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Sven Ellmers

Die formanalytische Klassentheorie von Karl Marx

Inhaltsverzeichnis

Einleitung .............................................................................................................. S. 1

I. Grundzüge und Leistungen des formanalytischen Theorietypus ............................ S. 3

II. Formanalytische Klassentheorie und empirische Sozialstrukturanalyse:


Gemeinsamkeiten und Unterschiede ..................................................................... S. 18

III. Die Semantik der Klassengesellschaft: Grundlage oder Kritik einer positiven
Revolutionstheorie? ................................................................................................ S. 30

IV. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation:


Arbeitslosigkeit und Pauperisierung im Kapital ...................................................... S. 36
.1 Zur Existenz und Entwicklung von Arbeitslosigkeit ......................................................... S. 36
.2 Arbeitslosigkeit und Pauperisierung ............................................................................. S. 38
.3 Formanalyse zwischen materialistischer Geschichtstheorie
und spekulativem Geschichtsdenken ........................................................................... S. 41

V. Zur Historizität des Klassenbegriffs ....................................................................... S. 46

VI. Sozialformationsanalyse und Totalität:


Zum Klassencharakter von Rechtssystem und Staat .............................................. S. 50

Siglen-/ Literaturverzeichnis .................................................................................. S. 57


EINLEITUNG -1-

0. Einleitung

„Die Welt funktioniert nur durch ein Missverständnis. Das universelle


Missverständnis erlaubt es erst der Welt, sich zu einigen. Denn wenn man
sich durch einen unglücklichen Zufall einmal verstünde, käme man nie zu
einer Meinung.“
CHARLES BAUDELAIRE

Die sozialstrukturanalytische Literatur zur Klassentheorie von KARL MARX hat mittlerweile ein un-
überschaubares Ausmaß angenommen – so unüberschaubar, dass diese Aussage selbst zum festen To-
pos wurde. Vor dem Hintergrund des fachspezifischen Erkenntnisinteresses und der primär empiri-
schen Ausrichtung der Sozialstrukturanalyse verlief die Rezeptionsgeschichte trotz ihres Umfangs bis-
her äußert selektiv. Nur selten wurde überhaupt zur Kenntnis genommen, dass MARX das Wort ‚Klas-
se’ im Rahmen von zwei verschiedenen Forschungsprogrammen verwendet: Einmal zur Beschreibung
und Erklärung raum-zeitlich eingrenzbarer Sozialmilieus wie in Die Klassenkämpfe in Frankreich
1848-1850 oder Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Im Rahmen dieser empirisch-
soziologischen oder historischen Untersuchungen verwendet MARX auch die sinnverwandten Wörter
Stand, Schicht oder Fraktion. Zum anderen nimmt der Klassenbegriff eine prominente Stelle in
MARX’ Programm einer reflexiven Konstitutionsanalyse sozialformationsspezifischer Reichtumsfor-
men ein. Da das Erkenntnisinteresse hier nicht einer bestimmten Entwicklungsphase der kapitalisti-
schen Entwicklung, sondern den grundlegenden Synthesisformen der bürgerlichen Gesellschaft gilt,
verbleibt der Klassenbegriff der Kritik der politischen Ökonomie zwangsläufig auf einer sehr hohen Abs-
traktionsstufe. 1
Betrachtet man die einzelnen Begründungen für den vielfach proklamierten Abschied von der
MARXschen Klassentheorie, 2 zeigt sich, dass er überwiegend auf einer Einebnung der programmati-
schen Unterschiede von Form- und Sozialstrukturanalyse basiert: So hinterfragt ULRICH BECK in sei-
nem Buch Risikogesellschaft den Wirklichkeitsgehalt der MARXschen Klassentheorie (Singular!), die
angeblich eine „kontinuierliche Verschlechterung der Lebenslage“ (1986, S. 132), eine „Kollektiver-
fahrung der Verelendung und die dadurch ausgelöste Klassenkampfdynamik“ (ebd.) beschreibe, mit dem
zeitdiagnostischen Argument, dass in westlichen Industriegesellschaften der zunehmende Individuali-
sierungsprozess die Lebenslagen und Lebensstile der Menschen derart modifiziert habe, dass ein di-
chotomes Primärordnungsschema versage. 3 Eine solche an der phänomenologischen Beschreibung
sozialstruktureller Diversifikationsprozesse ausgerichtete Kritik bezieht ihre vordergründige Plausibili-
tät aus einer defizitären Marx-Rezeption, welche die unterschiedlichen theoretischen Kontexte aus-
blendet, in denen das Wort ‚Klasse’ bei MARX Verwendung findet.
Ziel dieser Arbeit ist es, in sechs Schritten den bisher vernachlässigten formanalytischen Gehalt des
Klassenbegriffs zu rekonstruieren. Im ersten Schritt soll ein Überblick über die ersten beiden Kapitel
des Kapital die begrifflichen Grundlagen sowie die Grundzüge und Leistungen eines formanalytischen
Theorietypus deutlich machen. Im zweiten Teil werden die Klassenbegriffe der Form- und empiri-
schen Sozialstrukturanalyse anhand des zugrundeliegenden Forschungsprogramms, der Abstraktionshöhe
und des Abstraktionsstatus miteinander verglichen, nachdem kurz der kategoriale Übergang vom Geld

1
Vgl. GIDDENS (1979, S. 28ff), KOCH (1994, S. 12f), KÖßLER/WIENOLD (2001, S. 199-202) und RITSERT (1987).
2
Vgl. RITSERT (1998, S. 88-118).
3
Vgl. BECK (1986, S. 122).
EINLEITUNG -2-

zum Kapital skizziert wurde. Im dritten Kapitel wird die Frage diskutiert, ob die strukturelle Kapital-/
Klassentheorie tatsächlich als Teil eines positiven Revolutionskonzepts – wie u.a. von ULRICH BECK
unterstellt – oder als dessen Kritik konzipiert ist. Das vierte Kapitel geht einer möglichen Verbindung
von Form- und Sozialstrukturanalyse anhand des Allgemeinen Gesetz[es] der kapitalistischen Akkumula-
tion nach. Im fünften Teil wird die Frage aufgeworfen, ob der Klassenbegriff ein für die kapitalistische
Produktionsweise spezifisches Phänomen bezeichnet oder auch auf vorbürgerliche Sozialsysteme an-
gewendet werden kann. Abschließend soll der Relevanz der Kapital-/ Klassentheorie für eine materia-
listische Staatsanalyse nachgegangen werden.
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -3-

I. Grundzüge und Leistungen des formanalytischen Theorietypus

„Während unverändert das Ganze und Eine nur vermöge der von ihm un-
ter sich befaßten Partikularitäten sich formiert, formiert es rücksichtslos
sich über sie hinweg. Das durchs Einzelne und Viele sich Verwirklichende
ist die eigene Sache der Vielen und ist es auch nicht: sie vermögen weniger
stets darüber. Ihr Inbegriff ist zugleich ihr anderes [...]. Soweit die Einzel-
nen des Vorrangs der Einheit über sie irgend gewahr werden, spiegelt er ih-
nen sich als das Ansichsein des Allgemeinen zurück [...].“
THEODOR W. ADORNO

Der Einleitungssatz des Kapital erklärt die kapitalistische Ware als den ersten Gegenstand der Unter-
suchung. 1 Auf den ersten Blick zeichnet sie sich durch zwei Eigenschaften aus:
(1) Sie befriedigt Bedürfnisse. Diese nützliche Seite wird als Gebrauchswert bezeichnet. 2
(2) Der Gebrauchswert wurde nicht für den Eigenbedarf, sondern für den Tausch produziert. Die
quantitative Austauschrelation einer Ware mit einer anderen ist ihr Tauschwert. 3

[Exkurs zur Darstellungsmethode im Kapital]


Diese anfänglichen Bestimmungen riefen in der Rezeptionsgeschichte die Frage auf, wie der Gang der
Darstellung im Kapital zu interpretieren ist. Die von FRIEDRICH ENGELS begründete ‚logisch-
historische’ Deutung sieht in der begrifflichen Entwicklung eine komplexitätsreduziernde Widerspie-
gelung der empirischen Geschichte. In seiner Rezension von MARX’ Zur Kritik der politischen Ökono-
mie schreibt ENGELS: „die logische Behandlungsweise [...] ist in der Tat nichts andres als die histori-
sche, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten“ (13/475). Damit wen-
det er HEGELs Logifizierung der empirischen Geschichte ins entgegengesetzte Extrem. Begriff HEGEL
im Horizont seiner Neufassung des Vernunftprinzips – ‚Identität der Identität und der Nichtidenti-
tät’ im Unterschied zur unmittelbaren Identität – empirische Geschichte als im zeitlichen Verlauf sich
vollziehende Selbstvermittlung des Geistes über das Andere seiner selbst, so dass „die Aufeinanderfol-
ge der Systeme der Philosophie [die HEGEL als Modellfall für die übrigen Partialgeschichten gilt, S.E.]
in der Geschichte dieselbe ist als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestim-
mungen der Idee“ (HEGEL, 1993, S. 27), ebnet ENGELS umgekehrt eine eigenständige Begründungs-
funktion begrifflicher Systematik zugunsten der historischen Entwicklung ein, wenn er den logischen
Aufbau des Kapital analog einer bereinigten Zeitachse liest, die eine Spanne von mehreren tausend
Jahren umfassen soll. Mit dem Warentausch in Kapitel 1.1 identifiziert er dementsprechend den prä-
monetären Austausch einer vorkapitalistischen Gesellschaft. 4

1
Die Frage, warum MARX als Einstieg die Warenanalyse wählt, diskutiert RITSERT (1973, S. 9-25).
2
Zum Stellenwert des Gebrauchswerts in der Kritik der politischen Ökonomie siehe ROSDOLSKY (1968, S. 98-124)
und FRIGGA HAUG (1999). Zur Kritik an Theorien, die dem Gebrauchswert ein systemtranszendierendes Potential
beimessen, siehe HAFNER (1993).
3
Dies darf nicht als abschließende Definition missverstanden werden. Dass es mit Tauschwert wesentlich mehr auf
sich hat, deutet nicht nur die von MARX gewählte Formulierung („Der Tauschwert erscheint zunächst“, 23/50), son-
dern auch der Titel von Kapitel 1.3 („Der Tauschwert oder die Wertform“) an.
4
Die Rückbindung des Ausgangspunktes des Kapital an ein vermeintlich historisches Korrelat, die „einfache Waren-
produktion“, hat wert- und sozialismustheoretische Implikationen, die in ihrer Tragweite nicht unterschätzt werden
dürfen. Herausgearbeitet werden diese von HECKER (2002), BRENTEL (1989, S. 138-153), HEINRICH (1999, S.
385-392), KITTSTEINER (1977, S. 40-46), RAKOWITZ (2000), ELBE (2003a) und REITTER (2003).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -4-

Die ‚neue Marx-Lektüre’ 5 betont gegenüber diesem später im Marxismus-Leninismus 6 festgeschrie-


benen Deutungsmuster zu Recht, dass die Tauschmodelle im ersten Kapitel keineswegs auf unterge-
gangene Epochen verweisen, sondern als abstrakte Darstellungen der einfachen Zirkulation – die erste
Totalität des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozesses – gelesen werden müssen. Der unmittel-
bare Austausch von Ware gegen Ware wird nicht realhistorisch missverstanden, sondern als eine ge-
dankliche Konstruktion aufgefasst, die einerseits den kapitalistischen Marktprozess beschreibt, gleich-
zeitig aber von einem elementaren Bestandteil desselben – der Vermittlung des Warentausches durch
Geld – absieht. 7 Die wichtige Frage, weshalb die faktisch vorliegende Trennung des gesellschaftlichen
Stoffwechsels in Verkauf (W-G) und Kauf (G-W) durch die Betrachtung des Resultats beider Prozes-
se (W-W) von MARX zu diesem Zeitpunkt theoretisch ausgeblendet wird, kann erst vor dem Hinter-
grund der an dieser Stelle nur anzudeutenden geldtheoretischen Ergebnisse der Wertformanalyse be-
antwortet werden: Geld wird hier im Gegensatz zur Klassik und Neoklassik nicht nur als ein den Aus-
tausch erleichterndes Medium verstanden, sondern als die selbstständige Gestalt oder Form des Wer-
tes dechiffriert. 8 Würde MARX zu Beginn nicht Ware gegen Ware, sondern Ware gegen Geld gegen
Ware (W-G-W) tauschen lassen, hätte er eine Form eingeführt, deren Inhalt – der Wert als Ausdruck
eines spezifischen sozialen Verhältnisses – noch gar nicht als zu erklärender Gegenstand gewonnen
wurde. Die Entwicklung von der anfänglichen Relation Ware gegen Ware bis hin zur voll entfalteten
einfachen Zirkulation stellt demnach keine zeitliche, sondern eine argumentationslogische Verknüp-
fung ökonomisch-sozialer Objekte des Kapitalismus dar.
[Ende des Exkurses]

Nachdem MARX den Tauschwert einer Ware als die Summe der Gebrauchswerte bestimmt hat, die
das Hergeben der Ware einbringt, fragt er, ob und wie die eingeführten Austauschrelationen begrün-
det werden können. Da sie „beständig mit Zeit und Ort wechseln“, liegt der Schluss nahe, dass der
Tauschwert „etwas Zufälliges und rein Relatives“ (23/50f) ist. Diese Annahme mag zwar für Sozialge-
bilde zutreffen, in denen der Warentausch nur eine untergeordnete Rolle spielt; bezogen auf die bür-
gerlich-kapitalistische Warentauschgesellschaft erweist sie sich indes als falsch. MARX versucht dies zu
belegen, indem er mehrere Tauschwerte ein und derselben Ware betrachtet. Dabei stellt er fest, dass
jedem dieser Warenverhältnisse eine Äquivalenzrelation zugrunde liegen muss, da die verschiedenen
Gebrauchswerte, die gegen die in relativer Wertform befindliche Ware getauscht werden, auch fürein-
ander Äquivalente sind. Tauschen sich drei Brote gegen ein Video, das Video gegen eine Leselampe
und diese Leselampe wieder gegen genau drei Brote, so ist bewiesen, dass alle Waren quantitativ Glei-
ches vorstellen. Die Feststellung einer quantitativen Gleichheit wirft aber sofort die Frage nach der

5
Sie wurde Anfang der siebziger Jahre durch die Arbeiten von ALFRED SCHMIDT, HANS-GEORG BACKHAUS,
HELMUT REICHELT u.a. begründet. Dabei wurden Motive unterschiedlicher Theorietraditionen aufgenommen: Zu
den Quellen der neuen Marx-Lektüre gehörte neben der Kritischen Theorie die (post)strukturalistische ‚Althusser-
Schule’ und die in den 1920-er Jahren von RUBIN und PASCHUKANIS in der jungen Sowjetunion angestoßene Dis-
kussion über zentrale wert- und staatstheoretische Probleme. Vgl. ELBE (2006).
6
Stellvertretend für den ‚ML’ siehe HOLZKAMP (1974) und ROSENTAL (1973, S. 459-485). In den ‚realsozialisti-
schen’ Staaten erschienen zwar auch differenziertere Auseinandersetzungen mit dem MARXschen Werk, v.a. in der
kurzen Phase der Entstalinisierung (Ende der 1950-er bis Anfang der 1960-er Jahre), aber selbst diese jenseits der
‚ML’-Doktrin anzusiedelnden Rekonstruktionsversuche verblieben meist innerhalb des logisch-historischen Paradig-
mas (dies gilt auch für die einflussreiche Untersuchung von JINDRICH ZELENÝ, 1970). Zu den marginalen Ausnah-
men, die diese Regel bestätigen, gehören die Publikationen von ŠKREDOV (1997) und WASJULIN (1987). Zur Gene-
sis und Funktion des ‚ML’ in der Sowjetunion siehe die instruktive Studie von LABICA (1986).
7
Vgl. hierzu HEINRICH (1999, S. 200).
8
Vgl. hierzu HEINRICH (2001a, S. 156ff).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -5-

qualitativen Einheit der Waren auf, da gleich große Proportionen immer einen gemeinsamen Maß-
stab voraussetzen. Gesucht werden muss daher nach einer den Tauschwerten zugrunde liegenden quantifi-
zierbaren Qualität. Der Tauschwert erscheint somit nicht mehr als „etwas Zufälliges und rein Relati-
ves“, sondern als selbst noch zu Begründendes, als „’Erscheinungsform’ eines von ihm unterscheidba-
ren Gehalts“ (23/51).
Im Folgenden führt MARX ein Ausschlussverfahren zur Bestimmung des „gemeinsamen Dritten“
durch. Zuerst schließt er die Möglichkeit aus, dass die Gleichsetzung der Waren auf ihren natürlichen
Eigenschaften beruht: „Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische oder sonstige
Eigenschaft der Waren sein. Ihre körperlichen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht,
soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten“ (23/51). Folglich kann das Einheitsstif-
tende nur ausgemacht werden, wenn von den Gebrauchswerteigenschaften abstrahiert wird: „Sieht
man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die
von Arbeitsprodukten“ (23/52). Bedeutet Gleichsetzung dann Gleichsetzung von konkreten Arbeiten?
Wird also Schusterarbeit gegen Bergbauarbeit getauscht? Nein. Die Arbeitsformen sind ebenso wie
die Arbeitsprodukte qualitativ verschieden und daher ebenfalls nicht vergleichbar. Die Abstraktion
von der Gebrauchswerteigenschaft muss daher auch die spezifische Form der Arbeitsverausgabung
umfassen:

„Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen darge-
stellten Arbeiten, es verschwinden also die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden
sich nicht länger, sondern sind allzusamt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit.
Betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte. Es ist nichts von ihnen übrig geblieben, als dieselbe ge-
spenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d.h. der Verausgabung
menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung. Diese Dinge stellen nur noch dar,
daß in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als Kristalle die-
ser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte“ (23/52).

Das hier angewandte Ausschlussverfahren wurde sowohl von bürgerlicher als auch von marxistischer
Seite vielfach kritisiert. Im Zentrum steht der Vorwurf, die Beweisführung sei unsauber durchgeführt
worden, da neben den Schlussfolgerungen, die von MARX gezogen wurden, durchaus auch andere
möglich seien. Dies ist zwar grundsätzlich richtig, verkennt aber das Ziel des Verfahrens. HEINRICH
(2004a, S. 42-45) legt überzeugend dar, dass MARX nicht den Beweis antreten möchte, dass allein
(abstrakt menschliche) Arbeit wertbildend sei – dieser Beweis kann erst später, durch die auf arbeits-
werttheoretischer Grundlage vollzogene Rekonstruktion der Revenuen (Unternehmensgewinn, Zins,
Grundrente) geführt werden –, sondern dass mit dem Ausschlussverfahren eine Hinführung zum spe-
zifischen Charakter der Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften intendiert ist.
Worin besteht nun das Novum, wenn der Wert nicht auf Arbeit, sondern auf abstrakte Arbeit zu-
rückgeführt wird? MARX spricht von Arbeit als abstrakter, um ihren spezifisch gesellschaftlichen und
damit historischen Charakter hervorzuheben. Dabei bezieht sich das Adjektiv ‚abstrakt’ aber nicht,
wie häufig unterstellt, auf eine Entsubjektivierung/Taylorisierung des Arbeitsprozesses 9 oder – wie bei
JÜRGEN HABERMAS – auf die mit der Entkoppelung von Arbeitswelt und Lebenswelt gesetzte

9
Unter dem Einfluss von MAX WEBERs Rationalisierungsthese vertritt diese Interpretation u.a. GEORG LUKÁCS
(1968, S.176ff). Es soll allerdings nicht unterschlagen werden, dass MARX nicht nur in den Grundrissen, sondern
auch noch in Zur Kritik und in der Erstauflage des Kapital den Terminus ‚abstrakte Arbeit’ auch zur Beschreibung
einer Entsinnlichung und Dequalifizierung der Arbeitsvorgänge benutzt. Spätestens ab der Zweitauflage ist diese
Identifizierung von einfacher und abstrakter Arbeit, die sich bereits in HEGELs Philosophie des Geistes (1976, S. 224f)
und in HEGELs Grundlinien der Philosophie des Rechts (1999a, S. 173f, §198) findet, im Kapital aber überwunden.
Vgl. HEINRICH (1993).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -6-

Gleichgültigkeit der Arbeit gegenüber den Bedürfnissen der Produzenten sowie auf das dazu kom-
plementäre Gleichgültigkeitsempfinden der Produzenten gegenüber ihrer Arbeit 10 , sondern auf eine
im Austausch real sich vollziehende Abstraktion von der Verschiedenheit der Arbeitsprodukte und
den konkreten Formen ihrer Herstellung. Der von ALFRED SOHN-RETHEL geprägte Begriff der Re-
alabstraktion macht dabei deutlich, dass sie im Gegensatz zur Nominalabstraktion nicht durch eine
kognitive Operation des wissenschaftlichen Betrachters oder der Wirtschaftssubjekte vorgenommen,
sondern durch bewusst-intentionale Handlungen der Marktteilnehmer unbewusst praktiziert wird. 11
Die Marktakteure mögen vor der Durchführung des Austausches zahlreiche mentale Leistungen
erbringen (z.B. überlegen sie, ob sie den Gegenstand tatsächlich benötigen, ob sie ihn sich leisten
können etc.) und den Tausch qua Willensentscheidung vollziehen, die Reduktion der verschiedenen
konkreten Arbeiten auf gleiche menschliche Arbeit ist aber nicht Teil dieser kognitiven Prozesse. 12
Die Realabstraktion wird von den Wirtschaftssubjekten weder bewusst herbeigeführt, noch legen sie
sich im Nachhinein Rechenschaft über sie ab. Sie vollzieht sich vielmehr „hinter dem Rücken der
Produzenten“ (23/59):

„Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß
sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte
einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschieden Arbeiten einander als menschliche Ar-
beit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es“ (23/88).

Aber warum bedarf die Realabstraktion keiner Bevölkerung, die ihre Bedeutung versteht und daher
bewusst anwendet? Eine privatarbeitsteilig verfahrende Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die
Herstellung der Gebrauchswerte keiner Planung unterliegt, sondern durch voneinander unabhängige
Privatproduzenten organisiert ist. Da ein den einzelnen Produktionsprozessen vorausliegendes Koor-
dinationsverfahren nicht existiert, die für die Ausrichtung der Produktion entscheidenden Faktoren –
Bedürfnis-/Präferenzstruktur der Konsumenten, Zahlungsfähigkeit der Nachfrage, Angebot der Kon-
kurrenten – von den untereinander isolierten Herstellern damit lediglich antizipiert, nicht aber sicher
vorhergesagt werden können, müssen die Produkte der individuellen Arbeit auf den Markt getragen
werden, um dort ihren Nutzen für die Gesellschaft nachträglich erst unter Beweis zu stellen. Mit an-
deren Worten: Die Realabstraktion als Prozess kapitalistischer Vergesellschaftung verweist auf eine ihr
zugrunde liegende historisch-spezifische Form der Arbeit. Denn der Gegensatz von privater und ge-
sellschaftlicher Arbeit, der zwangsläufig zur Gleichsetzung der Arbeitsprodukte und damit zur Reduk-
tion auf abstrakt menschliche Arbeit führt, ist kein allen Epochen gemeinsamer, sondern ein histo-
risch besonderer. In Kapitel 1.4 führt MARX zur Illustration des Zusammenhangs von privatarbeitstei-
liger Produktion und Wertcharakter der Arbeitsprodukte mehrere Beispiele direkter Vergesellschaf-
tung an. Unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse (Sklaverei, Feudalismus) benötigen ebenso wie die
durchs Patriarchat gekennzeichnete mittelalterliche Bauernfamilie oder wie die „sozialistische Gesell-

10
„Diese monetarisierte, als Ware angeeignete, dem Lebenszusammenhang des Produzenten entfremdete Arbeits-
kraft, nennt MARX ‚abstrakte Arbeit’“ (HABERMAS, 1995, S. 493) „Die Analyse des Doppelcharakters der Ware Ar-
beitskraft verfolgt schrittweise die Neutralisierungsleistungen, durch die sich die abstrakte, den gegenüber der Le-
benswelt indifferent gewordenen Systemimperativen verfügbar gemachte Arbeitskraft konstituiert“ (ebd, S. 494).
11
ALFRED SOHN-RETHEL (1972) versuchte ausgehend von dieser und anderen Realabstraktionen (u.a. die Absehung
von der Konsumtion der zum Verkauf stehenden Ware vor Beendigung des Tauschprozesses) die Entwicklung der
abstrakt-objektivistischen Denkformen in den Naturwissenschaften zu erklären, anstatt sie – wie in der Transzenden-
talphilosophie oder in der marxistischen Erkenntnistheorie – als zeitlose menschliches Vermögen vorauszusetzen. Eine
kritische Darstellung dieses Vorhabens geben BOCKELMANN (2004) und KETTNER (2004, S. 75-82). Den verschie-
denen Bedeutungsebenen und Sinnhorizonten, die in ADORNOs Verwendung des Begriffs ‚Realabstraktion’
mitschwingen, geht RITSERT (1998a) nach.
12
Vgl. WOLF (2003, S. 36-37) und MÜLLER (1977, S. 24ff).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -7-

schaft“ 13 keine Gleichsetzung der Arbeiten im Tausch, da diese bereits vor ihrer Verrichtung entweder
autoritär verordnet, durch Tradierung festgelegt oder gemeinschaftlich geplant sind. Die Gesellschaft-
lichkeit der Arbeiten ist hier bereits vor der Ausführung gesetzt, eine nachträgliche Bewährung daher
überflüssig. 14
HEINRICH (1994 und 1999, S. 208-217) gelingt der Nachweis, dass sich im Kapital neben dieser
formanalytischen Fassung von abstrakter Arbeit noch eine naturalistische findet. 15 Diese zweite, auf
dem Boden der klassischen politischen Ökonomie fußende Bedeutungsebene weist abstrakte Arbeit
als die allgemeine, überhistorisch-stoffliche Dimension von Arbeit aus: „Alle Arbeit ist einerseits Ver-
ausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher
menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert“ (23/61). Unter dem Beg-
riff abstrakte Arbeit wird also qua Nominaldefinition zusammengefasst, was alle Formen der Arbeit
eint. Ein solch überhistorischer Begriff von abstrakter Arbeit führt aber zu dem Ergebnis, dass jedes
Arbeitsprodukt Wert hat. Damit ist nicht nur gesagt, dass in jeder nur denkbaren Gesellschaft die Ar-
beitsprodukte ihren gesellschaftlichen Charakter gegenständlich darstellen, sondern mehr noch: Wert
braucht für seine Konstitution überhaupt keine Gesellschaft. MARX tradiert hiermit den Arbeitsbegriff
der klassischen politischen Ökonomie, die Arbeit nur als individuellen Prozess, als Auseinanderset-
zung des Einzelnen mit der Natur auffasste. Impliziert ist damit ein Substanzialismus, der den Wert
schon vor dem Austausch durch die Menge der verausgabten konkreten Arbeit determiniert sieht. Da
Geld unter diesen Vorraussetzungen nie mehr sein kann als ein Symbol für Arbeitsstunden, ist die
von ENGELS inaugurierte prämonetäre Interpretation der Werttheorie, von der weiter oben die Rede
war, in der physiologischen Bestimmung der Wertsubstanz bereits angelegt.
Dieses Residuum aus dem Diskurs der klassischen politischen Ökonomie ist zwar problematisch,
konstitutiv ist es für den ersten Band jedoch nicht. 16 Die Unterscheidung von konkreter und abstrak-
ter Arbeit muss vielmehr entsprechend dem Untertitel des Kapital als eine Kritik der politischen Ö-
konomie gelesen werden. Die ökonomiewissenschaftlichen Vertreter einer Arbeitswertlehre führten
den Wert zwar ebenfalls auf Arbeit zurück; es war ihnen jedoch unmöglich, über den besonderen Cha-
rakter dieser Arbeit zu reflektieren. Für die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Inhalt
Arbeit die Form des Wertes annimmt 17 , entwickelten die Vertreter der klassischen politischen Öko-
nomie nie ein Problembewusstsein. Sie verwischen vielmehr „alle historischen Unterschiede“, sehen
„in allen Gesellschaftsformationen die bürgerliche Gesellschaft“ (GR/26) – und tatsächlich tauschten
nach SMITH und RICARDO die Menschen schon in dunkelster Urzeit ihre Arbeitsprodukte entspre-
chend der darauf verwandten Arbeitszeit gegeneinander aus. Diesen Mangel der klassischen politi-

13
Das im Fetisch-Kapitel entworfene Modell eines „Verein[s] freier Menschen“ darf nicht als Beschreibung MARX-
scher Sozialismus-Vorstellungen missverstanden werden. Siehe hierzu BRENTEL (1989, S. 147-152).
14
In Zur Kritik wird dies klarer, da der Unterscheidung von konkret nützlicher und abstrakt menschlicher Arbeit
gleich zu Beginn eine Betrachtung historischer Produktionsweisen folgt. Als Ergebnis hält MARX fest: „Es ist das der
Produktion vorausgesetzte Gemeinwesen, das die Arbeit des einzelnen verhindert, Privatarbeit und sein Produkt Pri-
vatprodukt zu sein, die einzelne Arbeit vielmehr unmittelbar als Funktion eines Gliedes des Gesellschaftsorganismus
erscheinen läßt. Die Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist vorrausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen.
Gesellschaftlich wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form der abstrakten Allge-
meinheit annimmt“ (13/21). Ohne historischen Kontrast hält MARX aber auch schon in Kapitel 1.2 im Kapital fest:
„Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber“
(23/57).
15
Vgl. hierzu auch REITTER (2002) und HUNDT (1992, S. 117).
16
Bedeutender erweist sich die substanzialistische Auffassung des Wertes im dritten Band, v.a. beim Übergang zur
Durchschnittsprofitrate und der Verwandlung von Werten in Produktionspreise.
17
Diese Formulierung stammt von MARX. Siehe 23/94f.
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -8-

schen Ökonomie beseitigt MARX, indem er den überhistorischen Inhalt Arbeit von dessen historisch-
spezifischen Formen unterscheidet. 18
Noch deutlicher wird die Besonderheit der MARXschen Problemstellung bei der Betrachtung der
Wertgröße. 19 Bei der Einführung des Tauschwertes wurde herausgestellt, dass die Austauschrelationen
quantitativ Gleiches vorstellen, ohne allerdings bestimmen zu können, was dieses Gleiche nun genau
sei. Das von MARX angewandte Ausschlussverfahren führte zu dem Ergebnis, dass weder die Produkte
noch die sie hervorbringenden Arbeiten als besondere dieses Postulat der Gleichheit erfüllen. Die na-
türlichen Eigenschaften der Dinge – Aggregatzustand, Gewicht, Größe – können ebenso wenig die
gemeinsame Maßeinheit sein wie die konkreten Formen der Arbeitsverausgabung. Gelöst wurde das
Kommensurabilitätsproblem durch den theoretischen Nachvollzug der in jeder Tauschhandlung sich
vollziehenden Realabstraktion. Es handelt sich hier um eine nicht-kognitive, im Austausch erzwunge-
ne Reduktion der verschiedenen Arbeitsprodukte und Arbeitsformen auf die ihnen gemeinsame Qua-
lität, Produkt menschlicher Arbeit schlechthin zu sein. Auf Grundlage dieser überhistorisch-
allgemeinen Eigenschaft der Dinge wird im Austausch aber nicht nur die abstrakt menschliche Arbeit
in ihrer historischen Spezifizität als Wertsubstanz an sich konstituiert, die Arbeitsprodukte werden
auch auf ein bestimmtes Quantum dieser „bloße[n] Gallerte“ (23/52) reduziert. Die Arbeitsprodukte
erhalten nicht nur „eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, ge-
sellschaftlich gleiche Wertgegenständlichkeit“ (23/87), sondern Wertgegenständlichkeit von einem
bestimmten Umfang – sie haben nicht nur Wert, sondern auch Wertgröße. Durch welche Faktoren
wird diese aber bestimmt? Im Kapital nennt MARX drei Einflussgrößen:

(1) Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (1. Bedeutung): Nicht der individuell benötigte Zeitauf-
wand determiniert die Wertgröße der Ware, sondern die gewichtete sektorale Durchschnittsar-
beitszeit, die durch den Entwicklungsstand der Technologie, den Ausbildungsgrad der Arbeiter
und der Arbeitsintensität in einem Produktionszweig bestimmt wird. 20
(2) Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (2. Bedeutung): Übersteigt das Angebot die (zahlungsfä-
hige) Nachfrage, ist für die Hersteller der besonderen Ware „die Wirkung dieselbe, als hätte jeder
[...] mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt“
(23/122). 21

18
Dass MARX mit seiner Differenzierung von konkreter und abstrakter Arbeit eine Historisierung der ökonomisch-
sozialen Gegenständlichkeit zu leisten beabsichtigte, wurde lange Zeit nicht wahrgenommen. In den popularisieren-
den Darstellungen des Kapital von KARL KAUTSKY und ROSA LUXEMBURG wird der Terminus ‚abstrakte Arbeit’ laut
HEINRICH (1993) überhaupt nicht erwähnt. In der Sowjetunion wird die Beendigung der durch RUBIN begonnenen
Diskussion um den gesellschaftstheoretischen Status der Werttheorie politisch verordnet und gewaltsam durchge-
setzt. Von den Vertretern der älteren angelsächsischen MARX-Forschung (u.a. DOBB, MEEK, SWEEZY) wurde fast
ausschließlich die naturalistisch-nominalistische Bedeutungsebene von abstrakter Arbeit aufgegriffen (exemplarisch
SWEEZY, 1970, S. 45). In Westdeutschland wurden die gesellschaftstheoretischen Implikate der abstrakten Arbeit
erstmals mit den Arbeiten von HANS-GEORG BACKHAUS und HELMUT REICHELT, die den Beginn der ‚Neuen
Marx-Lektüre’ markierten, freigelegt. Dennoch blieb das physiologische Deutungsmuster auch in Westdeutschland
v.a. durch W. F. HAUG (1989, S. 113) noch lange einflussreich, der trotz zahlloser Aporien auch seine praxeologi-
sche, letztendlich aber im historischen Paradigma verbleibende Interpretation der Darstellung im Kapital gegen die
„Logizisten“ erbittert verteidigt (vgl. HAUG, 2003a, 2003b und 1984, S. 60-78. Eine Replik gibt HEINRICH, 2004b).
19
Während die abstrakte Arbeit als qualitative Bestimmung vom Wert zu unterscheiden ist – sie verweist auf die spe-
zifisch gesellschaftliche Form der Arbeit im Kapitalismus und bildet in diesem Sinne die Substanz des Werts –, kön-
nen die Begriffe ‚Quantum der abstrakten Arbeit’ und ‚Wertgröße’ synonym benutzt werden.
20
Vgl. 23/53.
21
Vgl. auch 25/649. Die Ambiguität der Formulierung ‚gesellschaftlich notwendige Arbeit’ – einmal hebt sie auf den
Stand der Produktivkräfte, das andere mal auf das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ab – wurde im Hinblick
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS -9-

(3) Komplexitäts-/Qualifikationsgrad der Arbeit: Verglichen mit der Verrichtung „einfache[r]


Durchschnittsarbeit“ (23/59) – diese „wechselt zwar in verschiedenen Ländern und Kulturepo-
chen ihren Charakter, ist aber in einer vorhandnen Gesellschaft gegeben (ebd.) – steigert die An-
wendung einer qualifizierteren oder als qualifizierter geltenden Arbeitskraft den Wert des Arbeits-
produkts. 22

Auffällig sind die Ähnlichkeiten zwischen den von MARX genannten und den von der klassischen po-
litischen Ökonomie herausgestellten Determinanten der Wertgröße. Und tatsächlich rezipierte so-
wohl die bürgerliche als auch die marxistische Wirtschaftswissenschaft MARX als den letzten großen
in der Tradition von SMITH und v.a. RICARDO stehenden Vertreter einer Arbeitsmengentheorie des
Werts. 23 Wie aber bereits herausgestellt wurde, versucht MARX keine bessere, sondern eine Kritik der
politischen Ökonomie zu formulieren. Diese Kritik weist nicht nur die sozialontologischen Prämissen
der Klassik zurück – im Rahmen der Fetischtheorie werden sie als aus der Gesellschaftsstruktur resul-
tierende Alltagsdenkformen dechiffriert –, sie entwickelt auf der Basis neuer gesellschafts- und er-
kenntnistheoretischer Einsichten vollkommen neue, die Kernstrukturen der bürgerlich-
kapitalistischen Gesellschaft berührende Fragestellungen. Thematisieren Klassik und Neoklassik den
Angebot- und Nachfragemechanismus ausschließlich zur Erklärung der relativen Preise, fragt MARX
nach den Formbestimmungen der Arbeit, die einen Einfluss der Nachfrage auf die Wertgröße erst
notwendig machen:

„Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit
einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen
von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen.
Daß diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeiten in bestimmten Proportionen durchaus
nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise
ändern kann, ist self-evident. Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch
verschiednen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen. Und die Form,
worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zu-
sammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend
macht, ist eben der Tauschwert dieser Produkte“ (Briefe, S. 185). 24

Die bewusstlos-dissoziative Form der Reproduktion der Gesellschaft in Gestalt voneinander unab-
hängiger Privatproduzenten muss zwangsläufig zu Disproportionalitäten bei der Verteilung der gesell-
schaftlichen Gesamtarbeit auf die verschiedenen Produktionssphären führen. Die Differenz zwischen
dem individuell hergestellten Angebot und den Bedürfnissen der Gesellschaft, die nur über gewaltsa-
me, vom Willen der Menschen unabhängige (Markt-)Prozesse ausgeglichen werden kann, themati-
siert MARX aber nicht aus fachökonomischem, sondern primär aus gesellschaftstheoretischem Interes-
se. Im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie, die in ihren mikro- und makroökonomischen Varian-
ten sich entweder auf Instrumente betriebswirtschaftlicher Praxis oder gesamtgesellschaftliche Stabili-
sierungsmöglichkeiten kapriziert und damit innerhalb gegebener ökonomischer Formen bewegt, fragt

auf die daraus folgenden werttheoretischen Konsequenzen in der Sekundärliteratur bisher vernachlässigt. Diskussi-
onsansätze bieten HEINRICH (2004, S. 49f), POLLOCK (1928), REICHELT (1973, S. 173-182), ROSDOLSKY (1968, S.
116-124) und RUBIN (1973).
22
Vgl. HEINRICH (2004, S. 50).
23
Stellvertretend für die bürgerliche Ökonomie vgl. SCHUMPETER (1965, S. 721ff und 1993). Exemplarisch für den
Traditionsmarxismus steht MANDEL (1976).
24
Diese Passage stammt aus einem Brief von MARX an KUGELMANN vom 11. Juli 1868.
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 10 -

MARX nach den historisch-sozialen Bestimmungen der Arbeit, die diese ökonomischen Formen erst
erfordern. 25

Abb. 1: Illustration der Wertgrößenkonstitution anhand eines fiktiven Beispiels

Resultat konkreter Privatarbeit Gebäudereinigung Netzwerksoftware


konkrete Arbeit

Individuell aufgewandte Arbeitszeit 40 Stunden 40 Stunde

Reduktion auf sektorale Durchschnitts- 30 Stunden 50 Stunden


arbeitszeit

Reduktion der besonderen Arbeiten auf


gleiche menschl. Arbeit
(qua Realabstraktion)

abstrakt menschlichen Arbeit*

Determinanten:
– Komplexitätsgrad der Arbeit 20 „Stunden“ 80 „Stunden“
– Angebot und Nachfrage 20 „Stunden“ 100 „Stunden“

Austauschrelation** 1 5

* Die Angabe der ‚abstrakten Arbeit’ in Zeitintervallen ist missverständlich. Denn im Unterschied zu konkreten Ar-
beitsvorgängen lässt sich die qua Realabstraktion gebildete gleiche menschliche Arbeit nicht mit der Uhr messen. Vgl.
HEINRICH (1999, S. 219).
** Hier ist kontrafaktisch unterstellt, dass die Waren zu Werten (und nicht: zu Produktionspreisen) ausgetauscht
werden.

Am klarsten tritt dieser gesellschaftstheoretische Blick bei der Wertformanalyse und der Beschreibung
des Austauschprozesses hervor. Ziel ist hier die Formulierung einer Theorie des Geldes, die sich nicht
in der Auflistung der Geldfunktionen erschöpft, sondern diese Funktionen selbst noch begründet.
Geld wird von MARX nicht als Zirkulationsmittel eingeführt, das die Problematik des unmittelbaren
Austausches von Produkten löst, er stellt und beantwortet stattdessen auf Grundlage werttheoretischer
Erkenntnisse die Frage, weshalb die Zirkulationsmittelfunktion überhaupt von einem Ding erfüllt
werden muss. Wertformanalyse und Austauschprozess sind aber nicht nur interessant, weil sie ein bis-
her unbegriffenes ökonomisches Objekt als wissenschaftlichen Gegenstand formieren, sie konfrontie-
ren zudem die gewonnenen Erkenntnisse mit den Alltagsvorstellungen, welche die Individuen ge-
meinhin von dem Objekt entwickeln. Diese aus Mystifizierungen und Naturalisierungen bestehenden
Alltagsvorstellungen, die sich den Individuen durch ihre Teilnahme an der bürgerlichen Verkehrswei-
se aufdrängen und dann in den theoretischen Fragestellungen und Ergebnissen der politischen Öko-
nomie niederschlagen, sind es, die MARX als Fetischisierungen bezeichnet und in der gesamten Stu-
fenfolge der ökonomischen Kategorien kritisiert. 26 Formanalyse besteht demnach nicht nur in dem

25
Vgl. ausführlich hierzu RUBIN (1973, S. 50ff).
26
Vgl. BRENTEL (1989, S. 283-289). Einen systematischen Kommentar zu den unterschiedlichen Fetischformen
geben BISCHOFF [u.a.] (1993, S. 202-206), ERCKENBRECHT (1976, S. 91-105) und FISCHER (1978).
Der Terminus Fetisch geht auf das portugiesische ‚feitiçio’ (Zauberwerk, Zaubermittel) zurück (vgl. KLUGE, 1999).
Mit diesem Begriff bezeichneten Seeleute und christliche Missionare in pejorativer Absicht die Kultgegenstände der
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 11 -

Nachweis, dass die ökonomisch-sozialen Formen Resultate einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis
sind. Formanalyse zeigt ferner auf, wie diese Formen den Beteiligten als Nicht-Formen, als übernatür-
liche Eigenschaften der Dinge erscheinen. Dass Formanalyse aufgrund ihres spezifischen Erkenntnis-
gegenstandes nur als Einheit von Objekt- und Erkenntniskritik konzipierbar ist, soll ein kurzer Über-
blick über die Wertformanalyse und den Austauschprozess demonstrieren. 27
Die Wertformanalyse liegt in mehreren, in ihrem Aufbau zum Teil recht unterschiedlichen Varian-
ten vor. Die erste Fassung findet sich in Zur Kritik (1859), die zweite in der Erstauflage des Kapital
(1867). Diese zweite Fassung ist nach MARX „schwerverständlich, weil die Dialektik viel schärfer ist
als in der ersten Darstellung“ (II.5/11f). ENGELS sah den gewöhnlichen Leser sogar so überfordert,
dass er MARX um eine strengere Gliederung und um Überschriften bat, die den Inhalt der Passagen
kurz zusammenfassen. 28 MARX schrieb daraufhin eine ‚didaktischere’ Version, die der Erstauflage als
Anhang beigefügt wurde. Diese alternative Fassung der Wertformanalyse, die sich nicht nur in der
Darstellung, sondern auch im Inhalt vom Haupttext der Erstauflage unterscheidet, diente dann in der
zweiten Auflage als Grundlage für die vierte und letzte Variante. 29
Bereits in seiner Kritik des PROUDHONschen Sozialismus in den Grundrissen, v.a. aber über die
Auseinandersetzung mit Samuel Bailey in den Theorien über den Mehrwert (26.3/122-168), arbeitete
MARX heraus, dass die klassische politische Ökonomie aufgrund ihres substanzialistischen Wertbeg-
riffs an der Analyse der Wertform gescheitert war. Da der Wert nach RICARDO bereits vor dem Aus-
tausch durch die Menge der konkret verausgabten Arbeit fixiert sein sollte, konnte Geld nur als tech-

‚Eingeborenen’ der afrikanischen Westküste (vgl. Marxhausen, 1999), bevor CHARLES DE BROSSES 1760 in seinem
einflussreichen Buch Du Culte des Dieux Fétiches mit der Abstraktion von Fetisch zu Fetischismus den Begriff von
seiner Bindung an eine besondere spirituelle Praktik löste: Fetische fände man nicht nur in den archaischen Naturre-
ligionen Zentralafrikas, sondern auch im Sternenkult und den frühen Religionen Europas (siehe Böhme, 1997, S.
10-12). Mit dieser Verallgemeinerung, die bereits DE BROSSES für eine implizite Kritik am Reliquienkult des Katho-
lizismus nutzte (ebd., S. 10), eröffnete sich in der Epoche der Aufklärung die Möglichkeit, den Begriff gerade wegen
seiner kolonialen Herkunft polemisch gegen die eigene Praxis in Anschlag zu bringen: Der vermeintlich ‚zivilisierten
Welt’, die aus der Abgrenzung von den ‚primitiven’ Naturvölkern ein positives Selbstverständnis schöpfte, wurde
fortan vorgeworfen, selbst Autor von projektiven Verkehrungen zu sein. Die rhetorische Figur, den eigenen Irrationa-
lismus durch die verfremdende Adaption eines ursprünglich auf andere Objekte bezogenen Begriffs offen zu legen,
zeigt sich noch in der psychoanalytischen Verwendung des Wortes Fetischismus. Bei FREUD (2000) beschreibt er die
neurotische Verlagerung vom ganzen Liebesobjekt auf unbelebte Gegenstände (Kleidungsstücke) oder Teile des Kör-
pers (Fuß, Nase) als Reaktion auf die Kastrationsangst, die sich in der frühkindlichen Phase beim Anblick des weibli-
chen Genitalbereichs ergebe.
MARX’ Fetischbegriff steht ebenfalls in der Tradition der Aufklärung. Wie im Folgenden noch deutlich werden wird,
besteht aber eine entscheidende sachliche Differenz zum religionskritischen und psychoanalytischen Gebrauch: Bei
MARX ist die Fetischisierung den Objekten nicht äußerlich. Es sind die Objekte selbst – genauer gesagt: die sozialen
Konstitutionsbedingungen und Wirkungsweisen der Objekte – die ihre eigene Verkennung induzieren. Ausführlich
beschäftigen sich mit dieser Differenz KITTSTEINER (1998, S. 172-176) und SCHMIEDER (2006).
27
Die MARXsche Fetischtheorie wird hier nicht um ihrer selbst oder der Vollständigkeit willen behandelt. Die
Grundzüge der Fetischtheorie müssen einsichtig gemacht werden, um später (Kapitel III) die Frage diskutieren zu
können, ob die formanalytische Klassentheorie für eine positive Revolutionstheorie dienstbar gemacht werden kann,
oder ob sie stattdessen eine mögliche Erklärung dafür bietet, warum grundlegende Veränderungen in emanzipatori-
scher Absicht bisher ausgeblieben sind.
28
Vgl. Briefe,/135.
29
HEINRICH ist zuzustimmen, wenn er einerseits in seiner Gesamtbeurteilung die Abfolge der Varianten als das
MARXsche Bemühen um Vereinfachung und Popularisierung interpretiert, andererseits aber einzelne Verbesserungen
hervorhebt (vgl. HEINRICH, 1999, S. 221). Die folgende Darstellung der Wertformanalyse wird sich daher an der
Grundkonzeption der Erstauflage orientieren, unter Einbeziehung der von MARX vorgenommenen Präzisierungen.
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 12 -

nisches Hilfsmittel zur Erleichterung des Tausches und als Symbol für Arbeitsstunden aufgefasst wer-
den. Der werttheoretische Rahmen gab die geldtheoretischen Ergebnisse vor:

„Ricardo geht aus von der Bestimmung of the relative values (oder exchangeable values) of commodities by „the
quantity of labour“. [...] Die Gestalt nun – die besondere Bestimmung der Arbeit als Tauschwert schaffend oder
in Tauschwerten sich darstellend –, den Charakter dieser Arbeit untersucht Ric[ardo] nicht. Er begreift daher nicht
den Zusammenhang dieser Arbeit mit dem Geld oder, daß sie sich als Geld darstellen muß“ (26.2/161)

Die Vertreter der Klassik konnten in der Geldtheorie kein zureichendes Verständnis ökonomischer
Formkonstitution gewinnen, da sie innerhalb der Grenzen ihres theoretischen Feldes den „besonderen
Charakter“ der warenproduzierenden Arbeit nicht durchschauen konnten. 30 Das Besondere besteht
darin, dass die Produzenten als private systematisch voneinander isoliert sind, in ihrer Trennung aber
dennoch gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen müssen. Da der privat verausgabten Arbeit aber le-
diglich eine Antizipation der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Angebote, nicht diese selbst zugrunde
liegen, muss die Arbeit des isolierten Produzenten ihren gesellschaftlichen Charakter und die Wert-
größe auf dem Markt erst unter Beweis stellen. Wert und Wertgröße können daher nicht vor und
unabhängig vom Austausch durch die Menge der konkret verausgabten Arbeit gemessen werden; bei-
de Eigenschaften sind gesellschaftliche Eigenschaften, die nur in der gesellschaftlichen Beziehung der
Privatproduzenten, im Austausch ihrer Arbeitsprodukte existieren. 31
Die erste Beziehung der Arbeitsprodukte, die MARX untersucht, ist die „einfache, einzelne oder zu-
fällige Wertform; x Ware A = y Ware B oder: x Ware = y Ware B wert.“ Wie schon oben (S. 1f) dis-
kutiert wurde, markieren die Tauschmodelle im Kapital keinen historischen Verweisungshorizont.
Die einfache Wertform steht nicht für den Austausch von Überschüssen in einer Subsistenzmittel-
wirtschaft; sie ist in der Absehung vom Geld und der Mannigfaltigkeit der Warenwelt eine nur abs-
trakte Darstellung der einfachen Warenzirkulation, die ihrerseits nur eine Abstraktion von den vor-
ausgesetzten kapitalistischen Gesamtverhältnissen darstellt.
Neben dem logischen Aufbau ist für das Verständnis der Wertformanalyse v.a. ihre spezifische Be-
trachtungsperspektive von besonderer Bedeutung. 32 Denn auf den ersten Blick scheint die einfache
Wertform nur eine Wiederholung der Tauschgleichung zu sein, die bereits in Kapitel 1.1 eingeführt
wurde. Aber trotz der Übereinstimmung in ihrer Formalisierung liegen beiden Warenverhältnissen
unterschiedliche Betrachtungsperspektiven oder Stoßrichtungen zugrunde. In Kapitel 1.1 wurde in-
folge der Feststellung, dass es sich bei x Ware A = y Ware B um eine Äquivalenzrelation handelt, nach
einer der Austauschrelation zugrunde liegenden gemeinsamen Qualität gefragt. Die Wertformanalyse
untersucht die beiden Elemente des Warenverhältnisses demgegenüber nicht nach deren Gemeinsam-
keiten, sondern nach den disparaten Funktionen, die sie im einfachen Wertausdruck wahrnehmen: Die
erste Ware erfüllt eine aktive Rolle, da sie sich die zweite Ware zu ihrem Wertausdruck macht. Da der
Wert eine gesellschaftliche Eigenschaft darstellt, deshalb nicht an der einzelnen Ware, sondern nur in
Relation mit anderer Ware existiert, bezeichnet MARX diesen Teil des Wertausdrucks auch als relative
Wertform. Die zweite Ware spielt hingegen eine passive Rolle, da nicht sie das Wertverhältnis setzt,

30
Vgl. HEINRICH (1999, S. 222, Fn.40).
31
Am deutlichsten wird dies im Manuskript Ergänzungen und Veränderungen: „So wurde der Rock und Leinwand als
Werthe, jedes für sich, auf Vergegenständlichung menschlicher Arbeit schlechthin reducirt. Aber in dieser Reduktion
wurde vergessen, daß keines für sich solche Wertgegenständlichkeit ist, sondern daß sie solches nur sind, soweit das
ihnen gemeinsame Gegenständlichkeit ist. Ausserhalb ihrer Beziehung aufeinander – der Beziehung worin sie gleichgel-
ten – besitzen weder der Rock noch die Leinwand Werthgegenständlichkeit oder ihre Gegenständlichkeit als blosse Gal-
lerten menschlicher Arbeiten schlechthin“ (II.6/30).
32
Vgl. hierzu ARNDT (1985, S. 185.2), BEHRENS (1993), HEINRICH (1999, S. 224) und RAKOWITZ (2000, S.
109f).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 13 -

sondern in ihm nur als Objekt, als gegenständliche Projektionsfläche des Werts der Ware A fungiert.
Ihr „Äquivalentsein ist so zu sagen nur eine Reflexionsbestimmung“ (II.5/34) der ersten Ware.
Mit dem Wechsel der Betrachtungsperspektive von einem Gleichheits- zu einem Polaritätsverhältnis
wurde erstmals eine Beziehung zwischen den beiden Eigenschaften der zwei Waren hergestellt. In Ka-
pitel 1.1 wurden Gebrauchswert und Wert als voneinander unabhängige Bestimmungen eingeführt,
die beiden Waren gleichermaßen zukommen. Im Polaritätsverhältnis verteilen sich hingegen die Ei-
genschaften der Ware auf die beiden Pole des Wertausdrucks: Die erste Ware gilt nur als Gebrauchs-
wert, während die zweite Ware in ihrem Gerbrauchswert nur als Wert gilt. „Statt auseinanderzufallen,
reflektieren sich die gegensätzlichen Bestimmungen der Waare hier ineinander“ (II.5/32). Da eine
Ware ihren Wert nicht in ihrem eigenen Gebrauchswert darstellen kann (x Ware A = x Ware A wäre
eine Tautologie), muss sie sich auf eine andere Ware beziehen, deren Gebrauchsgestalt in dieser Be-
ziehung nur Wert repräsentiert. 33 Aber obgleich der Gebrauchswert der Äquivalentware innerhalb des
Wertausdrucks nicht als solcher in Betracht kommt (die erste Ware bezieht sich auf jene ausschließ-
lich als Wertgestalt), kann der Wert nicht unabhängig von seiner sinnlichen Gegenständlichkeit exis-
tieren. Die Paradoxie besteht darin, dass die natürlichen Eigenschaften der Äquivalentware einerseits
bedeutungslos sind, andererseits kann der Wert nur in einem anderen Gebrauchswert, in einem Ge-
genstand mit natürlichen Eigenschaften, erscheinen. Dies ist eine Bedeutungsebene des Verdingli-
chungstheorems: Die spezifische Form der Gesellschaftlichkeit der Arbeit gewinnt leibhaftige Existenz
in einem Ding. Später wird dieser Sachverhalt noch eine wichtige Rolle bei der Erklärung des Geldfe-
tischs spielen. Vorher ist jedoch das Geld selbst zu entwickeln.
Die einfache Wertform bezieht sich nicht auf die praktische Lebensweise vorbürgerlicher Gesell-
schaften (realhistorische Situation), sie ist eine rein gedankliche Abstraktion von der Vielfalt der Wa-
renwelt (hypothetische Konstruktion). Diese Absehung führt, da kapitalistische Warenproduktion
vorrausgesetzt ist, notwendigerweise zu einem Mangel der einfachen Wertform: Die Ware, die sich in
relativer Wertform befindet, stellt ihren Wert nur in einer anderen Ware, nicht in der Gesamtheit der
Waren dar. In der Beschreibung des Mangels ist bereits der Weg zu seiner Aufhebung vorgegeben:
Die Ware muss ihren Wert nicht nur in einem, sondern in allen Gebrauchswerten ausdrücken, oder
die einfache Wertform muss in die entfaltete Wertform übergehen. Entscheidend ist hierbei, dass sich
der Status der Äquivalentform verändert. Während in der einfachen Wertform die zweite Ware (y
Ware B) das allgemeine, da einzige Äquivalent war, ist die erste Ware in der entfalteten relativen
Wertform (x Ware A) für sich selbst allgemeines Äquivalent, weil sie sich auf alle anderen Waren, in
denen sie ihren eigenen Wert ausdrückt, nur als besondere Äquivalente bezieht. Da aber jede Ware, die
sich in der entfalteten relativen Wertform befindet, für sich selbst allgemeines Äquivalent ist, kann
überhaupt kein allgemeines Äquivalent und damit auch kein Wertverhältnis existieren. Der entfaltete
Wertausdruck widerspricht sich so selbst als Wertausdruck; er ist seine eigene Negation. Wie schon
bei der einfachen Wertform gibt auch bei der entfalteten Wertform die Deskription des Mangels den
Weg zu seiner Lösung vor: Die Arbeitsprodukte können sich nur als Werte und damit als Waren dar-
stellen, indem sie sich gemeinsam auf eine ausgeschlossene Ware als unmittelbare Wertgestalt bezie-
hen (allgemeine Wertform).

33
Im Kapital veranschaulicht MARX diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Ein Zuckerhut, weil Körper, ist schwer
und hat daher Gewicht, aber man kann keinem Zuckerhut sein Gewicht ansehen oder anfühlen. Wir nehmen nun
verschiedne Stücke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. Die Körperform des Eisens, für sich betrachtet, ist
ebensowenig Erscheinungsform der Schwere als die des Zuckerhuts. Dennoch, um den Zuckerhut als Schwere aus-
zudrücken, setzten wir ihn in ein Gewichtverhältnis zum Eisen. In diesem Verhältnis gilt das Eisen als ein Körper, der
nichts darstellt, außer Schwere“ (23/71, Herv. von mir).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 14 -

Mit dem Nachweis ihrer Notwendigkeit ist die allgemeine Wertform aber noch nicht gegeben. Der
Mangel der entfalteten Wertform kann zwar einsichtig machen, dass eine einzelne Ware die Funktion
des allgemeinen Äquivalents wahrnehmen muss, innerhalb der Wertformanalyse kann aber nicht be-
gründet werden, wie diese Ware ausgeschlossen werden soll. Die Ableitung des allgemeinen Äquiva-
lents kann nur durch einen Wechsel der Untersuchungsebene vollzogen werden: Die Wertformanaly-
se, die den inneren Gegensatz (Gebrauchswert und Wert) bloß gedachter Waren entwickelt, muss
zugunsten des Austauschprozesses, der durch die Einbeziehung der Warenbesitzer die Waren zum
ersten Mal wirklich aufeinander bezieht, verlassen werden. 34 Die Warenbesitzer stehen im Austausch-
prozess vor demselben Problem wie zuvor die Waren, aber:

„In ihrer Verlegenheit denken unsre Warenbesitzer wie Faust. Im Anfang war die Tat. Sie haben daher schon ge-
handelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Warennatur betätigen sich im Naturinstinkt der Warenbesit-
zer. Sie können ihre Waren nur als Werte und darum nur als Waren aufeinander beziehn, indem sie dieselben ge-
gensätzlich auf irgendeine andre Ware als allgemeines Äquivalent beziehn. Das ergab die Analyse der Ware. Aber
nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware zum allgemeinen Äquivalent machen. Die gesellschaftli-
che Aktion aller andren Waren schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen.
Dadurch wird die Naturalform dieser Ware gesellschaftlich gültige Äquivalentform. Allgemeines Äquivalent zu
sein wird durch den gesellschaftlichen Prozeß zur spezifisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Wa-
re. So wird sie – Geld“ (23/101). 35

Das Geld entsteht zwar durch die Handlungen der Marktteilnehmer, doch sind es die gesellschaftli-
chen Strukturen, die diese Handlungen induzieren. Im direkten Gegensatz zur Klassik und Neoklas-
sik, die ausgehend vom anthropologisch gesetzten, rational handelnden Subjekt (‚homo oeconomi-
cus’) versuchen, die Gesellschaft zu erklären, sind es bei MARX die aus einer spezifisch gesellschaftli-
chen Struktur resultierenden „Gesetze der Warennatur“, die vermittelt über den „Naturinstinkt der
Warenbesitzer“ die ökonomische Formkonstitution erklären. Die Handlungsrationalität setzt nicht
die gesellschaftliche Struktur, sondern die gesellschaftliche Struktur die Handlungsrationalität. 36
Wie kommt es aber zu dem Phänomen, dass das Geld von den Individuen nicht als der gegenständ-
liche Ausdruck ihrer eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse gedeutet wird? Der Austauschprozess, der
die Paradoxie des prämonetären Warentausches durch die gemeinschaftliche Aussonderung einer ein-
zelnen Ware zum allgemeinen Wertspiegel löst, befindet sich ebenso wie die Wertformanalyse nicht
auf der Ebene empirisch auftretender Handlungssituationen. Im Rahmen der dialektischen Darstel-
lung müssen die Warenbesitzer zwar das Problem des fehlenden Äquivalents lösen. Da es sich hierbei
aber nicht um die historische Entstehung, sondern um die gedankliche Reproduktion des Geldes

34
HEINRICH (1999, S. 230, Fn.55) und BACKHAUS (1997, S. 291.1) betonen zu Recht, dass die Unterscheidung der
bloß gedachten Beziehung (Wertformanalyse) von der wirklichen Beziehung der Waren (Austauschprozess) nicht mit
der Unterscheidung von Theorie und Empirie verwechselt werden darf. Der Austauschprozess, der die wirkliche Be-
ziehung herstellt, ist nicht der empirische Austauschprozess, sondern eine zum Verständnis der Empirie notwendige
theoretische Konstruktion.
35
Die hier vorgebrachte Darstellung von Wertformanalyse und Austauschprozess orientierte sich am Haupttext der
ersten Auflage des Kapital. Da MARX befürchtete, man könne sie wegen ihrer „Schwerverständlichkeit anklagen“
(II.5/13), schrieb er in Form eines Anhang eine alternative Fassung der Wertformanalyse für „den nicht durchaus in
dialektisches Denken eingewohnten Leser“ (ebd.). Diese Variante, die auch als Grundlage bei der Überarbeitung der
Wertformanalyse für die zweite Auflage diente, ist aber nicht unproblematisch. Neben kleineren Präzisierungen und
einer klareren Strukturierung durch die Einfügung von Unterkapiteln verdunkelt sie auch die Differenz zwischen
Wertformanalyse und Austauschprozess, indem das Geld, Resultat der „gesellschaftlichen Tat“, bereits in der Wert-
formanalyse einführt wird. Siehe hierzu ausführlich SCHWARZ (1987), der die handlungstheoretische Ebene der „ge-
sellschaftlichen Tat“ allerdings vorschnell mit der realhistorischen Genesis des Geldes identifiziert.
36
Vgl. HEINRICH (1999, S. 231) Neben dem Ahistorismus sind damit zwei weitere sozialontologische Prämissen der
klassischen politischen Ökonomie benannt, mit denen MARX bricht: Individualismus und Anthropologismus.
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 15 -

handelt, stellt sich ihnen das Problem nicht praktisch. Tatsächlich existiert das Geld in der bürgerli-
chen Gesellschaft immer schon als fertige Voraussetzung für den Warenbesitzer: Das atomisierte
Marktsubjekt muss seine Ware auf das Geld beziehen, um sein Leben in der ihm vorausgesetzten und
von ihm unabhängigen Gesellschaft zu reproduzieren. Die Verselbständigung des gesellschaftlichen
Zusammenhangs gegenüber dem vereinzelten Individuum in Form des Geldes führt vor dem Hinter-
grund, dass der Wert nur in einer anderen Ware, d.h. in einem Ding mit sinnlichen Eigenschaften
existieren kann, zum Geldfetisch:

„Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, son-
dern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewe-
gung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück“ (23/107).

Die Wertformanalyse und der Austauschprozess ergaben zwar als Konstitutionsbedingung des Geldes,
dass alle Warenbesitzer den Wert ihrer Waren in einem einzelnen Gegenstand spiegeln müssen, doch
das Bewusstsein des isolierten Individuums deutet diesen gesellschaftlichen Prozess naturalistisch um:
Die Äquivalentware scheint von Natur aus Geld zu sein. Aus der Perspektive des bürgerlichen Sub-
jekts ist diese Bewusstseinsverstellung durchaus rational. Da es nicht Teil einer Gemeinschaft von
Freien und Gleichen ist, die in Übereinkunft bewusst ihr Leben organisieren, sondern es der Gesell-
schaft und damit die Gesellschaft ihm als ein Äußerliches gegenübertritt, kann es das Geld nicht als
sein eigenes gesellschaftliches Produkt begreifen. Da das Geld zudem immer nur als sinnlicher Ge-
genstand existiert, scheint es, als käme ihm neben seiner Größe, Schwere, Härte usw. auch die Eigen-
schaft, allgemeines Äquivalent zu sein, von Natur aus zu. Die gesellschaftliche Praxis bringt damit
nicht nur den Wert der Ware hervor, der im Geld handgreifliche Existenz gewinnen muss. In ihr
selbst ist noch begründet, dass das Geld vom Alltagsbewusstsein nicht als veränderliche historische
Form durchschaut wird. Die Fetischtheorie kann daher auch prägnant als Selbstverrätselungstheorie
des Sozialen bezeichnet werden. Sie grenzt sich damit von einem positivistisch verkürzten Ideologie-
verständnis deutlich ab: Führte die frühbürgerliche Aufklärung und der Traditionsmarxismus Ideolo-
gien auf die Manipulationsleistungen der die gesellschaftlichen Verhältnisse durchschauenden und
ihre materiellen Interessen verfolgenden Herrschenden zurück (Priestertrugstheorien) 37 , fasst MARX in
seiner Formanalyse Ideologien nicht als personell, sondern als strukturell induzierte Alltagsvorstellun-
gen. 38

37
Als charakteristisch für das traditionsmarxistische Ideologieverständnis können die zahlreichen Abhandlungen von
BRECHT (v.a. Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher und Der Tui-Roman) über die Funktion der Intellektuellen
gelten. Aus Me-ti / Buch der Wendungen: „Der Schriftsteller Fe-Hu-Wang sagte zu Me-ti: Die mit dem Kopf arbeiten,
stehen eurem Kampf abseits. Die klügsten Köpfe halten eure Ansichten für falsch. Me-ti antwortete: Die klugen
Köpfe können sehr töricht verwendet werden, sowohl von den Machthabern als auch von ihren Eigentümern selbst.
Gerade um die allerdümmsten und unhaltbarsten Behauptungen oder Einrichtungen zu stützen, mietet man kluge
Köpfe. Die klügsten Köpfe bemühen sich nicht um die Erkenntnis der Wahrheit, sondern um die Erkenntnis, wie
Vorteile zu erlangen sind durch die Unwahrheit. Sie streben nicht nach dem Beifall ihrer selbst sondern dem ihres
Bauches“ (BRECHT, 1982, S. 436).
38
Damit revidiert er frühere Äußerungen, in denen er Ideologie selbst auf Herrschaftstechnik reduzierte. Selbst in der
Deutschen Ideologie, in der sich bereits sein neuer Begriff von Ideologie abzeichnet, vertritt MARX noch eine klassische
Manipulationstheorie: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken,
d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige
Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über
die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mit-
tel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind“ (3/46).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 16 -

Mit der Erörterung der begrifflichen Grundlagen der Werttheorie (Wertsubstanz, Wertgröße, Wert-
form) sollten die Grundzüge und besonderen Stärken eines formanalytischen Zuganges deutlich ge-
worden sein. MARX thematisiert die ökonomischen Objekte im Gegensatz zur klassischen und neo-
klassischen Ökonomie als Resultat einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Praxis. Formanalyse
meint demnach die Herausarbeitung des – im Alltagsbewusstsein verschütteten – Zusammenhangs
zwischen wandelbaren sozialen Beziehungen und ihren Vergegenständlichungen, oder präziser: die
Dechiffrierung der im common sense als natürlich wahrgenommenen, zur Sozialformation sich zu-
sammenschließenden Gegenstände als Objektivationen historisch-spezifischer Variationen von histo-
risch-unspezifischen Voraussetzungen des Sozialen. 39 Bereits in den Feuerbachthesen formuliert
MARX die Grundzüge der formanalytischen Argumentation, wenn er auf die subjektive Vermitteltheit
der Gegenstände insistiert:

„Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus [...] ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur
unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Pra-
xis; nicht subjektiv“ (3/5).

Die vierte These deutet an, dass die subjektive Vermitteltheit der Objekte aufgrund einer realen Sub-
jekt-Objekt-Verkehrung zwangsläufig in die Alltagsideologie des Natürlichen und Invarianten um-
schlagen muss:

„Feuerbach geht von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse
und eine weltliche aus. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Aber
daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist
nur aus der Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären“ (3/6). 40

Beide Argumentationsfiguren gehören zusammen und bilden das Grundgerüst der Formanalyse: Die
Gegebenheiten sind zwar Resultat sozialer Praxis, die Struktur dieser Praxis ist aber so beschaffen, dass
sie vom vorwissenschaftlichen Bewusstsein nur in fetischisierter Form verarbeitet werden. Mit ande-
ren Worten: Das Programm einer Dekonstruktion der Selbstständigkeit der Objekte, der sich die Re-
konstruktion des surplus-emergenten Charakters der sozialen Formen anschließt, kann nur als Kritik
an naturalisierenden Objektauffassungen durchgeführt werden. 41
Die Verdinglichung des Objekts markiert allerdings nur die eine Seite der bürgerlichen Rechtferti-
gungspraxis. Der Kontraktualismus, der sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelte – 1651
erschien Hobbes’ Leviathan, zuvor gab es vertragstheoretische Ansätze in den politischen Schriften der

39
Die Phänomenologie verwendet heute ebenfalls den Ausdruck Formanalyse. Hier bezeichnet er stilistische und
formbezogene Untersuchungen von Kunst-/ Sprachkunstwerken im Hinblick auf deren „intentionale und extensio-
nale Bedingungen“. (SCHWINGER, 1972, Sp. 972).
40
In seinem instruktiven Kommentar (der Rezeption) der Feuerbachthesen vertritt HEINRICH (2004d) hingegen die
These, dass hier und in der Deutschen Ideologie keineswegs eine Heuristik für spätere Ausarbeitungen vorliege. Beide
Texte sollen sich durch eine unkritische Anknüpfung an die empirische Praxis der Menschen auszeichnen, so dass
MARX Ideologie gar nicht anders als eine interessierte Manipulation begreifen könne (ebd., S. 259-261). HEINRICHs
berechtigte Kritik am empirischen Materialismus übersieht aber, dass sich zahlreiche Abschnitte in der Deutschen
Ideologie dem exoterischen Diskurs nicht fügen. Wenn MARX und ENGELS schreiben: „Innerhalb der Teilung der
Arbeit müssen diese Verhältnisse gegenüber den Menschen sich verselbständigen. Alle Verhältnisse können in der
Sprache nur als Begriffe ausgedrückt werden. Daß diese Allgemeinheiten und Begriffe als mysteriöse Mächte gelten,
ist eine notwendige Folge der Verselbständigung der realen Verhältnisse, deren Ausdruck sie sind“ (3/347), stimmt
trotz der inhaltlichen Unzulänglichkeiten (so findet sich anstelle einer komplexen Theorie der gesellschaftlichen Ar-
beit nur die wenig aussagekräftige Formulierung „Teilung der Arbeit“) die Struktur der Argumentation mit der in der
erst später ausgearbeiteten Fetischtheorie überein.
41
Vgl. EWERS (1978, S. 201).
I. GRUNDZÜGE UND LEISTUNGEN DES FORMANALYTISCHEN THEORIETYPUS - 17 -

calvinistischen Monarchomachen und Leveller – intendiert auf der anderen Seite eine nicht-
naturalistische Begründung der ökonomischen Formen. Er versucht die Objektwelt der bürgerlichen
Gesellschaft – v.a. Geld und Staat – als Resultat einer Übereinkunft zu rekonstruieren, die Menschen
in einer als natürlich vorgestellten Ausgangssituation treffen würden. Die Rekonstruktion des sozialen
Gegenstandes wird im Kontraktualismus aber nicht über eine Analyse der handlungsstrukturierenden
sozialen Verhältnisse, sondern durch den Rekurs auf die anthropologisch verankerte Handlungsratio-
nalität der Individuen vorangetrieben. Da die bürgerliche Gesellschaftstheorie nicht über den Begriff
einer zwar sozialen, aber ‚naturwüchsig’ sich durchsetzenden Objektkonstitution verfügt, können die
Vertragstheorien einer Verdinglichung des Objekts nur um den Preis einer Verdinglichung des Sub-
jekts entgehen. Dies trifft nicht nur auf den Kontraktualismus zu. KITTSTEINER (1980) kann überzeu-
gend darlegen, dass die klassische deutsche Philosophie vor dem Problem steht, die Objektwelt auf
den Menschen und zugleich nicht auf den Menschen zurückzuführen. Versuchen die Philosophen der
klassischen deutschen Philosophie die historische Genese der Objektwelt der bürgerlichen Gesell-
schaft zu erklären (ein Gegenstandsbereich, der der Vertragstheorie als Naturzustandstheorie gar nicht
zugänglich sein kann), müssen sie – in Ermangelung einer Theorie gesellschaftlicher Arbeit, welche
die Surplus-Emergenz der sozialen Ordnung begründen kann – in Form einer geschichtsphilosophi-
schen Konstruktion auf eine zielgerichtete Idee zurückgreifen. Die Formgenese, die Geschichte des
objektivierten Sozialen, kann in der klassischen deutschen Philosophie nur durch die Annahme eines
durch die handelnden Menschen hindurch wirkenden, übergreifenden Subjekts verständlich gemacht
werden. Spätestens seit 1845 erkennt MARX in den Vorsehungskonzeptionen, die auf eine in der Ge-
schichte sich objektivierende metaphysische Subjektivität zurückgreifen, aber einen rationalen Kern:
die Fremdbestimmung in der spekulativen Formgenese – die ‚Naturabsicht’ bei KANT, der ‚Weltplan’
bei FICHTE, die ‚List der Vernunft’ bei HEGEL – interpretiert er als mystifiziertes Verständnis einer
realen, allerdings durch die Handlungen der Menschen selbst erzeugten Fremdbestimmung. Deshalb
ist „die demontierte Mystifikation aber auch nach jener Theorie [der MARXschen, S.E.] nicht nur I-
deologie. Ebenso ist sie das verzerrte Bewußtsein von der realen Vormacht des Ganzen“ (ADORNO,
1997a, S. 299). 42 Fetischistisches, vertragstheoretisches und geschichtsphilosophisches Denken haben
damit trotz ihrer erheblichen Unterschiede folgendes gemeinsam: Sie sind ihren Gegenstand verfeh-
lende Verarbeitungsformen einer durch bewusste Handlungen unbewusst formierten ‚fremden
Macht’.
Die Konstitution und projektive Verkennung der unkontrollierten „Bewegung von Sachen“ (23/89)
erklärte Marx durch eine Formtheorie der gesellschaftlichen Arbeit. Die erste Bestimmung dieser Form-
theorie lieferte die Warenanalyse, indem sie die Gleichsetzung der Arbeitsprodukte im Austausch zu
begründen suchte. Es stellte sich dabei heraus, dass die erzwungene Gleichheit nur in einer Gesell-
schaft erforderlich ist, die ihre Synthesis durch voneinander unabhängige Privatproduzenten organi-
siert. Die formgenetische Analyse ist mit der Charakterisierung der bürgerlichen Gesellschaft durch
den Gegensatz von privater und gesellschaftlicher Arbeit jedoch noch längst nicht an ihr Ende ge-
kommnen. Mit dem Übergang zum Kapital, der im nächsten Kapitel aus den Mängeln der einfachen
Warenzirkulation immanent entwickelt wird, gerät eine zweite Formbestimmung gesellschaftlicher
Arbeit in den Blick: das asymmetrische Verhältnis von Produktionsmittelbesitzern und Lohnarbei-
tern.

42
Besonders beeindruckend kommt der allegorische Kern der geschichtsphilosophischen Erfahrung bei Herder zum
Ausdruck: „Alles ist großes Schicksal! von Menschen unüberdacht, ungehoft, unbewürkt – siehst Du Ameise nicht,
daß Du auf dem großen Rade des Verhängnißes nur kriechst?“ (zit. nach Kitttsteiner, 1980, S. 11).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 18 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

II. Formanalytische Klassentheorie und empirische Sozialstrukturanalyse:


Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Bereits 1843 entwickelt MARX in Zur Judenfrage den Gedanken, dass die französischen Menschen-
rechtserklärungen eine theoretische Ausarbeitung der in der Zirkulation verwirklichten privatauto-
nomen Freiheit darstellen. 1 1867 nimmt er diese Idee im Kapital wieder auf, wenn er unter Anspie-
lung auf zeitgenössische Naturrechtslehren die Zirkulationssphäre ironisch als „ein wahres Eden der
angebornen Menschenrechte“ (23/189) bezeichnet. Hinter dieser Formulierung steckt mehr als nur
eine Kritik an der Naturalisierung zirkulationsbezogener Subjekteigenschaften im Menschenrechts-
diskurs und in der politischen Ökonomie. MARX erhebt darüber hinaus den Vorwurf, dass sie durch
eine isolierte Betrachtung des Zirkulationsprozesses ein Trugbild der bürgerlichen Gesellschaft zeich-
nen. Wie sieht dieses Trugbild, dieser Garten Eden nun genau aus?
Innerhalb der Zirkulation gelten dem Warenbesitzer alle anderen Repräsentanten von Waren nur als
bloße Mittel zur Befriedigung seiner egoistischen Bedürfnisse. 2 Die wechselseitige Instrumentalisie-
rung der als „personifizierte Kategorien, nicht individuell“ (23/177) gefassten Personen ist allerdings
begrenzt durch die uneingeschränkt geltenden Appropriationsnormen des Warentausches: Vorausge-
setzt ist die Abwesenheit von physischem Zwang und die Existenz von Handlungsalternativen (Frei-
heit) sowie der Austausch von Äquivalenten (Gleichheit). Ausgehend von den innerhalb der Zirkula-
tion verwirklichten Gesetzen der sekundären Aneignung scheint nun die außerhalb der Zirkulation
sich vollziehende, primäre Aneignung der Produkte auf eigener Arbeit zu beruhen. 3 Damit ist der fal-
sche Schein der Zirkulation komplettiert: Die Zirkulation reguliert lediglich den Stoffwechsel atomi-
sierter Einzelner, so dass die Existenz des Kapitals ihr prinzipiell äußerlich zu sein scheint, die bürger-
liche Gesellschaft ist die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit, und die ursprüngliche Aneig-
nung der Tauschgegenstände erfolgt durch eigene Arbeit in einem herrschaftsfreien Raum. Verfolgen
wir die Destruktion dieses gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs. 4

1
„Keines der sogenannten Menschenrechte geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen,
wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und Privatwillkür zurückge-
zogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist“ (1/366). Verglichen mit der späteren Ökonomiekri-
tik hat diese Argumentation deutliche Schwächen. MARX’ Kritik an der Deklaration der ‚droits de l’homme’ von
1793 beschränkt sich darauf, die dissoziativen Implikationen der zirkulationsbezogenen Freiheit, Gleichheit und Si-
cherheit nachzuweisen. Eine Einsicht in die wechselseitige Verschränkung von Freiheit und Unfreiheit sowie Gleich-
heit und Ungleichheit liegt hier noch nicht vor.
2
Vgl. UR/911f.
3
Vgl. UR/902-903. Dem widerspricht zwar selbst die oberflächlichste Betrachtung der kapitalistischen Wirklichkeit.
Da es sich bei der Aneignung durch eigene Arbeit aber um einen systematisch sich reproduzierenden Schein handelt,
wurde das Aneignungsgesetz von der klassischen politischen Ökonomie nicht einfach als falsch verworfen. Stattdes-
sen projezierte sie seine unverfälschte Geltung in die Vergangenheit. „So daß sich das sonderbare Resultat ergäbe, daß
die Wahrheit des Aneignungsgesetzes der bürgerlichen Gesellschaft in eine Zeit verlegt werden müßte, worin diese Gesell-
schaft selbst noch nicht existierte, und das Grundgesetz des Eigentums in die Zeit der Eigentumslosigkeit“ (UR/904).
Damit ist auch gezeigt, dass der Ahistorismus – wie das gesamte theoretische Feld der klassischen politischen Öko-
nomie – sich nicht in einen beliebigen Diskurs auflösen lässt, sondern aus einer historisch spezifischen Gesellschafts-
struktur entspringt.
4
Für den Nachvollzug der Verwandlung von Geld in Kapital werden v.a. die Grundrisse und das Fragment des Urtex-
tes von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ herangezogen, da MARX nur in diesen beiden Schriften die Kapitalform
aus dem Mangel der einfachen Warenzirkulation entwickelt – und damit auch wissenschaftlich begründet. Im Kapital
suspendierte MARX hingegen die dialektische Darstellung im Rahmen seiner Popularisierungsversuche zugunsten
einer äußerlichen Aufnahme des Kapitalbegriffs aus der Empirie. Siehe hierzu HEINRICH (1999, S. 253-257).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 19 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Das Geld fungierte bis zu diesem Zeitpunkt als Maß der Werte und Zirkulationsmittel. Da im Zir-
kulationsprozess W-G-W das Geld lediglich als Mittler zwischen die Waren trat, blieb der Austausch
von Gebrauchswerten das treibende Motiv. 5 Durch die Trennung des Warentausches in die beiden
Teilmetamorphosen Ware-Geld und Geld-Ware ist nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die
Notwendigkeit gegeben, dass der Warenbesitzer das Geld als die allgemeine Form des gesellschaftli-
chen Reichtums festhält:

„Mit mehr entwickelter Warenproduktion muß jeder Warenproduzent sich den rervus rerum, das „gesellschaftli-
che Faustpfand“ sichern. Seine Bedürfnisse erneuern sich unaufhörlich und gebieten unaufhörlichen Kauf frem-
der Ware, während Produktion und Verkauf seiner eigenen Ware Zeit kosten und von Zufällen abhängen“
(23/145) .

Dadurch, dass der Warenbesitzer verkauft, ohne anschließend zu kaufen (Schatzbildung), verändert
sich auch der Status des Geldes: Das Geld fungiert nicht mehr als Mittler in einem Prozess, dessen
Zweck die Aneignung von nützlichen Produkten ist, das Geld selbst wird zum zentralen Zweck des –
prinzipiell endlosen 6 – Prozesses. Der Wert streift in seiner gegenständlichen Erscheinungsform damit
seine bloß vermittelte und verschwindende Existenz ab und gewinnt außerhalb der Zirkulation ein
selbständiges und unvergängliches Dasein.
Bei näherer Betrachtung erweist sich die Selbstständigkeit und Unvergänglichkeit des Werts auf der
Ebene der einfachen Zirkulation aber nur als Illusion. Versucht der Schatzbildner das Geld der Zirku-
lation dauerhaft zu entziehen, akkumuliert er nicht die allgemeine Form des gesellschaftlichen Reich-
tums, sondern einen bloßen Gegenstand: „Solange es der Zirkulation entzogen bleibt, ist es ebenso
wertlos, als läge es im tiefsten Bergschacht vergraben“ (UR/929). Die dauerhafte Fixierung außerhalb
der Zirkulation führt so unweigerlich zum Verlust des Werts. Umgekehrt scheint auch der Kontakt
des Geldes mit der Zirkulation keine Möglichkeit zu bieten, den Wert vor seiner Entwertung zu be-
wahren. Hier tauscht er sich lediglich gegen Gebrauchsgegenstände, deren Konsumtion gleichsam den
Verlust des Werts zur Folge hat. Der Mangel der einfachen Zirkulation besteht demnach darin, dass
der Wert nur zeitlich begrenzt und damit nur scheinbar eine selbständige und unvergängliche Exis-
tenz erlangen kann. Zur Beseitigung des Mangels müsste der Verbrauch des Gebrauchswerts mit der
Produktion des Werts zusammenfallen, 7 was einer Verwandlung der Form Ware-Geld-Ware (W-G-
W) in Geld-Ware-Geld (G–W–G) entspricht. Die einzige Ware, die die Forderung der „produkti-
ve[n] Konsumtion“ (UR/932) erfüllt, ist die Arbeitskraft:

„Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb
der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche
Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung
von Arbeit wäre. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor – das Arbeitsver-
mögen oder die Arbeitskraft“ (23/181).

Die Überwindung der negativen Spannung des Geldes gegenüber der Zirkulation durch Ankauf und
Anwendung der Ware Arbeitskraft ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Während die Erfüllung dieser Bedingungen ursprünglich kontingente oder externe historische Prozes-
se voraussetze – MARX zeichnet sie detailliert in dem 24. Kapitel Die sogenannte ursprüngliche Akku-

5
Vgl. u.a. UR/925.
6
Vgl. UR/936.
7
Vgl. UR/937.4.
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 20 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

mulation nach –, reproduziert die einmal etablierte kapitalistische Produktionsweise ihre Existenzbe-
dingungen als eigenes Resultat. Im Kapital nennt Marx drei dieser Voraussetzungen:

(1) Juridische Freiheit: Der Arbeiter darf nicht – wie in der Sklaverei oder im Feudalismus – persön-
lichen Abhängigkeitsverhältnissen unterliegen, sondern muss sich als rechtlich freie Person zu
seinem Arbeitsvermögen als einer ihm gehörenden Ware verhalten können. 8
(2) Faktische Unfreiheit/Ungleichheit: Damit der Arbeiter gezwungen ist, seine Arbeitskraft auf dem
Arbeitsmarkt anzubieten, darf er nicht über die Verwirklichungsbedingungen seines Arbeitsver-
mögens verfügen. Die „intertemporale Existenz des Werts“ (HEINRICH, 1999, S. 255) setzt die
Trennung in Besitzer und Nicht-Besitzer von Produktionsmitteln voraus. 9
(3) Konformität: Die bloße Existenz einer Klasse doppelt freier Lohnarbeiter garantiert noch nicht
die Etablierung oder Fortführung der kapitalistischen Produktion. Dafür bedarf es neben der
Anerkennung der Legitimität der bestehenden Sozialverhältnisse einer den Arbeitsanforderungen
entsprechenden (Selbst-)Disziplinierung. 10

Bisher wurde eine entscheidende Differenz der Kritik der politischen Ökonomie zu den ökonomischen
Systemen der Klassik und Neoklassik nicht explizit angesprochen: Der Geldbesitzer kauft nicht den
Produktionsfaktor Arbeit, sondern die Arbeitskraft, nicht die tatsächlich geleistete Arbeit, sondern die
physische und psychische Fähigkeit zu arbeiten. Während Klassik und Neoklassik im Rahmen ihrer
Produktionsfaktorentheorie von einer gerechten Entlohnung des Faktors Arbeit ausgehen und damit
dem falschen Schein der bürgerlichen Gesellschaft aufsitzen, gelingt MARX durch die Unterscheidung
zwischen wirklich geleisteter Arbeit und Arbeitskraft der Vorstoß zur grundlegenden Struktur und
inneren Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise. Der Geldbesitzer erwirbt zweckgebunden
und zeitlich befristet das Nutzungsrecht eines mit der personalen Integrität des Lohnarbeiters un-
trennbar verbundenen Vermögens, das sich auf der einen Seite dadurch von anderen Waren unter-
scheidet, dass es aufgrund seiner lebensweltlichen Verankerung nicht rein kapitalistisch produziert
wird, auf der anderen Seite aber die beiden Eigenschaften besitzt, die ein Arbeitsprodukt als Ware
charakterisieren: Wert und Gebrauchwert. Der Wert der Arbeitskraft wird durch den Wert der Le-
bensmittel bestimmt, die für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendig sind. 11 Der Gebrauchswert
der Ware Arbeitskraft besteht in ihrer Eigenschaft, mehr Wert zu produzieren, als sie selbst besitzt. 12

8
Vgl. 23/182.
9
Vgl. 23/183. Die Monopolisierung der Arbeitsmittel ist der Warenproduktion aber nicht akzidentiell, sondern die
Grundlage ihrer Universalisierung. Gegen die auf einfacher Warenproduktion basierende Sozialutopie von PIERRE J.
PROUDHON wendet MARX daher ein: „Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Warenproduktion sich der
gesamten Gesellschaft auf [...]. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit die Warenproduktion fälscht, heißt
sagen, daß die Warenproduktion, will sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf“ (23/613). Eine ausführli-
che Kritik von Sozialutopien, die den wirklichen Kapitalismus entsprechend der ihm entlehnten Ideale modifizieren
wollen, liefert RAKOWITZ (2000).
10
Siehe 23/765.
11
Dabei bildet nicht das zum Überleben notwendige Minimum an Lebensmitteln den Warenkorb, der den Wert der
Arbeitskraft bestimmt, vielmehr ist „der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse [...] von der Kulturstufe eines Landes“
abhängig. (23/185). „Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein his-
torisches und moralisches Element“ (ebd.).
12
Die Formulierung ‚Produktion des Werts’ ist missverständlich, da sie eine substanzialistische Auffassung des Werts
nahe legt. Sie besitzt ihre Berechtigung nur unter der Voraussetzung, dass die Waren sich auf dem Markt als Teil der
gesellschaftlichen Gesamtarbeit bewähren. Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel I.
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 21 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Der Verbrauch oder die Anwendung des Arbeitsvermögens erschöpft sich daher nicht, wie die Formel
G-W-G nahe legt, in der bloßen Reproduktion des in Arbeitskraft vorgeschossenen Werts. Der mit
der Konsumtion des Arbeitsvermögens zusammenfallende Produktionsprozess der Waren vergrößert
den Wert, so dass die Formel G-W-G durch G-W-G’ oder G-W <Produktionsprozess> W’-G’ präzi-
siert werden muss. Da Ausgangspunkt und Resultat des Verwertungsprozesses sich nur quantitativ
unterscheiden, qualitativ aber identisch sind (Geld), muss der Neuwert die gleichen Anforderungen
erfüllen wie der ursprüngliche Wert: Er darf weder außerhalb der Zirkulation festgehalten, noch in-
nerhalb der Zirkulation gegen einen Gebrauchswert ausgetauscht werden, dessen Verbrauch den Wert
vernichtet. Auch für den Neuwert gilt: „Sein Eingehn in die Zirkulation muss selbst ein Moment sei-
nes Beisichbleibens, und sein Beisichbleiben ein Eingehn in die Zirkulation sein“ (UR/931). Mit an-
deren Worten: Der aus dem Produktionsprozess resultierende Neuwert muss den Ausgangspunkt ei-
nes neuen Produktionsprozesses bilden.
Der Wertbegriff hat damit einen entscheidenden Bedeutungswandel erfahren. Der Wert erschien
ursprünglich als Eigenschaft der Waren, die in Form des Geldes zwar unmittelbare Gestalt annahm,
aber selbst in der Schatzbildung über ihr vermitteltes und verschwindendes Dasein nicht hinauskam.
In der auf erweiteter Stufenleiter (Akkumulation) sich stets wiederholenden Kreislaufform G-W
<Produktionsprozess> W’-G’ streift der Wert seine Unselbstständigkeit und Vergänglichkeit ab, er
wechselt permanent zwischen seinen Erscheinungsformen Ware und Geld, um sich kontinuierlich
vermehren zu können. Der so als selbstzweckhafter Prozess bestimmte Wert ist Kapital. 13
Mit der begrifflichen Entwicklung der ökonomischen Kategorien verändern sich auch ihre Personi-
fikationen: Der Privatproduzent, der den von ihm geschaffenen Wert außerhalb der Zirkulation fest-
zuhalten suchte, vergrößert seinen Besitz nicht mehr durch eigene Arbeit und Verzicht, er eignet sich
nun durch Ankauf und Konsumtion der Ware Arbeitskraft fremde unbezahlte Arbeit an. Indem der
Geldbesitzer den vom Arbeiter geschaffenen Mehrwert nicht vollständig konsumiert, sondern erneut
in Arbeitskraft und Produktionsmittel investiert, wird der schatzbildende Privatproduzent zum Pri-
vatkapitalisten, „personifiziertes, mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital“ (23/168). Die vom
Privatkapitalisten zur Erweiterung des Produktionsprozesses durchgeführte Investition des Mehrwerts
in zusätzliches variables Kapital entspricht dabei ebenso den Gesetzen des Äquivalententausches, wie
der zuvor erfolgte Ankauf der Arbeitskraft, deren Anwendung die zu kapitalisierende Mehrwertmasse
erst produzierte: Der Mehrwert ist als Resultat der „produktive[n] Konsumtion“ (UR/932) der zu
ihrem vollen Wert gekauften Ware Arbeitskraft das rechtmäßig erworbene Eigentum des Kapitalisten,
mit dem er wiederum den vollen Wert der zusätzlichen Arbeitskraft bezahlt. Nach MARX beruht der
Akkumulationsprozess des Kapitals daher nicht auf einer systematischen, durch Machtasymmetrien
stabilisierten Verletzung des Äquivalenzprinzips (‚ungerechter Tausch’), er vollzieht sich über dessen
Entsprechung. Und dennoch: Mit einem Wechsel der Betrachtungsperspektive – vom zeitlich und
räumlich isolierten Austausch zwischen Privatkapitalist und einzelnem Lohnarbeiter hin zur gesamtge-
sellschaftlichen Akkumulationsdynamik – erweist sich der in der Zirkulation verwirklichte Äquivalen-
tentausch als lediglich formelle Bestimmung, die den sozialen Inhalt der Transaktion verbirgt:

„Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß an-
gehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und
Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten
fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent aneignet, stets wieder gegen größeres Quantum leben-
diger fremder Arbeit umsetzt“ (23/609).

13
Vgl. BRENTEL (1990). Der Autor gibt zudem einen kurzen, aber informativen Überblick über die Kapitaltheorien
des Physiokratismus, der Klassik, Neoklassik und des Neoricardianismus.
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 22 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Berücksichtigt man von einem gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus die Akkumulation in der
Zeit, erweist sich die im Zirkulationsprozess generierte Vorstellung von Eigentum als Resultat eigener
Arbeit endgültig als „reine Fiktion“ (26.3/127). Dem sozialen Inhalt nach ist der Äquivalententausch
im Ankauf der Arbeitskraft durchbrochen, weil der (gesellschaftliche Gesamt-)Arbeiter für den (gesell-
schaftlichen Gesamt-)Kapitalisten nicht nur einen größeren Wert produziert, als er im Austausch für
seine Arbeitskraft erhält. Der von den Kapitalisten in Arbeitskraft investierte Kapitalteil ist darüber
hinaus nicht Resultat ihrer eigenen Arbeit, sondern in vorherigen Produktionszyklen von den Lohn-
arbeitern selbst geschaffen worden. Trifft in der durch Autonomie und Gleichheit gekennzeichneten
Zirkulation der doppelt freie Lohnarbeiter auf den Kapitalisten, ist es faktisch das Resultat seiner ei-
genen Arbeit, das ihm als eine fremde Macht gegenübertritt. Die Zirkulation realisiert so durch die
unbedingte Geltung des Appropriationsgesetzes des Warentausches eine auf Unfreiheit, Ungleichheit
und Ausbeutung gegründete menschliche Beziehung 14 , die weder aus der Persönlichkeitsstruktur der
Ausbeuter, noch aus der Unterordnung eines Willens unter einen anderen heraus erklärbar ist. Die in
dieser subjektlosen und selbstreproduktiven Form der Herrschaft nicht nur nominalistisch, sondern
real zu Gruppen zusammengefassten „Personifikation[en] ökonomischer Kategorien“ (23/16) bilden
in der MARXschen Formanalyse die Klassen 15 :

„Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert


also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der ei-
nen Seite den Kapitalisten, auf der anderen den Lohnarbeiter“ (23/604). 16

Mit dem Nachvollzug des kategorialen Übergangs vom Geld zum Kapital wurden zwei Ziele ver-
folgt: Erstens sollte die Divergenz zwischen dem Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft, dem
eine unzulässige Projektion zirkulationsspezifischer Subjektivitätsformen (Freiheit, Gleichheit) auf die
Gesamtgesellschaft zugrunde liegt, und ihrer tatsächlichen Grundprinzipien aufgezeigt werden. Die
kapitalistische Produktionsweise beruht nicht nur auf der systematischen Dissoziation der in der Zir-
kulation als freie und gleichberechtigte Ver-/Käufer aufeinander treffenden Privatproduzenten. Das zu
Rollen oder „Charaktermasken“ (23/100) gebundene Verhaltensrepertoire der Zirkulationsagenten
basiert mit der Monopolisierung der Arbeitsmittel und der daran anschließenden Aneignung fremder
(Mehr-)Arbeit auf einem überzufälligen, rekurrenten Komplex der sozialen Ungleichheit, Unfreiheit
und Ausbeutung. 17 Zweitens sollte mit der Nachzeichnung des thematischen Rahmens die Differenz

14
Die wechselseitige Implikation direkt entgegengesetzter Bestimmungen arbeitet MARX schon in den Grundrissen
sehr deutlich heraus: „Das Tauschwertsystem und mehr das Geldsystem sind in der Tat das System der Freiheit und
Gleichheit. Die Widersprüche aber, die bei tieferer Entwicklung erscheinen, sind immanente Widersprüche, Ver-
wicklungen dieses Eigentums, Freiheit und Gleichheit selbst“ (UR/916).
15
HERKOMMER (1996) kommt diesem Verständnis am nächsten.
16
MARX bezeichnet diesen Prozess, in dem der Kapitalismus mit seinen Resultaten seine eigenen Voraussetzungen
hervorbringt, auch als „kontemporäre Geschichte“ (GR/363). Hiervon grenzt er mit der „Geschichte seines Entste-
hens“ (ebd.) die historischen Entwicklungen ab, auf deren Basis sich eine universalisierte Warenproduktion als
selbstreferentielles System erst etablieren konnte.
17
Die Dialektik von Un-/Freiheit und Un-/Gleichheit wird aber nicht nur von Theoretikern verfehlt, die die Be-
stimmungen der einfachen Zirkulation affirmativ gegen ihre eigenen „Verwicklungen“ wenden, sondern mitunter
auch von Marxisten, die eine grundlegende Kritik des Kapitalismus zu leisten beansprucht. Gegen die traditionsmar-
xistische Fixierung auf den Klassenkampf gerichtet, schreiben z.B. KURZ/LOHOFF (1989), dass „der letzte Grund der
Gesellschaft“ nicht die Klasse, sondern die Ware sei. Die Klassen sollen nur „sekundäre, abgeleitete Kategorie[n]“
(ebd.) sein. Den Autoren dient der Zeitpunkt der Einführung des Klassenbegriffs im Kapital anscheinend als Kriteri-
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 23 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

zwischen den beiden von MARX verwendeten Klassenbegriffen demonstriert werden. Der Klassenbeg-
riff der Kritik der politischen Ökonomie bezeichnet keine konkreten Stände, Schichten oder Milieus zu
einem bestimmten Zeitpunkt in einem geographisch eingrenzbaren Gebiet. 18 Der formanalytische
Klassenbegriff ist Teil eines Forschungsprogramms, das ausschließlich die grundlegenden Strukturen
des Kapitalismus zu dechiffrieren beansprucht. Da der Klassenbegriff dazu beiträgt, die „kapitalisti-
sche Produktionsweise [...] in ihrem idealen Durchschnitt darzustellen“ (25/839), d.h. ein notwendi-
ges Element in der Analyse und Begründung der Formen darstellt, die den Kapitalismus zum Kapita-
lismus machen, kann er als formanalytischer oder sozialformationsanalytischer von einem empirisch-
soziologischen Klassenbegriff analytisch (!) unterschieden werden. Zusammengefasst stehen die beiden
Klassenbegriffe zueinander in folgendem Verhältnis:

Erstens divergieren sie im Forschungsprogramm. Erfasst die empirische Sozialstrukturforschung a-


symmetrische Reichtumsverteilungen, holt die Theorie der bürgerlichen Gesellschaft auch die Genesis
von Reichtumsformen reflexiv ein.
Zweitens weisen sie unterschiedliche Abstraktionsgrade auf. Während die empirische Sozialstruktur-
analyse mit ihrem Klassenbegriff räumlich und zeitlich eingegrenzte Merkmalsträger zu Gruppen zu-
sammenfasst 19 , muss der in die Analyse des sozialformationsspezifischen ‚frame work’ eingebundene
Klassenbegriff zwangsläufig auf einer sehr hohen Abstraktionsstufe verbleiben.
Drittens ergibt sich eine Gemeinsamkeit beim Abstraktionsstatus: Der Klassenbegriff geht sowohl in
seiner empirischen, als auch in seiner formanalytischen Variante nicht in einen bloß nominalistisch
gebildeten Gattungsbegriff auf, da die klassenbildende gedankliche Abstraktion mit dem verselbst-
ständigten gesellschaftlichen Prozess ein fundamentum in re besitzt. Es ist eben „die Zwickmühle des
Prozesses [und nicht nur die des klassifizierenden Analytikers, S.E.] selbst, die den einen stets als Ver-
käufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eigenes Produkt stets in das
Kaufmittel des anderen verwandelt“ (23/603). An einer „in der Sache liegende[n] Objektivität des

um zur Beurteilung seiner Relevanz. Damit verfehlen sie aber den Begründungscharakter der dialektischen Darstel-
lung. Die ökonomisch-soziale Form Ware wird zwar zunächst vor und unabhängig von den Objekten Geld und Ka-
pital untersucht. Mit der Darstellung des notwendigen Zusammenhangs von Ware, Geld und Kapital erweist sich die
Ware, mit der die Untersuchung als Voraussetzung begann, aber als vom Kapital gesetztes Resultat. Liegt im Kapital
aber ein „Zirkellauf“ (RES/91) der Darstellung vor, der die Voraussetzung als Resultat und das Resultat als Voraus-
setzung ausweist, dann kann das mit dem Klassenbegriff erfasste soziale Verhältnis kein Phänomen minderer Priorität
sein. Der kritische Rückgang in die zu Beginn der Untersuchung nicht thematisierten Voraussetzungen soll gerade
zeigen, dass für die Universalisierung der Warenproduktion die Existenz der Klassen ebenso notwendig ist wie die
Existenz voneinander unabhängiger Privatproduzenten. Indem KURZ/LOHOFF (1989) und SCHANDL (1997) über-
sehen, „daß schon in der einfachen Bestimmung des Tauschwerts und des Geldes der Gegensatz von Arbeitslohn und
Kapital etc. latent enthalten ist“ (GR/159), wiederholen sie den Fehler des Traditionsmarxismus in entgegengesetzter
Form: Verstand dieser die Thematisierung von Ware und Geld nur als Hinführung zur Klassen- und Mehrwerttheo-
rie als der eigentlichen Kritik, gilt ihnen die Existenz von Klassen nur als Epiphänomen eines Skandals, den sie in den
ersten drei Kapiteln behandelt sehen.
18
Vgl. BISCHOFF [u.a.] (2002, S. 33-38). Er fungiert auch nicht als statistische Untersuchungsvariable, die das soziale
Ungleichheitsgefüge messen soll.
19
Dabei ist die Weite der geographischen und zeitlichen Eingrenzung nicht relevant. Bei einer stadtsoziologischen
Untersuchung über das New York im Jahr 2005 handelt es sich ebenso um eine empirische Sozialstrukturanalyse wie
bei E. P. THOMPSONS (1987) und VESTERS (1972) Untersuchungen über die Entstehungsgeschichte der englischen
Arbeiterklasse. Entscheidend für die Kennzeichnung einer Sozialstrukturanalyse als empirische ist demnach nicht die
Größe des Raum- und Zeitfensters, sondern die Tatsache, dass die Analyse mit empirischen Daten Raum- und Zeit-
fenster öffnet.
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 24 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Begriffs“ (ADORNO, 1993, S. 59) halten auch viele empirische Klassenanalysen fest, 20 wenn sie ihre
Klassifikationen nicht als beliebige Konstruktionen, sondern als gedankliche Aneignung einer durch
den verselbstständigten gesellschaftlichen Prozess reproduzierten vertikalen Ungleichheitsstruktur be-
greifen. Die vom Postmodernismus inspirierte, weitgehend sozialnominalistisch verfahrende und kul-
tursoziologisch verkürzte Lebensstilforschung, die mit ihren phänomenlogisch orientierten Untersu-
chungen 21 wichtige Ergebnisse erzielen mag, läuft aufgrund ihres positivistisch konzentrierten Blicks
aufs Partikulare und Irreduzible hingegen stets Gefahr, die Schwelle zur ideologischen Verklärung
einer naturwüchsig sich regulierenden Ungleichheitsstruktur zu überschreiten. Die Darstellung dieser
Struktur beinhaltet zwar immer ein konstruktives Element, da Klassifikationen nicht als Klassifikatio-
nen existieren. 22 Sie ist „in fact ein Produkt des Denkens, des Begreifens“ (GR/22). Der mit der em-
piristischen Philosophie DAVID HUMEs ansetzende radikale Nominalismus der späten Neuzeit, dessen
Wurzeln vom frühmittelalterlichen Universalienstreit bis in die Anfänge der antiken Metaphysik zu-
rückreichen 23 , zog daraus die fatale Konsequenz, dass der Vorstellung eines inneren Zusammenhangs,
einer „Gliederung innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft“ (GR/28), lediglich der Status
einer gewohnheitsmäßigen Synthesis/Assoziation zukomme, als Resultat subjektiver Willkür aber jeg-
licher objektiven Grundlage ermangele. 24 Dass diese gegen die „Einheitswünsche“ der Theoretiker
gerichtete Kaprizierung auf das affirmativ besetzte Partikulare 25 die eigentümliche Logik des Untersu-
chungsgegenstandes nicht mehr zu fassen vermag, lässt bereits GOETHE Mephistopheles im Faust be-
merken:

„Wer will was lebendiges erkennen und beschreiben,


Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band“ (Goethe, 1979, S. 58).

Nach HEGEL setzt die Identifikation des „geistige[n] Band[s]“, des inneren Zusammenhangs der
Wirklichkeit, die Überwindung der klassischen Entgegensetzung von einer sinnlichen Wirklichkeit,
die nur aus dem unaussprechbaren Einzelnen besteht, und dem Denken als dem Medium des Allge-
meinen voraus. Denn die Tatsache, dass das subjektive Bewusstsein immer mit Allgemeinbegriffen
operiert, wenn es Einzelnes zu benennen beabsichtigt, verweise darauf, dass die Wirklichkeit selbst
begrifflich strukturiert sei. 26 MARX folgte HEGEL in dem Bestreben, den klassischen Topos ‚Den-
ken/Allgemeinheit vs. Sinnlichkeit/Einzelheit’ zu überwinden – allerdings ohne den der HEGELschen
Restitution des Begriffsrealismus zugrundeliegenden subjektivitätsontologischen Monismus zu über-
nehmen. 27 Bereits 1843 bricht er in dem Manuskript Kritik des Hegelschen Staatsrechts mit HEGELs
logischem Vermittlungskonzept – der „absolute[n] Vermittlung als Wiederherstellung der Unmittel-

20
U.a. GEIßLER (1996) und KRECKEL (1998).
21
Zu den bekanntesten gehört SCHULZE (2000).
22
Vgl. die Kritik am „Realismus des Intelligiblen“ von BOURDIEU (1985, S. 12).
23
Hervorragend nachgezeichnet bei HAAG (1983, S. 15-54).
24
Von BOURDIEU (1985, S. 12) wird dies kritisiert als „nominalistischer Relativismus“. HAAG bemerkt zutreffend,
dass dieser nur selten in Reinform durchgehalten wurde: „Das nominalistische Denken lebt von einer Inkonsequenz.
Es hatte die metaphysischen Wesenheiten der via antiqua aus den Dingen verbannt, sie zu signa rerum herabgesetzt,
aber aus seiner Verflüchtigung der essentiae rerum nicht die nihilistischen Konsequenzen gezogen. Die entsubstantia-
lisierten Einzeldinge sollten an sich bestimmte Entitäten bleiben“ (HAAG, 1983, S. 56).
25
Vgl. WELSCH (1993, S. 33).
26
Vgl. KRATZ (1979, S. 358, Fn. 79), TAYLOR (1978, S. 388ff).
27
Siehe HORSTMANN (1990), HAAG (1967).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 25 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

barkeit im Absoluten“ (ARNDT, 1993, S. 278) –, weil es eine unkritische Aufnahme empirischer Phä-
nomene mit einer verselbstständigten Spekulation verbinde:

„Es wird also die empirische Wirklichkeit aufgenommen, wie sie ist; sie wird auch als vernünftig ausgesprochen,
aber sie ist nicht vernünftig wegen ihrer eigenen Vernunft, sondern weil die empirische Tatsache in ihrer empiri-
schen Existenz eine andre Bedeutung hat als sie selbst“ (1/207).
„Es sind immer dieselben Kategorien [der Wissenschaft der Logik, S.E.], die bald die Seele für diese, bald für jene
Sphäre [der Endlichkeit, S.E.] hergeben. Es kommt [bei Hegel, S.E.] nur darauf an, für die einzelnen konkreten
Bestimmungen die entsprechenden abstrakten herauszufinden“ (1/208f).

MARX kritisiert HEGEL an diesen Stellen nicht von einem radikalempiristischen Standpunkt aus für
die Verortung von Allgemeinem innerhalb der Wirklichkeit. 28 Im Mittelpunkt der frühen Hegelkritik
steht mit der Übertragung der in der Wissenschaft der Logik entwickelten Kategorien auf die unkritisch
aufgenommenen Sphären der Endlichkeit – Natur, Familie, bürgerliche Gesellschaft – vielmehr HE-
GELs spekulative Auffassung und Verwendung von Abstraktionen: Dadurch, dass sie in dessen logi-
schem Vermittlungskonzept die Reproduktion der Unmittelbarkeit in der die Widersprüche zu blo-
ßem Schein herabsetzenden Idee gewährleisten, verfehlen sie die Bereiche der Wirklichkeit in ihrer je
„eigentümlichen Bedeutung“ (1/296), in ihrer je besonderen Widerspruchsstruktur. 29 Der von MARX
erhobene Vorwurf, dass HEGEL nicht der „eigentümliche[n] Logik des eigentümlichen Gegenstandes“
(ebd.) nachgehe, sondern auf die erscheinende Wirklichkeit lediglich „die logischen Bestimmungen
des Begriffs“ (ebd.) appliziere, zielt auf das Komplementärverhältnis von verselbständigter Spekulation
und unkritischem Empirismus: Indem HEGEL die „Logik der Sache“ der „Sache der Logik“ (1/216)
opfere, bewege er sich im Horizont der von ihm in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
im Grundrisse 30 selbst kritisierten ‚äußeren Reflexion’ des klassischen Empirismus – der vermittlungs-
losen Reduktion sinnlicher Daten auf einen deren Einheit repräsentierenden Allgemeinbegriff. 31 He-
gel nehme

„unkritischerweise eine empirische Existenz als die wirkliche Wahrheit der Idee [...]; denn es handelt sich nicht
davon, die empirische Existenz zu ihrer Wahrheit, sondern die Wahrheit zu einer empirischen Existenz zu brin-
gen, und da wird denn die zunächstliegende als ein reales Moment der Idee entwickelt. (Über dieses notwendige
Umschlagen von Empirie in Spekulation und Spekulation in Empirie später mehr)“ (1/240, letzte Herv. von
mir).

MARX hält HEGEL demnach keine andere Unmittelbarkeit entgegen. Er greift ihn an für den – der
spekulativen Grundfigur geschuldeten – Mangel an theoretischer Vermittlung, die den inneren, empi-
risch nicht sichtbaren Zusammenhang der erscheinenden Wirklichkeit erst zur Darstellung bringt. 32

28
Dies unterstellt HEINRICH (1999, S. 93-97), der ALTHUSSERs Einteilung in Früh- und Hauptwerk weitgehend
kritiklos folgt. ALTHUSSERs These vom ‚epistemologischen Bruch’, der 1845 mit der Deutschen Ideologie erfolgt sein
soll, macht zwar auf eine wichtige Entwicklungsetappe bei MARX aufmerksam (Bruch mit dem junghegelianischen
Diskurs), in ihrer radikalen Form simplifiziert sie aber das Problem von Kontinuität und Diskontinuität im MARX-
schen Werk.
29
Vgl. ARNDT (1993, S. 278-282). Weiterführende Fragen zum Widerspruchsbegriff in der Kritik des Hegelschen
Staatsrechts (Stellt der nicht-vermittelbare Widerspruch zweier unterschiedlicher Wesen ein Reflexionsverhältnis dar?
Wie unterscheidet sich MARX’ frühe Konzeption „wirklicher Gegensätze“ (1/293) vom Widerspruchsbegriff im Kapi-
tal?) können hier aus Gründen der Systematik nicht erörtert werden. Siehe hierzu WOLF (2002, S. 360-433).
30
Genauer: Im Kapitel Zweite Stellung des Gedankens zur Objectivität (Hegel, 1999c, S. 75-99).
31
Vgl. ARNDT (1985, S. 31).
32
Vgl. ARNDT (1993, S. 278).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 26 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Diese Entwicklungslinie im MARXSCHEN Denken, die 1844 in den Pariser Manuskripten von Feuer-
bachs Wesens-/Entfremdungsphilosophie – und damit von einem anderen Konzept von Unmittelbar-
keit – massiv überlagert wird, mündet 1845 mit der Deutschen Ideologie schließlich in der Formulie-
rung einer wissenschaftlichen Programmatik, deren konsequente Durchführung in der Kritik der poli-
tischen Ökonomie Allgemeines auch innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit situiert. Hintergrund
ist die Einsicht, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht in einer Agglomeration von Individuen auf-
geht, sondern vielmehr aus komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen besteht, die in historisch-
spezifischen Praxisformen begründet sind. 33 Diese nicht unmittelbar wahrnehmbaren, nur in ihren
sachlichen Objektivationen (Ware, Geld etc.) fassbaren und verselbstständigten Beziehungen zwischen
den Menschen (KRATZ bezeichnet sie treffend als „reale Allgemeinheiten“) versuchen Form- und So-
zialstrukturanalyse in ihrem inneren Zusammenhang darzustellen – und dafür bedarf es des Klassen-
begriffs. Dieser entgeht als „Ausdruck der Sache in ihrer Bearbeitung durch Denken“ (HAAG, 1967,
S. 5) den Fallstricken der beiden erkenntnistheoretischen Extreme – des abbildtheoretischen Realis-
mus auf der einen, des reinen Subjektivismus auf der anderen Seite 34 – gleichermaßen 35 . Präziser:
Beide Forschungsprogramme erheben mit ihrem Klassenbegriff einen Wahrheitsanspruch im Sinne
einer adaequatio intellectus et rei (korrespondenz- oder referenztheoretischer Wahrheitsbegriff). 36 Als
selbstreflexive Wissensformationen können sie die unterstellte Deckung von Begriffs- und Tatsachen-
ebene aber aus mehreren Gründen nicht uneingeschränkt aufrechterhalten: Sie müssen sich nämlich
nicht nur angesichts der geschichtlichen Dimension der Erkenntnisobjekte und des begrenzten Stan-
des der Forschungsmethoden ihrer Relativität bewusst sein. 37 Darüber hinaus haben sie die linguisti-
sche Perspektive in ihr Selbstverständnis zu integrieren, nach der der Erkenntnisprozess nicht als blo-
ße Übersetzung eines rein introspektiven, sprachlich unvermittelten Zugriffs auf die äußere Realität
begriffen werden kann, sondern immer schon durch eine vorgegebene Kommunikationsgemeinschaft
präformiert ist. Mit anderen Worten: Das Erkennen ist untrennbar mit den in der jeweiligen Sprache
aufgehobenen Bedeutungsgehalten verwoben; es ist begrifflicher Natur. 38 Beide Sichtweisen auf die

33
Vgl. KRATZ (1979, S. 260).
34
Die Auseinandersetzung von LENIN (1970) mit ERNST MACH in Materialismus und Empiriokritizismus verläuft
genau entlang dieser falschen Extreme: Der einseitigen Negation einer in sich strukturierten Realität zugunsten eines
die chaotischen Sinneindrücke nach tradierten Regeln ordnenden Bewusstseins (radikalisiert im dezisionistischen
Neopositivismus des Wiener Kreises) wird geantwortet mit der ebenso kompromisslosen Tilgung der konstitutiven
Rolle des Subjekts im Erkenntnisprozess.
35
IMMANUEL KANT, der in der transzendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft noch zu Recht von einer un-
aufhebbaren Spannung zwischen dem Ansichsein der Dinge und den Erscheinungen ausging (die ‚Noumena’ affizie-
ren die ‚Phaenomena’, ohne dass die Gegenstände und deren inhaltliche Aneignung je zur Deckung kämen), bietet
für diese doppelte Frontstellung nur bedingt eine erkenntnistheoretische Grundlage. Denn in der Kritik der reinen
Vernunft wird der gesetzesmäßige Zusammenhang des Intelligiblen letztendlich nicht als Grundlage eines gesetzes-
mäßigen Zusammenhangs der Phänomene ausgewiesen. Stattdessen ist es die transzendentale Einheit der Apperzep-
tion (der reine Verstand als höchste Form der Synthesis), die den Ursprung der reinen Verstandesbegriffe und damit
die allgemeine wie notwendige Gültigkeit der Naturgesetze verbürgen soll. Siehe hierzu HAAG (1983, S. 67-89).
36
Dies folgt schon aus den von universell gültigen Präsuppositionen der Rede, die KARL-OTTO APEL (1973) in sei-
ner Grundlegung der Ethik und JÜRGEN HABERMAS (2004, S. 258f) im Rahmen seiner Konsensus-/Diskurstheorie
der Wahrheit herausgearbeitet hat. Dass jene letztlich wohl nicht aufrechterhalten werden kann, lassen die von
PÖTER (1990, S. 132-143) diskutierten Einwände vermuten.
37
Vgl. Horkheimer (1988, S. 174).
38
Diese Erkenntnis ist älter, als die bei Vertretern des ‚linguistic turn’ beliebte Einteilung der Philosophiegeschichte
in ‚Metaphysik – Erkenntnistheorie – Sprachphilosophie’ vermuten lässt. Bereits SCHLEIERMACHER hält der Traditi-
on, die „Sprache nur als das Mittel betrachtet, wodurch der einzelne Mensch seine Gedanken mitteilt“ (1967, S. 140)
entgegen: „Aber niemand kann Denken ohne Worte“ (ebd., S. 138). „Der einzelne ist in seinem Denken durch die
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 27 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Wahrheitsproblematik, die korrespondenz-/referenztheoretische und die sprachphilosophische, haben


sich in einer aufgeklärten Klassentheorie gegenseitig zu relativieren, soll die Spannung von Faktizität
und Geltung nicht auf den einen oder anderen Pol hin eingeebnet werden. Hier enden aber die Ge-
meinsamkeiten.
Denn die Differenz zwischen dem ökonomiekritischen und dem sozialstrukturanalytischen Formalob-
jekt der bürgerlichen Gesellschaft 39 affiziert auch den Abstraktionsstatus der beiden Klassenbegriffe:
Während die Sozialstrukturforschung durch die konkrete Untersuchung von multidimensionalen,
wechselseitig sich verstärkenden Ungleichheiten prinzipiell elastische Klassifikationen hervorbringt
(denn welche Ungleichheit klassifikationsrelevant ist oder welcher Wert den Grenzbereich einer Klas-
sifikation markiert, ist nicht eindeutig durch das Formalobjekt festgelegt), ist die mit der Entwicklung
der ökonomischen Kategorien einhergehende Klassenbildung im Kapital durch die formanalytische
Theorieanlage alternativlos vorgegeben, da eine weitergehende Ausfächerung sozialer Klassen zu einer
Konfundierung von kapitalistischer Kernstruktur und einer bestimmten kapitalistischen Entwick-
lungsphase führen würde. Zwar werden innerhalb der dialektischen Darstellung 40 mit der Konkreti-
sierung der ökonomischen Basiskategorien (Kapital und Lohnarbeit) weitere Personifikationen einge-
führt: So werden die Lohnarbeiter entlang des Verwertungsprozesses in produktive und unproduktive
oder entlang des Arbeitsprozesses in ausführende und leitende Arbeiter binnendifferenziert. Auf der
anderen Seite werden die Kapitalisten nicht nur als industrielle Kapitalisten, Handelskapitalisten,
zinsnehmende Geldkapitalisten und Grundrentner näher bestimmt; es werden außerdem die „fungie-
renden Kapitalisten“ von den juristischen „Kapitaleigentümer[n]“ (25/452) unterschieden. 41 Aber da
auch diese Konkretisierungen sich noch im Rahmen des „idealen Durchschnitt[s]“ (25/839) bewegen,
kann das Kapital nicht bruchlos in eine empirische Sozialstrukturanalyse überführt werden. Diese
kann sich aufgrund der kontingenzbedingten Komplexität ihres Untersuchungsgegenstandes nicht
darauf beschränken, die aus der Kritik der politischen Ökonomie extrahierten Formbestimmungen in
statistische Untersuchungsvariablen zu übersetzen 42 – sie bedarf neben einer differenzierteren Erfas-
sung vertikaler Disparitäten der Operationalisierung von weiteren ungleichheitsrelevanten Merkma-
len, die sich zwar nicht aus dem allgemeinen Begriff des Kapitals gewinnen lassen, sich auf die soziale

(gemeinsame) Sprache bedingt und kann nur die Gedanken denken, welche in seiner Sprache schon ihre Bezeich-
nung haben. Ein anderer neuer Gedanke könnte nicht mitgeteilt werden, wenn nicht auf schon in der Sprache beste-
hende Beziehungen bezogen. Dies beruht darauf, daß das Denken ein inneres Sprechen ist“ (ebd., S.139). Dass zent-
rale Einsichten des aktuellen Sprachdenkens (spätestens) in der Hermeneutik der Aufklärung formuliert wurden,
belegen die Untersuchungen von RIEGER (1988) und SCHOLZ (2001).
39
Mit dem Begriffspaar Realobjekt/Formalobjekt unterscheidet die Philosophie seit der Scholastik die Objektwelt
einer Wissenschaft (obiectum materiale) von den verschiedenen, zu wissenschaftlichen Disziplinen ausgearbeiteten
Aneignungsweisen dieser Objektwelt (obiectum formale). Siehe SCHLÜTER (1972).
40
Siehe hierzu BRENTEL (1989, S. 278-306) und HEINRICH (1999, S. 171-179).
41
Mit der Unterscheidung zwischen fungierenden Kapitalisten, die mit der profitmaximierenden Verwaltung von
fremdem Kapital beauftragt sind (hierzu gehören u.a. die Manager), und juristischen Kapitaleigentümern wird auch
deutlich, dass mit der Gegenüberstellung von Produktionsmittel-Besitzern und doppelt freien Lohnarbeitern nur ein
„vorläufiger struktureller Klassenbegriff“ (HEINRICH, 2004c, S. 38) vorliegt, dessen Vorläufigkeit aus der isolierten
Betrachtung des unmittelbaren Produktionsprozesses resultiert. Erst bei der Untersuchung des kapitalistischen Ge-
samtprozesses zeigt sich, dass das Kapitalistendasein nicht zwingend an juristisches Kapitaleigentum geknüpft ist (vgl.
ebd.).
42
Diesen Fehler beging u.a. das Projekt Klassenanalyse (PKA), das seine statistischen Untersuchungen im wesentli-
chen nach den Formbestimmungen des Verwertungsprozesses ausrichtete. Siehe KOCH (1998, S. 42-50).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 28 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

Lage von Individuen aber folgenschwer auswirken (zu diesen horizontalen Ungleichheitskriterien ge-
hören u.a. Geschlecht, Nationalität, Alter, Prestige). 43
Erfolgversprechender als der Strang der marxistischen Soziologie, der vermittlungslos auf formanalyti-
sche Kategorien zurückgreift, um empirische Untersuchungsanordnungen zu generieren, erscheint auf
den ersten Blick ein Ansatz, der die Empirie durch eine immanente Fortführung der dialektischen
Entwicklung im Kapital zu erschließen beansprucht. Die Grundlage dieses Anschlussversuches, für
den im Folgenden stellvertretend die Arbeit von JASINSKA/NOWAK (1976) herangezogen wird, bildet
jedoch eine in methodischer wie wissenschaftsprogrammatischer Hinsicht defizitäre Interpretation der
Kritik der politischen Ökonomie: Die begriffliche Entwicklung der ökonomisch-sozialen Formen deu-
ten JASINSKA/NOWAK – unter Berufung auf die Bemerkung in der Einleitung der Grundrisse, dass
geistige Aneignung über die „Methode vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen“ (GR/22) erfol-
ge – als bloße Abfolge idealisierender Modelle, deren Aussagen auf Grundlage einer sukzessiven
„Konkretisierung [...] schrittweise der Realität angenähert werden“ (ebd., S.179). 44 Zwar habe MARX
das im Kapital verfolgte Programm, die restringierenden Annahmen der Modellwelten bis zu einem
Punkt zurückzunehmen, der „aktuelle soziale Systeme“ (ebd., S. 203) erfasse, nicht mehr realisieren
können, historische Schriften wie Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte sollen jedoch die nöti-
gen Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion der konkretisierenden Mittelglieder liefern. 45 Da die dia-
lektischen Darstellung aus dieser Perspektive keine wesentliche Begründungsfunktion erfüllt, die ein-
zelnen Übergänge keinen eigenständigen Informationsgehalt besitzen, bleibt zum einen die Entschei-
dung darüber, in welcher Reihenfolge die idealisierenden Voraussetzungen aufgegeben werden, den
pragmatischen oder pädagogischen Überlegungen des Wissenschaftlers überlassen, zum anderen
kommt nur noch der „abschließende[n] Konkretisierung der Klassentheorie“ (ebd., S. 203) eine Be-
deutung zu. Damit verfehlen die Autoren aber die besondere Stärke des dem Kapital zugrundeliegen-
den Theorieaufbaus: Denn die dialektische Darstellung stellt im Unterschied zu einer didaktisch mo-
tivierten Methode ein wissenschaftliches Begründungsverfahren dar, das den inneren Zusammenhang
der – von der bürgerlichen Ökonomie als selbstständig fixierten – ökonomisch-sozialen Objekte
nachweisen soll. MARX entwirft demnach nicht zuerst das abstrakte Modell der einfachen Zirkulation,
das dann in einem zweiten Schritt durch die Einführung der Kapitalform vermittlungslos konkreti-
siert wird. Er destruiert vielmehr die Selbstständigkeit der einfachen Zirkulation durch den Nachweis,
dass ihre isolierte Betrachtung notwendig zu „Mängeln“, „Gegensätzen“ oder „Widersprüchen“ führt
– unter dialektischen Widersprüchen versteht MARX konträre inhaltliche Bestimmungen einer Kate-
gorie, nicht jedoch kontradiktorische Prädikatszuschreibungen im Sinne der formalen Logik 46 –, die
nur durch Einbeziehung des Kapitalverhältnisses aufgehoben werden können. 47 Mit anderen Worten:
Die Abfolge der Kategorien Ware, Geld und Kapital kann nicht bloß pragmatischer oder didaktischer
Natur sein, weil sie deren inhaltlichen Zusammenhang ausdrückt. Sie besitzt selbst noch einen spezifi-
schen Informationsgehalt. Damit muss aber auch die Annahme fallen gelassen werden, dass die in der
Entwicklung der Formen durchlaufenen Abstraktionsstufen im Vergleich zur „abschließende[n] Kon-

43
Vgl. RITSERT (1998b, S. 18f) und JACOB (1992, S. 27-30).
44
Diese Position findet sich auch bei HELBERGER (1974, S. 190).
45
Vgl. ebd. (S. 205).
46
Vgl. HEINRICH (1999, S. 174).
47
In den Grundrissen heißt es, dass „in der Theorie der Begriff des Werts dem des Kapitals vorhergeht, andrerseits
aber zu seiner reinen Entwicklung wieder eine auf das Kapital gegründete Produktionsweise unterstellt“ (GR/163).
„Die einfache Zirkulation ist vielmehr eine abstrakte Sphäre des bürgerlichen Gesamtreproduktionsprozesses, die
durch ihre eigenen Bestimmungen sich als Moment, bloße Erscheinungsform eines hinter ihr liegenden, ebenso aus
ihr resultierenden, wie sie produzierenden tieferen Prozess[es] – des industriellen Kapitals – ausweist“ (GR/923).
II. FORMANALYTISCHE KLASSENTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALSTRUKTURANALYSE: - 29 -
GEMEINSAMKEITEN UND DIFFERENZEN

kretisierung“ (ebd.) keine Relevanz besäßen. Schließlich kann das „realistische Modell der Klassen-
struktur“ (ebd.), das den hohen Anforderungen einer empirischen Sozialstrukturanalyse genügen soll,
nicht aus einer fortgeführten Formanalyse resultieren, weil diese eine durch das Forschungsprogramm
begründete Grenze besitzt: Wenn MARX im Kapital nur den „verborgnen Bau“ (26.2/162) der bürger-
lichen Gesellschaft, nur die „innre Physiologie“ (ebd.) des Kapitalismus zu erschließen beansprucht, 48
die Übergänge in der logischen Entfaltung der Kategorien zudem nicht willkürlich gewählt, sondern
aufgrund inhaltlicher Beziehungen notwendig werden, dann endet die Rücknahme von Abstraktionen
– und damit die Elastizität der Klassifikationen – genau an dem Punkt, an dem keine Darstellungs-
mängel mehr auftreten, weil alle Formbestimmungen entwickelt sind, die den Kapitalismus als Kapi-
talismus auszeichnen. 49
Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Es sollte keineswegs demonstriert werden, dass alle
Bemühungen, die Kritik der politischen Ökonomie in irgendeiner Art und Weise für sozialstatistische
Analysen heranziehen, zwangsläufig scheitern müssen, wohl aber, dass die direkte und ausschließliche
Operationalisierung formanalytischer Bestimmungen der Komplexität von Sozialsystemen ebenso
wenig gerecht wird, wie die sukzessive Konkretisierung der Ökonomiekritik zu einer empirischen Un-
tersuchungsanordnung dem formanalytischen Wissenschaftsprogramm. Die strikte analytische Unter-
scheidung einer Personifikation (ökonomischer Kategorien) von einer echten Personengruppe soll
nicht zu einer kompromisslosen Trennung von Form- und Sozialstrukturanalyse führen. Sie schafft
vielmehr erst die Grundlage dafür, dass zwei differente Wissenschaftsprogramme produktiv (und
nicht: eklektizistisch) aufeinander bezogen werden.

Abb. 2: Charakteristika von form- und sozialstrukturanalytischen Klassen

Empirische Klassenanalyse Kritik der politischen Ökonomie

Forschungs- Erfassung von überzufälligen, rekurrenten Reflexive Konstitutionsanalyse sozialforma-


programm Reichtumsverteilungen unter Einbezie- tionsspezifischer Reichtumsformen
hung multidimensionaler, miteinander
koinzidierender Ungleichheitsstrukturen
Abstraktions- niedrig hoch
grad
Abstraktions- – ‚Klasse’ als gedanklich-konstruktive An- – ‚Klasse’ als gedanklich-konstruktive An-
status eignung realer Allgemeinheiten eignung realer Allgemeinheiten
– elastische Klassifikation – unelastische Klassifikation

48
„In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den
Produktionsagenten gehen wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, sei-
ne Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits, die Zyklen der Industrie und des Han-
dels, die Abwechslung der Prosperität und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze
erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche
Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt und wir nur die innere Organisation der kapitalistischen
Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben“ (25/839).
49
Zu den wenigen Arbeiten, die sich mit dem Schluss des Kapital beschäftigen, gehören KRÄTKE (2002, 2003).
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 30 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

II. Die Semantik der Klassengesellschaft: Grundlage oder Kritik einer


positiven Revolutionstheorie?

„Das Übel gedeiht hinter dem Ideal am besten.“


KARL KRAUS

Die Ausführungen im ersten Kapitel dieser Arbeit haben gezeigt, dass Formanalyse aufgrund ihres
besonderen Untersuchungsgegenstandes nur als Einheit von Objekt- und Erkenntniskritik durchzu-
führen ist. Die ökonomischen Objekte Ware und Geld wurden nicht nur auf historisch-soziale Praxis-
formen zurückgeführt, über die Struktur dieser Praxisformen konnte ferner aufgezeigt werden, wes-
halb das Alltagsverständnis den sozialen Ursprung dieser Objekte durch Mystifikationen und Natura-
lisierungen verkehrt: Da in der bürgerlichen Gesellschaft die Produktion nicht in freier Übereinkunft
durch die Gesellschaftsmitglieder bewusst gesteuert, sondern durch die systematische Isolierung der
Produzenten der kollektiven Kontrolle entzogen wird, muss sich der gesellschaftliche Zusammenhang
gegenüber den ‚vereinzelten Einzelnen’ in Form von Ware und Geld als ‚stummer Zwang’ geltend
machen. Das bürgerliche Subjekt muss Waren produzieren und gegen Geld eintauschen, um seine
Bedürfnisse in den ihm vorausgesetzten Verhältnissen befriedigen zu können. Da die Verwandlung
des Arbeitsprodukts in Ware und die Existenz des Geldes nicht seine willentliche Entscheidung ist,
sondern eine als Sachzwang auftretende Voraussetzung seines Handelns darstellt, deutet es Ware und
Geld auch nicht als Resultat seiner eigenen sozialen Aktion, sondern als sachliche Eigenschaft. Es ist
die in der privatarbeitsteiligen Verfasstheit implizierte Verselbstständigung der ökonomischen Formen
gegenüber dem privatautonomen Subjekt, die zum Waren- und Geldfetisch führt. Mit dem Fortgang
der begrifflichen Entwicklung (Übergang zum Kapital, Darstellung der Formen gesellschaftlicher Ar-
beit, Verwandlung von Wert der Arbeitskraft in Arbeitslohn) mündet diese Verselbstständigung der
ökonomisch-sozialen Objektwelt noch auf der Ebene des unmittelbaren Produktionsprozesses in einer
Bewusstseinsverstellung, die das hinter dem Kapital stehende klassenförmige Ausbeutungsverhältnis
als harmonische Ordnung erscheinen lässt. Die Mystifikation des Klassenverhältnisses im Kapitalfe-
tisch soll im Folgenden kurz skizziert werden.
Die Logik der kapitalistischen Produktionsweise besteht nicht in der Interessenverwirklichung und
Bedürfnisbefriedigung der tätigen Menschen, sondern in der Produktion einer möglichst großen
Summe von Mehrwert. 1 Der Kapitalist versucht diesen kategorischen Imperativ des Kapitals zu ver-
wirklichen, indem er die Länge des Arbeitstages an die physische und moralische Grenze 2 anzuglei-
chen sucht. Dabei steht die Forderung des Kapitalisten, den Arbeitstag aufs Äußerste auszudehnen,
durchaus im Einklang mit den Gesetzen des Warentausches: Mit dem Kauf der Ware Arbeitskraft zu
ihrem Tageswert erwirbt der Kapitalist das Recht, die Arbeitskraft, wenn schon nicht einen vollstän-
digen Tag, so doch den größt-möglichen Teil des Tages lang anzuwenden. 3 Das Anrecht des Kapita-
listen, den Gebrauchswert der von ihm bezahlten Ware zu konsumieren, steht aber die gleichermaßen
auf die Gesetze des Warentausches sich gründende Forderung des Arbeiters entgegen, die Anwendung
seiner Ware auf ein Maß zu beschränken, das ihre Reproduktion auf gleichem Niveau garantiert. 4 „Es
findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Wa-
rentausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt“ (23/249).

1
Vgl. 23/247.
2
Vgl. 23/246.
3
Vgl. 23/247.
4
Vgl. 23/248.
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 31 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

Mit der dem Kapital innewohnenden Tendenz zu einer die Reproduktion der Arbeiter angreifenden
Ausdehnung der Arbeitszeit und der als Reaktion darauf sich organisierenden Arbeiterbewegung ist
zwar die Grundlage des Klassenkampfes gegeben, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der
Klassenkampf den Kapitalismus notwendig transzendiert. 5 Das achte Kapitel des Kapital intendiert
nicht die Ableitung eines über den Kapitalismus hinausweisenden revolutionären Klassenkampfes,
stattdessen thematisiert es mit dem kapitalismusimmanenten Kampf um die gesetzliche Fixierung der
Arbeitszeiten eine die begriffliche Entwicklung vorantreibende Verwertungsschranke des Kapitals: Die
Ausdehnung der Mehrwertproduktion stößt mit der gesetzlichen Festlegung des Normalarbeitstages
an ihre Grenzen. Durch die staatliche Regulierung der Arbeitszeiten 6 bleibt dem Kapital nur noch die
Möglichkeit, die Mehrwertmasse durch Senkung des Werts der Arbeitskraft zu erhöhen. Bedingung
dieser Senkung sind Produktivitätssteigerungen in den Produktionssphären, die die Lebensmittel der
Arbeiter und/oder die Arbeitsmittel zur Produktion der Lebensmittel herstellen. 7 Die Verwertungs-
schranke des Kapitals wird also durch den Übergang von der ‚formellen Subsumtion der Arbeit unter
das Kapital’ – hier werden die von früheren Produktionsweisen vorgefundenen Arbeitsabläufe und
Arbeitstechniken übernommen – zur ‚reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital’ – hier wird
der Produktionsprozess selbst revolutioniert – durchbrochen. 8 Die Mehrarbeit kann ausgedehnt wer-
den, nicht weil die Arbeitszeit absolut steigt, sondern weil sich die Relation zwischen notwendiger Ar-
beit und Mehrarbeit aufgrund von Produktivitätssteigerungen in den Lebensmittel produzierenden
Branchen verschiebt.
Allerdings muss das Motiv für die Erhöhung der Arbeitsproduktivität von seinem Resultat unter-
schieden werden. Die Produktion des relativen Mehrwerts ist kein gemeinschaftlich verfolgtes Ziel der
Kapitalistenklasse, sie ist die nicht-intendierte gesamtwirtschaftliche Folge einzelbetrieblicher Rationa-
lität. Der Anlass für die produktivitätssteigernde Umstrukturierung des Arbeitsprozesses besteht in
dem „Extramehrwert“ (23/336), den der einzelne Kapitalist dadurch erzielt, dass seine Arbeiter für die
Herstellung der Produkte weniger als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit benötigen, er sie aber
dennoch zu ihrem Wert, der durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ist, veräu-
ßert. 9 Es entsteht so eine für den einzelnen Kapitalisten erzielbare Differenz zwischen dem „individu-
ellen“ und dem „gesellschaftlichen Wert“ (23/336) seiner Ware, die ihn die stetige Revolutionierung
der Arbeitsabläufe/-techniken vorantreiben und damit auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zur Produk-
tion des relativen Mehrwerts beitragen lässt.
Die Methoden zur Produktion des relativen Mehrwerts – Kooperation, Manufaktur, Maschinerie,
große Industrie – markieren zugleich neue Stufen in der Verselbstständigung der ökonomischen Form
Kapital. Die Produktivitätssteigerungen resultieren zwar ausschließlich aus der Entwicklung der Pro-
duktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit; diese wird aber nicht von den unmittelbaren Produzenten
selbstbewusst als Entfaltung ihrer gemeinschaftlichen Fähigkeiten eingeführt. Stattdessen existiert der
gesellschaftliche Charakter der Produktion unabhängig von den Lohnarbeitern im Kapital, in der Lei-
tung des Kapitalisten und seinen Produktionsmitteln. Das Kapital, die vergegenständlichte Arbeit, ist

5
Vgl. ELBE (2003c), KUHNEN/SCHLÜTER (1990, S. 69-76), KURZ/LOHOFF (1989), POSTONE (2003, S. 72) und
SCHANDL (1997).
6
Nebenbei sei bemerkt, dass die gesetzliche Fixierung der Normalarbeitszeit nicht monokausal auf den Druck der
Arbeiterbewegung zurückgeführt werden kann. Nach MARX gehört es zu den originären Aufgaben des Staates, dem
Kapital dann Grenzen zu setzen, wenn dessen Rationalität die eigenen Reproduktionsbedingungen untergräbt (vgl.
23/253). Dazu gehört nicht nur der Arbeitnehmerschutz, sondern u.a. auch die Umweltpolitik.
7
Vgl. 23/334.
8
Vgl. die ausführliche Behandlung der ‚formellen’ und ‘reellen Subsumtion’ in RES/45-64.
9
Vgl. 23/335ff und RES/49f.
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 32 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

zwar nur das Resultat der lebendigen Arbeit, in Form einer realen Subjekt-Objekt-Verkehrung tritt
das Kapital den unmittelbaren Produzenten aber als eine ihre kooperativen Arbeitsabläufe/-techniken
diktierende fremde Macht entgegen. Die reale Verkehrung, dass die gebrauchswertproduktive (nicht:
wertproduktive) Kombination der Arbeit 10 nicht von den Arbeitern, sondern vom Kapital gesetzt
wird, findet ihre ideologische Entsprechung im Kapitalfetisch:

„Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimm-
te Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Pro-
duktivkraft dem Kapital nichts kostet, weil sie andererseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine
Arbeit dem Kapital selbst gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine im-
manente Produktivkraft“ (23/353). „Es ist hier wieder die Verkehrung des Verhältnisses, als deren Ausdruck wir
schon bei der Betrachtung des Geldwesens den Fetischismus bezeichnet haben“ (26.1/365). 11

Mit der ‚reellen Subsumtion’ führt die Verselbstständigung der ökonomischen Form Kapital gegen-
über den unmittelbaren Produzenten zu einer Bewusstseinsverstellung, die die zusätzliche Produktiv-
kraft der kombinierten Arbeit in das Kapital als solches verlegt. In der fetischistischen Alltagsvorstel-
lung wendet nicht das Kapital die Produktivkraft der kombinierten Arbeit zur Steigerung der Mehr-
wertproduktion an, die aus der gesellschaftlichen Arbeit entspringende Produktivkraft erscheint als
sachliche Eigenschaft des Kapitals, als seine immanente Produktivkraft. Verstärkt wird diese Mystifi-
zierung des Kapitals durch die Lohnform. Da die kapitalistisch formbestimmte Mehrarbeit nicht wie
die feudalistische Fronarbeit räumlich und zeitlich von der notwendigen Arbeit getrennt ist, scheint
der Kapitalist mit dem Lohn nicht den Wert der Arbeitskraft, sondern den Wert der vom Arbeiter
wirklich geleisteten Arbeit zu bezahlen. 12 Das klassenförmige Ausbeutungsverhältnis verwandelt sich
so in eine harmonische Ordnung: Da der Arbeiter mit dem Lohn den Wert der von ihm verausgabten
Arbeit scheinbar vollständig erstattet bekommt, kann der Mehrwert nur aus dem Kapital und der ihm
immanenten Produktivität resultieren. Nicht Ausbeutung, sondern gerechte Entlohnung der wertbil-
denden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital scheint daher das zentrale Konstruktionsprinzip der
bürgerlichen Gesellschaft zu sein. Vor dem Hintergrund der empirischen Erscheinungsformen der
nicht-empirischen Kategorien Wert und Mehrwert (Produktionspreis und Durchschnittsprofit) erhält
dieses in Klassik und Neoklassik zur ökonomischen Theorie ausgearbeitete ideologische Bewusstsein
besondere Evidenz: Mit der Verwandlung von Mehrwert in Durchschnittsprofit determiniert nicht
mehr das investierte variable Kapital, sondern das eingesetzte Gesamtkapital die Profitsumme. Für das
Alltagsbewusstsein, dass die empirischen Erscheinungen nicht über eine nicht-empirische Theorie-
ebene begrifflich durchdringt, sondern vermittlungslos aufnimmt, kann daher nicht die lebendige Ar-
beit, sondern nur das Kapital selbst den Profit begründen. Dies gilt im besonderen Maße für das zins-
tragende Kapital: Weil für den Geldbesitzer keine unmittelbare Beziehung zum mehrwertschaffenden
Produktionsprozess mehr existiert, scheint der Zins – eine Erscheinungsform des Mehrwerts – aus
einer besonderen Qualität seines Eigentums zu resultieren. Das Zinskapital besitzt scheinbar die mys-
teriöse Eigenschaft, sich aus sich selbst heraus zu vermehren. Als vermeintlich „Geld heckendes Geld
[...] trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr“ (25/405). Mit der Einführung des
Produktionsfaktors Grundeigentum und der ihm entsprechende Revenue Grundrente, erreicht die
Stufenfolge der Mystifikationen schließlich ihren Höhepunkt in der Faktortheorie des Werts (MARX
nennt sie ironisch „trinitarische Formel“): Demnach erzeugt der Produktionsfaktor Arbeit den Wert
des Arbeitslohns, der Faktor Boden den Wert der Grundrente und der Faktor Kapital den Wert des

10
Siehe hierzu SEIDL (1996, S. 21-28).
11
Vgl. auch 25/835.
12
Vgl. 23/562. Verstärkt wird der Schein durch eine besondere Form des Arbeitslohns – den Stücklohn.
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 33 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

Profits (resp. des Zinses). Nicht nur, dass in dieser „Religion des Alltagslebens“ (23/838) die stoffli-
chen Produktionsbedingungen mit den kapitalistisch formbestimmten Produktionsbedingungen kon-
fundiert werden 13 (dem Alltagsverstand gelten die Ausdrücke Arbeit und Lohnarbeit, Boden und
Grundeigentum, Produktionsmittel und Kapital nur als unterschiedliche Bezeichnungen für identi-
sche Sachverhalte), die als natürlich vorgestellten Produktionsfaktoren scheinen zudem selbständige
Quellen des Werts zu sein, obgleich sie als Verkörperungen formationsspezifischer Sozialverhältnisse
nur als Quellen der Revenuen fungieren. Scheint mit der Reduktion von Lohnarbeit auf Arbeit
schlechthin bewiesen, dass die Reproduktion der Gesellschaft nur klassenförmig vollzogen werden
kann, scheint mit der Wertproduktivität von Boden und Kapital der Nachweis erbracht, dass die E-
xistenz von Klassen kein Ausbeutungsverhältnis, sondern ein prinzipiell gerechtes Entlohnungssystem
begründet. 14

Die formanalytische Kapital-/Klassentheorie kann nicht nur aufzeigen, welche wesentlichen Verhält-
nisse sich hinter den ökonomischen Formen verbergen. Sie kann über die Struktur dieser Verhältnisse
ebenfalls nachweisen, warum diese sich in den „gang und gäbe Denkformen“ (23/564) notwendig
selbst verrätseln. Aufgrund der klassenübergreifenden Wirksamkeit der Bewusstseinsverstellungen –
denn auch die Lohnarbeiter gehen von der Wertproduktivität der ihnen gegenüber als äußere Macht
auftretenden Produktionsfaktoren aus 15 – bietet die formanalytische Kapital-/Klassentheorie eine
mögliche Erklärung für den systemimmanenten Charakter hegemonialer Kapitalismuskritik in Ver-
gangenheit und Gegenwart. Bewegt sich Kapitalismuskritik im Zusammenhang des falschen Scheins,
richtet sie sich nicht gegen den Kapitalismus als solchen, sondern gegen den „Übergriff des Kapitals
über seine berechtigten Ansprüche“ (HEINRICH, 1999, S. 309). Nicht die Abschaffung des Lohnsys-
tems, sondern dessen gerechte Gestaltung ist ihre zentrale Forderung (‚Gerechter Lohn!’, ‚Ehrliches
Geld für ehrliche Arbeit!’ u.s.w.). Mit anderen Worten: Die Auseinandersetzungen zwischen Kapital
und Arbeit transzendieren nicht notwendig den Kapitalismus, weil Herrschaft und Ausbeutung von
den Beherrschten und Ausgebeuteten nicht als Strukturprinzipien, sondern als Akzidenzien wahrge-
nommen werden. Damit kann die von MARX durchgeführte Formanalyse der bürgerlichen Gesell-
schaft aber auch nicht mehr – wie dies vom Marxismus-Leninismus 16 , z.T. aber auch von Theoreti-
kern des westlichen Marxismus 17 oder des Neomarxismus 18 vertreten wurde – als Artikulation eines

13
Vgl. 25/832.
14
Die Stufenfolge der Mystifikationen konnte nicht umfassend dargestellt werden. Die Verkehrungen, die sich mit
dem Zirkulationsprozess entwickeln, wurden z.B. vollkommen ausgeblendet. Vgl. hierzu v.a. FISCHER (1978, S.
154ff).
15
Vgl. 25/177, 25/838.
16
Stellvertretend für den ‚ML’ siehe ERICH HAHN: „Der wissenschaftliche Sozialismus ist nicht als Reflexion über
irgendein abstraktes Prinzip, sondern als Verallgemeinerung, als wissenschaftliche theoretische Verarbeitung des
Kampfes der Arbeiterklasse, der Erfahrungen und Einsichten der Arbeiterklasse entstanden“ (1974, S. 93). Vgl. auch
HAHN (1971, S. 153).
17
Siehe u.a. KORSCH (1972, S. 56). Unter ‚westlicher Marxismus’ wird hier mit PERRY ANDERSON eine Spielart des
Marxismus verstanden, die sich u.a. durch folgende Merkmale auszeichnet: Abkehr von ökonomischen Analysen bei
gleichzeitiger Hinwendung zur klassischen deutschen Philosophie (v.a. HEGEL), Integration zeitgenössischer ‚bürger-
licher’ Theorien (Psychoanalyse), intensive Beschäftigung mit kulturellen und ästhetischen Fragestellungen, gleichzei-
tige Abgrenzung gegenüber sozialdemokratischem Reformismus und realsozialistischer Repression, Verwendung ei-
ner schwer zugänglichen Sprache, pessimistische Bewertung der Aussichten auf Emanzipation. Siehe ANDERSON
(1978).
18
Siehe ALTHUSSER (1973a, S. 79), HAUCK (1992, S. 19) und HAUG (1973, S. 185).
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 34 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

genuin proletarischen Klassenbewusstseins verstanden werden. Sie deutet den proletarischen Klassen-
standpunkt nicht affirmativ aus, sie unterzieht ihn vielmehr einer Kritik. 19 MARX, der v.a. in seinen
Frühschriften, vereinzelt aber auch in seinem ökonomiekritischen Spätwerk revolutionstheoretische
Modelle ausarbeitete, die über den Klassenkampf den zwangsläufigen Untergang des Kapitalismus
verbürgen 20 , liefert mit der formanalytischen Kapital-/Klassentheorie daher selbst die begrifflichen
Mittel, mit denen das Ausbleiben eines selbstbestimmten menschlichen Zusammenlebens, der
„freie[n] Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterord-
nung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermö-
gens“ (GR/75), erklärt werden kann. 21
Zur Vermeidung von Missverständnissen sei einschränkend betont, dass die ‚trinitarische Formel’
für MARX nicht die einzige Form der Sinngebung innerhalb des gegenüber den Menschen verselbst-
ständigten, ökonomisch-sozialen Formzusammenhangs darstellt. Im ersten Kapitel wurde bereits auf
seine Thematisierung geschichtsphilosophischer, kontraktualistischer und religiöser Deutungsformen
hingewiesen. Darüber hinaus lassen sich aber auch innerhalb der fetischistischen Aneignung der bür-
gerlichen Gesellschaft verschiedene Konzeptionen unterscheiden. Da der formanalytische Theoriety-
pus nicht die Determination von Ereignissen beschreibt, sondern handlungs- und bewusstseinsstruk-
turierende Verhältnisse zum Gegenstand hat, besteht die Möglichkeit einer lediglich partiellen Adap-
tion und spezifischen Interpretation von Objektfetischisierungen. 22 Die Frage, ob die Wertprodukti-

19
Vgl. HEINRICH (1999, S. 309).
20
Zur Entwicklung und Kritik revolutionstheoretischer Modelle bei MARX vgl. ELBE (2003c) und SIEFERLE (1979).
21
Die ‚Kritische Theorie’ erweiterte diese Erklärung fruchtbar durch das Programm einer analytischen Sozialpsycho-
logie. Den angepassten, zur Emanzipation unfähigen „autoritär-masochistischen Charakter“ (FROMM) erklärt die auf
Freuds Psychoanalyse zurückgreifende Theorietradition durch die widersprüchliche Situation des bürgerlichen Sub-
jekts, das als von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen freies Individuum durch die Gesetze der Konkurrenz ei-
nerseits zu einer überzogenen narzisstischen Besetzung des eigenen Ichs gezwungen wird, das aufgrund der realen
Ohnmacht gegenüber dem verselbstständigten Systemzusammenhang und der damit verbundenen prekären Selbst-
erhaltung andererseits eine permanente narzisstische Kränkung erfährt. Vgl. hierzu die Standardwerke von DAHMER
(1973, 1994). Einen kürzeren Überblick über die Verbindung von Psychologie und Gesellschaftstheorie durch die
‚Frankfurter Schule’ geben BONß (1982), ELBE (2003d) und JAY (1976, S. 113-209). In sozialwissenschaftlichen
Theorien und Untersuchungsanordnungen bleiben die ideologische Schwerkraft des Systems und die libidinösen
Bindekräfte, „die den Kitt formieren, ohne den die Gesellschaft nicht zusammenhielte“ (FROMM, 1989, S. 54), bis
heute leider weitestgehend unberücksichtigt. Mit ihrer Kritik an Wahrheitsbegriffen und der sich daraus ergebenden
Ablehnung der Fetischtheorie kaprizieren sich die von GRAMSCI und FOUCAULT inspirierten Diskurstheorien/-
analysen häufig auf die Untersuchung von sprachlichen und nicht-sprachlichen Verfahren, mit denen unterschiedli-
che Interessen verfolgende Klassen um Macht und Hegemonie ringen (vgl. LINK, 1999, Sp. 746). Einseitig ist auch
das Ideologieverständnis von JÜRGEN HABERMAS, wenn er den herrschaftsfreien Diskurs in der durch zivilgesell-
schaftliche Akteure getragenen politischen Öffentlichkeit nur durch Invasoren aus dem administrativen Komplex
und den Wirtschaftsverbänden gefährdet sieht. Denn die Träger der Zivilgesellschaft „werden [...] nicht nur ‚von
außen’ manipuliert, sondern sind auch ‚von innen’ – spontan – ideologisiert“ (ELBE, 2004, S. 14, Fn. 48) und emotio-
nal an die ihnen Gewalt zufügende Gesellschaft gebunden.
22
So knüpft z.B. P. J. PROUDHON in seiner utopisch-sozialistischen Ökonomiekritik zwar positiv an Bestimmungen
der einfachen Zirkulation (Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Wert, Ware) an. Entwickelte Formen des Geldes (Kre-
dit/Zins) versucht er hingegen als nicht-natürliche, nicht-rechtfertigbare und sogar destruktive Vorgaben zu kritisie-
ren (vgl. hierzu BRENTEL, 1989, S. 187-243; zu SILVIO GESELL, der diese Diagnose teilt, siehe RAKOWITZ, 2000, S.
132-144). Die hier bereits implizierte Unterscheidung zwischen einem positiv besetzten und einem pejorativ konno-
tierten Kapital war und ist auch konstitutiv für das antisemitische Weltbild (‚schaffendes’ versus ‚raffendes’ Kapital).
Die ökonomischen Kategorien werden hier aber nicht als solche kritisiert; ihre Existenz wie Destruktivität wird auf
eine besondere Personengruppe zurückgeführt – die Juden. Eine lediglich selektive Aneignung der „Fiktionsweise
III. DIE SEMANTIK DER KLASSENGESELLSCHAFT: - 35 -
GRUNDLAGE ODER KRITIK EINER POSITIVEN REVOLUTIONSTHEORIE

vität und damit Legitimität der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Kapital einschließlich ihrer un-
terschiedlichen Existenzformen (Industrielles Kapital, Handelskapital, Zinskapital etc.) oder nur die
Wertproduktivität einzelner Produktionsfaktoren bzw. einzelner Daseinsformen von
Produktionsfaktoren zu einem verbreiteten Deutungsmuster wird, kann ohne die Berücksichtigung
von historischen Einflussgrößen, die aus der Kritik der politischen Ökonomie selbst nicht ableitbar sind,
nicht beantwortet werden. Eingeschlossen ist damit die Möglichkeit, durch Aufklärungsprozesse in
praktischer Absicht der Dominanz fetischistischer Objektwahrnehmungen entgegenzuwirken. Der
Fetischismus stellt weder eine Erkenntnisform dar, durch welche die Gesamtheit der natürlichen wie
sozialen Gegebenheiten erst kognitiv verarbeitet wird (wäre dies der Fall, müssten die unzähligen
Fetischisierungen als Erkenntnisobjekte selbst notwendig verkannt werden), noch bewirkt er
eingegrenzt auf die Formen Ware, Geld und Kapital eine unabdingbare Einschränkung der
Erkenntnismöglichkeit.

ohne Phantasie“ (26.3/445) erfährt eine obsessive völkische Interpretation. Siehe hierzu HEINRICH (2004a, S. 186-
192) und KETTNER (2004, S. 46-52).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 36 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

IV. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation: Arbeitslosigkeit


und Pauperisierung im Kapital

IV.1 Zur Existenz und Entwicklung von Arbeitslosigkeit


In den ersten beiden Kapiteln wurde der formanalytische Theorietypus, der die Dechiffrierung der
basalen kapitalistischen Synthesisformen zu leisten beabsichtigt, von einer empirischen Sozialstruktur-
analyse unterschieden. Diese analytische Grenzziehung muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass
in der Formanalyse der bürgerlichen Gesellschaft keine Erkenntnisse zu gewinnen sind, die für eine
empirische Sozialstrukturanalyse von Relevanz sein könnten. So wurde in der Debatte um eine zu-
nehmende „soziale Exklusion“ und die Entstehung einer neuen „Underclass“ 1 von marxistischen So-
zialstrukturforschern auf den heuristischen Wert der im Kapital dargestellten Akkumulationsdynamik
für die Untersuchung von Arbeitslosigkeit hingewiesen. 2
Tatsächlich beabsichtigt MARX im 23. Kapitel (Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumula-
tion) des ersten Bandes nachzuweisen, dass die steigende Wertzusammensetzung 3 des gesellschaftli-
chen Gesamtkapitals eine „relative, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals über-
schüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung“ (23/658) produziert. MARX’ These,

1
Das Wort „Underclass“ bezeichnet als wissenschaftlicher Begriff die Kumulation folgender Merkmale bei vielen
Individuen: dauerhafter Ausschluss von geregelten Lohnarbeitsverhältnissen, soziale/symbolische Stigmatisierung und
räumliche Segregation. Der in der Sozialstrukturforschung zur Erfassung von Gettoisierungstendenzen verwendete
Begriff wurde ab den 1970-er/1980-er Jahren jedoch auch von den Konservativen in Großbritannien und Amerika
als politischer Kampfbegriff entdeckt: zur Integration der Mittelklassen „im Rahmen eines restaurativen gesellschafts-
politischen Projekts“ (KOCH, 1999, S. 36).
2
Siehe KOCH (1999, S. 43-46).
3
MARX begründet das langfristige Steigen der Wertzusammensetzung (c/v), d.h. die Zunahme des konstanten Kapi-
tals im Verhältnis zum variablen Kapital, mit der – von der Konkurrenz diktierten – Entwicklung der Produktivkraft
der Arbeit durch die Einführung von (neuer) Maschinerie. Für diese langfristige Tendenz sprechen gute Gründe. Es
steigt nämlich nicht nur die Wertzusammensetzung des Einzelkapitals mit der Einführung der neuen Technologie.
Nach ihrer Verallgemeinerung steigt die Wertzusammensetzung weiter, wenn in der betreffenden Branche Produkte
hergestellt werden, die in den Warenkorb der Lohnarbeiter eingehen. Denn dann sinkt mit den in geringerem Zeit-
raum produzierten Konsumtionsmitteln auch der Wert der Arbeitskraft, so dass das Kapital weniger in seinen variab-
len Teil investieren muss. Derselbe Effekt tritt auch dann ein, wenn das in seiner technischen Zusammensetzung
veränderte Kapital Produktionsmittel herstellt, die in einer zweiten Branche zur Fertigung von Konsumtionsmitteln
verwendet werden. Dann führt die Verbilligung der Produktionsmittel in Zweig A zu einer Verbilligung der Kon-
sumtionsmittel in Zweig B, damit indirekt zu einer Senkung des Werts der Arbeitskraft und zu einer Steigerung der
Wertzusammensetzung. Die stetige Veränderung der technischen Grundlagen des Produktionsprozesses impliziert
aber auch eine gegenläufige Entwicklung: Setzt der zweite Wirtschaftszweig verbilligte Produkte des ersten Wirt-
schaftszweiges ein, dann steigt nicht nur die Wertzusammensetzung infolge einer indirekten Senkung des Werts der
Arbeitskraft, es sinkt gleichzeitig auch die Wertzusammensetzung, da die zweite Branche die Produktionsmittel güns-
tiger erhält. Trotzdem ist es recht unwahrscheinlich, dass dieser gegenläufige Faktor dauerhaft eine Abnahme der
Wertzusammensetzung bewirkt. Denn dazu müsste die Senkung des Werts der Elemente des konstanten Kapitals
nicht nur die ursprüngliche Vermehrung des konstanten Kapitals, sondern auch die Senkung des Werts der Arbeits-
kraft kompensieren. Dies ist nur möglich, wenn den produktionsmittelproduzierenden Sektoren ein stabiler Produk-
tivitätsvorsprung vor den konsumtionsmittelproduzierenden Sektoren unterstellt wird. Aber selbst unter dieser Vor-
aussetzung führt die stetige Vergünstigung der Produktionsmittel eben auch zu einer Erhöhung der Wertzusammen-
setzung über die indirekte Senkung des Werts der Arbeitskraft. Die als dauerhaft angenommene Produktivitätsdiffe-
renz müsste demnach zusätzlich den von ihr selbst ausgehenden Effekt auf die Wertzusammensetzung auffangen.
Dieser Fall kann theoretisch zwar eintreten, ist aber sehr unwahrscheinlich. Vgl. BADER [u.a.] (1975, S. 224-229)
und HEINRICH (1999, S. 315-322).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 37 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

dass es die Dynamik des verselbstständigten sozialen Zusammenhangs ist, die zu einer – vom Verwer-
tungsstandpunkt des Kapitals aus – relativen „Überbevölkerung“ führt, ist explizit als Kritik der An-
fang des 19. Jahrhunderts einflussreichen biologistischen Bevölkerungstheorie von THOMAS R.
MALTHUS (1766-1834) angelegt.
MALTHUS legt in seinem Hauptwerk zur Bevölkerungstheorie An essay on the principle of population
seine sozialtheoretischen Grundannahmen dar: Das zentrale Problem, das eine Bevölkerungsregulie-
rung erst erforderlich macht, besteht für ihn in den unterschiedlichen Produktivitätsraten von
menschlicher Fortpflanzung und Nahrungsmittelvermehrung. Während die Bevölkerungsentwick-
lung einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8, 16 etc.) entsprechen soll 4 , könne die Nahrungsmittelpro-
duktion selbst unter den günstigsten geographischen Bedingungen nur gemäß einer arithmetischen
Reihe (1, 2, 3, 4, 5 etc.) ausgeweitet werden. 5 Folge dieser anthropologisch fundierten Produktivitäts-
differenz sei die systematische Hervorbringung einer Überbevölkerung, die zu Engpässen in der Le-
bensmittelversorgung, Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit führe. Der Bevölkerungszunahme stün-
den aber auch zwei retardierende Faktoren gegenüber: die „vorbeugenden“ 6 und die „positiven“ 7
Hemmnisse. Fasst MALTHUS unter den vorbeugenden Hemmnissen präventiv wirkende soziale Nor-
men (moralische und gesetzliche Regelungen des Sexuallebens) zusammen, reduzieren die positiven
Hemmnisse die Bevölkerungszunahme v.a. nachträglich über Armut, Hungersnot, Epidemien und
Kriege. Beide Hemmnisse seien zwar in jedem Land existent, aber nicht so stark ausgeprägt, dass sie
eine zunehmende Pauperisierung der „niederen Gesellschaftsklassen“ (ebd., S. 28) verhindern könn-
ten. Die einzige Möglichkeit, der Verarmung immer größerer Massen entgegenzuwirken, besteht für
MALTHUS in der bisher nur unzureichend durchgeführten Propagierung „sittliche[r] Enthaltsamkeit“
oder zumindest im „Verzicht[s] auf die Ehe, bis wir in der Lage sind, die Familie erhalten zu können“
(MALTHUS, 1924, Band 2, S. 249).
In Form einer polemischen Wendung adaptiert MARX die sprachliche Oberfläche des biologisti-
schen Domestizierungsdiskurses, wenn er von einer relativen „Überbevölkerung“ spricht. Bei ihm ist
es nämlich nicht die Koinzidenz von mangelnder Tugendhaftigkeit der Arbeiterklasse mit einer inva-
rianten wie defizitären Produktivitätsrate im Agrarsektor, die zur Arbeitslosigkeit führt, sondern es ist
der kapitalistische Produktionsprozess, der – unter Absehung von der absoluten Bevölkerungsent-
wicklung – systematisch eine „Surplus-Arbeiterbevölkerung“ (II.5/574) hervorbringt. Denn schon
unter der Voraussetzung einer konstanten Wertzusammensetzung des Gesamtkapitals würde ein als
kontinuierlich angenommener Akkumulationsprozess ab einem gewissen Zeitpunkt zu einer Nachfra-
ge nach Arbeitskräften führen, die nicht mehr bedient werden könnte. Dies führte nicht nur zu einer
den Akkumulationsprozess hemmenden Erhöhung der Arbeitslöhne. 8 Der unzureichende Nachschub
an Arbeitskräften würde die Fortsetzung der Revenuekapitalisierung verhindern und damit beim Ka-
pital das Bedürfnis erzeugen, lebendige Arbeit durch den vermehrten Einsatz von Maschinerie zu er-
setzen. Vollbeschäftigung kann daher nur ein temporäres Phänomen innerhalb der industriellen Zyk-
len sein, die in ihrem Durchschnitt zwangsläufig eine „industrielle Reservearmee“ (23/657) erzeugen. 9
MARX möchte im 23. Kapitel aber nicht nur den Nachweis erbringen, dass die innere Dynamik der
kapitalistischen Akkumulation immer auch Arbeitslosigkeit impliziert. Er versucht darüber hinaus zu

4
Siehe MALTHUS (1924, Band 1, S. 18).
5
Siehe ebd. (S. 21).
6
Siehe ebd. (S. 23-25).
7
Siehe ebd. (S. 25-26).
8
Vgl. 23/649.
9
Vgl. HEINRICH (1999, S. 324).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 38 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

zeigen, dass die steigende Wertzusammensetzung des Kapitals langfristig eine absolute Zunahme der
Arbeitslosigkeit präjudiziert – und das selbst bei fortschreitendem Kapitalwachstum. Diese „absolute
Abnahme der Nachfrage nach Arbeit“ (23/657) kann aber nur dann überzeugen, wenn plausible
Gründe dafür sprechen, dass die Zahl der Entlassungen (infolge zunehmender Technologisierung der
Produktion) nicht durch die Zahl der Einstellungen (infolge der Akkumulation) kompensierbar ist. 10
Dass MARX dies durchaus bewusst war, belegt der Beginn des 2. Unterkapitels. Dort schreibt er: „Üb-
rigens, wenn der Fortschritt der Akkumulation die relative Größe des variablen Kapitalteils vermin-
dert, schließt er damit die Steigerung ihrer absoluten Größe keineswegs aus“ (23/652). An dieser Stel-
le hält MARX es also durchaus für möglich, dass der mit der steigenden Wertzusammensetzung ein-
hergehende ‚Freisetzungseffekt’ durch den von der Akkumulation ausgehenden ‚Beschäftigungseffekt’
aufgefangen werden kann. Letztendlich verwirft er diese Möglichkeit aber dennoch. Die lebendige
Arbeit einsparende Steigerung der Wertzusammensetzung sei nämlich nicht nur Resultat der Akku-
mulation, sondern auch der Zusammenlegung von ursprünglich selbstständigen kleineren Kapitalien
(Zentralisation). 11 Die durch die Zentralisation intensivierte Abnahme des variablen Kapitalteils sei
aber nicht durch eine intensivierte Akkumulation kompensierbar, da diese eben auf wachsendem
Technologieeinsatz basiere und eine weitere Verringerung des in Arbeitskraft investierten Kapitals zur
Folge hätte. 12
Die Aussage, dass die Attraktion von Einzelkapitalien die Wertzusammensetzung steigen lässt, kann
zwar keinen Gesetzescharakter beanspruchen. Sie ist aber auch nicht unplausibel, da Kapitalzusam-
menschlüsse häufig erst die Durchführung technologischer Umwälzungen ermöglichen. 13 Problema-
tisch ist hingegen die weitergehende Annahme, dass die mit der Zentralisation verbundenen Verände-
rungen in der technischen Zusammensetzung Entlassungen in einer solchen Höhe hervorrufen, dass
selbst der Einstellungseffekt einer forcierten Akkumulation der „progressive[n] Produktion“ (23/657)
von Arbeitslosigkeit nicht ausreichend entgegenwirken kann. Für diese Annahme lassen sich zwar si-
cher viele empirische Fusionen als Belege heranziehen, „doch läßt sich aus dieser bloßen Anschauung
kein allgemeines Gesetz begründen“ (HEINRICH, 1999, S. 324).

IV.2 Arbeitslosigkeit und Pauperisierung


MARX versuchte in den ersten drei Unterkapiteln nicht nur zu beweisen, dass Arbeitslosigkeit unter
kapitalistischen Bedingungen existieren, sondern dass sie auch langfristig zunehmen muss. Aufbauend
auf dieser Diagnose formuliert er im vierten Unterkapitel das „absolute, allgemeine Gesetz der kapita-
listischen Akkumulation“ (23/674), das als vermeintliche Verelendungstheorie Gegenstand von zahl-
reichen innerlinken Debatten wurde. Als symptomatisch für diese Diskussionen kann der im An-
schluss an die Verabschiedung des Erfurter Programms der deutschen Sozialdemokratie (1891) ge-
führte ‚Revisionismusstreit’ gelten: 14 EDUARD BERNSTEIN, der über statistische Untersuchungen der
Eigentumsentwicklungen und deren Extrapolation zu zeigen beabsichtigte, dass die angeblich im Ka-
pital vorliegende Verelendungsprognose kontrafaktisch sei, wurde von seinen parteiinternen Gegnern
(CUNOW, KAUTSKY, LUXEMBURG) 15 zwar auch auf dem empirischen Feld attackiert. 16 Im Zentrum

10
Vgl. BADER [u.a.] (1975, S. 243) und HEINRICH (1999, S. 323).
11
Vgl. 23/654-657.
12
Vgl. 23/658.
13
Vgl. 23/656.
14
Vgl. hierzu WAGNER (1976, S. 22-32) und die instruktive Studie von WALTHER (1981).
15
Deren Auseinandersetzung mit BERNSTEIN zeichnet WALTHER (1981, S. 156-175) nach.
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 39 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

der Kritik standen aber die revolutionstheoretischen Implikationen seiner ‚Revision’: Erfolge eine
langfristige „Hebung der Lage der Arbeiterklasse teils als solcher, teils in den Mittelstand“, führe dies
zu einer „Abstumpfung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit“ – e und damit höre „der So-
zialismus auf, objektiv notwendig zu sein“. (LUXEMBURG, 1970, S. 376). Die zwischen Revisionisten
und Anti-Revisionisten geführte Auseinandersetzung um die Angemessenheit einer Verelendungsthe-
orie war im Kern eine Auseinandersetzung über die notwendige Herausbildung von revolutionärem
Klassenbewusstsein und der sich daraus ergebenen Verlaufsform politischer Konflikte: Beide Parteien
sahen mit einer langfristigen Verbesserung der Lebensbedingungen der Subalternen den revolutionä-
ren Übergang zum Sozialismus in Frage gestellt. 17 Differenzen ergaben sich erst bei den politischen
Konsequenzen: Versuchte der als Wahrer der Orthodoxie sich verstehende, in sich durchaus hetero-
gene SPD-Flügel seine verelendungstheoretischen Prämissen zu verteidigen, um die Vorstellung einer
geschichtlich verbürgten Revolution nicht aufgeben zu müssen, forderte der ‚revisionistische’ Flügel
um BERNSTEIN eine Abkehr von radikalen Gesellschaftsveränderungen zugunsten systemimmanenter
Reformpolitik. Dieser schroffe Gegensatz in der politischen Programmatik sollte aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass der Revisionismusstreit auf zwei problematischen Voraussetzungen basierte, die
in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung nur selten hinterfragt wurden:

(1) MARX vertritt im 23. Kapitel des Kapital eine – je nach Interpretation: absolute oder relative –
Verelendungstheorie 18
(2) Revolutionäres Bewusstsein ist Folge zunehmender materieller Deprivation

Tatsächlich gehen MARX und ENGELS noch 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei von einer
absoluten Verelendung des Proletariats aus. Dies sei zum einen Folge der mit der Industrialisierung
zunehmenden Ersetzung von ausgebildeten Facharbeitern durch unqualifizierte Arbeitskräfte, die zu
einer Reduktion des Durchschnittslohns auf das absolute Existenzminimum führe. 19 Zum anderen
gewährleiste der Arbeitslohn selbst das physische Existenzminimum immer seltener, weil sich mit den
herabsinkenden Mittelklassen der Konkurrenzdruck innerhalb des Proletariats stetig erhöhe. 20 Poin-
tiert formulieren sie:

„Der moderne Arbeiter hingegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter
die Bedingung seiner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich
noch schneller als Bevölkerung und Reichtum. [...] Sie [die Bourgeoisie, S.E.] ist unfähig zu herrschen, weil sie
unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern“ (4/473).

Vergleichen wir diese Voraussage, die MARX in den Anfängen seines politökonomischen Studiums
aufstellte, mit den im Kapital prognostizierten sozialstrukturellen Entwicklungen, dann fällt zuerst
auf, dass sie sich auf unterschiedliche Personengruppen beziehen. Während im Manifest der Kommu-
nistischen Partei die zunehmende Verelendung die gesamte Arbeiterklasse betrifft, unterscheidet
MARX bei der Formulierung des ‚allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation’ konse-
quent zwischen aktiven Arbeitern, Arbeitslosen und pauperisierten Arbeitslosen. Die im Kapital ange-
sprochenen Veränderungen betreffen nur die beiden letzten Personengruppen. Weiterhin zeigt sich,

16
Zur unterschiedlichen Auswertung der Sozialstatistiken durch BERNSTEIN und KAUTSKY siehe HOHORST (1978).
17
Vgl. MOHL (1978, S. 272) und WAGNER (1976, S. 24).
18
Diese Annahme findet sich auch bei ADORNO (1997b, S. 383-386) und HORKHEIMER (1985a, S. 83).
19
Vgl. 4/469.
20
Vgl. 4/471f.
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 40 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

dass MARX im 23. Kapitel auch nicht von einer weiter fortschreitenden Verelendung bereits depri-
vierter Arbeitsloser ausgeht, sondern lediglich die quantitative Zunahme dieser Deprivierten vorher-
sagt:

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums,
also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle
Reservearmee. [...]. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhaf-
ter die konsolidierte Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je
größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle
Pauperismus. Dies ist das absolute allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ (23/673f).

Im Unterschied zu den klassischen Verelendungstheorien – die entweder ein absolutes Sinken der Ar-
beitslöhne und Lebensstandards behaupten (‚absolute Verelendung’) oder von einer Erhöhung der
Reallöhne ausgehen, die aber hinter dem Wachstum der mehrwertfinanzierten Einkommen zurück-
bleibt (‚relative Verelendung) 21 – leitet MARX aus dem absoluten Wachstum der industriellen Reser-
vearmee das absolute Wachstum von dessen pauperisiertem Teil ab. 22 Diese Argumentation kann
zwar nicht überzeugen, da bereits der langfristige Anstieg der Arbeitslosigkeit, aus dem MARX die
Ausdehnung des Pauperismus unter den Nicht-Beschäftigten deduziert, auf dieser Abstraktionsstufe
nicht begründet werden kann. 23 Der an MARX gerichtete Vorwurf, hier eine Verelendungstheorie zu
begründen, geht aber fehl, da Verelendungstheorien nicht auf die proportionale Ausweitung des Paupe-
rismus innerhalb der wachsenden industriellen Reservearmee zielen, sondern von einer progressiven Ver-
schärfung subalterner Lebenslagen infolge von absoluten oder relativen Lohnsenkungen ausgehen (die
erste Aussage bezieht sich auf die quantitative Entwicklung von Personengruppe A, die zweite Aussage
auf die qualitative Entwicklung von Personengruppe B).
Dieser Interpretation scheint die Tatsache zu widersprechen, dass MARX im 23. Kapitel von einer
zunehmenden „Verschlechterung der Lage der Arbeiter“ und wachsender „Qual“ spricht. Bevor aller-
dings vorschnell auf die Existenz einer ‚Verelendungstheorie’ im Kapital geschlossen wird, sollte der
Kontext geprüft werden, in dem MARX diese Begriffe verwendet:

„Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts: innerhalb des kapitalisti-
schen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf
Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs-
und Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn
zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen
Potenzen des Arbeitsprozesses im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einver-
leibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeits-
prozesses der kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit [...]. Aber alle Methoden
zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumula-
tion wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumu-
liert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung sei, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß“
(23/674f).

Die Verschlechterung der Lage des Lohnarbeiters folgt nicht aus kontinuierlichen Lohnsenkungen
(„welches immer seine Zahlung sei, hoch oder niedrig“), sondern aus den – die Menschen zu bloßen
Produktionsfaktoren herabsetzenden – Methoden zur Produktion des relativen Mehrwerts. Die Ein-

21
Vgl. WAGNER (1976).
22
Vgl. KRÄTKE (1994, Sp. 453f).
23
Vgl. HEINRICH (1999, S. 324f).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 41 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

führung dieser Methoden ist Grundbedingung einer forcierten Akkumulation, die wiederum zu einer
erneuten Revolutionierung der Arbeitsorganisation führt. Da die neuen Arbeitstechniken und Ar-
beitsabläufe aber nicht von Menschen eingeführt werden, die sich selbstbewusst zur Gemeinschaft
zusammenschließenden, um ihre individuellen wie kollektiven Interessen verfolgen zu können, son-
dern Teil eines Prozesses sind, der mit der Verwertung des Werts auf einen außermenschlichen Zweck
ausgerichtet ist, reduzieren sie die Menschen auch zunehmend auf ein für die Verwertung notwendi-
ges Mittel oder Anhängsel. 24 Diese bereits in der vorangegangenen Darstellung gewonnene Einsicht
in die Logik kapitalistischer Modernisierung wiederholt MARX lediglich, wenn er von einer mit der
Akkumulationsdynamik sich verschlechternden Lage des Arbeiters spricht.
Der verelendungstheoretische Diskurs identifizierte aber nicht nur fälschlicherweise MARX’ umfas-
senderes Verständnis von sozialem ‚Elend’ mit der Extrapolation von Einkommensentwicklungen, er
unterstellte – wie oben bereits angesprochen – als Konsequenz aus den progressiven Lohnsenkungen
auch die Zunahme von antikapitalistischem Bewusstsein. Zahlreiche historische Analysen der Krisen-
und Revolutionsforschung sprechen aber gegen diesen monokausalen Zusammenhang. So kommt
WAGNER zu dem Schluss, dass extreme Formen der absoluten Verelendung zu Hungerrevolten füh-
ren können, langfristige revolutionäre Mobilisierung aber durch individuelle Überlebensstrategien
verhindert werden. 25 Die großen Revolutionen (die ‚Glorious Revolution’ 1688 in Großbritannien,
die ‚amerikanische Revolution’ 1776, die ‚Oktoberrevolution’ 1917 in Russland) fielen nicht in eine
Periode der absoluten Verarmung, sondern in eine Zeit, in der langfristig gestiegene Erwartungen ent-
täuscht wurden. 26 Für einen auf materieller Deprivation basierenden Automatismus revolutionärer
Umwälzung ließe sich in der Geschichte hingegen kein einziges Beispiel finden. 27

IV.3 Formanalyse zwischen materialistischer Geschichtstheorie und


spekulativem Geschichtsdenken
Mit der Zurückweisung von Interpretationen, die im 23. Kapitel die Grundlagen für eine verelen-
dungstheoretisch fundierte Revolutionstheorie sehen, soll keineswegs die Abwesenheit jeglicher positi-
ven Revolutionstheorie im Kapital suggeriert werden – und tatsächlich wird in dem deklamatorischen
Teil Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation die Aufhebung von Entfremdung im
Horizont einer geschichtsphilosophischen Konstruktion thematisiert, welche in ihrer Ausrichtung an
der Struktur einer spekulativen Vernunftgeschichte den von MARX bereits gewonnenen Einsichten
über den Zusammenhang von Arbeit, Geschichte und Vernunft entgegensteht. 28
Unter ‚Geschichtsphilosophie’ wird häufig der Versuch verstanden, „die Menschheitsgeschichte im
Ganzen zusammenzufassen und deren wesentliche Zusammenhänge durch ein eingehendes Schema
festzuhalten“. (BURGIO, 2003, S. 170). MARX selbst lehnte in einem offenen Brief an die Redaktion
der ‚Otetschwestwennyie Sapiski’ von 1877 diese Suche nach einem „Universalschlüssel einer allge-

24
Vgl. HEINRICH (1999, S. 326).
25
Vgl. auch KOCKA (1983, S. 95f).
26
„So geht aus den Steuerlisten des ancien régime vor der großen Revolution von 1789 hervor, daß diejenigen
Menschen, die später Träger der Revolution waren, nicht nur immer höhere Realeinkommen bezogen, zugleich
war die vorrevolutionäre Zeit eine Zeit tiefgreifender Reformen, die lange Zeit hatte auf sich warten lassen und
die in den späteren Trägern der Revoluion [sic!] ein Gefühl von Erfolg und selbstbewußter Hoffnung gegeben
haben muß“ (WAGNER, 1976, S. 73f).
27
Vgl. WAGNER (1976, S. 71-76).
28
Vgl. ARNDT (1998).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 42 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

meinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu


sein“ (19/112) ausdrücklich ab. Im selben Brief wehrt er sich gegen einen Kritiker, der seine „histori-
sche Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische
Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln [muß], der allen Völkern schicksalsmäßig
vorgegeben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen“ (19/111). Spekulatives Ge-
schichtsdenken muss aber nicht zwangsläufig auf eine Konstruktion der Menschheitsgeschichte im
Ganzen zielen. Es kann durch Eigenschaften charakterisiert werden, die auch auf weniger umfassende
Konzeptionen zutreffen:

(1) Es wird von in der Geschichte oder in bestimmten Phasen der Geschichte wirksamen Gesetzen,
Kräften oder Determinanten ausgegangen, mit deren Identifikation, die vom Geschichtsphiloso-
phen als bereits abgeschlossen unterstellt wird, sich nicht nur der Ablauf der Vergangenheit, son-
dern auch der notwendige Verlauf der Zukunft erschließt. 29 Hier liegt auch die differencia speci-
fica von materialistischer Geschichtstheorie und Geschichtsphilosophie: Gelingt jener, vermittelt
über die begriffliche Durchdringung der bestehenden Gesellschaft, ein Zugriff auf vergangene
Gesellschaftsformationen 30 , konstruiert diese von der höchsten Aussichtsplattform, die eine nicht
mehr überbietbare Erkenntnis garantiert, vergangene und zukünftige Geschichte als unabänderli-
chen zielgerichteten Prozess.
(2) Das im Hinblick auf den naturwüchsigen Charakter des historischen Prozesses sinnstiftende Telos
zeichnet sich durch eine moralische oder normative Qualifikation aus: sei es der fortlaufende Ver-
lust eines Gesellschaftsideals (ein Verfallsmodell vertritt FRIEDRICH SCHLEGEL) oder dessen sukzes-
siver Gewinn (so garantiert die „Naturabsicht“ bei KANT den Fortschritt zu republikanischer Ver-
fassung, Völkerbund und ewigem Frieden 31 ), die zirkelhafte Wiederkehr des Immergleichen in ei-
ner göttlichen Ordnung (die religiöse Vorstellung einer permanenten Oszillation und die darauf
aufbauende Idee einer ‚Historia Magistra Vitae’ hielt sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 32 )
oder die in Entfremdungsphilosophien unterstellte Wiederaneignung einer in der Menschheitsge-
schichte verloren gegangenen Harmonie (z.B. in BRUNO BAUERs Philosophie des Selbstbewusst-
seins oder in FEUERBACHs Wesensphilosophie 33 ).
(3) Zur Absicherung eines spekulativen Modells wird häufig unterstellt, dass der privilegierte Ort der
Erkenntnis erst ab einem bestimmten historischen Entwicklungsgrad eingenommen werden konn-
te. So soll plausibel gemacht werden, warum früheren Generationen die auch in der Zukunft nicht
mehr überbietbare Gesamterkenntnis verwehrt blieb. 34

Die ersten beiden Charakteristika treffen auch auf den Unterabschnitt Die Geschichtliche Tendenz [...]
zu, wenn MARX über den im 23. Kapitel eingeführten Zentralisationsprozess des Kapitals die Not-
wendigkeit eines systemtranszendierenden Klassenkampfes zu begründen beabsichtigt:

29
Vgl. HEINRICH (1996, S. 62f).
30
Berühmt wie treffend ist der Vergleich aus den Grundrissen: „In der Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur
Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf ein Höhres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur
verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist“ (GR/26).
31
Siehe KANT (1977a und 1977b).
32
Vgl. KITTSTEINER (1980, S. 90-105)
33
Siehe hierzu KRATZ (1979, S. 31-106).
34
Vgl. HEINRICH (1996, S. 63f).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 43 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

„Diese Expropriation [der Kapitalisten, S.E.] vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalis-
tischen Produktion selbst. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Ex-
propriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets
wachsender Stufenleiter [...]. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile
dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der
Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den
Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiter-
klasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die
Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unver-
träglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigen-
tums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert“ (23/791).

Von undogmatischen Marxisten wurde dieser Geschichtsdeterminismus zu Recht als unwissenschaft-


lich abgelehnt. 35 Gleichzeitig sahen viele von ihnen in dieser divinatorischen Passage eine verständli-
che politische Intervention, da MARX durch die wissenschaftlich nicht gedeckte Versicherung nur das
Selbstvertrauen des Proletariats hätte stärken wollen. Andere Interpreten gingen davon aus, dass
MARX an dieser Stelle entweder Opfer seines durch kontrafaktische Entwicklungen untrübbaren Op-
timismus geworden sei 36 , oder sie erklärten den notwendigen Übergang zum Kommunismus als eine
für die psychische Konstitution von MARX wichtige Selbstversicherung. 37
Nun soll nicht bestritten werden, dass strategische Überlegungen oder psychische Impulse bei Abfas-
sung der zitierten Zeilen eine Rolle gespielt haben könnten. Die subjektzentrierten Interpretationen
übersehen jedoch, dass MARX sich 1877 ausdrücklich gegen den Vorwurf wendete, die den Kommu-
nismus verbürgende „Geschichtliche Tendenz“ nicht bewiesen zu haben. Der Beweis, so MARX, sei
schon vorhanden, nur nicht an dieser Stelle. Schließlich handele es sich bei der Geschichtlichen Ten-
denz der kapitalistischen Akkumulation nur um die „summarische Zusammenfassung langer Entwick-
lungen, die vorher in den Kapiteln über die kapitalistische Produktion gegeben worden sind“
(19/111). Dies muss bezweifelt werden. Denn im 23. Kapitel führt MARX nicht nur die Zentralisati-
on, sondern auch einen gegenläufigen Effekt ein: „[...] das Wachstum der funktionierenden Kapitale
ist durchkreuzt durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die Akkumulation
daher einerseits dar als wachsende Konzentration der Produktionsmittel und des Kommandos über
Arbeit, so andrerseits als Repulsion vieler individueller Kapitale voneinander“ (23/654). Wenn MARX
später von einer „abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten“ ausgeht, müsste er begründen, warum die
Zentralisation der Kapitale schneller voranschreitet als ihre Dezentralisation. Aber selbst wenn dies
gelänge, spräche gegen ein zwangsläufig zunehmendes antikapitalistisches Bewusstsein immer noch
die ideologische Schwerkraft des Systems. 38 Anstatt apodiktische Prophetien 39 zu verkünden, hätte
sich MARX in Bezug auf den zukünftigen historischen Verlauf in seiner „summarische[n] Zusammen-
fassung langer Entwicklungen“ die Darstellung der Ambivalenzen kapitalistischer Modernisierung
beschränken sollen: Diese erzeugt nicht nur Ermöglichungsbedingungen von Emanzipation („Bil-

35
Siehe u.a. GOLDSCHMIDT (1992) und KRÄTKE (1994, Sp. 459f). LIEBER/OTTO (1996) und SCHWEIER (1996, S.
52) bestreiten hingegen immer noch das Vorliegen geschichtsphilosophischer Topoi bei MARX. Sie explizieren (über-
zeugend) die dezidiert geschichtsphilosophiekritischen Gehalte, gehen auf die deterministischen Äußerungen im 24.
Kapitel aber leider nicht bzw. nicht näher ein.
36
„Insofern ist dieser Abschnitt eher Ausdruck seiner Hoffnung als seiner Analyse; der revolutionäre Enthusiasmus
siegte hier über den kühlen Wissenschaftler“ (HEINRICH, 2004a, S. 201).
37
Siehe REICHELT (1999).
38
Siehe Kapitel 3.
39
„Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation“
(23/791).
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 44 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

dungselemente einer neuen [...] Gesellschaft“) und selbstdestruktive Dynamiken („Umwälzungsmo-


mente der alten Gesellschaft“, 23/408), sondern auch Faktoren, die den inhärenten Widersprüchen
entgegenwirken und zur Stabilisierung des Systems beitragen. Welche dieser Variablen in welchem
Umfang die Richtung des geschichtlichen Prozesses beeinflussen, ist aber abhängig von konkreten
historischen Konstellationen und damit nicht a priori bestimmbar. 40

Eine immanente Kritik der MARXschen Argumentation konnte zeigen, dass der absolute Anstieg der
„industriellen Reservearmee“ und das hierzu proportionale Wachstum von dessen pauperisiertem Teil
keinen Gesetzescharakter beanspruchen können. Der heuristische Wert des 23. Kapitels für eine em-
pirische Soziologie besteht nur bedingt in der Bereitstellung eines Sets von Forschungsvariablen, ob-
gleich die intermediären Forschungen der ‚Regulationsschule’ 41 zeigen, dass die von MARX verwende-
ten Schnittstellen (Konzentration, steigende Wertzusammensetzung, Zentralisation) durchaus sinn-
voll zur Periodisierung von Akkumulationsregimen operationalisiert werden können. 42 Was kann es
einer empirisch orientierten Forschung aber dann noch sagen? Im zweiten Teil wurde versucht deut-
lich zu machen, dass Formanalyse als Teil einer nicht-anwendungsbezogenen Grundlagenforschung
die immanente Logik der sozialen Objektwelt zu reflektieren beansprucht, um einen Bruch mit deren
„objektive[n] Gedankenformen“ (23/90) zu evozieren. Als Kritik an den im Gesellschaftssystem ver-
ankerten Ideologisierungseffekten sollte die Kritik der politischen Ökonomie daher als Regulativ auf die
sozialwissenschaftlichen Analysen bezogen werden, die den falschen Schein ihres Gegenstandes be-
grifflich reproduzieren anstatt zu durchbrechen. Das im Individualisierungsdiskurs behauptete ‚Ende
der Klassengesellschaft’ erwiese sich dann ebenso als ideologisch wie die Unterstellung, kapitalistische
Akkumulation sei unter der Voraussetzung, dass die von der politökonomischen Wissenschaft erarbei-
teten Reformvorschläge nur umgesetzt würden, auch dauerhaft ohne Arbeitslosigkeit zu haben. Der
heuristische Wert des 23. Kapitels bestünde dann also in einer Kritik des – von Sozialstrukturfor-
schern häufig geteilten – befangenen Gegenwartsbewusstseins, das die Ursache von Arbeitslosigkeit
nicht in der Dynamik kapitalistischer Akkumulation, sondern ausschließlich in kontingenten und
systemimmanent bearbeitbaren Zuständen verortet.
Die Annahme eines Automatismus der Befreiung muss hingegen als unwissenschaftlich verworfen
und als MARX’ eigener, antiszientistischer Idee kommunistischer Freiheit diametral entgegengesetzt

40
Vgl. HEINRICH (1996, S. 72).
41
Zu den Grundlagen des regulationstheoretischen Ansatz siehe JESSOP (2001).
42
Die Regulationsschule bildet hier eine Ausnahme. In zahlreichen Marxismen avancierte die Zentralisation hinge-
gen zum Universalschlüssel für das Verständnis kapitalistischer Transformation. So glaubt LENIN, MARX hätte im
Kapital bewiesen, „daß die freie Konkurrenz die Konzentration der Produktion erzeugt, diese Konzentration aber auf
einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung zum Monopol führt“ (LENIN, 1987a, S. 175). Mit der vollständigen Mo-
nopolisierung ergeben sich nun folgende Veränderungen: a) Industriekapital und Bankkapital verschmelzen b) der
Kapitalexport gewinnt an Bedeutung gegenüber dem Warenexport c) internationale monopolistische Kapitalisten-
verbände teilen die Welt unter sich auf d) die kapitalistischen Großmächte flankieren die ökonomische Aufteilung
durch eine territoriale (siehe ebd., S. 227). LENINs Abhandlung kann geradezu als Paradebeispiel einer ökonomisti-
schen Erklärung gelten: Der grundlegend neue Zustand, der irreversible Übergang von der liberalen Phase des Kapi-
talismus zum Imperialismus, dem höchsten Stadium des Kapitalismus, sei monokausal auf die in der Konkurrenz
angelegte Zentralisation zurückzuführen. Weitere problematische Implikationen imperialismustheoretischer Ansätze
legt HEINRICH (2003) offen.
IV. DAS ALLGEMEINE GESETZ DER KAPITALISTISCHEN AKKUMULATION: - 45 -
ARBEITSLOSIGKEIT UND PAUPERISIERUNG IM KAPITAL

abgelehnt werden: Das gegenüber Poppers Widerlegung des ‚Historizismus’ 43 vorgebrachte Argu-
ment, der gesellschaftliche Wandel werde in antagonistischen Gesellschaften nicht bewusst herbeige-
führt, sondern naturwüchsig vollzogen, beschreibt zwar den bisherigen Geschichtsverlauf durchaus
zutreffend, geschichtsphilosophisch gewendet läuft es aber darauf hinaus, soziale Emanzipation nicht
mehr als freie Tat, sondern als Resultat der blind wirkenden Mechanismen und Destruktionskräfte zu
begreifen, die ein auf Selbstbestimmung zielender Freiheitsbegriff gerade kritisiert. Die in den ‚esoteri-
schen’ 44 Schichten des MARXschen Werkes formulierte Einsicht, dass die Vorstellung einer freiheits-
garantierenden Tiefenstruktur in der Geschichte nicht nur nicht aufrecht erhalten, sondern wissensso-
ziologisch aus der Verselbständigung der Medien gesellschaftlicher Synthesis erklärt werden kann,
impliziert andererseits aber auch keine unkritische Rückkehr zum transzendentalphilosophischen Sol-
lensbegriff. 45 Denn im Unterschied zur abstrakten Utopie, welche ein Freiheitskonzept der Gesell-
schaft als ein ihr äußerliches Ideal entgegensetzt und sich damit bloß abstrakt-negativ auf das Beste-
hende bezieht, drängt der von einem normativen Standpunkt aus formulierte Freiheitsbegriff der
‚konkreten Utopie’ (BLOCH) auf die Verwirklichung der im Kapitalismus entwickelten Emanzipati-
onspotentiale. 46

43
Das deduktiv-nomologische Argument von KARL R. POPPER, das die Geschichtsphilosophie falsifizieren soll, lau-
tet: (1) Die Entwicklung des menschlichen Wissens hat einen Einfluss auf den Verlauf der menschlichen Geschichte.
(2) Mit den wissenschaftlichen Methoden, die uns zur Verfügung stehen, können wir nicht voraussagen, welche Er-
kenntnisse in der Zukunft gewonnen werden. Schlussfolgerung: Der Verlauf der menschlichen Geschichte ist nicht
vorhersagbar. Vgl. POPPER (1979, XIf).
44
Zum Begriffspaar esoterisch/exoterisch siehe HEINRICH (1998).
45
Zur HEGELschen Auseinandersetzung mit der von KANT, FICHTE und dem frühen SCHELLING begründeten Tra-
dition siehe MARQUARD (1973, S. 37-51).
46
vgl. BLOCH, 1970, S. 92-99.
V. ZUR HISTORIZITÄT DES KLASSENBEGRIFFS - 46 -

V. Zur Historizität des Klassenbegriffs

„Klare Wörter sind das Licht des menschlichen Geistes [...]. Und im Ge-
gensatz dazu sind Metaphern und sinnlose und zweideutige Wörter wie
Irrlichter, und sie dem Denken zugrunde legen heißt durch eine Unzahl
von Widersinnigkeiten wandern, und an ihrem Ende stehen Streit und
Aufruhr oder Ungehorsam."
THOMAS HOBBES

In den Auseinandersetzungen über die Frage, ob und in welchen Schriften von MARX eine Ge-
schichtskonstruktion a priori vorliegt, wurde immer wieder auch die Frage nach der Historizität des
Klassenbegriffs gestellt: Bezeichnet der Begriff ‚Klasse’ ein für die kapitalistische Produktionsweise
spezifisches Phänomen, so dass seine Anwendung auf vorbürgerliche Sozialsysteme Gefahr läuft, diese
nach einem ihnen fremden Kriterium zu modellieren, oder verwischt gerade die Reservierung des
Klassenbegriffs für nur eine Sozialformation die Kontinuitäten in der „Vorgeschichte der menschli-
chen Gesellschaft“ (13/9)? Mit anderen Worten: Existieren Klassen auch vor oder nur nach der
Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse?
NIKLAS LUHMANN konzediert MARX eine „konsequente Historisierung des Klassenbegriffs“
(LUHMANN, 1985, S. 123). 1 Dieser Historisierung liege die Erkenntnis zugrunde, dass funktional
differenzierte Gesellschaften darauf verzichten müssen, Interaktionen unter Anwesenden durch Stan-
deszugehörigkeit zu regulieren. In stratifikatorischen 2 Sozialsystemen sei dies noch anders gewesen.
Hier habe jeder gewusst, welchen Rang er hat – und nur dieses Wissen ermöglichte eine adäquate
Teilnahme an den hierarchisierten, die Gesellschaft im Ganzen repräsentierenden Interaktionsformen.
Da mit der Umstellung der sozialen Differenzierung von Status auf Funktion soziale Ungleichheiten
aber nicht verschwanden, sondern zwecks Reduzierung von Komplexität 3 in multidimensionalen,
wechselseitig sich verstärkenden Benachteiligungen wiederkehrten, bedarf es nach LUHMANN einer
Semantik, mit der die Gesellschaft die Reproduktion von Ungleichheit in Form von Clustern reflek-
tieren kann. Gleichzeitig erfasse der Klassenbegriff die mit der Ablegung von Stratifikation sich erge-
benden Individualisierungspotentiale. Denn Klassen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwar weiter-
hin ökonomische, aber eben keine normativen Barrieren beim Zugang zu Rollen(kombinationen)
errichten. 4
Damit trifft LUHMANN – trotz der erheblichen Differenzen zur formanalytischen Klassentheorie 5 –
durchaus einen Aspekt der von MARX in der Deutschen Ideologie und der Reflection herausgearbeiteten

1
Die „analytischen Leistungen der (unabgeschlossenen) MARXschen Klassentheorie“ (ebd., Anm. 34) würden aber
konterkariert von der berühmten Einleitung des Manifest, nach der „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft [...]
die Geschichte von Klassenkämpfen“ (4/462) sei. Damit generalisiere MARX „den Klassenbegriff zu einer universal-
historischen Konstante“ und mache „ihn damit für historische Analysen unbrauchbar“ (ebd.).
2
Zur Unterscheidung von segmentären, stratifikatorischen und funktional differenzierten Gesellschaften siehe
LUHMANN (1997, S. 634-663, S.678-707 und 743-776).
3
Vgl. LUHMANN (1985, S. 145). Die Aussage, dass in einer funktional differenzierten Gesellschaft das privilegiert
werden muss, was in anderen Bereichen schon privilegiert ist, um eine von den Subsystemen nicht verarbeitbare
Komplexität zu minimieren (mit anderen Worten: funktionale Differenzierung lässt sich nicht durchhalten ohne
Imitation stratifikatorischer Ordnung), wird von LUHMANN an keiner Stelle weiter erläutert. Eine Leerformel tritt an
die Stelle einer tragfähigen Erklärung.
4
Vgl. LUHMANN (1985, S. 131).
5
Diese ergeben sich aus LUHMANNS Aspiration in Die Wirtschaft der Gesellschaft, über die Leitdifferenz ‚Zah-
lung/Nicht-Zahlung’ die Autopoieses des ökonomischen Subsystems begründen zu können. Mit dieser binären Co-
dierung verbleibt LUHMANN aber auf der Ebene der nicht-selbstreproduktiven einfachen Zirkulation und ihrem i-
V. ZUR HISTORIZITÄT DES KLASSENBEGRIFFS - 47 -

Distinktion von Eigenschaften, die ein Individuum als persönliches Individuum auszeichnen, und
den Merkmalen, die es zu einem Klassenindividuum machen. Die Trennung der Persönlichkeit von
der Personifikation einer ökonomischen Kategorie ist in ständischen Gemeinwesen noch nicht vor-
handen; ökonomische und herrschaftliche Qualitäten des Individuums stellen noch eine unzertrennli-
che Einheit dar.
Um diese Entwicklung begrifflich zu fassen, unterscheidet MARX zwischen einer vorbürgerlichen
Ständeordnung und einer kapitalistischen Klassengesellschaft: „Beim Stand hängt der Genuß des Indi-
viduums, sein Stoffwechsel, von der bestimmten Theilung der Arbeit ab, der es subsumiert ist. Bei der
Klasse nur vom allgemeinen Tauschmittel“ (I.13/509). Die Umstellung von einer überdeterminierten,
in vielfältiger Weise von Herrschaft und gebrauchswertorientierten Normen durchzogenen ‚morali-
schen Ökonomie’ 6 zu einer Gesellschaft, die öffentliche Gewalt und Wirtschaft in relativ autonome
Sphären trennt und ihren Stoffwechsel über ein allgemeines Äquivalent realisiert, ermöglicht demnach
einen zivilisatorischen Fortschritt: Erweiterung und Differenzierung der Bedürfnisse sowie Steigerung
der Genussfähigkeit auch für die unmittelbaren Produzenten. 7 Der Klassencharakter bleibt zwar auch
in der Zirkulation über die Quantität des dem Käufer zur Verfügung stehenden Geldes präsent, aber
der Käufer unterscheidet sich nicht mehr qualitativ von anderen Käufern. Denn beim kapitalistischen
Warenverkehr handelt es sich um einen Austausch unter Gleichen, wie ungleich Käufer und Verkäu-
fer im Hinblick auf die Aneignung des Mehrprodukts auch immer sein mögen, während im ständisch
organisierten Feudalismus die Interaktionsformen nur durch die Ungleichheit und Beschränktheit der
Subjekte aufrecht erhalten werden konnten. 8
Damit sollte deutlich geworden sein, dass LUHMANN 9 sich nicht zu Unrecht auf MARX bezieht,
wenn er mit Stand und Klasse die Differenzen von zwei historischen Vergesellschaftungsweisen
sprachlich fixiert. Andererseits verwendete MARX den Klassenbegriff immer wieder im Rahmen kon-
kreter historischer Prozessanalysen und bei der Formulierung einer diese anleitenden geschichtswis-
senschaftlichen Heuristik. In der Deutschen Ideologie, die durch die Abkehr von der Wesensphiloso-
phie FEUERBACHs den Anfang einer materialistischen Geschichtsauffassung markiert 10 , apostrophie-
ren MARX und ENGELS, nachdem sie die allgemeinen Voraussetzungen der Menschheitsgeschichte
benannt haben – u.a. die körperliche Konstitution der Menschen, ihr Verhältnis zur ihnen äußerli-

dealisierend-reduktionistischen Schein. Zu dem Realgrund der einfachen Zirkulation – dem Kapitalverhältnis – kann
er nicht vorstoßen und muss folgerichtig einen formanalytischen Begriff von Klasse ablehnen.
6
Siehe hierzu THOMPSON (1980).
7
Die Arbeiterklasse hat jetzt „ein größeres Mittel die allgemeinen Mächte der Gesellschaft, wie die intellektuellen,
sich anzueignen. Wo die Art des Einkommens noch bestimmt ist durch die Art des Erwerbs selbst, nicht blos, wie
jetzt durch die Quantität des allgemeinen Tauschmediums, sondern durch die Qualität seines Erwerbs selbst, sind
die Beziehungen, in die sie zur Gesellschaft treten und sich aneignen kann, unendlich bornirter und das gesellschaft-
liche Organ für den Stoffwechsel mit den materiellen und geistigen Produktionen der Gesellschaft von vornherein
auf eine bestimmte Weise und einen besondren Inhalt eingeschränkt. Geld, als der höchste Ausdruck der Klassenge-
gensätze, verwischt daher zugleich die religiösen, ständischen, intellektuellen und individuellen Unterschiede“
(I.13/509).
8
„Wenn sie [die Angehörigen der höheren Klassen] einkaufen, kaufen sie so ein, wie jedermann einkaufen würde.
Wenn sie lieben, lieben sie so, wie jedermann lieben würde. Nur geht es eben um teurere Objekte und schönere
Partner“ (LUHMANN, 1985, S. 131). Nun ist durch BOURDIEUs Untersuchung kultureller Schließungsprozesse, die
auch formale Ausgrenzungen beinhalten können, bekannt, dass die ‚Gesellschaft des guten Geschmacks’ anders ein-
kauft als die Subalternen, aber dieser Umstand kann noch in der terminologischen Trennung von Stand und Klasse
formuliert werden: Es handelt sich dann um ständische Flankierungen des vom kapitalistischen Produktionsprozess
reproduzierten Klassenverhältnisses.
9
Ebenso GERSTENBERGER (1990, S. 22-34).
10
Siehe HEINRICH (1999, S. 121-141) und KLUCHERT (1985, S. 70-103).
V. ZUR HISTORIZITÄT DES KLASSENBEGRIFFS - 48 -

chen Natur, die Notwendigkeit Lebensmittel zu produzieren und dabei bestimmte soziale Verhältnis-
se einzugehen 11 –, in einer kurzen historischen Skizze die antiken und feudalen Produktionsverhält-
nisse als Klassenverhältnisse. So schreiben sie zu dem durch Sitte, Moral und Gewalt abgesicherten
Grundbesitz im Feudalismus:

„Diese feudale Gliederung war ebensogut wie das antike Gemeindeeigentum eine Assoziation gegenüber der be-
herrschten Klasse; nur war die Form der Assoziation und das Verhältnis zu den unmittelbaren Produzenten ver-
schieden, weil verschiedene Produktionsbedingungen vorlagen“ (4/24).

Geht aus diesem Zitat nur hervor, dass mit dem Klassenbegriff ein Herrschaftsverhältnis bezeichnet
wird, präzisieren spätere Ausführungen, dass dieses Verhältnis die Appropriation des von einer Grup-
pe erarbeiteten Surplusprodukts durch eine andere Gruppe zum Inhalt hat. 12 Dem Wort ‚Klasse’ wird
hier folglich eine allgemeinere Bedeutung zugewiesen: Es bezeichnet nicht mehr – wie bei der Dis-
tinktion von Klasse und Stand – die formationsspezifischen Modifikationen, sondern das mehrere
Sozialsysteme übergreifende, auf Aneignung fremder Arbeit basierende Herrschaftsverhältnis selbst.
Die Erkenntnis, dass die bisherige Geschichte der menschlichen Zivilisation in dieser Hinsicht einen
negativen Zusammenhang stiftet, impliziert hingegen nicht die bei Historikern marxistisch-
leninistischer Provenienz beliebte Verfahrensweise, in Klassen und Klassenkämpfen den entscheiden-
den Grund einer jeden geschichtlichen Entwicklung zu sehen. MARX und ENGELS wenden sich in
der Deutschen Ideologie ausdrücklich gegen diesen Reduktionismus. Sie plädieren stattdessen für ein
induktives Verfahren, das aus der Gesamtheit der historischen Abläufe „allgemeine Resultate“ abstra-
hiert.

„Diese Abstraktionen haben für sich, getrennt von der wirklichen Geschichte, durchaus keinen Sinn. Sie können
nur dazu dienen, die Ordnung des geschichtlichen Materials zu erleichtern, die Reihenfolge seiner einzelnen
Schichten anzudeuten. Sie geben aber keineswegs, wie die Philosophie, ein Rezept oder Schema, wonach die ge-
schichtlichen Epochen zurechtgestutzt werden können“ (4/27). 13

Die rezeptionsgeschichtlichen Auseinandersetzungen über die Historizität des Klassenbegriffs können


als Symptome des der formanalytischen Programmatik inhärenten Problems begriffen werden, Aneig-
nung fremder Arbeit terminologisch so zu fassen, dass in deren differenten Formen nicht ihre Konti-
nuität und in ihrer Kontinuität nicht deren differente Formen verloren gehen. Reagierte MARX auf
die Schwierigkeit durch die Belegung des Signifikanten ‚Klasse’ mit zwei transitorischen Signifikaten 14
(einem formationsspezifischen und einem formationsübergreifenden), adaptierten marxistische Auto-
ren häufig nur noch einen der beiden Begriffe, um ihn gegen den anderen auszuspielen. Die der Mo-
nosemierung geschuldete Alternative lautet dann: Klassen existieren auch in Formationen, die der ka-

11
Vgl. 3/20f.
12
Vgl. RITSERT (1998, S. 24).
13
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Autoren zuweilen gegen ihre eigene Richtlinie verstoßen. So gerät die
Empirie zur bloßen Illustration theoretischer Vorentscheidungen, wenn sie behaupten, „daß alle Kämpfe innerhalb
des Staats, der Kampf zwischen Demokratie, Aristokratie und Monarchie, der Kampf um das Wahlrecht etc. etc.,
nichts als die illusorischen Formen sind, in denen die wirklichen Kämpfe der verschiedenen Klassen untereinander
geführt werden“ (4/33, Herv. von mir).
14
Über den polysemantischen Charakter bestimmter Wörter war er sich durchaus bewusst. Zur doppelten Belegung
der Zeichenkette ‚notwendige Arbeit’ schreibt MARX im Kapital: „Der Gebrauch derselben termini technici in ver-
schiednem Sinn ist mißlich, aber in keiner Wissenschaft ganz zu vermeiden“ (23/231).
V. ZUR HISTORIZITÄT DES KLASSENBEGRIFFS - 49 -

pitalistischen vorhergingen oder nur als Strukturprinzip poststratifikatorischer Gesellschaften 15 – ein


fruchtloser Streit, bei dem beide Kontrahenten zahlreiche MARX-Zitate für sich ins Feld führen kön-
nen.

15
Der Beitrag von MICHAEL MAUKE weicht von diesen Rezeptionslinien ab. Nach ihm eignet sich die Klassentermi-
nologie nur für persönliche Abhängigkeitsverhältnisse und frühbürgerliche Gesellschaften. Der entwickelte Kapita-
lismus könne hingegen nur mit einer neuen Theoriesprache adäquat beschrieben werden (MAUKE, 1973, S. 18-25
und 105-110). Während MAUKE damit die (vermeintliche) Spezifik des Kapitalismus – die Spaltung der Gesellschaft
in „zwei feindliche Lager“ (eine Formulierung, die MAUKE dem Manifest entnimmt) – auf den Begriff bringen möch-
te, tendieren LENINs Ausführungen in Staat und Revolution umgekehrt dazu, die Formunterschiede der Klassengesell-
schaften aus dem Auge zu verlieren. Die demokratische Republik sei nur „ein Demokratismus für die Minderheit,
nur für die besitzenden Klassen, nur für die Reichen“ und „die Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft bleibt immer
ungefähr die gleiche, die sie in den antiken griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter“ (LENIN,
1987b, S. 320). Im Unterschied zu LENIN, der die Differenz zwischen direkt-gewaltförmigen Herrschaftsformen und
der kapitalistisch formbestimmten Aneignung des Mehrprodukts zu verwischen droht, bemüht sich der spieltheore-
tisch ausgerichtete ‚analytische Marxismus’ um eine schärfere Kontrastierung der Aneignungsformen (vgl. hierzu
KOCH, 1994, S. 66-87). Dieser hauptsächlich im angelsächsischen Sprachraum verankerte Ansatz neigt aufgrund
seiner Nähe zum methodologischen Individualismus der Neoklassik (siehe NIECHOJ, 2003) aber dazu, Klassen zu
ontologisieren.
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 50 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

VI. Sozialformationsanalyse und Totalität: Zum Klassencharakter von


Rechtssystem und Staat

KREON
Immer nur die Nase neben dir siehst Du, aber des Staats Ordnung, die
göttliche, siehst du nicht.

ANTIGONE
Göttlich mag sie wohl sein, aber ich wollte doch lieber sie menschlich, Kre-
on, Sohn des Menökeus.
BERTOLT BRECHT

In den Ausführungen über die Historizität des Klassenbegriffs wurde bereits angedeutet, dass der
Feudalismus sich nicht nur durch die Separierung von Eigentum und Besitz an Produktionsmitteln
auszeichnete – der fronarbeitende Leibeigene oder tributpflichtige Knecht arbeitete selbstständig mit
den Arbeitswerkzeugen ohne als Eigentümer der Produktionsbedingungen zu gelten –, sondern dass
diese Trennung auch zu einer direkt-gewaltförmigen Absicherung des Herrschaftsverhältnisses nötig-
te. 1 Da im Kapitalismus die unmittelbare Verflechtung von Ökonomie und Herrschaft durch die
Etablierung einer, von der bürgerlichen Gesellschaft im engeren Sinne getrennten, öffentlichen
Staatsgewalt aufgehoben ist, stellt sich die Frage, ob – und falls ja: in welcher Hinsicht – der bürgerli-
che Rechtsstaat als Klassenstaat begriffen werden kann. Ist er, wie in der funktionalistischen Staats-
theorie der frühen Sowjetunion 2 , ein bewusst eingerichteter Repressionsapparat zur Aufrechterhaltung
der Klassenherrschaft? Garantiert er, entsprechend der modernen natur- und vernunftrechtlichen
Tradition 3 , als neutrale oder ausgleichende Instanz umgekehrt die Bedingungen gleicher Freiheit für
alle? Oder kann der bürgerliche Rechtsstaat, wie in der Systemtheorie von NIKLAS LUHMANN, auf-
grund der selbst gesetzten System-/Umwelt-Differenz überhaupt nicht mit einer systemfremden Ter-
minologie analysiert werden? Diese Fragen lassen sich auch auf einer allgemeineren Ebene zusammen-
fassend reformulieren: Worin bestehen Einheit und Differenz der sozialen Ebenen bei MARX? Wie ist
die Totalität gesellschaftlicher Wirklichkeit zu denken?
Den wohl bedeutungsvollsten Anstoß zur Klärung des MARXschen Totalitätsbegriffs gab LOUIS
ALTHUSSERs Kritik an HEGELs Vorstellung expressiver Kausalität. Diese basiere – im Gegensatz zur
junghegelianischen Programmatik, welche die Entgegensetzung von Philosophie und Wirklichkeit
durch lineare Einflussnahme überwinden möchte 4 – auf der Annahme einer sich in verschiedene
Sphären/Instanzen auslegenden einfachen Substanz. 5 Philosophie, Religion, Staat und bürgerliche
Gesellschaft seien bei HEGEL demnach nur Selbstmanifestationen eines gleichzeitig immanenten wie
transzendenten (da nicht mit einer besonderen Instanz zusammenfallenden) geistigen Prinzips. 6 Da
bei HEGEL die differenten Ebenen in den ihnen gemeinsamen Ursprung aufgelöst werden, handele es

1
Vgl. 25/798f.
2
Die Etappen ihrer Herausbildung – von der traditionalistischen Kritik am Klasseninhalt der Staatstätigkeit
(STUTSCHKA, LENIN) zur alternativen Nutzung des Staates als Sozialtechnologie (STALIN, WYSCHINSKI) – zeichnet
ELBE (2003e) nach. Unterbrochen wurde diese Entwicklung in der Sowjetunion nur kurzfristig durch den elaborier-
ten Versuch von EUGEN PASCHUKANIS, eine Wissenschaft von Recht und Staat ausgehend von der MARXschen
Formanalyse zu begründen.
3
Siehe hierzu BEHRE (2004, S. 42-90), KERSTING (1994) und SAAGE (1989, S. 46-67).
4
Vgl. KRATZ (1979, S. 13-24).
5
Vgl. ALTHUSSER (1968, S. 149).
6
Vgl. ALTHUSSER (1968, S. 150, Fn. 42).
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 51 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

sich beim Ganzen im expressiven Totalitätsmodell nur um eine scheinkomplexe Einheit, in der die
Sphären als Erscheinungen einer bestimmten Gestalt des ‚Geistes’ als gegenseitig indifferent und
gleichrangig vorgestellt werden. 7
Nach ALTHUSSER ist das Modell eines innerhalb wie außerhalb der gesellschaftlichen Instanzen an-
gesiedelten archimedischen Punktes (die ‚Idee’ als höchste Form des Begriffs) weder mit dem MARX-
schen Totalitätsverständnis identisch noch stellt es eine Metapher dar, die im Modus der ‚symptoma-
len Lektüre’ 8 in materialistische Begriffe übersetzt werden kann. 9 Nach dem in der Deutschen Ideologie
vollzogenen ‚epistemologischen Bruch’ gehe MARX stattdessen von einem in sich komplex strukturier-
ten Ganzen mit Dominante aus. 10 Mit anderen Worten: Die gesellschaftlichen Ebenen existieren
nicht beziehungslos nebeneinander, sondern stehen untereinander in wechselseitigen aber nicht als
gleichrangig gedachten Abhängigkeitsverhältnissen. Die Betonung der unterschiedlichen Wirkungs-
grade im Totalitätsgefüge wurde in der Rezeptionsgeschichte häufig als einseitige Determination des
Überbaus durch die Basis, als Reduzierung der „Superstrukturen“ (3/36) auf bloße Epiphänomene des
ökonomischen Fundaments verstanden. 11 Mit dieser mechanistischen Auffassung konfrontiert, haben
MARX und ENGELS den strukturell aneinander gekoppelten Instanzen mehrfach eine relative Auto-
nomie zugesprochen. 12 Philosophie, ästhetische Produktion, Politik etc. haben eine eigene Geschich-
te, eine eigene Zeit, aber diese Unabhängigkeit bedeutet eben nicht, dass sich die Ebenen der Totalität
im leeren Raum bewegen. Vielmehr sind „Art und Grad der Unabhängigkeit jeder Zeit und Ge-
schichte [...] notwendig bestimmt durch die Art und den Grad der Abhängigkeit jeder Ebene in der
Gesamtheit der Gliederungen des Ganzen“ (ALTHUSSER, 1972b, S. 131). Diese mit der jeweiligen
Gesellschaftsformation wechselnde Un-/Abhängigkeit der sozialen Praxisfelder – so spielte in vorkapi-
talistischen Gesellschaften die Ökonomie im Vergleich zur Religion oder Gewalt oft eine untergeord-
nete Rolle 13 – kann nach MARX nur durch Analyse der Verhältnisse erklärt werden, welche die Men-
schen in der gesellschaftlichen Produktion eingehen. In der Terminologie des Althusser-Kreises: Die
Produktionsverhältnisse „determinieren in letzter Instanz“ das Gliederungsverhältnis in der „Struktur
mit Dominante“. 14 Damit unterscheidet sich MARX’ Verständnis der Einheit gesellschaftlicher Wirk-
lichkeit von systemtheoretischen und postmarxistischen 15 Interdependenzmodellen durch die An-
nahme, dass grundlegende Formen bestimmter außerökonomischer Lebensbereiche durch die Verhält-
nisse der materiellen Produktion erklärbar sind. 16
Eine materialistische Staatstheorie – sie ist bis heute ein Desiderat – steht demnach einerseits vor der
Aufgabe, den (rechts-)staatlichen Bereich nicht auf ein ökonomisches Artikulations-, Durchsetzungs-
und/oder Regulierungsorgan zu reduzieren 17 , andererseits muss sie durch Rekurs auf die formations-

7
Vgl. ALTHUSSER (1968, S. 149f). Die berechtigte Frage, ob ALTHUSSER mit dieser Darstellung dem HEGELschen
Totalitätsverständnis gerecht wird, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
8
Siehe hierzu ALTHUSSER (1972a, S. 38-51).
9
Vgl. ALTHUSSER (1968, S. 149, Fn. 42).
10
Vgl. ALTHUSSER (1968, S. 148f).
11
Der in diesem Zusammenhang am häufigsten zitierte Text ist die Einleitung von Zur Kritik. Eine detaillierte Un-
tersuchung dieser kurzen Passage und der in ihm angelegten Missverständnisse findet sich bei WEBER (1999).
12
Vgl. MARX’ Ausführungen zur Kunst in den Grundrissen (GR/30f) und die Briefe des späten ENGELS.
13
23/96, Fn. 33.
14
Vgl. ALTHUSSER (1972b, S. 129f) und BALIBAR (1972, S. 299f).
15
Als besonders einflussreich erwies sich die Studie von LACLAU/MOUFFE (1991).
16
Vgl. 25/799f.
17
Letzteres tat die auf LENIN zurückgehende These vom ‚Staatsmonopolitischen Kapitalismus’ (siehe hierzu die Bei-
träge in EBBIGHAUSEN, 1974). Diese in der DDR und z.T. in der westdeutschen Studentenbewegung verbreitete
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 52 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

spezifischen Produktionsverhältnisse die Möglichkeit und Notwendigkeit einer öffentlichen Zwangs-


gewalt schlüssig begründen können. Dass dieses Unterfangen keineswegs aussichtslos ist, zeigt der
1924 von EUGEN PASCHUKANIS 18 unternommene und in der sog. Staatsableitungsdebatte der 1970-er
Jahre 19 fortgeführte Versuch, ausgehend von den Verkehrsformen der einfachen Warenzirkulation die
allgemeinen Formen bürgerlicher Rechtssubjektivität und die daraus folgenden Staatsfunktionen zu entwi-
ckeln.
Die Vorstellung, dass die bürgerliche Freiheit der Konkurrenz (Wahlfreiheit durch Handlungsalter-
nativen und Substitution von Gewalt) nur durch den Staat aufrecht erhalten werden kann, systemati-
sierte zuerst die als konsequente Inversion des politischen Aristotelismus auftretende Vertragstheo-
rie. 20 Mit der Ersetzung der im antiken und mittelalterlichen Denken dominierenden Kooperations-
anthropologie, die den Menschen als ein von Natur aus politisch-soziales Lebewesen konzipiert und
dementsprechend das instrumentelle Verhalten zur Polis einer moralischen Kritik unterziehen muss,
durch eine individualistische Konfliktanthropologie, die umgekehrt die Dominanz eines gattungsfun-
dierten, an Nutzenmaximierung ausgerichteten Selbstbezugs unterstellt (Utilitarismus), entwickelte
die neuzeitliche Philosophie eine bisher weitgehend unbekannte Fragestellung: Die Ablehnung der
klassischen Politikauffassung (Politik als Verwirklichung der menschlichen Natur) verschob die Prob-
lemstellung von der Diskussion spezifischer Herrschaftsformen (beispielsweise in Gestalt von
ARISTOTELES’ Verfassungstypologie) hin zur Legitimation von Herrschaft an sich. 21 Die Diskreditie-
rung eines teleologischen Naturbegriffs des Politischen und der zunehmende Bedeutungsverlust theo-
logischer Rechtfertigung von Autorität ließ in den neuzeitlichen Philosophien nicht nur die Beschaf-
fenheit, sondern bereits das Dasein von Herrschaft legitimationsbedürftig erscheinen. 22 Der theoreti-

Diagnose sah die Hauptaufgabe des Staates in der Bewältigung der ökonomischen Krisen, die der auf dem Konkur-
renzkapitalismus folgende Monopolkapitalismus notwendig aus sich erzeuge. Durch diese Verschmelzung von Öko-
nomie und Staat entstünden zugleich sozialistische Strukturelemente, die nur noch von ihrer monopolkapitalisti-
schen Hülle befreit werden müssten. Die erste Generation der Kritischen Theorie, konfrontiert mit den staatssozialis-
tischen Systemen im Osten und den faschistischen Diktaturen im Westen, sah in der immanenten Dynamik dieses
Modells (Zunahme der staatlichen Steuerungsfunktionen) umgekehrt den entscheidenden Grund für die Entstehung
des ‚Autoritären Staats’. Dieser kontrolliere den Produktionsprozess (HORKHEIMER, 1987, S. 304, 310f), vollende
damit die Liquidierung der Zirkulation (ebd., S. 295), bilde als ‚Racket-System’ das institutionelle Gefüge für die
Herrschaft mafiotischer Gangsterorganisationen (HORKHEIMER, 1985b) und durchdringe zunehmend alle Fasern
der Gesellschaft. Zu den Auseinandersetzungen innerhalb des Kreises über diesen Themenkomplex siehe
WIGGERSHAUS (1988, S. 314-327).
18
PASCHUKANIS (1969, insbesondere S. 87f). Eine umfassende Monographie zu PASCHUKANIS’ Rechtskritik und
dessen Rezeption schrieb ANDREAS HARMS (2000).
19
Einen Überblick geben RUDEL (1981, S. 97-142) und KOSTEDE (1976). Von den Protagonisten selbst zur Cha-
rakterisierung ihrer theoretischen Bemühungen verwendet, bekam das Wort ‚Ableitung’ mit der systemtheoretischen
und poststrukturalistischen Kritik zunehmend einen pejorativen Klang: Ableitung wurde kurzgeschlossen mit Öko-
nomismus/Reduktionismus. Die an der staatstheoretischen Debatte beteiligten Autoren waren daran sicher nicht
ganz unschuldig. Denn nur zu häufig wurden die Grenzen des formanalytischen Zugangs durch Ableitung noch der
konkretesten staatlichen Strukturen und Funktionen überschritten. Mit dieser berechtigten Kritik ist aber noch nicht
erwiesen, dass ein mechanistisches Verfahren für Staatsableitungen auch konstitutiv ist. Einige Autoren – etwa
BLANKE [u.a.] (1975, S. 417-419) und LÄPPLE (1976, S. 163f, Fn. 26) – waren sich über die Reichweite ihrer Unter-
suchungen durchaus bewusst. ‚Ableitung’ zielt hier nicht auf Totalitätsanalyse im Sinne totaler Erkenntnis, sondern
lediglich auf die „begriffliche Entwicklung politischer Grundstrukturen aus der ökonomischen Formation der bürger-
lichen Gesellschaft“ (KOSTEDE, 1976, S. 156).
20
Eine ausführliche Darstellung der Inversionsebenen gibt KERSTING (1994, S.1-11).
21
Vgl. KERSTING (1994, S. 11).
22
Im Geiste der Aufklärung schreibt KANT: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles
unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung, durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 53 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

sche Rahmen, in dem die (früh-)bürgerlichen Philosophien von HOBBES über SPINOZA, LOCKE,
ROUSSEAU und KANT die Notwendigkeit der staatlichen potestas begründeten, ist die Vorstellung
einer natürlichen Ausgangssituation 23 (status naturalis), welche die Freien und Gleichen vor ein so
signifikantes Problem stellt, dass sie konsensual einen Rechte und Pflichten festlegenden Gesell-
schafts- und Herrschaftsvertrag (pactum unionis / pactum subjectionis) beschließen müssen. 24
Die Supposition eines durch die natürlichen Anlagen des Menschen bestimmten Urzustandes de-
chiffrierte MARX als theoretisches Derivat der in ihrer privatautonomen Verfasstheit antagonistisch
strukturierten Warenzirkulation. Diese setzt im Unterschied zur Wertformanalyse nicht nur Waren
voraus, sondern deren Besitzer, d.h. handelnde Menschen mit bestimmten Interessen und Willens-
verhältnissen. Die Subjekte des Warentausches können ihre jeweils partikularen Interessen aber nur
unter der Voraussetzung übereinstimmender Willenverhältnisse, d.h. unter der Voraussetzung einer
gegenseitigen Respektierung als Privateigentümer, realisieren:

„Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen ver-
halten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des anderen, also jeder nur ver-
mittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie
müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag
ist [...], ist ein Willenverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts-
oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben“ (23/99). 25

Mit dem reziproken Anerkennungsverhältnis der Akteure als Eigentümer setzt die Vermittlung des
gesellschaftlichen Stoffwechsels qua Warentausch ein faktisches Rechtsverhältnis voraus: Die Markt-
teilnehmer müssen sich in ihrer Funktion als Träger und Repräsentanten von Waren zueinander als
Rechtspersonen oder juristische Subjekte verhalten. Die privatarbeitsteilige Produktionsanordnung,
die mit dem systematischen Austausch von Äquivalenten die „produktive reale Basis aller Gleichheit
und Freiheit“ (GR/156) bildet, impliziert aber auch eine gegenläufige, die Standards der einfachen
Warenzirkulation untergrabende Tendenz. Denn mit der Fixierung des allgemeinen Willensverhält-
nisses in der rechtlichen Form des Vertrags haben die aus den widersprüchlichen Faktoren der Ware
(Gebrauchswert und Wert) hervorgehenden widersprüchlichen Interessen der Warenbesitzer lediglich
eine Form gefunden, in der sie sich bewegen können – sie sind deshalb aber nicht aufgehoben. Dem
bürgerlichen Subjekt ist der allgemeine Wille lediglich ein notwendiges Mittel, nicht aber das Motiv
seiner Handlung. 26 Da die Warenbesitzer als isolierte Privatproduzenten über das allgemeine Willens-

derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung
nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aus-
halten können“ (KANT, 1974, S.13).
23
Im Gegensatz zu auf Tradierung beruhenden Gründungsmythen – wie der ursprüngliche Paradieszustand der
christlichen Theologie – behauptet die neuzeitliche Philosophie den Naturzustand nicht als realhistorische Situation,
sondern als rein gedankliche Simulation. Mit dem kognitiv-experimentellen Status der Ausgangssituation verschiebt
sich auch die Legitimationskraft von der Macht der Tradition und der Bindungskraft real geschlossener Verträge auf
das Überzeugungspotential der vertragstheoretischen Konstruktion selbst.
24
Neben den klassischen Staatsphilosophien des 17. und 18. Jahrhunderts verwenden auch zeitgenössische Autoren
(wie BUCHANAN, NOZICK und RAWLS) wieder das kontraktualistische Argument als theoretisches Instrumentarium.
Deren wissenschaftliches Programm bleibt dabei nicht auf die Erklärung/Rechtfertigung staatlicher Herrschaft be-
schränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Ableitung von gerechten Verteilungsprinzipien und Institutionen. Siehe
hierzu KOLLER (1987). In methodischer Hinsicht unterscheidet sich v.a. RAWLS kohärenztheoretisches Konzept des
Überlegungsgleichgewichts von der vertragstheoretischen Tradition. Siehe hierzu KERSTING (1996).
25
Siehe auch UR/911.
26
Vgl. 13/616, GR/155f, UR/909.
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 54 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

verhältnis lediglich ihre egoistischen Privatinteressen verfolgen (Aneignung fremder Gebrauchswerte


zwecks Bedürfnisbefriedigung), besteht die permanente Gefahr der Verletzung des auf Gewaltfreiheit
und Äquivalenz basierenden Aneignungsgesetzes. 27 Das „allgemeine Interesse“ als „Allgemeinheit der
selbstsüchtigen Interessen“ (GR/156) kann deshalb nur durch Kodifizierungen (politisch-rechtliches
System) und durch außerökonomische Zwänge (staatliche Gewalt) dauerhaft gegen die Warenbesitzer
stabilisiert werden. 28
Dabei verfährt die mit dem Gewaltmonopol ausgestattete öffentliche Instanz prinzipiell neutral; die
Normen der Warenzirkulation werden dem Grundsatz nach gegen alle Marktakteure gleichermaßen
gesichert. 29 Mit dem begrifflichen Übergang vom Geld zum Kapital und dem Umschlag des A-
neignungsgesetzes 30 zeigt sich, dass die Universalität der für die Zirkulation geltenden Norm („Frei-
willige Transaktion; Gewalt von keiner Seite“ (GR/156)) ein klassenförmiges Ausbeutungsverhältnis
keineswegs ausschließt, sondern dieses gerade vermittelt. Lohnarbeiter und Kapitalisten exekutieren
auf der inhaltlichen Ebene eine selbstreproduktive Unfreiheits- und Ungleichheitsstruktur, indem sie
sich auf dem Markt als formal freie und gleiche Warenbesitzer gegenübertreten. Der bürgerliche
Rechtsstaat sichert das Herrschaftsverhältnis demnach nicht durch einseitige Parteinahme für das
Kapital, sondern indem er sich gegenüber den Subjekten des Austauschprozesses neutral verhält, ga-
rantiert er zugleich die systematische Aneignung fremder Arbeit. Auf der vermittlungslos aufgenom-
menen Oberfläche ist davon nichts mehr zu erkennen: Hier gewährleistet die außerökonomische Ge-
walt nicht mehr die innerökonomische Herrschaftsreproduktion durch Sicherstellung gleicher Rechts-
subjektivität, stattdessen erscheint der Staat dem durch Lohnmystifikation, Kapitalfetisch und Rechts-
fetisch 31 befangenen Bewusstsein als – zumindest potentiell 32 – klassenunabhängiger Garant des ge-
samtgesellschaftlichen Allgemeininteresses.
Damit legitimiert sich auch die weitergehende Funktion des Staates, durch direkte Interventionen
die materiellen Bedingungen der Kapitalakkumulation zu sichern. Dazu gehören:

(1) Alle notwendigen Produktionsvoraussetzungen, die aufgrund unzureichender Profitabilität von


einzelnen Kapitalien nicht hergestellt werden können: Infrastruktur (Verkehrs- und Kommuni-

27
Der Struktur nach entspricht diese Situation dem aus der Spieltheorie bekannten ‚Gefangenendilemma’. Vgl. hier-
zu KERSTING (1994, S. 69f).
28
Diese Darstellung deckt sich weitgehend mit den Abschnitten Das abstrakte Recht und Die bürgerliche Gesellschaft
in HEGELs Grundlinien der Philosophie des Rechts. Entsprechend seiner schon in Jena formulierten Kritik an den
modernen Naturrechtslehren (HEGEL, 1999b) stellt diese als Mittel zur Aufrechterhaltung egoistischer Verkehrsfor-
men gedachte Gewalt aber lediglich eine aufzuhebende Stufe in der Entwicklung des die „substantielle Sittlichkeit“
(HEGEL, 1999a, S. 166) verkörpernden Staates dar. Zu den immanenten Problemen, die eine Vermittlung von bür-
gerlicher Subjektivität und platonisch-aristotelischer Staatslehre aufwirft, siehe BEHRE (2004, S. 117-147). Das prob-
lematische Verhältnis von der Wissenschaft der Logik zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts wird in dem Sam-
melband HENRICH/HORSTMANN (1982) behandelt.
29
HEINRICH (2004a, S. 199, Fn. 69) weist zu Recht darauf hin, dass die Gewährleistung der gleichen Freiheit für alle
nur für den bürgerlichen Rechtsstaat ‚in seinem idealen Durchschnitt’ gilt. So ist die rechtliche Gleichstellung der
Frauen in vielen Staaten bis heute nicht abgeschlossen, für Migranten gelten zahlreiche Zugangsbeschränkungen (z.B.
zum Arbeitsmarkt) und illegal Eingewanderte stehen fast vollkommen außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens.
30
Siehe Kapitel II.
31
Die Rechtsform wird von den Rechtssubjekten nicht als ‚ratio scripta’ historisch-spezifischer Produktionsverhält-
nisse wahrgenommen. Stattdessen, dies zeigt sich in der Kategorie der Menschenrechte, gilt den Subjekten ihre
Rechts- und Handlungsfähigkeit als natürliche Eigenschaft der Gattung. Siehe hierzu PASCHUKANIS (1969, S. 95f).
32
Siehe GERSTENBERGER (1975, S. 10).
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 55 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

kationsnetze) 33 , Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen 34 sowie eine durch Zentralbanken


garantierte, einheitliche und wertstabile Währung 35 .
(2) Eine ausreichende Anzahl an Lohnarbeitern. Da die durch die Konkurrenz erzwungene be-
triebswirtschaftliche Rationalität langfristig die Existenz des Produktionsfaktors Arbeit gefähr-
den würde 36 , muss der Staat in seiner Funktion als „ideeller Gesamtkapitalist“ (20/260) den
Einzelkapitalien Schranken auferlegen (gesetzliche Festlegung des Normalarbeitstags, Mindest-
löhne, Unfall- und Gesundheitsschutz).

Aus diesem zweiten Strang der Staatsableitungsdebatte, dessen Hauptaugenmerk nicht der notwendi-
gen Diremtion, sondern dem durch äußere Eingriffe vermittelten inneren Zusammenhang von Öko-
nomie und Staat gilt, können mindestens drei Ergebnisse festgehalten werden.
Erstens besitzt das staatliche Interventionsausmaß durch die strukturelle Kopplung mit der Ökonomie
eine absolute Grenze. Das Lohn- und Kapitalsteueraufkommen, aus dem die staatlichen Aktivitäten
zur Erzeugung allgemeiner Produktionsbedingungen finanziert werden, findet ihre Schranke an den
Notwendigkeiten zur Reproduktion der Arbeitskraft und Aufrechterhaltung der Kapitalakkumulati-
on. Wenn diese absolute Grenze auch nicht überschritten werden darf, ergibt sich für den Staat mit
der (begrenzten) Variabilität der Steuereinnahmen allerdings ein Handlungsspielraum, der je nach
politischer Interessenlage unterschiedlich weit in Anspruch genommen werden kann. 37
Zweitens kann der im Hinblick auf das kapitalistische Gesamtinteresse an einer erfolgreichen Akku-
mulation operierende Staat durchaus in Widerspruch zu einzelnen Kapitalfraktionen geraten. Die auf
der Ebene der einfachen Zirkulation virulente Divergenz von individuellem und allgemeinem Willen
wiederholt sich bei den staatlichen Interventionsmaßnahmen als Auseinandertreten von kapitalisti-
schem Einzel- und kapitalistischem Gesamtinteresse. 38
Drittens zeigen die genannten Interventionsebenen erneut, dass die „dialektische Form der Darstel-
lung nur dann richtig ist, wenn sie ihre Grenzen kennt“ (GR/945). Auf der formanalytischen Ebene
kann zwar nachgewiesen werden, dass der Staat für eine erfolgreiche Kapitalverwertung bestimmte
Voraussetzungen schaffen muss (z.B. eine einheitliche und wertstabile Währung), es kann aber nicht
die konkrete Realisation dieser Erfordernisse (z.B. Geldumlauf-, Zins-, Fiskalpolitik) abgeleitet werden.
Darüber hinaus gibt es materielle Bedingungen der Produktion, die sich nicht aus dem allgemeinen
Begriff des Kapitals ergeben, sondern nur für bestimmte historische Konfigurationen des Kapitalismus
gelten. So können Verkehrs- und Kommunikationsnetze, die noch im fordistischen Akkumulations-
regime vom Staat betrieben werden mussten (ihre Installation setzte eine von einzelnen Unternehmen
nicht erreichbare Kapitalmasse voraus, die Profitraten waren entweder gering oder negativ), unter
veränderten ökonomischen Bedingungen privatisiert werden. Schließlich erschöpfen sich die staatli-
chen Maßnahmen nicht in der Bereitstellung kapitalfunktionaler Produktionsvoraussetzungen. 39 Sie
greifen als Ausdruck von Kräfteverhältnissen in den Bereichen Sozial-, Bildungs-, Militär-, Geschlech-
ter-, Medien-, Umwelt-, Biopolitik etc. weit über die Grundlagen des Gravitationszentrums der bür-

33
Vgl. ALTVATER U.A. (1976, S. 102, 107).
34
Siehe HEINRICH (2004, S, 201).
35
Siehe ALTVATER U.A. (1976, S. 101).
36
Siehe Kapitel III.
37
Siehe ALTVATER U.A. (1976, S. 103-113).
38
Siehe HEINRICH (2004, S, 202).
39
Vgl. HIRSCH (1983, S. 159, 161).
VI. SOZIALFORMATIONSANALYSE UND TOTALITÄT: - 56 -
ZUM KLASSENCHARAKTER VON RECHTSSYSTEM UND STAAT

gerlichen Gesellschaft hinaus. Kurz: Auf allen drei Ebenen (Systemvoraussetzung, konfigurationsbe-
zogene Voraussetzung, Kontingenz) wird deutlich, dass die über den genetischen Bezugspunkt ‚Klasse’
vermittelte Ableitung allgemeiner Staatsstrukturen konkrete Staatsanalysen nicht suspendieren kann.
SIGLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS - 57 -

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