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Aktuell  |  Überwachung

Kontrollzwang
ihrem Hause manifest zu werden. Eigent-
lich war die Vorstellung des Texts für
­Dezember geplant, sie wurde aber ver-
schoben und dürfte nun Anfang 2022 an-

Automatische Scans von privaten


stehen. „Bekämpfung des sexuellen Miss-
brauchs von Kindern: Erkennung, Ent­
Nutzerinhalten geplant fernung und Meldung illegaler Online-­
Inhalte“ heißt die Gesetzesinitiative. Zum
konkreten Entwurf ist nichts in Erfahrung
zu bringen. Auf Nachfrage von c’t nannte
eine Sprecherin der Kommission keine
Details, sondern erklärte lediglich: „Die
Eine EU-Verordnung soll Tech- der Leyen, mit einem leicht zu umgehen- Kommission arbeitet daran.“
Unternehmen verpflichten, aktiv den Sichtschutz vor Webseiten den Zu-
gang zu Missbrauchsabbildungen zu er- Radikale Richtung
nach Darstellungen von Kindes-
schweren. Sie scheiterte 2010 am massi- Um eine Idee davon zu bekommen, in
missbrauch zu suchen. Dafür
ven Widerstand der Zivilgesellschaft. welch radikale Richtung die Kommission
müssten sie die verschlüsselte Von der Leyen ist mittlerweile Präsi- schwenkt, hilft ein Rückgriff auf Septem-
Kommunikation aller Bürger dentin der EU-Kommission. Es mehren ber 2020. Ein Leak in der Kommission
­unterminieren. Wird das Post­ sich die Anzeichen, dass sie ihren damals förderte ein 28-seitiges Arbeitspapier zu-
geheimnis durch die Hintertür zur Schau gestellten Tech-Solutionismus tage, das es in sich hat. Es führt verschie-
abgeschafft? in die europäische Regierungsbehörde im- dene technische Ansätze auf, die geeignet
plantiert hat: „Ich erwäge, Unternehmen sein sollen, Inhalte in Echtzeit maschinell
dazu zu verpflichten, bekanntes Material auf Missbrauchsdarstellungen hin zu prü-
Von Holger Bleich über sexuellen Kindesmissbrauch aufzu- fen. Spätestens da war klar: Die EU-Kom-
decken und den Behörden zu melden“, mission arbeitet daran, entweder Inhalte
hatte Ylva Johansson, Kommissarin für vor der Verschlüsselung auszuleiten oder
Inneres, bereits im Februar angekündigt. die Messenger-Verschlüsselungen von

K indesmissbrauch hofft die Politik


immer wieder mit technischen Mit-
teln in den Griff zu bekommen. Man er-
Doch außerhalb der Bürgerrechtlerblase
hat davon kaum jemand Notiz genommen.
Das ändert sich gerade, denn die
den Anbietern aufbrechen zu lassen.
Dass die grundsätzliche Bereitschaft
in der EU besteht, private Nutzerinhalte
innere sich an das Vorhaben der damali- Pläne Johanssons stehen kurz davor, als maschinell zu erfassen, auszuwerten und
gen Bundesfamilienministerin Ursula von Entwurf einer neuen EU-Verordnung aus gegebenenfalls automatisiert Strafverfol-
gungsbehörden zukommen zu lassen,
wurde in diesem Sommer deutlich: Mit
einer auf drei Jahre befristeten Verord-
nung erlaubt die EU „Betreibern von Kom-
munikationsdiensten“, auf der Suche nach
Darstellungen von sexuellem Missbrauch
von Kindern maschinell Nutzerinhalte zu
scannen und bei Treffern auszuleiten.
Auch das EU-Parlament stimmte mehr-
heitlich zu.
Nach Ansicht der Kommission war die
Neuregelung nötig geworden, weil eben
diese längst geübte Praxis mit einer Ände-
rung an der Datenschutzrichtlinie für elek-
tronische Kommunikation Ende 2020
plötzlich verboten war. Microsoft etwa hat
dies ignoriert und weiter in Mails und On-
linespeichern nach Missbrauchsdarstel-
lungen gesucht, Facebook aber hat die
proaktiven Scans daraufhin ausgesetzt.
Der vorläufigen Verordnung soll also
nun ein großer unbefristeter Wurf folgen,
der Scans verpflichtend macht und auch
Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommuni-
kation umfasst. Der EU-Abgeordnete und
In einem geleakten Arbeitspapier diskutierte die EU-Kommission 2020 Optionen Bürgerrechtler Patrick Breyer hat dafür den
zur Ausleitung von Chat-Inhalten vor der Verschlüsselung. Begriff „Chatkontrolle 2.0“ geprägt (siehe

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14 c’t 2021, Heft 25


Persönliches PDF für Armando Urquiola Cabrera aus 10439 Berlin
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„Fatale Folgen“
Seit Mai 2019 sitzt Patrick Breyer für die Europäische Piraten­
partei im EU-Parlament. Der gelernte Jurist ist Mitglied des Aus­
schusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und
will sich sich dort nach eigenem Bekunden gegen staatliche Über­
wachung in der digitalen Welt einsetzen. Breyer hat für die Pläne
der Kommission den Begriff „Chatkontrolle“ geprägt.

c’t: Befürworter der automatisierten GMail, sondern beispielsweise Darknet- mal vorstellen: Die EU-Kommission selbst
Suche nach Missbrauchsinhalten in Foren. In die gilt es, mit verdeckter Polizei- empfiehlt ihren Mitarbeitern, mit dem
privaten Chats sprechen von einer arbeit einzudringen. Heute dauert es auch Messenger Signal Ende-zu-Ende-ver-
Rechtsgüterabwägung: Das Recht auf bei konkretem Verdacht teils Monate, bis schlüsselt zu kommunizieren, um Back-
Privatsphäre müsse sich hier dem Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt doors auszuschließen.
Recht auf körperliche Unversehrtheit werden. Und danach können Monate bis
von Kindern unterordnen. Jahre vergehen, bis die Datenträger aus- c’t: Wäre es für Sie ein gangbarer Weg,
gewertet sind. In dieser bestehenden die Scans wie bislang optional zu be-
Patrick Breyer: Es dient ja eben nicht den Überlastungssituation bei der Strafver- lassen, also die Verpflichtung dazu zu
Schutz von Kindern, verdachtsunabhän- folgung den Heuhaufen sogar vergrößern streichen?
gig im Nebel zu stochern. Dadurch zer- zu wollen, in dem sich die Nadeln ver-
stört man das digitale Briefgeheimnis. stecken, halte ich für skandalös. Breyer: Eine Ausnahme für verschlüsselte
Kinder brauchen übrigens auch Privat- Kommunikation würde Dienste wie E-Mail
sphäre, etwa, wenn sie im Rahmen von c’t: Ist denn dem EU-Parlament be- völlig ungeschützt lassen. Ein Rechtsgut-
Sexting Nacktfotos verschicken. Die dür- kannt, wie sich die Kommission kon- achten hat uns außerdem bestätigt, dass
fen nicht in falsche Hände geraten. Und kret ein automatisiertes Scannen von es grundrechtlich keinen Unterschied
auch jugendliche Missbrauchsopfer sind Inhalten auf dem Gerät und vor der macht, ob Provider freiwillig oder auf-
auf vertrauliche Kommunikation angewie- Übermittlung in verschlüsselten Chats grund einer Pflicht private Kommunika-
sen, um Hilfe zu finden. Uns hat etwa ein vorstellt? tion der Kunden durchleuchten. Beides
Opfer erläutert, wie wichtig es war, in ist ein illegaler, unverhältnismäßiger
einem geschützten Raum via verschlüs- Breyer: Die Kommission macht es sich da Grundrechtseingriff, hat uns die ehema-
seltem Messenger mit Therapeuten und sehr einfach und sagt: „Kommunikations- lige EuGH-Richterin Ninon Colneric er-
Polizei in Kontakt zu treten. dienste sind verpflichtet.“ Punkt. Es läuft klärt. Die einzige Option, die ich sehe, ist:
auf zwei Optionen hinaus: Entweder wer- Die Durchleuchtung muss auf öffentlich
c’t: Vielfach wird aber auch behauptet, den Inhalte auf dem Client durchsucht, zugängliche Inhalte beschränkt sein. Und
es gebe einen gesellschaftlichen Kon- also etwa dem Smartphone, oder die dies sollten Behörden tun, nicht die in-
sens: Wenn ein Mittel hilft, Kindes- Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss transparenten Algorithmen der Plattfor-
missbrauch einzudämmen, sollte es weg. In beiden Fällen verlieren Sender men. Der Bund Deutscher Kriminalbeam-
genutzt werden. und Empfänger das Vertrauen darin, dass ter hat jüngst in Bezug auf das Kommis-
nur sie vertrauliche Inhalte sehen können. sionsvorhaben nicht umsonst darauf
Breyer: Kinderpornoringe, die tatsächlich Das hätte auch fatale Folgen für sensible hingewiesen, dass die Verfolgung von
für den Missbrauch verantwortlich sind, Bereiche wie Whistleblowing oder Ge- Straftaten eine hoheitliche Aufgabe ist,
nutzen aber doch kein WhatsApp oder schäftsgeheimnisse. Man muss sich das die nicht in private Hände gehört.

Interview im Kasten). Er sieht das verfas- on auf eingebaute Hintertüren verzichten, Konzern angekündigt hatte, künftig auf
sungsrechtlich geschützte Post- und Fern- gibt es nach dem Stand der Technik nur iPhones automatisiert nach Missbrauchs-
meldegeheimnis sowie die Achtung der die ‚heimliche Online-Durchsuchung‘ – bildern zu suchen, bevor die Daten ver-
Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) sogenanntes ‚client-side scanning‘ – der schlüsselt in die Cloud geschoben werden,
gefährdet und ruft derzeit zum Widerstand Endgeräte beispielsweise durch Staatstro- brach ein Sturm der Entrüstung los. Klein-
gegen die geplante Verordnung auf. janer mit der Durchsuchung aller Spei- laut verschob Apple den Plan daraufhin
Auch die renommierte deutsche Ge- cherinhalte aller Clients und Server. Dies und beschränkt sich auf weniger invasive
sellschaft für Informatik (GI) äußerte sich verstößt gegen die europäischen Grund- Maßnahmen. Nun soll diese Methode –
Anfang November sehr kritisch. Hartmut rechte.“ bislang weitgehend unbemerkt von der
Pohl, Sprecher des GI-Präsidiumsarbeits- Genau dieses client-side Scanning ist Öffentlichkeit – sogar verpflichtend in der
kreises, betonte: „Will die EU-Kommissi- jüngst Apple auf die Füße gefallen: Als der gesamten EU werden.  (hob@ct.de) 

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c’t 2021, Heft 25 15


Persönliches PDF für Armando Urquiola Cabrera aus 10439 Berlin

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