Sie sind auf Seite 1von 4

PVS-Literatur

chen „Epiphanien“ Ordnung in mitten sen, das in der Geschichte als Ord-
von Unordnung erfahre (84). nungsgefüge vorhanden sei.
Heimes versucht bei Voegelin „die gro- Im Folgenden arbeitet sich Heimes zu
ßen Linien“ (79) aufzudecken und ar- seiner eingangs formulierten Fragestel-
gumentiert mit Hilfe der Sinneinheit, lung – dem Vergleich von leidenschaft-
der „Überzeugung von der Notwendig- lichen Gegnern eines staatsrechtlichen
keit eines Gottesbezugs für das Positivismus – vor: „[A]n welchem In-
menschliche Nachahmen von Schöp- halt, Wert, oder auch an welchem Ar-
fung“, die es erlaube, „den Sinn chimedischen Punkt [orientieren]
menschlichen Handelns zur Transzen- Schmitt und Voegelin ihr eigenes
denz hin zu öffnen“ (87). Dabei Werk?“ (101). In seiner Abschlussbe-
kommt er zu dem Schluss, „nur die trachtung erkennt Heimes als Archime-
Ordnung, die in Gott gefunden ist, be- dischen Punkt beider Theoretiker das
fähige den Menschen, Ordnung auf der Transzendente. Allerdings basiere Voe-
Erde zu stiften“ (88). Infolge dessen gelins Werthaltung auf platonisch-aris-
meint Heimes bei Voegelin ein Span- totelischen und christlichen Elementen
nungsfeld zu entdecken – einen Ort des der Spätantike und des Mittelalters
„Zwischen“ (metaxy) zwischen den (193), Schmitt hingegen stütze sich
Realitäten des Göttlichen und des zwar auf christliche, aber nicht immer
Menschlichen (94), der das Voegelin- mit der Lehrmeinung konforme Werte
sche Denken an das Transzendente (193f.) Wünschenswert wäre an dieser
rückbinde. Stelle eine deutlichere Darstellung die-
Anders als bei Voegelin nähert sich ser „Werte“ gewesen. Das, was Hei-
Heimes Schmitt auf dem Umweg einer mes’ Schlüssen zugrunde liegt, bleibt
Kritik an Löwiths Thesen zu Schmitt. durch die verkürzte Zusammenfassung
Heimes leitet daraus die Frage nach weitgehend im Dunkeln, er verweist le-
dessen Werteverbundenheit ab. Er be- diglich auf die vorangegangenen Kapi-
wertet jene nach Löwiths „Fehlschlag“ tel, so dass in der Tat „Ergebnisse zu-
(56) als noch immer unbeantwortet. sammenzutragen weitgehend in der
Als vorläufige Antwort identifiziert er Wiederholung münden würde“ (192).
das Politische als Wert an sich und prä- Andrea Graßhoff
zisiert seine Fragestellung: Wie kann
Schmitt dem Politischen einen „zeitlo-
sen, geradezu ewigen Charakter“ (58) Llanque, Marcus . Politische Ideenge-
zusprechen? Heimes schreibt dem schichte – ein Gewebe politischer Diskur-
„Menschen Schmittscher Konzeption“ se. München/ Wien . Oldenbourg Verlag
(74) eine katechontische Funktion zu, 2008 . 544 Seiten . 49,80 € .
so dass diese sich und die Welt im Mo-
ment des Schwebens, der Offenheit Eine Gesamtdarstellung der politischen
und der Auseinandersetzung zwischen Ideengeschichte vorzulegen, ist ein in
Gut und Böse, zwischen göttlicher mehrfacher Hinsicht anspruchsvolles
Ordnung und dem Nichts des Anti- Unterfangen. Die Ideengeschichte hat
christen halte (74). Heimes meint, da- innerhalb der Politikwissenschaft einen
mit bei beiden Theoretikern spezifische vielleicht nicht an allen Instituten
Formen identifiziert zu haben, die je- prekären, aber erkennbar tendenziell
weils auf ein Spannungsgefüge verwei- marginalen Status. Die Lektüre der

128 PVS, 52. Jg., 1/2011


https://doi.org/10.5771/0032-3470-2011-1-128
Generiert durch IP '52.204.22.120', am 24.01.2022, 10:09:16.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Politische Theorie und Ideengeschichte | Besprechungen

Klassiker und die hermeneutische Ar- Dass die Politikwissenschaft erstens


beit an Texten treten innerhalb der Stu- gut daran tut, die politische Ideenge-
diengänge zu Gunsten der empirisch schichte als „Archiv und Arsenal“ (1f.)
ausgerichteten Methoden in den Hin- zu pflegen und bei der Reflexion ihrer
tergrund. Schlüsselbegriffe wie „Souve- Begriffe um eine historische Dimension
ränität“, „Gewaltenteilung“ oder „Re- nicht herumkommt, leuchtet unmittel-
präsentation“ werden in der Lehre bar ein. Die Legitimität des Unter-
zunehmend in ihrer heute dominieren- fangens wird damit geradezu klassisch
den Bedeutung vermittelt und nicht beantwortet. Mehr Anlass zu Diskussi-
mehr aus dem historischen Kontext onen dürfte die Antwort auf die zweite
hergeleitet. Jedes Lehrbuch der politi- Herausforderung bieten: Dass Llanque
schen Ideengeschichte muss sich ers- seine Darstellung mit dem „Zeitalter
tens zu dieser Tendenz verhalten. der Menschenrechte“ enden lässt, wird
Zweitens muss jede Gesamtdarstellung man leicht als Erschleichung einer
unvermeidbar auswählend vorgehen, Quasi-Teleologie kritisieren können.
Akzente setzen, Aspekte und Autoren Doch gegen diesen Einwand lässt sich
ausklammern. Auch bezüglich der Aus- plausibel argumentieren, dass doch
wahl des behandelten Materials gerät 1948 mit der Allgemeinen Erklärung
jeder Autor unter Rechtfertigungs- der Menschenrechte eine Entwicklung
durch ein Dokument zum Abschluss
druck. Und drittens geht es bei der
kommt, das seither einen beständigen
Auswahl des Materials nach der De-
Referenzpunkt in den politischen und
batte um die kulturwissenschaftliche
den ideenpolitischen Auseinanderset-
Entgrenzung geisteswissenschaftlichen
zungen bildet.
Arbeitens nicht nur mehr nur darum,
Die eigentliche Stärke dieses Buches
welche Autoren und Texte zu behan-
und der explizit vorgetragene An-
deln sind, sondern vielmehr um die
spruch auf Innovation liegen jedoch
Frage, welche Quellenarten in Blick ge- auf der dritten Ebene der Methode.
nommen werden, also beispielsweise Die titelgebende Metapher des „Gewe-
auch Metaphern, Bilder, Kunstwerke, bes“ ist hierbei der Dreh- und Angel-
Architekturskizzen etc. Die Material- punkt. Sie soll anzeigen, dass eine
auswahl wird so zur Methodenfrage – Vermittlung zwischen einer bloßen An-
auch hier muss sich ein Lehrbuch posi- einanderreihung von Autoren einerseits
tionieren. und einer Auflösung des Autors in ei-
Die umfangreiche „Politische Ideenge- nem diskursanalytischen Paradigma
schichte“, die Marcus Llanque in Form andererseits gesucht wird. Die doxo-
eines Lehrbuchs vorgelegt hat, stellt graphische Fixierung auf Autoren muss
sich vor diesem Hintergrund als viel nicht umständlich als unfruchtbar
mehr denn als ein bloßes Lehrbuch klassifiziert werden; komplexer ist die
dar: Es geht nicht nur darum, eine rie- Abgrenzung zu diskursanalytischen
sige Menge von Inhalten verständlich Methoden. Dabei fungiert nicht etwa
und in ihrem Zusammenhang darzu- Foucault als Paradigma einer den Au-
stellen, sondern auch darum, noch ein- tor einklammernden Ideengeschichts-
mal zu zeigen, warum Ideengeschichte schreibung, sondern die Cambridge
wichtig ist, was sie leisten kann und School. Diese kann nach Llanque
wie sie dabei vorgehen sollte. „nicht erklären, wie es Autoren gelingt,

129
https://doi.org/10.5771/0032-3470-2011-1-128
Generiert durch IP '52.204.22.120', am 24.01.2022, 10:09:16.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
PVS-Literatur

mehreren politischen Sprachen anzuge- Jahrhundert und die moderne Politik-


hören oder wie sie sich aus einer her- wissenschaft“ finden wir im Abschnitt
ausarbeiten und dazu beitragen, neue über die Antike – führt die Anordnung
zu begründen“ (5). den Leser doch schlüssig von Kapitel
Der interessanteste Impuls in dieser ein- zu Kapitel. Offenbar den Vorgaben des
leitenden Selbstpositionierung Llanques Verlags scheinen hingegen die wenig
ergibt sich dann fast beiläufig aus der überzeugenden Graphiken geschuldet
Entfaltung der Leitmetapher des „Ge- zu sein, die jeweils zu Beginn der gro-
webes“: Schlüsselmomente der Theorie- ßen Kapitel einen Überblick ermögli-
Innovation entstehen durch „Verknüp- chen sollen. Hier scheint irgendwie al-
fungen“ (6) von Diskursen, die bisher les mit allem zusammenzuhängen und
unverknüpft parallel liefen: „utopische es bleibt unklar, was die verbindenden
Überlegungen werden mit realistischen oder trennenden Striche zu bedeuten
verknüpft“ (6), historische mit aktuel- haben: ein unnötiges Ärgernis. Man
len etc. Der Topos der Verknüpfung bie- kann aus diesen Schaubildern nur die
tet eine Heuristik, die die Aufmerksam- Folgerung ziehen, dass sich die Zusam-
keit auch auf disziplinenübergreifende menhänge in der Ideengeschichte ganz
Übertragungen oder „Umbesetzungen“ offensichtlich nicht zur graphischen
(Blumenberg) lenkt: Schlüsselmomente Darstellung eignen und die Metapher
der Ideengeschichte wären dort zu er- des Gewebes nicht zu anschaulich ver-
warten, wo bspw. ökonomisches Voka- standen werden sollte.
bular in die politische Theorie übertra- Ausgesprochen stark gelingen hingegen
gen wird, Theorien des Subjekts mit der die Kapitel über den frühen Republika-
Frage der Rationalität des Staates ver- nismus bis zu Machiavelli oder die
knüpft werden und sich die Diskurse deutsche Revolutionsdebatte um Kant.
verschiedener Teildisziplinen zu neuen Die Entscheidung, keine Fußnoten zu-
Wechselwirkungen übereinander schie- zulassen, führt dazu, dass man biswei-
ben. Llanques Leitmetapher des „Ge- len Ausführungen wünscht, die aus
webes“ meint folglich nicht nur eine für Platzmangel ausbleiben. Dies wird be-
die Hermeneutik klassische Dialektik sonders deutlich in den Abschnitten
von Teil und Ganzem, Text und Dis- über Platon, in denen sowohl die Hin-
kurs. Vielmehr zieht Llanque aus den weise auf die anhaltende Diskussion
methodischen Überlegungen die Konse- über den Status der platonischen Texte
quenz, dass nur eine Darstellung, die und eine mögliche ungeschriebene Leh-
synchrone und diachrone Perspektiven re fehlen, als auch die Rezeption der
verschränkt, sowohl „Einblick“ als Politeia in wenigen Sätzen skizziert
auch „Überblick“ bieten kann (10). wird, ohne wirkmächtige Interpretatio-
Dieser hohe Anspruch führt in der Um- nen (z. B. Popper) zu erwähnen. Diese
setzung zu einer bisweilen sehr kom- Einwände sollen jedoch nicht darüber
plexen Architektur: mit der Rekon- hinwegtäuschen, dass der Leser für die
struktion von Querschnittsthemen wie Lektüre von rund 500 Seiten mit vielen
bspw. „Idee und Begriff des Politi- Einsichten belohnt wird. Durch die Re-
schen“. Auch wenn diese Strukturie- konstruktion von spezifischen Debat-
rung bisweilen zu überraschenden ten, bspw. der Debatte um eine Theorie
Gruppierungen führt – das Kapitel des Friedens und des Krieges (302-
über den „Begriff der Politik im 20. 328), lässt sich das Buch kapitelweise

130 PVS, 52. Jg., 1/2011


https://doi.org/10.5771/0032-3470-2011-1-128
Generiert durch IP '52.204.22.120', am 24.01.2022, 10:09:16.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Politische Theorie und Ideengeschichte | Besprechungen

in der Lehre als Einstiegslektüre nut- gerer Fragestellungen „aus unter-


zen. Llanques Lehrbuch eignet sich da- schiedlichen Perspektiven das Potential
her sowohl zum Selbststudium für An- einer sozialwissenschaftlich relevanten
fänger wie auch als Handbuch für Dialektik freizulegen“ (8).
Fortgeschrittene. Diesem keinesfalls geringen Anspruch
Felix Heidenreich werden die zehn Beiträge, deren theo-
retischer Rahmen zumeist ein mit
Marx gelesener Adorno oder ein mit
Müller, Stefan (Hrsg .) . Probleme der
Hegel gelesener Marx ist, durchaus ge-
Dialektik heute. Frankfurter Beiträge
recht. Die Hälfte der Aufsätze beschäf-
zur Soziologie und Sozialpsychologie . tigt sich wesentlich mit der Interpreta-
Wiesbaden . VS Verlag 2009 . 247 tion dieser drei Klassiker. Jens
Seiten . 24,90 € . Meisenheimer analysiert das Verhältnis
von Individuum, Gesellschaft und
Die Veröffentlichung eines sozialwis- Emanzipation bei Adorno vor dem
senschaftlichen Sammelbandes über Hintergrund der Marxschen Fetisch-
Probleme der Dialektik heute mag zu- kritik, Jürgen Ritsert schreibt gegen
nächst unzeitgemäß anmuten, kann eine Lesart der älteren Kritischen The-
man doch kaum behaupten, diese sei orie an, die dieser vorwirft, den Stand-
hierzulande ein vieldiskutiertes und oft punkt ihrer Kritik nicht ausweisen zu
genutztes Forschungsparadigma. Aller- können, und Josh Robinson widmet
dings bleibt zu fragen, ob dieser Um- sich der Rolle des spekulativen Den-
stand in Problemen der dialektischen kens in der Philosophie Adornos. Ingo
Ansätze selbst oder doch vielmehr im Elbe und Giovanni Sgrò dagegen stel-
Theoriebetrieb begründet liegt. Stefan len das Spätwerk von Karl Marx in
Müller, Soziologe an der Goethe-Uni- den Mittelpunkt. Ersterer thematisiert
versität in Frankfurt und Herausgeber das Verhältnis von Dialektik und ana-
des Bandes, sieht die Ursachen auf bei- lytischer Philosophie in der Darstel-
den Seiten. So gesteht er zu, dass es die lungsweise des „Kapitals“, letzterer die
Dialektik den Rezipienten nie einfach Bedeutung von Hegels Logik für die
gemacht habe, sie sich nicht nur gegen Marxsche Theorie.
eine Ausformulierung als schlicht ap- Den roten Faden dieses programma-
plizierbare Methode, sondern auch ge- tisch zu nennenden Bandes bildet dabei
gen die direkte Frage, was sie denn ei- das Festhalten am Widerspruch als
gentlich sei, regelrecht sperre. Dies konstitutivem Moment dialektischer
lasse sie den gerade an methodischer Theorie. Dieser wird im eröffnenden,
Verbindlichkeit orientierten Sozialwis- auf Probleme formaler Logik verwei-
senschaften wenig attraktiv erscheinen. senden Beitrag Heiko Knolls am Bei-
Um diesem Dilemma zu entgehen und spiel strikter Antinomien aufgenom-
zu zeigen, dass dialektische Theorie men und im Folgenden fortgesponnen.
und sozialwissenschaftliche Praxis Dadurch entziehen sich die primär um
doch zusammenkommen können, ar- Auslegung bemühten Texte den ebenso
beitet das vorliegende Buch auf einer gängigen wie wohlfeilen Lesarten – sei-
anderen Ebene; anstatt Dialektik abs- en sie affirmativ oder polemisch – der
trakt zu thematisieren, versuchen die Linie Hegel-Marx-Adorno und berei-
Autoren und Autorinnen, anhand en- ten damit den Boden für die Beiträge,

131
https://doi.org/10.5771/0032-3470-2011-1-128
Generiert durch IP '52.204.22.120', am 24.01.2022, 10:09:16.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

Das könnte Ihnen auch gefallen