema, Frans 294-296,374,378,
Hasenclever, Marika 205
Hasenclever, Walter 26, 205, 242, 333
Hegner, Jakob 390
Heine, Heinrich 49-50, 149-150,
173, l83, 340, 352
Heller, Fred 100
Hergesell, Philipp 367, 390
Hermann, Georg 253
Herzberg-Fränkel, Leo 350
Herzl, Leopold 38
Herzl, Theodor 63
Herzmann, Henje 391
Heym, Georg 115, 184
Hildebrandt, Franz von 248, 334
Hilman, M. M. 391
Hindenburg, Paul von 130, 147
Hirsch, Rudolf 391
Hitler, Adolf 58, 130, 132, 234, 235, 237, 248, 256, 268, 275, 277, 280, 283,
290, 292, 304, 352
Hoffmann, Josef 67
Hofmannsthal, Hugo von 68, 77
Höllriegel, Arnold too, 117
Hoor, Ernst 290, 378, 391
Horovitz, Bela 371
Horthy, Niko laus von Nagybânya 107
Horvâth, Lajos von 391
Horvâth, Ödön von 253
Hugo, Victor 322
Hummerich, Helga 363, 380, 391
Hürlimann, Bettina 198, 366, 391

-507-
Ihering, Herbert 118, 358-359
Ihering, Walter 391
Innitzer, Theodor 277-278
Israel, Lotte 205
Janès, Jean 269, 270, 333-335, 337, 340,341,352, 353, 355, 370, 371, 373,
375, 379, 382, 383, 384, 391
Jaspers, Karl 288
Jedlicka, Gotthard 135, 239, 364, 372, 382, 384, 391
Jedlin, Ephraim 391
Jellinek, Max Hermann 69
Jesenskâ-Polak, Milena 126
Joachimson, Felix 118
Jokel, Richard 379, 391
Josef, Carl 109
Joseph II., Kaiser 31
Jouhandeau, Marcel 153
Kafka, Franz 26, 61, 184
Kaiser, Georg 198, 276
Kantorowicz, Alfred 247, 334, 397
Kapp, Wolfgang 116
Karl I., Kaiser v. Österreich 267
Karpeles, Benno 104, 109
Katz, Otto 264
Kaus, Gina 253
Kayser, Rudolf 175
Kerr, Alfred 118, 247, 342
Kesten, Hermann 93, 131, 181-182, 184, 187, 200, 215, 234, 242, 243,
246,253,260,266,271,303,323,333, 341,342,356,359,366,367,368,369, 370,
371,372,373,374,37^, 37», 379, 381, 383-384, 391
Keun, Irmgard 37, 263-266, 271, 272, 273-274, 277, 278-280, 285,
306,317,349,350,351,356,372,373, 376, 377, 379, 381, 391
Kiepenheuer, Gustav 123, 184, 198-199,220, 221, 349, 351, 355, 356,357,
358, 366, 369
Kiepenheuer, Noa 367, 373, 392
Kindermann, Heinz 70, 354-355, 392
Kisch, Egon Erwin 109, 199, 247, 253, 263, 264, 265,333,341,342,363
Kisch, Gisela 265, 341
Klimt, Gustav 67
Kloetzel, C. Z. 363
Koesder, Arthur 264, 267, 333, 375, 391
Kokoschka, Oskar 67

-508-
Kolb, Annette 242, 253, 392
Kool, Halbo 374, 392
Kortner, Fritz 199
Kracauer, Siegfried 135, 170, 237, 253, 360, 363, 364, 392
Kranz, Josef 94
Kraus, Carl von 70
Kraus, Karl 68, 72, 83, 85,109,199, 250
Krell, Max 147
Krenek, Ernst 269, 372, 374, 397
Kroeger, Nelly 242
Kroonenburg, Amonie Piêter Johannes 294, 374, 392
Kuh, Anton 102, 109, 126, 200
Kulka, Pauline 337, 340-341
Kun, Bela 106
Kunz, Ludwig 392
Küsel, Herbert 352, 392
Kuttner, Erich 362
Ladengast, Walter 367, 392
La Fontaine, Jean de 49
Landau, Dora 350, 392
Landau, Max 47-49, 50, 51
Landauer, Walter 184,200, 220-221, 252, 254
Landshoff, Fritz 252, 294, 304, 341, 365, 367, 369.-370, 392
Lange, Gerard de 296
Lania, Leo 118
La Rochefoucauld, François 103
Lefèvre, Frédéric 144, 351, 354, 356, 358, 366
Leibniz, Gottfried Wilhelm 321
Leonhard, Rudolf 138, 361
Lenin, Wladimir Iljitsch 162
Lernet-Holenia, Alexander 97, 220
Lessing, Gotthold Ephraim 49
Lessing, Theodor 82
Lester, Conrad (Kurt Lichtenstein) 291, 297, 379, 392
Lichtenstein, Erich 361
Lichtenstein Kurt s. Lester, Conrad
Liebknecht, Karl 116
Liepman, Heinz 135, 392
Liliencron, Detlev von 78
Linden Hermann 360,364,368,381, 392
Loebl 240

-509-
Loerke, Oskar 118
Lohenstein, Casper von 315
Loos, Adolf 67
Loos, Lina 372
Lorant, Felix 118
Lorant, Stefan 118
Löwenstein, Hubertus Prinz zu 297, 334, 378, 397
Ludendorff, Erich 130, 132
Ludwig, Emil 247, 252, 333
Lueger, Karl 56
Luther, Martin 256 L
Luxemburg, Rosa 116
Mahler, Gustav 67
Manga Bell, Andrea 19, 25, 65, 205-209, 213, 220, 234, 256, 260-263,
271,284,303,306,341,349,350,351,353,356,367, 369,371,372,374,375, 376,
377, 379, 393
Manga Bell, Andrea Tüke (Andrea Rebuffé) 25, 208, 242, 260, 261-263,
306,350,351, 358,371,374,379,394
Manga Bell, José Manuel 208-209, 261
Manga Bell, Prince de Douala et Bonanyo 206-208
Mann, Erika 270, 376, 393
Mann, Golo 371, 373
Mann, Heinrich 18, 242, 252
Mann, Klaus 237, 247, 252, 296,373
Mann, Thomas 247, 393
Marcel, Gabriel 303, 393
Marcu, Valeriu 200, 242, 252-253, 333
Marcus, Paul 358, 393
Marcuse, Ludwig 49, 142, 171, 172, 176,186,187,190,216,234,245,247, 249,
252, 256, 260, 300, 305, 333, 350,352,363,364,365,366,367,370,
372, 373, 374, 379, 383, 393
Marek 89-90
Margulies, Hanns 119, 122
Maurois, André 247
Mayen, Józef 366, 397
Mehring, Walter 237, 247, 326, 333, 380, 393
Meier-Graefe, Julius 135, 296
Mendelssohn Peter de 393
Mok, Maurits 374, 380, 382, 393
Morgenstern, Soma 75-76, 86, 187, 270, 271, 302, 303, 333, 335, 336-337,
340,341, 353, 354, 359, 372, 373, 377, 383,384, 393

-510-
Mörike, Eduard 77
Morstin, Andrea 239
Morstin, Hieronymus 239
Morstin, Ludwig Hieronymus 240
Moser, Koloman 67
Münzenberg, Willi 264
Musil, Robert 102, 166, 220, 291
Mussolini, Benito 156, 174-175
Napoleon I. 316
Natonek, Hans 135, 219, 270, 287, 288,300,334,335,337,341,360, 361, 369,
375, 379, 382, 383, 384, 393 Neumann, Alfred 253 Neumann, Robert 367,
393
Noske, Gustav 130
Noth, Ernst Erich 310,334,380,381,393
Oesterreicher, Johannes (John) 338, 342, 384, 397
Olbrich, Josef 67
Olden, Rudolf 102, 109, 334
Opitz, Martin 69
Orabuena, José 393
Osborn, Frank 343
Ossietzky, Carl von 390
Otte, Paul 358, 393
Orten, Karl 102, 109
Paquet, Alfons 135
Parnes, Abraham 351, 393
Pascal, Blaise 313
Pauli, Hertha 333, 393
Petrarca, Francesco 49
Pflaum 209
Picard, Frédéric 394
Picard, Max 135, 244, 394
Pierrebourg, Olivier de 291
Pirandello, Luigi 191
Plivier, Theodor 253
Polgar, Alfred 101, 102-103, 109, 110,113, 200, 253, 287, 334, 341, 358
Polgar, Liesl 394
Pompan, Alexander 360, 364, 365, 366, 369, 394
Praag, Hilda von 394
Praag, Siegfried von 376, 394
Proust, Marcel 158
Querido, Emanuel 252, 254, 296

-511-
Rabelais, François 49
Rares-Schuster, Sybil 333, 341, 394
Rath, Ernst vom 292
Rathenau, Walther 116,120,132,351
Rauschning, Hermann 334
Rebuffe, Andrea s. Manga
Bell, Andrea Tüke
Regler, Gustav 267, 334, 375, 394
Reichler, Friedl s. Roth, Friedl
Reichler, Erna (Erna Avni) III, 387
Reichler, Hedi s. Davis, Hedi
Reichler, Jenny III, 215, 366, 368-369, 371, 374
Reichler, Selig (Siegmund) III, 122, 192, 215, 366, 374
Reifenberg, Benno 31, 61, 135, 148, 151, 153, 156, 174, 175, 177, 178, 187,
189, 202, 209-212, 213, 351,353, 360, 361,362,363,364,365,366,367,368,
371, 380, 394
Reifenberg, Maryla 186, 189, 361,363, 365-366, 380
Reinhardt, E. A. 291
Reinhardt, Max 68
Remarque, Erich Maria 252
etzlaw, Karl 334,337,352,373,377, 383, 394
Reynders, M. C. 394
Rheinhardt, E. A. 291
Riccabona, Max von 270, 367, 375, 397
Rilke, Rainer Maria 97, 146
Riwkin, Joseph 353, 379, 394
Roda Roda 200, 247
Roosevelt, Eleanor 333
Roosevelt, Franklin Delano 337
Rosenblum, Sonja 341
Rosenfeld, Alexander 394
Rost, Edith 394
Rost, Nico 350, 356, 364, 394
Roth, Friedl (Friederike), geb. Reichler 32, 42, 47, 110-112, 113, 120-
122,123, 124, 125, 126, 127,128, 129,138, 143, 148, 151,152, 159, 168, 185-
197, 198, 201, 207, 215, 217, 241
Roth, Maria, geb. Grübel 23-29, 31, 35,39-40, 41,42, 45, 47, 70, 73,103, 120-
121, 263, 340
Roth, Nachum 23-29, 32, 40-41, 192, 340
Rousseau, Jean Jacques 256
Saar, Ferdinand von 97

-512-
Sacher-Masoch, Alexander 395
Sadan, Dov 351, 355, 395
Saiten, Felix 68
Salter 139
Sanat 51
Schapiro, David 54
Schenk, Josef Freiherr von 61
Scheyer, Moritz 113, 358
Schickele, Anna 243, 372, 395
Schikele, René 135, 180, 192, 194, 237, 242-243, 253, 271, 296,371-372,
375, 378, 381
Schiele, Egon 67
Schiller, Friedrich 45, 49, 69
Schirmer, Eduard 54
Schnitzler, Arthur 63,68,77,82,325
Schnitzler, Olga 353
Schönberg, Arnold 67
Schönerer, Georg Ritter von 81
Schulz, Bruno 58
Schuschnigg, Kurt Edler von 266, 269,277,278,280,281,282,377,395
Schwarz, Baldouin 395
Schwarzschild, Leopold 247, 334,379
Schwarzschild, Valerie 306,355,395
Seelig, Carl 372, 373, 380, 381, 395
Seghers, Anna 135, 252
Seyß-Inquart, Arthur 95, 280, 282-283
Sieburg, Friedrich 135, 156
Siemsen, Hans 334-335
Simon, He inrich 49, 172, 173
Singer, Mendel 351, 395
Singer, Miriam 395
Skubl 282
Sonnemann, Leopold 172
Spira, Bil (Willy Freier) 373, 397
Stalin, Josif 181
Stefan, Paul 343
Steijn, Hermanus C. 395
Stendhal 77, 154-155
Sternheim, Carl 184, 387
Sternheim, Thea 361, 387
Stifter, Adalbert 230

-513-
Stinnes, Hugo 130
Stoerk, Herbert 334, 337, 384, 395
Stresemann, Gustav 147
Strzetelski, Stanislaw 64, 352-353, 395
Sussmann, Heinrich 384, 395
Szafran, Jan 395
Szajnocha-Schenk, Helenê von 61, 92, 122, 143, 272
Szatmari, Eugen 118
Tagger, Theodor s. Bruckner, Ferdinand
Tal, Ernst Peter 138
Tau, Max 367, 397
Tischler, Viktor 343
Toller, Ernst 200, 205, 252, 342, 383
Torberg, Friedrich 135, 271,330,333, 335, 356, 376, 395
Traki, Georg 26, 67
Trautmannsdorff, Franz Graf 341
Trautmannsdorff, Gräfin 79
Trebitsch, Siegfried 130
Trotzki, Leo 181
Tschuppik, Karl 102, 109-110, 126, 127, 200, 247, 253, 356, 376
Tschuppik, Tanja 127, 357, 359, 395
Tschuppik, Walter 127
Tucholsky, Kurt 286
Türling 90
Urzidil, Johannes 56, 128, 352, 359, 396
Vogeler, Erich 117
Wagner, Otto 67
Waldmann, Moses 235
Walter, Friedrich 118, 396
Warendorf, J. C. S. 373, 396
Wasser, Moses 53, 351-352, 396
Wassermann, Jakob 200, 234, 252
Webern, Anton 67
Weiskopf, F. C. 209, 377, 383
Weiß, Ernst 102, 247
Weizmann, Chaim 62
Weltmann, Fritz 358, 368, 396
Weltsch, Felix 102
Werfel, Franz 26,102,126,184, 203, 242, 291, 333
Wickenburg, Erik Graf 135, 396
Wielek, Heinz 396

-514-
Wildholz, Joseph 38
Wildt, Jean 396
Wilhelm II., Dt. Kaiser 256
Winkler, Johan 257, 354, 374, 378, 381, 396
Wirth, Joseph 120
Wittlin, Josef 61, 75, 76, 77, 85, 87-89, 90, 91, 93, 121, 139,161,240,253,
351, 353, 354, 355, 356, 357, 361, 363,
371, 396
Wolf, Friedrich 242
Wolff, Kurt 172, 184
Wolff, Theodor 177
Wollheim, Ernst 190, 355, 369-370, 377, 380, 396
Zeppelin, Ferdinand Graf von 130
Zimmermann, Karl 364, 396
Zita, (Frau Kaiser Karls von Österr.) 268
Zivier, Georg 200, 367, 396
Zsolnay, Paul 184
Zwart-Spanjer, Elisabeth 396
Zweig, Arnold 237, 242, 247, 252, 297, 396
Zweig, Friderike 35, 88, 270,279,291, 296, 299, 303-304, 326, 333, 335,336,
337, 338, 340, 341, 342, 355, 366, 367, 373, 375, 377, 379, 383, 384, 397
Zweig, Stefan 35, 36, 57, 58, 88,194, 203-205, 209, 217, 2l8, 219, 220, 221,
222, 234, 236, 238, 247, 250, 253, 200, 262,265,267,275,279,289,292,296,
298, 299, 306, 316, 319, 323, 333, 343, 350, 364, 367-368, 371, 372, 373,
374, 375, 376, 377, 378› 379, 380
Der Antichrist 243-246, 251, 254-255, 315, 354, 372
April. Die Geschichte einer Liebe 144-146, 239
Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht 254, 295, 311-312, 315, 317-
318, 319, 381
Die Büste des Kaisers 20, 30, 239-240, 253, 311, 371
Die Flucht ohne Ende 13, 94, 96, 104,130,149, 162,164-165,166,174,
176,179,181,182-183, 184, 308› 310, 325, 329, 363, 364
Die Geschichte von der 1002. Nacht 96, 254, 311, 312, 313, 323-325
Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eichmeisters 13, 20, 30, 33, 97,
254, 311-312, 318-322, 325
Hiob. Roman eines einfachen Mannes 13, 20,30,33,39,150,155,184, 213,
214-219, 251, 310, 311, 321, 322, 324, 328, 360, 368, 369
Hotel Savoy 13, 20, 30, 61, 130, 132, 138, 139-140, 142, 144-145, 150, 159,
170, 310, 321, 328-329, 353, 360
Die Hundert Tage 131,154, 205, 254, 310-311, 315, 317-318
Juden auf Wanderschaft 30, 33-34, 39, 62-63, 81, 143, 149, 157, 158-159,

-515-
161, 163-164, 351, 355, 358, 375-376
Die Kapuzinergruft 91, 130, 167, 254, 283-284, 287, 311, 323, 353-354, 356,
377
Die Legende vom Heiligen Trinker 13, 251, 254, 295, 311-312, 321, 326-
330, 332, 339, 361, 382,
Der Leviathan 20, 30, 239, 254, 311, 313, 321-322, 371, 381
Der stumme Prophet 57, 169, 176-177, 180-182, 185, 310, 364
Radetzkymarsch 46,56, 59, 64, 90-91, 96, 129, 130, 131, 137, 178, 184,
195,209,219-233,240,248, 251,253, 283-285, 303, 310, 311, 323, 324, 330,
344, 352, 353
Die Rebellion 130,139,140-143,144, 147, 310, 321, 328-329
Rechts und Links 46, 130-131, 154, 164,176-177,178,179,180,183, 310, 317,
329, 364
Der blinde Spiegel 146-147
Das Spinnennetz 46, 61, 129, 130-132, 140, 154, 180, 310, 359-360
Stationschef Fallmerayer 239, 254, 311
Tarabas, ein Gast auf dieser Erde 20, 30, 167, 251, 254, 311, 312, 313-315,
318, 321-322, 380
Triumph der Schönheit 239, 240-241, 253, 371
Zipper und sein Vater 23, 98, no, 130, 164, 166-167, 176-177, 178-179, 181,
183,184, 310, 325, 329, 364

-516-

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