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Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten. Beobachtungen


zur Tradierung der deutschen Predigten Meister Eckharts im 14. und 15.
Jahrhundert unter Berücksichtigung von te...

Article · December 2017

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Laurentiu Gafiuc

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Meister-Eckhart-Jahrbuch
Herausgegeben von Regina D. Schiewer

Band 11

Meister Eckharts Werk und


seine Wirkung: Die Anfänge
Herausgegeben von
Freimut Löser, Hans-Jochen Schiewer und Regina D. Schiewer

Verlag W. Kohlhammer
2017
 

Das Meister-Eckhart-Jahrbuch und die Beihefte


werden herausgegeben im Auftrag der Meister-
Eckhart-Gesellschaft.
Inhalt

Vorwort  ………………………………………………………………………………………………………… VII


Meister Eckharts Werk und seine Wirkung: Die Anfänge


Freimut Löser
Unser Eckhart. Eckhart-Texte als Konstrukte mittelalterlicher
Eckhartrezipienten
Statt einer Einleitung……………………………………………………………………………………… 1
Dagmar Gottschall
Anonyme volkssprachliche Traktatliteratur als eine Form des
Weiterwirkens von Meister Eckhart im 14. Jahrhundert……………………………… 29
Lydia Wegener
Wandlungen – Pfeiffers Traktat 11,1 (›Von der übervart der gotheit 1‹)
und Meister Eckhart …………………………………………………………………………………… 55
Michael Hopf
Dise lere meister echart sprach von dem höhsten armute.
Eckhartrezeption und Eckhartinszenierung am Beispiel der Armutslehre  …… 81
Regina D. Schiewer
Vom Seelenwinkel …………………………………………………………………………………… 111
Laurentiu Gafiuc
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten
Beobachtungen zur Tradierung der deutschen Predigten Meister
Eckharts im 14. und 15. Jahrhundert unter Berücksichtigung von text- und
überlieferungsgeschichtlichen sowie materialwissenschaftlichen Aspekten… 135
Balázs J. Nemes
Eckhart lesen – mit den Augen seiner Leser
Historisch mögliche Eckhart-Lektüren im Augustinerchorherrenstift
Rebdorf …………………………………………………………………………………………………… 165
Mikhail Khorkov
Eckhardus theutonicus in latinum translatus
Lateinische Übersetzungen der deutschen Texte Meister Eckharts und
ihre Bedeutung für die Eckhartrezeption im 15. Jahrhundert …………………… 197
Inhalt

Markus Vinzent
Eckharts deutsche Übersetzung seiner lateinischen Bibelkommentare
Eckharts lateinisches Werk in deutscher Rezeption  ………………………………… 219
Gilbert Fournier
Une réception paradoxale. La constitution ›In agro dominico‹ dans le
manuscrit Bernkastel-Kues, St. Nikolaus Hospital, Hs. 21 ……………………… 259

Offener Teil
Hans-Jochen und Regina D. Schiewer
Opera mixta – Deutsch-lateinische Mischpredigten
Überlieferung und Funktion …………………………………………………………………… 291
Alessandra Beccarisi
Meister Eckhart über Körperlichkeit und Erkenntnis ……………………………… 319
Rudolf Kilian Weigand
Freiheit in Dichtung und Predigt des 14. Jahrhunderts
Eine gattungsübergreifende Betrachtung ………………………………………………… 337
Regina D. Schiewer
›Der unbekannte Eckhart‹: Statistik der Zitation der deutschen
Predigten Meister Eckharts in den MEJb 1–11 und in den LE I–IV ………… 363

Zusammenfassungen (Summaries)………………………………………………………………… 373

Abkürzungsverzeichnis ………………………………………………………………………………… 381

Register
Register der Namen und Werke  ……………………………………………………………… 387
Sachregister  ……………………………………………………………………………………………… 395
Handschriftenregister  ……………………………………………………………………………… 403
Laurentiu Gafiuc

Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten


Beobachtungen zur Tradierung der deutschen Predigten Meister Eckharts
im 14. und 15. Jahrhundert unter Berücksichtigung von text- und über­
lieferungsgeschichtlichen sowie materialwissenschaftlichen Aspekten

Die Überlieferung der deutschen Werke Meister Eckharts lässt sich grob in drei
Stränge einteilen:1
1.  Der am schwersten zu fassende Strang ist derjenige, der Eckharts Predigten
und Traktate als »Splitter und Splitterchen« 2 überliefert (Splitterüberlieferung).
Oft sind es nur wenige Zeilen, die in Spruchsammlungen oder Mosaiktraktate 3
eingearbeitet wurden.
2.  Die Streuüberlieferung umfasst vollständige Predigten Eckharts in ander-
weitig geprägten Corpora wie zum Beispiel in den Tauler-Corpora. In diese sind
sie entweder einzeln oder als Kleinsammlungen, geordnet nach thematischen oder
liturgischen Kriterien, als Mitüberlieferung integriert.
3.  Die Corpusüberlieferung ist der am deutlichsten zu greifende und zugleich
am seltensten anzutreffende Strang. Zu nennen sind hier vor allem die umfangrei-
chen Eckhart-Corpora im dritten Teil des Basler Taulerdrucks 4 oder in der domi-
nikanischen Predigtsammlung ›Paradisus anime intelligentis‹.5

1 Für Hinweise zur Klassifizierung der Eckhartüberlieferung bedanke ich mich sehr herzlich
bei Rudolf Weigand. Für ertragreiche und weiterführende Hinweise gilt mein Dank Gilbert
Fournier und Balázs J. Nemes. Besonders Letzterem verdanke ich vertiefte Informationen
vor dem Hintergrund seiner Handschriftenexpertise.
2 Kurt Ruh, Meister Eckhart, in: ²VL 2 (1980), Sp. 327–348, hier S. 332.
3 Vgl. Ka1 (Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Peter perg. 85) und Ka2 (Karlsruhe, Lan-
desbibliothek, Cod. St. Peter perg. 102) und ihre Analyse durch Adolf Spamer, Über die
Zersetzung und Vererbung in den deutschen Mystikertexten, Diss. Gießen, Halle a. d. Saale
1910.
4 Vgl. Otmar-Druck: VD 16 J 783 (= Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschiene-
nen Drucke des XVI. Jahrhunderts, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek in München.
Bd. 1–25. Stuttgart 1983–2000 [korrigierte und ergänzte Datenbankversion: VD 16 online]);
zuletzt thematisiert im Beitrag von Gilbert Fournier, Unus pro multis. La reception de
Maitre Eckhart dans les Sermons de Jean Tauler (Bale, Adam Petri, 1521), in: Entre stabilité
et itinérance. Livres et culture des ordres mendiants, XIIIe–XVe siècle, Turnhout 2014 (Bi-
bliologia 37), S. 375–438.
5 Vgl. ›Paradisus anime intelligentis‹. Studien zu einer dominikanischen Predigtsammlung aus
dem Umkreis Meister Eckharts, hg. von Burkhard Hasebrink, Nigel F. Palmer und
Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2009.
136 Laurentiu Gafiuc

Unter den 448 Textzeugen, die Eckhart Triebel im Laufe der Jahre im Internet
zusammengetragen hat 6 und die sich mit unterschiedlicher Ausprägung auf die
drei erwähnten Stränge verteilen, befinden sich zwei, die der Corpusüberlieferung
angehören und im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen. Es handelt
sich um die Handschriften Str3 (Straßburg, National- und Universitätsbibliothek,
Ms. 2795; früher L germ. 662.4°) 7 und Mai1 (Augsburg, Universitätsbibliothek,
Cod. III.1.4° 33),8 die im Kreis der Laien- und Berufsschreiber im Raum Augsburg
entstanden sind. Beide sind inhaltlich identisch und leiten sich von einer gemein-
samen, heute nicht mehr erhaltenen Vorlage ab. Die Abschriften in Str3 sind auf
den 24. Februar 1440 datiert;9 Mai1 wurde am 31. Juli 1450 fertiggestellt.10 Letz-
tere wurde von drei Händen geschrieben, von denen sich eine namentlich nennt
und als Schüler in Augsburg zu erkennen gibt (Per me Albertum Sartoris de Byber­
acho isto tempore scolaris in Augusta, fol. 213ʳ). Aussagen über Auftraggeber sind
kaum möglich und gehen in beiden Fällen über bloße Vermutungen nicht hinaus.
Die erste belegbare Bibliotheksheimat von Mai1 ist das Zisterzienserinnenklos-
ter in Kirchheim am Ries bei Nördlingen. Nach weiteren Stationen im Kloster
Maihingen, dem ehemaligen Zuhause der Birgitten (1473–1576) und später der
Franziskaner-Minoriten (1607–1803), wurde Mai1 später der Fürstlichen Oet-
tingen-Wallerstein’schen Bibliothek einverleibt, die ab 1841 im dortigen Kloster
untergebracht war, nach dem Zweiten Weltkrieg auf das Schloss Harburg über-
siedelte und 1980 zu einem Teil in den Bestand der Universitätsbibliothek Augs-
burg aufgenommen wurde, wo sich die Handschrift heute befindet.11 Mit einiger
Wahrscheinlichkeit lässt sich über Str3 sagen, dass diese Teil einer Sammelbestel-
lung war. Ihr Schreiber fertigte im selben Jahr nämlich zwei weitere Handschrif-

  6 Vgl. die Website www.eckhart.de → Register → Textzeugen (deutsch), auf der aktuell 440
Handschriften und 8 Drucke erfasst sind; letzte Aktualisierung am 8. Dezember 2016.
  7 Vgl. Adolf Becker, Die deutschen Handschriften der Kaiserlichen Universitäts- und Lan-
desbibliothek zu Straßburg, Straßburg 1914 (Katalog der Kaiserlichen Universitäts- und
Landesbibliothek in Straßburg 6), S. 44–53; Werner Fechter, Deutsche Handschriften
des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Bibliothek des ehemaligen Augustinerchorfrauenstifts
Inzigkofen, Sigmaringen 1997 (Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns 15), S. 64–66
(Nr. 9).
  8 Früher Maihingen, Fürstliche Oettingen-Wallerstein’sche Bibliothek; vgl. Karin Schnei-
der, Deutsche mittelalterliche Handschriften der Universitätsbibliothek Augsburg. Die Sig­
naturengruppen Cod. I.3 und Cod. III.1, Wiesbaden 1988 (Die Handschriften der Universi-
tätsbibliothek Augsburg II,1), S. 324–331.
  9 Ditz buch ist volbracht als man zahlt von cristi geburt hundert jar und in dem XL jar und ist
volbracht an des zwelfboten Matheis abent in der andern vast wochen (fol. 330ᵛ).
10 Dicz bch ist volbrach da man zalt von Xpi geburt tussend IIII hundert jar und in dem fúnfczgosten
jar an dem naechsten samstag nach sant Jacobs (fol. 213ʳ).
11 Zur Bibliotheksgeschichte vgl. Schneider, Handschriften der Universitätsbibliothek Augs-
burg [Anm. 8], S. 9–22, insb. S. 12 f.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 137

ten an.12 Alle drei Handschriften gelangten wenig später in die Bibliothek des
Augustinerchorfrauenstifts Inzigkofen bei Sigmaringen. Sie waren, wie Werner
Fechter vermutet, Teil einer Aktion, »deren Ziel es war, in Inzigkofen noch feh-
lende wesentliche deutsche Mystikertexte in der Originalsprache und lateinische
in Übersetzung dem dortigen Konvent zu vermitteln«.13 Mundart, Makulatur so-
wie die textgeschichtliche Nähe zum Seuse-Druck von Anton Sorg sind Hinweise
darauf, dass alle drei Handschriften wie Mai1 in einer Augsburger Schreibstube
entstanden sind.14
Str3 und Mai1 gehören zu den umfangreichsten erhaltenen Überlieferungs-
trägern innerhalb der Eckharthandschriften und sind unterschiedlich tief in der
Forschungsgeschichte verankert. Mai1 fand Josef Quint auf seinen Handschrif-
tenreisen in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts im Kloster Maihin-
gen unter mehreren dort aufbewahrten Eckharthandschriften und machte sie in
seinem 1940 erschienenen Untersuchungsband bekannt,15 ließ sie aufgrund ihrer
Fehlerhaftigkeit und der darin korrigierenden »schmierige[n] Hand« 16 aber bald
außer Acht. Eine 100 Jahre längere, vor allem die Eckhartforschung intensiver
prägende Geschichte lässt sich im Fall der Zwillingshandschrift Str3 beobachten,
so dass letztere als 175-jähriges historisches Denkmal in den Mittelpunkt der fol-
genden Ausführungen zu rücken und aus zwei Perspektiven zu beleuchten ist.
Im ersten Teil des Beitrags ist ihre forschungsgeschichtliche Relevanz hervor-
zuheben: Gefragt wird nach ihrem ›Sitz in der Forschung‹. Im Fokus steht der
Straßburger Theologe Carl Schmidt, ein Pionier der frühen Eckhartforschung,
der Str3 nach der Säkularisation im Augsburger Antiquariat von Fidelis Butsch
erwarb und auf der Basis seines Quellenmaterials Methoden zur Identifizierung
echter Eckhartpredigten entwickelte. Seine weitgehend unbekannten Vorarbeiten
sollten erst im 20. Jahrhundert von Josef Quint fortgesetzt werden. Gegenstand
des zweiten Teils ist der ›Sitz im Leben‹ von Str3. Folgenden Fragen soll dabei

12 Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 453 enthält Heinrich Seuses ›Exemplar‹ (fol. 2ʳᵃ–
206ʳᵇ) und die ›Bruderschaft von der ewigen Weisheit‹ (fol. 206ʳᵇ–211ᵛᵇ) und wurde laut
Kolophon am 2. Juni 1440 fertiggestellt (Finitus est ist liber per manus et non per pedes Jn octaua
Corporis ihu xpi Anno domini. cccc° xl iar, fol. 211ᵛᵇ), vgl. Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 66 f.
(Nr. 10); der in Berlin, Staatsbibliothek, mgq 658 überlieferte ›Stimulus amoris‹ des Jakob
von Mailand ist auf den 7. Juli 1440 datiert (Dicz bch ist geschriben do man zalt von xpi geburd
vierczehen hundert Jar vnd in dem .xl. jar vnd ist volbracht an dem duonstag nach sant volrichs tage,
fol. 153ʳᵃ), vgl. Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 67 f. (Nr. 11); Falk Eisermann, ›Stimulus
amoris‹. Inhalt, lateinische Überlieferung, deutsche Übersetzungen, Rezeption, Tübingen
2001 (MTU 118), S. 417.
13 Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 180 f.
14 Vgl. Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 67 f.
15 Vgl. Josef Quint, Neue Handschriftenfunde zur Überlieferung der deutschen Werke
Meister Eckharts und seiner Schule. Ein Reisebericht, Stuttgart / Berlin 1940 (Meister Eck-
hart. Die deutschen und lateinischen Werke. Untersuchungen 1), S. 85–100 (Nr. 33).
16 DW III, S. 71.
138 Laurentiu Gafiuc

nachgegangen werden: Mit welchen weiteren Eckharthandschriften ist Str3 text-


und überlieferungsgeschichtlich verwandt? Welche Überlieferungswege und Sta-
tionen lassen sich nachzeichnen? Welcher Entstehungskontext lässt sich für Str3
rekonstruieren? Und welche Veränderungen, die insbesondere der spätmittel­
alterlichen Schreibpraxis geschuldet sind, lassen sich für die in Str3 bezeugten
deutschen Predigten Meister Eckharts erkennen?

�.

Zur Forschungsgeschichte von Str3: Trotz der juristischen Schließung des Stifts
Inzigkofen infolge der Säkularisation war es den dortigen Schwestern vergönnt,
ihren Lebensabend im Kloster zu verbringen. Die letzte Schwester, Maria Salesia
Pfeiffer, starb am 31. Juli 1856 im Alter von 82 Jahren. In der Zwischenzeit und
nicht zuletzt mangels einer Verpflichtung, das über Jahrhunderte angesammelte
Schrifttum für die Nachwelt zusammenzuhalten, wurde der Bücherbestand zum
Kauf freigegeben. Infolgedessen wurde das Kloster von zahlreichen Privatper-
sonen und Händlern aufgesucht, die dort einen florierenden Markt für Hand-
schriften entdeckten und so für die Auflösung des Handschriftenbestands in alle
Richtungen sorgten.17 Einer dieser Händler war der Augsburger Antiquar Fidelis
Butsch,18 der in seinem 1840 gedruckten 70-seitigen Verkaufskatalog zahlreiche
Handschriften aus der Bibliothek Inzigkofen auflistet.19 Darunter befindet sich
auch Str3. Dem Papierstreifen auf der Handschrift folgend, der den Inhalt der ge-
samten Handschrift Johannes Tauler zuschreibt,20 hat Butsch sie als Manuskript
mit »TAULERS Predigten«,21 gefolgt vom oben zitierten Schreiberkolophon, im
Katalog aufgeführt und bot sie damit 400 Jahre nach ihrer Fertigstellung an ih-
rem Entstehungsort Augsburg erneut zum Verkauf an. Sie blieb aber nicht lange
im Augsburger Antiquariat, sondern wechselte rasch ihren Eigentümer. Fortan
befand sie sich im Privatbesitz des evangelischen Theologieprofessors Carl
Schmidt (1812–1895) in Straßburg, dessen Exlibris heute noch auf der Innenseite
des vorderen Buchdeckels zu sehen ist. Schmidt ist in der Eckhartforschung kein
Unbekannter. Er war führend in der französischen Mystikforschung und hinter-

17 Vgl. Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 44.


18 Vgl. Hans-Jörg Künast, Dokumentation: Augsburger Buchdrucker und Verleger, in:
Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von
Helmut Gier und Johannes Janota, Wiesbaden 1996, S. 1205–1340, hier S. 1312.
19 Vgl. Antiquariat Fidelis Butsch, Catalog XVII der Birett’schen Antiquariats-Buchhandlung
F. Butsch in Augsburg, November 1840.
20 Becker, Die deutschen Handschriften [Anm. 7], S. 44: »ein Papierstreifen aus alter Zeit
trägt die Aufschrift: Ain predig bch Nempt man den hochen Tauler.«
21 Butsch, Katalog [Anm. 19], S. 55.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 139

ließ ein beachtliches wissenschaftliches Œuvre unter anderem zu Meister Eck-


hart und Johannes Tauler.22 Er wurde wohl durch den Antiquariatskatalog von
Butsch sehr schnell auf die Handschrift aufmerksam und muss sie binnen kürzes-
ter Zeit erworben haben, wie aus der ersten Anmerkung in seiner 1841 publizier-
ten Taulerbiographie hervorgeht: »Ich besitze ein MS. von 1440, mystische Pre-
digten und Tractate aus dem vierzehnten Jahrhundert enthaltend, wo gleichfalls
›der tauler von Strasburg‹ vorkommt.« 23 Als Beilage bot Schmidt einen Teilab-
druck der ›guten Klosterlehre‹,24 einer Unterweisung über das klösterliche Leben.
Diese »predigtähnliche ›rede‹ eines unbekannten ›maisters‹ bietet Antworten auf
zentrale Fragen des geistlichen Lebens im Kloster« 25 und wurde aufgrund termi-
nologischer Kriterien wie der schalkeit der naturen, der Bosheit der menschlichen
Natur, entstehungsgeschichtlich immer wieder im Umfeld von Johannes Tauler
gesehen,26 so auch von Schmidt, der mit Bleistift seine Textauswahl definierte
– die Markierungen sind heute noch zu sehen – und damit kurz vor der Druckle-
gung die Handschrift in seine Taulerbiographie einarbeitete. In den kommenden
Jahren stand im Mittelpunkt von Schmidts Untersuchungen jedoch ein anderer,
in der Eckhart- und Taulerforschung zentraler Überlieferungsträger: der Basler
Taulerdruck.
Parallel zur Etablierung der Germanistik als wissenschaftliche Disziplin begann
in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch die Erforschung
der großen Dominikaner Meister Eckhart und Johannes Tauler. Sicherlich ist
Alois M. Haas zuzustimmen, wenn er feststellt: »Wer etwa die Forschungsbe-
richte von Gottfried Fischer, Kurt Ruh, Ingeborg Degenhardt, Toni Schaller oder
[…] Wolfram Malte Fues liest, kann und muß über der reichen und wild nach allen

22 Einschlägig: Charles Schmidt, Maitre Eckart, in: ders., Études sur le mysticisme alle-
mand au XIVe siècle, Paris 1847, S. 12–104; Carl Schmidt, Meister Eckart. Ein Beitrag zur
Geschichte der Theologie und Philosophie des Mittelalters, in: Theologische Studien und
Kritiken 12/1 (1839), S. 663–744; Carl Schmidt, Johannes Tauler von Straßburg. Beitrag
zur Geschichte der Mystik und des religiösen Lebens im vierzehnten Jahrhundert, Hamburg
1841.
23 Vgl. Schmidt, Johannes Tauler [Anm. 22], S. 1, Anm. 1.
24 Vgl. Schmidt, Johannes Tauler [Anm. 22], Beilagen Nr. 2, S. 214 f.
25 Bruno Jahn, Eine gute Klosterlehre, in: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter,
hg. von Wolfgang Achnitz, Bd. 2: Das geistliche Schrifttum des Spätmittelalters. Mit
einem einführenden Essay von Regina D. Schiewer und Werner Williams-Krapp,
Berlin / Boston 2011, Sp. 576; grundlegend dazu Georg Steer, ›Eine gute Klosterlehre‹, in:
²VL 3 (1981), Sp. 330 f., und ²VL 11 (2004), Sp. 575.
26 Vgl. Die Predigten Taulers. Aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie
aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften hg. von Ferdinand
Vetter, Berlin 1910, Nachdr. Dublin / Zürich 1968 (DTM 11), Pr. V16, S. 75,20 f.; Alois
Maria Haas, Nim din selbes war. Studien zur Lehre von der Selbsterkenntnis bei Meister
Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, Freiburg i. Ue. 1971, S. 94 f.
140 Laurentiu Gafiuc

ideologischen Seiten ausufernden Rezeptionsgeschichte das Gruseln lernen.« 27


Gewiss werden heute die wenigsten Eckhart als Baron der Drogenszene 28 oder
seine Lehre unter pantheistischen Gesichtspunkten betrachten. Gleichzeitig bie-
ten viele dieser alten und in vielerlei Hinsicht überholten Studien, so auch die von
Carl Schmidt, aufschlussreiche Einblicke in methodische Verfahren aus jener
Zeit. In seinem 1839 erschienenen deutschsprachigen Aufsatz über »Meister Eck-
art« verwies Schmidt auf den Basler Taulerdruck, der im dritten Teil eine bis
dahin wenig beachtete Eckhartsammlung enthält:

»In den baseler Ausgaben der tauler’schen Predigten von 1521 und 1522 findet sich von
dem Blatte 242 an bis ans Ende eine Reihe von Predigten mit der Ueberschrift: ›Folgen
hernach etlich gar subtil und trefflich kostlich predigen, etlicher fast gelerter andechtiger vätter
und lereren, auß denen man achtet Doctoren Tauler etwas seins grundes genommen haben.
Namlich und insunders meister Eckart’s.‹ Diese Sammlung besteht aus 55 Predigten und 4
kleinern Stücken oder Lehren. Sie ist bisher wenig beachtet worden; man hat sie insge-
mein Taulern zugeschrieben oder zum wenigsten für zweifelhaft gehalten […].« 29

Diese von Schmidt zitierte Zuschreibung war zwar bereits seit der 1786 gedruck-
ten lateinischen Dissertation von Johannes Jacobus Beck bekannt,30 Schmidt
war aber der erste, der den dritten Teil des Basler Taulerdrucks eingehend un-
tersuchte und Kriterien zur Identifizierung echter Eckhartpredigten formulierte.
Diese unterscheiden sich sowohl »in Styl und Manier« 31 deutlich von denen Tau-
lers und Seuses und zeigen darüber hinaus einen inhaltlichen Zusammenhang,
was auf denselben Verfasser schließen lässt:
»Sie tragen durchgängig in ihrer Form ein höchst eigenthümliches Gepräge; beinahe
in allen kommen dieselben Redeweisen, Ausdrücke, Betheuerungsformeln vor; bei
Weitem die meisten fangen mit den Worten an: ›ich hab ein wörtlin gesprochen in latin;‹
in allen werden häufige Aussprüche berühmter Lehrer mit den Worten angeführt: ›es
spricht ein meister, es sprechen unsre meister.‹ Nicht allein aber sind sie übereinstimmend
in der Form, sondern eine noch bedeutendere Uebereinstimmung herrscht in der vor-
getragenen Lehre; ja es möchte sogar scheinen, als bildeten die vorhandenen Predigten
eine durch einen gewissen innern Zusammenhang verbundene Reihe; denn nicht nur
ist die Entwicklung der Theorie gewissermaßen eine fortschreitende, sondern der Pre-
diger beruft sich zuweilen auf das, was er in einem vorhergehenden Vortrage gesagt.

27 Alois Maria Haas, Meister Eckhart und die deutsche Sprache, in: Geistliches Mittelalter,
Freiburg i. Ue. 1984 (Dokimion 8), S. 215–237, hier S. 215.
28 Vgl. Haas, Meister Eckhart und die deutsche Sprache [Anm. 27], S. 215, Anm. 2.
29 Schmidt, Meister Eckart [Anm. 22], S. 671 f.
30 Vgl. Johannes Jacobus Beck, De Johannis Tauleri Ord. Praedic. dictione vernacula et my-
stica, Straßburg 1786, S. 7, Anm. f).
31 Schmidt, Meister Eckhart [Anm. 22], S. 672.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 141

Dieß Alles beweist hinlänglich, daß sämmtliche Stücke einem und demselben Verfasser
angehören.« 32

Dass es sich bei diesem Verfasser um Meister Eckhart handeln muss, zeigte
Schmidt am Beispiel der Bürgleinpredigt (Pr. 2) und der Opferstockpredigt
(Pr. 109):
»[E]ine der Predigten, die vierte auf Maria Himmelfahrt (fol. 296, a.) [Pr. 2], ist über-
schrieben: ›eine kostliche predig inhaltend gar nahe den gantzen grund aller predig des hoch­
gelerten Doctor Eckart’s, als man sehen wirt.‹ Diese Predigt bildet aber nur die Folge
oder den Schluß der drei vorhergehenden auf dasselbe Fest, welche ihrerseits wieder
in Ton, Farbe und Inhalt durchaus mit allen übrigen übereinstimmend sind. Ferner ist
zu bemerken, daß in einer andern Predigt, auf des Täufers Enthauptung (fol. 302, a.)
[Pr. 109], Eckart sich selber nennt: ›Fragete man mich Bruder Eckart wannen giengendt
ir ausserm hauß,‹ u. s. w. Das Entscheidendste ist aber, daß mehrere der in der Bulle von
1329 verdammten […] Sätze, wörtlich in diesen Predigten vorkommen, so daß also
durchaus kein Zweifel seyn kann, daß sie dem cölner Dominicaner angehören.« 33

Insbesondere durch den Vergleich der Artikel der Bulle ›In agro dominico‹ mit
Auszügen aus mehreren Predigten im Basler Taulerdruck gelang es Schmidt,
zahlreiche Textparallelen herauszuarbeiten und damit echte Eckhartpredigten
zu identifizieren. Seine Methode resümierte er acht Jahre später (1847) im fran-
zösischsprachigen Aufsatz ›Maitre Eckart‹ und übertrug sie bezugnehmend auf
neuen Handschriftenfunden auf ein erweitertes Quellencorpus:

»Deux raisons nous en ont attesté l’authenticité: l’auteur s’y nomme lui-même, et la plu-
part des propositions citées et condamnées dans la bulle de 1329 s’y retrouvent, soit tex-
tuellement, soit en termes peu différents. Depuis, nous avons eu le bonheur de re­trouver
plusieurs manuscrits de ses sermons, tant dans les bibliothèques d’Allemagne que parmi
les trésors tout récemment classés de celle de Strasbourg. Un des plus complets, quoique
des moins anciens et des moins corrects, est notre propriété personnelle.« 34

Die von Schmidt im letzten Satz erwähnte jüngere und »weniger korrekte« ei-
gene Sammlung ist Str3, jene Handschrift, die er einige Jahre zuvor im Augsbur­

32 Schmidt, Meister Eckart [Anm. 22], S. 672 f.


33 Schmidt, Meister Eckart [Anm. 22], S. 673.
34 Schmidt, Maitre Eckart [Anm. 22], S. 23 f.: »Zwei Anhaltspunkte haben uns deren Echt-
heit bestätigt: der Autor nennt sich darin selbst, und die Mehrzahl der Aussagen, die in
der Bulle von 1329 genannt und verurteilt werden, finden sich in ihnen wieder, entweder
wortwörtlich oder geringfügig abgewandelt. Darüber hinaus hatten wir das Glück, mehrere
Handschriften seiner Predigten wiederzufinden, gleichermaßen in deutschen Bibliotheken
wie auch unter den Schätzen, die erst kürzlich als diejenigen aus Straßburg eingeordnet wur-
den. Eine der vollständigsten, wenngleich der jüngeren und weniger korrekten, ist unsere
eigene Sammlung.« Für die Übersetzungshilfe sei an dieser Stelle Diana Gafiuc und Manuel
Schwarz herzlich gedankt.
142 Laurentiu Gafiuc

ger Antiquariat bei Fidelis Butsch gekauft hatte. Schmidt hatte in der Zwischen-
zeit die Handschrift also eingehend mit seinen oben zitierten Kriterien analysiert
und sie auf diese Weise entgegen dem Vermerk auf dem Papierstreifen, dem
Butsch notwendigerweise folgen musste und dem letztlich auch er selbst zu-
nächst gefolgt war, nicht als Tauler-, sondern als Eckharthandschrift identifizie-
ren können. Das von Schmidt angefertigte und der Handschrift vorgebundene
Inhaltsverzeichnis wurde von ihm im Laufe der Jahre immer wieder ergänzt und
dokumentiert seinen Fortschritt bei der Erforschung der Handschrift: von der
inhaltlichen Beschreibung einer vermeintlichen Taulerhandschrift bis zur Iden-
tifizierung einzelner Predigten als echte Eckharttexte. Die roten Nachträge hin-
ter den jeweiligen Predigten sowie der unter »Inhaltsverzeichniß« hinzugefügte
Vermerk »Die meisten Predigten scheinen von Eckart zu seyn« sind als Ergebnis
der praktischen Anwendung seiner oben vorgestellten Echtheitskriterien zu se-
hen. Trotz ihrer Mangelhaftigkeit, doch gerade wegen ihrer Reichhaltigkeit ar-
beitete Schmidt zahlreiche Textstellen aus Str3, die er erneut zuvor mit Bleistift
markiert hatte, in seinen französischen Beitrag ein. Identifiziert man die von ihm
getroffene Auswahl, zeigt sich die hohe Treffsicherheit, die seiner fundierten Me-
thode zu verdanken ist, sehr deutlich. Neben einem Auszug aus der ›Glosse vom
Überschall‹,35 dem Kommentar zum Traktat ›Von dem überschalle‹, der grund-
sätzliche Gedanken der deutschen Mystik mithilfe »des gedanklichen und termi-
nologischen Inventars des deutschsprachigen mystischen Schrifttums« 36 erörtert
und dessen Zuschreibung an Meister Eckhart erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts
durch Adolf Spamer widerlegt wurde,37 bezog Carl Schmidt sein Quellenma-
terial ausschließlich aus echten Eckhartpredigten.38 So konnte er die Predigt vff
den vj sonntag nach pfingsten (fol. 313ʳ) mithilfe der Parallele in Artikel 12 der Bulle
– Dar umbe sagete ich ze Paris, daz an dem gerehten menschen ervüllet ist, swaz diu
heilige schrift und die prophêten <von Kristô> ie gesageten; wan, ist dir reht, allez, daz
in der alten und in der niuwen ê gesaget ist, daz wirt allez an dir volbrâht 39 – wie auch
Quint über 100 Jahre später als echte Eckhartpredigt identifizieren.40 Ebenso

35 Vgl. Schmidt, Maitre Eckart [Anm. 22], S. 49 Anm. 1.


36 Peter Schmitt, ›Von dem überschalle‹, in: ²VL 9 (1995), Sp. 1201–1203, hier Sp. 1202.
37 Vgl. Adolf Spamer, Zur Überlieferung der Pfeiffer’schen Eckeharttexte, in: PBB 34 (1909),
S. 307–420, hier S. 385–393.
38 Vgl. Schmidt, Maitre Eckart [Anm. 22], S. 12, Anm. 3 (Pr. 24); S. 14, Anm. 1 (Pr. 22); S. 31,
Anm. 1 (Pr. 32); S. 34, Anm. 2, und S. 89, Anm. 1 (Pr. 76); S. 39, Anm. 1 (Pr. 10); S. 49, Anm. 3,
(Pr. 43); S. 54, Anm. 1 (Pr. 17); S. 60, Anm. 2 (Pr. 67); S. 78, Anm. 2, und S. 87, Anm. 1 (Pr. 39);
S. 87, Anm. 1 (Pr. 24); S. 94, Anm. 2 (Pr. 21), S. 97, Anm. 2 (Pr. 29).
39 Pr. 24, DW I, S. 421,1–422,3; Übersetzung S. 525: »Darum sagte ich zu Paris, daß an dem
gerechten Menschen erfüllt ist, was die Heilige Schrift und die Propheten <von Christo> je
gesagt haben; denn, bis du recht daran, so wird alles, was im Alten und im Neuen Testament
gesagt ist, an dir vollbracht.«
40 Schmidt, Maitre Eckart [Anm. 22], S. 87, Anm. 1.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 143

stellte sich die Predigt Von sant elsbethen (fol. 216ʳ) bei einem Vergleich mit dem
parallel überlieferten Textzeugen in der elsässischen Handschrift Str1 durch die
Zuweisung Sermo m. Eghardi (fol. 89ᵛ) als Eckhartpredigt (Pr. 32) heraus, ein Kri-
terium, das auch Quint zur Belegung der Echtheit aufführte.41 Selbst die von
Schmidt eingeführten Kriterien »Styl, Manier, Ton und Farbe« sind bei Quint
als »den Eckhartschen Stil kennzeichnend[e] Stilelemente« 42 – darunter Antithese,
Parallelismus, Häufung, Hyperbolismus und paradoxale Ausdrücke – als Belege
reichlich vertreten.
Es mag vielleicht verwundern, dass Schmidts Schriften in Quints Arbeiten
an keiner Stelle erwähnt werden. Dass Quint während seiner jahrzehntelangen
Forschungstätigkeit nie mit Schmidts Beiträgen in Berührung kam, ist höchst
unglaubhaft. Wahrscheinlicher ist, dass er diese sehr wohl kannte und schlicht
verschwieg, was vor dem Hintergrund der über Jahrhunderte bestehenden Feind-
schaft zwischen Deutschland und Frankreich als plausible Erklärung zu sehen ist.
Die Missachtung könnte freilich auch auf einen konfessionellen Streit zurückzu-
führen sein. Der Hoheitsanspruch auf einen geistesgeschichtlich zentralen deut-
schen Denker wie Meister Eckhart mag dabei das ausschlaggebende Motiv gewe-
sen sein. Str3 ist insgesamt nicht nur ein historischer Träger geistlicher Schriften,
die im 15. Jahrhundert aufgezeichnet und verbreitet wurden. Die Handschrift do-
kumentiert darüber hinaus in Verbindung mit den Publikationen ihres einstigen
Eigentümers Carl Schmidt den wissenschaftlichen Fortschritt und die präzise
Arbeit eines protestantischen Theologen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts mit der erforderlichen Akribie Echtheitskriterien formulierte und damit
echte Eckhartpredigten identifizieren konnte, wie es ab der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts Josef Quint vermochte. Quint übernahm Schmidts methodi-
sches Verfahren stillschweigend und perfektionierte dieses im Laufe seines For-
scherlebens.

�.

Zählt man die von einem unbekannten Rubrikator nachgetragenen Lombarden zu


Beginn eines jeden Abschnitts, so gliedert sich die Handschrift inhaltlich in knapp
80 Textstücke. Meister Eckhart ist mit etwa 40 Predigten darin vertreten. Diese
sind über die gesamte Handschrift verteilt: Sie sind in Blöcken aneinandergereiht,
stehen einzeln zwischen anonymen Kleintexten, manche Predigten sind ineinan-
der verwoben, doppelt überliefert oder wurden als Exzerpte in andere Textstü-
cke inseriert. Stellenweise sind liturgische Strukturen erkennbar, die in der hand-

41 Vgl. Pr. 32, DW II, S. 130.


42 Pr. 76, DW III, S. 307.
144 Laurentiu Gafiuc

schriftlichen Überlieferung zurückverfolgt werden können und damit als Reflexe


früherer Anordnungsmuster betrachtet werden müssen. Für den unbekannten
Kompilator, der die verschollene Vorlage von Str3 aus mehreren Vorlagen zusam-
menstellte, waren inhaltliche Ordnungskriterien entscheidend: Eckharts Ausfüh-
rungen über das Verhältnis zwischen Gott und Seele, die negative Theologie so-
wie die Abkehr von allem Kreatürlichen, kurz: zentrale Gedanken seiner Lehre.
Mitüberliefert sind zahlreiche weitere anonyme Predigten, Traktate und Sprüche,
die in der gesamten geistlichen Überlieferung anzutreffen sind und unter anderem
von Franz Pfeiffer43 und Auguste Jundt44 abgedruckt wurden.
Dass die Handschrift von den zeitgenössischen Lesern benutzt wurde, zeigen
spätere Eingriffe. Diese stammen von derselben Hand, die bereits Adolf Spa-
mer in der auf 1445 datierten Taulerhandschrift Stuttgart, Landesbibliothek, Cod.
theol. et phil. 2° 283 als Korrekturhand identifizieren konnte 45 und hinter der
Werner Fechter »einen der beiden Langenzenner Chorherren, die damals in
Inzigkofen als Seelsorger wirkten«,46 vermutet. Diese überprüften und korrigier-
ten bei ihren regelmäßigen Besuchen die dort geschriebenen geistlichen Schriften
und hielten dabei »auch mit subjektivem Lob und Tadel und ersichtlichem Aerger
über die vielen leichtsinnigen Textstörungen« 47 nicht zurück. Im Fall von Str3 las-
sen sich solche Klagerufe nicht beobachten, wohl aber Eingriffe an vielen Stellen,
welche durch die Schreiber aufgrund ihres mangelnden Textverständnisses ent-
stellt worden waren und die für die Rezeption im Stift lesbar gemacht werden
sollten. Besondere Interessensschwerpunkte lassen sich nicht erkennen. Dass den
Eckhartpredigten ein herausragender Stellenwert zukam, ist nicht zu beobachten.
Dass die Handschrift für den klösterlichen Gebrauch präpariert wurde, zeigen das
Register am Ende der Handschrift, Virgeln zur rhetorischen Interpunktion sowie
Absatzmarkierungen zur Hervorhebung einzelner Sinnabschnitte. Die nachge-
tragene Nennung des liturgischen Anlasses über den meisten Predigten ist ein
zusätzlicher Hinweis darauf, dass die Handschrift für den individuellen Gebrauch
oder für die Tischlesung bestimmt war.
Grundsätzliche Beobachtungen zur topographischen Verteilung der deutschen
Eckharthandschriften gehen ebenfalls auf Adolf Spamer zurück. Dieser kons-
tatierte eine Verteilung der handschriftlichen Überlieferung auf drei Sprachland-
schaften:

43 Vgl. Meister Eckhart, hg. von Franz Pfeiffer, Erste Abtheilung: Predigten und Traktate
(Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Bd. 2), Leipzig 1857 (Nachdr. Aalen 1962;
1991).
44 Vgl. Auguste Jundt, Histoire du panthéisme populaire au Moyen Age et au seizième siècle,
Paris 1875, Nachdr. Frankfurt a. M. 1964; Jundt druckte seine Texte nach Str3 ab.
45 Vgl. Spamer, Zersetzung und Vererbung [Anm. 3], S. 97.
46 Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 185.
47 Spamer, Zersetzung und Vererbung [Anm. 3], S. 98.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 145

»Die erste und grösste gruppe ist die süddeutsche und besonders südwestdeutsche mit
ihrem centrum in Strassburg, auf das direct oder indirect ein grosser teil der wichtigsten
texte verweist. Neben Strassburg kommt besonders Basel in betracht. Ferner gehört
dazu die ganze Schweiz, Schwaben […], sowie auch noch das bairische gebiet. Die zweite
gruppe, die mitteldeutsche, hat ihren schwerpunkt in Thüringen und speciell in Erfurt.
[…] Zwischen diesem mitteldeutschen und süddeutschen textkreis vermittelnd steht
dann die dritte gruppe […]. Repräsentiert wird sie durch die Melker texte.« 48

Die hier im Mittelpunkt stehende ostschwäbische Handschrift Str3 aus dem


Raum Augsburg ist der ersten Überlieferungsgruppe zuzuordnen. Die anderen
zwei Gruppen können im Rahmen dieses Beitrags außer Acht gelassen werden.
Unser Gebiet ist der Südwesten. Am Beispiel Basel, neben Straßburg d i e Dreh-
scheibe für Literaturproduktion und -distribution im Südwesten,49 präzisierte
Volker Honemann die Literaturgrenzen des hier in Frage kommenden Gebie-
tes: »Das Gros der in der Basler Laienbibliothek versammelten Texte entsteht im
Südwesten des Reiches, in einem Raum, dessen Grenzen durch die Städte Basel
– Konstanz – Augsburg – Nürnberg – Straßburg – Basel markiert werden.« 50
Innerhalb dieses Areals kursierten Handschriften, Faszikel oder einzelne Lagen
mit den Predigten, Traktaten und Sprüchen, die ein unbekannter Kompilator in
die nicht mehr erhaltene Vorlage einarbeitete, die in Str3 und ihrer Dublette Mai1
noch bezeugt ist. Mithilfe von Filiationsuntersuchungen,51 welche die Verwandt-
schaft zwischen den Handschriften offenlegen, können in Kombination mit über-
lieferungsgeschichtlichen Informationen hinsichtlich Schreibern und Provenien-

48 Spamer, Zur Überlieferung der Pfeiffer’schen Eckeharttexte [Anm. 37], S. 344 f.


49 Unter den zahlreichen Untersuchungen zum Südwesten seien an dieser Stelle drei einschlä-
gige Arbeiten der letzten Jahre zum ›Fließenden Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Mag-
deburg herausgegriffen, welche die zentrale Bedeutung Basels als Literaturzentrum belegen:
Balázs J. Nemes, Von der Schrift zum Buch – vom Ich zum Autor. Zur Text- und Autor-
konstitution in Überlieferung und Rezeption des ›Fließenden Lichts der Gottheit‹ Mecht-
hilds von Magdeburg, Tübingen / Basel 2010 (Bibliotheca Germanica 55), bes. S. 242–244;
Dagmar Gottschall, Basel als Umschlagplatz für geistliche Literatur: Der Fall des ›Flies-
senden Lichts der Gottheit‹ von Mechthild von Magdeburg, in: University, Council, City.
Intellectual Culture on the Rhine (1300–1550). Acts of the XIIth International Colloquium
of the Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale Freiburg im Breisgau,
27–29 October 2004 organized by the Philosophisches Seminar, Universität Freiburg and
the De Wulf-Mansion Centre for Ancient and Medieval Philosophy, Catholic University
of Leuven, hg. von Laurent Cesalli, Nadja Germann und Maarten J. F. M. Hoenen,
Turnhout 2007 (Rencontres de Philosophie Médiévale 13), S. 137–169; Helen Webster,
German Mysticism in Fourteenth-Century Basel. Gender and Genre in Einsiedeln Stiftsbi-
bliothek MS 277, Diss. (masch.) Oxford 2006.
50 Volker Honemann, Deutsche Literatur in der Laienbibliothek der Basler Kartause 1480–
1520, Habil. (masch.) Berlin 1982, S. 211.
51 Grundlegend für die Predigten Meister Eckharts: Josef Quint, Die Überlieferung der
Deutschen Predigten Meister Eckeharts, Bonn 1932; s. darüber hinaus die Einleitungen zu
den einzelnen Predigten in DW I–IV.
146 Laurentiu Gafiuc

zen innerhalb der Überlieferung Strukturen ermittelt sowie Textgemeinschaften


und Tradierungswege und letztendlich das Überlieferungsnetz rekonstruiert wer-
den, über welches die Vorlagen von Str3 während des 14. und 15. Jahrhunderts
innerhalb des Südwestens verbreitet wurden.52
Dieses methodische Vorgehen bringt im Fall von Str3 etwa 20 Parallelhand-
schriften (vorlagennahe Handschriften) zum Vorschein, die zum Großteil am
Oberrhein entstanden sind und für die Basel (Ba1, Ba2, E1, E2) und Straßburg (B1,
B2, B15, Str1, Str4) als Provenienz entweder gesichert oder aufgrund von Maku-
latur und Handschriftenvergleichen in Betracht zu ziehen ist. In der Gesamtten-
denz zeigt sich: Je kleiner die Distanz zwischen den Überlieferungszentren und
den Skriptorien ist, in denen die im Folgenden vorzustellenden Handschriften
entstanden sind, umso präsenter sind die Corpusüberlieferung und der Name
Eckhart:
–– Der unter B1 (Berlin, Staatsbibliothek, mgo 12) 53 bekannte Überlieferungs-
träger – genau genommen handelt es sich hier nicht um eine gesamte Hand-
schrift, sondern lediglich um einen von vier zusammengebundenen Faszi-
keln –54 überliefert mit den in Pfeiffers ›Liber positionum‹ abgedruckten
Sprüchen Nr. 140, 141, 148, 2 und 5 (fol. 27ʳ–28ᵛ) eine ähnliche Zusammen-
stellung, die in Str3 Teil einer größeren Spruchsammlung ist. In B1 folgen
sie unmittelbar auf die als Sermo Magistri Eghardi angekündigte ›Predigt von
zwei Wegen‹ (fol. 22ᵛ–27ʳ).
–– Der in der heutigen Form erhaltene Codex B2 (Berlin, Staatsbibliothek,
mgo 65) 55 ist, wie die Lagenzählung ij und die Schlussformel eines vorher-

52 Vgl. René Wetzel, Spricht maister Eberhart. Die Unfestigkeit von Autor, Text und Text-
bausteinen im Cod. Bodmer 59 und in der Überlieferung weiterer mystischer Sammelhand-
schriften des 15. Jahrhunderts. Mit einem Exkurs zur Buch- und Bibliotheksgeschichte der
Kartause Buxheim, in: Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens im späteren
Mittelalter. Studien und Texte, hg. von Barbara Fleith und René Wetzel, Berlin / New
York 2009 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 1), S. 301–325, hier S. 303.
53 Vgl. Repertorium der ungedruckten deutschsprachigen Predigten des Mittelalters. Der Ber-
liner Bestand. Bd. 1: Die Handschriften aus dem Straßburger Dominikanerinnenkloster St.
Nikolaus in undis und benachbarte Provenienzen, hg. von Hans-Jochen Schiewer und
Volker Mertens, hier Bd. 1,2 (B1); vgl. auch die Online-Beschreibung in der Datenbank
des Eichstätter Projekts ›Predigt im Kontext‹: http://pik.ku-eichstaett.de/18/ [12. 02. 2017].
54 Parallelen zu der sicher aus dem Straßburger Nikolauskloster kommenden Handschrift P1
(Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. allem. 222) lassen auch für B1 eine ähnliche Provenien­z
vermuten, vgl. Balázs J. Nemes, Der ›entstellte‹ Eckhart. Eckhart-Handschriften im Straß-
burger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis, in: Schreiben und Lesen in der Stadt.
Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, hg. von Stephen Mossman, Nigel F.
Palmer und Felix Heinzer, Berlin / Boston 2012 (Kulturtopographie des alemannischen
Raums 4), S. 39–98, hier S. 86: »Der Großteil der Texte auf fol. 244ᵛ–251ᵛ [von P1] findet
sich auch in Berlin, SBB-PK, Ms. germ. oct. 12, fol. 1ʳ–7ʳ.«
55 Vgl. H.-J. Schiewer / Mertens, Repertorium [Anm. 53], 1,2 (B2); vgl. auch ›Predigt im
Kontext‹ [Anm. 53]: http://pik.ku-eichstaett.de/109/ [12. 02. 2017].
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 147

gehenden Textstücks (… an gebresten vnd ane svme sal kome zvͦ der wirder­
keit zvͦ der ich erwelt bin in der ewekeit. Amen [fol. 1ʳ]) zu Beginn sowie die
Reklamante noch (fol. 118ᵛ) am Ende der Handschrift zu erkennen geben,
das Mittelstück einer ursprünglich umfangreicheren Textsammlung.56 Der
Großteil des Inhalts besteht auch hier aus einer Vielzahl von Sprüchen aus
dem ›Liber positionum‹ sowie aus einer beachtlichen Anzahl an anonym
überlieferten Predigten, die Daniel Sudermann später nach einer eingehen-
den Kollation mit dem Basler Taulerdruck – hier am Beispiel der Predigt 26
(fol. 48ʳ–51ʳ): Fol: 251 B: dise predig ist zú Basel getrückt worden in seiner postill
(fol. 48ʳ) – als von Eckhart stammend identifizieren konnte: Dú findest drin
fürwar. Vil hochwürdige lähr. \ Ob schon vnder dem geist fleisch Jrrthúm aüch
beweist. \ Daniel Sudermann \ Magister oder Doctor Eckhart der von Gott hoch­
erleucht man (fol. 1ʳ). Darunter befindet sich die echte, textgeschichtlich mit
Str3 verwandte Predigt Pf. 76,1.57
–– Als dritte Berliner Handschrift sei hier B15 (Berlin, Staatsbibliothek,
mgo 64) 58 genannt, deren Makulatur auf ein Straßburger Kloster hin-
weist: »Als Indizien für die Provenienz sind neben dem Inhalt und einem
Sudermann-Eintrag […] sowohl die Pergamentfälze, für die wahrscheinlich
Bruchstücke einer Elsässer (Straßburger?) Urkunde des 14./15. Jh.s verwen-
det wurden, als auch das auf die Innenseite des Hinterdeckels geklebte Per-
gamentblatt – wohl ebenfalls das Fragment einer Straßburger Urkunde – zu
werten.« 59 Die dritte von insgesamt neun darin tätigen Händen schrieb ein
fast durchgehend anonymes und ausschließlich in Exzerpten vorliegendes
Corpus von Eckhartpredigten ab (fol. 89ʳ–93ʳ). Darunter befindet sich das
mit Dis sprichet meister Eckart eingeleitete Exzerpt aus Predigt 63 (fol. 90ʳ–ᵛ),
entnommen einer Vorlage, »die verwandtschaftlich engstens mit der von
Str3 verbunden gewesen sein muß«.60

56 Parallelen zu der sicher aus dem Nikolauskloster kommenden Handschrift B3 (Berlin,


Staatsbibliothek, mgq 125) lassen auch für B2 eine ähnliche Provenienz vermuten, vgl. Ne-
mes, Der ›entstellte‹ Eckhart [Anm. 56], S. 75: »Die Texte auf fol. 93ʳᵇ–101ᵛ [in B3] finden
sich auch in […] Berlin, SBB-PK, Ms. germ. oct. 65, fol. 59ʳ–75ᵛ (B2) […]. Diese Gemeinsam-
keiten in Textbestand und Textanordnung lassen darauf schließen, dass die Handschriften
entstehungsgeschichtlich zusammengehören und auf dieselbe Vorlage zurückgehen […]«; vgl.
auch die Vorarbeiten: Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 116;
›Predigt im Kontext‹ [Anm. 53]: http://pik.ku-eichstaett.de/109/ [12. 02. 2017].
57 Vgl. Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 666.
58 Vgl. H.-J. Schiewer / Mertens, Repertorium [Anm. 53], 1,2 (B15); ›Predigt im Kontext‹
[Anm. 53]: http://pik.ku-eichstaett.de/10253/ [12. 02. 2017].
59 H.-J. Schiewer / Mertens, Repertorium [Anm. 53], 1,2, S. 505.
60 DW III, S. 71.
148 Laurentiu Gafiuc

–– Die ursprünglich wohl alemannisch-elsässische Pergamenthandschrift Str1


(Straßburg, Stadtbibliothek, Cod. A 98) 61 versammelte, wie den Abschrif-
ten Pfeiffers zu entnehmen ist,62 eine umfangreiche Eckhart-Predigt-
sammlung, die zu einem beträchtlichen Teil Eckhart zugeschrieben war. Sie
enthielt eine Zusammenstellung aus den Predigten 34, 20a, 35, 32 und 107,
die ehemals in einen liturgischen Kontext eingebettet waren und in Str3 in
modifizierter Form zu finden ist. Darauf wird zurückzukommen sein.
–– Die ebenfalls verschollene Sammelhandschrift Str4 (Straßburg, Stadtbi­
bliothek, Cod. A 100) 63 enthielt ursprünglich »eine Abschrift eines Meister
Eckharts Namen an der Spitze tragenden Abschnitts« 64 (fol. 64ʳ–94ᵇ), ein-
geleitet mit Predigt Pf. 17 (fol. 64ʳ–65ʳ), die gemeinsam mit Str3 und den
zwei im 14. Jahrhundert in Basel geschriebenen Handschriften Ba1 und Ba2
»einen weitestgehend übereinstimmenden Text bieten«.65
–– Ähnlich wie Str4 leitet Predigt Pf. 17 (fol. 1ʳ–5ʳ) in Ba1 (Basel, Universi-
tätsbibliothek, Cod. B XI 10) 66 ein fünf Predigten umfassendes Corpus
ein, von denen vier – die eckhartähnliche Predigt Pf. 18 (fol. 5ʳ–9ᵛ) so-
wie die echten Eckhartpredigten 71 (fol. 9ᵛ–25ʳ), 44 (fol. 25ʳ–36ʳ) und 17
(fol. 36ʳ–43ᵛ) – brder eghart zu Beginn nennen. In der äußerst voluminö-
sen Exzerpthandschrift Ba2 (Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B IX 15) 67
wurden vier Exzerpte aus Predigt Pf. 17 (fol. 255ʳᵇ–ᵛᵇ) eingearbeitet. Wie B15
überliefert auch Ba2 einen Auszug aus Predigt 63 (fol. 238ʳᵇ). Beide »stim-
men mit dem Str3-Volltext weitestgehend überein und stammen jeweils aus
einer Vorlage, die verwandtschaftlich engstens mit der von Str3 verbunden
gewesen sein muß«.68 Sowohl Ba1 als auch Ba2 gelangten später in die 1401
gegründete Basler Kartause. Das Entstehungsumfeld beider Handschriften

61 Vgl. Otto Simon, Überlieferung und Handschriftenverhältnis des Traktates »Schwester


Katrei«. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Mystik, Diss. Halle a. d. Saale 1906,
S. 9–13.
62 Vgl. W1 (Wien, Nationalbibliothek, Cod. 15383); beschrieben von Hermann Menhardt,
Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbi­
bliothek. Bd. 3, Berlin 1961 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Lite-
ratur 13), S. 1416–1418.
63 Vgl. Max Pahncke, Kleine Beiträge zur Eckhartphilologie, in: XXXIV. Jahresbericht des
Gymnasiums zu Neuhaldensleben, Neuhaldensleben 1909, S. 1–23, hier S. 5–8; jüngste Un-
tersuchung von Diana Müller, Textgemeinschaften. Der ›Gregorius‹ Hartmanns von Aue
in mittelalterlichen Sammelhandschriften, Diss. Frankfurt a. M. 2013, S. 98–131.
64 Pahncke, Kleine Beiträge [Anm. 63], S. 6.
65 Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 229.
66 Vgl. Gustav Meyer und Max Burckhardt, Die mittelalterlichen Handschriften der Uni-
versitätsbibliothek Basel. Beschreibendes Verzeichnis, Abteilung B: Theologische Perga-
menthandschriften. Bd. 2: Signaturen B VIII 11 – B XI 26, Basel 1966, S. 934–958.
67 Vgl. Meyer / Burckhardt, Die mittelalterlichen Handschriften [Anm. 66], S. 219–270.
68 DW III, S. 72.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 149

ist unbekannt. Lediglich für Ba2 konnte Karin Schneider auf der Basis
paläographischer Auswertungen eine ähnliche Schreibstube wahrscheinlich
machen, in der auch die im Umkreis Heinrichs von Nördlingen entstandene
Faszikel-Handschrift E1 entstanden ist.69
–– Darüber hinaus zeigen E1 (Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 277) 70 und
Ba2 auch eine textgeschichtliche Verbindung, die in einer in Resten erhal-
ten gebliebenen Predigtsammlung besteht, die in größerem und womöglich
ursprünglicherem Umfang (?) in Str3 und im noch zu nennenden Faszikel
Bra2 überliefert ist. Eine textgeschichtliche Parallele zwischen der ebenfalls
in den Schreibstuben Heinrichs geschriebenen Schwesterhandschrift E2
(Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 278) 71 und Ba1 zeigen die mitüberliefer-
ten Predigten 7 und 6 Johannes’ von Sterngassen (E2: p. 194ᵃ–198ᵇ; Ba1:
fol. 240ʳ–250ʳ) 72 und Heinrichs von Ekkewint. Letzterer ist in E2 mit allen
4 bekannten Predigten präsent (p. 181ᵇ–194ᵃ), in Ba1 dagegen nur mit einer
(fol. 251ᵛ–263ᵛ), hier Brder Eghart zugeschrieben.73 Diese Parallelen lassen
auch für Ba1 ein ähnliches Entstehungsumfeld vermuten.

Diejenigen Überlieferungszeugen, welche die Verbreitung der Eckhartpredigten


vom Oberrheinischen ins Ostschwäbische dokumentieren, eignen sich dazu, um
die allmählich eintretende Anonymisierung der Eckhartpredigten zu veranschau-
lichen. Die Mitberücksichtigung ihrer Materialität gibt gleichzeitig Einblicke in
die spätmittelalterliche Tradierungspraxis und zeigt, wie die deutschen Eckhart-
predigten in Lagen und Faszikeln verbreitet wurden:
–– Bra1 (Heidelberg, Privatsammlung Eis, Hs. 106),74 ähnlich wie B1 ein 20
Blatt starker Faszikel, wurde laut Eis / Vermeer zu Beginn des 15. Jahr-
hunderts im alemannischen Raum geschrieben und von Reformgeistlichen

69 Vgl. Karin Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache, II. Die oberdeutschen
Schriften von 1300 bis 1350, Text- und Tafelband, Wiesbaden 2009, S. 150.
70 Vgl. Mechthild von Magdeburg, ›Das fließende Licht der Gottheit‹. Nach der Einsiedler
Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung, hg. von Hans Neu-
mann. Bd. II: Untersuchungen, ergänzt und zum Druck eingerichtet von Gisela Vollmann-
Profe, Tübingen 1993 (MTU 101), S. 175–232.
71 Vgl. Gabriel Meier, Catalogus codicum manu scriptorum qui in Bibliotheca Monaste-
rii Einsidlensis O.S.B. servantur, Einsiedeln 1899, S. 249–253; vgl. Nemes, Von der Schrift
zum Buch [Anm. 49], S. 239–241 (mit Anm.).
72 Vgl. Walter Senner, Johannes von Sterngassen OP und sein Sentenzenkommentar, Teil I:
Studie, Berlin 1995 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens
N.F. 4), S. 321–323.
73 Kurt Ruh, Heinrich von Ekkewint, in: ²VL 3 (1981), Sp. 718–720, hier S. 718.
74 Früher: Braunau (Böhmen), Privatsammlung Eduard Langer, Ms. 702; davor: München,
Privatbesitz Antiquariat J. Halle, Nr. 1912/46,310,3; vgl. Gerhard Eis und Hans J. Ver-
meer, Nichteckhartische Texte in der Eckhart-Handschrift Bra1, in: Xenia medii aevi histo-
riam illustrantia oblata Thomae Kaeppeli O.P., hg. von Raymundus Creytens und Pius
150 Laurentiu Gafiuc

ins Dominikanerinnenkloster Schönensteinbach bei Wittenheim im Elsass


gebracht. Die Abschriften darin sind im Wesentlichen identisch mit »den
Bll. 74ʳ–106ʳ des Cod. germ. quart. 1132 der Staatsbibliothek Berlin [B9],
welche ihrerseits noch weitere Eckharttexte enthält«.75 Darunter befindet
sich die mit Str3 auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehende Eckhartpre-
digt Pf. 57 (Bra1: fol. 82ʳ–84ʳ; B9: fol. 100ʳ–104ʳ).76
–– Bezüglich der Entstehung des Codex B9, der laut Besitzvermerk schließlich
in die Laienbibliothek der Kartause Buxheim (Carthusianorum in Buxheim,
fol. 1ʳ) gelangte, bedarf es noch der Klärung, ob die Abschrift auf Laien,
die für Auftraggeber oder auf Vorrat schrieben, zurückgeht, wie Wer-
ner Fechter vermutet,77 oder ob sie, so Nigel F. Palmer, womöglich
im Umkreis der dortigen Reform- und Frauenklöster angefertigt wurde 78
oder doch in der Kartause selbst, wo es womöglich »im zweiten Viertel des
15. Jahrhunderts ein aktives Skriptorium gab, in dem vorwiegend mystische
Schriften des 14. Jahrhunderts abgeschrieben und […] den Laienbrüdern zur
Verfügung gestellt wurden«.79
–– Im selben Umfeld wie B9 ist auch der Faszikelband Bra3 (Cologny-Genf,
Bibl. Bodmeriana, Cod. Bodm. 59) 80 entstanden, wie aus dem ähnlichen
Schreibduktus in beiden Handschriften, den Balázs J. Nemes beobachten
konnte,81 zu schließen ist. Auch dieser befand sich später im Bestand der
Laienbibliothek der Kartause Buxheim. Der darin überlieferte Textzeuge

Künzle, Rom 1978 (Storia e Letteratura raccolta di studi e testi 141), Bd. I, S. 379–399, hier
S. 382–391.
75 Eis / Vermeer, Nichteckhartische Texte [Anm. 74], S. 383.
76 Vgl. Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 540.
77 Vgl. Werner Fechter, Eine Thalbacher Handschrift mit Eckhart-Predigten, Exzerpten
aus Seuse, dem ps.-albertischen ›Paradisus animae‹ und anderem in Pavia, in: ZfdA 103
(1974), S. 311–333, hier S. 331 f.
78 Vgl. Nigel F. Palmer, Rezension zu: Rüdiger Blumrich, Marquard von Lindau, Deutsche
Predigten, in: ZfdA 125 (1996), S. 118–124, hier S. 122.
79 Nigel F. Palmer, Beobachtungen zu einer Gruppe von schwäbischen Mystik-Hand-
schriften des 15. Jahrhunderts. Mit dem Textabdruck einer mystischen Spruchsammlung
der Handschrift Reading, UL, MS. 137, in: Deutsche Mystik im abendländischen Zusam-
menhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte.
Kolloquium Kloster Fischingen 1998, hg. von Walter Haug und Wolfram Schneider-
Lastin, Tübingen 2000, S. 605–652, hier S. 612.
80 Vgl. René Wetzel, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana. Mit ei-
nem Beitrag von Karin Schneider zum ehemaligen Kalocsa-Codex, Cologny-Genève
1994 (Bibliotheca Bodmeriana Kataloge VII), S. 47–63.
81 Vgl. Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 700 (olim: Braunau, Privatsammlung Eduard
Langer, Ms. 263; davor München, Privatbesitz Carl Förster’sche Kunstauction, Nr. 2370), be-
schrieben von Balázs J. Nemes (2013); aufrufbar auf http://www.manuscripta-mediaevalia.
de/?xdbdtdn!%22obj%2031257534%22&dmode=doc#|4 [12. 2. 2017], S. 1–10, hier S. 6.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 151

von Predigt 66 (fol. 69ʳ–75ʳ) geht mit dem in Str3 auf einen gemeinsamen
Prototyp zurück.82
–– Die gleiche Schreibstube ist auch für den Faszikel Bra2 (Reading, Universi-
ty Library, MS 137) 83 anzunehmen, was wiederum aus Nemes’ paläographi-
scher Analyse hervorgeht.84 Bra2 enthält auf genau vier Lagen verteilt eine
umfangreiche Predigtsammlung, die in die Vorlage von Str3 in identischer
Reihenfolge eingearbeitet wurde.
–– Derselben Vorlage wurden die drei Eckhartpredigten Pf. 57, Pr. 4 und die
Maria-Martha-Predigt (Pr. 86) entnommen, die in den eigens dafür zur Ver-
fügung stehenden Faszikel B5 (Berlin, Staatsbibliothek, mgq 841) 85 einge-
schrieben wurde. Dieser wurde daraufhin in eine Taulersammlung inseriert,
die den Dominikanerinnen im ostschwäbischen Maria Medingen gehörte.
Auf Bra2 und B5 wird ebenfalls zurückzukommen sein.

Bei vier weiteren Überlieferungszeugen liegt die Provenienz weitgehend bis gänz-
lich im Dunkeln. Aufgrund ihrer Textparallelen zu Str3 sollen sie in Kürze vorge-
stellt werden:
–– Für den um 1400 oder früher geschriebenen hochalemannischen Codex
G3 (St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 966) 86 verweist ein Verbund aus drei
Texten in ein dominikanisches Umfeld.87 Eine sehr deutliche Parallele zu
Str3 zeigt ein Exzerpt aus Predigt 4 (p. 100–103) 88 als Schluss einer Reihe

82 Vgl. Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 549.


83 Vgl. Palmer, Beobachtungen zu einer Gruppe von schwäbischen Mystik-Handschriften
[Anm. 79], S. 607 f.; Rüdiger Blumrich, Marquard von Lindau, Deutsche Predigten. Un-
tersuchungen und Edition, Tübingen 1994 (TTG 34), S. 20*–22*; Philipp Strauch, Hand-
schriftliches zur deutschen Mystik, in: ZfdPh 54 (1929), S. 283–296, hier S. 283–290.
84 Vgl. Nemes, mgo 700 [Anm. 81], S. 7.
85 Vgl. H.-J. Schiewer / Mertens, Repertorium [Anm. 53], 1,3 (B5); ›Predigt im Kontext‹
[Anm. 53]: http://pik.ku-eichstaett.de/322/ [12. 02. 2017].
86 Vgl. Quint, Neue Handschriftenfunde [Anm. 15], S. 60–62.
87 Vgl. Balázs J. Nemes, Dis buch ist iohannes schedelin. Die Handschriften eines Colmarer
Bürgers aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und ihre Verflechtungen mit dem Literaturange-
bot der Dominikanerobservanz, in: Fleith / Wetzel, Kulturtopographie des deutschspra-
chigen Südwestens [Anm. 52], S. 157–214, hier S. 173: »Der erste berichtet von zwölf guten
Menschen, denen Christus in Gestalt eines schönen Jünglings erscheint. Man kennt den
Text – er zeigt Beziehungen zum Frage-Antwort-Dialog ›Meister Eckhart und der nackte
Knabe‹ – aus drei Handschriften: Zwei von ihnen kommen mit Sicherheit aus Dominikane-
rinnenklöstern (Berlin, SBB-PK, Ms. germ. oct. 65 [B2] aus dem Straßburger St. Nikolaus-
kloster und Karlsruhe, Badische LB, Cod. Donaueschingen 115 aus Dießenhofen bei Schaff-
hausen), eine ähnliche Provenienz wird auch bei der dritten zu vermuten sein (St. Gallen,
Stiftsbibl., Cod. 966). Die beiden anderen Prosastücke handeln von den fünfzehn Zeichen
der Geburtsnacht Christi und den Wundern der Heiligen drei Könige.«
88 Vgl. DW I, S. 58 f.
152 Laurentiu Gafiuc

anonymer Sprüche (p. 98–100) über das Leiden (Dis ist von gedulteklich liden
wie gt das ist).
–– Die außerordentlich reichhaltige Sammelhandschrift G5 (St. Gallen, Stifts-
bibliothek, Cod. 1033) 89 wurde um 1400 von einer unbekannten Hand
geschrieben und gehörte später dem Dominikanerinnenkloster St. Katha-
rinental in Diessenhofen (Ostschweiz).90 Davor befand sie sich in Privatbe-
sitz (küngoltal vnd barlan von rischach, fol. 260ᵛ), dem Namen zufolge wahr-
scheinlich nicht weit weg vom Kloster.91 Der darin überlieferte Textzeuge
der Maria-Martha-Predigt (fol. 226ʳ–229ᵛ), »im ganzen besser als derjenige
seiner beiden Filiationspartner Str3B5«,92 belegt ihre Verbreitung über das
Südalemannische in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
–– Einst im Besitz von Verena Gelter, wurde der alemannische Codex G1
(St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 972a) 93 später der Beginengemeinschaft
in Teufen südlich von St. Gallen übergeben (Jtem den schwoestren von túf­
fen han ich fren gelterin gen das bch dar vmb das sy gott für mich biten soellint,
p. 346). Geschrieben wurde die Handschrift, wie aus dem anschließenden
Widmungsvermerk von anderer Hand zu schließen ist, vor dem 18. Au-
gust 1450 (p. 346). Unter den zahlreichen Parallelen zu Str3 sei hier nur auf
die Spruchsammlung Nr. 5, 121–136, 138, 140, 141, 148, 2 (p. 150–180) aus
Pfeiffers ›Liber positionum‹ hingewiesen.
–– St4 (Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 8° 13) 94 ist ein 34 Blatt
starkes Lagenbündel. Es wurde um 1400 von einer unbekannten Hand be-
schrieben und kursierte, wie die Gebrauchsspuren und Verschmutzungen
vermuten lassen, in dieser Geschlossenheit. Fehlende Schreibereinträge und
kodikologische Hinweise lassen keine Aussagen zur Provenienz zu. Textge-
schichtlich zeigt das darin stehende Exzerpt aus Predigt 4 (fol. 17ᵛ–19ᵛ) mit
Blick auf seinen Umfang eine deutliche Verwandtschaft zu G3 und Str3.95

89 Vgl. Quint, Neue Handschriftenfunde [Anm. 15], S. 43–56.


90 Vgl. Mathias Stauffacher, Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung des
»Engelberger Predigers«, Diss. (masch.) Basel 1982, S. 7/8; zur Bibliothek von Katharinental
vgl. Hans-Jochen Schiewer, Literarisches Leben in dominikanischen Frauenklöstern des
14. Jahrhunderts: Das Modell St. Katharinental bei Diessenhofen, in: Studien und Texte
zur literarischen und materiellen Kultur der Frauenklöster im späten Mittelalter, hg. von
Falk Eisermann, Eva Schlotheuber und Volker Honemann, Leiden / Boston 2004
(Studies in Medieval and Reformation Thought 99), S. 285–309.
91 Vgl. Stauffacher, Engelberger Prediger [Anm. 90], S. 7A/5 Anm. 52.
92 DW III, S. 477.
93 Vgl. Josef Quint, Neue Funde zur handschriftlichen Überlieferung Meister Eckharts, in:
PBB 82 (Tüb. 1960), S. 352–384, hier S. 362–376.
94 Vgl. Spamer, Zur Überlieferung der Pfeiffer’schen Eckeharttexte [Anm. 37], S. 381–383;
Louis L. Hammerich, Das Trostbuch Meister Eckeharts, in: ZfdPh 56 (1931), S. 69–98,
hier S. 81–85.
95 Vgl. DW I, S. 58 f.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 153

Mithilfe dieser Methode konnten eine Reihe handschriftlicher Vorlagen ermittelt


werden, die in der folgenden Übersicht zusammengefasst werden:96

Parallelhandschriften Str3

Bra1, B9, B5 fol. 2ʳ–5ᵛ Predigt Pf. 57


G3, St4, B5 fol. 5ᵛ–7ʳ Predigt 4 (Exzerpt)
… …
Bra3 fol. 36ʳ–42ʳ Predigt 66
B15, Ba2 fol. 42ʳ–45ᵛ Predigt 63
… …
G5, B5 fol. 47ʳ–55ᵛ Predigt 86

B2 fol. 65ᵛ–67ʳ Predigt Pf. 76,1
Bra2, Ba2, E1 fol. 102ʳ–135ʳ Predigt 73, 5b, 11, 12, 22,
29, 109
Bra2 fol. 135ʳ–140ᵛ ›Eine gute Klosterlehre‹
Bra2, Ba2, E1 fol. 140ᵛ–186ᵛ Predigt 67, 13, 28, 1, 4
(Volltext), 69, 59, 49
Bra2 fol. 186ᵛ–187ᵛ ›Von fünferlei Armut‹
… …
Str1 fol. 216ʳ–223ʳ Predigt 32, darin: Predigt
107, 34
Str1 fol. 223ʳ–229ʳ Predigt 20a
Str1 fol. 229ʳ–232ᵛ Predigt 35
… …
Ba1, Str4 fol. 265ᵛ–268ʳ Predigt Pf. 17

96 Mit einer vergleichbaren Methode konnte Heidemarie Vogl die handschriftlichen Quel-
len der ›Spiegel der Seele‹-Kompilation und die Arbeitsmethodik des Redaktors ermitteln,
vgl. Heidemarie Vogl, Der »Spiegel der Seele«. Eine spätmittelalterliche mystisch-theolo-
gische Kompilation, Stuttgart 2007 (MEJb. Beihefte 2), S. 240–265.
154 Laurentiu Gafiuc

B1 (Reste), G1 fol. 278ᵛ–290ᵛ LP 5, 121–136, 138, 140,


141, 148, 2
… …

Zum Vorschein kommen Klöster und Laienwerkstätten, die in der Freiburger


Forschung zur ›Kulturtopographie des alemannischen Raums‹ in den letzten Jah-
ren wiederholt im Mittelpunkt standen und die als Entstehungsort oder spätere
Bibliotheksheimat auch hier zu erwähnen sind. Es begegnen Handschriften aus
Frauen- und Männerklöstern, und zwar ordensübergreifend. Eine Dichotomie in
reformiert-nichtformiert ist nicht zulässig, wenn man die Überlieferung näher be-
trachtet. Sicherlich kann bei Inzigkofen, wohin Str3 nach der Anfertigung im Jahr
1440 hingebracht wurde, eine Kausalität gesehen werden, wenn man argumentiert,
dass dort neun Jahre zuvor (1431) die Statuten von Pillenreuth eingeführt worden
waren, wodurch das Augustinerchorfrauenstift an die von Raudnitz ausgehende
Reform angeschlossen werden sollte und die Handschrift einige Jahre später in
diesem Zusammenhang angefertigt wurde.97 Andererseits wurde im selben Jahr
auch das Nikolauskloster in Straßburg von Colmar und Basel aus reformiert,98 die
Eckharthandschriften befanden sich damals aber schon in der dortigen Bibliothek.
Neben dem Dominikanerinnenorden sind auch die Kartäuser stark vertreten, die
nie einer Reform bedurften. Letztere hatten vielmehr eine Beraterfunktion.99 Es
ist darüber hinaus zu fragen, welche Handschrift beim Klostereintritt mitgebracht,
welche auf Bestellung angefertigt und welche von Laien gestiftet wurde, die schon
lange Zeit vor der Observanzbewegung im 15. Jahrhundert literarisch tätig waren,
z. B. in Basel bei Heinrich von Nördlingen, und damit entscheidenden Einfluss
auf die spätmittelalterliche Mentalitätsgeschichte ausübten.100 Insbesondere Ver-
mögende sahen sich nicht selten zu Schenkungen an Klöster verpflichtet, um »die
gesellschaftlichen mala der Zeit zu heilen, die man vor allem durch gravierende

97 Zur Geschichte des Stifts vgl. Fechter, Inzigkofen [Anm. 7], S. 5–18, hier S. 8 f.
98 Vgl. Iohannes Meyer Ord. Praed., Buch der Reformacio Predigerordens: IV und V Buch,
hg. von Benedictus Maria Reichert, Leipzig 1908 (Quellen und Forschungen zur Ge-
schichte des Dominikanerordens in Deutschland 3), S. 83 f.
99 Vgl. Hansjakob Becker, ›Cartusia numquam reformata quia numquam deformata‹. Litur-
giereformen bei den Kartäusern in Vergangenheit und Gegenwart, in: Liturgiereformen.
Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes, hg.
von Martin Klöckner und Benedikt Kranemann, Teil 1: Biblische Modelle und Li-
turgiereformen von der Frühzeit bis zur Aufklärung, Münster 2002 (Liturgiewissenschaft-
liche Quellen und Forschungen 88), S. 325–345.
100 Vgl. Werner Williams-Krapp, Ordensreform und Literatur im 15. Jahrhundert, in: Jahr-
buch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 4 (1986/87), S. 41–51, hier S. 41; Peter
Kesting, Heinrich von Nördlingen, in: NDB 8 (1969), S. 420 f.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 155

Mängel im geistlichen Leben weiter Teile der Bevölkerung« 101 beobachtete. Dazu
kommen Handschriften, die nur ungefähr datiert und lokalisiert werden können.
Schließlich ist zu ermitteln, ob diese Handschriften in den Klöstern auch rezipiert
wurden.102 Diese Darstellung veranschaulicht sehr deutlich die zu berücksichti-
gende Komplexität zwischen Observanz, Literaturvermittlung und Rezeption,
über die in der Regel nur Einzeluntersuchungen konkrete Aussagen zulassen.103
Diese Komplexität ist vor dem Hintergrund der Veränderungen innerhalb der
literarischen Praxis sowie der nicht klar abgrenzbaren, zum Teil sogar ambigen
Lesegewohnheiten zu sehen. Zunächst sei auf die einstige Trennung zwischen
illitterati (Laien) und litterati (Klerikern) verwiesen, die im 14. und 15. Jahrhundert
längst nicht galt:

»Bis etwa gegen 1200/1250 kann der Begriff des Laien in etwa deckungsgleich ver-
wendet werden mit dem des illitteratus, der keine tätige oder rezeptive Teilhabe an der
lateinischen Schriftkultur hat, an der deutschen nur sprechend und hörend. Ihm ge-
genüber steht bis zu diesem Zeitpunkt der litteratus, meist Kleriker mit den niederen
oder höheren Weihen, theologisch gebildet, mit aktivem Zugang zur Welt lateinischer
Schriftlichkeit, oft auch literarisch tätig.« 104

Der Begriff ›Laie‹ wird facettenreicher. Außerhalb kirchenrechtlicher Regelungen


ist fortan jeder ›Weltliche‹ damit gemeint, der im Gegensatz zum ›Geistlichen‹
ein Leben der Vollkommenheit außerhalb der Klostermauern, oft genug aber in
klosterähnlichen Zusammenschlüssen sucht.105 Aus Klosterbibliotheken konn-
ten sich Laien Literatur ausleihen und abschreiben oder Abschriften in Auftrag
geben. Der Lesestoff von ›Weltlichen‹ und ›Geistlichen‹ unterschied sich kaum.

101 Volker Honemann, Laien als Literaturförderer im 15. und 16. Jahrhundert, in: Laien-
lektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, hg. von Thomas Kock und Rita Schluse-
mann, Frankfurt a. M. 1997 (Gesellschaft, Kultur und Schrift; Mediävistische Beiträge 5),
S. 147–160, hier S. 152.
102 Vgl. Dagmar Gottschall, Meister Eckhart-Rezeption in Nürnberg, in: ZfdA 138 (2009),
S. 199–213.
103 So konnte Johanna Thali nachweisen, dass sowohl das nichtreformierte Kloster En-
gelthal wie auch das reformierte Katharinenkloster in Nürnberg nicht nur mystische Li-
teratur besaßen, sondern dass ihr Lektürekanon für die Tischlesungen, wie ihn Johannes
Meyer im ›Ämterbuch‹ definiert hatte, nicht wesentlich voneinander abwich, vgl. Johanna
Thali, Beten – Schreiben – Lesen. Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster
Engelthal, Tübingen / Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 42), S. 306.
104 Nikolaus Henkel, Ein Augsburger Hausbuch des Spätmittelalters. Der Wolfenbütteler
Codex des Bürgermeisters Ulrich Schwarz († 1478), in: Literarisches Leben in Augsburg
während des 15. Jahrhunderts, hg. von Johannes Janota und Werner Williams-Krapp,
Tübingen 1995 (Studia Augustana 7), S. 27–46, hier S. 27.
105 Vgl. Georg Steer, Zum Begriff ›Laie‹ in deutscher Dichtung und Prosa des Mittelalters,
in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion
Wolfenbüttel 1981, hg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann, Stuttgart 1984
(Germanistische Symposien. Berichtsbände V), S. 764–768, hier 765–767.
156 Laurentiu Gafiuc

Es sind hier die als B9, Bra1, Bra2 und Bra3 bekannten Lagen und Faszikel, die
sich hinsichtlich Materialität und Schreiberhände als literarische Produkte einer
zusammengehörenden Schreibergruppe identifizieren ließen, die im Klosterum-
feld ebenso tätig gewesen sein könnte wie in einer Laienwerkstatt. »Vielleicht
befand sich die Werkstatt [mit Blick auf die Schreibsprache der in Bra3 identifi-
zierten Hand] in Konstanz, wo nicht nur während des Konzils die Herstellung
und der Vertrieb von Hss. blühten […].« 106 Diese Vermutung Werner Fechters
rückt die Schreibpraxis in der spätmittelalterlichen Stadt und die mit ihr jahre-
und jahrzehntelang verwobenen Großereignisse wie die Konzilien von Konstanz
(1414–1418) 107 und Basel (1431–1449) 108 in den Mittelpunkt, welche die Litera-
turvermehrung und -verbreitung in bis dahin ungekanntem Ausmaß begünstig-
ten.109 Die dortigen Büchermärkte, so Paul Lehmann, boten für alle Teilneh-
mer beste »Möglichkeiten und Anregungen, Bücher zu studieren und durch Kauf
oder Abschreiben zu erwerben […]. In beiden Orten und ihrer Umgebung gab es
zahlreiche gutausgestattete Bibliotheken uralten und neuen Ursprungs. Hunderte,
Tausende von Berufsschreibern und Schreibkundigen waren anwesend und bereit,
Kopien anzufertigen«.110 Insgesamt lassen sich die Büchermärkte, so Johannes
Helmrath, »nur aus einer Vielfalt kaum einzeln rekonstruierbarer persönlicher
Initiativen und Beziehungen verstehen, über die sich der einzelne Konzilsbesucher
seine Handschriften organisierte. Kauf einer alten Handschrift, Kauf einer im
Auftrag neu geschriebenen Kopie, Selbstproduktion, Geschenk, Tausch usw.« 111
Kurz: Aspekte, die auch im Fall der hier vorgestellten Eckharthandschriften,
-lagen und -faszikel mit zu berücksichtigen sind.

106 Fechter, Eine Thalbacher Handschrift mit Eckhart-Predigten [Anm. 77], S. 332.


107 Vgl. Ansgar Frenken, Das Konstanzer Konzil (1414–1418), Stuttgart 2015; Walter
Brandmüller, Das Konzil von Konstanz (1414–1418). Bd. 1: Bis zur Abreise Sigismund
nach Narbonne, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Paderborn [usw.] 1999; Bd. 2: Bis
zum Konzilsende, Paderborn [usw.] 1997.
108 Vgl. Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431–1449. Forschungsgegenstand und
Probleme, Köln / Wien 1987 (Kölner Historische Abhandlungen 32).
109 Vgl. Werner Williams-Krapp, Literatur in der Stadt. Nürnberg und Augsburg im 15.
Jahrhundert, in: Geistliche Literatur des späten Mittelalters. Kleine Schriften, hg. von Kris-
tina Freienhagen-Baumgardt und Katrin Stegherr, Tübingen 2012 (Spätmittelalter,
Humanismus, Reformation 64), S. 35–48, hier S. 35; Jürgen Miethke, Die Konzilien als
Forum der öffentlichen Meinung im 15. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung
des Mittelalters 37 (1981), S. 736–773, hier S. 767.
110 Paul Lehmann, Konstanz und Basel als Büchermärkte während der großen Kirchenver-
sammlungen, in: Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze,
Bd. 1, Stuttgart 1941, Nachdruck 1959, S. 253–280, hier S. 255.
111 Johannes Helmrath, Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien, in: Die
Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Referate der 12. Arbeits-
tagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 22.–25. 4. 1987 in Sie-
gen, hg. von Hans Pohl, Stuttgart 1989 (Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsge-
schichte 87), S. 116–172, hier S. 166.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 157

Als Auftraggeber sind darüber hinaus auch die Konzilstheologen und Uni-
versitätsangehörigen in Erwägung zu ziehen, welche sich in erster Linie für die
causa reformationis einsetzten und die reformatio in capite et in membris vorantrie-
ben. Zwar unterschied sich die Literatur der Reformtheologen von den Predigten
Eckharts, wie sie in Bra2, Bra3 und Str3 überliefert sind, eklatant. Gelehrte wie
Johannes Gerson, einstiger Kanzler der Universität Paris,112 oder Johannes Nider,
Dominikaner und Professor an der Universität in Wien,113 bevorzugten für ihr
Reformprogramm weniger spekulatives Schrifttum als vielmehr erbauliche Lite-
ratur, die im Sinne der zeitgenössischen ›Frömmigkeitstheologie‹ dazu geeignet
war, komplexe theologische Zusammenhänge darzustellen und dem einfachen
Volk zu vermitteln.114 Gleichzeitig pflegten dieselben Theologen aber auch ihr
›privates‹ Interesse für ›mystische‹ Literatur. Und diese hob sich von den für die
Öffentlichkeit bestimmten Schriften deutlich ab: »Im Unterschied zu den meis-
ten katechetischen und erbaulichen Werken der (theologischen) Wiener Schule
hat man es hier mit deutlich anspruchsvollerem Niveau zu tun, was sich offenbar
auch im Adressatenkreis niederschlägt, der nicht mehr den Laien oder illittera­
tus schlechthin, sondern ausgewählte monastische Zirkel umfaßte.« 115 Dazu zählt
Klaus Wolf den ›Traum eines Gottesfreundes‹, ein »[m]ystischer Kurzdialog
zum Thema Rechtfertigung der guten Werke« 116, ein Thema, das vor allem bei
den Wiener Theologen aktuell war.117 Überliefert ist der Kurztraktat in den Tau-
lerhandschriften St7, M27 und M28.118 Mitüberliefert sind hier der Traktat ›Von

112 Vgl. Christoph Burger, Aedificatio, fructus, utilitas. Johannes Gerson als Professor der
Theologie und Kanzler der Universität Paris, Tübingen 1986 (Beiträge zur historischen
Theologie 70), S. 24–40 (zur Person), S. 110–143, bes. S. 137 f. (zum Mystikprogramm).
113 Vgl. Stefan Abel, ›Die vierundzwanzig goldenen Harfen‹. Edition und Kommentar, Tü-
bingen 2011 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 60), S. 7–43 (Leben, Denken,
Wirken).
114 Vgl. Bernd Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie? Überlegungen zum 14. bis 16. Jahr-
hundert, in: Religiosität im späten Mittelalter. Spannungspole, Neuaufbrüche, Normierun-
gen, hg. von Reinhold Friedrich und Wolfgang Simon, Tübingen 2011 (Spätmittelal-
ter, Humanismus, Reformation 54), S. 116–153, hier S. 122 f.
115 Klaus Wolf, Hof – Universität – Laien. Literatur- und sprachgeschichtliche Untersu-
chungen zum deutschen Schrifttum der Wiener Schule des Spätmittelalters, Wiesbaden
2006 (Wissensliteratur im Mittelalter 45), S. 175.
116 Falk Eisermann, ›Traum eines Gottesfreundes‹, in: ²VL 9 (1995), Sp. 1011 f., hier Sp. 1011.
117 Vgl. Wolf, Hof – Universität – Laien [Anm. 115], S. 174, Anm. 633; ein Plädoyer für eine
differenziertere Verwendung des Terminus ›Gottesfreunde‹ findet sich bei Regina D.
Schiewer, ›Vos amici Dei estis‹. Die ›Gottesfreunde‹ des 14. Jahrhunderts bei Seuse, Tau-
ler und in den ›Engelberger Predigten‹: Religiöse Elite, Verein oder Literaturzirkel? in:
Oxford German Studies 36 (2007), S. 227–246, hier S. 227–232.
118 Zu St7 (Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2° 283) vgl. Fechter, Inzigkofen
[Anm. 7], S. 76–79 (Nr. 15); zu M27 (München, Staatsbibliothek, Cgm 627) und M28 (Mün-
chen, Staatsbibliothek, Cgm 628) vgl. Karin Schneider, Die deutschen Handschriften
der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 501–690, Wiesbaden 1978 (Catalogus
158 Laurentiu Gafiuc

abegescheidenheit‹ sowie die Eckhartpredigten 101 und 104A. Die Predigten sind


Bestandteil des Zyklus ›Von der êwigen geburt‹, der in Bra3 komplett überliefert
ist und wiederum in die Nähe zu Str3 verweist.

Zurück zum oben vorgestellten Handschriftencorpus. Es lässt sich deutlich be-


obachten: Je östlicher die Handschriften lokalisiert werden, umso später sind sie
entstanden. Die ältesten von ihnen wurden um die Mitte des 14. Jahrhunderts
am Oberrhein geschrieben, die jüngsten, die in die Mitte des 15. Jahrhunderts da-
tiert werden, im Ostschwäbischen. Die handschriftliche Überlieferung des Süd-
westens verlief im Laufe von einhundert Jahren von West nach Ost. Weiterhin
lässt sich beobachten: Je östlicher die Provenienz der Handschriften rückt und je
größer die Distanz zu den Überlieferungszentren wird, umso seltener wird der
Name Eckhart genannt. Während in der oberrheinischen Überlieferung zahlrei-
che Predigten und Sprüche mit seinem Namen eingeleitet werden und Eckhart
damit neben Augustinus und zahlreichen weiteren Kirchenvätern als kirchliche
Autorität großes Ansehen genießt, lässt sich dieses Phänomen in den späteren ost-
schwäbischen Handschriften nur noch vereinzelt beobachten. In Bra3 werden die
Predigten Meister Eckharts den Meistern ›Eberhard‹ und ›Bernhard‹ zugeschrie-
ben, was das Wissen um die ursprüngliche Autorschaft erheblich erschwert haben
dürfte: »Daß mit den beiden Verballhornungen des Autornamens Eckharts (Eber-
hard bzw. Bernhard) zumindest für den Schreiber nicht die gleiche Person ge-
meint sein konnte, liegt auf der Hand. Inwieweit wenigstens ›Meister Eberhart‹
von ihm und den zeitgenössischen Rezipienten als Eckhart identifiziert werden
konnte, bleibe dahingestellt.« 119 In Str3 sind Eckharts Predigten fast vollständig in
der Anonymität verschwunden.120 Dieser Namensschwund ist das Ergebnis eines
Anonymisierungsprozesses literarischer Werke, der insbesondere in Abhängig-
keit von der räumlichen und zeitlichen Distanz zu ihrem Autor und damit zu den

codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V,4), S. 257–265 (M27) und S. 265–272
(M28).
119 Wetzel, Spricht maister Eberhart [Anm. 52], S. 311.
120 Zweimal wird der Name ›Eckhart‹ in Str3 genannt: in der bereits von Carl Schmidt
zitierten Selbstnennung in Predigt 109 zum Gedenktag der Enthauptung Johannes des
Täufers (fragti man mich brder eghart, fol. 134ʳ) (vgl. Schmidt, Meister Eckart [Anm. 22],
S. 673), die er in der Handschrift mit Tinte unterstrich, und in der mit Maister egghart spri­
chet eingeleiteten Predigt 49. Beide Namensnennungen blieben von den zeitgenössischen
Rezipienten unberücksichtigt; vgl. Georg Steer, Eckhart der meister, in: Literarische Le-
ben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker
Mertens zum 65. Geburtstag, hg. von Matthias Meyer und Hans-Jochen Schiewer,
Tübingen 2002, S. 713–753, hier S. 732 f. mit einer Zusammentragung aller Predigten, die in
der Überlieferung Meister Eckhart zugeschrieben werden.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 159

ursprünglichen Quellen eintritt, worauf in jüngster Zeit Regina D. Schiewer


und Rudolf K. Weigand aufmerksam gemacht haben.121
Der jahrhundertelange Tradierungsfluss und die zahlreichen Vervielfältigungs-
und Umschreibprozesse wirkten sich darüber hinaus auch auf die Umgestaltung
ursprünglicher Predigtverbünde und Textkonstellationen aus, wie ein Vergleich
zwischen Str1 und Str3 zeigt (vgl. die Unterstreichung in der unteren Tabelle).
Alle Paralleltexte gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, wie zuletzt die Filia­
tionsuntersuchung für Predigt 107 ergeben hat: »Eine gemeinsame Vorstufe Y2
verbindet den Text Pfeiffers, und damit wohl auch dessen verlorene Quelle Str1,
mit den Handschriften Mai1 und Str3 […]. Die Verwandtschaft zwischen Str1 und
Mai1 bzw. Str3 wird auch aus dem Kontext der Predigt 107 in den drei Textzeugen
ersichtlich.« 122

Str1 Str3

fol. 42ʳ–43ʳ Pr. 106 A fol. 216ʳ–223ʳ Pr. 32


fol. 43ʳ–44ᵛ Pr. 34 darin:
… … fol. 218ᵛ–219ᵛ Pr. 107
… … fol. 221ʳ–222ᵛ Pr. 34
fol. 48ᵛ–52ʳ Pr. 20a
fol. 52ʳ–54ʳ Pr. 35 fol. 223ʳ–229ʳ Pr. 20a
fol. 54ʳ–56ʳ Pr. 55 fol. 229ʳ–232ᵛ Pr. 35
… …
fol. 60ᵛ–62ᵛ Pr. 36a
… …
fol. 65ʳ–67ᵛ Pr. 70
… …
fol. 89ᵛ–92ʳ Pr. 32
fol. 92ʳ–93ᵛ Pr. 107

121 Vgl. Regina D. Schiewer und Rudolf K. Weigand, Ich glaube vestiglich, das dise predi­
gen entweder Meister Eckhards oder Taulers sind, dan sich durch auss ire worte gleich lauten. Zur
Problematik der Rezeption und Authentizität der Predigten Johannes Taulers und Meister
Eckharts, in: OGE 84 (2013), S. 7–19, hier S. 14.
122 Vgl. DW IV,2, S. 713.
160 Laurentiu Gafiuc

Während in der älteren Handschrift Predigt 107 unmittelbar auf die Elisabeth-
Predigt 32 folgte, wurde sie in der jüngeren gemeinsam mit Predigt 34 (in Str1
an anderer Stelle überliefert) als Exzerpt in diese eingefügt. Ausschlaggebend für
den Redaktor waren die Ausführungen über die Seele und die drei obersten See-
lenkräfte (Gedächtnis, Vernunft und Wille). Die Textkohärenz ging stellenweise
aber so weit auseinander, dass der Redaktor die Exzerpte mit eigenen Überleitun-
gen (vnd sich selber lasse vnd folge got nach. wann, fol. 218ᵛ; Nun chömen wir wider uf
unser materie, fol. 219ᵛ) verbinden musste. In Str1 waren alle drei Predigten noch
vollständig überliefert. Eine gemeinsame Vorstufe ist auch für zwei weitere Pre-
digten anzunehmen: Die in Str3 im Anschluss folgende Gründonnerstagspredigt
20a (Lc 14,16) und die zum Vorabend des Osterfestes gehaltene Predigt 35 (Kol 3,1)
stehen in einer korrekten liturgischen Abfolge und wurden in dieser Reihenfolge
aus der Vorlage übernommen. Ihr Kontext lässt erkennen, dass sie ursprünglich in
einer umfangreicheren liturgischen Reihe standen: Die darauf folgenden Johan-
nespredigten 55 (Io 20,1), 36a (Io 20,19) und 70 (Io 16,16) sind für den Donnerstag
sowie für den 1. und 2. Sonntag nach Ostern geschrieben. Diese liturgische Ab-
folge, in Str1 noch klar erkennbar, ist in Str3 nur noch als Reflex überliefert.123
Zusätzlich ist unter materialwissenschaftlichen Aspekten auch nach der Kon-
zeption und der Beschaffenheit jeder einzelnen Handschrift zu fragen: Stammen
die Abschriften von einer Hand, oder waren mehrere Hände daran beteiligt? Han-
delt es sich um eine durchgehende Abschrift, oder befinden sich die Predigten
auf einzelnen Lagen und Faszikeln, die ursprünglich eigenständige Einheiten bil-
deten und erst später vom Buchbinder mit anderen Texten vereint wurden? 124
Letzteres ist im Fall der oben genannten Faszikel Bra2 und B5 zu beobachten.125
Bra2 enthält die in Str3 parallel überlieferte Eckhart-Predigtsammlung mit der
dazwischenliegenden ›guten Klosterlehre‹ und dem abschließenden Traktat ›Von
fünferlei Armut‹ (fol. 138ʳ–184ʳ) und wurde später – lässt man die Zusätze außer
Acht – gemeinsam mit einer mystischen Spruchsammlung (fol. 17ʳ–58ᵛ) und sie-

123 Vgl. Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 933; Loris Stur-
lese, Hat es ein Corpus der deutschen Predigten Meister Eckharts gegeben? Liturgische
Beobachtungen zu aktuellen philosophiehistorischen Fragen, in: Meister Eckhart in Erfurt,
hg. von Andreas Speer und Lydia Wegener, Berlin / New York 2005 (Miscellanea Me-
diaevalia 32), S. 393–408, hier S. 404 u. 407 f.
124 Vgl. Karin Kranich-Hofbauer, Zusammengesetzte Handschriften – Sammelhand-
schriften. Materialität – Kodikologie – Editorik, in: Materialität in der Editionswissen-
schaft, hg. von Martin Schubert, Berlin 2010 (Beihefte zu editio 32), S. 309–321, hier
S. 310; Arend Mihm, Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelal-
ter, Heidelberg 1967 (Germanische Bibliothek, 3. Reihe), S. 18.
125 Zu diesen abschließenden Beobachtungen vgl. Laurentiu Gafiuc, Hefte mit Predigten
Meister Eckharts im Umlauf, in: Überlieferungsgeschichte transdisziplinär. Neue Perspek-
tiven auf ein germanistisches Forschungsparadigma, in Verbindung mit Horst Brunner
und Freimut Löser hg. von Dorothea Klein, Wiesbaden 2016 (Wissensliteratur im
Mittelalter 52), S. 101–122, hier S. 105–111.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 161

ben Predigten Marquards von Lindau (fol. 138ʳ–184ʳ) zusammengebunden. Die


Sammlung auf dem 1435 angefertigten Eckhart-Faszikel wurde präzise auf vier
Lagen verteilt, so dass das erste Blatt der ersten Lage und die letzte Versoseite
der vierten Lage unbeschrieben blieben und die Sammlung damit einen Schutz-
umschlag hatte.126 Dieser Faszikel kursierte zunächst wohl eigenständig und
wurde erst später im Anschluss an die Marquard-Sammlung mitgebunden. Die
professionelle Federführung und das Ravensburger Papier,127 schließen nicht aus,
dass diese Sammlung aus einer externen Schreibstube aus dem Bodenseegebiet
stammt, einem weiteren Schreibzentrum des Südwestens, wo geistliche Litera-
tur gewerblich angefertigt und vertrieben wurde. Wo die Sammlung in dieser
Zusammenstellung herkommt, muss letztendlich offenbleiben – vielleicht aus
Basel? 128 Mit großer Wahrscheinlichkeit gelangte sie in dieser Geschlossenheit
später nach Augsburg und wurde, erweitert um die unikal überlieferten ›Sprüche
der zwölf Meister‹, dem fortan letzten Stück der Sammlung, in die Vorlage von
Str3 übertragen. Auf die Geschlossenheit der Sammlung verweist ein zeilenfüllen-
des A–M–E–N vor Predigt 73, dem ersten Textstück (fol. 102ʳ), sowie die Un-
terschrift finito libro sit laus et gloria christo (fol. 189ᵛ) im Anschluss an die Meister-
sprüche. Dieser abschließende Vermerk wurde vom unbekannten Laienschreiber
mangels Lateinkenntnisse mitgeschrieben und vom Seelsorger in Inzigkofen spä-
ter durchgestrichen, weil das Buch an dieser Stelle tatsächlich noch nicht endet.129
Eng verwandt mit der Vorlage von Str3 sind die Abschriften der drei Eckhart-
predigten in B5.130 Wie dem Berlin-Freiburger Predigtrepertorium und der Ar-
beit von Johannes G. Meyer zu entnehmen ist, befinden sich auch diese auf
einer separaten Lage, die zwischen das einleitende Register, in dem nur Tau-
lerpredigten verzeichnet sind, und das darauffolgende Tauler-Corpus inseriert
wurde.131 Die Eckhartpredigten Pf. 57 (fol. 10ʳ–12ʳ), Predigt 4 (fol. 12ᵛ–15ʳ) und
86 (fol. 15ᵛ–21ᵛ) sollten also erst nach der Gesamtkonzeption der Handschrift mit
aufgenommen werden und stammen von derselben Hand, die neben drei weiteren

126 Vgl. Strauch, Handschriftliches zur deutschen Mystik [Anm. 83], S. 284 f.


127 Vgl. Palmer, Beobachtungen zu einer Gruppe von schwäbischen Mystik-Handschriften
[Anm. 83], S. 607.
128 Vgl. Webster, German Mysticism [Anm. 49], S. 221; Gafiuc, Hefte mit Predigten
[Anm. 125], S. 122.
129 Vgl. Gafiuc, Hefte mit Predigten [Anm. 125], S. 121; Judith Theben, Die mystische Lyrik
des 14. und 15. Jahrhunderts. Untersuchungen – Texte – Repertorium (Kulturtopographie
des alemannischen Raums 2), Berlin / New York 2010, S. 98.
130 Vgl. Gafiuc, Hefte mit Predigten [Anm. 125], S. 105–110.
131 Vgl. H.-J. Schiewer / Mertens, Repertorium [Anm. 53], 1,3 (B5); ›Predigt im Kontext‹
[Anm. 53]: http://pik.ku-eichstaett.de/322/ [12. 02. 2017]; Johannes Gottfried Mayer,
Die ›Vulgata‹-Fassung der Predigten Johannes Taulers. Von der handschriftlichen Überlie-
ferung des 14. Jahrhunderts bis zu den ersten Drucken, Würzburg 1999 (Texte und Wis-
sen 1), S. 110 (Textform s).
162 Laurentiu Gafiuc

an den Abschriften beteiligt war. Ob die Handschrift tatsächlich im Kloster Me-


dingen entstanden ist, muss offenbleiben. Was sich dagegen bestimmen lässt, ist
ihre Vorlage. Und diese war mit der von Str3 eng verwandt. Aus dieser Vorlage
wurden diese drei Predigten gezielt ausgewählt, in eine eigens dafür vorgesehene
Lage geschrieben und in die bereits bestehende Taulersammlung aufgenommen.
Es ist anzunehmen – sofern es sich dabei nicht um die Willkür des Buchbinders
handelte –, dass die Schreiberin bzw. der Schreiber einen inhaltlichen Überblick
über die Sammlung in B5 hatte und die inhaltlichen Parallelen insbesondere zwi-
schen der Maria-Martha-Predigt (Nr. 86) und den im Corpus enthaltenen Tauler-
predigten Vetter 22 und Vetter 24 erkannte. Verbindend sind die Aufhebung
des Dualismus von vita contemplativa und vita activa, die Aufwertung des täti-
gen Lebens und die Ablehnung einer bestimmten Weise der Frömmigkeit, kurz:
zentrale Aspekte in der Lehre Meister Eckharts und Johannes Taulers.132 Bei der
Auswahl stand sicherlich nicht Eckhart im Mittelpunkt. Vielmehr ging es um die
Erweiterung einer Sammlung mit thematisch passenden Predigten. Und diese
fanden sich in einer Augsburger Schreibstube in einer Vorlage, die ihren Inhalt
vielleicht wie Str3 dem hochen Tauler zuschrieb und damit ein Qualitätsmerkmal
für anspruchsvolle und gut verkäufliche mystische Predigten signalisierte.133
Im Schlussteil seiner 1932 gedruckten Dissertation stellte Josef Quint eine
›To-do-Liste‹ zusammen:
»In erster Linie wäre die Anordnung der Predigttexte in den einzelnen Hss daraufhin
zu prüfen, wieweit sich gleiche Predigtfolgen, gleiche Gruppierungen vorfinden und
aus solchen Gruppierungen Schlüsse auf verwandtschaftliche Bindungen ziehen las-
sen. Weiterhin aber darf die Untersuchung nicht auf die Eckehartpredigten beschränkt
bleiben; sie muß vielmehr auf die Kontexte, die diese Predigten in den einzelnen Hss
einrahmen, ausgedehnt werden, weil etwaige Übereinstimmungen in bezug auf diese
Umrahmung wichtige Aufschlüsse nicht allein im Hinblick auf den Stammbaum der
Hss, sondern auch in bezug auf die literarische geistige und stoffliche Umwelt geben
können, in die man das deutsche Predigtgut Meister Eckeharts einzubetten pflegte.
Aber damit erschöpfen sich die Aufgaben nicht: jede einzelne Hs bedarf einer genauen
Analyse ihres Gesamtinhalts, einer exakten Untersuchung daraufhin, ob die einzelnen
Bestandteile etwa verschieden alt sind, ob sie von ein und demselben oder von verschie-
denen Schreibern geschrieben wurden, ob mit etwaigen Verlusten durch Umbinden
oder Beseitigung von ganzen Lagen, Lagenpartien oder einzelnen Blättern gerechnet
werden muß. Und schließlich muß versucht werden, Entstehungsort und eventuelle
Wanderung der einzelnen Hss möglichst genau aufzuzeigen«,134

132 Vgl. Dietmar Mieth, Die Einheit von vita activa und vita contemplativa in den deutschen
Predigten und Traktaten Meister Eckharts und bei Johannes Tauler. Untersuchungen zur
Struktur des christlichen Lebens, Regensburg 1969 (Studien zur Geschichte der katholi-
schen Moraltheologie 15), S. 243 f.
133 Vgl. R. D. Schiewer / Weigand, Zur Problematik der Rezeption und Authentizität
[Anm. 121], S. 14 f.
134 Quint, Die Überlieferung der Deutschen Predigten [Anm. 51], S. 935.
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten 163

was in diesem Beitrag skizzenhaft versucht wurde. Quint forderte eine kombi-
nierte text- und überlieferungsgeschichtliche Analyse, um fundierte Einblicke in
die Überlieferungsprozesse der Eckhartpredigten zu bekommen. Er selbst küm-
merte sich verstärkt um die Textgeschichte. Die Mitberücksichtigung der Über-
lieferungsgeschichte und die Beachtung von Predigtverbünden, die gleichbleiben,
erweitert oder gekürzt werden können, ermöglichen es, die Handschriften in ih-
rem Überlieferungsnetz zu verorten. So kann nachgezeichnet werden, wie sich die
Predigten Meister Eckharts verbreiteten, auf welche vorlagennahen Handschrif-
ten die Schreiber Zugriff hatten, welche Textauswahl sie trafen und für welchen
neuen Kontext die Abschriften gedacht waren. Dadurch lässt sich beobachten, wie
Eckharts Predigten in eigens dafür erstellten Heften kursierten, wie sein Name
sich im Laufe der Überlieferung von seiner Lehre trennte und wie seine Predigten
in neue Kontexte gesetzt wurden.
Die Forschungsgeschichte von Str3 in Teil 1 dieses Beitrags bietet vor allem für
Nichtfachleute und interessierte ›Laien‹ einen lohnenden Blick in die gute wissen-
schaftliche Praxis. Sie zeigt sehr anschaulich den systematischen Ansatz, mit dem
sich der frühe Eckhartforscher Carl Schmidt einer geistlichen, dem hochen Tau­
ler zugeschriebenen Sammelhandschrift angenähert hat, um letztendlich ein um-
fangreiches Eckhartcorpus in ihr vorzufinden. Seine Vorarbeiten haben maßgeb-
lich dazu beitragen, dass die deutschen Predigten Meister Eckharts nach und nach
aus der Anonymität ›befreit‹ und bis heute in mehreren hundert weiteren Hand-
schriften identifiziert werden konnten. Mit Hilfe der von Josef Quint initiierten
textgeschichtlichen Analysen der Überlieferungszeugen der deutschen Predigten
konnte in Teil 2 ein Corpus von etwa 20 Handschriften identifiziert werden, das
sich durch gleiche und modifizierte Predigtfolgen und -gruppen auszeichnet und
somit auf eine verwandtschaftliche Bindung zur Vorlage von Str3 rückschließen
lässt. Dieses Corpus ließ sich im Einzelnen unter weiterer Berücksichtigung der
Schreiberhände, Schreibsprache, Lagen und Provenienzen an mehreren siche-
ren bzw. wahrscheinlichen Stationen innerhalb der spätmittelalterlichen Litera-
turlandschaft lokalisieren. Ein Schwerpunkt liegt auf der Stadt als Zentrum, wo
nicht zuletzt während der großen Konzilien die literarische Produktion um ein
Vielfaches beschleunigt wurde. Die zuletzt von Balázs J. Nemes vorgetragenen
Spannungen, »die zwischen der im 15.  Jahrhundert stattfindenden Neuformie-
rung (›reformatio‹) der Klosterkultur und der eckhartschen Lehre bestehen«,135
sollten auch hier nicht unerwähnt bleiben. Man wird in künftigen Untersuchun-
gen zur Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckharts sicherlich nicht
fehlgehen, auch denjenigen Personenkreisen Beachtung zu schenken, die jenseits

135 Balázs J. Nemes, Re-Skript und Re-Text – Wertlos oder entstellt? Oder: Über die gu-
ten Seiten einer ›schlechten‹ Eckhart-Handschrift (Ein Fundbericht), in: ZfdPh 131 (2012),
S. 73–102, hier S. 101.
164 Laurentiu Gafiuc

ihres Reformeifers und trotz ihres öffentlich vorgetragenen frömmigkeitstheo-


logischen Programms ihr persönliches Interesse für die mystische Literatur des
14. Jahrhunderts pflegten und ihrerseits zur Verbreitung der Eckhartschen Werke
beitrugen.136

136 Eine ausführlichere Darstellung der hier festgehaltenen Beobachtungen findet sich in meiner
ungedruckten Dissertation, vgl. Laurentiu Gafiuc, Text- und überlieferungsgeschichtli-
che Rekonstruktion einer alemannischen Eckhart-Predigtsammlung, Diss. (masch.) Augs-
burg 2016 (einsehbar unter: https://www.researchgate.net/profile/Laurentiu-Gafiuc/con-
tributions).

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