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Diana Lindner
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Einmal wissen dieses bleibt für immer
Ist nicht Rausch der schon die Nach verklagt
Ist nicht Farbenschmelz noch Kerzenschimmer
Von dem Grau des Morgens längst verjagt
Einleitung .............................................................................................................. 11
Fragestellung ......................................................................................................... 14
Gliederung und Aufbau der Darstellung ........................................................... 16
Ein anderer Sammelband mit dem Titel „Handeln unter Unsicherheit“ (Böh-
le/Weihrich 2009) legt offen, dass die Individualisierungsthese bisher vor allem auf
handlungstheoretischer Ebene diffus und erklärungsarm bleibt. Der Urheber der
modernen Individualisierungsthese, Ulrich Beck, kritisiert an bestehenden hand-
lungstheoretischen Erklärungen, dass sie sich nicht „der ontologischen Unsi-
cherheit“ (Beck 2007: 347) stellen, durch die das individuelle Handeln geprägt ist,
sondern sich stattdessen auf Gewinnmaximierung konzentriert. Er selbst hat sich
von Anfang an eher auf die objektiven Veränderungen konzentriert und die theore-
tische Ausarbeitung auf handlungstheoretischer Ebene vernachlässigt. „Individuali-
sierung (meint) ein makrosoziologisches Phänomen, das sich möglicherweise – aber
eben vielleicht auch nicht – in Einstellungsveränderungen individueller Personen
niederschlägt.“ (Beck 2008: 303). Empirische Beiträge der letzten Jahre zur Indivi-
dualisierung argumentieren aber grundsätzlich aus der Perspektive einer veränderten
Einstellung von Personen unter individualisierten Bedingungen. In den Beiträgen ist
beispielsweise von einer Individualisierung des Rechts, des Unterrichts, der Ge-
sundheit oder der Mediennutzung die Rede. Hierbei geht es um eine allgemeine
Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten von Personen. Dies zeigt, dass
in vielen gesellschaftlichen Bereichen mit einem nunmehr durch immer differen-
ziertere Bedürfnisse gekennzeichneten Individuum gerechnet wird.
Sucht man nach einer übergreifenden Perspektive auf die sich im Handeln aus-
drückende Individualisierung, dann ist das fordernde, Ansprüche stellende Indivi-
duum ein Bezugspunkt. So sehr der sich durch Individualisierung tatsächlich erge-
bene erweiterte Handlungsspielraum für alle Gesellschaftsmitglieder in Zweifel
gezogen wird, so einig scheint man sich darin zu sein, dass die Ansprüche der Indi-
viduen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen gestiegen sind.
„Das, worüber die Bürger der demokratischen Staaten heute am besten Bescheid wissen, sind – ihre
Ansprüche. Anspruch auf Wohlergehen und Rechtsansprüche auf alle erdenklichen Mittel zu die-
sem Wohlergehen, das im Wesentlichen materiell definiert wird, bestimmen die Haltung des einzel-
nen gegenüber seinem Staat. Nicht nur den Staat aber sieht diese Gesellschaft als den Adressaten
ihrer Forderungen: auch zwischen den Bürgern selbst hat sich Anspruchsdenken breitgemacht.“
(Höhler 1979: 7).
Fragestellung
Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit setzt an der Tatsache an, dass der Indivi-
dualisierungstheorie eine handlungstheoretische Fundierung fehlt. Die Beiträge
klären nicht über Prozesse der Handlungswahlen auf und stellen keine Verbindun-
gen zwischen ihnen und der sozialen Situation her. Die Auswirkungen individuali-
sierter Bedingungen auf das Handeln der Individuen werden allgemein unter dem
Stichwort Individuation zusammengefasst. Individuation beschreibt die Entwick-
lung von Individuen, die sich gegen traditionelle Werte und Normen in der Gesell-
schaft als Einzelwesen positionieren und dabei zur Verwirklichung ihrer Individua-
lität gelangen. Die Individualisierungstheorie benutzt zur Erklärung dieser Mecha-
nismen Konzepte wie Enttraditionalisierung, Auflösung von Klassenidentitäten,
Wertepluralismus und Pluralisierung von Lebensstilen, ohne aufzudecken, wie Indi-
viduen Ziele verfolgen und daraufhin diese Individuationseffekte erzeugen. Es
fehlen also theoretische Beiträge, die die Makro- und Mikroperspektiven des Indivi-
dualisierungsprozesses miteinander verbinden.
Dabei ist ein zentrales Merkmal der individualisierten Handlungen, dass immer
mehr Entscheidungen getroffen werden müssen. Peter Gross hat diese Thematik
unter dem Titel „Multioptionsgesellschaft“ (vgl. Gross 1994) zeitdiagnostisch be-
schrieben und das Problem der Orientierungslosigkeit des sich permanent entschei-
den müssenden Individuums in den Mittelpunkt gerückt. Die besonderen Rahmen-
bedingungen des Entscheidens unter individualisierten Bedingungen sind nicht
einfach die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Optionen, sondern auch die For-
derung eigene Zielsetzungen und Lebensvorstellungen auszubilden und diese bei-
zubehalten. Solche Entscheidungen sind identitätsprägend und bilden somit den
Verlauf der Individuation ab. Die aktuellen Ansätze zur Identitätsbildung machen
diese Zusammenhänge zwischen Individualisierung und Zielsetzungsdynamiken zur
Basis der Entwicklung von Identitäten (vgl. Hitzler/Honer 1994). Den Individuen
geht es nicht mehr so sehr um die Antwort auf die Frage „Wer oder was bin ich?“
sondern um die Klärung der Frage „Wer oder was will ich sein?“. Aus diesen Me-
chanismen folgt der Verlust an Stabilität und der Umgang mit einer sich ständig im
Entwurf befindenden und an Zielsetzungen orientierenden Identität. Allerdings
erfolgte auch hier keine systematische Verknüpfung zwischen der Optionenvielfalt,
der Möglichkeit eigene Ziele zu verfolgen und den Auswirkungen auf die Identitäts-
entwicklung.
Im Zuge der Betrachtung einzelner zur Verfügung stehenden Optionen soll
deshalb in der vorliegenden Arbeit in einem ersten Schritt ein Mechanismus expli-
ziert werden, der klären kann, wie die Auswahl von Optionen erfolgt. Der hierzu
verfolgte Ansatz geht davon aus, dass Anspruchshaltungen die Wahl von Hand-
lungsalternativen im Rahmen von Identitätsentwicklung steuern. Sie wirken als
Handlungsantrieb und geben als Zielsetzungen die Richtung der angestrebten Iden-
Einleitung 15
untersuchen und der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen dies auf die Identi-
tätsentwicklung der Individuen hat. Empirische Bezugspunkte sind dabei wiederum
die Anerkennungsbeziehungen, die darauf untersucht werden, inwiefern sie das
anspruchsgeleitete Handeln verändern.
Insgesamt widmet sich die vorliegende Arbeit den Zusammenhängen zwischen
Anspruchshaltungen, den Möglichkeiten zur Herstellung einer individuellen Identi-
tät und Fragen nach Veränderungen der sozialen Integrationsmechanismen, die
allgemein als individualisierte Bedingungen bezeichnet werden. Theoretisch bezieht
die Arbeit Stellung zwischen der Individualisierungstheorie, den modernen Ansät-
zen einer Theorie der Identitätsentwicklung, der Anerkennungstheorie und den
Zeitdiagnosen über neue Tendenzen des Leistungsindividualismus. Die Verbindung
aller Ansätze mit dem Konzept des Anspruchs zu einer handlungstheoretischen
Fundierung von Individualisierungsprozessen stellt den wesentlichen Ertrag dieser
Arbeit dar.
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil dient der Auseinandersetzung
mit dem Verlauf des Individualisierungsprozesses. Zu Beginn des ersten Kapitels
wird ein kurzer historischer Überblick über den bisherigen Verlauf von Individuali-
sierung anhand unterschiedlicher Individualisierungsschübe gegeben. Dieser dient
der Nachzeichnung kontinuierlicher Freisetzungsmechanismen der Individuen
unter konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die in der modernen Indi-
vidualisierungstheorie meist implizit gesetzt werden. Daran anschließend wird, aus-
gehend von klassischen Individualisierungstheorieansätzen, die Becksche Indivi-
dualisierungsthese in ihren Grundaussagen präsentiert. Darüber hinaus werden
empirische Ansätze zur Überprüfung seiner Annahmen diskutiert, um so die hand-
lungstheoretische Lücke in dieser Theoriedebatte offen zu legen und daran an-
schließend den für diese Arbeit gewählten Analyseansatz vorzustellen. Hierbei wird
das Vorhandensein von Optionenvielfalt als allgemeine Rahmenbedingung für indi-
vidualisiertes Handeln herausgearbeitet.
Das zweite Kapitel dient der Entwicklung des Anspruchskonzepts, das den
Umgang mit dieser Optionenvielfalt klären soll. Hierzu wird die Entstehung von
Ansprüchen aus einer sozialtheoretischen Perspektive plausibel gemacht. Dabei
wird zwischen drei unterschiedlichen Funktionen von Ansprüchen unterschieden:
den Seinsforderungen, den Ressourcenforderungen und den Leistungsansprüchen.
Darüber hinaus wird die Frage nach der Steigerungsdynamik von Ansprüchen an-
hand des sozialen Vergleichsmechanismus diskutiert.
Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die Analyse der Folgen von sozial prä-
sentierten Ansprüchen. Dabei wird die Funktion von Ansprüchen für die Identi-
Einleitung 17
Individualisierung ist ein historischer Prozess, der den gesamten Vorgang der Indi-
viduierung des Menschen beschreibt. Der Individualisierungsprozess bildet die
Freisetzung des Einzelwesens aus der Allgemeinheit ab und thematisiert Verände-
rungen, die sich in den Definitionen von Individuum, Individualität und Identität
spiegeln. Die Bezeichnung des Menschen als Individuum, dessen Identität sich
durch individuelle Eigenschaften auszeichnet, resultiert so gesehen im Individuali-
sierungsprozess.
Das Individuum ist dabei durch seine Unteilbarkeit bestimmt. Der Begriff des
Individuums kennzeichnet den Wandel der Definition durch Merkmalsbestim-
mungen, welche die Gemeinsamkeiten mit anderen betonen, zu einer Hervorhe-
bung der Unterschiede. Wird in der Soziologie von einem Individuum gesprochen,
so stellt man die Besonderheit des Einzelnen in Abgrenzung zur Allgemeinheit
heraus.
Individualität kennzeichnet darüber hinaus die Einzigartigkeit bestimmter Ei-
genschaften eines Individuums im Vergleich zu anderen, während sich in der Iden-
tität allmählich das Bewusstsein einer „Sich-Selbst-Gleichheit“ auf Grundlage die-
ser individuellen Merkmale entwickelt. Diese Entwicklung hat sich in unterschiedli-
chen Schüben vollzogen und die Theoretiker gehen davon aus, dass Individuali-
sierung „historisch als Ergebnis der gesellschaftlichen Mobilisierung der Indivi-
duen, (...), stark an Gewicht zugenommen [hat, D.L.]“ (Kohli 1988: 35). Die ersten
soziologischen Abhandlungen zu diesem Prozess sind bereits von Georg Simmel
(1890) und Emile Durkheim (1893) verfasst worden und fallen mit der Entstehung
der Industriegesellschaft zusammen.
Von einer wirklichen theoretischen Thematisierung der Individualisierung wird
aber erst seit Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ (1986) gesprochen. Seine Thesen
hatten lange Zeit in der soziologischen Forschungslandschaft Konjunktur. Die
Analysen bezeichnen vor allem die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutsch-
land seit den 1950er Jahren als Individualisierung und stellen Unterschiede zur
Charakteristik vorheriger gesellschaftlicher Strukturen heraus. „Schlicht gesagt,
meint ‚Individualisierung‘: den Zerfall industriegesellschaftlicher Selbstverständ-
lichkeiten sowie den Zwang, ohne Selbstverständlichkeit für sich selbst und mitei-
nander neue ‚Selbstverständlichkeiten‘ zu finden und erfinden.“ (Beck 1993: 151).
Im Zuge der Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen wurde deutlich,
dass Individualisierung ein komplexer und ambivalenter Prozess ist, bei dem eine
Vielzahl struktureller Entwicklungen ineinander greifen und der sich in einer Er-
weiterung von Handlungsspielräumen für die individuelle Lebensgestaltung aus-
drückt. Daraus wurde die Zunahme von Selbstverwirklichungsbestrebungen aller
Gesellschaftsmitglieder abgeleitet, wobei mit dieser Eigenverantwortlichkeit für die
eigene Lebensgestaltung wiederum neuartige Beschränkungen verbunden sind.
Dies führt insgesamt dazu, dass sich Individualisierung durch eine Doppeldeutig-
keit von Chancen und Risiken auszeichnet.
Ohne hier bereits auf die einzelnen Ausarbeitungen der Individualisierungs-
theoretiker einzugehen, kann festgestellt werden, dass sich sowohl die klassischen
als auch die modernen Individualisierungstheoretiker in ihren Analysen stets auf
aktuelle Entwicklungen der deutschen Gesellschaft konzentriert haben, um Indi-
vidualisierungsprozesse aufzudecken. Die Veränderungen, welche durch die Indi-
vidualisierungsschübe ausgelöst werden, können aber nur im Vergleich mit vorhe-
rigen Entwicklungsständen erfasst werden (Burkart 1993: 189). Eine systematische
Bezugnahme auf die historische Entwicklungsgeschichte der Entstehung des Indi-
viduums in Deutschland findet dabei kaum statt, so dass eine Bewertung des Gra-
des der tatsächlichen Freisetzungsmechanismen nicht leicht fällt. Die Ansätze zur
modernen Individualisierungstheorie zeichnen darüber hinaus oft ein Zerrbild der
traditionalen Gesellschaft, „(…) in der es nur strukturelle Abhängigkeiten und
soziale Kontrolle gab“ (ebd.). Des Weiteren lassen sich durchaus ganz aktuelle Ent-
wicklungen finden, die in unterschiedlichen zeitdiagnostischen Beiträgen, wie z.B.
über die Ökonomisierung (Pongratz/Voß 2003; Bröckling 2007) thematisiert wer-
den. Sie beschreiben Individualisierung überwiegend als Risiko, weil sie eine zu-
nehmende Fremdbestimmung der Individuen wahrnehmen. Diese aktuellen Er-
kenntnisse sind allerdings noch nicht in den Diskurs über Individualisierung einge-
bettet worden (vgl. Böhle/Weihrich 2009).
Deshalb ist es nötig, Individualisierung vorab als einen historischen Entwick-
lungsprozess nachzuzeichnen und mit diesen aktuellen Entwicklungen zu verbin-
den, bevor in eine Auseinandersetzung mit einzelnen Thesen zu den Veränderun-
gen innerhalb der unterschiedlichen Individualisierungsschübe eingestiegen wird.
Zu diesem Zweck forscht diese Arbeit zum einen nach Ursprüngen eines individu-
ellen Bewusstseins, und zum anderen werden insgesamt vier entscheidende „Indi-
vidualisierungsschübe“ (Elias 1997) identifiziert und in ihren Besonderheiten grob
skizziert.1 Ziel dieser Darstellung ist es, die jeweils wirksamen Freisetzungsme-
chanismen der Individuen und deren Folgen für die individuelle Lebensführung
bzw. für die Beschreibung einer individuellen Identität herauszustellen, um auf
diesem Fundament die verfügbaren Individualisierungstheorien auf ihren theoreti-
schen Erklärungsgehalt hin zu befragen.
„In einer Welt, in der Religiosität keine Privatangelegenheit, sondern eine grundlegende soziale
Lebensform darstellte, musste die zur Erforschung des Gewissens nötige Beschäftigung mit dem
eigenen Ich, sobald sie einmal für alle Gläubigen zur regelmäßigen Pflicht geworden war, ganz ge-
nerell eine Steigerung des Individualitätsgefühls mit sich bringen.“ (Dinzelbacher 2001: 41).
Die christliche Seele war demnach „als Einzelwesen immer zugleich Allegorie des
Allgemeinen...“ (Jauss 1988: 245).
Der Protestantismus betonte diese Tendenz noch stärker und machte erstmals
Eigenverantwortlichkeit und Gewissensfreiheit zu wichtigen Bestandteilen des
menschlichen Selbstverständnisses. Die Praktizierung des Glaubens wurde in Folge
einer erodierenden Vermittlungsfunktion durch die Kirche allmählich zur Privatsa-
che. Der Mensch war aufgefordert, sich einer ständigen Selbstschau zu unterzie-
hen, um sich der von Gott geforderten Sittlichkeit zu nähern. Jeder gläubige
Mensch galt dabei als berufen und musste sich dieser Berufung durch seine Taten
als würdig erweisen (vgl. Junge 2002: 34f.). Diese Haltung verknüpfte sich zugleich
mit einem allgemeinen Arbeitsethos und so stieg vor dem Hintergrund des Stre-
bens nach Sittlichkeit das eigennützige Gewinnstreben im Bereich des Handels an.
Um diese Tendenzen eines aufkeimenden negativen Individualismus einzudäm-
men, wurde die Orientierung am Gemeinwohl vermehrt als Tugend präsentiert
(vgl. Vollhardt 2001: 224f.). Luther hat durch seine Schriften über Geiz und Hab-
sucht wesentlich dazu beigetragen, dass eigennütziges Verhalten als Sünde dekla-
riert werden konnte.
Im Gegensatz dazu hat der Mediziner Bernard de Mandeville in der „Bienenfa-
bel“ (1714) Eigennutz als Grundlage menschlichen Handelns anerkannt. „Im Sinne
der neuzeitlichen Anthropologie bestimmte Mandeville den Trieb zur Selbsterhal-
tung als ein Naturgesetz, dem der Mensch auf allen gesellschaftlichen Entwick-
lungsstufen unterworfen bleibt.“ (Vollhardt 2001: 230). Er argumentierte mit der
Vorstellung, dass Individuen, selbst wenn sie im Sinne der Allgemeinheit handeln,
nur nach Bestätigung für ihr eigenes Selbstwertgefühl suchen. Dies wird dann als
Kriterium zur Unterscheidung zwischen gottlosen und den von Gott Auserwählten
benutzt. Nur
„(…) die von ‚Gott geweihten Christen‘ sind (...) dazu fähig, den Instinkt der Selbstliebe in sich
abzutöten, wodurch sie aber nicht mehr in den ‚natürlichen Verhältnissen‘ leben, unter denen sich
Individualisierung und Optionenvielfalt 23
Menschen zivilisieren und für die paradoxerweise gilt, dass aus privaten Lastern öffentliche Wohl-
taten folgen.“ (Vollhardt 2001: 232).
Mandeville zeigte damit, dass die Individuen gerade durch diesen ihnen innewoh-
nenden Eigennutz berechenbarer werden und dadurch auch besser gesteuert wer-
den können. Diese Vorstellung bildete den Ausgangspunkt für eine Entwicklung,
bei der die Entdeckung der Individualität und Selbstverantwortung in umfassende
Maßnahmen der normativen Regelung des Verhaltens mündete. „Um feststellen zu
können, wer unter den Lebenden zur Schar der Auserwählten gehörte, waren Kri-
terien erforderlich, die es jedem ermöglichten, sich seines persönlichen Gnaden-
standes zu versichern.“ (Veith 2001: 110).
Neben der Gemeinwohlorientierung wurde im Protestantismus Arbeit als Kri-
terium für die Bestimmung eines sündenfreien Lebens definiert. Luther hat Arbeit
als „höchsten Inhalt der sittlichen Selbstbetätigung“ bezeichnet und der Reformer
Johann Calvin verband mit Arbeit die Aufgabe der Erlangung von „Heilsgewiss-
heit“ (Grabas 2001: 336). Mit der Festlegung dieser Verflechtung von Sittlichkeit
mit Tüchtigkeit verbanden sich die Anforderungen der religiösen Pflichterfüllung
mit immer konkreteren individuellen Handlungen, wodurch die „richtige“ private
Lebensführung insgesamt zu einem Garanten für ein sündenfreies Leben wurde
und damit zur Seligkeit führen konnte. Dies spiegelt sich in der Entwicklung von
Benimmbüchern, wie z.B. „Über den Umgang mit Menschen“ von Adolph Frei-
herr von Knigge (Knigge 1788). Dem individuellen Handeln werden auf diese
Weise weitere, die Gemeinschaft unterstützende Regeln als Tugenden zugeschrie-
ben. Hierzu gehört auch die Ausbildung einer stabilen psychischen Struktur und
kontrollierter Affekte, um das Individuum in eine Normenstruktur einzupassen
und Orientierung für das tägliche Leben zu geben (vgl. Junge 2002: 33f).
Diese kurze historische Darstellung der Entwicklung eines individuellen Be-
wusstseins anhand religionsgeschichtlicher Aspekte verdeutlicht, dass der Beginn
der Individualisierung von starken normativen Reglementierungen begleitet war. In
seiner Einzigartigkeit war der Mensch unvollkommen. Allerdings kann festgehalten
werden, dass das Individuum erstmals im Protestantismus als ein sich selbst reflek-
tierender, eigenverantwortlicher und eigeninitiativ handelnder Akteur in einem
positiven Sinne aus der Allgemeinheit herausgehoben wurde, was dem heutigen
Verständnis eines Individuums nahe kommt.
1.2 Individualisierungsschübe
Eine wirkliche Bewusstmachung der individuellen Autonomie setzt aber erst all-
mählich im 17. Jahrhundert mit dem Zeitalter der Aufklärung ein. Dieses ist mit
der Ausbreitung bürgerlicher Wertideen verbunden, wodurch Individualisierung
24 Individualisierung und Optionenvielfalt
„(…) indem einerseits das ganze Dasein als schöpferische Vorstellung des bewussten Ich auftritt,
andererseits die Persönlichkeit doch erst zur Aufgabe wird, das Durchsetzen des reinen Ich oder
auch der Individualität als der absolute sittliche Anspruch, ja als das metaphysische Weltziel er-
scheint.“ (Simmel 1987: 153).
Trotzdem werden die Taten und Fähigkeiten des Individuums der Befolgung all-
gemeiner Gesetze untergeordnet. Wichtig wird nun die Freiwilligkeit, mit der sich
Individuen gesellschaftlichen Regeln beugen. „Was die Privatleute als solche den-
ken und tun, soll in keiner Weise durch soziale Zwänge induziert sein, sondern
ganz ihren allgemein menschlichen Dispositionen und ihrer individuellen Eigen-
verantwortung (…) entspringen.“ (Reitz 2003: 17). Diese Sichtweise führte insge-
samt am Ende des 18. Jahrhunderts zur Durchsetzung der Meinung, dass nur das
individuelle Subjekt mit seinen Idealen für das Wohl der Gemeinschaft, die Gesell-
schaft auf Dauer stabilisieren und gesellschaftliche Ordnung herstellen kann (vgl.
Veith 2001: 35).
Willhelm von Humboldt baute diese Vorstellung vom autonomen Individuum
weiter aus. Autonomie wird durch ihn zum Selbstzweck. Er vertritt in seinen Wer-
ken die These vom ursprünglichen Ich, das sich jeder Einflussnahme von außen
entzieht. Dieser individuelle Kern ermöglicht subjektive Freiheit und das höchste
Ziel des Menschen ist die Entfaltung und Bündelung all seiner Fähigkeiten.
„Das Individuum wird als einmaliges, einzigartiges, am Ich bewusst werdendes, als Mensch reali-
siertes Weltverhältnis begriffen; und die Welt ist eben das, was im Individuum selbsttätig zur Dar-
stellung gebracht wird. Seitdem ist es unmöglich, das Individuum als Teil eines Ganzen, als Teil
der Gesellschaft aufzufassen. Was immer das Individuum aus sich selbst macht und wie immer
Gesellschaft dabei mitspielt: es hat seinen Standort in sich selbst und außerhalb der Gesellschaft.“
(Luhmann 1993: 212).
Insgesamt schlägt sich die durch das Bürgertum entwickelte Form von Individua-
lismus in einem partikularistischen Verständnis des Individuums nieder, das auf
Selbsterziehung und innere Unabhängigkeit zielt (vgl. Hardtwig 1984: 31).
Am Anfang des 20. Jahrhunderts, zu Beginn der Entwicklung einer kapitalisti-
schen Gesellschaftsform, münden diese Prozesse in einen zweiten Individualisie-
rungsschub, der vor allem durch die Industrialisierung hervorgerufen wird (vgl.
Junge 2002: 38). Der eintretende Rationalisierungsprozess leitet eine Entwertung
der religiös geprägten Welt ein und nimmt dem Einzelnen den Glauben an ein
schicksalhaft vorbestimmtes Leben. Während sich Individuation bis jetzt vor allem
Individualisierung und Optionenvielfalt 25
durch Bildung und Arbeit innerhalb ständischer Schranken vollzieht, lockert sich
mit Zunahme der Säkularisierung diese Begrenzung und führt die Autonomie des
Einzelnen darauf zurück, aus eigenem Antrieb nach etwas zu streben und Ansprü-
che zu äußern.
„Das Christentum hat seine Gläubigkeit als Empfänger eines Heilszuspruches definiert; dies
schloss das Anspruchsdenken aus. Seit der mündige Mensch seine Geschicke in die eigene Hand
genommen hat, sind Heilsversprechen und Gnadenzuspruch dem Anspruch des Menschen gewi-
chen.“ (Höhler 1979: 63f.).
Mit der Industrialisierung entstand die marktvermittelte und auf Einkommen fi-
xierte Lohnarbeit und mit ihr eine Konzentration auf Leistung. Die Bestrebungen
des Bürgertums führten zu einer Befreiung des Marktes von ständischen und staat-
lichen Regulierungen (vgl. Lepsius 1987: 89). Aus dieser Struktur erwächst der
Wunsch nach sozialem Aufstieg und ermöglicht die Ablösung aus Statuspositionen,
die bisher durch die Geburt festgeschrieben waren (vgl. Grabas 2001: 331). Mit
diesem Stellenwert von Arbeit erhöht sich auch die Konkurrenz. Somit hatte Ar-
beit fortan ein noch größeres identitätsstiftendes Potential als zu Zeiten des Protes-
tantismus. Arbeit, Leistung und Selbstverwirklichung gehören von nun an zu-
sammen.
Diese Entwicklungsprozesse gehen nach dem zweiten Weltkrieg in eine dritte
Individualisierungsphase über, die den Zeitraum der 1950er Jahre bis zum Ende
der 1980er Jahre der BRD umfasst. Mit dem Wirtschaftswunder wurde ein Mas-
senwohlstand erreicht, auf dessen Grundlage Selbstverwirklichung für immer mehr
Menschen möglich wurde. Auf diesem Fundament an Möglichkeiten und Sicher-
heiten beginnt sich der Individualisierungsprozess in der Hinsicht zu verstärken,
dass die Forderungen, die das Individuum für sich und seine persönliche Selbst-
verwirklichung äußert, zum politischen Programm werden. Individualisierung wird
hier zu einer aktiven Befreiung und drückt sich in der zunehmenden Infragestel-
lung traditioneller Orientierungen aus.
Diese Freisetzung kann auf mehreren Ebenen beobachtet werden und lässt
sich in den Bemühungen der 1968er Bewegung und ihrem Aufbegehren gegen
gesellschaftliche Konventionen und institutionelle Normierung ablesen. Vor dem
Hintergrund der unaufgearbeiteten Erfahrungen der älteren Generation mit dem
autoritären Regime des NS-Zeit entwickelte sich eine Generation, die jegliche Au-
torität, sei es innerhalb der Politik, in den Betrieben oder Schulen und Hochschu-
len hinterfragte (vgl. Reichardt 2008: 76). In Verbindung damit steht ein grundle-
gender Wandel von der Haltung einer beruflichen Pflichterfüllung zur Freizeitori-
entierung, einer Zunahme an Bildungspartizipation auch von bildungsferneren
Schichten und ein neues Interesse an politischer Partizipation. Die neue Freizeito-
rientierung drückt sich in einem neuen Konsumverhalten aus. Die 1960er Jahre
26 Individualisierung und Optionenvielfalt
brachten eine Konsumwelle in den Bereichen Verkehr, Reisen und Wohnen hervor
und markierten den Wandel zum Wohlstand (vgl. ebd.: 75).
Die Kritik der 1968er Bewegung mündete insgesamt in erweiterten Autono-
miespielräumen und einer vergrößerten Selbstbestimmung des Lebens und steht
damit für einen Wertewandel von einer materialistischen zu einer postmaterialisti-
schen Haltung (vgl. Inglehart 1977). Dieser Wandel drückte sich z.B. in veränder-
ten Erziehungsidealen aus, bei denen Gehorsam und Unterordnung zugunsten von
Selbstständigkeit und freiem Willen verdrängt wurden (vgl. Klages 1985). Auf ge-
sellschaftlicher Ebene war diese Entwicklung von einer weiteren umfassenden Sä-
kularisierung begleitet. Die Kirchenmitgliedschaften sanken in den Jahren von 1963
bis 1973 kontinuierlich ab (vgl. Pittkowski 1990: 172f.). Darüber hinaus gewannen
nichteheliche Lebensgemeinschaften zunehmend an Akzeptanz. Es kam zu einem
Wandel der Sexualmoral, dem sich auch die Schwulenbewegung anschloss und zur
Durchsetzung alternativer Lebensstile – vor allem in den höheren Bildungsschich-
ten – führte. Gleichzeitig wurde die Emanzipation der Frau durch die Frau-
enbewegung vorangetrieben, die viele Freiheiten z.B. die Abschaffung des §218
und die Gleichstellung im Ehe- und Familienrecht erkämpfte (vgl. Reichardt 2008:
80). Zusätzlich erweiterten sich die Möglichkeiten für sozialen Aufstieg enorm
durch die Bildungsexpansion, die in den 1970er Jahren durch Schul- und Hoch-
schulreformen möglich gemacht wurde. Durch Bildung konnten neue Wege der
Zielerreichung eingeschlagen werden, die über Schichtgrenzen hinausgingen. Die
Chancen auf eine bessere gesellschaftliche Position standen dadurch wesentlich
besser.
Darüber hinaus begleitete eine Reihe rechtlicher Sicherungssysteme diese Indi-
vidualisierungswelle auf sozialstaatlicher Ebene. Es kam unter anderem zur Einfüh-
rung des Kinder- und Erziehungsgeldes, der Sozialhilfe und der betrieblichen Al-
tersvorsorge. Der wohlfahrtsstaatlich regulierte kapitalistische Staat entwickelte sich
zu einem mehr Chancengleichheit ermöglichenden Vorsorgestaat (vgl. ebd.: 85).
Trotz des 1974 durch die Erdölkrise ausgelösten wirtschaftlichen Abschwungs
trugen die Selbstverwirklichungsansprüche der Bürger in der Bundesrepublik keine
nachhaltigen Schäden davon. Vielmehr löste sie eine Erneuerung der Arbeits-
marktpolitik aus, wodurch der Wachstumskurs bis zur zweiten Erdölkrise 1980
weiter verfolgt werden konnte. Danach stieg die Arbeitslosenzahl jedoch in kurzer
Zeit – bis 1985 – auf über zwei Millionen an und das Beschäftigungsniveau fiel
überproportional stark ab. Man sprach in der Bundesrepublik von einer Zwei-
Drittel-Gesellschaft und musste sich mit dem Umstand von Dauerarbeitslosigkeit
und prekären Beschäftigungsverhältnissen auseinandersetzen (vgl. Fach 2008: 102).
Diese Entwicklungen führten allmählich weg von einem auf Sicherheit und Indivi-
dualismus fußendem Gesellschaftsmodell und bewirkten einen Einstellungswandel
von einer Anspruchs- zu einer Leistungsgerechtigkeit.
Individualisierung und Optionenvielfalt 27
Der vierte und bisher letzte Individualisierungsschub entwickelt sich aus den
Folgen der neoliberalen Wende und umfasst den Zeitraum ab den 1990er Jahren
bis heute. Er drückt sich einerseits in weiter steigenden Selbstverwirklichungsopti-
onen aus, die zu einer neuen Form der strategischen Planung des Lebens geführt
haben, anderseits in einer Verschmelzung dieses Freiheitsempfindens mit neuen
strukturell bedingten Begrenzungen. Der Neoliberalismus ging von politischer
Seite vor allem mit einem Abbau von Sicherheiten für Arbeitnehmer im berufli-
chen Bereich sowie einer grundsätzlichen Neuorganisation des Sozialstaates einher
und führte zur Steigerung der individuell wahrgenommenen Risiken (vgl. Butter-
wegge/Lösch/Ptak 2007).
Die neue Form von Individualisierung zeigt sich zuerst am deutlichsten im Be-
reich der beruflichen Tätigkeiten. Hier ist in den letzten beiden Jahrzehnten ein
tiefgreifender struktureller Wandel zu beobachten. Die produzierenden, material-
bezogenen Tätigkeiten wurden von informationsverarbeitenden, wissensbasierten
Arbeitsformen abgelöst. Innerhalb der „kreativen Berufe“ (vgl. Florida 2002) zeig-
ten sich neue Selbstverwirklichungstendenzen, bei denen es zu einer erneuten Ver-
zahnung von Individualisierung mit dem Leistungsethos kam. Arbeitnehmer erhiel-
ten mehr Möglichkeiten zur Selbständigkeit und Eigeninitiative. Die Arbeitszeiten
wurden flexibler gestaltet und führten zu steigenden privaten Koordinationsanfor-
derungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
„Die Kreative Klasse ist die normensetzende Klasse unserer Zeit. Aber ihre Normen sind anders:
Individualität, Selbstausdruck und Offenheit für Verschiedenartigkeit werden der Homogenität,
Konformität und dem ‚Fitting in‘ vorgezogen, die für das Zeitalter der Organisationen kennzeich-
nend waren.“ (Goehler 2006: 115).
Es handelt sich um diejenigen, die aus der Optionenvielfalt ihren Profit ziehen,
indem sie aus der Unsicherheit ein Leben im Ungebundensein machen (vgl. Frie-
be/Lobo 2006). Sie reagieren mit eigenen Strategien auf die Globalisierung und
Flexibilisierung des Marktes.
Im Laufe der letzten Jahre führte diese Entwicklung zu einer wachsenden Ver-
schränkung von Individualismus und marktwirtschaftlichem Erfolgsethos, was in
der soziologischen Literatur unter dem Stichwort Ökonomisierung diskutiert wird.
Diese Dynamiken drücken sich darin aus, dass es bei der Bewertung von Leistun-
gen und beruflichen Zielsetzungen zu einer wachsenden Orientierung am wirt-
schaftlichen Nutzen kommt. Dies führt zu einer Begrenzung beruflich verankerter
Selbstverwirklichungsstrategien durch wirtschaftliche Erfolgskriterien.
„Die Freiheit des Individuums, eigenständig Ziele festzulegen, und geeignete Wege ihrer Umset-
zung zu suchen, ist beschränkt auf die Sphäre des Marktes, in der es sich als Marktteilnehmer zwi-
schen der Rolle als Konsument und Produzent bewegen kann.“ (Butterwegge/Lösch/Ptak 2007:
58).
28 Individualisierung und Optionenvielfalt
„Mit dem relativen Bedeutungsverlust von Bildungstiteln verschiebt sich gleichzeitig der Maßstab,
der an Bildungstitel selbst angelegt wird. Nicht mehr der bloße Besitz, sondern der ökonomische
Umsetzungserfolg, das, was an monetären Profiten aus dem Titel herausgeschlagen wurde, liefert
nunmehr den Rohstoff für die augenblicklichen symbolischen Auseinandersetzungen.“ (Krae-
mer/Bittlingmayer 2001: 325).
Im Zuge dieser Entwicklungen erhöht sich der Grad an Mobilität weiter – vor
allem für die Individuen der mittleren und höheren Schichten – und führt zu häu-
figeren beruflich bedingten Wohnortswechseln und damit verbunden zu sozialen
Netzwerkwechseln bzw. -neueinbindungen. Es treffen immer unterschiedlichere
Individuen aufeinander. Insgesamt erhöht sich die Verunsicherung und es entwi-
ckelt sich Zukunftsangst, die dazu führt, dass immer zielstrebiger an Lebensent-
würfen gebastelt wird, um die Risiken zu mindern. Individualisierung drückt sich
auf dieser Grundlage neuer Unsicherheiten immer häufiger in der Attitüde der
Selbstverbesserung aus, wodurch Selbstverwirklichung sich auch immer häufiger an
Kriterien der Nützlichkeit und des Erfolges ausrichtet (vgl. Honneth 2005).
Diese neue Strategisierung des Lebens zeigt sich darüber hinaus in einer verän-
derten Einstellung zur Erziehung von Kindern, bei der die Förderung möglicher
Talente immer früher beginnt und sich vor allem in mittleren und höheren Bil-
dungsschichten zu einem regelrechten Talentmanagement entwickelt. Die Kinder
werden wesentlich früher und gezielter an die Auseinandersetzung mit den eigenen
Fähigkeiten und dem Ernstnehmen der eigenen Talente herangeführt. Das schlug
sich 2007 in der Verabschiedung des Kinderbildungsgesetztes in Nordrhein-
Westfahlen nieder, in dem eine gezieltere, intensivere und individuelle Förderung
als Erziehungsaufgabe für die Kindergärten gefordert wird (vgl. Breuksch/Engel-
berg 2009: 67). Das führt dazu, dass Kinder immer früher erwachsene Verhaltens-
weisen, wie Affektkontrolle, Disziplin und Autonomie an den Tag legen (vgl.
Buchmann 1989; Elias 1987; Fölling-Albers/Hopf 1995).
Darüber hinaus zeigen sich aktuell immer stärker werdende Tendenzen zur
Selbstexpertisierung, die vor allem durch die Nutzung des Internets möglich ge-
macht wurde. Auf diese Weise treten die Individuen mit veränderten Vor-
aussetzungen in ein Gespräch mit Experten wie Ärzten, Anwälten, Lehrern, Erzie-
hern, Therapeuten usw. Das ursprüngliche Laien-Experten Gespräch verändert
sich und erfordert auf Seiten der bisherigen Experten eine neue Form der Recht-
fertigung für das professionelle Handeln. Dadurch entwickeln sich diese Bezie-
hungen zu Dienstleistungsbeziehungen, bei denen die Laien als kritische Konsu-
Individualisierung und Optionenvielfalt 29
menten die angebotenen Dienstleistungen prüfen und auf ihre Qualität hin beurtei-
len (vgl. Meuser 2005).
In dieser Phase der Individualisierung nutzen die Individuen verstärkt Mög-
lichkeiten des Internets zur Selbstinszenierung, wodurch es einen wichtigen Platz in
der Identitätsentwicklung einnimmt. So kann man sich einer Online-Gemeinschaft
präsentieren und bewirkt auf diese Weise eine verstärkte Auseinandersetzung mit
dem eigenen Selbst. Was in herkömmlichen Interaktionsbeziehungen immer nur
ausschnitthaft gelingt, kann hier entweder zu einem Ganzen zusammengefügt
werden oder neue Facetten der Persönlichkeit zum Ausdruck bringen. Der Um-
gang damit findet vor allem bei Jugendlichen auf einer spielerischen Ebene statt.
Dabei werden Phantasien präsentiert, die die Jugendlichen selbst nicht so ernst
nehmen oder zur Verwirklichung bringen wollen (Mienert 2008: 84). Neben der
klassischen Profilierung auf diversen Social-Network-Seiten oder privat genutzten
Homepages können die unterschiedlichsten, meist kreativen Aspekte präsentiert
werden. Die angebotenen Plattformen werden für das Verfassen von Video-
tagebüchern und Bloggs, aber auch für das Hochladen von privat aufgenommener
Musik, Zeichnungen, Photos etc. genutzt, wodurch diese Beschäftigungen einen
künstlerischen Anspruch bekommen. Die Möglichkeiten, Anerkennung für diese
kreativen Tätigkeiten zu bekommen, sind groß und hängen wiederum von der
Intensität des Werbebemühens des Nutzers ab. So kann es nicht zuletzt zum Auf-
bau eines Images kommen, mit dem sich Geld verdienen lässt. Die Möglichkeiten
Berühmtheit zu erlangen, sind dabei vielfältig, beispielsweise bei journalistisch
arbeitenden Bloggern oder Inszenierungen unterschiedlicher Art auf Youtube.
Die hier skizzierten vier Phasen der Individualisierung zeigen die Entwicklung
von einem Gesellschaftsmitglied, das anfangs anhand seiner Schuldfähigkeit zu
einem Individuum gemacht wird und dessen Eigenschaften in immer umfangrei-
cherem Maße ernst genommen werden. Die Darstellung der Individualisierung
beginnt demnach mit der Perspektive auf Individualität unter Berücksichtigung von
gesellschaftlich oder religiös initiierten Verhaltensmodifikationen, die der Sicherung
gesellschaftlicher Ordnung dienen. Erst zu Zeiten der Aufklärung und unter dem
Einfluss des Bürgertums wird es zu einem Individuum, das selbstbewusst nach
einem selbstbestimmten Leben verlangt und sich sozialen Zwängen zunehmend
entzieht. Historisch gesehen befindet es sich seit der Entwicklung zur Wohlstands-
gesellschaft auf dem Weg zur kontinuierlichen Ausweitung seiner Autonomie, was
sich gleichzeitig in einer Zunahme individueller Selbstverantwortung in früher
rechtlich geregelten Bereichen ausdrückt. Für das Individuum ist „(…) eine Unzahl
von Dingen, die früher rechtlich oder durch soziale Normierung geregelt waren,
individuell entscheidbar geworden und in die Sphäre rechtsfreier und gesellschaft-
lich unverpflichteter Privatheit gerückt.“ (Klages 2002: 15).
Momentan ist Individualisierung durch neue gesellschaftliche Zwänge gekenn-
zeichnet, die für viele in erster Linie marktwirtschaftliche Zwänge sind. Sie
30 Individualisierung und Optionenvielfalt
schränkt die zuvor erarbeitete Autonomie der Individuen wieder ein, wobei dies
nicht unbedingt wahrgenommen wird, weil die Zwänge unter dem Deckmantel der
Eigenverantwortlichkeit an die Individuen herangetragen werden.
Das grundlegende Kennzeichnen des hier nachgezeichneten Individuations-
prozesses kann vor diesem Hintergrund nun folgendermaßen definiert werden:
„Individualität bzw. Bewusstsein von der eigenen Person ist keine Naturanlage, sondern das Pro-
dukt einer sozialen ‚Erziehung‘, wobei die zunächst äußerlichen Normen in einem längeren Pro-
zess, der nicht auf die frühe Neuzeit beschränkt blieb, alle sozialen Schichten erfasste und nicht
ohne Brüche verlief, ‚verinnerlicht‘ wurden.“ (Faulstich-Wieland 2000: 36).
Dabei hängt es davon ab, welche Normen im Sinne eines kulturellen Leitbildes
aktuell Geltung besitzen. Um zu verstehen, welche Konsequenzen dies für das
Bewusstsein von Individualität bei den einzelnen Individuen hat, müssen diese
Leitbilder Berücksichtigung in der Analyse finden. Der Zusammenhang zwischen
Autonomie und individueller Lebensführung ist im Rahmen der Aufklärung ent-
standen, weshalb die aktuellen Entwicklungen auch erst als eine Einschränkung der
autonomen Lebensführung beschrieben werden können. Der Individualisierungs-
prozess kann insgesamt als ein Prozess bezeichnet werden, bei dem die Individuen
zwischen Befreiungsstrategien und gesellschaftlichen Beschränkungsmaßnahmen
hin- und herpendeln.
Neben diesem Verständnis von Individualisierung als sozialer Erziehung kann mit
einer abstrakteren Perspektive ein anderes Bindeglied offen gelegt werden. Die
einzelnen Individualisierungsschübe lassen sich in Phasen einteilen, die entweder
stärker durch individuelle Forderungen oder durch gesellschaftliche Forderungen
geprägt sind. Gleichzeitig beeinflussen sich beide auf jeweils eigentümliche Weise
und kennzeichnen eine grundsätzliche Ambivalenz zwischen Selbst- und Fremdbe-
stimmung innerhalb des Individualisierungsprozesses. Die Darstellung der Ent-
wicklung des individuellen Bewusstseins und den darauf einsetzenden Individuali-
sierungsschüben zeigt, dass der Mensch nur deshalb zum Individuum wurde, weil
Forderungen an ihn gestellt wurden. Aus christlicher Perspektive wurde das Indivi-
duum zu einem aus der Masse aufscheinenden Subjekt mit einem eigenen Gewis-
sen, einer eigenen Moral, an das im Namen Gottes appelliert werden konnte. Indi-
viduum zu sein, hieß zu wissen, dass man für seine Taten selbst verantwortlich war
und dass man für Abweichungen von gängigen Normen und Sitten bestraft wurde.
So entwickelte sich allmählich eine Vorstellung von Selbstverantwortung, die sich
in Taten ausdrückte. Diese wurden anhand unterschiedlicher Kriterien als sittlich
Individualisierung und Optionenvielfalt 31
gut oder sündhaft bezeichnet. Dies erzeugte einen Sozialisationseffekt, der die
Handlungsmotive der Individuen allmählich veränderte. „Was viele ursprünglich
unterließen, weil es verboten war, mieden sie später mehr oder weniger aus freien
Stücken. Die anerzogene Einsicht in das richtige gesellschaftliche Verhalten steu-
erte das eigene Leben.“ (Faulstich-Wieland 2000: 62).
Der Wandel zu einer wirklichen Autonomie der Lebensführung zeigt sich spä-
ter darin, selbst Forderungen zu stellen, die der eigenen Selbstverwirklichung die-
nen. Dies war aber wiederum nur möglich durch die Verklammerung mit Normen
des protestantischen Arbeitsethos und des in der Industrialisierung aufkommenden
Kapitalismus. Individuen, die sich durch Leistung voneinander abgrenzten, kurbel-
ten die Wirtschaft an und gründeten ihr Streben nach Individuation weiterhin auf
gesellschaftlich nützliche Prinzipien. „Deshalb ist der Identitätsdiskurs historisch
ein Diskurs des Bürgertums, auch ein protestantischer Diskurs, ein Diskurs des
Abweichens – und er meint doch nur (An)Passung.“ (Nassehi 2004a: 32).
Erst im dritten Individualisierungsschub drückten sich Forderungen nach
Selbstverwirklichung in der Art aus, dass Freiheiten auf breiter gesellschaftlicher
Ebene für die Lebensführung errungen wurden.
„Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, gegen die Dominanz der Gesellschaft den Anspruch
des Individuums auf eigenes Denken und Handeln zu erheben. Die Geschichte der Individualisie-
rung ist der unmerkliche Kampf, gegenüber kollektiven Verpflichtungen und traditionellen Orien-
tierungen individuelle Vorstellungen von den richtigen Zielen und Mitteln des Handelns durchzu-
setzen.“ (Abels 2006: 45).
Dies war nur auf Grundlage einer Wohlstandsgesellschaft möglich. Auf diesem
Boden kam es zu einem tiefgreifenden Wertewandel. „Trotzdem die Individualität
erst auf einem bestimmten Niveau der sozialen Differenzierung möglich wird und
somit die Gesellschaft erst die Entfaltung der Individualität möglich macht, wird
diese vor allem ‚gegen’ die Gesellschaft gewonnen und behauptet.“ (Lenz 1998:
208).
Gleichzeitig verkoppelt sich Selbstverwirklichung zu dieser Zeit aber auch mit
Konsumhandlungen, die den Individuen zwar mehr Möglichkeiten zum Ausdruck
ihrer Individualität versprachen, aber ebenfalls wirtschaftlich gesehen nützlich
waren. Die Förderung eines individualisierten Konsums durch Werbung und der
damit einhergehenden Verschmelzung von individueller Selbstverwirklichung und
Konsum ist vor allem von Seiten der kritischen Theorie als Einschränkung wirkli-
cher Autonomie betrachtet worden, da es so zur Entwicklung von falschen, d.h.
passenden Bedürfnissen komme (vgl. Horkheimer/Adorno 1947). Auch hier zei-
gen sich Tendenzen für eine Verschmelzung von gesellschaftlichen und individu-
ellen Forderungen.
Das heutige individualisierte Individuum ist nun mit Forderungen konfron-
tiert, die sich aus sozialstaatlichen und marktwirtschaftlichen Zwängen ergeben.
32 Individualisierung und Optionenvielfalt
2 Flavia Kippele hat in ihrer Auseinandersetzung mit Individualisierungsprozessen die Ansätze von
Karl Marx und Friedrich Engels, Ferdinand Tönnies, Emile Durkheim, Max Weber, Georg Sim-
Individualisierung und Optionenvielfalt 33
nachlassenden Prägekraft gesellschaftlicher Normen und die Analyse der sich auf
dieser Grundlage veränderten zwischenmenschlichen Beziehungsformen. Im Mit-
telpunkt steht die Vorstellung, dass die Beziehungen sachlicher, unverbindlicher,
äußerlicher und allgemein ferner geworden sind. Darüber hinaus stellen die Theo-
retiker mehr Selbstverantwortung des Einzelnen bei seinen Handlungen und eine
gestiegene Eigeninitiative fest. Des Weiteren wird der Verlust traditioneller hand-
lungsleitender Wertorientierungen als Ursache dafür angesehen, dass die gesell-
schaftliche Kontrolle der individuellen Handlungen abnahm.
Die Bewertungen des so betrachteten Individualisierungsprozesses können als
positiv, negativ oder ambivalent eingestuft werden (vgl. Schroer 2000). Vertreter
der positiven Bewertung unter den Klassikern sind sowohl Ferdinand Tönnies als
auch Emile Durkheim. Negativ betrachten Karl Marx und Max Weber die Indivi-
dualisierung. Georg Simmel und Norbert Elias bewerten die Auswirkungen von
Individualisierung als ambivalent. Beispielhaft für die drei Deutungen werden hier
nur die Positionen von Durkheim, Weber und Simmel dargestellt.
Emile Durkheim betrachtet als erster Soziologe systematisch Individualisie-
rungsprozesse in der französischen Gesellschaft. Individualisierung zeigt sich für
ihn vor allem in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die aus dem Wandel von
einer segmentären zu einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft resultiert (vgl.
Durkheim 1977). In dieser Gesellschaftsform wird es möglich, dass Funktionen
sich ausdifferenzieren und Individuen in verschiedener Weise in die Gesellschaft
integriert werden. Der Einzelne ist mit der Gesellschaft auf eine andere Art ver-
knüpft als früher. Er wird beweglicher und autonomer. Im Aufeinandertreffen
machen die Individuen Erfahrungen der Unterschiedlichkeit. Die Kenntnis anderer
Lebensformen wird somit erweitert, Anerkennungsverhältnisse verändern sich und
brechen auch traditionelle Wertsysteme auf (vgl. van Dülmen 2001: 3). Auf diese
Weise ändert sich das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Soziale
Kontrollmechanismen verschieben sich zugunsten der Akzeptanz individueller Un-
terschiede. Gefordert ist nicht mehr die Gleichheit aller Bürger, sondern eine ar-
beitsteilige Vielfalt (vgl. Kippele 1998). Dieser Wandel der sozialen Normen fördert
die Verschiedenartigkeit der Individuen weiter und die Gefahr von Sinnverlust und
anomischen Zuständen wächst.
Aus der Perspektive der Individuen wird deshalb die Solidarität zum Problem,
da die Gemeinsamkeiten der Gesellschaftsmitglieder im Denken und Handeln
verloren gehen. Die Arbeitsteilung fördert das Bewusstsein, dass zwar jeder auf
sich selbst gestellt ist, zugleich aber eine Funktion innerhalb der Gesellschaft er-
füllt. Durkheim sieht hier einen Wandel von einer mechanischen, auf Ähnlichkei-
ten beruhenden, zu einer organischen Solidarität der Individualität. Diese neue
mel und Norbert Elias genauer untersucht und sie als klassische Individualisierungstheorie zu-
sammengefasst (Kippele 1998).
34 Individualisierung und Optionenvielfalt
Form der Solidarität ergibt sich aus den Erfahrungen der Arbeitsteilung und beein-
flusst die Handlungsmoral der Individuen auf Grundlage neuer Verbundenheits-
und Abhängigkeitserfahrungen. Diese Solidarität stellt sich nach Durkheim aber
nicht wie selbstverständlich ein, sondern muss gesetzlich geregelt werden und be-
hält deshalb etwas Künstliches.
Insgesamt betrachtet Durkheim die Individualisierung als einen Prozess, der
sowohl Autonomie als auch die Abhängigkeiten der Individuen untereinander
erhöht. „Tatsächlich hängt einerseits jeder umso enger von der Gesellschaft ab, je
geteilter die Arbeit ist, und andererseits ist die Tätigkeit eines jeden umso persönli-
cher, je spezieller sie ist.“ (Durkheim 1977: 183).
Die Antriebskraft der Individualisierung sieht er aufgrund seiner Fokussierung
in den Auswirkungen der Arbeitsteilung und des sich daraufhin ergebenen Prob-
lems sozialer Ordnung und nicht im individuellen Streben nach Autonomie. Indivi-
dualisierung „(…) ist allerdings keine individuelle Leistung, sondern eine gesell-
schaftliche. Die Gesellschaft sieht und behandelt das Individuum anders.“ (Durk-
heim 1967: 129).3 Seine Betrachtung der Individualisierung kann trotz der Berück-
sichtigung der Gefahr der Anomie deshalb als positiv gelten, weil Durkheim von
einer wirklichen Freisetzung der Individuen ausgeht, auf die der Staat mit einer
veränderten Sorge um das Individuum reagiert.
Max Weber hat Individualisierung als Folge des Rationalisierungsprozesses be-
trachtet und sieht sie vor allem kritisch (vgl. Weber 1988). Individualisierung drückt
sich in seiner Darstellung vorrangig in veränderten Beziehungsformen der Indivi-
duen aus. Die gesellschaftlichen Strukturen bewirken eine Versachlichung der
Beziehungen. Die Individuen treten als isolierte Wirtschaftssubjekte in Erschei-
nung und ihr Handeln ist stärker am eigenen Nutzen ausgerichtet. Gleichzeitig
verschieben sich ehemals institutionell verankerte Kontrollmechanismen zu einer
neuen Form der Selbstkontrolle. Diese bewirkt eine freiwillige Bedürfnisunterdrü-
ckung und Selbstbeschränkung. Da Rationalisierung zu einer Herauslösung aus
gemeinschaftlichen Bindungen geführt hat, mündet Individualisierung zum einen in
einer Zunahme an empfundener Einsamkeit, und zum anderen in einer Zunahme
an berechenbarem und zweckmäßigem Verhalten.
„Aus den sozialen Einrichtungen der kollektiven Daseinsfürsorge ist (…) ein ‚stahlhartes Gehäuse‘
geworden, in dem gesellschaftlicher Zwang in den vielfältigen Formen ökonomischer Marktprinzi-
pien, bürokratischer Herrschaft, anonymer Normen und selbstbindender Pflichten in Erscheinung
tritt.“ (Veith 2001: 111).
3 Ferdinand Tönnies hat dagegen die Dynamik der Individualisierung eher dem individuellen
Streben nach Autonomie zugeschrieben. Er führte deshalb den Begriff Individualismus ein (vgl.
Tönnies 1935).
Individualisierung und Optionenvielfalt 35
Die Webersche Lesart einer individualisierten Gesellschaft sieht eine Vielzahl zu-
sammengesetzter isolierter, allenfalls in Zweckverbindungen gefangener Indivi-
duen.
Die komplexeste Ausarbeitung zu den Anfängen der Individualisierung hat
Georg Simmel vorgelegt. Er betrachtete die Auswirkungen als einen ambivalenten
Prozess der Herauslösung und Neubildung sozialer Beziehungen. Diese sind jetzt
persönlicher, da zahlenmäßig weniger, aber auch einseitiger und lockerer (vgl.
Simmel 1992). Die Selbstverantwortung erhöht sich, weil das Individuum einer
geringeren sozialen Kontrolle ausgesetzt ist. Es kommt gleichzeitig zu einem stär-
keren Erleben des Ichs, das durch mehr Handlungsspielräume gekennzeichnet ist.
Simmel erfasst die Freisetzungsmechanismen am konsequentesten in seinem indivi-
duellen Gesetz, das er in Abgrenzung zu Immanuel Kants „kategorischem Impera-
tiv“ formuliert (vgl. Simmel 1987). Es soll begründen, dass die sittliche individuelle
Handlung nicht einfach den Sollensvorschriften einer Allgemeinheit entspringt,
sondern den Kern der Tugend im Individuum selbst findet. Damit versucht er als
Einziger zu dieser Zeit, die neu entstandene Autonomie als wirkliche Freisetzung
des Individuums von gesellschaftlichen Zwängen theoretisch zu begründen. Des-
halb wird sein Ansatz hier etwas ausführlicher dargestellt.
In seiner Perspektive richten sich individuelle Handlungen nicht an einem äu-
ßeren Ideal, sondern an einem eigenen, inneren Wollen aus (vgl. Simmel 1987:
175). Er geht dabei davon aus, dass einzelne Handlungsinhalte, wenn sie auf
Grundlage äußerer Sittlichkeitsattribute beurteilt werden, nicht erklären können,
warum diese ethische Einzelhandlung immer ethisch sei und damit Allgemeingül-
tigkeit besitze. Was in einem Fall als ethisch beurteilt werden kann, muss auf den
nächsten nicht zutreffen. Daraus ergibt sich für ihn die Schlussfolgerung, dass es
kein allgemeines Gesetz für sittliche Handlungen gibt, sondern ein individuelles.
Dieses individuelle Gesetz betont den Aspekt, dass ein äußerliches Sollen zual-
lererst ein individuelles Wollen werden muss, damit eine Handlung als sittlich be-
urteilt werden kann. Simmel gesteht damit dem Individuum zu, selbst entscheiden
zu können, ob es seiner Handlung eine ethische Grundlage gibt. Er begründet
diese These damit, dass dem Gesamt allen Tuns nur vom jeweiligen Individuum
her ein Sinnzusammenhang zugeschrieben werden kann. „Ihren inneren, wirklich
zuverlässigen Sinn zeigt die einzelne Tat nur in der Totalität des Lebenszusammen-
hangs.“ (ebd.: 190). So gesehen ist jede individuelle Tat ein Ausschnitt aus einem
Ganzen, in dem sich aber vom Individuum aus betrachtet, die Ganzheit seiner
Person ausdrückt. Gleichzeitig verwirklicht sich mit jeder Handlung ein Sollen, da
über jedem Lebenslauf ein „Soseinwollen“ schwebt. Der Lebenslauf als Ganzes
betrachtet, ist die Verwirklichung dieses Ideals. Das „(...) Leben muss schon ur-
sprünglich auch unter der Kategorie des Sollens ablaufen (...) Oder anders ausge-
drückt: das jeweilige Sollen ist eine Funktion des totalen Lebens der individuellen
Persönlichkeit.“ (ebd.: 204).
36 Individualisierung und Optionenvielfalt
Bei seiner weiteren Analyse berücksichtigt er auch Einflüsse der Umwelt, die
auf die Entwicklung zur sittlichen Handlung einwirken. Der Mensch wird – histo-
risch betrachtet – dadurch zum Bürger eines Staates und handelt automatisch nach
Prämissen, die mit dieser Rolle verbunden sind. „Alles was ihn umgibt und was er
von je erlebt hat, die stärksten Triebe seines Naturells wie die flüchtigsten Eindrü-
cke – alles dies formt an jenem flutenden Leben der Persönlichkeit, und aus alle-
dem wächst, wie eine Wirklichkeit, ein Sollen.“ (ebd.: 219).
Das handelnde Individuum wird mit den Forderungen und Pflichten eines
Staatsbürgers konfrontiert, die das sittlich Gesollte ausdrücken. Aber letzthin ent-
scheidet sich die Frage des Wirkens dieser Pflichten daran, ob diese mit dem indi-
viduellen Charakter der Person verschmelzen und dadurch zu einem selbstver-
ständlichen Wollen werden.
Aus diesem Zusammenhang leitet Simmel seine Definition von Individualität
ab. Individualität ist nicht Einzigartigkeit, sondern die Eigenart, wie sich das indivi-
duelle Wollen im Laufe eines Lebens entwickelt. Mit der Realisation der Individua-
lität kann das Individuelle aus dem Bereich des Subjektiven enthoben werden.
„Besteht einmal ein bestimmt individualisiertes Leben, so ist auch sein ideales Sol-
len als ein objektiv gültiges da, derart, dass wahre und irrige Vorstellungen darüber
sowohl von seinem Subjekte wie von anderen Subjekten gefasst werden können.“
(ebd.: 217). So wird dann das individuelle Leben in seinem Gesamt zu einem ob-
jektiv ethischen Sollen, wodurch sich Subjektivität und Objektivität gegenseitig
durchdringen.
Simmel hat auf Grundlage eines neuen Autonomieverständnisses eine Theorie
der komplexen Verschmelzung von Sollen und Wollen für die Erklärung individu-
eller Handlungen unter individualisierten Bedingungen erarbeitet. Weder Durkheim
noch Weber haben diese Zusammenhänge so umfassend dargestellt. Bei ihnen ist
Individualisierung entweder Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen oder eine
Zunahme an erzwungener Selbstkontrolle.
In der vorangestellten Zusammenfassung der unterschiedlichen Individualisie-
rungsprozesse wurde bereits deutlich, dass sich die im zweiten Individualisierungs-
schub wahrgenommene Tendenz eines Anstiegs individueller Ansprüche im dritten
Individualisierungsschub weiter verstärkt. Der mit dem dritten Individualisierungs-
schub beschriebene Wandel zu einem anspruchstellenden Individuum, das sich
einem gesellschaftlichen Sollen nur noch unterordnet, wenn es dies selbst für rich-
tig hält, bildet deshalb in der modernen Individualisierungstheorie die Grundlage
für die Erklärung einer sich weiter ausdehnenden Individualisierung seit Entwick-
lung der Wohlstandsgesellschaft.
Individualisierung und Optionenvielfalt 37
„Das Koordinatensystem, in dem das Leben und Denken der industriellen Moderne befestigt ist,
die Achsen von Familie und Beruf, Glaube an Wissenschaft und Fortschritt gerät ins Wanken, und
es entsteht ein neues Zwielicht von Chancen und Risiken (...).“ (ebd.: 20). Diese Veränderungsme-
chanismen werden zu drei Dimensionen zusammengefasst. „Herauslösung aus historisch vorgege-
ben Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusam-
menhänge ‚Freisetzungsdimension‘), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Hand-
lungswissen, Glauben und leitende Normen (‚Entzauberungsdimension‘) und – womit die Bedeu-
tung des Begriffs gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird – eine neue Art der sozialen Einbindung
(‚Kontroll- bzw. Reintegrationsfunktion‘).“ (ebd.: 206; Hervorhebungen im Original).
„Insoweit der Staat Individuen zu Empfängern seiner Gaben macht und nicht die Familien, zu de-
nen sie gehören, wird es wahrscheinlicher, dass Jugendliche mit Ausbildungsbeihilfen ihre Familien
verlassen, dass größere Haushalte in mehrere Generationen sich aufspalten, dass erwerbstätige
Verheiratete sich scheiden lassen.“ (Mayer/Müller 1994: 265ff).
38 Individualisierung und Optionenvielfalt
„Bildung, Mobilität und Konkurrenz sind nun keineswegs unabhängig voneinander, sondern er-
gänzen und überlagern sich: erst in ihrem Zusammenwirken lösen sie den besonderen Individuali-
sierungsschub aus, der in den vergangenen drei Jahrzehnten in Gang gesetzt wurde.“ (ebd.: 48).
wohl im Längsschnitt des Lebenslaufes (Kindheit, Jugend, Erwachsensein, Pensionierung und Al-
ter) als auch im täglichen Zeitrhythmus und Zeithaushalt (Abstimmung von Familien-, Bildungs-
und Berufsexistenz).“ (Beck 1986: 211f.).
Becks Anspruch nach lassen sich mit Hilfe der Individualisierungstheorie zum
einen die Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft aus der Sicht des Indi-
viduums analysieren und zum anderen aufzeigen, wie „tradierte Sinn- und Hand-
lungseinheiten fragwürdig (...)“ (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 29) werden. Die
Konflikte leiten sich aus der Verbindung von Freisetzung und Entzauberung ab.
Auf einer abstrakteren Betrachtungsebene ist Freisetzung gleichbedeutend mit
einer Zunahme von Handlungsoptionen. Mit der Entzauberungsdimension geht
gleichzeitig eine Überforderung einher, die zur Orientierungslosigkeit führt.
Die Gefahr der Orientierungslosigkeit kann, wie Beck vermerkt, durch neue Stan-
dardisierungen eingedämmt werden, weil durch sie Entscheidungen für oder gegen
bestimmte Optionen leichter fallen.
Darüber hinaus ist die Größe der Handlungsspielräume zusätzlich durch öko-
nomische Restriktionen begrenzt, weil die Möglichkeit der Nutzung von Hand-
lungsoptionen an die Verfügbarkeit von Ressourcen gekoppelt ist (vgl. Beck/Beck-
Gernhsheim 1993: 182; Beck 1995: 192). Dadurch wird auch eingeräumt, dass
Individualisierung nicht heißt, dass für alle Gesellschaftsschichten gleich große
Möglichkeitsspielräume bereit stehen.4 Das bedeutet jedoch im selben Schritt, dass
die von den Individuen hervorgebrachten Individualisierungseffekte, d.h. neue
soziokultureller Gemeinsamkeiten sich auf diese Restriktionen zurückführen lassen.
Beck führt hier selbst an, dass sich individualisierte Vergemeinschaftungen auf der
Grundlage unterschiedlicher Einkommens- und Qualifikationsstufen und den
individuellen Suchbewegungen der Individuen entwickeln, die von den Erwartun-
gen auf ein eigenes Leben angetrieben werden (vgl. Beck 1994: 45).
Eine weitere Konfliktlinie ergibt sich aus der Ambivalenz zwischen Chance
und Risiko der Individualisierung. Individualisierung gilt nicht nur als Angebot,
sondern wird den Individuen auch abverlangt. „Die Menschen sind zur Individuali-
sierung verdammt. Individualisierung ist ein Zwang (…).“ (Beck/Beck-Gernsheim
4
Geert Hofstede konnte bereits 1980 in einer ländervergleichenden Studie einen Zusammenhang
zwischen Individualismus und Wohlstand herausarbeiten (vgl. Hofstede 1980: 229f.). In Wohl-
standsgesellschaften neigen die Individuen eher zum Individualismus als in ärmeren Gesellschaf-
ten.
40 Individualisierung und Optionenvielfalt
1994: 14).5 Bei Beck ist das Individuum insgesamt mit folgenden Anforderungen
konfrontiert:
„Gefordert ist ein aktives Handlungsmodell des Alltags, dass das Ich zum Zentrum hat, ihm Hand-
lungschancen zuweist und eröffnet und es auf diese Weise erlaubt, die aufbrechenden Gestaltungs-
und Entscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf den eigenen Lebenslauf sinnvoll kleinzuarbeiten.
Dies bedeutet, dass hier (...) für die Zwecke des eigenen Überlebens ein ichzentriertes Weltbild entwi-
ckelt werden muss, dass das Verhältnis von Ich und Gesellschaft sozusagen auf den Kopf stellt
und für die Zwecke der individuellen Lebenslaufgestaltung handhabbar denkt und macht. (...) Für
den einzelnen sind die ihn determinierenden institutionellen Lagen nicht mehr nur Ereignisse und
Verhältnisse, die über ihn hereinbrechen, sondern mindestens auch Konsequenzen der von ihm selbst ge-
troffenen Entscheidungen, die er als solche sehen und verarbeiten muss." (Beck 1986: 217f.; Hervorhe-
bungen im Original).
5 Diese Doppeldeutigkeit ist bereits von Talcott Parsons ausgearbeitet worden (Parsons 1961;
Parsons 1974). Sein Begriff des institutionalisierten Individualismus betont schon in den 1960er
Jahren den Verpflichtungsaspekt einer Individualisierung durch veränderte institutionelle Rah-
menbedingungen. Hierdurch wird das Streben nach Selbstverwirklichung zu einem wichtigen Teil
der Gesellschaft. Den Individuen kommt die Aufgabe zu, selbstverantwortlich ihre eigenen Ziele
zu verfolgen (Parsons 1974: 321).
6 Monika Wohlrab-Sahr bezeichnet Individualisierung in diesem Sinne als einen Zurechnungsmo-
dus und nicht als ein Handlungsresultat einzelner Individuen (vgl. Wohlrab-Sahr 1997).
Individualisierung und Optionenvielfalt 41
„Derartige Zeitdiagnosen lassen meist durchaus gemischte Gefühle zurück. Einerseits scheint man
durch sie einen interessanten Tatbestand zumindest begrifflich gut ge- oder vielleicht sogar erfasst
zu haben, andererseits ist man von einer adäquaten Erklärung des Tatbestandes im normalerweise
darunter verstandenen Sinne einer ursächlichen Zurückführung auf bestimmte allgemeine Ge-
setzmäßigkeiten, die selbst wiederum empirischen Gehalt besitzen, noch deutlich entfernt. Die
meisten dieser modernitätstheoretischen Betrachtungen sind vor dem Hintergrund wissenschafts-
theoretischer Standards wohl nur als Reformulierungen des interessierenden Sachverhalts selbst in
einem bestimmten theoretischen Jargon zu betrachten.“ (Hill/Kopp 1999: 15).
Für die empirische Forschung stellt die Individualisierungsthese deshalb eine He-
rausforderung dar. Bei Beck „werden Ursachen, Beschreibungen und Folgen in
einer vermeintlichen Definition vermengt“ (Friedrichs 1998: 34), weshalb seine
Thesen schwer zu überprüfen sind. Aufgrund der Komplexität von Veränderungen
auf der Makro-Ebene und der Vernachlässigung von individuellen Vorgängen der
Sinnzuschreibungen auf der Mikro-Ebene und der zahlreichen impliziten Zusatz-
annahmen über die Zusammenhänge beider Ebenen scheint Individualisierung als
Vergesellschaftungsprozess empirisch nicht überprüfbar. Aus diesem Grund schlug
Flavia Kippele schon 1998 für die weitere Arbeit mit dem Phänomen Individuali-
sierung vor: „Individualisierung ist von Anfang an ein ambivalenter Prozess gewe-
sen. Man sollte sich von einem pauschalen Individualisierungsbegriff lösen und
sich auf die Analyse der verschiedenen Dimensionen konzentrieren.“ (Kippele
1998: 11).
Im Folgenden sollen deshalb vorliegende empirische Untersuchungsergebnisse
vor allem daraufhin überprüft werden, ob und wie die Verbindung von objektiver
und individueller Individualisierung hergestellt wurde und welche Daten zu einem
veränderten Handeln von Individuen unter individualisierten Bedingungen vorlie-
gen.
„(…) Entkopplung systemintegrativer und sozialintegrativer Wirksamkeit nimmt zu, so dass sozi-
okulturelle Differenzierungen an Bedeutung gewinnen und die Determinationskraft sozialstruktu-
reller Bindungen auf die spezifische Ausformung von Bewusstsein und Lebensführung der Gesell-
schaftsmitglieder abnimmt.“ (ebd.: 504f.).
Die Autoren erfassen diese Veränderungen vor allem mit dem Begriff des Lebens-
stils. Lebensstile treten an die Stelle von Klassenstrukturen und stellen ihre eigene
Ebene der Wirklichkeitskonstruktion dar. Deshalb lässt sich die soziale Einbindung
nicht mehr mit sozioökonomischen Variablen, sondern mit der kulturellen Lebens-
stilsemantik beschreiben.
Dies führte zu einem erweiterten Diskurs über die Pluralisierung von Lebens-
stilen (vgl. Dangschat 1994; Hörning/Michailow/Gerhard 1990; Hradil 1987; Si-
monson 2004; Zapf 1987). Inwiefern die Entwicklung von Lebensstilen theoretisch
an individuelle Handlungen oder an objektive Strukturveränderungen angebunden
werden können, bleibt weiterhin unklar (vgl. Hörning/Michailow/Gerhard 1990:
33ff). Sozialstrukturell besehen, bilden Lebensstile die Meso-Ebene der Erklärung
von Individualisierungsprozessen und damit eine Struktur sui generis ab, die bei
Individualisierung und Optionenvielfalt 43
der Analyse getrennt von Mikro- und Makroeinflüssen zu untersuchen sei. Dies
führt allerdings in der Debatte um das Auseinanderfallen von individuellen Hand-
lungslogiken und strukturellen Mechanismen nicht weiter, da das Problem lediglich
auf eine andere Ebene verlagert wird. Dirk Wieland kritisiert an der Lebensstilfor-
schung deshalb die unzureichende theoretische Untermauerung, die zur mangeln-
den Stringenz in der Ableitung von Lebensstildefinitionen aus Individualisierungs-
bedingungen führt.
„Die zumeist weder hinterfragte noch konkretisierte Bezugnahme auf das Becksche Individualisie-
rungstheorem erscheint jedenfalls nicht ausreichend, um die konkretisierten massiven Verände-
rungen nicht nur beschreiben, sondern auch erklären zu können. Schon wenn es an die konkrete
Definition von Lebensstilgruppen oder sozialen Milieus geht, werden die Modelle rasch tautolo-
gisch, Definitionskriterien und herauspräparierte Merkmalsausprägungen sind praktisch identisch
und den so erzielten Ergebnissen haftet häufig der Makel der Beliebigkeit an.“ (Wieland 2004: 17).
Darüber hinaus existieren Studien, die sich der Entstehung von Statusunsicherhei-
ten widmen (vgl. Berger 1996; Kohler 2005), verstärkt auf die Aspekte sozialer
Ungleichheit im Rahmen der Individualisierung abzielen (vgl. Diewald 2004) oder
das Wahlverhalten in Abhängigkeit der Individualisierung betrachten (vgl. Quandt
2008; Schnell/Kohler 1995). In anderen Untersuchungen wird die These der Frei-
setzung auf eine nachlassende Bindungs-, und Prägekraft durch Religion (vgl. Jago-
dzinski 1998) und einer Deinstitutionalisierung von Familie (vgl. Tyrell 1988; Peu-
ckert 2008) ausgeweitet. Es finden sich aber auch Untersuchungen über die Verän-
derungen von solidarischen Beziehungen (vgl. Posner 2002) und über die Individu-
alisierung von Lebensläufen (vgl. Berger/Sopp 1995; Weymann 1989).
Alle Ansätze verbindet, trotz der Eingrenzung des Analysefokus, die Untersu-
chung der lediglich objektiven Veränderungen der Individualisierung. Die subjek-
tive Deutungsebene wird vernachlässigt. Es lässt sich deshalb feststellen, dass alle
Ansätze auf allgemeiner Ebene mit strukturellen Veränderungsprozessen argumen-
tieren und darauf aufbauend beschreiben, welche Auswirkungen sich für das Indi-
viduum ableiten lassen, wobei letztlich „(...) die zentralen Thesen der meisten Au-
toren darauf hinauslaufen zu behaupten, die Stärke des Zusammenhangs von sozi-
oökonomischen Lagebedingungen und diesen korrespondierenden Verhal-
tensweisen habe abgenommen.“ (Wahl 2003: 26). Die Wahrnehmung des Indivi-
duums sowie seine Handlungsorientierungen finden hier keine Berücksichtigung.
Im Rahmen des Wertewandeldiskurses wird dagegen die Erklärung von einer
Zunahme von Handlungsoptionen vom Individuum aus entwickelt (vgl. Gensicke
2002 u. 2006; Inglehart 1998; Klages 1985). Kernthese des Diskurses ist, die Indi-
vidualisierung führe zu einer Abnahme von Pflicht- und Akzeptanzwerten und zu
einer Zunahme von Selbstentfaltungswerten (vgl. Klages 1985). Pflicht- und Ak-
zeptanzwerte sind konventionelle Wertvorstellungen, die das Handeln auf gesell-
schaftliche Nützlichkeit ausrichten und damit Stabilität und Ordnung in einer Ge-
sellschaft erzeugen, dafür aber individuelle Selbstentfaltung hemmen. Pflichtwert-
44 Individualisierung und Optionenvielfalt
„(…) eine Verbindung zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen und Notwendigkeiten und
dem ‚Selbstkonzept’ der Menschen dadurch zustande, dass sie die Menschen zur persönlichen
Identifizierung mit ‚Tugenden’ veranlassen, welche gleichzeitig ‚sozialintegrative’ Wirkungen ha-
ben.“ (Klages 1985: 26).
Diese Personen ordnen sich eher durch die Erfüllung von externen Anforderungen
in die Gesellschaft ein, als durch das Verfolgen eigener intrinsischer Lebensinteres-
sen.
Selbstentfaltung entspringt dann denjenigen Handlungsleitlinien, die sich von
gesellschaftlichen Funktionsanforderungen lösen und Handlungsstrategien erzeu-
gen, die der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse und der Erlangung individueller
Ziele dienen. Selbstentfaltungswerte drücken sich daraufhin in individuellen An-
sprüchen aus, die gesellschaftliche Institutionen unter Druck setzen und zu Verän-
derungen in der Umgangsweise mit den Individuen führen (vgl. Klages 1985).
Empirisch konnte eine Zunahme von Selbstentfaltungswerten für die 1960er Jahre
bestätigt werden. Damit einher ging jedoch kein Absinken der Pflicht- und Akzep-
tanzwerte. Vielmehr lassen sich in den späten 1980er Jahren am häufigsten Misch-
formen finden, die mit dem Typ des „Aktiven Realisten“ bezeichnet werden (Kla-
ges/Gensicke 2002).
Des Weiteren wird argumentiert, dass die Übernahme von gruppen- und
schichtspezifischen Werten in stärkerem Maße selbst entschieden werden kann.
Soziale Milieus haben die Funktion der Wertselektion, wodurch es zur Reproduk-
tion nur bestimmter Werte kommt. Wertepluralismus entsteht aufgrund der Tatsa-
che, dass Individuen aus sozialen Wertegemeinschaften freigesetzt werden. Indivi-
duelle Entscheidungszwänge entstehen nun nicht mehr durch internalisierte Werte,
die durch die Herkunft bestimmt sind, sondern durch „situative Zufälle und Selbs-
treflexion“ (Lau 1988: 224). Dadurch bestimmen die derzeitige Lebenslage und
selbstgewählte Gemeinschaften die Gültigkeit von Werten, die das Handeln in
einer konkreten Situation anleiten. „Werte verlieren die Funktion feststehender,
selbstverständlicher Bezugspunkte der Handlungsbeurteilung und Verhaltensorien-
tierung und werden damit zu Versatzstücken situativer Deutung und Selbstverge-
wisserung.“ (Lau 1988: 227).
Handlungswahlen werden auf Grundlage des Wertepluralismusdiskurses dem-
nach situativ unter Rekurs auf persönliche Zielvorstellungen und unter Einfluss der
derzeitigen Bezugsgruppe getroffen. Es ist jedoch nicht klar, welche Bedingungen
konkret dafür verantwortlich sein sollen, dass das „Normale“ als Leitfaden für die
Lebensführung der Mehrzahl der Individuen wegbricht. Markus Schroer kritisiert
an solchen Interpretationen die zu starke Fokussierung auf die Beschreibung des
Individualisierung und Optionenvielfalt 45
Verlusts von Werten, ohne sich auf die konkreten individuellen Strategien des
Umgangs mit den Auswirkungen zu konzentrieren.
„Statt sich am kommunitaristischen Trauergesang über die verlorenen Werte und die Auflösung
überschaubarer Gemeinschaften zu beteiligen, sollte es die Aufgabe der Soziologie sein, die Berei-
che in Augenschein zu nehmen, in denen mehr Alternativen und Wahlmöglichkeiten zu herrschen
scheinen, und ein größeres Gespür für die Felder zu entwickeln, in denen nach wie vor große Ab-
hängigkeiten bestehen bzw. neue sich entwickeln.“ (Schroer 2001: 445).
7 Hier sind vor allem die zahlreichen Projekte aus dem Sonderforschungsbereich 186 „Statuspassa-
gen und Risikolagen im Lebensverlauf“, die an der Universität Bremen 1988-2001 durchgeführt
wurden, zu nennen.
46 Individualisierung und Optionenvielfalt
Wie gezeigt werden konnte, ist eine konkrete Überprüfung des Zusammenhangs
zwischen individuellen Handlungslogiken und strukturellen Veränderungen bisher
nicht umfassend gelungen.
„Der Mensch wird (…) zur Wahl seiner Möglichkeiten, zum homo optionis. Leben, Tod, Ge-
schlecht, Körperlichkeit, Identität, Religion, Ehe, Elternschaft, soziale Bindungen – alles wird
sozusagen bis ins Kleingedruckte hinein entscheidbar, muss, einmal zu Optionen zerschellt, ent-
schieden werden.“ (Beck/Beck-Gernsheim 1994c: 16f).8
Aus diesem vermehrten Entscheidungsdruck wird auch ein neuer Grad an Eigen-
verantwortung abgeleitet. Eine individualisierte Gesellschaft zeichnet sich demnach
auch dadurch aus, dass „Systemprobleme (…) in persönliches Versagen umgewan-
delt“ (Beck 1986: 118) werden. Damit ist ein neuer Rechtfertigungsdruck verbun-
den, sowohl für die getroffenen Entscheidungen als auch für die Nicht-Entschei-
dungen. Die Individuen müssen damit rechnen, ihre Prioritätensetzung, die sich
vor allem in lebenslaufbezogenen Entscheidungen ausdrückt, begründen zu müs-
sen.
Individualisierung zeichnet sich auf handlungstheoretischer Ebene also durch
folgende Merkmale aus: Auf Grundlage von Optionenvielfalt müssen mehr Ent-
scheidungen getroffen werden, was unter zunehmenden Druck geschieht. Außer-
dem muss das Individuum die Konsequenzen dieser Entscheidungen selbst tragen
und den Sinn bestimmter Entscheidungen begründen. Darüber hinaus lässt sich
jedoch keine Systematisierung des Entscheidungshandelns der Theoriebildung
finden und es bleibt offen, auf welcher Grundlage die Individuen ihre Wahl tref-
fen.9
Bei genauerer Betrachtung ist aber die eigentliche Sinnsetzungsproblematik,
der Entscheidung eine Handlungsoption zu wählen, vorgelagert. Dies betrifft die
Tatsache, dass Optionen erst aufgrund spezifischer Bewertungen überhaupt zu
Handlungsrechten, Handlungsangeboten und Deutungsangeboten werden. Die
Individualisierungstheoretiker gehen dabei davon aus, dass den freigesetzten Indi-
viduen durch den Verlust allgemein verbindlicher Wertsysteme „keine anderen
Kriterien zur Verfügung als die eigenen Präferenzen“ (Habermas 1992: 238) zur
Verfügung stehen. Gleichzeitig wird aber angenommen, dass diese Präferenzen mit
steigender Optionenzahl unsicherer werden, weshalb die Individuen wieder Hilfs-
mittel nutzen, um überhaupt Optionen wählen zu können. Beck deutet das mit
dem Hinweis auf die Gefahr einer zunehmenden Außensteuerung an. Hierdurch
wird das Individuum zum „Spielball von Moden, Verhältnissen, Konjunkturen und
Märkten“ (Beck 1986: 211). Man bekommt an dieser Stelle und vor dem Hinter-
grund der dargestellten Beschreibung der individualisierten Handlungslogik, den
Eindruck, als ob die Präferenzsetzungen zwar als Voraussetzung für individuali-
siertes Handeln betrachtet werden, aber letztendlich doch wieder nicht beim Um-
gang mit Optionenvielfalt taugen. Es scheint, dass Beck sich hier allzu schnell mit
dem Hinweis auf Orientierungshilfen aus der Affäre zieht, deshalb soll im Folgen-
den der Präferenzsetzungsproblematik etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt
werden.
10 Abgesehen von dem Artikel von Jürgen Friedrichs (vgl. Friedrichs 1998) und den aktuellen Bei-
trägen im Band von Böhle/Weihrich 2009, in dem die Becksche Individualisierungsthese in eine
Rational Choice Handlungstheorie eingebettet wird. Allerdings wird hier das Problem der man-
gelnden Berücksichtigung der subjektiven Wahrnehmung zwar aufgedeckt, aber letztendlich nicht
gelöst. Während Friedrichs davon ausgeht, dass Optionen wahrgenommen werden müssen, weil
Individualisierung und Optionenvielfalt 51
Vor dem Hintergrund der Annahme, dass Optionen, verstanden als Handlungs-
rechte, Handlungsangebote und Deutungsangebote auf der Grundlage von Zielset-
zungen bewertet werden und damit die Wahl steuern, ist es erforderlich die Mög-
lichkeiten im Umgang mit Optionen genauer in Augenschein zu nehmen. Im Rah-
men der Individualisierungstheorie wurden hierzu keine systematischen Überle-
gungen angestellt, da es dort lediglich darum ging zu zeigen, dass Optionen zuge-
nommen haben und dass die Individuen wählen müssen. Eine phänomenologische
Betrachtung von Optionen kann hierzu wertvolle Impulse geben.
Reinhold Esterbauer hat in seinem Werk „Anspruch und Entscheidung“ (vgl.
Esterbauer 2002) eine Phänomenologie der Entscheidung erarbeitet, in der es um
das Problem des Umgangs mit und der Wahrnehmung von Optionen geht. Ester-
bauers Analyse dient zwar schwerpunktmäßig der Beschreibung von Heiligenerfah-
rungen, allerdings enthält sein Werk eine erfahrungstheoretische Konzeption von
Wirklichkeit, die hier auf allgemeine Bedingungen der Optionenvielfalt übertragen
werden soll. Esterbauers Ausgangspunkt ist, den Anstoß individueller Erfahrungen
aus einer Störung des Alltags abzuleiten. Das Individuum wird von der Wirklichkeit
angesprochen und kann nur so zu Erfahrungen über sich selbst in Auseinanderset-
zung mit der Wirklichkeit kommen. Esterbauer fasst dies mit dem Begriff des Ans-
pruchs und meint damit im wörtlichen Sinne „angesprochen werden“.
Abgesehen von habitualisiertem Routinehandeln ist Handeln immer Antwort
auf eine solche Störung. „Wirklichkeit kann sich so aufdrängen, dass eine Antwort
unausweichlich ist, sei es, dass man dem Anspruch nachkommt, sei es, dass man
sich ihm verweigert.“ (Esterbauer 2002: 214). Damit sind Unterbrechungen des
Alltags gemeint, die sich als Infragestellen bisheriger eingespielter Handlungsab-
läufe äußern (vgl. ebd.: 214). Das Individuum nimmt also veränderte Bedingungen
wahr, die es zu einer neuen Situationsdefinition veranlassen. Diese bewirkt, wenn
nicht zwingend Neuorientierung, so doch zumindest einen Selbstvergewisserungs-
vorgang im Sinne der eigeninitiativen Herstellung der inneren Ordnung. „Solche
Antwort in Vergewisserung oder Neuorientierung erweist sich also als Aufgabe,
sich ansonsten keine Überforderung ergeben kann, wird bei Böhle/Weihrich von Instabilitäten
innerhalb der Präferenzsetzungen im Umgang mit Optionen ausgegangen.
52 Individualisierung und Optionenvielfalt
vor die der Anspruch der Wirklichkeit die erfahrene Person stellt. Aufgegeben ist
eine Antwort auf den Anspruch, dessen man sich nicht entziehen kann.“ (Ester-
bauer 2002: 215).
Damit wird deutlich, dass die Störung der Person durch die Wirklichkeit jegli-
che Form von Aktivierung umfasst. Diese Störungen sind vielfältig und nehmen
unter individualisierten Bedingungen zu. Dem Individuum erscheinen sie als Mög-
lichkeiten zu Handeln. Das Individuum muss sich deshalb mit den unterschiedli-
chen Optionen auseinandersetzen. Dabei beabsichtigt es, die Störung des Alltags
abzustellen und wieder Stabilität zu erzeugen. Diese erreicht das Individuum ent-
weder durch Ignorieren der Option oder mittels einer durch die Option angesto-
ßene Neuordnung.
Das Ignorieren der Option kann dabei auf zweierlei Arten erfolgen. Die Op-
tion kann zum einen registriert und für die eigenen Handlungspläne als irrelevant
betrachtet werden. Ignorieren kann aber auch bedeuten, dass es zu einer entschie-
denen Zurückweisung von Optionen kommt. Dieses Ignorieren löst dann einen
Abgrenzungsvorgang aus. Das Individuum kann sich so bewusst einer Option ver-
schließen oder sie verdrängen, aber auch dies ist eine Reaktion, welche die wahrge-
nommene Option ausgelöst hat. In beiden Fällen hat die Option also eine Ent-
scheidung bewirkt.
Neben dem Ignorieren und dem damit verbundenen Abgrenzen und Verdrän-
gen von Optionen gibt es auch unterschiedliche Möglichkeiten der Aneignung.
Diese erfolgen entweder direkt über einen Identifikationsprozess oder über Um-
formungen der Option zu einer passenderen.
„Selbst die Übernahme einer von vielen gewählten Lebensform braucht das Moment der Aneig-
nung. Sonst wird die übernommene Lebensform nie die eigene, mit der sich die wählende Person
auch identifiziert. (...) Solche Identifikation ist durch den Anspruch und ihren Ernst gefordert.“
(Esterbauer 2002: 241).
Damit zeigt sich, dass die Aneignung ein wesentlicher Schritt zur Klärung des
Umgangs mit Optionen unter individualisierten Bedingungen darstellt. „Dadurch,
dass der Mensch sich Dinge aktiv zueigen machen kann, gelangt er zur Selbstän-
digkeit.“ (Ritsert 1981: 295). Eine Option muss zur individuell eigenen Möglichkeit
werden. Diese Umgangsweisen führen dazu, dass durch Neuentdeckung oder auch
Verwerfung bestimmter Lebensmotive die Lebensläufe immer wieder verändert
werden oder vom Individuum immer wieder stabilisiert werden müssen.
Darüber hinaus zeichnen sich Optionen vor allem dadurch aus, dass sie nicht
verschwinden, auch wenn die Individuen sie ignorieren.11 Hinzu kommt, dass zwi-
schen der Option und der Antwort durch das Individuum immer eine Kluft bleibt,
11 Das ist eine Eigenschaft, die Peter Gross in seiner Zeitdiagnose der „Multioptionsgesellschaft“ in
den Mittelpunkt seiner Betrachtung rückt.
Individualisierung und Optionenvielfalt 53
weil die Störung zwar eine Handlung fordert, aber nicht klarstellt, welche Handlung
angemessen ist (vgl. ebd.: 242). Optionen werden auch von Person zu Person un-
terschiedlich wahrgenommen. Deshalb fallen die Reaktionen darauf verschiedenar-
tig aus.
„Zum einen bestimmt die Person in ihrer individuellen Eigenart mit, wie der Anspruch bei ihr an-
kommt und so seine Konkretheit und seinen individuellen Charakter erhält. Zum anderen ent-
scheidet die Person, wie sie ihr Leben gestalten will, und prägt so die Art der Antwort mit.“ (ebd.:
237).
Hier zeigt sich, dass Esterbauer ebenfalls den Umstand berücksichtigt, dass sowohl
spezifische sozialisatorische Prägungen als auch die individuellen Zielsetzungen im
Wesentlichen die Wahl von Optionen steuern. Die Prägungen werden dabei jedoch
nur aus den Erfahrungen mit Optionen abgeleitet. „Schon Gelungenes oder durch
Erfahrung Bestätigtes wird von der betroffenen Person als tragend für das eigene
Leben akzeptiert werden, während hingegen das Misslungene oder die Formen,
deren Erprobung gescheitert ist, ersetzt werden sollen.“ (ebd.: 242). Hier bleiben
jene Kräfte, die die Wahrnehmung von Optionen von vornherein beeinflussen, wie
z.B. der Bildungsstand oder die Schichtzugehörigkeit außen vor. Esterbauer argu-
mentiert mit der Haltung, dass Individuen immer schon versucht haben, bestimmte
Optionen zu nutzen. Erst die Erfahrung des Scheiterns bringt die Einsicht, dass
bestimmte Optionen für die Gestaltung des Lebens nicht mehr genutzt werden
können. Er übersieht hier, dass es aufgrund der Prägungen jedoch zu einem spezi-
fischen Ignorieren von Optionen kommt, weshalb die Individuen mit ihnen auch
keine Erfahrungen machen können.
Insgesamt ist diese Konzeptionalisierung der Umgangsweise mit Optionen ei-
ne wertvolle Erweiterung und soll hier als Grundlage für eine handlungstheoreti-
sche Betrachtung dienen. Optionen werden also im Folgenden als Störungen des
Alltags verstanden. Der Umgang mit ihnen ist durch spezifische sozialisatorische
Prägungen und individuelle Zielsetzungen beeinflusst. Der Umgang erfordert dar-
über hinaus immer eine Bewertung und die Individuen können Optionen ignorie-
ren oder zurückweisen oder übernehmen. Wenn sie als Handlungsmöglichkeit
relevant werden, ist die Voraussetzung dafür jedoch, dass das Individuum sich mit
dieser Option identifiziert.
Im Folgenden geht es nun aber zuerst einmal darum, die Zielsetzungen, die
den Umgang mit Optionen regeln, genauer zu fassen.
Mit dem Ziel der Entwicklung einer individualisierten Handlungslogik muss her-
ausgestellt werden, wie die Zielsetzungsmechanismen näher gefasst werden kön-
54 Individualisierung und Optionenvielfalt
nen. Auch dafür scheint es lohnenswert, mit einer abstrakteren Haltung zu einer
allgemeinen Funktionsbestimmung dieser Zielsetzungen zu kommen. In der Defi-
nition von Individualisierung, die am Anfang des Kapitels vorgestellt wurde, mün-
det Individualisierung in einer zunehmenden Betonung der Individualität des Men-
schen und drückt sich darauf aufbauend in einer veränderten Identität aus. Dies
wird aus dem Umstand abgeleitet, dass die Freisetzungs- und Entzauberungsdi-
mension der Individualisierung dazu führt, dass Identitäten nicht mehr festge-
schrieben sind und von den Individuen selbst hergestellt werden müssen. Aus der
Perspektive des Handelnden ist dies also das grundlegende Ziel des Umgangs mit
Optionenvielfalt. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern die Individualisierungsthe-
oretiker sich den Besonderheiten dieser Identitätsentwicklung gewidmet haben.
Ulrich Beck nimmt weder in „Risikogesellschaft“ noch später eine Bestimmung
einer veränderten Identität vor.
Zur Unterscheidung von zwei grundsätzlich verschiedenen Dimensionen der
Identitätsbildung, findet sich bei anderen Theoretikern die Gegenüberstellung von
persönlicher und sozialer oder Ich- und Wir-Identität (vgl. Lohauß 1995). Damit
einher geht die Vorstellung von der Individuation des Menschen. Sie lässt eine Un-
terscheidung zwischen persönlicher und sozialer Identität wichtig werden. Indivi-
duation beschreibt die Ablösung der persönlichen von der sozialen Identität in
dem Sinne, dass die Ich-Werdung entgegen gesellschaftlichen Rollenvorstellungen
zum Selbstzweck wird. Diese Veränderung wird unter dem Begriff „individuali-
sierte Identität“ (Taylor 1994: 17) gebündelt. Darüber hinaus wird Identitätsbildung
als lebenslänglicher Entwicklungsprozess beschrieben (vgl. Behringer 1998). Auf
Grundlage wahrgenommener erweiterter Handlungsoptionen bestimmt das Indivi-
duum sich als veränderliches Wesen.
Zur Kennzeichnung dessen benutzen Individualisierungstheoretiker oft den
Begriff der Identitätsarbeit (vgl. Cohen/Taylor 1977). Sie sehen darin, entspre-
chend der Doppeldeutigkeit der Individualisierung, nicht nur ein Bedürfnis der
Individuen nach Selbstbestimmung, sondern auch eine Anforderung: Identitätsbil-
dung ist „(...) eine normative Forderung, die Eigenschaften, die mich einmalig
machen, als Identitätskriterien zu betonen, zu entwickeln und herauszuarbeiten.“
(Frey/Haußer 1987a: 9).
Die gleiche Doppeldeutigkeit spiegelt sich auch in dem Begriff der Bastelbio-
graphie, der von Beck und Beck-Gernsheim immer wieder benutzt wird. Vor allem
wird betont, dass die Bastelbiographie immer auch von dem Risiko des Scheiterns
bedroht ist und so zu einer „Bruchbiographie“ (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 13)
werden kann. Es geht hier aber wiederum nur darum, diese Gefahr zu benennen,
deren Bedingungen aber nicht weiter zu erforschen.
Auf handlungstheoretischer Ebene ist die Verfügbarkeit von Optionenvielfalt
die Grundlage für Veränderungsmöglichkeiten der individuellen Entwicklung. In
den Beiträgen zur Individualisierungstheorie wird der Zusammenhang zwischen
Individualisierung und Optionenvielfalt 55
der Verwirklichung eines Ideals. Ziel war der vernunftbegabte Umgang mit Frei-
heit.
Im Zuge der Entwicklung der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert wurde Selbst-
verwirklichung erneut als Thema aufgegriffen (vgl. Paulus 1994). Während Sig-
mund Freud davon ausging, dass das Unterbewusste stärkste Triebkraft des Lebens
ist, verlagerte sich der Blick im Zuge der Weiterentwicklung der Psychoanalyse auf
ein Selbst, das sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann und in seiner Ent-
wicklung offen ist. Darüber hinaus wurde Selbstverwirklichung erstmals von Kurt
Goldstein als die Verwirklichung von Fähigkeiten definiert. (vgl. Goldstein 1947).
Er stellt das Schöpferische, Kreative und Spontane des Individuums in den Mit-
telpunkt und leitet daraus den Drang nach Selbstverwirklichung ab. Die in den
1950er Jahren aufkommende humanistische Psychologie führte diese Vorstellung
weiter. „Unter günstigen Umweltbedingungen kommt es zur Entfaltung individu-
eller Motive und Kompetenzen und zu einer vertieften Selbst-Bewusstwerdung.“
(Nolting/Paulus 1999: 166).
Carl Rogers hat darauf aufbauend einen allgemeinen Ansatz entwickelt, der
Selbstverwirklichung zum Kern der individuellen Entwicklung macht.
„Ob man dies eine Tendenz zur Entfaltung, einen Drang zu Selbstaktualisierung oder eine sich
vorwärtsentwickelnde Gerichtetheit nennt, es handelt sich um die Haupttriebfelder des Lebens
(…) Es ist der Drang, der sich in allem organischen und menschlichen Leben zeigt: sich auszu-
weiten, auszudehnen, zu entwickeln, autonom zu werden, zu reifen; die Tendenz, alle Fähigkeiten
des Organismus in dem Maße auszudrücken und zu aktivieren, in dem solche Aktivierung den Or-
ganismus sich entfalten lässt oder das Selbst steigert.“ (Rogers 1985: 49).
Selbstverwirklichung hat hier zwei Dimensionen. Zum einen die Suche nach per-
sönlicher Entfaltung, was man als Selbstbestimmung fassen kann. Und zum ande-
ren die Selbstüberschreitung.
Diese Dimensionen rekurrieren auf unterschiedliche Elemente. Die Selbstbe-
stimmung konzentriert sich auf eine Autonomisierung des Selbst. Grundlegend ist
hierfür die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen, die als Möglichkeiten für
eine Erweiterung der persönlichen Entwicklung gelesen werden. Selbstüberschrei-
tung arbeitet mit der Zukunft des Selbst als das Noch-möglich-Werdende, bei dem
zukünftige Entwicklungsschritte als eine Verbesserung des momentanen Ist-Zu-
stands entworfen werden. Ein Problem der Definition von Selbstverwirklichung
besteht allerdings darin, dass kein Ideal festgelegt werden kann, das einem vollstän-
dig selbstverwirklichten Leben entspricht. Es lässt sich kein Endzustand bestim-
men, was dazu führt, dass Selbstverwirklichung immer weiter getrieben wird. In der
Psychologie wird das Streben nach Selbstverwirklichung deshalb als idealtypisch für
psychische Gesundheit betrachtet. An diesem Aspekt setzen die Therapiekonzepte
an. Sie orientieren sich an der Vorstellung, dass Menschen, die nicht nach Selbst-
verwirklichung streben, krank seien (vgl. Illouz 2006: 72).
Individualisierung und Optionenvielfalt 57
12 Dies steht im Gegensatz zu der Vorstellung von Erving Goffman, der sich auf die Selbstdarstel-
lung als Rollenverhalten konzentriert hat (vgl. Goffman 1988).
58 Individualisierung und Optionenvielfalt
hängt, die als Teil einer individualisierten Handlungslogik betrachtet werden muss.
Ihre theoretische Konzeptionalisierung ist Ziel der folgenden Ausführungen. Dazu
bedarf es der näheren Klärung einiger Grundlagen für theoretische Erklärungs-
möglichkeiten von Handlungsstrategien unter Berücksichtigung ihrer sozialen
Einbettung.
Die klassischen soziologischen Theorieperspektiven können in handlungs- und
systemtheoretische Zugänge unterteilt werden. Sie gehen im Großen und Ganzen
auf die von Max Weber vorgenommene analytische Trennung zwischen verstehen-
der und erklärender Soziologie zurück (vgl. Weber 1925). Weber legte bekanntlich
als erster den Unterschied zwischen dem Sinnverstehen von individuellen Hand-
lungsantrieben und dem ursächlichen Erklären der Folgen von individuellen Hand-
lungen auf kollektiver Ebene fest. Er unterscheidet dabei zwischen einem bloßen
Verhalten und einem Handeln, das einen subjektiv gemeinten Sinn verfolgt. Han-
deln ist damit durch eine spezifische Handlungsmotivation gekennzeichnet.
Zur näheren Klärung dieser Handlungsmotivationen unterschied Weber be-
kanntlich vier Handlungstypen, die für die Weiterentwicklung der soziologischen
Handlungstheorie wesentlich waren. Dazu gehört das zweckrationale, das wertra-
tionale, das traditionale und das affektuelle Handeln (Weber 1925: 12ff). Unter dem
zweckrationalen Handeln versteht man das Anstreben eines bestmöglichen Hand-
lungsergebnisses unter Berücksichtigung der Wahl der dafür geeignetesten Mittel.
Das wertrationale Handeln verfolgt keinen bestimmten Zweck. Es hat einen Ei-
genwert und wird auf Grundlage von Geboten und Forderungen ohne Rücksicht
auf die Folgen durchgeführt. Weber nennt als Gebote „Pflicht, Würde, Schönheit,
religiöse Weisung, Pietät, oder die Wichtigkeit einer ‚Sache‘“ (Weber 1925: 12).
Diesem Handeln liegt eine moralische Bewertung zugrunde, die nicht nur der Er-
füllung gesellschaftlich vorgegebener Normen dient, sondern eine vom Akteur
selbst gesetzte Handlungsnorm sein kann (Etzrodt 2006: 263f.). Das traditionale
Handeln bezeichnet Weber als nicht-sinnhaftes Handeln, da ihm keine Motivation
zugrunde liegt und das deshalb als Habitualisierung vollzogen wird. Es ist demnach
ein Handeln, das aus Gewohnheit durchgeführt wird und keiner Reflexion mehr
bedarf. Das affektuelle Handeln beinhaltet zwei Komponenten. Zum einen das
bloße Reagieren auf äußere Reize und zum anderen das emotional begründete
Handeln. Nach Weber steht dieser Handlungstyp an der Grenze zum bloßen Ver-
halten. Handeln ist es nur, wenn ihm ein gewisser Grad an Reflexion zugrunde
liegt, auch wenn das Handeln spontan geschieht.
In Anlehnung an Weber entwickelte Alfred Schütz eine Erweiterung der hand-
lungstheoretischen Grundlegung der verstehenden Soziologie. Er postuliert ebenso
wie Weber, dass jeder soziale Gegenstand auf menschliche Handlungsmotive zu-
rückgeführt werden muss, um verstanden werden zu können (vgl. Schütz 1972:
11f.). Schütz` Sozialtheorie beginnt deshalb mit der Rekonstruktion subjektiver
Handlungsgründe. Er unterscheidet Zielsetzungs- (Um-zu) und Begründungs-
60 Individualisierung und Optionenvielfalt
(Weil-) Motive (vgl. ebd.: 15). Die Um-Zu-Motive ergeben sich aus der Auseinan-
dersetzung mit geplanten Handlungsvollzügen. Sie beschreiben die Erwartung, die
mit dem Durchführen einer bestimmten Handlung verbunden ist. Die Weil-Motive
rekurrieren auf Erfahrungen mit bereits durchgeführten Handlungen. Sie können
also nur rückwirkend erfasst werden und dienen der Begründung einer Handlung,
die entweder nichts mit den tatsächlichen Gründen der Handlung zu tun haben
oder auf die „echten“ Weil-Motive verweisen. Das Verstehen von dem so kon-
zipierten sinnhaften Handeln soll auf idealtypischem Wege erfasst werden, d.h.,
„(…) um es zu verstehen, genügt es, typische Motive von typischen Akteuren zu
finden, welche das Handeln als ein typisches solches erklären, das aus einer typi-
schen Situation entstand.“ (ebd.: 14). Aufgrund dieser Objektivierung von subjekti-
ven Handlungsgründen wird das Verstehen von sozialen Gegenständen und Pro-
zessen möglich.
Diese Herangehensweise an die Analyse individueller Handlungen unter Rück-
griff auf individuelle Handlungsmotive spiegelt sich in den unterschiedlichen
Handlungstheorien der Soziologie. Klassischerweise werden Individuen entweder
als rationale oder normorientierte Akteure betrachtet, um die Durchführung von
Handlungen zu verstehen. Darüber hinaus finden sich Theoriezugänge, die als
grundlegende Handlungsmotivation die Identitätsbehauptung oder die Emotiona-
lität betrachten (vgl. Schimank 2000).
Ausgehend von der Unterscheidung dieser vier Handlungstypen stellt sich in
der Soziologie das Problem der Handlungsbedingungen und der Handlungsfolgen.
Die Handlungsbedingungen sind soziale Einflüsse, welche die Handlungswahlen
situativ rahmen. Die Handlungsfolgen beschreiben die Effekte individuellen Han-
delns auf der kollektiven Handlungsebene. Da für die hier verfolgte handlungsthe-
oretische Fundierung der Individualisierungstheorie lediglich die Mikroebene rele-
vant ist, wird neben der Erarbeitung des Zusammenhangs von Handlungsmotiva-
tion und Handlungsbedingung, nur die Konzeptionalisierung von individuellen
Handlungsfolgen erfasst.
Hartmut Esser hat diese Zusammenhänge in Auseinandersetzung mit dem
Konzept der analytisch-nomologischen Erklärung von Carl Hempel und Paul Op-
penheim (vgl. Hempel/Oppenheim 1948) und der Hypothese der “Achieving
Society“ von David McClelland (vgl. McClelland 1961: 47ff) zu einem Grundmo-
dell der soziologischen Erklärung ausgearbeitet (vgl. Esser 1993: 98). Es geht dabei
bekanntlich um die Klärung des Kausalitätsverhältnisses zwischen sozialen Situati-
onen und kollektivem Explanandum. Dies geschieht in erster Linie durch die Ana-
lyse der von einem Akteur vollzogenen Handlungen, denn „Akteure treffen aktiv
Handlungsentscheidungen unter strukturellen Bedingungen“ (Kron 2005: 319).
Esser nennt dies die Vertiefung der soziologischen Erklärung.
Individualisierung und Optionenvielfalt 61
Dabei werden die subjektiven Motive und Erwartungsstrukturen der Akteure als
Randbedingungen empirisch erhoben und für das Erklären von allgemeinen sozia-
len Vorgängen genutzt.
Die Randbedingungen fasst Esser unter der Logik der Situation zusammen. Sie
bestimmen den sozialen Rahmen, in dem sich Akteure für ihre Handlungen ent-
scheiden. Handeln findet immer in sozialen Situationen statt, in denen strukturelle
Bedingungen wirksam werden. Sie können die Handlungsoptionen erweitern oder
beschränken. Wichtig ist dabei aber, dass die Akteure diese Bedingungen jeweils
auf eine bestimmte Art wahrnehmen und mit daran ausgerichteten Handlungen
reagieren. Die Logik der Situation kann deshalb nicht auf allgemeiner Ebene theo-
retisch erfasst werden, weil immer unterschiedliche strukturelle Rahmenbedingun-
gen spezifische Handlungswahlen erzeugen (vgl. Schimank 2000: 25).
Die Auswahl einer Handlung auf Grundlage dieser Randbedingungen nennt
Esser die Logik der Selektion (vgl. Esser 1993). Er benutzt zur Erklärung den Rati-
onal-Choice-Ansatz. Der Kern rationalen Handelns wird folgendermaßen bezeich-
net: „Strebe nach Dingen, die möglich und zuträglich sind; und meide ein Handeln,
das undurchführbar und/oder schädlich ist.“ (Esser 1999: 257). Der rational han-
delnde Akteur führt, wie bereits erwähnt, bei der Auswahl seiner Handlungsoptio-
nen eine Kosten-Nutzen-Analyse durch und schätzt den Gewinn seiner Hand-
lungsfolgen ein. Durchgeführt wird dann jene Handlung, die mit der größten
Wahrscheinlichkeit einen Gewinn verspricht. Esser ist der Meinung, dass die ratio-
nale Handlungstheorie als Erklärung für alle Handlungen genutzt werden kann.
Selbst wenn die Auseinandersetzung mit einer Situation auf irrationalem Weg er-
folgt, ist die Wahl der Handlung stets rational, weil das Individuum immer die für
sich günstigste Handlungswahl trifft (vgl. ebd.: 204).
Darüber hinaus führt Esser in seinem Modell eine weitere Möglichkeit der
Vermittlung zwischen Mikro- und Makroebene ein. Ihm ging es vorrangig um die
Ungenauigkeit bei der Bestimmung der Handlungsperspektive, die oft schon eine
kollektive Komponente beinhaltet.14 Diese Komponente nennt er die Mesoebene
14 Wie z.B. bei der Rekapitulation von Max Webers Studie „Die Protestantische Ethik und der Geist
des Kapitalismus“, die David McClelland in das berühmte Badewannenmodell übersetzte (vgl.
McClelland 1961: 47ff.). Auf der Mikroebene ist der gesamte Bereich der familialen Sozialisation
festgehalten, um die Vermittlung kapitalistischer Werthaltungen aus protestantischen Familien ab-
zuleiten. Die Sozialisation ist genau genommen kein wirklich mikrotheoretischer Aspekt, da es
sich hier um Interaktionssysteme handelt, die mehrere Akteure einschließt. Es ließe sich aus dem
Sozialisationsaspekt noch eine Ebene tiefer gehen, um das Handeln der einzelnen Akteure zu ana-
lysieren.
62 Individualisierung und Optionenvielfalt
der soziologischen Erklärung. Die Mesoebene beschreibt soziale Gebilde, die ganz
allgemein als Interaktionssysteme bezeichnet werden, welche wiederum in weitere
umfassendere Systeme eingebunden sind. Sie unterstehen genau wie Einzelakteure
den Einflüssen der sozialen Bedingungen, unterscheiden sich aber als Gesamtheit
von den Handlungen der einzelnen Akteure. Dies kann „als aggregierte Folge des
situationsorientierten Handelns von Akteuren“ (Esser 1993: 112) erklärt werden.
Soziale Gebilde sind demnach komplexer und können nur verstanden werden,
wenn die Handlungsweisen der einzelnen Akteure nachvollzogen worden sind.
Für die hier angestrebte Mikrofundierung der Individualisierungstheorie sind
soziale Gebilde als Einflussfaktoren auf der Mesoebene relevant. Dabei werden sie
im Folgenden als Interaktionszusammenhänge verstanden, in welche die Indivi-
duen eingebettet sind. Ihre Entstehung, die sich aus der Logik der Aggregation
ergibt, ist hier nicht relevant. Die Einbindung in solche Interaktionszusammen-
hänge hat Einfluss auf die Deutung der Realität und die Handlungsmotive der
Individuen. Jeffrey Alexander kennzeichnet die beiden Aspekte des Handelns als
Interpretation und Strategisierung (Alexander 1993: 210). Handeln ist immer bei-
des. Interpretation setzt sich dabei aus Typisierungen und Erfindungen zusammen.
Typisierungen sind durch Sozialisation und damit durch Interaktion verinnerlichte
Klassifikationsschemata. Gleichzeitig findet ein Prozess der Veränderung der Rea-
lität statt. Da „(...) jede nachfolgende Repräsentation der Realität eine vergangene
Generalisierung mit einem neuen Objekt in Kontakt bringen muss, entsteht immer
etwas Andersartiges, wird in jedem nachfolgenden Begreifen der Realität etwas
Neues erfunden.“ (ebd.: 210). Interpretation mit ihren beiden Momenten der Typi-
sierung und Erfindung dient der Reduktion von realweltweltlicher Komplexität
und ermöglicht damit erst ein Verstehen der Welt. Strategisierung zielt auf das
bewusste Einwirken in die Welt ab. Beides vollzieht sich innerhalb sozialer Ge-
bilde.
Mit dem Ansatz von Alexander kann die hier angestrebte Mikrofundierung ge-
nauer gefasst werden. Die soziale Situation wird als Interaktionszusammenhang
konzipiert, der die Handlungsmotive der Individuen direkt beeinflusst. Diese Inter-
aktionszusammenhänge bilden den Rahmen, in dem sich Optionenvielfalt dem
Individuum präsentiert. Darüber hinaus wirken diese Interaktionszusammenhänge
auf die Logik der Selektion. Als Logik der Selektion wird in der hier erarbeiteten
Theorie nicht die Durchführung einer Handlung im klassischen Sinne betrachten,
sondern die Zielsetzungen bzw. Motivationen, die im Rahmen der Selbstverwirkli-
chung entwickelt wurden. Für die Logik der Aggregation wird vorausgesetzt, dass
die Zielsetzungen als solche präsentiert werden müssen und die Erfahrungen mit
den so gesammelten Rückmeldungen in eine bestimmte Ordnung gebracht werden
müssen. Mit dieser Präsentation der Zielsetzungen, macht das Individuum sich
demnach von Anerkennungsleistungen abhängig. Insofern nehmen soziale Aner-
kennungsakte Einfluss auf die Identitätsbildung. In dem erzeugten Zusammenwir-
Individualisierung und Optionenvielfalt 63
ken der individuellen Zielsetzungen mit der Absicht einer Identitätsstabilisierung ist
dieser Schritt als ein intraindividueller Akt der Bewertung dieser Anerkennungsakte
zu verstehen. Er mündet in einer Stabilisierung der Identität. Mit dieser Definition
einer Mikrofundierung kann geklärt werden, welche Zielsetzungen dem Umgang
von Optionen zugrunde liegen und welche Anerkennungsmechanismen zu einer
Stabilisierung der präsentierten Zielsetzungen im Rahmen der Identitätsbildung
führen.
Analog zu Essers Mikro-Makro-Modell, ergeben sich für die handlungstheore-
tische Fundierung von Individualisierung folgende Zusammenhänge auf der Mik-
roebene des Handelns:
Optionenvielfalt Identitätsbildung
Indirekter Effekt
Interaktions- Anerkennungs-
zusammenhänge beziehungen
nächsten Wahl von Optionen als indirekter Sozialisationseffekt mit, so dass die
Logik der Situation nicht nur durch Bedingungen der Optionenvielfalt, sondern
auch durch die Lerneffekte der Anerkennung hinsichtlich der Identitätsbildung
geprägt ist.
Damit sind die Elemente für die hier zu entwickelnde Theorie zusammenget-
ragen worden. Der Umgang mit Optionenvielfalt wird als Problem auf handlungs-
theoretischer Ebene geklärt. Das zentrale Vorhaben der Analyse liegt darin, die
Zielsetzungsstrategien herauszuarbeiten, durch welche die Wahl von Hand-
lungsoptionen verstanden werden kann. Die Zielsetzungen entwickeln sich unter
Berücksichtigung der sozialen Situationsbedingungen, d.h. durch die Einbindung in
Interaktionszusammenhänge. In einem nächsten Schritt leiten sie das Handeln
unter individualisierten Bedingungen an und spiegeln so das Streben nach Selbst-
verwirklichung mit dem Ziel der Identitätsbildung wieder. Damit kennzeichnet die
individualisierte Handlungstheorie zwei soziale Aspekte der sozialen Situationen:
die Ausbildung von Zielsetzungsstrategien vor dem Hintergrund allgemeiner Opti-
onenvielfalt und die Stabilisierung sozial präsentierter Zielsetzungen durch Aner-
kennungsmechanismen.
Der Einfluss der sozialen Gebilde auf die Zielsetzungen und die Identitätsbil-
dung kann dabei unterschiedlich erfasst werden. Die Reichweite hängt von der
Theorieperspektive ab. Es macht demnach einen Unterschied, ob die soziale Situa-
tionsdefinition vor dem Hintergrund einer Zeitdiagnose, einer Gesellschaftstheorie
oder einer Sozialtheorie erfolgt.
Eine Zeitdiagnose ist durch eine Perspektive gekennzeichnet, bei der ein As-
pekt zum Ankerpunkt der Analyse diverser Zusammenhänge ausgearbeitet wird.
Auf die Art bringt die Soziologie in Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaft-
lichen Entwicklungen kontinuierlich neue Erklärungsansätze hervor. Zu den be-
rühmtesten in den letzten 20 Jahren gehören, wie bereits erwähnt, die Zeitdiagnose
der Risiko- (vgl. Beck 1986), der Erlebnis- (vgl. Schulze 1992), und der Multiopti-
onsgesellschaft (vgl. Gros 1994). Sie stellen den jeweils gewählten Gesellschaftsbe-
griff in Verbindung mit neuen Mechanismen der Wechselwirkung zwischen struk-
turellen Veränderungen und individuellen Handlungsfreiheiten und -zwängen. Sie
zeichnen sich deshalb vor allem durch eine kritische Betrachtung zukünftiger ge-
sellschaftlicher Entwicklungen aus. Insgesamt sind sie eindimensional in ihrer ana-
lytischen Perspektive, können aber gerade durch die Konzentration auf ein Erklä-
rungselement interessante Abhängigkeiten zwischen Handeln und Struktur offenle-
gen.
Gesellschaftstheorien arbeiten dagegen mit komplexeren Erklärungsmodellen.
Sie haben den Anspruch eine umfassende Gesellschaftsanalyse zu entwerfen. Sie
wollen also nicht nur aktuell wirksame Einflussmechanismen auf das individuelle
Handeln untersuchen, sondern das Funktionieren ganzer Gesellschaften erklären.
Dabei richtet sich ihr Hauptaugenmerk auf die moderne Gesellschaft und konzent-
Individualisierung und Optionenvielfalt 65
riert sich auf ihre Produkte, wie z.B. das Verhältnis von Individuum und Gesell-
schaft, die soziale Ungleichheit und die Mechanismen der Modernisierung. Grund-
legend für eine Gesellschaftstheorie ist die Herausarbeitung der historischen Be-
sonderheiten der zu untersuchenden Gesellschaft. Als Gesellschaftstheorien kön-
nen die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, die struktur-funk-
tionale Theorie von Parsons, die Theorie der Strukturierung von Giddens und die
Habitus-Feld-Theorie von Bourdieu bezeichnet werden.
Sozialtheorien beanspruchen dagegen überhistorische Gültigkeit und dienen
vor allem der Klärung grundlegender Begriffe wie z.B. Handeln und Ordnung (vgl.
Joas/Knöbl 2004: 37). Der Abstraktionsgrad ist hier am größten. Beabsichtigt wird
die Beschreibung von Phänomenen, die auf jede Art der Sozialität bezogen werden
können (vgl. Lindemann 2005: 45). Die bekanntesten sozialtheoretischen Ansätze
sind die von Max Weber, Talcott Parsons, Niklas Luhmann und Hartmut Esser.
Oft enthalten jedoch auch Gesellschaftstheorien sozialtheoretische Erklärungsele-
mente.
Da Zielsetzungen in dieser Arbeit als neues Handlungsmotiv herausgearbeitet
werden, erfolgt die Argumentation auf einer sozialtheoretischen Ebene, d.h. ohne
eine Spezifikation des indirekten Einflusses durch Erfahrungen mit sozialer Aner-
kennung in der Logik der Situation. Vorausgesetzt wird dabei lediglich eine Situa-
tion der Optionenvielfalt, die sich den Individuen als Störung des Alltags präsentie-
ren und damit eine Interpretation der Situation verlangen. Diese sind geprägt durch
eine Strategisierung, in deren Rahmen konkrete handlungsleitende Zielsetzungen
für die Bewertung und Aneignung der Option relevant werden. Dies entspricht der
Logik der Selektion. Das Ziel der sozialtheoretischen Auseinandersetzung besteht
in der Klärung der Frage, welcher Art diese Zielsetzungsstrategien sein können, um
Handeln unter Bedingungen der Optionenvielfalt anzuleiten sowie die Wahl be-
stimmter Optionen plausibel zu machen.
Der so verstandene Handlungsantrieb wird in einem nächsten Schritt auf ge-
sellschaftstheoretischer Ebene konkretisiert. Dabei geht es vor allem darum, die
Einflüsse gesellschaftlicher Strukturen auf die Stabilisierung dieser Zielsetzungen
zu erfassen. Hierbei wird plausibel gemacht, dass die Zielsetzungen im Rahmen des
selbstverwirklichenden Umgangs mit Optionenvielfalt in erster Linie dazu dienen,
Identität zu stabilisieren. Dies geschieht nach soziologischem Verständnis in einem
sozialen Raum. Voraussetzung dafür ist die Präsentation der Zielsetzungen. Die
daraufhin einsetzenden Rückmeldungen werden hier als Akte der Anerkennung
erfasst. Sie sind Effekte der Einbettung in soziale Interaktionszusammenhänge, die
als Meso-Ebene von Esser und Alexander beschrieben wurden. Die Vermittlung
von Anerkennung stabilisiert die Strategien durch positive Rückmeldungen. Beab-
sichtigt wird also eine Beleuchtung der unterschiedlichen Anerkennungsakte der
geäußerten Zielsetzungen im Hinblick auf ihre identitätsstabilisierende Wirkung,
um damit die Logik der intraindividuellen Aggregation zu erfassen. Die Wirkmacht
66 Individualisierung und Optionenvielfalt
der Anerkennung wird dabei vor dem Hintergrund von kulturellen Leitbildern der
Moderne konzeptionalisiert.
Auf Grundlage der zuvor ausgearbeiteten Individualisierungsschübe soll ab-
schließend eine Konkretisierung der sozialen Einflussfaktoren für den aktuellen
Individualisierungsschub vorgenommen werden. Hierzu wird auf zeitdiagnosti-
scher Ebene argumentiert. Dabei werden veränderte Kennzeichen der Logik der
Situation im Sinne eines aktuellen kulturellen Leitbildes herausgearbeitet, wodurch
Veränderungen in der Umgangsweise mit Zielsetzungsstrategien aufgezeigt werden
können. Diese werden darüber hinaus im Hinblick auf sich ebenfalls verändernde
Anerkennungsverhältnisse untersucht, woraus Einflussfaktoren für eine veränderte
Identitätsbildung abgeleitet werden. Gleichzeitig wird hier plausibel gemacht, wie
durch diese neuen Anerkennungsverhältnisse wiederum die Ausbildung neuer
Zielsetzungen beeinflusst wird. Damit wird der zweite Aspekt der sozialen Situa-
tion auf zeitdiagnostischer Ebene genauer gefasst.
Insgesamt kann mit diesem Ansatz die handlungstheoretische Lücke der Indi-
vidualisierungstheorie geschlossen werden. Wobei mit einer sozialtheoretischen
Fundierung grundsätzlicher Zielsetzungsstrategien ebenfalls eine Erweiterung bis-
heriger handlungstheoretischer Konzeptionen erreicht wird, da diese Zielsetzungen
als allgemeiner Handlungsantrieb gefasst werden. Sie sind grundlegender als die
spezifischen Handlungsmotive z.B. eines rational handelnden oder normenorien-
tierten Akteurs. Darüber hinaus stellt die anerkennungstheoretische Untersuchung
der im Rahmen der Selbstverwirklichung präsentierten Zielsetzungen eine Neue-
rung im Bereich der Anerkennungstheorie dar, da hierzu erstmals vor dem Hinter-
grund konkreter Situationsbedingungen argumentiert wird. Bisher wurden Aner-
kennungsbeziehungen mit einem sozialtheoretischen bzw. -philosophischen Fokus
analysiert, d.h. ohne Ausarbeitung der konkreten Inhalte der Anerkennungsbezie-
hungen.
2 Anspruchshaltungen als
Selbstverwirklichungsstrategie
Der Umgang mit Optionenvielfalt wird für die Erklärung des Selbstverwirkli-
chungsstrebens der Individuen zu einem theoretischen Problem. Was von den Indi-
vidualisierungstheoretikern sporadisch als Spagat zwischen Chance und Risiko und
einer dazwischen liegenden Dramatik alltäglicher individueller Entscheidungsfrei-
heiten bezeichnet wird, ist aus sozialtheoretischer Perspektive eine wesentlich
grundsätzlichere Problematik. Hierbei geht es um die Klärung der Frage, welche
Zielsetzungsstrategien die Wahl von Optionen steuern und wie deren Ausbildung
im Rahmen von Selbstverwirklichung im Einzelnen verläuft. Dazu bedarf es be-
grifflicher Bestimmungen, in denen die Zielsetzungen als Handlungsmotiv unter
sozialen Situationsbedingungen greifbar werden.
Dieses Kapitel beschäftigt sich daher mit einer näheren Bestimmung des Um-
gangs mit Optionenvielfalt. Dabei geht es insbesondere um folgende Fragen: Auf
welcher Grundlage wählt das Individuum verfügbare Optionen aus? Wie werden
daraus handlungsleitende Zielsetzungen? Zur Beantwortung dessen werden An-
spruchshaltungen als Zielsetzungen bestimmt. Sie sind Grundlage der Bewertung
von Optionen und drücken sich in Forderungen aus, die bereits im vorherigen
Kapitel als Kennzeichen der Individualisierung herausgestellt wurden.
Gesellschaften, die von Ansprüchen erhebenden Individuen geprägt sind, ha-
ben im Hinblick auf Freiheit und Autonomie den Höhepunkt ihrer individualisti-
schen Entwicklung erreicht. Eine Gesellschaft, welche die Ansprüche ihrer Bürger
ernst nimmt, macht deren Selbstbestimmung zum Programm und ermöglicht
Selbstverwirklichung in seinem allumfassenden Sinn. Ansprüche stellen souveräne
Individuen mit Blick auf ihre eigene Zukunft. „Der Anspruch ist nicht Dank und
Dienst am Vorhandenen, sondern Griff ins selbstbestimmte Morgen.“ (Deichsel
1985: 23). Mit diesem Ausgangspunkt ist eine nähere Bestimmung des Anspruchs,
seiner Funktion für das Individuum und Ausdrucksweise auf gesellschaftlicher
Ebene ein vielversprechender Weg, um die Logik zwischen Optionenvielfalt und
Optionenwahl sozialtheoretisch zu beleuchten.
Erste Anregungen dazu liefert Niklas Luhmann mit seinem Konzept einer an-
spruchsgeleiteten Identitätsentwicklung. Er arbeitete aus, dass Anspruchshaltungen
auf handlungstheoretischer Ebene die Zielsetzungsdynamik zwischen verfügbarer
einem anderem ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ (nach § 194 I BGB). Es
handelt sich also um Forderungen, die sich an jemand anderen richten und über
deren Berechtigung jeweils durch eine entsprechende Prüfung der Rechtslage ent-
schieden wird. Ein Anspruch ist somit eine durch den Rechtsentscheid legitimierte
Forderung.
In der ursprünglich psychologischen Verwendungsweise ist ein Anspruch eine
Leistungsmotivation. Hierbei wird der Anspruch als Prätention definiert. Ansprüche
sind als rein kognitive Zielsetzungsmechanismen beschrieben. Diese Zielsetzung
entsteht auf Grundlage von antizipierten Handlungsfolgen, wobei die Vermeidung
von Misserfolg als Antrieb herausgestellt wird. Dadurch erhält das individuelle Leis-
tungsstreben einen subjektiven Antrieb, der gleichzeitig als Bewertungsgrundlage
dient und so das Erfolgs- und Misserfolgserleben beeinflusst (vgl. Hoppe 1930).
In der soziologischen Literatur werden Anspruchshaltungen eher bedürfnisthe-
oretisch konzeptionalisiert. Ansprüche entspringen individuellen Wünschen und
äußern sich in Forderungen (vgl. Gehrmann 1985; Herbert 1992; Klages 1992;
Luhmann 1995). Durch diese Definition wird die Verwendung des Begriffs vor
allem im Hinblick auf die unscharfe Abgrenzung zur Erwartungshaltung problema-
tisch. Beide enthalten eine gewisse Zielsetzungsdynamik, doch lassen sie sich bei
näherer Betrachtung voneinander unterscheiden. „Erwartungen sind zunächst
nichts weiter als gedankliche Assoziationen über einen selektiven Zusammenhang
zwischen Ereignissen und Sachverhalten aller Art.“ (Esser 2000: 69). Sie werden
aufgebaut, um zukünftige Entwicklungen abzuschätzen und sind deshalb eine psy-
chische Vorwegnahme des Eintretens eines bestimmten Zielzustandes (vgl. Heck-
hausen 2006: 128). Sie dienen so gesehen der Abschätzung von Handlungsfolgen.
„In der Regel bezieht sich eine Erwartung auf den wahrgenommenen Zusammen-
hang zwischen der eigenen Handlung und den sich daran anschließenden Ereignis-
sen, die für den Handelnden einen positiven oder negativen Wert darstellen.“
(Schmalt/Heckhausen 1985: 82).
Erwartungen sind also für das Individuum ein Element zur Analyse von Hand-
lungskonsequenzen, die sich aus ihrer Antizipation ermitteln lassen. Werden diese
Erwartungen mit der Realität konfrontiert, führen sie demzufolge zu einer Enttäu-
schung oder zu einer Bestätigung für die Richtigkeit der eigenen Handlung. Eine
Erwartungshaltung kann aber auch in Bezug auf einen Zielzustand aufgebaut wer-
den, der das eigene Zutun unberücksichtigt lässt und sich nur auf äußere Bege-
benheiten oder auf die Handlungen anderer bezieht (vgl. Heckhausen/Heckhausen
2006: 128). Sie ist damit eine nichtbewertende Wahrnehmung. Eine Erwartung kann
somit
„(...) auf eine eher unspezifische und allgemeine, mit Hoffnungen und Befürchtungen durchsetzte
Zukunftswahrnehmung und -einschätzung abzielen. (...) Man ‚erwartet’ einerseits im Sinne einer
subjektiven Zukunftswahrnehmung, dass gewisse Ereignisse, Entwicklungen eintreten werden. An-
70 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
dererseits ‚erwartet’ man im Sinne einer Forderung von einer Person oder Institution, dass etwas
getan wird.“ (Herbert 1983: 3).
Daraus wird ersichtlich, dass der Begriff Erwartung zwei weitere Aspekte beinhaltet.
Günter Wiswede teilt diese beiden Dimensionen in antizipative und normative
Erwartungen. Eine antizipative Erwartung ist z.B. die Hoffnung auf schönes Wetter
oder Glück. Eine normative Erwartung wäre z.B. die Erwartung an mehr Leistung
bezogen auf eine berufliche Position beispielsweise, wie sie auch in der Rollentheo-
rie Anwendung findet.
„Wenn auch beide Erwartungstypen analytisch streng voneinander getrennt werden müssen, sind in
den meisten Fällen doch antizipative und normative Erwartungen miteinander verknüpft, indem
meist solche Sachverhalte antizipiert werden, die einer sozialen Regelung unterliegen.“ (Wiswede
1980: 119).
Der Unterschied zum Anspruch lässt sich zu allen drei Elementen von Erwartun-
gen bestimmen. Zum einen kommen Erwartungen ohne konkreten Handlungsvoll-
zug aus. Sie umfassen zwar – genau wie Ansprüche – das Moment der Analyse
möglicher Konsequenzen und deren Bewertung, münden aber nicht in Forderun-
gen. Erwartungen sind, auch wenn sie normativer Art sind, ein rein kognitives Ele-
ment. Sie müssen nicht kommuniziert werden, was bei Ansprüchen zwingend ist.
Deshalb können Erwartungen zwar Enttäuschungen hervorrufen, sie sind aber
nicht so stark an den Handlungsvollzug gebunden, als dass sie Enttäuschungen
entgegenwirken könnten. Ansprüche bezeichnen im Gegensatz dazu ganz konkrete
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 71
Grundlegend für die folgende Argumentation ist die Vorstellung, dass Ansprü-
che einen Sondierungsmechanismus darstellen, der die Selbstverwirklichung als
Ganzes anleitet. Ansprüche entwickeln sich vor dem Hintergrund der Zukunftsof-
fenheit des Lebens und erfüllen den Zweck der Selbstbindung. Damit machen sie
Selbstverwirklichung erst möglich. Infolgedessen wirken sie im Dickicht der Vielfalt
an Handlungsrechten, Handlungsangeboten und Deutungsangeboten als Sondie-
rungselement und beschränken die Wahrnehmung. Durch den Rekurs auf den aktu-
ellen Stand der Selbstverwirklichung, d.h. unter Berücksichtigung der sozialisatori-
schen Prägung und den bisher unternommenen Entwicklungsschritten, werden nur
bestimmte Optionen als Handlungs- bzw. Deutungsmöglichkeiten für die Zukunft
ermittelt. Die Aneignung von und die Identifikation mit Optionen erfolgt daraufhin
über die Einbindung in Ansprüche. Infolgedessen leiten sie als Zielsetzung das
Selbstverwirklichungsstreben an. In diesem Sinne sind Ansprüche die Bewertungs-
grundlage vorhandener Optionen und fungieren als Zielsetzungsstrategie und sind
damit ein Mechanismus der Optionsaneignung. Gleichzeitig dienen Ansprüche
hierbei der Erarbeitung einer Zukunftsperspektive und erzeugen damit Selbstbin-
dung im Rahmen der Selbstverwirklichung.
Vor diesem Hintergrund können auf der Bewusstseinsebene an dieser Stelle be-
reits drei Funktionen von Ansprüchen voneinander unterschieden werden. Ein
bewusstseinsbasierter Aspekt des Anspruchs entspringt, wie bereits in der Begriffs-
definition angeklungen, der bedürfnistheoretischen Betrachtung. Hierbei geht es um
die Ausbildung von Wünschen, aufgrund dessen Optionen bewertet und angeeignet
werden und dann in Ansprüchen als Forderung münden. Diese Forderungen bezie-
hen sich auf Ressourcen und Leistungen, wobei in diesem Kapitel nur diejenigen
berücksichtigt werden sollen, die für die Selbstverwirklichung benötigt werden. Mit
der bedürfnistheoretischen Argumentation ist die Annahme eines Berechtigungs-
glaubens verbunden. Dieser entwickelt sich für die Individuen auf Grundlage der
Auseinandersetzung mit Rechten. Die konkrete Ausformung dieses Berechtigungs-
glaubens muss deshalb auf gesellschaftstheoretischer Ebene untersucht werden. Die
individualisierte Gesellschaft ist hierauf aufbauend durch eine kontinuierliche Aus-
weitung individueller Rechte gekennzeichnet, weshalb das Anspruchsdenken gerade
in dieser Sphäre gehäuft auftritt.
Ein zweiter Aspekt der Anspruchsbildung, der für die Erklärung von Selbstver-
wirklichung wichtig ist, kann aus der vorgestellten motivationspsychologischen
Perspektive abgeleitet werden. Hierbei wird mehr Betonung auf die Antriebsfunk-
tion von Anspruchshaltungen gelegt. Die Thematisierung dessen findet im Rahmen
von Leistungsforderungen statt, die die Individuen Ansprüche an sich selbst richten.
Die Motivation für einen solchen Selbstanspruch ist eine intrinsische Leistungsfor-
derung. Diese Art der Selbstansprüche sind leistungsbasierte Zielsetzungen, die
nicht auf eine äußere Berechtigungsgrundlage angewiesen sind. Im Rahmen des
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 73
Wie bereits im vorherigen Abschnitt angedeutet, vollzieht sich die Ausbildung von
Ansprüchen in der Auseinandersetzung mit verfügbaren Optionen, der eigenen
Identität und der Bewertung von Erfüllungsmöglichkeiten. Im Folgenden soll es
nun um die nähere Bestimmung der dritten Funktion von Ansprüchen für das Indi-
viduum und sein Selbstverwirklichungshandeln gehen. In erster Linie fungieren
Ansprüche hier als kognitive Orientierungshilfe im Umgang mit Optionenvielfalt
unter der Perspektive der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten und -wünsche. Diese
Form der Anspruchshaltungen ist in der soziologischen Literatur nur am Rande
diskutiert worden. In vielen individualisierungstheoretischen Arbeiten stecken aller-
dings Hinweise, die bei näherer Betrachtung diese Art der Selbstansprüche zum
Thema haben. Mit Sicht auf das Individuum als Handlungszentrum, das Selbstrefle-
xion betreibt und eigeninitiativ seine Biographie gestaltet, argumentieren die Auto-
ren letztendlich mit internen Selbstansprüchen, die beschreiben, was das Indivi-
duum sein will, ohne dies genauer zu benennen.
In der vorliegenden Arbeit wurden als Voraussetzungen für eine handlungsthe-
oretische Fundierung der Individualisierungstheorie die Wahrnehmung von und
eine spezifische Umgangsweise mit Optionen bestimmt. Die Ausbildung von Seins-
forderungen ergibt sich aus der bereits von den Individualisierungstheoretikern
herausgestellten Problematik einer zukunftsoffenen Identität. Optionen werden von
den Individuen gewählt, um die eigene Identität zu gestalten. Diesen Ausgangs-
punkt wählt auch Niklas Luhmann für seine Perspektive auf Anspruchshaltungen
und ihre Funktion für Selbstverwirklichung. Für ihn sind moderne Gesellschaften
74 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
15 Dass Individualitätsherstellung überhaupt zur eigenen Aufgabe wird, ist Folge ihrer gesellschaftli-
chen Exklusion (vgl. Luhmann 1993). Individualität hat in gesellschaftlichen Funktionssystemen
keine Aufgabe zu erfüllen und spielt deshalb nur in psychischen Systemen eine Rolle.
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 75
damit immer das noch zu Erreichende (Luhmann 1995: 134).16 Die heute unbefrie-
digende Reflexionsidentität wird durch eine Anspruchsindividualität ersetzt. Damit
hat Luhmann analytisch eine klarere Konsequenz aus dem Vorhandensein von
Optionenvielfalt gezogen und geht mit seinem Konzept über die Deskription der
Identitätsarbeit der Individualisierungstheoretiker hinaus.
In der Ermittlung des Anders-Sein-Könnens stecken die Abgrenzung vom
Momentanen und ein Vorgriff auf das noch Kommende. Hier zeigt sich die eigent-
liche Funktion des Anspruchs als Zielsetzungsdimension. Das Individuum ermittelt
Veränderungsmöglichkeiten für sich selbst, wählt diese und schreibt sie in einem
Anspruch fest. Individualität wird aus einem durch Selbstreflexion erkundeten Ist-
Zustand und in ihrer Überschreitung zu einem Soll-Zustand wieder fassbar. Luh-
mann leitet daraus eine veränderte Selbstbeschreibung ab. Mit dem Anspruch wer-
den Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung ergriffen. „Im Geltendmachen eines
Anspruchs orientiert es sich an einer Differenz zwischen dem, was momentan be-
steht und dem, was sein soll, hergestellt werden soll, erreicht werden soll; und es
kann sich dann mit seinem Anspruch identifizieren.“ (Luhmann 1995: 134).
Der Umgang mit den auf diesem Weg ermittelten Möglichkeiten ist Bestandteil
der sogenannten Mentalisierungsfähigkeit des Individuums. Mentalisierung meint in
der Sozialpsychologie den „Prozess, durch den wir erkennen, dass unser Geist un-
sere Wahrnehmung vermittelt.“ (Fonagy et al. 2004: 10). Als mentaler Zustand
werden alle geistig-seelischen Befindlichkeiten wie Gefühle, Wünsche oder Über-
zeugungen bezeichnet. Mentalisierung meint das Inbeziehungsetzen von inneren
Zuständen und Handlungsantrieben oder -ergebnissen.
Problematisch an wird Luhmanns Konzeption dann aber deshalb, weil er zwi-
schen Zielsetzungen und Forderungen unterscheidet. Nur Forderungen sind bei
Luhmann Ansprüche. Zielsetzungen dienen dem Abbau der Ist/-Soll-Differenz und
Forderungen dem Abbau der Selbstsystem/Umwelt Differenz. Der Abbau der
Selbstsystem/Umwelt-Differenz folgt der Semantik der Erfüllung/Nichterfüllung.
Dieser Abbau der Selbstsystem/Umwelt-Differenz erfolgt durch an die Umwelt
gerichtete Forderungen. „Ansprüche leben davon, dass man sie nicht selbst negie-
ren muss. Sie sind nach außen adressiert und werden dort abgelehnt oder doch in
ihre Grenzen verwiesen.“ (Luhmann 1993: 244). Nur durch diese Erfüllung oder
Nichterfüllung von Ansprüchen kann das Individuum Erfahrungen über sich selbst
machen. Luhmann geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, dass das Streben
nach Selbstverwirklichung nur im Fremdanspruch existent ist, denn sobald ein
Anspruch erfüllt wurde, löst sich die Differenzerfahrung zwischen System- und
Umwelt auf. In Luhmanns Logik müsste dann sofort ein neuer Anspruch zum Ab-
16 Luhmann vertritt die Auffassung, dass sein Konzept des Anspruchsindividualismus stärker mit
dem gesellschaftlichen Leben verklammert zu sein scheint als das herkömmliche Konzept des
Identitätsindividualismus (vgl. Luhmann 1993: 251f.). Er beklagt aber auch, dass hierfür kein spezi-
fisch soziologischer Begriff entwickelt wurde.
76 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
Theorie nur deshalb ausgebildet, um von anderen erfüllt zu werden. Sie dienen
dazu, Erfahrungen über sich zu sammeln und haben so keinen selbstverpflichten-
den Charakter, können damit also nicht an sich selbst adressiert werden, um die
Zukunft zu planen. Dies ist für die Entwicklung der Identität aber Grundvorausset-
zung. Die Individuen müssen sich hier quasi selbst in die Pflicht nehmen, nach
bestimmten Dingen zu streben. Sie sind Anspruchsstelleende und Ansprucherfül-
lende zugleich.
Vor diesem Hintergrund kann diese Form des Anspruchs als Seinsforderung
bezeichnet werden, die vor allem als Selbstforderung an die eigene Person adressiert
wird. Daraus folgt, dass die Luhmannsche Trennung des Anspruchs und der Karri-
ere mit ihrer Leistungs- und Erfolgs- bzw. Misserfolgssemantik hier nicht aufrecht-
erhalten wird. Es ist zwar einzusehen, dass ein Anspruch auf eine Karriere als Folge
von aufeinander aufbauenden Ereignissen nicht möglich ist, da durch das Moment
des Glücks ein Risiko besteht, das man mit seinen Ansprüchen nicht aufheben
kann. Allerdings können Ansprüche als Zielsetzung auch als Überschreitung des
bisher Erreichten wirksam werden ohne dass damit gleich eine ganze Karrierevor-
stellung abgebildet wird. Die Auseinandersetzung mit den selbst gesetzten Ziel-
vorgaben entspringt aber demselben Prinzip des Abbaus der Vorher/Nachher-Dif-
ferenzen. Diese werden in der Selbstforderung aufgelöst und dann als Zielsetzung
für die Selbstverwirklichung handlungsleitend.
Damit ist ein anderer Aspekt verbunden, der die Folgen einer anspruchsgelei-
teten Identitätsbildung beschreibt. Das Individuum muss sich mit einem Anspruch
identifizieren, bevor es sich mit diesem zum Zweck der Anerkennung an die Um-
welt wendet, d.h. in diesem Fall, sich anderen gegenüber mit seinen Ansprüchen als
selbstverwirklichende Person präsentiert. Ein so verstandener Anspruch steuert die
Wahl von Optionen. Ignoriert werden dadurch immer jene Optionen, die nicht zu
den eigenen Zielsetzungen passen. Dabei berücksichtigt das Individuum seine bis-
herigen Erfahrungen, bewertet seine Fähigkeiten und Potentiale. Nach der Wahl
einer Option muss jedoch eine Aneignung erfolgen. So wird die Option als An-
spruch für die Entwicklung der Identität handlungsleitend. Was die Individuen aus
den gewählten Optionen tatsächlich machen, wird erst in ihren präsentierten Ans-
prüchen ersichtlich. Ansprüche stellen demnach keine bloße Übernahme von gesell-
schaftlichen Identifikationsangeboten dar, sondern sind Ergebnis einer bewertenden
Auseinandersetzung. Dieses Selbstbindungsmoment, das nur durch diese Form der
Identifikation mit einem Anspruch entsteht, wird bei Luhmann nicht berücksichtigt.
Bei Luhmann hat der Umgang mit Ansprüchen insgesamt etwas Spielerisches, im
Sinne eines Versuch- und Irrtumspiels zwischen Individuum und Gesellschaft, bei
dem die Identifikation zwar genannt, aber bei der Definition der anspruchsgeleite-
ten Identitätsentwicklung keine Rolle mehr spielt. Damit unterscheidet sich der
Umgang mit Ansprüchen letztendlich nicht mehr von Erwartungen, da sie hier nur
ein Abarbeiten an Erfüllungen und Nichterfüllungen beschreiben. Die Selbstbin-
78 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
dung stellt aber unter der Bedingung der Optionenvielfalt den wichtigsten Stabilisie-
rungsfaktor für Identitätsentwicklung dar. Nur so kann eine offene Identität durch
den Anspruch „etwas werden zu wollen“, beschrieben werden.
Diese Form der Selbstverpflichtung im Rahmen der Identitätsentwicklung wird
auch von Uwe Schimank als Kennzeichen moderner Identitätsentwicklung themati-
siert. Er trennt die handlungsleitende Zielsetzungsdimension der Selbstforderung in
zwei Bereiche. Zum einen gibt es den evaluativen Selbstanspruch (Schimank 2000:
123). In ihm drücken sich insgesamt die Vorstellungen darüber aus, wie eine Person
sein und leben will. Diese gehen in gewisse Selbstverpflichtungen über, die das
Handeln entlang konkreter Zielsetzungen anleiten. Diese Selbstansprüche sind
formulierte Lebensziele, die sich in der kognitiven Überschreitung des momentanen
Ist-Zustands ausdrücken. Ergänzt werden die evaluativen Selbstansprüche durch
„normative Selbstansprüche“ (ebd.: 124). Sie sind selbst gesetzte Sollensvorgaben,
„deren Nichteinhaltung die betreffende Person als Scheitern des eigenen Lebens
begreifen würde.“ (ebd.: 124). Dabei können gesellschaftliche Erwartungen in diese
Selbstansprüche einfließen, sie können aber auch abgelöst von ihnen auf rein indi-
viduelle Zielsetzungen zurückgehen.
Zusammenfassend sei an dieser Stelle festgehalten, dass Ansprüche als allge-
meine Zielsetzungen auf kognitiver Ebene auf Grundlage vorhandener Hand-
lungsoptionen in einer spezifischen Auseinandersetzung mit verfügbaren Optionen
und mit bisher gemachten Erfahrungen entstehen. Sie werden ausgelöst durch Dif-
ferenzerfahrungen, die sich daraus ergeben, dass unter Bedingung der Optionen-
vielfalt, Identität als offen definiert wird und die daraufhin entstehenden Selbstver-
wirklichungsbestrebungen durch einen selbstreflexiven Ist-Soll-Vergleich angesto-
ßen werden. Die so entstehenden Zielsetzungen steuern dann wiederum die Wahl
von Optionen und haben darüber hinaus die Funktion der Selbstbindung, weil sie
klar stellen, was im Rahmen der Selbstverwirklichung angestrebt werden soll.
„(…) soziale Rechte auf die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu haben, ein
‚gesellschaftliches’ nach den jeweiligen gesellschaftlichen Maßstäben anerkennenswertes Leben zu
leben – die Mittel zur Verwirklichung ‚liberaler’ und ‚demokratischer’ Rechte zu haben“ (Forst
1996: 215).
Mit diesen Rechten sind bestimmte Pflichten verbunden. Zu ihnen zählt Marshall
im Konkreten die Zahlung von Steuern und Versicherungsbeiträgen und im Allge-
meinen, ein guter Bürger zu sein, der sein Möglichstes tut, um die soziale Wohlfahrt
abzusichern.
Das Prinzip der Wohlfahrt wird von Marshall als gesetzliches, soziales und mo-
ralisches Recht konzipiert. Im engeren Sinne bezieht sich Wohlfahrt auf bestimmte
Zahlungen oder Dienstleistungen und stellt eine Verbindung zwischen „materiellen
Mitteln und immateriellen Zielen“ (Marshall 1992: 95) her. Grundlage dieses Wohl-
fahrtskonzeptes ist die Armenfürsorge und die Sozialversicherung sowie – auf
Dienstleistungsebene – die Bildung und Gesundheit.
Diese Grundsicherung auf Bürgerrechts- und Wohlfahrtsebene stellt die Basis
für die Entwicklung des Leitbildes der Anspruchsgerechtigkeit dar. In dieser Sicht
auf die individuelle Anspruchshaltung bündelt sich also einerseits die Perspektive
des autonomen Individuums, das sich mit seinen Ansprüchen von den gesellschaft-
lichen Erwartungen emanzipiert, und andererseits eine Argumentation über die
Grenzen der anspruchsgeleiteten Selbstverwirklichung.
Für die hier verfolgte Funktionsbestimmung von Ressourcenforderungen im
Rahmen von Selbstverwirklichung können die Bürgerrechte und Wohlfahrtsrege-
lungen weiter spezifiziert werden. Die Bürgerrechte stellen eher eine Basis für die
ideelle und immaterielle Selbstverwirklichung dar, während wohlfahrtsstaatliche
Regelungen als Grundlage für die materielle Selbstverwirklichung zu betrachten
sind.
Ansprüche, die auf ideeller Ebene im Kontext der Ausweitung um Selbstbe-
stimmung entstehen, entwickeln sich vor allem in Folge von Kämpfen um rechtli-
che Anerkennung. Hierzu zählen alle Bemühungen von gesellschaftlichen Rand-
gruppen, die für die Ausweitung ihrer Autonomie mit ihren Ansprüchen sozial in
Erscheinung treten. Aus individualisierungstheoretischer Sicht dient dies der Aus-
weitung des Berechtigungsglaubens. Grundlage dafür ist die Feststellung einer wie
auch immer gearteten Diskriminierung, die sich aus dem Vergleich mit einer als
privilegiert wahrgenommenen Gruppe ergibt. Die grundlegende Form dieser ideel-
len Ebene der Selbstverwirklichung basiert auf Rechten in Bezug auf Bildung.
Ansprüche, die auf materieller Ebene der Selbstverwirklichung dienen, gründen
auf wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen wie z.B. Eingriffen in die Einkommensver-
teilung und Dienstleistungen im Rahmen der Gesundheitsversorgung, des Arbeits-
markts und des Wohnungswesens.
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 81
Alle drei Aspekte führen insgesamt dazu, dass der Einzelne als ein selbstver-
antwortlicher Träger von Ansprüchen, Rechten und Pflichten definiert wird (Kohli
1985). Formuliert er Ansprüche, ist er am Höhepunkt der Selbstbestimmung ange-
langt. Durch Anspruchsformulierungen dieser Art wird Selbstverwirklichung sozial
sichtbar, weil sie als konkrete Forderung an jemanden adressiert werden. Das Indi-
viduum tritt in eine andere Beziehung zur Gesellschaft, da es Ressourcen für sich
fordert. Artikulierte Forderungen können an alle gesellschaftlichen Teilbereiche
gerichtet werden. Die wichtigsten Bereiche sind Bildungsansprüche, Arbeits- und
Einkommensansprüche sowie Sozialansprüche, da sie als Grundpfeiler der indivi-
duellen Selbstverwirklichung fungieren. Sie werden deshalb in Wohlstandsgesell-
schaften, in denen die Grundsicherung des Lebens nicht mehr problematisiert wer-
den muss, zu einem Aspekt der Selbstverwirklichung und auf unterschiedlichen
Ebenen der Lebensplanung zu einem Mechanismus, der die persönliche Weiterent-
wicklung konkretisiert.
Aus differenzierungstheoretischer Sicht wird das Ausmaß der Ressourcenforde-
rungen mit dem Konzept der Publikumsrollen erfasst und soll hier herangezogen
werden, um die Art ihrer Ausprägung näher zu fassen (vgl. Burzan et al. 2008). Als
Publikumsrollen werden alle Formen des teilsystemischen Leistungsempfangs be-
zeichnet. Diese zur Verfügung gestellten Leistungen dienen der Inklusion und si-
chern die Teilhabe an den jeweiligen Sozialsystemen. Diese Publikumsrollen sind
auf allen Ebenen zu finden, z.B. im Bereich des Konsums, der Intimbeziehungen,
der Bildung, der Kunst oder der Religion. Die Publikumsrolle beschreibt hier z.B.
die Partizipation an Radio, Fernsehen oder Zeitungen, am Theater, Kino oder Kon-
zerten. Sie bezieht sich auf Wähler im Bereich der Politik, Patienten im Bereich der
Gesundheit, Schüler und Studenten im Bereich der Bildung. Kennzeichnend für
eine Publikumsrolle ist die aktive Forderung nach Leistungen. Der Rolleninhaber
bestimmt hierbei auf Grundlage seiner Bedürfnisse sowohl den Zeitpunkt als auch
Dauer und Frequenz der Leistungen (vgl. ebd.: 30). Dies kann ebenso indirekt er-
folgen, wie z.B. die Partizipation an Massenmedien dazu dient, Informationen aus
Wissenschaft, Kultur, Politik, Sport usw. zu bekommen. Am häufigsten werden im
Bereich des Konsums oder der Medien Leistungen gefordert, während Forderungen
an das Gesundheits- oder Rechtssystem im Vergleich seltener artikuliert werden.
Die Art der so gefassten Inklusion durch Leistungsempfang bestimmt wesentlich
die Lebensbedingungen und damit das Ausmaß der Selbstverwirklichung mit.
Selbstverwirklichung hängt somit insgesamt
17 Luhmann nennt diese Angebote, wie bereits dargestellt, „Anspruchsschablonen“ (Luhmann 1995:
140)
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 83
Diese Form des Anspruchs entspringt keinen Zielsetzungen, die das Werden der
Person thematisieren oder Bedürfnissen, die kennzeichnen, was man haben will,
sondern einer spezifischen Leistungsmotivation. Diese Art der leistungsbasierten
Selbstansprüche wird im Folgenden als an sich selbst gerichtete Leistungsforderun-
gen verstanden. Es handelt sich hierbei um Ansprüche, welche die eigene Leistungs-
fähigkeit betreffen und in der Leistungsmotivation auf vielerlei Art ihren Ausdruck
finden. Sie sind von selbstreflexiv erzeugten „kognitiven Selbsteinschätzungen“
(Schimank 2000: 125) gesteuert. „Diese betreffen die Fähigkeiten und Möglichkei-
ten einer Person, ihren evaluativen und normativen Selbstansprüchen gerecht zu
werden, sowie ihr faktisches So-Sein im Vergleich zum Sein-Wollen und Sein-Sol-
len.“ (ebd.). Sowohl Leistungsfähigkeit als auch -motivation sind dabei von Kon-
textbedingungen wie Gelegenheiten und Möglichkeiten beeinflusst.
Mit diesem Aspekt haben sich die Motivationspsychologen beschäftigt. In den
„Erwartungs-mal-Wert-Theorien“ wird mit dem sogenannten Konzept des An-
spruchsniveaus (vgl. Atkinson 1964; Heckhausen/Heckhausen 2006; Hoppe 1930;
Jones/Gerard 1967; Kirsch 1970; Lewin et al. 1944) gearbeitet, um das interne Ziel-
setzungsverhalten von Individuen und dessen Dynamik genauer erforschen zu
können. Es dient der Analyse des durch eine bestimmte Art von Leistungsmotiva-
tion geprägten Entscheidungsverhaltens. Geklärt werden soll, wie die Entscheidung
für eine als individuell angemessen empfundene Leistungsforderung getroffen wird.
Ferdinand Hoppe hat sich in seiner Studie „Erfolg und Misserfolg“ von 1930
mit diesen Fragen auseinandergesetzt.18 Sein vorrangiges Interesse galt der Dynamik
individueller Bewertungskriterien von Eigenleistungen. Er geht zwar genauso wie
die ressourcenbasierten Anspruchstheoretiker davon aus, dass Handlungen auf-
grund von Bedürfnissen durchgeführt werden, konzentriert sich aber auf die Hand-
lungsresultate. Handlungen können in Abhängigkeit vom Bedürfnis befriedigend
oder sättigend sein. Beiden ist gemeinsam, dass sie nach Beendigung zu einer Ent-
spannung eines vor der Handlung bestehenden Spannungssystems führen. Der
Unterschied besteht darin, dass sich bei einer Sättigungserfahrung eine Abneigung
gegenüber der Wiederholung einstellt, während bei einer Befriedigungserfahrung die
Tendenz zur Wiederholung gegeben ist.
Die Motivation für die Fortführung einer Handlung erlangt das Individuum
demnach aus den Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden nach Hoppe nicht nach
dem emotionspsychologischen „Lust-Unlust Prinzip“ (vgl. Wundt 1910) als befrie-
digend oder sättigend kategorisiert, sondern in Abhängigkeit von Erfolgs- und
Misserfolgserlebnissen. Sättigung stellt sich dann ein, wenn eine Reihe von Misser-
folgserlebnissen gemacht wurde. Befriedigung dagegen in Verbindung mit Er-
18 Die Studie stellt Ergebnisse aus einer Reihe experimenteller Untersuchungen vor.
84 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
„Eine Person geht immer mit gewissen Ansprüchen an die Arbeit, die sich im Verlaufe der Hand-
lung ändern können. Die Gesamtheit dieser mit jeder Leistung sich verschiebenden, bald unbe-
stimmteren, bald präziseren Erwartungen, Zielsetzungen oder Ansprüchen an die zukünftige eigene
Leistung wird Anspruchsniveau genannt.“ (Hoppe 1930: 48).
trachten. Dabei sind vor allem sozialisationsbedingte Effekte wichtig. Auch in psy-
chologischen Studien mit entwicklungspsychologischer Perspektive sind diese Ein-
flüsse nachgewiesen worden (vgl. Heckhausen 1972; Holodynski 1992). Sie prägen
das Anspruchsniveau auf indirekte Weise und drücken sich in den Eigenbewertun-
gen der Leistungen aus. So entwickelt sich die Leistungsmotivation in Abhängigkeit
von sozialen Bewertungsvorgängen, die bereits in der Kindheit Einfluss auf die
leistungsorientierte Selbstbewertung nehmen. Des Weiteren wird auch das Erfolgs-
oder Misserfolgserleben von sozialen Bewertungsprozessen der Umwelt beeinflusst.
Leistungsbewertung wird in allen sozialen Bereichen vorgenommen, wozu vor allem
die Schule und der Beruf gezählt werden können. Aber auch Bewertungen von
Leistungen durch Familie und Freunde nehmen Einfluss. Diese Form der Anerken-
nung kann den beschriebenen Mechanismus einer Senkung oder Erhöhung des
Anspruchsniveaus auch umkehren. Bei Ablehnung bzw. Nichtanerkennung kann
das Anspruchsniveau gleich bleiben oder sogar höher geschraubt werden, obwohl
es zu einer Senkung des Anspruchsniveaus führen müsste, da ihm ein Misserfolgs-
erlebnis zugrunde liegt. Aber die Bestätigung durch andere, dass eine erbrachte
Leistung wirklich als schlecht zu bewerten ist, führt nicht selten zu dem Bestreben,
das nächste Mal eine bessere Leistung zu erbringen.
Ein anderer Umgang mit Bewertungsvorgängen aus der Umwelt, lässt sich mit
dem von Hoppe herausgearbeiteten „Ich-Niveau“ (Hoppe 1930: 154) erklären. Das
Ich-Niveau beschreibt das Selbstbewusstsein des Individuums. Dieses drückt sich in
seinen Zielsetzungen bzw. Ansprüchen aus. So erklärt Hoppe auch, dass überhaupt
eine Dynamik im Anspruchsniveau zu beobachten ist. Die Misserfolgsvermeidungs-
strategie hängt mit dem Wunsch zusammen, das Ich-Niveau möglichst hoch zu
halten. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass das Individuum gleichzeitig ein sozi-
ales Wesen ist und sich mit einem hohen Ich-Niveau in Abgrenzung zu anderen
besser stellen will. Auf diese Weise kommen Ansprüche aus rein psychologischen
Gründen nie zur Ruhe, da die Individuen ein höheres Ziel notwendig brauchen.
Das Selbstbewusstsein wird mit einem hohen Leistungsstandard hoch gehalten. Aus
diesem Grund kann es auch zu Umdeutungen von Misserfolgen kommen, was sich
z.B. darin ausdrückt, die Ursachen dafür den äußeren Umständen zuzuschreiben.
Der Misserfolg wird vom Individuum selbst nicht anerkannt und führt in Verbin-
dung mit dem Antrieb, das falsche Urteil revidieren zu wollen, zu einer Erhöhung
des Anspruchsniveaus.
Diese Konzeption von leistungsbasierten Selbstansprüchen ist für die Be-
schreibung der Zielsetzungsmechanismen im Rahmen der Selbstverwirklichung
ebenfalls bedeutsam. Das Streben nach bestimmten Eigenleistungen steuert wiede-
rum die Wahl von bestimmten Optionen, wie z.B. die Erlangung von Bildungsab-
schlüssen oder den Wechsel von Berufspositionen. Durch das Anspruchsniveau
dieser Selbstansprüche wird nur eine bestimmte Zahl von Optionen tatsächlich als
Option wahrgenommen. Gleichzeitig klärt diese Form des Selbstanspruchs auch
86 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
Mit Hoppes Theorie über die Entwicklung des Anspruchsniveaus ist eine grundle-
gende psychologische Komponente für die Erklärung von Anspruchserhöhungen
eingeführt worden. Hoppe konnte zeigen, dass die Befriedigungswirkung einer
Leistung an die Erfolgserfahrung gekoppelt ist. Ansprüche bilden sich, wie bereits
verdeutlicht, demnach auf der Grundlage vergangener Erfolgserfahrungen aus und
verbinden gleichzeitig zukünftige Zielsetzungen mit ihnen. Das Anspruchsniveau
zeigt an, dass das Erstrebenswerte durch das bisher Erreichte angetrieben und ge-
steuert wird. Welche Handlungsoptionen überhaupt wahrgenommen werden, wird
durch die Höhe des Anspruchsniveaus angeleitet. Dieser Einfluss des Anspruchsni-
veaus greift nicht nur bei der Ausbildung von Selbstansprüchen, sondern bei allen
Seinsforderungen und Ressourcenforderungen.
Hierbei ist wesentlich, dass das Anspruchsniveau selbst einer Bewertung unter-
zogen wird. Dabei wirkt sich ein weiterer Effekt der Individualisierung aus. Durch
das Aufeinandertreffen von immer unterschiedlicheren Lebensentwürfen, entstehen
Anregungen für die individuelle Wahrnehmung von Optionenvielfalt. In der inter-
aktiven Auseinandersetzung werden so Möglichkeiten der Lebensführung und da-
mit der Selbstverwirklichung präsentiert und bewertet. Dies erfolgt auf Grundlage
von präsentierten Zielsetzungen, Leistungen, Handlungen und Wünschen anderer
Individuen. Diese Präsentation wird auf vielfältige Weise vermittelt, neben der ech-
ten Interaktion mit anderen Individuen, wirken hier vor allem medial bekannt ge-
machte Lebensentwürfe als Vergleichsmaßstab. Aus diesem Vergleich kann sich
eine Anpassung des eigenen Anspruchsniveaus ergeben.
Diese Einflussnahme wird in der Diskussion um soziale Vergleiche thematisiert
(vgl. Festinger 1954, Trommsdorf 1994). Im Rahmen einer Optionenvielfalt bie-
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 87
Aufwertung gleich. Beim Vergleich mit einem Individuum, das sich dagegen höhere
Ziele z.B. hinsichtlich einer autonomen Lebensführung gesetzt hat, wird dieser
Vergleich als Misserfolgserlebnis gewertet, da festgestellt wird, dass die eigenen
Zielsetzungen damit nicht mithalten können. Daraufhin kann es zu einer Erhöhung
des Anspruchsniveaus kommen, was gleichbedeutend mit einer Selbstverbesserung
ist.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die niedrigere Qualität der eigenen An-
sprüche abgrenzend zu dem besseren Vergleichssubjekt zu rechtfertigen, indem z.B.
betont wird, dass dem anderen bessere Bedingungen für die Ausbildung höherer
Zielsetzungen gegeben sind. Dies ist dann der Mechanismus des Schutzes des von
Hoppe beschriebenen Ich-Niveaus durch die Verschiebung der Verantwortung auf
äußere Umstände. Das eigene Anspruchsniveau bleibt hierbei gleich, weil die Be-
dingungen für eine Erhöhung nicht gegeben sind. Die Darstellung dieser Ver-
gleichsmechanismen zeigt, wie hoch der Grad an Reflexionsarbeit unter Bedingun-
gen der Optionenvielfalt ist, um überhaupt zur Ausbildung einer Zielsetzung zu
kommen. Gleichzeitig zeigt dieser Vorgang des Vergleichens die Dynamik, die der
Ausbildung und Veränderung von Zielsetzungen in individualisierten Bedingungen
zugrunde liegt.
Die gleichen Mechanismen des sozialen Vergleichs können bei Leistungsan-
sprüchen im Rahmen der Selbstverwirklichung beobachtet werden. Hierbei geht es
ebenfalls auf Grundlage eines bestimmten Anspruchsniveaus in erster Linie um die
Validierung von „richtigen“ Selbsteinschätzungen, aber auch um die Selbstaufwer-
tung und Selbstverbesserung. Der Vergleich mit anderen erfolgt hier zum Zweck
der Bewertung der eigenen Leistung. Die Fremdbewertung der eigenen Leistung ist
zwar in vielen Bereichen an objektive Beurteilungskriterien gekoppelt und schlägt
sich vor allem in der Benotung von Leistung nieder, doch kann sie auch auf subjek-
tiven Vergleichen beruhen (vgl. Festinger 1954: 120).
Hierbei werden die Vergleichssubjekte aber wiederum nicht willkürlich gewählt.
Das Individuum wählt als Vergleichssubjekte z.B. Arbeitskollegen nach bestimmten
Kriterien aus.19 Auf Grundlage eines immer hoch gehaltenen Ich-Niveaus vergleicht
das Individuum als Mitglied einer sozialen Gemeinschaft seine Leistungen mit de-
nen der Anderen und passt seine je nach Relevanz und Ähnlichkeit der Bezugs-
gruppe an (vgl. Goethals/Darley 1977, Miller 1977). Bei der Evaluierung der eige-
nen Leistungen können sich die Individuen an besser gestellten oder schlechter
gestellten Personen orientieren. Hierdurch wird entschieden, ob es zu einer Selbst-
Aufwertung oder einer Selbst-Verbesserung kommt. Der Vergleich mit Personen,
die selbst schlechtere Leistungen erbracht haben, führt hier wieder zu einem Er-
folgserleben und fungiert als Selbstbestätigung. Die Höhe des Anspruchsniveaus
wird als angemessen bestätigt, weil die eigenen Leistungen besser sind. Dies kommt
einer Erhöhung des Selbstwerts gleich (vgl. Mares/Cantor 1992). Der Vergleich mit
Personen besserer Leistung führt zu einem Misserfolgserleben. Das eigene An-
spruchsniveau wird dadurch erhöht oder wiederum aufgrund von Rechtfertigung
durch externe Bedingungen beibehalten.
Bei Ressourcenforderungen wirken sich soziale Vergleiche so aus, dass Anre-
gungen für eigene Bedürfnisdefizite entstehen und so Ansprüche formen. Mit der
Grundlage der Anspruchsgerechtigkeit als Legitimation, kommt es durch soziale
Vergleiche zu einer Auseinandersetzung mit der Angemessenheit der Höhe der
eigenen Bedürfnisse. Hierbei kommt es jedoch häufiger zu einer Höherorientierung,
da durch das bloße Vorhandensein von besser Gestellten ein Gefühl des Bedürf-
niserfüllungsdefizits entsteht. „Die Person vergleicht das je eigene Niveau der An-
spruchsrealisierung mit den Niveaus anderer, wobei sie geflissentlich schlechter
Gestellte übersieht und besser Gestellte zum Maßstab für das, was ihr selbst zu-
steht, erhebt.“ (Schimank 2005: 312). Hier wirkt sich eine wahrgenommene soziale
Ungleichheit als beständiger Antrieb aus.
Mit dieser Argumentation zeigt sich, dass in individualisierten Gesellschaften
der Vergleich mit anderen notwendig ist, um über die Angemessenheit der eigenen
Ansprüche, sei es als Seinsforderung, Ressourcenforderung oder Leistungsanspruch,
urteilen zu können. Dies ist Folge der Freisetzungs- und Entzauberungsfunktion,
die Ulrich Beck beschrieben hat. Diesem Vergleich liegt das Bewusstsein eines aktu-
ellen Anspruchsniveaus zugrunde. Damit wird deutlich, dass Vergleichssubjekte
eigeninitiativ ausgewählt werden. Ob der Vergleich mit Personen, die selbst höhere
Ansprüche oder niedrige Ansprüche haben, durchgeführt wird, hängt mit psychi-
schen Mechanismen zusammen. Grundsätzlich sind für die Validierung von Zielset-
zungen und Leistungsansprüchen beide Verhaltensweisen wichtig. Die Bestätigung
der Angemessenheit der Höhe des eigenen Anspruchsniveaus kommt einer Selbst-
Aufwertung gleich und die Bestätigung eines zu niedrigen Anspruchsniveaus mün-
det im Bedürfnis nach Selbst-Verbesserung. Lediglich bei den Vergleichen auf Res-
sourcenforderungsebene führt der Vergleich zu einem Wunsch nach Selbst-Verbes-
serung und damit zur Erhöhung des Anspruchsniveaus. Dies ist aber nur durch
rechtliche Rahmenbedingungen innerhalb individualisierter Gesellschaften zu erklä-
ren, die im nächsten Abschnitt noch näher ausgeführt werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Steigerungsdynamik von An-
sprüchen so lange erhalten bleibt, wie in der eigenen Wahrnehmung Andere mehr
erreicht haben, bessere Leistungen erbringen oder mehr besitzen. Darüber hinaus
hängt die beständige Steigung des Anspruchsniveaus jedoch auch von Anerken-
nungsmechanismen ab, die als Reaktion auf die Artikulation bzw. Präsentation der
Ansprüche Einfluss ausübt. Diese Dimension wird im nächsten Kapitel ausführlich
dargestellt.
90 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
20 Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Individualisierungsthese von Ulrich Beck interessant.
Bei Beck ist das Verhältnis genau andersherum. Es entsteht eine Erhöhung individueller Verant-
wortung und ein Abbau gesellschaftlicher Verantwortung.
Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie 93
rer Gemeinschaften, wie die Familie geschwächt werden. Herbert sieht darin einen
Verlust von Pflichtbewusstsein in Bezug auf die Familie. Indem der Staat z.B. für
die Altersvorsorge aufkommt, baut er Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den
Generationen ab. Ein sechster Punkt ist das Mitnahmeverhalten der Bürger. „Der
Bürger erbringt Vorleistungen im Wege steuerlicher Belastungen oder automati-
scher Versicherungsabgaben und er kann dafür Gegenleistungen erwarten.“ (ebd.:
220). Problematisch ist die Höhe der geforderten Gegenleistungen. Sie gründet auf
dem Prinzip des Eigennutzes, das in vielen Bereichen (siehe Verrechtlichung) be-
lohnt wird und damit sozial bindende Normen schwächt. Als siebten Aspekt nennt
er die staatliche Aufgabenerfüllung. Hiermit ist der Zusammenhang zwischen Er-
füllung von Ansprüchen und deren Befriedigungswirkung gemeint.
Diese sozialen Mechanismen der Anspruchssteigerung im Rahmen von Res-
sourcenforderungen führen zu einem weiteren Prinzip, das mit der Mehrung der
Anspruchshaltungen verbunden ist. Es entsteht allmählich eine Inflation im Hin-
blick auf die Befriedigungswirkung, die durch Ansprüche ermöglicht wird. Die
ständige Erfüllung von Ansprüchen führt zu einer kontinuierlichen Steigerung der
Ansprüche.21 Dies wird als Anspruchsinflation bezeichnet. Die Dynamik entwickelt
sich demzufolge in Abhängigkeit davon, ob individuelle Bedürfnisse in Form von
Ansprüchen befriedigt wurden und ob damit ein Erfolgserleben verbunden war. „Je
größer die Diskrepanz bei diesem subjektiven Ist-Soll-Vergleich ausfällt, desto stär-
ker ist die aus dieser Bedürfnisspannung resultierende Unzufriedenheit.“ (Herbert
1983: 4). Diesen Zusammenhang zeigt das Konzept der „Anspruchsspirale“ auf
(vgl. Herder-Dorneich/Schulle 1983). Diese zeigt sich vor allem an der Inanspruch-
nahme sozialstaatlicher Leistungen.
„Es (…) entsteht eine verhängnisvolle Spirale: die Abhängigkeit breiter Bevölkerungskreise von der
sozialstaatlichen Zuteilung schafft zentralisierte Großorganisationen, die gemäß ihres Eigeninteres-
ses expandieren, dabei die Abhängigkeiten ausweiten und intensivieren: damit aber entsteht wiede-
rum neue Nachfrage nach sozialstaatlicher Organisation.“ (Prätorius 1980: 221).
Aber auch bei der Zurückweisung von Ansprüchen kommt es laut Herbert zu kei-
ner Senkung des Anspruchsniveaus. Wenn die geforderten Ressourcen nicht zur
Verfügung gestellt werden können, kommt es zu einer Bedürfnisbefriedigungsfrust-
ration. Das Unterschreiten einmal befriedigter Anspruchsniveaus lässt die Indivi-
duen an ihren Ansprüchen festhalten, weil ihr Vorhandensein ihnen dadurch noch
einmal ins Bewusstsein gerückt wird (vgl. Schimank 2005: 313). Durch diesen nega-
tiven Zusammenhang lässt sich statt einer Anspruchsreduktion, die letztendlich
21 Dieser Aspekt wird auch im Bereich der Konsumsoziologie deutlich. Das Streben nach einem
bestimmten Konsumstandard kommt durch ständig neue Angebote und soziale Vergleichsmecha-
nismen nie zur Ruhe (vgl. Wiswede 1973).
94 Anspruchshaltungen als Selbstverwirklichungsstrategie
Optionenvielffalt
Erfolg A
Anspruchsniveau Misserfolgg
erhöht das senkt das
steu-
ert
W
Wahl von Optio
onen
Dieser Aspekt ist in Ansätzen bereits bei der Darstellung der Zielsetzungsansprüche
aufgeführt worden. Bei der handlungstheoretischen Fundierung geht es nicht nur
um Klärung der Wahl von Optionen als Logik der Selektion, sondern auch um ihre
Aneignung. Hierin unterscheidet sich die in dieser Arbeit entwickelte handlungsthe-
oretische Logik von herkömmlichen Handlungsentscheidungen. Handeln kann
unter diesem Fokus nicht nur als reines Entscheidungshandeln verstanden werden.
Um Selbstverwirklichung als Entwicklungsprozess der Identität zu beschreiben, ist
die Aneignung von Optionen im Rahmen einer der drei Formen von Ansprüchen
nötig. Dadurch kommt es zu einer Identifikation. Die Identifikation mit einer Op-
tion im Anspruch ist dabei der Akt der Selbstbindung, der im Rahmen der Selbst-
verwirklichung nötig ist, um Identität zu erzeugen. Im Anspruch können die zu-
künftigen Möglichkeiten des Handelns zu Selbstverwirklichungsperspektiven defi-
niert werden, um damit der Identität Gestalt zu geben. Erst damit kann geklärt
werden, welche Sinnsetzungen nötig sind, um mit einer offenen Identität umgehen
zu können. Die Möglichkeit der Identifikation mit einer Option als Zielsetzung
hängt dabei jedoch von spezifischen Anerkennungsleistungen ab, die auf gesell-
schaftstheoretischer Ebene diskutiert werden müssen. Dies wird Aufgabe des fol-
genden Kapitels sein.
3 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und
Anerkennung
„Gingen wir richtig in der Annahme
dass die Vereinzelung verzweifelt?
Dass die verinnerlichten Sichten
stets an Verkörperungen scheitern?“
(Gustav)
22 Obwohl erste Tendenzen einer Wandlung zu individuellen Identitäten sich bereits Ende des 19.
Jahrhunderts finden lassen (vgl. Bühler 1934).
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 103
In der Psychologie wird Identität seit Ende des 19. Jahrhunderts mittels einer
sozialen Perspektive konzeptualisiert. Die Begriffsbestimmung geht auf William
James zurück. Er markierte 1890 in „Principles of psychology“ den Anfang einer
umfassenden Identitätstheorie. In einem Abschnitt über das Selbstbewusstsein
stellte er die These auf, dass das menschliche Bewusstsein seiner selbst aus Erfah-
rungen hervorgehe, welche es im Umgang mit sozialen und sächlichen Gegenstän-
den macht. Identität besitzt also auch hier zwei Dimensionen, die James als Selbst
und soziales Selbst bezeichnet. Das soziale Selbst setzt sich aus der Summe der
Anerkennungen, die das Individuum durch andere bekommt, zusammen. Das
Selbst ist demgegenüber der überdauernde Teil und meint das Gesamt an Beziehun-
gen, in denen aktuell gewonnene Vorstellungen über sich selbst mit den unmittelbar
vorausgehenden in Zusammenhang stehen (vgl. James 1950: 400).
Der Entwicklungspsychologe Erik Erikson hat in den 1950er Jahren einen dar-
über hinausgehenden Identitätsbegriff entworfen, der die soziale Komponente
stärker in den Mittelpunkt rückt. Grundlegend ist hier die Vorstellung, dass die
psychische Stabilität, in die eine gesunde Identitätsentwicklung mündet, sich aus der
Versöhnung zwischen individuellen Bedürfnissen und sozialen Erwartungen ergibt.
Erikson setzt ebenfalls voraus, dass Identität nur durch die Anerkennung der sozia-
len Umwelt aufrechterhalten werden kann. Die Eingliederung eines Individuums in
eine Gruppe ist dabei von zentraler Bedeutung für die Ausbildung eines starken
Ichs und für die Sicherung seiner Identität (vgl. Erikson 1966: 51). Damit wird die
Suche nach Identität als ein aktiver zwischenmenschlicher Aushandlungsprozess
konzeptualisiert. Erikson ging des Weiteren davon aus, dass die Ich-Identitätssuche
mit dem Abschluss der Adoleszenz, nach Durchlaufen des Sozialisationsprozesses
endet. An diesem Punkt fügen sich die einzelnen Identitätsfragmente zu einem
leistungsfähigen Ganzen zusammen (vgl. Erikson 1966: 122). Der Jugendliche
schlägt nun eine „Laufbahn“ ein, bei der er eine Auswahl aus möglichen Identifika-
tionen treffen, und in der er sich für soziale Rollen entscheiden muss, um seine
Identität zu stabilisieren (vgl. Erikson 1966: 123).
Im Zusammenhang damit geht Erikson auf Identitätsdiffusionen ein, die ein-
treten können, wenn sich das Individuum gleichzeitig vor divergierende Erwartun-
gen gestellt sieht. Dies kann in äußerster Konsequenz zu einer Zersplitterung des
Selbstbildes führen, zu „(...) ein(em) Verlust der Mitte, ein(em) Gefühl der Verwir-
rung und in schweren Fällen die Furcht vor völliger Auflösung“ (Erikson 1966:
154). Diese Diffusionen drücken sich auf unterschiedliche Weise aus: mangelnde
Beziehungsfähigkeit als Folge einer latenten Identitätsschwäche, Empfinden großer
Zeitbedrängnis und akuter Störungen der Leistungsfähigkeit (vgl. Erikson 1966:
156ff). Erikson konstatiert aber auch, dass die Identität nicht verloren geht, wenn
der Sozialisationsprozess zur Ausbildung einer gefestigten Struktur geführt hat.
Damit ist allerdings die Auffassung verbunden,
104 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„(…) dass Individuen vor allzu divergierenden Anforderungen möglichst bewahrt werden, gesell-
schaftliche Veränderungen sich nicht zu schnell vollziehen und eingenommene soziale Rollen nicht
durch äußere Umstände ein gar zu abruptes Ende finden, damit die Identitätsstruktur des Individu-
ums nicht überfordert wird.“ (Krappmann 1982: 91).
„Wenn wir eine Identität erlangen, erlangen wir auch ein bestimmtes Verhalten, einen bestimmten
gesellschaftlichen Prozess, der die wechselseitige Beeinflussung verschiedener Individuen voraus-
setzt und gleichzeitig impliziert, dass die einzelnen Individuen irgendeiner kooperativen Tätigkeit
nachgehen. In diesem Prozess kann sich eine Identität entwickeln.“ (ebd.: 208).
Zur genaueren Bestimmung der Identität trennt Mead zwei Phasen der Entwicklung
voneinander. Das ME und das I. Das ME meint die verinnerlichte Organisation der
Einstellungen und Verhaltensweisen der verallgemeinerten Anderen. Es ist die
Identität, derer man sich bewusst ist. Den anderen Aspekt der Identität beschreibt
Mead als den Teil der Handlung. Er nennt es das I. Mead fasst darunter die einzig-
artige, spontane und kreative und damit unvorhersehbare Reaktionen des Selbst auf
Einflüsse durch die Umwelt (vgl. Mead 1973: 175). Das I ist dabei als Reaktion in
der Situation zu verstehen. Diese ergibt sich aus den verinnerlichten Erfahrungen
und Haltungen der generalisierten Anderen, birgt aber immer auch das Element des
Neuen und der Freiheit. „Das ‚me’ (…) erlegt also einerseits dem ‚I’ Einschränkun-
gen auf, andererseits gibt es jedoch für das ‚I’ keinen anderen Weg als über dieses
‚me’, um sich in seiner Besonderheit verständlich zu machen.“ (Krappmann 1982:
59). Das lässt sich damit erklären, dass Mead das I als Drang nach Besonderheit
versteht. Diese Haltung ist unter individualisierten Bedingungen als das Streben
nach Einzigartigkeit gefasst worden. So beeinflusst das I das Me durch Überschrei-
tungen verinnerlichter Normalitätsvorstellungen und verändert es immer wieder
(vgl. Mead 1980: 240).
Im I kommen demnach Abweichungen in dem Sinn zustande, dass im Dialog
Veränderungen von gesellschaftlichen Werten erzeugt werden.
„Der Dialog setzt voraus, dass der Einzelne nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, zu
der Gemeinschaft zu sprechen, deren Mitglied er ist, um jene Veränderungen herbeizuführen, die
durch das Zusammenspiel der Individuen zustande kommen. Das ist die Art und Weise, in der sich
Gesellschaft weiterentwickelt: durch eine wechselseitige Beeinflussung, wie sie sich dort vollzieht,
wo eine Person etwas zu Ende denkt.“ (ebd.: 211).
Es wird erst nach dem Vollzug der Handlung als Erfahrung greifbar und kann im
Gedächtnis abgespeichert werden. Sobald dies geschehen ist, ist es Teil der Identität
108 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
und damit des ME. Die Identität des Individuums ergibt sich aus der Struktur, in
die das I die Me’s bringt und führt so zu ihrer kontinuierlichen Veränderung. Mit
dieser Auffassung von Identitätsbildung war Mead der erste Theoretiker, der das
Streben nach ständiger Veränderung zum Hauptantrieb gemacht hat.
Identität wird aber gleichzeitig auch als ein Prozess erfasst, der von einer gewis-
sen Stabilität gekennzeichnet ist. Diese Stabilität ergibt sich bei Mead aus seiner
funktionalistischen Vorstellung einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft. Er geht
davon aus, dass die Verinnerlichung der Haltungen der generalisierten Anderen
grundsätzlich unproblematisch verläuft. Vor allem enthält seine Theorie die Mög-
lichkeit der Verallgemeinerung von Haltungen, die es dem Individuum möglich
macht, einen gesellschaftlichen Prozess wahrzunehmen, aus dem es seine Hand-
lungsprinzipien ableiten kann.
Überträgt man diese Theorie auf eine individualisierte Gesellschaftsform, in der
Individuen als Handlungszentren unter unsicheren Bedingungen handeln müssen,
stellt sich die Frage nach möglichen Dissonanzen bei der Übernahme von Haltun-
gen. Inwieweit ist es einem individualisierten Ich noch möglich, eine Gruppenhal-
tung zu verinnerlichen oder von da aus auf ein gesellschaftliches Wertsystem zu
abstrahieren? Die Uneinheitlichkeit von Situationsdeutungen erschwert die Erfas-
sung von allgemeinen Haltungen. Die Unsicherheiten sind größer geworden, da
Handeln sich aufgrund des Wertepluralismus nicht mehr an klaren wertbasierten
Regelmäßigkeiten orientieren kann.
Damit sind weitere Veränderungen verbunden. Selbstverwirklichung schließt
den freiwilligen Wechsel von Gruppenzugehörigkeiten ein, so dass die Identifika-
tion in einer Gruppe nur solange betrieben werden muss, wie sie dem Einzelnen
noch etwas bedeutet. Er kann sich aus vielen Zusammenhängen wieder herauslösen
und sich in andere Gruppen integrieren. In Meadscher Sprache gesprochen, kann
das Me nicht mehr diese Form von organisierter Grundlage für Identitätsbildung
bieten, wenn das I auf immer individuellere Haltungen reagieren muss. Damit kann
auch nicht mehr auf die generalisierten Anderen abstrahiert werden. Der Rahmen,
der durch das Me gegeben ist, steht nicht mehr fest, da es den „gemeinsamen Le-
bensprozess seitens aller Mitglieder der Gesellschaft“ (ebd.: 231) nicht mehr gibt.
Erwartungssicherheit muss heute in vielen Situationen mühsam selbst hergestellt
werden.
Identität vollzieht sich demnach in der kritischen Auseinandersetzung mit den
verschiedenen Erwartungen der Interaktionspartner, bei der ein gewisses Maß an
Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse gewährleistet ist. Dies setzt die Kennt-
nis der Erwartungen voraus, die aber unter individualisierten Bedingungen selbst
Teil der interaktiven Aushandlung ist. Meads Konzeptualisierung lässt sich unter
solchen Bedingungen schwer aufrechterhalten. Vielmehr wird ein Identitätsbegriff
benötigt, der versucht „(…) dem Erfordernis Raum zu geben, kreativ die Normen,
unter denen Interaktionen stattfinden, zu verändern. Dieses kritische Potential des
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 109
Individuums zieht seine Kraft aus der strukturellen Notwendigkeit, nicht überein-
stimmende Normen negierend zu überschreiten.“ (Krappmann 1982: 209).
immer Handeln in Rollen. „Das soziale Handeln, das den anderen betrifft, betrifft
den anderen nicht als den reinen anderen, sondern als jemand, der eine konkrete,
rollen-gebundene, soziale Existenz hat.“ (Luckmann 1979: 598).
Deshalb kann die so verstandene Anerkennung der Identität keine individuelle
Ganzheit der Selbstvergewisserung hervorbringen. Die Person ist als Teil eines
Systems immer nur ausschnitthaft beschreibbar. Mit der Verschiedenartigkeit der
rollenspezifischen Bestätigung der sozialen Identitäten nimmt die Verschiedenartig-
keit der Ich-Identitäten zu (vgl. Schimank 2002: 30). Differenzierungstheoretisch
hat dies zur Folge, dass innerhalb des Gesellschaftssystems Einzigartigkeit im Er-
gebnis der interaktiven Vergewisserung nur in der Einmaligkeit der Rollenkombina-
tion jedes Individuums bestehen kann (vgl. Luhmann 1995: 131).
Mit zunehmender Systemdifferenzierung kommt es zu einer Auflösung der
schichtmäßigen Rollenfestlegung. Die Erwartungen, die sich in Rollen bündeln,
werden allgemeingültiger und sind in immer geringerem Maße vordefiniert. Die
Ausgestaltung des Rollenhandelns kann somit flexibler erfolgen. Es bleibt mehr
Raum für individuelle Interessen und Bedürfnisse der die Rolle ausübenden Perso-
nen (vgl. Schimank 2002: 238f.). Das bedeutet aber auch, dass die Identifizierung
mit diesen Erwartungsstrukturen erschwert wird und Identität über diese Rollener-
wartungen hinaus entwickelt werden muss. Je mehr Rollenflexibilität, desto mehr
Eigenleistung ist bei der Identitätsbildung erforderlich.
Damit ist in der funktional differenzierten Gesellschaft ein Raum geschaffen,
den man als Raum individueller Freiheit bezeichnen kann. Die Gesellschaft hat kein
Interesse daran, „(…) wie das Individuum, das den Leerraum nutzt, den die Gesell-
schaft ihm lässt, ein sinnvolles, den öffentlich proklamierten Ansprüchen genügen-
des Verhältnis zu sich selbst finden kann.“ (Luhmann 1997: 805). Die moderne
Gesellschaft bietet demzufolge der Ganzheit des Menschen „(…) keinen Ort mehr,
wo er als gesellschaftliches Wesen existieren kann.“ (Luhmann 1993: 158). Die
Selbstvergewisserung einer individuellen Identität, die ein Akt sein muss, der eine
Ganzheit herstellt, findet demnach außerhalb aller gesellschaftlichen Teilsysteme
statt. „Das Individuum kann nicht mehr durch Inklusion, sondern nur noch durch
Exklusion definiert werden.“ (Luhmann 1993: 158). Identitätserzeugung ist damit
ein Vorgang, der als Exklusionsindividualität bezeichnet wird (vgl. Luhmann 1993,
Nassehi 1999, Schimank 2002, Nassehi 2003).
Aus differenzierungstheoretischer Perspektive ist diese Exklusion deshalb nö-
tig, weil die in Teilsystemen handelnden Individuen als psychische Systeme be-
trachtet werden. Psychische Systeme unterscheiden sich aufgrund ihrer Unteilbar-
keit von anderen Systemen. Durch diese Unteilbarkeit können Individuen nicht
partiell in andere Systeme inkludiert werden. „Genau diese wörtlich verstandene
Individualität wird unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung aus der
Gesellschaft exkludiert, weil diese Individualität keinen unverrückbaren Platz in der
Gesellschaftsstruktur mehr finden kann.“ (Hillebrandt 1999: 247). Das was das
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 111
Individuum zur Bildung der eigenen Identität, d.h. zur Selbstvergewisserung seiner
Individualität benötigt, muss es selbst jenseits der Funktionssysteme als Eigenleis-
tung erbringen. Identitätsherstellung wird somit zu einer individuellen Angelegen-
heit.
Auf Funktionssystemebene entstehen wiederum Erwartungshaltungen, die die
Individualität der Person mit einbeziehen, weil die Systeme nicht operativ geschlos-
sen sind und ein Individuum benötigen, das sich gegen die Fragmentierung durch
Differenzierung wehren kann (vgl. Nassehi 2004b: 112). Die Differenzierungstheo-
rie berücksichtigt deshalb eine zunehmende Verfärbung gesellschaftlicher Rollen-
vorgaben durch individuelle Merkmale. Kommt es also zu Interaktionen zwischen
Personen,
„(…) werden Erwartungen auch durch die Eigenschaften der personalen Systeme geprägt. Man er-
wartet vom anderen und sich selbst bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die das Verhalten und
Handeln steuern. Die in organisierten Sozialsystemen definierten Erwartungen werden im Lichte
dieser persönlichen Merkmale interpretiert.“ (Geller 1994: 12).
Individuation ist deshalb ein Vorgang, der sich in den unterschiedlichen Einflüssen
der Persönlichkeit auf das Handeln in Rollen ausdrückt. „Erwartungen an Personen
in Positionen, also Rollen, ergeben sich durch Kombination von formalen Regeln
mit Persönlichkeitstypen.“ (Geller 1994: 76). Diese Erwartung an eine individuelle
Identität dient dazu,
Dies bedeutet für die Analyse der Identitätsarbeit in letzter Konsequenz: „Im stren-
gen Sinne gibt es keine Identitäten, sondern sie sind das Ergebnis von Praktiken –
und es sind dann diese Praktiken selbst, die soziologisch von Interesse sind, nicht
nur deren Ergebnisse.“ (Nassehi 2004a: 37).
Die Differenzierungstheorie bleibt an diesem Punkt stehen, weil sie zwar aus
gesellschaftlichen Strukturanforderungen ableiten kann, welche Bedingungen für
das Individuum und die Herstellung von individueller Identität gegeben sind, aber
sie widmet sich nicht den individuellen Herstellungsakten dieser Identität als eigen-
initiativer Leistung. Die sich hier zeigende mangelnde handlungstheoretische Fun-
dierung wurde deshalb des Öfteren kritisiert (vgl. Renn 2002). Vor allem bleibt beim
Ansatz der funktionalen Differenzierung unklar, wie die Individuen beim Streben
nach Individualität, beim Aufbau einer alles bündelnden und über teilsystemische
Rollenanforderungen hinausgehenden individuellen Identität vorgehen. Mit dieser
Perspektive wird die Erzeugung der Identität unter individualisierten Bedingungen,
in denen sich die Herstellungsakte weiter verkomplizieren, problematisch.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 113
„Die Komplexität moderner kommunikativer Arenen multipliziert nun die Kontexte der Selbstbe-
hauptung in beiden Hinsichten (kommunikative Aussage über das Selbst und Durchhaltung dieses
Selbst), führt aber nicht zur Auflösung der individuellen Einheit der Identität. Sie gibt der Identität
eine andere Funktion und delegiert diese an die Personen (...) [und, D.L.] führt zur Ausweitung der
sozialen Resonanz für transitorische, pragmatisch ausagierte, individuelle Selbstverhältnisse.“ (Renn
2002: 238).
Diese Aspekte sind Kern der Theorie der Identitätsentwicklung von Heiner Keupp.
Keupps Analysen stützen sich auf empirische Daten über Individuen und deren
Identitätskonstruktionsleistungen unter individualisierten Bedingungen, die im
Rahmen eines SFB Teilprojekts zu „Reflexiver Modernisierung“ erhoben wurden
(vgl. Keupp 2002).
Als Psychologe geht er bei seiner Definition von Identität zwar vom Indivi-
duum als Konstrukteur der eigenen Identität aus, weitet diese aber zu einer spezi-
fisch soziologischen Perspektive aus, bei der das Ziel von Identitätsentwicklung eine
„Passung zwischen innerer und äußerer Welt“ (Keupp 2002: 7) ist. Keupp bestimmt
Identität damit über die Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt. Er geht dabei
von der Ambivalenz der Optionenvielfalt und dem Streben nach Selbstverwirkli-
chung als Chance und Risiko aus. Die damit einhergehende Suche nach Identität ist
eine aktive Leistung des Individuums, weil es sich für das, was es sein will, immer
wieder neu entscheiden kann. Deshalb geht es Keupp nicht um das Resultat dieser
Leistung, „(…) sondern um die Konstatierung von Zwischenergebnissen, von
flüchtigen Positionsbestimmungen auf einem Weg.“ (ebd.: 83). Auf diese Weise
ermittelt er individuelle Identitätsprojekte, die unter Rückgriff auf bestimmte Iden-
titätsstrategien und Ressourcen umgesetzt werden.
So entsteht ein Bild von alltäglicher Identitätsarbeit, deren Herstellungsprozess
näher beleuchtet werden sollte. Keupp arbeitet hier zwei Grundelemente heraus:
114 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„(...) Mosaik an Erfahrungsbausteinen, die auf die Zukunft gerichtet sind (Entwürfe, Projekte), so-
wie solche, die eher der Vergangenheit angehören (realisierte oder/und gescheiterte Identitätspro-
jekte, aufgegebene Identitätsentwürfe). Und eine Teilidentität enthält auch die, zumindest für eine
bestimmte Lebensphase gültigen, Standards einer Teilidentität.“ (ebd.: 219).
Diese Standards sind nach Keupp ebenso inkohärent geordnet wie die Teilidentitä-
ten selbst. Mit dieser Auffassung von Identität versucht Keupp zu begründen, dass
es zu Ambivalenzen in der Gewichtung der Teilidentitäten kommen kann. Auf diese
Art entstehen so genannte dominierende Teilidentitäten, die für das Individuum zu
116 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
einem bestimmten Zeitpunkt mehr Relevanz haben und ihm mehr Sicherheit ver-
mitteln als andere Teilidentitäten.
Allerdings bleibt Keupp an dieser Stelle stehen und untersucht nicht den ge-
nauen Zusammenhang zwischen narrativer Selbstdarstellung, die aus den Teiliden-
titäten heraus erfolgt und den konkreten kontextspezifischen Anerkennungsbezie-
hungen, die diese stabilisieren. Aber seine Theorie enthält wesentliche Aspekte, die
für die hier verfolgte Plausibilisierung einer anspruchsgeleiteten Identitätsbildung
unter individualisierten Bedingungen wichtig sind. Dazu gehört der Gedanke der
Ressourcen als Voraussetzung für Identitätsentwicklung, die von der Relevanz-
struktur abhängige Wahrnehmung der verfügbaren Optionen und die Selbstnarra-
tion, in der Anspruchshaltungen zum Ausdruck gebracht werden und nach Aner-
kennung verlangen. Diese Aspekte sind in der sozialtheoretischen Betrachtung von
Anspruchshaltungen als Antrieb für Selbstverwirklichung bereits enthalten und
werden nun im Hinblick auf ihre Funktion für Identitätsbildung konkretisiert.
In allen hier vorgestellten Ansätzen zeigt sich ein Verständnis von Identität, das
Identitätsbildung als einen Prozess betrachtet. Identität ist veränderbar und dadurch
keine Eigenschaft einer Person im Sinne eines dauerhaften Besitzes. Sie ist ein „Zu-
stand, der nicht einfach da ist, sondern von der Person in bewusster Selbstreflexion
hergestellt, ja erarbeitet werden muss.“ (Frey/Haußer 1987a: 11). Die Grundlage
dafür ist eine funktional differenzierte Gesellschaft, welche die schichtmäßige Fest-
legung von Identität zu Gunsten einer an Fähigkeiten orientierten Zurechnung
obsolet werden lässt. Mit der Ausdifferenzierung in gesellschaftliche Teilsysteme, in
die das Individuum nach funktionalen Kriterien inkludiert wird und sich in Rollen-
segmente aufteilt, wird Identitätsherstellung zu einer Eigenanforderung. Identität ist
von Selbstvergewisserungsvorgängen abhängig, welche die rollenbezogene Auftei-
lung in einen eigenen Zusammenhang bringt. Auslöser für Selbstvergewisserungs-
vorgänge sind Differenzerfahrungen zwischen dem bisherigen Selbstbild und situa-
tiv hervorgerufenen Widersprüchlichkeiten.23 Diese Differenzerfahrungen entstehen
nicht nur durch solche Ist-Vergleiche, sondern auch durch temporale Vergleiche
möglich (vgl. Albert 1977). Ziel ist dabei die Erzeugung einer individuellen Identität,
die sich einerseits aus der Abgrenzung zu anderen Vergleichssubjekten ergibt und
andererseits aus der Auseinandersetzung mit der bisherigen eigenen Identität. Um
23 Dieser Mechanismus ist vergleichbar mit dem in Abschnitt 1.5.1 vorgestellten Ansatz zur Erklä-
rung des Umgangs mit Optionenvielfalt. Allerdings wird im Rahmen der hier entwickelten Identi-
tätstheorie nicht nur die Zukunftsperspektive der möglichen Selbstverwirklichung betrachtet, son-
dern auch die Auseinandersetzung mit dem bisherigen Entwicklungsstand eines Individuums. Aus
diesem Grund werden die Differenzerfahrungen jetzt etwas weiter gefasst.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 117
das dafür nötige positive Selbstbild herzustellen, kann das Individuum wahrge-
nommene Diskrepanzen durch die Überschreitung der bisherigen Identität in die
mögliche Zukunft aufheben. Dies ist nur in einer individualisierten Gesellschaft
möglich, die sich vor allem durch die Verfügbarkeit unterschiedlicher Optionen und
die Erosion des Normalbiographiekonzepts auszeichnet und damit die Zukunftsof-
fenheit des Lebenslaufs impliziert.
Grundlage für eine so geartete Identitätsstabilisierung bildet, wie Heiner Keupp
herausgestellt hat, die narrative Selbstpräsentation. Diese hat sich in doppelter Wei-
se verändert. Zum einen ist die Präsentation aufgrund des veränderten Zurech-
nungsmodus wesentlich stärker als in stratifikatorischen Gesellschaften an die Dar-
stellung individueller Eigenschaften und Fähigkeiten gebunden. Gleichzeitig werden
in der Selbstdarstellung stärker Zielsetzungen zum Ausdruck gebracht. Durch sie
kann gezeigt werden, dass zur Identitätsentwicklung immer auch das Überschreiten
des momentanen Entwicklungsstandes gehört. Die präsentierten Zielsetzungen
drücken das Potential für die Verwirklichung der Individualität aus. Deshalb fallen
Identitätsbildung und das Streben nach Einzigartigkeit in der Selbstdarstellung zu-
sammen.
Die Selbstdarstellung orientiert sich an den bisherigen Erfahrungen. Die hier
verfolgte Argumentation geht davon aus, dass Erfahrungen durch Rückmeldungen
des Interaktionspartners zu den präsentierten Eigenschaften gesammelt werden.
Diese Konsistenz formt sich auf der Grundlage eines zu diesem Zeitpunkt aktuellen
Selbstbildes. Um dieses aufrechterhalten zu können, ist eine Auseinandersetzung
mit den interaktiv erzeugten Rückmeldungen unerlässlich. Die Organisation von
Erfahrungen mit auf die Zukunft gerichteten Zielsetzungen geschieht auf kognitiver
Ebene. Die Auseinandersetzung dient der Sinnerzeugung und ist von Keupp als
Anerkennungsgewichtung bezeichnet worden. Die Individuen schreiben den Erfah-
rungen mit Anderen unterschiedliche Bedeutungen zu. Gleichzeitig können sie sich
von bestimmten, für das eigene Selbstbild nachteiligen, Rückmeldungen distanzie-
ren. Dieser Prozess der Selbstanerkennung ist unkommunizierbar. Er zeigt sich erst
als Ergebnis in der nächsten Narration.24
Diese Vorstellung der Identitätsentwicklung kann weiter konkretisiert werden.
Dafür ist die Berücksichtigung der Selbstpräsentation mittels der drei Arten von
Anspruchshaltungen wesentlich und wird im Folgenden ausgearbeitet.
24 Dieser Auffassung ist auch Georg Simmel, der mit seinem Individualitäts-Apriori davon ausgeht,
dass die qualitative Individualität, die Einzigartigkeit des Individuums aufgrund der Nichtkommu-
nizierbarkeit auch nicht beobachtbar ist. Sie ist nur in dem Sinne einer Selbstbeschreibung be-
obachtbar. (vgl. Simmel 1992)
118 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
Wege. Die Forderung wird geäußert und dabei an einen institutionellen Vertreter
gerichtet und führt entweder zur Anerkennung oder Missachtung.
Individuelle Seinsforderungen werden dagegen vorwiegend in persönlichen Be-
ziehungskontexten präsentiert. Sie bilden die Voraussetzung für die Möglichkeit,
individuelle Veränderungspotentiale überhaupt zu identifizieren und so handlungs-
leitend werden zu lassen. Die Anerkennung erfolgt hier auf der Grundlage einer
interaktiven Aushandlung, deren Grundelement Vertrauen ist. Daraus entsteht
Erwartungssicherheit: Der Präsentierende kann sicher sein, dass sein Anspruch vom
Gegenüber ernst genommen wird und dessen Aushandlung durch gegenseitiges
Wohlwollen gekennzeichnet ist.
Obwohl Leistungsansprüche unabhängig von Erwartungen entwickelt werden,
erfolgt auch ihre Präsentation auf Grundlage des Wunsches nach Anerkennung.
Zum Zweck der Identitätsstabilisierung werden sie aus dem Bedürfnis heraus prä-
sentiert, dass die individuellen Fähigkeiten und das individuelle Leistungspotential
von anderen wahrgenommen werden. Dies kann auch in persönlichen Beziehungs-
kontexten erfolgen. Für die Identitätsstabilisierung ist es jedoch wichtiger, sie in
organisationalen Kontexten, d.h. vor allem im Berufskontext zu präsentieren. Die
hier eingeforderte Anerkennung ist ein wesentlicher Aspekt der Selbstverwirkli-
chung durch Leistung. Gleichzeitig fungiert sie als Voraussetzung für soziale Positi-
onierung.25
Auf alle Anspruchsformulierungen wird also kontextspezifisch mit Anerken-
nung oder Missachtung reagiert, wodurch die Identifikation mit ihnen ermöglicht
oder erschwert wird.
Zur näheren Klärung dieses Aspekts werden im Folgenden die grundlegenden
Anerkennungsmechanismen vorgestellt, die bereits angedeutet wurden. Aus der
genaueren Betrachtung des Verlaufs ergibt sich am Ende eine neue Perspektive auf
die Mechanismen der Identitätskonstruktion.
Anerkennung bringt sowohl sprachliche als auch symbolische Achtung von Perso-
nen zum Ausdruck und ermöglicht eine positive Selbstbeziehung (vgl. Heck 2003:
213). Zur genaueren Bestimmung der Wirksamkeit von Anerkennungsmechanismen
lassen sich zwei Formen von Anerkennung unterscheiden: intersubjektive und in-
25 Die Zunahme der Möglichkeiten zur Präsentation von eigenen Leistungsansprüchen, die über die
festgesetzten Kriterien der berufsbezogenen Rollenanforderungen hinausgehen, haben die Interak-
tionisten mit dem Konzept des Role-Making (vgl. Turner 1962: 22) bereits als grundlegend für
Identitätsentwicklung in modernen Gesellschaften herausgearbeitet.
120 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„Der Kampf um Anerkennung entwickelt sich nach der Realphilosophie in einer Situation, in der
die Ansprüche des einen durch den anderen ausgeschlossen werden. Einzelheit ist hier nur in dem
Sinn ‚innerlich allgemein‘ reflexiv, dass sie vermittelt über die Inbesitznahme der Dingwelt zur
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 121
Selbstbehauptung gelangen will. Aber dieser Versuch schneidet den anderen von dem ab, was „sein
Besitz werden könnte.“ (Ritsert 1981: 297).
Der Aneignende weiß jedoch um die Möglichkeit, dass der aktuell Ausgeschlossene
ebenso eine Chance zur Aneignung hat, und erkennt darin die Selbständigkeit des
Anderen mit an. Diese Gegenseitigkeit mündet in der Anerkennung des einzelnen
Willens, der in seiner Selbstbezogenheit erst dadurch allgemein wird.
Aus diesen Wechselwirkungen leitet Hegel die Vorstellung einer dialektischen
Vermittlung von Individualität und Allgemeinheit ab, die sich auf den drei Ebenen
des Verhältnisses des Selbst zu anderen vollzieht. Hegels Vorstellung von der Art
und Weise der Anerkennungsbeziehungen beeinflusst bis heute die soziologische
Sichtweise von Identität. Anerkennung gilt in ihren unterschiedlichen Formen als
unentbehrlich für die Entwicklung des individuellen Selbstbewusstseins.
Diese anerkennungstheoretische Grundlegung wird im Folgenden auf die Me-
chanismen in der funktional-differenzierten modernen Gesellschaft übertragen.
26 Anerkennung meint bei Mead lediglich den wechselseitigen Akt der Perspektivenübernahme und
wirft somit die Frage nach dem Einfluss von konkreten Handlungen auf die Entwicklung eines
Selbstverhältnisses nicht auf. Honneth kritisiert deshalb 2003 im Nachwort seines Werkes an
Mead: „Der Naturalismus seines Ansatzes ist gewissermaßen zu stark, als dass es möglich wäre, die
Anerkennung als ein habitualisiertes Verhalten zu begreifen, das sich in einem historisch gewach-
senen Raum moralischer Gründe vollzieht.“ (Honneth 2003: 313).
122 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
Individualität bejaht und schafft dadurch Selbstvertrauen. Liebe ist somit eine durch
wechselseitige Anerkennung gebrochene Symbiose. Diese Symbiose mündet in der
Anerkennung des Anderen als unabhängiges Wesen mit eigenen Ansprüchen bei
gleichzeitiger Betonung der Verbundenheit. Liebe „bezeichnet (...) den doppelten
Vorgang einer gleichzeitigen Freigabe und emotionalen Bindung der anderen Per-
son; nicht eine kognitive Respektierung, sondern eine durch Zuwendung begleitete,
ja unterstützte Bejahung von Selbstständigkeit ist gemeint.“ (ebd.: 173).
Das Individuum gelangt dadurch überhaupt erst in der Liebe zu derjenigen in-
neren Freiheit, „die ihm die Artikulation seiner eigenen Bedürfnisse erlaubt.“ (ebd.:
172). Damit Anerkennung in dieser Form gelingen kann, müssen die Partner das
Spannungsverhältnis zwischen Selbstaufgabe (für die Bedürfnisse des anderen) und
Selbstbehauptung (der eigenen Bedürfnisse) ständig neu aushandeln (vgl. ebd.: 154).
Dies wird unter individualisierten Bedingungen zu einem zentralen Problem – vor
allem in Intimbeziehungen.
Die moralische Anerkennung ist eine zweite Form der Anerkennung, die Hon-
neth herausstellt. Sie ist institutionell verankert und kann durch das Rechtssystem
moderner Gesellschaften als rationaler Anspruch auf Gleichberechtigung sowie
Anerkennung von Zugehörigkeit bestimmt werden. Sie betont im Gegensatz zu
traditionalen Gesellschaftsformen die Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder. In
diesem Sinne beruht Anerkennung auf der Haltung einer universalistischen Gültig-
keit individueller Rechte, wozu Honneth in erster Linie die Grundrechte zählt. Dies
ist die wichtigste Grundlage für die Integration von Personen in ein Gesellschafts-
system. Als Staatsbürgern wird allen Personen Autonomie zugeschrieben, welche
sicherstellt, dass alle die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung haben (vgl.
Kneip 2004: 43). Diese Grundlegung der freien Selbstbestimmung wird, wie auch
schon in Abschnitt 2.2.2 dargestellt, durch die Gewährung sozialer und demokrati-
scher Rechte ermöglicht. So wird durch moralische Anerkennung die Einhaltung
der Grundnormen Fairness, Solidarität und Gerechtigkeit und die Teilnahme am
politischen Willensprozess sichergestellt (vgl. Kaletta 2008: 93). Honneth zieht
daraus den Schluss,
„(…) dass ein Subjekt sich in der Erfahrung rechtlicher Anerkennung als eine Person zu betrachten
vermag, die mit allen anderen Mitgliedern ihres Gemeinwesens die Eigenschaften teilt, die zur Teil-
nahme an einer diskursiven Willensbildung befähigen; und die Möglichkeit, sich in derartiger Weise
positiv auf sich selbst zu beziehen, können wir ,Selbstachtung‘ nennen.“ (Honneth 2003:195).
Dies ist vor allem durch die öffentliche Wirksamkeit der moralischen Anerken-
nung möglich. Sie fungiert dabei in erster Linie als symbolische Anerkennung. Dies
reicht aus, um die grundlegende Erfahrung der Gleichheit zu erzeugen, kann aber
für die Individuen zum Auslöser eines Kampfes um Anerkennung führen, wenn die
tatsächliche Anerkennung das symbolische Versprechen nicht einlöst.
124 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„Die ,öffentliche Meinung‘ kann darüber hinaus von Einzelpersonen aufgenommen und in alltägli-
chen Interaktionen als Grundlage der Anerkennung bestimmter sozialer Positionen herangezogen
werden, wobei in diesem Falle einzelne Individuen die Quelle der Anerkennung sind.“ (Kaletta
2008: 79).
„Das bedeutet, die Intensität der vergebenen Anerkennung variiert damit, ob sie in einem privaten
Rahmen unter Ausschluss von Beobachtern praktiziert wird oder demgegenüber in einem öffentli-
chen Kontext, in dem die anerkennende Handlung für eine Vielzahl von Personen sichtbar ist
(…).“ (ebd.: 83).
„Alles an der neuen, individualisierten Anerkennungsordnung hängt mithin nun davon ab, wie jener
allgemeine Werthorizont bestimmt ist, der zugleich für verschiedene Arten der Selbstverwirkli-
chung offen sein soll, andererseits aber auch noch als ein übergreifendes System der Wertschätzung
dienen können muss.“ (ebd.: 205).
Als Grundkonsens gilt dabei, dass sich das normative Niveau der Anerkennungs-
verhältnisse kontinuierlich steigert. Damit ist gemeint, dass einmal gesicherte Rechte
nicht ohne weiteres wieder verloren gehen. Das dahinter stehende und vor allem
während des dritten Individualisierungsschubes gültige kulturelle Leitbild ist deshalb
die Anspruchsgerechtigkeit. Aber diese
„(…) abstrakt gewordenen Leitideen geben so wenig schon ein allgemeingültiges Bezugssystem ab,
in dem der soziale Wert bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten zu messen wäre, dass sie immer
erst durch kulturelle Zusatzdeutungen konkretisiert werden müssen, um Anwendung in dieser
Sphäre der Anerkennung zu finden; daher bemisst sich der Wert, der den verschiedenen Formen
der Selbstverwirklichung zuerkannt wird, aber auch bereits die Art, wie die entsprechenden Eigen-
schaften und Fähigkeiten definiert werden, grundsätzlich an den Interpretationen, die historisch je-
weils von den gesellschaftlichen Zielsetzungen vorherrschen.“ (Honneth 2003: 205).
Damit sind alle relevanten Elemente für eine konkrete Untersuchung der drei Aner-
kennungsbeziehungen zusammengetragen worden. In Erweiterung zu Honneths
sozialphilosophischem Ansatz muss erstens durch eine wertspezifische Untersu-
chung gezeigt werden, wie es im Anerkennungsverhältnis Liebe unter individuali-
sierten Bedingungen überhaupt zu einer Herstellung von Gemeinsamkeit kommt.
Vor diesem Hintergrund kann diskutiert werden, wie die emotionale Wertschätzung
von Anspruchshaltungen konkret verläuft. In der moralischen Anerkennung ist
zweitens die Annahme einer kontinuierlichen Steigerung individueller Rechte auf
Grundlage sich wandelnder Werte und daraus erwachsener Ansprüche Vorausset-
zung für die Analyse der Anerkennungsbeziehungen. Das Anerkennungsverhältnis
Wertschätzung wird drittens durch die Überlegungen Kalettas über die Analyse
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 127
sche Herstellung von Selbstachtung durch Anerkennung auf der Grundlage von
Leistungen und Eigenschaften gefasst.
Im Gegensatz dazu geht es im Antwortmodell darum, dass Anerkennung be-
reits vorhandene Fähigkeiten öffentlich bekundet (vgl. Laitinen 2002; Honneth
2003). Dieses Anerkennungsmodell funktioniert nur als Reproduktion oder Aktuali-
sierung von bereits Bestehendem. Die Attribuierung schafft demgegenüber durch
die Hervorhebung etwas Neues. Das Individuum muss diese Eigenschaften nicht
notwendig schon besitzen. Hier wird davon ausgegangen, dass Anerkennung Po-
tentiale in Faktizitäten verwandelt (Honneth 2003: 327).
Die Anerkennung von Ansprüchen entspricht der Logik nach eher dem oben
beschriebenen Attribuierungsvorgang, weil hier präsentierte Ansprüche durch An-
erkennung hervorgehoben und den Individuen als Eigenschaften zugeschrieben
werden. Dem Ansatz von Laitinen mangelt es jedoch an Bezugnahmen auf die
Notwendigkeit der Reziprozität von Anerkennung. In dem Attributionsmodell von
Laitinen fehlen auf Seiten des Anerkannten Kriterien der Beurteilung der Angemes-
senheit dieser Zuschreibungen. In seinem Modell spielt es keine Rolle, inwiefern die
Zuschreibung gerechtfertigt ist. Sobald sie zu Stande kommt, besitzt die Person
diese Fähigkeiten. Auch wird nicht klargestellt, dass die Individuen sich sozial prä-
sentieren müssen, um Anerkennung zu bekommen.
Für die Stabilisierung einer anspruchsgeleiteten Identität ist es wichtig, die An-
erkennung im Hinblick auf geäußerte Ansprüche zu betrachten. Wie bereits in Ab-
schnitt 3.2. angedeutet, ist Selbstpräsentation die entscheidende Bedingung für eine
gelingende Identitätsstabilisierung mittels Ansprüchen. Die Selbstpräsentation von
Ansprüchen zeigt dabei das „mögliche Selbst“ (Greve 2000: 20) eines Individuums.
Sie dient dem Zweck Anerkennung für das eigene Potential zu bekommen. Der Akt
der Anerkennung macht aus einem präsentierten Sein-Wollen ein Sein. Dies ist
Voraussetzung dafür, sich mit seinen Ansprüchen dauerhaft identifizieren bzw.
weiterhin Selbstverwirklichung betreiben zu können.
„In unseren anerkennenden Haltungen reagieren wir angemessen auf evaluative Eigenschaften, die
menschliche Subjekte nach Maßgabe unserer Lebenswelt vorgängig schon besitzen, über die sie
freilich nur dann aktuell verfügen können, wenn sie sich mit ihnen dank der Erfahrung jener Aner-
kennung auch identifizieren können.“ (Honneth 2003: 327).
der Herausstellung der Besonderheit und erlaubt die Abgrenzung gegenüber ande-
ren.
Sowohl im Rahmen der intersubjektiven als auch der institutionellen Anerken-
nung müssen die spezifischen Inhalte und Referenzen immer wieder neu ausge-
handelt werden (vgl. Wagner 2004: 64). Unklar ist, wie sich die Interaktionspartner
anerkennenswerte Leistungen oder Fähigkeiten vorstellen und welche Auswirkun-
gen das auf die Gestalt der Anerkennungsbeziehungen hat. Grundlage für eine
eingehende Betrachtung der Anerkennung von Anspruchshaltungen muss deshalb,
wie bereits im vorherigen Abschnitt verdeutlicht, das jeweils gültige Wertsystem
sein.
Zur endgültigen Identifikation muss es jedoch in einem nächsten Schritt zur
Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Erfahrungen kommen, da die Aner-
kennung von Ansprüchen kontextspezifisch verläuft. Nur so kann die Identität
insgesamt stabilisiert werden. Hierbei werden, wie bereits dargestellt, Bewertungen
und Gewichtungen der Anerkennungs- oder Missachtungserfahrungen und Relati-
vierungen durch Selbstanerkennung vorgenommen. Durch diese Auseinanderset-
zung werden die Erfahrungen zu einem Bestandteil der Identität oder als nicht
relevant eingestuft.
Die Prozesse dieser Gesamtbewertung der unterschiedlichen enwicklungsba-
sierten Seinsforderungen, Ressourcenforderungen und motivationsbezogenen Leis-
tungsansprüchen sind vergleichbar mit der Logik der Teilidentitäten. Das Zu-
sammenspiel der einzelnen Bedeutungseinheiten wird nur durch die sinnkonstituie-
renden Gewichtungs- und Selbstanerkennungsvorgänge des Individuums möglich.
Gleichzeitig geht die hier erarbeitete Konzeption der Identitätsstabilisierung durch
Ansprüche über diese Vorstellung hinaus, da hierfür kontextabhängige Formen von
Anerkennung Berücksichtigung finden.
Im ersten Schritt werden im Folgenden die Anerkennungsverhältnisse für alle
drei Anspruchshaltungen einer wertspezifischen Betrachtung unterzogen. Ziel ist
die Herausarbeitung der spezifischen Stabilisierungsmomente zwischen Seinsforde-
rungen und Liebe bzw. emotionaler Wertschätzung, Leistungsansprüchen und posi-
tionaler Wertschätzung sowie Ressourcenforderungen und rechtlicher Anerken-
nung. Dazu werden die Eigenschaften zum Zeitpunkt des während des dritten
Individualisierungsschubes geltenden Anspruchsindividualismus mittels theoreti-
scher und empirischer Belege herausgearbeitet. Damit können die von Honneth auf
allgemein sozialphilosophischer Ebene ausgearbeiteten Anerkennungsbeziehungen
konkretisiert werden.
In einem zweiten Schritt werden die individuellen Möglichkeiten zum Umgang
mit der Anerkennung vorgestellt. So kann für die Bestimmung des Verlaufs einer
anspruchsgeleiteten Identitätsentwicklung ein Zusammenhang zwischen der sozia-
len Präsentation von Ansprüchen, ihrer Anerkennung in spezifischen, von kulturel-
len Leitbildern geprägten Beziehungen hergestellt werden.
130 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„Das personale Moment in sozialen Beziehungen kann nicht extensiviert, sondern nur intensiviert
werden. Es werden (...) Beziehungen ermöglicht, in denen mehr individuelle, einzigartige Eigen-
schaften der Person oder schließlich prinzipiell alle Eigenschaften einer individuellen Person be-
deutsam werden.“ (Luhmann 1982: 14).
In der Regel sind lediglich Beziehungen zur Familie, zum Partner und engen Freun-
den durch diese Eigenschaften gekennzeichnet, weil diese Beziehungen vertrauens-
voll genug sind, um Raum für die Präsentation von prinzipiell allen individuellen
Zielsetzungen zu geben.
Leopold von Wiese bestimmt das Paar als den kleinsten aller Gruppentypen,
das persönlichste unter allen Gebilden, dessen Funktion gerade darin bestehe, der
Individualität Spielraum zu gewähren (vgl. von Wiese 1924). Aus phänomenologi-
scher Perspektive wird darüber hinaus sogar davon ausgegangen, dass die Einheit
des Menschen als Subjekt nicht nur in der Ich-Form, sondern auch in der Wir-Form
besteht, d.h.
„(…) in dieser Form des Bewusstseins erfasst der Mensch nicht Seinesgleichen als Objekt, weiß
und erkennt auch den anderen nicht nur objektiv als ‚Ebenfalls-Subjekt’ (= Du), sondern bezieht
ihn mit-subjektiv (identifizierend) auf der Aktivseite seiner eigenen Subjektivität in den Erlebnis-
oder Bewusstseinsvorgang mit ein.“ (Geiger 1959: 22).
„Individualismus negiert die Relevanz von Herkunft und Rang in sozialen Interaktionen. Im mo-
dernen Europa wurde die Kraft der Liebe zumindest teilweise an ihrer Fähigkeit gemessen, Klas-
sendifferenzen zu überbrücken. Liebe und Individualismus waren folglich Verbündete. Auch wenn
der Liebende seine Liebe mit Hilfe einer vorgefertigten Formel beteuert, liebt er seine Geliebte als
Individuum; er liebt nicht allgemeine Eigenschaften, wie sie sie mit anderen Frauen teilt.“ (Holmes
1987: 36).
Paarbeziehungen werden so zu einem Ort, an dem sich die Partner mit ihren einzig-
artigen Eigenschaften präsentieren. Sie sind darüber hinaus dadurch gekennzeich-
net, die Erfüllung der Bedürfnisse des anderen vor die eigenen Bedürfnisse zu stel-
len. Jeder Partner erhält die Berechtigung für Anspruchshaltungen, die seine Indivi-
dualität bestätigen und seine Selbstverwirklichung konkretisieren. „Der andere ist
für den Liebenden immer die bedeutendere Welt, die, die mehr zählt als jede andere
sonst. (...) Der Liebende findet im anderen die Gegenlage einer Welt, an der er sein
Handeln orientieren und sich vergewissern kann, für sich selbst bedeutungsvoll zu
leben.“ (Dux 1994: 108).
Voraussetzung dafür ist jedoch die Erarbeitung grundlegender Gemeinsamkei-
ten. Diese müssen von den Individuen interaktiv selbst hergestellt werden. Die
dabei zu beobachtenden Mechanismen haben sich im Zuge zunehmender Individu-
alisierung gewandelt und werden nun für die Zeit des Anspruchsindividualismus
nachgezeichnet.
Eine erste genauere Betrachtung der erforderlichen Konstruktionsleistungen
haben Peter L. Berger und Hansfried Keller in den 1960er Jahren in einem wissens-
soziologischen Artikel „Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit“ vorge-
nommen (vgl. Berger/Keller 1965). Die Ehe wird dabei als nomosbildendes In-
strument betrachtet. Sie ist ein Ordnungsgefüge, in dem die Partner ihr Leben als
sinnvoll empfinden (vgl. ebd.: 220). Die Autoren wollen darüber Aufschluss geben,
wie diese Wirklichkeit, die für die Einzelnen bedeutsam ist, geschaffen, erhalten und
modifiziert wird. Dabei gehen sie von der Mead´schen Grundannahme aus, dass die
Individuen sich die Welt, in der sie leben, immer wieder interaktiv bestätigen müs-
sen. „Die Plausibilität und Stabilität der als gesellschaftlich verstandenen Welt hän-
gen von der Stärke und Kontinuität signifikanter Beziehungen ab, die fortwährend
132 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
ein Gespräch über diese Welt ermöglichen.“ (ebd.: 222). Berger und Keller stellen in
diesem Zusammenhang die These auf, dass die Ehe im Bereich signifikanter Bezie-
hungen einen privilegierten Status einnimmt. Allerdings lassen sich diese Erkennt-
nisse ebenso auf nichteheliche Lebensgemeinschaften übertragen, solange sie über
einen gewissen Zeitraum Bestand haben.
In Partnerschaften treffen zwei Fremde aufeinander, die sich in ihr neu definie-
ren. Sie entstammen unterschiedlichen Gesprächsbereichen und teilen noch keine
gemeinsame Vergangenheit (vgl. ebd.: 223). Gerade diese Fremdheit hat zur Folge,
dass die Partner sich unter größtem Einsatz eine gemeinsame Welt schaffen müs-
sen, in der jeder seinen Platz für Individuation hat. Daraus folgt, dass in der Part-
nerschaft
„(…) alle Handlungen des einen Partners im Bezug zu denen des anderen entworfen werden (müs-
sen). (...) Der andere ist in fast allen Sinnhorizonten des Alltagslebens gegenwärtig. Obendrein
nimmt die Identität einen anderen Charakter an, sie muss ständig an der des Partners ausgerichtet
werden – und sie wird daher auch von den Mitmenschen häufig und bezeichnenderweise als der
Identität des anderen symbiotisch zugeordnet begriffen.“ (ebd.: 226).
Mit diesem Prozess des aufeinander Abstimmens der Handlungen der beiden Part-
ner wird eine neue gemeinsame Wirklichkeit kreiert, wodurch erst die Vorausset-
zungen für die Individuationsbestrebungen der Partner geschaffen werden. Dazu
erarbeiten sich die Partner einen gemeinsamen Sinnhorizont. Dieser Sinnhorizont
dient dazu, die Vergangenheit beider Partner neu zu interpretieren. Insgesamt haben
Partnerschaften deshalb stabilisierenden Charakter, weil die Selbstdefinitionen, die
in den Interaktionen mit dem Ehepartner stattfinden, sich konkretisieren. Waren die
Partner vorher in ihren Überzeugungen nicht festgelegt, so erzeugt die Interaktion
nun Druck, sich klar zu entscheiden, sich als etwas zu definieren, wodurch für beide
Partner eine verlässliche Welt geformt wird (vgl. ebd.: 229). Dies ist die wichtigste
Grundlage für die Präsentation von Zielsetzungen.
Diese neue Realität ist laut Berger/Keller instabil, weshalb Paare zur Unterstüt-
zung ihrer Wirklichkeitskonstruktion durch andere bestätigt werden müssen. „Das
Paar schließt sich den Gruppen, die seine Eigendefinition und die der Welt stützen,
an und vermeidet jene, die diese Definition schwächen.“ (ebd.: 227). Damit dehnt
sich die Kraft der Definition der neuen gemeinsamen Realität aus. Sie hat somit
über die Interaktionen in der Partnerschaft hinaus Bestand und wirkt noch stärker
auf die Neudefinition der ehemaligen eigenen Realität ein. Auf diese Weise kommt
es zur Schaffung einer gemeinsamen Vergangenheit, aber auch zu einer Projektion
auf die Zukunft. Dadurch „werden Möglichkeiten zu Faktizitäten“ (ebd.: 230) bzw.
Optionen zu individuellen Zielsetzungen. Hiermit ist ein erster Aspekt dieses Aner-
kennungsverhältnisses herausgestellt, durch den eine Identifikation mit Zielsetzun-
gen möglich wird.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 133
Dies hat des Weiteren zur Folge, dass die gemeinsam hergestellte Realität von
beiden Partnern als Entdeckung wahrgenommen wird. Sie entdecken sich selbst
und die „Welt, ‚wie sie wirklich ist’, ‚was sie wirklich glauben’, ‚was sie wirklich von
diesem und jenem halten’ und ‚schon immer gehalten haben’.“ (ebd.: 230). Die
Partnerschaft legt damit die Richtung, in die Selbstverwirklichung in Form von
Zielsetzungen getrieben werden soll, fest. Die Partner erzeugen ihre eigene Welt
durch Interaktion und betten ihre Selbstverwirklichungsbestrebungen erst in diese
Welt ein. Sie sind also von vornherein an der Welt des Partners orientiert und neh-
men in Abhängigkeit davon Gestalt an.
Für diese zukünftig handlungsleitenden Konstruktionsleistungen hat Alois
Hahn den Begriff der Konsensfiktionen geprägt (vgl. Hahn 1983). In kritischer
Distanz zu der Berger/Keller Studie betont er, dass sowohl Verlauf als auch das
Ergebnis des Aushandlungsprozesses auf Diskrepanzen und den sogenannten Kon-
sensfiktionen beruhen und berücksichtigt damit stärker die Probleme der Herstel-
lung von Gemeinsamkeit unter individualisierten Bedingungen. Das Ziel einer Ehe
bzw. Partnerschaft sieht Hahn genau wie Berger/Keller darin, einen Konsens für
die Gesamtheit aller Lebensvollzüge zu schaffen. Allerdings argumentiert er gegen
die Auffassung, die ursprünglichen Diskrepanzen in den Erfahrungsbereichen der
Partner seien diesen auch tatsächlich bewusst und würden daraufhin Schritt für
Schritt in einen gemeinsamen Erfahrungsbereich umdefiniert. Begründet wird dies
hier mit der Liebessemantik, die nach Hahn aber nicht ausreiche, um die Wahrneh-
mung einer Übereinstimmung zu rechtfertigen. Vielmehr vermittle der Konsens das
Gefühl, in vielen wichtigen Aspekten tatsächlich übereinzustimmen (vgl. ebd.: 215).
Die Befragung von 300 Eheleuten zeigte: Den Partnern ist nicht nur ein hohes
Ausmaß an Konsens wichtig, sie gehen davon aus, dass dieser Konsens tatsächlich
vorhanden ist. Auch sinkt der Anspruch auf Einigkeit nicht mit der Dauer der Ehe.
Hiermit zeigt sich, dass es sich bei den geschaffenen gemeinsamen Wirklich-
keitskonstruktionen weder um einen bewusst vorangetriebenen Vorgang handelt,
noch dass eine tatsächliche Gemeinsamkeit dafür nötig ist. Dies wird in den Ergeb-
nissen vor allem anhand der Häufigkeit von Fehlannahmen bezüglich gemeinsamer
Erinnerungen oder der Eigenschaften und Motive des Partners deutlich (vgl. ebd.:
222). Diese für die Stabilität der Beziehung notwendigen Konsensfiktionen werden
umso wichtiger, wenn ein tatsächlicher Konsens nicht existiert. Die Wichtigkeit der
fiktiven Übereinstimmung zeigt sich, wenn Paare einen Realitätsschock erleben,
sofern sich die Konsensfiktionen aufzulösen beginnen. Hahn fand durch seine
Studie heraus, dass im Falle eines nicht mehr vorhandenen Konsenses in wichtigen
Aspekten der Beziehung, die Mehrheit der Befragten die Beziehung nicht weiterfüh-
ren würde.
Beide Studien nehmen auf Wirklichkeitskonstruktionen in Ehen Bezug. Diese
zeichnen sich durch eine gewisse Dauer und damit Stabilität aus. Die angenommene
Bindungskraft von gemeinsamer Realität kann erst auf dieser Grundlage ihre Wir-
134 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
kung entfalten. Die heute beobachtbaren Paarbeziehungen sind aber gerade durch
den Verlust von Stabilität gekennzeichnet, was sich vor allem an der seit den 1960er
Jahren drastisch gestiegenen Scheidungsrate zeigt. Die Stabilität geht, wie bereits in
Kapitel eins verdeutlicht, durch das zunehmende Individualisierungsstreben verlo-
ren. Die Herstellung von dauerhafter Gemeinsamkeit wird zum Problem (vgl. Na-
ve-Herz et al. 1990; Scheller 1992; Schulz/Tüchler 1983). „Es ist kennzeichnend,
dass sich die Partner in unserer Gesellschaft nicht scheiden lassen, weil die Ehe
ihnen unwichtig geworden ist, sondern weil die Ehe so wichtig ist, dass sie sich
nicht mit weniger als einer völlig zufriedenstellenden Übereinstimmung mit dem
jeweiligen Partner begnügen wollen.“ (Berger/Keller 1965: 234). Damit zeigt sich,
dass ein weitere Aspekt von intimen Anerkennungsbeziehungen die Ansprüche
sind, die an die Partner gestellt werden. Sie sind Ausdruck einer veränderten Hal-
tung zur Funktion des Partners hinsichtlich der Stabilisierung und Unterstützung
der eigenen Zielsetzungen.
Eine der wenigen Untersuchungen aus der Zeit des Anspruchsindividualismus
über die gültigen Forderungen an eine zufriedenstellende Ehe ist die qualitative
Studie von Gitta Scheller (vgl. 1992). Scheller versucht Bedingungen des Eheschei-
dungsrisikos zusammenzutragen. Sie geht davon aus, dass die seit Mitte der 1960er
Jahre angestiegene Zahl der Ehescheidungen durch veränderte Ansprüche an die
Ehe erklärt werden können. Die Hauptthese lautet, dass
„(…) aufgrund gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen (…) mit der Neuen Frauenbewegung und
mit der Bildungsexpansion, (...) zu vermuten [wäre, D.L]), dass sich die Ansprüche an die Ehe und
die Bedeutung der Ehe derart gewandelt haben, dass Ansprüche eher unbefriedigt bleiben oder un-
befriedigte Ansprüche eher zur Scheidung führen.“ (Scheller 1992: 11).
Die Studie analysiert auf der Basis von 50 leitfadengestützten Interviews, Gründe,
die zum Scheitern der Ehe und damit zur Scheidung führen. In Anlehnung an Kla-
ges Analyse geht Scheller davon aus, dass der Wandel von Pflicht- zu Selbstentfal-
tungswerten zu veränderten subjektiven Auffassungen von Ehe und deren Funktion
für den Einzelnen geführt hat. Anspruchshaltungen, die sich im Bereich der Ehe
verändert haben, sind zum einen emotionale und materielle und zum anderen sexu-
elle Ansprüche. Emotionale Ansprüche meinen „Ansprüche nach Kommunikation,
nach Unterstützung und Beistand sowie nach Verständnis.“ (ebd.: 12). Die Studie
geht von einer Steigerung emotionaler Ansprüche aus, da eheliche Beziehungen
dem psychischen Bedürfnis nach Geborgenheit und Schutz gerecht werden müssen.
Die Wichtigkeit dieser Ansprüche zeigt sich daran, dass bei Nichterfüllung der An-
spruchshaltungen die Ehe häufig aufgelöst wird (vgl. Schulz/Tüchler 1983).27
27
Dieses Konfliktfeld wird auch zu späteren Zeitpunkten in zahlreichen Untersuchungen belegt.
Beispielsweise Riehl-Emde/Frei/Willi 1994, Hahlweg 1995, Klann/Hahlweg/Heinrichs 2002,
Damm 2004, wo mangelnde bzw. unbefriedigende Kommunikation als Hauptgrund für Eheprob-
leme angeführt wird.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 135
Die Ergebnisse der Studie zeigten im Einzelnen, dass vor allem bei älteren
Frauen eine vorherrschende Pflichtwertorientierung dazu führt, dass die Ehe auf-
recht erhalten wird, auch wenn es zu anhaltenden Frustrationen bei emotionalen
und materiellen Ansprüchen kommt. Diese Frauen nehmen sich zurück, ordnen
sich den Ansprüchen des Mannes unter und betrachten die Ehe eher als ein Muss
(vgl. ebd.: 121). Jüngere Frauen dieser Zeit entscheiden sich demgegenüber öfter für
die Auflösung der Ehe, wenn eigene emotionale und auch materielle Ansprüche
nicht befriedigt werden. Sie zeigen auch eine veränderte Einstellung zur Sexualität.
Diese gehört für sie nicht mehr nur in den Bereich der ehelichen Pflicht, sondern
wird ebenfalls zu einem Bereich, in dem eigene Ansprüche formuliert werden. (ebd.:
123, 151).
Die intensivere Selbstentfaltungsorientierung führte bei jüngeren Frauen wäh-
rend des dritten Individualisierungsschubes insgesamt zu höheren Ansprüchen
hinsichtlich der Gleichberechtigung und Autonomiebestrebungen. Sie standen im
Gegensatz zu den Ansprüchen von Männern, die Ende der 1980er Jahre noch ver-
stärkt auf Unterordnung und Unterstützung im Haushalt setzten. „In allen Fällen
bringt der Wertorientierungswechsel Frauen in einen schärferen Widerspruch zu
den Ansprüchen ihrer Partner, entstehen größere Diskrepanzen zwischen den An-
sprüchen der Ehepartner.“ (ebd.: S. 191).
Die Studie hat gezeigt, dass es gerade bei Frauen zwischen 25 und 39 Jahren
durch Studium und Berufstätigkeit unter den Bedingungen des Anspruchsindividu-
alismus zu Wertverschiebungen gekommen ist, welche allgemein zu mehr Selbstbe-
wusstsein und Selbstständigkeit geführt haben und sich in veränderten Ansprüchen
an den Ehepartner ausdrücken. „Ebenso lässt sich feststellen, dass diesem Wandel
von fast allen Frauen ein Einfluss auf Konflikthäufigkeit und Bestand ihrer Ehe
zugeschrieben wird.“ (ebd.: 191). Auch geschiedene Männer bestätigten in der Un-
tersuchung, dass Konflikte durch erhöhte Anspruchshaltungen der Frauen entstan-
den, denen die Männer nicht gerecht werden konnten oder wollten. Im Gegensatz
dazu zeigte ein Teil der verheirateten Männer bereits ein höheres Maß an Aufge-
schlossenheit gegenüber den Autonomiebestrebungen der Frauen.
„Sie traten stärker für die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe ein, verbanden mit ihrer Ehe den
Wunsch nach Geborgenheit, berichteten über eine eigene Partizipation an den häuslichen Aufga-
ben. Im Unterschied zu den geschiedenen waren die verheirateten Männer außerdem bereit, den
Ansprüchen ihrer Frauen Raum zu geben und zuweilen auf die Verwirklichung der eigenen zu ver-
zichten.“ (ebd.: 216).
Scheller kam 1992 zu dem Schluss, dass das Risiko einer Ehescheidung dann ge-
mindert wird, wenn Männer mehr auf die veränderten Selbstentfaltungsansprüche
der Frau eingehen, was allerdings auch umgekehrt für die Frauen gelten muss. Re-
ziproke Bedürfnisbefriedigung wird zu einem Garanten für eine stabile Ehe ausge-
arbeitet (vgl. ebd.: 216). Damit zeigt sich, dass die gegenseitige Orientierung an
136 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„(…) ist die Dominanz der Kernfamilie als einzige kulturell verbindliche Norm aufgehoben. Selbst
wenn die Kernfamilie weiterhin eine strukturelle Vorherrschaft beansprucht, haben andere Lebens-
formen – vor allem nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, Alleinlebende, Ein-Eltern-Familien und
kinderlose Ehepaare – quantitativ an Bedeutung gewonnen.“ (Chopra/Scheller 1992: 52, vgl. von
Trotha 1990).
Hans Jellouschek prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „Single Paare“ (Jel-
louschek 1992: 141).28
Wie verändert sich der Einfluss der Partner auf die Ausbildung und Aufrecht-
erhaltung selbstverwirklichender Zielsetzungen innerhalb kurzfristigerer Beziehun-
gen?
„Im Zuge der funktionalen Spezialisierung unserer Gesellschaft ist dem System ‚Ehe‘ und ,Familie‘
die Bildung und Erhaltung von Humanvermögen‘ zugeschrieben (...) (worden, und D.L). So kann
im Hinblick auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft betont werden, dass von ihr nicht die
Nachwuchssicherung, aber ebenso ‚die psychische und physische Regeneration und Stabilisierung
ihrer Mitglieder‘ erwartet wird.“ (Nave-Herz 1999: 38ff, 2004: 111).
Wobei allerdings beachtet werden muss, dass das Konzept der nichtehelichen Le-
bensgemeinschaft keineswegs die Institution Ehe ablöst. Nichteheliche Lebensge-
meinschaften traten und treten mehrheitlich in der Phase der Postadoleszenz auf.
„Diese Lebensphase ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von neuen Erfahrungen, und zum Teil
daraus resultierend auch durch ‚Entwicklungsschübe‘. Hierdurch ist einerseits das Bedürfnis nach
partnerschaftlicher Nähe besonders erwünscht, aber andererseits – wegen der noch „offenen Zu-
kunft“ – werden flexiblere und zeitlich unverbindlichere Partnerschaften, wie die Nichtehelichen
Lebensgemeinschaften, gewählt bzw. bevorzugt.“ (Nave-Herz 2004: 111).
28 Martin Diewald hat in einer Auswertung des sozioökonomischen Panels den Wandel der Unter-
stützungserwartungen bei den unterschiedlichen Paarformen untersucht. Eine geringere Un-
terstützungserwartung ist nur bei Paaren zu beobachten, die räumlich getrennt leben. Verheirate
und nichtverheiratete zusammenlebende Paare nennen in ähnlichen Anteilen den Partner als wich-
tigsten Unterstützer, während nicht zusammenlebende Paare nur halb so oft den Partner als wich-
tigste Person erwähnen (vgl. Diewald 1993: 285).
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 137
„Während romantische Liebe im Übergang vom 18. und 19. Jahrhundert angesichts weit vorange-
triebener Individualisierung Probleme der Bildung ,höchstpersönlicher‘ Beziehungen auffängt, dient
Partnerschaft – als neues Konzept des 20. Jahrhunderts, das jetzt vorhandene Erfahrungen mit
über Liebe gebildeten Beziehungen und neue sozialstrukturell generierte Probleme aufnimmt – als
Muster der Regelung von Beziehungen.“ (Leupold 1983: 298).
gen konfrontiert. Das liegt vor allem daran, dass die Offenheit der Lebensentwürfe
und die lebenslängliche Suche nach Selbstverwirklichung die Partner in einen stän-
digen Austausch zwingen. Der gleichzeitige Verlust feststehender Werte in Bezug
auf Art und Weise einer Beziehung, führt zur Gefährdung der Kommunikationser-
gebnisse, die der Herstellung von Gemeinsamkeit dienen sollen (vgl. Mahlmann
1991: 169). Damit wird die Beziehung, wie Schelsky schon in den 1950er Jahren
feststellte, in doppelter Hinsicht belastet: „Sie wird so einer von Erwartungen,
Sehnsüchten und Ansprüchen gespeisten Belastung ausgesetzt, unter deren Druck
sie augenscheinlich zusammenzubrechen droht.“ (Schelsky 1954: 15f.). Die Schwie-
rigkeiten führen immer häufiger zu verhärteten Fronten, einem dauerhaften Un-
gleichgewicht bei der Berücksichtigung der Ansprüche auf Autonomie in der Part-
nerschaft und nicht selten zum Scheitern der Beziehung.
Als zweite wichtige Gruppe intimer Beziehungen tragen Freunde zur Stabilisie-
rung von Seinsforderungen bei. Mit dieser Perspektive verlagert sich der Blick vom
Anerkennungsverhältnis Liebe auf emotionale Wertschätzung. Wie kann die Stabili-
sierung individueller Zielsetzungen hier vonstattengehen? Können hier Autono-
miebestrebungen positiv bestätigt und so fehlende Anerkennung durch den Partner
überbrückt werden? Inwiefern lässt sich ein Wandel der Funktion von Freundschaft
zur Zeit des dritten Individualisierungsschubes beobachten? Simmel thematisierte
Veränderungen derartiger Beziehungsformen bereits während des ersten Individua-
lisierungsschubes. Friedrich Tenbruck kommt in seinem Artikel von 1964 ebenfalls
zu dem Schluss, dass Individualisierungsprozesse zu einem Wandel von Freund-
schaften führen (vgl. Tenbruck 1964). Er betont, dass Freundschaften durch Bestä-
tigungen zur Selbst-Stabilisierung beitragen. Mit zunehmender Individualisierung
werden Freundschaften „ein Mittel zur Verwirklichung der persönlichen Ziele des
Individuums“ (Kon 1979: 50; Hervorhebungen im Original). Eine Studie von Fatke
und Valtin belegt eine grundsätzliche Zunahme der Bedeutung von Freundschaften
für die Selbstverwirklichung von Erwachsenen (vgl. Fatke/Valtin 1988). Die Zu-
nahme der Bedeutung von Freundschaften wird als Beleg dafür gesehen, dass ihnen
eine Kompensationsfunktion zukommt (vgl. Nötzoldt-Linden 1994).
Inhaltlich beruht Freundschaft in erster Linie auf freiwilligem Engagement und
einer vorbehaltlosen Interaktion (vgl. ebd.: 79). Gleichzeitig reduzieren Freund-
schaften persönliche und soziale Unsicherheiten, weil sie als sozialisatorischer Spie-
gel wirken und dabei Erinnerungen, gegenwärtige Haltungen und Zukunftspläne
miteinander verbinden. Sie sind
„(…) Marksteine von Ereignissen in verschiedenen Lebensphasen und bei der aktuellen Alltagsbe-
wältigung (…). Sie verkörpern und symbolisieren, was wir waren, was wir sind und sein möchten,
wovon wir uns distanzieren. Durch sie sind unsere Vorlieben und Abneigungen, Stärken und
Schwächen, Deformationen und Wandlungen, unsere raum-zeitlichen Identitäts-Kreise und Status-
bezüge veräußert.“ (ebd.: 205).
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 139
Die Intensität dieser Funktion hängt dementsprechend von der Länge von Freund-
schaften ab. Insgesamt dienen Freundschaften also sowohl der Herstellung von
Zugehörigkeit als auch der Anerkennung von Individualität (vgl. Stiehler 2009: 392).
Empirische Belege über die Mechanismen der Stabilisierung von Seinsforderungen
liegen zur Zeit des dritten Individualisierungsschubes jedoch nicht vor (vgl. Auha-
gen 1993: 225).
Um die Stabilisierungsfunktion bei individuellen Zielsetzungen durch Freund-
schaften in Abgrenzung zum Partner konkreter erfassen zu können, müssen einige
Zusammenhänge auf theoretischer Ebene ausgearbeitet werden. Ein erster Anhalts-
punkt ist: Freunde können andere Perspektiven auf die präsentierten Selbstverwirk-
lichungsstrategien als der jeweilige Partner einnehmen. Die Perspektive ist dabei im
Wesentlichen durch die Dauer der Freundschaft geprägt. Je mehr Vergangenheit
geteilt wurde, umso mehr wird das Wissen darum mit den jeweils sich verändernden
Zielsetzungen in Beziehung gesetzt. Im Rahmen von Freundschaftsinteraktionen
wird so eine andere Gewichtung oder Relativierung zwischen der Identität und den
Seinsforderungen als in Beziehungen vorgenommen. Das Wissen und das Bild, das
der Freund oder die Freundin von demjenigen hat, der sich mit bestimmten Seins-
forderungen präsentiert, wird antizipiert, so dass die Selbstverwirklichungsstrategien
anders dargestellt werden als in Partnerschaften. Diese Kontextabhängigkeit der
Selbstpräsentation führt zu einer Begründung für die jeweils diskutierte Zielsetzung,
die stets zu den Beziehungen passt. So kann z.B. bei der Planung einer beruflichen
Veränderung in Partnerschaften eher mit dem Nutzen für beide argumentiert wer-
den, während in Freundschaften der Nutzen für sich selbst in den Vordergrund
gestellt wird. Obwohl die Zielsetzung dieselbe ist, nimmt die kommunikative Ein-
bettung Einfluss auf die Reaktion.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann angenommen werden, dass
sich die Reaktionen auf diese präsentierten Ansprüche unterscheiden. In Partner-
schaften finden sie vor dem Hintergrund der Herstellung von Gemeinsamkeit statt,
in Freundschaften eher unter dem Rahmen der individuellen Selbstverwirklichung.
Die Stabilisierung von präsentierten Seinsforderungen bzw. geplanten Veränderun-
gen erfolgt in Freundschaften auf einer anderen Grundlage. Sie setzt vorbehaltloser
an der Präsentation an, weil sich Freunde mit einer gewissen Objektivität mit diesen
Zielsetzungen auseinandersetzen können. Sie müssen die Auswirkungen einer mög-
lichen Entscheidung nicht in dem Maße wie der Partner mitdenken, bevor sie Aner-
kennung aussprechen.
Im Hinblick auf die Stabilisierungsfunktion kann nun geschlussfolgert werden,
dass die Anerkennungsleistungen der Partner mit denen der Freunde unter Um-
ständen konkurrieren. Das Individuum muss die Reaktionen des Partners und der
Freunde miteinander vergleichen und gewichten, um zu einer Entscheidung zu
kommen. Freundschaften sind darüber hinaus in einigen Situationen als alleiniger
Stabilisator von Seinsforderungen zu betrachten. Diese Funktion übernehmen sie
140 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
dann, wenn z.B. die Trennung vom Partner als Ziel angestrebt wird. Aber auch hier
gibt es Konkurrenz zwischen Rückmeldungen der unterschiedlichen Freunde, die
auch geschlechtsspezifisch ausfallen können und dann vom Individuum ausgewertet
werden müssen, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stabilisierung von handlungsleiten-
den Seinsforderungen durch Liebe und emotionale Wertschätzung den wichtigsten
Teil der Identität betrifft. Durch die grundsätzliche Orientierung an der Individua-
lität und die intensive Auseinandersetzung mit den Selbstverwirklichungsstrategien
wird hier der stärkste Einfluss auf den Verlauf der Identitätsarbeit genommen. Da-
bei fungiert Liebe, wie Berger und Keller argumentieren, als Grundlage, um Selbst-
verwirklichungsstrategien zu entwickeln. In Partnerschaften gelangen Ansprüche
überhaupt erst zu ihrer Formulierung. Emotionale Wertschätzung hat dagegen eher
einen darauf aufbauenden Stabilisierungscharakter.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch durch eine soziohistorische Betrachtung des
Wandels von Beziehungen, dass sie durch die Zunahme der Individuationsbestre-
bungen starken Belastungen und der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt sind. Dabei
sind Partnerschaften stärker als Freundschaften vom Druck des Aushandelns von
Autonomie betroffen, weil sie zusätzlich die Aufgabe haben, Gemeinsamkeiten
diskursiv zu erzeugen, die auch für die Zukunft gelten müssen. Grundsätzlich be-
deutet die Verteilung der Anerkennungssuche auf die beiden Kontexte Freund-
schaft und Partnerschaft aber auch, dass in der Zeit des dritten Individualisierungs-
schubes die individuelle Abwägungs- und Gewichtungsarbeit zunimmt.
tung. Diese Phase wird in der Literatur auch als Wohlstandsindividualisierung be-
zeichnet. Im Zuge jener Entwicklungen dehnte sich das Anspruchsdenken allmäh-
lich immer weiter aus und führte, wie bereits in Kapitel zwei diskutiert, zu kritischen
Auseinandersetzungen mit der Wohlfahrt gefährdenden Haltung vieler Bürger ge-
genüber staatlichen Leistungen. Welche Mechanismen der Anerkennung von An-
sprüchen lassen sich nun im Einzelnen hierbei beobachten und wie wirkt sich dies
auf das Anspruchsdenken, d.h. die Ressourcenforderungen der Individuen aus?
Eine gesellschaftstheoretische Betrachtung des Anspruchsindividualismus muss
die hier wirksamen Anerkennungsbeziehungen und die damit eintretenden Effekte
auf die Identitätsbildung genauer beleuchten. Für die Anspruchshaltungen, wie sie
im Rahmen dieser Arbeit als Ressourcenforderungen definiert werden, gilt grund-
sätzlich, dass sie an Vertreter der sozialen Umwelt gerichtet werden und damit ihre
Erfüllung fordern. Dabei kann es sich sowohl um die Forderung nach Rechten als
auch nach bestimmten Gütern oder Leistungen handeln. Hierbei wirken jeweils
unterschiedliche Anerkennungsmechanismen. Es ist einerseits zu unterscheiden
zwischen den Anerkennungsleistungen und deren Auswirkungen auf Ansprüche,
die eine bürgerrechtliche Verankerung erzeugen und jenen, die sozialrechtlich ver-
ankert sind. Im ersten Fall ermöglicht Anerkennung Selbstachtung auf Grundlage
von Forderungen nach Autonomie. Im zweiten Fall Selbstverwirklichung auf
Grundlage von konkreten Bedürfnissen nach Ressourcen.
Die bürgerrechtliche Durchsetzung der Anspruchsgerechtigkeit gründet auf der
allgemeinen Vorstellung von Freiheitsrechten, die den Bürgern eines Landes zuge-
schrieben werden. Dies ist ein politisch legitimiertes Selbstverständnis in der Bun-
desrepublik. Individuelle Autonomiebestrebungen werden verstärkt über die rechtli-
che Auseinandersetzung mit Ansprüchen erstritten. Die allgemeine Grundlage dafür
ist, wie in Kapitel zwei erläutert, die bürgerrechtlich verankerte Regelung von Auto-
nomie, die Selbstverwirklichung zu einem Grundrecht macht. Dadurch wird dem
Individuum als Staatsbürger ermöglicht, bestimmte Bedürfnisse als Ansprüche zu
etablieren. Die Anerkennung dieser Ansprüche führt zu einem Gefühl der Selbst-
achtung. Diese Selbstbeziehung hat Honneth als moralische Zurechnungsfähigkeit
bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund können Erfolge hinsichtlich der Autonomiebestre-
bungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen verzeichnet werden. Diese
lassen sich als Kämpfe um Gleichberechtigung beobachten und entstehen als Folge
erfahrener Missachtung. Missachtungen sind als „Herabwürdigung von individuel-
len oder kollektiven Lebensweisen“ (Honneth 2003: 217) zu verstehen. Im Rahmen
der Anspruchsanmeldung wird Missachtung dann wahrgenommen, wenn die sich in
Ressourcenforderungen ausdrückenden Möglichkeiten zur Erhöhung der Selbst-
achtung durch eine Nicht-Gewährung von Rechten beschränkt werden. Ein darauf
aufbauendes Schamgefühl kann
142 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
„(…) zum motivationalen Anstoß eines Kampfes um Anerkennung werden. Denn die affektive
Spannung, in die das Erleiden von Demütigungen den einzelnen hineinzwingt, ist von ihm jeweils
nur aufzulösen, indem er wieder zur Möglichkeit des aktiven Handelns zurückfindet (…).“ (Hon-
neth 2003: 224).
Zu beobachten sind diese Mechanismen vor allem im Rahmen der Frauen- und
Homosexuellenbewegung. Prinzipiell gelten sie aber für alle gesellschaftlichen
Randgruppen, denen es um Anerkennung ihrer Eigenständigkeit geht. Hierbei zeig-
te sich, dass dieses bürgerrechtlich verankerte Anerkennungsverhältnis zu einer
kontinuierlichen Ausweitung der Rechte führt. Bereits erstrittene Erweiterungen der
Autonomie sind in diesem Bereich bis heute nicht zurückgenommen worden.
Die Frauenbewegung hat sich diverse Rechte im Sinne der Gleichbehandlung
mit Männern erkämpft. Als wichtigste Neuerung kann die Erweiterung des Grund-
gesetzartikels drei von 1994 um folgenden Satz gelten: „Der Staat fördert die tat-
sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Die Umsetzung von Frauen-
förderung fand und findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Insgesamt dienen die
Maßnahmen jedoch immer dem Abbau von Ungleichheiten im Arbeitsmarkt. Zent-
rales politisches Organ sind hier die Gleichstellungsstellen, die 1986 mit der Ein-
richtung des Ministeriums für Frauen, Familie und Gesundheit nach und nach ent-
standen. 1996 trat das Gleichstellungsgesetz zur Frauenförderung für private Un-
ternehmen und öffentlichen Dienst in Kraft. Für den öffentlichen Dienst ist seit
2001 die Frauenförderung zusätzlich durch die Einsetzungen von Frauenbeauf-
tragten weitergeführt worden. Für die Erhöhung beruflicher Chancen wird bis heute
über die Einführung einer Quotenregelung diskutiert. Sie dient der Erhöhung des
Frauenanteils in allen beruflichen Positionen, in denen dieser zu Gunsten der Män-
ner ungleich verteilt ist. Aber auch andere Fördermaßnahmen, wie der Ausbau von
Kindertagesstätten zwecks schnellerer Wiederaufnahme des Berufes zählt zu den
Errungenschaften der Frauenförderpolitik.
Die Homosexuellenbewegung hat ebenfalls diverse Rechte im Sinne der
Gleichbehandlung erkämpft, die sich bis heute fortsetzen und damit zeigen, dass
der Ausbau individueller Rechte immer mit der Erhöhung des normativen Niveaus
einhergeht. 1957 urteilte das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Verfassungs-
beschwerde noch, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen gegen das Sittengesetz
verstoßen, wodurch tausende männliche Homosexuelle zu Gefängnis oder Zucht-
haus verurteilt wurden. 1969 kam es zu einer ersten Reform und 1973 zu einer
zweiten, wodurch Homosexualität nur noch unter dem Aspekt der Verführung
Minderjähriger strafbar war. 1994 wurde die Strafbarkeit ganz aufgehoben. Im wei-
teren Verlauf kam es zu einer rechtlichen Anerkennung der gleichgeschlechtlichen
Partnerschaft, wie sie 2001 mit dem Gesetz über die eingetragene Lebenspartner-
schaft in Gang gesetzt wurde. Die Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts
von 2004 regelte unter anderem auch die Adoption von leiblichen Kindern des
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 143
Partners und die Aufhebung der Lebenspartnerschaft durch Scheidung. Sie bekam
nun den Status einer Ehe. Die Schwulen und Lesben kämpfen nunmehr um weitere
Rechte, wie ein gemeinsames Adoptionsrecht und ihre Gleichstellung mit Ehepart-
nern im Steuerrecht (vgl. Steffens/Wagner 2009: 244). Weitere rechtliche Regelun-
gen gegen die Diskriminierung der sexuellen Identität, aber auch des Geschlechts
sowie ethnischer Herkunft, Religion, Alter, Weltanschauung und Behinderung sind
im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 festgeschrieben.
Im Gegensatz zu diesen Beispielen für bürgerrechtliche Veränderungen lassen
sich sozialrechtliche Veränderungen grundsätzlich aus politischen Entscheidungen
ablesen. In ihnen spiegeln sich die Maßnahmen zur Gewährung von geäußerten
Ansprüchen. Während Veränderungen bürgerrechtlicher Grundlagen überwiegend
infolge von individuell geäußerten Ansprüchen im Rahmen eines Rechtsstreits er-
folgen, entspringen sozialpolitische Änderungen den Ansprüchen ganzer gesell-
schaftlicher Gruppen (vgl. Kaletta 2008: 96). Politische Veränderungen werden
zwar in allen Bereichen, wie z.B. Sicherheitspolitik, Umweltpolitik, Familienpolitik
usw. auf diese Art erwirkt. Aber für die hier verfolgte Betrachtung des Umgangs mit
Ressourcenforderungen sind lediglich die politischen Veränderungen auf sozial-
staatlicher Ebene relevant, die während der Gültigkeit des Prinzips der Anspruchs-
gerechtigkeit zu beobachten waren.
Sozialrechtlich begründete Anerkennungsmechanismen sind für die Ermögli-
chung von Selbstverwirklichung ebenso relevant wie bürgerrechtliche. Das grundle-
gende Prinzip einer sozialrechtlichen Anerkennung ist die Bedürftigkeit. Kriterien
zur Bestimmung dessen, wer als Bedürftiger betrachtet wird und sich der Unterstüt-
zung des Sozialstaates sicher sein kann, sind Alter, Einkommenslage und Gesund-
heitszustand. In welchem Maße es zu einer Ausweitung sozialstaatlicher Maßnah-
men kommt, hängt von den Wertvorstellungen der Gesellschaft ab. Während der
Zeit der Anspruchsgerechtigkeit erlangte das Prinzip des Abbaus marktvermittelter
sozialer Ungleichheit in der Bundesrepublik Bedeutung. Zur Bestimmung des Gra-
des von Ungleichheit kann zwischen zwei Leitprinzipen unterschieden werden:
absolute und relative Gleichheit.
„Während absolute Gleichheit bedeutet, dass zwischen einzelnen Gesellschaftsmitgliedern bzw. ge-
sellschaftlichen Gruppen keinerlei Unterschiede bezüglich ihrer Rechte und Pflichten wie auch ih-
rer wirtschaftlichen Möglichkeiten bestehen sollten, bedeutet relative Gleichheit, dass es aufgrund
der Legitimation durch einen bestimmten Bezugsstandard Unterschiede zwischen einzelnen Men-
schen oder Gruppen geben darf.“ (Kaletta 2008: 97).
Dabei ist in keiner westlichen Industrienation der Maßstab der absoluten Gleichheit
politisch handlungsleitend, da mit ihm die Auflösung jeglicher Form von sozialer
Ungleichheit verbunden wäre. Relative Gleichheit mündet dagegen in der Ver-
pflichtung Ressourcen bereitzustellen, die zur Selbstverwirklichung der Menschen
minimal nötig sind. Kennzeichen dessen sind das Versorgungsprinzip, das den
144 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
Schutz der Person unabhängig von ihrem Status gewährt, und das Fürsorgeprinzip,
das sich in der Zahlung von Sozialhilfe ausdrückt. Die Einhaltung dieser Prinzipien
wird durch die individuell geäußerten Ansprüche gewährleistet. Über ihre Anerken-
nung wird dann auf Basis des ermittelten Bedarfes entschieden.
Das Prinzip der sozialrechtlich verankerten Anspruchsgerechtigkeit wurde po-
litisch zwischen 1969 und 1998 durchgesetzt. Dies bewirkte, dass die Individuen
davon ausgehen konnten, die Erfüllung ihrer Ansprüche stehe ihnen gerechterweise
zu. Die finanzielle Ausstattung der Sozialpolitik war großzügig geplant worden. Die
Sozialleistungen wurden durch diverse Reformen, wie z.B. die Rentenreform, Re-
formen des Arbeits-und Unfallschutzes und des Gesundheitswesens kontinuierlich
ausgebaut. Grundlage für die Erhöhung des Sozialbudgets waren sehr optimistische
Einschätzungen bezüglich eines weiter anhaltenden Wirtschaftswachstums während
der Regierungszeit der SPD/FDP-Koalition zwischen 1969 und 1982 (vgl. Schmidt
2005: 93). Gleichzeitig stieg jedoch die Inanspruchnahme der Sozialleistungen durch
wachsende Arbeitslosigkeit, die Zunahme von Altersrenten und infolge des allge-
meinen Ausbaus sozialer weiterer Sicherungssysteme.
Mit dem Wechsel der Regierungskoalition zur Ära Kohl wurde ein allmählicher
Abbau sozialstaatlicher Leistungen eingeleitet. Es kam zu Streichungen bei der
Ausbildungsförderung, einer Senkung der Sozialhilfesätze, des Arbeitslosengeldes,
der Arbeitslosenhilfe und bei den Rentenbeiträgen (vgl. Schmidt 2005: 100). Von
Seiten der Opposition wurden erste Proteste gegen einen umfassenden Sozialabbau
laut. 1985 wurde ein Stopp der Kürzungen und eine Verbesserung von Sozialleis-
tungen eingeleitet, die sich vor allem in einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, der Ein-
führung der Pflegeversicherung und in Veränderungen der Familienpolitik äußerten.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Bevölkerung trotz der einsetzen-
den Kürzungen seit 1982 keine großen Einschnitte in ihrem Anspruchsdenken
hinnehmen musste. Die sozialstaatlichen Vorsorge- und Fürsorgeprinzipien fun-
gierten für den Großteil der Bevölkerung als Sicherheitsnetz, so dass die geäußerten
Ressourcenforderungen weitestgehend als anerkannt gelten.
Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage, wohin der Zusammenhang zwischen
der kontinuierlichen Anerkennung und der Steigerung des Anspruchsniveaus im
Hinblick auf die Ressourcenforderungen führt? Eine Missachtung von Ansprüchen
würde eine Senkung des Anspruchsniveaus bewirken. Auf der Ebene der Bedürf-
nisbefriedigung ruft Missachtung ein Frustrationserleben hervor. Dies führt zum
Erleben eines Mangels, der einem Kontrollverlust zwischen wahrgenommenen
Optionen und Verwirklichungsmöglichkeiten gleichkommt. Wegen des Prinzips der
Anspruchsgerechtigkeit entstehen jedoch immer wieder neue Anstrengungen zur
Durchsetzung der Ansprüche. Dies hat zur Folge, dass durch Widerstand gegen
Missachtungsvorgänge von Seiten der Politik letztendlich Anerkennung erstritten
wird (vgl. Herbert 1992; Klages 1992). Vor diesem Hintergrund gibt es für die Indi-
viduen keinen Anlass, ihr Anspruchsdenken auch bei Missachtungen zu verändern.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 145
29 Hierdurch wird auch die Erläuterung Luhmanns erst deutlich, durch welche die Selbstverwirkli-
chung als nur im Anspruch existent betrachtet wurde. Luhmann betonte dabei, Selbstverwirkli-
chung sei ein sich Abarbeiten an den Erfahrungen, die man mit seinen Ansprüchen macht. Der
„Soll-Zustand“ des Selbstbildes kann selbst bei kontinuierlicher Ablehnung nur dann weiterhin
handlungsleitend und damit identitätsstiftend sein, wenn das Individuum Selbstbewertungsvorgän-
ge dazwischen schaltet. Diese hat Luhmann nicht in seine Überlegungen einbezogen. Nach seiner
Logik, müssten die Ansprüche, die abgelehnt werden, versiegen.
146 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
notwendig brauchen, wie es z.B. bei der Suche nach Arbeitsplätzen nachvollziehbar
wird. Je nach Wichtigkeit der geforderten Ressource für die eigene Selbstverwirkli-
chung, wird auch die wiederholte Verweigerung des Anspruchs nicht dazu führen,
dass der Anspruch versiegt. Das heißt: Je wichtiger eine Ressourcenforderung ist,
desto öfter wird sie geäußert und desto häufiger werden Verweigerungen hinge-
nommen.
Aus der Artikulation von Ressourcenforderungen ergibt sich noch eine weitere
Konsequenz für die Wahrnehmung von gelungener oder gescheiterter Selbstver-
wirklichung. Konzentriert man sich bei der Funktion von Ressourcenforderungen
auf den Zweck der Verwirklichung von Individualität, dann können sie unter indi-
vidualisierten Anerkennungsbedingungen paradoxerweise sogar eine Bedrohung für
das Individualitätsbewusstsein darstellen (Luhmann 1993). Diesen Punkt hat Luh-
mann herausgestellt. Ressourcenforderungen werden zunehmend gebündelt an
Organisationen gerichtet. Diese können die individuellen Ansprüche nur dadurch
beantworten, dass sie sich immer weiter ausdifferenzieren. Gleichzeitig können
Organisationen ihnen nur dann gerecht werden, wenn sie von einer Mehrzahl von
Personen gefordert werden. So kommt es zu einer Standardisierung des An-
spruchsindividualismus. Mit dieser Standardisierung der Anspruchsbefriedigung
geht, so Luhmann, die in die Anspruchsformulierung gelegte Individualität verloren.
Die Individuen können nicht mehr nachvollziehen, was mit ihren Ansprüchen ge-
schieht. Sie verlieren den Bezug zu ihnen. „Individuen adressieren Ansprüche an
einen Apparat, den sie nicht durchschauen können; je mehr Individualität in die
Ansprüche gelegt wird, desto befremdlicher werden die Bedingungen, unter denen
die Ansprüche sich realisieren lassen.“ (Luhmann 1993: 254). Die damit einherge-
hende Nichtbestätigung von Individualität führt nach Luhmann zur Unzufrieden-
heit. Die Abgrenzungsbemühungen durch Ansprüche, die der Bewusstmachung der
Einzigartigkeit dienten, sind somit gescheitert. Die Unzufriedenheit kann dadurch
aufgehoben werden, dass die Individuen Anspruchsverzicht üben. Das bedeutet
nach Luhmann, sich selbst nicht in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Teilsyste-
men zu begeben. Nichts zu fordern, ist dann ein Anspruch auf Freiheit. In seinem
Verzicht ist dieser Anspruch eine Abwehr gegen jede Form der Begrenzung (vgl.
Luhmann 1995).
Diese Perspektive auf Anspruchsverzicht gilt aber nicht grundsätzlich für den
Mechanismus der Stabilisierung durch Anerkennung. Vielmehr stellt sie einen Spe-
zialfall für eine Werthaltung dar, die sich in der Ablehnung allgemeiner Leitbilder
ausdrückt. Die Unzufriedenheit über die Gleichförmigkeit der Anspruchsanmel-
dung ergibt sich eher aus der Erkenntnis, dass sich die eigenen Ansprüche auf der
Grundlage von gesellschaftlichen Erwartungen und Normen entwickelt haben.
Dazu bedarf es allerdings einer erhöhten Reflexionsleistung. Diese wird aber im
Normalfall nicht vollzogen. Die Tatsache, Ansprüche äußern zu können, reicht hier,
um sich seiner selbst zu vergewissern. Dabei ist es unerheblich, ob andere sich mit
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 147
30 Diese Art von Anerkennungsverhältnis besteht z.B. in der von Goffman beschriebenen „totalen
Institution“ (Goffman 1973). Hier werden die Mitglieder einer Institution strengen formalen Re-
geln unterworfen. Ihre Tätigkeiten unterscheiden sich nicht voneinander und die Anerkennungs-
mechanismen sind reglementiert.
31 Honneth benutzt diese Unterscheidung in einer Diskussion über Formen ideologischer Anerken-
nung. Diese Perspektive wird hier nicht übernommen, sondern auf die Veränderungen hinsichtlich
positionaler Wertschätzung übertragen.
150 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
sich erhöhtes Engagement zur Ausübung der Rolle ausdrücken. Im Ergebnis wer-
den Leistungen hervorgehoben, die eine besondere Bedeutung für die Berufsrolle
haben. Solche Hervorhebungen wirken auszeichnend, weil sie kontrastiv sind – der
Kontrast ergibt sich aus dem Vergleich mit anderen Rollenträgern und der Verände-
rung der Rollenausübung im Vergleich zur Vergangenheit. Diese Auszeichnung
kennzeichnet eine stärkere Orientierung an den Fähigkeiten des Rollenträgers. Sie
kann symbolisch sein und sich im Kontext verbaler oder nonverbaler Kommunika-
tion ausdrücken. Dem muss jedoch die Präsentation eigener Leistungsansprüche
vorausgehen, wobei erst einmal offen bleibt,
„(…) in welcher Weise Anerkennung nicht nur auf subjektive Bedürfnisse rekurriert, sondern auch
als ein personalpolitisches Instrument zur sozialen Differenzierung und Konkurrenz sowie zur
freiwilligen Leistungssteigerung und Identifikation mit betrieblichen Zielen genutzt wird bezie-
hungsweise werden kann“ (Böhle 2010: 472f.).
Mit dieser Analyse der Gestalt von Anerkennungsbeziehungen im Hinblick auf die
drei Anspruchshaltungen konnte herausgestellt werden, durch welche Mechanismen
der Umgang mit den unterschiedlichen Ansprüchen vor dem Hintergrund des kul-
turellen Leitbildes des Anspruchsindividualismus geprägt war. Damit ist für die hier
verfolgte Mikrofundierung der Weg von der Ausbildung von Ansprüchen bis zu der
Ermöglichung einer Identifikation zum Zweck der Identitätsstabilisierung offen
gelegt. Es wurde bereits an einigen Stellen plausibel gemacht, warum Ansprüche
einer Steigerungsdynamik ausgesetzt sind. Das sich in Ansprüchen ausdrückende
Streben nach einem Soll-Zustand konnte erweitert werden, indem es in eine allge-
meine anerkennungstheoretische Argumentation in Bezug auf Identitätsentwicklung
eingebettet wurde. Neben der Grundlage der Optionenvielfalt, die zu einer allge-
meinen Zukunftsoffenheit der Lebensläufe führt und so Ansprüche als handlungs-
leitende Zielsetzungen notwendig macht, um Selbstverwirklichung zu betreiben,
lassen sich aus der Gestalt der Anerkennungsbeziehungen insgesamt Gründe für die
Steigerung der Anspruchsniveaus ableiten.
Das Anspruchsniveau wirkt, wie bereits in Abschnitt 2.3 dargestellt, als Bewer-
tungsmaßstab sowohl auf die Zielsetzungen, Ressourcenforderungen und Selbstan-
sprüche ein. Es wird zur Messlatte für das sich überschreitende Individuationsstre-
ben. Dabei fungiert das in der Vergangenheit Erreichte als Standard, auf dessen
Grundlage höhere Ansprüche ausgebildet werden. Diese formen sich allerdings erst
in Abhängigkeit von Erfolgs- und Misserfolgserlebnissen, die einerseits durch die
Reaktionen der Umwelt hervorgerufen werden, andererseits durch verinnerlichte
Wertmaßstäbe und soziale Vergleichsmechanismen beeinflusst sind.
Durch diese inhärente Wechselwirkung zwischen dem eigenen Streben nach
Selbstverwirklichung und seiner sozialen Beeinflussung, ist das Konzept des An-
spruchsniveaus auch geeignet, um Individualisierung als Selbstverwirklichungspro-
zess unter gesellschaftstheoretischen Bedingungen abzubilden. Dabei werden die
Ambivalenzen zwischen der Ermöglichung von Selbstbestimmung und ihrer Be-
grenzung aus den Veränderungen von Anerkennungsbeziehungen abgeleitet und als
Zeichen neuer Integrationsmechanismen gewertet.
154 Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung
In Bezug auf die Stabilisierung von Seinsforderungen durch Liebe und emotio-
nale Wertschätzung konnte gezeigt werden, dass derartigen Bestrebungen mehr
Raum gegeben wird, was sich in dem Wandel der Gestaltung der Beziehungen nie-
derschlägt. Das impliziert auch, dass die partnerschaftliche Kommunikation ver-
stärkt durch die Aushandlung von Zielsetzungen geprägt wird. Die Steigerungsdy-
namik der Zielsetzungen zeigt sich dann in der zunehmenden Belastung der Bezie-
hung bei der Herstellung von Gemeinsamkeit. Dass sich die Zielsetzungen über-
haupt in dem Maße entwickeln, ist dem Anerkennungsmechanismus intimer Bezie-
hungen geschuldet. Die wechselseitige Orientierung an der Individualität des Part-
ners schließt die Berücksichtigung der Zielsetzungen ein. Aufgrund der Zunahme
dieser Zielsetzungen müssen allerdings die Anstrengungen bei der Herstellung von
Gemeinsamkeit erhöht werden. So gesehen lässt sich die Steigerungsdynamik auch
aus den Ansprüchen an den Partner nach mehr Wertschätzung der eigenen Indivi-
dualität ableiten. Gleichzeitig sind die abnehmende Kontinuität und der häufigere
Wechsel von intimen Partnerschafen ebenfalls auf die Zunahme von Selbstverwirk-
lichungsansprüchen zurückzuführen.
Die Steigerungsdynamik von Ressourcenforderungen ergibt sich aus anderen
Anerkennungsmechanismen. Die Zunahme solcher Forderungen gründet auf der
bürgerrechtlich verankerten Akzeptanz individueller Autonomie. Hier kann es kei-
nen anderen Weg geben, als sich auf rechtlicher Ebene immer wieder mit den An-
sprüchen der Individuen auseinanderzusetzen, da dies zu einem Grundpfeiler des
demokratischen deutschen Staates geworden ist. Die Entwicklung zu einer Wohl-
standsgesellschaft mit dem gleichzeitigen sozialrechtlich legitimierten Prinzip der
Anspruchsgerechtigkeit führt darüber hinaus zur kontinuierlichen Ausweitung indi-
vidueller Ressourcenforderungen. Die eigentliche Steigerungsdynamik auf individu-
eller Ebene ergibt sich aus der Erfahrung erfolgreicher Anspruchsanmeldungen und
der damit einsetzenden Befriedigungswirkung. Die Erfahrung mit anerkannten
Anspruchsanmeldungen beeinflusst die Wahrnehmung eines Bedürfnisdefizits. Die
Entscheidung weitere Ansprüche anzumelden, hängt davon ab, ob Aussicht darauf
besteht, das festgesetzte Anspruchsniveau nicht zu unterschreiten.32 Im Kontext der
individualisierten Gesellschaft wird die Selbstverwirklichung zum großen Teil durch
diese Erfahrungen mit Ressourcenforderungen geregelt, da sie die Verfügbarkeit
von Optionen begrenzen. In Verbindung mit der Erfahrung einer Berechtigung von
Anspruchshaltungen kommt es zur kontinuierlichen Steigerung von Anspruchsan-
meldungen.
auch bei Missachtungsvorgängen. Diese können erst wirksam werden, wenn das
Individuum sie als für sich und die geäußerten Ansprüche relevant definiert.
Darüber hinaus ist das Individuum in der Lage, Erfahrungen mit kontextspezi-
fischer Anerkennung und Missachtung so miteinander in Beziehung zu setzen, dass
ein Mangel an Anerkennung z.B. im Rahmen positionaler Wertschätzung durch die
Anerkennung in persönlichen Beziehungen relativiert werden kann (vgl. Straus/Hö-
fer 1997: 299). Die Selbstverwirklichungsbestrebungen können allerdings auch aus-
schließlich auf den Bereich verlagert werden, in dem die geäußerten Ansprüche an-
erkannt werden, um Enttäuschungen vorzubeugen und Misserfolgserlebnisse zu
vermeiden.
Zusammenfassend sei hier festgehalten, dass der Verlauf der Identitätsbildung
grundsätzlich von Anerkennung abhängig ist. Doch muss sich das Individuum mit
der Anerkennung selbstreflexiv auseinandersetzen, um seine Identität zu stabilisie-
ren. Hierbei nutzt das Individuum Gewichtungen, Umdeutungen, Relativierungen
und Ausblendung von Anerkennungs- und Missachtungsvorgängen und Selbstaner-
kennungsmechanismen. Es kann im Ergebnis auch zu einer völligen Umschreibung
der Identität und der Art des Selbstverwirklichungsstrebens in der darauf folgenden
Selbstpräsentation kommen (vgl. Werschkull 2007: 73). Damit ist der letzte Schritt
zur Erklärung einer anspruchsgeleiteten Identitätsentwicklung vollzogen. Er ent-
spricht einer intraindividuellen Logik der Aggregation. Diese theoretische Grund-
lage ermöglicht es, die Zusammenhänge zwischen Ansprüchen, Identitätsbildung
und Anerkennung empirisch zu untersuchen. Vor allem ist hiermit ein Ansatz erar-
beitet worden, der die Umgangsweisen mit Anerkennung, also das Umdeuten, Rela-
tivieren und Gewichten auf Grundlage der Wichtigkeit eines Anspruches zu erklä-
ren vermag.
Bedingungen bildet die Voraussetzung hierfür vor allem das Bedürfnis nach Indivi-
dualitätserzeugung. Dieses Bedürfnis kann mittels Anspruchshaltungen befriedigt
werden. Auf der Grundlage eines allgemeinen Optionen- und Wertepluralismus in
allen hier betrachteten sozialen Kontexten ergibt sich die Chance und Notwen-
digkeit einer zunehmend an den eigenen Ansprüchen orientierten Selbstdarstellung.
Der Identitätsbildungsprozess beginnt demzufolge mit einer nach Anerken-
nung suchenden Präsentation individueller Ansprüche. Dieses Streben nach einer
individuellen Identität findet im zwischenmenschlichen Bereich statt, weil Selbst-
vergewisserung auf die Anerkennung durch andere Individuen angewiesen ist. Die
drei Anspruchshaltungen werden dabei entweder in persönlichen Beziehungen,
institutionellen oder organisationalen Beziehungen beachtet. Die hier angestoßenen
Aushandlungsprozesse führen zu spezifischen Anerkennungsleistungen.
Persönliche Anerkennungsbeziehungen bilden die elementarste Form des iden-
titätsstiftenden Austauschs. Intime Beziehungen orientieren sich an der Individua-
lität der Person bzw. entstehen erst durch sie. Gleichzeitig müssen intime Bezie-
hungen aber eine gemeinsame Welt schaffen, um Bestand zu haben. Die Orientie-
rung an den individuellen Eigenschaften des Partners ergibt sich daraus, wie sich die
Partner gegenseitig präsentieren. Es wurde erläutert, dass bereits die Darstellung
dieser individuellen Eigenschaften durch die Anwesenheit des Partners verändert
wird. Es entstehen bei beiden Partnern Zielsetzungen, die ohne die Auseinanderset-
zung mit dem Partner unkonkreter geblieben wären und damit nicht identifizierend
gewirkt hätten. Diese Verfestigung der Überzeugungen ist Voraussetzung für daraus
entstehende Ansprüche, die in der Partnerschaft kontinuierlich ausgehandelt wer-
den. Die Partner werden füreinander zu einem wichtigen Stabilisator der persönli-
chen Entwicklung. Sie geben sich Sicherheit in dem, was sie sein wollen. Es kommt
zur Festschreibung des antizipierten Selbstbildes, das in sich in Seinsforderungen
ausdrückt. Grundsätzlich besteht für Intimbeziehungen gerade unter Bedingungen
der Optionenvielfalt die Schwierigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Gemeinsamkeit
und dem Streben nach Besonderung herzustellen.
Die Anerkennung von Ressourcenforderungen erfolgt auf rechtlicher Ebene.
Es wurde hier zwischen bürgerrechtlicher und sozialrechtlicher Anerkennung unter-
schieden. Während erstere Autonomieansprüchen antwortet, bezieht sich letztere
auf Selbstverwirklichung. Beide Arten von Ressourcenforderungen gründen auf
dem Glauben, dass der Wunsch nach Erfüllung des eigenen Anspruchs berechtigt
sei. Dieser basiert auf dem Mechanismus der kontinuierlichen normativen Höher-
orientierung. Individualisierte Gesellschaften können hinsichtlich der Autonomie-
ansprüche keine Begrenzungen durchsetzen. Und auch im Rahmen der sozialrecht-
lichen Anerkennung werden Anspruchsbegrenzungen durch politische Vertreter un-
terschiedlicher Lager immer wieder verhindert. Anerkennung von Ressourcenfor-
derungen fungiert deshalb als Regulativ bei der Verfügbarkeit von Optionenvielfalt.
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 159
titätsstabilisierung ist damit von der Fähigkeit abhängig, alle Erfahrungen in einen
eigenen Zusammenhang zu bringen. Dies ist vor allem dann schwierig, wenn wider-
sprüchliche Anerkennungsleistungen zu gleichen Teilen der präsentierten Identität
erbracht werden.
Gelingt es dem Individuum nicht, diese Konsistenz durch Bedeutungszuschrei-
bung vor allem bei widersprüchlichen Erfahrungen herzustellen, ergibt sich der
Zustand der Identitätsdiffusion. Es stehen sich dann unterschiedliche Bedeutungen
derselben präsentierten Identitätsbestandteile gegenüber und ergeben für die Person
keinen Sinn, verweigern sich somit einer Identifizierung und blockieren die Her-
stellung von Identität. Dieser Zustand der Identitätsdiffusion kann nur aufgehoben
werden, dass die Person sich von widersprüchlichen Erfahrungen ihrer selbst ab-
grenzt und ihnen damit eine identifizierende Bedeutung abspricht.
Die in den letzten beiden Kapiteln erarbeiteten Zusammenhänge werden im
folgenden Schaubild noch einmal plausibel gemacht:
IDENTITÄT
SELBSTBESCHREIBUNGSVORGÄNGE
INTERAKTIVE AUSHANDLUNGSPROZESSE
KOGNITIVE WAHRNEHMUNGSVORGÄNGE
SELBSTVERWIRKLICHUNG
Anspruchsgeleitete Identitätsentwicklung und Anerkennung 161
konzentrieren. Das Vorgehen dieses Kapitels ist dadurch stärker beschreibend als
das dritte und konzentriert sich vorrangig auf die Suche nach Verschmelzungen
zwischen Selbst- und Fremdansprüchen.
Dazu erfolgt als erstes eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Leistung
und seiner Bedeutung für die Veränderungen im Selbstverwirklichungsstreben der
Individuen. Daran anschließend wird die Verschmelzung von Fremdforderungen
und Selbstansprüchen anhand unterschiedlicher Subjektmodelle diskutiert. Was dies
im Einzelnen für die Identitätsentwicklung der Individuen bedeutet, lässt sich durch
die Analyse der Anerkennungsverhältnisse offen legen. Mit dieser Perspektive auf
ein umfassendes am Leistungsstreben der Individuen ansetzenden Integrationsprin-
zip werden die drei Anerkennungsverhältnisse Liebe bzw. emotionale Wertschät-
zung, rechtliche Anerkennung und positionale Wertschätzung auf gesellschaftliche
Einflussnahmen untersucht, um den Grad der Untergrabung individueller Ansprü-
che durch neue Soll-Normen abschätzen zu können.
ihrer Bürger aus. Vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Steigerung des Wirt-
schaftswachstums entwickelte sich das Leistungsprinzip allmählich zu einem allge-
meinen, monopolartigen Regulativ. Als Mechanismus, der über die Zuweisung einer
beschränkten Anzahl gesellschaftlicher Positionen entschied, regte das Leistungs-
prinzip den Wettbewerb an, begrenzte aber zugleich den Egalitätsanspruch.
Dies lässt sich anhand der Bildungsexpansion seit den 1950er Jahren nachvoll-
ziehen. Mit der Auflösung von Bildungsbeschränkungen verschwand einerseits die
letzte Institution einer schichtspezifischen Verteilung von Statuspositionen. Zu-
gleich steigerte sich jedoch die Konkurrenz von Leistungsträgern auf dem Arbeits-
markt enorm. Die Grenzen des leistungsbasierten Gleichheitspostulats zeigten sich
durch neuartige Schließungsprozesse. Zum einen wurden zunehmend höhere Bil-
dungsabschlüssen gefordert. Arbeitgeber, z.B. Banken, verlangten statt der mittleren
Reife nun das Abitur als Zugangsberechtigung. Dies erschwerte zunehmend den
sozialen Aufstieg für niedriger Gebildete. Zum anderen trat mit der einsetzenden
Bildungsinflation ein strukturelles Problem der Gleichheitsidee zutage. Denn mit
der Entwertung von Bildungsabschlüssen wurden notwendigerweise andere Mecha-
nismen etabliert, um die Erlangung hoher Statuspositionen zu regeln. Dies hatte für
die Individuen zur Folge, dass ihre Aufstiegsansprüche trotz der Bildungsexpansion
vom Scheitern bedroht waren. Studien von Pierre Bourdieu zeigten, dass weiterhin
indirekte Selektionsmechanismen am Werke waren und sind, welche die Aufstiegs-
chancen für Kinder aus unteren Bildungsschichten verringern (vgl. Bourdieu 1982).
Das Leistungsprinzip wirkt als ein auf Gleichheit zielender Inklusionsmechanismus
also immer nur partiell, weshalb Ungleichheiten sich nie vollends auflösen können.
Es ist somit eher als Prinzip einer gerechten Ungleichheit zu bezeichnen.
Auf Grundlage dieser der Leistungsgesellschaft inhärenten Problematik, übte
die Soziologie zunehmend Kritik an dem beschriebenen Inklusionsmechanismus.
Es sollte die Unwirksamkeit der auf Leistungsgerechtigkeit aufbauenden Chancen-
gleichheit offen gelegt werden, die vor allem im Bildungssystem auftrat (vgl. Bour-
dieu/Passeron 1971). Darüber hinaus wurde der durch Leistung legitimierte gesell-
schaftliche Konformismus kritisiert (vgl. Offe 1970). Das Leistungsprinzip be-
trachtete man als Mittel zur Disziplinierung (vgl. Becker 2003: 11) und warf ihm
vor, aufgrund seines allseitig geltenden Legitimitätsanspruchs weiterhin geltende
nicht leistungsbedingte Ungleichheiten zu verschleiern. „Auf diese Weise verdeckt
und befestigt die normative Geltung des Leistungsprinzips bestehende Macht- und
Herrschaftsverhältnisse und erfüllt die Funktion einer Ideologie.“ (Faßauer 2008:
103). Diese Kritik wurde vorrangig von der 1968er Bewegung vertreten. Sie setzte
sich für eine Abkehr des Leistungsethos ein. Ihr Einfluss zog weite Kreise innerhalb
unterschiedlicher gesellschaftlicher Milieus (vgl. Bell 1976) und beeinflusste die auf
politischer Ebene eingeführte Etablierung des Anspruchsgerechtigkeitsprinzips.
Eine Analyse von Heiner Meulemann zum Wertewandel zeigt, dass Leistung als
Wert im Rahmen der Berufsarbeit für die Individuen zwischen den 1960er und
166 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
1990er Jahren an Bedeutung verlor, während die Freizeit zunehmend an Wert für
die Selbstverwirklichung gewann (vgl. Meulemann 1996: 89f). Vor allem die jüngere
Generation verinnerlichte das Leistungsprinzip zu einem wesentlich geringeren Teil
und bildete stattdessen eher hedonistische Werthaltungen aus.
Ein weiterer Grund, der bereits im vorigen Kapitel angesprochen wurde und
die Erosion des Leistungswertes mit verantwortete, lag in Entfremdungserfahrun-
gen auf beruflicher Ebene. Der für die Industriearbeit typische arbeitsteilige Prozess
sowie die fortschreitende Technisierung, Mechanisierung und Automatisierung der
Arbeitszusammenhänge reduzierten den Sinngehalt der Arbeit. Dies führte zu der
Sichtweise, Handlungsspielräume der Arbeitnehmer würden begrenzt und Arbeit
enthumanisiert (vgl. Ulich 1972: 266). „Eine Leistungsgesellschaft wurde als Gegen-
satz einer humanen Gesellschaft angesehen, wobei Leistung vor dem Hintergrund
der tayloristischen Arbeitsrealität und des überkommenen Arbeitsethos als Mühsal,
Belastung und entfremdend verstanden wurde.“ (Voswinkel/Kocyba 2008: 32). In
einer Studie von Ditmar Brock und Eva Brock-Otto (vgl. 1988) konnte diesbezüg-
lich gezeigt werden, dass die zunehmende Konzentration auf die Selbstentfaltung
im Freizeitbereich vor allem in enttäuschten Erwartungen an eine sinnvolle berufli-
che Tätigkeit gründete (vgl. Brock/Brock-Otto 1988). Das Streben nach Selbstent-
faltung drückte sich, wie bereits in Kapitel drei verdeutlicht, beruflich als steigende
intrinsische Motivation aus, was mit den damals vorherrschenden Arbeitsbedingun-
gen nicht in Einklang zu bringen war, die eher zu einer instrumentellen Einstellung
passten. Insgesamt heißt das nicht, dass Leistung an sich als Wert verschwand,
sondern dass sie anders aufgefasst wurde. „Nicht die Intensität des Leistungsver-
haltens hat sich gewandelt, sondern die Intensität, mit der die aufeinanderfolgenden
Generationen ihr Leben als Leistung sehen, oder besser: gelernt haben, ihr Leben
als Leistung zu sehen.“ (Meulemann 1996: 93). Dieser Wertewandel kann deshalb
als ein Wandel von einer „Erwerbsarbeits- zur Lebensarbeits-Gesellschaft“ (Heinz
1995: 84) bezeichnet werden.
Aus diesen Daten ergibt sich, dass der Rückzug ins Private nicht als Abschied
von einer Leistungsmotivation zu verstehen ist, sondern als Ausdruck ihrer eigentli-
chen Bedeutung für die individuelle Selbstentfaltung. Diese „(…) Einstellungsände-
rungen sind vielmehr als die Folge einer Festigung und weiteren Verbreitung tragen-
der kultureller Werte der Industriegesellschaft und des Bestrebens zu verstehen,
diese Werte unter veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verwirkli-
chen.“ (Bolte/Voss 1988: 79). Darin kommt die Ablehnung jeglicher Form von
Fremdbestimmung zum Ausdruck. Die Daten der Studie von Karl Bolte und Gün-
ter Voß (vgl. 1988) zeigten jedoch auch, dass diese Haltung vor allem bei höher
qualifizierten Angestellten und Arbeitern zu finden gewesen ist. Hier entwickelten
sich Ansprüche auf eine interessante Erwerbstätigkeit. Der Grund liegt vor allem
darin, dass eigene Ansprüche immer dort entstehen, wo ihnen Berechtigung und
Verwirklichbarkeit nicht abgesprochen werden können. Ansprüche für mehr Hand-
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 167
Wie bereits die Darstellung des Wertewandels zeigte, wird der Leistungsbegriff
vieldimensional gebraucht. Seine Definition variiert sowohl in der umgangssprachli-
chen wie in der wissenschaftlichen Verwendungsweise. „So eindeutig seine Ver-
wendung dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch erscheinen mag, so wider-
sprüchlich und unscharf nehmen sich seine Konturen aus, wenn das ‚Prädikat’ Leis-
tung näher definiert werden soll.“ (Neckel/Dröge 2002: 93).
Aus soziologischer Perspektive ist Leistung eine Handlung, die sich durch eine
Zweidimensionalität von Aufwand und Ergebnis auszeichnet (Neckel 2004: 142).
Aufwand meint, dass zur Leistungserbringung ein gewisser individueller Einsatz
bzw. subjektive Kosten oder Mühen nötig sind (Bolte 1979: 20). Das bloße Warten
auf das Eintreten eines Ergebnisses kann nicht als Leistung bezeichnet werden. Die
Beurteilung des Aufwandes orientiert sich dabei entweder an den Fähigkeiten bzw.
Ressourcen oder an den Anstrengungen bzw. am Einsatz (Voswinkel 2005: 292).
Mit Ressourcen sind stabile Merkmale wie z.B. erworbene Qualifikationen gemeint.
Der Einsatz ist die davon unabhängig betrachtete Leistung.
Gleichzeitig wird Leistung auf Grundlage einer spezifischen Motivation erb-
racht, die bereits als Leistungsanspruch definiert wurde. „Im reinen Fall ist Leis-
tungsgüte oder Leistungsmenge ein Ziel um seiner selbst willen, sei es, dass die
Sache es verlangt, man es ihr schuldig zu sein glaubt oder dass man darin seine
Tüchtigkeit beweisen will.“ (Heckhausen/Heckhausen 2006: 185). Die Leistungs-
menge wird direkt auf den Grad der Motivation zurückgeführt, die Leistungsgüte
unterliegt den Bewertungen der sozialen Umwelt. Dabei lassen sich sachliche, sozi-
ale und ökonomische Bewertungskriterien voneinander unterscheiden (vgl. Faßauer
2009: 109). Die sachliche Leistungsbeurteilung bezieht sich auf die Menge und
Qualität der hergestellten Güter oder Dienstleistungen. Die soziale Beurteilung
meint den Problemlösungsaspekt einer Leistung, wie sie sich z.B. in Kunden- oder
Gemeinwohlorientierung ausdrückt. Die ökonomische Leistungsbewertung betrach-
tet zum einen die marktliche Verwertbarkeit und zum anderen den Erfolg einer
Leistung (vgl. ebd.: 109).
168 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
Gründe für diese neuen Sinnansprüche an den Beruf sieht Baethge unter anderem
im allgemeinen Sinnverlust, der in der individualisierten Gesellschaft zunehmend,
z.B. in Hinblick auf Religion und Familie zu beobachten ist. Mit der Konzentration
auf Leistung konnten die Individuen selbst Sinnzuschreibungen erzeugen.
Kratzer betont hingegen den Einfluss verschärfter Marktbedingungen, die vom
Management der Unternehmen an die Beschäftigten weitergegeben werde und zum
Mitmachen auffordern. Dies zeige sich in der systematischen Verknappung von
Personalressourcen und der Einführung neuer Arbeitsformen, wie Projektarbeit etc.
(vgl. Kratzer 2003).
Diese beiden Positionen sollen im Folgenden unter dem Aspekt von An-
spruchshaltungen untersucht werden. Die Diskussion wird im Hinblick auf die
Frage geführt, ob der Anstieg des neuen Leistungswertes den Selbstansprüchen der
Individuen oder Fremdforderungen durch Unternehmen und Gesellschaft geschul-
det ist. Dabei wird ausgehend von der Betrachtung beruflicher Leistungsprinzipien
auf eine allgemeinere Ebene des Leistungsprinzips abgehoben.
Diese Perspektive geht von der bereits im Kapitel drei vorgestellten Annahme aus,
dass der Wegbereiter neuer Sinnansprüche an berufliche Arbeit die verstärkte Kritik
an belastenden und entfremdenden Arbeitsbedingungen war. Die daraufhin ent-
standenen neuen Sinnansprüche, die seit Ende der 1980er Jahre vermehrt von den
Individuen an die Erwerbstätigkeit herangetragen wurden, drücken sich vor allem in
Forderungen nach neuen Formen der Selbstbestimmung aus. Ziel ist es, den bisher
erlebten Entfremdungserfahrungen zu entkommen.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 171
„Man will innerlich an der Arbeit beteiligt sein, sich als Person einbringen können und über sie eine
Bestätigung eigener Kompetenzen erfahren. Man will sich in der Arbeit nicht wie ein Jedermann,
sondern als Subjekt mit besonderen Fähigkeiten, Neigungen und Begabungen verhalten können
und die Tätigkeit in der Dimension persönlicher Entfaltung und Selbstverwirklichung interpretieren
können.“ (Baethge 1991: 262).
Diese Einstellung wird Anfang der 1990er Jahre nicht mehr nur bei hoch- sondern
auch bei niedrig qualifizierten Facharbeitern sowie bei Un- und Angelernten gefun-
den.
Wie bereits angedeutet, traten diese Subjektivierungsansprüche aber zuerst im
Rahmen der Dienstleistungsberufe auf, da hier in stärkerem Maße „kommunikative
und intellektuelle Fähigkeiten“ (Jäger 1999: 155) in den Arbeitsprozess eingebracht
wurden und als Mittel zur Selbstbestätigung dienten.
„Diese Angestellten lehnten sachlich nicht begründete Autoritätsverhältnisse ab, wollten sich in der
Arbeit weiterentwickeln, Kompetenz und Unabhängigkeit gewinnen und andererseits sich nicht
von der Arbeit auffressen lassen, um mehr Zeit für ihr Privatleben zu haben.“ (Drinkuth 2007: 13).
al. 1995: 269f). Dass sich dies zuerst bei hochqualifizierten Arbeitnehmern finden
lässt, ist leicht nachzuvollziehen. Es handelt sich um die bereits in hohem Maße
selbstständig Arbeitenden, die viel Selbstverantwortung tragen und zeitlich stark in
den Beruf eingebunden sind. Von dieser Gruppe abgesehen, treten Forderungen
nach Flexibilisierung vor allem bei berufstätigen Müttern auf.
Aus einer anderen Perspektive auf Subjektivierungsansprüche an die Arbeit ar-
gumentieren Pongratz/Voß in Anknüpfung an die von ihnen etablierte „Arbeits-
kraftunternehmerthese“ (1998). Sie untersuchen inwiefern Subjektivierungsansprü-
che auch in Normalarbeitsverhältnissen zu beobachten sind, sprich unter mittel- bis
niedrigqualifizierten Arbeitern und Angestellten (vgl. Pongratz/Voß 2003). Die
Studie gründet auf der Typisierung individueller Erwerbsorientierungen und der
damit verbundenen Motive und Strategien im Umgang mit Erwerbsarbeit. Die
Autoren gehen davon aus, dass die neuen Erwerbsorientierungen infolge der Reor-
ganisationsmaßnahmen wie Gruppenarbeit und Projektarbeit entstanden sind, die
von der Unternehmungsführung eingeführt wurden, um kostensparender zu wirt-
schaften. Pongratz und Voß konzentrieren sich in ihrer Untersuchung aber nicht
auf den Zusammenhang zwischen strukturellen Änderungen und veränderten be-
ruflichen Einstellungen, sondern lediglich auf die Untersuchung der subjektiv wahr-
genommenen Eigenmotivation hinsichtlich der eigenen Arbeit. Damit sprechen sie
sich gegen den in der Managementliteratur dargestellten Kausalzusammenhang
zwischen Strukturveränderungen und der Verbesserung der Leistungsmotivation
aus. Hinzu kommt, dass die Untersuchung von Baethge et al. Belege für neue Sinn-
ansprüche lieferte, die noch vor der Umstrukturierung der Organisationsstrukturen
entstanden. Deshalb können die von Pongratz/Voß gewonnenen Erkenntnisse als
Belege für eine Zunahme an eigenmotivierten Subjektivierungsansprüchen interpre-
tiert werden. Dies wird im Rahmen der Darstellung der Ergebnisse im Einzelnen
deutlich gemacht. Die Studie untersucht weniger die Sinnansprüche, wie sie von
Baethge et al. herausgestellt wurden, sondern fragt nach der auf den eigenen Beruf
bezogenen Leistungsorientierung. Aus diesem Verständnis leiten die Autoren verän-
derte Erwerbsorientierungen ab, die sie in drei Motiv-Typen unterscheiden: die
Leistungsorientierungen, berufsbiographische Orientierungen und Flexibilisierung
von Arbeit im Verhältnis zum Privatleben.
Die Leistungsorientierung gliedert sich in die Typen Leistungssicherer und
Leistungsoptimierer. Der Leistungssicherer meint den eher herkömmlichen Ar-
beitstyp, dem es nicht um die Verwirklichung seiner Leistungsansprüche bei der
Arbeit geht. Die Leistungsoptimierung fußt im Gegensatz dazu auf der Forderung
nach Spaß an der Arbeit. Auf dieser Grundlage werden eigene Leistungsansprüche
definiert, die auch unter nicht optimalen Arbeitsbedingungen erbracht werden (vgl.
ebd.: S. 67). Arbeit wird als eine persönliche Herausforderung betrachtet, die Sinn
erzeugt und den Charakter einer Selbstverpflichtung bekommt. Pongratz und Voß
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 173
In den letzten Jahren ist ein weiterer Wandel in der Entwicklung des Zusammen-
wirkens von veränderten Arbeitsstrukturen und individueller Leistungsmotivation
zu beobachten. Dieser Wandel wird vielfach unter dem Aspekt der Forderung nach
mehr Eigenständigkeit und Selbstkontrolle am Arbeitsplatz diskutiert.
Erste Veränderungen, die auch Pongratz und Voß vor Augen hatten, als sie ihre
Analyse begannen, lassen sich ebenfalls im Bereich der Dienstleistungsbetriebe
feststellen. Als empirischer Bezugspunkt gilt hier vor allem die Reformierung deut-
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 175
„Dieser Zwang zur Selbstverwirklichung steht im Zentrum einer neuen Arbeitsmoral, die weder auf
Disziplin und Unterordnung noch auf verinnerlichte Verhaltensprogramme reduziert werden kann.
Verlangt wird nicht mehr nur die Befolgung von Regeln, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft zur
eigenständigen Definition und Lösung von Problemen.“ (Heidenreich 1996: 28).
Rahmen der Darstellung ihrer Studie gezeigt, davon aus, dass sich aus unternehme-
rischer Sicht eine Abkehr von fordistisch geprägten Arbeitnehmervorstellungen
beobachten lässt. In der These des Arbeitskraftunternehmers weisen sie auf Formen
betrieblicher Forderungen an die Selbstorganisation der Arbeitsausführung und der
gesamten Lebensführung hin, die hier genauer beschrieben werden sollen.
Aus Gründen der Kosteneinsparung und der Anpassung an komplexere und
verschärfte Marktbedingungen kam es zu Umstrukturierungen der Arbeitsprozesse
mit dem Ziel, die Verantwortlichkeiten der Arbeiternehmer zu erhöhen. Im Ergeb-
nis entstanden individualisierte, d.h. indirekte Formen der Kontrolle von Arbeit, die
sich in „rudimentären betrieblichen Handlungsvorgaben“ (Pongratz/Voß 2000:
231) ausdrücken und in einer verstärkten Selbstüberwachung münden. Sichtbar
werden diese Veränderungen in neuen Arbeitsformen, in denen die Selbstorganisa-
tion eine größere Rolle spielt, als in konventionellen Arbeitsformen. Dazu gehören
Projekt- und Gruppenarbeit, Führung durch Zielvereinbarungen, flexibilisierte
Arbeitszeiten, Heim- und Mobilarbeit. Die Projektarbeit, die sich bei Angestellten in
unterschiedlichen Branchen entwickelt hat, zeichnet sich durch größere Spielräume
für die Selbstorganisation der Arbeit, eine Erhöhung der Eigenverantwortung und
die Ausweitung zeitlicher Verfügbarkeiten wegen nicht einschätzbarer Kundenwün-
sche aus.
Diese Umstrukturierung des Arbeitshandelns führte zu einem Bedeutungsge-
winn von sozialen, kommunikativen und organisatorischen Kompetenzen. Darüber
hinaus wurde der Umgang mit unsicheren Problemstellungen gefordert (vgl. Sau-
er/Döhl 1997; Kocyba 1999). Das schlug sich in veränderten Zielvereinbarungen
nieder, die ergebnisorientiert definiert wurden und sich nicht mehr wie bisher am
zeitlichen Aufwand oder an individuell erbrachten Anstrengungen orientierten. Den
Beschäftigten wurde so eine höhere Verantwortung bei der Kosten-, Prozess- und
Ergebnisplanung übertragen (vgl. Kalkowski 2004: 105). Des Weiteren ging mit
dieser Umstrukturierung des Arbeitshandelns eine Flexibilisierung der Arbeitszeit
einher, was zur Folge hat, dass die Nutzung von Arbeitskraft vor allem in Dienst-
leistungsberufen auf Abruf geschieht. Insgesamt führte die beschriebene Umstruk-
turierung zu einem Verlust des Modells der Normalarbeitszeit (vgl. Kels 2008:
114f.). Die Arbeitnehmer begannen, wie Pongratz/Voß behaupten, „aktive Selbst-
steuerung im Sinne allgemeiner Unternehmenserfordernisse“ (Pongratz/Voß 2003:
23) zu betreiben und sich selbst einem disziplinierenden Zwang zu unterwerfen.
Neu an diesen Unterordnungstendenzen war die Freiwilligkeit zur Mobilisierung
von nützlichem Arbeitsvermögen (vgl. Moldaschl 1998).
Nach Pongratz und Voß wirkt sich diese Mobilisierung auf drei Ebenen aus: in
der Selbstkontrolle, der Selbstökonomisierung und der Selbstrationalisierung.
Selbstkontrolle meint die verstärkte Überwachung der eigenen Tätigkeit. Selbstöko-
nomisierung meint demgegenüber die zielgerichtete Vermarktung der eigenen Fä-
higkeiten. Selbstrationalisierung bezeichnet schließlich die Durchorganisierung des
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 177
eigenen Lebens und die Ausrichtung auf die Arbeit.33 Diese Veränderungen der
Haltung zum Beruf stellen eine Zuspitzung der ursprünglichen intrinsischen Leis-
tungsmotivation der Arbeitnehmer dar.
Die neuen Anforderungen beeinflussen nicht nur das arbeitsbezogene Verhal-
ten der Individuen, sondern greifen auch in private Lebensbereiche ein. Als Konse-
quenz wird der gesamte Lebenszusammenhang durchgestaltet, was tendenziell in
einer Verbetrieblichung der Lebensführung im Allgemeinen mündet. Der Arbeits-
kraftunternehmer ist so gesehen
„(…) die gesellschaftliche Form der Ware Arbeitskraft, bei der Arbeitende nicht mehr primär ihr la-
tentes Arbeitsvermögen verkaufen, sondern (inner- oder überbetrieblich) vorwiegend als Auftrag-
nehmer für Arbeitsleistung handeln – d.h. ihre Arbeitskraft weitgehend selbstorganisiert und selbst-
kontrolliert in konkrete Beiträge zum betrieblichen Ablauf überführen, für die sie kontinuierlich
funktionale Verwendungen (d.h. Käufer) suchen müssen.“ (Pongratz/Voß 1998: 139).
33 Die hierauf aufbauende und im vorherigen Abschnitt erläuterte empirische Untersuchung von
Pongratz/Voß zeigt aber auch, dass die Orientierungen Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und
Selbstrationalisierung unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Vor allem zeigten die Befragten eine
eher begrenzte Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten unter rationalen Gesichtspunkten zu vermark-
ten (vgl. Pongratz/Voß 2003: 170).
178 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
messen als der Orientierung an offiziellen Vorgaben für das ‚wie’ ihres Arbeitshan-
delns.“ (Böhle 2008: 98).
Die kulturellen Psychotechniken sind Kern des zweiten Erklärungsmodells. Es
bezieht sich auf die Macht, die aus den Einflüssen der vom Management geschaffe-
nen Unternehmenskultur entsteht. Die Beeinflussung setzt bei den Orientierungen
der Arbeitnehmer an und bindet sie dadurch anders in den Arbeitsprozess ein (vgl.
Deutschmann 1989). „Macht wird (…) viel wirkungsvoller dort ausgeübt, wo es
dem Mächtigen gelingt, nicht nur die Handlungen, sondern den Willen der Be-
herrschten zu lenken.“ (Deutschmann 1989: 384). In dieser Haltung drückt sich das
neue Leitbild einer starken, profitablen und erfolgsträchtigen Unternehmenskultur
aus, das in immer mehr Bereichen zur Norm für das Arbeitshandeln wird und
Selbstverpflichtung erzeugt.
Andere Techniken der „Disziplinierung“ zeigen sich in neuen Formen der Ver-
haltensbeeinflussung durch das Personalwesen, wie Assessment Center, Mitarbei-
tergespräche und Zielvereinbarungen (vgl. Opitz 2004). Hierbei werden nicht mehr
nur Leistungen des Arbeitnehmers definiert, sondern die Fähigkeiten und Potentiale
der Person insgesamt ermittelt. Dieses Vorgehen der individualisierten Personal-
auswahl und -förderung beeinflusst die Haltung der Person zu ihrer Arbeit. Dies
führt insgesamt dazu, dass Verhaltensweisen am Zweck des Unternehmens ausge-
richtet werden und Unternehmen zu „Händlern von Existenzweisen“ (ebd.: 144)
werden, indem sie Individuen produzieren, die dem Idealbild der Unternehmens-
kultur entsprechen wollen.
Das Modell der Entgrenzung von Zweck- und Selbstrationalität, dient der Of-
fenlegung handlungssteuernder Prinzipien, die Pongratz/Voß unter dem Aspekt der
„Ökonomisierung des Lebens“ beschrieben haben. Der Subjektivierungsprozess
entwickelt laut Böhle eine so umfassende Dynamik, dass nicht mehr nur die Ein-
gliederung von individuellen Fähigkeiten in den Arbeitsprozess angestrebt wird,
sondern bereits ihre Aktivierung. Diese Maßnahme greift über die Arbeitsbeziehun-
gen hinaus in die Planung des Lebens ein. „Damit wird deutlich, dass die Neu-
schneidung der Interaktionsmechanismen dazu beiträgt, dass die Selbst- und Le-
bensentwürfe der Subjekte einerseits verstärkt durch die Arbeitswelt geformt wer-
den und zugleich als Ausdruck individueller Verwirklichung und kollektiver Ge-
meinschaft behauptet werden.“ (Krömmelbein 2004: 195).
Mit dieser Zusammenfassung unterschiedlicher Beiträge zu aktuellen Entwick-
lungen in der Arbeitswelt sind erste Mechanismen des vierten Individualisierungs-
schubes offen gelegt. Die Wirkmacht des so konzipierten Leistungsindividualismus
wurde darüber hinaus im Rahmen zeitdiagnostisch entwickelter Subjektmodelle in
umfassender Weise thematisiert. Im Anschluss werden diese Subjektmodelle vorge-
stellt.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 179
Ulrich Bröckling hat die Mechanismen einer auf alle Lebensbereiche übergreifenden
Verschmelzung von Fremd- und Selbstrationalisierung in seiner Arbeit über die
Ökonomisierung des Selbst genauer untersucht (vgl. Bröckling 2007). „Das Unter-
nehmerische Selbst“ trägt aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen eine
neue übergreifende Subjektivierungsform zusammen, bei der es nicht mehr um
Selbstbestimmung durch eigene, Autonomie verwirklichende Anspruchshaltungen,
sondern um Fremdbestimmung durch Fremdansprüche geht.
Bröckling analysierte dazu unterschiedliche Theorieangebote aus Soziologie,
Psychologie und Ökonomie, verschiedene Managementprogramme, Kommunikati-
ons- und Kooperationstechniken und diverse populäre Ratgeber (vgl. ebd.: 10). Ziel
seiner Analyse ist die Herausarbeitung einer allgegenwärtigen Ökonomisierung, die
nunmehr alles individuelle Handeln im Sinne des Rationalitätsanspruchs durch-
dringt. Diese Subjektivierungsform kennzeichnet er als ein
„(...) Bündel aus Deutungsschemata, mit denen heute Menschen sich selbst und ihre Existenzwei-
sen verstehen, aus normativen Anforderungen und Rollenangeboten, an denen sie ihr Tun und Las-
sen orientieren, sowie aus institutionellen Arrangements, Sozial- und Selbsttechnologien, die und
mit denen sie ihr Verhalten regulieren sollen.“ (ebd.: 7).
34 Diese Haltung konnte auch bereits in der Darstellung des vierten Individualisierungsschubes
herausgestellt werden.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 181
helfen, den Überblick über die Vielzahl individueller Projekte zu behalten.“ (Bröck-
ling 2007: 280). Den eigentlichen Grund für diese zunehmende Selbstökonomisie-
rung sieht Bröckling in der Offenheit des Lebens. „Es wäre kein Projekt und es
brauchte kein Management, wäre von Beginn an klar, was am Ende herauskommen
wird.“ (ebd.: 282).
Die allseits drohende Gefahr des Scheiterns wird zusätzlich potenziert, da die
Individuen um Wohlstand, Erfolg und Zufriedenheit konkurrieren. Die daraus
entwickelten Anforderungskataloge sind derart hochgesteckt, dass die Individuen
zwangsläufig scheitern müssen. Da sie jedoch stets nur partiell scheitern, entsteht
ein unaufhörlicher Sog zwischen dem Aufruf zum unternehmerischen Leben und
dem immer wieder neuen Versuch nach dessen Einlösung. „Das unternehmerische
Selbst existiert nur als Realfiktion im Modus des Als-ob – als kontrafaktische Unter-
stellung mit normativem Anspruch, als Adressierung, als Fluchtpunkt von Selbst-
und Sozialtechnologien, als Kraftfeld, als Sog.“ (ebd.: 283).
Die Anforderungskataloge lassen den Individuen allerdings Raum für kritisches
Fragen und Distanzierungen. In Kombination mit der weiterhin hoch gehaltenen
Entscheidungsfreiheit besteht die Möglichkeit, sich gegen Selbstoptimierung zu
entscheiden. Die Strategien des Umgangs mit als unbefriedigend empfundenen
Anforderungen sind von Bröckling folgendermaßen charakterisiert worden: Distan-
zieren, Umdeuten, Verschieben, ins Leere laufen lassen oder Zurückweisung (vgl.
Bröckling 2007: 284).35 Allerdings sind auch diese Abgrenzungsstrategien wiederum
in das allseitige Subjektivierungsprogramm integriert. Daher stellt sich für Bröckling
die Frage, wie eine Absage an Selbstoptimierungsstrategien aussehen kann. Dies
käme einer Befreiung aus der Freiheit nahe, da auch die Abweichung von der Norm
zum Programm gehört. „Ein vom unternehmerischen Subjektivierungsregime un-
berührtes Außen oder einen ihm entzogenen Innenraum des Selbst gibt es nicht
oder wenn, dann nur als Zone zukünftiger Eroberungen, wo ungenutzte Ressour-
cen ihre Erschließung harren.“ (ebd.: 285).
An diesem Ansatz muss kritisiert werden, dass er insgesamt einen Diskurs über
das Subjekt nachzeichnet. Was jedoch nicht bedeutet, dass sich die ermittelten An-
forderungen tatsächlich in Handlungen ausdrücken. Robert Lembke hat dies als
unterwerfende Subjektivierung bezeichnet, weil er auf Zwang und nicht auf Freiheit
beruht (vgl. Lembke 2005). Bröckling geht es um die Strategien der Subjektformie-
rung, die sich mittels diskursiv erzeugter Identitätszuschreibungen fassen lassen (vgl.
Schneider 2009: 273). So werden auch die von ihm ermittelten Selbstbefreiungs-
strategien über eine diskursive Einordnung in das umfassende Subjektivierungspro-
gramm immer wieder entwertet.
35 Diese entsprechen den Abgrenzungsstrategien, die im Abschnitt 2.6 in der Darstellung des Um-
gangs mit Optionen vorgestellt wurden.
182 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
Mit dieser Einschätzung gerät die gesamte Persönlichkeit in einen Strudel der
Vermarktung. Alle Fähigkeiten und Eigenschaften werden im Hinblick auf die
Brauchbarkeit für andere modelliert. Die Bestätigung der eigenen Fähigkeiten hängt
somit von ihrem Marktwert ab.
„Diese Vermarktung des Individuums (…) hat zwar dazu beigetragen, die Grundelemente mensch-
licher Individualität – Selbstbewusstsein und Weltbeziehung, innere Differenziertheit und Freiheits-
fähigkeit – zu steigern und zu verbreiten, zugleich aber eine destruktive Dynamik in Gang gesetzt,
indem sie die Fähigkeiten des konkreten Einzelnen in Mittel der sozialen Anpassung verwandelt
und tendenziell allen Welt- und Sozialbeziehungen die verdinglichende Warenform übergestreift
hat.“ (Schiller 2006: 347).
Aus der Last des Möglichen wird die Last der Begrenzung.
Betrachtet man aus kulturtheoretischer Sicht die Effekte der Wechselwirkung zwi-
schen der allseitigen Ökonomisierung und den individuellen Leistungsorientierun-
gen auf den Verlauf der Identitätsentwicklung, entstehen diese durch eine Subjekt-
bildung, die von den Individuen selbst initiiert wird. Das Subjekt setzt sich aus
sozial-kulturellen Formen zusammen, stellt seine Identität jedoch selbst durch All-
tagspraktiken her. Dieser Herstellungsprozess vollzieht sich in der Teilnahme an
sozialen Praktiken, in denen spezifische Formen von Subjektivität enthalten sind
(vgl. Reckwitz 2006: 39). Soziale Praktiken sind als „sozial geregelte, typisierte, rou-
tinisierte Form des körperlichen Verhaltens“ (ebd.: 36) zu verstehen, die spezifische
Wissensformen enthalten.
An diese Vorstellung der praxisorientierten Identifikation mit Subjektmodellen
knüpft Reckwitz’ Darstellung unterschiedlicher Subjektmodelle an. Für die Zeit seit
den 1980er Jahren beschreibt Reckwitz ein modernes Subjektmodell, das sich aus
ästhetischen wie ökonomischen Elementen zusammensetzt und zwei zuvor beste-
hende Modelle vereinigt.
„Die Entstehung und Verbreitung der modernen Subjektkultur des Arbeitens ist vielmehr durch
mehrere – zunächst weitgehend voneinander unabhängige – kulturelle Entwicklungen seit Beginn
der 1970er Jahre beeinflusst: ein post-bürokratischer (neoliberaler) Managementdiskurs (…); eine
Modifizierung der Arbeitsidentitäten und damit –ansprüche in den neuen Mittelschichten (…), die
materiale Kultur der digitalen Revolution (…), eine Modifizierung der Konsumentenkultur vom so-
zialen Normalismus zur Individualästhetik.“ (ebd.: 501).
„Unterminiert werden kann die Kohärenz des post-bürokratischen Arbeitssubjekts (…) durch die
Spannung zwischen der Anforderung einer permanenten Arbeit an sich selbst, welche die individu-
elle Verantwortlichkeit für erfolgreiches Arbeiten dem Einzelnen zuschreibt, und der Abhängigkeit
des individuellen Erfolges von der Nachfragelogik des Marktes, der nicht Leistungsfähigkeit prä-
miert, sondern zufällig aktuell nachgefragte Leistungen.“ (ebd.: 525).
Reckwitz’ aktuelles Subjektmodell setzt sich neben Arbeit aus zwei weiteren As-
pekten zusammen: persönlichen Beziehungen und Konsum, wobei der Bereich der
persönlichen Beziehungen weiter unten dargestellt wird.
Bei all diesen interessanten Beobachtungen aus Reckwitz` kultursoziologischer
Perspektive, ergibt sich allerdings ein Problem im Hinblick auf den Umgang mit
Reckwitz` Ergebnissen. In seiner Auffassung der Übernahme von Subjektmodellen
bleibt die Frage unklar, wie sich das Subjekt selbst reproduziert. Wie erfolgt die
Einverleibung eines Subjektmodells? Wie vollzieht sich die Selbstinterpretation?
Wie schreibt sich das Subjekt selbst Sinn zu und wie entsteht Identität? Worin be-
steht der Antrieb des Subjekts?
Laut Reckwitz‘ Ansatz sind in sozialen Praktiken grundsätzlich Subjektmodelle
enthalten, die über bestimmte Codes durch die Subjekte reproduziert werden. Diese
Codes weisen eine binäre Struktur auf, wodurch bestehende Subjektmodelle sich
durch Abgrenzungsprozesse zu Anti-Modellen formen lassen.36 Aus der Aneignung
und Ablehnung dieser Subjektmodelle erzeugt das Subjekt seine Identität. Sie ist
nichts anderes als eine „spezifische Form des Selbstverstehens, der Selbstinterpre-
tation, welche im Rahmen einer Subjektkultur in die Subjektform eingelassen ist“
(ebd.: 45).
Diese Selbstbeschreibungen können nach Reckwitz zwei Formen annehmen.
Entweder interpretiert sich das Subjekt als unveränderlich und konstant oder als
veränderlich und entwicklungsoffen. In jedem Subjektmodell sind bestimmte „Iden-
titätsverlockungen“ (ebd.: 46) enthalten, die dem Subjekt begehrenswerte Ich-
36 Dieser Mechanismus ist ebenfalls in der Darstellung des Umgangs mit Optionen anhand der
Fähigkeit zur Umformung und Abgrenzung von Optionen beschrieben worden.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 185
Ideale37 anbieten und zur Identifikation einladen. Die Erzeugung von Individualität
muss demnach ebenfalls als eine soziale Praktik mit spezifischen Codes verstanden
werden. Praktiken der Individualität sind beispielsweise Abgrenzungen vom Kon-
ventionellen, Aktivitätsmultiplizität und Innovativität (vgl. ebd.: 48). Individualität
ist so gesehen ein kollektives Muster und stützt sich auf die Überwindung räumli-
cher Grenzen und der routinisierten Reproduktion über einen längeren Zeitraum
hinweg (vgl. ebd.: 37).
Des Weiteren entstehen Individualitätsformen aufgrund von Spielräumen, die
innerhalb der Subjektmodelle möglich sind, und aus Mischformen, die sich aus einer
Kombination von Praktiken und Codes oder aus dem unintendierten Misslingen der
Reproduktion der Subjektmodelle ergeben können. Wobei aus all diesen individu-
ellen Formen der Individualitätserzeugung wiederum kollektiv geteilte Muster der
Individualitätserzeugung entstehen. Als Voraussetzung dafür müssen sich jedoch
die Abweichungen von bereits existenten Subjektformen häufen. Damit wird
gleichzeitig eine Verbindung zwischen Kulturtheorie und dem Konzept des sozialen
Wandels hergestellt. Diese kulturtheoretische Perspektive löst das Problem der
Innerlichkeit des Subjektbegriffs indem sie das Subjekt als sozial-kulturell geformt
betrachtet und feststellt, es sei vor der Reproduktion sozialer Praktiken nichts als
ein „organisches Substrat“. Die Reckwitzsche Konzeption enthält einerseits ein Sein
durch Selbstinterpretation infolge reproduzierter Subjektmodelle, aber auch ein
Sollen durch Rekurrierung auf Ich-Ideale in der Subjektkultur. Reproduktion der
Subjektkulturen wird durch Übernahme bzw. Identifizierung von Ich-Idealen er-
reicht.
Reckwitz’ Identitätskonzept unterstellt also eine Sollenskomponente. Er rekon-
struiert Anreizstrukturen für dieses Sollen in der Umwelt, sei es in Form von Sub-
jektkulturen, Lebensstilen oder vermittelt über das medial konstruierte „Imaginäre“.
Er unterstellt weiterhin einen Bedarf bei den Subjekten, sich diese Schablonen ein-
zuverleiben. Da Reckwitz’ Analyse der hybriden Subjektkulturen ihrer Richtung
nach von der Kultur zu den Subjekten verläuft, kann dieser Bedarf an Ich-Idealen
und der Reproduktion von Subjektkultur nur als gegeben vorausgesetzt werden. Die
Frage nach den Mechanismen der Aneignung, deren Antwort diesen Bedarf klären
könnte, stellt sich aus dieser Perspektive für den Autor nicht.
Geht man allerdings davon aus, dass die Identifikation mit Subjektkulturen auf
individuellen Ansprüchen gründet, stellt sich die Frage: Wie werden diese neuen
Anforderungen zum eigenen Antrieb bei der Identitätsentwicklung? Der Ansatz,
der in Kapitel vier dieser Arbeit entwickelt wurde, rückt deshalb die intersubjektive
und institutionelle Aushandlung von Anerkennung in den Mittelpunkt. Auf diese
37 Diese Vorstellung ist vergleichbar mit der von Luhmann ausgearbeiteten Orientierung an An-
spruchsschablonen, die den Individuen von gesellschaftlicher Seite zwecks Identifikation zur Ver-
fügung gestellt werden.
186 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
nale Wertschätzung analysiert und gegenüber den Mechanismen während des An-
spruchsindividualismus abgrenzend untersucht.
Wie bereits dargestellt, orientiert sich Anerkennung im beruflichen Kontext seit der
Industriealisierung an Leistung. Allerdings änderte sich die Definition, welche
Handlungen als Leistung bewertet werden. Die professionellen Standards zur Leis-
tungsbeurteilung sind einem dynamischen Wandel unterworfen, was bereits in der
Darstellung der Anerkennungsmechanismen während des Anspruchsindividualis-
mus deutlich wurde. Vor dem Hintergrund sich etablierender individueller Leis-
tungsansprüche und noch bestehender kollektivierender Anerkennungsformen,
musste Anerkennung neu ausgehandelt werden. Nun gilt es herauszuarbeiten, in-
wiefern sich Anerkennung auf der Grundlage eines Arbeitshandelns, das an eigenen
Ansprüchen ausgerichtet ist, innerhalb des Leistungsindividualismus verändert hat.
Von zentraler Bedeutung für das Betrachten dieser Veränderungen sind die Ar-
beiten von Stephan Voswinkel (vgl. Voswinkel 2000a, 2000b, 2001, 2005 Voswin-
kel/Kocyba 2008). Seine Argumentation soll im Folgenden die Grundlage für die
genauere Beschreibung der Wirkkräfte von Anerkennung unter Bedingungen des
Leistungsindividualismus bilden. Voswinkel geht davon aus, dass sich in den letzten
Jahren ein Wandel von der Anerkennung der Normalleistung zur Leistungsexzel-
lenz erkennen lässt. Normalleistungen werden, wie bereits im vorigen Kapitel dar-
gestellt, unter Bedingungen des Leistungsindividualismus immer seltener gewürdigt.
„Wo subjektivierendes Arbeitshandeln als Selbstverwirklichung erscheint, gibt es für
Anerkennung in Form von Würdigung keinen legitimen Raum.“ (ebd.: 79). Für die
Individuen bedeutet dies, immer häufiger nur noch für außergewöhnliche Leistun-
gen positive Rückmeldungen zu bekommen. Hierin zeigt sich die wesentlichste
Zuspitzung innerhalb des Leistungsindividualismus.
Dieses Anerkennungsverhältnis wird von Voswinkel als Bewunderung bezeich-
net. Bewunderung ist in erster Linie an besondere Leistungen gebunden. Damit
wird die tatsächlich erbrachte Leistung aus der Masse der Pflichterfüllung herausge-
hoben.
„Man erhält sie für eine hohe Produktivität der Arbeit, für wirtschaftlichen Erfolg, für Kompetenz
und Entscheidungsfähigkeit, auch für körperliche Kraft und Geschicklichkeit. Bewunderung ist als
Anerkennungsgehalt in Arbeitsbedingungen enthalten, die solche Aspekte fördern und vorausset-
zen.“ (Voswinkel 2000a: 41).
des Angestellten nieder. Sie dient somit der Positionierung innerhalb des Unter-
nehmens und auf dem Arbeitsmarkt und fördert gleichzeitig die Konkurrenz.
Aufgrund dieser Mechanismen werden Ansprüche und Anspruchsniveaus ab-
gewertet, die von diesen Leistungen abweichen bzw. darunter liegen. Das Streben
nach Würdigung wird heute als ein Zeichen mangelnder Selbstansprüche gewertet,
das Streben nach Bewunderung dagegen als legitime Strategie zur Abgrenzung von
Normalleistern respektiert (vgl. ebd.: 49). Dieser Wandel zeigt zum einen die erwei-
terten Möglichkeiten, Anerkennung auf der Grundlage des eigenen Einsatzes zu
erhalten. Zum anderen macht er aber auch deutlich, dass die Zuschreibung von
anerkennenswerten Leistungen durch die konkurrierenden Abgrenzungsbemühun-
gen der Individuen kontinuierlich eingedämmt wird (vgl. Kaletta 2008: 29).
Das Streben nach Reputation, das mit der Bewunderung als Anerkennung an-
gestoßen wird, kann zum Selbstzweck werden, da Reputation als Kapital der Ab-
grenzungsbemühungen immer wichtiger wird. Mit dem Wandel von der Würdigung
zur Bewunderung ist deshalb die Gefahr der Demotivation verbunden. Das Streben
nach Reputation enthält bereits ein Entfremdungsmoment, das Voswinkel als „ent-
subjektivierte Evaluation“ (Voswinkel 2002: 82) bezeichnet. Damit beschreibt er,
dass die Reputation, die das Subjekt erlangt, durch Beobachtung bewertet werden
muss. Sie wird in erster Linie durch Mitarbeiterbeurteilungen an das Subjekt heran-
getragen. Insofern sich das Subjekt auf diese Bewertung konzentriert, entfernt es
sich bereits von seinem Leistungsstreben. Die Psychologie bezeichnet dieses Phä-
nomen als Gegensätzlichkeit zwischen Leistungsmotivation und Leistungsorientie-
rung (vgl. McClelland 1995). Die Leistungsmotivation wird von aufgabeninhärenten
Kriterien beeinflusst, beispielsweise von Aufgaben, die als herausfordernd empfun-
den werden. Erst aus sozial-evaluativen Anreizen, wie z.B. der Relevanz eines Er-
gebnisses, kann dagegen die Leistungsorientierung erwachsen (vgl. Brunstein/Hoyer
2002: 53). Das Individuum wird von den Effekten seiner Arbeit angetrieben, die
sich nicht mehr an die eigentliche Leistung zurückbinden lassen. Unter den Bedin-
gungen des Leistungsindividualismus besteht deshalb die Gefahr einer Entfrem-
dung von den eigenen Leistungsansprüchen.
Mit dieser Perspektive zeigt sich eine weitere Zuspitzung der Auffassung dar-
über, welche Handlungen als anerkennenswert gekennzeichnet werden. Die Be-
wertung orientiert sich zunehmend an Kennziffern und wird so immer marktbezo-
gener, d.h. absatzorientierter. Wie bereits in den Darstellungen zur beruflichen
Selbstverwirklichung in Abschnitt 4.3.1 angeklungen, wird nicht mehr die hervorra-
gende Leistung bewertet, sondern der wirtschaftliche Erfolg, der aus ihr resultiert.
Dieser Erfolg bezieht sich nur auf aktuell nachgefragte Leistungen und ignoriert
damit alle anderen Leistungen, auch wenn sie sehr gut sind. Unter diesen Bedingun-
gen gelangt eine neue fremdgesteuerte Anpassung an Marktförmigkeit in die indivi-
duellen Ansprüche an die eigenen Leistungen.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 189
38 Diese beiden Haltungen sind vergleichbar mit den von Individuen genutzten „exit“ oder „voice“
Optionen im Rahmen organisationalen Handelns (vgl. Hirschmann 1970).
190 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
herrschaftssichernd (vgl. ebd.: 51). Honneth hat dazu die Trennung zwischen dem
evaluativem Versprechen und der materiellen Erfüllung von Anerkennung genauer
untersucht und die beiden Mechanismen auch auf den Ansatz des Arbeitskraftun-
ternehmers angewendet (vgl. Honneth 2004: 67).
Evaluativ erfolgreich ist Anerkennung immer dann, wenn die Individuen Aus-
zeichnungen auf sich beziehen und damit zu Selbstachtung gelangen. Aber der
Anerkennungsakt bleibt „gewissermaßen unvollständig, solange er nicht in Verhal-
tensweisen mündet, die den artikulierten Wert auch tatsächlich zum Ausdruck brin-
gen.“ (ebd.: 67). Diese Verhaltensweisen sind im Rahmen der Arbeitskraftunter-
nehmerthese vor allem als institutionelle Maßnahmen innerhalb der Unternehmen
zu verstehen. Für das Individuum muss ersichtlich sein, dass sich auch die Unter-
nehmensstrukturen ändern, um den neuen Werteigenschaften der Arbeitnehmer
gerecht zu werden. Honneth sieht aber gerade hier eine Kluft, da sich die Ar-
beitsbedingungen seiner Meinung nach nicht genügend gewandelt haben. Dadurch
bleibt die Anerkennung unglaubwürdig und symbolisch. Die Auswirkungen dieses
Anerkennungsdefizits zeigen sich auf individueller Ebene darin, dass sich die Indi-
viduen gezwungen fühlen, intrinsische Motivation, Flexibilität und Begabung ledig-
lich vorzutäuschen (vgl. ebd.: 68). Damit käme es also zu keiner Verschmelzung,
sondern zu einer den Individuen bewusst bleibenden Kluft zwischen Fremdanfor-
derung und Selbstanspruch. Symbolische Anerkennung bewirkt damit eine Form
der freiwilligen Unterwerfung. Aber solange keine empirischen Belege dafür ge-
sammelt werden, „dass die Betroffenen selbst bestimmte Anerkennungspraktiken
als repressiv, einengend oder stereotypisierend erfahren, fällt es äußerst schwer,
zwischen ideologischen und gerechtfertigten Formen der Anerkennung sinnvolle
Unterscheidungen zu treffen.“ (ebd.: 54).
Honneth plausibilisiert die hier angedeuteten Probleme zwischen neuen Soll-
Normen und den identitätsstiftenden Ansprüchen jedoch an anderer Stelle mittels
empirischer Belege (vgl. Honneth 2005). Er konzentriert sich auf die Art der Selbst-
präsentation, die den Individuen institutionell abverlangt wird, und zeigt exempla-
risch an Bewerbungsgesprächen in bestimmten Dienstleistungsberufen die hohe
Tendenz zur Simulation von Absichten. Auf gleiche Weise betrachtet er internetba-
sierte Partnervermittlungen, wo sich ebenfalls vorgetäuschte Selbstansprüche be-
obachten lassen, was weiter unten noch ausführlicher diskutiert wird. In allen Kon-
texten ist die Selbstpräsentation immer häufiger der Gefahr einer bloßen Simulation
von Absichten, Zielen oder Gefühlen ausgesetzt. Im veränderten Verlauf von Be-
werbungsgesprächen kann dies beobachtet werden. Sie dienen heute immer seltener
der Darstellung der bisherigen beruflichen Laufbahn, sondern der zu erreichenden
Ziele.
„Diese Aufmerksamkeitsverlagerung von der Vergangenheit in die Zukunft zwingt den Betroffenen
mit aller Wahrscheinlichkeit eine Perspektive auf, in der sie ihre eigenen, arbeitsbezogenen Einstel-
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 191
lungen und Empfindungen als etwas begreifen lernen, das sie wie ‚Gegenstände’ zukünftig hervor-
zubringen haben.“ (Honneth 2005: 105).
Mit dieser Haltung geht Selbstbindung durch Ansprüche verloren und ein Identi-
tätsverlust droht. Je häufiger Individuen zu einer derartigen Selbstinszenierung
gezwungen sind, umso stärker machen sie die Erfahrung, keine eigenen Ansprüche
mehr zu haben und nur das zu wollen, was erwartet wird.
Hier ist jedoch danach zu fragen, ob die alleinige Präsentation von zukünftigen
Arbeitszielen in Bewerbungsgesprächen schon ein derartiges Entfremdungspoten-
tial birgt. Wenn Individuen dazu gedrängt werden, sich mit vorgetäuschten Ansprü-
chen zu präsentieren, dann führt das allein noch nicht zum Problem der Entfrem-
dung, da die Individuen in diesen Situationen selbst darüber reflektieren können,
wie ehrlich sie sind. Sie haben immer die Möglichkeit, sich bewusst von der gefor-
derten Selbstpräsentation innerlich abzugrenzen. Trotzdem können sie an den Ar-
beitsplatz, um den sie sich bewerben, eigene Ansprüche richten, um mit innerer
Beteiligung arbeiten zu können. Zu identitätsbedrohlichen Konflikten kann es je-
doch dann kommen, wenn eine dauerhafte Kluft zwischen der bewusst vorge-
täuschten Selbstpräsentation und den eigentlichen, möglicherweise nicht stark aus-
geprägten oder nicht passenden Anspruchshaltungen wahrgenommen wird.
Ein weiterer Aspekt betrifft die veränderten Rahmenbedingungen und den da-
mit verbundenen Druck, sich in Bewerbungsgesprächen als jemand präsentieren zu
müssen, der seinen Lebenslauf eigenständig plant und auch schon immer geplant
hat. Ein Bruch im Lebenslauf, etwa ein zurückliegendes Scheitern, ist individuell
zurechenbar. Deshalb müssen diese Brüche in der Bewerbung umgedeutet und in
Abhängigkeit von den aktuell verfolgten Zielen als richtige Entscheidung präsentiert
werden. Solche Neukonstruktionen des beruflichen Werdegangs erhöhen die Ten-
denz, sich als jemand zu präsentieren, der schon immer wusste, wohin er beruflich
wollte. Auch hier besteht die Gefahr einer Selbstverdinglichung.
Diese Zusammenhänge machen deutlich, wie wichtig die Fähigkeit ist, sich
selbst gegenüber eine anerkennende Einstellung zu entwickeln. Nur so kann man
sich mit den tatsächlich eigenen Ansprüchen identifizieren und damit für eine ge-
wisse Stabilität in der Identitätsentwicklung sorgen. Geht diese selbstanerkennende
Haltung verloren, weil die Individuen permanent zu einer selbstentfremdenden
Vortäuschung von Ansprüchen gezwungen werden und den Bezug zu ihren eigenen
Ansprüchen verlieren, ist die gesamte berufliche Identitätsentwicklung gefährdet.
Hiermit sollen die anerkennungstheoretischen Betrachtungen des beruflichen
Kontextes abgeschlossen werden. Ausgehend von einer Entwicklung zur Anerken-
nung von exzellenten Leistungen konnte gezeigt werden, dass Anerkennung heute
zunehmend auf Basis von wirtschaftlichen Erfolgskriterien ausgesprochen wird.
Dies untergräbt allmählich die Prinzipien des Leistungsindividualismus, weshalb
bereits von einem Erfolgsindividualismus gesprochen werden kann. Des Weiteren
192 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
konnte gezeigt werden, dass unter diesen Bedingungen die Gefahr einer Anerken-
nungsideologie besteht. Das damit verbundene Entfremdungspotential hinsichtlich
der eigenen Ansprüche wird durch einen weiteren Mechanismus verschärft: den
Zwang zu einer den Forderungen entsprechenden Selbstpräsentation. Die so ent-
stehende Kluft kann nur durch Selbstanerkennung geschlossen werden.
39 In einer Studie von Lamnek et al. kam man allerdings zu dem Schluss, dass es nur eine sehr geringe
Zahl von Personen gibt, die Leistungen missbrauchen und dass diese nun als Sündenböcke für die
Krise verantwortlich gemacht werden (vgl. Lamnek/Olbrich/Schäfer 2000).
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 193
40 Zur Übersicht der öffentlichen Debatte über den Sinn des Sozialstaates und Rechtfertigungen für
Kürzungen, Butterwegge 2005.
41 Die Dramatik der erzwungenen Anspruchsreduktion zeigt sich z.B. anhand der Arbeitslosengeld-
debatte. Das im Februar 2010 gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts erklärt die seit 2005
geltenden Hartz IV Sätze für verfassungswidrig. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Exis-
tenzminimum sei hiermit nicht gewährleistet. Deshalb müssen die Sätze zum Januar 2011 wieder
erhöht werden. Hier zeigen sich erste Umkehrbewegungen innerhalb der Kürzungsdebatte.
194 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
42 Empirische Studien belegen, dass die am meisten Hilfebedürftigen oftmals gerade keine Unterstüt-
zung erfahren und als hoffnungslose Fälle abgeschrieben werden (vgl. Ludwig 1996: 283). So be-
steht bei der Umstellung auf den aktivierenden Sozialstaat wiederum die Gefahr, dass gerade die
gefördert werden, die auch die größten Chancen auf eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt
haben.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 195
Hindernis für Schülerinnen und Schüler, wodurch sie bei der Entwicklung ihrer
beruflichen Ansprüche die Hochschulbildung nicht als Option wahrnehmen. Dies
entspricht bereits einer Begrenzung der Anspruchsbildung, weil die Auseinanderset-
zung mit beruflichen Zielen unter anderen Voraussetzungen betrieben wird.
Diejenigen, die sich für ein Studium unter diesen Bedingungen entscheiden, tun
dies nun nicht mehr unter dem Aspekt der Ressourcenforderung, sondern eines
gekauften Gutes. Ein Studium, für das gezahlt werden muss, hat einen anderen
Stellenwert bei der Kosten-Nutzung-Abwägung. Dabei wird die Wahl des Studien-
faches zunehmend stärker von wahrgenommenen beruflichen Chancen bestimmt
und immer seltener von individuellen Neigungen. Studien zum Wertewandel von
Jugendlichen belegen die Tendenz einer Wertsynthese zwischen Selbstentfaltung
und Chancenstrukturen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Isenberg 2000, Deutsche Shell
2002; Klages 2002; Oechsle et al. 2009). Der Anspruch auf eine möglichst sichere
Zukunft konkurriert dabei zunehmend mit dem Anspruch auf einen Studienplatz,
bei dem das Interesse am Fach im Vordergrund steht.
Eine weitere Veränderung des Anspruchs auf Hochschulbildung ergibt sich in-
folge der Modularisierung und der Einführung von Kreditpunkten. Einerseits be-
einflusst diese Struktur das Leistungsstreben durch kontinuierliche Prüfungen. An-
dererseits schwächt sie aber das Gefühl der Eigenverantwortung durch Verschulung
und Fragmentierung der Bildungsinhalte. Immer wieder wurde deshalb die Kritik
laut, die Veränderung der Studienstruktur berge die Gefahr einer kognitiven Eng-
führung des Bildungsanspruchs, die der Zweckfreiheit von Bildung zuwider läuft
(vgl. Graßl 2008: 208f). Die Studierenden wiederum sind sich über die Anerken-
nung der neuen Studienabschlüsse unsicher. Dies erhöht den Konkurrenzdruck,
wodurch die Anstrengungen gesteigert werden und sich zunehmend an der Ver-
wertbarkeit der erworbenen Bildung und arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen
orientieren (vgl. Baumgart 2006: 21). Diese Veränderungen führen insgesamt zu
einer Untergrabung von Selbstansprüchen.
Auch in der Familienpolitik lässt sich die Zunahme von ökonomischem Den-
ken erkennen. Dieser Wandel wird jedoch nicht durch die Leistungsreduktion von
Seiten des Staates ausgelöst, sondern geht mit der Entwicklung von Soll-Normen
einher. Die familienpolitische Wende, die seit 2003 betrieben wird, bestimmt die
Funktion von Familien entlang ökonomischer Kriterien und verändert somit Stück
für Stück ihr bisheriges Bild (vgl. Ostner 2008: 49). Dahinter steht eine neue Per-
spektive auf den Beitrag, den Familien für den Staat leisten sollen. Vor allem Kinder
gelten dabei als gesellschaftliches Kapital, dessen Förderung neue Ansprüche an die
Familien stellt. Die nachhaltige Familienpolitik sieht im Wesentlichen vor, die Ge-
burtenrate zu erhöhen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern,
um die Frauenerwerbsanteile zu erhöhen.
196 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
„Eltern (Mütter wie Väter) sind nun aufgefordert, vor allem erwerbstätig zu sein, um Konsum und
dadurch Beschäftigung zu ermöglichen und um der Armut insbesondere ihrer Kinder, vorzubeu-
gen; sie sollen auch die Kinder im Interesse einer sozialinvestiven Gesellschaftspolitik in professio-
nelle Hände geben. Sozialpolitik für Kinder hat sich in Beschäftigungspolitik für die Eltern verwan-
delt, sowie in eine Politik, die das kindliche Humankapital fördert. Haushalt und Familie sollen
markt- und beschäftigungsfreundlicher werden.“ (ebd.: 57).
43 Ganz aktuell wurde auch 2008 von Ursula von der Leyen argumentiert, dass Gelder für die Kinder
von den Eltern zweckentfremdet werden und deshalb neue Steuerungsmöglichkeiten erforderlich
sind.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 197
durch einen Umgang mit den eigenen Zielsetzungen, der am Modell des Projektma-
nagements des Berufs ausgerichtet ist. Die konsequente Erarbeitung von Le-
bensprojekten führt, wie Bröckling es beschrieben hat, zu einem disziplinierten und
organisierten Umgang mit eigenen Ansprüchen. Dahinter steht die Annahme, An-
sprüche nähmen wegen der steigenden Unsicherheit der Anerkennung im Beruf zu
und wechselten häufiger. Die Intimbeziehungen tragen die Last, weil in ihnen die
Zielsetzungen kommunikativ ausgehandelt werden müssen. Dabei vermehren sich
nicht nur die präsentierten Zielsetzungen, sondern auch die Ansprüche, die an den
Partner gerichtet werden. Die kommunikative Aushandlung dieser Ansprüche ist
deshalb einem steigenden Druck ausgesetzt.
Eva Illouz hat zu Aspekten der Ökonomisierung und dem erhöhten Aushand-
lungsdruck empirische Studien durchgeführt (vgl. Illouz 2003, 2006). Darin be-
trachtet sie die Aushandlungsprozesse in persönlichen Beziehungen aus einer um-
fassenderen Perspektive des kapitalistischen Marktprinzips. Illouz sucht nach einer
Verknüpfung zwischen Kapitalismus und Liebesbeziehungen in Form eines allge-
meinen kapitalistischen Narrativs. Ein solches Narrativ lässt sich aus den subjekti-
ven Äußerungen ableiten und prägt die Beziehungen im beruflichen und privaten
Kontext gleichermaßen. Die emotionsfreie öffentlichen Sphäre und die mit Emoti-
onen gesättigte privaten Sphäre werden vermischt (vgl. Illouz 2006: 12).
„Frauen und Männer der Mittelschicht [sind, D.L.] im Laufe des 20. Jahrhunderts dazu angehalten
(…), sich sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Familie auf intensive Weise ihren Emotionen zu-
zuwenden, und zwar indem sie in beiden Bereichen ähnliche Techniken anwenden, um das Selbst
und seine Beziehungen zu anderen in den Vordergrund zu rücken.“ (ebd.).
In der Studie „Der Konsum der Romantik“ (vgl. 2003) weist Illouz einen Zusam-
menhang zwischen Interaktionsmechanismen in intimen Beziehungen und dem
Marktprinzip anhand des Konsumverhaltens nach. In „Gefühle in Zeiten des Ka-
pitalismus“ (vgl. 2006) behandelt sie den veränderten Umgang mit Gefühlen. Sie
geht hier auch von der These einer allgemeinen Ökonomisierung der Beziehungs-
pflege aus und konzentriert sich auf die Aufhebung der Trennung des emotionalen
privaten Bereichs und des eher sachlichen Arbeitsrahmens.
Die Studie „Der Konsum der Romantik“ konzentriert sich konkret auf die
Verwebung von Liebes- und Konsumsemantiken. Illouz untersucht diese auf
Grundlage von Interviews, in denen die Befragten gebeten wurden, ihre Vorstellun-
gen über romantische Liebe zu beschreiben. Ihr Analysefokus liegt auf der Heraus-
arbeitung einer Konsumhaltung, die als Kennzeichen der Vermarktlichung gesehen
wird. Konkret stellt Illouz heraus, wie sich die Vorstellungen einer gelingenden
Beziehungspflege mit einer Konsumhaltung verknüpft. Hierin entdeckt sie einen
Entfremdungscharakter, der einer Verschmelzung von Selbst- und Fremdansprü-
chen gleichkommt. Die Individuen verbinden die Gestaltung der Beziehung mit der
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 199
Nutzung von Konsumgütern, wodurch die Beziehung von ihnen abhängig wird.44
Illouz Ausgangspunkt lautet, dass die Freizeitgestaltung von Paaren und die Her-
stellung von romantischen Momenten sich zunehmend an einer gemeinsamen Par-
tizipation von Gütern orientieren.
Laut Illouz verschuldet vor allem die Werbung diese Perspektivverschiebung.
In der Werbung werden Waren aus den Bereichen Freizeit, Natur, Exotik, Urlaub
usw. mit Bedeutungen versehen und so zu einer romantischen Utopie verdichtet,
derer sich die Paare zur Gestaltung ihrer Beziehung bedienen. Konsumierte Erfah-
rungen und das romantische Vergnügen verschmelzen miteinander. Ihrer Meinung
nach wird Warenkonsum auf diese Weise zum Selbstzweck, um Intimität herzustel-
len. „Im modernen romantischen Ideal ist es der bloße Akt des Konsums, der den
romantischen Augenblick darstellt und erzeugt.“ (Illouz 2003: 72). Das Prinzip der
Unersättlichkeit, das bei der Bedürfnisbefriedigung durch Konsumgüter gilt, über-
trägt sich auf die Haltung zur Beziehung. Illouz sieht das vor allem in der Anfangs-
phase von Beziehungen gegeben. Hierein zeigt sich eine neue Form der Bezie-
hungseinstellung mit dem Charakter von Affären, die lediglich der „Jagd nach Ver-
gnügen“ (ebd.: 272) dienen und nicht in einer verpflichtenden Beziehung münden.
Die Konsumhaltung findet sich aber auch in festen Beziehungen, in denen Bindung
mit Konsum hergestellt wird.
Im „Konsum der Romantik“ skizziert Illouz des Weiteren den Gedanken einer
zunehmenden Rationalisierung der Kommunikation, der in der zweiten Studie wei-
ter ausgebaut wird. Diese Rationalität kann auf zweierlei Weise beobachtet werden:
zum einen während der Partnersuche und zum anderen im Hinblick auf die Aus-
handlungshandlungsprozesse innerhalb der Beziehung. Bei der Partnerwahl geht es
um die Beobachtung eines interessegeleiteten Verhaltens, „(…) dass die Vorzüge
und Schwächen eines anderen Menschen den eigenen Bedürfnissen anzupassen
versucht.“ (ebd.: 272). Dieser Umgang mit potentiellen Partnern ist so gesehen ein
rationaler, weil der Nutzen für die eigene Selbstverwirklichung den Kosten für die
Beziehungspflege gegenübergestellt wird. Auch Reckwitz betont in seiner Analyse
der Subjektmodelle:
„Nicht nur, dass alle persönlichen Beziehungen – entbunden von sozialen, ökonomischen oder
moralischen Ansprüchen – zum Gegenstand nahezu vollständiger Beziehungswahl statt Bezie-
hungsvorgabe werden, auch die Fortsetzung dieser Beziehungen – insbesondere der Partnerschaft –
wird zum Gegenstand einer ständig neu zur Entscheidung gestellten, wechselseitigen rational choice
(…).“ (Reckwitz 2006: 528).
44 Ihre Argumente lassen sich deshalb an die Auffassungen der klassischen kritischen Theorie anbin-
den. Adorno und Horkheimer ging es in der Darstellung des Gefährdungspotentials der Autono-
mie von Individuen auch um die Untergrabung echter Bedürfnisse durch falsche Konsumorientie-
rungen (vgl. Horkheimer/Adorno 1947).
200 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
Die Ökonomie der Wahl arbeitet mit dem Vergleich zwischen dem aktuellen und
einem potentiellen Partner. Die Entscheidung für einen Partner wird durch einen
Vergleich der personalen Vorzüge und Nachteile getroffen. Das gleiche Prinzip gilt
bei der Entscheidung zur Trennung von einem Partner. Die Partner fordern be-
ständige Anregung durch den Partner. Geht diese verloren, wird, Reckwitz’ Ansicht
nach, mit zunehmend rationalem Kalkül über die Auflösung der Beziehung nachge-
dacht (vgl. ebd.: 547). Das entspricht einer Radikalisierung der Wahl. Die Kalkula-
tion der erbrachten und zu erbringenden Leistungen des Anderen für die eigene
Bedürfnisbefriedigung mischt sich mit dem romantischen Ideal des Begehrens und
dem Wunsch, die Bedürfnisse des Anderen zu befriedigen. Der Andere wird mit
seinen Eigenschaften und seinem Potential mehr und mehr zum Impulsgeber für
die eigene Entwicklung. Das Begehren oder die Liebe knüpft zunehmend an dieser
Funktion an und verliert ihren Selbstzweck. „Selbstliebe und Selbstkultivierung
können dann als unabdingbare Voraussetzung zu einer konstruktiven Liebe zum
Anderen gedeutet werden.“ (ebd.: 535). Diese Tendenzen müssen jedoch erst ein-
mal von der Empirie bestätigt werden.
Innerhalb persönlicher Beziehungen entsteht nach Reckwitz eine neue Kultur
der Intimität. Beziehungen dienen zunehmend als Medium, um der expressiven
Subjektivität zur Verwirklichung zu verhelfen. Der Umgang mit ihnen weist Ähn-
lichkeiten zum Markthandeln auf. Die Beziehung wird von Reckwitz insgesamt als
ein Projekt gedeutet, in dem Emotion, Alltag, Vertrauen, Kommunikation usw.
kreiert werden. Auch Illouz sieht die Gefahr, dass emotionale Bindung und Liebe
als grundlegendes Anerkennungsverhältnis von Nützlichkeitserwägungen untergra-
ben wird.
Reckwitz hat diese Mechanismen auch auf Freundschaftsbeziehungen übertra-
gen. Sie kommen ebenfalls aufgrund veränderter Strategien zustande (vgl. Reckwitz
2006: 533). Ein Freund wird danach ausgewählt, ob er Anregung verspricht und
damit das Erleben bereichern kann. Länger währende Freundschaften werden da-
raufhin befragt, inwiefern sie neue Elemente für das eigene Ich bereithalten. Dar-
über hinaus ändert sich die Konstellation der Freundschaftsbeziehungen bestimm-
ter gesellschaftlicher Milieus dahingehend, dass sie nicht mehr ein Netzwerk bilden,
bei dem sich alle untereinander kennen. „Die gesteigerte räumliche Mobilität der
creative class und ihre Vernetzung über elektronische und digitale Kommunikations-
technologien potenzieren dabei den Raum möglicher Freundschaften.“ (ebd.: 534).
Auch wenn Partnerschaften das Zentrum der Intimbeziehungen bilden, werden
Freundschaften immer wichtiger, da sie zum einen länger andauern können als
Partnerschaften und zum anderen für die „multiple Erfahrungssuche“ (ebd.: 535)
benötigt werden.
In den partnerschaftlichen Aushandlungsprozessen ist die zunehmende Ratio-
nalisierung mit einem höheren Konfliktpotential verbunden. Die Fähigkeiten zur
Konfliktlösung werden immer wichtiger.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 201
„Diese Praxis stellt nicht nur das reibungslose praktische Funktionieren des Paares wieder her, son-
dern fördert auch eine kommunikative Rationalität, die davon ausgeht, dass zwei autonome Ichs
mittels Kommunikation ihrer Bedürfnisse und der Anerkennung der Legitimität dieser Bedürfnisse
zu gegenseitigem Verständnis und Liebe gelangen können.“ (Illouz 2003: 274).
Dabei bedienen sich die Individuen einer ökonomischen Sprache, in welche die
Emotionalität der Beziehung eingelassen ist. Reckwitz betont demgegenüber, dass
die Partner sich an Managementtechniken zum Führen von Verhandlungen und
zum Herstellen von Vertrauen orientieren. Auf diese Weise sollen Rollenverträge
und ein Beziehungs-Bargaining festgelegt werden, mit deren Hilfe sich die Partner
gegenseitig die eigenen Wünsche präsentieren wollen. Konfliktfähigkeit ist die zent-
rale Kompetenz dieser Verhandlungen (vgl. Reckwitz 2006: 537).
Für Illouz drückt diese stärkere Rationalisierung der Kommunikation vor allem
den Kampf um Gleichberechtigung aus. Frauen verbessern auf diesem Wege ihre
Position und verschaffen ihren Bedürfnissen mehr Raum. Diese rationalisierte
Kommunikation resultiert aus dem steigenden Anteil von Eigeninteressen, die in
den Beziehungen verwirklicht werden sollen und die unter Umständen die Liebe als
Orientierung am anderen untergraben. Die Veränderung der Liebessemantik ergibt
sich nach Illouz’ Meinung insgesamt aus der Vermischung von rationalen und irra-
tionalen sprachlichen Ausdrucksmitteln sowie einem allgemeinen Misstrauen ge-
genüber der Liebe, welches durch das Hinterfragen alter Verständlichkeiten zu-
stande kommt (vgl. Illouz 2003: 277). Daraus könnte folgen, dass Beziehungen
allmählich den Charakter einer Handelsware erhalten, was aber unter Berücksichti-
gung kontextspezifischer Merkmale nur die Empirie endgültig beantworten kann.
Illouz selbst ermittelt in ihrer Studie, dass bei der Verzahnung von Selbstverwirkli-
chung, Liebe und rationaler Kommunikation nur da Veränderungen auftreten, wo
die Partner Berufen nachgehen, die mit einem gewissen Grad an Autonomie ausge-
übt werden können und Raum für Selbstverwirklichung lassen (vgl. ebd.: 278).
Eine Zuspitzung dieser Tendenz, findet sich in der zweiten Studie von Illouz
über Gefühle im Kapitalismus. Hier steht die Beeinflussung von privaten Kommu-
nikationsstrategien durch therapeutische, ökonomische und feministische Diskurse
im Mittelpunkt (vgl. Illouz 2006: 60). Die Diskurse werden aus Ratgebern abgeleitet,
welche zum Zwecke der erfolgreicheren Bedürfnisformulierung zu einer entemo-
tionalisierten Kommunikation raten. Illouz bezeichnet dies als emotionalen Kapita-
lismus, der eine Kultur hervorbringt,
„(…) in der sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig formen, um so
jene breite Bewegung hervorzubringen, die Affekte einerseits zu einem wesentlichen Bestandteil
ökonomischen Verhaltens macht, andererseits aber auch das emotionale Leben – vor allem der Mit-
telschichten – der Logik ökonomischer Beziehungen und Austauschprozesse unterwirft.“ (ebd.:
13).
202 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
Hierbei entsteht eine Selbstentfremdung von den eigenen Ansprüche auf zwei-
erlei Ebenen: den Gefühlen und Bedürfnissen. Beide werden innerhalb der Kom-
munikation von einer Sprachideologie beeinflusst. Die Kommunikation führt zu
einer „Spaltung zwischen einem intensiven subjektiven Leben einerseits und einer
zunehmenden Objektivierung der Mittel des Ausdrucks und des Austausch von
Emotionen (…).“ (Illouz 2006: 62). Sprechmuster, die dazu dienen Emotionen zu
bewältigen, werden standardisiert, wodurch die Fähigkeit verloren zu gehen droht,
schnell und unreflektiert seine Gefühle zu äußern. Gefühle werden nun zu „(…)
äußerlichen Gegenständen, die beobachtet und kontrolliert werden sollen.“ (ebd.:
56). Dadurch verlagert sich das Erfahrungserleben in ein Kommunikationserleben,
was die emotionale Bindung der Partner aufhebt.
Als einen der Gründe für Veränderung in der Selbstdarstellung nennt Illouz die
Nutzung des Internets für die Partnersuche. „Die romantischen Beziehungen wer-
den nicht nur im Rahmen von Märkten organisiert, sie sind selbst zu Fließbandpro-
dukten geworden, bestimmt zu schnellem, effizientem, billigem und reichlichem
Konsum.“ (Illouz 2006: 135). Hier besteht die Gefahr einer Vergegenständlichung
von Beziehungen. Die internetbasierten Partnerbörsen basieren auf einer Logik,
„(…) die ein öffentliches und emotionales Selbst voraussetzt und zur Darstellung
bringt, mehr noch, die das öffentliche emotionale Selbst den privaten Interaktionen
vorausgehen lässt und sie konstituiert.“ (ebd.: 99). Die Selbstpräsentation in Part-
nerbörsen verwandelt das private Selbst in ein öffentliches und trägt zu einer Textu-
alisierung von Subjektivität bei. Dies entspricht einem Selbstzugang, der das Selbst
mittels Sprache externalisiert und dadurch objektiviert (vgl. ebd.: 119). Denn: bei
dieser Form der Partnersuche kommt man ohne emotionale Ressourcen aus.
„Das Problem ist nicht so sehr, dass die Internettechnologie das persönliche und emotionale Leben
verarmen lässt, sondern sie ungekannte Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Beziehungsbil-
dung schafft, denen gleichwohl die emotionalen und körperlichen Ressourcen fehlen, die bislang
zur Aufrechterhaltung solcher Kontakte und Beziehungen gedient hat.“ (ebd.: 164).
betont er, dass die eigenen Ansprüche passiv beobachtet werden, wodurch ihr
Selbstbindungscharakter stetig verloren zu gehen scheint. Bei einem solchen Selbst-
präsentationszwang besteht die Gefahr einer zunehmend durch Selbstvermarktung
geleiteten Selbstbeziehung.45
Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Art und der Umfang der
Selbstdarstellung weiterhin eine freiwillige Entscheidung des Individuums bleibt.
„Von Vorlagen dieser Art geht keine bezwingende Kraft auf die Subjekte aus. Sie
werden daher auch nicht als Gebilde interpretiert, dem man sich unbedingt beugen
müsste.“ (Ellrich/Funken 2007: 88). Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass
die Art der Selbstdarstellung auch äußert produktiv für die Individuen sein kann
und nicht unbedingt in einer Selbstverdinglichung münden muss. „(…) Erfah-
rungsberichte aus der netzbasierten Partnersuche zeigen, dass für viele der Suchen-
den die ‚geforderten’ Selbstbeschreibungen äußert produktive Selbsterkundungen
darstellen – und vielfältige Prozesse der Selbstfindung und Selbsterfindung generie-
ren.“ (Kellner 2007: 115).
Das grundlegendere Problem dieser Art der Selbstpräsentation ist eher der pro-
visorische Charakter, den die Präsentation der Eigenschaften und Ansprüche erhält.
Da die Form der Selbstdarstellung jederzeit verändert werden kann und zu einer
Objektivierung der Ansprüche führt, erhöht sich die Gefahr der Selbstverdingli-
chung. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu der Selbstdarstellung in face to face
Interaktionen, wo das Gegenüber jede Änderung registrieren kann und möglicher-
weise auch Rechtfertigungen für neue Formen der Selbstpräsentation verlangt.
Illouz folgert aus dieser veränderten Art der Selbstpräsentation, dass auch Be-
ziehungen ihrer emotionalen Basis beraubt werden. Sie werden durch psychologi-
sche Techniken zu einem kalkulierbaren Gegenstand. Die Trennung zwischen stra-
tegischem und emotionalem Handeln gelingt so immer weniger. Beziehungen ver-
lieren ihren besonderen Charakter, formen sich zu kognitiven Objekten und werden
Kosten-Nutzen-Analysen unterzogen.
„Konnte das konventionelle kapitalistische Subjekt noch zwischen ‚Strategie’ und reiner ‚Emotion’
hin und her pendeln, liegt das kulturelle Hauptproblem in der Internet- und Psychologieära darin
(…), dass ihm dieses Hin und Her zwischen Strategie und Emotion nicht mehr behagt. Die Ak-
teure scheinen, häufig gegen ihren Willen, im Strategischen steckenzubleiben.“ (ebd.: 163f.).
45 Diese Gefahr sah Habermas sogar bereits 1956 in einer Studie über Heiratsannoncen in Tages-
zeitungen. Die Inserenten liefern sich seiner Meinung nach „einem System vergleichbarer und das
heißt meßbarer Leistungen“ (Habermas 1956: 997) aus. Es geht demnach um die Beobachtung von
allgemeinen organisierten und standardisierten Selbstdarstellungsprinzipien, die sich im Gegensatz
zu denen in natürlichen Begegnungen negativ auf die Selbstbeziehung auswirken können.
204 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
tung zur eigenen Autonomie statt (vgl. ebd.: 62). Dadurch wirkt sich die Entemoti-
onalisierung auch auf den Grad der Selbstbindung durch Ansprüche aus. Da ein
Grundmerkmal von Ansprüchen ihre Kopplung an die Emotion ist, führen die
Veränderungen der Kommunikation über Ansprüche durch den Verlust an Emoti-
onalität zu einer schwindenden Bindungskraft. Vor diesem Hintergrund ändert sich
die Bedeutung der Ansprüche. Ihre Ausbildung und die darauf folgende Präsenta-
tion bekommen einen experimentellen Charakter. Dadurch gehen die Identifikation
und der Stabilisierungseffekt für die Identität zunehmend verloren.
Diese empirischen Belege können als zeitdiagnostische Gefährdungstendenzen
für die Verschmelzung des Leitgedankens der Rationalität des Leistungsindividua-
lismus und der privaten Lebensführung verstanden werden. Sowohl die Partnerwahl
als auch die kommunikativen Aushandlungsprozesse innerhalb der Partnerschaft
sind einer zunehmenden Ökonomisierung ausgesetzt, die sich in unterschiedlichen
Facetten zeigt. Sie schließt sowohl das Prinzip der Marktförmigkeit, als auch das der
Rationalisierung und der Konsumption ein. Bei der Anbahnung von Partnerschaf-
ten in Partnerbörsen entsteht eine neue Marktförmigkeit, bei der eine effiziente und
schnelle Partnersuche ermöglicht wird. Innerhalb dieser Partnerbörsen findet eine
Selbstvermarktung statt, wie sie schon im Rahmen beruflicher Anerkennungsbe-
ziehungen diskutiert wurden. Die kommunikativen Aushandlungsprozesse in der
Partnerschaft orientieren sich an den Prinzipien therapeutischer Kommunikation.
Die angestrebte erfolgreiche Formulierung individueller Bedürfnisse geht mit einer
starken Entemotionalisierung einher. Des Weiteren ist die Beziehungspflege mit
einer konsumistischen Erlebnisorientierung verflochten, wodurch eine Abhängig-
keit zwischen der Aufrechterhaltung einer Beziehung und unterschiedlichsten Kon-
sumgütern entsteht.
Hinter diesen Phänomenen steht eine Selbstverwirklichungsstrategie, die am
Projekt-Ich ausgerichtet wird. Dabei geht es vor allem darum, eine Vielzahl von
wechselnden Ansprüchen als Bestandteile der Identitätsentwicklung anzuerkennen
und sich um ihre Erfüllung zu bemühen. Der Antrieb für die Ausbildung immer
neuer Ansprüche entsteht aus dem Bewusstsein einer zunehmenden Unsicherheit
von Anerkennung vor allem in beruflichen Zusammenhängen. Dadurch fungieren
Ansprüche heute mehr als Versuchsprinzip. Dieser experimentelle Umgang mit
Ansprüchen mündet vor dem Hintergrund der verstärkten Ausrichtung an berufli-
cher Anerkennung auch in einem häufigeren Wechsel von Lebenszielen, der sich
auf die Stabilität von Partnerschaften auswirkt. Die Aushandlungsanforderungen an
die Partner werden somit immer größer. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass auf-
grund der Standardisierungs- und Entemotionalisierungstendenzen in der Selbstdar-
stellung Ansprüche einen geringeren Grad an Selbstbindung besitzen. Dadurch geht
ihre identitätsprägende Kraft verloren.
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 205
Das vierte Kapitel ging von der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Leitbild aus,
das den bis zum Ende der 1980er Jahren wirkenden Anspruchsindividualismus
abgelöst hat. Die wichtigste Voraussetzung dieses Wandels war die Zunahme von
Selbstverwirklichungsbestrebungen innerhalb der Berufe. Auf dieser Beobachtung
aufbauend wurde die These einer allseitigen Ökonomisierung vorgestellt, die davon
ausging, dass die Individuen ihr Handeln mehr und mehr der beruflichen Selbst-
verwirklichung unterordnen. Um das Übergreifen ökonomischer Haltungen auf die
individuellen Selbstverwirklichungsansprüche genauer zu erfassen, wurden zwei
Subjektmodelle diskutiert. Die darauf folgende anerkennungstheoretische Betrach-
tung der Aushandlungsprozesse von Ansprüchen beabsichtigte zu zeigen, wie sich
die Ökonomisierung auf die Anspruchshaltungen der Individuen im Einzelnen
auswirkt. Ausgehend von Veränderungen des beruflichen Kontextes wurden sozial-
staatliche und politische Dynamiken im Umgang mit Ressourcenforderungen unter-
sucht. Und auch in intimen Beziehungen konnten veränderte Aushandlungspro-
zesse aufgezeigt werden, in denen sich ein Wandel im Umgang mit Anspruchshal-
tungen ausdrückt.
Mit Hilfe der beispielhaften Darstellung der Selbstdarstellungspraktiken und
Anerkennungsmechanismen, die unter dem Leitbild des Leistungsindividualismus
angewandt werden, treten verschiedene Auswirkungen auf das individuelle Selbst-
verwirklichungsstreben zutage. Im beruflichen Rahmen zeigte sich nicht nur eine
Abhängigkeit zwischen Anerkennung und Marktförmigkeit bei der Bewertung von
individuellen Leistungen (vgl. Voswinkel 2001), sondern auch eine eigentümliche
Vermischung von Fremdforderungen und Selbstansprüchen (vgl. Bröckling 2007).
Diese Wandlungsprozesse stellen eine Zuspitzung der Ambivalenz einer zwischen
Chance und Risiko hin- und her pendelnden Individualisierung dar. Die allgemeine
Optionenvielfalt wird untergraben von Begrenzungstendenzen, die einerseits struk-
turell bedingt sind, anderseits nicht intendierte Folgewirken einer anspruchs-
geleiteten Selbstverwirklichung darstellen. Hierbei lässt sich eine zunehmende Ori-
entierung an Markterfolgen auf struktureller Ebene und eine Rationalisierung der
Selbstverwirklichung auf individueller Ebene erkennen. Beides entsteht, da Risiko-
lagen in der individuellen Wahrnehmung zunehmen. Der Grund für diese Wahr-
nehmung liegt in der stärkeren Konkurrenz, einer stärkeren Nachfrage nach hohen
beruflichen Leistungsansprüchen sowie einer ausgeprägten Erfolgsorientierung.
Damit werden bereits Tendenzen zu einem Wandel vom Leistungs- zum Er-
folgsindividualismus sichtbar. Die darin liegende Gefahr des Nicht-Mit-Halten-
Könnens, geht mit einer Entfremdung von den eigenen Ansprüchen einher, da
Misserfolge immer seltener auf die tatsächlich erbrachten Leistungen zurückgeführt
werden können. Diese Entfremdung wird durch den zunehmenden Druck einer
nicht authentischen Selbstdarstellung im beruflichen Kontext verstärkt. Die hier
206 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
„Es gibt so etwas wie neue Selbstdarstellungszwänge, die faktisch auf eine neue Form der Selbst-
verleugnung hinauslaufen, eine neue Phänomenologie der Entfremdung, eine Gestalt der In-
authentizität, die aus dem Druck resultiert, sich stets authentisch darstellen zu müssen (…).“
(Kocyba 2000: 132).
Hier zeigt sich eine Entwicklung, die nicht nur immer mehr Eigeninitiative bei der
Aufgabenerfüllung als Anforderungen an die Berufsrolle stellt , sondern die ver-
langt, eigene Ansprüche auf Selbstverwirklichung im Beruf zu suchen. Berufe mit
Aufstiegsmöglichkeiten und Selbstentfaltungschancen tendieren dazu, wie Honneth
argumentiert hat, in Bewerbungsgesprächen eine Selbstdarstellung des Potentials
und der Zielsetzung einzufordern, die sich in Erfolgsorientierung ausdrücken. Zu-
gleich fließt die eigene Erfolgsorientierung und damit ihre Marktförmigkeit bzw.
Verwertbarkeit in die Selbstdarstellung mit ein. Das hat zur Folge, dass bei der Prä-
sentation von Ansprüchen im beruflichen Kontext bereits die Orientierung am
Markterfolg berücksichtigt werden muss, um überhaupt als passender Selbstan-
spruch anerkannt zu werden. Eine berufliche Selbstverwirklichung, die sich von den
bisherigen Leistungsansprüchen immer weiter entfernt und mit einer marktgerech-
ten Erfolgsorientierung betrieben wird, geht allerdings mit einer zunehmenden Fle-
xibilisierung der eigenen Ansprüche einher, was Einfluss auf die Identitätsentwick-
lung nimmt.
Die wachsende Anzahl von Ansprüchen und die Vortäuschung und Flexibilisie-
rung von Zielsetzungen führt zu einer nachlassenden Identifikationskraft der An-
sprüche. Es entsteht die Tendenz zur Selbstverdinglichung. Die Selbstverwirkli-
chung, die zunehmend unter dem Projekt-Ich-Konzept geplant wird, muss in einer
gelockerten Bindung an die eigenen Ansprüchen münden, da das Risiko des Schei-
terns gleichbleibend groß ist. Dadurch kann eine Vermischung von leistungsbasier-
ten Selbstansprüchen und Seinsforderungen entstehen. Die leistungsbasierten
Selbstansprüche werden in ihrer Gesamtheit zum Antrieb und Maßstab gelingender
Selbstverwirklichung. In Verbindung mit der Unsicherheit der Anerkennung dieser
Ansprüche kommt es nicht nur zur Steigerung des Anspruchsniveaus, sondern auch
zum häufigeren Wechsel der Anspruchshaltungen. Insgesamt bemühen sich die
Individuen stärker, Selbstverwirklichung auf umfassende Weise zu betreiben. Die
Selbstpräsentation verändert sich dahingehend, viele Ansprüche als Zeichen der
Vielseitigkeit der individuellen Potentiale zu präsentieren. Im Vergleich zum An-
spruchsindividualismus kann eine Überschreitung der individuellen Pluralisierungs-
tendenzen beobachtet werden.
Den Individuen stellt sich diese neue Rationalisierung im Umgang mit Selbst-
verwirklichung aber nicht als aufoktroyiert dar, sondern in erster Linie als eine
Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus 207
„Die Multiplikation einander widersprechender, inkonsistenter Perspektiven, die sich in der Zeit-
dimension als rascher Wechsel diskontinuierlicher Fragmente darstellt, untergräbt die Fähigkeit der
Subjekte, Erlebnispartikel und Erfahrungsbruchstücke auch nur ansatzweise in einer biographi-
schen Gestalt integrieren zu können.“ (Wagner 2000: 147).
Auch intime Beziehungen weisen ähnliche Entwicklungen auf. Sowohl bei der Part-
nerwahl, als auch in der Aushandlung der einzelnen Ansprüche der Partner unterei-
nander, ist eine zunehmende Zweckorientierung zu beobachten. Hinzu kommt,
dass Partnerschaften – und darüber hinaus auch Freundschaften – durch den
Wechsel von Ansprüchen bedroht sind, da sie die Selbstverwirklichungsbestrebun-
gen immer häufiger in andere Richtungen lenken und eine gemeinsame Zukunfts-
planung erschweren.
Der Stellenwert von Anerkennung erfährt insgesamt durch die Rationalisierung
von identitätsstabilisierenden Ansprüchen eine Veränderung. Das rationale An-
spruchsmanagement rechnet stärker mit dem Scheitern und arbeitet immer schon
an Ausweichplänen für neue Zielsetzungen, weshalb Ansprüche schneller gewech-
selt werden. Ansprüche werden demnach aufgrund mangelnder Anerkennung nicht
gesenkt, sondern zunehmend fallen gelassen. Deswegen ändert sich die Bindungs-
208 Anerkennungsmechanismen im Leistungs- und Erfolgsindividualismus
kraft, die positive Anerkennung auf Ansprüche ausübt. Sie erzeugt keinen wirkli-
chen Befriedigungseffekt mehr. Und wo dieser fehlt, wird eine Identitätsstabilisie-
rung zunehmend schwerer.
Letztendlich wirken sich diese Veränderungen auch auf die Zielsetzungen des
Individualitätsbestrebens aus, die ursprünglich mit den Ansprüchen verwobenen
waren und mit dem Verlust der Selbstbindung ihrer Grundlage entbehren. Ange-
sichts dieser allseitigen Untergrabung der Selbstansprüche durch Fremdforderungen
finden die Individuen immer seltener eine angemessene Gewichtung zwischen feh-
lender und nicht wirksamer Anerkennung. Diese Mechanismen beeinflussen das Er-
leben der eigenen Individualität negativ. Die Individuen können mit fremdbe-
stimmten Ansprüchen kein Gefühl der Einzigartigkeit mehr erzeugen. Und es stellt
sich die Frage, worin die
„(…) Einmaligkeit eines Subjekts bestehen [soll, D.L.], das sich mit konkreten Bestimmungen aus-
staffiert (...)? Es handelt sich um ein abstraktes Subjekt, dem seine konkreten Bestimmungen eben-
so äußerlich bleiben wie dem Leib das Hemd, der Anzug, die Krawatte.“ (Schiller 2006: 341f).
Markus Schroer hat die Mechanismen der Verschmelzung zwischen eigenen An-
sprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen folgendermaßen zusammengefasst:
„Die klassische Streitfrage, ob das Individuum seinen Anspruch auf Individualität der Gesellschaft
abtrotzen und erkämpfen muss oder ob die Gesellschaft sich genau jenes individualisierte Indivi-
duum schafft, das sie zu ihrem Fortbestehen benötigt, scheint dahingehend aufgelöst werden zu
können, dass Ansprüche des Individuums an die Gesellschaft im Laufe der Zeit zu Erwartungen
der Gesellschaft an das Individuum umgemünzt werden. Die einstmals eingeforderten Freiräume
zur Selbstpräsentation und –analyse sind längst in den gesellschaftlichen Verwertungszusammen-
hang eingespeist worden, so dass ein rundum eigenverantwortliches Individuum zum Idealbild der
Gegenwartsgesellschaft avanciert ist.“ (Schroer 2008: 117).
Die vorliegende Arbeit verfolgte das Ziel eine individualisierte Handlungslogik für
das Streben nach Selbstverwirklichung zu entwickeln. Ausgangspunkt war die hand-
lungstheoretische Unterbestimmtheit des seit Ulrich Becks „Risikogesellschaft“
ausgetragenen Diskurses über Individualisierungstendenzen in der deutschen Wohl-
standsgesellschaft. Als Kernproblem wurde hierbei die mangelnde Berücksichtigung
der subjektiven Wahrnehmung dieser strukturellen Veränderungen herausgearbeitet.
Dadurch zeigte sich, dass in der Individualisierungstheorie eine theoretische Erklä-
rungslücke bezüglich des Vorhandenseins individualisierter Bedingungen und der
Logik individualisierter Handlungen besteht. Die theoretische Argumentation der
Arbeit diente deshalb dazu, einen Erklärungsansatz zu entwickeln, der zum einen
das Problem löst, wie Individuen individualisierte Bedingungen wahrnehmen und
zum anderen, wie sich Individualisierung in den Handlungen der Individuen aus-
drückt.
Zu diesem Zweck ließen sich aus der Individualisierungstheorie zwei analyti-
sche Konzepte ableiten, die noch nicht in systematischer Weise zu einer Offenle-
gung individualisierter Handlungslogik zusammengeführt wurden. Dies sind die
Konzepte der Optionenvielfalt und der Selbstverwirklichung. Während Optionen-
vielfalt Ausdruck individualisierter Bedingungen ist, ist Selbstverwirklichung Aus-
druck der Folgen von Individualisierung auf der Mikroebene des Handelns. Beide
Konzepte erfassen all jene Veränderungen, die als Freisetzung, Entzauberung und
Reintegration von Ulrich Beck zusammengetragen wurden und eigneten sich für die
Erarbeitung einer individualisierten Handlungslogik. Der hierauf aufbauende Erklä-
rungsansatz sollte also den Umgang mit einer gewachsenen Optionenvielfalt aus
individueller Perspektive theoretisch erfassen. Dabei wurde darauf fokussiert, den
Umgang mit Optionen im Rahmen von selbstverwirklichenden Handlungen zu
erklären.
Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Individualisierung nicht auto-
matisch Optionenvielfalt und in dessen Folge Selbstverwirklichung erzeugt. Dieser
Schluss ist immer wieder aus der Darstellung der Individualisierungstheorie gezogen
worden und es wurde kritisiert, dass mit der Pauschalargumentation einer umfas-
senden Zunahme von Optionen keine Differenzierung nach strukturellen Unter-
schieden in der Verfügbarkeit von Optionen vorgenommen werden kann. Darüber
hinaus wurde auch kritisiert, dass die Bestimmung der Abhängigkeiten zwischen der
Erweiterung von Handlungsspielräumen und strukturellen Begrenzungen nicht
umfassend in die Theoriebildung mit eingeflossen ist.
In der vorliegenden Arbeit konnte mit einer historischen Rückschau auf den
Verlauf der Individuierung gezeigt werden, dass einseitige Deutungen von Individu-
alisierung als entweder Autonomieerweiterung oder –begrenzung der Komplexität
dieses Wandlungsprozesse nicht gerecht werden, da Individualisierung von Anbe-
ginn an durch ein Changieren zwischen der Zunahme von individueller Wahlmög-
lichkeiten und einer darauf einsetzenden Begrenzung dieser gekennzeichnet war.
Die Ausarbeitung einer individualisierten Handlungslogik sollte dieser Komplexität
Rechnung tragen können, indem berücksichtigt wird, dass sich sowohl Autonomie-
gewinn als auch strukturelle Begrenzungen im Umgang mit Optionen und in den
unterschiedlichen Verläufen der Selbstverwirklichung gegenseitig durchdringen.
Um zum einen den Grad des Autonomiegewinns theoretisch zu fassen, setzte
die theoretische Argumentation der vorliegenden Arbeit in einem ersten Schritt an
der Problematik der Wahrnehmung von Optionenvielfalt an. Die erste Frage, die
hier zu beantworten war, bezog sich auf die Klärung der Voraussetzungen, welche
die Individuen für die Wahrnehmung von Optionenvielfalt brauchen. Hierbei pro-
fitierte die Argumentation erneut von der historischen Rückschau auf den Verlauf
der Individuierung, da sich so zeigen ließ, dass einer individualisierten Handlungs-
logik die Fähigkeit zugrunde liegt, Ansprüche zu stellen. Dass Individuen Ansprü-
che ausbilden und notwendig brauchen, um Optionen wahrzunehmen, zu bewerten
und daraufhin überhaupt eine Auswahl treffen zu können, ist deshalb als ein ele-
mentares Kennzeichen der individualisierten Handlungslogik herausgestellt worden.
Die phänomenologische Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen zeigte,
dass Optionen sich vor dem Hintergrund des Freisetzungs- und Entzauberungsar-
guments und dem damit einhergehenden Verlust normativer Verbindlichkeiten,
dem Individuum als Störungen des Alltags präsentieren und es zur eigenen Ausei-
nandersetzung zwingen. Die Individuen können sich vor dem Hintergrund steigen-
der Deutungsoffenheiten nicht mehr wie in der Vormoderne auf einen gültigen
normativen Rahmen stützen. Optionen werden deshalb von den Individuen etwe-
der als Handlungsrecht, als Handlungsangebot oder als Deutungsangebot wahrge-
nommen und lösen Selbstvergewisserungsvorgänge aus, die eine eigene Bewertung
der Option erforderlich machen. Natürlich fließen in diese Bewertungen soziale
Wertvorstellungen ein, aber auch diese müssen als Bewertungskriterium selbst ge-
wählt werden und dies ist nur möglich auf der Grundlage eines eigenen Anspruchs.
Nach dieser Bewertung stehen den Individuen unterschiedliche Strategien zum
Umgang mit Optionen zur Verfügung. Es kann zum einen zur Zurückweisung oder
zum bewussten Ignorieren einer Option kommen. In diesem Fall ändert sich für das
Individuum nichts. Zum anderen kann es auch zur Übernahme einer Option kom-
men, was sich in Veränderungen der Handlungsroutinen niederschlägt.
Fazit und Anschlussmöglichkeiten für empirische Überprüfungen 211
Diese Überlegungen zum Umgang mit Optionenvielfalt dienten dazu, den Ver-
lauf der Selbstverwirklichung entlang einer individualisierten Handlungslogik zu
erklären. Dabei war das Hauptargument, dass sowohl die Entscheidung für eine
Zurückweisung bzw. das Ignorieren als auch die Übernahme einer Option für
Selbstverwirklichung auf der Basis eigener Anspruchshaltungen erklärbar wird.
Ansprüche wirken somit als Bewertungsgrundlage beim Umgang mit Optionen und
sind Handlungsmotivation bei der Aneignung von bestimmten Optionen. Damit
wird deutlich, dass Ansprüche eine Zielsetzungsdimension enthalten, die das Stre-
ben nach Selbstverwirklichung abbilden kann. Der Grad der Selbstverwirklichung
lässt sich demnach an der Höhe und der Art der Ansprüche ablesen. Dies ist der
eigentliche Autonomiegewinn der Individualisierung.
An dieser Stelle lassen sich erste Anschlussmöglichkeiten für empirische Über-
prüfungen entwickeln. Dabei wäre es erforderlich, die phänomenologisch erarbei-
teten Strategien zum Umgang mit Optionen zu validieren. Ratsam wären hier qua-
litative Studien und experimentelle Designs. In einer qualitativen Interviewstudie
könnte zum einen eine Typologie über die Arten der Optionen entwickelt werden,
die im Rahmen des Lebenslaufs wahrgenommen wurden. Dabei müsste auch die
Umgangsweise mit auftauchenden Optionen geprüft werden, die dann auch entlang
sozialstruktureller Kriterien typisiert werden sollte, um Hinweise auf schicht- bzw.
milieuspezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Wahrnehmung von
Optionen zu erhalten. Ein anderer wichtiger Aspekt wäre eine genaue Untersu-
chung der Bewertungsgrundlagen. Hierbei wäre es interessant herauszufinden, in-
wiefern die Höhe eigener Anspruchshaltungen als Bewertungsgrundlage für das
Zurückweisen von sich bietenden Optionen als Argument herangezogen wird und
wie häufig ungünstige äußere Bedingungen als Grund für die Zurückweisung ge-
nannt werden. Einen anderen Zugang würde der Einsatz gedankenexperimenteller
Methoden bieten. Mit einer solchen Studie käme man näher an den Kern individu-
eller Ansprüche, da Gedankenexperimente ein Denken in Möglichkeiten erlauben.
Hier könnte ein hypothetischer Umgang mit Optionen unter vorgestellten idealen
Bedingungen Aufschluss über die handlungsleitenden Anspruchshaltungen geben,
wobei diese Analyse einen Vergleich unterschiedlicher Altersgruppen einschließen
sollte, da jüngere Menschen im Vergleich zu älteren weniger mit Situationen kon-
frontiert worden sind, die Anspruchsanpassungen erforderlich machen.
Die weiterführende Argumentation in der vorliegenden Arbeit berücksichtigte
jedoch nicht nur die Funktion von Ansprüchen als Bewertungsgrundlage von Opti-
onen, sondern konzentrierte sich darauf, Selbstverwirklichung als einen anspruchs-
geleiteten Entwicklungsprozess zu beschreiben, in dem dann die strukturellen Be-
grenzungen der Individualisierung sichtbar gemacht werden können. Damit wurde
eine zweite Funktion von Ansprüchen in die individualisierte Handlungslogik inte-
griert. Diese Funktion bezieht sich auf den Forderungscharakter von Ansprüchen.
Indem sie als Forderungen geäußert werden, lassen sie das Streben nach Selbstver-
212 Fazit und Anschlussmöglichkeiten für empirische Überprüfungen
wirklichung sozial sichtbar werden. Nur so konnten sie überhaupt zu einem Grad-
messer von Individualisierung werden. Mit der Präsentation von Ansprüchen hängt
aber auch der Erfolg der Selbstverwirklichung von der Anerkennung dieser An-
sprüche ab. Das Präsentieren von Ansprüchen hat für die Individuen die Funktion,
sich als Individuum mit einem bestimmten Potential zu zeigen. Die Auseinanderset-
zung mit individualisierten Bedingungen zeigte, dass diese Art der Selbstpräsenta-
tion nötig wird, da die Entwicklung individueller Lebensläufe zunehmend entstan-
dardisiert wird und somit Erklärungen über Zielsetzungen für die Zukunft in der
Selbstpräsentation mitgeliefert werden muss. Zur Darstellung der eigenen Person
gehört nun neben dem aktuellen Entwicklungsstand immer auch die Darlegung der
Möglichkeiten für zukünftige Entwicklungen. Diese werden als Ansprüche präsen-
tiert und ermöglichen dem Gegenüber die Identifikation einer sich selbstverwirkli-
chenden Person.
Mit der Konzentration auf eine theoretische Klärung des Verlaufs einer an-
spruchsgeleiteten Selbstverwirklichung vor dem Hintergrund einer grundlegenden
Optionenvielfalt war zusätzlich die Neukonzeption des Verständnisses von indivi-
dualisierter Identitätsbildung verbunden, die dem Umstand Rechnung trug, dass
Identitäten einem lebenslangen Entwicklungsprozess unterliegen. Identitätsbildung
wurde im Rahmen der Argumentation einer anspruchsgeleiteten Selbstverwirkli-
chung so definiert, dass die Anerkennung von Ansprüchen einer Identitätsstabilisie-
rung gleichkommt. Damit liegt der Arbeit ein Identitätskonzept zugrunde, das die
Offenheit des Lebenslaufs als Folge von Freisetzungs- und Entzauberungsmecha-
nismen ernst genug nimmt, und damit berücksichtigen kann, dass sich auch aus der
bloßen Präsentation von Ansprüchen – die einem Entwurf einer möglichen Zu-
kunft gleich kommt – Identitäten verändern können und dazu eine spezifische
Auseinandersetzung mit der erbrachten Anerkennung erforderlich machen. Gleich-
zeitig war es hiermit möglich, Begrenzungen der Selbstverwirklichung aus der Miss-
achtung von Ansprüchen abzuleiten.
Diese weitreichenden Funktionsbestimmungen von Ansprüchen wurden zur
besseren Darstellung der Argumentationsstränge entlang der Logik des Modells der
soziologischen Erklärung zu einer umfassenden individualisierten Handlungslogik
ausgebaut. Ansprüche fungieren in diesem Modell als Handlungsmotivation für die
Wahl von Optionen unter Berücksichtigung individualisierter Situationsbedingun-
gen. Dies entsprach der Offenlegung der Logik der Situation. Gleichzeitig müssen
Ansprüche als Forderungen präsentiert werden und verlangen nach Anerkennung,
die für die Stabilisierung der Identität benötigt wird. Damit ist die eigentliche Hand-
lungsebene des Mehrebenenmodells angesprochen. Die individuelle Ausei-
nandersetzung mit diesen Anerkennungsakten wurde im Sinn der Logik der Aggre-
gation als ein intraindividueller Vorgang in das Modell integriert, da die Folge dieser
Auseinandersetzung die Identitätsstabilisierung des Individuums ist und nicht die
kollektive Folge unterschiedlicher individueller Identitätsentwicklungen. Damit
Fazit und Anschlussmöglichkeiten für empirische Überprüfungen 213
ren. Diese Elemente wurden auf das Konzept der anspruchsgeleiteten Identitäts-
entwicklung übertragen.
Die auf diesen Vorstellungen aufbauende Auseinandersetzung mit Anerken-
nungsleistungen legte den Einfluss von Anerkennung auf das Anspruchsdenken
offen. Die sozialphilosophische Betrachtung von Anerkennungsbeziehungen durch
Axel Honneth samt der Erweiterung von Barbara Kaletta bereitete die gesell-
schaftstheoretische Analyse der Anerkennungsbeziehungen vor. Es wurde zwischen
drei Anerkennungsbeziehungen unterschieden. Erstens: Anerkennungsleistungen,
die im Rahmen von Intimbeziehungen vergeben werden und dazu dienen, Seinsfor-
derungen zu stabilisieren. Zweitens: rechtliche bzw. moralische Anerkennungssys-
teme zur Analyse des Umgangs mit Ressourcenforderungen. Und drittens: posi-
tionale Wertschätzungsvorgänge zur Beschreibung der Anerkennungsmechanismen
von Leistungsansprüchen.
Die Betrachtung der Anerkennungsbeziehungen erfolgte dabei unter der Per-
spektive eines kulturellen Leitbildes, welches die Identifikation zeitspezifischer
Werthaltungen bei den Anerkennungsakten erlaubt. Das kulturelle Leitbild aus der
Zeit des dritten Individualisierungsschubes wurde als Anspruchsindividualismus be-
zeichnet, wobei das wesentliche Kennzeichen dieser Zeit das Prinzip der An-
spruchsgerechtigkeit war.
Mittels empirischer und theoretischer Plausibilisierungen von Studien aus dieser
Zeit sind so die Mechanismen der einzelnen Anerkennungsakte punktuell herausge-
arbeitet worden. Mit dieser Analyse ist gleichzeitig auch eine Erweiterung der Aner-
kennungstheorie gelungen. Die Arbeit ermöglicht ein genaueres Verständnis der
Zusammenhänge zwischen Wertvorstellungen und tatsächlich erbrachten Anerken-
nungsleistungen, aber auch der Zusammenhänge zwischen Selbstpräsentation und
den zugrunde liegenden Werthaltungen. Die konkreten Inhalte von Anerkennungs-
akten sind bisher weder von Honneth noch von anderen Theoretikern für alle drei
Anerkennungsbeziehungen im Hinblick auf die Identitätsentwicklung der Indivi-
duen herausgestellt worden.
Die Analyse der Anerkennungsbeziehungen brachte folgende zentrale Er-
kenntnisse hervor:
wird, dass die dafür nötigen Ressourcen nicht bereitgestellt werden bzw. die dafür
nötigen Fähigkeiten nicht ausreichen? Auch dies ließe sich gut mit experimentellen
Studien überprüfen. Außerdem wäre von Interesse, wie sehr Missachtungserfahrun-
gen beispielsweise im beruflichen Kontext durch die Anerkennung von Partnern
oder Freundin relativiert werden können.
Das letzte Kapitel der Arbeit beschäftigte sich speziell mit den Gefahren der
Identitätsdiffusion und nahm dazu eine zeitdiagnostische Perspektive ein. Hiermit
wurde vor allem dem bereits in der historischen Rückschau ermittelten Changieren
zwischen Autonomiegewinn und –begrenzung nähere Aufmerksamkeit gewidmet.
Vor dem Hintergrund des aktuell vollzogenen Wandels vom Anspruchs- zum Leis-
tungsindividualismus, wurden neue Soll-Normen identifiziert, die mit den Selbstan-
sprüchen der Individuen auf unterschiedlichen Ebenen verschmelzen und damit auf
eigentümliche Weise Autonomiebegrenzungen durchsetzen. Die aktuell zu be-
obachtende steigende Leistungsorientierung entwickelte sich im Rahmen von Be-
rufskontexten auf der Grundlage der erkämpften individualisierten Anerken-
nungsformen aus den Zeiten des Anspruchsindividualismus. Es konnte gezeigt
werden, dass es zunehmend zu einer Verlagerung der Selbstverwirklichung auf den
Beruf kommt. Die hierauf aufbauenden Maßnahmen zur Nutzung dieses „Human-
kapitals“ führten zu einer Forderung nach höheren individuellen Selbstansprüchen.
Durch das so entstandene vermehrte Streben nach beruflichem Erfolg besteht
die Gefahr einer Ökonomisierung des Lebens, bei der Selbstverwirklichung immer
stärker an Kriterien der Nützlichkeit ausgerichtet wird. Die Nutzung allen Potentials
für das Erreichen beruflicher Erfolge führt zu Veränderungen der Funktion von
Ansprüchen. Zum einen kommt es zu einer neuen Steigerungsdynamik bei den
Leistungsansprüchen aufgrund des Leistungsdrucks innerhalb des Berufskontextes.
Zum anderen nehmen Ansprüche zu, sind jedoch der Gefahr ausgesetzt, wegen
unsicherer Anerkennungsbedingungen immer häufiger fallen gelassen zu werden.
Eine Erklärung hierfür bot die Vorstellung eines „Projekt-Ichs“, das mit immer
mehr Möglichkeiten jongliert, um erfolgreich zu sein. Hier zeigten sich neue Gefah-
ren für Identitätsdiffusionen, die wiederum mit einer Analyse der Anerkennungsbe-
ziehungen unter den Bedingungen des Leistungsindividualismus zusammengetragen
wurden.
Die Analyse brachte folgende Ergebnisse hervor:
Darüber hinaus sind Studien erforderlich, die sich systematisch den Anerken-
nungsmechanismen in den verschiedenen Kontexten widmen. Es wäre wichtig,
herauszufinden, wie Anerkennung im Beruf überhaupt vergeben wird, welche Leis-
tungen tatsächlich Anerkennung finden und in welcher Form das geschieht. Für die
Ermittlung der erforderlichen Leistungsansprüche sind systematische Beobach-
tungen von Bewerbungsgesprächen in den unterschiedlichsten Berufsgruppen sehr
wertvoll.
Darüber hinaus böten auch Dokumentenanalysen von Stellenausschreibungen
Hinweise auf die erwarteten Ansprüche. Ähnliches ließe sich mit der Analyse von
individuellen Zielvereinbarungen erreichen. Die Analyse der Veränderungen der
Anerkennungsmechanismen im Bereich sozialstaatlicher Leistungen könnte eben-
falls mittels Dokumentenanalysen eine Vielzahl von Belegen für eine umfassende
Anspruchsbeschneidung zusammentragen.
Im Rahmen von Intimbeziehungen wäre es erforderlich zu erforschen, wie
stark der Aushandlungsdruck zwischen den Partnern aktuell tatsächlich ist und in
welchem Maße Rationalisierungsstrategien Einlass in die Kommunikation gefunden
haben. Gerade der letzte Punkt ließe sich sicher hervorragend mit konversations-
analytischen Untersuchungen aufgezeichneter Diskussionen um die Aushandlung
von Anspruchshaltungen erfassen. Auch systematische Studie über Trennungs-
gründe könnte helfen, die These zu stützen, dass Beziehungen immer häufiger an
der Zunahme an Selbstverwirklichungsansprüchen scheitern.
Zu guter Letzt bleibt noch die Aufgabe einer Einschätzung zukünftiger Ent-
wicklung einer so analysierten anspruchsgeleiteten Selbstverwirklichung. Die neuen
individualisierten Bedingungen, die zu einer Gefährdung der Selbstverwirklichung
geführt haben, wird entgegen der eingangs erwähnten Einschätzung der Autoren
Miegel und Wahl (vgl. Miegel/Wahl 1993) nicht das Ende des Individualismus ein-
leiten. Der Grad an Selbstentfremdung und Selbstverdinglichung der aktuellen
Entwicklung wird auch vor dem Hintergrund ausgeklügelter Systeme der Selbstan-
erkennung und Anerkennungsgewichtung nicht mehr lang hinzunehmen sein, da
die Arbeit gezeigt hat, dass die Individuen ihre Anspruchshaltungen notwendig
brauchen, um ihre Identitäten stabilisieren zu können.
Vor diesem Hintergrund werden die bereits eingesetzten Rückzüge aus den ak-
tuell zu beobachtenden Fremdforderungen immer häufiger auftreten, da bisherige
Entwicklungen zeigen, dass sich Individuen die Felder autonomer Selbstverwirkli-
chung immer wieder neu erstreiten. Der Kampf um Anerkennung ist einer der
wesentlichsten Antriebsfaktoren sozialen Wandels. Die möglichen Folgen dieser
Entwicklung werden sich in veränderten Anspruchshaltungen bzw. einem anderen
Umgang damit niederschlagen und Veränderungen der Anerkennungsbeziehungen
bewirken.
Mittels der individualisierten Handlungslogik, die in dieser Arbeit entwickelt
wurde, werden sich Erweiterungen und Begrenzung des Optionenraums auch wei-
220 Fazit und Anschlussmöglichkeiten für empirische Überprüfungen
terhin erfassen lassen. Somit ist es möglich, mit ihrer Hilfe auch zukünftige Indivi-
dualisierungsschübe systematisch auf handlungstheoretischer Ebene nachzeichnen.
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