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1. Einleitung
Im Dezember 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte angenommen. 50 Jahre später wissen wir im-
mer noch wenig darüber, welche Auswirkungen das inzwischen in zahlreichen Ab-
kommen kodifizierte internationale Menschenrechtsregime auf das konkrete
Verhalten von nationalen Regierungen gegenüber ihren Bürgerinnen gehabt hat.
Unter welchen Bedingungen werden internationale Menschenrechtsnormen in die
innenpolitische Praxis von Staaten internalisiert? Wie ist die beträchtliche Varianz in
der Implementation von Menschenrechtsnormen zu erklären? Und was können wir
verletzenden Regierungen.
Dieses Spiralmodell wird im Anschluß an eine Diskussion des theoretischen For-
schungsstandes vorgestellt. Danach illustrieren wir das Modell empirisch anhand
der Ergebnisse von sechs Länderfallstudien (Tunesien, Marokko, Kenia, Uganda,
Indonesien, Philippinen). In den Schlußfolgerungen diskutieren wir alternative Er-
klärungen, Varianten des Realismus einerseits und der Modernisierungstheorie an-
dererseits, und kommen auf die theoretischen Fragestellungen zurück.
Unsere Untersuchungen stehen im Kontext der neueren Forschung über die Wirkun-
gen von Normen und Ideen in der internationalen Politik, die von der »konstruktivis-
tischen Wende« im Fach Internationale Beziehungen (IB) angestoßen wurde.3 Dabei
geht es nicht darum, materielle Strukturen zu ignorieren, sondern das kausale Ver-
hältnis zwischen ideellen und materiellen Faktoren neu zu bestimmen. Materiell-
ZIB 1/1998 1
Uns interessieren also die Bedingungen, unter denen internationale Normen, die
in internationalen Regimen und anderen Institutionen verankert sind, innenpolitisch
durchgesetzt und internalisiert werden und zu dauerhaften Verhaltensänderungen
führen. Die konstruktivistisch beeinflußte neuere IB-Forschung hat in diesem Zu-
sammenhang eine wichtige Hypothese entwickelt (Checkel 1997; Cortell/Davis
1996; Ulbert 1997a, 1997b). Danach wird die innenpolitische Umsetzung und
Durchsetzung internationaler Normen um so wahrscheinlicher, je mehr diese Nor-
men anschlußfähig sind an kollektive Überzeugungen, die in nationalen Institutio-
nen und der politischen Kultur eines Landes verankert sind.
Unser theoretischer Ansatz geht über diese Annahme hinaus. Ausgangspunkt un-
serer empirischen Untersuchungen sind Fälle gravierender und anhaltender Men-
schenrechtsverletzungen. Mit anderen Worten, wir analysieren Länder, in denen die
internationalen Menschenrechtsnormen alles andere als »anschlußfähig« sind und
somit eine gravierende Diskrepanz zwischen internationalen Verhaltensstandards
und innenpolitischer Normimplementation besteht. Wir interessieren uns also für
die Frage, inwieweit transnationale Menschenrechtsnetzwerke bei der dauerhaften
Implementation von internationalen Normen eine Rolle spielen.
Dieser Prozeß kann auch als Sozialisationsprozeß bezeichnet werden, in dessen
Verlauf Akteure - hier Staaten - institutionalisierte Denk- und Verhaltensweisen
aus ihrer sozialen Umwelt verinnerlichen und sich »zu eigen machen« (Schimmel-
fennig 1994: 337f; vgl. auch Finnemore 1993; Ikenberry/Kupchan 1990; Müller
1993). Sozialisation impliziert also das Vorhandensein einer Gesellschaft, in die
hinein Akteure sozialisiert werden, in unserem Fall die Existenz einer internatio-
nalen Gesellschaft, die bestimmte Standards angemessenen Verhaltens setzt (Bull
1977). Ein Sozialisationsprozeß zielt auf die Verinnerlichung der Verhaltensstan-
dards ab, so daß externer Druck nicht mehr notwendig ist, um die Normeinhaltung zu
gewährleisten. Dabei lassen sich drei Idealtypen von Sozialisationsprozessen unter-
scheiden, die auf unterschiedlichen sozialen Handlungsmodi beruhen:
(1) strategisches Verhandeln (bargaining) und instrumenteile Anpassung;
(2) moralische Bewußtseinsbildung, Argumentation und kommunikative Überzeu-
gungsprozesse;
(3) Institutionalisierung und Habitualisierung.
(1) Der erste Handlungstypus bezieht sich vor allem auf die instrumenteile An-
passung an Außendruck sowie auf Zugeständnisse im Rahmen strategischer Ver-
handlungsprozesse zwischen normverletzenden Regierungen einerseits und ihren
gesellschaftlichen Umfeldern bzw. ihrer internationalen Umwelt andererseits. Sol-
che Adaptationsprozesse werden vor allem von »rational choice«-Modellen kon-
zeptualisiert. Menschenrechtsverletzende Regierungen, die innenpolitisch oder in-
ternational unter Druck gesetzt werden, machen häufig taktische Konzessionen,
um ihren eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Sie lassen beispielsweise poli-
tische Gefangene frei oder unterzeichnen internationale Menschenrechts vertrage.
Wir argumentieren im folgenden, daß solche Verhaltensweisen instrumenteller
Anpassung vor allem in frühen Phasen von Sozialisationsprozessen zu erwarten
sind.
(2) Der zweite Handlungstypus bezieht sich auf kommunikatives Handeln und ar-
gumentative Überzeugungsprozesse, über deren Stellenwert in der internationalen
Politik in der Zeitschrift für Internationale Beziehungen eine heftige Kontroverse
stattgefunden hat.4 Unsere Untersuchungen zielen unter anderem darauf ab, empi-
risch herauszufinden, welche Rolle moralische Überzeugungen und argumentatives
Handeln bei der internationalen Normdurchsetzung spielen. Wir zeigen, daß morali-
sche Bewußtseinsbildung vor allem in den Interaktionen zwischen transnationalen
Netzwerken und westlichen Regierungen stattfindet, wobei letztere an ihre Identität
als (menschenrechtsbeachtende) liberale Staaten erinnert werden. Kommunikative
Überzeugungsprozesse zwischen normverletzenden Regierungen und ihren Kriti-
kern spielen dagegen vor allem in späteren Phasen des Sozialisationsprozesses eine
Rolle. Dabei läßt sich beobachten, daß menschenrechtsverletzende Regierungen mit
ihren Kritikerinnen häufig zunächst im Modus rhetorischen Handelns interagieren
(Schimmelfennig 1995, 1997). Sie tauschen Argumente aus, um bestimmte Inter-
essen durchzusetzen, wobei diese Präferenzen selbst nicht zur Disposition stehen.
Im weiteren Verlauf verstricken sich aber beide Seiten in einen Argumentationspro-
zeß, der immer deutlichere Züge eines genuinen Dialogs trägt, bei dem moralische
Überzeugungen und Situationsdefinitionen zur Debatte stehen.
(3) Der dritte Handlungstypus schließlich bezieht sich auf Prozesse der Institutio-
nalisierung und Habitualisierung im Sinne des soziologischen Institutionalismus
(Hall/Taylor 1996; Jepperson 1991; March/Olsen 1989; Powell/DiMaggio 1991).
Habitualisierung bezieht sich im Unterschied auf die oben diskutierten Handlungs-
modi auf die unreflektierte Übernahme und nicht mehr an explizite Überzeugungs-
prozesse gebundene Einhaltung von Handlungsnormen. Am Ende eines erfolg-
reichen Sozialisationsprozesses müssen die Normen den Akteuren »in Fleisch und
Blut« übergegangen, d.h. in der Folge auch unabhängig von individuellen Überzeu-
gungsprozessen wirksam sein. Dazu ist die Institutionalisierung internationaler
Normen in die jeweiligen nationalen Rechtssysteme eine notwendige Bedingung.
Normreguliertes Verhalten wird damit über Zeit zum »normalen« Verhalten (vgl.
dazu Thomson 1993).
Wir argumentieren im folgenden, daß alle drei Handlungsmodi notwendig sind,
damit internationale Normen internalisiert und handlungsleitend für die nationale
Praxis werden. Allerdings dominieren unterschiedliche Handlungstypen in ver-
schiedenen Phasen des Sozialisationsprozesses. Unser Spiralmodell zeigt auf, wel-
cher Handlungsmodus in welcher Phase dieses Prozesses dominiert.
4 Vgl. u.a. Müller (1994); O. Keck (1995); Risse-Kappen (1995d); Schmalz-Bruns (1995);
Schneider (1994).
ZIB 1/1998 9
und wer sozialisiert wird. Mit anderen Worten, es muß nach den Akteuren des Sozia-
lisationsprozesses gefragt werden, damit wir uns nicht dem Vorwurf des konstruktivi-
stischen Strukturalismus aussetzen (Checkel 1998). Unsere Untersuchungen konzen-
trieren sich darauf, die Rolle und Wirkungen transnationaler Akteursnetzwerke im
Prozeß der innenpolitischen Durchsetzung internationaler Menschenrechtsnormen zu
bestimmen.
In der neueren IB-Forschung wurde das Thema transnationaler Beziehungen als
Gegenstand der Analyse wiederbelebt (vgl. E. Haas 1990; P. Haas 1990; Risse-Kap-
pen 1995a; Sikkink 1993). Dabei wurde gezeigt, daß solche transnationalen Akteure
einen meßbaren Einfluß auf staatliches Handeln haben. Nach Keck/Sikkink (1998)
können transnationale Netzwerke vor allem dann dauerhaften politischen Wandel
staatlicher Politik herbeiführen, wenn sie sich in sogenannten advocacy coalitions
zusammenschließen (vgl. auch Sikkink 1993; Sabatier/Jenkins-Smith 1993).
Transnationale advocacy coalitions sind als Netzwerke von individuellen und kol-
lektiven Akteuren definiert, die verbunden sind durch gemeinsame Werte, einen ge-
meinsamen Diskurs und einen engen Austausch von Informationen und Dienstlei-
stungen.5 Solche Netzwerke vereinigen verschiedene Gruppen von sozialen Akteuren
(z.B. Vertreter/-innen von Stiftungen, Medien, Kirchen, Gewerkschaften etc.), die
Aktionen initiieren, sonst schwer verfügbare Informationen liefern und staatliche
Akteure dazu drängen, ihre Menschenrechtspraxis zu rechtfertigen. Die einheimi-
schen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bilden das dauer-
hafte Rückgrat eines solchen Netzwerks (Keck/Sikkink 1998; Gaer 1996).
In der Literatur werden verschiedene Hypothesen über die Erfolgsbedingungen
transnationaler Akteure diskutiert. Einige Autoren betonen die innenpolitischen in-
stitutionellen Strukturen (domestic structure) als intervenierende Variable zwischen
transnationalen Netzwerken und politischem Wandel. Die innenpolitische Struktur
wirkt demnach als eine Art Opportunitätsstruktur (Kitschelt 1986), die bestimmte in-
stitutionelle Anreize oder Hindernisse für die Durchsetzung von Normen setzt (Cor-
tell/Davis 1996: 454; Checkel 1997). Bereits vor dem Stadium der Internali sierung
kann die innenpolitische Struktur jedoch schon Einfluß auf transnationale Netzwerke
ausüben, indem sie nämlich determiniert, inwiefern Zugangspunkte (access points)
zum politischen System des Zielstaats bestehen, und indem sie Aussagen darüber er-
laubt, unter welchen Bedingungen erfolgreiche Koalitionen (winning coalitions) mit
innerstaatlichen Akteuren gebildet werden können (vgl. Risse-Kappen 1995b).
Dagegen stellten Keck/Sikkink (1998) und Cortell/Davis (1996) erstens fest, daß
transnationale Akteure innerhalb derselben domestic structure je nach Sachbereich un-
terschiedlich starke Erfolge erzielen konnten. Zweitens könne gerade die Transnationali-
sierung der Menschenrechtspolitik innerstaatliche Hindernisse der Mobilisierung für die
5 Dieser Netzwerk-Begriff ist enger gefaßt als der in den Sozialwissenschaften sonst übliche
Gebrauch des Konzepts, das auf nicht-hierarchische, interdependente und stabile Bezie-
hungen zwischen Akteuren abzielt, die gemeinsame Interessen in einem Politikbereich
verfolgen und dazu Ressourcen austauschen (vgl. dazu Börzel 1998). Wir konzentrieren
uns auf solche Netzwerke, die durch gemeinsame Wertüberzeugungen zusammengehalten
werden.
10
Einhaltung von Menschenrechten umgehen helfen (Keck/S ikkink 1998). Diesen Punkt
thematisieren wir im folgenden im Zusammenhang mit dem »Bumerang-Effekt« und
unserem Spiralmodell (ähnlich Tarrow 1996; Rucht 1990). Drittens zeigen empirische
Studien, daß transnationale Akteure nicht nur die Menschenrechtspolitik beeinflussen,
sondern daß die Verhaltensänderung mit einer grundlegenden Demokratisierung des
Staates und damit einer Transformation der innenpolitischen Struktur selbst einherge-
hen kann (z.B. Brysk 1994). Unsere Untersuchungen sind im Kontext dieser Analysen zu
sehen. Die innenpolitischen Strukturen und Institutionen werden zur abhängigen statt
intervenierenden Variable, insofern die dauerhafte Implementierung und Einhaltung
von Menschenrechtsnormen einen Wandel der domestic structure selbst impliziert.
Als weitere Einflußvariable wird in der Literatur die materielle und soziale Ver-
wundbarkeit der Zielstaaten angeführt. Während eine mit dem Realismus vereinbare
Position die materielle Abhängigkeit eines Landes in den Vordergrund stellt, zeigte
Klotz (1995) am Beispiel Südafrikas, wie Staaten durch den Wunsch nach Aner-
kennung innerhalb einer internationalen Gemeinschaft in Legitimationsdruck geraten
können, und dadurch eine Internalisierung der Normen befördert wird. M. Keck
und Sikkink vereinigen beide Positionen in einer Kausalkette und machen den Erfolg
von dem mehr oder weniger stark ausgeprägten Wunsch des Zielstaates nach sozialer
Anerkennung abhängig (Keck/Sikkink 1998; Sikkink 1993).
Als Einflußfaktoren auf Seiten der Netzwerke werden deren Dichte bzw. Stärke
genannt (Keck/Sikkink 1998). Je größer bzw. dichter das jeweilige Netzwerk, desto
größer seien dessen Erfolgschancen bei der Durchsetzung einer Politikänderung.
Beide Größen ergeben sich aus der absoluten Zahl und Größe der Organisationen,
die das Netzwerk konstituieren. Kritisch anzumerken ist erstens, daß Netzwerkdich-
te und -große selbst eine Funktion von vorherigen Interaktionen zwischen Zielstaat
und transnationalen Akteuren sein kann. In vielen Fällen verdichtet sich das Netz-
werk nach anfänglichen Erfolgen durch den erhöhten Handlungsspielraum, den
Nichtregierungsorganisationen durch die internationale Delegitimierung des Ziel-
staates erreicht haben. Zweitens zeigt sich, daß der Erfolg transnationaler Netz-
werke oft in keinem Verhältnis steht zur Zahl, den Ressourcen und dem Zugang
zum politischen System der im Netzwerk vereinten Organisationen (Brysk 1994:
6f; Willetts 1982: 193). Empirische Untersuchungen, die Netzwerkdichte und -stärke
systematisch mit deren Einfluß in Zusammenhang bringen, stehen bislang aus.
Aussagen über die sachbereichspezifischen Einflußfaktoren beziehen sich vor al-
lem darauf, daß nicht alle normativen Themen, die von transnationalen Netzwerken
besetzt werden, gleiche Chancen auf Durchsetzung haben. Aus empirischen Unter-
suchungen wurde die These abgeleitet, daß universalistische Themen wie körperliche
Unversehrtheit oder soziale Gleichheit sich besser zur Mobilisierung von (interna-
tionalem) Protest eignen als kulturell gebundene Forderungen (Brysk 1993: 265;
Keck/Sikkink 1998). Diese Unterschiede werden häufig mit dem Grad der Verre -
gelung einer Norm auf der internationalen Ebene erklärt. Es wird angenommen, daß
der moralische und politische Handlungsbedarf für einen normverletzenden Staat
um so größer ist, je robuster die internationalen Normen als Regelsystem institutio-
nalisiert sind (Risse-Kappen 1995c; Legro 1997).
ZIB 1/1998 11
/^GLOBALES MENSCHENRECHTS-REGIME^.
Staat X /
' Regierung «
' i ' /
^ - Gesellschaftliche «_- -^
Opposition, NGOs
12
ZIB 1/1998 13
^
4 ' erhält Informationen von
2. LEUGNEN innenpolitischen Akteuren
S~
/ internationaler Men- g
♦ schenrechtsnormen Regimen ein
schwache Opposition und Kontrollen (Verweis • mobilisiert internatio
auf Nichtinterven- Organisationen und libe-
tionsgebot)
I • Zugeständnisse an das
f Menschenrechtsnetzwerk ,
Erweiterung des innen-
politischen Spielraums: -^ ^ /
• Entstehung neuer Politikwandel oder ^/
Akteure und Schutz der Machtwechsel -*
Menschenrechts- i
aktivistlnnen durch I
Netzwerk ▼ /
• verbesserte
• Menschenrechte ^/
werden integraler Staatliche Akteure ak- ^
Bestandteil des gesell- zeptieren vollständig die
schaftlichen Diskurses Gültigkeit internationaler
Menschenrechtsnormen: -
• Anerkennung internado-
naler Kontrollen und ent- '
sprechende Angleichung '
nationaler Gesetze '
• Einrichtung individueller
Beschwerdeverfahren und
rhetorische Stützung der
Normen i ,
14
ZIB 1/1998 15
ins Feld zu führen. Am Ende dieses argumentativen Prozesses steht in vielen Fällen
ein Dialog zwischen Regierung, gesellschaftlicher Opposition und transnationalen
Netzwerken, bei dem es nicht mehr um die Geltung der Menschenrechte geht, sondern
vielmehr um die zur Normdurchsetzung notwendigen Schritte.
Andere Regierungen halten an ihrem Kurs fest und provozieren damit eine Stär-
kung der oppositionellen Kräfte. Versuche eines Regimes, durch fortgesetzte Ein-
schüchterungsmaßnahmen die Kontrolle zurückzuerlangen, werden vom transnatio-
nalen Menschenrechtsnetzwerk und der gesellschaftlichen Opposition zu einer
weiteren Mobilisierung genutzt. Normverletzende Regierungen stehen jetzt »von
unten« und »von oben« gleichzeitig unter Druck. Es kommt zu einem Übergang in
die vierte Phase des Modells, wenn es dem internen Netzwerk gelingt, das Thema
Menschenrechte zur konsensualen Basis der gesellschaftlichen Opposition gegen
die Regierung zu machen. In diesem Falle sind repressive Regime nicht mehr in der
Lage, die gesellschaftliche Opposition durch taktische Konzessionen aufzuspalten.
Ein Machtwechsel wird wahrscheinlich.
16
Zu einem Übergang zur fünften Phase des Modells kommt es deshalb, wenn die inter-
nationale und lokale Mobilisierung in Sachen Menschenrechte weiter aufrechterhalten
wird. Wenn sich die Menschenrechtssituation verbessert, läßt die Fähigkeit des transna-
tionalen Netzwerks zur Mobilisierung internationaler Aufmerksamkeit nach. Vertre-
terinnen von internationalen Organisationen und westlichen Staaten werden dann selte-
ner im Sinne des Netzwerks aktiv. Dies gilt insbesondere nach einem Regimewechsel,
der die Opposition einschließlich der Menschenrechtsaktivistinnen an die Macht
bringt. Dennoch gilt auch hier, daß der dauerhafte Wandel der Menschenrechtssituation
einen fortgesetzten Druck »von unten« und »von oben« erfordert.
Abbildung 3 faßt das Spiralmodell nach zwei Gesichtspunkten zusammen. Zum
einen bezeichnet es die Akteursgruppen, die jeweils in erster Linie dafür sorgen, daß
sich der Sozialisationsprozeß in die nächste Phase bewegt (dominante Akteure) und
daß normverletzende Regierungen ihr Verhalten ändern. Zum zweiten werden die
sozialen Handlungsmodi benannt, die die Interaktionen in der jeweiligen Phase maß-
geblich kennzeichnen. Es zeigt sich hier ein allmählicher Übergang von Prozessen
instrumenteller Rationalität und strategischen Verhaltens zu kommunikativ-argu-
mentativer Rationalität und Prozessen der Institutionalisierung und Habitualisierung.
ZÌE 1/1998 17
Alle von uns untersuchten Länder durchliefen eine Phase der Repression, wobei das
Ausmaß und die Schwere der staatlichen Menschenrechtsverletzungen erheblich
variierte. In fünf der sechs Länder (Philippinen, Indonesien, Uganda, Tunesien,
Marokko) konstatierten internationale Menschenrechtsorganisationen in den siebziger
Jahren die für die erste Phase charakteristischen systematischen Verletzungen indi-
vidueller Menschenrechte, während diese für Kenia etwa zehn Jahre später bekannt
wurden. Hauptursache der Menschenrechtsverletzungen seitens staatlicher Stellen
waren in allen Ländern Auseinandersetzungen um die Kontrolle der politischen Sy-
steme. Innenpolitische Opposition von bewaffneten Kräften (Militärputsche in Ma-
rokko, Indonesien und Kenia, bewaffnete Rebellen in Uganda, Indonesien und den
Philippinen) sowie Massenproteste der Zivilbevölkerung (Tunesien) beantworteten
die Staatsführungen mit zum Teil massiven Repressionsmaßnahmen, wenn ihre Le-
gitimität in Frage gestellt wurde. In zwei Fällen (Indonesien und Marokko) wurde
die staatliche Repression zusätzlich verschärft im Zusammenhang mit der militäri-
schen Besetzung angrenzender Gebiete (Osttimor bzw. Westsahara).
In Uganda fanden die massivsten Menschenrechtsverletzungen statt. Hier begann
die innenpolitische Repression 1966/67 mit einem Machtkampf zwischen dem ersten
Premierminister Milton Obote als Vertreter der Zentralregierung und dem Präsidenten
Mutesa II, der zugleich als König von Buganda die politisch stärkste Region im Süd-
westen des Landes anführte. Mit Hilfe der Armee gewann Obote diese Auseinander-
setzung, setzte die Verfassung außer Kraft, befahl die Abschaffung der Königreiche
und führte ein Einparteiensystem ein (Ofcansky 1996: 40). Diese Situation ver-
schärfte sich weiter, nachdem am 25. Januar 1971 Obote durch seinen Armeechef
Idi Amin Dada gestürzt worden war. Nach einer kurzen Phase abnehmender Repression
befahl Amin die Verfolgung von politischen Oppositionellen und der Bevölkerung im
Norden des Landes, wo Obote besonders populär war (Republic of Uganda 1994:
Kap.6;Seftel 1994: 105-113).
Auf den Philippinen nahmen Menschenrechtsverletzungen unmittelbar nach Aus-
rufung des Kriegsrechts 1972 drastisch zu. Offiziell rechtfertigte Präsident Ferdinand
Marcos sein Vorgehen mit der durch Massenproteste und eine bewaffnete Unter-
grundbewegung gestörten öffentlichen Ordnung. Der Schritt markierte die Wende
von einem demokratischen System mit einer Zwei-Parteien-Herrschaft zu einer offe-
nen Diktatur (International Commission of Jurists 1977a: 12). In den ersten drei
Monaten nach Verhängung des Kriegsrechts ließ Marcos über 50.000 Oppositionel-
le verhaften, die kein Recht auf Haftprüfung (habeas corpus) hatten (International
Commission of Jurists 1977a: 32; Espíritu 1986: 70).
In Marokko und Indonesien verschärfte sich die staatliche Repression Mitte der
siebziger Jahre mit der militärischen Besetzung angrenzender Gebiete. Der marok-
kanische König begann nach zwei kurz aufeinander folgenden Militärputschen
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ZIB 1/1998 19
Mobilisierung verbaten sich die Regierungen unter Berufung auf ihre nationale Sou-
veränität die Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Die im einzelnen von
Menschenrechtsaktivisten vorgebrachten Vorwürfe über die Nichtbeachtung interna-
tionaler Menschenrechtsnormen wurden in dieser Phase ignoriert, abgestritten oder
heruntergespielt.
In Indonesien und Tunesien wurde eine anfängliche Mobilisierung des Men-
schenrechtsnetzwerks durch taktische Konzessionen der Regierung unterbrochen.
Die tunesische Regierung leugnete nicht den Geltungsanspruch der internationalen
Normen, sondern versuchte über die Kooptation von Kritikerinnen und eine Über-
nahme des internationalen Menschenrechtsdiskurses, die innen- und außenpoliti-
sche Kritik an ihrer Politik zu entschärfen. Diese Strategie konnte im tunesischen
Fall eine internationale Mobilisierung effektiv verhindern, wohingegen in Indonesien
eine Netzwerkmobilisierung Mitte der achtziger Jahre erneut einsetzte. Hier bilde-
ten sich zwei Netzwerke heraus, die bis 1991 nur wenig untereinander kooperierten:
Ein Osttimor-Netzwerk, das nach der Invasion des Territoriums 1975 entstanden
war, und ein Indonesien-Netzwerk. Das Osttimor-Netzwerk war vor allem durch
den erschwerten Zugang zu Osttimor geschwächt. Den spärlichen Informationen
über Menschenrechtsverletzungen hielt die Suharto-Regierung zwischen 1976 und
1986 konsequent entgegen, daß das osttimoresische Volk sein Recht auf Selbstbe-
stimmung bereits ausgeübt habe und daß Indonesien die Einmischung in seine inne-
ren Angelegenheiten ablehne.
Eine ähnliche Argumentation benutzte auch die marokkanische Staatsführung,
die bis gegen Ende der achtziger Jahre die Einmischung in die inneren Angelegen-
heiten kategorisch ablehnte, da sich König Hassan aufgrund seiner allumfassenden
Autorität in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten das alleinige Recht auf die
Definition von Menschenrechten vorbehielt. Allerdings erklärte sich die marokka-
nische Regierung im Gegensatz zu Indonesien pro forma durchaus dazu bereit, in
der besetzten Westsahara unter Aufsicht der UNO ein Referendum zur Selbstbe-
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ZIB 1/1998 21
22
Die dritte Phase wurde in den untersuchten Ländern dadurch erreicht, daß Regierun-
gen auf die wachsende Legitimierung des Menschenrechtsdiskurses im internationalen
Umfeld mit taktischen Konzessionen zu reagieren begannen. In vier der sechs Staaten
(Philippinen, Indonesien, Kenia, Marokko) sind diese Konzessionen der Regierun-
gen auf die Aktivitäten des jeweiligen transnationalen Menschenrechtsnetzwerks
zurückzuführen, dem es gelang, die internationale Öffentlichkeit medienwirksam zu
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ZIB 1/1998 25
11 Vgl. Harnischfeger (1994); Haugerud (1995: 38); Republic of Kenya (1992: 9); Africa
Watch/Human Rights Watch (1993).
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(immer noch ungleichmäßigen) Druck auf Kenia verstärkt. Zweitens ergibt die Eva-
luierung der strategischen und ökonomischen Interessen der wichtigsten westlichen
Partner Kenias, daß sich diese durch das Ende des Kalten Krieges nur unwesentlich
verändert haben. Aufgrund des ökonomischen Engagements, der relativ hohen Zahl
britischer Staatsbürger in Kenia und der durch politische Unruhen steigenden Ge-
fahr eines Zustroms von Flüchtlingen, steht für Großbritannien weiterhin politische
Stabilität im Vordergrund. Die USA hat zwar rhetorisch häufig eine deutlich kritische
Position gegenüber Präsident Moi bezogen, doch bleibt sie immer wieder auf des-
sen strategische Hilfe angewiesen. In den neunziger Jahren galt dies insbesondere
für den Golfkrieg und die Intervention in Somalia (Hempstone 1997: 172-231).
Insbesondere im Vorfeld der zweiten Mehrparteienwahlen Ende 1997 nahm die
internationale und innenpolitische Mobilisierung wieder stark zu. Zugleich entfernte
sich die kenianische Regierung zunehmend von einer Position des grundsätzlichen
Leugnens und begann einen offeneren Menschenrechtsdialog mit ausgewählten Ak-
teuren wie Amnesty International. Drei weitere umfassende Berichte (African
Rights 1996; Human Rights Watch/Africa 1997a, 1997b) und die Gründung einer
oppositionellen Sammlungsbewegung für eine Verfassungsreform setzten das Re-
gime weiter unter Druck. Im Vergleich zur Situation der frühen neunziger Jahre
reagierte das Regime mit einer stärkeren Öffnung. Im Juni 1997 wurde eine Amne-
sty-Delegation unter Führung des Generalsekretärs Piere Sané von hochrangigen
Vertretern der kenianischen Regierung empfangen (Amnesty International 1997 a,
1997b). Die nun eingeleiteten (allerdings unzureichenden) Reformen zeigten immer
weniger die Merkmale taktischer Konzessionen, sondern markierten erstmals ein-
setzende Prozesse der Argumentation und Institutionalisierung.
Auch die marokkanische Staatsführung begann ab 1990, mit taktischen Konzessio-
nen auf den wachsenden internationalen Druck zu reagieren (Amnesty International
1994: 79). Den Auftakt hierfür bildete die erwähnte Einladung des marokkanischen
Königs an Amnesty International. Die Amnesty-Delegation präsentierte nach ihrer
Ankunft im Februar 1990 dem König ihren Bericht über die garde -à-vue-W&ïi (Amne-
sty International 1990), der nach der Rückkehr der Delegation veröffentlicht wurde.
Dies verurteilte der König als Verletzung des diplomatischen Protokolls und veran-
laßte als Gegenreaktion eine groß angelegte Anzeigenkampagne in allen namhaften
europäischen Tageszeitungen, die den Amnesty- Bericht als Verunglimpfung Marokkos
im Ausland verurteilte (Waltz 1995: 207). Mit dieser Gegenreaktion wechselte der
König seinen Handlungsmodus. Er begann mit einer taktischen Maßnahme, sich auf
eine moralische Argumentationsebene einzulassen. Damit setzte sich die marokkani-
sche Staatsführung selbst ins Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit. Der in
der Folge verstärkte internationale Protest (vor allem aus Europa) ermutigte die
innenpolitische Opposition, ihrerseits nun ebenfalls verstärkt moralische Argumenta-
tionen zu benutzen. Oppositionsparteien und die Presse verbreiteten die Menschen-
rechtskritik auf Kongressen und durch Veröffentlichungen in marokkanischen Zeitun-
gen. Die wichtigsten marokkanischen Menschenrechtsgruppen veröffentlichten 1990
gemeinsam mit der Juristenvereinigung und der Moroccan Bar Association eine ma-
rokkanische Charta der Menschenrechte (Faath 1992: 402f). Der vom König selbst
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den Eindruck einer dauerhaften Verbesserung der Situation erweckt. Die tunesische
Regierung richtete 1991 eine Menschenrechtskommission, beratende Menschen-
rechtsbüros und Sonderabteilungen in den Ministerien ein und ernannte einen Sonder-
beauftragten des Präsidenten für Menschenrechtsfragen. Auch die Ernennung eines
»médiateur administratif« (Ombudsmanns) 1993 zur Entgegennahme von Individual -
beschwerden erschien anfangs als positive Regierungsmaßnahme, obwohl sich bald
herausstellte, daß er Bestandteil des staatlichen Repressionsapparates war. Nach Be-
richten von Amnesty International und anderen internationalen Beobachterinnen blieben
diese institutionellen Maßnahmen wirkungslos bis kontraproduktiv. 1992 befanden
sich mehr als 3.000 politische Gefangene unter dem Vorwurf des Islamismus nach un-
fairen Gerichtsprozessen in Haft. Die nationale und internationale Kritik wegen der
fortlaufenden Folterpraxis und wachsenden Repression gegen Oppositionelle setzte er-
neut ein (Macha 1994; Callies de Salies 1995; Ibrahimi 1997).
Der tunesische Fall zeigt, daß ohne eine umfassende interne und internationale
Mobilisierung des transnationalen Menschenrechtsnetzwerks keine langfristige Ver-
besserung der Menschenrechtssituation erreicht werden kann. Diese Mobilisierung
wiederum wird nur erreicht, wenn paradoxerweise die taktischen Konzessionen der
Zielregierung erst nach einer Phase des Leugnens erfolgen, die zur Netzwerkmobili-
sierung beiträgt. Zwar wurden die fortwährenden Verschlechterungen der Men-
schenrechtssituation in Tunesien weiterhin international dokumentiert, dies löste je-
doch bis 1997 keine nennenswerte innergesellschaftliche und internationale
Reaktion aus. Damit bestätigt die ausbleibende Verbesserung der Menschenrechte in
Tunesien den in unserem Spiralmodell erwarteten Verlauf des Sozialisationsprozesses.
Bisher können wir von zwei der von uns untersuchten Länder (Philippinen, Uganda)
sagen, daß hier internationale Menschenrechtsnormen präskriptiven Status im Sinne
der internen Anerkennung und Institutionalisierung erreicht haben. Marokko befindet
sich unserer Einschätzung nach im Übergang zur vierten Phase. Auf den Philippi-
nen und in Uganda gelangte eine voll mobilisierte und gut organisierte Opposition an
die Macht. In Uganda übernahmen die Rebellen der National Resistance Movement
(NRM) unter der Führung von Yoweri Museveni im Januar 1986 die Macht. Muse-
veni war es bereits während des Bürgerkriegs gelungen, die internationale und in-
nenpolitische Mobilisierung gegen das menschenrechtsverletzende Obote-Regime
in eine Unterstützung seiner Rebellen umzuwandeln. Während die eigenen Soldaten
mit harten Strafen für Vergehen gegen die Zivilbevölkerung bestraft wurden, ge-
lang es Museveni vor allem auch im Ausland, sich als Verteidiger der Menschen-
rechte und glaubwürdige Alternative darzustellen (Weyel 1995: 555). Auf den Phi-
lippinen existierte dagegen ein breiter Konsens über die Durchsetzung von
Menschenrechten, der die gesamte legale Opposition sowie bewaffnete Untergrund-
organisationen umfaßte. Corazón Aquino übernahm hier im Februar 1986 nach einer
friedlichen »People Power«-Revolution die Macht und setzte Ferdinand Marcos ab.
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und damit zumeist staatliche Entscheidungsträger zugleich »von oben« und »von
unten« zu sozialisieren suchen. Damit behaupten wir nicht die Entstehung oder Ent-
deckung einer neuen Klasse von determinierenden Strukturen und Akteuren, son-
dern betonen zunächst einmal die Relevanz von Normen und der Gruppen, die diese
im Bereich der internationalen Menschenrechtspolitik vertreten. Mit dem Spiral-
modell zeigen wir im weiteren nicht nur, wie es diesen Akteuren gelingt, insbeson-
dere nicht-materielle Machtressourcen zu mobilisieren, sondern wir geben darüber
hinaus Bedingungen für deren Erfolg oder Mißerfolg an. Hierbei spielen die Über-
gänge zwischen den einzelnen Phasen eine entscheidende Rolle. Dies gilt insbeson-
dere zwischen den Phasen zwei und vier, da wir dort jenseits der instrumentellen
Rationalität alternative Handlungsmodi feststellen konnten.
Aktivistinnen von transnationalen Menschenrechtsnetzwerken nehmen staatliche
Repressionen zum Anlaß, die verantwortlichen Regierungen zunächst vor der interna-
tionalen Öffentlichkeit anzuklagen. Zu diesem Zweck nutzen sie international veran-
kerte Normen, in deren Sprache sie häufig ihre Anschuldigungen kleiden. In allen
Fällen konnte gezeigt werden, daß es nicht-staatliche Organisationen wie Amnesty
International waren, die vorher wenig oder nicht bekannte Informationen über Men-
schenrechtsverletzungen in der internationalen Öffentlichkeit verbreitet haben. Mit
der Ausnahme von Tunesien reagierten alle angeklagten Regierungen zunächst mit
dem Leugnen der Anschuldigungen und einem Rückgriff auf das Prinzip der Nicht-
einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Bereits hier zeigt sich eine
Normwirkung, da in der Regel die Regierungen eine öffentliche Entgegnung einer
prinzipiell ebenfalls möglichen Nichtbeachtung der Vorwürfe vorziehen. Staatliche
Akteure sind hier der Meinung, daß die Norm der Nichteinmischung höher zu bewerten
sei als die Menschenrechtsnormen. Damit beginnt im Übergang zu Phase zwei (Leug-
nen) bereits ein Diskurs über die Gültigkeit von Normen, der über den reinen Aus-
tausch von Informationen zu den jeweiligen Interessen hinausgeht. Allerdings wird
dieser Diskurs zunächst überwiegend rhetorisch und instrumenten geführt, so daß die
Regierungen ihn als weitgehend unproblematisch ansehen. Problematischer erschei-
nen sowohl der Übergang von der Phase des Leugnens zu taktischen Konzessionen,
als auch die folgende Etablierung des präskriptiven Status. Hier geht es nicht mehr
nur um den Austausch von feststehenden Präferenzen und das taktische Aushandeln
bestehender Interessen, sondern um die grundsätzliche Veränderung der Vorausset-
zungen, unter denen die relevanten Akteure ihre Interessen kalkulieren.
Die ausgewählten Fälle zeigen zunächst, daß eine fortgesetzte Netzwerkmobili-
sierung und die Verwundbarkeit des jeweiligen Ziellandes von besonderer Bedeu-
tung für den Übergang zu Phase drei (Taktische Konzessionen) sind. Für Kenia
konnte nachgewiesen werden, daß die transnationale Mobilisierung zwischen 1984
und 1990 nicht nur das internationale Image des Landes und damit die Perzeptionen
der Geberländer nachhaltig verändert hat. Zudem resultierten diese Aktivitäten in
einer deutlichen Erweiterung des innenpolitischen Spielraums für gesellschaftliche
Akteure, als weitere Voraussetzung für verstärkten Druck »von unten« und »von
oben«. Auch im Falle Indonesiens und der Philippinen wurde die Verwundbarkeit
mittelbar über die Mobilisierung von materiellem Geberdruck (mit-)erzeugt. Für
32
Marokko spielte dagegen vor allem der direkte Angriff auf das internationale Image
des Königs und damit nicht-materielle Faktoren eine wichtige Rolle. Von entschei-
dender Bedeutung für diese (und die folgende) Phase ist die Wirkung von takti-
schen Konzessionen als rhetorische Selbstverpflichtung. Auch wenn diese lediglich
mit instrumenteilen Absichten zur Abwehr weiterer Kritik eingeführt werden, die-
nen sie in vielen Fällen als zusätzliche Argumente für eine verbesserte Einhaltung der
Menschenrechte. Auch hier spielen die transnationalen Netzwerke eine entschei-
dende Rolle, da sie Widersprüche zwischen rhetorisch eingegangenen Konzessio-
nen und Handeln aufzeigen, zusätzliche Maßnahmen fordern und damit zur Ver-
wicklung einer Regierung in den Menschenrechtsdiskurs beitragen.
Während der dritten und im Übergang zur vierten Phase (Präskriptiver Status) läßt
die Empirie ebenfalls wichtige Rückschlüsse für die theoretischen Annahmen und
alternativen Erklärungen zu. Indonesien und Kenia zeigen exemplarisch, daß takti-
sche Konzessionen von fortgesetzter Repression begleitet sein können. Zusätzlich zu
diesen beiden Fällen bietet Tunesien ebenfalls ein Beispiel dafür, mit welchen Hand-
lungsoptionen Regierungen eine wirksame Mobilisierung untergraben oder zumin-
dest verzögern können. Es überrascht deshalb nicht, daß ein Übergang zu Phase vier
(bisher nur Philippinen und Uganda) jeweils mit einem Regierungswechsel verbunden
war. Dennoch treten gerade in dieser dritten Phase (Taktische Konzessionen) Hand-
lungsmodi auf, die nicht dem Modell der instrumenteilen Rationalität entsprechen.
Unter dem Einfluß transnationaler Menschenrechtsnetzwerke und einer wachsenden
innenpolitischen Mobilisierung werden die staatlichen Akteure zur Rechtfertigung
einer widersprüchlichen Politik zwischen Repressionen und Konzessionen gezwun-
gen. Während Fälle weiterer Repression zur Entlarvung der rhetorisch gemachten
Konzessionen dienen, werden zugleich die Konzessionen als zusätzliche Anknüp-
fungspunkte für Anklage oder Dialog genutzt. Sowohl Repressionen als auch Kon-
zessionen verfehlen damit das von den Regierungen gesteckte Ziel, die Kontrolle
über den Menschenrechtsdiskurs zurückzugewinnen. Schließlich erwarten wir beim
Übergang von der vierten zur fünften Phase (Normgeleitetes Verhalten) die Domi-
nanz von Institutionalisierungs- und Habitualisierungsprozessen. Hierbei sind die
handlungsleitenden Normen im wesentlichen unbestritten und es erfolgt deren
Internalisierung in das jeweilige politische System des Landes.
Diese Ergebnisse haben theoretische Konsequenzen sowohl für die Lehre von
den Internationalen Beziehungen als auch für die vergleichende Analyse politischer
Systeme. In beiden Teil-Disziplinen der Politikwissenschaft werden hierbei zwei al-
ternative und vorwiegend materiell-strukturalistische Erklärungen herausgefordert,
die entweder eine ausschließlich innenpolitische (Modernisierungsansätze) oder ex-
terne (Neorealismus) Perspektive einnehmen (vgl. dazu auch Hartmann 1997).
Aber auch im Bereich der akteurszentrierten Demokratisierungsforschung stellt die
hier entwickelte Perspektive einen wichtigen Beitrag dar. Im folgenden soll dies in
Kürze erläutert werden.
Die vergleichende Auswertung der Fallstudien hat ergeben, daß die Menschen-
rechtsentwicklung in den ausgewählten Ländern keine systematische Korrelation
mit der jeweiligen ökonomischen Entwicklung aufweist. Diese fehlende Korrelation
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