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MRZ JUL AUG

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25 Okt 00 - 16 Jun 08 2005 2006 2007
(Erschienen in: "Der Zins im Kreuzfeuer", Sonderdruck Nr. 3, Monatszeitschrift "Der 3. Weg")

Die Kapital-Epigonen und ihr intellektueller


Schatten
Von Friedrich Guse

In einer Replik auf den Aufsatz von 0. Issing in der FAZ vom 20.11.1993 mit dem Titel "Der Zins und
sein moralischer Schatten" sollte man fairerweise versuchen, gegen die Versuchung, sarkastisch zu
werden, anzukämpfen. Auch wenn ich mich redlich bemüht habe, nicht immer wollte es mir gelingen
- die Adressaten mögen mir verzeihen. Dies ist deswegen nicht besonders gut, weil es immerhin
alles andere als selbstverständlich ist, daß diese Seite des Zinses überhaupt zur Sprache gebracht
wir und dieses noch von einem Vertreter des wissenschaftlichen Establishment und dazu in einer
Zeitung, die auch nicht gerade die revolutionäre Veränderung auf ihre Banner geschrieben hat.

Dennoch ist anzumerken, daß die Argumente pro und contra alles andere als neu sind. Der Leser
möge es mir nachsehen, wenn ich ellenlange Passagen aus Gesells "Die natürliche
Wirtschaftsordnung" oder Keynes "Allgemeiner Theorie... " zitiere, jedoch ist das Bemühen, originell
zu sein, bei dieser Materie vergeblich: Es ist schon alles gesagt - es gilt lediglich, sich das Gesagte
ins Gedächtnis zurückzurufen.

Zum Zinsbegriff
Issing stellt zu Recht heraus, daß es sich beim "Zins" um ein sehr heterogenes Phänomen handelt.

Inbegriffen sind im Begriff "des" Zinses Formen wie der klassische Kreditzins, der Sparbuchzins, die
Rendite aus Wertpapieren, die Rendite aus Aktien (die sich aus der Dividendenrendite und den
Wertsteigerungen zusammensetzt) und viele andere Erscheinungsformen mehr.

Zudem hat "der" Zins verschiedene Komponenten bzw. verschiedene Einflußfaktoren. Genannt
werden dabei insbesondere

die Liquiditätsprämie (äusführlich dazu weiter unten)


die Knappheit
das Risiko
die lnflationsrate

Wir wollen von der Inflationsproblematik abstrahieren und uns im folgenden nur auf die
erstgenannten Punkte konzentrieren.

Zins und "Kapital" ?


a. Zins, so wird gesagt, sei die "Entlohnung" des Faktors Kapital, oder, wie lssing es ausdrückt,
der Preis für die "Nutzung von Kapital". Auch bei lssing kommt zum Ausdruck, daß es sich beim
"Kapital" - genau wie beim "Zins" um ein vielschichtiges Phänomen handelt.

Für unsere Darstellung ist es sinnvoll zu unterscheiden zwischen · Geldkapital · vermehrbarem


Sachkapital sowie · unvermehrbaren, knappen Ressourcen.

Hierzu muß angemerkt werden, daß es sich um eine Begriffsverwirrung der etablierten
Ökonomie handelt (der im Übrigen auch Marx in den von ihm selber geschriebenen Teilen des

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Unterschied.

b. Allerdings gelingt es ihm nicht ganz, die "Klippe der unvermehrbaren Kapitalien" zu umschiffen:
Er tappt voll in das sprichwörtliche "Fettnäpfchen", indem er es nicht lassen kann, den
Pachtzins zu erwähnen. Bezeichnend ist es in diesem Zusammenhang, daß lssing als Grund für
den Pachtzins die "Einträglichkeit" der Gehöfte herausstreicht. Wenn man über diesen alten
Bart stolpert und in die Mottenkiste fällt, entdeckt man vielleicht unter dem aufgewirbelten
Staub den guten alten Franz Oppenheimer (auf den man besser nicht zu sprechen kommt,
wenn man in der FAZ einen Artikel unterbringen will) und den noch betagteren David Ricardo.
Spätestens nach der Lektüre dieser Autoren wissen wir, daß es auch und gerade beim Boden -
eine gewisse Markteffizienz vorausgesetzt - letztlich die Knappheit (absolut und relativ, d. h. an
guten Lagen) ist, welche die Höhe der Grundrente bestimmt.

Während nun Sachkapital grundsätzlich vermehrt werden und dadurch ihre Rendite via
Konkurrenz gesenkt werden kann, ist dies beim Grundvermögen nur äußerst begrenzt
(grundsätzlich überhaupt nicht) möglich. Bei einer steigenden Bevölkerungsdichte wird Grund
und Boden strukturell immer knapper (insofern hatte Ricardo recht!). Das gleiche gilt für
andere unvermehrbare Naturschätze sowie für Güter der Umwelt allgemein.

Issing erscheinen, da er den Unterschied zwischen grundsätzlich vermehrbaren und


grundsätzlich unvermehrbaren Gütern nicht bemerkt hat, keine moralischen Bedenken an einer
Wirtschaftsordnung, in der Eigentum an derartigen unvermehrbaren, d. h. monopoloiden
Vermögensgegenständen nicht nur möglich, sondern geradezu sakrosankt ist. Man muß aber
nicht unbedingt nekrophil sein, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß der Mensch letztlich
nichts anderes ist als "Staub" (= Erde) und auf einen allgemeinen Zugang zu den Früchten
ebendieser Erde (und einen Platz hierauf) zum physischen Fortbestehen mittel- und
unmittelbar angewiesen ist.

lssing findet - ganz souveräner Vertreter seiner Zunft - Kleinigkeiten wie die nackten
wirtschaftlichen Voraussetzungen des physischen Existieren-Könnens nicht einer Silbe wert.
Indessen sind die moralischen Bedenken hiergegen uralt. Interpretiert man die Bibel weltlich,
so bedeutet der Satz "darum sollt ihr das Land nicht verkaufen für immer, denn das Land ist
mein, und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir" nichts anderes als: Die Erde soll nicht
Eigentum einzelner Menschen sein. Wenn die Verfügungsgewalt über das Eigentum auch lt. Art.
14 GG in der Bundesrepublik relativiert ist: Eigentum bedeutet grundsätzlich das Recht auf den
Ausschluß anderer von der Nutzung eines Gutes. Bei unvermehrbaren, knappen Gütern, von
denen jeder Mensch existentiell abhängt, ist die potentielle oder tatsächliche Ausschließbarkeit
von der Nutzung eine moralische Unmöglichkeit.

Beispiele, die genauso skandalös wie alltäglich sind, kann sich jeder, der ohne neoklassische
Scheuklappen durch die Welt läuft, tagtäglich vor Augen führen:

Tatsächlich besitzen in Brasilien hungernde Landarbeiter die Frechheit, auf den Latifundien
der Großgrundbesitzer Nahrungsmittel anzubauen, nur um ihre Familien
"durchzubringen". Da durch den Anblick hungernder Landarbeiter die Kühe der
Großgrundbesitzer aus dem seelischen Gleichgewicht geraten könnten, schaffen Letztere
das Problem mit angeheuerten Pistoleros aus der Welt.

Stichwort: "Strukturkrise im Ruhrgebiet". Übersehen wird nicht selten, daß Ansiedlungen


von Gewerbebetrieben auch deshalb häufig scheitern, weil oft nicht genügend
zusammenhängende Gewerbeflächen zur Verfügung gestellt werden können. Auf der
anderen Seite stehen die lndustriebrachen v. a. der Montankonzerne (diese
Industriebrachen sind zudem oft ökologisch belastet - zu den Gründen, warum eine
Sanierung in unserem System ökonomisch nicht sinnvoll ist, vgl. weiter unten).

Die Boden- und Bauspekulation auch in den deutschen Großstädten verhindert (trotz Art.
14 GG) die Schaffung dringend benötigten Wohnraumes. Kriminalisiert werden indessen
die sich wehrenden Opfer, seltener dagegen die Spekulanten.

Auch die allabendlichen Unterhaltungssendungen in Form von Reportagen über Kriege, die

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Die Knappheitsrente unvermehrbarer Güter kann der Markt nicht durch das Gesetz der
Konkurrenz drücken. Hier greifen nur konfiskatorische Maßnahmen, die entweder am
Eigentum, am Besitz oder am Ertrag ansetzen müssen. Dieses war das Anliegen aller
Bodenreformbewegungen.

c. Grundsätzlich anders als die unvermehrbaren sind die vermehrbaren Kapitalien einzuschätzen.
Eine Vermehrung der Kapitalien senkt - über die Vermehrung des Angebotes - die Knappheit
und damit den Zins. Gesell: "Die Beseitigung des Zinses ist ein natürliches Ergebnis der
natürlichen Ordnung, wenn diese durch keine künstlichen Eingriffe gestört wird. Alles in der
Natur des Menschen, ebenso wie in der Natur der Volkswirtschaft, drängt auf eine
unaufhaltsame Vermehrung der sogenannten Realkapitalien (Sachgüter) hin, eine Vermehrung,
die nicht einmal beim völligen Wegfall des Zinses innehäft." Und Keynes schätzte, daß unter
bestimmten Voraussetzungen ".. ein richtig geleitetes, mit modernen technischen Hilfsmitteln
ausgerüstetes Gemeinwesen, dessen Bevölkerung nicht sehr rasch zunimmt, in der Lage sein
sollte, innerhalb einer einzigen Generation die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (entspricht
dem Zins, d. Verf.) auf ungefähr Null herunter zu bringen.. "

Issing hat natürlich recht, wenn er Zweifel an dem von Keynes vorgeschlagenen Weg einer
Verstaatlichung der Investition hegt. Nachdem Keynes ein ganzes Buch darauf verwendet hat,
die Krankheit im sozialen Körper in der Liquiditätsprämie zu orten, schlägt er schließlich einen
überraschenden Haken: Seine Lösung (Verstaatlichung der Investition) ist genauso unlogisch
wie inkonsequent, hat aber den ungeheuren Vorteil, wenigstens in die politische
Parteienlandschaft zu passen (besagter Mangel an Logik dürfte maßgeblich dafür sein, daß
Keynes in der politischen Linken derart beliebt ist).

Dagegen ließ Gesell ein derartiges psychologisches Geschick mit seinem bis zur Sturheit
logischen und konsequenten Vorschlag, die Liquiditätsprämie zu neutralisieren, vermissen.

Die mannigfachen Entbehrungen und Leistungen


der Kapitalbesitzer
Da die "invisible Hand" des Marktes in den Augen der Neoklassiker offenbar vor allem von
Gerechtigkeitsempfinden gesteuert wird, entlohnt sie alle Produktionsfaktoren entsprechend ihrer
Leistung.

a. Daher rechtfertigt lssing den Zins als den "Preis des Wartens". Wie hoch müßte der Preis
für das Warten darauf sein, daß die Kritik an dieser (ich will an dieser Stelle eine griffigere
Vokabel vermeiden:) unschuldig-naiven "Behauptung" zur Kenntnis genommen wird?

Wir entgegnen dem mit Keynes, ein Ökonom, der dem Hörensagen nach sogar manch einem
Ordinarius der Volkswirtschaftslehre wenigstens dem Namen nach bekannt sein soll: "Es sollte
klar sein, daß der Zinsfuß keine Belohnung für Sparen oder Warten an sich sein kann. Denn
wenn ein Mensch seine Ersparnisse in Bargeld hortet, nimmt er keine Zinsen ein, obschon er
gerade so viel spart wie zuvor. Im Gegenteil, die bloße Definition des Zinsfußes sagt uns in
ebenso vielen Worten, daß der Zinsfuß die Belohnung für die Aufgabe der Liquidität für einen
bestimmten Zeitabschnitt ist. Denn der Zinsfuß ist weiter nichts als das umgekehrte Verhältnis
zwischen einer Summe Geld und dem, was für die Aufgabe des Verfügungsrechtes über das
Geld im Tausch gegen ein Darlehn für einen bestimmten Zeitabschnitt erhalten werden kann."

Und Gesell (dessen Botschaft kurz wie gerne, wenn auch nicht ganz zutreffend von der Zunft
der Berufsökonomen mit "Freibier, Freiluft, Freiliebe" auf den Punkt gebracht wird)
argumentiert: "Sparen heißt, mehr Ware erzeugen als verbrauchen. Aber was macht der
Sparer, was macht das Volk mit diesen Überschüssen an Waren? Wer bewahrt diese Waren auf
und wer bezahlt die Kosten des Aufbewahrens? Wenn wir hier antworten: der Sparer verkauft
seine Erzeugungsüberschüsse, so verlegen wir die Frage vom Verkäufer auf den Käufer und auf
ein Volk als Ganzes ist diese Antwort überhaupt nicht anwendbar. Wenn nun jemand
Ersparnisse macht, d. h. mehr Waren erzeugt als verbraucht, und findet einen, dem er den

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Gesell in seiner Stellungnahme zu E. von Boehm-Bäwerk, der ebenso wie der von Issing
zitierte G. Cassel die These vom Zins als "Preis des Wartens" vertrat, sich alle Mühe gab, ernst
zu bleiben - vergeblich: "Für v. Boehm-Bawerk ist es ganz selbstverständlich, daß ein
gegenwärtiges Gut höher eingeschätzt werden muß, als ein künftiges, und auf diese
Voraussetzung gründet er auch seine neue Zinstheorie. Und warum wäre das so
selbstverständlich? Darauf gibt er selbst die etwas wunderliche Antwort: "Weil man Wein
kaufen kann, der im Keller jährlich besser und teurer wird!" Weil also der Wein (v. Boehm-
Bawerk hat unter allen Waren keine zweite gefunden, die diese wunderbare Eigenschaft
besitzt) angeblich von selbst, ohne Arbeit, ohne Kosten irgendwelcher Art, also auch ohne
Lagerkosten, im Keller jährlich besser wird, darum werden wohl auch alle übrigen Waren,
Kartoffeln, Mehl, Pulver, Kalk, Häute, Holz, Eisen, Seide, Wolle, Schwefelsäure, Modeartikel
usw. jährlich auf Lager besser und teurer?"

b. Issing erwähnt weiter die Begründung des Zinses aus dem Konsumverzicht, aus der
Abstinenz heraus. Das leuchtet unmittelbar ein. Beispielsweise lag 1986 in der Bundesrepublik
das Vermögen der reichsten Haushalte bei 1.000 bis 4.000 Mio. DM und die daraus
resultierenden Zinserträge bei 60 bis 300 Mio. DM jährlich. Selbst bei täglichem Kauf eines
Rolls-Royce, Riesenfete und - der Leser möge die ausschweifende Phantasie verzeihen -
täglichem Bordellbesuch mit allen seinen Freunden ist die Konsumfähigkeit eines sterblichen
Erdenbewohners (und ebenso einer Erdenbewohnerin) angesichts solcher Summen in der Tat
überfordert: Er ist angesichts dieser Summen tatsächlich zum Verzicht gezwungen. Somit ist
es recht und billig, daß der Markt diesen Konsumverzicht auch höher prämiert als
beispielsweise die drei Groschen der Großmutter, die ihre vom Mund abgesparten Teile der
Altersrente auf das Sparbuch zu einem negativen Realzins bringt (denn die besagte Oma
bräuchte auf den Konsum wirklich nicht zu verzichten).

Und wieder ziehen wir hier die erfrischenden Ausführungen Gesells ans Licht, der sich auf die
Abstinenztheorie Seniors bezog: "Die Abstinenz oder Enthaltsamkeitstheorie von Senior schlägt
zwar den richtigen Weg ein zur Erklärung des Zinses aus dem bestehenden Mißverhältnis
zwischen Nachfrage und Angebot von Arbeitsmittein, bleibt aber auf halbem Wege stehen.
Senior hält die Menschen durchweg für Verschwender, die lieber einige Tage in Saus und Braus
und dann den Rest des Jahres auf Borg leben und Zins zahlen, als daß sie auf unmittelbaren
Genuß verzichten. Daher der Mangel an Arbeitsmittein, daher das Mißverhältnis zwischen
Angebot und Nachfrage, daher der Zins. Die wenigen Personen, die Enthaltsamkeit üben,
werden für diese seltene Tugend durch den Zins belohnt. Und auch diese wenigen sind nicht
deshalb enthaltsam, weil sie den künftigen Genuß der gegenwärtigen Verschwendung
vorziehen, nicht, weil sie als Jünglinge für die Hochzeit, als Männer für das Greisenalter, als
Väter für die Kinder sparen wollen, sondem nur, weil sie wissen, daß das Gesparte ihnen Zins
abwirft. Ohne diesen Tugendpreis würden auch sie von der Hand in den Mund leben, würden
auch sie keine Saatkartoffeln aufbewahren, sondem die gesamte Kartoffelemte in einem
gewaltigen Schmaus vertilgen. Ohne Zins hätte doch niemand einen Beweggrund zur Bildung
und Aufbewahrung des Kapitals, und dem künftigen Genuß ist doch der gegenwärtige immer
und selbstverständlich vorzuziehen! Weiß doch niemand, ob er überhaupt künftig noch leben
und das aufgestapelte Gut verzehren wird! Bei solcher allgemeinen Wesensart des Menschen
(wie enthaltsam erscheinen da der Hamster und die Biene!) fragt man sich, wie das
Menschengeschlecht überhaupt noch besteht, und wie man überhaupt noch jemand Geld
leihen kann. Wer so schlecht mit eigenem Gut wirtschaftet, wird doch erst recht auch fremdem
Gut gegenüber der Versuchung nicht widerstehen, dem süßen gegenwärtigen Genuß den
künftigen zu opfern; wie will er dann den Zins zahlen und das Kapital zurückerstatten? Und
wenn unsere Ureltem die Wintervorräte schon immer im Sommer vertilgt hätten, ob wir uns da
wohl jetzt unseres Daseins erfreuen würden? Oder verzichteten unsere Väter auf den
unmittelbaren Genuß, weil die Vorräte im Keller Zins abwarfen, d. h. immer wertvoller, besser
und größer wurden?"

Keynes drückt denselben Sachverhalt kürzer, blutärmer, also "wissenschaftlicher" aus: "Daß die
Weit nach verschiedenen Jahrtausenden beständigen Sparens der Einzelnen so arm an
angehäuften Kapitalwerten ist, ist nach meiner Ansicht weder durch die unvorsorglichen
Neigungen der Menschheit, sogar nicht einmal durch die Zerstörungen von Kriegen, sondem
durch die hohen Liquiditätsprämien zu erklären, die (..) an dem Besitz von Geld hängen."

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Verschwender sondem die, die den Zins erheben. Allerdings ist wieder das, was die Kapitalisten
verschwenden, nicht ihr eigenes, sondem fremdes Eigentum, denn die Arbeitslosigkeit, die
behufs Erpressung des Urzinses (entspricht der Liquiditätsprämie bei Keynes, d. Verf.) durch
Unterbrechung des Geldumlaufes hervorrufen, geht auf Kosten anderer. Die Kapitalisten
verschwenden fremdes Eigentum, sie verschwenden die Arbeitskraft des fleißigen, sparsamen
Volkes, sie lassen auf fremde Kosten die Waren in den Krisen zu Milliarden als Zuvielerzeugung
zugrunde gehen, damit es nicht zu einer Zuvielerzeugung an Kapital komme und der Zinsfuß
falle. Daher der Mangel an Kapital, daher der Zins. "

c. Ohne, daß die betreffenden Dozenten dabei vor Scham erröten, kann man von manchen
Kathedern noch die interessante These vernehmen, der Zins sei ein Preis für die
"Produktivität" des Kapitals (angeblich soll jedoch die "Wirtschaftswissenschaft" in
jüngster Zeit zu der Erkenntnis vorgedrungen sein, daß Sonnenflecken wahrscheinlich doch
nicht die Auslöser der Konjunkturzyklen sind).

"Wir sagen: Nachfrage und Angebot bestimmen das Verhältnis, in dem sich die Arbeiter mit
den Besitzern der Arbeitsmittel in die Erzeugnisse teilen, und zwar ganz unabhängig von der
Leistungsfähigkeit der Arbeitsmittel ... Einen Zins wird der Kapitalist von seinem Arbeitsmittel
nur erwarten können, so lange die Nachfrage das Angebot (an den mit dem Arbeitsmittel
hergestellten Waren, d. Verf.) übersteigt. Und je besser, je leistungsfähiger das Arbeitsmittel
ist, das der Kapitalist dem Arbeiter zur Verfügung stellt, - desto mehr schwillt mit dem
Erzeugnis das Angebot von Arbeitsmitteln an, desto niedriger wird der Zins. Nach dieser
Produktivitätstheorie müßte es sich aber umgekehrt verhaften: je leistungsfähiger das
Produktionsmittel, desto höher der Zins. Wenn man die Leistungsfähigkeit der
Produktionsmittel (Arbeitsmittel) allgemein verzehnfachte, so würde daraus (nach der
Produktivitätstheorie) dem Kapitalisten ein gewaltiger Gewinn erwachsen, während doch
offenbar durch ein solches Ereignis das Angebot die Nachfrage nach Produktionsmitteln bald
überholen und der Zins unter dem Drucke dieses Angebots ganz verschwinden würde."

Doch wollen wir es an dieser Stelle für diejenigen, die es blutarm mögen, nicht versäumen,
eine wissenschaftliche Referenz beibringen: "Es ist viel zweckmäßiger zu sagen, daß das
Kapital während seines ganzen Bestandes ein seine ursprünglichen Kosten übersteigendes
Erträgnis hat, als es produktiv zu nennen. Denn der einzige Grund, warum ein Vermögenswert
eine Aussicht bietet, während seines Bestandes Dienste von einem größeren Gegenwartswert
als dem ursprünglichen Angebotspreis zu leisten, ist seine Knappheit, und es wird knapp
gehalten wegen des Wettbewerbs um den Zinsfuß auf Geld. Wird das Kapital weniger knapp,
so vermindert es das überschüssige Erträgnis, ohne daß es wenigstens im stofflichen Sinne -
weniger produktiv geworden ist."

Angesichts dieser wenigen, skizzenhaft dargestellten Argumente dürfte den geneigten Leser
eine Ahnung überkommen, daß es mit Sicherheit plausibler ist, an das Dogma der unbefleckten
Empfängnis zu glauben, als an die Thesen vom Zins als "Preis des Wartens", als "Prämie für die
Produktivität des Kapitals" oder als "Konsumverzichtsprämie". Was die "Wissenschaftlichkeit"
angeht, sind die beiden betreffenden Disziplinen mit ihren Thesen (unbefleckte Empfängnis vs.
Preis des Wartens etc.) jedoch vermutlich gleichauf.

Was nun ist "Kapitalismus"?


Wieder einmal wollen wir Spielverderber sein und uns erlauben, im Zusammenhang mit dem Begriff
des "Kapitalismus" den Käu vom "Eigentum an Produktionsmitteln" nicht nachzubeten. Kein Asbach
kann so uralt sein wie diese These, die ihre Existenz der Tatsache verdankt, daß Marx beim
plagiieren der Frühsozialisten die neueren Entwicklungen schlicht verschlafen hatte; was diese
Behauptung aber nicht daran hinderte, auch den "Klassenfeind" zu infizieren.

Das Langweilige an einer bestimmten Sorte von Ökonomen (zu denen nicht die Marxisten und selten
die Neoklassiker gehören) ist, daß sie immer mit Knappheiten argumentieren. Und so sind auch die
Eigenschaften des "Kapitals" nichts mystisches (über das man wie Marx drei Bände schreiben
müßte, ohne das Phänomen auch nur ein klein wenig zu verstehen): Kapital ist nicht mehr und nicht

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Um Gesell noch zu ergänzen: Das betreffende Marktverhältnis, gegen das die Marktkräfte
natürlicherweise ankämpfen, ist im Kapitalismus institutionalisiert: Es steckt ein "Keil in der Tür",
der sich in der Terminologie von Keynes "Liquiditätsprämie" (des Geldes) schimpft und die
Marktkräfte daran hindert, Knappheit wie Zins zu beseitigen.

Und weil der Markt seine Aufgabe (Knappheiten selbsttätig wieder zu beseitigen) nur dadurch
erfüllen kann, indem er für die knappen Produktionsfaktoren arbeitet, guckt im Durchschnitt eben
der "Malocher" in "die Röhre" (obwohl merkwürdigerweise das Kapital tendenziell leichter
vermehrbar sein sollte als die Arbeitskraft).

Unglaublich, aber wahr: Genau wie Zecke und Hund sind Kapitalismus und Marktwirtschaft zwar
historisch zusammengewachsen, aber als ldealtypen scharf zu trennen. Die Marktkräfte versuchen,
die Knappheit zu überwinden, die Liquiditätsprämie bildet aber den Riegel, der dies ab einem
gewissen Punkt nicht mehr zuläßt. "John Bull kann vieles ertragen, aber was er nicht ertragen kann,
sind 2 Prozent." Gesell. "Das herkömmliche, vom Staate verfertigte Geld (Tauschmittel) schützt alle
vorhandenen Häuser vor einem den Zinsertrag schmälernden Mitbewerb neuer Häuser Das Geld
wacht mit Eifersucht darüber, daß seine Geschöpfe nicht entarten. Geld wird immer nur zum Bau
von so vielen Häusern ausgegeben, daß deren Zinsertrag nie unter den Urzins (entspricht der
Liquiditätsprämie bei Keynes, d. Verf.) fallen kann." Eben hierdurch wird die Knappheit
institutionalisiert.

Der verständige Ökonom reibt sich an dieser Stelle verwundert den Schlaf aus den Augen. Den
vermehrbaren Vermögensgegenständen haftet also die Eigenschaft der Knappheit also offensichtlich
nicht "von selbst" an. Sie werden künstlich, via Wirtschaftsverfassung knapp gehalten. "Schuld"
daran sind bestimmte Eigenschaften wichtiger Vermögensgegenstände (v. a. Geld und Boden /
knappe Ressourcen). Für diejenigen, die es chinesisch mögen, sind dies deren geringe
Produktionselastizität geringe Substitutionselastizität geringe Durchhaltekosten
(Wertaufbewahrungsfunktion) Verkehrsfähigkeit, Bewertbarkeit

Aus diesen Gründen kann der Besitzer der betreffenden Vermögensgegenstände für die Aufgabe der
Vorteile, die ihm aus den besagten Eigenschaften erwachsen, einen Preis verlangen: Eben jene
berühmt-berüchtigte Liquiditätsprämie (Keynes).

Zugegeben ziemlich proletarisch, dafür aber verständlich (zukünftige Wirtschaftsliteraten seien an


dieser Stelle gewarnt: durch solche Prosa bekleckert man sich garantiert nicht mit Ruhm!)
beschreibt Gesell den Vorteil der Liquidität, den er nur auf das Geld bezieht: "Nehmen wir an, Müller
und Schmied, durch Raum und Zeit getrennt, wollen ihre Erzeugnisse, Mehl und Nägel austauschen
und brauchen zu diesem Zwecke das Geld, das Meyer verfügbar hat. Meyer kann den Tausch, wenn
er will, mit seinem Gelde sofort vermitteln, er kann den Tausch aber auch verschleppen,
unterbinden, einfach verbieten denn sein Geld läßt ihm ja die Freiheit den Zeitpunkt für die
Vermittlung des Tausches auszuwählen. Ist es da nicht selbstverständlich, daß Meyer sich diese
Macht bezahlen läßt und daß Müller und Schmied in einen Abzug an ihrer Forderung für Mehl und
Nägel einwilligen müssen? Was bleibt ihnen anderes zu tun übrig? Verweigern sie dem Geld die
Abgabe, so zieht sich das Geld einfach vom Markte zurück, und Müller und Schmied müssen
unverrichteter Sache ihre Habe wieder mit schweren Unkosten nach Hause bringen. Müller und
Schmied werden dann gleichzeitig als Verbraucher wie als Erzeuger in Not sein. Als Erzeuger, weil
ihre Sache verdirbt, als Verbraucher, weil sie die Dinge entbehren, für deren Eintausch sie ihre Ware
zu Markte brachten.

Wenn Meyer statt Gold irgendeine andere Ware als Tauschmittel besäße, etwa Tee, Pulver, Salz, Vieh
oder Freigeld, so würden die Eigenschaften dieser Tauschmittel ihm die Freiheit einer Verschleppung
der Nachfrage und damit auch die Macht nehmen, eine Abgabe von den anderen Waren zu
nehmen."

Verteilung, Gerechtigkeit, Leistung


Für diejenigen Kapitalbesitzer, die nicht schweißtriefend Rechtfertigungen für ihr Tischlein-deck-dich-

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im Gefolge von Walras - ganz zu schweigen von Marxisten - nicht erschließen mag).

Entgegen einer in einem bestimmten politischen Spektrum sich hartnäckig haltenden Auffassung ist
allerdings der Markt nicht gerecht. Eine Marktwirtschaft entlohnt nicht Leistung, sondern Knappheit;
er bepreist also nicht die leistungsstärksten, sondern die knappsten Faktoren am höchsten. Auf
diese Weise gibt er einen Anreiz zur Allokation der Faktoren in die betreffenden Verwendungen, um
so die Knappheit möglichst rasch zu beseitigen.

Mit der Beseitigung der Knappheit sinken die Renditen in den betreffenden Sektoren auf das
"normale", marktübliche Niveau, und der Anreiz zur Allokation von Faktoren in den betreffenden
Sektor geht zurück. Der Markt nimmt also Verteilungsungerechtigkeiten vorübergehend in Kauf, um
die Produktivität des Gesamtsystems nachhaltig zu stärken (indem die sektoralen Knappheiten
beseitigt werden). Der Marktwirtschaft sind negative Rückkopplungsprozesse immanent;
Ungleichgewichte werden selbsttätig beseitigt.

Nun leben wir jedoch in einem System, in der zwei Faktoren, nämlich Boden und Kapital, strukturell
knapp sind - richtiger ausgedrückt: Systembedingt strukturell knapp gehalten werden (s. oben).

Die logische Folge kann nur ein Systemversagen sein: Die Knappheit des Faktors Kapital kann der
Markt nicht beseitigen (s. die Ausführungen zur Liquiditätsprämie oben), die ansonsten nur
vorübergehende Verteilungsungerechtigkeit wird nachhaltig.

Noch mehr: Die ansonsten negativen marktwirtschaftlichen Rückkopplungsprozesse können durch


dieses "Sandkörnchen im Getriebe" namens Liquiditätsprämie richtig "umkippen": Die
marktwirtschaftliche Effizienz denaturiert dann zur kapitalismustypischen Ineffizienz.

Beispiele:

Einerseits Bedarf ohne Nachfrage (soziales Elend, Arbeitslosigkeit), andererseits Nachfrage


ohne Bedarf (Luxus).
Einerseits gesellschaftlicher Bedarf an notwendigen Arbeiten (soziale Dienste, Infrastruktur
etc.), andererseits ein Heer von Arbeitslosen.
Einerseits eine Minderheit von steinreichen Kapitalrentnern, andererseits die Masse der im
Elend versinkenden Sozialrentner.
Einerseits die ökonomische Verelendung, andererseits das Elend der Ökonomie etc.

Der Allokationsaspekt
Es wäre jedoch ein Mißverständnis anzunehmen, wir wollten "den" Zins durch die Bank verteufeln.
Der Zins ist, wie oben ausgeführt, als Knappheitsindikator ein in einer Marktwirtschaft
unabdingbares Allokationsinstrument. Ein halbwegs effizienter Markt alloziiert durch das Zinssignal
die Ressourcen in diejenigen Verwendungen, in die sie am dringendsten benötigt werden.

a. Nun ist die Frage, was wirklich "gebraucht" wird, auch soziologisch zu stellen. Selbst in
einem reichen Land wie der Bundesrepublik sind die Pauperisierungsprozesse (der Begriff der
"Pauperisierung" ward in einer der wenigen lichten Stunden des Karl Marx, Gott hab ihn selig,
geboren) nicht zu unterschätzen, die das kapitalistische System den Arbeitenden abnötigt.

Beispiel:

Der Gelegenheitsarbeiter "braucht" einen Mercedes Benz als Prestigeobekt, den er meist
nur durch Kreditaufnahme oder anderweitigen Konsumverzicht bezahlen kann.

Derselbe Gelegenheitsarbeiter "braucht" ebenfalls Gewaltvideos, Alkohol etc., um sich


angesichts seiner unsäglichen Lebens- und Arbeitssituation zu narkotisieren. Aus
demselben Grunde "braucht" unser Gelegenheitsarbeiter keine kritische Tagespresse oder
Literatur (die Pauperisierung relativiert sich dadurch, denn unserem Gelegenheitsarbeiter
bleiben bestimmte Zeitungsartikel hiermit erspart).

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25 Okt 00 - 16 Jun 08 2005 2006 2007
sich mit Vorstandskollegen über die bevorstehenden Personalabbaumaßnahmen zu
unterhalten (dennoch beschleicht ihn nach Verlassen des Restaurants das ganz
proletarische Bedürfnis, den grimmenden Magen in der nächsten "Fritten-Bude" zu
saturieren).

Mag sein, die Beispiele sind Extreme (insofern Polemik), sie sind dennoch wenn man genau
hinsieht - Legion (insofern keineswegs Polemik).

Langer Rede kurzer Sinn: Was "gebraucht" wird, ist soziokulturell bestimmt. Keineswegs
handelt es sich um eine anthropologische Konstante, die "richtige" Allokation ist insofern nicht
"naturgegeben". Sehr vieles wird zudem durch eine geschickte Werbung, der oftmals jeglicher
Produktbezug fehlt, in fragwürdige Richtungen "kanalisiert".

Die Lebenssituation des Arbeiternehmers wie des Arbeitgebers haben beide mit der
Liquiditätsprämie, mit der strukturellen Knappheit von Arbeitsplätzen zu tun. Es handelt sich
hierbei um ein psychologisches Faktum, welches "mit der Muttermilch aufgesogen wird". Das
Resultat des nachhaltigen Gefühls des potentiellen "Überflüssig-Seins" seitens der
Arbeitnehmer sind mangelnde Zivilcourage, Obrigkeitshörigkeit, Inferioritätsgefühle und
ständige existentielle Angst (welche sich in Situationen wie der Gegenwärtigen noch erhöht)
und - ich wage den marxistischen Ausdruck zu gebrauchen - die Entfremdung des Menschen
von seinen Möglichkeiten im und außerhalb des Arbeitsprozesses.

Wenn "Wirtschaften" etwas mit Bedürfnisbefriedigung über einen effizienten


Allokationsmechanismus zu tun haben soll, so sind wir selbst in den westlichen
Marktwirtschaften weit weg vom Ziel.

b. Allokation muß auch im Zusammenhang mit dem Phänomen der Macht thematisiert
werden. In den Diktaturen der Dritten und der "sozialistischen" Welt kam und kommt die Macht
aus Gewehrläufen, in den Plutokratien der westlichen Welt wird der Leviathan weniger aus dem
geballten Willen des Wahlvolkes als vielmehr aus Kapitalzusammenballungen geboren. In den
zuerst genannten Staaten findet man das wirtschaftliche Resultat in nicht immer sinnvollen
wirtschaftlichen Prestigeprojekten, einer Aufblähung des Staats- und des Rüstungssektors etc.
In der westlichen Welt wirkt dagegen ein teilweiser unerträglicher Lobbyismus finanzkräftiger
Gruppen auf die Allokation ein: Das Resultat besteht in vielen unverständlichen
gesetzgeberischen Aktivitäten, z. B. auf dem Gebiete der Subventions-, der Steuer-, der
Energiepolitik etc. Volkswirtschaftlich sind derartige Beglückungsaktionen zu einem nicht
geringen Teil Orgien der Verschleuderung von an anderen Stellen dringend benötigten
Ressourcen, die in einer Marktwirtschaft genauso wenig zu suchen haben wie der eilige Vater in
einem Etablissement von Otto Schwanz (Berlin).

Vermutlich werden mir die moralischen Unbedenklichkeitsträger bezüglich des Zinses mit einer
Mine der Unschuld entgegnen, daß in unserer Leistungsgeselischaft noch niemand anders als
durch Arbeit und Leistung zu Geld gekommen ist, die politische infolge der wirtschaftlichen
Macht insofern also durch Leistung legitimiert ist. Mit Gesell sei ihnen an dieser Stelle ein
kleines Gedicht gewidmet:

"Dies Kind, kein Engel ist so rein, mag's eurer Huld empfohlen sein."

Zu erwähnen sind auch die interessanten Ausbünde von blindem Aktionismus, die als
"sozialpolitisch motivierte staatliche Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung und -schaffung"
angesichts des strukturellen Charakters der Arbeitsplatzknappheit im Kapitalismus nur als eine
teure Sisyphusarbeit charakterisiert werden können. Wäre die neoklassische Welt in Ordnung,
würden die freigesetzten Arbeiter aus der Montan- und Textilindustrie sowie der Landwirtschaft
schnell andernorts Beschäftigung finden. Wo Bedarf ist, befindet sich in der neoklassischen
Theorie auch Nachfrage. Nur leider ist dem in der nicht ganz so neoklassischen Realität
überhaupt nicht so. Aus diesem Grunde geht man in bestimmten Sektoren zu einer defacto-
Planwirtschaft (auf Kosten der Konsumenten) über und / oder schottet sich gegenüber Ländern
der Dritten Welt ab. Auf die Länder mit dem größten Bedarf, mit dem größten Elend, wird die
Last letztendlich abgewälzt. Die von den links bis in der bürgerlichen Mitte stehenden
"lnternationalisten" ziemlich besoffen gefeierte Institution für dieses traurige Gesellschaftsspiel

8 von 10 25.04.2014 09:53


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MRZ JUL AUG

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25 Okt 00 - 16 Jun 08
verheerende Allokationssignale. Eine Umweltschutz- oder -reparaturmaßnahme heute2006 ist 2005 2007

wegen des Abzinsungseffektes teurer als ein Aufschieben der Maßnahme in die Zukunft.

Beispiel: Zinssatz: 10%

Sanierungsmaßnahme heute (t0): 100.000,00 DM


Sanierungsmaßnahme in t1: 90.909,09 DM
Sanierungsmaßnahme in t2: 82.644,63 DM
etc.

Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß der (strukturell) positive Zinssatz das Zeichen
gibt, die Bedürfnisse der künftigen Generationen gegenüber der heute lebenden Generation
minder zu bewerten. Der Markt sagt nichts anderes als: "Weil es euch heute schlecht geht
(positiver Zins = Mangel), sorgt erst einmal für Besserung heute - habt ihr das erreicht,
kommen die Investitionen in die Zukunft." Dummerweise ist jedoch das Knappheitssignal ein
institutionalisiertes (Liquiditätsprämie); an der Beseitigung der aktuellen Knappheit wird im
Kapitalismus bis zum Sankt Nimmerleinstag gearbeitet, und die Investitionen in die Zukunft
kommen danach. Da die maßgeblichen Vertreter der größeren Umweltschutzverbände nicht mit
dem Ballast ökonomischen und logischen Denkvermögens sonderlich beschwert sind, steht
auch nicht zu befürchten, daß (in einer marktwirtschaftlichen Ordnung) die betreffenden
Maßnahmen zur Sanierung der Umwelt vom Sankt Nimmerleinstag in einen greifbareren
Zeithorizont (vor-)gezogen werden.

Wachstum
Zins ist zwar einerseits ein Anreiz zum Sparen, andererseits aber auch eine Bremse der
Akkumulation. Jedem denkenden Menschen müßte es zu denken neben, wie nach so vielen Tausend
Jahren der Akkumulation immer noch ein solcher Mangel an Ersparnissen herrscht.

Gesell gibt zu bedenken, "... daß unser herkömmliches Geld uralt ist" daß es seit 3000 - 4000
Jahren ganz selbsttätig und gesetzmäßig den Bau von Häusern usw. immer künstlich so weit
beschränkte, daß die Nachfrage stets größer als das Angebot war und so die Häuser Kapital
blieben."

Keynes wunderte sich, " ... daß die Welt nach verschiedenen Jahrtausenden beständigen
Sparens der Einzelnen so arm an angehäuften Kapitalwerten ist ..." und meinte, "... daß es
verhältnismäßig leicht sein sollte, Kapitalgüter so reichlich zu machen, daß die
Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Null ist ..."

Ohne hier längst gebetete Litaneien noch einmal herunterrasseln zu wollen: Wachstumsfreiheit ist
nur möglich bei einer Nettoinvestitionsrate von Null. Eine Nettoinvestitionsrate bedingt eine
Sparquote von Null. Eine Sparquote von Null setzt einen Zinssatz von Null Prozent voraus.

Will man sich im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung bewegen, kann dieser Effekt auch nicht
durch fiskalische Tricks wie einer Zinssteuer von 100% begegnet werden. Genausowenig bietet die
"islamische" Wirtschaft einen Ausweg, von der - angesichts des intellektuellen Vakuums hinsichtlich
ökonomischer Perspektiven - hierzulande einige aufgeschlossene Zeitgenossen zu träumen
beginnen: Wenn der "Zins" als Begriff per Ordre du mufti abgeschafft wird, bedeutet dies leider noch
nicht, daß er auch als wirtschaftliches Phänomen verschwindet (wiederum sind es meiner Erfahrung
nach vor allem Linke, denen sich dies nicht oder nur mit allergrößten Mühen verständlich machen
läßt - die Anarchie des Planes des real existierenden Sozialismus läßt grüßen - ferner hoffe ich, mich
nun nicht auf der Abschußliste eines verdrehten Mullahs wiederzufinden).

Wucher und Antisemitismus


Bei der unter Berufung auf Bentham implizit getätigten "logischen Deduktion" in Issings Traktat

9 von 10 25.04.2014 09:53


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2. Antisemitismus ist moralisch verwerflich.

Ergo: Abneigung gegen Wucher ist moralisch verwerflich.

Die Deduktion an sich ist logisch ganz korrekt. Der Fehler steckt in der Unvollständigkeit der
Annahme 1. Diese müßte folgendermaßen ergänzt bzw. berichtigt werden:

1. a. Antisemitismus ist ein Resultat der Abneigung gegen Wucher.

b. Antisemitismus ist zudem das Resultat einer unzulässigen Gleichsetzung von Funktion und
Person (bzw. Religionszugehörigkeit) des Wucherers.

2. Antisemitismus ist moralisch verwerflich.

Die logische Schlußfolgerung hieße dann:

Die Gleichsetzung von Funktion und Person des Wucherers ist moralisch verwerflich.

Da Herr lssing aber offensichtlich Dialektiker ist, schafft er es, letztere Deduktion vorne und erstere
hinten im Text zu plazieren, ohne daß die Idee eines logischen Widerspruches (widerum explizit)
auftaucht.

Viel Feind, viel Ehr


Ein moralischer und/oder intellektueller Schatten liegt indessen nicht nur über den Lehrstühlen für
Volkswirtschaft, sondern auch über der bundesdeutschen Parteienlandschaft, welche durch die Bank
politisch zu feige (oder, wo der Wille zur Provokation vorhanden ist: zu inkompetent) ist, der
Ursache vieler sozialer Probleme auf den Grund zu gehen.

Radikal sein heißt, wie wir von Marx wissen (der diesbezüglich wirklich ein Opfer der Dialektik von
Theorie und Praxis wurde), an die Wurzel gehen. Unsere Sozial-Kurpfuscher jedweder Couleur, sei
es in den politischen Parteien, in den Verbänden oder in den Universitäten begnügen sich dagegen
mit Symptomkuren.

Wenn ich in den betreffenden Kreisen nicht nur Zustimmung gefunden habe, darf ich den Zweck
dieser Zeilen als erfüllt betrachten.

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