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Kategorienschema „Polare Spannungen des Politischen“

Generell besteht die menschliche Daseinsbewältigung darin, Spannungsverhältnisse von Elementen oder Prinzipien, die sich
gegenseitig bedingen und begrenzen, zum Ausgleich zu bringen. In diesen nicht auflösbaren Spannungen entfaltet sich auch das
menschliche Leben in Gesellschaft. Politisches Gestalten bewegt sich also zwischen Polen und muss die Spannung zwischen ihnen
aushalten.
Die Polaritäten des Politischen zeigen sich in einer Reihe politische Grundbegriffe. Jeweils zwei Grundbegriffe stehen sich dabei in
Spannung gegenüber. Die Grundbegriffe sind zugleich zentrale Kategorien der Politik. Im Wesentlichen handelt es sich um die
folgenden zehn Kategorienpaare.

Kommunikation - Politik setzt eine freie öffentliche Kommunikation voraus. Die Kommunikation bedarf aber eines
Integration Minimums an Integration in Gestalt gemeinsamer Normen und Institutionen. Institutionen und
Normen können einerseits eine freie Kommunikation gefährden, andererseits ist ohne solche
Integrationsmechanismen Kommunikation nicht möglich.
Macht – Recht Die Spannung zwischen den Polen Macht und Recht ist mit Händen zu greifen. Zum einen kann
Macht ohne Recht zu unmenschlichen Verhältnissen führen. Zum anderen ist Recht ohne Macht
unwirksam. Aufgabe der Politik ist es, gesellschaftliche Macht durch Recht zu bändigen. Sie
bedarf dazu aber selbst der staatlichen Macht. Generell gilt: Das Recht muss durch Macht
geschützt werden. Die Macht ist aber gleichzeitig die größte Bedrohung des Rechts.
Prozess – Ordnung Der politische Prozess bedarf der Ordnung, soll er nicht zu ungezügelter Anarchie führen. Denn
Ordnungselemente bringen Regelmäßigkeit in den Prozess und zähmen seine Dynamik. Das
Verhalten der Prozessteilnehmer wird berechenbar. Die Ordnung verhindert gewaltsame
Auseinandersetzungen. Eine zu strikte Ordnung kann den Prozess aber auch ersticken.
Gesellschaft – Staat Die Gesellschaft ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, in denen die Menschen eines
begrenzten Gebietes leben. In der Gesellschaft herrschen Vielfalt und Autonomie.
Handlungsfähigkeit nach außen sowie Verbindlichkeit nach innen gewinnt die Gesellschaft aber
nur, wenn es den Staat als Wirkungseinheit gibt. Gesellschaft und Staat dürfen weder
zusammenfallen noch völlig getrennt sein. Sie müssen vielmehr in Spannung aufeinander
bezogen sein. Die Identität von Staat und Gesellschaft kann zu totalitärer Herrschaft führen. Die
völlige Trennung ist Kennzeichen eines Obrigkeitsstaates.
Interessen – Gemeinwohl Interessen sind Bedürfnisse, die Individuen aufgrund ihrer sozialen Lage haben. Interessen sind
immer partikular, auch wenn sie von mitgliederstarken Interessenverbänden artikuliert werden.
Interessen stehen daher in Spannung zum Gemeinwohl. Das Gemeinwohl kann zwar
verschiedene Interessen in sich aufnehmen, bringt diese aber gleichwohl nach sozialethisch
geprägten übergeordneten Kriterien zum Ausgleich. Das Gemeinwohl besteht also zu einem
erheblichen Teil aus Interessen. Es relativiert diese aber zugleich.
Dissens – Konsens Eine freiheitliche Gesellschaft ist geprägt von einer Vielfalt der Interessen, Überzeugungen und
Weltanschauungen. Dies führt dazu, dass über Problemdefinitionen und Problemlösungen in
der Regel Dissens herrscht. Die Gesellschaft würde auseinanderbrechen, gäbe es nicht einen
Konsens über Spielregeln der Politik und über Grundwerte des Gemeinwesens. Dieser Konsens
darf aber nicht so weitreichend sein, dass er die Pluralität der Auffassungen und damit die
Möglichkeit von Dissens zerstören würde
Konflikt – Kompromiss In einer freiheitlichen Gesellschaft werden die sozialen Beziehungen stark von Konflikten
bestimmt. Damit Konflikte nicht zu einem Bürgerkrieg entarten, müssen die Akteure zu
Kompromissen bereit sein. Kompromisse setzen das Vorhandensein eines Minimums von
Gemeinsamkeiten bei den Konfliktgegnern voraus. Insofern Konflikte sehr tiefgreifend sind,
erfahren sie durch Kompromisse eine Mäßigung.
Partizipation - Partizipation und Repräsentation sind die beiden grundlegenden Modi demokratischer
Repräsentation Herrschaftsausübung. Partizipation bezeichnet die direkte Teilnahme des Volkes an der
politischen Entscheidung in Form des Plebiszits. Ein Plebiszit zeichnet sich unter anderem
dadurch aus, dass niemand für das Ergebnis verantwortlich gemacht werden kann. Auf der
anderen Seite ist Repräsentation Herrschaftsausübung durch besondere Organe. Diese handeln
im Namen des Volkes, aber ohne dessen bindenden Auftrag. Die in den Organen handelnden
Personen können für ihre Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden. Ihre
Verantwortlichkeit zeigt sich darin, dass sie sich vor den Wählern für ihre Entscheidungen
rechtfertigen müssen. Das Besondere ist nun, dass auch ein Plebiszit repräsentative Züge trägt.
Denn es nimmt nicht das gesamte Volk an einer Entscheidung teil. Kinder dürfen nicht
abstimmen. Alte und Kranke können nicht an der Entscheidung teilnehmen. Also fungieren die
an der Abstimmung Teilnehmenden als Repräsentanten der Nichtteilnehmenden. Die
Repräsentation wiederum basiert insofern auf Partizipation, als die Repräsentanten durch eine
demokratische Wahl bestimmt werden. Die unbegrenzte Ausweitung des plebiszitären
Entscheidungsmodus minimiert eine verantwortliche Herrschaftsausübung. Auf der anderen
Seite kann eine ausschließlich repräsentativ organisierte Herrschaft zur Entfremdung der
Herrschaftsunterworfenen von der politischen Ordnung führen, da dem Volk außer dem
Wahlakt keine Entscheidungsbefugnis zusteht.
Freiheit – Gleichheit Freiheit und Gleichheit sind die beiden Hauptgrundrechte, die unmittelbar aus der
Menschenwürde fließen. Sie stehen in unaufhebbarer Spannung zueinander. Freiheit ist die
Fähigkeit zu sittlicher Selbstbestimmung. Ihr Kern ist die Gewissensfreiheit. Freiheit bedeutet
aber auch Handlungsfreiheit mit der Konsequenz, dass die Individuen unterschiedlich
erfolgreich agieren. Der Freiheitsgebrauch kann also zu sozialer Ungleichheit führen. Die
Gleichheit ist insofern mit der Freiheitsverbürgung verbunden, als allen Individuen die gleiche
Freiheit zukommt. Gleichheit darf aber nur rechtliche Gleichheit sein. Es muss also Gleichheit
vor dem Gesetz herrschen, und es müssen die politischen Mitwirkungsrechte für alle gleich sein.
Ein Verständnis der Gleichheit im Sinne einer Ergebnisgleichheit würde die Freiheit aufheben.
Effizienz - Legitimität Effizienz und Legitimität sind Rationalitätskriterien der Politik. Mit Hilfe dieser Kriterien lassen
sich politische Entscheidungen beurteilen. Man kann auch sagen, dass die beiden Kriterien
Gemeinwohlmaßstäbe sind. Die Effizienz entspricht dabei der sogenannten Zweckrationalität.
Zweckrational ist eine Entscheidung dann, wenn sie die zur Erreichung eines beliebigen
politischen Zweckes geeigneten Mittel einsetzt. Die Eignung erweist sich unter anderem darin,
ob Aufwand und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis stehen und ob unerwünschte
Nebenfolgen ausgeschaltet werden können.
Die Grenzen der Effizienz zeigen sich darin, dass Politik nicht nur effektiv sein soll, sondern auch
an die Grundwerte menschenwürdigen Zusammenlebens gebunden ist. Die Berücksichtigung
dieser Werte macht die Legitimität der Politik aus. Man kann auch sagen, dass die Idee der
Wertrationalität sich in der Kategorie Legitimität fassen und bündeln lässt. Die Legitimität der
Politik misst sich aber nicht nur am höchsten Wert der Menschenwürde. Legitimitätsfördernd
ist es auch, wenn die Politik Partizipation zulässt und dem Gebot der Transparenz genügt.
Weiterhin gewinnt eine Entscheidung an Legitimität, wenn sie die Lebensinteressen zukünftiger
Generationen und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen berücksichtigt. Die
Schwierigkeit des Legitimitätskriteriums zeigt sich darin, dass Politik aus verschiedenen
Perspektiven beurteilt werden kann. Es ist ein Unterschied, ob man Politik aus der Sicht eines
politisch Handelnden oder aus der Sicht eines von der Politik Betroffenen beurteilt.
Generell gilt: Effizienz und Legitimität stehen in Spannung zueinander. Denn Effizienz kann in
der öffentlichen Wertschätzung derart an Gewicht gewinnen, dass sie als solche schon
legitimierend wirkt. Umgekehrt kann eine Politik des ,,guten Willens" einen derart hohen Grad
an Legitimität besitzen, dass ihre Erfolglosigkeit nicht mehr bemerkt oder in Kauf genommen
wird.

Aus: Kategoriale politische Bildung (Detjen)

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