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Alanis Morissette – Jagged little pill acoustic

“Du, geh’ma zum Starbucks auf a CD? Und wann ma scho do san, kemma an Kaffee aa glei mitnehma...“ Kein
Scherz: Die Erstauflage der akustischen Neuinterpretation von „Jagged little pill“ wurde tatsächlich exklusiv bei
dem US-Koffeingiganten angeboten. Aber es schmeckt ja soooo gut!

Es gibt Lieder, die sind wie gute Freunde. Und es gibt Glücksfälle von Alben, die sind wie eine ganze Clique.
Sie haben uns durch viele Jahre begleitet und Höhen wie Tiefen mit uns geteilt: Wir haben gemeinsam Nächte
durchgetanzt, tranken zusammen Rotwein auf der Terrasse, spuckten wortgewaltig gleichlautend Gift und Galle,
suchten Konzerthallen heim, machten mitteilsame Erfahrungen und haben einander innig umarmt.

Eigentlich dachten wir, das würde immer so bleiben – doch dann kam irgendetwas dazwischen. Die Zeit, das
Leben, das Erwachsenwerden... Wir orientierten uns in andere Richtungen. Es gab so viele frische Eindrücke und
Einflüsse, wir ordneten uns neu und haben darüber gar nicht bemerkt, wie eine unserer Lieblings-CDs plötzlich
ganz unten im Stapel versank.

Natürlich haben wir sie nicht vergessen. Und sie uns zum Glück auch nicht!

So läuft das doch: Plötzlich meldet sich ein/e Freund/in mit der Nachricht, daß er/sie heiraten wird. Oder ein
Klassentreffen organisiert. Oder einfach so. Und trotz der Distanz all dieser Jahre, die so rasch vergangen sind,
ist das Wiedersehen mit der alten Rasselbande voller Vertrautheit. Natürlich haben sich alle einzelnen ein wenig
verändert, doch nicht unsere Basis.

Wie „Jagged little pill“ – zweifelsohne eines der besten Alben wo gibt! Zehn Jahre ist das schon wieder her, daß
eine wütende junge Kanadierin ihrem Herzen Luft machte, und sich damit unauslöschlich in meines brannte. Fast
aus heiterem Himmel hat es nun wieder unseren Kontakt gesucht, um gemeinsam die alten Zeiten wieder
aufleben zu lassen. Doch nicht ohne die Weisheit und Reife, die man eben diese langen Jahre später erreicht
haben sollte.

Ein wenig nervös war ich durchaus bei unserem Wiedertreffen. (Schließlich hatte ich die CD seit über vier Jahren
nicht mehr gesehen, da ich sie clevererweise damals verborgt habe...) Sie hat sich natürlich ein wenig
herausgeputzt, aber sieht noch genauso aus wie damals. Sie trägt jetzt nur wärmere Farben.

Was mit den Songs in der Zwischenzeit so alles passiert ist? Nun, sie waren viel auf Tour und haben da einige
Veränderungen durchlaufen, doch grundsätzlich sind es immer noch dieselben. Um das festzustellen, muß man
ihnen nur zuhören. Auch wenn sie mit den Jahren so viel ruhiger und entspannter geworden sind, sie jetzt eine
andere, etwas distanziertere Perspektive eingenommen haben und sich altmodisch technikfrei geben, liegen
ihnen ihre Geschichten noch immer am Herzen. Unsere Geschichten!

Da wäre „You oughta know“ – Und das Schöne daran ist, daß ich natürlich inzwischen längst weiß, daß mein Ex-
Freund garantiert nicht an mich denkt, während er mit seiner Frau schläft. Warum auch? Und warum sollte mich
das frustrieren? Ha! Inzwischen frustriert es mich doch nichtmal mehr, daß Männer, die mit MIR schlafen, dabei
nicht an mich denken...

In derselben zurückgelehnt-reflektiven Haltung funktioniert auch das ursprünglich eher aggressive „Right through
you“ bestens. Mit einen wunderschönen Intro versehen lassen brilliante Songzeilen wie „You took me out to
wine/dine/69 me, but didn’t hear a damn word I said“ betreffenden Kerl aus dieser überlegenen Position noch viel
armseliger dastehen.

Daß gerade die Balladen akustisch in ganz besonderem Glanze erstrahlen, sollte offensichtlich sein. „Perfect“
und „Mary Jane“ sind einfach unglaublich schön geraten, nicht nur dank der phänomenal ausgereiften
stimmlichen Fähigkeiten Alanis Morissette’s, nein, auch die Arrangements sind... flawless! Da gibt es
Streichersätze, die so fein und dezent sind, daß man sie fast gar nicht wahrnimmt – nur ihre Wirkung. Ebenso
zum Einsatz kommen ein Akkordeon, eine Hammond-Orgel und ein Xylophon. Findet Produzent Glen Ballard nun
vielleicht doch wieder auf den rechten Weg zurück?

„Jagged little pill acoustic“ hat die Ruhe und die Kraft, uns quasi mit unserer Vergangenheit auszusöhnen, und
dafür allein gebührt diesem Album ein hoher Stellenwert. Wie in „Forgiven“ formuliert: „We all had a thing or two
to learn“. Haben wir hoffentlich getan, und werden wir wohl auch weiterhin. Lebend, liebend, weinend, verlierend,
blutend und schreiend.

And what it all comes down to is that everything’s gonna be fine, fine, fine!!!

10 von 10 Reifeprüfungen

Dagmar Goller

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