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LERNZETTEL: Einführung in das politische System der

Bundesrepublik Deutschland und in die vergleichende


Politikwissenschaft

Vorlesung 1: Entstehung der Bundesrepublik

Drei Dimensionen der Politik: Polity, Politics, Policy


POLITY POLITICS bis 1960/70 POLICY ab 1970
Begriffsbedeutung Form: Prozess: Inhalt:
Verfassungsordnung: Prozesse der Willens- und Entscheidungen auf
institutionelle Ordnung Entscheidungsbildung, einzelnen
der Politik und ihre Konfliktaustragung und Politikfelder
normative Begründung Konsensbildung

Erkenntnisinteresse Wie sollte eine „gute“ Wie laufen Analyse und


oder „gerechte“ Verhandlungsprozesse ab Erklärung von
politische Ordnung und welche Akteure Politikinhalten:
theoretisch aussehen? setzen sich in ihnen Welche Faktoren
Auf welchen durch? können Unterschiede
Grundsätzen baut die in Politikfeldern
Staatsform eines zwischen einzelnen
Landes auf? Ländern erklären?
Typische
Fragestellungen Was sind die Befugnisse Wo ist der Einfluss von Hat die
von Lobbyvertretern in parteipolitische
Verfassungsgerichten? Entscheidungsgremien? Zusammensetzung
Wie ist die Oder Gewerkschaften. der Regierung einen
Machtverteilung Einfluss auf die Höhe
zwischen der ersten und der
zweiten Kammer? Arbeitslosenquote?

Politikinhalte, z.B.
Typische Variablen, Verfassung, Parteien, Arbeitslosenquote
die untersucht Verfassungsgericht, Interessensgruppen, oder die Höhe der
werden Institutionenordnung Eliten, Medien Sozialausgaben

Bezeichnung Erscheinungsform Merkmale Definition


Polity -Verfassung -Organisation Form, Struktur
-Normen -Verfahrensregelungen
-Institutionen -Ordnung

Policy -Aufgaben und Ziele -Problemlösung Inhalt


-Inhalte -Aufgabenerfüllung
-politische Programme -Wert- und
Zielorientierung
-Gestaltung
Politics -Interessen -Macht Prozess
-Konflikte -Konsens
-Kampf -Kompromiss
-Durchsetzung

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Demokratie als Definitionsproblem
• Demokratie ist ein Idealtypus –Bindung an Raum, Zeit und Kultur (→ historischer Kontext
zwingend zum Verständnis notwendig) →normativ, andere Entwürfe werden daran verglichen
• Minimalistischer vs. breiter Demokratiebegriff
Minimalistischer Begriff: Kernelement: Elektorale Komponente, Bildung der Regierung durch
politischen Wettbewerb/Wahlen sowie die Etablierung formeller Institutionen demokratischer
Regierung
bei Erfüllung von Mindeststandards wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ist eine demokratische
Wahl als Kernbestandteil der Demokratie essenziell.
Breiter Demokratiebegriff: Demokratie als eine spezifisch moderne und im Geist der
europäischen Aufklärung entstandene Form der kulturellen und politischen Praxis und als Forum
des sozialen Wissens, in deren Mittelpunkt die Freiheiten und Rechte des Individuums, der
Ausgleich der Interessen durch Mitbestimmung und Beteiligung aller Bürger an politischen
Prozessen im breitesten Sinne und ein System von „Checks and Balances“ stehen

Die Konzeption der Alliierten für Deutschland

Konferenz von Potsdam (Sommer 1945): Stalin im Vorteil da Roosevelt krank und Churchill
abgewählt. USA, UK und UDSSR: Es wurden die 4D Beschlüsse getroffen:
Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung, sowie Beschlüsse zu
Reparationszahlungen und Demontage

Der Parlamentarische Rat


Entstehung, da die Länderministerpräsidenten eine Verfassung ausarbeiten sollten, auf Grundlage
der Frankfurter Dokumente (1.7.1948) mit den Vorgaben: Demokratie und Föderalismus.
Zentrale politische Frage: Deutsche Einheit? Für die Politiker in Westdeutschland wäre eine
gesamtdeutsche Lösung eigentlich das Ziel gewesen
Am 1.9.1948 tritt der Parlamentarische Rat in Bonn zusammen (nach Vorlauf des Verfassungskonvent
auf Herrenchiemsee im August 1948)

65 stimmberechtigte Mitglieder von den Landtagen gewählt:


CDU/CSU und SPD jeweils 27, FDP 5, DP, KDP, Zentrum jeweils 2
Adenauer und Schmid die entscheidenden Akteure
Wichtige politische Fragen: Volksentscheid, Parlamentsauflösung, Föderalismus, Zweite Kammer
(Senatslösung vs. Bundesrat), Finanzverteilung und -verwaltung

Es sollte aus den Fehlern der letzten Demokratie, die den Aufstieg der Nazis ermöglicht hatte, möglichst
viel gelernt werden, darum: Bonn ist nicht Weimar: es gab kaum institutionelle Kontinuitäten aus
Weimar:
• Verfassungsänderungen deutlich erschwert (Zweidrittelmehrheit)
• Gewaltenteilung gesichert
• Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit
• Grundrechte stellen unmittelbar geltendes Recht dar (Art. 1, Abs. 3, GG)
• Grundgesetz erfährt besondere Stärkung
• Parlamentsauflösung erschwert.
• Bundespräsident eher repräsentativ
• Parteienverbot

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Verabschiedung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949 (Verkündung am
23. Mai 1949)

Deutschland war zur Zeit der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht souverän, weshalb es den
Besetzungsstatut gab (21.9.1949). Die Westmächte behielten sich so zahlreiche Befugnisse und
Zuständigkeiten vor, vor allem in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Wirtschaft, Währung, z.T.
Innenpolitik. Erst 1951 gab es erste Lockerungen und erst ab 1955 wurde Deutschland wirklich
souverän.

5 Grundprinzipien des Grundgesetzes


Demokratie
Bundesstaat
Rechtsstaat
Sozialstaat
Wehrhafte Demokratie (Widerstandrecht)

➔ In Artikel 20 GG festgelegt
1. BRD = demokratischer und sozialer Bundesstaat.
2. Staatsgewalt geht vom Volke aus dank Wahlen und Abstimmungen
3. Verfassung am Grund der Legislative
Recht und Gesetzt am Grung der Exekutive und Judikative
4. Widerstandsrecht

GG
- Grundrechtsteil (Artikel 1-19)
- dann Organisatorisches
- 146 Artikeln.

Sozialstaatsbezug
• Sozialen Marktwirtschaft
• Eigentumsrecht + Eigentumsgarantie
• Freie Marktwirtschaft
• Grundlagen bereits unter Bismarck

Rechtsstaat
• Gewaltenteilung (Exekutive – Legislative – Judikative)
• Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns
• Rechtswegegarantie
• Rückwirkungsverbot
• Oberste Bundesgerichte

Wehrhafte Demokratie
• Widerstandsrecht der Bürger
• Ewigkeitsklausel für Artikel 1 und 20 (Art. 79)
• Art. 9 und Art. 21 Verbot von verfassungsfeindlichen Organisationen und Parteien
• Treuegebot für Beamte

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Bundesstaatsprinzip
• Föderalismus
• Länder haben Staatsqualität
• Hoheitsrechten für Länder
• Die Allzuständigkeit der Länder, Art. 30 GG
• Art. 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“
• Kernkompetenz der Länder: Bildung, Polizei, Umwelt

Vorlesung 2: Demokratie – Autokratie – Demokratiemessung

Politische Systeme benötigen Legitimität, um dauerhaft existieren und regieren zu können.


Wenn Anerkennung und Zustimmung fehlen, dann geht die Legitimität verloren und die
Wahrscheinlichkeit für einen Systemwechsel ist sehr hoch.
Dies kann man auch in totalitären Regimen und Autokratien sehen, wenn es zu Unterdrückung kommt
und die allgemeine Akzeptanz niedrig ist.

Legitime Herrschaft nach Max Weber


• Charismatische Herrschaft
• Traditionale Herrschaft
• Rationale (legale) Herrschaft

Unterstützung im politischen System nach Easton


Das politische System selbst ist eine Blackbox, das heißt was innerhalb das Systems passiert (Politics)
bleibt vage. Die letztendlichen politischen Prozesse werden ausgeblendet und das was in dem
Modell interessiert, sind die Inputs (was rein geht) und Outputs (was raus geht) eines politischen
Systems

Inputs durch die Bevölkerung


Demands: Ansprüche
Supports: Unterstützung

Specific support: (Konkrete) Zufriedenheit


mit den wahrgenommenen Outputs und der
Leistung der politischen
Entscheidungsträger

Diffuse support: „Reservoir” zustimmender


Einstellungen, die es den Unterstützern
leichter machen, prinzipiell unerwünschte
Outcomes zu akzeptieren

Outputs durch das System


Decisions and actions: Entscheidungen und Handlungen der Regierung (Verordnungen, Gesetze,
Leistungen durch die Regierung → Rückkoppelung auf die Inputs (eventuell verbesserte Unterstützung
durch die Bevölkerung)

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Verschiedene Legitimationsformen
• Inputlegitimation (David Easton) : Wenn es Unterstützung gibt, ist das System legitim
• Throughput-Legitimation (Vivian Schmidt): Politics, die Prozesse, die stattfinden
• Legitimation durch Verfahren (Niklas Luhmann): auch eine Art der Throughput-
Legitimation. Wenn rechtmäßige Verfahren demokratisch eingehalten werden, ist das System
legitim
• Outputlegitimation (Fritz Scharpf): je mehr Bürger von den outputs eines Systems profitieren
und dieses dementsprechend unterstützen, desto mehr Legitimation besitzt ein politisches
System
• Verfassungspatriotimus (Dolf Sternberger): diffuser Support. Die Legitimationsquelle des
politischen Systems nicht eine bestimmte politische Figur, sondern das Grundgesetz hat eine
große Zustimmung und damit eine große Legitimation
➔ Alle Systeme sind wichtig

Demokratie als Sytematisierungsobjekt mit dem Ziel der Differenzierung und Systematisierung
• Demokratie VS Autokratie und Totalitäre Systeme (Systemaspekt)
• Direkte, räte- VS repräsentative Demokratie (Legitimationsaspekt)
• Parlamentarische VS präsidentielle Demokratie (Strukturaspekt)
• Konsens- VS Mehrheitsdemokratie (Prozessaspekt)
• Demokratien mit Einschränkungen („Attributs“ bzw. Bindestrich-Demokratien) Wenn
bestimmte Funktionen nicht voll ausgebildet sind oder es eine weitere, (z.B. militärische) Macht
gibt
• Input- VS Outputperspektive (Funktionalaspekt)

Autoritäre und Totalitäre Systeme


Drei Kriterien zur Unterscheidung von Herrschaftsformen:
1. Grad der politischen Mobilisierung der Massen
2. Herrschaftslegitimierung
3. Grad des politischen Pluralismus

Totalitarismus-Modell nach Friedrich/Brzezinski


1. eine umfassende, allgemeinverbindliche Ideologie mit Wahrheitsanspruch
2. eine einzige, hierarchisch organisierte Massenpartei
3. ein Terrorsystem
4. Monopol der Massenkommunikationsmittel beim Staat
5. Monopol der Anwendung der Kampfwaffen beim Staat
6. eine zentrale, bürokratisch koordinierte Überwachung und Lenkung der Wirtschaft

• Nach Juan Linz gibt es drei Kriterien zur Unterscheidung von Herrschaftsformen:
1) der Grad der politischen Mobilisierung der Massen
2) die Herrschaftslegitimierung
3) der Grad des politischen Pluralismus

Bindestrich-Demokratien: verminderte Subtypen, befinden sich zwischen Demokratien und


Autoritarismus, da sie Definitionskriterien der Demokratie verletzen

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Typen Defekter Demokratie (Merkel/Croissant)
• Exklusive Demokratie
- Beschädigte Teilregime: Wahlregime und politische Freiheitsrechte
• Illiberale Demokratie
- beschädigtes Teilregime: bürgerliche Freiheitsrechte
• Delegative Demokratie
- beschädigtes Teilregime: horizontale Verantwortlichkeit / eingeschränkte Machtteilung
• Enklavendemokratie
- beschädigtes Teilregime: effektive Herrschaftsgewalt

Demokratiemessung und Typologisierung politischer Systeme

8 Grundvoraussetzungen für eine Demokratie nach Dahl


1. Organisationsfreiheit
2. Recht auf freie Meinungsäußerung
3. Aktives Wahlrecht
4. Passives Wahlrecht
5. Politisches Werberecht
6. Informationsfreiheit
7. Freie und faire Wahlen
8. Regierungspolitik die über Institutionen an die Wahlen geknüpft ist

➔ Institutionen als Vorbedingungen von Demokratie. Institutionen der Polyarchie (Herrschaft der
Vielen) gehen unterschiedlich gut/schlecht einher mit den demokratischen Kriterien. Am
➔ Wahlaspekt wichtig, denn gewählte Institutionen sind ausschlaggebend für die Erfüllung der
demokratischen Kriterien.

Liberaler Wettbewerb und Partizipation (Inklusivität des Systems) sind die zwei fundamentalen
Dimensionen der Demokratie. → sehr unterschiedliche Ausprägungen:

Dahls Typologie nach Partizipation und


Wettbewerb:

Exklusiv/exklusiv: closed hegemony


Exklusiv/offen: competitive oligarchy
Offen/exklusiv: inclusive hegemony
Offen/offen: polyarchy

Elemente der Demokratie:


1. Freiheit (bürgerliche & politische Freiheitsrechte)
2. Gleichheit
3. Rechtsstaat
4. Freie und faire Wahlen
5. Keine anderen Machtzentren, außerhalb der demokratisch Legitimierten

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Typen politischer Systeme nach Wolfgang Merkel

Demokratisierungindex nach Vanhanen

➔ Demokratiemessung über Indizes aufgrund der Art der Aggregation unterschiedlich. Die
additive oder multiplikative Aggregation hat starke Auswirkungen auf das letztendliche
Ergebnis.
➔ Kritik an den unterschiedlichen Indizes: direkte Demokratie wird gar nicht oder nur
unzureichend in die Berechnung der Indizes einbezogen → Validität fast aller Demokratieindizes
ist massiv eingeschränkt, da sie weder konzeptionelle noch in der Messung Volksabstimmungen
erfassen

Der “demokratische Vorteil”


• höherer Lebensstandard, -erwartung (HDI)
• geringere Ungleichheiten
• demokratischer Frieden
• weniger Machtmissbrauch durch Machtteilung
• Entscheidungen können leichter beeinflusst werden

Das direktdemokratische Paradoxon

Volksabstimmungen in Indizes nicht berücksichtigt – weltweite Abnahme von Demokratiewerten aber


Zunahme von direkter Demokratie?

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Vorlesung 3: Wahlen und Wahlsysteme

Bedeutung und Funktion von Wahlen


• Machtverteilung
• Legitimation (Input-Legitimation)
• Repräsentation
• Auswahl von Personen und Programmen
• Kontrolle politischer Systeme
• Stabilität
• Machtwechsel

Kriterien zur Beurteilung von Wahlen


Effektivität
Gerechtigkeit
Bedeutung

Wahlgrundsätze nach demokratischen Standards


• Frei
• Gleich
• Geheim
• Allgemein (alle können wählen)
• Direkt (Unmittelbar, Umsetzung von Stimmen in Mandate)

Mehrheits- vs. Verhältniswahl: Idealtypische und Realtypische Entscheidungsregeln

Tendenzielle Auswirkungen von Wahlsystemen (nach Nohlen 2004)

Tendenzielle Auswirkung Mehrheitswahl Verhältniswahl

Zweiparteiensystem Ja Nein

Parteiliche Mehrheitsbildung Ja Nein

Stabile Regierungen Ja Nein

Koalitionsregierungen Nein Ja

Eindeutige Zurechnungsfähigkeit der Ja Nein


politischen Verantwortung

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Gerechte Repräsentation Nein Ja

Chancen für neue politische Strömungen Nein Ja

Allerdings gab es auch Veränderungen durch weitere Faktoren, so zum Beispiel war die durch
Mehrheitswahl gewählte Regierung in England eher instabile während Regierungen in Systeme mit
Verhältniswahl (wie Deutschland und Österreich) sehr stabil waren. In England haben aber vor allem
auch gesellschaftliche Faktoren zur Instabilität geführt.

Das magische Dreieck zur Erklärung der politischen Beteiligung von Frauen (Fuchs/ Höchker)

Sozio-ökonomische Faktoren
Bildung, Erwerbsarbeit,
Einkommen

Institutionelle Faktoren Politische Kultur


Regierungs-, Partei-, Werte, Einstellungen, Normen
Wahlsystem, Karrieremuster, über Politik und politischem
Nominationspraktiken Verhalten, Geschlechterstereotypen

Verrechnungsverfahren bei Verhältniswahlen

Wahlzahlverfahren
Niemeyer/Hare
Sitze Partei i = (Stimmen Partei i * Sitze im Parlament) /Gültige Stimmen
Verteilung nach Vorkommastelle und größtem Rest

Hagenbach-Bischoff
Sitze Partei i = (Stimmen Partei i * (Sitze Parlament +1)) /Gültige Stimmen
Verteilung nach Vorkommastelle und größtem Rest → es werden insgesamt weniger Mandate über die
Nachkommastelle zugeordnet

Divisorenverfahren
D’Hondt
Stimmen durch Divisorenreihe 1, 2, 3, 4 usw. dividieren. Anschließend Zuteilung nach Größe des
Quotientenwert

St. Laguë
Stimmen durch Divisorenreihe 1.4, 3, 5, 7, 9 usw. dividieren. Anschließend Zuteilung nach Größe des
Quotientenwert.

➔ je nach Verrechnungsverfahren und Wahlsystem kann es starke Veränderungen in der


Sitzverteilung geben. Aber auch weiter Faktoren wie Sperrklauseln haben einen Einfluss
➔ Wahlsysteme sind auch Herrschaftsfragen und Machttechniken

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Die personalisierte Verhältniswahl in der BRD
personalisiertes Verhältniswahlsystem mit 5%-Sperrhürde und Grundmandatsklausel
normiert vor allem im Bundeswahlgesetz (im Grundgesetz nur Wahlgrundrechtsätze in Art. 38)

598 Mandate (seit 1990 durch Überhangsmandate aber stets mehr, seit 2013 auch noch
Ausgleichsmandate)
299 Einerwahlkreise (das heißt, dort wird jeweils ein Kandidat gewählt)
Jeder Wähler hat 2 Stimmen, entscheidend ist die Zweitstimme für die Stimmverteilung
Erststimme für einen Kandidaten im Wahlkreis
Zweitstimme für die Landesliste eine Partei

Berechnungsschritte seit 2013 (Neuerungen gegenüber 2009) → Umsetzung von Stimmen in


Mandate
1. Relative Mehrheitswahl in den Wahlkreisen (Direktmandate)

2. 5%/3 Mandate-Sperrhürde zur Zulassung

3. Vorläufige Sitzverteilung berechnet (um Zahl der Ausgleichsmandate zu ermitteln)

4. Oberverteilung: alle 598 Mandate werden nach St. Laguë auf die Parteien verteilt

5. Unterverteilung: die Parteien verteilen ihre Sitze nach St. Laguë auf ihre Landeslisten

6. Die Mandate pro Land, abzüglich der Direktmandate werden über die Landesliste besetzt

Wie kommen Überhangsmandate zustande?


• Generell: Viele Direktmandate gewinnen, bei niedrigen Parteianteil. Überhangmandate
entstehen, wenn eine Partei bei der Wahl zum Bundestag mehr Direktmandate über die
Erststimmen erhält, als ihr Sitze gemäß der Anzahl der Zweitstimmen zustehen.
• Weitere Faktoren: Kleine Bundesländer mit relativ geringer Wahlbeteiligung, relativ gleich
große Parteien, Kleine Wahlkreise, Stimmensplitting, Regionale Hochburgen, relativ wenig
Wahlberechtigte, bei relativ vielen Wahlkreisen

➔ Bis 2013 waren die Überhangsmandate ein strukturelles Element, um die


Regierungsmehrheit zu sichern. Seit 2013 vollständiger Ausgleich. Führte zu einer
Vergrößerung des Bundestags insg.

Es gelang nicht die Zahl der ausgeglichenen Überhangmandate zu reduzieren. Die Zahl der Wahlkreise
soll erst 2024 von 299 auf 280 sinken. Gegen diese von der Großen Koalition im Oktober 2020
beschlossene Wahlrechtsreform reicht die Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
Anfang Februar 2021 Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein.

Verfassungsrechtlicher Streit um Überhangsmandate


• Sichert Regierungsmehrheit, aber Klage Niedersachsens gegen Überhangmandate (Schröder)
• BVG: Überhangmandate müssen sich in Grenzen halten
• Urteil zum Nachrückverfahren bei Überhangmandaten: Der Sitz eines direkt gewählten
Abgeordneten des Bundestags darf nach dessen Ausscheiden nicht aus der Landesliste besetzt
werden, solange die Partei in dem betreffenden Land über Überhangmandate verfügt.
• Grundmandatsklausel 1994 von BVG bestätigt. Die 5%-Sperrhürde wird ab 3 Direktmandaten
ausgesetzt.
• 2008 Neuregelung der Überhangmandate bis 2011 vom BVG verlangt und ab 2013 vollständiger
Ausgleich

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• 2021 Klage gegen aktuelle Reform durch FDP, Linke, Grüne, 3 Mandate werden nicht
ausgeglichen

Febr. 2013: Bundestag beschließt mit großer Mehrheit neues Wahlrecht


Streit um Reform – 2008 für Verfassungswidrig erklärt
2021: Klage von FDP, Linke Grüne

Wer profitiert von Überhangmandaten?


Regierung: 87, Opposition: 10
Überhangsmandate wurden zunächst nicht ausgeglichen, aber seit 2013 gibt es einen vollständigen
Ausgleich durch die Ausgleichsmandate.
Ausgleichsmandate sollen dafür sorgen, dass die Relationen und Proportionen im Bundestag erhalten
bleiben. Allerdings wird der Bundestag dadurch sehr schnell sehr groß (aktuelle 709 statt 598) und
eventuell kann dies die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen.

➔ „Mega-Bundestag“ durch Ausgleichsmandate?


Simulationen durch Philipp Weinmann: durchschnittliche 660 Mandate bei aktuellem
Wahlrecht, bis zu 800 wären möglich. Versuche Lammerts, dies zu ändern sind gescheitert

2013: Reform der Überhang --/Ausgleichsmandate


➔ Wahlrecht sorgt schon immer für Konfliktpotential zwischen den Parteien

Disproportionalität von Wahlsystemen


Die faire Umsetzung von Stimmen in Mandate ist ein Kriterium (Proportionalität/Disproportionalität).
Man kann dies empirisch anhand mehrerer Indikatoren messen.

Rae-Index I
Wir summieren die absoluten Differenzen zwischen den
Stimmenanteilen Vi einer Partei i und den Sitzanteilen Si und dividiert
diese dann durch die Zahl der Parteien n.
Der Rae-Index unterschätzt die Disproportionalität von
Verhältniswahlsystemen, wenn es viele Parteien gibt, also n hoch ist.

Loosemore-Hanby-Index D
Beim Loosemore-Hanby-Index werden die absoluten Differenzen der
Stimmen- und Sitzanteile addiert und die Summe durch 2 dividiert.

Trotz der Sperrhürde von 5% ist die Disproportionalität in Deutschland nicht sehr gravierend im
internationalen Vergleich.

Modelle des Wahlverhaltens


Warum wählen die Menschen wie und wen?

1. Das mikrosoziologische Modell (Lazarsfeld)


Wahlentscheidung wird stark vom sozialen Umfeld beeinflusst. Soziale Lage bestimmt das
politische Bewusstsein.

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Der Einzelne lebt in sozialen Zusammenhängen wie Familie/ Freunde/Kollegen, in denen
bestimmte Normen gelten.
Die Wahlentscheidung wird im Kontakt mit anderen Menschen entwickelt und richtet sich daher
nach den persönlichen Kreisen und ihren Normen.
Kommunikation spielt entscheidende Rolle

2. Das makrosoziologische Modell (Lipset &Rokkan)


Konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen sozialen Großgruppen und politischen Parteien.
Konfliktlinien (cleavages): Zentrum-Peripherie, Staat-Kirche, Stadt-Land, Arbeit-Kapital
Cleavages übertragen sich ins Parteiensystem, wenn sich die Mitglieder der beteiligten
Sozialgruppen organisieren (z.B. als Gewerkschaft) und eine Partei ihre Interessen
parlamentarisch vertritt.

3. Das sozialpsychologische Modell (Campbell)


Wahl als Konsequenz zwischen drei Erklärungsfaktoren: Parteiidentifikation, Sachthemen und
Kandidatenorientierung.

Parteiidentifikation
langfristige, stabile affektive Bindung an eine politische Partei. Diese werden in der Gesellschaft
seltener (Dealignment), Bevölkerungsgruppen wenden sich von einer Partei ab und einer
anderen zu (Realignment). In Deutschland ist die Parteiidentifikation stabiler als die Issue- und
Kandidatenorientierung

Sachthemen
Issues: politische Sachfragen oder Streitfragen. Bei der Wahlentscheidung spielen allgemeine
Fragen eine größere Rolle als spezifische Fragen. Die Bedeutung der Issues steigt mit der
Bildung und mit dem Informationsstand des Bürgers.

Kandidatenorientierung
Ist gerade auf lokaler Ebene von Bedeutung und gewinnt mit der Erosion der Parteibindung und
zunehmender Medialisierung an Bedeutung hinzu. So können auch Personen in Milieus
außerhalb ihrer eigentlichen Partei Erfolg haben.

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➔ Interdependenzen zwischen den Faktoren. Alle drei beeinflussen die Wahlentscheidung
Es gibt eine hohe Korrelation zwischen den drei Faktoren. Problematik des 21. Jahrhunderts:
Traditionelle Parteienkemmilieus gehen massiv zurück

4. Das Rational-Choice Modell (Downs, Key, Fiorina)


Rein ökonomische Perspektive: Kosten-Nutzen-Überlegung prägen die Wahlentscheidung,
Wahlentscheidung als Akt individueller Nutzenmaximierung
Politik wird als Markt gesehen, auf dem Parteien von Wählern mit Stimmen für ihre politischen
Entscheidungen „bezahlt“ werden.
Wahlparadoxon: Wenn man nur von Kosten-Nutzen-Abwägungen ausgehen würde, dann würde
man überhaupt nicht erst zur Wahl gehen.

5. Soziale Milieus (Sinus-Modell)


Deskriptive Beschreibung der gesellschaftlichen Situation in Deutschland. Aufgeteilt in 9
Milieus, in denen sich die Menschen bewegen.

Die Parteien haben häufig Anhänger oder Wähler in bestimmten Milieus. Aber sie können auch
Wähler in mehreren Milieus haben, gerade die CDU ist relativ gesplittet und steht somit noch
immer als „Volkspartei“ dar.

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Vorlesung 4: Direkte Demokratie

Vorzüge und Begründungen der direkten Demokratie


• Hohe Legitimation,
• Beteiligung weiter Bevölkerungskreise (Partizipation)
• Besserung Abbildung von Präferenzen
• Starke Kontrolle
• Weniger Einfluss Interessengruppen
• Höher politischer Informationsgrad
• Geringere Politik- und Parteienverdrossenheit

Kritik und Nachteile der direkten Demokratie


• Tyrannei der Mehrheit
• verlangsamt Reformen (Status-quo-Bias)
• vereinfacht komplexe Sachentscheidungen
• Populismusanfällig
• Schwächung des Parlamentarismus

Die Mitte bzw. Positionen der Mitte haben meist die besten Erfolgschancen bei direktdemokratischen
Entscheidungen («Tendenzen zur Mitte»)

Direkte Demokratie Repräsentative Demokratie


Legitimation • Stark durch direkte Partizipation • Gesamtwille durch Wahlen und
• Inputlegitimation Repräsentanten ausdruckt
• Outputlegitimation
Partizipation • Stark ausgeprägt • Volkswille vermittelt
• Fördert Transparenz • Intransparenz (viele Entscheidungsebenen)
• Bildet politisches Bewusstsein & → Desinteressen & Politikverdrossenheit
Verantwortung

Praktibilität • Wenig praktikabel • Schneller


• Längerer Entscheidungsprozess • Genauere Entscheidungen

Minderheiten • Theoretisch schwach • Theoretisch stark

Public Choice Ansatz: Optimale Mischung zwischen direkter und repräsentativer


Demokratie

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Es macht Sinn, ein Mischungsverhältnis von direktdemokratischen und repräsentativen
Entscheidungen zu haben

Kriterien zur Beurteilung von Verfahren der direkten Demokratie


• Kriterium des Inhalts (Personen- vs. Sachabstimmungen) → JA, direkte Wahl einer Person ist
möglich (Wagschal)
Personenabstimmungen
• Wahlen
• Abberufungen
Sachabstimmungen
• Obligatorisches Referendum
• Plebiszit
• Volksbefragung
• Fakultatives Referendum
• Volksinitiative
• Anregung

• Kriterium der Auslösungskompetenz → Unterschriften, Bottom-up (von unten durch


Bevölkerung), Top-down (obligatorische Abstimmungen, zum Beispiel Abstimmungen über
Verfassungsänderungen)
↑↑Bottom-up-Instrumente (Anregungen, Volksentscheid, Volksbegehren,
Volksinitiativen, fakultatives Referendum, Recall)
↓↓Top-down-Instrumente (obligatorische Referenden, Plebiszite → Abgabe von
Verantwortung an das Volk, Staatsvertragsreferenden)

• Kriterium des Entscheidungsgegenstandes (z.B. Verfassung, Gesetze, Staatsverschuldung,


internationale Verträge)
• Kriterium der Entscheidungsverbindlichkeit (konsultativ → beratend (GB Brexit) vs. dezisiv
→ entscheidend, verpflichtend)

Direkte Demokratie im internationalen Vergleich:


Häufigkeit direktdemokratischer Abstimmungen nimmt in Europa zu. Am häufigsten: Plebiszit
(fakultatives Referendum, Volksinitiative). Auch ein Zuwachs an direktdemokratischer Beteiligung in
den Ländern.

Beispiel der Schweiz


Hauptsächlich: obligatorische Referenden (Annahme ca. 75%), dann fakultative Referenden (Annahme
50%) und dann Initiativen (Annahme 8%)

Direktdemokratischen Instrumente in der Schweiz auf Bundesebene


1. Obligatorisches (Verfassungs-)Referendum
◦ Top-Down: wird automatisch ausgelöst, wenn Parlament Verfassung ändert
2. Fakultatives (Gesetzes-)Referendum
◦ Bottom-Up: geht vom Volk aus, wenn es einzelne Gesetze ablehnt
3. Volksinitiative (Verfassungsänderungen)
◦ Bottom-Up: geht vom Volk aus, wenn es eine Verfassungsänderung wünscht
4. Volksinitiative mit Gegeninitiative (Verfassungsänderungen)
◦ Bottom-Up: geht vom Volk aus, wenn es eine Verfassungsänderung wünscht,

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Gegeninitiative kommt daraufhin vom Parlament (meist ein abgemilderter Entwurf
der ursprünglichen Initiative)

Effekte der direkten Demokratie in der Schweiz auf die Staatstätigkeit


Ausgabenniveaueffekte: Staatsausgaben liegen tiefer, da unnötige Ausgaben gebremst werden.
Expansive Ausgaben werden vermieden
Strukturelle Effekte: Sozialstaat ist eher liberal anstatt wohlfahrtsstaatlich ausgeprägt
Zeitverzögerungseffekte („Lag-Effekt“): Reformtätigkeiten werden blockiert oder verlangsamt, Bsp.
Sozialversicherungen
→vorwiegend auf das fakultative Referendum zurückzuführen

Macht oder Diskurs: Wer setzt sich durch? – Deliberative oder machtpolitische
Entscheidungen?

Institutionen: Positionierung auf dem Stimmzettel


Zustimmungs- und Beteiligungsquoren
Typ des Referendums
Justiz: Ausschlusskataloge
Zulassung
Nachprüfung
Minderheiten Hoch mobilisierte Minderheiten

Mehrheit Madison: die Mehrheit trifft Entscheidungen zu Lasten von Minderheiten (Gefahr
der Demokratie)
Aber: Condorcet-Jury-Theorem (Mehrheit entscheidet richtig)
Geld In den USA sind Referenden sehr teuer
& Interessens Interessensgruppen setzten sich besser in RD durch
gruppen In CH: Arbeitgeber-, Gewerbe- und Bauernverband sind besonders erfolgreich;
Gewerkschaften am wenigsten
Status Quo Menschliches Verhalten (Sicherheit im Bekannten), omisson-effect
Transaktionskosten und asymmetrische Information erschweren Wandel
Politische Parteien der Medianwähler (liberal, konservativ) setzten sich durch, Links am
Position/Parteien wenigsten
Mediawählertheorem: größter Teil der Wählerschaft und der Parteien ordnen sich
politisch in der Mitte ein

Das Abstimmungsergebnis hängt ab von:


Sozioökonomische Faktoren: Arbeitslosigkeit begünstigt Ablehnung
Parolen: besonders CVP und FDP entscheiden
Geschlossenheit des bürgerlichen Lagers
Keine Rolle: Beteiligung; Second-Order-Effekte (Datum)
Kommunisten, Grüne werden besonders bei Ja-Parolen gefolgt
SVP, FDP, CVP besonders bei Nein-Parolen

Generelle Befunde STUTTGART 21:


• Direktdemokratische Entscheidungen sind Machtentscheidungen
• Politische Mitte überproportional erfolgreich

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• Institutionelle Ausgestaltung der Direktdemokratie ist wichtig
• Parteiidentifikation erklärt am besten die S21-Ablehnung
• Parteiparolen erklären am besten den Ausgang Schweizer Volksabstimmungen (aber auch S21)
• Gewisser Status Quo Bias
• Kein NIMBY-Effekt bei Stuttgart 21 (Not in my backyard: eigentlich positiv, aber nicht in
eigener Umgebung)

Volksentscheide in der Weimarer Republik


Die mittelbaren und unmittelbaren Folgen der Volksbegehren
Negative Folgen:
- Möglichkeit zur Agitation für republikfeindliche Gruppen → Polarisierung verstärkt
- Keine Überwindung der Gegensätze der Bevölkerung
- Legitimitätsverlust der Regierung und der Regierungsparteien
Positive Folgen:
- Stabilisierende Wirkung (konnte sich nur eingeschränkt entfalten)
- Mittelbare Wirkung der Volksbegehren: waren vordergründig gescheitert, zogen allerdings
trotzdem Änderungen durch den Gesetzgeber nach sich; berücksichtigten die Anliegen der
Initiatoren

➔ Weimarer Erfahrungen
Weimarer Erfahrungen mit direkter Demokratie sind nicht sehr umfangreich
Fehlkonstruktion der Volksgesetzgebung verhinderte Erfolg und eröffnete Möglichkeiten zum
Boykott
Die WR scheiterte nicht an der direkten Demokratie
Volksbegehren als Ausdruck nicht als Ursache der Krise
→„Weimarer Erfahrungen“ sind in Punkt Direktdemokratie weitgehend ein Konstrukt

Direkte Demokratie in Deutschland


• Direkte Demokratie in der Weimarer Republik (nur zwei Volksentscheide auf Reichsebene, beide
abgelehnt)
• Ablehnung im parlamentarischen Rat (Heuss: „Prämie für Demagogen“)
• Allerdings: politisch motivierte Ablehnung ist wahrscheinlicher.
• Tendenzen zu mehr direkter Demokratie, insbesondere nach der Deutschen Einheit (z.B.
gemeinsame Verfassungskommission)
• Direkte Demokratie in Bayern seit 1995 auf Kommunalebene
• Auswirkungen: z.B. Abschaffung bayerischer Senat, gescheiterte Länderfusionierung
Berlin/Brandenburg

Partizipative Demokratie
Bei Zufallsbürgern werden aus der Bevölkerung nach einem Zufallsverfahren, also per Los, die
Teilnehmer ausgewählt. Dabei ist das Ziel, dass die Teilnehmer möglichst unvoreingenommen sind und
nicht parteipolitisch gebunden oder anderen Interessengruppen verpflichtet sind. Ein Kritik der
Zufallsbürger verweist auf die Unwissenheit und die Nicht Legitimierung dieser Gruppe. Befürworter
verweisen auf die Unvoreingenommenheit der Teilnehmer.

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Vorlesung 5: Lijphart: Patterns of democracy: Mehrheits- und
Konsensdemokratien

Mehrheitsdemokratie (auch “Westminster Modell”): Fokussiert auf Mehrheitsregeln bzw.


Mehrheitsentscheid
Konsensdemokratie: Bemühung, so viele Bürger wie möglich in den politischen
Entscheidungsfindungsprozess zu involvieren

Mehrheitsmodell Konsensmodell
Exklusiv → mangelnde Berücksichtigung Inklusiv
Minderheiten
Kompetitiv → Wettstreit zwischen den verhandlungsorientiert
Bewerbern
Gegnerisch (Bsp. englische Kammern) Kompromissorientiert

10 Unterschiede hinsichtlich demokratischer Institutionen:


➔ 5 Unterschiede hinsichtlich der Dimension Exekutive und Parteien
➔ 5 Unterschiede hinsichtlich der Dimension Föderalismus und Unitarismus
und
1. Dimension:

Exekutive
Parteien
und
Föderalismus
2. Dimension:

Unitarismus

Föderalismus:
Garantiert…:
Regionale Eigenheiten durch Machtverteilung zwischen Zentral- und Regionalregierungen

…und funktioniert wenn:


- In der Verfassung verankert und rigide,
- neutrale Normenkontrolle besteht,
- die Regionen legislativ vertreten sind

Daten und Operationalisierung bei Lijphart

18
36 Länder, seit 1945 mindestens 20 Jahre demokratisch (pol. System dann stabil und konsolidiert. Der
Zeitraum ermöglicht es, durchschnittliches Verhalten zu sehen)
kleine Länder (<250.000 Einwohner sind ausgeschlossen
Unterliegendes Demokratiekonzept cf. Dahl

Die Modelle im Vergleich: Großbritannien und die Schweiz

1.Dimension (Exekutive & Parteien)


Inklusionsgrad von Kabinetten: Einparteien-Kabinette konzentrieren exekutive Macht
• Großbritannien: Einparteien-Kabinette (Mehrheit oft nur knapp → relativ große Minderheit ist
von der Macht ausgeschlossen)
• Schweiz: dauerhafte „große Koalition“ (Aufnahme aller großen Kräfte in die Regierung, Proporz
besteht auch bezüglich Sprachverteilung

Machtbalance zwischen Legislative und Exekutive


• Großbritannien: Regierung (Kabinett) dominiert das Parlament („elective dictatorship“)
• Schweiz: ausgeglichenes Verhältnis (Scheitern der Regierung im Parlament ohne Folgen)

Parteiensystem:
• Großbritannien: Alternierende Mehrheiten (labour and conservative die allermeisten
Sitzanteile. Minderheitenparteien marginalisiert)
• Schweiz: Vielparteiensystem, vier große Parteien (Keine Partei hat einen effektiven
Mehrheitsstatus auch aufgrund des Wahlsystems. Spaltung der Parteien entlang von Religion
und sozialem Status)

Wahlsystem
• Großbritannien: Künstlich vergrößerte Mehrheiten (relative Mehrheitswahl in
Einerwahlkreisen, begünstigt große gegenüber kleinen/regional verteilten Parteien)
• Schweiz: Proportionale Abbildung der Stimmen (Verhältniswahl teilt Parlamentssitze nach dem
Stimmenanteil auf)

Verbändesystem/Interessengruppen
• Großbritannien: Konfrontativ, wenig Koordination
• Schweiz: Tripartit organisierter Korporatismus: wenige, aber große Interessensgruppen,
regelmäßige, trilaterale Verhandlungen (Regierung, Gewerkschaft, Arbeitgeber)

2.Dimension (Föderalismus & Unitarismus)


Staatsaufbau
• Großbritannien: Unitarisch und zentralistisch
• Schweiz: Föderalismus

Bikameralismus
• Großbritannien: beinahe unikameral (Asymmetrie zwischen den Houses, den Institutionen)
• Schweiz: Stark ausgebauter Bikameralismus (Erst- und Zweitrat komplett gleichberechtigt)

Rigidität der Verfassung


• Großbritannien: (Fast) keine übergesetzlichen Normen (keine schriftlich fixierte Verfassung,
„Verfassung“ sehr flexibel)
• Schweiz: rigide Verfassung, Änderungen nur schwierig mit „Volksmehr“ und „Ständemehr“
(Mehr der Kantone)

19
Verfassungsgerichtbarkeit/Normenkontrolle
• Großbritannien: keine Normenkontrolle durch ein Verfassungsgericht. Aber Europarecht ist
höherrangig)
• Schweiz: weicht vom „reinen“ Konsensmodell ab: Bundesgericht hat keine Kompetenz zur
Verwerfung von nationalem Recht

Zentralbankautonomie
• Großbritannien: Bank of England vielfach abhängig von der Exekutiven
• Schweiz: Schweizer Zentralbank als eine der weltweit unabhängigsten Banken

➔ Großbritannien (Westminstersmodell) als Beispiel für eine Mehrheitsdemokratie


➔ Schweiz als ein Beispiel für eine Konsensdemokratie

Ergebnisse nach Lijphart


• Befund: Konsensdemokratien erweisen sich als leistungsfähiger und als demokratisch von
höherer Qualität:
o makroökonomisch: weniger Inflation, effektivere Policy, Rule-of-Law (Rechtsstaatlichkeit),
Korruption, Arbeitslosigkeit
o Sicherheit: weniger innerstaatliche Gewalt
o Demokratie: Partizipationsmöglichkeiten, Freiheiten (Presse, Organisation, usw.),
Repräsentation von Frauen, Wohlstandsverteilung
o Sozialausgaben, Umweltschutz, Strafgefangene, Todesstrafe, Entwicklungshilfe

➔ Effekte gehen vornehmlich von Exekutiven-Parteien-Dimension aus, wenig Effekte von


Föderalismus-Unitarismus-Dimension

Ergebnisse nach Lijphart (die kritisch zu hinterfragen sind)


1. Kein trade off zwischen Effektivität und Qualität der Demokratie
2. Konsensdemokratie kann durch Verfassungsänderungen befördert und relativ leicht eingeführt
werden.
3. Institutionen der Konsensdemokratie auf der (ersten ) executives parties Dimension sind
weniger abhängig von Verfassungsvorschriften als die Institutionen auf der ( zweiten )
Föderalismus Unitarismus Dimension
4. Proportionalwahlrecht und Parlamentarismus führt eher zu Konsensdemokratie
5. Nationale Traditionen und pol. Kultur steht mitunter der Konsensdemokratie entgegen

Kritik an Lijphart
• Konsistenzannahme wird nicht weiter begründet, nur empirisch gezeigt
• Validität der gewählten Indikatoren? V.a.: Exekutivdominanz (präs. Systeme?) und
Inklusionsgrad (Stimmanteile der Regierungsparteien)
• Vermischung von Institutionen und Verhaltensweisen als Indikatoren

Policy Wirkungen der Konsensdemokratie

Vorzüge der Konsensdemokratie (Ergebnisse empirischer)

20
• Mehr Entwicklungshilfe
• Weniger Kriminalität
• Mehr Umweltschutz
• Mehr Sozialausgaben
• Höhere Zufriedenheit mit der Demokratie
• Mehr Partizipation

Wie ist EU einzuordnen?

Koalition – mehrere Föderal/dezentralisiert (KD)


Parteien in der
Kommission vertreten
(KD) Legislative Macht aufgeteilt
zwischen EP und Rat der EU
In Balance mit der
(KD)
Legislativen – EP kann
Kommission abwählen Rigide – Änderung erfordert
(KD) Einstimmigkeit aller
Mitgliedsstaaten, aber keine
Mehrparteiensystem
Verfassung sondern nur
(KD)
internationale Verträge
VWS aber nur (KD/MD)
Landesweit (KD/MD)
EuGH interpretiert Verträge
Koordiniert, im Rechtsstreit; Anrufung
korporatistisch – bspw. durch Personen begrenzt (KD)
im Wirtschafts- und
EZB ist unabhängig (KD)
Sozialausschuss (KD)

21
Vorlesung 6: Vetospielertheorie & Macht und Machtindizes

1. Grundlagen der Vetospieler Theorie (Tsebelis)

Institutionalistischer Ansatz mit Kosten-Nutzen-Überlegungen

➔ Wie kann Stabilität bzw. Wandel von Staatstätigkeit erklärt werden? (Einfluss von Polity auf Policy)

Was ist ein Vetospieler (VS)?


Akteure, deren Zustimmung zur Veränderung des Status quo notwendig ist

Typen:
Individuelle VS (z.B. Präsident)
Kollektive VS (z.B. Parlamente)
Institutionelle VS (in der Verfassung bestimmt)
Parteiliche VS (Parteien)

Ein VS wird repräsentiert


durch seinen idealen
Punkt.
Wichtig: Die
Annahme: Ein VS wird nur
Indifferenzkurve
dann einen Politikwechsel
eines VS wird
zu einer neuen Position
immer durch den
unterstützen, wenn diese
Status quo
eine geringere oder die
verlaufen
gleiche Distanz zu seinem
Idealpunkt im Vergleich
mit dem Status quo
aufweist.

Winset: Raum für politscher Wandel


Das Winset findet sich folglich in der Überlappung aller zu berücksichtigenden Indifferenzkurven.
→ Ein nicht leeres Winset ist eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für
Politikwechsel

22
Core: Leeres Winset, also unmöglicher Wandel.
Der Kern ist dasjenige Set von Positionen, das ein leeres Winset produzieren würde, wenn es der Status
quo wäre

Beobachtbare Zusammenhänge
1. Je mehr VS, desto kleiner das winset (oder gleich)
2. Je mehr VS, desto größer der core/Kern
3. Je Näher VS, desto größer das winset (Polarisierung/Kongruenz des Systems)
Das bedeutet?
Winset = Politikwandel
Core/Kern = Politikstabilität
Politisch nähere VS erlauben mehr Politikwandel

Absorptionsregel: Wenn ein neuer VS in den Kern der bereits gegebenen VS hinzutritt, hat dies keinen
Effekt auf den Status quo.
Wenn das Optimum eines VS auf dem core/Kern liegt, hat dieser VS keinen Einfluss auf das winset =
wird absorbiert
Beispiel : Kongruente zweite Kammern, von der Regierung besetzte Verfassungsgerichte

Mit jedem zusätzlichen VS nimmt die Policy Stabilität zu oder bleibt auf demselben Niveau. Wenn die
Distanz der VS reduziert wird (und die VS mit reduzierter Distanz in den Kern der zuvor gegebenen VS
inkludiert werden) nimmt die Policy Stabilität ab oder bleibt auf demselben Niveau.

Agenda setter: VP, der take-it-or-leave-it Vorschläge machen kann. Ihr Einfluss sinkt als die politische
Stabilität steigt, aber steigt als sie sich dem ideologischen Zentrum der anderen VP annähern. Der
Agenda Setter hat einen erheblichen Vorteil (dies steigert die Größe des Winsets).
Agenda-setting: der VS, der den ersten Vorschlag macht hat einen Vorteil – schlägt den Punkt im winset
vor, der seinem Optimum an nächsten ist
Beispiel : Der Akteur, der einen Gesetzesvorschlag einbringt; der die Sitzung leitet, …

Kollektive VS
• Individuelle VS entscheiden einstimmig
• Mehrzahl aller VS sind kollektive VS (Parteien, Parlamente, Komitees)
• Sie entscheiden auf der Basis der Mehrheitsregel, sei es einfache oder absolute Mehrheit.

Je niedriger die Mehrheitsregel, desto größer das winset


➔ Je niedriger die Mehrheitsregel, desto niedriger die Policy-Stabilität oder: desto
wahrscheinlicher der Policy-Wandel

Effekte kollektiver VS
• Eine qualifizierte Mehrheit (hier 4/5) vergrößert das Winset und verkleinert den Kern (verglichen mit
Einstimmigkeit).
• Eine einfache Mehrheit (3/5) verstärkt diesen Effekt noch mehr (der Kern ist leer).

Kohäsion kollektiver VS
• Policy Stabilität nimmt ab, wenn die involvierten Vetospieler kollektive VS und keine individuellen
VS sind.
• Unterschiedliche Effekte der Kohäsion von VS bei unterschiedlichen Mehrheiten
• Im Falle qualifizierter Mehrheiten nimmt die Policy Stabilität mit Kohäsion ab.

23
• Im Falle einfacher Mehrheiten, nimmt Policy Stabilität mit Kohäsion zu.
• Unterschied zwischen Parteidisziplin und Kohäsion macht die Beurteilung der Kohäsion noch
schwieriger

Zentrale Variablen zur Erklärung von Politikwechsel

1 • Zahl der VS 3 • Kohäsion der VS

2 • Distanz der VS 4 • Macht der Agenda setter

2. Stärken und Schwächen der VT


Vorzüge der VT
- Erklärung politischer Stabilität und politischen Wandels
- Erklärung von Agenda Setting Macht
- Modellierung von Transaktionskosten
- Identifizierung funktionaler Äquivalente zwischen unterschiedlichen politischen Systemen (z.B.
präsidentielle und parlamentarische Systeme, Systeme mit oder ohne zweite Kammern, mit oder
ohne Koalitionen etc.)

Schwächen der VT
- Die Identifizierung relevanter Policy Dimensionen ist nur nach einem Reformprozess möglich.
- Policy Positionen werden exogen gesetzt → erschwert die Messung
- Unterschied zwischen konsensuellen und kompetitiven VS wird nicht berücksichtigt
(Wagschal)
- Konsensuelle VS streben primär nach Einigungen (bspw. Parteien in Koalitionen)
- Kompetitive VS streben aufgrund von office oder vote seeking primär die Blockierung von
Wandel an (bspw. inkongruente Zweite Kammer)

Sind Verfassungsgerichte VS?


Contra Pro
Werden oft von andere VS absorbierpt Verfassungsgerichte können Gesetze entwerten
und den vorherigen Status quo wiederherstellen
Müssen durch andere Akteure aktiviert werden Aktive Verfassungsgerichte führen zur
Selbstbeschränkung der Abgeordneten

Rechtfertigung des Vetosrecht immer notwendig Nicht juristische Aspekte in Entscheidungen


einbeziehen

24
VS-Indizes
Messen nicht die Distanz zwischen den VS

Empirische Untersuchung
Je mehr VS, desto weniger Steuerreformen
Stabilität = Reformunfähigkeit?

5. Der Machtbegriff in der Politikwissenschaft

Vetospieler als „Machtbegrenzer“ und Machtspieler

Machtdefinition nach Max Weber


Die in den Sozialwissenschaften heute am häufigsten zitierte Machtdefinition stammt von dem
Soziologen Max Weber, der Macht definiert als: „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den
eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“

Machtkonzepte in den IB
• Hard Power: Ökonomische und militärische Stärke
• Soft Power (J. Nye): Machtausübung, ohne dass wirtschftliche/militärische Macht ausgeübt werden
muss
• Smart Power: positive Verbindung von hard und soft power
• Susan Strange: Structural Power: 4 Machtressourcen, die Strukturelle Macht ausmachen:
1) Sicherheit und militärische Stärke 3) Geld und Finanzbezeiheungen

2) Wissen und Ideen 4) Produktion bzw. Produktionsfaktoren

→ Gegensatz zu den häufigen Behauptungen identifiziert Strange eine strukturelle Stärkung US-
amerikanischer Positionen

Machtmodelle bzw. Machtverständnisse


Voluntaristisch – Fähigkeit Interessen im Konflikt mit anderen durchzusetzen
Hermeneutisch – Macht durch gemeinsames normatives Verständnis der Situation gegeben
Strukturell – Gegeben durch Beziehungenmuster, indem die Akteure sich befinden (Strukturen)
Postmodern – Gegeben durch Sprache und Symbole, Macht ist fluid

Machtressourcen
1. Legitimation
2. Belohnungen
3. Zwang
4. Identifikation
5. Wissen
6. Moral & Glaubwürdigkeit

6. Machtindizes (Powerindices)

25
Messen Abstimmungsmacht
100 = alleinige Abstimmungsmacht
0 = gar keine Abstimmungsmacht

Ändert sich mit Quorum und Sitzanteil (ist aber nicht proportional dazu!)

Verschiedene Machtindizes
• Banzhaf Index (bzw. Penrose Banzhaf Index)
- Normalisierter Banzhaf Index
- Absoluter Banzhaf Index

NBI
Der normalisierte Banzhaf Index (NBI) wird berechnet indem die Summe der siegreichen Koalitionen,
in denen ein Akteur wesentlich zum Sieg beiträgt durch die Zahl aller möglichen Gewinnkoalitioneen
dividiert wird. NBI hängt vom festgelegten Quorum (Quota) und den Stimmengewichten ab.
Beispiel (Quorum = 60%):
Akteur A: 54 Stimmen
Akteur B: 40 Stimmen
Akteur C: 6 Stimmen

ABI/Absoluter Banzhaf Index


• Die absolute Banzhaf Macht wird für einen Akteur (z.B. Staat) so berechnet, indem man zählt, in wie
vielen
Abstimmungssituationen dieser die Möglichkeit hat, eine Entscheidung zu kippen (d.h. einen Swing
herbeizuführen).
• Man untersucht dabei alle möglichen Abstimmungskoalitionen und überprüft, ob diese mit
Unterstützung des betrachteten Akteurs/Landes eine Entscheidung durchsetzen können, die sie ohne
seine Hilfe nicht herbeiführen können (bei gleich bleibenden Stimmabgaben der anderen Akteure).

26
Vorlesung 7: Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit

1) Staat und Verfassung: Begriffe: Regierung Regime Staat


Regierung
• Teil der politischen Exekutive
• Besteht i.d.R. aus einem Regierungschef und seinen Ministern (plus Staatssekretäre)
Regime:
• Regierungs form im Sinne von Regeln, die den Zugang zu den Institutionen des politischen Systems
regeln
• Formelle und informelle Organisation politischer Macht und ihres Verhältnisses zur Gesellschaft
→ Regime definieren folglich den Typ des politischen Systems, in dem sie vorherrschen
• Regulierung der Polity durch Verfassungen

Kriterien eines Staates


Staat :
• Permanente Machtstruktur mit einem Monopol der Gewaltausübung
•„Drei Elemente Lehre“ (Georg Jellinek , 1900):

1. Staatsgebiet state territory


2. Staatsvolk people
3. Staatsgewalt state authority

• Bei Hans Kelsen : Bedeutung der Normengebundenheit eines Staates

Begriffliche Differenzierung: Pouvoir constitué und Pouvoir constituant


• Eine Verfassung ist die politische Grundstruktur eines Staates und damit Ausdruck des
institutionellen Rahmens oder der Polity Dimension eines politischen Systems.
• Pouvoir constitué : verfasste Gewalt, meint an die Verfassung gebundene Staatsgewalt
• Grundelement der Rechtstaatlichkeit
• Pouvoir constituant : verfassunggebenend bzw. verfassungssändernde Gewalt

Was leistet eine Verfassung ?


• Verfassungen:
- kodifiziert; nicht unbedingt schriftlich festgelegt
- defnieren, wer an der politischen Willensbildung teil hat; formen die Verfassungsorgane
(Legislative, Exekutive, Judikative)
- legen fest, wie und unter welchen Bedingungen Entscheidungen getroffen werden können
- verhindern Willkürherschaft und garantieren eine rechtsstaatliche Politk
- müssen „legitim“ sein
- unterschiedliche Logiken werden in der Verfassung festgelegt:
o Volkssouveränität
o Parlamentssouveränität
o Verfassungssouveränität

• Enstehungs- und Veränderungsprozesse einer Verfassung:


- Entstehungsprozess = Festlegung von Normen
- Veränderungsprozess = Modifizeierung oder Festlegung von Normen (neu oder in Kraft)

2) Entstehungs und Veränderungsprozesse von Verfassungen

Verfassungsänderungen sind abhängig...

27
• Das Grundgesetz weist im internationalen Vergleich eine durchschnittliche Änderungshäufigkeit auf
• Als bestimmende Faktoren konnten bislang die als Schwierigkeitsgrad bezeichneten
Änderungshürden auf Seiten hemmender Faktoren ermittelt werden
• Ferner ist der Umfang bzw. die Länge eines Verfassungstextes eine wichtige Determinante

3) Warum Verfassungsgerichte?
- Juristisch:
o Kontrolle der Exekutive und Legislative auf ihre Verfassungsmäßigkeit
o Sicherung der Grundrechte
- Politisch:
o Delegation der Entscheidungen
o Schranken gegen Mehrheitsentscheidungen
o Sicherung von Minderheitsrechten
o Sicherung von Mitwirkungsrechten

Verfassngsgerchtbarkeit aus politikwissenschaftlicher Sichts:


- Die Verfassung ist eine politische Institution
- Beeinflussung der Staatstätigkeit/des politischen Prozesses
- Alle drei Bereiche der Politik (Polity-Policy-Politics werden) tangiert
- Der Bundeverfassungsgericht ist „kein politsches Organ“
- Geschrieben vs. Ungeschriebene Verfassungen
- Aufnahme gesellschaftlicher Entwicklung vs. Resistenz
- Ethische und religiöse Fragen als Konfliktpotential
- Hüter des Verfassung

BVerfG (1951)
4) Das Bundesverfassungsgericht

Grundrechtssenat Staatsrechtssenat
Zuständigkeit der Senate

Erster Senat (Grundrechtssenat – historisch für Art. 1 – 20 GG zuständig; roter Senat):


Normenkontrollverfahren und Verfassungsbeschwerden

Zweiter Senat (Staatsrechtsenat, schwarzer Senat): Streitigkeiten, Parteiverbote, Wahlbeschwerden,


Normenkontrollverfahren und Verfassungsbeschwerden in bestimmten Bereichen

Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht:


1. Kontrolle des Gesetzgebers:
o Abstrakte Normenkontrolle (unabhängig von Rechtsstreit)
o Konkrete Normenkontrolle (in einem Rechtsstreit – wird von Gerichten gestellt)
o Kommunale Verfassungsbeschwerde (VB)

2. Kontrolle von Behörden und Gerichten:


o Verfassungsbeschwerde

3. Verfassungsstreitigkeiten zwischen staatlichen Organen:


o Organstreitigkeiten
o Bundesländer-Streitigkeiten

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o Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Bundeslandes

4. Entscheidung über Wahlprüfungsverfahren des Bundestages

5. Entscheidung über Parteienverbote


o 2/3 Senatsmehrheit erforderlich (KPD 1956, NPD 2003 gescheitert)

6. Verwirkung von Grundrechten


o 2/3 Senatsmehrheit erforderlich

7. Anklagen gegen den Bundespräsident und gegen Richter

8. Nachprüfung des Völkerrechts

Die parteiliche Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts:


Wahl:
8 Richter pro Senat, je 4 von BT und BR mit 2/3 Mehrheit einmalig für 12 Jahre gewählt
Qualifikationen:
40 Jahre alt, Befähigt zum Richteramt, 3 pro Senat an obersten BG gedient (BGH, BAG, BFH, BSG,
BVerwG)
> Die Positionen werden politisch Besetzt

BVerfG – Entscheidungstypen bei der Normenkontrolle


• Nichtigkeitsfestellungen (> Gesetz wird unwirksam)
• Unvereinbarkeitsfestellungen (> Gesetz muss geändert werden weil Unwirksamkeit nicht
angemessen ist)
• Appellentscheidungen (> Appell Gesetz zu ändern)
• Weitergeltensanordnungen
• Richterlich normvertretendes Übergangsrecht
• Verfassungskonforme Auslegung (> Interpretation wird verengt)

5) Internationale Verfassungsgerichtsbarkeit: Besetzung des Supreme Court

Politik des Supreme Court


• Höchstes Appellationsgericht > Urteile werden verbindliche Rechtsnormen (Common Law)

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• Politisch besetzt (demokratische Mehrheiten haben expansive Sozialpolitik erlaubt)
• Sah sich als Verfechter von Eigentumsrechten und des Begrenzung der Bundesmacht

Berühmte Entschidungen
- Marbury versus Madison (1803: Judical Review)
- Präsidentschaftswahl 2000 (Bush vs. Gore)
- Abtreibungsentscheid 1973 Roe vs Wade

6) Vergleichende Messung der „Stärke“ von Verfassungsgerichten

Stärke des Verfassungsgerichts (nach LIJPHART)


Kriterium: Judicial Review → Operationalisierung
1 = Keine Verfassungskontrolle.
2 = Schwache Verfassungskontrolle.
3 = Mittel starke Verfassungskontrolle.
4 = Starke Verfassungskontrolle
Zwischenwerte sind möglich

Politisierung der Verfassungsgerichte nach Alivizatos


2 Klassifikationskriterien: Das System der Verfassungskontrolle kann entweder dezentralisiert (1)
oder zentralisiert (2) sein.
1 = Niedrig (judical restraint)
2 = Schwach bis mittel
3 = Mittel bis hoch
4 = Hoch (judical activism)

Einflussnahme der Verfassungsgerichte nach Cooter/Ginsburg


Meßung der Judical Daring über Expertenbefragungen nach einer Skala von 1 (niedrig) bis 5 (hoch)
→ Fragestellung: Wie reagiert das Verfassungsgericht auf den Gesetzgeber?
→ These: Verfassungsgerichte sind aktiver, wenn die Wahrscheinlichleit sinkt, dass der Gesetzgeber
seine Entscheidungen wieder abändert.

Spielen Verfassungsgerichte eine Rolle?


Laut Tsebelis, nein Verfassungsgerichte weisen i.d.R. keine divergierenden Mehrheiten zu der
Regierung auf + Absorptionsregel
Warum sind sie dennoch relevant?
- „Arbeitsethos qua Sachzwang“, Weber (Integrität und Ehre des modernen Beamtentums)
- Becket-Effekt des Verfassungsrichters (i.e. neu Ernannter handelt nach dem Gemeinziel und
nicht seinem Eigeninteresse)
- Persönnliche Unabhängigkeit institutionell gewährleistet
- Polit-ökonomische Überlegungen

7 ) VerfG in Vergleich : wer sind die Richter ? Karriere


Empirische Untersuchungen stellen 4 Cluster fest:
Universitäten, Gerichte, Verwaltung, Politik

8 ) Der EuGH: Europäischer Gerichtshof

EuGH – Aufbau

30
Gerichtshof der EU besteht aus:
Europäischer Gerichtshof
Gericht der EU (Gericht erster Instanz, zur Entlastung des EuGH geschaffen)

EuGH – Zusammensetzung
Wahl:
1 Richter pro Mitgliedstaat für 6 Jahre in Übereinkunft durch die Regierungen einstimmig bestimmt
(alle 3 Jahre die Hälfte)
Qualifikation:
Für das nationale höchste Gericht zulässig oder „anerkannte hervorragende Befähigung“

Verfahrensarten vor dem EuGH


(1) Klagen wegen Vertragsverletzung, die von der Kommission oder durch die Klage eines
Mitgliedstaates gegen ein anderes Mitgliedsland eingeleitet werden.
(2) Nichtigkeitsklagen gegen Rechtsakte eines Unionsorgans, die durch Mitgliedstaaten,
Gemeinschaftsorgane sowie Einzelpersonen initiiert werden.
(3) Untätigkeitsklagen gegen Unionsorgane, die durch Mitgliedstaaten oder andere EU Organe
erhoben werden.
(4) Schadensersatzklagen gegen Organe der EU.
(5) Vorabentscheidungsverfahren, wenn nationale Gerichte eine Überprüfung der Vereinbarkeit der
jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht überprüfen lassen.
(6) Sonstige Verfahrensarten.

Wichtige Bereiche der Rechtsprechung des EuGH


• Waren und Dienstleistungsfreiheit
• Handelsrecht
• Arbeitsrecht
• Steuerrecht
• Umweltrecht

Probleme des EuGH


• Kompetenzanmaßung
• europäisches Unionsrecht wird (unzulässig) auf nationales Recht ausgedehnt
• Spannungsverhältnis EuGH und nationales Verfassungsrecht
• Spannungsverhältnis EuGH und nationale Verfassungsgerichtsbarkeit

Positive und Negative Integration


• Positive Integration wird durch neue Rechtsakte ermöglicht und erfordert die aktive (positive)
Zustimmung der relevanten Akteure. Wirkt im wesentlichen marktschaffend.

• Negative Integration: Beseitigung von Marktschranken (Zölle, tarifäre und nicht tarifäre
Handelsbeschränkungen und Behinderungen des freien Wettbewerbs). Wird v.a. durch EUGH bewirkt
(Integration durch Recht)

31
Vorlesung 8: Parteien und Parteiensystemen

1) Die Bedeutung von Parteien und Parteiensystemen

Parteiensystem
• Definition von Partei: „Eine Gruppe gleichgesinnter Bürger, die sich die Durchsetzung gemeinsamer
politischer Vorstellungen zum Ziel gesetzt haben.“ (Schultze)
• Die Definition trifft aber auch auf Bürgerinitiativen und Verbände zu.
• Ein Parteiensystem ist durch die wechselseitigen Beziehungen der Parteien untereinander
charakterisiert.

Parteien im Grundgesetz (Art. 21)


1. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit Ihre Gründung ist frei
Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen Sie müssen über die
Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben

2. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den
Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig Über die Frage
der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

2) Die Genealogie der deutschen Parteien


• 10 Parteienfamilie:
- Liberale - Grüne
- Konservative - Kommunisten
- Agrarparteien - Protestparteien
- Regionalparteien - Faschistische Parteien
- Christdemokraten - Rechtsextremem Parteien

Neue Parteientyp: Senior, Xenophoben


Laut v. Beyme bestteht oftmals ein Parteiensystem aus 5 Parteien. (aber BRD 6/7)

Was sind rechtspopulistische Parteien?


Nach Cas Mudde 3 Kriterien:

•Nativismus steht für eine illiberale (aber nicht zwingend rassistische oder völkische) Spielart des
Nationalismus, die für einen in kultureller Hinsicht möglichst homogenen Nationalstaat eintritt.

•Autoritarismus: Festhalten an traditionellen Moralvorstellungen und an den Glauben einer


hierarchische Gliederung der Gesellschaft

•Popuplismus: Sein Kern ist die Abgrenzung zwischen dem als selbstsüchtig gegeißelten herrschenden
Establishment und dem sogenannten einfachen Volk. In der Gedankenwelt der Populisten geht folglich
nichts über den allgemeinen Willen der Bürger (Befürwortung Direkter Demokratie)

Die Dichotomie zwischen „uns da unten“ und „denen da oben“ wird stark „bespielt“.

Linkspopulistische Bewegungen zielen dagegen eher auf Gleichheit, Umverteilung und mehr Direkte
Demokratie ab (beim letzteren Ziel sind sie nicht weit entfernt von den Zielen des Rechtspopulismus)

32
Wer wählt Rechtspopulistisch?
•Mikro- und Makrofaktoren sind zu berücksichtigen
•Modernisierungsverlierer? (u.a. wegen Konkurrenz)
•Globalisierungsgegner & -verlierer
•Eher Arbeiter, eher Männlich
•Aktive Katholiken besonders resilient
•Euroskeptizisten
•Ablehnung von Migranten/Zuwanderung
•Hängt von Gelegenheitsstrukturen der Parteien ab (Kitschelt)
•Politik- und Parteienverdrossenheit als Faktor

Wehrhafte Demokratie
• Parteienverbote als Instrument (Art 21 GG)
• Eigentlich Widerspruch zu demokratischen Grundprinzipien
• Trade off zwischen demokratischer Auseinandersetzung und Schutz des politischen Systems
• Mehrere Verfahren bisher (plus Verbote durch das Innenministerium (→1952 SRP, erfolgreich)

Ziel und Funktionen von Parteien


- 3 Ziele nach Kaare Strøm: Gleichzeitige Zielverfolgung:
o Policies-seeking
o Votes-seeking Pragmatismus vs. Ideologie
o Office-seeking

- 4 Funktionen nach Von Beyme:


o Zielfindungsfunktion (Programme + Ideologie)
o Artikulation und Aggregation gesellschaftlicher Interessen
o Mobilisierung und Sozialisierung der Bevölkerung
o Rekrutierung der poltischen Elite und Führungsersonals

• Parteientwicklung nach Katz und Mair:


- Elitenparteien (cadre) → Priviligierung
- Massenparteien (class) → Durchsetzung gesellschaflichen Ziele
- Volksparteien (catch-all) → Durchsetzung von Policies
- Kartellparteien (cartel) → Policies, die sich annähern
- Antikartellpartei (movement party) → gegen die K. handeln

Klaus von Beymes Parteientypologie:

Eliteparteien/Honorationrenparteien (cadre)
• 19tes Jahrhundert - kein allgemeines Wahlrecht!
• Informell/locker organisiert
• Ziel: Privilegierung (Privilegien für sich gewinnen)
• Mitglieder: Honoratioren (Angesehene Mitglieder einer Gemeinde), die es sich leisten konnten
„ehrenamtlich“ Politik zu machen

Massenparteien (class)
• 20tes Jahrhundert (bis zum 2WK), durch allgemeines Wahlrecht entstanden
• Arbeiterparteien, kommunistische, nationalsozialistische, faschistische Parteien
• Erkämpfen gesellschaftliche Ziele durch Massenmobilisation

Volksparteien (catch-all)

33
• Nach dem 2WK – Massenparteien delegitimiert
• Integrieren möglichst viele Strömungen, vertritt nicht mehr nur die Interessen eines bestimmten
Milieus (Katholiken, Arbeiter, etc.)
• Versuchen policies durchzusetzen

Kartellparteien/professionalisierte Wählerparteien (cartel)


• Entstehen ab den 70ern durch staatliche Finanzierung von Parteien und Professionalisierung in
der Politik
• Sind nicht mehr auf Mitglieder angewiesen – ‚politische Unternehmer‘ unter dem ‚Deckmantel
einer Ideologie‘
• Verfolgen eine Zweckrationalität
• Policies spielen eine nicht mehr so große Rolle, da diese sich unter allen Parteien annähern

Parteien entstehen aus Konfliktlinien, Lipset und Rokkan, 4 Cleavages


Zentrum vs. Peripherie (dominante vs. unterworfene Kultur)
- Entsteht durch die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg
- Hieran entstehen christliche und Regionalparteien

Staat vs. Kirche


- Streitpunkt: Laizismus/Rolle der Kirche im Staat und der Gesellschaft
- Entsteht durch die Französische Revolution
- Hieran entstehen liberale, konservative und christliche Parteien

Stadt vs. Land(= Industrie vs. Agrargesellschaft)


- Entsteht durch die Industrielle Revolution
- Hieran entstehen liberale, konservative und Agrarparteien

Arbeit vs. Kapital


- Entsteht durch die Oktoberrevolution
- Hieran entstehen liberale, sozialdemokratische und kommunistische Parteien

Materialismus vs. Postmaterialismus (Inglehart)


- Entsteht durch die ‚silent revolution‘ (möglich, nachdem alle materiellen Grundbedürfnisse
gestillt sind)
- Hieran entstehen grüne Parteien

Konzept: Cleavages sind nicht identisch mit permanenten Konflikten, sie sind vielmehr latent.
• Soziale Gruppen gehen Koalitionen mit bestimmten Parteien ein.
• Diese Koalitionen sind dauerhaft
• Indikator: Überproportionale Wahlentscheidung sozialer Gruppen für eine Partei

Konfliktlinien entstehen aus Revolutionen (Französische Revolution ist Staat vs. Kirche, Industrielle
Revolution ist Stadt vs. Land)
Neue Konfliktlinie: Materialismus versus Postmaterialismus
➔ Ronald INGLEHART (1977): Silent Revolution
➔ Gesellschaftlicher Wandel Wertewandel
➔ Empirisch: Je reicher ein Land, desto höher der Stimmenanteil „Grüner Parteien“ (Seit 1980:
erfolgreich in Wahlen)

3) Phasen der Parteiensystementwicklung


• These Lipset Rokkan : Frozen Party Systems nicht haltbar

34
Neuzulassungen nach dem 2WK – zersplittertes Parteiensystem
Konsolidierung in den 50ern – 2,5 Parteiensystem
Pluralisierung seit den 80ern (die Grünen)
Seit Wiedervereinigung: fluides Fünfparteiensystem, das sich weiter zersplittert; bipolarer
Fragmentiert (linkes und rechtes Lager)

Parteiensystemklassifikation nach Duverger

Kriterium der Zahl entscheidend: Erweiterung bei Sartori :


- Zweiparteiensystem - Kriterium der relevanten Anzahl von Parteien
- Mehrparteiensystem - Parteisystemfragmentierung
- Vielparteiensystem - Ideologische Distanz

Wandel von Parteiensystemen: Duvergers „Entwicklungsgesetze“


VWS führt zu starren, stabilen VPS
MWS mit Stichwahl führt zu elastischen VPS
MWS ohne Stichwahl führt zu 2PS

Sartoris Parteiensystemschema

Zentripetaler Wettbewerb: um die


politische Mitte

Zentrifugaler Wettbewerb: um die


politischen Ränder

Typus parteinsystem
Einparteiensysteme – Nur eine legale Partei die mit dem Staat verschmilzt
Hegemoniales PS – Opposition nur Fassade (Bsp. Russland)
Prädominantes PS – Einparteienregierungen ohne Wechsel (Japan, Südafrika, Singapur)
2PS – Einparteienregierungen die sich abwechseln (USA)
Moderates MPS – zentripetaler Wettbewerb, Koalitionen, mehrere ungleichgroße Parteien (Öst)
Polarisiertes MPS – zentrifugaler Wettbewerb, Koalitionen des Zentrums mit den Rändern (Weimar
– SPD, Zentrum, DDP)
Bipolares PS – zwei Blöcke, die in Wahlbündnissen antreten, untereinander Koalieren und sich
abwechseln (Schweden, Deutschland)

4) Alle gleich? Zur Programmatik der Parteien

35
Konvergenz von Parteien?
Kirchheimer: Volksparteien sind „Allerweltsparteien“ (austauschbar)
Rational-choice Modell spricht dafür, dass Parteien sich annähern um vom Mediawähler gewählt zu
werden
Empirische Untersuchungen: große Unterschiede und Lager anhand von Voting Advice Applications
beweisbar (aber: misst nur die Selbstdarstellung, Programme der Parteien)

5) Kriterien zur Analyse von Parteisystemwandel (NIEDERMAYER)

7 Aspekte nach Niedermayer:


• Fragmentierung (Zahl und Anteil der Parteien)
• Asymmetrie (Dominanz der stärksten Partei)
• Volatilität (Fluktuation der Stimmen zwischen Parteien)
• Polarisierung (ideologische Distanz zwischen den Parteien)
• Format (Zahl der Parteien)
• Segmentierung (Grad der Koalitionsbereitschaft/Abschottung)
• Legitimität (Wahlbeteiligung)

1) Fragmentierung
RAE-Index (0: nur eine Partei; 1: maximal fragmentiert)
RAE = 1 – ΣPi ²

Anzahl effektiver Parteien (Laakso und Taagepera)


AZE = 1 / ΣPi ²

2) Asymmetrie
Differenz zwischen der stärksten und zweitstärksten Partei

3) Volatilität
Nimmt zu, da Parteienbindung abnimmt
In Ostdeutschland höher als in Westdeutschland
Wenn man sie Brutto misst ist sie noch höher, da ‚Wahlwanderung weg von X‘ nicht von
‚Wahlwanderung zu X‘ ausgeglichen wird

4) Polarisierung
Varianz-Formel:
POLARISIERUNG = Σ Pi (LEFTRIGHTi– PASYSAV)²

PASYSAV (Party System Average):


Durchschnittlicher LEFTRIGHT-Wert (Σ Pi (LEFTRIGHTi) / Np)
LEFTRIGHT-Werte müssen gesetzt werden

5) Format
Zahl der Parteien im Parlament
Zahl der Parteien die mehr als 0,5% der Stimmen erhalten haben (Sartori, Anzahl relevanter
Parteien)

6) Segmentierung
parlamentarische Segmentierung: Anteil politisch unmöglicher Koalition an rechnerisch
möglichen Koalitionen

36
Elektorale Segmentierung:
Anteil an Wechselwähler zwischen Parteien

7) Legitmität
Wahlbeteiligung abnehmend im Westen – Krise?
Asymmetrische Demobilisierung: Strategie, Wählerschaft der Gegnerparteien zu
demobilisieren indem kontroverse Inhalte nicht engagiert werden (Merkel?)

Zusätzliche Indikatoren
• Regionalisierung
• Extremistische Parteien bzw. Antisystemparteien
• Parteienstruktur bzw. Orientierung (im Sinne von Katz und Mair)
• Programmatik der Parteien

Vorlesung 9: Parlamentarismus und Gesetzgebung

Merkmale des Parlamentarismus


• Homogene Parteien
• Hohe Fraktionsdisziplin, insbesondere der Mehrheitspartei(en)
• Starke Parteiführung (i.d.R. im Parlament)
• Exekutive ist Agent der Mehrheitspartei
• Einheit von exekutiver Führung und Mehrheitspartei (D: Kanzlerdemokratie)

Positiver Parlamentarismus:
Parlament bildet die Regierung durch Investiturabstimmung (aktive Zustimmung)

Negativer Parlamentarismus:
Regierungsoberhaupt braucht nur das Vertrauen des Parlaments (nur nicht aktive Ablehnung)

2) Der Repräsentationsgedanke
• Politische Repräsentation ist die Wechselbeziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten in
einer Repräsentationsinstitution, meist einem Parlament.
• Grundlage hierfür ist
- eine Rechtsordnung, in der die Beziehung rechtlich geregelt wird
- die Responsivität der Repräsentanten
- das Vertrauen der Repräsentierten
- die Bestätigung der Repräsentationsbeziehung in Wahlen (Verantwortlichkeit = Accountability)
- Wettbewerb zwischen Repräsentanten (Regierung Opposition)
- beide Akteursgruppen können unabhängig voneinander handeln

Das Konzept bei Pitkin (1967)


1) Formalistische (Wortbedeutung) der Repräsentation
Autorisieren, Rechenschaftspflichtig sein
2) Standing For Perspektive
Deskriptive Repräsentation bzw. ein symbolisches Darstellen anderer.
3) Acting For Perspektive
Handeln anstelle oder im Interesse anderer, substantive representation “

Was kann am Repräsentationsprinzip kritisiert werden, was muss beachtet werden, was
kann geändert werden?
37
• Rousseau: keine Willensvermittlung, Identität von Repräsentant und Repräsentiertem (=direkte
Demokratie)
• Problem der gleichen Repräsentation aufgrund von unterschiedlicher Partizipation
• Vetospieler beschränken die macht der repräsentativen Organe
• Populistische Kritik: Elitäre Repräsentanten, die nicht wissen wozu sie abstimmen, und nur im
eigenen Interesse handeln

Aktuelle (teils populistische) Kritiken


• Das Parlament weiß kaum worüber es abstimmt (z.B. Griechenland Paket, Krisenpakete nach 2008,
Corona Politik)
• Parlamentarier sind abgehoben vom täglichen Leben der „Normalbürger“ (Sozialstruktur
• Parlamentarier sind nur auf das eigene Fortkommen aus
• Parlamentarier erhöhen ihre Einkommen selbst, während woanders die Einkommen gekürzt werden.

Funktionen des Parlaments


• Wahlfunktion (Rekrutierungsfunktion)
- Wahl des Bundeskanzlers
- Wahl des Bundespräsidenten (Bundesversammlung)
- Wahl der Hälfte der Bundesverfassungsrichter
- Wahl der Bundesrichter
- Wahl des Wehrbeauftragten
• Artikulationsfunktion (Repräsentationsfunktion)
- Gesellschaftliche Repräsentation versus Responsivität
- Verhältnis von Repräsentanten und Repräsentierten (Abgeordnete und Wähler)
- Werden die Bedürfnisse der Wähler artikuliert?
- Pluralistischer Wettbewerb als Voraussetzung
• Initiativfunktion
- Politische Vorschläge und Konzepte sollen aus dem Parlament heraus entwickelt und formuliert
werden
- Eigentlich: Regierung und Opposition
- Parlamentsfraktionen fehlen Ressourcen für konzeptionelle und strategische Überlegungen
• Gesetzgebungsfunktion
- Politik wird über Gesetze und Verordnungen umgesetzt
- Nach Max Weber (1920) führt Bürokratie auf Basis von Gesetzen zu effizienter Herrschaft.
- Konkurrierende Institutionen: Direkte Demokratie
- Indikatoren:
o Zahl der Gesetze
o Qualität der Gesetze
o Policy Wirkung der Gesetze
o Geschwindigkeit der Gesetzgebung
- Probleme: Permanenter Wahlkampf, Vetospieler
• Kontrollfunktion
- Kleine und Große Anfragen
- Schriftliche Fragen und Fragestunden
- Regierungsbefragungen
- (Konstruktives Missverstrauensvotum)
- Zitier und Interpellationsrecht (Art. 43 Abs. 1 GG)
- Rede und Antwort“; Anfragen an BReg , §§ 100 GOBT
- Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG)
- Mitwirkung in Ausschüssen/Parlamentsarbeit

38
Funktionserfüllung durch den Bundestag
- Wahlfunktion erfüllt
- Artikulationsfunktion teilweise erfüllt
- Initiativfunktion wenig erfüllt
- Gesetzgebungsfunktion bedingt erfüllt (Vetospieler können behindern)
- Kontrollfunktion bedingt erfüllt (NSA!)

3) Präsidentialismus vs. Parlamentarismus: Abgrenzungen

• Regierungssysteme in westlichen Demokratien lassen sich in parlamentarische und präsidentielle


Systeme unterscheiden.
• Beides sind Grundformen der repräsentativen Demokratie.
• Die Unterscheidung bezieht sich auf die Polity Ebene.
• Begründung für Präsidentialismus : Gewaltentrennung sowie checks and balances

Das präsidentielle System:


Begründung des Präsidentialismus: Gewaltentrennung (bspw. checks and balances)
→ Regierungschef und Parlament direkt vom Volk gewählt
→ Beide Institutionen voneinander unabhängig
→ Inkompatibilitätsgebot
→ der Fortbestand der Regierung ist von der parlamentarischen Mehrheit unabhängig
→ monistische Exekutive (Regierungschef und Staatsoberhaupt in einer Person einigt bzw. Präsident)
→ feste Amtszeit (i.e. unmögliche Abberufung des Präsidenten / Auflösung des Parlaments)
→ schwache Fraktionsdisziplin

• Typologie nach Winfried Steffani:


2 Kriterien:
- (1) Präsidentielles Regierungssystem i.e. geschlossene Exekutive
(2) Parlamentarisches Regierungssystem i.e. doppelte Exekutive
- (a) monarchische Form
(b) republikanische Form

(1) Präsidentiell (2) Parlamentarisch


(geschlossene) (doppelte Exekutive)
(a) Monarchisch Konstitutionelle Monarchie Großbritannien
Dt Kaiserreich 1871 Schweden
(b) Republikanisch • Präsident als Inhaber der BRD
exekutiven Macht (USA) Österreich
• Präsident im Ministerrat
(Brasilien)
• Kollegialregierung
(Schweiz)

Wichtigstes Kriterium laut Steffani:


Recht des Parlaments, die Regierung abzuberufen / Recht der Regierung, das Parlament aufzulösen

• Typologie nach Shugart/Carey


(1) Grad der Gewaltentrennung (i.e. Abhängigkeit des Kabinetts und der Parlaments voneinander)
(2) Bestimmung des Kabinetts/Regierung vom Präsident
→ Zahlreiche Hybridtypen (bspw. USA hohes 1 und 2, Russ niedriges 1 hohes 2, usw.)

39
► Präsidentiell-parlamentarisches System
• Präsident direkt vom Volk gewählt und feste Amtszeit
• Präsident ernennt und entlässt die Minister
• Minister sind abhängig vom parlamentarischen Vertrauen
• Präsident kann entweder das Parlament auflösen oder hat gesetzgeberische Kompetenzen
bspw. Russland, Weimar, Portugal 1976, Namibia, Peru

► Premier-präsidentielles System
• Präsident direkt gewählt
• Es gibt einen Premier-Minister und ein Kabinett, die von der Zustimmung und dem Vertrauen des
Parlaments abhängig sind
• Präsident kann Parlament nicht auflösen (≠ FR)
• Weitgehende Macht Befugnisse des Präsidenten (mit Premier und Kabinett geteilt)
• Premier und Kabinett haben die exekutive Macht
bspw. Fr (≈), Österreich, Finnland, Island, Portugal 1982

► Semipräsidentielles System (nach Duverger 1980)


• Direkte Wahl des Präsidenten
• Präsident besitzt wichtige Kompetenzen
• Doppelte Exekutive
• Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig
ABER Art. 12 FR: Präsident kann nach Beratung mit dem Premierminister und den Präsidenten der
parlamentarischen Kammern die Nationalversammlung auflösen
• Inkompatibilitätsgebot
bspw. Fr, Österreich, Finnland, Osteuropa

• Legislative Macht von Präsidenten:


- Vetorechte (line item veto, pocket veto)
- Gesetzinitiative
- Budgetrechte
- Verordnungen
- Anberaumung von Volksabstimmungen

Das parlamentarische System:


• Die Regierung gehört zum Parlament
• Misstrauensvotum des Parlaments gegenüber der Regierung möglich (Prozedere variieren je nach
Land)
• Auflösung des Parlaments durch die Regierung möglich
• Doppelte Exekutive
• Starke Fraktionsdisziplin

4) Der deutsche Bundestag


Eher Arbeitsparlament als Redeparlament.
Es gibt einen Bundestagspräsident.
→ Präsidium: Bundestagspräsident + Stellvertreter
→ Ältestenrat: Bundestagspräsident, Vizepräsident + Mitglieder von Fraktionen zu benennen.

• Ausschüsse im Parlament:
- Die Geschäftsordnung des Bundestages regelt ihn
- 20-25 Ausschüsse im BT (eins für jeden wichtigen Bereich)
- Vorbereitende Rolle → Erarbeitung von Beschlussempfehlungen
- Fraktionslose Ausschüsse haben kein Stimmrecht
40
→ Besondere Ausschüsse des BT:
- Untersuchungsausschüsse
- Gemeinsamer Ausschuss: 48 Mitglieder, wobei 2/3 aus dem BT und 1/3 aus dem Bundesrat →
Notparlament im Verteidigungsfall.
Entscheidungen des gemeinsamen Ausschusses werden mit einer 2/3 Mehrheit der
abgegebenen Stimmen getroffen, mindestens 2/3 der Mitglieder.
- Vermittlungsausschuss

5) Der Gang der Gesetzgebung


Es gibt verschiedene Arte von Gesetzen: Zustimmungspflichtige- und Einspruchsgesetze.
3 Organe können Gesetzinitiative formulieren: Regierung, Bundestag, Bundesrat.

• Gesetzgebung im Grundgesetz:
- Art. 30: Aufgabe der Länder, solange es nicht im Grundgesetz erwähnt wird.
- Art. 70: Die Länder haben die Gesetzgebungskompetenz, solange das Grundgesetz es nicht
anderen Organen verleiht + Die Abgrenzung zwischen Bund und Länder ist im Grundgesetz
festgelegt.
- Art. 71: Bundesländer haben die Befugnis der Gesetzgebungskompetenz nur wenn es in einem
Bundesgesetz festgelegt worden ist.
• Gesetzgebungszuständigkeiten:
- Ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit: nur das Bund hat die Gesetzgebungskompetenz in
festgelegten Bereichen.
- Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 72): Bundesländer werden gesetzgeberisch
tätig, nur wenn der Bund keinen Gebrauch von seinen Gesetzgebungskompetenz gemacht hat
(bspw. Straf- oder Arbeitsrecht; d.h. der Bund kann bedingungslos tätig werden).
→ Die Bereiche, die unter konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit fallen, sind im Art. 74
benannt.

• Abgrenzung der Gesetzgebung:


- Bund: Alles, was die EU betrifft
- Länder: Kultur, Polizei, Bildung, Schule, Presse
- (Rahmengesetzgebung, aber heute abgeschafft)
- Konkurrierende Gesetzgebung: Versammlungsrecht, Wirtschaftsrecht, Umweltrecht,
Straßenverkehr, usw.

• Gesetzgebungsprozess:
1) Gliederung in drei Verfassungsabschnitte
2) Einleitungsverfahren
3) Hauptverfahren
4) Abschlussverfahren

Wer bringt das Gesetz ein? - Unterschiedliche Wege


1) Meistens zuerst Referentenentwurf (1. Entwurf)
2) Kabinettsvorlage und Regierungsentwurf
3) Bundesrat (1. Durchgang Fristen sind zu beachten)
4) Behandlung im Bundestag: 3 Lesungen plus Schlussabstimmung
5) Behandlung im Bundesrat (2. Durchgang)
6) Gegebenenfalls Vermittlungsausschuss
7) Dann Weg abhängig ob Einspruchs oder Zustimmungsgesetz
8) Gegenzeichnung durch Regierung
9) Ausfertigung durch Bundespräsidenten und Verkündung im BGBL (Bundesgesetzblatt)

• Gesetzgebungsstatistik:

41
- 56% Regierungsvorlage // 9% Initiativen des Bundesrates // 34 Initiativen aus der Mitte des
Bundestages
- 64% Der Entwürfe verabschiedet, Rest scheiterte
- Aus den Verabschiedeten: 75 aus der Regierung // 3.6 aus dem Bundesrat // 18% aus der Mitte
des Bundestages

6) Europäisierung der Gesetzgebung

 Gesamtdurschnitt: 39.1%

Föderalismusreform und Zustimmungsbedürftigkeit


• Art. 84, 1 GG Hauptursache für Zustimmungsbedürftigkeit (Ausführungsverwaltung)
• Parl. Rat, Zustimmungsgesetze minoritär (ca. 25 Prozent)
• Ziel: Föderalismusreform 35/40 Prozent
• Evaluation nach 1 Jahr (09/06 09/07): 42,7 Prozent, nun Fragen der Finanzverfassung
• Allerdings Art 84,1 n.F. weniger wichtig geworden
• Abweichungsregeln als Innovation

Vorlesung 10: Die Regierung und Koalitionsbildung

Aufgaben von Regierungen


• Politische Steuerung (inkl. pol. Führung)
- Gesetzesinitiative
- Programmentwicklung
- Internationale Verhandlungen
• Durchführung von Policies
- Durchführung von Gesetzen
- Regierung als Spitze der Exekutive
- Vielfältige Policies implementieren

Machtressourcen der Regierung:


- Finanzressourcen
- Personalressourcen
- Gesetzgebungsressourcen
- Mediale Ressourcen
- Steuerungsressourcen (Recht, Geld, Hierarchie, Überzeugung)

Differenzierung von Regierungen


• Einparteien Mehrheitsregierungen
• Einparteien Minderheitsregierungen
• Kleinstmögliche Koalitionen (minimal winning / minimum winning)
• Übergroße Koalitionen (surplus)
• Mehrparteien Minderheitsregierungen
• Übergangsregierungen

Faktoren der Regierungsstabilität:


• Status als Regierung (z.B. Caretaker )
• Die Schwierigkeit für vorgezogene Neuwahlen
• Die Fragmentierung der Regierung
• Die Fragmentierung der Opposition

42
• Große ideologische Distanz / extremistische Parteien
• Die Parlamentsgröße
• Das Wahlsystem
• „Ältere“ Demokratien weisen stabilere Regierungen auf als „jüngere“ Demokratien

Dualismus Regierung Opposition


• Fundamentalopposition lehnt nicht nur die Regierungsarbeit, sondern auch das gesamte politische
System eines Staates ab.
• Kompetitive und kooperative Opposition sind die beiden Idealtypen parlamentarischer
Oppositionsarbeit.
• Opposition kontrolliert die Regierung, zahlreiche Kontrollmöglichkeiten:
- kleine und große Anfragen im Bundestag
- Untersuchungsausschüsse
- Fragestunden , die Möglichkeit, Regierungsmitglieder für eine Befragung zu einem Sachverhalt
in den Bundestag herbeizuzitieren
- das konstruktive Misstrauensvotum
- die abstrakte Normenkontrolle

Die Wahl des Kanzlers (Art. 63)


(1) Auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt.
(2) Mehrheit der Stimmen des Bundestages erforderlich, dann ernannt vom Bundespräsidenten.
(3) Falls der Vorgeschlagenen nicht gewählt wird, darf den Bundestag einen neuen Kandidat binnen
14 Tagen mit der absoluten Mehrheit der gesamten Stimmen wählen.
(4) Falls dieses Verfahren auch scheitert, geschieht ein neuer Wahlgang und gewählt wird, wer die
meisten Stimmen erhält. Falls der Gewählte die Mehrheit der Stimmen des Bundestags auf sich
einigt, soll der Bundespräsident ihn binnen 7 Tagen ernennen. Schaft es er nicht, fällt es dem
Bundespräsidenten zu, ihn binnen sieben Tagen zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Regierungsprinzipien:
- Kanzlerprinzip: Der Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik.
- Ressortprinzip: Jeder Minister führt seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener
Verantwortung.
- Kabinettsprinzip: Beschlüsse der Regierung werden von allen Mitgliedern des Kabinetts und
durch das Mehrheitsprinzip getroffen.

2) Machtwechsel
Machtwechsel: Veränderung der parteipolitischen Zusammensetzung über politische Lagergrenzen
hinweg.
Bis 1998 Koalitionswechsel entscheidend → Faktoren aus der Wahlforschung als Erklärungsgröße

3) Kanzlerdemokratie nach Niclauss

• Durchsetzung des Kanzlerprinzips (Richtlinienkompetenz entscheidend)


• Prestige des Kanzlers, mediale Präsens
• Vorsitz der großen Regierungsparteien
• Dualismus zwischen Regierungslager und Opposition
• Der Bundeskanzler ist in der Außenpolitik stark engagiert

Kritik an dem Konzept der Kanzlerdemokratie


• Akteurszentriert
• Sschwer operationalisierbar

43
• Strukturelle und institutionelle Aspekte des Regierungssystems werden vernachlässigt
• Akteurs versus Systemtheorien

4) Wie werden Regierungen gebildet?

• Grund bzw. Ausgangslage sind Koalitionstheorien, die auf spieltheoretischen Überlegungen basieren
• Office Seeking versus Policy Seeking
• Als Ausgangsbasis der Überlegungen dient die kleinstmögliche Koalition ( minimal winning coalition
• Nachteil der Koalitionstheorien war jedoch ihre „Politikblindheit“.
• Ein Parteien Regierungen sind die extreme Form einer minimal winning coalition
• Unklar blieb, was wichtiger ist: Die Anzahl der erreichten Mandate (Machtmaximierung) oder die
Maximierung der intendierten Policies

Die 6 Arten von Koalitionstheorien

1) Minimal winning coalition (MWC)


Jede mögliche Koalition über 50% bei der alle Partner notwendig sind

2) Minimum size coalition (MSC)


Die MWC mit der kleinsten Mehrheit – keine unnötig starken Koaltionsmitglieder

3) Bargaining position (BP)


Die MWC mit der kleinsten Zahl an Parteien – einfachere Verhandlungen

4) Minimal range (MR)


Die MWC mit dem geringsten politischen/ideologischen Abstand der Koalitionsmitglieder (für uns: 1
Punkt Abstand zwischen jeder Partei)

5) Minimal connected winning (MCW)


Die MWC mit auf dem politischen/ideologischen Spektrum nebeneinander liegenden Parteien

6) Policy viable coalition (PVC)


Die MWC mit dem geringsten Abstand zur politischen Mitte – mit Varianz gemessen

• Nach Gamson‘s Law werden die Ministerposten zumeist sehr proportional entsprechend der
relativen Stärke der Regierungsparteien im Parlament aufgeteilt ( Gamson 1961)
• Der dritte Ansatz der Koalitionstheorien ist der sogenannte Portfolio Allocation Ansatz von Laver
und Shepsle (1996).
• Geht davon aus, dass es Parteien nicht nur darum geht, irgendwelche Ministerämter zu
besetzen, sondern dass sie gezielt in den für sie zentralen Politikfeldern die Minister stellen
wollen eine grüne Partei beispielsweise das Umweltministerium dem Finanzministerium
vorzieht.

Koalitionstypbeipsiel:
Jamaika (Schwarz / Gelb / Grün)
Ampel (Rot / Gelb / Grün)

6) Warum scheitern Regierungen?

• Ende der Legislaturperiode (46% international vs. BRD: 85%)

44
• Koalitionskonflikte (17%)
• Freiwilliger Rücktritt (13%)
• Gesundheitliche Probleme/Tod des Regierungsoberhaupt
• Verlust der parlamentarischen Mehrheit
• Intervention des Staatsoberhaupt

Abnutzungseffekt
Oppositionsparteien gewinnen bei Wahlen im Durchschnitt 1,3% mehr als in den Wahlen davor
Regierungsparteien verlieren 2,4%
> Abstrafung nimmt zu, weil Parteibindung abnimmt

7) Parteiendifferenztheorie

> parties do matter


• Verschiedene Parteien führen zu verschiedenen Ergebnissen in Staatsführung; da Parteien
responsiv sind (Ideen ihrer Wählerschaft aufnehmen und versuchen umzusetzen)
• Linke Parteien streben nach mehr Umverteilung
• Rechte Parteien wollen Ausgaben begrenzen
• Neue Achse: Nachhaltigkeit?
• Differenzierung besonders bei Steuer- und Abgabefragen messbar

Policy-Zyklus-Begriff:
Der Policy-Zyklus ist ein heuristisches Modell (i.e. hilft zum besseren Verständnis eines Sachverhalts)
zum Ablauf der Politik:
- Output: Aktivitäten, die auf die Akteure zurückzuführen sind.
- Impact: Veränderungen bei den Adressaten der Politik
- Outcome: Auswirkungen der staatlichen Aktivitäten

Theorien der Staatstätigkeitsforschung


als Erklärungsmodell

45
Vorlesung 11: Föderalismus und Bundesrat

1) Föderalismus

• Föderalismus bezeichnet die Aufteilung staatlicher Kompetenzen der Exekutive, Legislative und
Judikative auf verschiedene Ebenen eines Staates
• Kommt aus dem lateinischen Foedus = Vertrag
• Föderalismus ist ein politisches Ordnungsprinzip
• Kombination von Einheit und Vielfalt
• Funktion 1: Kernelement in einem gewaltenteiligen System von Checks und Balances
• Funktion 2: Prinzip der Machtverteilung
• Funktion 3: Integration divergenter sozialer Gruppen

- Vertrag zwischen Ländern, der (vertikale) Gewaltenteilung regelt


- Soll die Vielfalt eines Staats garantieren (deswegen mehr in großen oder diversen Staaten)
- Historisch bottom-up, mit Schutzgedanken entstanden; (USA, CH, CAN)
Aktuell top-down (devolution im UK) und Wettbewerbsgedanke (SPA, BEL, UK, ITA)
- Messung anhand von Finanzverteilung – wer bekommt die Steuereinnahmen (BRD: 50-50)
- Kritik: Rentseeking durch Föderalismus – Länder lassen sich Kooperation bezahlen?
Gegenteil: Unitarismus

Föderalismus vs. Einheitsstaat (nach Schulze)

Klassifikation nach Schulze Zentripetaler Föderalismus,


Gleichheit der Lebensbedingungen
Einheitsstaat (Israel)
Dezentraler Einheitsstaat (Fr)
Unitarischer Bundesstaat (BRD)
Konföderaler Bundesstaat (USA)
Mehr Eigenständigkeit,
Staatenbund (EU) Zentrifugaler Föderalismus
Allianz

46
Föderalismustypen:
- Kompetitiv vs. kooperativ (Zusammenarbeit)
- Symmetrisch vs. asymmetrisch (Kompetenzen)
- Dual vs. Verbund (Aufgabenteilung)
- Bottom-up vs. top-down
- Vollzugsföderalimus

Argumente für Föderalismus Argumente gegen Föderalismus


Wettbewerb > Effizient, Innovationsfördernd Ineffizient bei Kleinräumigkeit
Integration verschiedener Gruppen Dopplung von Aufgaben
Subsidiarität (Problemadäquat) Teuer; rent-seeking
Stabilität Erschwert Reformen, Planung und Führung
(Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners)
Machtbegrenzung Erschwert Verantwortungszuordnung
Schutz gegen Tyrannei der Mehrheit Legitimation

2) Bikameralismus im internationalen Vergleich

Institution der Machtteilung (Chambre de réflexion)


aber Demokratietheoretisch umstritten >Blockaden :
- gelöst durch Vermittlungsausschuss,
- Navette-Verfahren, etc.
- oder: Abschaffung der 2K,
- Große Koalitionen,
- Neuernennungen,
- Auflösung,
- gleiche Wahltermine,
- Entmachtung

Historisch: Kompromiss mit dem Ancien Régime; von wohlhabenderen, älteren Abgeordneten besetzt (>
konservative Grundtendenz)

Bildung:
Direkt, Indirekt, Ernannt, Mischsystem/Geerbt/Korporativ
> Kompetenzen hängen von Legitimation ab – je weniger demokratisch, desto weniger Kompetenzen

Typologie Zweiter Kammern (Thränhardt)


1. Ständischer Bikameralismus (UK)
2. Föderaler Senat (USA, SUI)
3. Indirekt gewählte zweite Kammern auf territorialer Grundlage (F, NL)
4. Das Bundesratsprinzip (D, AUT)
5. Korporative Gremien (IRL)
6. Ernannte Versammlungen (CAN)
7. Unterschiedliche Wahlsysteme und Wahlzeiten im unitarischen System (JAP)
8. Die identische Lösung (ITA)
9. Quasi Bikameralismus (NOR bis 2009)

47
Internationale Reformentwicklungen
➔ Wenig Beispiele für Entföderalisierung
➔ Föderalismusreform III, Aufhebung des Kooperationsverbots
➔ Kanada: Tendenzen in Richtung Bundesrat, Zentrifugalität hat abgenommen
➔ Österreich: Mehr Politikverflechtung, mehr Kompetenzen
Vorläufer: Bundesstaatsreform 1992 wurde trotz Unterzeichnung nicht umgesetzt
➔ Schweiz: Bundesverfassungreform 1999 als verpasste Chance

Bikameralismus
Unikamerale Systeme:
Keine Föderationen, geringe Bevölkerung

Merkmale 2ter Kammern:


i.d.R. kleiner, längere Amtszeiten, teilweise gestaffelt

Symmetrie/Asymmetrie:
2K haben i.d.R. weniger Kompetenzen/Macht
> aufgrund fehlender demokratischer Legitimität

Kongruenz/Inkongruenz:
Häufig inkongruent da sie bestimmt Minderheiten überrepräsentieren
• Regionen > Gleichheit föderaler Einheiten
• Klassen > Überbleibsel des Ancien Régime

Bikameralismus – Klassifikation
Empirisch gemessen:
Starker Bikameralismus Positiver Zusammenhang zwischen Grad
der Föderalisierung/Dezentralisierung
Symmetrisch und inkongruent
und stärke der zweiten Kammer
Mittelstarker Bikameralismus
Symmetrisch oder inkongruent
Schwacher Bikameralismus
Asymmetrisch und kongruent
Unikameralismus

3) Der Bundesrat als Zweite Kammer


• Der Bundesrat ist eines der fünf ständigen Verfassungsorgane Deutschlands.
• Im Gesetzgebungsprozess ist der Bundesrat als Zweite Kammer eine machtvolle Institution.
• Gesetze, die die Interessen der Länder berühren, können nur in Kraft treten, wenn ihnen der
Bundesrat zustimmt.

Bundesrats versus Senatsprinzip


BVerfG: Keine zweite Kammer die gleichwertig am Gesetzgebungsverfahren beteiligt ist!
Bundesratsprinzip: Ländervertretung durch die Exekutiven der Länder
Senatsprinzip (USA): Ländervertretung durch die Wählerschaft der Länder (Staaten)

48
Der Deutsche Bundesrat
• Königsteiner Abkommen (1950): Präsidentschaft des BR wechselt jährlich zwischen den
Ministerpräsidenten und wird einstimmig gewählt
• 69 Stimmen (4–6 pro Land); Länder können nur einstimmig abstimmen > sonst Enthaltung
Stimmrechte abhängig von Einwohnerzahl:
mindestens 3 Stimmen je Bundesland
➔ über 2 Mio Einwohner: 4 Stimmen
➔ über 6 Mio Einwohner: 5 Stimmen
➔ über 7 Mio Einwohner: 6 Stimmen
• Mehrheit 35 stimmen ; Verfassungsändernde Mehrheit liegt bei 46 Stimmen
• Zwingt Zentralstaat und Gliedstaaten zur Kooperation (Konsensdemokratie) – Opposition hat
immer durch den BR mitregiert (Schmidt: DE als Staat der impliziten Großen Koalition)
• Föderale Konfliktline manchmal durch Parteienwettbewerb überlagert

Die Messung der parteipolitischen Zusammensetzung


Welcher Partei gehört der Ministerpräsident an

ABC-Ansatz
A SPD-geführt: A Länder
B CDU/CSU-geführt: B Länder
C von Beiden (große Koalition) oder keiner von Beiden geführt: C Länder

ROM Ansatz:
R Regierungsländer
O Oppositionsländer
M Mischländer

Die Differenz besteht in der Behandlung des kleinen Koalitionspartners bzw. kleiner Parteien

Probleme der Messungen


- C/M-Länder geben keine Auskunft über Abstimmungsverhalten – werden immer mehr
- Länderregierungen entscheiden nicht immer nach parteipolitischem Interesse – BR ist
Ländervertretung

Entstehungsursachen für asymmetrischen Föderalismus


• Deutschland als asymmetrischer Föderalismus
• Aufstand der Ethnien und Regionen , die im Nationsbildungsprozess zu kurz gekommen sind
(soziokulturelle Merkmale)
• wirtschaftliche Ungleichgewichte , die durch Globalisierung, Europäisierung, Migration und
divergente ökonomische Entwicklungen innerhalb der Nationalstaaten entstanden sind
(sozioökonomische

Formen des asymmetrischen Föderalismus


• De jure Asymmetrien
- durch die Verfassung
- durch unterschiedliche Kompetenzen
- Vertretung in Zweiten Kammern
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• De facto Asymmetrien
- durch das Selbstbestimmungsrecht
- bewirkt durch die Parteiendynamik
- unterschiedliche Wirtschaftskraft
- Asymmetrien durch die Finanzverfassung

5) Föderalismusreformen in Deutschland nach 2000


Föderalismusreform I
Abbau von Entscheidungsblockaden (Zustimmungsgesetze reduzieren) > Wagschal: Senatslösung

Föderalismusreform II
Neuordnung Finanzbeziehungen Bund-Länder, Schuldenbegrenzung

„Föderalismusreform III“
Neuordnung Länderfinanzausgleich, sekundär horizontaler Finanzausgleich abgeschafft (keine große
Änderung, mehr macht für den Bund)

Ziele Föderalismusreform
1. Reform der Bund Länder Beziehungen
2. Handlungs und Entscheidungsfähigkeit verbessern
3. Politische Verantwortlichkeiten deutlicher zuordnen
4. Effizientere und zweckmäßigere Aufgabenerfüllung

Wesentliche Maßnahmen Föderalismus


•Zustimmungspflicht im Bundesrat: Reduktion der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze
• Abschaffung Rahmengesetzgebung Zuweisung zu Bund / Land (Versammlung / Ladenschluss)
• Bund erhielt mehr Mitsprache im Hochschulrecht
• Natur u. Umweltschutz ( konk. Gesetzgebung)
• Beamtenrecht ( flex. Besoldung)

Verfahren zur Lösung von Entscheidungsblockaden und Divided Government


• Navette Verfahren
• Gemeinsame Kommissionen (Vermittlungsausschuss)
• Spezielle Verfahren: Differenzbereinigungsverfahren
• Zurückweisen von Vetos
• Ernennungsrechte zur Kehrung von Mehrheiten

Einfache Lösungen auf Basis internationaler Erfahrungen


• Abschaffung der Zweiten Kammer (z.B. in Neuseeland, Schweden und Dänemark, Norwegen ab 2009)
• Bildung Großer Koalitionen (z.B. Schweiz, Österreich oder Niederlande)
• Bündelung von Wahlterminen (z.B. Frankreich)
Ziele der Föderalismusrefom III
• Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern
• Vorgeblich „Entlastung der Länder“, weil asymmetrisches Verhältnis von Geber und Nehmerländern
• Stärkung finanzschwacher Kommunen
• Föderalismusreform III: 07/2017 Grundgesetzänderung zur Neuordnung bundesstaatlichen
Finanzbeziehungen neu gestaltet
• Gültigkeit der Reform ab 2020
• Bemerkenswert: Einigung der Länder untereinander

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6) Finanzausgleich (FA) Kriterien
• Einnahmekraftausgleich
• Bedarfe werden berücksichtigt
• Subnationaler Ausgleich (Ja / Nein)
• Kommunen berücksichtigt
• Zahl der Ausgleichstransfers
• Zuweisungen frei oder zweckgebunden
• Höhe der Umverteilung
• Stärke des Ausgleichsgrades
• Mischung: vertikaler und horizontaler FA
Gründe für Finanzausgleich
- Gerechtigkeit / Solidarität: Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
- Externatlitäten verringern
- „Versicherung“

→ Evaluation seit 1965: Zahl der Empfänger, Varianz zwischen den Ländern und
Umverteilungsmasse nehmen zu. Transgers machen abhängig.
Ist also Geld das richtige Steuerungsmodus?

7) Policy Effekte des Föderalismus

Policy-Effekte
Keine (im Finanzierung oder verschiedeen Policystypen)
Auch kein race-to-the-bottom in Steuerfragen
Föderalismus ist aber innovationsfreundlicher, und erhöht Demokratiezufriedenheit

• Auch im internationalen Vergleich ist der Steuerstaat nicht erodiert, trotz sinkender
Unternehmenssteuersätze, leichte Zunahme der Einnahmen
• EU strebt Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung an

Vorlesung 12: Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaaten

Der deutsche Sozialstaat: Definition Sozialpolitik


System der sozialen Sicherung, dass vor den Risiken/Wechselfällen des Lebens schützen soll (Not,
Armut, Krankheit)
Bäcker: Gerechtigkeit herstellen und soziale Ungleichheit reduzieren
Zacher: Wohlfahrt mehren – Sozialausgaben sind keine „sunk costs“, Verbesserung des Lebensstandard
ist ein volkswirtschaftliches Interesse

Sozialpolitische Ziele
(1) Schutz vor Armut und Not,
(2) Soziale Absicherung gegen die Wechselfälle des Lebens,
(3) Reduktion sozialer Ungleichheit und
(4) Mehrung der Wohlfahrt eines Teils oder der Gesamtheit der Bevölkerung
Generalziel der Sozialpolitik : Soziale Gerechtigkeit

Sozialpolitik
Nicht nur Sozialversicherung:

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Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfalls-, und Arbeitslosen-versicherung (über 60% des Budget für
Sozialpolitik, aber: immer noch funktional getrieben – Nachfrage besteht)

Sondern auch :
In Steuerpolitik, durch Wohnungsbau, über Kommunen, Arbeitspolitik, Bildung, Grundsicherung (für
Arbeitslose, Kinder und Jugendliche, etc.)

Alterssicherung
Für Arbeiter und Angestellt: Über Staat, Betrieb und Privat
Für Selbstständige: teilweise Freiwillig, für Landwirte und Beamte eigene Systeme

Beiträge i.d.R. paritätisch aber: Unfallsversicherung zu 100% vom Arbeitgeber

• 60% des Sozialbudgets 2020 sind für das Sozialversicherungssysteme ausgegeben worden.
• Seit 1991, progressive Steigerung des Budgets und des Ausgebens

Finanzierung bei dritteln:


- 1/3 Zuschüsse des Staates
- > 1/3 Sozialbeiträge der Arbeitgeber
- < 1/3 Sozialbeiträge der Versicherten

2. Einführung und historische Einordnung Wohlfahrtsstaaten: Kurze Einführung


und historische Einordnung

Unterschiedliche Modelle zur Klassifizierung von Sozialpolitik


Modelle zur Klassifizierung von Wohlfahrtsstaaten:
Titmuss:
) Residuals Wohlfahrtsstaatmodell (Staat tritt nur bei Not ein – englischsprachiger Raum)
) Instruielles achievemnt-performance Modell (Leistung hängt von Einkommen ab – Kontinentaleuropa)
) Institutionelles-redistributives Modell (Leistungen sind gleich, Beitritt verpflichtend – Skandinavien)

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Bismark vs Beveridge

Genealogie der Wohlfahtsstaaten


Frühe Einführung in Autokratien – paternalistische Politik (vgl. republikanisches Frankreich:
Liberalismus > Eigenverantwortung > Bismarcks Gesetze sind „Staatssozialismus“)

Bismarcks Gesetze sind nicht nur Machtpolitik > Arbeitgeber fordern staatliche Sozialpolitik

Forschung zu Wohlfahrtsstaaten
Angelsächsische Tradition: Quantität von Ausgaben und Leistungen

Kontinentaleuropäische Tradition: Auf welche Weise werden Leistungen bereitgestellt/Ausgaben


finanziert > Modell und Klassifikationen

Esping Andersens „Drei Welten“ Esping Andersens ”Three Worlds of Welfare


Capitalism”

Esping-Andersen: Three World of Welfare Capitalism


Konstruiert 3 Idealtypen
Teilt Wohlfahrtsstaaten in 3 Cluster ein
3 Dimensionen zum Vergleich:
• Dekommodifizierung :
o Grad der Beseitigung des Warencharakters von Arbeit
o Gemessen z.B. über Urlaubszeit, Höhe von Krankenleistungen

• Interaktion von Staat Markt und Familie


o Über wen werden sozialpolitische Leistungen bereitgestellt?
o Gemessen z.B. über Vorteile für Ehepartner; Kindergeld; Höhe von Eigenbeiträgen (im
Vergleich zu staatlichen); wer erhält Subventionen (Unterstützungen über Unternehmen)

• Stratifizierung

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o Wie sehr ist die der Wohlfahrtsstaat in verschiedene soziale Gruppen eingeteilt/wer erhält
sozialpolitische Leistungen
o Gemessen z.B. über Zahl der Rentensysteme; unterschiede in Leistungsvergabe; frage der
Gerechtigkeit und der Gleichheit

Families of Nations und Policy Regimes


• Zwei Kernkonzepte, die sich teilweise überlappen:
•“Families of nations ”: definiert durch gemeinsame geographische, geschichtliche, kulturelle
und sprachliche Wurzeln
•“Policy regimes ”: qualitative Unterschiede in Policy Logiken, die zur Ausprägung
unterschiedlicher institutioneller Muster führen

Liberal Konservativ Sozialdemokratisch

Stratifizierung Bedürftigkeit Klasse und Status Staatsbürgerschaft

Staat-Markt-Familie Markt Staat und Familie Staat

Dekommodifizierung Gering Moderat/hoch Hoch

Liberales Regime

Sozialdemokratisches Regime

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Konservatives Regime

Kritikpunkte: Kritik an Esping Andersens Typologie

Einfluss von Familien und Frauen nicht angemessen berücksichtigt – Esping-Andersen antwortet mit
dem Familialismus-Konzept: viel Verantwortung (Existenzsicherung, Systemstabilität) liegt bei
Familien in einigen Systemen – dies hemmt die Beschäftigung/Kommodifizierung von Frauen

De-familialization: Grad des staatlichen/marktwirtschaftlichen Angebots um Bürde der Familie


auszugleichen

Das Konzept des Familialismus


- Beschreibt Wohlfahrtsstaaten, die den wesentlichen Teil ihrer Verantwortlichkeit auf Familien
beziehen
- Ein hoher Grad an Familialismus hemmt die Beschäftigung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt
(Kommodifizierung) und wirkt sich negativ auf die Geburtenrate aus.
”De familialization”
- Bezeichnet das Ausmaß, in dem die wohlfahrtliche Bürde von Familien durch staatliche oder
marktwirtschafttliche Angebote (oder auch durch familiäre Arrangements) abgeschwächt wird
- Ein hoher De Familialisierungs Grad begünstigt Kommodifizierung und hat einen positiven
Einfluss auf die Geburtenrate.

Empirisch fundierte Kritik


Empirische Studien ergeben mehr als nur 3
Cluster (Wagschal)

Liberal, Europäisch, Konservativ,


Sozialdemokratisch, Radikal; die EU-
europäischen Staaten werden sich immer
Ähnlicher

Nicht-Betrachtung von großen Regionen (LA, Osteuropa, Südeuropa, Asien)

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3) Public Policy Analysis
Policy Analysis is what governments do, why they do it, and what difference it makes (Dye)

Mirko- und Marko-Perspektive, Betrachtung in verschiedenen Disziplinen (VWL, PoWi, Jura,


Verwaltungswissenschaften)

Untersuchungsgegenstände:
• Öffentliche Ausgaben
• Besteuerung
• Policies in den Bereichen
o Wohlfahrt,
o Bildung,
o Umwelt,
o Transport,
o Energie,
o Landwirtschaft
• Implementation von Gesetzen

Policy-Zyklus-Begriff:
Der Policy-Zyklus ist ein heuristisches Modell (i.e. hilft zum besseren Verständnis eines Sachverhalts)
zum Ablauf der Politik:

- Output: Aktivitäten, die auf die Akteure zurückzuführen sind.

- Impact: Veränderungen bei den Adressaten der Politik

- Outcome: Auswirkungen der staatlichen Aktivitäten

Problemdefinition
> Agenda-Gestaltung
> Politikformulierung
> Implementation
> Output, Impact, Outcome
> Evaluation
> Neuformulierung oder Terminierung

Ansätze der Heidelberger Schule


- Sozioökonomische Determinanten (ältere Gesellschaft > mehr Sozialausgaben; Klimawandel >
mehr Umweltregelungen)
o Staatstätigkeit ist Reaktion auf strukturelle gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklungen
o Geringe Einflussmöglichkeit von Regierungen

- Parteiendifferenztheorie (verschiedene Regierungsparteien führen zu verschiedenen Policies)


o Staatstätigkeit ist Funktion der regierenden Parteien (unterschiedliche Couleur =
unterschiedlicher Output)
o Regierungen haben starken Einfluss

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- Institutionalistische Theorie (z. B. Vetospielertheorie)
o Staatstätigkeit unterliegt institutionellen Bedingungen der
Willensbildung/Entscheidungsfindung
o Einfluss der Regierung durch institutionelle Arrangements beschränkt

- Internationalisierungstheorie (Policy Folgen der Integration in die Weltwirtschaft >


Handlungsbegrenzung von Staaten)
o Staatstätigkeit ist Abhängig vom der Weltwirtschaft
o Einfluss der Regierung geht zurück oder verschwindet sogar, Ökonomie dominiert >
Konvergenz der Staatstätigkeit

- Rolle von Interessensgruppen (Gewerkschaften, Verbände, etc.)


o Staatstätigkeit ist Ergebnis verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Interessen und des
Kräfteverhältnis zwischen ihren Vertretern (Klassen, Organisationen)
o Einfluss der Regierung ambivalent bewertet

- Pfadabhängigkeit (Schwierigkeit grundlegende Veränderung herbeizuführen aufgrund von


institutioneller Rigidität, Erfahrung, politischer Kultur, …)
o Staatstätigkeit durch vergangene (historische) Entscheidungen bestimmt
o Einfluss der Regierung nur in der Formierungsphase einer Politik

Governanceinstrumente
• Macht
• Geld
• Sanktionen
• Verbote/Regeln/Auflagen/Gesetze
• Kontrolle und Aufsicht
• Hierarchie
• Überzeugung
• Vorbild (benchmarking)
• Empfehlungen
• Auktionen

Policies nach Lowi


1) Distributiv (positive Verteilung, wenig Konfliktpotenzial)
2) Regulativ (rechtliche Maßnahmen)
3) Redistributiv (negative Verteilung, Konfliktpotenzial)
4) Auto-regulativ (ideologisch getrieben)

Typologie von Gesetzen nach von Beyme

Regulative Dimension: restriktiv; regulativ; extensiv

Verteilungs-Dimension: protektiv; distributiv; redistributiv

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