w w w.jungefreiheit.de Nr. 4/15 | 30. Jahrgang | 16.

Januar 2015 | EUR 4,10 (D)

W O C H E N Z E I T U N G F Ü R D E B AT T E

Man darf
das Wahre
Wer immer sagt, was er denkt,
macht sich nicht überall beliebt. In

Das Fanal der AfD-Spitze müssen deswegen

die Wogen geglättet werden.
POLITIK, Seite 4

von Paris
Islamistischer Terror: Nach dem ersten Schock
über die Anschläge in Frankreich reagiert unsere
politische Klasse mit Ablenkungsmanövern Nur
wunderlich sagen
Ist von Islamisierung die Rede, darf
Seiten 2, 3, 5, 12 und 16 das Wort „angebliche“ nicht fehlen.
Sind die Sorgen so vieler Demon-
stranten wirklich nur eingebildet?
THEMA, Seite 7

Wir sind Europa

In der Auseinandersetzung mit dem Islamismus geht es nicht nur um Freiheit, sondern um Souveränität
MICHAEL PAULWITZ und England Soldaten ermordet haben, den nie-
derländischen Regisseur Theo van Gogh auf of-
fener Straße erstochen haben und in Dänemark
dem Karikaturisten Kurt Westergaard nach dem
So scheint
überschlagenden Verdammungen selbst moderate ihre Verantwortung für reale Fehler zum Thema
das Wunderliche
Versuche, die Islamisierung als das eigentliche macht, mit der Moralkeule zu erledigen. Frankreich ein islamischer Gottes-
Thema anzusprechen, zu verteufeln; und dabei Die Sprachregelung, das Attentat auf die Char- staat? Michel Houellebecqs groß-
die Pegida-Demonstranten, deren Forderungen lie-Hebdo-Redaktion sei ein „Angriff auf die Pres- artiger neuer Roman ist – leider –

E
s gibt Ereignisse, nach denen es im Grun-
de kein Zurück zur bisherigen Tagesord-
nung mehr geben darf. Der 7. Januar
2015, der Tag des kaltblütigen Angriffs
bewaffneter Islamisten auf die Redaktion einer
satirischen Zeitung im Herzen der französischen
Hauptstadt, dem eine mörderische Geiselnahme
in einem jüdischen Supermarkt folgte, markiert
so eine Zäsur. Mit dem 11. September der Ame-
rikaner verbindet die Pariser Terror-Tage die ver-
bissene Weigerung der politisch Verantwortlichen
und der ihnen loyalen Massenmedien, auf den
Grund der Ursachen zu blicken und daraus die
logischen Konsequenzen zu ziehen.
Hält man sich an die bis jetzt bekannten Fak-
ten, führt kein Weg an der Feststellung vorbei:
Wir befinden uns in einem Krieg der Kulturen
zwischen den demokratischen Nationalstaaten
Europas und einem totalitären Islam. Dieser Kon-
flikt wird – statt sich durch Wegsehen und Leug-
nen von selbst in Wohlgefallen aufzulösen – jetzt
auch mit terroristischen und paramilitärischen
Mitteln auf europäischem Boden vorangetragen.
Der Konflikt, der dem Terror zugrunde liegt, ist
importiert; die Terroristen sind hausgemacht, in
Europa aufgewachsen und radikalisiert.
Die Mörder von Paris sind nicht vom Himmel
gefallen, ebensowenig wie die Bombenleger, die
die Attentate auf Züge in Madrid und London
verübt haben, die Fanatiker, die in Frankreich
Leben trachten. in den Unionsparteien vor einer Generation noch sefreiheit“, soll ebenso wie die wütende Stigmati- nicht mehr nur reine Provokation.
Sie sind ein Produkt der Parallelgesellschaften, als liberal gegolten hätten, als extremistische Un- sierung der Pegida-Demonstrationen vom Kern KULTUR, Seite 13
die durch massive, gewollte oder mit achselzuk- personen mit mörderischen Terroristen auf eine der Herausforderung ablenken. Es geht in der
kendem Laissez-faire hingenommene Einwan- Stufe zu stellen. Auseinandersetzung mit dem militanten Islamis-
derung aus moslemischen Ländern entstanden Das Propagandafeuerwerk, das die politisch- mus nicht um die Grenzen der Meinungsfreiheit,
sind, in denen relevante Bevölkerungsteile das mediale Klasse im Gleichklang abfeuert, trägt sondern um die Souveränitätsfrage: Wer bestimmt
Land, das sie aufgenommen hat, und seine Kul- Züge der Realitätsflucht und der die Regeln? Wie weit lassen sich die
tur, Werte und Menschen verachten, auch wenn Schizophrenie: Gegen die Folgen
sie ihr Geld gerne nehmen und zu einem nicht gescheiterter Einwanderungs- und
Die Hoffnung europäischen Nationen zwingen, ihre
eigenen Regeln außer Kraft zu setzen
geringen Prozentsatz zur Gewaltanwendung ge- Integrationspolitik soll noch mehr der Zündler, und die Regeln des politischen Isla-
gen Andersgläubige bereit sind. Einwanderung und Verzicht auf In- von den Trüm- mismus zu übernehmen, um aus der
Die Ideologien und Konflikte, die der isla- tegration helfen. Die Konsequenz aus Landnahme eine Machtergreifung zu
mistische Terror brutal und militant austrägt, den blutigen Folgen der Islamisie- mern selbst machen?
sind dabei ebenso wie die Einwanderungsströme rung soll die noch aufdringlichere nicht getrof- Wer nicht einzelne Moslems ein- Auch wahr
selbst zu einem nicht geringen Teil eine Folge Umschmeichelung von Islam-Lobby- fen zu werden, wandern läßt und von ihnen ohne
kurzsichtiger und selbstgerechter Interventio- isten sein. Mit gesteigerter Drehzahl Wenn und Aber die Unterordnung Bald ist es wieder soweit: Das
nen westlicher Länder in der islamischen Welt. beschwören Politiker und Medien ist trügerisch. unter die Spielregeln des Aufnahme- Prominenten-Prekariat darf sich im
Der islamistische Terror, der sich in Paris mit das Mantra, der Terror habe nichts landes und seiner Zivilisation fordert, RTL-Dschungelcamp vor Millionen-
neuen, erschütternden Bildern eingebrannt hat, mit dem Islam zu tun. Wer’s nicht frißt, wird sondern „den Islam“ als Kollektiv einbürgern will, publikum blamieren. Eine Fund-
ist kurz gesagt Produkt und Symptom einer von exkommuniziert. der sprengt die Grundlagen des Gemeinwesens. Die grube für Anthropologen ...
den eigenen Eliten mutwillig herbeigeführten Hinter dem galoppierenden Irrsinn wird aller- Hoffnung der Zündler, von den Trümmern selbst SEIN & ZEIT, Seite 24
fortschreitenden Islamisierung – oder, weiter ge- dings nackte Angst und Panik sichtbar. Die gro- nicht getroffen zu werden, ist trügerisch – auch das
faßt, Enteuropäisierung – Europas. teske Umdeutung von Einwanderungskritikern lehrt das Attentat auf die Redaktion von Charlie
Darüber zu sprechen, ist keine „Instrumen- zu Stichwortgebern und Brüdern im Geiste von Hebdo, einer linken, radikalen, bedingungslos im-
talisierung“ und kein „Mißbrauch“ der Opfer, Mördern und Terroristen hätte in ihrer ideologi- migrationsfreundlichen Zeitschrift. Ob Europa mit
sondern Teil der notwendigen und rationalen schen Rabulistik auch einem Prawda-Leitartikel der islamistischen Herausforderung fertig wird, ist
Aufarbeitung des Geschehenen. Tatsächlich voll- oder Sudel-Edes „Schwarzem Kanal“ entstam- daher weniger eine Frage der Sicherheitspolitik,
zieht sich das Gegenteil. Der Vorwurf der Instru- men können. Sie entspringt dem verzweifelten sondern eine des eigenen Selbstbehauptungswil-
mentalisierung wird seinerseits benutzt, um die- Versuch, die Diskurshoheit derer zu verteidigen, lens. Wir sind nicht „Charlie“, wir sind Deutsche,
se Debatte zu ersticken und mit hysterisch sich die ihre Macht darauf gegründet haben, jeden, der Franzosen, Briten – Europäer.

Der Terror von Paris Meinung .............................................. 2

Im Gespräch ....................................... 3

Die Wut auf Seismographen

Politik ............................................... 4–6
Thema ................................................... 7
Ausland ........................................... 8–9
Wirtschaft .................................. 10–11

E
s soll ein besonders eindrucksvolles Bild von der Groß-
demonstration in Paris sein: Frankreichs Präsident
Hollande untergehakt mit Angela Merkel. Daneben
der israelische Ministerpräsident Netanjahu, Palästinenser-
präsident Abbas und viele Regierungschefs. Geschlossenheit
soll dies ausstrahlen. Die freie Welt rückt zusammen. Man
will sich vom Terror nicht spalten lassen. Aus der Vogelper-
spektive zeigen Fotografen jedoch eine Farce: Die politische
Elite steht eingekesselt von Sicherheitsleuten, abgeschottet,
fast verschüchtert in einer menschenleeren, abgeriegelten
Straße. Was wie die Spitze eines imposanten Aufmarsches
wirken soll, zeigt das Gegenteil.
Der Terroranschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo mit
der Exekution von Karikaturisten und Redakteuren, den er-
mordeten Polizisten und Geiseln in einem jüdischen Super-
markt, er hat Frankreich und Europa in einen Schockzustand
versetzt. Im Gegensatz zum 11. September 2001 wurde in
Paris nicht ein Symbol des Finanzkapitalismus, sondern eine
Zeitungsredaktion getroffen, die sich als Symbol französisch-
europäischer Aufgeklärtheit versteht.
»Wir blicken in den Abgrund
einer gescheiterten
Einwanderungspolitik.«
KOLUMNE VON DIETER STEIN
Die kollektive Inhaftungnahme von Moslems für isla-
mistischen Terror verbietet sich. Durch die barbarische Tat
sehen sich Warner jedoch bitter bestätigt, die seit Jahren
auf die Gefahren eines entfesselten Islamismus in Europa
hinweisen. Der 7. Januar 2015 hat einen rosaroten Vorhang
fortgerissen und läßt uns in den Abgrund einer gescheiterten
Einwanderungs- und Integrationspolitik blicken.
Verantwortung dafür tragen Politiker und Intellektuelle,
die diese Entwicklung fahrlässig oder mutwillig zugelassen
und Kritiker mundtot gemacht haben. Diese aus dem Ruder Hintergrund ..................................... 12
gelaufene Einwanderungspolitik ermöglichte es, daß Stadt- Pankraz .............................................. 13
teile kippen und Parallelgesellschaften entstanden, in denen Kultur .......................................... 13–16
Fanatismus und Desintegration einen Nährboden finden.
Medien .............................................. 17
Statt den Bankrott einer illusionären Einwanderungspoli-
tik einzugestehen, wenden sich die Affekte der politisch-medi- Forum ................................................ 18
alen Klasse nun noch aggressiver gegen die „Seismographen“, Geschichte & Wissen ............. 19–20
die vor Erdbeben gewarnt haben. Die Empörung über die Literatur ............................................ 21
Pegida-Demonstration in Dresden, zu der am Montag erneut Natur & Technik .............................. 22
Zehntausende strömten, trägt immer hysterischere Züge.
Leserforum........................................ 23
Ein Musterbeispiel für diese geistige Verwirrung lieferte
der Präsident des Zeitungsverlegerverbandes (BDZV), Hel- Impressum ........................................ 23
mut Heinen, der Pegida-Demonstranten und die Mörder von Sein & Zeit ........................................ 24
Paris auf eine Stufe stellte. Eine vom BDZV verbreitete und FOTO TITELOPTIK: PICTURE ALLIANCE / AURORE MARECHAL / ABACA
von vielen Zeitungen gedruckte Karikatur läßt die Terroristen
neben „Lügenpresse“ skandierenden Pegida-Demonstranten
sagen: „Die reden nur! Wir tun was“. Wer so etwas druckt,
muß sich nicht wundern, wenn sich noch mehr Bürger von
etablierten Medien abwenden und die Empörung über die
„Lügenpresse“ wächst.

Österreich EUR 4,50

R e d a k t i o n & V e r l a g : J U N G E F R E I H E I T, H o h e n z o l l e r n d a m m 2 7 a , 10 7 13 B e r l i n | Fa x : 0 3 0 / 8 6 4 9 5 3 - 14 | Te l e f o n : 0 3 0 / 8 6 4 9 5 3 - 0 | w w w . j u n g e f r e i h e i t . d e | E - P o s t : v e r l a g @ j u n g e f r e i h e i t . d e Schweiz CHF 7,80
2|MEINUNG JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Zitate
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
T N
U NGG FFÜÜ R
R D
D EE BBAAT TT T
E E

„Zu lange waren wir im Namen ei-

nes pervertierten Humanismus, eines
ausgeuferten Antirassismus nach-
Debatte über ein Einwanderungsgesetz sichtig gegenüber unseren ärgsten
Feinden. Diese ‘verlorenen Kinder
Alle wollen es? des Dschihad‘, diese Fanatiker, die
im Internet wüten, verschwören sich
Von Fabian Schmidt-Ahmad unter freiem Himmel gegen unser
Land und dessen Sicherheit. (...)
Gegen die müssen wir zuschlagen.
D ie CDU will jetzt eines, die SPD auch, die Grünen sowieso: ein
Einwanderungsgesetz. Das plötzliche Interesse, nachdem die
gesellschaftliche Entwicklung jahrelang verschlafen wurde, dürfte
Ohne Schwäche und Zaghaftigkeit.
Der Krieg ist da, also müssen wir ihn
gewinnen.“
an der AfD liegen. So hat die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag Alexis Brézet, Chefredakteur, in „Le
ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild gefordert und Figaro“ vom 7. Januar 2015
bereits einen entsprechenden Vorschlag formuliert. Überhaupt ist der
Wind aus Sachsen ungemütlich geworden. Die nahezu wortgleiche „Khomeinis Exempel einer kora-
Forderung stellte auch die jüngste Pegida-Demonstration in Dresden. nischen, Länder übergreifenden
Doch wenn alle das gleiche wollen, heißt das noch lange nicht, Blutjustiz beflügelte den sich global
daß sie auch das gleiche meinen. Mißtrauen ist angebracht. Der AfD- ausbreitenden islamischen Extremis-
Entwurf betont die Notwendigkeit einer qualitativ gesteuerten Zuwan- mus, der auch in den wachsenden
derung, die sich am Gemeinwohl orientiert. Der implizite Ruf nach muslimischen Einwanderermilieus
einer verbindlichen Leitkultur dürfte den Bundestagsparteien fremd der europäischen Großstädte immer
sein, die Union hatte im Jahr 2000 ihren damaligen Fraktionschef mehr Anhänger findet. Die westli-
Friedrich Merz im Stich gelassen. chen Eliten hingegen reagierten auf
Insbesondere den Grünen wird es eher um eine Legalisierung der die neuartige urbane Gewalt mit dem
bisher stattfindenden Masseneinwanderung gehen. Mit einem entspre- Stockholm-Syndrom. Sie verharmlo-
chend unbedarften Gesetz wird aus dem „Asylbewerber“ von heute Justizminister Maas warnt vor Instrumentalisierung: „Kein Wasser auf die Mühlen ...“ sten die Bombenanschläge, Mord-
dann die „Fachkraft“ von morgen. Denn eines sollte nicht vergessen drohungen und Tötungen als Ver-
werden: Wirklich erfolgreichen und integrationswilligen Leistungs- zweiflungstaten ausgegrenzter oder
kranker Individuen. Auf der anderen
trägern stand die Welt eigentlich schon immer offen.
Seite beschuldigten sie Publizisten,
die sich den archaischen Denk- und

Linksextreme Attacken in Leipzig und Berlin

Feierabendterrorismus
Auf der Blutspur Bildverboten nicht unterwarfen, der
Provokation, der Brandstifterei oder
des Rassismus.“
Eugen Sorg, Kolumnist, in der „Basler
Zeitung“ vom 8. Januar 2015
Von Felix Krautkrämer
Attentate: Allen Beschwichtigungen zum Trotz hat der Islam ein Gewaltproblem
„Je sicherer sich ein Volk seiner selbst
ist, desto offenherziger ist es gegen-

D T
ie linksextreme Szene hat es derzeit wahrlich nicht leicht. Was rotzig erklang die Marseillaise.
sie auch tut, sie bekommt einfach keine Beachtung. Da greift ein Sie sangen nichts anderes. Und
Mob von 50 Vermummten in Leipzig eine Polizeiwache mit Steinen an manchen Stellen ertönten die
und Brandsätzen an, und trotzdem schafft es der Vorfall nur als kleine Stimmen kräftiger. Zum Beispiel in der
Meldung in die Medien. ersten Strophe: „Sie kommen, um euren
Da attackieren und verwüsten Dutzende Linksextremisten das Rat- Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen
haus in Berlin-Neukölln, aber so wirklich empören will sich niemand durchzuschneiden“, und im Refrain: „Zu
über den Vorfall. So sehr sich die linken Feierabendterroristen auch den Waffen, Bürger! Formiert eure Batail-
abmühen, sich die Nächte um die Ohren schlagen, um mit Brandan- lone! Marchons, marchons!“
schlägen wahlweise die Bundeswehr, den öffentlichen Nahverkehr oder Das war in Angers, in Lyon, in Marseil-
den Kapitalismus zu bekämpfen, sie werden einfach nicht als echte le, Bordeaux und in anderen Städten der
Gefahr wahrgenommen. Und dann streicht Bundesfamilienministe- Provinzen Frankreichs. Insgesamt kamen
rin Manuela Schwesig (SPD) auch noch alle staatlichen Programme in der Provinz am vergangenen Sonntag
gegen Linksextremismus mit der Begründung, das Problem sei in den mehr als zweieinhalb Millionen Menschen
vergangenen Jahren „aufgebauscht“ worden. zusammen. In Paris waren es noch einmal
Wie ungerecht muß da die Aufmerksamkeit wirken, die der Ge- mehr als eine Million. Frankreich stand
genseite ohne großes Zutun quasi geschenkt wird? Dort braucht es auf. Und so wie die Revolutionstruppen
keine Brandanschläge und keine Attacken auf die Polizei, da reichen voll Inbrunst 1792 das Kriegslied des
bereits ein paar friedliche Demonstrationen gegen den radikalen Islam Joseph Rouget de Lisle auf dem langen
und schon steht die gesamte Republik samt Kanzlerin und Bundes- Marsch von Marseille an die Grenzen
präsident kopf. – daher Marseillaise – sangen und sich
für Freiheit und Vaterland in den Kampf
warfen, so erwarten die Franzosen heute,
daß die Regierung angemessen auf die
Finanzminister präsentiert stolz die „schwarze Null“ Kriegserklärung der Islamisten antwortet
und die Freiheit verteidigt.
Keine Kunst Aber es war auch eine merkwürdig
gespaltene Stimmung zu beobachten. In
Von Ronald Gläser der Provinz die Marseillaise und „Vive la
France!“-Rufe, in Paris ein Marsch des
D ie beiden wichtigsten Punkte im Zusammenhang mit der „schwarzen
Null“ im Bundeshaushalt sind: Echte Sparanstrengungen stehen
nicht dahinter. Und: Das Ergebnis wird keinen Bestand haben. Leider.
Schweigens. In Paris trauerte man um die
Opfer des Satiremagazins Charlie Hebdo, in
der Provinz ging man über diese Solidarität
Die Ausgaben sind gesunken, weil der Staat die Sozialkassen be- hinaus. „Tous Charlie“ und „Je suis Char-
lastet und gleichzeitig nur Mini-Zinsen bezahlen muß. Diese absurd lie“ – das war das Plakat für ein Prinzip, das
niedrigen Zinsen sind Ergebnis der Euro-Rettungspolitik. Sie haben alle einte. Es ist das Prinzip der Freiheit,
schrumpfende Geldvermögen zur Folge. Obendrein müssen die Deut- verdichtet in der Pressefreiheit. Aber in
schen immer mehr Steuern bezahlen, was jeder bestätigen kann, der der Provinz waren auch T-Shirts zu sehen
auf seinen Lohnzettel schaut, auf dem der Staat im Schnitt die Hälfte mit dem Slogan: „Je suis Charlie Martell“
des Weihnachtsgeldes einkassiert hat. Die Einnahmen des Bundes sind – in Anlehnung an Karl Martell, der 732
im Land der kalten Progression seit 2010 um 20 Prozent gestiegen bei Tours und Poitiers den Ansturm der
und liegen auf Rekordniveau. Es sind die fleißigen Deutschen, die mit Heere und Horden Mohammeds gestoppt
ihren Steuern Schäubles „Erfolg“ möglich gemacht haben. Sollten die und Europa vor der Islamisierung bewahrt
Rekordeinnahmen weitersteigen, so wird die Große Koalition auch hatte.
dieses Geld für neue Sozialleistungen verplempern. Denn seit Ronald Es ist der Beginn einer großen ge-
Reagan wissen wir: „Es ist nicht so, daß der Staat soviel Geld einnimmt, sellschaftlichen Debatte. Bei ihr geht es
wie er braucht. Vielmehr gibt er alles Geld aus, das er kriegen kann.“ nicht nur um die Freiheit. Frankreich ist
Sollten die Einnahmen aber sinken, dann werden eben wieder neue ein laizistischer Staat und der Islam eine
Schulden aufgenommen. So oder so wird es nicht dazu kommen, daß politische Religion. Diese zwei diametral
Schulden beglichen oder Ausgaben gekürzt werden. Jedoch wäre das entgegengesetzten Staatsauffassungen sind
– und nur das – eine echte Leistung, die es zu beglückwünschen gilt. aufeinandergeprallt, wenn man so will ein
clash of civilizations, der die Welt erschüt-
tert und auch die künftige Debatte in
Deutschland bestimmen dürfte. Es wird,
so erklärte die Vorsitzende des Front Na-
tional, Marine Le Pen, nach einem Treffen
mit Staatspräsident Hollande, „eine Debat-
te über den islamischen Fundamentalismus
und eine entsprechende Neuorientierung
der Politik geben“.
Zu dieser Neuorientierung gehören
nicht nur neue Maßnahmen gegen den
islamistischen Terror, wie sie Minister-
präsident Manuel Valls jetzt ankündigte.
Dazu gehört auch eine Neupositionierung
gegenüber dem Islam. Natürlich ergeht
sich die Linke noch in Beschwichtigungs-
formeln wie: „Der Islam hat mit dem
Islamismus nichts zu tun.“ Aber was in
der Mehrheit der Bevölkerung in beiden
VON JÜRGEN LIMINSKI
»Es geht nicht um die
friedlichen Moslems,
sondern um die Quelle
des Hasses. Der Koran
ist ambivalent.«
Staaten schon zum Bewußtsein gehört,
muß das politisch-mediale Establishment
erst noch lernen. Die geistige Blutspur, die
die Taliban, die Terrormiliz IS, die Hamas,
Boko Haram und auch die Mörder von
Paris hinter sich lassen, hat eine Quelle,
auf die sich auch die friedliebenden Musli-
me berufen: den Koran. Und dieses Buch
gibt die mörderischen Interpretationen
auch her.
Man kann das bedauern und beteuern,
die meisten Moslems in Europa lebten
doch friedlich mit ihren nichtmoslemi-
schen Nachbarn zusammen. Das stimmt.
Aber es geht nicht um die friedlichen Mos-
lems in Europa, sondern um die Quelle des
Hasses. In den Wassern des Koran fließt
eben auch Blut. Das Buch ist ambivalent.
Wer die zur Gewalt aufrufenden Suren
historisch einordnet und interpretiert (ent-
standen im Feldzug Mohammeds gegen
die Mekkaner), der wird die Mordbefehle
nach dem Prinzip „Unterwerfung oder
Tod“ der Vergangenheit anheimgeben.
Aber nach gängiger Überzeugung der
meisten Rechtsschulen im Islam ist der
Koran unmittelbares Wort Allahs, nicht
interpretierbar, nicht relativierbar. Und da
es außerdem keine Autorität gibt, die für
alle Moslems repräsentativ ist und eine ver-
bindliche Interpretation vorlegen könnte,
kann jeder aus dem Koran herauslesen, was
er will. Die meisten mögen die friedlichen
Suren. Aber die Zahl der gewaltbereiten
Moslems steigt.
Man kann bei der Ursachenforschung
die Fehler in der Orientpolitik des Westens
suchen und wird auch nicht wenige fin-
den. Man kann auch die werteverzichtende
Politik der politischen Klasse in Europa
und Amerika beklagen. Die Hauptursache
ist allerdings islamisch hausgemacht. Die
demographische Explosion in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts im isla-
mischen Krisenbogen von Casablanca bis
Taschkent wurde bildungspolitisch nicht
aufgefangen. Es ist noch politisch unkor-
rekt zu sagen, daß die Abschaffung der
Schul- und Bildungssysteme im Zuge der
Entkolonialisierung ein Vakuum hinter-
lassen hat, das von den Islamisten gefüllt
wurde. Tatsache aber ist, daß viele Mil-
lionen Kinder eben nicht in die Schule,
sondern in die Koranschulen gingen und
den dumpfen Parolen fanatischer Imame
ausgeliefert waren. Diese Saat ist aufge-
gangen.
Viel wäre gewonnen, wenn die Muslime
in Europa sich in einer Art Synode darüber
verständigten, den Koran als Produkt sei-
ner Zeit zu betrachten und den Gewaltsu-
ren abschwörten. Es wäre der erste Schritt
zur Aufklärung. Tun sie es nicht, wird der
Islam an seinen inneren Widersprüchen
und am erwachten Widerstand der Char-
lie Martells zerschellen. Oder sich ganz
auf Deutschland konzentrieren, wozu er
nach Meinung der Kanzlerin gehört, ganz
gleich um welchen Islam es sich handelt
und mit welcher übergeordneten Lehr-
autorität („Mutti aller Muslime“?) auch
immer sie das behauptet.
über jenen, die woanders hingehören
oder hingehört haben. Wo jedoch
die einheimische Identität zurück-
gewiesen oder herausgefordert wird,
da wachsen ab einem bestimmten
Punkt Mißtrauen und Feindseligkeit.
(...) Unser Gefühl von ‘uns’ kann die
Quelle von Frieden oder Krieg sein;
sie wird ein Opfer von Ausbeutung
und Korruption. Sie kann Ruhm för-
dern oder Opferbereitschaft, aber sie
kann nicht ignoriert oder ausgerot-
tet werden. Es ist letztlich eine Frage
der Seele. Und wenn unsere Politiker
nicht beweisen können, daß sie dafür
ein Gespür haben, dann werden sie
und wir alle das bereuen.“
Tom Stacey, britischer Schriftsteller
und Journalist, im „Spectator“ vom
10. Januar 2015
„Ich habe auf der Bühne schon vor
Jahren erklärt, daß man als Künstler
bei uns im Westen zum ersten Mal
seit 1945 ein Thema meiden muß,
wenn man keine Gewalt erleiden
will. Dafür mußte ich mir von Ka-
barettkollegen anhören, das sei ‘ge-
quirlte Scheiße’. Da fehlte den Her-
ren wohl ein wenig der Blick für die
Realitäten. Aber das ist im Kabarett
ja nicht selten, wenn die Ideologie
das Blickfeld versperrt. Fakt ist: Man
kann über alles Witze machen, über
Nazis, den Papst, über Heilsideolo-
gien und Religionen, nur beim Islam
hört es auf.“
Dieter Nuhr, Kabarettist, in der
„FAZ“ vom 12. Januar 2015
„Ein Bundesjustizminister (...) ist die
personifizierte Gewähr, daß diese Re-
gierung die Verfassung achtet und
allen Bürgern unvoreingenommen
gegenübertritt, auf dem Boden von
Recht und Ordnung. An diese Ord-
nung legt Heiko Maas die Axt, wenn
er Bürger dezidiert auffordert, zu
Hause zu bleiben. Denn ein Grund-
recht, das nicht immer gilt, ist bereits
kein Grundrecht mehr.“
Alexander Kissler, Ressortleiter, bei
„Cicero Online“ am 13. Januar 2015

Aufgeschnappt Bild der Woche Lesereinspruch

Völlig durchgequotet Hektoliteratur Nicht umverteilen

MATTHIAS BÄKERMANN legschaft bereits 54 Prozent Frauen, Zu: „Der Staat nimmt mehr, als er zu- weder Steuern noch Sozialabgaben. Von
in der Führung 46 Prozent. Auch rückgibt!“, Gespräch mit Jürgen Borchert der restlichen Hälfte zahlen 10 Prozent,
die Steigerung der ethnischen (JF 2/15) etwa vier Millionen Menschen, mehr

W enn 2020 alle Ziele erfüllt

sind, dürfte beim britischen
TV-Sender Channel 4 das Shangri
La der Antidiskriminierung nicht
mehr fern sein. Der am Montag
vorgestellte „360° Diversity Char-
ter“ will zukünftig die gesellschaft-
liche Vielfalt im eigenen Unter-
Minderheitenquote von 15 auf
20 Prozent dürfte im Königreich
von 2020 kein unlösbares Problem
W enn es gilt, einen Teich trockenzu-
legen, sollte die junge freiheit
keinen Frosch interviewen. Wenn es gilt,
als die Hälfte des Steueraufkommens.
Insgesamt 20 Millionen Bundesbürger
zahlen 93 Prozent desselben. Die rest-
darstellen. Schwieriger könnte es den fleißig arbeitenden Menschen in lichen 62 Millionen tragen etwas mehr
werden, die angestrebte Quote in diesem Land mehr von ihrem verdienten als gar nichts dazu bei (sieben Prozent).
der Belegschaft bei Behinderten Wohlstand zu lassen, darf nicht jemand Durch Umverteilen ist noch niemand
und „LGBT“-Mitarbeitern (Les- gefragt werden, der schon sein Leben reich geworden, nur alle insgesamt ärmer.
ben, Schwule, Bi- und Transsexuel- lang an der Herz-Lungen-Maschine des KLAUS HENTSCHEL, WERNIGERODE
le) zu erreichen, die derzeit mit 1,9 Sozialstaats hängt, wie der Richter eines
FOTO: FOTOLIA / SIRO46

nehmen ganz exakt umsetzen.
Dazu hat der nach Einschaltquo-
ten viertgrößte Fernsehsender in
Großbritannien nun Quoten für
alle Bereiche eingeführt.
So dürfte die Realisierung der
50-Prozent-Frauenquote in fünf
Jahren im Bereich des Möglichen
liegen, denn derzeit sind in der Be-
Prozent bzw. 2,4 Prozent deutlich Sozialgerichtes.
unter den angestrebten 6 Prozent Kein Wunder also, daß der in gewohnt
für 2020 liegen. Was sich bei der gleichmacherischer Weise fordert, noch
Führungsebene des Senders leicht mehr Geld ins System zu pressen! Wie Ihre Leserbriefe senden Sie an:
JUNGE FREIHEIT Leserforum
durch gezielte Beförderungen steu- immer sollen die „Reichen“ es bezahlen. Hohenzollerndamm 27 a,
ern läßt, kann in der Belegschaft Das ist so langweilig wie vorhersehbar 10713 Berlin
erst durch Einstellungsgespräche
Unser Bier: Die Brauer sind zufrieden, stieg doch – dank und vor allem anderen: falsch! Beispiel leserbriefe@jungefreiheit.de
mit neu justierten Anforderungs- Fußball-WM und Titelgewinn? – der Konsum des Gersten- Einkommensteuer: Von den knapp 82 Fax 030 / 86 49 53 - 14
profilen ausbalanciert werden. safts in Deutschland endlich wieder. Auf 107 Liter pro Kopf. Millionen Bundesbürgern zahlt die Hälfte
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
„Wir hätten gewarnt sein können“
Die Attentate von Paris haben Europa überrascht. Kein Wunder, meint der französische Kriminologe und Europol-Berater Xavier Raufer,
denn unsere Sicherheitsbehörden hängen falschen Vorstellungen an – und verkennen dadurch die neue islamistische Gefahr
Herr Professor Raufer, löst die Pariser Groß-
demonstration vom Sonntag die Probleme?
Raufer: Ich bitte Sie! Auch wenn positiv
ist, daß die Franzosen zusammenhalten,
mit dem Marsch beeindrucken wir vor
allem uns selbst – aber keine Terroristen.
Die Medien nennen ihn „historisch“, ei-
nen „Wendepunkt“, gar einen „Urknall“.
Raufer: Tatsächlich ist der Marsch be-
reits zum politischen Spielzeug verkom-
men: Bei den Sozialisten heißt es nun, er
habe Hollande gestärkt und zeige, daß
man im Hinblick auf seine Kandidatur
für die nächste Wahl keine Vorwahlen
in der Partei mehr brauche. Soviel zum
Thema Instrumentalisierung.
Beziehen sich islamistische Terroristen
überhaupt auf uns Europäer oder nicht
vielmehr auf die Moslems weltweit? Sprich,
fühlen sie sich tatsächlich isoliert, wenn
wir gegen sie demonstrieren?
Raufer: Nein, das läßt die kalt. Für sie
ist der Westen der Satan, und wenn Mil-
lionen hier gegen sie auf die Straße ge-
hen, dann sind das einfach Millionen
Teufel. Auch in den USA gab es nach
dem 11. September 2001 eine Groß-
demonstration – an der terroristischen
Bedrohung hat das nicht das geringste
geändert. Das ist alles nur Politik.
„Eine neue Generation
von Dschihadisten“
Sie warnen: Wir verkennen die neue Ge-
neration islamistischer Terroristen.
Raufer: Eindeutig! Unsere Sicherheits-
behörden stellen sich diese nach wie vor
als tief religiöse Überzeugungstäter vor.
Und das ist ein Irrtum?
Raufer: Ein Irrtum, der die Charlie-Heb-
do-Tragödie erst möglich gemacht hat.
Inwiefern?
Raufer: In Europa gehen wir immer
noch vom Bin-Laden-Typ aus. Das heißt,
die Behörden halten vor allem Ausschau
nach intelligenten, gebildeten, aber fa-
natisch Religiösen, die versuchen, große
Terrorpläne zu schmieden. Diese Gene-
ration von Dschihadisten aber ist tot.
Tot?
Raufer: Ja, denn die Zahl dieser Gene-
ration ist nicht unbegrenzt. Und Tausen-
de von ihnen wurden bei Anti-Terror-
Einsätzen ausgelöscht. Allein im Gebiet
Afghanistan und Nordpakistan wurden
in den letzten Jahren 3.000 durch Droh-
nen getötet. Die Überlebenden sitzen
schachmatt in ihren Verstecken, aus
Angst, ebenfalls getötet zu werden.
Also war der „Krieg gegen den Terror“ doch
ein Erfolg?
Raufer: Ja, und zwar in dem Moment,
als die USA mit dem Unsinn aufgehört
haben, ihn mit Panzern, Geschützen,
Infanterie und Bombern zu führen und
auf Spezialkommandos und Drohnen
gesetzt haben, um diese Leute gezielt
zu eliminieren. Die Invasionen dagegen,
etwa im Irak, waren dumm.
Und womit haben wir es heute zu tun?
Raufer: Nicht mehr mit Terrorfürsten,
sondern mit Terrorgesindel: Kleinkrimi-
nellen und Narren, die sich als Gottes-
krieger aufspielen.
Aber die Täter von Paris sollen seit Jahren
vom islamistischen Prediger Farid Beny-
ettou radikalisiert worden sein.
Raufer: Die Gebrüder Kouachi, die
Charlie Hebdo überfallen haben, waren
keine Söhne der wahhabitischen Eli-
te, sondern ehemalige Kleinkriminelle,
ebenso wie Amedy Coulibaly, der eine
Polizistin und vier Geiseln in einem jü-
dischen Supermarkt erschoß. Unsere
Analysen sagen, daß alle französischen
Islamisten, die in den letzten drei Jah-
ren Attentate verübt haben, verwilderte
Persönlichkeiten waren: Mehdi Nem-
mouche etwa, der 2014 zwei Besucher
und zwei Angestellte des Jüdischen Mu-
seum in Brüssel erschoß und in Marseille
verhaftet wurde, erwies sich als geistig
zurückgeblieben – er hat die intellektu-
elle Kapazität eines Zwölfjährigen. Mo-
Prof. Dr. Xavier Raufer
ist Leiter des Instituts für Kriminologie an der Uni-
versität Paris II und Dozent an Universitäten in Groß-
britannien und China sowie Leitender Redakteur
bei „CNRS Edition“, dem Verlag des französischen
FOTO: PRIVAT
Nationalrates für wissenschaftliche Forschung.
Seine publizistische Karriere begann der 1946 ge-
FOTO: PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO
Französische Spezialpolizisten patrouillieren am Tag nach der Tat vor dem Pariser Supermarkt, in dem Amedy Coulibaly, der Komplize der
„Charlie Hebdo“-Attentäter, vier Geiseln tötete: „Die Gefahr geht von den Islamisten in unseren Vorstädten aus“
hammed Merah, der 2012 Frankreich in
Atem hielt, als er in Anschlägen in Tou-
louse und Montauban drei Soldaten, drei
Kinder und einen jüdischen Lehrer er-
mordete, hatte zwei Selbstmordversuche
hinter sich. Er war völlig instabil, tanzte
abends in der Diskothek, trank Alko-
hol und betete am nächsten Tag in der
Moschee. Nicht viel anders etwa beim
Attentäter von Joué-lès-Tours.
Im Dezember 2014 attackierte in Joué-
lès-Tours ein Mann Polizisten mit einem
Messer, ein weiterer fuhr in Dijon 13 Pas-
santen an, und ein dritter raste in Nantes
mit dem Auto in eine Menschenmenge.
Alle drei sollen „Allahu Akbar!“ gerufen
haben. Zuvor hatten Afrikaner in Créteil
eine Frau vergewaltigt, weil sie Jüdin ist.
Raufer: In Dijon war der Täter ein
Kleinkrimineller mit Drogenproblemen
und Psychose, in Nantes war er, völlig
unislamisch, erheblich alkoholisiert. Al-
les keine „edlen“, strenggläubigen Got-
teskrieger, wie sie unsere Sicherheitsbe-
hörden suchen. Tatsächlich sind sämt-
liche Dschihadisten, die in Frankreich
seit 2012 aktiv geworden sind, Drogen-
konsumenten oder ehemalige Gangster.
Man hätte also gewarnt sein können?
Raufer: Natürlich hätten wir gewarnt
sein können. Der Anschlag auf Charlie
Hebdo erfolgte nach dem Muster der Ta-
ten seit 2012. Ich gebe zu, auch mich
haben Härte und Ausmaß überrascht –
17 Tote in drei Tagen! Aber im Grunde
waren die genannten Fälle Warnzeichen
– wenn man sie nur hätte sehen wollen.
„Fehldiagnose: Hauptgefahr
Syrien-Heimkehrer“
Kritiker sagen, das sei nicht geschehen, da
man sich weigerte, sie als islamistisch ein-
zustufen?
Raufer: Weil die Regierung der Fehldia-
gnose anhängt, die islamistische Gefahr
gehe von den Syrien-Heimkehrern aus.
Ist das falsch?
Raufer: Unsere Behörden haben 76 Per-
sonen festgestellt, die aus den Kämpfen
in Syrien und Irak zurückgekommen
sind. Ausnahmslos alle sind zutiefst er-
schrocken, ja geradezu traumatisiert an-
gesichts dessen, was sie dort erlebt haben.
Sie bitten unsere Behörden regelrecht, sie
wieder einreisen zu lassen, selbst wenn sie
ins Gefängnis müßten. Der Grund: Sie
haben dort nicht den heiligen, brüderli-
chen Krieg für Allah erlebt, den sie sich
vorgestellt haben, sondern allerschlimm-
ste Greuel, bei denen nicht mal Schwan-
gere und Kleinkinder geschont werden.
Warum warnt dann der deutsche Innen-
minister ständig vor Syrien-Heimkehreren?
Raufer: Warum tut es der französische?
Weil sie auf Nummer Sicher gehen wol-
len. Passiert doch etwas und sie haben
nicht gewarnt, können sie einpacken.
Vor allem aber, weil sie einer falschen
Diagnose anhängen! Denn tatsächlich
bleiben diejenigen, die mit der unvor-
stellbaren Gewalt in Irak und Syrien klar-
kommen, dort, da sie Karriere machen
können. Zurück kommen dagegen die,
die es nicht aushalten, weil sie auf die
geradezu prähistorische Barbarei dort
– so berichten es uns unsere Quellen
– nicht gefaßt waren. Zurück in Frank-
reich wollen diese Leute keinen Dschi-
had führen, sondern verstecken sich un-
ter ihren Betten.
Aber diese Informationen stehen den Sicher-
heitsbehörden doch auch zur Verfügung.
Raufer: Und, haben sie sie genutzt?
Schauen wir nochmal auf die islami-
stischen Attentate der letzten Jahre in
Frankreich: Wie viele wurden von Syri-
en-Heimkehrern verübt? Keines. Wer hat
statt dessen tatsächlich gemordet? Voilà!
Die Gefahr geht von den Islamisten in
unseren Vorstädten aus, von den Leuten,
die direkt vor unserer Nase sitzen! So war
es auch im Fall Charlie Hebdo.
Einer der Kouachi-Brüder soll immerhin
eine Ausbildung in einem Al-Qaida-Lager
im Jemen absolviert haben.
Raufer: Diese Hypothese haben US-
Medien aufgebracht, sind aber jeden Be-
weis schuldig geblieben. Der US-Justiz-
minister dagegen bestätigt, es gebe keine
verläßlichen Informationen, nach denen
Said und Chérif Kouachi oder Amedy
Coulibaly zu einer bekannten Terroror-
ganisation gehört haben.
borene „einflußreiche Kriminologe“ (Newsweek) als
Journalist bei L‘Express, dem ältesten und auflagen-
stärksten französischen Nachrichtenmagazin, wo er
auch als Kolumnist tätig war. Außerdem schrieb er
für Le Figaro und France Soir. Er beriet einige konser-
vative Politiker und trat mehrfach in Rundfunk und
Fernsehen auf. Zu den Themen Terrorismus, soziale
Gewalt, Kriminalität und Islamismus veröffentlichte
In einem vor seinem Tod aufgenommenen
Video bekennt sich Coulibaly zum Islami-
schen Staat.
Raufer: Natürlich, jeder kann zu Hause
so ein Video aufnehmen, um sich so an
etwas anzuhängen. Ganz sicher wollten
die Attentäter von Paris nicht wie kleine
Idioten dastehen, sondern ihr Tun in
einen größeren Zusammenhang stellen,
auf daß es dadurch Bedeutung erlange.
Ich glaube auch, daß die Brüder Kou-
achi in den Irak wollten, aber sie waren
eben nicht dort. Mohammed Merah und
Mehdi Nemmouche wollten das auch,
aber man hat sie dort nicht angenom-
men. Offenbar weil man dort erkannt
hat, daß sie nicht zu gebrauchen waren.
Wenn Said Kouachi tatsächlich im Je-
men gewesen sein sollte, dann war er of-
fenbar nicht gut genug, um anschließend
irgendwo eingesetzt zu werden. Statt des-
sen wurde er dann wieder heimgeschickt.
Allerdings haben erst islamistische Prediger
aus Kleinkriminellen, wie Sie sagen, isla-
mische Terroristen gemacht. Welche Rolle
spielt also der Islam?
Raufer: Ich bin kein Experte für den
Islam, daher kann ich dazu nichts sagen.
Aber als Experte für islamistischen Terror
müssen Sie doch eine Vorstellung davon
haben, welche Rolle dieser Faktor spielt?
Raufer: Dennoch will ich dazu nichts
sagen, da ich eben kein Islamexperte bin.
Es gibt auch nichtislamische Desorientierte
und Kriminelle in unseren Gesellschaften.
Dennoch geht von ihnen kein vergleichba-
res Terrorproblem aus.
Raufer: Nur soviel: Der Islamismus ist
zweifellos keine Religion, sondern ein
Kult, der seinen Einfluß ausübt.
Wenn Sie den Faktor Islam nicht kalku-
lieren, ist das Problem für Sie dann ein
soziales, wie es etwa in Deutschland inter-
pretiert wird? Sprich, mit Willkommens-
kultur, Antidiskriminierung und sozialen
Leistungen können wir den Terror besiegen?
Raufer: Das ist Unsinn. Denn es sind
so wenige Täter, daß es immer welche
geben wird, auch wenn es gelingen sollte,
99 Prozent der Muslime zu integrieren.
er zahlreiche Bücher; etwa den Studienband „Vio-
lences et insécurité urbaines“ („Urbane Gewalt und
Unsicherheit“) der Presses Universitaires de France,
den er von 1998 bis 2003 betreute. Inzwischen ist
er unter anderem auch Berater der europäischen
Polizeibehörde Europol in Den Haag.
www.xavier-raufer.com
IM GESPRÄCH|3
Was illusorisch ist – nicht mal 99 Prozent
der deutschen Bevölkerung sind integriert.
Raufer: Eben, und deshalb liegt die Lö-
sung auch nicht im sozialen, sondern im
kriminalistischen Bereich. Freilich ist da
eine Lösung unmöglich, wenn Sicher-
heitsfragen der Political Correctness un-
terworfen werden. Etwa wenn die Über-
wachung von Verdächtigen, die nun mal
zumeist Araber sind, als „Racial Profi-
ling“ verunglimpft wird, die Polizei sich
also Rassismus-Vorwürfen gegenüber-
sieht, weil sie ihre Arbeit macht – oder
vielleicht gar ihre Arbeit nicht macht,
weil sie solche Vorwürfe fürchtet.
„Alle Täter kamen aus
Einwandererfamilien“
Wenn die neue Terroristengeneration aus
unseren Vorstädten kommt, ist folglich die
Einwanderung die Ursache?
Raufer: Natürlich sind auf gar keinen
Fall alle Einwanderer terrorverdächtig.
Aber alle französischen Terroristen seit
2012 kamen in der Tat aus Einwanderer-
familien. Wer das verneint, verneint die
Realität. Wer etwa die Kosten für die
teure Aids-Behandlung zur Hälfte auf
Prostituierte und zur Hälfte auf Nonnen
umlegt, der verfehlt das Problem. Und
davor sollten wir uns hüten.
Was droht uns in Zukunft?
Raufer: Wir stehen auf keinen Fall vor
einer islamistischen Apokalypse, wie ei-
nige glauben. In 25 von 28 EU-Staaten
gab es in den letzten fünf Jahren nicht
einen islamistischen Anschlag. Und
2013 – die Zahlen für 2014 stehen noch
nicht zur Verfügung – gab es sieben isla-
mistische Anschläge auf 500 Millionen
Europäer. Das ist kriminalistisch gese-
hen nichts. Gleichwohl können wir uns
keinesfalls entspannen. Wir lassen viel
zu viele islamistisch gesonnene Leute
unkontrolliert herumlaufen, die bereit
und in der Lage sind, sich eine Waffe zu
besorgen und auf einen Schlag 17 Men-
schen zu erschießen. Wenn wir nicht
endlich etwas Grundlegendes ändern,
werden wir das Problem nicht in den
Griff bekommen.
MORITZ SCHWARZ
Heiko Maas offenbart sich mit
seinen Reaktionen auf Pegida
und Paris als nicht ministrabel
Mittel-
Maas
CHRISTIAN SCHREIBER
D em Amt des Justizministers
sagt man gewöhnlich nicht
nach, daß es besonders öffent-
lichkeitswirksam sei. SPD-Mann
Heiko Maas hat es in den ver-
gangenen Tagen dennoch bis auf
die Titelseite vieler Zeitungen
gebracht. Der 48jährige nannte
die Bürgerbewegung Pegida „eine
Schande für Deutschland“ und
befürwortete gar Sitzblockaden
von Gegendemonstranten, „um
die Aufmärsche von Extremisten
und Menschenfeinden“ zu stop-
pen. So deutlich hat sich vor ihm
noch kein Justizminister gegen
geltendes Recht gestellt.
Immerhin dürfte der Be-
kanntheitsgrad des unscheinba-
ren Saarländers erheblich gestie-
gen sein. Kritiker in den eigenen
Reihen haben ihm stets mangeln-
den Biß vorgeworfen, der kleine,
drahtige Hobby-Triathlet, gebo-
ren 1966 in Saarlouis, neigte zu
Hause nie zu lauten Tönen. Als
„Mittel-Maas“ hat ihn der ehe-
malige CDU-Ministerpräsident
Peter Müller einmal verspottet,
„der Heiko“ galt als einer, der nie
eine Wahl gewinnen würde.
Maas’ politische Karriere be-
gann als Landeschef der Saar-Ju-
sos, auf deren linkem Flügel er
sich positionierte. Schnell wur-
de der stets unterkühlt wirkende
Jurist Staatssekretär, schließlich
Umweltminister. Als sein För-
derer und Mentor Oskar Lafon-
taine Anfang 1999 den Bettel
hinwarf und sein blasser Statthal-
ter Reinhard Klimmt die Land-
tagswahl gegen Müller verlor,
war Maas’ Stunde gekommen.
„Es war ja sonst niemand mehr
da“, höhnte Lafontaine später.
Als Oppositionsführer gab Maas
eine schwache Figur ab, verlor
2004 und 2009 krachend gegen
den populären Müller und hal-
bierte die SPD auf 24 Prozent.
Dennoch wollte er unter Ein-
bindung Lafontaines ein rot-rot-
grünes Bündnis schmieden, doch
schließlich entschieden sich die
Grünen für eine Jamaika-Koali-
tion mit CDU und FDP. Maas,
in dessen Umfeld erzählt wurde,
er habe sich bereits Maßanzüge
für die Staatskanzlei schneidern
lassen, fiel in ein tiefes Loch.
Doch im Winter 2012 schien
er kurz vor dem Ziel. Als Müller
sich nach Karlsruhe verabschie-
dete und die Jamaika-Koalition
bereits mächtig wackelte, ent-
schied sich Maas zur Kampfkan-
didatur gegen die CDU-Kandi-
datin Annegret Kramp-Karren-
bauer. Siegesgewiß schlenderte er
an jenem Tag durch die Flure des
Landtags in Saarbrücken, und in
der Tat erhielt er im ersten Wahl-
gang genauso viele Stimmen wie
die CDU-Frau. Doch der gro-
ße Traum platzte im zweiten
Wahlgang. Die Grünen waren
doch nicht umgekippt. Die an-
schließende Landtagswahl nach
dem Ende von Jamaika endete
zwar mit leichten Zuwächsen
für die SPD, doch obwohl ei-
ne knappe rot-rot-grüne Mehr-
heit vorhanden war, ging Maas
als Wirtschaftsminister und Ju-
niorpartner in die Große Koali-
tion. Der Ruf nach Berlin, der
ihn schließlich im Herbst 2013
ereilte, muß daher wie eine Er-
lösung gewesen sein. Einen vier-
ten Anlauf hätten ihm selbst die
geduldigen Saar-Genossen nicht
mehr zugestanden.
4|POLITIK
AfD-Fraktion präsentiert
Einwanderungskonzept
DRESDEN. Die AfD-Fraktion
im sächsischen Landtag hat ange-
sichts der wachsenden Zahl von
Flüchtlingen in Deutschland ein
Positionspapier zur Asyl- und
Einwanderungspolitik vorgelegt.
Darin wird die Bundesregierung
aufgefordert, ein entsprechendes
Gesetz auf den parlamentarischen
Weg zu bringen. Dies sei längst
überfällig und müsse sich „nach
den Bedürfnissen Deutschlands
richten“, heißt es in dem Papier,
das am Dienstag vorgestellt wur-
de. Um zu verhindern, daß Par-
allelgesellschaften in Deutschland
entstünden, müsse zudem Ein-
wanderern die „kulturelle Anpas-
sung als Ziel vorgegeben werden“.
Zugleich betonte die Fraktion,
daß das Asylrecht für sie nicht
zur Debatte stehe. (ms)
Kommentar Seite 2
Linksextremisten
greifen Polizei an
BERLIN/LEIPZIG. Etwa 50
vermummte Linksextremisten
haben am Sonnabend in Berlin
das Rathaus Neukölln angegriffen
und verwüstet. Zahlreiche Schei-
ben wurden zerstört. Später griff
die Gruppe Geschäfte und Ban-
ken an. In einem Selbstbezichti-
gungsschreiben auf einer links-
extremen Internetplattform heißt
es: „Kein Friede dem rassistischen
Normalzustand! Kein Friede dem
Staat, seinen Dienern und seiner
Gewalt!“ Vier Verdächtige, die
von der Polizei unmittelbar nach
dem Angriff festgenommen wur-
den, sind mittlerweile wieder auf
freiem Fuß. Hintergrund des An-
schlags ist der zehnte Todestag
des Asylbewerbers Oury Jalloh,
der 2005 durch einen selbstge-
legten Brand in Dessau ums Le-
ben kam. Bereits in der vergan-
genen Woche hatten in Leipzig
Vermummte eine Polizeiwache
mit Steinen und Brandsätzen at-
tackiert. Ein Feuer konnte von
den Beamten, die sich verbarri-
kadiert hatten, gelöscht werden.
Auch dort hatten die Täter über
das Internet bekannt, aus Rache
für Jalloh zu handeln. (ho)
Kommentar Seite 2
Asylheim: Bewährung
für Brandstiftung
CHEMNITZ. Ein Asylbewerber
aus Marokko ist wegen Brandstif-
tung zu einer Bewährungsstrafe
von fünf Monaten verurteilt wor-
den. Der 38 Jahre alte Karim A.
hatte im September 2013 versucht,
in einer mit achthundert Personen
belegten Asylbewerberunterkunft
Feuer zu legen. Er wurde dabei er-
tappt, wie er in einer Kammer ei-
ne Matratze anzündete. Einigen
Männern gelang es, das Feuer
auszutreten. „Er wollte vermut-
lich seine Verlegung in ein anderes
Heim erreichen“, sagte einer der
Mitarbeiter vor dem Amtsgericht
in Chemnitz. Vorangegangen sei
der Tat ein massiver Streit unter
den Asylbewerbern. Das Gericht
begründete sein mildes Urteil mit
dem Umstand, daß sich das Feu-
er nicht ausbreitete und niemand
zu Schaden kam. Derzeit befindet
sich Karim A. in Leipzig wegen
Körperverletzung und Raub in
Untersuchungshaft. (FA)
Parteien, Verbände, Personen
Deutsche Soziale Union
Zur Teilnahme an den Demon-
strationen der islamkritischen
Pegida-Bewegung hat die Deut-
sche Soziale Union (DSU) aufge-
rufen. „Wer spätestens nach einem
weiteren Terrorüberfall wie dem
auf einen jüdischen Supermarkt
die Augen verschließt und be-
streitet, daß die Terrorüberfälle
in Frankreich keinen religiösen
Hintergrund und nichts mit dem
Islamismus gemein haben, dem ist
wirklich nicht mehr zu helfen“,
sagte DSU-Chef Roberto Rink
zur Begründung. „Der ‘Aufstand
der Verantwortungsbewußten’
muß weitergehen und zu einer
Massendemonstration in ganz
Deutschland werden. Alle Bürge-
rinnen und Bürger werden auf-
gerufen, gerade jetzt ein Zeichen
zu setzen.“
Deutsche
Polizeigewerkschaft
Die Deutsche Polizeigewerkschaft
hat davor gewarnt, nach den Ter-
roranschlägen in Paris wieder
FOTO: PICTURE ALLIANCE / ARNO BURGI / DPA
AfD-Sprecherin Frauke Petry in der Dresdner Landespressekonferenz: Suche nach einer Lösung
AfD: Nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen bemüht sich die
Parteiführung im Streit über die Führungsstruktur um Mäßigung
MARCUS SCHMIDT
W
ie sehr der politische Gegner
derzeit darauf wartet, daß die
AfD politisch ins Stolpern
gerät, macht der Auftakt der Partei für
den Bürgerschaftswahlkampf in Ham-
burg deutlich. Dabei unterlief AfD-Spit-
zenkandidat Jörn Kruse am vergangenen
Sonnabend ein Mißgeschick. Mit Blick
auf die Anschläge in Paris sagte Kruse,
„leider ist es viel früher passiert, als ich
gehofft habe“. Ein Versprecher, wie auch
ein mittlerweile im Internet kursieren-
des Video belegt. Statt „gehofft“, hatte
Kruse „erwartet“ sagen wollen. Für die
Medien und den politische Gegner war
der Versprecher dennoch eine Steilvorla-
ge. „AfD-Wahlkämpfer verhöhnt Pariser
Terror-Opfer“, titelte der Stern in seiner
Online-Ausgabe.
Nicht viel freundlicher waren die Re-
aktionen auf das Treffen der sächsischen
AfD-Fraktion mit den Organisatoren
der Pegida-Demonstrationen in der
vergangenen Woche in Dresden. Dabei
war das öffentliche Interesse groß. Der
Saal der Landespressekonferenz war bis
auf den letzten Platz besetzt, als AfD-
Sprecherin Frauke Petry ihren Bericht
präsentierte. „So voll war es zuletzt beim
Rücktritt von Ministerpräsident Kurt
Biedenkopf“, staunte ein altgedienter
Dresden-Korrespondent.
Das Ergebnis des Gespräches: Zwi-
schen der AfD und der Pegida-Bewegung
gibt es nach Ansicht von Fraktionschefin
Petry vor allem in der Zuwanderungspo-
litik inhaltliche Gemeinsamkeiten. Eine
Zusammenarbeit zwischen ihrer Partei
und Pegida schloß sie jedoch aus – was
Spiegel Online indes nicht davon abhielt,
in einer ersten Meldung das Gegenteil
zu behaupten.
Auffallend ruhig blieb es unterdessen
in der vergangenen Woche im Streit um
die künftige Führungsstruktur der Par-
tei. Während noch zwischen Weihnach-
zur Tagesordnung überzugehen.
Die Nachbereitung des Einsat-
zes und die richtigen politischen
und polizeilichen Lehren müssen
aus den Anschlägen und den Er-
kenntnissen der Ermittlungs- und
Fahndungsarbeit gezogen werden.
„Die im Koalitionsvertrag vorge-
sehenen Gesetzesänderungen, wie
die Speicherung von Verkehrsda- Die Familienunternehmer
ten zur Bekämpfung schwerster Angesichts der sich wieder ver-
Kriminalität und Terrorismus, schärfenden Schuldenkrise Grie-
müssen jetzt umgesetzt werden, chenlands hat der Verband Die
das ist nicht neu“, for- Familienunternehmer
derte Gewerkschaftschef bemängelt, daß noch
Rainer Wendt. immer geeignete In-
strumente zur Krisenbe-
Horst Seehofer wältigung fehlten. Die
Der bayerische Mini- diversen Äußerungen
sterpräsident Horst zu einem möglichen
Seehofer (CSU) hat Austritt Griechenlands
eine weitere Amtszeit seien sechs Jahre nach
ausgeschlossen. „Ich Ausbruch der Eurokri-
werde bei der nächsten Seehofer se eine Scheindebatte.
Landtagswahl nicht „Nachdem fast alle
mehr kandidieren“, sag- privaten Investoren in
te er der Welt. Der 65 Jahre alte Griechenland durch öffentliche
Politiker ist seit 2008 Ministerprä- Gläubiger ausgetauscht wurden,
sident in Bayern und Parteichef wird der Grexit nun als verkraft-
Still ruht der See
ten und Silvester die AfD mit diesem
Thema die innenpolitische Bühne fast
im Alleingang bespielt hatte, hielten sich
in den vergangenen Tagen alle Akteure
mit öffentlichen Äußerungen auffallend
zurück. Hinter den Kulissen wird in-
des weiter fieberhaft an einer möglichen
Kompromißlösung gearbeitet, die für
beide Seiten möglichst gesichtswahrend
ist und der AfD auf dem Parteitag in
zwei Wochen in Bremen eine Zerreiß-
probe erspart. Am vergangenen Sonn-
tag trafen sich nach Informationen der
jungen freiheit die Kontrahenten zu
einem Krisengespräch in Berlin. Auf
dieses hatten sich, nach dem Streit um
die von Parteichef Bernd Lucke einbe-
rufene Funktionärstagung in Frankfurt
am Main (JF 3/15), Lucke und seine
Hauptkritiker im Satzungsstreit, AfD-
Sprecher Konrad Adam, Petry und Par-
teivize Alexander Gauland, geeinigt. Ein
belastbares Ergebnis wurde am Sonntag
aber offenbar noch nicht erzielt. In der
Partei wurde mit Blick auf einen mög-
lichen Kompromiß vielmehr von einem
„schwachen Pflänzchen“ gesprochen.
Dennoch machte sich vorsichtiger Op-
timismus breit. Eine Lösung des Streits
noch vor dem Parteitag scheint zumin-
dest wieder möglich.
Mitglieder-Ansturm
auf Parteitag
Doch es gibt mittlerweile auch Stim-
men in der AfD, die nichts davon halten,
eine Entscheidung über die Führungs-
struktur der Partei nur um des Friedens
willen beispielsweise um zwei Jahre zu
verschieben, vielleicht sogar auf einen
Parteitag nach der Bundestagswahl. „Ist
erst einmal eine Entscheidung herbei-
geführt, weiß jeder woran er ist, und es
kann endlich weitergehen“, sagte ein
AfD-Funktionär.
Gerätselt wird derzeit darüber, welche
Auswirkung der sich abzeichnende An-
sturm der Mitglieder auf den Bremer Par-
teitag hat. Bis Anfang der Woche hatten
der CSU. Zuvor gehörte er von bar eingestuft. Die Wahrheit ist,
2005 bis 2008 der Regierung von daß das Geld der deutschen und
Bundeskanzlerin Angela Merkel europäischen Steuerzahler bei ei-
(CDU) als Landwirtschaftsmini- nem Schuldenstand Griechenlands
ster an. Zwischen 1992 und 1998 von 175 Prozent des BIP niemals
bekleidete er unter Helmut Kohl zurückgezahlt werden wird“, kri-
(CDU) das Amt des Bundesge- tisierte Verbandspräsident Lutz
sundheitsministers. Goebel. Die Einschätzung, daß
die Eurozone inzwischen geeig-
nete Instrumente zur Krisenbe-
wältigung an der Hand
habe, täusche.
Paritätischer
Gesamtverband
Den Protestbewegungen
gegen die Pegida-Bewe-
gung hat sich der Pari-
tätische Gesamtverband
angeschlossen. „Der
Anschlag in Paris war Pauli
ein fürchterliches, ver-
abscheuungswürdiges Verbrechen.
Jetzt rassistische Ressentiments auf
Kosten der Opfer zu schüren, ist
abstoßend“, sagte der Vorsitzender
des Paritätischen Gesamtverban-
des Rolf Rosenbrock. „Was wir
brauchen, ist ein deutliches Zei-
sich laut Partei 3.120 der 22.298 AfD-
Mitglieder angemeldet. Deutlich mehr
als von den Organisatoren um Bundesge-
schäftsführer Georg Pazderski erwartet –
und viel mehr als der im Maritim-Hotel
angemietete Raum hergibt.
Was aber bedeutet dieser Ansturm für
den Führungsstreit? In der vergangenen
Woche mehrten sich die Stimmen, die
Luckes Vorschlag für eine Satzungsre-
form und die Ablösung der bisherigen
Dreierspitze unterstützten. Auf mehre-
ren AfD-Veranstaltungen, etwa beim
Bundeskongreß der Jungen Alternative
(siehe den Artikel auf dieser Seite) oder bei
einem Auftritt von Parteivize Hans Olaf
Henkel in Berlin, stieß die Forderung
auf große Zustimmung. Möglicherweise
deutet vor diesem Hintergrund die sich
abzeichnende hohe Teilnehmerzahl dar-
auf hin, daß sich die innerparteiliche
Waage in der Satzungsfrage langsam
zugunsten Luckes neigt. Aber selbst
wenn dem so wäre: Von der notwendi-
gen Zweidrittelmehrheit scheint Lucke
dennoch weit entfernt.
Hitzig dürfte der Parteitag auch ohne
direktes Zutun der AfD werden. Ge-
werkschaften, SPD, Linkspartei und
Linksextremisten haben Proteste gegen
die Veranstaltung angekündigt. In ei-
nem Aufruf des „Bündnis gegen Ras-
sismus und Rechtspopulismus“ heißt
es: „Wir wollen in Hör- und Sichtweite
mit einer breiten und vielfältigen De-
monstration ein Zeichen setzen: Gegen
Rassismus und Rechtspopulismus – für
Solidarität und soziale Gerechtigkeit!“
Dabei schreckt das Gewerkschafts-
bündnis auch nicht vor der Zusam-
menarbeit mit vom Verfassungsschutz
beobachteten linksextremen Gruppie-
rungen zurück. So kooperiert Verdi für
die Anti-AfD-Kundgebung auch mit
dem „Bündnis gegen Nationalismus“,
zu dem auch die „Basisgruppe Antifa“
gehört. Diese strebt nach eigenen An-
gaben die Überwindung des demokra-
tischen Systems und die Einführung
des Kommunismus an.
chen des Zusammenhalts, gegen
Gewalt und gegen jede Form des
Rassismus und der Ausgrenzung.“
In der Gesellschaft dürfe kein Platz
sein für menschenverachtende, de-
mokratie- oder fremdenfeindliche
Einstellungen.
Gabriele Pauli
Die frühere Politikerin der CSU
und der Freien Wähler,
Gabriele Pauli, ist mit
ihrem Versuch geschei-
tert, Bürgermeisterin
auf der Insel Sylt zu wer-
de. In der Stichwahl um
das Amt unterlag die
frühere Landrätin von
Fürth und Abgeordnete
im bayerischen Landtag
dem parteilosen Niko-
las Häckel mit 45 zu 55
Prozent der Stimmen. Im erstem
Wahlgang Mitte Dezember hatte
Pauli 30 Prozent der Stimmen
erhalten. Häckel, der von SPD
und Sylter Wählergemeinschaft
unterstützt wurde, landete mit 27
Prozent auf Platz zwei.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Der Nachwuchs schlägt
leisere Töne an
Junge Alternative: AfD-Nachwuchs wählt Vorsitzenden
HINRICH ROHBOHM, BOTTROP ließ er die damalige DDR Richtung
Bayern. „Meine Eltern hatten 1988
einen Ausreiseantrag gestellt“, er-
G ebannt blicken die Mitglieder zählt er der jungen freiheit. Das
der Jungen Alternative (JA) auf SED-Regime hatte die Mutter mit
die weißen Zettelhaufen, die sich einem Berufsverbot belegt. Seit 2011
nach jedem Griff der Stimmzähler in lebt der Logistiker „einer mittelstän-
die Wahlurnen höher stapeln. Längst dischen Bäckerei“ in Erfurt, wo er
hat sich um die Tische der Auszähler während des Landtagswahlkampfs
eine Menschentraube gebildet. Zu als stellvertretender Pressesprecher
spannend ist das Kopf-an-Kopf-Ren- der AfD fungierte.
nen, das sich der Baden-Württem- Meyer steht für direkte Demokra-
berger Markus Frohnmaier und der tie, spricht sich für Volksentscheide
Thüringer Philipp Meyer bei ihrer auf Bundesebene aus und bekennt
Kampfabstimmmung in der Saalbau- sich zum westlichen Verteidigungs-
Halle von Bottrop um den Vorsitz der bündnis, wenngleich er es gern se-
AfD-Nachwuchsorganisation liefern. hen würde, wenn Deutschland „nach
Am Ende setzt sich Meyer durch, Möglichkeit“ zu allen Großmächten
gewinnt mit 105 zu 93 Stimmen. Es gute Beziehungen pflege. Der Miß-
ist das Finale in einem Machtkampf brauch des Asylrechts müsse unter-
um die politische Ausrichtung der bunden, die Abschiebung straffällig
Jugendorganisation. Während Mar- gewordener Ausländer konsequent
kus Frohnmeier für einen deutlichen erfolgen. „Wirkliche Asylsuchende“
nationalkonservativen Kurs steht, plä- sollten hingegen in Deutschland
dieren die Konservativen und Libera- auch arbeiten dürfen. Darüber hin-
len in der JA für gemäßigtere Töne, aus setzt er sich für den Erhalt des
wie sie Philipp Meyer verkörpert. Mittelstands und ein vereinfachtes
Schon der Tagungsort war um- Steuerrecht ein. „Verbandsintern sehe
stritten. Denn Bottrop, so die Kriti- ich meine Hauptaufgabe darin, aus-
ker aus dem Lager um Frohnmaier, gleichend zwischen den unterschied-
sei allein aus taktischen Gründen für lichen Lagern in der JA zu vermitteln.
den Kongreß ausgewählt worden. Ob mein Angebot dazu angenom-
Hintergrund: Der mitgliederstärkste men wird, muß man sehen“, sagt er.
Landesverband Nordrhein-Westfalen Markus Frohnmaier jedenfalls
besteht überwiegend aus Anhängern zeigte sich nach der Wahl als fairer
des gemäßigten Flügels. Mit der Verlierer, beschenkte seinen Kontra-
Auswahl einer Stadt henten sogar mit einem
im äußersten Westen Strauß roter Rosen. Als
von NRW seien die er jedoch für das Amt
süddeutschen Verbän- des Stellvertreters von
de aufgrund weiter An- Meyer vorgeschlagen
und Abreisen benach- wird, verzichtet er. „Er
teiligt, argumentieren wird dann doch lieber
die Kritiker. „Hessen im nächsten Jahr er-
wäre für alle Beteilig- neut für den Vorsitz
ten geographisch bes- kandidieren“, progno-
ser gewesen“, sagt ei- stiziert einer seiner An-
ner von ihnen. „Na ja, hänger.
taktische Spielchen hat In einer anderen in
FOTO: JF
doch gerade das rechte der AfD derzeit heftig
Lager betrieben“, heißt umstrittenen Frage ist
es von der Gegenseite. Philipp Meyer sich die JA hingegen
Schließlich hätten die weitgehend einig. Auf
Frohnmaier-Anhänger versucht, die ihrem eigenen Kongreß sprach sie
Wahlen um einen Tag vorzuverlegen, sich bei wenigen Ausnahmen für
um zu vermeiden, daß sich aufgrund einen alleinigen Vorsitzenden und
des weiten Fahrtweges ihr Lager de- gegen eine Zweier- oder Dreierspit-
zimiert, sollte sich die Entscheidung ze aus. Ein Umstand, der AfD-Chef
um den JA-Vorsitz hinauszögern. Bernd Lucke gefallen dürfte. Dessen
Auch in ihrem Wesen unterschei- Rede auf dem JA-Kongreß kam bei
den sich die beiden Kandidaten Teilnehmern beider Lager gut an.
deutlich. Frohnmaier ist der bessere „War wirklich klasse“, meint ein An-
Rhetoriker, der in der Vergangenheit hänger des konservativen Flügels. Le-
bereits seine Kampagnenfähigkeit be- diglich die Äußerung des AfD-Chefs,
wiesen hat und zudem innerhalb der daß es keine Islamisierung sei, wenn
JA und der AfD gut vernetzt ist. Doch Kinder im Kindergarten mit Rück-
die Parolen des 23jährigen wirken oft sicht auf muslimische Kinder kein
etwas zu forsch, zu radikal, sein Auf- Schweinefleisch essen dürften, ließ
treten manchmal zu hitzköpfig. den Beifall verhaltener ausfallen.
Philipp Meyer wirkt dagegen fast Angesprochen auf den Führungs-
schüchtern, seine Rede und sein Auf- streit der AfD solidarisieren sich die
treten noch etwas unbeholfen. Doch meisten JA-Mitglieder mit dem Aus-
mit seiner ruhigen, besonnenen Art hängeschild der Partei. „Bernd Lucke
schafft es der 31jährige, Vertrauen ist enorm wichtig für die AfD. Wir
bei den Mitgliedern zu gewinnen. dürfen ihn jetzt nicht demontieren“,
„Ich will einigen“, lautet seine Bot- sagen sie lagerübergreifend. Das sieht
schaft, mit der er vor allem die im auch Philipp Meyer so. „Ich hoffe,
„Clinch“ liegenden Landesverbände daß sich in der Satzungsfrage ver-
Baden-Württemberg und Nordrhein- nünftige Kompromisse finden lassen,
Westfalen meint. die beiden Seiten gerecht werden“,
Der Vater von zwei Kindern ist zeigt sich der neue Vorsitzende gleich
im sächsischen Freiberg aufgewach- schon einmal von seiner ausgleichend
sen. Im Alter von fünf Jahren ver- wirkenden Seite.
Gewerkschaft Deutschland geworben. Katholiken (ZdK) die Greueltaten,
der Polizei „Sie ist ein Grund dafür, die von terroristischen Gruppierun-
Lehren aus den Ter- daß wir eine der gering- gen im Namen des Islam begangen
rorakten von Paris zu sten Jugendarbeitslosig- werden. „Unsere Solidarität gilt den
ziehen hat die Gewerk- keitsquoten weltweit Opfern dieses Terrors, den Chri-
schaft der Polizei gefor- haben. Damit dies so sten, Muslimen und Menschen
dert. „Nach den der- bleibt, müssen Schüler anderer Religionszugehörigkeit,
zeitigen Erkenntnissen frühzeitig für die beruf- die aufgrund ihres Glaubens be-
sind die Taten durch das liche Bildung begeistert drängt und vertrieben wurden oder
Terrornetzwerk al-Qai- werden“, forderten der ihr Leben verloren haben“, heißt
da beauftragt und von Albsteiger JU-Bundesvorsitzende es in der Erklärung. „Wir verur-
Terror-Gruppierungen Paul Ziemiak und teilen den blutigen Anschlag auf
aus dem Jemen finanziert worden“, seine Stellvertreterin Katrin Alb- die Redaktion des Satiremagazins
sagte GdP-Chef Oliver Malchow. steiger. „Es besteht zunehmend Charlie Hebdo. Diese abscheuliche
„Wenn zutrifft, daß die Mitglieder Handlungsbedarf. 2013 sank die Tat ist zugleich ein Anschlag auf die
der Pariser Terrorzelle Befehle und Zahl von neu abgeschlossenen Aus- Pressefreiheit und den gesellschaft-
Anweisungen aus dem Ausland er- bildungsverträgen auf den nied- lichen Frieden.“
halten haben, dann müssen diese rigsten Stand seit der deutschen
Kommunikationswege kontrollier- Wiedervereinigung. „Für den
bar und im nachhinein polizeilich Wirtschaftsstandort Deutschland
auch auswertbar sein.“ Das gleiche sind diese Zahlen alarmierend“,
gelte für die Geldbewegungen, die warnten Ziemiak und Albsteiger. Mitteilungen für diese
notwendig waren, Waffen und Rubrik senden Sie bitte
Sprengstoff zu kaufen. Zentralkomitee der an die Politikredaktion,
deutschen Katholiken Hohenzollerndamm 27 a,
Junge Union Auf das schärfste verurteilt haben 10713 Berlin,
Anläßlich des Fachkräftemangels Christen und Muslime des gleich- Fax 030 / 86 49 53 - 14,
in Deutschland hat die Junge Uni- namigen Gesprächskreises beim redaktion@jungefreiheit.de
on für die berufliche Bildung in Zentralkomitee der deutschen
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Kampf gegen den Terror: Angesichts der islamistischen Anschläge in Frankreich gerät das politische Berlin aus dem Takt
PAUL ROSEN
D
ie Anschläge islamistischer Ter-
roristen in Paris haben das po-
litische Klima in Deutschland
weiter aufgeheizt. Seit den Protesten
gegen die Nato-Nachrüstung im Westen
und seit den Montagsdemonstrationen
Ende der achtziger Jahre in der DDR
waren nicht mehr so viele Demonstran-
ten auf den Straßen. Obwohl das De-
monstrationsrecht im Grundgesetz für
alle Bürger unabhängig von ihrer jewei-
ligen Meinung garantiert ist, möchten
Bundesregierung und Bundestagspar-
teien nur Demonstrationen in ihrem
Sinne sehen und riefen islamkritische
Bewegungen wie Pegida auf, auf ihre
Umzüge zu verzichten.
Justizminister Heiko Maas (Portrait
Seite 3) und auch die Migrationsbeauf-
tragte der Bundesregierung, Aydan Özo-
guz (beide SPD), warfen den Pegida-
Demonstranten Heuchelei vor. Maas
erklärte mit Blick auf den Terroranschlag
auf die Redaktion des französischen Sa-
tireblattes Charlie Hebdo: „Wenn die
gleichen Leute, die vor einer Woche
über die Lügenpessse schimpften, jetzt
mit Trauerflor zur Verteidigung der
Pressefreiheit demonstrieren, ist das an
Heuchelei nicht zu überbieten.“
Die Union mußte Sigmar
Gabriel wieder einfangen
Im Prinzip taten die Berliner Koaliti-
ons- und Bundestagsparteien genau das,
was sie Pegida vorwarfen: Den Anschlag
von Paris zu nutzen, um ihre Haltung
herauszustreichen. SPD-Chef Sigmar
Gabriel drohte jedoch ins Hintertreffen
zu geraten, nachdem Kanzlerin Angela
Merkel Arm in Arm mit Frankreichs
Staatspräsident Francois Hollande in
Paris öffentlich an der Spitze eines De-
monstrationszuges von rund eineinhalb
Millionen Menschen auf allen Kanälen
zu sehen war. Flugs forderte Gabriel
eine eigene Regierungsdemonstration
Pegida: Auf der zwölften Demonstration überwiegen trotz aller Trauer über die Toten von Paris die heiteren Momente
FABIAN SCHMIDT-AHMAD, DRESDEN
E s werden immer mehr. Wie viele
diesmal dem Aufruf der „Patrioti-
schen Europäer gegen die Islamisierung
des Abendlandes“ gefolgt waren, ist
ungewiß. „Mehr als 25.000 Personen“
heißt es im Bericht der Dresdner Poli-
zei. Schätzungen der jungen freiheit
kommen auf mindestens 35.000, der
Veranstalter geht von 40.000 Demon-
stranten aus.
Fest steht: Auch die zwölfte Pegida-
Demonstration, befeuert durch die
radikalislamischen Terroranschläge in
Frankreich und Nigeria, verzeichnete
wieder einen Teilnehmerrekord und
stellte konkrete Forderungen an die
Politik: ein Einwanderungsgesetz, das
eine kontrollierte, qualitative Zuwan-
derung nach Deutschland ermöglicht
und quantitative Masseneinwanderung
MARCUS SCHMIDT
S einen Ruhestand hat sich Jörg
Ziercke vermutlich anders vorge-
stellt. Mehr als zehn Jahre war er Präsi-
dent des Bundeskriminalamtes, bevor
er Ende vergangenen Jahres in Pension
ging. In Zierckes Amtszeit fiel unter an-
derem die Aufdeckung der dem „Natio-
nalsozialistischen Untergrund“ (NSU)
zugeschriebenen Mordserie. Die zahl-
reichen Ermittlungspannen der Polizei
und die unglückliche Rolle des BKA da-
bei hatten Ziercke 2012 einen Auftritt
vor dem NSU-Untersuchungsausschuß
des Bundestages beschert. Dabei war
er heftig mit seinem Parteifreund und
POLITIK|5
Politischer Treibhauseffekt Sarrazin kritisiert Merkel
für Islam-Äußerung
DÜSSELDORF. Der ehemalige
Berliner Finanzsenator Thilo Sar-
razin (SPD) hat die Aussage von
Bundeskanzlerin Angela Merkel,
der Islam gehöre zu Deutschland,
scharf kritisiert. „Nimmt man sie
als Tatsachenbeschreibung, dann
ist sie banal“, sagte Sarrazin dem
Handelsblatt. „Denn natürlich sind
vier Millionen in Deutschland le-
bende Menschen islamischen
Glaubens ein Teil dieses Landes,
nicht mehr und nicht weniger als
ein bayerischer Trachtenverein,
der braune Sumpf des NSU oder
rote Socken in der Brandenbur-
ger Provinz.“ Das alles und noch
viel mehr gehöre zu Deutschland,
darunter auch die hier aufgewach-
senen radikalen Salafisten, die für
die Terrormiliz IS in Syrien und
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / MAURIZIO GAMBARINI / DPA
Irak kämpfen. Kritik kam auch von
Merkels Parteifreund, dem CDU-
Innenexperten Wolfgang Bosbach.
Er sagte der Saarbrücker Zeitung,
er teile die Auffassung Merkels
„in dieser Pauschalität nicht“.
„Welcher Islam ist gemeint? Gilt
das auch für seine islamistischen
und salafistischen Strömungen?“
Auch die Scharia gehöre ganz ge-
wiß nicht zu Deutschland, betonte
Mahnwache zu Ehren der Opfer von Paris vor dem Brandenburger Tor: Neuer Streit um schärfere Gesetze Bosbach. (ms)
in Deutschland: „Als Symbol des Zu- itiieren wollte“. CDU-Generalsekretär laden liegende Pläne zur Bekämpfung Muslime zu verhindern. „Wir dürfen Bundesregierung setzt
sammenhalts und des Einstehens für Peter Tauber hielt die Mahnwache für des islamistischen Terrors hervor. So nicht zulassen, daß die große Mehrheit auf Gegenaufklärung
das freie, friedliche und demokratische ein wichtiges Signal, daß die Muslime sollen potentielle Gewalttäter etwa aus der friedlichen Muslime in Deutschland
Zusammenleben in Deutschland und nach den Anschlägen von Paris zeigen dem Salafisten-Milieu daran gehindert und Europa haftbar gemacht werden BERLIN. Die Bundesregierung
Europa wollen wir zu einer gemeinsa- würden, daß sie ein anderes Verständ- werden, in ausländische Terrorcamps für diese Terrortaten einzelner irrege- setzt im Kampf gegen die islami-
men Demonstration aufrufen.“ Das wie- nis vom Islam hätten als die Islamisten. zu reisen. Die CSU forderte auf ih- leiteter Menschen“, sagte etwa SPD- stische Propaganda auf eine gezielte
derum mißfiel der CDU/CSU-Fraktion, Merkel erhöhte ihrerseits den Druck rer Kreuther Klausurtagung schärfere Fraktionschef Thomas Oppermann. Gegenaufklärung. Das geht aus der
die Merkels Ansehensgewinn in Gefahr auf alle Kritiker, indem sie den einzigen Strafen für Sympathiewerbung und das Merkel lobte das gute Verhältnis zur Antwort der Bundesregierung auf
sah, wenn Gabriel am Brandenburger Satz aufgriff, der vom zurückgetretenen Verbreiten von Propagandamitteln für „übergroßen Mehrheit der Muslime eine kleine Anfrage der Linksfraki-
Tor eine große Rede halten würde. Nach Bundespräsidenten Christian Wulff in terroristische Vereinigungen. Der Ruf in Deutschland“. Eine Untersuchung on hervor. Demnach spiele das In-
tagelangem Streit fand die Koalition ei- Erinnerung geblieben ist und wiederhol- nach Einführung einer Vorratsdaten- des Bundesinnenministeriums, nach ternet für Radikalisierungsprozes-
nen Kompromiß: Man schloß sich ei- te: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ speicherung von Telefonverbindungen der ein Viertel der jungen Ausländer se eine wichtige Rolle. Die neuen
ner „Mahnwache“ türkischer Verbände Das Medienecho hatte die Regierung führte zu den üblichen Pawlowschen mit muslimischer Religionszugehörig- Medien würden insbesondere von
gegen Terrorismus am Dienstag an und auf ihrer Seite. Das Handelsblatt lobte Reflexen in der Koalition: Das von der keit als „streng Religiöse mit starken Salafisten intensiv genutzt, um ihre
ließ Bundespräsident Joachim Gauck als die Kanzlerin für die Wiederholung des CDU/CSU gelobte Instrument wurde Abneigungen gegenüber dem Westen, Propaganda zu verbreiten und da-
Hauptredner auftreten. Kürzere Rede- Wulf-Zitats und titelte (was allerdings von der SPD mit dem Hinweis abge- tendenzieller Gewaltakzeptanz und mit vor allem junge Menschen zu
beiträge von Merkel und Gabriel folgten. auch anders verstanden werden kann): lehnt, in Frankreich habe die Vorrats- ohne Integrationstendenz“ eingestuft erreichen. Es sei daher folgerichtig,
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahi- „Merkels neues Deutschland“. datenspeicherung die Anschläge in Paris werden muß, spielt in der Debatte keine die Werte der freien Gesellschaft
mi mußte die Nachricht verbreiten, das Parallel zum „überparteilichen Schul- auch nicht verhindern können. Rolle. „Von einer Islamisierung kann auch mit Hilfe der neuen Medien
sei genau das Zeichen gewesen, das „ auch terschluß“ (Fahimi) gegen den Terror Mit enormem Einsatz legten sich keine Rede sein“, behauptete etwa der zu vermitteln, heißt es in der Ant-
Sigmar Gabriel mit seinem Anschreiben holten Maas und Innenminister Thomas Koalitions- und Oppositionspolitiker CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker wort weiter. Dazu gehöre die Auf-
an die anderen Parteivorsitzenden in- de Maizière (CDU) längst in den Schub- ins Zeug, um Stimmungsmache gegen Kauder. klärung über die von Salafisten be-
setzten Begriffe und Themen. Die
Bundesregierung plane hingegen
nicht, fragwürdige Inhalte selbst
Eine Stadt findet ihren Rhythmus aus dem Netz zu entfernen. (ms)
Übergriffe bei Anti-
Pegida-Protesten
BERLIN. Bei den in zahlreichen
verhindert, das Recht auf, aber auch auch für diese, und das vergessen viele von Polizisten getrennt. Insgesamt dürf- noch weiter anreisten, wußten von Asyl- Städten stattfindenden Protesten
die Pflicht zur Integration, konsequente dieser Journalisten und Gegner unserer ten es kaum mehr als hundert gewesen bewerberheimen zu berichten, die in ih- gegen Pegida ist es am Montag
Ausweisung und Wiedereinreiseverbot Bewegung nur zu gern, ja, auch für diese sein, die sich ihren Frust mit „Nie wieder rer Nachbarschaft errichtet wurden. Die zu Ausschreitungen und Gewalt
von islamischen Kämpfern, die Ein-
führung von Volksentscheiden, ein
Ende der „Kriegstreiberei gegen Ruß-
Mitmenschen sind wir heute hier zusam-
men wieder auf der Straße!“ Eine derar-
tige freie Meinungsäußerung sei nicht
Deutschland“- und „Ihr seid scheiße“-
Rufen aus dem Leibe schrien. Trotz ihrer
geringen Zahl waren durch die schwei-
dadurch gemachten Erfahrungen von
krimineller Repression, von staatlicher
Ignoranz, sehen sie in der öffentlichen
gekommen. So meldete die Poli-
zei in Leipzig Übergriffe auf die
eingesetzten Sicherheitskräfte.
land“ und mehr Mittel für die innere mehr möglich, wenn erst die Gesetze gende Mehrheit auch die wenigen Geg- Wahrnehmung nicht widergespiegelt. „Mehrfach wurden Flaschen, Fä-
Sicherheit. des Islams gelten würden. Karikaturen, ner gut zu hören. Hielten sie erschöpft So sind sie nach Dresden gefahren. kalienbeutel und Rauchgaskörper
„Paris“ war nicht nur während der die beispielsweise Pegida-Teilnehmer inne, wurden sie durch lauten Applaus Eine Stadt, die ihren Rhythmus gefun- gegen die Polizei geworfen.“ Zwei
Schweigeminute allgegenwärtig. An- als Aasfresser an der Redaktionstür des und „Zugabe“-Rufe der Pegida-Demon- den hat. Woche für Woche, Montag Beamte wurden verletzt, nachdem
ders als bei den Demonstrationen zu- Charlie Hebdo zeigen, wertete er als „Ver- stranten angefeuert. Die Stimmung war für Montag gehen hier Menschen auf Gegendemonstranten die Einsatz-
vor waren keine „Wir sind das Volk“- trauensbeweis“. locker, manchmal geradezu heiter, was die Straße, deren Selbstbewußtsein mit kräfte mit Pfefferspray attackier-
oder „Lügenpresse“-Sprechchöre zu angesichts des Trauerflors vieler Teilneh- jeder Demonstration wächst. Selbst die ten. Ein Auto und mehrere Müll-
hören. Oft ragt die französische Trico- Gegendemonstranten als mer etwas unpassend wirkte. Aber schon Gegner scheinen sich allmählich mit tonnen wurden angezündet. Auch
lore in einem schweigenden Meer aus beleidigte Zaungäste längst hatte die Demonstration einen ihrem Status als beleidigte Zaungäste in Dresden kam es zu Übergriffen
Schwarz-Rot-Gold. Viele brachten ihre Event-Charakter bekommen. abgefunden zu haben. Die kritische von Gegendemonstranten auf die
Länderfahnen mit. Nach Sachsen und Tatsächlich gingen offenbar auch die Junge Paare machten von sich Er- Masse, bei der der einzelne nicht weiter Polizei. Dabei wurden drei Beam-
Thüringen dominierte Brandenburg. Gegner von der Friedlichkeit der Pegida- innerungsfotos, das Fahnenmeer als isoliert und ausgegrenzt werden kann, te durch Böllerwürfe sowie einen
Vorwürfe, den Terrorakt instrumentali- Teilnehmer aus. Gegendemonstranten Hintergrund, Eltern zogen mit Kin- sie ist erreicht. „Wir haben es schon Schlag mit einem Besenstiel ver-
sieren zu wollen, ließ Veranstalter Lutz gingen unbehelligt durch den Protest- dern, Großeltern mit ihren Enkeln los, einmal geschafft“, war ein immer wieder letzt, teilte die Polizei auf Anfra-
Bachmann an sich abgleiten. zug, um sich an der Seite zu Gruppen Touristen kombinierten ihre Reise nach zu hörender Satz, „Wir machen immer ge der jungen freiheit mit. Die
In seiner Rede begrüßte Bachmann von zehn, zwanzig Personen zusammen- Dresden mit Agitprop. Viele von den weiter.“ Und, nicht ohne Stolz: „Wir Polizei hat die Ermittlungen auf-
ausdrücklich Vertreter der Presse, „denn zufinden, nur durch eine lockere Reihe Besuchern, die teilweise aus Bayern und sind die Wende!“ genommen. (ho)
http://jungefreiheit.de/umfrage-der-woche
Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Fliegt Griechenland jetzt aus dem Euro?
Ziercke im Unruhestand Nein, durch einen Austritt Ja, die neue sozialistische
Griechenlands würde die 4% Regierung wäre für die
gesamte Währungsunion Europäische Union nicht
Ausschußvorsitzenden Sebastian Edathy Dieser sei seinerseits vom damaligen mas Oppermann und damit die SPD ein auseinanderbrechen. länger tragbar.
(SPD) aneinandergeraten. BKA-Präsidenten Ziercke unterrichtet gewaltiges Problem“, sagte Mihalic dem 13 %
An diesem Donnerstag treffen sich worden, berichtete Edathy dem Aus- Stern. Sie hält es für unglaubwürdig, daß
beide vor dem Edathy-Untersuchungs- schuß. Hartmann, der am selben Tag Edathy, wie von Hartmann behauptet,
ausschuß wieder. Das Gremium unter- nach Edathy dem Ausschuß bis tief in am Rande des Leipziger SPD-Parteitages
sucht seit Sommer vergangenen Jahres, die Nacht ebenfalls Rede und Antwort im November 2013 auf seinen Frakti-
ob der unter Kinderporno-Anklage stand, widersprach dieser Behauptung onskollegen zugegangen sei, um ihm zu
stehende Edathy, der sich ab Ende Fe-
bruar vor Gericht verantworten muß,
Ende 2013 oder Anfang 2014 von
entschieden. Die spektakuläre Doppel-
befragung von Edathy und Hartmann
durch den Ausschuß endete schließlich
berichten, daß er Ermittlungen gegen
sich wegen des Verdachts des Besitzes
von Kinderpornographie befürchte. „So
26 %
Behörden- oder Regierungsvertretern mit einem Patt. Aussage gegen Aussage. etwas vertraut man doch kaum seinem
vor den ihm drohenden Ermittlungen Doch schon damals gab es Stimmen, engsten Freund an. Und Edathy und 57 %
gewarnt wurde. die Hartmanns Version für wackelig Hartmann waren laut Hartmann keine Ja, Griechenland wäre
Ganz oben auf der Liste der mut- hielten. Die Obfrau der Grünen im Aus- Freunde, haben sich nicht mal besonders Nein, die Europäische mit dem Euro nicht
maßlichen Dienstgeheimnisverräter schuß, Irene Mihalic, formulierte nun gemocht“, sagte sie. Union wird dies auf jeden mehr in der Lage, seine
Fall verhindern. Schulden zu tilgen.
steht derzeit Jörg Ziercke. Auf der spek- unmittelbar vor der für diesen Donners- Sollte Mihalic mit ihren Zweifeln
takulären letzten Ausschußsitzung vor tag angesetzten Zeugenvernehmung von richtig liegen, würde das in letzter
Weihnachten hatte Edathy behauptet, Ziercke und Edathy deutliche Zweifel an Konsequenz eine Belastung Zierckes abgegebene Stimmen gesamt: 800
er sei von seinem damaligen Fraktions- der Aussage von Hartmann. Damit er- bedeuten. Er hatte in der Vergangenheit
kollegen Michael Hartmann im Novem- höhte die Polizeibeamtin den Druck auf mehrfach beteuert, weder Hartmann Aktuelle Umfrage: Terror in Paris: Sollten die Sicherheitsgesetze verschärft
ber 2013 über die drohenden Ermitt- die SPD. Falls Hartmann sich „als Lüg- noch Edathy über die Ermittlungen werden?
lungen gegen sich informiert worden. ner entpuppt, hat natürlich auch Tho- informiert zu haben. Stimmen Sie ab unter www.jungefreiheit.de
6|POLITIK
Rückzug: Letztes
Schiff verläßt Trabzon
BERLIN/TRABZON. Mit der
Beladung eines letzten Frachtschif-
fes in der türkischen Hafenstadt
Trabzon schließt die Bundeswehr
in der kommenden Woche ihre
Rückverlegung von Material aus
Afghanistan über den Seeweg ab.
Nach Angaben der für die Logi-
stik zuständigen Streitkräfteba-
sis wurden dann mit insgesamt
fünf Schiffen mehr als 45.000
Versorgungsartikel und gut 950
Fahrzeuge aus Afghanistan nach
Deutschland verschifft. Seit Ende
April 2013 hatte die Bundeswehr
das Material mit Flugzeugen aus
Afghanistan nach Trabzon trans-
portiert. Dort wurde es gesichtet,
überprüft, zwischengelagert und
für den Weitertransport verpackt.
Das erste Schiff mit Material der
Bundeswehr hatte den Hafen an
der Schwarzmeerküste Ende Juli
2013 verlassen. (ms)
Stasi-Behörde: Krüger
fordert Abwicklung
HALLE. Der Präsident der Bun-
deszentrale für politische Bildung,
Thomas Krüger (SPD), hat sich für
eine Abwicklung der Stasi-Unter-
lagenbehörde ausgesprochen. „Wir
brauchen keine zentrale Instanz,
die uns sagt, wie Vergangenheit
zu erklären ist“, sagte Krüger der
Mitteldeutschen Zeitung. Künftig
solle deswegen seine eigene Be-
hörde mehr Aufgaben bekommen.
„Wir sind eine ganze Generation
weiter. Deshalb sollte man in die-
ser Debatte auch nicht irrlichtern
und riesige Apparate aufrechter-
halten. Im übrigen gibt es auch
ein Recht der Menschen, keinen
Antrag zu stellen“, betonte der
SPD-Politiker. Die Akten könn-
ten vom Bundesarchiv verwaltet
werden. (ho)
Angriff der Woche
In
Digitalgewittern
Von Marcus Schmidt
D ie Attacke auf
den Bundes-
tag, das Bundes-
kanzleramt und das
Konrad-Adenauer-Haus begann
an einem Mittwoch um 10 Uhr
und traf die Bundesregierung völlig
überraschend. Ihr Sprecher Steffen
Seibert sprach in einer ersten Reak-
tion von einem „ziemlich schweren
Angriff“.
Gemeint waren damit keine
militärischen Aktionen, sondern
massive Anfragen an die Internet-
auftritte, die umgehend zu einem
Zusammenbruch der betreffenden
Seiten führten. Hintergrund war
offenbar der in der vergangenen
Woche zeitgleich in Berlin statt-
findende Besuch des ukrainischen
Ministerpräsidenten Arseni Jazen-
juk. Die prorussische Hackergrup-
pe CyberBerkut bekannte sich auf
ihrer Internetseite zu der Aktion:
aus Protest gegen die Unterstüt-
zung des „kriminellen Regimes in
Kiew“ durch Deutschland.
Großer Erfolg
bereits 90.000mal angeschaut!
REPORTAGE
Exklusiv: Pegida
youtube.com/jungefreiheitverlag
FOTO: IMAGO 63482591
Moslems in Deutschland: Viele sind liberaler als in ihrem Herkunftsland
Islam: Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung beschreibt das vielschichtige Verhältnis von Moslems und Mehrheitsbevölkerung in Deutschland
CHRISTIAN SCHREIBER
Z
eitgleich mit den Terroranschlägen
in Paris und der neu entfachten
Diskussion über eine Islamisie-
rung Deutschlands (siehe Seite 7) hat
die Bertelsmann-Stiftung eine Studie
über die Wahrnehmung des Islam in
Deutschland veröffentlicht. Bereits 2012
hatte das Meinungsforschungsinstitut
Infratest Dimap im Auftrag der Stif-
tung in 13 Ländern den sogenannten
Religionsmonitor erhoben. Diese Da-
ten wurden durch eine gezielte Umfrage
im November 2014 aktualisiert. Das
Ergebnis: Die Muslime fühlen sich in
Deutschland heimischer als gedacht.
Gleichzeitig wachsen aber in der
Bevölkerung die Vorbehalte gegenüber
dem Islam. Die Studie zeigt eine starke
Verbundenheit der Muslime mit Staat
und Gesellschaft. 90 Prozent der tiefre-
ligiösen Muslime halten die Demokratie
für eine gute Regierungsform. Neun von
zehn Befragten haben in ihrer Freizeit
Kontakte zu Nichtmuslimen. Jeder zwei-
te hat sogar mindestens genauso viele
Die Aussichten trüben sich ein
Kontakte außerhalb seiner Religions-
gemeinschaft wie mit Muslimen. Die
Furcht vor Parallelgesellschaften lasse
sich anhand der Daten somit nicht be-
legen, erklären die Autoren der Studie.
Die Muslime, die derzeit die zweit-
größte Religionsgruppe in der Bundesre-
publik darstellen, sind deutlich frommer
als Angehörige anderer Religionen in
Deutschland. Ihre religiöse Bindung
bleibe über die Generationen hinweg
stabil, die Werthaltungen seien jedoch
liberaler als häufig angenommen.
Zum Überdenken der
Glaubensinhalte gezwungen
Die Autoren erklären dies mit der
Lebensrealität der Moslems, sich in
Deutschland mit Menschen anderen
Glaubens auseinanderzusetzen. Dies
führe zu einer größeren Selbstreflexi-
on: „Vor allem hochreligiöse Muslime
überdenken häufig Glaubensinhalte. Als
Minderheit in einer religiös pluralen
Gesellschaft ist die Zugehörigkeit zum
Islam nicht selbstverständlich, sondern
eine Alternative unter vielen.“ Diese
Wahl erfordere somit ein Maß an Ver-
FOTO: IMAGO/SVEN ELLGER
gewisserung. Anders sei es in Ländern,
in denen Muslime die Mehrheit stellen
und es mehr oder weniger normal sei,
gläubig zu sein: „Entsprechend denken
Muslime in einer Mehrheitssituation
wie beispielsweise der Türkei wesentlich
seltener über Glaubensinhalte nach.“
Generell seien die Muslime deutlich
religiöser als die deutschen Christen.
Dies betrifft vor allem die Sunniten, die
stärkste Glaubensrichtung innerhalb des
Islams. Rund die Hälfte von ihnen sei
hochreligiös, allerdings nehme diese
Einstellung mit zunehmendem Alter
mehr und mehr ab. Trotz ihrer star-
ken Glaubensbindung seien sie aber in
gesellschaftlichen Fragen wie der Ak-
zeptanz homosexueller Partnerschaften
deutlich liberaler als die Gläubigen in
der Türkei. Nach der Studie stimmen
rund 60 Prozent der in Deutschland
lebenden Sunniten einer „Homo-Ehe“
zu: „Von den hochreligiösen Muslimen,
die ihre Glaubensgrundsätze selten hin-
terfragen, tun dies immerhin noch 40
Prozent.“ In der Türkei hingegen, dem
Hauptherkunftsland der Muslime in
Deutschland, habe dagegen nur jeder
dritte hochreligiöse Moslem angegeben,
Pegida-Großdemonstration in Dresden
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Islam in Deutschland
Einstellungen zum Islam und zu Muslimen
Als wie bedrohlich nehmen Sie die Religion Islam wahr? 2014 57%
Antworten: „sehr bedrohlich“ und „eher bedrohlich“ 2012 53%
Der Islam paßt durchaus in die westliche Welt. 2014 61%
Antworten: „eher nicht“ und „gar nicht“ 2012 52%
Durch die Muslime fühle ich mich manchmal wie ein Fremder 2014 40%
GRAFIK
im eigenen Land. Antworten: „eher “ und „voll und ganz“
2012
Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland 2014 24%
untersagt werden. Antworten: „eher“ und „voll und ganz“ 2012
0 10 20 30 40 50 60 70
Werteinstellung bei Muslimen in Deutschland und in der Türkei
100
88 2014 90 87 88
Zustimmung in Prozent
80
67 67
Die Demokratie ist 60
eine gute Regierungsform
GRAFIK
40
40
Befürworte die
gleichgeschlechtliche Ehe 20
12
0
wenig religiös hoch religiös wenig religiös hoch religiös
Muslime in Deutschland Muslime in der Türkei
Islambild nach Alter
2014
70
2012
60
QUELLE: BERTELSMANNSTIFTUNG
2014
50
2012
40
2014
30
2012 Zustimmung in Prozent
20
GRAFIK
2014
10
2012
0
16 bis 24 Jahre 25 bis 39 Jahre 40 bis 54 Jahre 55 bis 69 Jahre 70 Jahre und älter
Islam ist bedrohlich Islam passt nicht in westliche Welt
seinen Glauben regelmäßig zu überden- Ältere Deutsche hätten weitaus weniger
ken. Gleichgeschlechtliche Ehen haben Kontakte zu Muslimen als unter Drei-
dort lediglich zwölf Prozent der Hoch-
religiösen befürwortet.
ßigjährige. Je mehr Austausch zwischen
den Religionen stattfinde, desto geringer
seien am Ende auch die Vorbehalte: „Die
Gefahr einer Spaltung Ablehnung des Islams ist besonders in
der Gesellschaft den Regionen Deutschlands stark aus-
geprägt, wo kaum Muslime leben – wie
Trotz dieser Liberalisierungstenden- beispielsweise in Sachsen. In Nordrhein-
zen unter den Muslimen habe sich die Westfalen, wo ein Drittel aller Muslime
Stimmung in der Bevölkerung deutlich zu Hause ist, wird der Islam hingegen
verschlechtert. Demnach lehne die deut- als weniger bedrohlich empfunden“,
sche Mehrheitsbevölkerung Muslime schreiben die Autoren. Quer durch alle
und den Islam zunehmend ab: „Über die Bevölkerungsschichten bleibe die Tatsa-
Hälfte der Bevölkerung nimmt den Islam che, daß der Islam als fremd empfunden
als Bedrohung wahr, und ein noch höhe- werde, bestehen: „Diese Einschätzungen
rer Anteil ist der Ansicht, daß der Islam finden sich keineswegs nur am Rand der
nicht in die westliche Welt paßt“, heißt Gesellschaft. Weder die politische Ori-
es. Diese Ablehnung des Islams habe entierung, das Bildungsniveau noch der
in den vergangenen zwei Jahren noch Sozialstatus beeinflussen das Islambild
deutlich zugenommen. Fast jeder zweite der Deutschen nennenswert.“
der Befragten fühlt sich durch Muslime Für das Zusammenleben seien diese
wie ein Fremder im eigenen Land. Ein Vorbehalte schwierig. Die Gefahr einer
Überfremdungsgefühl sei auch in Gebie- Spaltung der Gesellschaft sei nicht zu
ten, in denen kaum Muslime wohnen, unterschätzen. Und: Die Autoren sehen
bei rund 40 Prozent der Bevölkerung auch „die Gefahr, daß diese Stimmungen
verbreitet. Dies gelte vor allem für die einen Nährboden für rechtspopulisti-
östlichen Bundesländer. Generell sei die sche Einstellungen und Parteien bilden
Ablehnung auch eine Generationenfrage. können“.
 THEMA
W AUSLAND, Seite 8 WIRTSCHAFT, Seite 10

W
Auch in der Erinnerung Kicktipp: Ein Zwei-Mann-
an den Holodomor ist die Betrieb wurde Marktführer
Ukraine gespalten für Online-Tippspiele
|7
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Kein Grund zur Sorge …

Nachgehakt: Wird über die Proteste gegen eine Islamisierung Deutschlands
berichtet, fehlt fast nie das einschränkende „angebliche“. Ist dieser Zusatz
gerechtfertigt? Eher nicht, wenn man folgende Fakten wahrnimmt,
die JF-Autor Michael Paulwitz zusammengetragen hat

Demographie
Die mo slem isch
e Wo hnb evö lker
Deutschland ist in ung in den höc
den vergangene hsten moslemisch
Jahrzehnten rasant n vier anteil, gefo en Bevölkerungs-
gewachsen: Von 500 lgt von Hamburg, Berl
im Jahr 1972 übe .000 rhein-Westf in und Nord-
r 1,2 Millionen (197 alen mit jeweils ach
Millionen (1995) und 6), 2,7 mit sieben t und Hessen
drei Millionen (200 Prozent.
gegenwärtig zwis 0) auf Bei den Geb
chen vier und vier urten beträgt der Ant
Millionen. Ihnen einhalb dern mit eil von Kin-
stehen etwa drei moslemischem Hint
Moscheen und Geb tausend mehr als ergrund bereits
etsräume zur Verfügu zehn Prozent, im Ruh
dreimal so viele wie ng, jeder vierte rgebiet ist fast
NTAGE

Anfang der Neunzig Schüler

Rund zwei Drittel er. Prozent der Mos islamischen Glaubens. 25
der Moslems in Deu lems insgesamt und
S; JF-MO

land sind Sunniten tsch- Drittel der fast ein

vor allem türkisch Moslems aus dem
kunft; dazu verzeich er Her- sowie aus Nahen Osten
COMMON

Süd- und Südosta

Staatliche Privilegierung
nen die Statistiken sien sind jünger
ne halbe Million mei ei- als 15 Jahre
st ebenfalls türkisch (Einwohner ohne
er hintergrund „Migrations-
IMEDIA

Aleviten. Bis 2030 “: 11 Prozent), etw

n d in Die Hansestädte Hamburg und Bremen
haben wird ein Anstieg
etekel si Millionen oder 7,1 auf 5,5 der Mos a die Hälfte
FOTO: WIK

lems in Deutschland
Die Men ter Staatsverträge mit islamischen Religio
nsge- Prozent der Gesamt
mond: völkerung prognos be- 25 Jahre. ist jünger als
g
h n e u nd Halb noch ausgeprä meinschaften abgeschlossen, Nieder sachsen
Der etwa fünfpro
tiziert.
64,9 Prozent der Asylbewerbe
fa n
Europa Nachbarstaate hen. Die Einführu ng islamisc her Feier- zentige moslemisch r und
will nachzie völkerungsanteil e Be- der Asylbew 95 Prozent
r Schritt in Deutschland vert erber aus dem Hau
einigen tage auf dieser Grundlage ist als nächste sich regional und eilt land Rußland ptherkunfts-
Islamver- nach Alterskohor waren im Jahr 201
vorgesehen. Baden-Württemberg hat terschiedlich. Brem ten un- schen Glau
bens. Zum Christen
3 moslemi-
enen in die en hat mit zehn Proz
treter anstelle von Heimatvertrieb ent sich nur 22,2 tum bekannten
. Prozent der Erstantr
Rundfunkaufsichtsgremien berufen agsteller.
und Nieders ach-
Nordrhein-Westfalen hat 2012
rricht an
sen 2013 islamischen Religionsunte
hrt. Um genüge nd
staatlichen Schulen eingefü
vom Bun-
Lehrer zu gewinnen, sollen die 2003
bestätig ten Verbote des
desverfassungsgericht
Symbol für
Kopftuchs als religiös-ideologisches
oben
Bildung und Arbeitsm Staatsbedienstete gelockert oder aufgeh
arkt werden. In Berlin wird „Islamischer
Bekenntnis-
ion an-
Lobbyverbände
Die Erwerbsbeteiligung mosle unterricht“ von der Islamisc hen Föderat
mischer Einwande- und Ahma- 44 Islamverbände nehmen als Lobbyorgani- aber mit seinem Generalsekretär und seit
rer liegt trotz geringeren
Rentneranteils mit 33,9 geboten, in Hessen haben sich Ditib sationen Einfluß auf in Deutschland lebende 2010 Vorsitzenden Aiman Mazyek in Politik
Prozent weit unter dem diyya Muslim Jamaat beworb en.
der deutschen Bevölke- islamischen Muslime und auf die deutsche Politik. Der und Medien omnipräsent.
rung (43 Prozent). Auch
die Selbständigenquote Für die flächendeckende Einführung mitgliederstärkste Verband ist die 1984 ge- Die vom damaligen Bundesinnenminister
Religi-
ist deutlich niedriger. Die
Transferrelation (ALG- Religionsunterrichts werden rund 2.000 gründete Filiale der türkischen staatlichen Wolfgang Schäuble 2006 initiierte „Deutsche
ung hat das
und Hartz-IV-Empfänger
pro Erwerbstätige) ist onslehrer benötigt. Für ihre Ausbild
bei Muslimen mit 43 Proze rium für Bildung und Forschu ng Religionsbehörde Ditib, die als Großanbieter Islamkonferenz“ bevorzugte von Anfang an
nt viermal höher als Bundesministe
he Theo- von „Integrationskursen“ fest in die Sozialin- die großen islamischen Lobbyverbände,
bei Einheimischen und EU-B
ürgern; bei Einwan- die Einrichtung von Zentren für islamisc
derern aus dem Nahen und itätssta ndorten geförde rt: dustrie integriert ist und von Politikern als die zu Gesprächspartnern auf Augenhöhe
logie an vier Univers
Mittleren Osten be- n/Nürn- Ansprechpartner umworben wird. und mittelfristig zur kirchengleichen Kör-
trägt sie sogar 66 Proze
nt. Tübingen, Münster/Osnabrück, Erlange
50 Prozent der moslemis rt/Gieß en. Der bereits 1973 gegründete Verband Islami- perschaft aufgewertet werden sollten. Das
chen Transferempfän- berg und Frankfu
Politiker scher Kulturzentren (VIKZ) beeinflußt sunni- ursprüngliche Ansinnen von Bundesinnen-
ger erklärten in einer Befra
gung 2009, daß die Wo Parteien und Landesregierungen
fördern, tische Muslime über Moscheegemeinden minister Hans-Peter Friedrich, Extremismus
Befolgung religiöser Gebo
te auch bei der Ar- „mit Migrationshintergrund“ gezielt
in Bund und soziale Einrichtungen wie Wohn- und Gewaltprävention zum Schwerpunkt der
beit wichtig sei, 15 Proze
nt entscheiden sich bei werden diese, wie Integrationsminister
der Alternative „Arbeitsste bevorzu gt aus dem moslem ischen heime. In Bremen und Hamburg ist Gespräche zu machen, wurde von den Ver-
lle oder Kopftuch“ für und Ländern ,
der VIKZ als Religionsgemein- bänden sabotiert. Unter seinem Nachfolger
letzteres. Kulturkreis rekrutiert.
30 Prozent der moslemisc schaft bereits anerkannt. Der Thomas de Maizière stehen „Partizipations“-
hen Einwanderer ha- Zentralrat der Muslime ver- Ansprüche der Verbände und ihre Umset-
ben überhaupt keinen Bildu
ngsabschluß, tritt zwar nur wenige meist zung im Mittelpunkt. Unabhängige Einzelper-
nur 14 Prozent Abitur.
(Deutsche: 1,6 nichttürkische Muslime, ist sönlichkeiten wurden nicht mehr eingeladen.
Prozent ohne Abschluß,
34 Prozent
Abiturienten).

Gesellschaftliche
Privilegierung
für
Hauptkampfplatz
Schulen sind ein
die Durchsetzung
von Sonderrechten
vor Jahren hat die
für Moslems. Schon Rücksicht
hörde von Lehrern
Hamburger Schulbe Ramadans
üler während des
auf islamische Sch lem isch er Mädchen
gen mos
gefordert. Befreiun
terricht werden mei
vom Schwimmun ade anzu g („Burkini“)
zkör perb
nommen. Der Gan ebe
akzeptiert;
wird als Kompromiß
mbädern, wo vieleror
fentlichen Schwim isch e
für moslem
derbadezeiten nur
cher eingerichtet
Lasten anderer Besu
ster eigens verhäng
t werden.
prechenden Verb
Bisweilen geht ents
nge n eine freiw illige „Selbst-Islam
deru
pielsweise Schul-
voraus, wenn beis h gesä ube
einefleisc
Kantinen von Schw
oder christliche Fest
e wie Ostern, Mar
durch „ne utra le“
und Weihnachten
cherte „Eier“-, „Lic
tikulturell angerei wer den
ersetzt
„Jahresend“-Feiern
(„Scharia“) zieht übe
Islamisches Recht
t immer häufiger
vil- und Familienrech
und die Sozialverw
sche Gerichtssäle ht des Her
Rec
praxis ein. Nach dem
lemische Vielehe
geschlossene mos
Versorgungssachen
in Erbschafts- und
en Recht akzeptie
chend vom deutsch
h in Strafprozessen,
wieder werden auc
oder Körperverletz
Vergewaltigungs-
„kulturelle Besond
ten in der Familie,
cksichtigt.
strafmildernd berü
ländern, zuletzt
In vielen Bundes
berg , hab en Islamverbände
Württem r „isla
h meh
der Forderung nac
Erfolg. Dafür muß
Begräbnisstätten
eführte Sargpflicht
gienegründen eing
zeitliche Beg
stattungen und die den , trot z begrenzter
ben wer
Totenruhe aufgeho
Platzverhältnisse.
Kriminalität und
Gewaltbereitscha
In Berlin gehen zwa ft
nzig Prozent alle
walttaten auf das r Ge- ge bereit.
Konto von nur etw 24 Prozent der nich
a ein- eingebürger t-
tausend türkischen ten und 15 Prozent
und arabischen juge der eingebür-
lichen Intensivtäte nd- gerten Mus
rn. Auch bei Jugend lime im Alter zwische
minalität, Drogen kri- Jahren gelt n 14 und 32 Parallelgesells
delikten, Raubüberfä en als „streng Reli
Körperverletzungen llen
und organisierter Krim
, ken Abneigunge giös
n gegenüber dem
e mit star- chaften
nalität sind Muslime i- tendenzieller Westen, Moslemische
überproportional Gewaltakzeptanz bevorzugt in ein
Einwanderer kon
zentrieren sich
vertreten. Insbeson star k Integrationstend und ohne
dere Deutschenhaß enz“ (2012). zel
Neukölln, Duisbu nen Stadtteilen wie Berlin-
deutschenfeindliche und Die Zahl der
Gewalt sind im wes sunnitisch-islamistis in denen seit den
rg-Marxloh und
vielen anderen,
lichen „ein kulturel ent- sten schätzt chen Salafi-
st hinge- l moslemisches Prob Bundesverfassungssc von der einheimis
siebziger Jahren
geschlossene,
(Heinz Buschkows lem“ dent Hans-Ge hutzpräsi-
ky). org Maaßen für End abgekoppelte
chen Bevölkeru
ng weitgehend
Rund ein Viertel der 7.000, eine Verdreifa e 2014 auf Lebenswelten
nso in öf- in Deutschland lebe chung binnen wen sind. Sozialbehö herangewachsen
Muslime ist nach eine nden Jahre. 450
ts Son- r 2010 veröffentlicht von ihnen sollen als Dsc iger rden, Polizei und
Studie zu Gewaltta en nach Syrien hihadisten die einzigen Ber
ührungspunkt
Schule sind oft
Frau en zu ten gegen Andersg ausgereist und etw Staat. Vielfach e zum deutschen
läubi- wieder zurü a 150 bereits
und Fen- ckgekehrt sein. che Clanchefs
regeln Imame
oder einflußrei-
als „Friedensrich
lemischen Par ter
alleljustiz Streitig “ einer mos-
ändefor- schweren Stra keiten, auch bei
ftaten, am deu
isierung“ an den deutsc tschen Recht und
hen Behörden
und Kita- Eheschließung vorbei.
en mit „Impor
rt werden Heimat vergrö tbräuten“ aus
ßern und verfes der
tinstag tigen die Paralle
ode r mul-
Islamisierung des Abendlandes? gesellschaften
enzusammenf
durch Einwande
run
l-
ührung. Ehen we g über Famili-
hter“- oder Phänomene wie die zuvor beschriebenen in Grenoble oder 2012 in Amiens Kulturkreis arra rden im eigene
ngiert, häufig n
. lassen sich in vielen anderen europäischen Aufstände und Krawalle in moslemischen Zwang. Nur dre unter familiärem
i Prozent der tür
r das Zi- Ländern beobachten. In Staaten wie Frank- Einwanderervierteln von Stockholm (2010) Männer und ach kischen jungen
in deut- reich und Großbritannien, die auf eine län- und Malmö (2013) in Schweden Frauen heirate
t Prozent der tür
kischen jungen
n deutsche Ehe
altu ngs- gere und intensivere moslemische Einwan- Ausrufung von „Scharia-Zonen“ mit „Scha- berichten übe partner. Schulle
r zahlreiche Fäl iter
kun ftsla ndes derung zurückblicken, sind die Menetekel ria-Patrouillen“ in London und Marseille ge Mädchen von le, in denen jun
-
n wer den einer „Islamisierung des Abendlandes“ noch Sexuelle Ausbeutung minderjähriger wei- eines Aufenthal
der Schulbank
weg während
ts in der Heima
abwei- heiratet werde t der Eltern ver
ausgeprägter: ßer Mädchen durch organisierte Banden
n. -
rt. Imm er Rassenunruhen mit bzw. zwischen asiati- moslemischer Einwanderer: „Loverboys“ in Morde wegen
„verletzter Fam
z.B. bei ilienehre“ (so
schen (aus Pakistan oder Bangladesch stam- den Niederlanden (2009), Mittelengland „Ehrenmorde“)
sind ein praktis g.
ung sdel ik- menden) und afrikanischen Einwanderern (Prozeßserie 2011), Rotherham-Skandal in moslemisches ch ausschließlich
Phänomen. Nu
erheiten“ in England (Brixton 1981, Tottenham 1985, Nordengland: Tausendfacher Mißbrauch zwi- kuläre Fälle we r wenige spekta
rden bekannt, -
Blackburn u.a. 1992, Bradford 1995 und 2001, schen 1997 und 2014, von Sozialbehörden hoch. Für den die Dunkelziffer
Zeitraum 1996 ist
in Baden- Birmingham 2005, London 2000, 2001 und und Ordnungskräften aus „politischer Kor- hat eine Studie bis 2005
78 Fälle mit 109
auch mit Op-
2010) rektheit“ jahrelang ignoriert und vertuscht fern untersuch
t. Den Tätern wir
mko nformen“ Wochenlange landesweite Unru- Unterwanderung von Schulgremien und Gericht häufig d vor
„kultureller Rab
die aus Hy- hen in den Banlieues (Vorstädten) Islamisierung von Schulen durch Islamisten bei der Strafzume att“
ssung gewährt.
bei Be-
französischer Städte im Herbst in England, u.a. in Birmingham (2014)
renz ung der 2005. Die ersten Unruhen „Tower Hamlets“: Ein Londoner Stadtteil mit
gab es bereits 1981 in Lyon, hohem moslemischem Bevölkerungsanteil
Paris und Marseille, zuletzt wird unter einem moslemischen Bürgermei-
2007 in Villiers-le-Bel, 2010 ster zur „Islamischen Republik“ (2010)
8|AUSLAND JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Linksextreme blockieren Grüße aus Moskau

Burschenbundball
LINZ. Das Bündnis „Linz gegen
Rechts“ hat den „entschlossenen
Stalins schweres Erbe Aus dem
Tritt
Protest in Form friedlicher Blocka- Ukraine: Die Debatte um die Hungersnot
den“ gegen den Linzer Burschen- zu Beginn der dreißiger Jahre, bei der Millionen starben, Von Thomas Fasbender
bundball begrüßt – auch wenn
spaltet auch heute das Land
es selbst „nicht dazu aufgerufen
habe“. Angaben der österreichi-
schen Presseagentur APA zufolge
D ie Feste und Feiertage um
den Jahreswechsel bringen
auch abgebrühte Ausländer, die
blockierten am vergangenen Sams- lange in Rußland leben, immer
tag nach einer „antifaschistischen“ wieder aus dem Tritt. Daran, daß
Demonstration 200 Personen die in den ersten zehn Tagen – oder
Eingänge zum Ballsaal. Dabei kam auch neun oder elf, je nachdem –
es zu Attacken auf die Ballbesucher nicht gearbeitet wird, gewöhnen
und zu Konfrontationen mit der die meisten sich rasch.
Polizei, die dies zu hindern suchte. Dann aber gibt es zwei Weih-
„Wenn wir nicht eingeschritten nachten und zwei Neujahre, je
wären, hätte es Verletzte gegeben“, eines nach dem julianischen und
erklärte der Linzer Polizeipresse- dem gregorianischen Kalender.
sprecher David Furtner im An- Erst das „starij novij god“ am 13.
schluß. Bereits im Vorfeld hatte Januar, das alte neue Jahr, kom-
der Pressesprecher des Rings Frei- plettiert den Jahreswechsel. Eine
heitlicher Studenten (RFS) den anständige Neujahrsfeier, die für
Aufruf des Bündnisses zu zivilem alle Eventualitäten wappnen soll,
FOTOS (3): BILLY SIX

Ungehorsam kritisiert. Besagter erstreckt sich über 13 Tagen – wer

Vereinigung, so Felix Mayrbäurl,
gehören mehrere „extrem linke“
Gruppierungen an. Neben der
Kommunistischen Jugend oder
dem Kommunistischen Studen-
tenverband würden aber auch die
Österreichische „HochschülerIn-
nenschaft“ und Jugendorganisatio-
nen der Grünen und der SPÖ das
„Krawallbündnis“ unterstützen.
Der RFS gestehe jedem das Recht
auf freie Meinungsäußerung und
zwischendrin ernüchtert, riskiert
sein Glück.
Damit nicht genug. Ohne das
Geistliche des Moskauer Patriarchats gedenken der Holodomor- Eisbad am 19. Januar, dem Tag der
Opfer am Mahnmal in Kiew: Mit Hilfe der USA 2008 errichtet Taufe des Herrn, bleibt nicht nur
für orthodoxe Christen der Feier-
kranz zu Jahresbeginn unvollstän-
dig. Auch Atheisten werfen sich
BILLY SIX gar nicht betroffen war. Ausgerechnet furchtlos in die oft kreuzförmig
dort, wo nach Schätzungen bis zu 7,5 ins Eis gehackten Löcher. Es ist
Millionen Menschen im sogenannten die symbolische Säuberung zu Jah-
Holodomor verhungert waren – also in resbeginn, lange vor der inneren

D
die Teilnahme an einer Demon-
stration zu, verurteile aber jegli-
che Gewalt und Aufrufe dazu aufs
schärfste. Der traditionelle Bur-
schenbundball ist die Jahresver-
anstaltung der in Oberösterreich
lebenden Mitglieder von „natio-
nalen waffenstudentischen“ Stu-
dentenverbindungen. (ctw)
Neue Milliardenhilfe
für die Ukraine
BRÜSSEL. Die EU-Kommissi-
on ist bereit, der Ukraine weitere
finanzielle Unterstützung zu ge-
währen. Für die neue, sogenannte
Makrofinanzhilfe in Form mittel-
fristiger Darlehen sind 1,8 Mil-
liarden Euro veranschlagt. Die
neue, vom Europäischen Parla-
ment und vom Ministerrat der
EU zu genehmigende Hilfe soll
der Ukraine angesichts der „schwä-
chelnden Zahlungsbilanz und der
Haushaltslage wirtschaftlich und
finanziell“ helfen. Die Finanzsprit-
ze soll an Auflagen geknüpft wer-
den. Kommissionspräsident Jean-
Claude Juncker erklärte dazu: „Die
Ukraine ist nicht alleine. Europa
steht vereint hinter der Ukraine
und dem Reformprogramm der
neuen Regierung. Unsere Taten
sagen mehr als unsere Worte.“ Es
wäre das dritte Programm für die
Ukraine seit 2010. Allein 2014
hatte die Kommission der Ukrai-
ne finanzielle Unterstützung in
Höhe von 1,36 Milliarden Euro
gewährt. Die Auszahlung der letz-
ten Rate aus diesen Programmen
– ein Betrag von 250 Millionen
Euro – könnte im Frühjahr 2015
erfolgen, sofern die Ukraine die
vereinbarten politischen Maß-
nahmen erfolgreich durchführt
ie Ukraine, zweitgrößtes Land
des alten Kontinents, befindet
sich nicht nur in der Entschei-
dungsschlacht zwischen EU und Eura-
sischer Zollunion oder dem Krieg der
lokalen Oligarchen. Die 45 Millionen
Einwohner sind auch gespalten in ihrer
politischen Kultur. Die Verarbeitung
der kommunistischen Vergangenheit ist
dafür beispielhaft.
Lemberg, Westukraine, im Februar
2014: In der ausgebrannten, von Mai-
dan-Anhängern besetzten zentralen
Polizeiwache hat Bohdan Shvets gerade
seinen Papierkram erledigt. Der Sturz
von Präsident Janukowitsch freut den
Leiter eines lokalen EU-Kooperations-
programms. „Die Kommunisten waren
wie Tiere“, sagt er gelassen – aber ohne
den Hauch von Diplomatie. Die ver-
storbene Großmutter habe berichtet,
wie „die Russen, eine asiatische Horde“
über seine k.u.k. geprägte Traditions-
stadt hergefallen seien. „Als die Deut-
schen im Zweiten Weltkrieg abzogen“,
so der 32jährige, „fing für uns die Hölle
erst an.“ Wohnungen seien in Beschlag
genommen, Frauen vergewaltigt worden.
„Die Rotarmisten wuschen sich ihren
Kopf in den Toiletten, weil sie es nicht
anders kannten.“
Antikommunismus und Russophobie
sind hier weit verbreitet. „Wir hatten
die Wehrmacht mit Brot und Salz emp-
fangen“, erinnert sich Magda Kosake-
witsch, 91jährige Schwiegergroßmutter
des Bürgermeisters ihrer Heimatgemein-
de Simna Voda, unweit von Lemberg.
Auch jetzt, so sagt sie, würde sie Gott
um „deutsche Hilfe gegen die Russen“
bitten. Leben unter russisch-kommuni-
stischer Herrschaft habe immer Mangel
bedeutet – „aber wir haben zusammen-
gehalten und unsere Lebensmittel zu
verstecken gewußt“.
Es ist ein Phänomen, daß die große
Hungersnot im Sowjetkommunismus
der zentralen und südlichen Ukraine –
ist die prorussische Bewegung des Jahres
2014 stark.
„Der letzte Zar war zu schwach, sein
Imperium zu regieren“, meint Informa-
tiker Anatolij aus Jalta auf der Krim. Erst
Sowjetdiktator Stalin (1924/27–1953)
habe die Grundlagen für Stabilität und
Wohlstand geschaffen. „Unterdrückung
und Terror helfen vielleicht, Leute zu
regieren. Ich hoffe immer wieder, daß
dies nicht stimmt, aber für dieses Land
scheint es mir der Fall zu sein“, so der
29jährige. Es sind keine leeren Worte.
Urgroßmutter Elisaweta sei 1937 von der
Geheimpolizei exekutiert worden – ein
Exempel gegenüber ihren Kollegen von
der Post, deren Kontakt zu „sensiblen
Informationen“ man gefürchtet habe.
Der bloße Verdacht, ein Staatsfeind zu
sein, bedeutete damals für viele den Tod.
Anatolij zeigt das Familiengrab: Eli-
sawetas Ruhestätte ist bis heute leer, die
Leiche tauchte nie auf. Trotzdem sei die
Familie stets systemloyal gewesen. 2014
ist es der sonst in sich gekehrte Urenkel,
der zur zentralen Lenin-Statue zieht, um
mit Hunderten anderen den „Segen für
Rußland“ auszurufen. Ideologie und
Klassenkampf seien falsch gewesen, so
Anatolij, aber „unser Lenin ist die Visi-
tenkarte Jaltas“.
Ich bin immmer weggerannt,
wenn ich Tote gesehen habe
Mindestens 100 Denkmäler des Re-
volutionärs wurden von Dezember 2013
bis Februar 2014 durch aufgebrachte
Menschenansammlungen vom Sockel
gerissen. Als Konsequenz bildeten sich
selbst im protestfaulen Süden und Osten
der Ukraine Anti-Maidan-Bewegungen,
welche ihre Denkmäler zu verteidigen
suchten. Keine Wiedergeburt der roten
Ideologie – eher Trotz gegen politisch
motivierte Geschichtspolitik.
Magda Kosakewit
sch aus Lemberg
ren Lenin-Büste in
Cherson: Gegen die / Aktivisten zerstö-
noch die Marienkirche – für die bes-
sere Sicht.“ Ob Lenins Fall nun späte
Gerechtigkeit darstelle, darauf will sich
der Geistliche nicht festlegen. Aktivist
Vova geht jedoch noch weiter: „Am lieb-
sten hätten wir das Denkmal Alexander
Tsiurupas zerstört, aber das steht direkt
neben der Polizeiwache.“
Berufsrevolutionär Tsiurupa war nach
der Oktoberrevolution als Volkskommis-
sar mitverantwortlich für die staatliche
Beschlagnahme von Lebensmitteln – und
damit für den Beginn der jahrelangen
Gewalt zwischen Bolschewiken und Bau-
ern. „Er hat Agrargüter von hier nach
Moskau bringen lassen, so daß im Holo-
domor allein in Tsiurupinsk über 2.000
Menschen verhungert sind“, so Priester
Leonid. Allerdings war der Sowjetfunk-
tionär 1932/33 bereits vier Jahre tot.
Auf dem größten Friedhof von Tsi-
urupinsk ist ein schlichter Gedenkstein
für die Hungertoten aufgestellt worden
– allerdings für jene 1946/47, als wieder
mal Mangelernährung in der Kornkam-
mer der UdSSR herrschte.
Großmütterchen Hala paßt ins Am-
(o.)
„Bolschewisierung
“
auf kalte Fakten. Keine der adretten Aus-
stellungsführerinnen spricht Englisch
– und dies trotz großzügiger Förderung
des Projekts durch amerikanische Orga-
nisationen und die US-Botschaft. Die
einzige lebende Zeitzeugin, mit der die
Ausstellung in Kontakt sei, fürchtet sich
vor einem Gespräch.
Ein solches kommt durch Zufall zu-
stande, im Dorf Pervomaysky der östli-
chen Oblast Donezk. Katherina, geboren
1924, humpelt auf ihrem Krückstock
durch den Garten. Im Feld neben dem
Bretterverschlag baut sie noch immer
Gemüse an. Mit der Sowjetzeit verbinde
sie „Blumen, Musik, Arbeit, Sauberkeit
und Freundschaft“ – Werte, die mit der
neuen Zeit verschwunden seien.
Der Holodomor
als schlichte Einbildung?
Und der Holodomor? Für Katherina
schlicht eine „Einbildung“. Gehungert
worden sei in den Dörfern, „weil es zwei
Jahre nicht geregnet hat“. In der Stadt
Reinigung in der Fastenzeit. Das
am selben Tag in den Kirchen ge-
weihte Wasser wird das ganze Jahr
über an die Gläubigen verteilt.
Was einst süßer Met
war, ist heute Krimsekt,
wie man neuerdings
wieder stolz sagt.
Nicht nur in Rußland ist der
Jahreswechsel gespickt mit uralt
verwurzelten Bräuchen. Nur der
Kalender irritiert. Der 19. Janu-
ar (julianisch) entspricht dem 6.
Januar (gregorianisch). Den bege-
hen manche Einheimischen in den
deutschen Mittel- und Hochgebir-
gen als Großneujahr, Hohneujahr
oder Öberster.
Ein uralter, heidnischer Neu-
jahrstag? Auch mit den furchter-
regenden Rauhnächten zwischen
Weihnachten und Epiphanie am
6. Januar, dem schauerlichen
Regnum der „Wilden Jagd“, kön-
nen urbane Bürobewohner nicht
viel anfangen. Je nach Landschaft
werden sie Raunächte, Rauchnäch-
te, zwölf Nächte, Zwölfte oder
Glöckelnächte genannt – die dun-
kelsten und doch der Beginn des
Lichts. Um die letzte Rauhnacht,
die gefährlichste, heil zu durchste-
hen, trinken die Oberfranken sich
„Stärk’ an“ und schlucken Bier in
rauhen Mengen.
FOTO: WIKIMEDIA

und das IWF-Programm weiter 1932/33 vor allem in der westlichen
in zufriedenstellender Weise ab- Ukraine thematisiert wird, die von
solviert. (ctw) der „Bolschewisierung“ als Teil Polens
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Neuerscheinung
Tilman Nagel
Angst vor Allah?
Auseinandersetzungen mit dem Islam
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D ie veröffentlichte Wahrnehmung des
Islams wird von Tabus beherrscht, die
eine freimütige, intellektuell redliche Beschäf-
tigung mit den Eigenheiten dieser Religion
und mit den Machtansprüchen vieler ihrer
Funktionsträger behindern, wenn nicht gar
verhindern. Dieser Umstand ermöglicht das
Heranwachsen einer Parallelgesellschaft, durch die das freiheitliche, säku-
larisierte Gemeinwesen, dessen Vorzüge der erdrückenden Mehrheit eine
Selbstverständlichkeit sind, schroff abgelehnt wird.
Angesichts dieses Sachverhalts plädiert Tilman Nagel für eine tabufreie Aus-
einandersetzung mit den Merkmalen des Islams, die seinen Bekennern eine
fruchtbare Teilhabe an unserem Gemeinwesen erschweren. Aus verschiede-
nen Blickwinkeln beschreibt der Autor die geschichtliche wie auch die ge-
genwartsbezogene Dimension dieser Merkmale.
www.duncker-humblot.de
Schon 2009 hatte die damalige Präsi-
dentengattin des „orangenen Revolutio-
närs“ Juschtschenko offiziell zum Abriß
aller kommunistischen Andenken aufge-
rufen. Viktor Juschtschenko verlor ein
Jahr später die Präsidentschaftswahlen
gegen Viktor Janukowitsch.
Die antikommunistische Welle 22
Jahre nach der Unabhängigkeit wurde
vor allem von jungen Ukrainern getra-
gen: Ihnen ist oftmals nicht bekannt, daß
es Lenin war, der nach dem Bürgerkrieg
eine Ukrainische SSR mit ihrer heutigen
Ostgrenze formen und die nationalen
Minderheiten mittels „Korenisazija“
(russ. „Einwurzelung“) fördern ließ.
Die jahrelange Ukrainisierungspolitik,
erst 1931 unter Stalin wieder beendet,
bildet die Basis für eine proukrainische
Minderheit im russischsprachigen Osten.
Besuch in der Schwarzmeer-Oblast
Cherson. Die Verhältnisse sind differen-
ziert: Die Alten halten eher zur russischen
Orthodoxie, die Jungen mehrheitlich zu
prowestlichen Ideen. Maidan-Aktivist
Vova aus Tsiurupinsk ist einer von ih-
nen. Der junge Arzt verdient im lokalen
Krankenhaus gerade mal 150 Euro – und
sieht wirtschaftliche Hoffnung in einer
Annäherung an die Europäische Union.
Mit Traktor und Seilwinde haben ei-
nige hundert Maidanler den meterhohen
Lenin im Zentrum vom Sockel gerissen.
Der zersägte Metallkörper liegt nun im
Hof eines Freundes. Leonid Slivkanich,
örtlicher Priester des Kiewer Patriarchen,
moniert: „Für das Lenin-Denkmal wurde
erst ein Friedhof entsorgt, später auch
biente des farbenreichen Gräberfeldes,
mit Monumenten aus Stein, Holz und
Metall. Sie ist zum Reinemachen gekom-
men. Fragen nach dem letzten „kleinen
Holodomor“ beantwortet sie nur unwil-
lig: „Auf Pferdeschlitten wurden damals
Leichen angefahren und in eine bereits
volle Grube geschmissen“, so die damals
Neunjährige. „Selbst nach dem Zuschüt-
ten“, sagt Hala, „ragten die Körperteile
noch aus dem Boden.“ Einige seien da-
mals in den Krankenhäusern verstorben,
andere auf offener Straße. Hala: „Ich bin
vor Angst immer weggerannt, wenn ich
Tote gesehen habe.“
In bester Lage hat die Regierung unter
dem orangenen Präsidenten Juschtschen-
ko 2008 in Kiew ein Untergrundmuse-
um mit oberirdischer Turmanlage bauen
lassen. Fast eine halbe Million Besucher
kommen jährlich zum „Denkmal der Er-
innerung an die Hungeropfer der Ukrai-
ne“. Auch die Präsidenten Medwedew
und Janukowitsch zählten dazu. Sie ver-
weigerten sich allerdings der Sichtweise,
bei der „Tötung durch Hunger“ habe es
sich um einen „gezielten Völkermord an
den Ukrainern“ gehandelt. Viele Staa-
ten aus dem Westen und Lateinamerika
sehen das so. Deutschland nicht. Hier
überwiegt die Auffassung, Enteignungen
und Abriegelungen von Dörfern hätten
der widerspenstigen Landbevölkerung
im allgemeinen gegolten – und zwar in
vielen Teilen der UdSSR, so etwa auch
entlang der Wolga oder in Kasachstan.
In der Kiewer Ausstellung wird vor
allem auf Emotionen gesetzt, weniger
jedoch habe sich der Staat um die Arbei-
ter gekümmert: „Mein Vater erhielt ein
Kilo Brot am Tag für seine Arbeit in der
Kohlemine, dazu 400 Gramm für jedes
Kind.“ Auch in der Schule habe es ein
tägliches Essen gegeben, erinnert sich die
rüstige Dame. Und „nur die Kulaken,
wohlhabende Bauern“ hätten sich vor
der Enteignung zu fürchten brauchen.
„Es gibt keinen Anlaß, die große
Hungersnot in Zweifel zu ziehen“, hält
Professor Wladimir Nikolsky von der
Donezker Nationaluniversität dagegen.
Seit Gorbatschows Freigabe 1989 forscht
der 68jährige in den Archiven zum Holo-
domor. In mehreren ukrainischen Kom-
missionen war Nikolsky dabei. Für die
Region Donezk hat der Historiker auch
Fälle von Kannibalismus dokumentiert.
Einzig Zahlen und politische Bewer-
tung der Vorgänge, rät er mit Vorsicht zu
genießen und hebt einen dicken Wälzer
in die Luft: „Nationales Gedenkbuch in
Erinnerung an Menschen, die im Ho-
lodomor starben – Donbass, 1932/33.“
In dem Buch seien die Namen aller
Verstorbenen jener Zeit aufgezeichnet
– ohne jede Kenntnis ihrer Todesursa-
che. Politischer Wille unter Präsident
Juschtschenko: Ein großes Opferaus-
maß. Einen Völkermord sieht Nikolsky
nicht. Die Sowjetführung habe Pläne
zur Industrialisierung gehabt. Gegen
Devisen seien Agrargüter ins Ausland
exportiert worden, ohne Rücksicht auf
lokale Gegebenheiten. „Doch dafür wa-
ren wir kein Drittweltland mehr und
konnten im Krieg bestehen.“
Eisbaden zur
Reinigung der Seele
Auch in Rußland waren die
zwei Wochen um Neujahr von
Mummenschanz und Wahrsage-
reien begleitet: die zwölf „Swjat-
ki“ – altslawische Festtage nach
dem Ende der vorweihnachtlichen
Fastenzeit. Das Christentum gab
den Bräuchen neue Fassung. Aus
den „Swjatki“ wurde die Zeit „von
den Sternen bis zum Wasser“, vom
Leuchten über Bethlehem bis zur
Taufe im Jordan.
Doch wie streng die Priester
auch Magie und Würfelspiel ver-
boten, den Aberglauben kriegten
sie nicht unter. Sowenig wie Suff
und Völlerei. Was einst süßer Met
war, ist heute Schampanskoje –
Krimsekt, wie man neuerdings
wieder stolz sagt.
Schließlich kommt der 19. Ja-
nuar, gregorianisch. An dem Tag
springen die Sünder als erste ins
Eisloch – und kletterten gleich
zitternd, mit gereinigten Seelen,
wieder heraus. Wer es durchlitten
hat, der begreift, daß Beelzebub
die Kur nicht behagt.
Und dann beginnt das neue
Jahr. Jedenfalls so richtig. Krise,
du kannst kommen.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4/15 | 16. Januar 2015
„Wir haben einen Fehler gemacht“
Türkei: Hieß es zuerst Linksextreme seien verantwortlich für den Selbstmordanschlag in Istanbul, deuten nun Spuren Richtung Kaukasus
ALI ÖZKÖK
D
er Selbstmordanschlag in der
Nähe der in Europa als Blaue
Moschee bekannten Sultan-
Ahmed-Moschee in Istanbul läßt auch
eine Woche nach der Tat zahlreiche
Fragen offen. Eine Attentäterin, die
einen Gesichtsschleier getragen haben
soll, habe Ermittlungsergebnissen zu-
folge in englischer Sprache Einlaß in
eine Polizeiwache unter dem Vorwand
begehrt, ihre dort vergessene Briefta-
sche holen zu wollen. Als die Beamten
diese Geschichte anzweifelten und der
Frau den Zutritt in die Polizeistation
verweigerten, brachte sie ihren unter der
Kleidung getragenen Sprengstoffgürtel
zur Detonation. Dabei starb neben der
Attentäterin selbst noch ein Polizeibe-
amter, ein weiterer wurde verletzt.
Schwarze Witwe im Visier
der Sicherheitsdienste
Mittlerweile gehen die Sicherheits-
behörden in Istanbul davon aus, daß
es sich bei der Täterin um eine soge-
nannte „Schwarze Witwe“ handelte,
die im Juni 2014 als Staatsangehörige
der Russischen Föderation mit Touri-
stenvisum in die Türkei eingereist war.
Als „Schwarze Witwen“ werden die
Frauen im Kampf getöteter Terroristen
aus Tschetschenien oder Dagestan ge-
nannt, die im wahhabitischen Milieu
als Belastung für die Hinterbliebenen
betrachtet und deshalb regelmäßig zur
Begehung von Selbstmordattentaten für
den Dschihad bewegt werden. Laut Be-
richten der Tageszeitung Hürriyet unter-
sucht der türkische Geheimdienst auch
eventuelle Verbindungen der Attentä-
terin zu al-Qaida und zur Terrormiliz
Islamischer Staat (IS).
Massenzustrom von Ausländern unerwünscht
Tschechien: Die Regierung in Prag stemmt sich gegen bindende Aufnahmequoten von Flüchtlingen und illegalen Migranten
PAUL LEONHARD
T schechien stellt sich bezüglich der
Aufnahme von Flüchtlingen wei-
terhin taub. Die sozialliberale Koaliti-
onsregierung lehnt bindende Aufnah-
mequoten ab, wie sie die Europäische
Union für die Mitgliedsstaaten gern
vorschreiben möchte, und bekommt
dafür Beifall von der eigenen Bevölke-
rung, wie Umfragen zeigen.
Einige hundert Flüchtlinge seien
möglich, mehr aber nicht, sagte Innen-
minister Milan Chovanec. Mehr seien
nicht in die tschechische Gesellschaft
zu integrieren. Von ihm könne nicht
erwartet werden, „daß ich einem auslän-
dischen Massenzustrom applaudiere“,
sagte der Sozialdemokrat gegenüber
dem Deutschlandfunk. Würde das Land
Flüchtlinge aufnehmen, dann sei klar,
daß diese lange bleiben würden, in die
Gesellschaft integriert werden müßten
und letztlich dauerhaft das Land beein-
flussen würden.
Positives Image kreieren
In Istanbul existiert eine zahlenmä- wicklung registriert und steht im Ver-
ßig nicht unerhebliche tschetschenische dacht, darauf mit gezielten Tötungen
Gemeinde. Diese Tatsache veranlaß- zu reagieren. Neu ist aber, daß aus den
te auch einige in den terroristischen Reihen der „Schläfer“ Anschläge in der
Kampf involvierte Personen dazu, in Türkei verübt werden.
die Türkei einzureisen und den Versuch Noch mysteriöser ist, daß sich
zu unternehmen, sich in der Anony- unmittelbar nach dem Attentat die
mität der 13-Millionen-Metropole ein linksextremistische türkische Terror-
ruhiges Hinterland zu schaffen. Der organisation Revolutionäre Volksbefrei-
russische Geheimdienst hat diese Ent- ungspartei-Front (DHKP-C) zu dem
FOTO: PICTURE ALLIANCE / PHOTOSHOT
Ein Polizist sichert den Ort des Anschlags nahe der Blauen Moschee: Blutbad im Touristenviertel
Ähnlich sieht es Ministerpräsident Bo- Zaorálak lehnte ab und verwies auf die
huslav Sobotka. Vorgaben aus Brüssel bereits illegal über Österreich eingerei-
lehnt er ab. Die Asylpolitik müsse in der sten Syrer, deren Zahl auf einige hundert
Hand der nationalen Regierungen blei-
ben und die Einrichtung von Flüchtlings-
lagern in Europa sei für seine Regierung
geschätzt wird.
Die tschechische Mitte-Links-Re-
gierung folgt damit konsequent ei-
keine „Lösung der humanitären Krisen nem Kurs, der auf den Erfahrungen
in den vom Krieg zerstörten Ländern“. des Jahres 2006 beruht. Damals hatte
Tschechien sei aber bereit, verletzte sy- Prag mehr als 3.000 Flüchtlinge aus
rische Kinder im Beisein ihrer Eltern aller Welt aufgenommen und war für
kostenlos zu operieren und vor Ort in die Zustände in den zentralen Aufnah-
den betroffenen Ländern zu helfen. melagern, so in Kostelec nad Orlici, kri-
tisiert worden. Während die deutsche
Innenminister de Maizière Regierung ihr Kontingent für syrische
beißt in Prag auf Granit Flüchtlinge inzwischen mehrfach frei-
willig aufgestockt hat und Deutschland
Zuvor hatte Deutschlands Innenmi- bei den absoluten Zahlen längst an der
nister Thomas de Maizière die Sichtweise Spitze steht, beharrt Prag auf seinem
im Nachbarland zur Kenntnis nehmen Standpunkt, daß in Tschechien keine
müssen. Ursprünglich wollte der Christ- Kapazitäten vorhanden seien, mehrere
demokrat die Tschechen überzeugen, tausend Syrer aufzunehmen. Es gebe
5.000 bis 10.000 Syrer aufzunehmen. nur 700 Plätze für Flüchtlinge. Au-
Schließlich hatten sich die westeuropä- ßerdem hat man in Tschechien Angst,
ischen Länder vor der Uno verpflich- daß sich unter den Ausländern auch
tet, bis 2016 rund 100.000 Flüchtlinge islamische Kämpfer befinden könn-
aufzunehmen. Außenminister Lubomir ten. Statistischen Angaben zufolge hat
)(516,&+7VWDWW)(516(+(1
Anschlag bekannte. Erst unter dem
Eindruck der entgegenlaufenden Er-
mittlungsergebnisse ruderten die Links-
extremisten zurück und widerriefen
ihre zuvor bekundete Verantwortung.
In einer Erklärung hieß es lapidar:
„Wir haben einen Fehler gemacht, da
wir unter faschistischen Bedingungen
leben. Auch wir befanden uns in der
Vorbereitung einer Aktion. Sie hat sich
Tschechien im vergangenen Jahr dau-
erhaft 810 Flüchtlinge aufgenommen
– Deutschland 131.000.
Tschechien sei nicht darauf vorbe-
reitet, Fremde aufzunehmen, sagte Jan
Harl, Leiter des Meinungsforschungsin-
stituts Stem, gegenüber Radio Prag: „Für
viele Menschen hierzulande stellen die
Flüchtlinge eine imaginäre Bedrohung
dar, einfach etwas, das sie nicht kennen.
Darum haben sie eine negative Haltung
gegenüber einer eventuellen Aufnah-
me von Migranten.“ Tschechien sei zu
„einem unnatürlich homogenen Volk
geworden, nachdem wir die deutsche
Minderheit vertrieben haben“.
„Ich verstehe die Gefühle
vieler Deutscher“
Migration sei ein Thema, das „wir in
der Tschechischen Republik nicht sehr
gerne haben“, sagte auch Tomás Prouza,
Staatssekretär für europäische Fragen,
gegenüber dem Radiosender: „Wir re-
den ungern darüber und weichen lieber
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!%!&'(
AUSLAND|9
mit der Aktion in Sultan-Ahmet über-
schnitten.“
In den vergangenen Jahren trat die
DHKP-C immer wieder durch gezielte
Terroranschläge, zumeist auf Sicher-
heitskräfte, in Erscheinung. So kam
es im September 2012 zu mehreren
Anschläge in Istanbul, bei denen zwei
Polizisten starben und sieben Menschen
verletzt wurden.
Internationales Aufsehen erregte vor
allem der Selbstmordanschlag auf das
US-amerikanische Konsulat in Ankara
im Februar 2013, bei dem ein Wach-
mann und eine türkische Fernsehjour-
nalistin getötet wurden.
Bei der 1994 gegründeten DHKP-C
handelt es sich um eine der jüngeren
unter mittlerweile mehreren hundert
linksterroristischer Vereinigungen, die
sich in der Tradition der 1918 gegrün-
deten Türkischen Kommunistischen
Partei sehen. Wie die kurdische PKK, in
deren Schatten sie stets stand, strebt sie
die Revolution in Form der Eroberung
der Macht als Ergebnis eines langfristig
angelegten „Volkskrieges“ an.
Die linksextreme Szene
ist agil, aber zerstritten
Die hierfür erforderliche „Einheit der
Arbeiterklasse“ scheiterte bislang stets an
der Zerstrittenheit der sektiererischen
Verbände der extremen Linken, die zum
Teil auch durch die Geheimdienste ange-
facht wird, vor allem aber am fehlenden
tatsächlichen Interesse der türkischen
Werktätigen an ihrer „Befreiung“.
Die DHKP-C finanziert sich in erster
Linie aus grenzüberschreitenden Akti-
vitäten im Bereich der Organisierten
Kriminalität. Etwa 170 Personen, die
im Verdacht stehen, Verbindungen zur
Revolutionären Volksbefreiungspartei-
Front zu unterhalten, sollen sich in
Deutschland aufhalten.
aus.“ Jeder zweite seiner Landsleute sei
der Meinung, daß schon heute zu viele
Ausländer in Tschechien leben würden,
weiß auch Martin Rozumek, Direktor
der Flüchtlingshilfsorganisation OPU.
Mit Blick auf die Pegida-Demonstratio-
nen in Dresden erklärte er gegenüber
dem Deutschlandfunk: „Ich verstehe
die Gefühle der Deutschen und ihre
Angst vor der islamischen Gewalt.“ Die
Sorge vor einer Überfremdung werde
in Ost- und Mitteleuropa geteilt und
die „ablehnende Haltung gegenüber
Flüchtlingen ist deshalb nahezu dek-
kungsgleich“.
Vielleicht auch deswegen hat die
tschechische Regierung von einem im
Fernsehen angekündigten Refererendum
über die Aufnahme von Flüchtlingen
wieder Abstand genommen. Der Bür-
gerentscheid hätte zu deutlich ausfallen
können und damit für unerwünschte
Schlagzeilen in den Nachbarländern
gesorgt, deren Regierungen ihre Bevöl-
kerung nicht gefragt haben, aber brav
Flüchtlinge aufnehmen.
Ä.RQVHUYDWLY/LEHUDO
:LGHUVSUXFK(UJlQ]XQJ6\QWKHVH"³
Deutschland schuldet
Athen elf Milliarden Euro
ATHEN. Nach Angaben der grie-
chischen Sonntagszeitung To Vi-
ma schuldet Deutschland Grie-
chenland elf Milliarden Euro. Das
Blatt verweist auf den geheimen
Bericht des griechischen Rech-
nungshofes, der zu dem Schluß
kommt, daß Griechenland für ei-
nen Kredit in Höhe von 216 Mil-
lionen Dollar, den die griechische
Zentralbank der Reichsbank 1942
während der deutschen Besatzung
ausgestellt habe, diese zinsaktua-
lisierte Summe zustehe. Angaben
der Griechenland-Zeitung zufolge
wurde der Bericht dem stellvertre-
tenden Finanzminister Christos
Staikouras übergeben. Dieser wird
ihn seinerseits an Außenminister
Evangelos Venizelos weiterleiten.
Letzterer wird den Bericht dem
Juristischen Rat des Staates über-
geben. Dessen Vollversammlung
müsse dann schließlich die kom-
mende Regierung – in einer Wo-
che sind in Griechenland Wahlen
– beraten, wie sie in dieser Sache
weiter vorgehen soll. (ctw)
Postkommunist in
Frühpension geschickt
ZAGREB. Die kroatische Ex-Au-
ßenministerin Kolinda Grabar-
Kitarović von der nationalkon-
servativen Partei HDZ hat die
Stichwahl gegen den bisherigen
postkommunistischen Präsidenten
Ivo Josipović überraschend gewon-
nen. Die 46jährige Diplomatin,
die in den USA aufgewachsen ist
und von 2011 bis 2014 stellvertre-
tende Nato-Generalsekretärin war,
verbuchte vorigen Sonntag 50,7
Prozent der Stimmen. In der ersten
Wahlrunde hatte Josipović von der
Regierungspartei SDP mit 38,5
Prozent noch vor Grabar-Kitarović
(37,2 Prozent) gelegen. Damals
sorgte der Drittplazierte Ivan Vi-
libor Sinčić mit 16,4 Prozent für
Aufsehen. Der 24jährige Student
und Aktivist der linksnationalen
Protestgruppe Živi zid (Lebendige
Mauer) hatte den Austritt aus EU
(„Union der Banker und Bürokra-
ten“) und Nato gefordert sowie
mit drastischen Worten Korrup-
tion, Mißwirtschaft und Abgeho-
benheit der politischen Klasse an-
geprangert. (fis)
Haftstrafe für
Kirchenschändung
TRIENT. Ein Gericht in Trient
hat einen Marokkaner wegen Kir-
chenschändung zu einem Jahr und
vier Monaten Haft verurteilt. Der
Wanderarbeiter darf die Strafe im
Hausarrest verbüßen. Der 67jähri-
ge war am Neujahrstag im Örtchen
Cles am Nonsberg in eine katho-
lische Kirche eingedrungen und
hatte sie schwer verwüstet. Zeugen
gaben an, der Täter habe bereits
im November eine heilige Messe
mit dem Schreien von Koranversen
gestört. Während der Gerichtsver-
handlung drohte er damit, Berlus-
coni und „dem Vatikan“ den Kopf
abzuschneiden. Nach Medienbe-
richten sagte die Bürgermeisterin
der Gemeinde Cles, Maria Flaim,
der Verurteilte habe ein psychisches
Problem. (ru)
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10 | W I R T S C H A F T JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Griechenland droht Zusammenbruch seiner Wirtschaft

Trumpfkarte gegen Syriza

I n der öffentlichen Debatte um Der vieldiskutierte Schuldenschnitt
die Wahl in Griechenland und würde Griechenland kurzfristig oh-
dessen Austritt aus dem Euro wird nehin nicht viel helfen. Der Durch-
übersehen, daß Griechenland im schnittszins, den die Hellenen zahlen,
Falle eines Wahlsiegs der ultralin- liegt derzeit bei nur 2,27 Prozent. Im
ken Geldausgeber ein noch größeres Vergleich dazu zahlt Portugal etwa 4,3
Fiasko bevorsteht: Ab März nimmt Prozent. Griechenland kann deshalb
die EZB keine griechischen Anlei- fast die doppelte Schuldenlast wie
hen mehr als Sicherheit für Refi- Portugal tragen. Somit ist klar, daß
nanzierungsgeschäfte. Die werden es an der Effizienz seines Staatsappa-
derzeit trotz ihrer miserablen Bo- rats hapert, wenn an allen Ecken und
nität akzeptiert, aber nur unter Enden das Geld fehlt – nicht an der
einer Ausnahmeregelung, solange Schuldenlast. Doch Syriza will die
Griechenland den Programmen der Staatsquote von jetzt schon astrono-
Troika unterliegt. Wei- mischen 60 Prozent mit elf
gert sich Griechenland, Milliarden Euro an Wahl-
diesen Programmen zu geschenken noch höher in
folgen, darf die EZB den sozialistischen Olymp
diese Sicherheiten nicht treiben. Eine erneute gi-

FOTO: PIXABAY/JARMOLUK
mehr akzeptieren. Dann gantische Geldverschwen-
wird es knapp für die dung. Zwar hat Syriza eine
griechischen Banken: vernünftige Idee: Steuer-
Sie dürften nicht ausrei- senkungen. Dieser einzel-
chend über Sicherhei- VON ne angebotsorientierte und
ten mit guter Bonität THOMAS investitionsfreundliche Fußballstadion: Wenn am Wochenende die Bundesligaspiele laufen, starren Zehntausende nicht mehr nur auf den Platz – sondern ihr Handy
verfügen, um sich mit KIRCHNER Vorschlag wird aber nicht
Liquidität zu versorgen. gegenfinanziert, sondern
Das Bankensystem und »Nach einem mit neuen Schulden aus-
die Wirtschaft werden Schuldenschnitt geglichen und somit wir-
endgültig zusammen- wird Syriza sehr kungslos verpuffen. Nach
brechen. Griechenland schnell wieder einem Schuldenschnitt
Fußballtips werden zum Exportschlager
wäre ein sozialistisches neue Schulden wird Syriza sehr schnell
Paradies mit leeren Re- aufhäufen.« wieder neue Schulden auf-
kicktipp.de: Der Zwei-Mann-Betrieb aus Düsseldorf expandiert mit seinem Geschäftsmodell im Ausland
galen, wie Venezuela es häufen. Und zwar in Euro
derzeit vorexerziert. Theoretisch – denn wer würde schon Kredite in
könnte die Einführung einer neuen einer Wackeldrachme vergeben? CHRISTIAN SCHREIBER angemeldete Nutzer eigene Tippspiele tioniert wie von selbst“, sagt Vygen, der diesen Dingen schon so viele kommen
Währung ein Liquiditätsproblem Mit den Refinanzierungsgeschäf- rund um Fußball oder auch mit anderen das Angebot im Laufe der Zeit immer und gehen sehen, daß ich mir manchmal
umgehen, doch wird dies zeitlich ten haben die Europäer die Chance, Sportarten organisieren, die Nutzung ist weiter professionalisiert hat. vorkomme wie ein Opa“, sagt Vygen,
bis März kaum machbar sein. Dazu Syrizas Erpressungen zu bekämpfen. kostenlos. Neben diesem Bereich bietet Jede Tipprunde kreiert ihr eigenes der seine Idee „als gut, aber auch nichts

D
kommt, daß Griechenland mit ei- Griechenland muß die zu Zeiten bil- ie große Welt des Fußballs spielt Kicktipp auch kostenpflichtige Profipa- Tippspiel und stellt dafür eigene Regeln Spektakuläres“, bezeichnet.
ner Drachme, die zwangsläufig in liger Kredite akkumulierten Ausgaben sich auf wenigen Quadratmetern kete an. Allerdings keine Sportwetten à la auf oder übernimmt die Kicktipp-Mu-
eine Dauerabwertungsspirale fällt, wieder rückgängig machen. Nur ein in einem Düsseldorfer Büro tipico, bwin oder mybet. Hier wird nicht ster. Die einzelnen Tippspiele erhalten Hohe Nutzerzahlen
noch schlechter dasteht als mit ho- hoher Schuldenstand kann staatliche ab. Dort residiert Janning Vygen, ein um Geld gespielt. Dieses Produkt richtet somit eigene Punkte- oder Quotenre- sind nicht alles
hen Schulden. Die Europäer haben Ausgabendisziplin erzwingen. Wir 42jähriger, der von sich selbst sagt, daß sich vornehmlich an Unternehmen, die geln, und die Punkteberechnungen er-
also einen Trumpf in der Hand, mit können hoffen, daß der Schulden- er „nicht einmal der ganz große Fußball- diese Spiele mit einem eigenen Design folgen automatisch. Pro Gemeinschaft In den vergangenen Monaten hat er
dem sie sich gegen Syrizas Erpres- schnitt nicht kommt – und die Eu- Experte ist“. Das Programmieren und versehen und auf der eigenen Internet- ist eine Teilnehmerzahl von 300 Perso- erste Schritte gemacht, um das Unter-
sungsversuche wehren können. ropäer ihre Trumpfkarte spielen. Rumspielen am Computer hat ihm schon seite integrieren können. nen möglich. Die Spielauswertungen nehmen auch auf dem ausländischen
als Jugendlicher Freude bereitet, dabei Bis zu 30.000 Tipper können beim erfolgen live und in Echtzeit. Kicktipp Markt zu plazieren. In Deutschland hat
studierte er zunächst Jura. werbefreien Profipaket mitspielen. „Das ist mobil erreichbar und läßt sich auch Kicktipp mittlerweile quasi eine Mo-
Konsolidierung auf dem deutschen Fernbusmarkt In den neunziger Jahren kam in sei- kann der kleine Baumarkt sein, aber auch mit Tablets und Smartphones betrei- nopolstellung. Zwar existieren einige
nem Freundeskreis beim Bier die Idee der Versicherungsmakler. Das geht hoch ben, mittlerweile gibt es eigene Apps. kleinere Anbieter, aber diese erreichen

Abgefahren auf, ein Bundesliga-Tippspiel zu machen.

„Ich hätte nicht im Traum daran gedacht,
bis zu wirklich großen Unternehmen, die
das bei sich auf der Seite einbauen“, sagt
Echte Kenner schwören allerdings auf
die herkömmliche Webseite, weil sie
längst nicht die Weite von Vygens Pro-
jekt. Ein selbsternannter Konkurrent
daß dies solche Kreise zieht“, sagte Vy- Vygen. Der Gratis-Bereich wird zudem übersichtlicher ist. Zudem bleibt die tipp17.com hat seinen Dienst im August
Von Jörg Fischer
gen dem Handelsblatt. Irgendwann hatte durch Werbeanzeigen finanziert. App manchmal hängen. 2014 wieder eingestellt. Andere Seiten
er auf eine Zettelwirtschaft keine Lust Derzeit tippen auf dem Server rund wie tippcorner.de verlinken direkt auf

F ür fünf Euro von Düsseldorf nach

Dresden? Ab 9,99 Euro von Berlin
nach München? Diese Zeiten dürften
General Atlantic sowie Daimler und
Holtzbrinck im Rücken können die
Kampfpreise zwar noch eine Weile ge-
mehr, zumal immer mehr Personen aus
seinem Umfeld auf sein Tippspiel auf-
merksam wurden. Im Jahr 2000 gründete
Mund-zu-Mund-Propaganda
trägt zur Verbreitung bei
zwei Millionen Nutzer in 200.000
Tipprunden. „Es hat sich etabliert, daß
die Teilnehmerzahlen bei der Bundes-
Kicktipp. Hohe Benutzerzahler haben
allerdings andere Seiten, die verschie-
dene Tippdienste anbieten, wie die
bald vorbei sein, denn auf dem vor halten werden. Aber die geschrumpf- er schließlich eine Werbeagentur und ließ Der Bekanntheitsgrad ist in den ver- liga recht konstant sind, das hat schon nutzerstarken Sportportale von Bild,
zwei Jahren liberalisierten deutschen te Konkurrenz ermöglicht spürbare sich die Domain kicktipp.de als Mar- gangenen Jahren stetig gestiegen, eigene fast eine Tradition. Bei Events wie ei- Kicker und Sport1. Sie alle bieten dem
Fernbusmarkt beginnt die Konsolidie- Preiserhöhungen. Und wenn die Pkw- ke eintragen. Mittlerweile kümmern er Werbemaßnahmen trifft das Kleinunter- ner Weltmeisterschaft ist die Resonanz Nutzer aber vorgefertigte Systeme an, die
rung. Im Oktober stellte der Anbieter Maut 2016 kommt, läßt sich auch die und ein Mitarbeiter sich hauptberuflich nehmen keine. „Die Nutzer laden ihre natürlich noch größer“, erklärte Vygen Möglichkeiten, individuell zu agieren,
City2City den Betrieb ein – die briti- Mautfreiheit für Busse kaum noch um die Seite. Bei kicktipp.de können Freunde in eine Tipprunde, das funk- in einem Interview mit dem Westdeut- sind stark eingeschränkt. Darauf basiert
sche National Express Group sah keine rechtfertigen. Eine Verdoppelung der schen Rundfunk. Im Juni 2014, wäh- wohl der Erfolg von kicktipp.de, dessen
Gewinnchancen für ihre Frankfurter Tarife ist nicht auszuschließen, etwa rend der WM in Brasilien, zählte die Gründer Vygen teilweise die Angst be-
Tochtergesellschaft. Im November wenn man die vergleichbaren Tarife Seite 113 Millionen Klicks. schleicht, „die Leute könnten keine Lust
kündigte der Autoclub ADAC nach im europäischen Ausland betrachtet: Private Wettanbieter unter Druck Aus einer studentischen Schnapsidee mehr auf Tippen haben“.
Millionenverlusten an, sich aus dem Eine Fahrt von London nach Glasgow ist mittlerweile ein ertragreicher Beruf Daß kicktipp.de bereits mehrfach un-
Fernbusprojekt mit der Deutschen kostet zwischen 25 und 45 Euro. Bei Anbietern wie kicktipp.de wird Seit Jahren beschäftigen sich hohe und geworden. Mehr als 700.000 Euro setzt ter den Top10 der meistaufgerufenen
Post zurückzuziehen. Mondpreise können sich die deut- nicht um Geld gespielt. Deswegen höchste Gerichte mit kommerziellen das kleine Düsseldorfer Unternehmen Internetseiten in Deutschland landete,
Im Dezember rettete ein süddeut- schen Busunternehmen allerdings ist es auch eine vergleichweise kleine Wettanbietern wie bwin. Der Europä- derzeit um, Tendenz steigend. Sich selbst hat den Bekanntheitsrad und die Wer-
scher Investor den überschuldeten dennoch nicht leisten. Sie brauchen Branche. Kommerzielle Sportwetten ische Gerichtshof hat 2010 das deut- bezeichnet der Gründer als eher konser- bewirksamkeit immens steigen lassen.
Fernbuspionier DeinBus.de – vorerst, – ohne Stau gerechnet – etwa acht dagegen ziehen zwar nicht unbedingt sche Glücksspielmonopol gekippt und vativen, zurückhaltenden Typ. Neuen Stellt sich die Frage, ob Janning Vygen
denn vorige Woche verkündeten der Stunden von Spree-Athen in die Welt- mehr Leute an, setzen aber mehrere den Weg für private Anbieter freige- Trends gegenüber ist er skeptisch. Die weiter Einzelkämpfer bleiben kann oder
Berliner Marktführer MeinFernbus stadt mit Herz, die teurere Bahn schon Milliarden um. Wie hoch die Summe ge- macht. Seitdem versucht der Staat das eigene Facebook-Seite wird nur rudi- irgendwann von einem Großkonzern
und der zweitgrößte Anbieter Flixbus jetzt zwei Stunden weniger. Ab 2017 nau ist, ist unbekannt, da viele Wetten Geschäft zu regulieren, um selbst wei- mentär gepflegt, er will die Funktionen geschluckt wird? „Ich mache mir we-
ihre Fusion. Das künftig allein von soll der ICE durch die Neubaustrek- bei im Ausland ansässigen Anbietern ter abkassieren zu können. Nach dem so einfach wie möglich halten. nig Gedanken um die Zukunft, ich lebe
München aus geführte neue Unter- ken nur noch vier Stunden von Berlin abgeschlossen werden. Laut einer Stu- EuGH-Urteil sollten Lizenzen vergeben „Wir haben diese ganzen Hypes links lieber in den Tag hinein“, sagte er dem
nehmen bietet etwa drei Viertel al- nach München benötigen. Das dürfte die des Beratungsunternehmens Gold- werden, aber das ist bislang nicht pas- und rechts liegenlassen. Jeder fragt mich Portal goal.com.
ler Fahrten an und beförderte 2014 dann auch Lufthansa, Air Berlin & media wurden 2012 in Deutschland siert. Durch den Streit zwischen den immer, wieso ich mein Unternehmen
gemeinsam mehr als die Hälfte der Co. wegen der zeitraubenden An- und mit Sportwetten 6,8 Milliarden Euro Bundesländern mischt sich der Staat nicht auf Facebook plaziere. Und vorher www.kicktipp.de
etwa 20 Millionen Fernbuspassagiere Abfahrtswege zu den Flughäfen in Be- umgesetzt, mehr als die Hälfte davon derzeit nicht in die Gestaltung der haben sie genau das auch zu StudiVZ www.tippcorner.de
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Die Schulden
Ulrich Horstmann
Zurück zur sozialen
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d e r w i s s e n d e r Au to r e n ,
JF-BD-4/2015

Inkonsequenz und Verlogen- Ein finanzpolitisches Expe-

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JUNGE FREIHEIT Medienversand
Abbildungen können vom Original abweichen!
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
FOTO: FOTOLIA
Milchpulver: Asiatische Privatpersonen
und Zwischenhändler kaufen es zuhauf
Chinesische Kinder lieben deutsche Milch
Grüne Woche: Rußland-Sanktionen gefährden deutsche Lebensmittelexporte / Hormonfleisch durch die amerikanische Hintertür?
JÖRG FISCHER
R
und neun von zehn Putenfleisch-
proben aus deutschen Discoun-
tern sind unseren Tests zufolge
mit antibiotikaresistenten Keimen be-
lastet“, warnte Hubert Weiger, Chef des
Bundes für Umwelt und Naturschutz
(BUND), anläßlich der 80. Internatio-
nalen Grünen Woche in Berlin. In den
Niederlanden, Dänemark und Frank-
reich seien die sogenannten Reservean-
tibiotika in der industriellen Tierhaltung
hingegen weitgehend verschwunden, so
der BUND. Doch trotz des Antibiotika-
Mißbrauchs in der Geflügelmast genießt
Wie ein Traum an der Gier nach Macht zerbricht
Wirtschaftsliteratur: Der libertäre Publizist Carlos A. Gebauer rechnet mit der Geld-, Steuer- und Subventionspolitik der EU ab / „Supranationale Hyperverwaltung“
ROBERT GRÖZINGER
A ls Jurist“, schreibt Carlos A. Ge-
bauer zu Beginn seines neuen Bu-
ches, dürfe er „zu schlechten Gesetzen
einfach nicht schweigen“. Dabei geht der
Autor sehr gründlich vor, fängt gar bei
den alten Griechen an. Es gelingt dem
Sat1-„Anwälte mit Herz“-Darsteller,
seine klassische Bildung auf leicht ver-
ständliche Weise zu vorzutragen.
Im ersten Kapitel des Buches „Rettet
Europa vor der EU. Wie ein Traum an
der Gier nach Macht zerbricht“, das den
„Prinzipien und Elementen der Herr-
schaft“ gewidmet ist, referiert er mit der
Souveränität eines seiner Kenntnistiefe
sicheren Gelehrten sein geistesgeschicht-
lich-theologisches Wissen. Gebauer ver-
mittelt dem Leser, wie das moderne Wis-
senschaftsbild und der tägliche Sprach-
gebrauch weit mehr von ursprünglichen
philosophischen Grundlagen geprägt
sind, „als dies gemeinhin im alltäglichen
Bewußtsein erkannt wird“. Im Abschnitt
über Rechtsgeschichte lernen wir zum
Beispiel, daß „die Frage nach der Schuld
einer angeklagten Hexe und die Versuche
die deutsche Landwirtschaft und Lebens-
mittelindustrie im Ausland weiterhin
hohes Ansehen.
Speziell die Milchbranche freut sich
über reges Interesse. In China ist die
Nachfrage nach deutscher Babynahrung
wegen dortiger Lebensmittelskandale so
enorm, daß es bereits seit zwei Jahren
zu Lieferengpässen kommt. „Liebe Kun-
den, die Abgabe aller Milchnahrungen
kann derzeit nur in haushaltsüblichen
Mengen erfolgen“, hieß es beispielsweise
an den Regalen der „dm“-Drogeriemärk-
te. „Unsere Werke arbeiten sieben Tage
pro Woche rund um die Uhr im Drei-
Schicht-Betrieb“, entschuldigt sich Mi-
lupa bei deutschen Verbrauchern, aber
„asiatische Privatleute und private Zwi-
einer rationalen Aufklärung ihrer wirk-
lichen Schuld die ersten Anfänge einer
beginnenden Rechtsstaatlichkeit mar-
kieren“. Parallel zur naturwissenschaft-
lich-kopernikanischen Wende habe ein
Paradigmenwechsel in der Herrschafts-
legitimierung stattgefunden, und zwar
von einer „deduktiven“ Legitimation
kraft göttlicher Anordnung hin zu der
„induktiven“ durch individuellen Kon-
sens von unten.
Aushöhlung der
europäischen Rechtsstruktur
Auf dieser soliden theoretischen Basis
fußend zeigt Gebauer anhand einer Fülle
von Beispielen im zweiten, empirischen
Kapitel, wie die EU-Vertragstexte die
über Jahrtausende gewachsene euro-
päische Rechtsstruktur aushöhlen und
zerstören – und wie willfährige Medien
diesen Prozeß nachdrücklich unterstüt-
zen. Mit Hilfe unsinniger, unscharfer
Formulierungen, mit einer „gänzlichen
Aufweichung aller verwendeten Termi-
nologie“ hätten sich die EU-gestützten
Regierungen mit ihrem „Einschät-
zungsermessen“, das von Gerichten
schenhändler“ kauften „große Mengen
unserer Produkte in den Geschäften, um
diese in ihre Heimat zu senden“. Hin-
zu kommt: Importierte Milchprodukte
sind in China drei- bis viermal so teuer
wie in Deutschland.
Mehr Hopfen, Bier und
Backwaren exportiert
Schon in zwei Jahren wird China zum
weltgrößten Markt für Molkereiprodukte
aufsteigen, bis 2019 soll sich der dorti-
ge Milchmarkt auf 55 Milliarden Euro
verdoppeln. Das dürfte den Wegfall der
EU-Milchquote zum 31. März und die
Folgen des russischen Importembargos
für die Agrarbranche abmildern. „Die
nicht zu überprüfen oder zu kritisieren
sei, „Handlungsfreiräume geschaffen,
die denen eines absolutistischen Mon-
archen praktisch gleichkommen.“ Hier
hat Gebauer mit dem Problem zu kämp-
fen, beim Entlarven wohl absichtlich er-
müdender Vertragstextabschnitte nicht
selber die Sicht auf den Wald vor lauter
Bäumen zu verlieren. Obwohl alle Bei-
spiele berechtigterweise die messerscharfe
Kritik des Juristen erfahren, wäre an die-
ser Stelle weniger mehr und ein klarerer
roter Faden nützlich gewesen. Lobens-
wert ist die aufklärerische Kleinarbeit
dennoch, insbesondere die Beschreibung
des haarsträubenden, aber kaum bekann-
ten Umstands, daß die „Rettung“ des
Euro wiederholt unter Rückgriff auf das
EU-„Katastrophenrecht“ stattfand.
Das längst vergessene Subsidiari-
tätsversprechen sei von „faktisch unbe-
grenzten Ermächtigungsmöglichkeiten“
der EU ersetzt worden. Gebauer weist
nach, daß die „supranationale Hyperver-
waltung“ der Union inzwischen „völlig
entdemokratisiert“ ist. Zum Beispiel
genössen die EU-Beamten und -Be-
diensteten weitreichende Immunitäten
und seien so „von der Gerichtsbarkeit
3UHX—LVFKH*HVHOOVFKDIW
Exporte von Milchprodukten
Januar bis Dezember 2013, in Tausend Tonnen
Milch
Käse
Joghurt mit
429
Zusätzen
Magermilch-
286
pulver
Kondensmilch 256
Joghurt natur 188
Butter 125
Vollmilchpulver 58
deutschen Molkereien sondieren bereits
andere Märkte mit anderen Produkten“,
so die Geschäftsführerin der Export-Union
für Milchprodukte, Karin Monke.
Obwohl auch Fleisch, Gemüse und
Obst auf der Embargoliste stehen, konnten
die „Exportrückgänge durch Steigerungen
bei Erzeugnissen wie Hopfen, Bier oder
Backwaren zu fast zwei Dritteln ausgegli-
chen werden“, teilte der bayerische Agrar-
minister Helmut Brunner anläßlich der
Grünen Woche mit. Mehr Sorgen macht
dem CSU-Politiker das transatlantische
Handelsabkommen (TTIP, JF 3/15). Da-
bei dürfe es zu keiner Aufweichung der
hohen Schutzstandards in Deutschland
kommen: „Gentechnik, Klontiere, lei-
stungssteigernde Hormone und der Her-
befreit und unterliegen keinen Einwan-
derungsbeschränkungen“. Angesichts all
dessen plädiert der Autor im abschließen-
den Kapitel für „weniger Europa“ und
„mehr bürgerliche Handlungsfreiheit“.
Das „gewachsene europäische Zivilrecht“
müsse wieder zur Geltung kommen, da
das „öffentlich-rechtliche Zwangsprin-
zip“, das nun seinen Platz einnimmt,
nur Unfrieden erzeuge.
Eine weitere „Demokratisierung“ der
EU helfe nicht, da ohne das „friedens-
stiftende Konsensprinzip“ des Zivilrechts
„die Mehrheit der Minderheit etwas
aufzwingen kann“. Als funktionsfähi-
ges Modell für die Kooperation europä-
ischer Staaten untereinander könne die
„wechselseitige Abgrenzung zwischen
Einzelinteressen und Gemeinschaftsin-
teressen“ dienen, „die sich im deutschen
Carlos A. Gebauer:
Rettet Europa vor
der EU. Finanz-
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W I R T S C H A F T | 11
Asyl: Erleichterungen
für Ausbildungswillige?
OSNABRÜCK. Der Deutsche In-
dustrie- und Handelskammertag
(DIHK) will kein neues Einwan-
2.358 derungsgesetz. „Das brauchen wir
nicht, denn das würde den Ein-
1.152 druck erwecken, wir hätten in
Deutschland für Zuwanderung
keine klaren Regeln“, erklärte
DIHK-Präsident Eric Schweitzer
in der Neuen Osnabrücker Zeitung.
QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT
Es gebe klare Aufnahmekriterien
für Asylanten, Freizügigkeit für
den EU-Raum und verbesserte
Vorgaben für qualifizierte Kräf-
te aus Nicht-EU-Ländern. „Hier
wurden die Hürden deutlich ge-
senkt. So stehen Krankenschwe-
GRAFIK
stern oder Krankenpflegern, die
dringend gesucht sind, schon
jetzt die Türen weit offen“, so der
Chef des Entsorgungsunterneh-
mens ALBA Group. Deutschland
brauche aber eine „überzeugen-
de Willkommenskultur“ und Er-
leichterungen für ausbildungswil-
lige Asylbewerber: „Viele Betriebe
würden sie gerne nehmen. Wenn
sie einen jungen Flüchtling aus-
bilden, muß aber auch klar sein,
daß er über die gesamte Lehrzeit
kunftsschutz sind rote Linien“, die nicht in Deutschland bleiben darf.“ (fis)
überschritten werden dürften. Auch der
Deutsche Bauernverband (DBV) hadert Gesunkene Spritpreise
mit TTIP: „In Europa und in Deutsch- Gefahr für Elektroautos
land setzen wir keine Hormone ein, und
wir wollen auch keine einsetzen“, erklärte BERLIN. Der Verband der Au-
DBV-Präsident Joachim Rukwied, aber tomobilindustrie (VDA) sieht in
die in der US-Landwirtschaft verwende- den gesunkenen Spritpreisen eine
ten Wachstumshormone brächten in der Gefahr für Elektroautos. „Kurzfri-
Tiermast Kostenvorteile. Ob dann billi- stig wird es schwieriger, alternative
geres Hormonfleisch aus Amerika hiesige Antriebe in den Markt zu brin-
Produzenten in Bedrängnis bringt, dürfte gen“, erklärte VDA-Chef Matt-
nicht nur auf der Grünen Woche intensiv hias Wissmann in der FAZ. „Aus
diskutiert werden. Klimaschutzgründen und wegen
der EU-Auflagen müssen wir auf
Die Internationale Grüne Woche findet vom alternative Energiequellen setzen“,
16. bis 25. Januar in der Messe Berlin statt: so der frühere CDU-Bundesmi-
www.gruenewoche.de nister. Laut Kraftfahrtbundesamt
(KBA) wurden 2014 nur 8.522
E-Mobile neu zugelassen, das
waren nur 0,3 Prozent der über
drei Millionen Pkw-Neuanmel-
dungen. Wissmann forderte da-
her politische Hilfe auf Kosten
der Steuerzahler: „Bund, Länder
und Gemeinden sollten sich zu ei-
ner breiten Beschaffungsinitiative
Wohnungseigentumsrecht seit Jahrzehn- durchringen und in Ladesäulen
ten – mit einer immer feiner austarierten und Elektroautos investieren.“ Zu-
Judikatur – bewährt hat“. dem sollte es „für Elektromobile
Gebauers EU-Kritik ist insbesondere
ein Appell an alle Juristen, die ebenfalls
„zu schlechten Gesetzen einfach nicht
in Firmenflotten besondere An-
reize geben. Dazu zählt die Son-
derabschreibung“, erläuterte der
schweigen“ wollen und eine ebenso VDA-Präsident. „Bislang sind es
gründliche wie nützliche Zusammen- die besonders aufgeschlossenen
stellung einer fundierten EU-Kritik aus Kunden, die sich ein Stromauto
rechtswissenschaftlicher Sicht. Auch kaufen. Diese Early Adopters al-
Nichtjuristen können das Buch mit Ge- lein reichen natürlich nicht.“ (fis)
winn lesen. Viele Ökonomen haben die
Eurozone bereits als nicht funktionsfähig
abgeurteilt und warnen vor der schlei-
chenden Zentralisierung, Verstaatlichung
Zahl der Woche
und Sklerotisierung der EU-Wirtschaft.
Gebauers großes Verdienst ist, mit „Ret- Mit 10,14 Millionen Pkws
tet Europa vor der EU“ eine Brücke und Lkws hat der VW-
zwischen der Ökonomie und der in der Konzern 2014 weltweit so
Europadebatte lange vernachlässigten viele Autos wie nie zuvor
Rechtswissenschaft geschlagen zu haben. verkauft. Insgesamt waren
Erfreulich, daß er dabei das wichtige Feld
es 4,2 Prozent mehr als im
der Geldpolitik nicht ausspart.
Man muß sich allerdings auf das Wis- Vorjahr. In Europa verkaufte
sen des Autors verlassen, Fuß- oder End- Volkswagen 3,95 Millionen
noten fehlen völlig. Der Leser wird dafür Fahrzeuge, in Deutschland
mit einer Sammlung höchst interessanter waren es 1,24 Millionen.
und unterhaltsamer Artikel des Autors
(Quelle: Volkswagen AG)
aus anderen Publikationen entschädigt.
7HXHUH5DVLHUNOLQJHQ
Neue Kunden erreichen %HUOLQ%UDQGHQEXUJH9 ,  .
ELOOLJHU .

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12 | H I N T E R G R U N D
Frankreich: Nach den Terrorakten sucht das Land nach Antworten, doch selbst Gemeinschaftserlebnisse wie Republikanische Märsche übertünchen nur die Risse
FRIEDRICH-THORSTEN MÜLLER
E
s ist im Zweifel nicht die Zahl
der Toten, die darüber ent-
scheidet, wie traumatisierend
die Angriffe von Terroristen für
ein Land sind. Viel entscheidender ist,
wie nah ein Anschlag der Herzkammer
einer Gesellschaft kommt. In diesem
Sinne es ist nicht übertrieben, wenn der
bekannte französische Journalist Eric
Zemmour die Terroranschläge vom
Mittwoch letzter Woche als „den 11.
September Frankreichs“ bezeichnet.
Denn die partielle Auslöschung der
Satirezeitschrift Charlie Hebdo durch
das islamistische Bruderpaar Said und
Chérif Kouachi traf die Franzosen ähn-
lich wie 2001 die Flugzeugattentate auf
World Trade Center und Pentagon die
Bürger der Vereinigten Staaten.
Nicht bei allen Franzosen ist das von
linken Alt-68ern herausgegebene Satire-
Magazin mit seinem kompromißlosen
Humor, der weder Politik noch Religi-
on schont, beliebt. Aber kein „echter
Franzose“ würde es in Abrede stellen,
daß Satire rücksichts- und pietätlos sein
darf, denn das ist Teil der anarchischen
DNA des Landes.
Wenn die Karrikaturisten mit ihren
Schmähungen des Papstes zu weit gegan-
gen sind, zog das immer wieder Klagen
vor Gericht nach sich. Aber es ist integra-
ler Bestandteil der französischen Kultur,
sich mit und über solche Zeitschriften
zu streiten. Hier mit Kalaschnikows
den Disput beenden zu wollen, wie das
die Kouachi-Brüder am 7. Januar um
11.30 Uhr in der Redaktionskonferenz
von Charlie Hebdo durch das Töten von
zwölf Menschen taten, ist dagegen der
größte anzunehmende Kulturbruch.
18.000 erklären sich mit
Attentätern solidarisch
So erklärt sich auch die unglaubliche
Resonanz der Franzosen vom vergange-
nen Sonntag, als 3,7 Millionen Bürger in
ganz Frankreich auf die Straße gingen,
um sich unter dem Slogan „Je suis Char-
lie“ („Ich bin Charlie“) mit den Opfern
der Attentate solidarisch zu zeigen.
Schon in der Vergangenheit gab es
in Frankreich islamistisch motivierte
Anschläge. So wurde bereits 2011 ein
Brandanschlag auf die Redaktion von
Charlie Hebdo verübt, der zum Glück
ohne Personenschäden blieb. Oder es gab
2012 eine Serie von Attentaten durch den
algerischstämmigen Mohammed Merah
in Toulouse und Montauban, mit sieben
vorwiegend jüdischen Todesopfern.
Aber vielleicht auch weil die Haupt-
stoßrichtung islamistischen Terrors und
entsprechender Übergriffe in Frankreich
immer wieder die Juden waren, ging die
öffentliche Meinung bisher schnell zur
Tagesordnung über. Schließlich konnten
solche Angriffe im weiteren Sinne als
Fortsetzung des Nahostkonflikts abge-
tan werden, wo auch in Frankreich viele
offen mit den Palästinensern sympathi-
sieren und die staatliche Anerkennung
Palästinas durch Frankreich unmittelbar
bevorsteht.
In dieser Logik verwundert es nicht,
daß der zweite, beinah parallel geführte
Terrorangriff vom 8. Januar durch den
aus Mali stammenden Amedy Coulibaly
auf eine Polizistin und einen jüdischen
Supermarkt an der Porte de Vincennes
mit fünf Toten im Schatten der Ereignis-
se um Charlie Hebdo zu stehen scheint.
Dabei ist die existentielle Verunsiche-
rung der immer noch 500.000 franzö-
sischen Juden nach dieser Terrorwelle
vermutlich viel größer, als die der übrigen
Franzosen. Seit Jahren nimmt die vor
allem arabischstämmige Gewalt gegen
diese Bevölkerungsgruppe zu. Im ver-
gangenen Jahr haben 7.000 Juden Frank-
Chronik des Terrors
Mittwoch, 7. Januar
11.30 Uhr: Vermummte Täter stür-
men in die Redaktion der Satirezeit-
schrift Charlie Hebdo und töten elf
Menschen, darunter einen Polizi-
sten, der zum Schutz abgestellt ist.
Auf ihrer Flucht richten sie einen
verletzt am Boden liegenden Poli-
zisten per Kopfschuß hin.
13.40 Uhr: Für den Großraum Pa-
ris gilt die höchste Terrorwarnstufe
14.30 Uhr: Der Fluchtwagen, in-
klusive einem Personalausweis, wird
Ein Land in Schockstarre
FOTO: IMAGO/PANORAMIC
Trauermarsch in Saint-Étienne für die Opfer des Terrors: Über 3,7 Millionen Bürger beteiligten sich am vergangenen Sonntag in ganz Frankreich an den Republikanischen Märschen
reich in Richtung Israel verlassen. Das
sind doppelt so viele wie im Vorjahr. Für
2015 prognostiziert das jüdische Onli-
nemagazin jssnews.com gar einen Exodus
von 10.000 jüdischen Franzosen.
Anläßlich seiner Teilnahme mit 50
anderen Staats- und Regierungschefs am
„Republikanischen Marsch“ am Sonn-
tag in Paris wiederholte Ministerpräsi-
dent Benjamin Netanjahu darum seine
Einladung an die französischen Juden,
nach Israel auszuwandern. Es wird all-
gemein als eine Bankrotterklärung der
Einwanderungspolitik angesehen, daß
die Regierung nach einer 53stündigen
erfolgreichen Terroristenjagd nun 5.000
Polizisten zur Bewachung jüdischer Ein-
richtungen abstellen muß.
Überhaupt steht Frankreich nach dem
Abklingen des ersten Schocks und mit
Abstand zu dem großen Gemeinschafts-
erlebnis „Republikanischer Marsch“ eine
harte Landung im Alltag eines geschei-
terten Einwanderungslandes bevor. Für
kurze Zeit hat die sozialistische Regie-
rung das Heft des Handelns an sich rei-
ßen können, indem sie mit fast 90.000
Sicherheitskräften die drei islamistischen
Attentäter eliminierte und die vielleicht
größte Demonstration in der Geschichte
Frankreichs auf die Beine stellte.
Im ersten Moment ist es der Regie-
rung Hollande dabei auch gelungen, es
unanständig aussehen zu lassen, aus den
schlimmen Ereignissen politisches Kapi-
tal schlagen zu wollen. Unter dem Vor-
wand, daß der libertäre Charlie Hebdo ein
erklärter Gegner des Front National sei,
schloß man in Paris sogar kurzerhand die
Partei Marine Le Pens aus der Organisa-
tion des „Republikanischen Marsches“
aus. Eine Entscheidung, die nicht nur
die Vorsitzende des FN, sondern auch
Laurent Wauquiez, der Generalsekretär
der bürgerlichen UMP, heftig kritisierte:
„Es ist nicht akzeptabel, daß der Front
National von einer Demonstration der
nationalen Einheit ausgeschlossen wird“,
verkündete er in der offiziellen Pressemit-
teilung der Partei. Marine Le Pen unter-
strich darüber hinaus, daß man damit die
bei der Europawahl mit 25 Prozent der
Stimmen stärkste politische Gruppierung
in Frankreich ausgrenze. Gleichzeitig rief
sie ihre Anhänger dazu auf, dafür an den
Solidaritätsdemonstrationen außerhalb
von Paris teilzunehmen.
Erkennbar ist das Bemühen in Frank-
reich, den islamistischen Hintergrund
der Anschläge herunterzuspielen und
lieber von allgemeinem Terrorismus zu
sprechen. Jeder Imam, wie Tareq Ou-
brou aus Bordeaux, der seine Gläubigen
gefunden. Zur Fahndung werden
die in Paris geborenen Chérif Kou-
achi und dessen Bruder Said aus-
geschrieben. Chérif wurde bereits
2008 als Dschihadist enttarnt und
verurteilt. Ein weiterer Verdächtiger,
der 18jährige Schwager eines der
Brüder, meldet sich am späten Mitt-
wochnachmittag freiwillig bei den
Sicherheitsbehörden. Er beteuert
seine Unschuld und verweist dar-
auf, zum Tatzeitpunkt in der Schule
gewesen zu sein. Die Polizei verfolgt
die Spur der Attentäter. Alles deutet
auf ein Gebiet im Norden von Paris.
Eine heiße Spur ist nicht dabei.
zur Teilnahme an Protesten gegen die
Attentate aufrief, wird mit maxima-
ler Medienaufmerksamkeit bedacht.
Oder man freut sich über eine kleine
Demonstration von 400 Moslems in
der 80.000-Einwohner-Stadt Pau gegen
die Anschläge.
Gleichzeitig überschlugen sich die
Fernsehreporter bei der Berichterstat-
tung über die Großdemonstration in
Paris mit Hinweisen auf die „vielen De-
monstranten sämtlicher Hautfarben“,
womit der Eindruck vermittelt wurde,
daß überdurchschnittlich viele Moslems
gegen den „Mißbrauch ihres Glaubens“
demonstrieren würden.
Dagegen spotten in Städten wie
Marseille oder Roubaix Blogger in den
sozialen Netzwerken, gar nicht gewußt
zu haben, daß es bei ihnen noch so vie-
le „Weiße“ gebe. Man könne bei den
Demos geradezu von Apartheid-Veran-
staltungen sprechen. Ein düsteres Bild
zeichnet auch der kursierende Tweet „Je
suis Kouachi“, auf dem sich in kürzester
Zeit 18.000 Unterstützer mit den Atten-
tätern solidarisch erklärten.
Sarkozy fordert Debatte
über Einwanderung
Die Biographien der drei getöte-
ten Attentäter geben ebenfalls wenig
Anlaß zur Hoffnung, daß Frankreich
und der westlichen Welt solche und
ähnliche Heimsuchungen in Zukunft
erspart bleiben könnten. Dysfunktio-
nale oder nicht vorhandene Familien
– die Kouachi-Brüder waren Waisen,
ein gerade in Einwanderervierteln völlig
marodes Bildungssystem und 25 Prozent
Jugendarbeitslosigkeit im wirtschaftlich
stagnierenden Frankreich dezimieren
die Lebenschancen insbesondere der in
zweiter und dritter Generation nachge-
borenen Einwandererkinder dramatisch.
Eine immer stärkere ethnische Segre-
gation der Bevölkerungsgruppen ent-
fremdet darüber hinaus ganze Stadtteile
der französischen Mehrheitskultur. Dar-
an können auch Heerscharen von Sozi-
alarbeitern nichts ändern, wenn sonst
kaum Berührungspunkte mit Herkunfts-
franzosen bestehen und diese vielerorts
als Minderheit wahrgenommen werden.
Gleichzeitig gewinnt der Islam – und
dann häufig in einer gegen die „Ungläu-
bigen“ gerichteten Ausprägung – eine
stark identitätsstiftende Funktion und
hilft Minderwertigkeitskomplexe in
Überlegenheitsdünkel umzumünzen.
Es ist kein Zufall, daß keiner der
drei Attentäter auf eine lebenslange
Donnerstag, 8. Januar
7.15 Uhr: Im Süden von Paris wird
bei einer Kontrolle eine Polizistin
erschossen. Der Täter kann uner-
kannt fliehen.
11.35 Uhr: Nördlich von Paris über-
fällt das Brüderpaar eine Tankstelle.
Deren Besitzer alarmiert die Polizei
und erklärt, er habe die Kouachis
eindeutig erkannt.
Im Anschluß durchsuchen Spezi-
aleinheiten der französischen Poli-
zei Häuser in den Städten Longpont
Biographie als strenggläubiger Moslem
zurückblicken konnte, was darauf hin-
deutet, daß sie den Islam unter Anlei-
tung von Eiferern eher als Medium zur
Kanalisierung ihrer allgemeinen Wut
entdeckt haben.
Dies relativiert deutlich die Chancen
moderater Imame, den nun häufig ge-
forderten mäßigenden Einfluß auf sich
radikalisierende Jugendliche auszuüben.
Auch wenn sich im französischen Islam-
rat CFCM – mit dem Rücken zur Wand
– sämtliche Strömungen des Islam auf
einen Aktionsplan verständigen wollen,
sie werden auch künftig viele junge
Menschen nicht erreichen können.
Ein weiteres Problem ist das viel zu
laxe – aber anders kaum noch zu bezah-
lende – Justizsystem: Hätte zum Beispiel
Amedy Coulibaly auch nur die letzte
seiner Haftstrafen ordnungsgemäß bis
Ende 2018 absitzen müssen, wären seine
fünf Opfer heute noch am Leben.
Es wird nicht lange dauern, bis
Frankreich nach diesem Moment der
Trauer und des Innehaltens wieder zur
politischen Tagesordnung zurückkehrt.
Premier Manuel Valls kündigte bereits
am Montag an, Haßprediger in den Ge-
fängnissen künftig in Einzelhaft nehmen
zu wollen und sich ansonsten stärker um
die Jugend in den Einwandererfamili-
en kümmern zu wollen. Des weiteren
hat er den verstärkten Schutz nicht nur
jüdischer, sondern aller gefährdeter öf-
fentlicher Einrichtungen angeordnet.
UMP-Chef Nicolas Sarkozy fordert
darüber hinaus eine parteiübergreifen-
de Kommission und will eine nationale
Debatte über das Thema Einwanderung.
Die Zeit wird zeigen, ob Frankreich
das für ausreichend erachtet, oder eher
Le Pen folgt, die sofort konkrete Taten
anmahnt, wie den Ausstieg aus dem
Schengen-Raum, eine Verschärfung des
Staatsbürgerschaftsrechts und die Aus-
weisung krimineller Einwanderer. Dazu
legte der stellvertretende FN-Vorsitzende
Louis Aliot den Finger auf die Wunde:
„Da haben sich mit dem Republikani-
schen Marsch Politiker eine Demonstra-
tion gegen die Konsequenzen der eigenen
Politik unter den Nagel gerissen.“
Mit der teilweisen Verärgerung der is-
lamischen Gemeinde in Frankreich über
das nun in Drei-Millionen-Auflage er-
scheinende neue Charlie-Hebdo-Magazin
geht der weltanschauliche Konflikt in
Frankreich indes in die nächste Runde.
Diese Woche erscheint das Blatt mit
einer Mohammed-Karikatur als Titel,
diesmal mit Träne im Auge und dem
Schild „Ich bin Charlie“, an den Kiosken.
und Corcy im Norden Frankreichs.
Knapp 90.000 Sicherheitskräfte
sind im Einsatz und durchkäm-
men auf der Suche nach dem
Brüderpaar jedes einzelne Haus.
Freitag, 9. Januar
Nördlich von Paris zwingen die
Kouachi-Brüder am Morgen eine
Frau, ihnen ihr Auto zu überlassen.
Anschließend kommt es zu einer
Verfolgungsjagd und einem Schuß-
wechsel mit der Polizei. Die Kou-
achis verschanzen sich mit einer
Geisel in einer Druckerei in einem
Brutstätten der
Dschihadisten
Interview mit dem Abgeordneten Nicolas Dhuicq
über die Zustände in Frankreichs Gefängnissen
Gegenwärtig sind nach Aussagen
von Gilles de Kerchove, dem An-
ti-Terrorismuskoordinator der EU,
mehr als 3.000 Europäer in Rich-
tung Syrien aufgebrochen, um dort
den Islamischen Staat (IS) zu unter-
stützen. Frankreich stellt mit 1.132
Gotteskriegern das größte europä-
ische Kontingent. Doch nicht nur
die Rückkehr kampferprobter Dschi-
hadisten bereitet den französischen
Sicherheitsbehörden Sorgen. Auch
in Frankreich selbst radikalisiert sich
ein Teil der moslemischen Bevölke-
rung, während gleichzeitig die An-
zahl der französischen Konvertiten
steigt. Die Gefängnisse des Landes
spielen bei dieser Entwicklung eine
Schlüsselrolle. Nach Informationen
der Nachrichtenagentur AFP lernten
sich auch Chérif Kouachi und Ama-
dy Coulibaly vor einigen Jahren in
einem Gefängnis kennen.
***
Herr Dhuicq, Sie haben in der Ver-
gangenheit Hochsicherheitsgefängnisse
besucht. Herrscht in Frankreichs Ge-
fängnissen das Scharia-Recht? Sind
sie Brutstätten des hausgemachten is-
lamistischen Terrors?
Dhuicq: Die moslemischen Banden-
chefs, die sogenannten Caïds, haben
das Heft in der Hand und weisen
den Weg. Diejenigen, die mit ihnen
die Zelle teilen müssen, können ei-
ne bessere Behandlung erwarten,
wenn sie ebenfalls Moslems sind.
Sie können auch mit mehr Nahrung
rechnen. Neben dieser banalen Form
der Gewalt gibt es aber auch Druck
auf und Aggressionen gegen nicht-
moslemische Gefangene.
Viele beugen sich dem
Druck und konvertieren.
Sie haben dann Ruhe
und werden nicht mehr
so stark belästigt. Viele
Übertritte zum Islam
haben also kaum etwas
FOTO: WIKIMEDIA
mit einer religiösen Er-
fahrung oder mit Meta-
physik zu tun.
Gewerbegebiet nahe dem Flugha-
fen Charles de Gaulle. Die Polizei
riegelt das Gebiet der Gemeinde
Dammartin-en-Goële weiträumig
ab. Die Geisel wird am Mittag frei-
gelassen. Die Brüder teilen mit, den
„Märtyrertod“ sterben zu wollen.
13.30 Uhr: Nahe der Pariser Metro-
station Porte de Vincennes überfällt
der bis dahin flüchtige Amedy Cou-
libaly, der am Vortag die Polizistin
erschossen hatte, einen jüdischen
Supermarkt, erschießt vier Men-
schen und nimmt Geiseln. Er erklärt
gegenüber einem TV-Sender, daß
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Sie kritisieren vor allem die Rolle, die
Gefängnisaufseher nordafrikanischer
Abstammung spielen.
Dhuicq: Richtig, es kommt vor, daß
sie mit den Gefangenen auf arabisch
sprechen. Das ist gegen die Regeln
der Französischen Republik und ver-
setzt die französischen Aufseher, die
natürlich kein Arabisch verstehen, in
eine prekäre Lage, weil sie nicht wis-
sen, was ihre Kollegen und die Ge-
fangenen miteinander besprechen.
Was wird gegenwärtig gegen diese Pro-
bleme unternommen?
Dhuicq: Zuwenig. Das Problem
wurde bis dato unterschätzt oder gar
kleingeredet. Ein Beispiel: Norma-
lerweise müssen die Zelltüren in den
Hochsicherheitsgefängnissen abge-
schlossen sein. Doch ich habe eini-
ge Gefängnisse besichtigt, wo die
Türen offenstanden und sich die
Gefangenen frei bewegen konnten.
Ein Nährboden für den Aufbau von
Netzwerken und kriminellen Struk-
turen. Informationen über solche
Zustände werden nie nach oben wei-
tergegeben.
Weshalb werden dort die gesetzlichen
Sicherheitsvorschriften nicht ange-
wandt?
Dhuicq: Weil wir in einer Gesell-
schaft leben, die ein fundamentales
Autoritätsproblem hat. Seit einigen
Jahrzehnten wollen wir in allen Be-
reichen des Lebens autoritäre Struk-
turen abbauen, selbst im Gefängnis.
Bei einem meiner letzten Besuche in
einem Hochsicherheitsgefängnis er-
fuhr ich, daß man aus einem Stock-
werk alle weiblichen Auf-
seher entfernt hatte, weil
die Gefangenen keine
Frauen wollten. Absurd.
EVA-MARIA MICHELS
Nicolas Dhuicq ist Abgeord-
neter der bürgerlichen UMP
in der französischen National-
versammlung
er seine Taten mit den Kouachi-Brü-
dern zusammen abgesprochen ha-
be. Er fordert, daß Frankreich seinen
Kampf gegen al-Qaida und den Isla-
mischen Staat beenden solle.
17 Uhr: Die Kouachi-Brüder stür-
men aus der Druckerei und feuern
auf die Polizisten. Beide werden
erschossen. Zeitgleich stürmen
Sicherheitskräfte in Paris das jüdi-
sche Geschäft und töten den Geisel-
nehmer Amedy Coulibaly. Dessen
Freundin, die zur Fahndung ausge-
schriebene Hayat Boumeddiene,
flüchtete in Richtung Syrien.

W MEDIEN, Seite 17
Aktenschieber: Seit 20
Jahren gehört Ulrich Meyer
zum Inventar von Sat1
Pankraz,
Till Eulenspiegel und
die übergenaue Rede
V
or fünfhundert Jahren, im
Frühjahr 1515, erschien
in Straßburg in nieder-
deutscher Mundart ein Buch,
das Weltgeschichte machen
sollte. Sein Titel: „Ein kurtz-
weilig Lesen von Dil Ulen-
spiegel geboren uß dem Land
zu Brunßwick, wie er sein le-
ben volbracht hat“. Sein Ver-
fasser: Hermann Bote (etwa
1450 bis etwa 1520), ein hin-
kender und ewig querköpfiger
Braunschweiger Ratsherr und
Chronikenschreiber, von dem
1498 – ebenfalls in Straßburg –
schon einmal ein, wie man heute
sagen würde, „Riesenbestseller“
erschienen war: „Reynke de vos“
(„Reinecke Fuchs“).
Der „Eulenspiegel“ von 1515
fand reißenden Absatz. Noch
während des 16. Jahrhunderts
erschienen in Deutschland vier-
zig Neuauflagen, und das Buch
wurde auch sofort in die meisten
anderen Sprachen Europas über-
setzt. Genau wissen die Gelehr-
ten freilich nicht, ob es wirklich
Hermann Bote gewesen ist, der
Reinecke Fuchs und Till Eulen-
spiegel in voller Ausführlichkeit
erfunden hat, fest steht aber, daß
er es war, der als erster gewissen
damals im Volksmund umlau-
fenden Symbolgestalten feste
Kontur und Stimme verlieh –
eine herrliche literarische Tat,
die immer noch viel zuwenig
gewürdigt ist.
Die in dem Eugenspiegel-
Buch von 1515 fixierten 96
Episoden sind zum Orientie-
rungspunkt aller übrigen nach-
folgenden „Schelmenerzählun-
gen“ des Zeitalters geworden,
bis hin zu Nasreddin Hodscha
aus Buchara, dem Oberschelm
des Orients, der bald nach Eu-
lenspiegel seinerseits das Mor-
genland aufzumischen begann
(und den die Bolschwiken nach
der russischen Oktoberrevoluti-
on von 1917 – vergeblich – als
„eigentlichen“ Eulenspiegel auf-
zubauen versuchten, von dem
das abendländische Original alle
Pointen hinterrücks übernom-
men, vulgo: geklaut hätte).
H
eute gilt Eulenspiegel in
aller Welt als Inbegriff
des Humors und der
Satire überhaupt; faktisch jede
irgendwie humorige Interventi-
on wird als „Eulenspiegelei“ ab-
geheftet, so als gäbe es nur eine
einzige Art, Scherze und Witze
zu machen, komische Situatio-
nen zu erzeugen oder allgemein
als „normal“ und „angemessen“
geltende Zustände im grellen
Licht der Satire erscheinen zu
lassen. Demgegenüber wäre fest-
zuhalten, daß die typische Eu-
lenspiegelei ein Spezialfall des
Spaßmachens ist, wenn auch
ein fundamentaler, alles übrige
überschattender.
Eulenspiegel, so wäre festzu-
halten, ist von Natur aus kein
Spaßmacher, sondern ein über-
zeugter Ernstnehmer, einer, der
zwar nicht das Leben, dafür aber
die Sprache, mit der wir dem
Leben beizukommen suchen,
furchtbar ernst nimmt. Sämt-
liche komischen Situationen,
die Hermann Botes Eulenspie-
gel herbeiführt, laufen darauf
hinaus, daß er den Menschen,
denen er begegnet, beweist, daß
ihr Reden über das, was sie tun
oder begehren, äonenweit ent-
fernt ist von dem, was sie wirk-
lich tun oder begehren. Wenn
sie ihre Worte ernst nähmen, so
seine Botschaft, müßten sie ge-
nau das Gegenteil von dem tun,
was sie wirklich tun.
Man denke an die Episode
mit dem stolzen Bäcker, bei dem
Eulenspiegel als Geselle arbeitet.
Der Meister nennt seine Brote
übermütig „Meerkatzen“ und
hat damit bei den Käufern viel
Erfolg. Sein Geselle aber nimmt
ihn beim Wort und trägt, statt
Brot zu backen, lauter wim-
melnde, hüpfende Meerkat-
zen in die Bäckerei. Es gibt ein
Chaos. Oder die Episode mit
dem Herzog von Lüneburg. Der
droht Eulenspiegel, er werde ihn
„auf den Totenacker befördern“,
wenn er sich je wieder in sei-
nem Land blicken ließe. Doch
Eulenspiegel erscheint trotzdem
– sitzend in einem Wägelchen
voller Friedhofserde, gezogen
von einem Esel.
Seine Leidenschaft, die Taten
der Menschen am Spiegelbild
ihrer Worte zu messen, hat den
Eulenspiegel natürlich zu einem
Lieblingshelden revolutionärer
Schriftsteller und Ideologen
werden lassen. Der flämisch-
wallonische Autor Charles De
Coster erhob ihn in seinem Ro-
man „La Légende d’Ulenspiegel“
zum Freiheitshelden im Kampf
der Niederländer gegen die spa-
nische Fremdherrschaft.
B Was nach Hollande kommt
ei Bertolt Brecht erscheint
er als Agitator der deut-
schen Bauernkriege: Er
ist da zunächst ein armer Schau-
steller, der sich auf Jahrmärkten
herumtreibt und den Leuten mit
billigen Possen ein paar Kreuzer
abluchst, aber eines Tages gerät
er an einen Edelmann, der ihn
auf gröbste Weise wegjagt, und
nun schwört er den „Herren“
Rache und geht ohne viel Nach-
denken zu den rebellischen Bau-
ern über.
Dem geistigen Ursprung
der Gestalt näher kam Gerhart
Hauptmann in seinem an sich
eher kuriosen Epos „Des gro-
ßen Kampffliegers, Landfah-
rers, Gauklers und Magiers, Till
Eulenspiegel Abenteuer, Strei-
che, Gaukeleien, Gesichte und
Träume“ von 1928. Eulenspiegel
wird dort in die Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg versetzt, fun-
giert als Visionär in einer von
Krisen heimgesuchten Zeit,
spricht viele Themen an – und
hinterläßt doch nur Irritation,
Verblüffung und Rätselraten.
Hauptmann, der sich gern
mit Goethe verglich oder sich
gar für einen zweiten Goethe
hielt, nannte seinen „Eulen-
spiegel“ gelegentlich „meinen
Faust II“, was auf jeden Fall
übertrieben ist, zumindest in
die Irre führt. Die Gestalt des
Eulenspiegel ist kein Forscher.
Welterkunder und Weltverän-
derer, vielmehr handelt es sich
um die Inkarnation des gebore-
nen Großskeptikers, der davon
überzeugt ist, daß es keine Brük-
ke zwischen Sprache und Welt
gibt und die Welt uns ein ewiges
Rätsel bleiben muß.
Eine Abbildung in der Straß-
burger Ur-Edition des Eulen-
spiegel zeigt ihn mit einem
Spiegel in der einen, einer Eule
auf der anderen Hand. Seit der
griechischen Antike gibt es die
literarische Tradition, sich selbst
und seinen Mitmenschen den
Spiegel vorzuhalten, um zu er-
kennen, wer man wirklich sei.
Andererseits gilt der Spiegel aber
vielerorts als Narrenattribut, als
Instrument der leeren Eitelkeit.
Die Eule hingegen ist in
wahrscheinlich allen Kulturen
das große Symbol der Weisheit.
Sie blickt auf dem Straßburger
Bild nicht in den Spiegel, son-
dern dem Betrachter gerade ins
Gesicht. Das soll wohl sagen:
Die Wahrheit bleibt ein Ge-
heimnis.
KULTUR
FORUM, Seite 18
W
Narzißtische Modellie-
rung des Ich: Der Preis
dafür ist die innere Ruhe
| 13
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA
Schriftsteller Michel Houellebecq: In seinem neuen Roman wird ein Abgrund von Heuchelei, Feigheit und ideologischer Dummheit geschildert
„Unterwerfung“: Michel Houellebecq erzählt vom Umbau Frankreichs in einen islamischen Gottesstaat
GÜNTER ZEHM ätzender Polemik strotzenden Polter- Präsident aber ist der Gründer und ihren Gesetzen, jederzeit zu Taten bereit,
Essay à la Akif Pirinçci erwarten. „Sou- Chef jener Muslimbruderschaft gewor- die Gott wohlgefällig sind.
mission“ ist stattdessen, wenn man will, den, Mohamed Ben Abbès, ein charis- Aufgabe der traditionellen hiesi-
ein „ganz normaler Roman“, eine Art matischer, spät zum Islam übergetretener gen Gewalten ihrerseits wäre es, ihre
U
nter größter öffentlicher An- Bildungsroman, in dem ein vom Alko- Belgier, der alle übrigen Mitglieder der eigenen Gesetze endlich wirkungsvoll
teilnahme erscheint jetzt im hol umwölkter französischer Literatur- Anti-Le-Pen-Koalition spielend in die durchzusetzen und dafür zu sorgen, daß
Kölner DuMont-Buchver- historiker und Mittvierziger mit einer Tasche gesteckt hat und nun darange- der Zuzug fremder Völkerschaften und
lag die deutsche Übersetzung Vorliebe für Vielweiberei und für die gangen ist, die laizistische Republik Zug Glaubensgemeinschaften in gut kon-
des neuen Romans „Unterwerfung“ Belle-Epoque-Autoren Joris-Karl Huys- um Zug, dabei ganz vorsichtig und wie trollierten Maßen vonstatten geht und
(„Soumission“) von Michel Houelle- mans und Charles Péguy schildert, wie im Nebenbei, in einen mohammedani- den öffentlichen Frieden nicht gefähr-
becq, nur wenige Tage nach dem fran- er allmählich Abschied nimmt von der schen Gottesstaat umzubauen, von der det. Daß sie das nicht tun und was sie
zösischen Original – und gerade noch in seinen Kreisen üblichen „Aufgeklärt- Rücknahme des Burka-Verbots bis zur stattdessen tun, schildert der Roman
rechtzeitig! Denn die Ereignisse über- heit“ und sich religiösen Optionen annä- (zunächst häppchenweisen) Einführung „Soumission“ in genialer Drastik. Das
schlagen sich. Direkt nach Erscheinen hert, zunächst dem Katholizismus und der Scharia und der Polygamie, welche Echo, das er bisher gefunden hat, ist
des Originals löschten is- schließlich dem Islam. Das den alkoholbedudelten Ich- nicht weniger drastisch,
lamistische Attentäter die
Redaktion der Pariser Sati-
Der Erzählton Buch endet damit, daß er
ein Jünger Allahs wird.
Erzähler des Buches so be-
eindruckt und so verführe-
Es ist bemer- wenn auch weniger genial.
Houellebecq wird mit den
rezeitschrift Charlie Hebdo Houellebecqs Der Erzählton, den Hou- risch umfächelt. kenswert, daß wildesten Anwürfen aus
aus, weil sie „den Propheten ist lässig- ellebecq anschlägt, ist über- Unterwerfung auf breite- es in Frank- der Kiste der Politischen
beleidigt“ habe, und Houel- wiegend lässig-sachlich, mit ster Front findet statt, und Korrektheit überschüttet
lebecqs Buch liest sich über sachlich, mit ironischen, manchmal sar- ins Visier Houellebecqs reich noch und taucht nun, statt auf
weite Strecken wie ein er- ironischen, kastischen Zwischentönen, geraten dabei gar nicht so Belletristen Werbereise für sein Buch
hellender prognostischer manchmal aber von vorn bis hinten sehr die frisch zur Macht ge- gibt, die es zu gehen, zunächst einmal
Begleitkommentar zu der gänzlich unaggressiv. Man kommenen muslimischen ab; den ihm nach dem Mas-
unerhörten Tat. Das Inter- sarkastischen spürt auf jeder Zeile: Der Exekuteure als vielmehr ih- wagen, ein saker an den Mitarbeitern
esse an dem Text ist gewal- Zwischen- Mann will nicht diskutie- re „bürgerlichen“, „hochde- solches Buch von Charlie Hebdo angebo-
tig, in Deutschland nicht tönen. ren, sondern eben schlicht mokratischen“, „christlich zu schreiben. tenen Polizeischutz hat er
weniger als in Frankreich. erzählen. Das gilt auch und beziehungsweise aufkläre- abgelehnt.
Hätte man das Massaker nicht zuletzt für die Passa- risch geprägten“ Zuarbeiter, Immerhin, sein Buch ist
nicht verhindern können, wenn man gen, die sich auf die politischen Zeitum- all die Berufspolitiker, Gewerkschafts- bereits jetzt, wenige Tage nach Erschei-
rechtzeitig auf Leute wie Houellebecq stände beziehen, unter denen der Ich- funktionäre, Kirchenvertreter, Alpha- nen, zum „Buch der Saison“ und zum
gehört hätte? Verwandeln die Immigran- Erzähler lebt und deren Schilderung in journalisten, wie sie heute schon die Sze- „Buch des Jahres 2015“ erklärt worden
tenströme aus muslimischen Ländern, in Frankreich so viel Mediengetöse verur- ne bevölkern. Von 2015 bis 2022, so und beherrscht die Schlagzeilen nicht
denen sich die radikalen Glaubenskämp- sacht hat und weiter verursacht. zeigt Houellebecq nur allzu glaubhaft, ist nur in den Literaturteilen. Ein Plus-
fer wie Fische im Wasser bewegen, den Houellebecq hat sein Buch (wie die ein kurzer Weg; die Rutschbahn von hier punkt für den französischen Kulturbe-
Westen nicht unaufhaltsam in islamische meisten seiner bisherigen Bücher) als zu dort ist jedenfalls schon aufgestellt, trieb. Es ist ja schon bemerkenswert,
Kalifate, während dessen herrschende Dystopie angelegt, also als Science-ficti- und sie ist ungeheuer gut geschmiert daß es dort noch Belletristen wie Michel
„Eliten“ den Prozeß bewußt ignorieren, on mit kurzer Reichweite in die Zukunft und glatt. Houellebecq gibt, die es wagen, über-
ihn unentwegt klein- und schönreden und realistischster Gegenwartsbezogen- Mit der Beschreibung der zur Zeit haupt ein solches Buch zu schreiben und
und all jene, die vor der Entwicklung heit. Die Handlung spielt im Jahre 2022, in Frankreich wie anderswo dominie- dabei den Sermon der Alphatiere und
warnen, mit billigsten Totschlagwör- Frankreichs Präsident François Hollande renden Rutschbahnschmierer erreicht ihrer politischen Stichwortgeber der ver-
tern wie „Rassismus“, „Islamophobie“ ist nach seiner zweiten Amtszeit nicht das Buch von Houellebecq seinen un- dienten Lächerlichkeit preiszugeben.
oder „Fremdenfeindlichkeit“ überzie- mehr angetreten, der Front National von bestreitbaren Höhepunkt. Ein Abgrund In Deutschland ist dergleichen allem
hen? So wird in vielen Quartieren immer Marine Le Pen ist inzwischen so stark von Heuchelei, Feigheit und ideologi- Anschein nach nicht mehr möglich. Hier
dringlicher gefragt, und Houellebecqs geworden, daß sich die übrigen Parteien scher Dummheit wird erkennbar; der macht man sich in literarischen Kreisen
Roman beflügelt und befestigt die kri- inklusive einer neugegründeten „Islami- Leser weiß nicht, ob er darüber lachen stattdessen lustig über die angebliche
tischen Anfragen. schen Bruderschaft“ gegen sie zusam- oder weinen soll. Besonders auffällig der Provinzialität und „Dumpfbackigkeit“
Der Leser sollte freilich keine politi- mengeschlossen und eine gemeinsame geradezu wahnwitzige Eifer, mit dem die biederer, politisch und kulturell inter-
sche Kampfschrift und auch keinen vor Regierung gebildet haben. Rutschbahnspezialisten immer wieder essierter Bürger, die in spontanen Stra-
von den „aufgeklärten, friedlichen Mus- ßendemonstrationen à la Pegida ihrer
limen“ schwärmen, die doch als Mitbür- Sorge über eine drohende Islamisierung
ger im Westen so willkommen seien und des Abendlands Ausdruck geben und
Michel Houellebecq die vor ihren wilden Glaubensbrüdern die von der Berliner Politik deshalb in
von uns geschützt werden müßten. übelster Weise beschimpft und verteufelt
Michel Thomas, 1958 in La Réunion, „Extension du domaine de la lutte“ Dabei läßt doch selbst der aufgeklär- werden. Juli Zeh ist eben nicht Michel
einem französischen Übersee-Dépar- (1994; dt. „Ausweitung der Kampfzo- teste, friedlichste „Euro-Islamist“ (siehe Houellebecq. Die deutsche Fassung von
tement, geboren, zählt zu den meist- ne, 1999) und „Les Particules élémen- Professor Tariq Ramadan in Genf ) nicht dessen „Unterwerfung“ wird hierzulande
gelesenen, aber auch umstrittensten taires“ (1998; dt. „Elementarteilchen“, den geringsten Zweifel daran, daß es wohl viele Leser finden.
Autoren Frankreichs. Michel wer? 2001) internationale Bekanntheit. für jeden rechtgläubigen Muslim nur
Michel
„Houellebecq“ ist der Mädchenname Weitere Romane folgten, außerdem ein einziges „Haus des Friedens“ geben Houellebecq:
seiner kommunistischen Großmutter mehrere Lyrikbände, zuletzt 2014 „Ge- könne, und das sei „Dar al-Islam“, das Unterwerfung.
väterlicherseits, den er als Künstler- stalt des letzten Ufers“ (JF 31-32/14). Haus des Islam, das vollendete Kalifat. DuMont Buchver-
namen wählte. Von Beruf studierter 2010 erhielt Houellebecq für seinen Jedes andere Haus sei „Haus des Krieges“ lag, Köln 2014,
Landwirtschaftsingenieur, seit den selbstironischen Künstlerroman „Kar- („Dar al-Harb“), und jeder Gläubige be- gebunden,
280 Seiten,
achtziger Jahren Gedichte schreibend, te und Gebiet“ den Prix Goncourt, die wege sich darin wie eben in Kriegsland, 22,99 Euro
erlangte Michel Houellebecq mit sei- bekannteste französische Literaturaus- im Herzen ohne Loyalität gegenüber den
nen später auch verfilmten Romanen zeichnung. (tha) traditionellen örtlichen Gewalten und
14 | K U L T U R JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Denkmal für Agnes

Miegel soll verschwinden
Thalers
BAD NENNDORF. Das Denk- Streifzüge
mal für die ostpreußische Heimat-
dichterin Agnes Miegel (1879– Von Thorsten Thaler
1964) im Kurpark von Bad Nenn-
dorf in der Nähe von Hannover soll
abgeräumt werden. Ein Bürger-
entscheid für den Verbleib der Sta-
Z um Jahresanfang die Lektüre
eines frühen Lieblingsautors
von mir: Helmut Krausser. Die
tue scheiterte vergangenen Sonntag Tagebücher des ebenso vielseitig
an zu geringer Beteiligung, teilte interessierten wie schreibenden Au-
die Gemeinde mit. Mindestens 25 tors haben mir einst eine Fülle von
Prozent der 9.300 Stimmberechtig- Anregungen und Denkanstößen
ten hätten an dem Bürgerentscheid gegeben, und sein Roman „Thana-
teilnehmen müssen, es beteiligten tos“ ragt einsam auf lichten Höhen
sich jedoch nur knapp 21 Prozent. aus der Gegenwartsliteratur her-
Davon sprachen sich aber rund 77 aus. Jetzt also sein jüngstes Werk,
Prozent dafür aus, das Denkmal „Deutschlandreisen“, erschienen
im Kurpark zu belassen. Mit Blick im Kölner DuMont-Buchverlag.
auf diese Zustimmung fragte der Das Reisetagebuch ist anläßlich
Pressesprecher der literarischen von vier Lesereisen Kraussers
Agnes-Miegel-Gesellschaft, Det- quer durch Deutschland (Som-
lef Suhr, ob der Stadtrat die Ent- mer 2006, Herbst 2008, Winter
fernung des Denkmals „tatsächlich 2010, Frühling 2012) entstanden.
gegen die überwältigende Mehrheit Der mit einer ge-
der Bürger durchsetzen will“. Der hörigen Portion Tim Mälzer
FOTO: FARBFILM VERLEIH

Bad Nenndorfer Rat hatte bereits Eitelkeit ausge- singt ein

Ende Oktober 2013 entschieden, stattete Autor ge- Loblied
daß das Denkmal entfernt werden währt darin Ein- auf die
soll. Gegen diesen Beschluß rich- blicke in seinen deutsche
tete sich der Bürgerentscheid, um Lebensalltag und
Küche.
die Statue noch zu retten. Kritiker Lutz Schelhorn, Präsident der Stuttgarter Hells Angels: Nicht jeder, der zum Fürchten aussieht, handelt auch fürchterlich Schaffensprozeß,
werfen Agnes Miegel, die in Bad zudem enthält
Nenndorf ihren Lebensabend ver- das Buch Reflexionen über Lite-
brachte, eine zu große Nähe zum ratur, Musik, Oper und Theater.
Nationalsozialismus vor. (tha)

„Pille danach“: Kritik

an Rezeptfreiheit
MÜNSTER. Kritik an der Ent-
scheidung der EU-Kommission,
daß die „Pille danach“ künftig re-
zeptfrei in Apotheken verkauft wer-
den darf, hat die in den Unions-
parteien tätige Initiative „Christde-
„Die Freiheit ist halt futsch“
Outlaws werben um Verständnis: Marcel Wehns Dokumentarfilm „Ein Hells Angel unter Brüdern“
SEBASTIAN HENNIG Ist heute anders geworden.“ Das ver-
nichtende Fazit sagt er ganz leise, wie
nebenbei: „Aber im Augenblick ist die
Freiheit halt futsch.“
Subkulturen. Die Rocker sind für ihn ei-
ne gewalttätige Subkultur, die nicht aus
den Augen gelassen werden darf. Zu den
Beteuerungen Schelhorns meint Pietsch
Sozialstunden, ein moderner Ablaß für
die notorische Sündhaftigkeit der Rok-
ker. Doch hätte es diese damals gegeben,
wären sie unzweifelhaft als asoziale Ele-
Unterbrochen werden die Schilde-
rungen von einer dreiteiligen Poe-
tikvorlesung zum Thema „Pathos
und Präzision“, die Krausser an der
Ludwig-Maximilians-Universität
München gehalten hat. Darin
findet sich dieser zeitlos schöne
Satz: „Auf den Stelzen des Pathos
steigt der Mensch hinweg über die
quälenden Untiefen der Existenz.“

M
mokraten für das Leben“ geübt. Es
handelt sich um das Medikament
EllaOne mit dem Wirkstoff Uli-
pristalacetat. Die Bundesregierung
hatte sich lange dagegen gesträubt,
das Mittel von der Rezeptpflicht zu
befreien. Nun kündigte das Bun-
desministerium für Gesundheit an,
der Entscheidung der Kommission
zu folgen. Der Arbeitskreis „Ethik
in der Medizin“ der CDL warnt
in einer Stellungnahme: „EllaOne
ist keinesfalls ein harmloses, sicher
wirkendes ‘Notfall-Medikament
zur Nachverhütung’, sondern ge-
fährdet die Gesundheit der Frau
und beendet früh das Leben des
möglicherweise schon entstan-
denen Embryos.“ Dies geschehe
durch die sehr hohe Hormondo-
sis, „die etwa der Größenordnung
der gesamten Monatspackung
üblicher Verhütungspillen ent-
spricht“. Während die EU streng
darauf achte, daß auf jeder Ziga-
rettenschachtel an die Risiken des
Rauchens erinnert werde, „wird
ausgerechnet bei einem Hormon-
präparat dieser hohen Wirkungs-
stufe der gesundheitliche Schutz
der Frauen völlig ausgeblendet“,
erklärte die CDL. (idea/JF)
Sprachpranger
Meister-Netzwerk –
Let’s keep in touch
Werbung der Handwerks-
kammer Hildesheim für
eine Mitgliedschaft in der
Gemeinschaft ihrer Meister
arcel Wehns Dokumentarfilm
„Ein Hells Angel unter Brü-
dern“ erzählt die vermutlich
letzte Station einer gelungenen Domesti-
kation. Der 1981 gegründete Stuttgarter
Charter des berüchtigten Motorradclubs
ist nach dem Verbot der Hamburger
1983 die älteste bestehende Gliederung
der Hells Angels in Deutschland. Der
Präsident Lutz Schelhorn versucht mit
Autorität nach innen und Eloquenz nach
außen die Freibeuter mit der Mehrheits-
gesellschaft auszusöhnen. Der Film be-
ginnt 2008 mit der Bestattungsfeier für
seinen verstorbenen Bruder Frank. Der
Motorrad-Korso um den geschmückten
Sarg ist so gesittet, daß er jede Diploma-
tenlimousine begleiten könnte.
Die Weberstraße ist ein Altstadtgäß-
chen, welches den Verlauf der früheren
Stuttgarter Stadtmauer nachzeichnet.
Gegenüber einem Bordell befindet sich
dort das Stuttgarter Lokal der Hells An-
gels. Mit seinen großen Ladenfenstern,
der Wandbeschriftung darüber, dem
Ausleger sowie den drei Stufen vor der
Eingangstür sieht es wie eine überkom-
mene Altstadtkaschemme aus.
Hochzeit in
Untersuchungshaft
Schelhorn blickt zurück auf die wilde
Vergangenheit. Seine Hochzeit hat er
in der Untersuchungshaft gefeiert. Die
Motorrad-Rocker waren noch jene un-
bändige Truppe, auf die heute nur noch
mit retrospektiver Nostalgie verwiesen
wird. Sie fuhren, wenn sie Lust dazu
hatten. „Ohne Helm, damals noch.“
Schelhorn arbeitete als Lastwagenfah-
rer und hat öfter mal gekündigt, wenn
ihm was nicht paßte. Problemlos fand
der zuverlässige Arbeiter dann neue An-
stellung: „Damals gab’s Jobs en masse.
Seit zehn Jahren ist er als Fotograf
tätig. Gemeinsam mit seiner Tochter
arbeitet er an einem Bildband über die
deutschen Hells Angels. Er will dem
Club ein Gesicht geben. Die Filmka-
mera begleitet die Fototermine ins frän-
kische Hof und nach Berlin. Die Ho-
fer Rocker kennen sich noch von der
Schulbank und sind nicht der einzige
Motorradclub der Gegend. Man kommt
offensichtlich miteinander aus. Immer
muß Schelhorn die Männer darum bit-
ten, etwas freundlicher in die Kamera
zu schauen, sich etwas gelassener zu po-
sitionieren.
Hells Angel „Kalli“
tötete einen SEK-Beamten
Seine schwarzweißen Fotos sind von
bezwingender Dichte. Sie ästhetisieren
den Anschein einer Freiheit, die viel-
leicht nie wiederkehrt. Denn die Frei-
heit, welche die Clubmitglieder heute
pflegen, unterscheidet sich kaum noch
von dem trügerischen Gefühl der Auto-
fahrer, die sich frei wähnen, weil sie ihren
Wagen nach den Regeln der Straßen-
verkehrsordnung selbst steuern und auf
der Autobahn schneller unterwegs sein
dürfen als sonst. Der Motorradfahrer
ist nur noch die Freiluftvariante davon.
Seine Ansätze waren einmal ande-
re. Ein Kamerad berichtet, wie sie sich
schon als Kinder Kutten bastelten und
einen ausladenden Lenker an den Draht-
esel bauten. Sie dachten, später wird das
alles vorbei sein. Doch dann ist es doch
anders gekommen: „Wir leben unser
Leben wie Teenager.“ Der adulte Pu-
bertätszustand hat seinen Preis.
Der Film zeigt alle Seiten. Eine da-
von vertritt Willi Pietsch. Der Krimi-
nalhauptkommissar beschäftigt sich in
Stuttgart mit Jugendkriminalität und
einschränkend: „Ich glaube, daß er sich
zumindest in den letzten Jahren daran
hält. Er ist nicht der Club. Viele andere
machen das nicht.“
So tötete der Hells Angel Karl-
Heinz „Kalli“ B. vor vier Jahren durch
eine Milchglastür den Beamten eines
Sondereinsatzkommandos. Als sich die
Männer in den Morgenstunden an sei-
ner Wohnungstür zu schaffen machten,
meinte er, Mitglieder der feindlichen
Bandidos hätten es auf ihn abgesehen.
Wegen Putativnotwehr wurde er vom
Gericht freigesprochen. Pietsch gesteht
in diesem Fall Fehler beim Vorgehen der
Beamten ein. Von den beschlagnahm-
ten Waffen, die er zeigt, stammen kaum
welche von Rockern. Beim letzten Zwi-
schenfall standen die sich mit bloßen
Fäusten gegenüber. Ein Feuerlöscher
und ein Barhocker passen aber nicht
gut in die Asservatenkammer.
Der Staat bekämpft sie
als kriminelle Vereinigung
In der Informationsveranstaltung
über Rockerkriminalität des Landeskri-
minalamts Berlin sitzen sie wie Jugend-
liche bei den Ermahnungen des Sozial-
arbeiters und nicken andächtig, wenn
Schandtaten einzelner Mitglieder als
menschenverachtend angeprangert wer-
den. Drohgebärden mit Macheten hält
Schelhorn für „net rockertypisch“. Er
empfindet die Ausweitung der Waffen-
gesetze als Entmündigung und meint:
„’n Messer war noch nie ’ne Waffe.“
Mit dem Club besucht er die Stasi-
Gedenkstätte in Berlin-Hohenschön-
hausen. Die Rocker posieren in einer
der Zellen. Wenn Schelhorn eine Schü-
lergruppe über die NS-Gedenkstätte am
Stuttgarter Nordbahnhof führt, wirkt
das wie prophylaktische Ableistung von
mente gemeinsam mit Zigeunern und
Landstreichern interniert worden.
Der Traum von Brüderlichkeit und
Freiheit stößt heute wieder auf ähnli-
che Zurückweisung. Mit der Austrock-
nung des Milieus soll die Kriminalität
selbst verschwinden. Doch das Verbre-
chen insgesamt für austilgbar zu halten,
ist nicht weniger naiv, als der Versuch
Schelhorns, die Rocker als freundliche
Jungs von nebenan zu präsentieren. Mit
der Anfechtung der Club-Verbote von
2011 unter dem Gesichtspunkt, daß ein-
zelne Delikte nicht als Vereinszweck be-
zeichnet werden können, vermochten
sich die Rocker am Landgericht nicht
durchzusetzen. Seither gab es fünf wei-
tere Verbote. In Baden-Württemberg ist
derzeit sogar das öffentliche Zeigen der
Vereinszeichen strafbar.
In ihrer Einstehensgemeinschaft sieht
die Staatsmacht einen Widerspruch zu
ihrem Gewaltmonopol und bekämpft
sie als kriminelle Vereinigung. Gesün-
der wäre es, regelmäßig zu jäten, anstatt
die gesamte Vegetation zu vernichten.
Denn nicht jedes Wildkraut ist ein Un-
kraut, und nicht jeder, der zum Fürch-
ten aussieht, handelt auch fürchterlich.
Aber wir stellen die Sicherheit über die
Freiheit. Am Ende des Films wird von
der Selbstauflösung vieler Hells-Angels-
Charter berichtet, die damit einer Ein-
ziehung ihres Vermögens durch Vereins-
verbot zuvorkommen. Wie grotesk es
eigentlich ist, sich als erklärte Outlaws
ins Vereinsregister eintragen zu lassen,
davon ist im Film nicht die Rede. Zu-
letzt erfahren wir, daß Frank Schelhorn
weder an einem Zweikampf noch durch
einen Unfall gestorben, sondern einem
Herzinfarkt erlegen ist.
Der Film läuft ab 15. Januar in den Kinos.
An nur allzu vielen Zeitgenos-
sen stört vor allem ihre auch noch
als Empathie maskierte Nieder-
tracht.
Kochen Sie gern und bevor-
zugen deutsche Küche? Dann ist
Tim Mälzer ihr Mann. Der noch
43jährige (am Donnerstag nächster
Woche hat er Geburtstag), aus dem
Fernsehen hinlänglich bekannte
Koch hat kürzlich ein „Heimat“
betiteltes Kochbuch vorgelegt. In
seiner Einleitung singt Mälzer ein
Loblied auf die deutsche Küche,
ihre regionalen Besonderheiten
und Traditionen, ihre Vielfalt. Er
schreibt: „Deutschland ist ein ku-
linarisches Schlaraffenland und
muß sich nicht verstecken hinter
italienischer Vielfalt oder franzö-
sischer Kochkunst.“ Jawohl, so ist
es! Überall in unserer Heimat „fin-
den sich handwerklich arbeitende
Produzenten und eine erstaunliche
Produktvielfalt, die es zu unterstüt-
zen gilt“ (Mälzer). Das Buch ent-
hält über 120 Rezepte von A wie
Aal mit Aprikosen und Möhren-
püree über L wie Labskaus bis Z
wie Zwiebelstippe. Natürlich feh-
len auch nicht Klassiker wie Brat-
kartoffeln, Hackbraten und Hüh-
nerfrikassee, Königsberger Klop-
se, Matjes nach Hausfrauenart,
Senfeier, diverse Spargelgerichte,
Tafelspitz, Wurstsalat, außerdem
Apfelstrudel, Christstollen, Reibe-
kuchen und vieles mehr. Erschie-
nen ist das exzellent ausgestattete
Kochbuch „Heimat“ im Mosaik-
Verlag, München 2014 (gebunden,
304 Seiten, etwa 300 farbige Ab-
bildungen, 19,99 Euro). Vertrauen
Sie mir, Sie werden begeistert sein!

Zeitschriftenkritik: Clausewitz CD-Kritik: Feuerschwanz

Abwehrkampf in Ostpreußen Pennäler-Zoten

WERNER OLLES In Ostpreußen entbrannte – wie wenige Wochen zuvor ist längst unmöglich und die zurückgelassenen Waf- SEBASTIAN HENNIG als Selbstironie unter Beibehaltung der
an der Westfront – der Endkampf um das Reich. Als fen fallen in die Hände der Roten Armee. Sie kann guten Laune durchgehen. Immerhin
die russischen Panzerspitzen Ende Januar 1945 das schließlich aufgrund ihrer Überlegenheit den Kampf ist die Maskerade weit weniger verbis-

I m Herbst 1944 greift die Rote Armee den Nordosten

des Deutschen Reiches an. Anfang 1945 steht ganz
Ostpreußen in Flammen. Ziel ist die Einkesselung der
Frische Haff nördlich von Elbing erreichen, ist der
Rückzugsweg sowie der Fluchtweg nach Westen ver-
sperrt, nur der Weg über die Ostsee ist noch frei, um
in Ostpreußen stehenden deutschen Verbände und die das Gebiet von Danzig und die Seehäfen zu erreichen
Zerschlagung der eingeschlossenen Einheiten. Obwohl und die mehr als zwei Millionen Flüchtenden in Si-
die Übermacht der Roten Armee erdrückend ist, stößt cherheit zu bringen. Das Überqueren des zugefrorenen
sie auf hartnäckige Gegenwehr. Dennoch können die Haffs ist jedoch mit Risiken, wie dem Einbrechen der
Deutschen das weitere Vordringen der Roten Armee Pferdefuhrwerke und dem Beschuß durch sowjetische
nicht aufhalten. Es mangelt an Waffen, Munition Tiefflieger, verbunden. Die gleichzeitig von Einheiten
und Treibstoff. Erschwerend kommt hinzu, daß der der Kriegs- und Handelsmarine, der Luftwaffe und des
geringe Kampfwert der Volkssturmmänner nicht mit Heeres durchgeführte Evakuierungsaktion „Operati-
dem der erfahrenen Frontsoldaten vergleichbar ist. on Hannibal“ erstreckt sich nicht nur auf Zivilisten,
Währenddessen hat der Gauleiter von Ostpreußen, sondern auch auf Soldaten der eingekesselten Heeres-
Erich Koch, eine rechtzeitige Evakuierung der Zivil- verbände. Etwa 250 Schiffe und Boote gehen durch
bevölkerung unterbunden. Feindeinwirkung verloren, darunter auch die Groß-
Die aktuelle Ausgabe (1/2015, Januar–Februar) des schiffe „Wilhelm Gustloff“, „Steuben“ und „Goya“.
Magazins für Militärgeschichte Clausewitz schildert in Viele Flüchtlingstrecks werden von den russischen
ihrem Titelthema das Inferno, das sich vor 70 Jahren Verbänden eingeholt und überrollt. Zahllose Fälle sind
zu einer der längsten und dramatischsten Entschei- belegt, in denen Rotarmisten Frauen und Mädchen
dungsschlachten des Zweiten Weltkriegs entwickelte. jeden Alters vergewaltigen. Militärischer Widerstand
um Ostpreußen – mit hohen eigenen Verlusten – für
sich entscheiden.
Ein weiterer Beitrag befaßt sich mit der Invasion
in der Schweinebucht 1961. Das Ziel der vom US-
Geheimdienst CIA initiierten Invasion war der Sturz
des kubanischen Staatschefs. Fidel Castro hatte nach
der Machtübernahme amerikanische Grundbesitzer
enteignet und Betriebe verstaatlicht; die Amerikaner
schäumten vor Wut. Die CIA arbeitete mit dem Un-
ternehmen „Zapata“ einen Plan aus, der eine Invasi-
on Kubas vorsah, die jedoch
aufgrund schwerer taktischer
Fehler kläglich scheiterte.
Kontakt: Clausewitz, Infanterie-
str. 11a, 80797 München. Das Ein-
zelheft kostet 5,50 Euro, ein Jah-
resabo (6 Hefte) 29,70 Euro zu-
züglich Versand.
www. clausewitz-magazin.de
E ine Frau und fünf Männer bilden
den „Feuerschwanz“. Das Rock-
instrumentarium wird mittelalter-
lich erweitert um Pfeife, Geige, Leier
und Bouzouki. Die Stimmungsmusik
im Ritterkleid ist zum gemeinsamen
Schunkeln und Schwanken oder zum
Met-seligen Mitgrölen gedacht. Auf
die Frage: „Wonach gelüstet uns denn
heute Nacht?“ geht nur die Erwiderung:
„Blöde Frage, Saufgelage!“ Die Botschaft
ist äußerst schlicht: „Ja, wir feiern unser
Leben lang! Und wir stoßen an – auf
den Untergang!“
Eine ungehörige Portion Anstößig-
keit auf dem Niveau von Pennäler-Zoten
findet sich in jedem Lied des Albums
„Auf ’s Leben“. Die Feststellung „...
der Gitarrist hat auf der Bühne immer
den Längsten“ könnte durchaus noch
sen grimmig als bei den meisten dieser
feuerspeienden Rammstein-Derivate in
Harnisch und Lederwams. Die Grenzen
ihrer Wehrhaftigkeit sind Feuerschwanz
nur zu bewußt. Es sind drei Dinge, die
der Teufel schuf, um den „Mann aus
Metall“ zu schwächen: „Wein, Weiber
und Kohlenhydrate.“ Bevor zum Aus-
gang schon wieder „Frisch gezapft“ wird,
fordert „Der Druide“ in archaischen Ru-
nen zur derben Selbstberauschung auf.
„Nehmt die Hände hoch und feiert je-
den Tag“, übersetzen es die Musikanten.
Feuerschwanz
Auf‘s Leben
F.a.M.E. Artist Recor-
dings (Sony Music)
www.feuerschwanz.
de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015 K U L T U R | 15

GegenAufklärung DVD: Gesichter des Januar

Stilsicher,
KOLUMNE VON KARLHEINZ WEISSMANN nostalgisch

Von Werner Olles

»Man kann gegen Amazon sagen,
was man will, wenigstens wird der
Kunde gesiezt.« A then, Anfang der 1960er
Jahre. Der junge Amerikaner
Rydel (Oscar Isaac) arbeitet auf
der Akropolis als Fremdenführer.

D as verzweifelte Bemühen, den zur Behauptung, weißer Zucker diene Nebenbei lebt er von kleinen Gau-

FOTO: SEMPEROPER DRESDEN / © MATTHIAS CREUTZIGER

Anschlag auf die Satirezeitung
Charlie Hebdo in den gewohnten
Deutungsrahmen einzupassen, die
Irritation über den offenen Brief des
französischen Generals Martinez
an Präsident Hollande nach dessen
Forderung, jedem Einwohner, egal
welcher Herkunft, das Wahlrecht zu
geben, die gewalttätigen Proteste in
den römischen Vorstädten gegen die
weitere Unterbringung von Migran-
ten, die schäumende Wut des Esta-
blishments angesichts von Pegida und
das angstvolle Starren auf das Ab-
schneiden der Schwedendemokraten
bei den kommenden Reichstagswah-
len, das alles sind Indizien dafür, wie
weit „pays réel“ und „pays légal“ nicht
nur hierzulande auseinanderdrif-
ten. Die Begriffe unterscheiden das
„wahre Land“ der einfachen Leute,
in der Provinz, die arbeiten, Kinder
aufziehen, Steuern zahlen und sich
für das Ganze nur dann interessieren,
wenn sie ihre Existenz bedroht sehen,
vom „legalen“, also „offiziellen Land“
der Modernen, der Wurzellosen, der
der Verwandlung der Bevölkerung in nereien und wartet auf das große
Zombies) geglaubt hatte, daß damit Abenteuer. Während einer Füh-
die Sache selbst getroffen sei, saß ei- rung lernt er seinen Landsmann
nem folgenschweren Irrtum auf. Chester MacFarland (Viggo Mor-
˜
Die Zeitschrift Geo führt unter
ihren Lesern eine „Große Umfra-
tensen) und dessen schöne junge
Ehefrau Colette (Kirsten Dunst)
kennen. Rydel freundet sich mit
ge“ zum Thema „Welche Macht ha- den beiden an, zumal ihn Colette
ben Rituale?“ durch. Dabei geht es an seine Jugendliebe erinnert und
um alle entscheidenden Bereiche: Chester an seinen kürzlich verstor-
die Bedeutung von Ritualen für das benen Vater, einen Archäologen,
Selbstverständnis einer Kultur, für die Gänsemagd (Barbara Senator) und Königssohn (Tomislav Mužek): Unmärchenhafte Inszenierung mit dem er sich jedoch entzweit
Stabilisierung der Gemeinschaft, für hatte.
die Initiation, für die Erziehung. Der Das Paar lädt ihn zusammen
Vorgang steht nicht isoliert da. Im Be- mit seiner Freundin zum Abendes-
reich des Populärwissenschaftlichen
kann man die Beschäftigung mit ähn-
lichen Zusammenhängen seit einiger
Mit Moral modisch verpackt sen ein, doch Rydel hat nur Augen
für Colette. Als ihm während der
Heimfahrt deren goldener Armreif
Zeit beobachten. Ganz froh wird man in die Hände fällt, den ihr Che-
der Sache trotzdem nicht. Denn be-
Doppelt verkannte „Königskinder“: Humperdincks musikdramatisches Märchen ster kurz zuvor zum Geschenk ge-
stenfalls geht es um Verständnis für erfährt an der Dresdner Semperoper eine unangemessene Aktualisierung macht hatte, läßt er sich zurück
Defizite, unter denen eine atomisierte zum Hotel bringen, um Colette
Gesellschaft leidet, wahrscheinlicher das Armband zu übergeben und
um ein Signal der Hilflosigkeit, weil SEBASTIAN HENNIG jedes Publikum auf verschiedenen We- rigbleibt, wird in tiefenpsychologischer sie wiederzusehen. Im Hotel über-
hier nach Einsicht in die Funktion gen zur gleichen wahren Empfindung Spekulation ertränkt. Das Bühnenbild rascht er Chester bei der Beseiti-
des Rituals ernsthaft geglaubt wird, zu führen. Schlicht und primitiv sind von Christian Schmidt ist einfach nur gung eines offenbar bewußtlosen
es ließen sich aufgrund dessen neue aber zwei verschiedene Dinge, ebenso langweilig. Stets ist ein Treppenhaus zu Mannes. Der Mann war ein Pri-

Mächtigen in den Metropolen und
ihrer Entourage, die so oder so be-
rufsmäßig von der Politik leben. Für
gewöhnlich sieht der „pays réel“ dem
Treiben des „pays légal“ wohlwollend
oder achselzuckend zu, aber es kann
eben durchaus geschehen, daß die
Entwicklung einen Punkt erreicht, an
dem die übliche Passivität umschlägt
in ihr Gegenteil.
„erfinden“. Die Macht der Rituale
beruht aber nicht zuletzt darauf, daß
ihre Stiftung verschleiert und ihre An-
nahme wenig mit ihrer wohltuenden
Wirkung zu tun hat.
˜ volkstümlichen Erfolg mit „Hänsel und
Folgt man der Argumentati-
on des Mainstreams, gibt es einen
zwingenden Zusammenhang zwi-
schen Auschwitz, Rechtsradikalis-
I
n der Opernfassung von 1910 sind wie mehrdeutig und beliebig. Die ge- sehen, ganz gleich ob in Hellawald oder vatdetektiv, der hinter Chester her
Engelbert Humperdincks „Königs- heimnisvolle Wahrheit einfach geschehen Hellastadt. Die Natur wird besungen, war, weil dieser seine Klienten bei
kinder“ in Dresden auf die Bühne zu lassen, erfordert den größten Mut. aber sichtbar höchstens einmal durch zwielichtigen Geschäften um ho-
gekommen. Mit diesem selten aufgeführ- Diese Inszenierung bringt ihn nicht auf. das Fenster. Bühnenbild und Kostüm
ten Werk wollte Humperdinck an seinen Sie zerhaut mit der schwerfälligen Moral zitieren die Mode der dreißiger Jahre. DVD/Blu-ray:
ein ganzes Gespinst an Bedeutungen. Wenngleich auf eindeutigere politi- Die zwei Gesich-
Gretel“ anknüpfen und ihn zur großen Den Märchenkram glaubt sie als mo- sche Symbole verzichtet wird, so ist doch ter des Januars.
Studiocanal /
Tragödie ausbauen. dische Verpackung ganz beiseite lassen das Stück bereits im Kern beschädigt Arthaus 2014,
Die Geschichte ist düster bis tiefdun- zu können. durch die ganz unmärchenhafte Insze- Laufzeit etwa
kel. Die edle Abkunft der Königstoch- Das Libretto wurde Humperdinck nierung. Die widerspricht zudem ihrer 94 Minuten

˜
Bildungsbericht in loser Folge
LXVIX: Die Schweiz gehört zu den
wenigen europäischen Ländern, die
dem Abitur-für-alle-Wahn nicht ver-
fallen sind. Der sogenannte „Lehr-
plan 21“ könnte das ändern und hat
deshalb die volle Unterstützung von
OECD und Politischer Klasse und
trifft auf den Widerstand von SVP
und Basis.
mus, Fremdenfeindlichkeit, Pegida
und AfD und gar keinen zwischen
ter als Gänsemagd und des Prinzen als
Schweinehirt wird von den satten Stadt-
durch den befreundeten Wagner-Apolo-
geten Heinrich Porges ans Herz gelegt,
eigenen Logik. Wenn die Hexe das Volk
warnt: „Ihr sucht einen König? Fürchtet he Beträge geprellt hatte. Chester
Masseneinwanderung, Islam, Islamis- bürgern grausam verkannt. Die Edlen dessen Tochter Elsa Bernstein es verfaßt ihn!“, dann will sie diesem Angst vor und Colette, die von der krimi-
mus, Mordanschlägen und der Dau- finden einen elenden Tod. Anders als im hatte. Regisseurin Jetske Mijnssen grün- der Unterwerfung unter den legitimen nellen Vergangenheit ihres Gatten
erbedrohung durch Dschihadisten Schlußakt von Wagners „Parsifal“ taut det ihre Inszenierung nun auf dem nach- Herrscher einjagen, keineswegs vor ei- nichts wußte, verlassen überstürzt
mitten im Abendland. ihnen kein Karfreitagswunder die fro- träglich hergestellten Zusammenhang ner Diktatur bewahren. Ohne Zweifel das Hotel, Rydel schließt sich ih-
˜
Man kann gegen Amazon sagen,
was man will, wenigstens wird der
stige Erstarrung der winterlichen Land-
schaft. Auch wird ihr Liebestod nicht
von eigener Leidenschaft bewirkt, wie
des Märchendramas mit dem späteren
Schicksal der Autorin als Deportierte
in Theresienstadt. Damit werden viele
führen sich die Bürger von Hellabrunn
im zweiten Akt in Erwartung des ver-
heißenen Königs mehr fürchterlich als
nen an. Er erklärt sich bereit, ih-
nen neue Pässe zu verschaffen. Auf
Kreta erfährt er, daß der Mann,
Kunde gesiezt. bei „Tristan und Isolde“. Sie tötet die Feinheiten der Handlung unterschla- ehrfürchtig auf. den Chester niedergeschlagen hat,

˜
Beim Anschlag in Paris ging es
nicht in abstracto um eine Attacke auf
die Freiheit oder die Aufklärung oder
die Republik, sondern in concreto um
die Ermordung europäischer Journa-
listen durch Terroristen mit Migrati-
onshintergrund, nicht um religiösen
Fanatismus im allgemeinen, sondern
um islamischen im besonderen.
˜
„Massenbewegungen sind elemen-
tare Vorgänge; sie sind Durchbrüche,
sind Entfesselungen menschlicher Ur-
kräfte. Sie treten auf, wenn Lebens-
ordnungen zerfallen, gesellschaftliche
Zustände sich zersetzen, der bisher
festgefügte Boden menschlichen Da-
seins zu erbeben begann. Da werden
überlieferte Anschauungen fragwür-
dig; ererbte Wertungsweisen über-
gewaltsame Ausgrenzung von der Ge-
meinschaft, der sie dienen wollen. Daß
dieses Ende wohl gnadenlos, doch nicht
gen und die Bewohner der Märchenstadt
Hellabrunn schlichtweg zum dumpfen
Tätervolk gemacht. Statt echter Tragik
Die Fabel sollte gerade dem heuti-
gen Publikum zu denken geben. Neuere
Untersuchungen gestehen dem Kaiser-
tot ist. Die Situation eskaliert, als
Colette Rydel Avancen macht und
Chester zunehmend eifersüchtig
hoffnungslos bleibt, bewirken allein die herrscht ein wahres Grauen. Unange- tum Wilhelms II. zu, die demokratisch- reagiert …
Kinder der Stadt. Mit dem Spielmann messene Aktualisierung und psycholo- ste Monarchie Europas gewesen zu sein. „Die zwei Gesichter des Janu-
als Anführer und Botschafter bewahren gische Zerfahrenheit durchkreuzen die Daß die NS-Diktatur geradewegs aus ars“ (The Two Faces of January,
sie das Andenken an die Königskinder. ursprüngliche Aussage auf zweierlei Wei- seiner autoritären Monarchie entstan- 2014) ist ein leiser, ästhetischer
Und in Dresden retten sie beinahe auch se. Robuste Naturen können nun mit den wäre, mit diesem falschen Gedanken Thriller, der zwar nicht mit der
die Inszenierung. der Empörung über fremde Harther- spielt die Inszenierung. „Königskinder“ Raffinesse der Ripley-Adaptionen
Es gibt, wie in anderen Märchenopern zigkeit die eigene Gefühlskälte anhei- handelt von der Verwirrung eines entfes- („Nur die Sonne war Zeuge“, „Der
Humperdincks, volkstümliche Lieder- zen und gleichen damit paradoxerweise selten materialistischen Mobs. Der Text talentierte Mr. Ripley“) mithalten

˜
Wer angesichts des Aufstiegs der
Ökologie- und Friedensbewegung
in den siebziger Jahren und der Eta-
blierung der Grünen in den achtzi-
ger Jahren deren Durchdringung mit
wahlweise moskau-, peking- oder tira-
nahörigen Kommunisten sowie RAF-
Verstehern oder der Menge an Vor-
strafen in ihrer Führungsmannschaft
oder der Fixierung auf Verschwö-
rungstheorien in der Masse (von der
Annahme, daß das Großkapital im
Bunde mit den Mächtigen und den
Medien die Atomindustrie stütze, bis
zeugen nicht mehr; alte Gewohnhei-
ten wirken unzeitgemäß; moralische
Bindungen verlieren ihre Kraft. Was
heilig war, ist entweiht; wo Ehrfurcht
gewaltet hatte, wagt sich Zudring-
lichkeit vor. Man entschlägt sich der
geistigen Zucht, in die man ehedem
genommen worden war und gibt die
seelische Haltung preis, die man einst
geglaubt hatte, sich selbst schuldig zu
sein.“ (Ernst Niekisch)
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Histo-
rikers Karlheinz Weißmann erscheint am
30. Januar in der JF-Ausgabe 6/15.
Miniaturen. Die Kinder tollen: „Ri ra ro,
nun sind wir alle froh!“ Auch der Spiel-
jenen Bürgern von Hellabrunn, welche
die Königskinder darum vertreiben, weil
von Elsa Bernstein zeigt, daß man sich
der Fragilität der Monarchie seinerzeit
kann, aber dennoch an den einen
oder anderen Hitchcock- oder Film
mann erscheint mit Sang auf den Lippen: sie diese in anderer Gestalt erwarten. Der bewußt war. Etwas mehr an zarter Trau- noir erinnert. Wunderbar altmo-
„Drei Narren zogen aus, um zu suchen feiner empfindende Zuschauer ist ver- er um Verlorenes hätte der Inszenierung disch-klassisch inszeniert von Re-
ein Hahnenei. Hei! Hei! Tandaradei!“ loren, wenn die plattgewalzte einseitige dieses melodramatischen Märchens bes- giedebütant Hossein Amini, wartet
Die Dresdner Staatskapelle unter dem Botschaft ihn gegen die subtileren Mit- ser angestanden. Schöne Anklänge daran der nicht ganz werkgetreue, feine
estnischen Dirigenten Mikhel Kütson teilungen des Werks verhärtet. geben Christoph Pohl als Spielmann, sein Patricia-Highsmith-Krimi nicht
zeigt, welcher Reiz dieser Musik inne- Märchen werden heute für Kinder- kindlicher Begleiter, der Kruzianer Georg nur mit Stilsicherheit auf, sondern
wohnt. Am stärksten kommt das in den literatur gehalten und darum meist in Bartsch und die Schar des Kinderchors. vor allem mit großartigen Akteu-
instrumentalen Passagen zum Ausdruck. geglätteten Bearbeitungen vorgelesen. ren wie der umwerfenden Kirsten
Besonders das furios volkstümliche Vor- Den Kindern sollen die tiefschwarzen Dunst und dem charismatischen
Die nächsten„Königskinder“-Vorstellungen
spiel zum zweiten Akt ist voller Anmut Züge und die Bitterkeit nicht mehr zu- in der Semperoper Dresden, Theaterplatz 2,
Viggo Mortensen. Cineasten, die
und Kraft. Doch diesen Geist kann sich gemutet werden. Hier wurde nun das finden am 17. und 25. Januar statt. Kartente- wert auf Thriller voller Spannung,
die Inszenierung auf die Länge nicht be- dunkle Verhängnis von jeder Tröstlich- lefon: 0351 / 49 11-705 Atmosphäre und Nostalgie legen,
wahren. Das schlichte Märchen vermag keit befreit. Was an Märchenhaftem üb- www.semperoper.de kommen hier auf ihre Kosten.

TERMINE
BADEN-BADEN
Bis 01.03.2015: Krieg spielen.
Kunst und Propaganda vor dem
Ersten Weltkrieg. Ausstellung im
Museum LA8 – Museum für Kunst
und Technik des 19. Jahrhunderts,
Lichtentaler Allee 8. Täglich außer
montags 11 bis 18 Uhr. Info:
072 21 / 50 07 96 - 0, www.la8.de
BASEL
Bis 15.02.2015: 14/18 – Die
Schweiz und der Große Krieg. Aus-
stellung im Museum für Geschich-
te, Barfüsserplatz. Täglich 10 bis 17
Uhr. Info: 00 41 / (0)61 / 205 86 02,
www.hmb.ch
BASEL (RIEHEN)
Bis 18.01.2015: Gustave Courbet.
Ausstellung in der Fondation
Beyeler, Baselstrasse 101. Täglich
10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr.
Info: 00 41 / 61 / 645 97 00
BERLIN
03.02.2015: „Treffpunkt´89. Von
Bis 28.06.2015: West:Berlin. Eine
Insel auf der Suche nach Festland.
Ausstellung im Stadtmuseum,
Poststraße 16. Täglich außer mon-
tags 10 bis 18 Uhr, Mi. 12 bis 20
Uhr. Info: 030 / 240 02 - 162, www.
stadtmuseum.de
BERNRIED
Bis 01.02.2015: Lothar-Günther
Buchheim – Feldafinger Bilder
1945–1996. Ausstellung im Buch-
heim-Museum, Am Hirschgarten
1. Täglich außer montags 10 bis 17
Uhr. Info: 08158 / 99 70 20, www.
buchheimmuseum.de
BONN
Bis 06.04.2015: Festakt oder Pick-
nick? Deutsche Gedenktage. Aus-
stellung im Haus der Geschichte,
Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee
14. Täglich außer montags 9 bis
19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Info:
02 28 / 91 65 - 0, www.hdg.de
Bis 22.02.2015: Outer space. Fas-
DARMSTADT
Bis 25.01.2015: Karl der Große.
1200 Jahre Mythos und Wirklich-
keit. Ausstellung im Hessischen
Landesmuseum, Friedensplatz
1. Täglich außer montags 10 bis
18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Sa./So. 11
bis 17 Uhr. Info: 06 51 / 16 57 - 000,
www.hlmd.de
DRESDEN
Bis 18.01.2015: An der Wiege der
Kunst. Italienische Zeichnun-
gen und Gemälde von Giotto
bis Botticelli. Ausstellung im
Residenzschloß, Kupferstich-
Kabinett, Taschenberg 2. Täglich
außer dienstags 10 bis 18 Uhr.
Info: 03 51 / 49 14 20 00, www.skd.
museum
Bis 19.04.2015: Blicke! Körper!
Sensationen! Ein Anatomisches
Wachskabinett und die Kunst.
Ausstellung (JF 45/14) im Deut-
schen Hygiene-Museum, Lingner-
platz 1. Täglich außer montags 10
von rund 150 Werken (Reportage- Täglich außer montags 10 bis 13 u. INGOLSTADT – Moderne. Ausstellung im Wallraf- Uhr. Info: 089 / 21127 113, www. Hölle“. Der Erste Weltkrieg und die
Fotografie, Dokumentarfilme, 14 bis 17 Uhr, Sa. 14 bis 17 Uhr, So. Bis 03.08.2015: „Dieser Stellungs- Richartz-Museum, Obenmarspfor- hausderkunst.de Sinne. Ausstellung im Haus der
Video) im Museum für Kunst und 11 bis 17 Uhr. Info: 0 23 23 / 16 10 und Festungskrieg ist fürchterlich“. ten 40. Täglich außer montags 10 Geschichte, Konrad-Adenauer-
Gewerbe, Steintorplatz. Täglich 72, www.herne.de Kriegsbeginn 1914. Ausstellung bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info: NÜRNBERG Straße 16. Täglich außer montags
außer montags 10 bis 18 Uhr, Do. des Bayerischen Armeemuseums 02 21 / 22 12 11 19, www.wallraf. Bis 22.02.2015: Von oben gesehen. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info:
bis 21 Uhr. Info: 040 / 42 81 34 - 880, Bis 08.02.2015: An der „Heimat- im Reduit Tilly, Klenzepark. Täglich museum Die Vogelperspektive. Ausstellung 07 11 / 212 39 89, www.hdgbw.de
www.mkg-hamburg.de front“ – Westfalen und Lippe im außer montags 9 bis 17.30 Uhr, Sa./ im Germanischen Nationalmu-
Ersten Weltkrieg. Ausstellung im So. ab 10 Uhr. Info: 08 41 / 93 77 - 0, LEIPZIG seum, Kartäusergasse 1. Täglich SULZBACH-ROSENBERG
HERNE Schloß Strünkede, Karl-Brandt- www.armeemuseum.de Bis 15.02.2015: Freiheit – Einheit außer montags 10 bis 18 Uhr. Mi. Bis 30.01.2015: All about Hank! Zu
Bis 08.02.2015: Der kleine Prinz Weg 5. Täglich außer montags 10 – Denkmal. Politische Denkmale bis 21 Uhr. Info: 0)911 / 1331-0, Leben und Werk von Charles Bu-
– Le Petit Prince. Ausstellung bis 13 u. 14 bis 17 Uhr, Sa. 14 bis KÖLN in Leipzig. Ausstellung mit Fotos, www.gnm.de kowski (1920–1994). Ausstellung
mit 20 Lithographien im Schloß 17 Uhr, So. 11 bis 17 Uhr. Info: 0 23 Bis 18.01.2015: Die Kathedrale. Dokumenten und Modellen im im Literaturarchiv /Literaturhaus
Strünkede, Karl-Brandt-Weg 5. 23 / 16 10 72, www.herne.de Romantik – Impressionismus Alten Rathaus, Markt 1. Täglich OBERHAUSEN Oberpfalz, Rosenberger Straße 9.
außer montags 10 bis 18 Uhr. Bis 18.01.2015: Streich auf Täglich außer montags und sams-
Info: 03 41 / 965 13 20, www. Streich. 150 Jahre deutschspra- tags 9 bis 17 Uhr, So. ab 14 Uhr.
stadtgeschichtliches-museum- chige Comics seit Max und Moritz. Info: 0 96 61 / 815 959-0, http://
leipzig.de Ausstellung in der Ludwiggalerie, literaturarchiv.de
Großes Schloß, Konrad-Adenauer-
Bis 09.08.2015: Unter Druck! Allee 46. Info: 02 08 / 412 49 28, WIEN
Medien und Politik. Ausstellung www.ludwiggalerie.de/ Bis 15.02.2015: Velázquez. Aus-
(JF 51/14) im Zeitgeschichtlichen stellung in der Gemäldegalerie
Forum, Grimmaische Str. 6. Täglich SCHWEINFURT des Kunsthistorischen Museums,
außer montags 9 bis 18 Uhr, Sa./ Bis 08.03.2015: Geliebte Tyrannin. Maria-Theresien-Platz. Täglich au-
So. ab 10 Uhr. Info: 03 41/ 22 20-0, Mode in Bildern des 19. Jahrhun- ßer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis
www.hdg.de/leipzig/ derts. Ausstellung im Museum 21 Uhr. Info: 00 43 / 1 / 525 24 - 0,
Georg Schäfer, Brückenstraße www.khm.at
MANNHEIM 20. Täglich außer montags 10
FOTO: AUSSTELLUNG / GENERALLANDESARCHIV KARLSRUHE

der Gegenwart einer Epochen-
zäsur“. Marko Martin liest aus
seinem Buch in der Gedenkbiblio-
thek zu Ehren der Opfer des Kom-
munismus e.V., Nikolaikirchplatz
5-7. 18 Uhr. Info: 030 / 2 83 43 27,
www.gedenkbibliothek.de
Bis 08.03.2015: RAF – Terrori-
stische Gewalt. Ausstellung im
Deutschen Historischen Museum,
Unter den Linden 2. Täglich 10 bis
18 Uhr. Info: 030 / 20 30 40, www.
dhm.de
Bis 09.03.2015: Im Banne der Ver-
wüstung. Max Liebermann, Max
Slevogt und der Erste Weltkrieg.
Ausstellung in der Liebermann-
Villa am Wannsee, Colomierstr. 3.
Täglich außer dienstags 11 bis 17
Uhr. Info: 030 / 80 58 59 00, www.
liebermann-villa.de
zination Weltraum. Ausstellung in
der Bundeskunsthalle, Friedrich-
Ebert-Allee 4. Täglich außer
montags 10 bis 19 Uhr, Di./Mi. bis
21 Uhr. Info: 02 28 / 91 71 - 200,
www.bundeskunsthalle.de
Bis 25.05.2015: Der Göttliche.
Hommage an Michelangelo. Aus-
stellung in der Bundeskunsthalle,
Friedrich-Ebert-Allee 4. Täglich au-
ßer montags 10 bis 19 Uhr, Di./Mi.
bis 21 Uhr. Info: 02 28 / 91 71 - 200,
www.bundeskunsthalle.de
Bis 09.08.2015: Immer bunter.
Einwanderungsland Deutschland.
Ausstellung (JF 3/15) im Haus der
Geschichte, Museumsmeile, Willy-
Brandt-Allee 14. Täglich außer
montags 9 bis 19 Uhr, Sa./So. 10
bis 18 Uhr. Info: 02 28 / 91 65 - 0,
www.hdg.de
bis 18 Uhr. Info: 03 51 / 48 46 - 400 Bis 01.03.2015: Von Atlantis bis 17 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info: WUSTRAU
bis heute. Mensch. Natur. 097 21 / 51 48 20, www.museum- Bis 22.02.2015: Kindheit auf dem
ESSEN Katastrophe. Ausstellung in georgschaefer.de Gut. Ausstellung im Brandenburg-
Bis 18.01.2015: Monet, Gauguin, den Reiss-Engelhorn-Museen, Preußen Museum, Eichenallee 7a.
van Gogh ... Inspiration Japan. Museum Zeughaus C5. Täglich SCHWERIN Täglich außer montags 10 bis 16
Ausstellung im Museum Folkwang, außer montags 11 bis 18 Uhr. Bis 01.02.2015: Kunstraub/Raub- Uhr. Info: 03 39 25 / 707 98,
Museumsplatz 1, außer montags Info: 06 21 / 293 31 50, kunst. Ausstellung in der Galerie www.brandenburg-preussen-
10 bis 18 Uhr, Fr. bis 22 Uhr. Info: www.rem-mannheim.de Alte & Neue Meister, Alter Garten museum.de
02 01 / 88 45 - 000, www.museum- 3. Täglich außer montags 10 bis
folkwang.de MÜNCHEN 17 Uhr. Info: 03 85 / 59 58 - 0, www.
Bis 18.01.2015: Canaletto. Bernar- museum-schwerin.de
HALLE (SAALE) do Bellotto malt Europa. Aus- ***
Bis 18.01.2015: Kriegszeit. Erich stellung in der Alten Pinakothek, SPEYER
Heckel 1914–1918. Ausstellung Barer Straße 27. Täglich außer Bis 28.06.2015: Titanic – Die
im Kunstmuseum Stiftung Mo- montags 10 bis 18 Uhr, Di. bis 20 Ausstellung. Echte Funde, Alle Angaben ohne Gewähr!
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Uhr. Info: 03 45 / 212 59 - 0, http:// Wilhelm Hempfing (1886–1948), Ausmarsch 1914, Farblithogra- Pfalz, Domplatz. Täglich 10 bis 18 weis? Ankündigungen schicken
stiftung-moritzburg.de Bis 01.02.2015: Georg Baselitz — Uhr. Info: 062 32 / 62 02 22, www. Sie bitte per Fax (030 / 86 49 53 14),
phie: Ausstellung „Krieg spielen. Kunst und Propaganda vor dem Er- Damals, dazwischen und heute. museum.speyer.de E-Post (redaktion@jungefreiheit.
HAMBURG Ausstellung (JF 2/15) im Haus de) oder Brief (Hohenzollern-
Bis 08.02.2015: Fette Beute –
sten Weltkrieg“ im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhun- der Kunst, Prinzregentenstraße 1. STUTTGART damm 27 a, 10713 Berlin) an die
Reichtum zeigen. Ausstellung derts in Baden-Baden (bis 1. März) Täglich 10 bis 20 Uhr, Do. bis 22 Bis 01.03.2015: „Fastnacht der JF-Terminstelle.
16 | K U L T U R
„Ich sage:
Wacht auf!“
„Charlie Hebdo“: Interview
der JF aus dem Jahr 2011
THORSTEN THALER
D er Terroranschlag auf die
Redaktion der französischen
Satirezeitschrift Charlie Hebdo, bei
dem neben zwei Polizisten zehn
Mitarbeiter des Blattes ermordet
wurden, war der weitaus fürch-
terlichste, aber nicht der erste
auf die Wochenzeitung. Bereits
Anfang November 2011 wurde
nach der Veröffentlichung von
Mohammed-Karikaturen ein
Brandanschlag auf die Redaktion
verübt. Für die junge freiheit
führte kurz danach Oliver Renault
ein Interview mit dem Chefredak-
teur Gérard Biard, das am 11. No-
vember (JF 46/11) erschien. Wir
dokumentieren einen Auszug:
„Diese Leute kennen
keine Toleranz“
Herr Biard, Ihre Zeitschrift, die sich
besonders durch ihre humoristischen,
spöttischen Zeichnungen einen Na-
men gemacht hat – ähnlich der „Ti-
tanic“ in Deutschland –, erschien
diese Woche ausnahmsweise unter
dem Titel „Charia Hebdo“. Auf dem
Titel eine Karikatur des Propheten
Mohammed und die Sprechblase:
„Hundert Peitschenhiebe, wenn ihr
euch nicht totlacht“. Eine Provoka-
tion gegenüber Muslimen?
Biard: Das war kein Akt der Pro-
vokation, sondern vielmehr eine
Reaktion auf die Wahl in Tunesien
und die Ankündigung, in Liby-
en die Scharia einführen zu wol-
len. Vor allem ging es uns dabei
auch um die Kommentare, die in
Frankreich zum Scharia-Prinzip
zu hören sind.
In welche Richtung gehen diese?
Biard: Man will uns weismachen,
daß nicht alles an der Scharia un-
bedingt schlecht sei, daß es auch
sanfte Versionen der Scharia gebe.
In Anbetracht dessen haben wir
ein Heft über die „sanfte Scharia“
gemacht. Wir fanden das sehr ko-
misch. Wir haben beschlossen, den
Propheten Mohammed als Gast-
Chefredakteur einzuladen, nach
dem Vorbild der Libération, die
Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens einlädt, eine Ausgabe zu
gestalten.
Doch die Illustrationen der „Charia
Hebdo“-Ausgabe zeigen, daß es kei-
ne gemäßigte Scharia gibt, sondern
lediglich ein strenges und äußerst
hartes islamisches Gesetz, das vom
demokratischen Gedankengut weit
entfernt ist. Ein Alarmruf?
Biard: Ich sage den Franzosen,
ich sage Europa und dem Westen
insgesamt, aber ich sage auch den
Journalisten: Wacht auf! Hört auf,
den politischen Islam zu unterstüt-
zen. Seid nicht naiv, diese Leute
kennen keine Toleranz und bedro-
hen sogar die Muslime, die ihrer
Meinung nach zu moderat sind.
Michel Houellebecq
Unterwerfung
Roman
Wir sind alle schockiert über die Nachricht aus Paris: Bei einem islamistischen Terror-
anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ wurden mindestens
12 Menschen getötet und mehrere verletzt. Wahrscheinlich passierte das Attentat
nicht zufällig an dem Tag, an dem in Paris der neue Roman von Michel Houellebecq
erschienen ist. Houellebecq schildert hier den Wandel Frankreichs zu einem islami-
schen Staat und wie sich die politische Klasse dieser Entwicklung unterwirft.
Brutaler könnten sich die vor der Gefahr des Islamismus warnenden Stimmen wie die
Pegida-Demonstranten kaum bestätigt sehen. Am 16. Januar erscheint Houellebecqs
Roman „Unterwerfung“ auf deutsch. Sichern Sie sich schon jetzt ein Exemplar.
Dieter Stein, JF-Chefredakteur
Aus dem Französischen von Norma Cassau, Bernd Wilczek
280 Seiten, gebunden, Best.-Nr.: 92575, EUR 22,99
Versunkene Welten entdecken
Die Archäologie war sein Steckenpferd: Eine Erinnerung an den
vor hundert Jahren geborenen Autor und Lektor C.W. Ceram
CLAAS NORDAU
E
igentlich wurde er janz jutbürger-
lich als Kurt Wilhelm Marek zu
Berlin geboren und schrieb beim
Berliner Börsenkurier Filmkritiken. Da
die Nationalsozialisten ihn jedoch in ei-
ne Propagandakompanie steckten und
er dort Durchhalteschinken wie 1941
„Wir hielten Narvik“ und 1943 „Rote
Spiegel – überall am Feind. Von den Ka-
nonieren des Reichsmarschalls“ verfassen
mußte, zog er nach Kriegsende einen ra-
dikalen Schlußstrich und manifestierte
dies durch einen neuen Namen. Ceram
ist nicht nur rückwärts zu lesendes Ana-
gramm, sondern die programmatische
Umkehrung einer Vergangenheit.
Als er aus der Gefangenschaft zurück-
kommt, stürzt er sich mit wahrer Lei-
denschaft in den Neuanfang, wird Feuil-
letonredakteur bei der soeben gegründe-
ten Welt, Cheflektor im Rowohlt-Verlag,
Redakteur beim damaligen Nordwest-
deutschen Rundfunk, Mitherausgeber
eines Jugendmagazins namens Benjamin.
Parallel dazu beginnt er mit Recherchen
zu einem Buch über die Geschichte der
Archäologie – ein Projekt, das bei Ernst
Rowohlt zunächst auf Skepsis stößt. Die
Neigung zu Reichen, vor allem solchen,
die vor Tausenden Jahren wie aus dem
Nichts entstanden und nicht nach zwölf
Jahren Größenwahn endeten, behält er.
Den Rest seines Lebens widmet er
der literarischen Aufarbeitung vergan-
gener Epochen, nutzt alle Quellen, derer
er habhaft werden kann, liest Oswald
Spenglers „Untergang des Abendlands“,
kommt aber zu dem Schluß, daß das
Abendland nicht vor dem Untergang,
sondern vor gewaltigen Neuentdeckun-
gen steht.
Bereits Kinder mußten Schwerstarbeit leisten
Einzigartige Industriegeschichte: Zur Ausstellung „Das weiße Gold der Kelten“ in Herne über den Salzbergbau im oberösterreichischen Hallstatt
HEIKO URBANZYK
D
ie Ausstellung über den Salz-
bergbau im oberösterreichischen
Hallstatt im westfälischen Herne
entbehrt nicht der Ironie: Während in
Hallstatt der Bergbau seit 7.000 Jahren
der Hauptwirtschaftsfaktor ist und erst
einmal bleiben wird, war der Kohleberg-
bau in den elf Zechen von Herne nach
kaum mehr als hundert Jahren Gold-
gräberstimmung bereits in den späten
Sechzigern weitestgehend am Ende.
Vom 900-Einwohner-Dorf 1843 zum
95.000-Einwohner-Industriestandort
1940 – das sind die Erfolgsgeschichten,
die eng mit dem Bergbau verbunden
sind. Heute erinnern nur noch Straßen-
namen, Knappenvereine und Denkmäler
an den Aufstieg zum Industriezentrum.
Im Landesmuseum für Archäologie
in Herne endet nun am 25. Januar die
Sonderausstellung „Das weiße Gold der
Kelten – Schätze aus dem Salz“. Warum
eine Ausstellung über Salzbergbau in
Hallstatt? Weil Hallstatt in vielerlei Hin-
Die Archäologie, die sich innerhalb
von 200 Jahren von der Liebhaberei eini-
ger Fürsten zur Wissenschaft entwickelt
hat, die die kulturelle Entwicklung der
Zivilisationen erforscht, liefert Indizien
für eine Evolution. Anlaß für Ceram,
die Höhepunkte ihrer Entwicklung ins
rechte Licht zu rücken. Da ist Johann
Joachim Winckelmann, der in Italien
erstmals historische Grabungsfunde aus
Pompeji und Herculaneum systematisch
erfaßt. Da Heinrich Schliemann, der
unbeirrbar Homers Odyssee glaubt und
Troja, Mykene und Tiryns ausgräbt. Da
Robert Koldewey, der ebenso unbeirrbar
Herodots Reisebeschreibungen glaubt
und Babylon findet.
Da ist der Franzose Jean-Francois
Champollion, der zwölf ausgestorbene
Sprachen spricht und die ägyptischen
Hieroglyphen als Konsonantenschrift
identifiziert und entziffert. Da der deut-
sche Lehrer Georg Friedrich Grotefend,
der anläßlich einer Wette die Keilschrift
knackt. Da der Amerikaner John Lloyd
Stephens – eine Art Indiana Jones –, der
für fünfzig Dollar in Guatemala eine
Stadt kauft, nur um sie in Ruhe ausgra-
ben zu können.
Vermittlung von
Forschungsergebnissen
Da gibt es ferner das ungeplünderte
Grab eines völlig unbedeutenden ägyp-
tischen Pharaos namens Tutanchamun,
dessen Inhalt 3.300 Jahre nach seinem
Tod unschätzbare Hinweise auf den Le-
bensstil einer untergegangenen Hoch-
kultur liefert. Da ist Emil Brugsch, der
innerhalb von 48 Stunden ein Sammel-
grab mit 40 Königsmumien evakuieren
muß, um sie vor Grabräubern zu schüt-
zen. Da Hernando Cortez, der mit ein
paar Soldaten das Aztekenreich besiegt,
sicht ein einmaliges Zeugnis menschli-
cher Tat- und Schöpfungskraft ist. Der
prähistorische Salzabbau begann vor
7.000 Jahren. Das ist bildlich gespro-
chen so lange her, daß selbst der urkund-
lich 1311 erstmals erwähnte historische
Abbau mit geschichtlichen Zeugnissen
konfrontiert wurde, die seinerzeit ein-
malig erschienen.
Schwere Unglücke
in den Gruben
1734 entdeckten Bergleute zum Bei-
spiel den „Mann im Salz“, einen toten
Grubenmann, der nach eingehender
Untersuchung im selben Jahr auf dem
Hallstätter Friedhof beigesetzt wurde –
und damit für die Forschung für immer
verloren war. Präzise Aufzeichnungen
aus dieser Zeit ließen in der modernen
Forschung die Ansicht reifen, daß der
Tote aus der Hallstattzeit stammte, also
aus dem 9. bis 4. Jahrhundert v. Chr.
Bestialischer Gestank, den Augenzeugen
schilderten, legt nahe, daß in der Grube
mehrere Tote lagen. Eine Bildschirm-
NEUt
jetz
!
bestellen
ein Reich, das Kriege führt, um Gefange-
ne zu machen, denen zu Zehntausenden
das Herz bei lebendigem Leib herausge-
schnitten wird, nur um sie irgendwel-
chen Göttern zu opfern.
Nicht zuletzt ist da die Erwähnung
eines anonymen babylonischen Tontä-
felchens, auf dem der lapidare Satz steht:
„Schaust du hin, so sind die Menschen
insgesamt blöde.“
Cerams 1949 erschienenes Buch
„Götter, Gräber und Gelehrte“ wird in
28 Sprachen übersetzt. Aber wer ihn
dank Bestsellerzahlen in eine Schub-
lade mit Heinz Konsalik und Johan-
nes Mario Simmel, Autoren ähnlichen
Jahrgangs, steckt, tut ihm unrecht. Mit
den Kollegen aus der Unterhaltungsli-
teratur hat er – abgesehen vom Erfolg
– nur wenig gemeinsam. Machten diese
in Liebes- und Arztromanen, die sie in
Zeitgeschichte verpacken, so interessiert
ihn die Vermittlung von Fakten, die er
als Sachbuchautor selbstbewußt zum
„Tatsachenroman“ veredelt.
Sein Thema ist die Vermittlung wis-
senschaftlicher Forschungsergebnisse an
Leser, die sich ohne ihn mit dem Thema
nicht befassen würden. „Fachwissen aus
der esoterischen Ecke zu holen“ – das
ist sein Anspruch. Er macht das so pak-
kend, daß sein Hauptwerk spielend die
Auflage von fünf Millionen übersteigt
und auch heute noch, lange nach sei-
nem Tod 1972, gedruckt, verlegt und
gelesen wird. Archäologie ist bei ihm
Abenteuer, die Wiederentdeckung ver-
sunkener Welten keine Wissenschaft für
verschnarchte Bürokraten. 1957 wird
der erste Band durch einen Bildband
erweitert, 1965 kommt ein dritter Teil
dazu, der die „Ruhmestaten der Archäo-
logie“ in Dokumenten darstellt.
„Götter, Gräber und Gelehrte“ wird
nicht nur ein Weltbestseller, sondern
animation zeigt, wie die Bergung 1734
ausgesehen haben könnte.
Verschüttungen unterbrechen den
Salzabbau in Hallstatt immer wieder.
Schwere Unglücke in den Gruben sind
für die Bronzezeit um 1245 v. Chr. und
die Hallstattzeit 400 Jahre später erwie-
sen sowie für das 4. Jahrhundert v. Chr.
Doch stets erfolgt der Neubeginn. Ab
dem 2. Jahrhundert v. Chr. nehmen die
Kelten den Abbau des weißen Goldes
wieder auf. Eine kurze Filmanimation re-
konstruiert für Besucher den Vorgang ei-
nes Stollenzusammensturzes infolge von
Erdrutschen am oberirdischen Hang.
Forschungen belegen, daß das Leben
nicht nur durch Grubenunglücke be-
FOTO: LWL
Salzherz: Ein keltischer Marken-
schlager
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA
C. W. Ceram (Kurt W. Marek), 1964: „Götter, Gräber und Gelehrte“
kommt auch bei Wissenschaftlern so po-
sitiv an, daß er zu Grabungen in der Tür-
kei eingeladen wird und 1955 darüber
das Buch „Enge Schlucht und schwarzer
Berg – Die Entdeckung des Hethiter-
reiches“ schreibt, weil er findet, daß die
Hethiter neben Persien und Ägypten
gleichberechtigte Großmacht auf dem
heutigen Gebiet der Türkei waren.
Auch wenn er nach zehn Jahren Ar-
beit an der Geschichte der Hochkul-
turen seine „Naivität“ gegenüber dem
Sujet verloren zu haben glaubt – die
Archäologie bleibt sein Steckenpferd.
1965 folgt eine „Archäologie des Ki-
nos“, in der er die Zeit vor der industri-
schwerlich war. Das Gräberfeld von Hall-
statt, das den Namen der Hallstattzeit
prägte, förderte weit über tausend frühere
Bewohner zutage. Untersuchungen der
Skelette erlauben eine geschlechter- und
altersspezifische Rekonstruktion einer
hochgradig organisierten und arbeitsteili-
gen Gesellschaft. Bereits Kinder im Alter
von acht Jahren weisen Erkrankungen
durch Schwerstarbeit auf. Die Mangel-
erscheinungen und Defekte der Kleinen
seien derart gravierend, so heißt es auf
der Ausstellungstafel, daß sie mit heu-
tigen Krebskranken vergleichbar sind.
Weltweit einzigartige Werkzeuge und
Abbautechniken sicherten Hallstatts
Salzmonopol. Holzstiegen unter Tage
waren gleichzeitig in beide Richtungen
begehbar und hatten verstellbare Stufen
für jedes Gefälle. Die Nachbauten von
Werkzeugen stellen die klassische eben-
so wie die experimentelle Archäologie
vor ungelöste Rätsel. Wie konnte mit
den merkwürdig spitzwinkeligen Pickeln
überhaupt Salz gehauen werden?
Bis heute konnte kein einziges „Salz-
herz“ am Stück gehauen werden, wie es
Bestellen Sie telefonisch:
Tel.: 030 / 86 49 53 - 25
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
ellen Ausbeutung des bewegten Bilds
ab dem Jahr 1897 untersucht. In seinen
letzten Lebensjahren dann „Der erste
Amerikaner“, in dem er die Indianer-
kulturen Nordamerikas der vorkolum-
bianischen – der Zeit vor Christoph
Kolumbus – als eine Kultur bezeich-
nete, die, auch ohne Rad und Schrift,
kurz davor stand, eine Hochkultur zu
werden.
In einem seiner Bücher steht als Epi-
log „Wir brauchen die letzten 5.000 Jah-
re, um die nächsten 100 in Gelassenheit
entgegennehmen zu können.“ Am hun-
dertsten Geburtstag C. W. Cerams darf
daran erinnert werden.
damals üblich war. Zahlreiche Expona-
te sind eindeutig Werkzeuge, aber von
gänzlich unbekannter Funktion. Nur
sechzig Kilometer entfernt entstand
650 v. Chr. der Salzbergbau in Hallein.
Trotz jahrhundertelangem Nebeneinan-
der gibt es keinerlei Gemeinsamkeiten
bei Werkzeugen und Abbaumethoden.
Und waren die Hallstätter wirklich reich?
Auffällig wenig Gold läßt sich in ihren
Hinterlassenschaften finden, dafür um
so mehr Importware aus Afrika, Asien
und Osteuropa.
Die 250 Ausstellungsstücke des Na-
tionalhistorischen Museums Wien sind
teilweise zum erstenmal in der Bundes-
republik zu sehen. Exponate, Geräusche,
Animationen und Düfte regen alle Sinne
der Besucher an.
Die Ausstellung „Das weiße Gold der Kelten“
ist noch bis zum 25. Januar im LWL-Museum
für Archäologie in Herne, Europaplatz 1, täg-
lich außer montags von 9 bis 17 Uhr, Do. bis
19 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr, zu sehen. Tele-
fon: 023 23 / 9 46 28-0
www.kelten-ausstellung.lwl.org
FOTO: PICTURE-ALLIANCE- WOLFGANG SCHMIDT
oder einfach online:
www.jf-buchdienst.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Blick in die Medien
Angstbürger
ohne Angstgrund?
Von Tobias Dahlbrügge
I n den letzten Wochen der DDR
nannte die Staatspresse die Mon-
tagsdemonstranten „Rowdys“ und
„feindlich-negative Elemente“. Da
Linke unbestreitbar kreativ im Er-
sinnen neuer Begriffe sind, erstaunt
es nicht, daß nun in den Medien-
beiträgen über die Pegida-Proteste
zwei ganz neue Bezeichnungen auf-
getaucht sind: „Angstbürger“ und
„Transformationsverlierer“. Beide
Begriffe widersprechen sich.
Urheber der Transformationsver-
lierer ist Frank Richter, Direktor der
Landeszentrale für politische Bil-
dung Sachsen. Das Wort ist bemer-
kenswert, weil es zeigt, daß unser
Land und unsere Gesellschaft trans-
formiert, also umgewandelt, werden,
mutmaßlich in den Zustand der pa-
radiesischen Buntheit und Vielfalt.
Genau diese Transformation wird
sonst geleugnet und abgestritten;
Es handle sich nur um „unbegrün-
dete Ängste“. Untrennbar mit den
Ängsten verbunden sind die Attri-
bute „diffuse“ und „geschürte“. Die-
se Phobien beherrschen den neuen
Angstbürger, den Bettina Schausten
vom ZDF-Hauptstadtstudio in der
Sendung „Berlin direkt“ erfand. Der
Angstbürger fürchtet sich vor angeb-
licher Islamisierung, über die der
Spiegel und Co. zigmal mit Titelge-
schichten berichtet haben.
„Wenn ich neben Hools
und Rechtsradikalen de-
monstriere, verteidige ich
das indirekt mit.“
Schon erstaunlich: In Deutsch-
land sind bisher null Atomkraft-
werke explodiert. Warum protestie-
ren dann so viele Menschen gegen
Atomkraft? Haben die Demonstran-
ten auch diffuse Ängste vor angeb-
lichen Gefahren der Kernkraft?
Nein, diese Ängste sind real, wenn
wir den Leitmedien Glauben schen-
ken. Auch der ständige Hinweis, daß
es in Sachsen nur 0,1 bis 0,2 Pro-
zent Moslems gebe , wirft eine Frage
auf: Wozu braucht Leipzig dann eine
Großmoschee?
Eine besondee Sprachpirouet-
te drehte Cem Özdemir von den
Grünen und sagte: „Wenn ich ne-
ben Hools und Rechtsradikalen de-
monstriere, verteidige ich das indi-
rekt mit.“ Hat er das je über die
„breiten Bündnisse“ von Grünen,
Jusos, Gewerkschaften und Kirchen
mit dem vermummten Block der
Antifa-Gewalttäter gehört?
TV-Tip
Sonntag, 18. Januar,
22.35 Uhr, Arte
Wochenendkrieger
Fast wöchentlich treffen
sich irgendwo in Deutsch-
land Ritter, Magier, Elfen
und andere Krieger oder
Rollenspieler, die in eine
andere Identität schlüpfen.
Eintritt nur nach Anmeldung unter
E-Mail: bibliothek@fkbf.de oder
Fax:
Bibliothek des Konservatismus
Der Sat1-Moderator unterhält seit 20 Jahren das Fernsehpublikum, als Buchautor ist er eher ungeeignet
CHRISTIAN SCHREIBER
U
lrich Meyer hat ein Buch geschrie-
ben. Rechtzeitig vor Weihnachten
natürlich, damit es noch pünktlich
in die Auslagen der stark frequentierten
Einkaufszentren kam. Die PR-Abteilung
des Riva-Verlags hat mächtig die Werbe-
trommel gerührt. Im eigenen Informa-
tionsschreiben wird er als jemand dar-
gestellt, der „Klartext redet“ und als der
„vornehmere Sarrazin“ vorgestellt.
„Das läuft schief in unserem Land – Ein
Plädoyer für mehr Herz, Anstand und Ver-
antwortung“, heißt das Werk, und nach
der Lektüre der 284 Seiten steht fest: Der
TV-Journalist hat nicht wirklich viel Neu-
es erzählt. Seit fast 20 Jahren ist Ulrich
Meyer mit seiner Sendung „akte“ auf Sat1
zu sehen. „Aus dieser langen Erfahrung
heraus wollten wir einen Blick auf den
inneren Zustand Deutschlands werfen“,
schreibt er, aber er kommt schon zu Be-
ginn nicht über Allgemeinplätze hinaus.
Investigativ-Journalist Meyer hat dabei
festgestellt, daß es Menschen gibt, die mit
zwei Autos vier Parkplätze blockieren, ein
anderer stellt doch glatt die Kreuzung zu,
weil er noch rechtzeitig über die Ampel
kommen wollte.
In 14 Kapiteln hat der 58jährige, dem
eine ausgeprägte Nähe zur SPD nachgesagt
wird und der in zweiter Ehe mit der frühe-
ren taz-Chefin Georgia Tornow verheiratet
ist, sein Buch unterteilt, und manches liest
sich wie aus einem SPD-Parteiprogramm
abgeschrieben. Meyer beklagt einen Raub-
tierkapitalismus und daß es kaum noch
fürsorgliche Arbeitgeber gebe. Er erzählt
von seinem Vater, der nach dem Krieg für
ein US-Unternehmen arbeitete, und von
seinem Onkel Ulrich, der sich als Jour-
nalist bei der Neuen Osnabrücker Zeitung
verdingte. Nach dem Motto „Früher war
alles besser“ schwelgt er in Erinnerungen
und kommt zu dem Schluß, „daß es wie-
der fairer zugehen muß“.
„Fair“ ging es nach Meyers Darstellung
früher auch zu, als er mit seiner Mutter zur
Bank ging. Der Bankbeamte sei so kon-
zentriert gewesen, daß er den Eindruck
erweckt habe, er müsse sein eigenes Geld
auszahlen. Doch auch mit dieser Herr-
lichkeit ist es nun vorbei, Meyer stellt fest,
„daß Banker in den vergangenen 15 Jahren
durch die Wirtschaftskrise massiv an An-
sehen verloren haben“. Welche Neuigkeit!
Pegida: Deutschlands wichtigster Zeitungsverlag versucht im Zusammenhang mit Islamkritik einen großen Spagat
TOBIAS DAHLBRÜGGE
D er Axel-Springer-Verlag spielt im
Umgang mit Pegida ein doppeltes
Spiel. Während Bild eine klare Linie
gegen Pegida einnimmt, veröffentlicht
die Welt Beiträge, die dem Pegida-Pro-
gramm entnommen sein könnten.
Seit dem Teilnehmerrekord bei Pe-
gida Dresden am 5. Januar feuert das
Boulevardblatt aus allen Rohren auf die
Spaziergänger. Bisheriger Höhepunkt:
die Kampagne von 50 Personen des öf-
030-315 17 37 21
Die Akte Ulrich Meyer
FOTO: RIVE VERLAG
Moderator Ulrich Meyer: Der Reserveoffizier moderiert seit zwei Jahrzehnten die Sendung „akte“ bei Sat1
Vor 20 Jahren ist Meyer mit „akte“ bei
Sat1 auf Sendung gegangen. Das Jubiläum
war auch der Anlaß für das Buch: „Wir ha-
ben in den vergangenen zwei Jahrzehnten
weit über 100.000 Mails, Faxe und Briefe
bekommen. Dadurch wissen wir, wo es
in Deutschland rumpelt. Wir brauchen
aber nicht mehr Gesetze und Regelungen,
sondern ein bißchen mehr Nachdenken,
Vorausdenken und Menschen, die Verant-
wortung übernehmen“, erklärt er und fügt
hinzu: „Früher hatten die Menschen Angst
vor Räubern oder Einbrechern. Mittler-
weile schlägt die Lastschrift-Mafia über das
Telefon zu. Glücksspiel-Abos werden so
verkauft, Kontostände in beliebiger Höhe
abgebucht. Die Menschen werden bei sich
zu Hause betrogen, ohne auch nur einen
Fuß vor die Tür gesetzt zu haben.“
Ulrich Meyer: Das
läuft schief in un-
serem Land. Ein
Plädoyer für mehr
Herz, Anstand und
Verantwortung. Ri-
va, München 2014,
gebunden, 288 Sei-
ten, 19,99 Euro
Hü und Hott bei Springer
fentlichen Lebens, die sich neben Promis
wie Heino plazieren durften. Zudem
jubelte Bild einige Verbalattacken unbe-
kannter Nutzer gegen die Ex-Ministerin
Kristina Schröder zu einem „Shitstorm“
hoch, nachdem diese sich verhalten is-
lamkritisch geäußert hatte. Von Stefan
Niggemeier wird Bild allerdings wegen
eines Schlingerkurses scharf kritisiert.
Der Medienkritiker warf dem Chefre-
dakteur („Brandstifter Kai Diekmann“)
vor, Islamkritik durch die Verwendung
von Reizworten wie „Islamrabatt“ ge-
fördert zu haben.
Die Veranstaltungen der nächsten Wochen:
Friedhelm Appel
Verfolgte Christen
weltweit
Berichte, Hintergründe,
Doch es gibt auch den anderen Meyer,
der sich Gedanken um Recht und Ord-
nung macht. So erinnert er sich an seine
Schulzeit mit dem Worten: „Das, was die
Lehrer uns überhaupt nicht beibringen
wollten, war Benehmen. Das setzten sie
einfach von zu Hause voraus.“ Heute sei
Lehrer dagegen ein Beruf, in dem man
gute Nerven, große Motivation und viel
Ausdauer bräuchte. Um der Schule wieder
mehr Renommee zu verleihen, plädiert
Meyer gar für die Einführung von Schul-
Uniformen.
Eurokrise, Arbeitslosigkeit
und wachsender Populismus
Allerdings spricht hier wieder der So-
zialdemokrat aus dem TV-Journalisten,
schließlich sei es für manche Eltern nicht
leicht, ihren Kindern angemessene Klei-
dung anzuschaffen. „Es kann nicht an-
gehen, daß alleinerziehende Mütter, die
zwei Kinder zu versorgen haben und in
zwei Jobs arbeiten, sich mit der Frage be-
schäftigen müssen, ob ihre Jungs die an-
gesagtesten Sneakers brauchen.“ Fragen,
die die Welt bewegen.
Weniger eindimensional dagegen die
Welt aus demselben Verlag. So mahnt die
Zeitung, „die Attacken auf Pegida haben
jedes Maß verloren“ und erkennt, daß
„Pegida keine Krankheit ist“. Pegida sei
vielmehr ein Symptom. Bisheriger Hö-
hepunkt hier: ein Artikel mit der Über-
schrift „Die Zuwanderung nach Europa
ist außer Kontrolle“. Leser müssen sich
erstaunt die Augen reiben ob soviel Klar-
text: „Nur hier und da kommt in Ein-
zelfällen zum Vorschein, wieviel ‘Augen
zu’ und Durchwinken inzwischen bei
der Zuwanderung herrscht.“
Billy Six
Marsch ins Ungewisse
Gefangen im Syrien-Krieg
Auch um die Frauenquote hat sich
Meyer nachhaltige Gedanken gemacht.
Die meisten Mädels findet er derart cle-
ver, „daß sie so etwas nicht brauchen“. Ihn
sorgen eher die jungen Männer in dieser
Republik. „Junge Männer wollen mitre-
den, viel Geld verdienen, angesehen sein.“
„Aber bis zu 40 Prozent einer Alters-
gruppe haben nicht ansatzweise die Vor-
aussetzungen dafür, diese selbst gestellten
Ansprüche jemals umsetzen zu können.
Wir müssen uns fragen, was wir mit diesen
Männern machen, die dann auf die Nase
fallen und sich womöglich extremen po-
litischen Strömungen anschließen.“ Die
Sorge um (rechte) extreme politische Strö-
mungen spricht Meyer in seinem Buch
gleich mehrfach an, die Alternative für
Deutschland (AfD) nennt er nicht explizit,
aber es wird klar wen er meint, wenn er
von Eurokrise, Arbeitslosigkeit und davon
profitierenden Populisten spricht.
Das Buch endet, wie es angefangen hat:
mit der Feststellung, „daß vieles im argen
liegt“. Aber immerhin bringe Deutschland
genug Voraussetzungen mit, um die aktu-
ellen Herausforderungen zu meistern. Und
das ist nun wirklich auch keine Neuigkeit.
Die Ambivalenz ist dem Springer-Bin-
nenpluralismus und führenden Personen
geschuldet: Diekmann ist eine treibende
Kraft hinter der Anti-Pegida-Berichterstat-
tung der Bild. Bei der Welt stehen Stamm-
autoren wie Matthias Matussek und Hen-
ryk M. Broder für Islamkritik. Die Leser
haben sich indes schon entschieden: Die
sachlichen Pegida-Beiträge haben in den
sozialen Netzwerken die Nase vorn. Bei
Anti-Pegida-Stücken in der Bild klickt die
klare Mehrzahl der Leser die neue Kate-
gorie „Wut“, weil sie mit dem Inhalt of-
fenbar nicht einverstanden ist.
Klaus Kelle
Political Correctness
Können wir unseren
Medien noch vertrauen?
M E D I E N | 17
Nach Langwelle jetzt
Mittelwelle vor dem Aus
KÖLN. Bis zum Jahresende sollen
nun auch die Mittelwellenfrequen-
zen des Deutschlandfunks abge-
schaltet werden. Zum Jahreswechsel
hatte der öffentlich-rechtliche Sen-
der bereits drei Langwellenfrequen-
zen abgestellt. Beide Frequenzen
werden deutlich weniger genutzt als
die gängige Ultrakurzwelle (UKW),
auf der die meisten Sender ausge-
strahlt werden. Der Deutschland-
funk kommt mit der Abschaltung
einer Forderung der Kommission
zur Ermittlung des Finanzbedarfs
der GEZ-Sender nach und spart
alleine durch die Abschaltung der
Langwelle etwa elf Millionen Euro
pro Jahr. Geld, das allerdings nicht
an die Gebührenzahler zurücker-
stattet wird, sondern anderweitig
verplant wurde. Rundfunknostal-
giker kämpfen für den Erhalt der
Mittelwellensender. (rg)
www.rettet-unsere-radios.de/
Soziale Netzwerke auf
dem absteigenden Ast
HAMBURG. Die Zahl der deut-
schen Nutzer von sozialen Netz-
werken sinkt. Das ist das über-
raschende Ergebnis einer Studie
der PR-Agentur Faktenkontor,
die 3.450 Personen zu ihrem
Surfverhalten befragt hat. Laut
dem Social-Media-Atlas 2014/15
surfen nur noch 68 Prozent aller
Onliner auf Seiten wie Facebook
oder Twitter. 2013 waren es noch
75 Prozent. Auf der anderen Sei-
te stieg die Zahl der Social-Me-
dia-Totalverweigerer von 20 auf
25 Prozent. Ursache könnte die
wachsende Skepsis gegenüber
der Datensammelwut von Fir-
men sein. So geben 44 Prozent
der Social-Media-Verweigerer an,
dies aus Angst vor dem Verlust
persönlicher Daten zu tun. Fak-
tenkontor rechnet jedoch nicht
damit, daß sich der Trend fort-
setzen wird. (rg)
Massive Hackerattacke
auf Kanzleramt und AA
BERLIN. Ein Hackerangriff hat
am Dienstag vergangener Woche
die Internetseiten der Bundesre-
gierung, der Kanzlerin und der
CDU stundenlang lahmgelegt. Ei-
ne Gruppe namens Cyber-Berkut
hat sich dazu bekannt. Die prorus-
sischen Hacker wollten demnach
gegen den am darauffolgenden
Tag stattfindenden Staatsbesuch
des ukrainischen Ministerpräsiden-
ten Arsenij Jazenjuk protestieren.
„Wir appellieren an Deutschland,
die Unterstützung für das krimi-
nelle Regime in Kiew zu beenden“,
hieß es in der Erklärung der Hacker
auf englisch. (rg)
Das eine hat mit
dem anderen
nichts zu tun, noch
nicht mal entfernt.
Hendrik Zörner (DJV)
distanziert sich von der
Verlegerkampagne, die
Pegida und islamistische
Attentäter gleichsetzt
Björn Schumacher
Der Luftkrieg als Tribunal
Das alliierte Morale




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29. Januar 2015, 19 Uhr 12. Februar 2015, 19 Uhr 5. März 2015, 19 Uhr 26. März 2015, 19 Uhr
18 | F O R U M
W
ill man den ver-
gesellschafteten
Menschen der
Moderne be-
schreiben, so
kommt man in
der soziologischen und psychologischen
Literatur schnell auf das Begriffspaar der
„narzißtischen Persönlichkeit“. Der Be-
griff „Narzißmus“ kommt aus der grie-
chischen Mythologie und bezieht sich
auf den Jüngling Narkissos, der sich in
sein eigenes Spiegelbild verliebt hat. Die-
ses mythologische Bild ist relativ exakt,
denn es geht hier um (gesellschaftliche)
Spiegelungseffekte. Damit ist gemeint:
Der individualistische Hedonist, gerade
wegen seiner gesteigerten Selbstliebe, ist
auf Sozialität angewiesen, also auf ein
Publikum, das ihn bewundert. Diese Be-
wunderung verschafft der Person dann
narzißtische Befriedigung.
Narzißmus ist somit immer mehr als
nur eine in sich ruhende Selbstliebe. Im-
manuel Kant bezeichnete diesen Mecha-
nismus als „ungesellige Geselligkeit“:
Man geht in die Gesellschaft, um ego-
istische Befriedigung zu erhalten. Der
Narzißt muß sein grandioses Ich in der
Aufmerksamkeit und Bewunderung an-
derer reflektiert sehen. Der Historiker
Christopher Lasch stellte in seinem Ende
der siebziger Jahre vielbeachteten Buch
„Das Zeitalter des Narzißmus“ fest: „Un-
geachtet der gelegentlichen Illusionen
über seine Allmacht ist der Narzißt zur
Bestätigung seiner Selbstachtung auf an-
dere angewiesen. Ohne bewunderndes
Publikum kann er nicht leben.“ Nach
Lasch gibt es einen signifikanten Un-
terschied zwischen einem Narzißten
und einem „normalen“ Egoisten: „Für
den Narzißten ist die Welt ein Spiegel,
während der robuste Individualist in ihr
nichts als eine freie Wildnis sah, die er
nach seinem Willen formen wollte.“
Der moderne narzißtische Mensch
braucht die Selbstinszenierung. In frü-
heren Zeiten waren die Möglichkeiten
dazu begrenzt. Nur diejenigen, die vor
einem Publikum agierten, also Politiker,
Publizisten, Künstler konnten und muß-
ten sich selbst inszenieren. Der Perso-
nenkreis war beschränkt, die rezipieren-
de Öffentlichkeit auch. Die Masse der
Bevölkerung, bei der die Arbeit an einer
Sache und nicht an Personen im Vor-
dergrund stand, hatte keine Möglichkeit
der gezielten Selbstinszenierung und war
auf diese auch nicht angewiesen.
Mit der weiteren Entwicklung der
kommunikativen Verbreitungsmedien
stiegen die Möglichkeit und der Zwang
zur Selbstinszenierung. Nach Georges
Sorel wurde mit der Entwicklung der
bürgerlichen Gesellschaft die noch im
Mittelalter respektierte Gewaltanwen-
dung (ritualisiert zum Beispiel im Duell)
durch die „List“ ersetzt. Listiges Verhal-
ten macht Selbstinszenierung erforder-
lich. Karl Marx hat schön beschrieben,
wie das Aufeinandertreffen von Käufer
und Verkäufer auf dem Markt die Ver-
stellung notwendig macht. Der Verkäu-
fer muß so tun, als ob er die Ware ei-
gentlich gar nicht verkaufen wolle und
der Kreis der Kaufinteressenten groß
sei; der Käufer muß so tun, als ob er die
Ware eigentlich gar nicht benötige. Die
eine Strategie erhöht den Preis, die ande-
re drückt ihn. Die Tauschhandlung auf
dem freien Markt, also die zentrale In-
teraktion der bürgerlichen Gesellschaft,
macht gezielte Selbstinszenierung und
partielle Täuschung zur Norm.
Früher waren Selbstinszenierungen
und Selbstdarstellungen an direkte In-
teraktionen (wie beispielsweise bei der
Kaufhandlung) gebunden. Interaktion
ist Kommunikation unter Anwesenden.
Die Simultanpräsenz von Anwesenden
war Bedingung für Kommunikation.
Das begrenzte zwar die Reichweite der
Kommunikation, hatte aber den Vor-
teil, daß Kommunikation auf körperli-
che Präsenz der Interagierenden ange-
wiesen war. Man konnte sich ein Bild
vom Gegenüber machen: Ist es vertrau-
enswürdig oder nicht? Die miteinan-
der Kommunizierenden versenden oft
unbewußt Körpersignale. Das schränk-
te die Möglichkeiten der Selbstinsze-
nierung ein, die körperliche Präsenz
der Interagierenden lieferte neben der
Selbstinszenierung Zusatzinformationen
der Glaubwürdigkeit und konfrontierte
diese mit einer Einschätzung durch den
Interaktionspartner.
Mit der Entwicklung der elektroni-
schen und digitalen Massenkommuni-
Facebook und die PR-Generation
Wir Narzißten
FOTO: ISTOCK-FOTO
Modellierung des Ich via Smartphone: Eine idealisierte Kopie des wirklichen Menschen
kationsmedien wird in der Moderne die
Kommunikation gleichsam entkörper-
licht, weil sie auf die Ko-Präsenz der
Kommunikationspartner nicht mehr
angewiesen ist. Das kritische Korrek-
tiv der „Leibgebundenheit“ der Kom-
munikation entfällt, der Selbstinszenie-
rung wird damit Tür und Tor geöffnet.
Potentiell kann heute jeder mit jedem
jederzeit kommunizieren, auf die Real-
Präsenz des Kommunikationspartners
ist man nicht mehr angewiesen. Nur
noch einen Bruchteil der Erfahrungen
gewinnt der Mensch in direkten Interak-
tionsbeziehungen. Interaktionen werden
zunehmend zu einem gesellschaftlichen
Residualbereich, allenthalben wirksam
im personalen Nahraum.
Das Internet ist ein
riesiger Dschungel
von Fiktionen und
Selbstüberbietungen.
Da die Inszenierungen
nunmehr massenhaft
auftreten, schleift sich
deren intendierte
Wirkung ab. Wenn alle
„Helden“ sind, dann
wird das Heldentum
langweiliger Alltag.
Doch auch hier dringen elektronische
Medien ein – bis hin zu der grotesken
Situation, daß ein Ehepaar am gleichen
Kaffeetisch sitzend sich mittels Mobilte-
lefon verständigt. Die Grenze zwischen
unmittelbarer Interaktion und Massen-
kommunikation verschwimmt. Hatte
in früheren Zeiten jede direkte Kom-
munikation zwischen zwei Menschen
etwas Intimes, so wird diese zunehmend
öffentlich. Die Grenze zwischen Privat
und Öffentlich löst sich auf. Viele junge
Menschen haben keine Probleme da-
Von Jost Bauch
mit, intimste Informationen ins Netz
zu stellen, wahrscheinlich weil sie durch
die Nutzung elektronischer Medien gar
nicht mehr richtig zwischen Intim und
Öffentlich unterscheiden können. Es
erfolgt eine „Intimisierung der Öffent-
lichkeit“ und eine „Veröffentlichung
der Intimität“. Die Menschen sind zu-
nehmend gestreßt und genervt, weil die
Intimität als Rückzugsraum verlorenge-
gangen ist. Das Mobiltelefon in der Jak-
kentasche sagt uns unerbittlich: Ich bin
jederzeit erreichbar und sozial adressabel.
Erwartet wird eine kommunikative
Dauerpräsenz. Man kann den öffentli-
chen Raum so gut wie gar nicht mehr
verlassen. Deswegen wird für den mo-
dernen Menschen die dauerhafte Selbst-
inszenierung so wichtig. Und so setzt
er sich in Szene: Ob bei Facebook oder
über eine eigene Homepage im Internet
– die Selbstüberhöhung wird zur Me-
thode. Dabei stellt man sich so dar, wie
man wünscht, von der relevanten Öf-
fentlichkeit gesehen zu werden. Es geht
um „Fremdbildmanagement“. Das Alter
ego soll mich so zeigen, wie ich mich
sehe, wie ich also bin, wenn ich meine,
mein Ich-Ideal erreicht zu haben, was
selten genug der Fall ist. Jacques Attali
nannte das eine „idealisierte Kopie“ des
wirklichen Menschen.
Und so ist das Internet mit seinen
aneinandergereihten Homepages von
Personen, Firmen, Behörden, Kommu-
nen und Organisationen ein riesiger
Dschungel von Fiktionen und Selbst-
überbietungen. Das Problem ist nur:
Da diese Selbstinszenierungen nunmehr
massenhaft auftreten, schleift sich deren
intendierte Wirkung ab. Wenn alle „Hel-
den“ sind, dann wird das Heldentum
langweiliger Alltag, das Besondere ist
nichts Besonderes mehr. Gleichzeitig hat
die elektronische Erweiterung der Kom-
munikationsmöglichkeiten auch eine
negative Seite: So wie sich ohne wirkli-
che Kontrollmöglichkeiten des Konsu-
menten der Kommunikation eine Person
oder Institution ins rechte Licht rücken
kann, so kann diese von anderer Seite
ebenso unkontrolliert in ein schlechtes
Licht gerückt werden. Der Gefährte der
Selbstüberhöhung ist die Denunziati-
on! Dabei wird es immer schwieriger,
sich in Szene zu setzen, ohne gefährliche
Fremdbeobachtungen zu provozieren.
Mit kommunikativen Kollateralschäden
muß man jederzeit rechnen.
Wir werden von einer
Informationsflut regel-
recht erschlagen. Nur
der kann sich heute
orientieren, der Infor-
mationen abwehrt.
Nicht die Erlangung
von Information, viel-
mehr deren Selektion
wird zunehmend
zum Zeichen von
Intelligenz.
Die Selbstinszenierung veralltäg-
licht, sie wird zu einer zweiten Haut,
die man nicht abstreifen kann und
darf. Früher waren Selbstinszenierun-
gen an besondere Anlässe gebunden:
Man putzte sich heraus und legte ein
gepflegtes Verhalten an den Tag, um
dann beim Verlassen der Szene die in-
szenierte Rolle wieder abzulegen, um
ohne Drapierung man selbst sein zu
können. Der Zwang der Selbstinszenie-
rung durch kommunikative Dauerprä-
senz führt dann auch dazu, daß viele
Menschen glauben, ihr selbstinszenier-
tes Ich sei ihr wahres Ich. Sie verlieren
das, was der Soziologe als „Rollendi-
stanz“ bezeichnet. Eine gekünstelte Af-
fektkontrolle wird universell, Originale,
Charaktertypen werden zur Ausnahme,
weil überall der geschmeidige, kommu-
nikationssensible und überangepaßte
Sozialtypus vorherrscht.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Die grenzenlose Öffnung der Kom-
munikationsräume hat weitreichende
kulturelle Folgen. Waren früher Infor-
mationen ein knappes Gut, so wird man
heute, ob man will oder nicht, von einer
Informationsflut regelrecht erschlagen.
Nur der kann sich heute orientieren,
der Informationen abwehrt. Nicht die
Erlangung von Information, vielmehr
deren Selektion wird zunehmend zum
Zeichen von Intelligenz. Wer die Infor-
mations- und Bilderflut nicht abweh-
ren kann, wird desorientiert und in letz-
ter Konsequenz psychisch krank. Der
Zwang zur Selbstinszenierung wirkt da
als Beschleuniger: Das selbstinszenierte
Ego kann auf permanente Informati-
onsbeschaffung nicht verzichten. Ge-
sellschaftliche Trends zu verpassen und
nicht entsprechend zu reagieren, ist für
das „Image-Building“ tödlich.
Offensichtlich tappt der Mensch in
eine anthropologische Falle: Der Mensch
als umweltoffenes Wesen ist auf Infor-
mationsbeschaffung angewiesen, das
liegt gleichsam in seinen Genen; auf
Informationsüberflutung und Infor-
mationsabwehr ist er biologisch nicht
eingerichtet. Gleichzeitig verschwimmt
die Grenze zwischen Information und
Mitteilung. Die Information kann so
banal sein wie sie will, sie wird zur Mit-
teilung (wird also kommuniziert), weil
es so leicht ist, erhaltene Informationen
qua Kommunikation weiterzureichen.
Als Informationen (die als Mitteilung
wert sind, an andere weitergegeben zu
werden) gelten heute „Ereignisse“ oder
Sachverhalte, die früher als Information
nur randständig wahrgenommen wur-
den und erst recht nicht als Mitteilung
in den Äther gepustet wurden. Daß der
linke Zeh juckt, ist heute eine Nachricht
wert. Das Problem: Die Mitteilung die-
ser Banalität bindet (knappe) Aufmerk-
samkeit des gewählten Rezipienten, zu-
mindest muß er diese Nachricht weg-
drücken, was die Wahrnehmung dieser
Nachricht erforderlich macht.
Wurde früher genau überlegt, welche
eigene Information es wert ist, kommu-
niziert zu werden, weil die Kommunika-
tionskanäle beschränkt waren, so wird
heute jede psychische Irritation zu einem
kommunikativen Auftritt. Denken und
Sprechen verschmelzen. Der moderne
Narzißt ist der Meinung, daß (fast) alles,
was er gedacht hat, wert ist, weil er es
gedacht hat, der Umwelt mitgeteilt zu
werden. Es erfolgt eine vulgäre Psychi-
sierung des Kommunikationsverhaltens.
Eng verbunden damit ist der Trend
zur Entschriftlichung unserer
Gesellschaft. Die einst in Blü-
te stehende Briefkultur – man
denke an die filigranen Briefe
der Großeltern – erlag dem
schnellen Telefonat. Wir sind,
wie Niklas Luhmann schrieb,
wieder auf dem Weg in eine
„digitale Oralität“. Zusätzlich
zerfällt die Kunstform einer
Schriftsprache, die sich deut-
lich vom gesprochenen Wort
abhebt. Dort, wo mittels elek-
tronischer Medien noch ge- Prof. Dr. Jost Bauch,
schrieben wird (per E-Mail Jahrgang 1949, lehr-
oder Facebook), wird meist so te Medizinsoziolo-
geschrieben, wie man spricht. gie an der Universi-
Es ist verbale Kommunikation tät Konstanz. Er ist
in schriftlicher Form. Vizepräsident des
Ist die Schriftsprache in Studienzentrums
Abgrenzung zur gesproche- Weikersheim. Auf
nen Sprache in Gefahr, ist ei- dem Forum schrieb
ne Sprache insgesamt gefähr- er zuletzt über den
det. Das Hochdeutsche ins- US-Abhörskandal
gesamt hätte sich nicht ohne („Freunde, die keine
die (schriftliche) Bibelüber- sind“, JF 47/13).
setzung Martin Luthers ent-
wickeln können. Die Schriftsprache ist
sehr viel differenzierter, exakter und fa-
cettenreicher als das gesprochene Wort,
sie diffundiert gleichsam in die verbale
Kommunikation als Sprech-Erzieher.
Das geschriebene Wort ist in die Welt
gesetzt, es beansprucht unabhängig
von der vordergründigen Motivation
des Schreibenden über den Moment des
Verfassens hinaus Geltung, das geschrie-
bene Wort ist Selbstfestlegung mit Lang-
zeitwirkung. Wie Luhmann schreibt, ist
Schrift „ein Verzicht auf das segensreiche
Sofort-wieder-Verschwinden des gespro-
chenen Wortes, also ein Verzicht auf die
Leichtigkeit des Vergessens“. Selbstfest-
legungen mit Langzeitwirkung sind im
Zeitalter der entfesselten Kommunika-
tion hinderlich, die Schriftsprache er-
scheint veraltet wie die altgermanische
Keilschrift.
 WISSEN
W LITERATUR, Seite 21 NATUR & TECHNIK, Seite 22

W
Michael Hüther denkt die Jenseits vom Abiturwissen
EU neu: Ohne Auflösung Biologie: Das Werk des
der Nationalstaaten „Hirnpapstes“ Gerhard Roth
| 19
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Ewig im Visier der Ideologen Ein kritischer Geist

in Verzug
Der Historiker Paul Ginsborg über die Familie in den totalitären Systemen im zwanzigsten Jahrhundert
Ein müdes Themenheft zum ungarischen Philosophen
und Polit-Kommissar Georg Lukács
HARALD SEUBERT

THOMAS KUZIAS von mütterlicher Seite stark belastet

gewesen sei („zwei Brüder der Mutter“,

D
ie Rückwirkungen des Zeit- wie es in Jaspers’ Attest hieß, „starben
alters der Extreme auf die im Irrenhaus“) – der Bogen zur politi-

D
Familie sind bislang in kei- ie erst seit 2007 erscheinende schen Ideengeschichte schlagen.
ner großen vergleichenden Zeitschrift für Ideengeschichte Des weiteren versucht Bormuth
Querschnittsuntersuchung behandelt ist ein erlesenes und großzügig Lukács’ ideologisch-politische Ent-
worden. Dies leistet Paul Ginsborg, mit Mitteln ausgestattetes Periodikum. wicklung und Radikalisierung auch
Professor für Neuere Europäische Ge- Das aktuelle Heft (Winter 2014) ist noch durch dessen Liebe zu seiner
schichte in Florenz, in einem insgesamt dem ebenso wichtigen wie brisanten zweiten Ehefrau plausibel zu machen,
beeindruckenden Wurf. Linksideologen Georg Lukács gewid- womit zweifelsohne nur erneut eine
Vielversprechend ist bereits seine met und erweist sich als Produkt des ideengeschichtliche Sackgasse beschrit-
mehrperspektivische Vorgehensweise: erbaulich-korrekten Zeitgeistes der ten wird – die einschlägige, Lukács’
Ginsborg fokussiert sich in jedem Sy- Berliner Republik. Liebesbeziehungen diesbezüglich sy-
stem auf eine herausragende Person und Die Herausgeber legen dem Le- stematisch auswertende Studie von Lee
deren familiäre Umstände, er flankiert ser drei thematische Teilbereiche vor. Congdon „The Young Lukács“ (1983)
dies durch Rekonstruktionen zur Ge- Mit Agnes Heller, Fritz J. Raddatz und sollte als Warnung dienen, auf diesem
schichte durchschnittlicher Familien, Iring Fetscher kommen prominente fragwürdigen Weg zu wandeln.
bei denen er sich auch der „Oral Histo- Zeitzeugen zu Wort, die Lukács noch
ry“ bedient. Ergänzt wird dieser Ansatz persönlich kannten, mit ihm zusam- Lukács Utopie und
durch sozialgeschichtliche Perspektiven. menarbeiteten und sich ideologisch Plessners Gegenmodell
Politische und ideologische Komponen- vorbehaltlos in den Dienst seines Wer-
ten der Familienplanung und Gesetzes- kes gestellt haben. Zwei akademisch Der Aufsatz von Joachim Fischer
texte werden differenziert berücksichtigt. gehaltene Aufsätze bilden den Kern vergleicht die alternativen Sozialphi-
Das Buch beginnt und es endet mit des Heftes; all dies wird durch zahlrei- losophien von Lukács und dessen li-
Rußland: Als exemplarische Persönlich- che Dokumente und Funde aus dem beralem Antipoden Helmuth Plessner
keit auf dem Weg zur Oktoberrevoluti- Lukács-Archiv in Budapest umrahmt. unter dem Gesichtspunkt von Ge-
FOTO: AUS DEM BESPROCHENEN BUCH

on wählt Ginsborg die Frauenrechtlerin
und Kommunistin Alexandra Kollontai,
die darin originell ist, daß sie eine verän-
derte Erotik zwischen Mann und Frau
unter den Auspizien der Gleichberech-
tigung als höchstes Ziel verfolgte. Ein-
drucksvoll wird das Elend von Bauernfa-
milien im zaristischen Rußland mit dem
Reformgesetz von 1925/26 konfrontiert.
Die Ideologie zielte mittelfristig aber auf
Abschaffung der Familie, in der Trotzki
eines der schwierigsten und wichtigsten
Ziele des Bolschewismus sah. Die Reali-
täten nach der Revolution waren indes
von Obdachlosigkeit, Prostitution und
Elend gekennzeichnet.
Das Ziel, die Familie in
den Staat zu absorbieren
Das zweite Kapitel widmet sich dem
Wandel des Familienbildes in der osma-
nischen Gesellschaft: Atatürks Reform
brach mit dem islamischen Familienver-
ständnis, setzte an seine Stelle aber ein
neues institutionalisiertes Patriarchat.
Um es gleich vorweg zu sagen, fest meinschaft versus Gesellschaft. Fischer
etablierte Irrtümer zu Lukács’ Denk- macht darauf aufmerksam, daß Pless-
und Lebensweg werden zuverlässig ner zu Lukács’ folgenreicher Aufsatz-
bewahrt: Zum Beispiel die Mär, daß sammlung „Geschichte und Klassenbe-
sein Übertritt zum Kommunismus auf- wußtsein“ (1923) ein mit seinem Buch
grund der russischen Oktoberrevolu- „Grenzen der Gemeinschaft“ (1924)
tion ein Bekehrungserlebnis gewesen explizites Gegenprogramm entworfen
Adolf Wissel, Kalenberger Bauernfamilie, Öl auf Leinwand, 1939: Die Familie als „kleine Welt“, die aber sei. In Wahrheit war seine Entschei- hat, welches erst nach 1945 auf Auf-
durchgehend gelenkt und mit der großen Welt der „Bewegung“ verschränkt wurde dung für Sozialismus und Marxismus merksamkeit rechnen konnte.
lange vor dem Ertsten Weltkrieg ge- Bei beiden Konzeptionen handelt es
meisten Paare heirateten auch im Faschis- ten „einsamen Wolf“ gegenübergestellt. lisiert. Eine gezielte „proarische“ Wohl- fällt worden. Oder die Herausgeber sich, darauf muß man aufmerksam ma-
mus kirchlich. Die Zivilehe wurde als Ein Spektrum an Quellen von Famili- fahrt war bekanntlich die Kehrseite der beklagen, daß es keine ausführliche chen, um soziologische Utopien, wie
Appendix in der Sakristei angeschlossen. enbriefen aus dem Haus Goebbels bis NS-Rassenpolitik. Ginsborg verweist Biographie zu Lukács gebe, doch eine sie für die Moderne generell kennzeich-
Im nächsten Kapitel werden zunächst zu Tagebuchzitaten Victor Klemperers darauf, daß der hohe Modernisierungs- solche liegt längst vor (Arpad Kadar- nend sind. Während Lukács’ radikal-
die Reformen der spanischen Republik, erlaubt eine differenzierte Erfassung der grad in Deutschland Propaganda und kay, Georg Lukács. Life, Thought, and marxistische Auffassung des Sozialen
die Frauenrechte und die erleichterten Lebensrealitäten. Kontrollmaßnahmen begünstigte. Er Politics, Oxford 1991). auf die Aufhebung von Entfremdung
Optionen der Scheidung mit dem tra- Bemerkenswert distanziert unterzieht verschweigt aber nicht, daß dennoch, Überhaupt fällt auf, daß die Auto- überhaupt zielte und sich faktisch zur
ditionellen katholischen Familienbild Ginsborg die Diagnose der Frankfur- zumindest bis zum Kriegsbeginn, ein ren die reiche internationale Literatur Verwirklichung des konkreten Bürger-
konfrontiert. Francos ter Schule, wonach die „nicht unbeträchtlicher Individualismus zum Thema eher meiden. Und wenn krieges bediente, verblieb dem sensib-
Diktum „Nur die Familie Familie ein Unterdrük- im Alltag“ möglich war. Deshalb zögert offensichtlich schon in Budapest re- len Plessner stets nur das geschriebene
und die Kirche“ war eine kungsmechanismus sei er sogar im Blick auf den Nationalsozia- cherchiert wurde, dann hätte man er- Wort, um für seinen Entwurf zu wer-
Achse der Macht des un- und zur Ausbildung der lismus, von einer „totalitären“ Familien- wartet, daß auch neue ungarische For- ben. Plessners ideale Vorstellungen von
charismatischen „Caudil- „autoritären Persönlich- struktur zu sprechen. Darüber wird die schungen vorgestellt worden wären, Öffentlichkeit und Gesellschaft, die auf
lo“. Die Republikaner im keit“ beigetragen habe, Forschung weiter diskutieren. zumal unbekannte Fakten am ehesten ein ziviles, Distanz schaffendes Mitein-
Bürgerkrieg zielten, wie der Überprüfung. Daß er Mit Rußland schließt sich der Bogen: aus Ungarn zu erwarten sind. Dort wird ander abzielen, wirken bisweilen wie
Ginsborg zeigt, allerdings Klaus Theweleits 1977/78 Alexandra Kollontai war, um so überle- beispielsweise schon längst diskutiert, die Wiederbelebung des verspielten
FOTO: WIKIMEDIA COMMONS

Auch hier begnügt sich die Darstellung
nicht mit der Theorie. Sie macht auch
den Völkermord an den Armeniern und
die Härte der Reformen deutlich, die
den Lebensgewohnheiten zumal der ana-
tolischen Landbevölkerung diametral
entgegengesetzt waren. Atatürk, der in
realistischer Selbsteinschätzung sagte,
daß die Ehe nicht für ihn gemacht sei,
zielte aber nicht auf die Auflösung der
Familien, sondern ihre Stabilisierung im
Dienst der Republik.
Die Familienpolitik des Faschismus
in Italien setzte mit Giovanni Gentiles
Anspruch an, die Familie in den Staat
zu absorbieren. Konkret kontrastiert
Ginsborg die von Tyrannei nicht freie
faschistische Familie Mussolini mit Ma-
rinettis Erfahrung von Liebes- und Fami-
lienglück, das den bellizistischen Dikta
des Futuristen erstaunlich widerspricht.
Mit viel Belegmaterial wird gezeigt, daß
die Programme zur Geburtensteigerung
keineswegs nach sowjeti- erschienenes Buch „Män- ben zu können, wie sie es sich wünsch- daß Lukács als Politkommissar nicht Rokoko (taktvolle soziale Distanz- und
schem Vorbild auf Auf- nerphantasien“ Explika- te, zur strammen Stalinistin geworden. nur Todesurteile fällte, sondern auch in Rollenspiele unter Wahrheitsverzicht).
lösung der Ehe. Federico tionskraft zuweist, be- Das Stalinsche Familiengesetz von 1944 persona am roten Terror beteiligt war, Hinter diesem Entwurf steht zweifels-
Garcia Lorcas Straßen- fremdet. Eindrucksvoll verband Sozialpolitik mit unbedingter indem er sich der Kollektivierung nach ohne ein liberal halbierter Nietzsche.
theater diente gerade der ist das Kapitel nicht zu- Kontrolle. Säuberungen und Großer Va- bolschewistischem Vorbild widersetzen- „Einen Skandal um Lukács gibt es
Vermittlung kastilischer letzt durch die glänzend terländischer Krieg rissen die politisch de Bauern ohne Prozeß eigenhändig nicht“, dekretierte Joscha Schmierer
Traditionen: ein bemer- Alexandra Kollontai erzählten, zugleich durch entmachtete Familie auch äußerlich in durch Genickschuß hinrichtete. Das vor fast fünfundzwanzig Jahren (Kom-
kenswerter Gleichklang, (1872–1952) Statistiken belegten Um- den Orkus. Heft ist Iring Fetscher gewidmet, der mune, 8/1991) – in diese Zeit halb-
den Francos Propaganda stände des Familienlebens Ginsborg hat ein umfassendes Werk im Juli dieses Jahres verstarb. herziger Revisionsversuche geistes-
und die Zerspaltungen des Bürgerkriegs in der Weimarer Republik: die große vorgelegt, das man gleichermaßen we- Der Aufsatz von Matthias Bormuth geschichtlicher Fehlurteile fühlt sich
überdeckten. Leid und Hunger mußten Zahl von Fürsorgeempfängern, Proleta- gen seiner vorzüglichen statistischen An- stellt einige interessante Funde aus Karl der Leser der aktuellen Ausgabe der
allerdings die „besiegten Familien“ er- risierungen und schwierige Hygienever- hänge und Graphiken wie auch wegen Jaspers Nachlaß vor, aus denen her- Zeitschrift für Ideengeschichte zurück-
dulden – auch diese Hinterlassenschaft hältnisse in den Großstädten, in denen seiner plastisch einfachen Erzählweise vorgeht, daß sich Lukács durch Jas- versetzt. Mit den gesetzten Akzenten
des Franco-Regimes weiß Ginsborg dif- sich manche Familien in Wohnungen als Standardwerk schätzen wird. Subtil pers psychiatrische Ge- könnte das privilegier-
ferenziert zu berichten. Haustiere hielten, um autark zu sein; werden vergleichende Linien zwischen fälligkeitsgutachten vor te Periodikum zumin-
In der Darstellung der deutschen Fa- dieses Faktorenbündel explodierte in den Systemen gezogen. Eine einfache dem Fronteinsatz im dest mit diesem Heft
milienpolitik im Nationalsozialismus der Weltwirtschaftskrise. Die theoreti- Lehre kann man diesem Buch nicht ent- Ersten Weltkrieg drük- ohne weiteres An-
greift Ginsborg zunächst zum nahelie- schen Debatten über Wohlfahrt waren nehmen. Der Verfasser hegt eine gewisse ken konnte. In der Na- spruch auf den Titel
genden Paradigma: Goebbels als Famili- Makulatur geworden. Sympathie für Reformen und Moder- tur derartiger Gutach- Zeitschrift für Kultur-
envater wird Hitler, dem selbstinszenier- Die nationalsozialistische Ideologie nisierungen in familienrechtlichen Zu- ten, was der Autor nicht marxismus erheben,
setzte dann auf die Familie als „kleine sammenhängen, zeigt aber auch, wohin reflektiert, liegt es, daß nicht nur das aus-
Paul Ginsborg:
Die geführte Fa-
Welt“, die aber durchgehend gelenkt eine politische Funktionalisierung der ihre Diagnosen einem gesparte Titelthema
und mit der großen Welt der „Bewe- Familie führte. Diese Warnung dürfte außermedizinischen „Kommissar Lukács“,
FOTO: WIKIMEDIA COMMONS

milie. Das Private

und Familienplanung eher wirkungslos in Revolution und gung“ verschränkt wurde. Kontrolle hochaktuell bleiben. Zweck dienten und auch die anderen The-
blieben. Auch die finanziellen Förder- Diktatur 1900– und Mobilisierung zeigen sich darin, daher mit Vorsicht be- men gewidmeten Bei-
programme waren halbherzig und ver- 1950. Hoffmann daß Kinder durch HJ und BDM den handelt werden sollten. träge legen dies nahe.
und Campe, Ham- Prof. Dr. Harald Seubert bekleidet eine Pro-
sickerten entsprechend. Dem formierten burg 2014, gebun-
Einflüssen der Familie weitgehend ent- fessur für Philosophie und Religionswissen- Ebensowenig läßt sich
Familienbegriff der Faschisten kontra- den, 752 Seiten, zogen wurden. Umgekehrt wird die Fa- schaft an der STH Basel. Daneben lehrt er an aus dem psychiatrischen
stierte der Integralismus der Kirche: Die 38 Euro milie in Film und Propaganda überidea- der Hochschule für Politik in München. Befund – daß Lukács Georg Lukács www.z-i-g.de

Herbert Marcuses neue Aktualität: Wutbürger stehen gegen das System auf Kultur der Begünstigung: Kirchen und Korruption in Südafrika

Wider den liberalen Totalitarismus Götzendienst der Konsumorientierung

W ie die jüngsten Krisen des Finanzkapitalis-
mus und die sozialen „Kollateralschäden“
der neoliberalen Globalisierung den Analytiker
Karl Marx rehabilitierten, so könnten „Wut-
bürger“, die in Europa immer offensiver gegen
das realexistierende System aufbegehren, dem
in Vergessenheit geratenen Neomarxisten Her-
bert Marcuse (1898–1979) neue Resonanz ver-
schaffen. Diese Aktualität des Kämpfers gegen
den „liberalen Totalitarismus“ glaubt jedenfalls
der US-Historiker Eric D. Weitz wahrzuneh-
men (Blätter für deutsche und internationale Po-
litik, 10/2014). Für Marcuse, der wie der junge
Marx und wie sein Lehrer Martin Heidegger im
deutschen Idealismus wurzle, habe außer Frage
gestanden, daß die liberal-demokratischen Ge-
sellschaften des Westens genauso Manifestatio-
nen der den Keim des Totalitarismus bergenden
ökonomisch-technischen Rationalität seien wie
der NS-Staat oder Stalins Sowjetunion. Denn
die demokratisch verfaßte Industriegesellschaft,
ihre Technologie und Medien entmachteten und
manipulierten den Menschen in ähnlicher Weise
wie diktatorische Regime. Wie Marx und Hei-
degger argumentiere Marcuse, daß in der büro-
kratisierten Moderne das funktionalisierte Indi-
viduum die Fähigkeit verliere, über sich selbst zu
bestimmen. Eine Theorie, die für Weitz „heute
noch relevanter“ ist als um 1970, als Marcuse
den Zenit seines Ruhms erreicht hatte. (wm)
www.blaetter.de
I n Südafrika dominieren seit dem Ende der
Apartheid 1994 die evangelikal-pfingstkirch-
lichen „Wohlstands-Kirchen“, die Reichtum als
Zeichen göttlichen Segens ansehen und mit ih-
rer Predigt den Zuspruch der neuen schwarzen
Mittelklasse finden. In einem Land, in dem
unter langjähriger Führung des African Na-
tional Congress (ANC) die Korruption in den
vergangenen zwanzig Jahren ein „systemisches
Ausmaß“ angenommen habe (im Ranking kor-
rupter Staaten auf Platz 67 abgerutscht), gerate
eine hauptsächlich auf materiellen Wohlstand
fixierte, dem Prinzip „Bete und werde reich“
verfechtende Religion aber in den Verdacht,
die staatlich organisierte Bestechung, Vettern-
wirtschaft und Veruntreuung theologisch zu
Historisches
legitimieren, wie der in Johannisburg und Pre-
toria Sozialethik lehrende Jesuit Anthony Egan
annimmt (Concilium. Internationale Zeitschrift
Kalenderblatt
für Theologie, 4/2014). Obwohl man sich intern
inzwischen vom „Götzendienst der Konsum- 20. Januar 1990:
orientierung“ distanziere, sei doch nicht zu In Leipzig schließen sich
verkennen, daß die weiterhin positive Haltung zwölf Oppositionsgruppen
zum Wohlstand den politischen Konformis- zur konservativen Deut-
mus der Evangelikalen gegenüber der „Kultur schen Sozialen Union (DSU)
der Begünstigung“ des ANC fördere. Deshalb zusammen. Erster Vorsitzen-
seien die Pfingstkirchen weit davon entfernt,
eine kritische Position gegenüber dem korrup-
der ist der Pfarrer Hans-Wil-
ten Establishment einzunehmen, dem sie eine helm Ebeling. Der Start der
„spirituelle Heimat“ bieten. (wm) DSU wird von der baye-
rischen CSU unterstützt.
www.gruenewaldverlag.de
20 | G E S C H I C H T E
Frauen im IS: Kampf
für kollektive Identität
FRANKFURT/MAIN. Warum
kämpfen auch Frauen für den
„Islamischen Staat“, obwohl das
nahöstliche Kalifat des Schrek-
kens eine maximal frauenfeind-
liche Ideologie propagiert? Die
Politologin Nimmi Gowrinathan
glaubt die Antwort durch einen
Vergleich mit den von ihr 2005
befragten Frauen gefunden zu ha-
ben, die sich auf Sri Lanka den
„Tamil Tigers“ anschlossen (Welt-
Sichten, 10/2014). Auch diese ta-
milischen Terroristen kämpften
für einen unabhängigen Staat und
pflegten ein extrem patriarchali-
sches Frauenbild. In einem Tami-
lenstaat hätten Mitstreiterinnen
daher genauso mit ihrer Entrech-
tung zu rechnen wie die IS-Frauen
im Kalifat. Trotzdem griffen sie
zur Waffe, weil sie sich vorrangig
zunächst nicht als Frauen, sondern
als Angehörige einer Minderheit
unterdrückt fühlen. In Sri Lanka
wie in Syrien und im Irak gehe
es Frauen daher um die Vertei-
digung ihrer kollektiven Identi-
tät, die ihnen wichtiger sei als die
Emanzipation von hergebrachten
„Geschlechterrollen“. (dg)
www.welt-sichten.org
Wie die Ich-Kultur
mit ihren Toten umgeht
BONN. Die der „westlichen Kul-
tur“ eigene Individualisierung al-
ler Lebensformen macht auch vor
dem Tod nicht halt. Es lasse sich,
wie Diana zu Hohenlohe berich-
tet (Zeitschrift für medizinische
Ethik, 4/2014), im Bestattungs-
wesen ein rasanter Wandel hin
zur Individualisierung und Plu-
ralisierung der Wünsche in bezug
auf den Umgang mit Verstorbe-
nen registrieren, auch wenn die
private Unterbringung der Urne
(noch) verboten ist. Darum neh-
me generell die Bedeutung von
christlichen Friedhöfen, die über
Jahrhunderte Ruhestätten für die
Körper der Toten gewesen seien,
als Orten der Trauer und des To-
tengedenkens ab. Die Bestattung,
die den Leichnam zu einer öffent-
lichen Figur gemacht habe, verlie-
re folglich ihren Status als gesell-
schaftliches Ereignis und gerate
zur „privaten Angelegenheit“. Sie
finde sogar, obwohl sie früher zu
den Höhepunkten religiösen Le-
bens zählte, in fortschreitendem
Maße unter Ausschluß der insti-
tutionalisierten Religion und im-
mer häufiger selbst ohne religiöse
Zeremonie statt. (ob)
www.zfme.de
Erste Sätze
Die Politik Preußens in der
Epoche des Friedens von
Basel pflegt von der Nach-
welt nicht mit Wohlwollen
beurteilt zu werden.
Max Lenz:
Geschichte der Königlichen
Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Berlin, Bd. I,
Halle 1910
JF-Buchdienst
Hohenzollerndamm 27a
10713 Berlin
Fanatisch gegen alle
Seiten gekämpft
„Held der Ukraine“ oder Anführer einer
„faschistischen Mörderbande“? Viele Jahrzehnte
nach seiner Ermordung ist Stepan Bandera
immer noch heftig umstritten
JÜRGEN W. SCHMIDT
M
an muß anerkennen, daßMos-
kau mit seiner ganzen Konse-
quenz und seiner Unaufrich-
tigkeit bei der Verfolgung seiner impe-
rialen Ziele immer wieder neue Wege
zum Ziel ausfindig macht, wenn sich die
alten als ungangbar erweisen. Das kann
man besonders deutlich bei den Versu-
chen erkennen, die Zugehörigkeit der
Ukraine zum russischen Imperium zu
einer ewigen zu gestalten.“
Diese Worte könnten von US-Präsi-
dent Obama oder Bundeskanzlerin Mer-
kel stammen, wurden aber von Stepan
Bandera 1957 in einer, in der Bundes-
republik erscheinenden, ukrainischen
Exilantenzeitung geschrieben. Keine zwei
Jahre später war Bandera tot. In Mün-
chen ermordete ihn ein KGB-Spezialist
für „nasse Sachen“, der bereits den jü-
dischstämmigen Exilukrainer und vor-
maligen Auschwitzhäftling Lew Rebet
auf dem Gewissen hatte.
Ausgerechnet auf dem Höhepunkt
der Ukraine-Krise, Mitte August 2014,
wurde das Grab von Bandera auf dem
Münchener Waldfriedhof brutal verwü-
stet. Man geht nicht fehl in der Annah-
me, daß chauvinistische Russen hinter
der Tat stehen, wie denn auch heute noch
auf Russen der Name von Bandera und
seinen „Banderowzy“ als sprichwörtliches
„rotes Tuch“ wirkt.
Selbst in der heimatlichen Ukraine
ist Stepan Bandera umstritten. Der pro-
westliche Präsident Viktor Juschtschenko
ernannte Bandera im Januar 2010 offizi-
Vor 25 Jahren wurden Hunderte Menschen Opfer der antiarmenischen Pogrome im aserbaidschanischen Baku
WOLFGANG KAUFMANN
E rmutigt durch Glasnost und Pe-
restroika begannen muslimische
Separatisten Ende der achtziger Jahre
des 20. Jahrhunderts, von der Loslösung
ihrer heimatlichen Sowjetrepubliken
aus dem Staatenverbund der UdSSR
zu träumen – darunter nicht zuletzt
solche maßgeblichen Anführer bezie-
hungsweise Ideologen der Volksfront-
Partei von Aserbaidschan wie Abdaf
Abdullahow und Hamid Cherischi. Sie
forderten den Zusammenschluß aller
turkstämmigen Muslime im Kaukasus,
dem Wolgagebiet und Mittelasien sowie
die Gründung einer „unabhängigen,
freien, türkischen Republik“, welche
diese Regionen umfaßt.
Dafür erhielten sie viel Beifall von
seiten der damaligen Führung in An-
kara. Ebenso schaltete sich der südlich
an Aserbaidschan angrenzende Iran ein.
bestellen Sie telefonisch:
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ell zum „Helden der Ukraine“, während
zwei Monate später der neue prorussische
Präsident Viktor Janukowitsch diesen
Erlaß gleich wieder außer Kraft setzte.
Die politischen Gegenspielerin Julia Ti-
moschenko, deren Rückenschmerzen
Kanzlerin Merkel und ganz Deutschland
einst mit gespannter Aufmerksamkeit
verfolgte um sie dann total zu vergessen,
kritisierte diesen Entschluß von Januko-
witsch seinerzeit heftig. Hieraus ist zu
entnehmen, daß man viele Jahrzehnte
nach Banderas Tod mit seinem Schicksal
in der Ukraine immer noch politisch zu
punkten versucht. Der Freiheitskämpfer
der einen Seite ist dabei ein Mörder und
Terrorist für die andere Seite.
Bandera erlitt nach 1918
polnische Unterdrückung
Die Stereotype des Freiheitskämpfers
wie des Terroristen und Mörders bedien-
te Stepan Bandera während seiner 50
Lebensjahre wie kaum kein anderer.
Als österreichisch-ungarischer Unter-
tan in Galizien in der Familie eines na-
tionalbewußten griechisch-katholischen
Geistlichen geboren, entwickelte sich der
junge Mann wie viele seiner Generation
schnell zum überzeugten ukrainischen
Nationalisten. Wohnten die Ukrainer
vor 1914 entweder im russischen oder
österreichisch-ungarischen Imperium, so
mutierten sie ab 1918 ohne ihr Einver-
ständnis zu Bewohnern der Sowjetunion,
Polens und der Tschechoslowakei.
Der nur 1,59 Meter große, ungemein
willensstarke Stepan Bandera wurde
aufgrund seines Wohnorts unfreiwillig
polnischer Staatsbürger. In Polen unter
Als Allah das Erbe Lenins antrat
So beklagte der oberste geistliche Füh-
rer des Mullah-Regimes, Ajatollah Ali
Chamenei, die Verfolgung der sowjeti-
schen Muslime durch „gottlose Kräfte“
in Moskau, woraufhin dann der Ruf
nach einer Vereinigung des schiitischen
Volkes der Aseri, das nicht nur in Aser-
baidschan, sondern auch dem nordwest-
lichen Iran zu Hause ist, laut wurde.
Blutiger Streit um die
Region Bergkarabach
Parallel hierzu eskalierte der Kon-
flikt zwischen den Sowjetrepubliken
von Aserbaidschan und Armenien um
den Besitz der Region Bergkarabach im
Kaukasus: Obwohl Moskau das um-
strittene Gebiet am 12. Januar 1989
wegen der permanenten Gewaltaus-
brüche dort unter eigene Verwaltung
gestellt hatte, proklamierten sowohl der
Oberste Sowjet in Eriwan als auch der
in Baku den formellen Anschluß von
Der »häßliche Deutsche« wurde 1914 erfunden. Er war und ist
das Ergebnis einer skrupellosen Propaganda, die die Gegner
Deutschlands während des Ersten Weltkriegs in Umlauf
brachten – mit dem Ziel, die Deutschen als Barbaren aus dem
Menschengeschlecht auszustoßen.
204 Seiten, zahlr. Abb., geb. im Großformat
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FOTO: REUTERS / GLEB GARANICH
Demonstration ukrainischer Nationalisten mit Bandera-Bild, Kiew 2013: Aussöhnung ausgeschlossen
drückte man die ukrainische National-
bewegung heftig, und er haßte deshalb
den polnischen Staat grimmig. In der
sich Mitte der zwanziger Jahre bilden-
den Kampforganisation „OUN“ (Or-
ganisation Ukrainischer Nationalisten)
nahm der Student Bandera schnell eine
führende Stellung ein und drängte auf
„Kampfmaßnahmen“. Nach der Ermor-
dung des polnischen Innenministers Bro-
nislaw Pieracki 1934, an welcher Bandera
maßgeblich beteiligt war, verurteilte man
ihn zum Tode. Zwar wurde er anschlie-
ßend zu lebenslanger Haft begnadigt,
doch sollte der glühende Kämpfer für
die Unabhängigkeit der Ukraine nun bis
zu seiner Ermordung (außer kurzzeitig
1939) die Heimat nicht wiedersehen.
Die OUN richtete ab 1934 ihre Ter-
rorattacken nicht allein mehr gegen Po-
len, sondern zunehmend auch gegen
die Sowjetunion. Die Exilukrainer der
OUN setzten dabei auf die deutsche Kar-
te, denn der Feind des eigenen Feindes
ist bekanntlich immer ein Freund. Deut-
Bergkarabach, wobei die diesbezügliche
armenische Erklärung aber erst am 1.
Dezember 1989, also mehrere Monate
nach der aserbaidschanischen, abgege-
ben wurde.
Dennoch kam es in Reaktion hierauf
zu „spontanen“ Pogromen gegenüber
den Armeniern in Aserbaidschan – al-
lerdings fielen den Massakern bald auch
andere Nichtmuslime wie Russen und
Juden zum Opfer. Besonders brutal wü-
tete der von der Volksfront aufgehetzte
Mob dabei in der aserbaidschanischen
Hauptstadt Baku, wo zwischen dem 12.
und 20. Januar 1990 mehr als hundert
Menschen den Tod fanden. Über das
Vorgehen der Täter informiert ein später
erstellter UN-Bericht, in dem es unter
anderem heißt: „Tagelang (…) wurde
die armenische Bevölkerung (…) ermor-
det, gefoltert, ausgeraubt und ernied-
rigt. Schwangere Frauen und Säuglinge
wurden belästigt, kleine Mädchen wur-
den vor den Augen ihrer Eltern verge-
Die Erfindung des
häßlichen Deutschen
Karlheinz Weißmann
sche Geheimdienste stellten 1938/39 ei-
nige Sabotage- und Diversionseinheiten
aus Exilukrainern auf, welche aber weder
gegen Polen 1939 noch gegen die Sowje-
tunion 1941 irgendwelche ernsthaften
Aufgaben erfüllten. Im Gegenteil, als na-
tionalistische Ukrainer voller Hoffnung
beim deutschen Angriff auf die Sowjetu-
nion im Juni 1941 einen eigenen ukrai-
nischen Staat proklamierten, gesellte sich
jetzt Deutschland zu den Unterdrückern
der ukrainischen Nationalbewegung.
Sein Vater wurde 1941 von
Stalins NKWD erschossen
Die Partisanen der OUN führten des-
wegen von 1941 bis 1945 einen Kampf
gleich an drei Fronten: gegen Polen, Rus-
sen und nunmehr gegen die Deutschen.
Banderas Vater wurde 1941 vom NK-
WD erschossen, seine Schwestern sa-
ßen jahrzehntelang in sibirischer Verban-
nung, und zwei seiner Brüder starben im
deutschen KZ Auschwitz. Obwohl man
waltigt, christliche Kreuze wurden auf
ihre Rücken gebrannt, und sie wurden
aufgrund ihres christlichen Glaubens
mißbraucht.“
Der dezidiert antichristliche Cha-
rakter der Ausschreitungen ist zudem
aus dem Umstand ersichtlich, daß die
muslimischen Terrorbanden auch die
Armenische Apostolische Kirche in Ba-
ku niederbrannten, wobei weder die ört-
liche Feuerwehr noch die Miliz Anstal-
ten machten, dies zu verhindern.
Angesichts der Ausschreitungen so-
wie der immer lauter werdenden Rufe
nach einem unabhängigen islamischen
Aserbaidschan verhängte das Präsidi-
um des Obersten Sowjets in Moskau
am 19. Januar den Ausnahmezustand
über Baku. Außerdem erging ein Be-
fehl des Partei- und Staatschefs Michail
Gorbatschow an den Oberbefehlsha-
ber der Landstreitkräfte der UdSSR,
Armeegeneral Walentin Warennikow,
umgehend Truppen zu entsenden, um
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Bandera für diesen Zeitraum persönlich
kein Blut an den Händen nachweisen
kann– immerhin saß er von 1939 bis
1944 in deutscher Haft –, führten sei-
ne OUN-Fanatiker den Kampf gegen
ihre Feinde mit einer brutalen Härte,
die an die Halsabschneider des heuti-
gen IS erinnert. Polen, Russen, Juden
und Deutsche, ganz gleich ob Zivilisten
oder Militärs, wurden gnadenlos nieder-
gemetzelt. Man gab keine Gnade und
begehrte auch keine.
Der bewaffnete Kampf in der Sowje-
tukraine kam erst Mitte der fünfziger
Jahre zum Erlöschen und das Geden-
ken an die Kämpfer der OUN geriet im
ukrainischen Volk bis heute nicht in Ver-
gessenheit. Besonders in der westlichen
Ukraine gilt Bandera als ein Volksheld,
während in der russisch geprägten öst-
lichen Ukraine Bandera den blutrünsti-
gen, faschistischen Kollaborateur verkör-
pert. Je nach Sichtweise scheiden sich
hier die Geister und eine Aussöhnung
scheint ausgeschlossen.
das Töten am Kaspischen Meer zu
beenden. Daraufhin rückte noch am
Abend ein 26.000 Mann starkes Kon-
tingent der Roten Armee in der aser-
baidschanischen Hauptstadt ein. Dem
folgten nächtliche Straßenschlachten
mit Volksfront-Anhängern, bei denen
93 Insurgenten und 29 Sowjetsoldaten
fielen. In den nächsten Tagen evakuierte
das Militär der Zentralregierung dann
24.000 Armenier; ebenso wurden alle
in Baku lebenden Russen in Sicherheit
gebracht.
Heute spricht man im nunmehr un-
abhängigen und muslimisch dominier-
ten Aserbaidschan, das für seine aus-
ufernde Korruption und desolate Men-
schenrechtssituation bekannt ist, vom
„Schwarzen Januar“, in dessen Verlauf
der Kreml versucht habe, die nationa-
le Unabhängigkeitsbewegung in der
Sowjetrepublik niederzuschlagen. Das
heißt, die Mörder von einst sonnen sich
jetzt in der Opferrolle.
EDITION
JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Über die rosa
Relevanz
Schwule als neue
„Leistungsträger“
WERNER OLLES
Ü ber die gesellschaftspolitische
N
Relevanz mancher Bücher
läßt sich streiten. So verhält es sich
auch bei Jens Schadendorfs „Der
Regenbogenfaktor“, in dem der
Autor „erstmals die dynamische
Rolle von Homosexuellen und die
mit ihnen verknüpften Bereiche-
rungen der Vielfalt in Unterneh-
men und Gesellschaft (zeigt)“ und
bei der Aufzählung der Konzerne
von Allianz und IBM über Com-
merzbank und Deutsche Post bis
McKinsey auch die Bundeswehr
und den Deutschen Fußball-Bund
nicht vergißt. So seien „Schwule
und Lesben in Wirtschaft und
Gesellschaft von Außenseitern zu
Leistungsträgern“ geworden. Wer
hätte das gedacht? Immerhin sind
inzwischen über 60 Jahre vergan-
gen, als es in gewissen halbstarken
Kreisen noch üblich war, abends
im Park „Schwule zu verkloppen“.
Jens Schadendorf:
Der Regenbogen-
Faktor. Schwule
und Lesben in Wirt-
schaft und Gesell-
schaft. Redline Ver-
lag, München 2014.
gebunden, 192 Sei-
ten, 19,90 Euro
Schadendorf, Unternehmens-
berater, Publizist und bekennen-
der Homosexueller, sieht in den
erfolgreichen Schwulen aus der
„bürgerlichen Mitte“ die „neu-
en Helden des Alltags“. Tatsäch-
lich sind Homosexuelle in man-
chen gesellschaftlichen Berei-
chen prägend. Allerdings erklärt
uns Schadendorf nicht, warum
in einer derart homosexualisier-
ten Gesellschaft das Outing des
millionenschweren Fußballstars
Hitzelsberger einen derartigen
Medienrummel verursachte wie
vor einem Jahr, wobei ständig aus
der Perspektive einer imaginären
Opferrolle argumentiert wurde.
Nervend wie belanglos offen-
sichtlich sind Neuigkeiten wie
jene, daß die Vorsitzenden von
LSU (Lesben und Schwule in der
Union) und Schwusos (Lesben
und Schwule in der SPD) schon
mal gemeinsame Erklärungen zur
Homoehe abgeben. Noch ermü-
dender ist aber die politische Kor-
rektheit des Autors. So fällt kein
Wort darüber, daß handgreiflicher
Schwulenhaß hierzulande nahe-
zu ausschließlich von männlichen
muslimischen Zuwanderern aus-
geht, oder daß die Mißbrauchs-
fälle in der katholischen Kirche
– die Schadendorf wegen ihrer an-
geblichen „Homophobie“ an den
Pranger stellt – fast allesamt von
homosexuellen Priestern began-
gen wurden.
Das einzige, was man bei die-
sem Sammelsurium von Bana-
litäten und Trivialitäten aus der
Binnensicht noch vermißt, ist die
Forderung nach einer Homoquo-
te für die städtische Müllabfuhr.
Michel Houellebecq
Unterwerfung
Roman
ab
Lieferbar 15
20
16. Januar
Frankreich in naher Zukunft? Michel
Houellebecq erzählt die Geschichte eines
Literaturwissenschaftlers, der zur Décadence
forscht und zugleich die Geschichte eines
dekadenten Landes! Ein muslimischer Politiker
greift nach dem Präsidentenamt, während der
Bürgerkrieg ausbricht
280 S., geb.
Best.-Nr.: 92575 EUR 22,99
Michael Hüther will die europäische Integration neu denken / Eine Absage an eine politische Union
PETER MICHAEL SEIDEL
euerscheinungen zur neuen
deutschen Rolle in Europa
gab es in diesem Jahr einige.
Aus amerikanischer, italienischer und
französischer Feder. Jetzt liegt auch aus
Deutschland ein Buch zum Thema vor,
das sich deutlich von herkömmlichen
und verklärenden Europabüchern à la
Helmut Kohl, Werner Weidenfeld und
Joseph Fischer abhebt.
Dabei ist es vor allem die Absage an
die These, der Nationalstaat sei in Zeiten
der Globalisierung überholt, die auf-
horchen läßt. Wichtig daran ist, daß
der Einspruch von einem renommier-
ten Ökonomen stammt, von Michael
Hüther, Direktor des Instituts der deut-
schen Wirtschaft in Köln. In seinem
Buch „Die junge Nation. Deutschlands
neue Rolle in Europa“ räumt er mit ei-
ner ganzen Reihe von Lebenslügen einer
unaufhaltsam fortschreitenden Euro-
päisierung auf, die täglich Brot in der
EU-Politik und -Berichterstattung sind.
Hüthers Grundfeststellung lautet:
Der Nationalstaat ist durch die Globa-
lisierung keineswegs überholt, auch in
der Finanz- und Eurokrise waren Na-
tionalstaaten die Akteure, die inter- und
supranationale Organisationen wie den
IWF für die Troika und die EU für
den Euro-Rettungsplan nach Bedarf
herangezogen hätten. Vor allem hät-
ten Globalisierung und Europäisierung
die Nationalstaaten weder gleich- noch
kleingeschliffen, vielmehr hätten sich
diese je nach ihren unterschiedlichen
kulturellen Traditionen anders und in
der EU-Währungsunion sogar ausein-
anderentwickelt. Die Bereitschaft, von-
einander zu lernen, sei kaum vorhanden
– was zu weiter unterschiedlichen Ent-
wicklungen beitrage.
Daraus leitet Hüther Folgerungen
für die Entwicklung der EU ab: Zu-
nächst erteilt er den Forderungen nach
einer politischen Union für die EU eine
Absage, indem er fragt, „ob die Idee ei-
ner europäischen politischen Union (...)
nicht fragwürdig geworden ist“ und zu
dem Ergebnis kommt, „der allfällige,
nahezu eschatologische Ruf nach einer
politischen Union hilft nicht weiter“.
Verwundert fragt er, warum „in der of-
fiziellen politischen Arena immer wieder
das Ziel einer politischen Union propa-
giert“ werde. Seine Antwort: Daß sich
dahinter, gerade bei linken Autoren wie
Habermas „von der neomarxistischen
Frankfurter Schule“, eben „das Werben
für Eurobonds und eine europäische
Schuldengemeinschaft verbirgt“.
Hüther will Europa und die Natio-
nalstaaten miteinander versöhnen: „Es
muß darum gehen, die Nationen in ih-
ren Staaten für die Europäische Union
zu mobilisieren, die als Holding den
Kontinent durch eine historisch-kul-
turelle Perspektive zusammenhält und
vor einer fehlgeleiteten Europäisierung
bewahrt. Die Tatsache, daß Deutsch-
land als junge Nation zu sich gefunden
hat, begründet die Erwartung, dieses
für Europa unentbehrliche Volk kon-
struktiv und führungsstark in diesen
Prozeß einzubinden.“
Vorsichtig bleibt Hüther allerdings
bei der Frage, was aus der EU-Wäh-
Paul Collier
Exodus
Kaum eine Frage wird so heftig
diskutiert wie die der Einwan-
derung leider meist emotional,
ideologisch und mit wenig
Wissen. Paul Collier wirft einen
neuen Blick auf die weltweite
Migration, vergleicht Kosten und
Nutzen und betrachtet auch die
Situation der Herkunftsländer.
320 S., geb.
Best.-Nr.: 92461
Udo Ulfkotte
Gekaufte Journalisten
Wie Politiker, Geheimdienste
und Hochfinanz Deutschlands
Massenmedien lenken
Erstmals enthüllt Ulfkotte, wie
er als FAZ-Journalist geschmiert
und in amerikanische Lobbyver-
bände aufgenommen wurde. Er
blickt hinter die Kulissen, zeigt,
wie Journalistenpreise verge-
ben werden, und belegt, daß
Geheimdienstmitarbeiter sogar
Texte für Redaktionen verfassen.
336 S., geb.
Best.-Nr.: 92450
Rehabilitiert den Nationalstaat
FOTO: IMAGO / 51724339
Puzzle aus Flaggen: Europa und die Nationalstaaten miteinander versöhnen
rungsunion werden soll – bei einem
Mann in seiner Position nicht überra-
schend – und spricht von der „Sack-
gassenlogik“ der Währungsunion: „Das
führt dazu, daß der Austritt einzelner
Länder allein wegen der Unkalkulier-
barkeit seiner Folgen für das gesamte
Währungsarrangement keine wohlfeile
Option der Währungspolitik ist.“ Die
Frage, was dann jenseits aller „Wohlfeil-
heit“, die kaum jemand behauptet, oder
einer Schuldengemeinschaft noch bleibt,
wenn die Problemstaaten weder lernen
können noch wollen, läßt er offen.
Das Buch gliedert sich in sechs Ka-
pitel, von denen vor allem das erste und
das letzte sich direkt mit dem Thema
beschäftigen, während die mittleren vier
Michael Hüther:
Die junge Nati-
on. Deutschlands
neue Rolle in Eu-
ropa. Murmann
Verlag, Hamburg
2014, gebunden,
296 Seiten,
19,99 Euro
Akif Pirincci
Deutschland von Sinnen
Ein Deutschtürke liest uns die
Leviten: Mit heiligem Zorn
bekämpft der Bestsellerautor
Akif Pirinçci Gutmenschen,
vaterlandslose Gesellen, Gen-
der-Spinner und die politisch
korrekte Kaste. Vielleicht die
letzte Warnung – das meinungs-
politische Zwangskorsett wird
täglich enger.
278 S., Pb.
EUR 22,99 Best.-Nr.: 92311
Akif Pirincci,
Andreas Lombard (Hrsg.)
Attacke auf den Mainstream
Akif Pirinçci trieb die Medien
zur Raserei. Er wurde als
Haßprediger beschimpft und
sein Bestseller Deutschland
von Sinnen gar mit Hitlers
„Mein Kampf“ verglichen. Der
vorliegende Band versammelt
Texte von Akif Pirinçci, Thorsten
Hinz, Martin Lichtmesz, Thor
Kunkel, André F. Lichtschlag u.a.
220 S., Pb.
EUR 22,95 Best.-Nr.: 92471
sich mit grundsätzlichen Fragen wie
den Thesen Helmuth Plessners von der
verspäteten Nation Deutschland oder
mit dem grundsätzlichen Verhältnis
von Nationalstaat und ökonomischer
Globalisierung beschäftigen. Politisch
spannend wird es, wenn er einen „ver-
änderten Blick auf Deutschland und
Europa“ fordert (Kapitel I), eine „De-
Nationalisierung durch Globalisierung“
(Kapitel II) bestreitet oder wie in Kapitel
VI über „Deutschland im Europa der
Nationen“ spricht.
Die Rehabilitierung des National-
staates vier Jahre nach Beginn der Eu-
ro-Schuldenkrise kommt direkt aus der
deutschen Wirtschaft. Ihr Pragmatis-
mus wird deutlich, wenn Hüther es ab-
lehnt, den Nationalstaat wie die EU auf
ihre jeweiligen Übersteigerungen und
Fehlentwicklungen zu reduzieren und
fordert, „die europäische Perspektive
durch die nationale Sichtweise zu er-
gänzen“. Für ein Land wie die alte Bun-
desrepublik, die sich oft nur noch „als
Übergangsphänomen auf dem Weg in
eine bessere europäische Welt“ verstand,
Thomas Fasbender
Freiheit statt Demokratie
Rußlands Weg und die
Illusionen des Westens
Rußland ist anders als der We-
sten und wird anders bleiben,
nicht nur wegen Putin. Abwechs-
lungsreich schildert JF-Autor
Fasbender die Urtümlichkeit
des riesigen Landes und die
Mentalität seiner Bewohner. Der
russische Mensch hat ein eigenes
und andersartiges Verständnis
von Freiheit.
368 S., Pb.
EUR 17,80 Best.-Nr.: 92455
Peter Scholl-Latour
Der Fluch der bösen Tat
Das Scheitern des Westens
im Orient
Der Nahe Osten wird von Krie-
gen und Unruhen geschüttelt,
woran die politischen und
militärischen Interventionen
des Westens einen großen An-
teil haben. Angesichts der von
Geheimdiensten gesteuerten
Desinformation sind die Aus-
führungen des großen Nahost-
Experten wahre Lichtblicke.
ca. 340 S., Abb., geb.
EUR 12,00 Best.-Nr.: 92427
Abbildungen können vom Original abweichen!
L I T E R A T U R | 21
Frisch gepreßt
Christian Tilitzki
(Hrsg.): Protokoll-
buch der Philoso-
phischen Fakultät
der Albertus-Uni-
versität zu Königs-
berg i. Pr. 1916–
1944. Fibre Verlag,
Osnabrück 2014,
gebunden, VIII &
702 Seiten, 58 Euro
Königsberg. In die „Festung Kö-
nigsberg“, die am 9. April 1945 ka-
pitulierte, zogen mit den Heerscha-
ren ordinärer sowjetischer Plünde-
rer auch Beutemacher gehobener
Kategorie ein, die nach Kunst-
schätzen, Büchern und Archivali-
en suchten. Was genau diesen wis-
senschaftlich versierten Experten in
den Trümmern des ostpreußischen
Kulturzentrums in die Hände fiel,
darüber schweigen sich russische
Stellen auch 25 Jahre nach dem
Untergang der Sowjetunion aus.
Offener ging man im 1990 unab-
hängig gewordenen Litauen mit
diesem Kriegserbe um, so daß deut-
sche Historiker in Wilna Zugang zu
1945/46 dorthin verbrachten Ak-
ten der Königsberger Universität er-
hielten. Darunter befand sich auch
das Protokollbuch der Philosophi-
schen Fakultät der Albertina. Es do-
kumentiert den Verlauf von 267 Fa-
kultätssitzungen von 1916 bis zum
Oktober 1944 und erweist sich in
der nun edierten und umfassend
kommentierten Fassung mit seiner
universitäts- und wissenschaftshi-
storischen Themenvielfalt als ein-
zigartiges Kaleidoskop ostdeutscher
Geistes- und Kulturgeschichte. (dg)
Klaus Garber:
Das alte Breslau.
Kulturgeschich-
te einer geistigen
Metropole. Böhlau
Verlag, Köln 2014,
gebunden 597 Sei-
ten, Abbildungen,
34,90 Euro
Breslau. „Wie niemand zuvor hat
Josef Nadler die Städte und Regio-
nen des alten deutschen Sprach-
raums unabhängig von politischen
und nationalen Grenzziehungen
der Geschichte der deutschen Li-
bedeutet dies zwar noch keine Wende, teratur gewonnen.“ Diese Würdi-
aber doch die endliche Anerkennung gung des heute als „völkisch“ stig-
der friedlichen Revolution von 1989 in matisierten Germanisten Nadler
Deutschland – 25 Jahre danach. (FAZ, 17. Oktober 2012) liest
Gerade in seinen aktuellen Passagen sich wie ein verstecktes Selbstlob
ist das Buch prägnant und gelungen. des Laudators Klaus Garber. Denn
Am wenigsten gilt dies jedoch für den „wie niemand zuvor“ nach 1945
Obertitel: Eine Nation wie die deutsche hat der Osnabrücker Literaturhi-
mit ihren eklatanten demographischen storiker Städte und Regionen des
Problemen tatsächlich als jung zu be- alten ostdeutschen Sprach- und
zeichnen geht auch dann fehl, wenn man Kulturraums vermessen und dem
sich dabei auf politisch-historische Pro- kollektiven Gedächtnis zu bewah-
zesse bezieht. Dies zeigt sich beispielhaft, ren versucht. Jüngstes Erzeugnis
wenn die Bundesregierung wie in diesem dieser Erinnerungsarbeit ist seine
Jahr zwanzigmal soviel in Rentner wie Kulturgeschichte Breslaus. Dieses
in Kinder und damit in Vergangenheit wuchtige Werk über das „metropo-
statt in Zukunft investiert. litane Herz“ Schlesiens verspricht
Der Niedergang, auch der wirt- im Titel allerdings etwas zuviel, da
schaftliche, ist mittelfristig absehbar. die Breslauer Geistesgeschichte des
Er ist auch durch Völkerwanderungen 19. und 20. Jahrhunderts fast voll-
und Einwanderungswellen nicht ab- ständig ausgespart bleibt. Stattdes-
wendbar. Jenseits aller hochgestochenen sen konzentriert sich Garber auf
Visionen von Europa als „Weltmacht“ das 15. bis 18. Jahrhundert, auf
bleibt so ohne substantielle Umsteue- die humanistische Gelehrtenkul-
rung vielleicht bald nur noch der Titel tur, die Blüte der schlesischen Ba-
„multikulturelle Verlierergemeinschaft“ rockpoesie und die Polyphonie der
für Europa und auch für Deutschland. konfessionellen Strukturen. (ml)
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22 | N A T U R & T E C H N I K JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015

Jahr des Bodens 2015: Umwelt

Nutzungsdruck mindern
Grüne
BADEN-BADEN. Ende 2013 hat Vertreibung
die Uno 2015 als das erste interna-
tionale Jahr des Bodens ausgerufen.
Am 5. Dezember 2014 ist bereits
der erste „Weltbodentag“ began- Die Melancholie Von Jörg Fischer

gen worden. Damit reagieren die

I hr kriegt uns hier nicht raus!

sitzt im limbischen
Vereinten Nationen auf den global
zunehmenden Nutzungsdruck auf
Böden, der durch den erhöhten
Bedarf an nachwachsenden Roh-
stoffen und Fleisch seit 1960 um
60 Prozent gestiegen ist. Auch sei,
wie Harald Ginzky und Knut Eh-
Hirnrindenbereich
lers (Umweltbundesamt) warnen,
die Bodendegradation als Folge
industrieller Prozesse vor allem in
den Entwicklungsländern weiter
auf dem Vormarsch. Das Jahr des
Bodens biete daher die Chance,
die Bedeutung weltweiter Schutz-
maßnahmen mehr ins öffentliche
Bewußtsein zu heben und min-
Das ist unser Haus, schmeißt
doch endlich Schmidt und
Press und Mosch aus Kreuz-
berg raus“, so sang die Berliner
linksalternative Kultband „Ton
Steine Scherben“ 1972 in ihrem
„Rauch-Haus-Song“ gegen Im-
Ein Plädoyer für die Unentbehrlichkeit mobilienspekulanten an. Die
radikalen Hausbesetzer hatten
der Neurobiologie in der Psychotherapie damals Erfolg, das „Rauchhaus-
kollektiv“ ertrotzte sich einen
Nutzungsvertrag für das ehema-
lige Bethanien-Krankenhauses,
der trotz Polizeirazzien im Prinzip
immer noch gilt.
Heutige Immobilienspekulan-

FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DIEKLEINERT.D

destens auf EU-Ebene richtige
Weichenstellungen vorzuberei-
ten (Zeitschrift für Umweltrecht,
11/2014). (ft)
www.zur.nomos.de
Fachärztliche Versorgung
in Ex-DDR ausbaufähig
BERLIN. Die Patientenversor-
gung in Deutschland orientiert
sich in erster Linie nicht an the-
rapeutischen Anforderungen, son-
dern wird durch starke strukturelle
Unterschiede der regionalen An-
gebotskapazität bestimmt. Dies
ten haben es da einfacher, sie brau-
chen „keine Pollis mehr“ oder gar
eine „Knüppelgarde“, wie Sänger
Rio Reiser damals tönte. Das neue
Zauberwort heißt Energieeinspar-
verordnung (EnEV) – von Rot-
Grün eingeführt und unter der
Klimakanzlerin Angela Merkel
Forschungsobjekt menschliches Gehirn: perfektioniert. Und die Leidtra-
Verstehen statt erklären genden sind nicht mehr vermeint-
liche „Bombenleger“, sondern
langjährige Mieter. Deren Miete
ANDREAS HENKE terliege es heute keinem Zweifel mehr, Bremer Neurobiologen indes nicht gnostik und an empirisch fundierten kann sich dank des EnEV unter
daß dem bewußten menschlichen Erle- als weiteren Beitrag zum Disput, den und standardisierten Vorgehenswei- Umständen verdoppeln, denn elf
ben von Wahrnehmungen, Gedanken „Idealisten“ und „Materialisten“ über sen nach dem Motto „Verstehen statt Prozent der Sanierungskosten kön-
und Gefühlen unbewußte neuronale das Selbstverständnis des Menschen Erklären“. nen zehn Jahre lang auf die Jah-

I
ergab eine Studie über die Versor-
gung von Patienten mit Multipler
Sklerose (MS), mit Demenz und
Schizophrenie auf der Datenbasis
von 250.000 Versicherten (Deut-
sches Ärzteblatt, 45/2014). Wäh-
rend bei 94 Prozent der MS-Pa-
tienten ein Facharzt die Erstdia-
gnose stelle, sei dies bei nur 57
Prozent der Demenzkranken der
Fall. Zudem leide gerade diese Pa-
tientengruppe unter langen Warte-
zeiten zwischen Erstdiagnose und
fachärztlicher Weiterbehandlung.
Bei MS-Patienten fiel auf, daß die
Häufigkeit stationärer Behandlung
in Mitteldeutschland im Vergleich
mit Norddeutschland deshalb zu-
nahm, weil dort die Niederlas-
sungsdichte von Neurologen ge-
ringer sei. (rs)
www.aerzteblatt.de
China läutet das
Methanolzeitalter ein
WEINHEIM. Die Vorräte an fos-
silen Rohstoffen sind endlich und,
wie Heribert Offermanns und
Martin Salesch in ihrem Rück-
blick auf das kurzlebige „Erdöl-
zeitalter“ ausführen (Chemie in
unserer Zeit, 10/2014), noch in
diesem Jahrhundert weitgehend
erschöpft. Obwohl es immenser
Anstrengungen bedürfe, um Ener-
gie- und Chemierohstoffe jenseits
des Öls bereitzustellen, spreche ei-
niges dafür, daß die Menschheit
in ein „Methanolzeitalter“ ein-
treten werde. Chinesische Kon-
zerne hätten es bereits eingeläu-
tet. Mit zwei Großanlagen für die
CH3OH-Produktion im Umfang
von 500.000 Tonnen jährlich hät-
ten sie die Vorreiterrolle bei der
Herstellung von Propylen (Poly-
propylen) übernommen. (ck)
m Unterschied zu einem Stein sind Prozesse zugrunde liegen, „die in ei- führen. Vielmehr wollen die Autoren Trotzdem hätten Psychotherapeuten resmiete aufgeschlagen werden –
Pflanze, Tier und Mensch Lebewe- nem gut meßbaren Rahmen von ei- einerseits elementare Kenntnisse über seit langem kaum Berührungsängste ein gutes Geschäft angesichts des
sen. Was deren „Leben“ ausmacht, ist nigen hundert Millisekunden zeitlich den Bau des Gehirns, die „Sprache gegenüber der gleichfalls „kalten“, zu- Euro-Zinstiefs.
allerdings unter abendländischen Den- vorgehen“ und deren spezifischer Ab- der Seele“, wie sie Neuromodulatoren, mindest aber zur Unterstützung gern
kern seit 2.500 Jahren heftig umstritten. lauf auch die Inhalte des Bewußtseins Neuropeptide und Neurohormone ar- verordneten pharmakologischen Be- Über die Sorgen
Einig war man sich seit den Tagen der bestimme. Was immer noch als Seele tikulieren, die Hirnentwicklung und handlung ihrer Patienten. Das Wissen anständiger Mieter
Vorsokratiker im großen und ganzen begriffen werde, Geist und Bewußt- die neurobiologischen Grundlagen der um gut erforschte Korrelationen etwa singt niemand mehr
lediglich darin, daß alle Lebewesen im sein, sei damit unlösbar an neuronale, Persönlichkeit vermitteln. zwischen Depressionen und Änderun- ein Protestlied.
Vergleich mit toten Dingen durch eine also materielle Bedingungen gebunden. Was sie darüber aus der Forschung gen in Hirnstrukturen sowie Einsichten
geheimnisvolle Kraft, eine unstoffliche Mit derart dezidierten Aussagen se- mitteilen, ist zwar überaus anspruchs- in die neurobiologisch ermöglichte Dif- Daß die sogenannte energeti-
„Seele“ ausgezeichnet seien. hen sich Hirnforscher ungeachtet der voll und überschreitet sicher das Ni- ferenzierung verschiedener Unterarten sche Sanierung extrem teuer so-
Wo aber hat die Seele im mensch- enormen Erkenntniszuwächse gerade veau von „Abiturwissen Biologie“. Aber von Depressionen gehörten indes noch wie brandgefährlich und teilweise
lichen Körper ihren Sitz? Sofern Seele in den letzten 20 Jahren weiterhin dem trotzdem sind ihre didaktisch vorzüg- nicht zum alltäglichen psychotherapeu- gesundheitsschädlich (JF 49/12)
mit Geist identifiziert wurde, verortete Vorwurf des „materialistischen Reduk- lich auf bereiteten und durch viele tischen Handwerkszeug. Daher könne ist, interessiert die Politiker – egal
schon Platon sie im Gehirn, während tionismus“ ausgesetzt. Zumal Verteidi- Schaubilder unterstützten Ausführun- Patienten, die an einer melancholischen ob rot, grün oder schwarz – nicht,
Aristoteles sie im Herzen lokalisierte. ger des dualistischen Weltbildes, für die gen auch dem naturwissenschaftlichen Depression litten, mit herkömmlicher und die Bau- und Dämmstofflob-
Erst im 19. Jahrhundert beendeten ver- Natur und Geist unterschiedliche „We- Laien zugänglich, so daß niemandem Gesprächstherapie nicht geholfen wer- by schon gar nicht. Ihr Totschlag-
besserte neuroanatomische Methoden senheiten“ sind, ihren Paradeeinwand Hindernisse auf dem Weg zum Erwerb den, wenn man nicht wisse, daß ihre argument „Klimaschutz“ läßt je-
und Fortschritte der Elektrophysiologie nicht widerlegt sehen: Den Nachweis solider Allgemeinbildung, die auch das Krankheit in einer Überfunktion der den Protest auflaufen. Kosten-
alle Spekulationen mit dem Nachweis, einer „Kausalität“ zwischen neuroche- Einmaleins der Hirnforschung umfas- limbischen Hirnrindenbereiche gründe. Nutzen-Rechnungen verbieten
daß psychische, geistige wie emotionale mischer Kommunikation von Nerven- sen sollte, entgegenstehen. Überhaupt seien Defizite in der Pro- sich damit und gelten als ökolo-
Zustände, auf Prozessen in der grau- zellen und der Konstitution von Be- duktion neurochemischer Stoffe wie gisch unkorrekt.
en, zellhaltigen Substanz des Gehirns wußtsein sei die Hirnforschung bisher Den Ursachen psychischer Oxytocin, Vasopressin und Dopamin Auch die Heizungsbauer froh-
beruhen. Exakte Beschreibungen des schuldig geblieben. Erkrankungen auf der Spur Grundlage aller psychischen Erkran- locken: In diesem Jahr müssen
Baus von Nervenzellen (Neuronen) la- kungen. Verschiedene Erkrankungen ein Großteil der Öl- und Gashei-
gen um 1850 vor. Andererseits legen Roth und Strü- würden dabei von unterschiedlichen zungen, die vor 1986 eingebaut
W
ber einen zweiten Schwerpunkt auf die Fehlregulationen begleitet. Bei De- wurden, durch neue Heizsyste-
„Gewisse Autonomie m Erörterung der Konsequenzen neuro- pressionen seien dies häufig Fehlregu- me ersetzt werden – auch wenn
geistiger Prozesse“ wissenschaftlicher Theorien für die Be- lationen des Cortisol-, Serotonin- und sie noch tadellos funktionieren.
handlung psychischer Erkrankungen. des Oxytocinsystems, die zu Defiziten Nur über die Sorgen anständiger
Zwei Forschergenerationen später, m Steht die Bedeutung hirnphysiologi- bei der Neubildung von Nervenzellen Mieter singt niemand mehr ein
nachdem die einzelnen Neuronenbe- scher Forschung für die Diagnostik und in der Beeinflussung des Zusam- mitreißendes Protestlied.
standteile erkannt worden waren, ver- von Alzheimer oder Parkinson außer menspiels limbischer Hirnstrukturen
fügte man über ein grobes Schema der Frage, werden andere seelische Erkran- führten. Fehlentwicklungen kindlicher
Informationsverarbeitung zwischen Roth und Strüber, die eine „gewisse kungen wie Depressionen, Angststö- Streßverarbeitung könnten auf schwe- Erkenntnis
einzelnen Nervenzellen. Es dauerte Autonomie geistiger Prozesse“ konze- rungen, posttraumatische Belastungs-, ren vorgeburtlichen Erfahrungen der
dann jedoch bis in die 1980er Jahre, dieren, räumen diese „fundamentale Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen werdenden Mutter basieren, wie Miß-
bis es gelang, die Details der chemo- Erklärungslücke“ freimütig ein, glau- sowie antisoziale Verhaltensstörungen handlungen oder Vergewaltigungen, die George Clooney „könnte
elektrischen Erregungsverarbeitung ben aber, daß sie von ihrer Disziplin weiterhin isoliert von ihren neurobio- Veränderungen in ihrem neuromodu- wirklich für bessere Pro-
zwischen Neuronen zu erfassen und langfristig geschlossen werde. Denn die logischen Determinanten therapiert. latorischen System bewirken könnten. dukte werben“. Kaffeekap-
bis zu den molekularen Grundlagen biologischen Wurzeln mentaler Prozes- Immer noch stünden zu viele Psycho- Mit ihrem Plädoyer für eine neu- seln produzierten „über-
des Lernens und der Gedächtnisbildung se, das physikalisch-physiologische Sub- logen und Psychotherapeuten in einer robiologische Neuorientierung wollen
vorzustoßen. strat von Bewußtsein, wie es das EEG geisteswissenschaftlichen Tradition, die Roth und Strüber die Psychotherapie flüssigen Müll“.
Wie Gerhard Roth, Deutschlands mit den sich selbst organisierenden elek- auf „verstehend-interpretierende“ Ver- nicht „ersetzen“. Aber ihre Unentbehr- Grünen-Fraktionschef Anton
bekanntester Hirnforscher, in seinem tromagnetischen Feldern aufzeichnet, fahren vertraue. Sie orientierten sich lichkeit als „dienende Wissenschaft zur Hofreiter findet keinen Reiz an der
jüngsten, mit Nicole Strüber verfaßten sei prinzipiell naturwissenschaftlicher lieber an Jürgen Habermas’ Lehre vom Aufklärung der Ursachen psychischer Werbung des Hollywood-Stars für
Buch zum Thema „Wie das Gehirn die Empirie zugänglich. „kommunikativen Handeln“ als an der Erkrankungen“ sollten Psychologen einen Kaffeekapselhersteller.
Seele macht“ selbstsicher resümiert, un- Ihr Werk präsentieren die beiden „kalten“ naturwissenschaftlichen Dia- endlich akzeptieren.

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tigen steigt Finanzierun schon 48,1 Prozent. Privatliqui- kend „Prämie“ heißt, eine vertraglich (adipös
). Außerd oder fettleib li- beitspa ung über und Finanzkrise gezogen?
medial 17 unte21 Auto r mit, teilt derder Tite aft
aus
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Hilfebedürf
der 1,4 Million pier Wirtschafts-
die Einnahmen aus ein schnöder Beitrag, ein interne besti
gefährden
jüngsten

kalt
em zeigten ig LehrenDeuts aus der des Gesam e ebe
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rund (GDV Versic ei- haben mehrere GEK eine Größe und woll
Krankenkassenfus und Jugend ) hatte herung des Gesuen, „was iedlichen ihren die insg fließ Buc
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ist. Krankenversicherten
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sicherungsnehmers geführ Millionen zu wilden Sie
der Reinerlös, ist das Mil- osten
nährun Krankenkassen sich - der weithin
und t: Die bündigen darauf machen. die es unmöglich mot ndheitsswir tun Beiträgezusamm e- setzt hätten sollen. und h ana
Pflegeve demograph und auch stärker als Ein Anschauungsbeispiel durchwirk- von ung. rung ein nen private Vers Spekul haft
jahrzehntelan- ein
Geschäftsvolumen,
ist“, auf dem staatlich außer zuvorderst an
dem Zug belaste zur gro-g und Beweg falsche in ihrer nach aller
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und der um elf Prozent gewachsen Versichertenschar
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aller- ohnmächtigen , eine nversic das n Wir ,
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angel noch gen26/08)
Doch Erfahrung künftig eher rungsunternehmen vorh en gesu hfrage aft werd hstu das Kost zu gesünder umv chendesin Gang

auf ihre Gesundheit.

Demen unter den übli- dort Beteiligte die vielen
sie stärker es sie hierzulande . stehesichvor „abzuwickeln“ Zus
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bei rund Fusionswelle, de vom dieses das liches Insolvenzverfahren tand
etwa 750.000 weit Pau- hen lägen Fusionskarussell,
Unterg
angsszedrehen dürfte, wird die oder zu sanieren, weil dessen Versicherte durc anden ndheitlich nach eineen kannms- oder en würd em erteilt, aberzu verri ge- SE
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es eine liegende Dies die 70,1 Millionen
GKV-Mit-
und Nutznießer um
die zu Recht als ungewissepro Jahr. 70 gegeben hat.
nie Milliar Reinho PKV-V schneller und
ihnen gibt rungssätzen nocherband und h könn und werd en Vers r umf “. liche im Verh en nur Leben bewo niem n- IT
Erscheinungsdatum: 06.02.2015
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Entwic den in der ersten Febru- ld Schulte nario Markt des noto-
auf demwur- ohne weiteres von blic
glieder, denn diese Teil ihrer – angeblich zum WohlePraxis aber ent- erscheint. Von 216 Bunde wäreEuro „Die private svorsit bzw. Mitglieder nicht
PAUL ROSEN
chen Versiche
schale von daß die PV
monatli
200 Euro auf körperli
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zwischen den größten zahlen. großen Ganzen. In
der nem innerhalb
die Zahl der Krankenkassen vergang arwoche
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ng eine wahre will Elefantenhochzeitals marktw
Kostenlawine
Krank
klar zurück zenden
risch kränkelnden
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en. ätze junk hmen. sei
wir n Gesa ältnis dann gleic gen. an-
tiv amim Dur mtleistun zur
volk hble Die
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cherun bremsen
oder gar heißt das Sich die Öko
liegt daran, Kogniti sie Zahnarztleistungen wickelt sich der Kampf und von zwei Jahren alen geschlossen
worden.
ei- einer zunehm mitftliche Sicherheit n:
g istjetzt droht, ist
können. „Systemrelevant“ könn tur anzi Da-
kran Lebe chschnit g sink swirtsch iben Zuk
tliche Störungen abstellt. Rolle. Würden „Über alle Neuversorgungen
be-
tik, Ärztelobby, Pharmaindustrie
Präven Aktion vorgest Millionen
zehn ell- Versicherten
Grund zu- end Alterna Was
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und er ist
sich, durchausdas ein
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kaum eine Experten
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noch vermein 1992
as waren Bonner Zeiten:CDU- gen spielen trug der GOZ-Anteil Jahr 2005 Krankenkassen um der Die neuen Zusatzbeiträge ungsm könnten sichzurdie TK undKranke ung systembedingt,
in
h regulie weil
wur- Branchenkenner warnen
zum Arbe als seien von erfre haffe
n Buc beits
Dah
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chtigt, erwarten latts sofortige im zum Nachteil und uchten
damit angel,vor
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schlagartig
und derDie rten Beiträge offensichtlichen Parallelen Bela ulicher htite hält und BAY its-

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e der Handelsb3,7 Milliard
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gesetzl
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goldene der damalig Ren- berücksi jedoch möglichst Krank wicht den“, r. Sie muß weiter
und einflußreichsten ersiche ichen Denn nirgendwo Aber Aspekt wie selbs l: Dau
Bericht 62,1 Prozent, der
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Versicherten. Um das „gedeckelt“ scha gesund wichtiger ftswachs auf system“ ein iger ster“

Anzeigenschluß: 27.01.2015
von heiten enhäng größten den einheitlich rung unver- Bankenkrisensystem.
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in nicht zum
enden erklärte
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der es sam erba r
präv „ein lern Wir Eine
nister Norbert Presse und einen kräftigen nur noch 37,9 Prozent“, von der geschickt zu tarnen, wieder vollmun- Dramatisch und wollen den komm entgeg
kenversicherer Deutschlands der Dortm der Vorstan
Prozent. ausgebDeshalb
aut wer- es Und ftlich effiz zu mac ,
als tum liest tvers
heits menbruc tändlich:
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Sozialmi sicher“) vor die „fünften Säule Euro – und
Mehrko Die Knappen immer Größenordnungen
nutzen enden enwirk sogaren. noch vor der Barmer GEK.
cherun under dsvorsi
zu einer externen Aufbesserung Siemens-Betriebskrankenkasse, gebe deut dann gebü iente hen undKranke und
lle r als Erke endi es Gesu Ar-
in der WIP-Analyse. das Wege sche nach n „Gesundersität issenscha up-

... und kaufen häufiger

keren Ziel gekannten das nachGesunder gen,
drei g.
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Bundesregierung geplante dig, wie sehr sie sich verpflichtet Hunderttausende
Bunde
sminis ihr dheits-
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digte die ng“ he
Novelle betrifft daher
PKV- und
durchgreifender Reformen
nähru
Einführung von Zusatzbeiträgen terium sowie
wie lange und letztlich
zu wessen
einstim ung des sich diesogar die Erhebung von einkom- den gesetzlichen Krankenkassen. Freih Beschrän ndhe ang er zu , wie essan beug it er
(GK ichen Kran
rsicheru und gesetzlic ng, Landw Und Mitglie - nsiv r, unge Wirk Gesu Zu- der t undckgreift. en ist Fina -Rie
DIGENE

geht es im Gesund- Verbra Bereits mehr irtscha für Er-

mig
worden ist, PKV-V Zusatz- verkündeten, dem
veran eit aufzu kung itswesen Ziel,tun. te einem er sein rechter lichk nd- klen langen dann über
er nzier ster“ hat
der Sozialve Renten- es schon seit GKV-Versicherte. (fi
s)
fühlten. So gesehen wie auf einer an- Sonderkündigungsre
cht.uchersc Vorteil auf Eis gelegt Die private ausgesp erband - pauschalen
mensunabhängigen Politiker aber beharrlich gera Übe mog V) gefo kenv ung der zur
hutz mit ziellem ebensorochen
FOTO:

um twortungheben, en der indivdie staat im gern.“ Daspräventije meh und zahlu

Million kurzem ft und , eit um näm auf sein Kondrat
Arbeitsl
osen-, ung gab
egeversi
- entlichungen
heitswesen ähnlich
zu 100.000 wechselten
binnen
en Euro und darüber geben nicht „unein die Kranke
he einmal .
beiträgen erweist es sich als kontraproduk-
daß einige wenige Krankenversicherun- die Erlädezu rra-
tech raphischerdert. WegersicheruGe-
ersicher trat die Pfl hohen www.wip-pkv.de/veroeff
alter und neu- als tivitäte GEK jeweils geschrä Auf- nversic viele Versicherte vollauf genügten und die den vor, r lich eigen ieff-K span
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Barmer
bunten 15wie vagenheitssys Spekulationen nkt tiv, weil
TKzu einemherung unkalkulierbar Ärztin hin gen künftighin
sund staat zu ermö Bürg idue li- daß stell ven Mod wir
uns ngs- sundheit“ wie die tliches onju uterung - der nologisch n Wan en des ng
Jahrzehn hinzu. Das Risiko abgesichert ng auf Zentralisten: in der sogar 340.000 zur zen,Techniker
die Projekt
Kranken- Ak- Kranke tem mitum
rings ste-
auf die bloße Ankündigung mit Privat Fusionen daher angeblich der allein
rich- heits liche ern llen sagt:
Folg wese n Eing glichen Selbst- beha „Wenn Arzt sich dannell verwheu- werden zu einem
der t er
Them nkturzy- Beit Medizin en Fortdels und de-
Patientenberatu er Sozialisten und Selbst die fördern einenIKK sowie schluß, die seit längeremnversic– und
e unterst gesetzli
dascher schonGesund Bis- patien „nicht „kna
cherung Pflegefall sollteauf dem Weg Bildungs- und Schulpolitik. Auch Vereinigte
gesund
undüt- Allianz ins Kraut heitssy schießen herung und private mit -Kündigung reagieren. seien, dann hätten sie der Stell lich n zurü riffe und ndle Sie zu auch kann ppe
Ress a kommt, auf bisräge 2050 könnten schr
türkisch und russisch
. en Lebens gen anstehe des
im sind kasse (TK). Knappschaft verzeich- gewiß
stem wirdsonstige. Zuruckartig finanziell tige Ausweg
ninoder
tin: Das Lehren aus man e stehen. müßte ckzunehm in das dar- sofort , dann wollen,seinem auch ei- stisc desw . Ein „Wachstu
Kosten weiterer Schritt werden. e angestammt bürgerlichen Parteien IKK Classic undAusst .
stil auch mit die BlickHandauf diverse
reichen nieman her einem konnten Ein-
rKrankenkassen
Pflicht absehb
mögliche die dringend nötigen
System und n Nen eben Ge- ich per Last müs daß Patie so h schre egen lesen
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e Ge- aber zu 28 von die itts in
und ein der grassiert zur
age eine in , weil msm derz
möc niemandProzent eit GKV-
ostaat gemacht steigend KÖLN. Das von Ursula
von
längst infiziert. Auch
bei ihnen
nen erhebliche ellung
Mitgliederzuwächse kungÜbernahmekandida-
und auf die . Auch d bedrohlicher
in der Schiefl
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zum Vollkask r, die auf
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Zusatzv eine BeschrPKV grundl
aufsichtführenden Bun- ist eine dem Ende des licher Zweiten
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undinprivate müs ekammer ch keinzahlen. die Kostjetzt ich. Beit sund hte und eine steigen. 15
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nieman beimnotwen
dig.“ egenden Schutz
im Hinbli seiteiner gut deler jour

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nisterium für Arbeit
und Und wie nun verhält durchgeschüttelt Pfleg Folgen
die anderen. der PKV rung kommt Für dieordnungsgemäß ck gezogen“. Einhei gani tsch
land das Gesu chen Haber- r kenk sen sich und
r Vollver e Lust Wissen en Abk lesba
r und nali- le VersheitspolitzentralesRationie „Da
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Haben wir Ihr Interesse geweckt?

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„neuen wenn und hen
mehr wir nur dann Entwick- dell, wo
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Oder „Ge mm , was Sie Kran- ist, wie t min tenerst stu
rung emumba r Idee zu lasse
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sun Grunddecku attu ng, n
startet. Danach kann nien orientieren sich in Berlin- m für hert werden gedeck Lei- Alle – Annah tand – auch für en. Die gibt wesekann „Die Wal en sei? ar bzw.Priva eineder
bereits Versich ein un-dheitsr
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dieKran ng n,
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er te und Pflichten im Auftrag Baier (37) ist. Die Grunddeck . gsprod „ein der Medizin nterneKorr rte. t min wechse seine t der keAlterun iger gesetzl m“ Das en? in derer Ulri en Udort“, schri nzie-
als daß te. Seinerze Buß- und telefonisch in des Minist Anna den politisc ukt anzubi Krank Industrialisierung um noch, aber es ist Vern Arbeits upti itswesen der drasGesu ndh mhöherw
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rich gegenwä sie eine eitsracht, waru t
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tages zustimm – der bezahlte aft fall nun kostenlos tag pflegeb hat im hmez ung soll undabdeck gegen dieh festgele staatliche eten, dasenversi- schiede weder unft papier on und belo In diesem sichertigen gibt aus der
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Gerne können Sie sich von uns ein attrak-

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gelten t“. Die
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kom nd zu siche gründe ftigtenzahl, priv t an die tschaftsw Jürgen eider,
sen. Auch die Verwandten
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abgesch Beiträge ung kräfte örigen die
fotogr für und Entpolitisierung
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ntmisch s es zwinge m nd mendeSierepa
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e. Obheißt sie eine Alte staatlichoche. Zerth
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eit“? ertenko tet ung erha sindriere rn
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n „Gersvorsor gefö Ange-
von steigend tierten dieBäcker werde Deutschland lebenden ihr eindru afiert. Pflege- te PKV-U en, weil ung war notwen Kopfpa (ähnlic
uschale hierfür h wie ist sbei- t für den men Vernun
haben Kor
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isch bis bestehedrehzu
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So- Wirtschaftslitera cksvoll Dabei sei einige tagswah
-und teurer werde.
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der private eine bislang
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kein vor. individu sund ge schlrderte
kommen
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2005) aus
bei Marktes
dem Bundeder vollver
Erhalt
ft ve-tionwürden
immer en. Nur form imvorg (je nach ndem eitsp sie e rhstatt.
zuge i

JF-Leser 32%
der es notier- dasRücksi Klempner- eigenen persönlichen vorans nde Zuw e Wiss bei fort- he, sozial, genommwas
mmens besond Pflege in en, private apier die Aufgab
beauftragt in dem auto- vom Autorcht aufangeführte zu dem Maßstab
n, kapital
der und
Seit die Stärkun sichund Untern stat in höherw Junge en“ Basista eblic chreite Finanz oli- druck tive „Damit ellen Kap heit
s-Ri agen
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sind, können ten underen Mome g (GKV)
seinen „den über- Sachverständige n Kranke der GemBA besagte stand „Angenommen, Alter odereinheit
bei Ihnen deutsc sicherungund
lich – ohnes-Leistungsfähigkeit gedeck
bedienen ten Kranke g Spa tehmen ertige Begr und – dies -hen Defi gesun.
Gesun endu enss
auch sei gere en
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nten Versicherung, Finanzierungsbedarf
statt dessen nvollve e der bisheri durch n Beispiel: wie
gelegthätteinimder (dem Zeit- he Gesun
noch
eingese
dem
Daß dieses hat n- gende rsam s „hochg „refo iff, weil
Tarife
des manohne de nd
„Ge nitio zu und allen ng, weiterache. „WaGlaubenscht und Stüc Umverteiwird die italb ester“
einenklassische
neuen festzuh festlegendiedarf – „finanziert werden Jahre 1975Gesund
bisheri eine man versc
nach Belieben. tzt. sich lich wären rmie neuen hin Priva sund n 14 wird gem den ande s den -, aber dere k weit lung intergene ildun
Buß- und Feiertag strich sich nun dort beraten CHRISTIAN DORN Pflege
hauptzu keine al- und nom heitlich rsicher gen
ung und Hause
heitszu anschließend
- – als starke dheitss kann,hlim Denn keitdie Nicht-W Gesu estuft“ thono g
gen Es liegtvom dürfte heits willk , ist so vielgeinsam ren

tives Erstkundenangebot machen lassen:

hatte die Tradition: 1967 ischen 0800 Blick lohn- Einfüh . wirklich grundlegen-
PKV – nicht private das dies die alten .ren“
Leidtra nich siche ein
Ries rseits kann zurü zum
rn denre-rare
schaffe weitere en zu Krankenhausaufent- „Imder letzten funktionieren ystem mert eine
kostenlose Telefonnummernur in sondern bloß „eine
sundhe auf die
n“, ge Sondersteuer“. Zuschläge
skizzier jedem
Grund rungVerteuerung
eines ein- punkt kunftsmRahme ein Modell
fest- marktw KrankebereGesubrauch Sie Kran und kranke
ndhe t, und ehätten gang ndh echsler
eitsp näm- kann - t die unsi derürlic
Ärzte estal an Gänan Abzü n an ckge inde ra-
Zudem liche ökonom bislang (59). Dieitsministerin erklärt t hatten.
durch die versich
gezielte imnGesundheitswesen)
dieses und alsklar sein. häng
irtscha nversic den enen n Versich, oliti , sond Gesu nnig unm Inno ter dazu der fahren. st ein
eine unrühmührung mit ntag, Christi / 011 77 22 stand aus demdieeinkommensabhängi Ullaeinen e Ge-
Prozeß, der seiten halt sowie
der GDV-Die zehnerbrisant
erungs den Reform
gesetzli odells begonnen; wie jedem
langfris KorrekTextsüße t dort
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der Kas-itswe mitzwar
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auf steigen
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khei dreierten.k – hätte ndh erPraxenbest öglic h, daß tig, gelei gen
Ostermo tionstag so- deutscher Sprache zur
Verfügung. ie aktuellen Meldungen
SPD-P
Hoffnu befördere olitikeres Schmidt
Leistungen“.
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Tropfent es fürSietigen staatlic
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die DDR-F nten den
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wird von der
D
Gesundheitssystem
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der Tabuzo das
Grundrechte
in
der zivilrechtlichen alevertrags(zahn)ärztlich
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ein Menetekel betrachtet
en
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s Abkehr Wasserhahn
lange (und von den wie oft) hätten
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en Beiträg
mehrfach bisherscheiternden
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dem derdeutschen
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laut dessen Prämissetärinturversuchen
– nach lelen upt fend ndert. App undn.der e Umv
Idee derihm . Esn für Leistun n Zusatz sie dieGriff Büfeindem
omie eingrei z kom en. „Die nich GKV Der
wie den profitieren
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Gebauer auf, daß .esBe- des setzbuch nach (SGBProtestV),Heinz-Peter g desseiendaraus zahlt genausen“ – sprich: mensab-ein diestungssystem
– augenscheinlich Branch keine in der
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GKV
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sei, eine über nichtzweiendende Kette PKV-V erband enverantwortlich Roß resultie ovielKlempner Dieimmer
Sekre-(undsicheru
e insgesa davon
Revolutionsführers r immwird Die
dort Ausgab lung en n, ten imm m- nahezu fteing underich dem das treffen- sich mensschws ginge t ausgedün dürf
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inhärent fernt. die GKV-Kassen von
s zwar desVertret wünsch tungsunfähigen rende wiewieder des sowjetischen
ng“ fordert chenmt behaeine
lichesein,
Güterer mehkassen trakt s- der private abdeck t die
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mt. Er tet – Muster Gesund- nich den neue acher zu Laste
e
en den nzt, libertäre
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sichts von angewi zu produzieren: Aber zu Gesundheit Versicherten.
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DieFünf? tritt abzuschaff, es en ndel und ralle
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das weiter . Ganz unei nden
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onorar n Kranke der Staat heitsfondsverw Öko staatlic was nom t leisten n Inno Patientenn ein-
(PV). Schon igten starknexplosion zu anwalt Carlos Gebauer
lung wird Bevölk erungs Ange- Passage Dadurch werde Diedieser
Financ jedoch teilung
Einen Monat? h er- freiheit nureinnoch für Selb
einzusammeln im Gegen
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Polit stiegen bis e der n- alle nom dabe m- Konsumr Eins kalten
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htigteil: ik-Ä
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Ge- tech . nik. 2003 um 91 Ärzte sind zentralisiert Institunach altern.
en Bern atz bei en. könn vatio
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sberecht
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JUNGE FREIHEIT
Nr. 4/15 | 16. Januar 2015
„Die Herde sammelt sich zum Blöken“
Zu: „Jetzt wird es teurer“ von Bruno Ban-
dulet, JF 3/15
Ein Faß mit rätselhaftem Boden
Stellt man sich die EU (speziell den
Euroraum) als ein großes Faß vor, so
braucht es ein vorgeschriebenes aufwen-
diges Procedere, um hineinzukommen.
Das ist in den Satzungen geregelt. Kein
Reglement zeigt auf, wie man bei Pro-
blemen – die doch bei einer derartig
großen Gemeinschaft unterschiedlicher
Staaten programmiert sind – einen Aus-
tritt organisiert. Was das Geld betrifft,
ist die EU ein Faß ohne Boden. Aber
nur beim Geld.
HERMANN MÄRZ, BALLÓSZÖG/UNGARN
Zu: „Bild der Woche: 20 C + M + B 15“,
JF 3/15
Rassismus ausgeblendet
Gott sei Dank ist das schwarz gemalte
Gesicht des dritten der Könige aus dem
Morgenlande ganz hinter dem goldenen
Stern verborgen. Die JF leistet so einen
wichtigen Beitrag im Kampf gegen den
religiös verkleideten Rassismus, und ich
kann meine Stimme schonen. Werde ich
bei derartigen Verstößen von der Lo-
kalzeitung doch immer zum Aufschrei
aufgefordert, und ich habe heute schon
siebenmal geschrien. 20 C + M + B 15
dem Hohenzollerndamm!
HELMUT ENGLMANN,
JOHANNESBERG/UNTERFRANKEN
Atheistische Vereinnahmung
Die Berliner Zeitung vom 4. Januar mel-
dete, daß es in diesem Jahr im Bildungs-
ministerium in Potsdam keinen Besuch
der Sternsinger geben würde. Vor knapp
einem Jahr habe sich der Personalrat über
eine „religiöse Vereinnahmung“ be-
schwert gehabt, nachdem die Sternsin-
ger im Ministerium zu Gast waren. Doch
daß Bildungsminister Günter Baaske alle
Jahre wieder Reden zu atheistischen Ju-
gendweihen hält, hat bis jetzt noch kei-
nen in der Potsdamer Landesregierung
gestört. DR. WILFRIED FLACH,
NUTHE-URSTROMTAL
Zu: „Rätselraten an der Spree“ von Paul
Rosen, JF 3/15
Die Lösung – „German Angst“
In ihrer Neujahrsansprache unterstell-
te die Bundeskanzlerin der Pegida-Be-
wegung Vorurteile, Kälte in den Her-
zen und Haß. Den Kern hat sie damit
nicht getroffen. In aller Welt kennt man
die „German Angst“, nur Frau Merkel
scheint davon noch nie etwas gehört
zu haben. German Angst, so das Fazit
der Soziologen und Psychologen, rührt
vornehmlich noch aus der Kriegs- und
Besatzungszeit her. Daß ausgerechnet
diese „German Angst“ in der früheren
DDR besonders virulent geworden ist,
wo gar nicht mal so viele Migranten le-
ben, erklärt sich aus der Angst, die nach
der Wende gerade mühsam erworbene
wohlstandsmäßige Bürgerlichkeit we-
gen der Migranten wieder verlieren zu
müssen. Die durch die Politik beförderte
Vergötterung des Islam tut ein Übriges.
Ob berechtigt oder nicht, die Angst ist
da. Darauf wäre eine verständnisvolle,
und einfühlsame Antwort zu geben. Und
womit kanzelt die Kanzlerin ihre frühe-
ren Landsleute ab? Von wessen Kälte des
Herzens müssen wir eigentlich sprechen?
HERIBERT SCHÜRMANN, HOMBERG
Lob aus Saudi-Arabien
Die deutsche Bundeskanzlerin wurde in
den saudi-arabischen Medien für ihre
Neujahrspredigt in den höchsten Tö-
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
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U NGG FFÜÜ R
GEGRÜNDET 1986 IN FREIBURG I. BR. · WOCHENZEITUNG IN BERLIN SEIT 1994 · ISSN 0932-660X
Herausgeber und Verlag: JUNGE FREIHEIT Verlag
GmbH & Co., Hohenzollerndamm 27 a, 10713 Berlin
REDAKTION
Chefredakteur: Dieter Stein
Stellv. Chefredakteur: Thorsten Thaler
Chef vom Dienst: Matthias Bäkermann
Verantwortliche Redakteure: Titel, Meinung,
Thema: Christian Vollradt; Im Gespräch: Moritz
Schwarz; Politik: Marcus Schmidt (Leitung), Felix
Krautkrämer (Leitender Redakteur Online), Anni
Mursula; Reporter: Hinrich Rohbohm; Außenpolitik,
Hintergrund: Dr. Curd-Torsten Weick; Wirtschaft,
Natur & Technik: Jörg Fischer; Kultur: Thorsten
Thaler; Medien: Ronald Gläser; Forum, Sein & Zeit:
Christian Rudolf; Geschichte, Literatur: Matthias
Bäkermann; Leserforum: Christian Dorn;
Schlußredaktion: Matthias Seegrün
Ständige Korrespondenten: Prof. Dr. Günter Zehm,
Thorsten Hinz, Michael Paulwitz, Alain de Benoist
(Paris), Prof. Elliot Neaman (San Francisco)
Satz und Gestaltung: , Daniela Lemke, Andrea
Müller, Vera Wischnewsky
Die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT hält sich an die
bewährte traditionelle deutsche Rechtschreibung,
wie sie bis zum 1. August 1999 gültig war.
L E S E R F O R U M | 23
Zu: „Ein widerlegtes Schreckgespenst“ von Westfalen. Wenigstens zieht das Land
FOTO: QUADRIGA HOCHSCHULE BERLIN
w w w.jungefreiheit.de Nr. 3/15 | 30. Jahrgang | 9. Januar 2015 | EUR 4,10 (D)
Bernd Rademacher, JF 2/15 NRW nicht gleich den Schwanz ein,
Zerstörte Kulturlandschaften sondern prozessiert mit solchen frag-
Die von Ihnen vorgestellte „Waldinven- würdigen Unternehmern. Inzwischen
R D E B AT T E tur“ einer Bundesbehörde hat mit der wiederholt Klausner dasselbe unsägliche
Realität in Hessen und Thüringen, wie Spiel in Amerika.
Beef Wellington
Mord verjährt nicht: Zum unge-
ich sie wahrnehme, nur wenig zu tun. PAUL OTTO, BIBERACH
klärten Oktoberfestattentat von
1980 gibt es neue Spuren und Zeu-
genaussagen. Wird der Wahrheit
Es mag viele kleinere private Besitzer
geben, die ihren Wald liebevoll hegen
jetzt endlich der Sieg erfochten?
POLITIK, Seite 6
Zu: „Die ‘Mischpoke’ macht weiter“ von
und pflegen, die großen Privatwälder Lion Edler, JF 52/14–1/15
se c t und besonders auch die Staatswälder Wir brauchen mehr „Nein“-Sager Fragebogen
Vom verlac
des Establ Fish ‘n’ chips sind seit geraumer Zeit dem Prinzip der Wenn Pegida-Marschierer pauschal
Ukip
Gewinnmaximierung unterworfen und gegen Flüchtlinge sind, muß ich dies
Das nahrhafte Straßengericht be-
Peter Voß
kommt man auf der Insel in Läden,
die zuallermeist in Familienbesitz
sind. Um „Privat statt Staat“ sieht es
werden gnadenlos ausgebeutet. Die lee- verurteilen. Wenn allerdings diese De-
in unserer Wirtschaft schlecht aus.
WIRTSCHAFT, T Seite 10
ren Kassen von Ländern und Kommu- monstranten gegen den Islam Stellung Journalist & Autor
Jetzt wird es teurer nen und die hohen Holzpreise bedeuten beziehen, stimme ich ihnen allein der
Griechenland-Krise: Die Regierung Merkel steht vor den Trümmern ihrer Euro-Rettungspolitik
Sunday roast dabei für den Wald eine vernichtende Wahrheit wegen zu. Das feige Verhalten
Kombination. So mag die Fläche der der sogenannten „anständigen“ Pegida- Wo möchten Sie jetzt am liebsten
Wälder gleich geblieben sein, es gab dar- Gegendemonstranten gegenüber einer sein?
auf jedoch noch nie so wenige Bäume. „gescheiterten Religion“ ist Ausdruck Wo ich bin: am Schreibtisch mit
JF-Ausgabe 3/15 vom 9. Januar 2015 Unsere Wälder sind durch unablässige von Dummheit und krankem Tole- Blick auf den Schwarzwald.
„Durchforstung“ extrem ausgedünnt, ranzverständnis. Wenn ich in mehre-
ältere Laubbäume, die „Über-Hundert- ren Jahren beruflicher Tätigkeit in arabi- Wofür lassen Sie alles stehen
jährigen“, sind zur Seltenheit geworden. schen Ländern viele Moslems als positive und liegen?
nen rauf und runter gelobt. Denn den ben, dem ich so hundertprozentig zu- In den meisten Wäldern findet man Menschen kennenlernte , dann lag dies Für Sophia (8), Charlotte (5) und
Wüstenscheichs gefiel natürlich ihre Ver- stimmen kann. Ich habe kurz vor dem alle 50 Meter breite Schneisen, soge- nicht daran, daß diese Menschen isla- Greta (7 Wochen).
urteilung von Pegida. Erscheinen der Ausgabe diesem Artikel nannte „Rückegassen“, die für den mischen Glaubens waren, sondern daß
Was sich die Kirchenmänner, die allerdings vorgegriffen, indem ich im permanenten Abtransport der Bäume diese schon aufgeklärter und reifer in
Was bedeutet Heimat für Sie?
etwa im Kölner Dom das Licht aus- Schreiben an den Chefredakteur der freigehalten werden. Hier wie auch an ihrer Persönlichkeit waren.
schalten, vom Islam als Staatsreligion Dresdner Neuesten Nachrichten, Herrn vielen anderen Stellen ist der Waldbo- Im „echten Christentum“ findet man Einen Hafen anzulaufen im glo-
erhoffen, ist nicht ganz nachvollzieh- Birgel, die Kündigung meines Abonne- den durch metertiefe Fahrspuren malträ- frohe, innerlich befreite Menschen, die balen Ozean.
bar. Vielleicht gefallen ihnen die vier ments mitgeteilt habe. Denn die Hetze tiert, hervorgerufen durch die schweren aufgrund ihrer freien Entscheidung zu
Kindfrauen von Mohammed oder die dieser Zeitung gegenüber Andersden- „Harvester“-Maschinen, die vielleicht in Jesus eine reale Beziehung zu ihrem Gott Was ist Ihnen wichtig im Leben?
Unterdrückung der Frauen? In unseren kenden ist widerwärtig. Wir sind wieder den Urwäldern Kanadas ihre Berechti- haben. Und in christlichen Schwarzen- Das Wenige, was ich (noch) ma-
Tiroler Kirchen war ein Aushang üblich: dort angekommen, wo wir zu DDR-Zei- gung haben mögen, hierzulande aber Gemeinden der USA etwa tanzen die che, möglichst gut zu machen.
„Der Aufenthalt auf der Empore wäh- ten schon waren. Damals hieß es: Wer das Herz unserer Kulturlandschaft un- Gläubigen vor Freude. Und es gibt gro-
rend des Gottesdienstes ist Kindern und nicht für uns ist, ist gegen den Frieden. rettbar zerstören. Besonders unpassend ße, gewaltige Gründe für ihre Freude.
Was haben Ihnen Ihre Eltern
Frauen NICHT gestattet.“ Das NICHT Heute heißt es, wer nicht für die Vorga- erscheinen hier die Phrasen von „Nach- Zurück zu unserem Land. Der Islam hat
mitgegeben?
unterstrichen. Vielleicht wünschen sich be von Schwarz, Rot und Grün ist, ist haltigkeit“ und „Umweltschutz“, mit bei uns nichts zu suchen. Jesus sagte ganz
viele Priester diese Macht der Männer rechtsextrem oder Neonazi. denen die Verantwortlichen von ihrem klar : „Niemand kommt zum Vater denn Viele Fragen ans Leben.
zurück? Wie dem auch sei, bei uns in ROLF ZIMMER, DRESDEN Handeln abzulenken pflegen. durch mich.“ Es muß einen Weg der
Tirol gibt es auch schon eine winzige FRANK RASSNER, HOMBERG Vergebung geben auch für Menschen, die Welches Buch hat Sie nachhal-
Pegida-Bewegung. Im Unterschied zu Zur Meldung: „Grüne: Denkmal für Trüm- gesündigt haben. Diese Vergebung gibt tig beeinflußt?
Deutschland haben wir aber eine gro- merfrauen abreißen“, JF 2/15 Durchsichtige Stangenwälder es bei Jesus und nicht bei einem Gott, Faust I.
ße Partei (die FPÖ mit 25 Prozent), Aus Idealismus, ohne Bezahlung Selbst jahrzehntelang in der holzverarbei- von dem man nichts zurückbekommt.
die vor der Islamisierung und – jetzt Die Trümmerfrauen leisteten Schwerst- tenden Industrie tätig, bin ich gut ver- Freudige Lieder in Moscheen, freudige Welche Musik mögen Sie?
muß ich ein böses Wort gebrauchen – arbeit, sie trennten Schutt von wieder- traut mit der Materie. Daher kann ich Erzählungen von Moslems über positive
Umvolkung schon seit Jahren warnt. verwertbarem Baumaterial. Sie taten es mir die Darstellung Ihres Autors nicht Erlebnisse mit ihrem Gott – Fehlanzei- Die klassische.
Tauscht eure Politiker aus, ehe sie das aus Idealismus, ohne Bezahlung. Wären erklären. Bei dem vielen Holz, das in- ge. Nein, wir brauchen in Europa mehr
Volk austauschen! diese Frauen „Nazis“ gewesen, hätten sie zwischen geschlagen wird, sprechen wir Menschen, die klar „Nein zum Islam“ sa- Welches Ereignis ist für die Welt
Vorher verkünden diese wieder ein- diese Aufbauleistungen sicher nicht ge- von jahrzehnte- beziehungsweise jahr- gen. Wer hier feige ist, macht sich genau- das einschneidendste gewesen?
mal: „Das hat nichts mit dem Islam leistet. Meine Mutter (Jg. 1919) war ei- hundertealten Bäumen. Natürlich wird so schuldig wie einst die „schweigende Da gibt es keinen Spitzenreiter.
zu tun!“, so wie jetzt in den ersten Be- ne Trümmerfrau, und wir Kinder (ich, nachgeforstet. Das bezeugen alleine Mehrheit“ während der NS-Herrschaft. Unter anderem: Die konstantini-
schwichtigungsversuchen nach dem Jg. 1941) haben die Steine ausgebuddelt schon die vielen in den letzten Jahren ERWIN CHUDASKA, ROEDERMARK sche Wende. Luthers Reformati-
grausigen Attentat in Paris. Ist schon klar, und an unsere Mütter zum Abklopfen entstandenen „durchsichtigen Stangen- on. Die Französische Revolution.
die Kreuzzüge hatten auch nichts mit und Aufschichten weitergegeben. Diese wälder“. Die derzeitigen Generationen Zu: „Parteien, Verbände, Personen“, hier: Hitlers Machtergreifung.
dem Christentum zu tun, nicht wahr? ökonomisch nachhaltige Arbeit, unter werden es nicht mehr erleben, wie diese Pro Köln, JF 51/14
MARIA KLINGLER, KIRCHDORF/TIROL erschwerten Bedingungen, müßte von Stangen zu ordentlichen Bäumen heran- Zweierlei Recht Was möchten Sie verändern?
echten Ökos eigentlich gelobt werden, wachsen. Es gibt natürlich noch dichtere Der frühere Pro-Köln-Politiker Jörg
Zu: „Zweifel an der Neutralität“ von Ro- anstatt diesbezügliche Denkmäler zu Wälder, die sind jedoch meistens in Pri- Uckermann wird zu zwei Jahren und drei Den Zustand Europas.
nald Gläser, JF 3/15 entfernen! Welcher minderbemittelten vathand. Wenn Sie tausend Bäume neu Monaten Haft und einer Geldstrafe von
Hirten vergessen ihre Schäfchen Logik entspringt hier die grundsätzli- setzen, kommt im Endeffekt vielleicht ein 4.500 Euro verurteilt, weil er als Köl- Woran glauben Sie?
Das mit dem Lichtausknipsen am Köl- che Gleichstellung von Trümmerfrauen Drittel durch. Mehrmals jährlich muß ner Ratsmitglied zu Unrecht Sitzungs- Daß noch ein paar Antworten auf
ner Dom, das hätte sich der Herr Dom- und Nazis? von Hand „aufgeräumt“ werden, um die gelder kassiert hat. Von Martin Schulz mich warten.
propst gründlich überlegen sollen. Pegi- Herr Dürr meint wohl, er müsse pau- Schäden nicht noch größer zu machen. (Berlusconis „Kz-Kapo“), der offen zu-
da-Demonstranten sind Bürger aus un- schal eine ganze Generation unter Gene- Was die Firma Klausner anbelangt, gegeben hat, in Brüssel respektive Straß- Welche Werte sollen wir unse-
serer Mitte, mit Problemen, Frust, auch ralverdacht stellen. Das ist unanständig wäre tatsächlich auf die pressenotori- burg jahrelang ebenfalls unrechtmäßig ren Kindern weitergeben?
Angst, die eine Überfremdung unseres und dumm und kostet ihn hoffentlich schen Knebelverträge zu verweisen, die Anwesenheitsgelder kassiert zu haben,
Vaterlandes fürchten. Da in dem Bistum sehr viele Wählerstimmen. dieser nach dem großen Sturm zum ist ähnliches nicht bekannt. Wenn möglich: Die Fähigkeiten,
Köln in 30 Jahren die Muslime die Be- GÜNTHER BERNLÖHR, WALDENBUCH Beispiel mit den Bayerischen Staatsfor- EBERHARD KOENIG, BAIERN
ohne die kein Wert besteht: Klar-
völkerungsmehrheit stellen, könnte es sten geschlossen hatte, da das Holz zu heit des Denkens, Klugheit des
passieren, daß im Dom andere das Licht Die Grünen sind hier falsch der Zeit (Sturmholz) billig war. Wohl Handelns, Kraft zum Leben.
ausknipsen. Die Hirten verteidigen ih- Ausgerechnet die Latte macchiato wissend, daß der Preis wieder steigen
Liebe Leser! Welche Bedeutung hat der Tod
re Herde nicht mehr. Deshalb sammelt schlürfenden grünen Sesselpupser, von wird. Das tat er dann auch kräftig, Leider können wir nicht alle Zuschrif-
sich die Herde zum Blöken. Vielleicht denen die wenigsten eine Schaufel in aber Klausner hatte die Garantie, für für Sie?
ten, die uns täglich erreichen, veröf-
wittert die Herde die Wölfe eher als die die Hand nehmen würden, maßen sich zehn Jahre zum Festpreis (damals circa fentlichen. Auch müssen wir manch- Eine, die ich noch nicht entdek-
schlafenden Hirten. an, über die zu richten, die dieses Land 56 Euro) jährlich 500.000 Festmeter mal kürzen. Alle Briefe werden aber ken möchte.
ERICH BLESSMANN, TREUCHTLINGEN wieder aufgebaut haben, und fordern die (fm) Holz zu beziehen. Daß der Preis sorgfältig ausgewertet, wenngleich
Beseitigung des Denkmals für die Trüm- inzwischen auf gute 100 Euro pro fm wir sie nicht in jedem Fall beantwor-
Zu: „Die Furcht, überflüssig zu werden“ merfrauen. Wer so einen Haß auf das ei- angestiegen ist, erklärt die Not anderer ten können. Ihre Leserbriefredaktion Professor Peter Voß, geboren 1941
von Thorsten Hinz, JF 3/15 gene Volk, auf die eigene Nation, auf die Sägewerke, die kein oder weniger Holz in Hamburg, war in seiner journalisti-
JF-Leserbriefredaktion, schen Karriere unter anderem stellver-
Auf den Kopf getroffen eigene Kultur empfindet wie speziell die bekamen. Klausner dagegen verdiente Hohenzollerndamm 27 a, tretender ZDF-Chefredakteur, Grün-
Dieser Beitrag trifft Zeile für Zeile den Grünen, der sollte sich wirklich einmal klotzig daran. Einige Zeit später stellte 10713 Berlin, dungsintendant des SWR, ARD-Vor-
Nagel auf den Kopf, ich kann mich fragen, ob es für ihn nicht besser wäre, sich heraus, daß Klausner auch mit an- Fax 030 / 86 49 53 - 14, sitzender. Heute ist er Präsident der
kaum erinnern, einmal einen Artikel sein Domizil ins Ausland zu verlegen. deren Bundesländern solche Geschäfte E-Post: leserbriefe@jungefreiheit.de Quadriga Hochschule Berlin.
in den letzten 15 Jahren gelesen zu ha- STEPHAN ZANKL, MÜNCHEN getätigt hat, so auch mit Nordrhein- www.peter-voss.eu
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24 | S E I N & Z E I T
Der Flaneur
Es gibt kein
nächstes Mal
Von Paul Leonhard
D ie beiden Männer eilen die
Rolltreppe empor, atmen auf.
Der Zug steht da, die Türen öff-
nen sich. Schnaufend stehen sie im
Wagen. Dann blicken sie sich su-
chend um. Ein Abteil weiter steht
der Schaffner. „Wir hatten keine
Zeit zum Entwerten, sind froh, den
Zug noch bekommen zu haben.“
Der Blauuniformierte wehrt ab.
Draußen auf dem Bahnsteig wür-
den Entwerter stehen. „Und der
Zug wartet auf uns?“ fragt einer der
Männer. „Nee“, grinst der Schaff-
ner. „Sie müssen einfach mehr Zeit
fürs Umsteigen planen oder eben
den nächsten Zug nehmen.“
Eine Entgegnung, die den
Mann nach Luft schnappen läßt.
„Männeken“, berlinert er auf ein-
mal los und rückt zentimeterdicht
an den sächsischen Bahner. „Ick
bin ja froh, daß Sie überhaupt
mal fahren, aber für Ihre knappen
Anschlüsse kann ich nichts. Jetzt
stempeln Sie schon.“ Der Schaffner
sieht ringsherum in schadenfrohe
Gesichter. Er entwertet die Fahr-
karten, aber ohne ein „rechtens ist
das nicht“ geht es nicht.
Ob er damit andeuten
wolle, ihr Mann lüge?
„Ich deute gar nichts
an“, zischt der Schaffner.
Kaum haben sich die Berliner
verdrückt, stehen zwei ältere Ehe-
paare vor ihm. „Wir hätten gern
zwei Tickets.“ Er schaut mürrisch.
„Die müssen Sie vor Fahrtantritt
am Automaten kaufen. Wenn Sie’s
nicht gemacht haben, sind Sie für
mich Schwarzfahrer.“ Der Auto-
mat habe nicht funktioniert und
vor dem anderen eine Schlange
gestanden. „Sie können mir viel
erzählen“, brummt der Schaff-
ner. Ob er damit andeuten wolle,
ihr Mann lüge, mischt sich eine
der beiden Frauen ins Gespräch.
„Ich deute gar nichts an“, zischt
der Zugbegleiter und blickt scheel
zu den beiden Berlinern, die von
ihren Sitzen das Gespräch verfol-
gen. Schließlich zückt er doch sein
Fahrkartendruckgerät, berechnet
den Preis, nimmt die Scheine, gibt
Wechselgeld und Fahrkarten.
„Das nächste Mal kaufen Sie
aber vor Fahrtantritt die Fahrkar-
ten, wie es festgelegt ist“, droht er.
Das sei heute die absolute Ausnah-
me gewesen. Es wird aber kein
nächstes Mal geben. Die Deutsche
Bahn hat die Ausschreibung für die
Strecke verloren. Beim siegreichen
privaten Mitbewerber gibt es die
Fahrkarten nur im Zug.
Der Wert einer
Religion wird durch
die Qualität der
Moral bestimmt,
die sie zu begrün-
den vermag.
Michel Houellebecq
(*1958)
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JUNGE FREIHEIT
Nr. 4 /15 | 16. Januar 2015
Das letzte Aufgebot
Fernsehen: Neunte Staffel des Dschungelcamps geht auf Sendung / Ohne Dirk Bach wie Urwald ohne Wald
BERND RADEMACHER
K
ennen Sie Sara Kulka? Oder An-
gelina Heger? Oder wissen Sie,
wer Jörn Schlönvoigt ist? Ma-
chen Sie sich nichts daraus, wenn Sie
diese Namen noch nie gehört haben –
es handelt sich um „Prominente“, die
RTL am 16. Januar ins „Dschungel-
camp“ schickt.
Zur neunten Ausgabe der Trash-Sen-
dung werden die Musterungskriterien
nochmals gelockert. RTL wirft das letzte
Aufgebot in den Quotenkrieg. Die jüng-
ste Kandidatin ist erst 22 Jahre alt. Ihr
Beruf wird mit „Bachelor-Kandidatin“
angegeben.
Der Altersdurchschnitt wird von Wal-
ter Freiwald dramatisch angehoben. Der
Senior der Kompanie ist Verkäufer für
Schrottprodukte bei einem Teleshop-
ping-Sender und war einst Co-Modera-
tor der prähistorischen RTL-Show „Der
Preis ist heiß“. Eine Mahnung, recht-
zeitig an die Altersvorsorge zu denken!
Eine Zumutung für
Schaben und Würmer
Um die Entwürdigung auf die Spitze
FOTO: RTL / STEFAN MENNE
zu treiben, wird dem Publikum jeweils
eine Teilnehmerin nackt serviert, und
zwar in der kommenden Playboy-Aus-
gabe. Die unvermeidliche Bild berich-
tet, diesmal habe Angelina Heger „das
Glück“, in den „Genuß“ zu kommen, Moderatoren des 2015er Aufgusses Daniel Hartwich und Sonja Zietlow: Berichten täglich aus dem australischen Busch – in Direktübertragung
sich für das Magazin ausziehen zu dür-
fen. Wie beneidenswert! gen der Kandidaten erst richtig grau- entfernt. PR-Sätze wie „bekannt aus der fürchterlich finden. Fairerweise muß Dabei fällt das Dschungelcamp viel-
Die Truppe erwartet das Los ihrer sam gemacht. Sein farbloser Nachfolger Lindenstraße“ sind eigentlich Realsatire. man zugeben, daß niemand mit Ge- leicht doch noch aus. Bild weiß, daß der
Vorgänger: in schwüler Hitze brüten, kann’s nicht. Dennoch haben sich die Einschalt- walt gezwungen wird, sich den Quatsch Wetterbericht für die Region im austra-
Tier-Genitalien essen und in glibbrigen Wenn einer der Dschungel-Insas- quoten auf relativ stabilem Niveau bei anzusehen. Und im Gegensatz zu den lischen Urwald schwere Regenfälle und
Schleim getunkt werden. Zum Gaudium sen jetzt den erlösenden Satz ruft: „Ich durchschnittlich sieben Millionen Zu- „Qualitätssendern“ preßt RTL den Gewitter bei über 30 Grad vorhersagt.
des Pöbels im Circus Televisionensis. bin ein Star – holt mich hier raus!“, ist schauern eingependelt. Die Kosten wer- Zuschauern dafür kein Geld ab! Ein- Das Dschungelcamp ein Opfer des Kli-
Und doch wird der Spaß nur noch das schon dreist gestrunzt. Von echten den mit circa 30 Millionen Euro pro zig Tierschutzgründe sprechen gegen mawandels? Noch ein Grund, die CO2-
bemüht sein. Ohne Dirk Bach (†) ist Promis der ersten Staffeln wie Brigit- Staffel angegeben. 2013 wurde die Sen- die Sendung: Kann man Schaben und Hysterie gelassen zu sehen ...
das Dschungelcamp wie Urwald ohne te Nielsen, Ingrid van Bergen, Harry dung mit dem Grimme-Preis ausgezeich- Würmern wirklich zumuten, von diesen
Wald. Die hundsgemeinen Kommentare Wijnvoord oder Hippie-Urviech Rainer net. Na ja, wenn’s sonst nix gibt ... ekligen Resterampen-Tussis angekreischt www.rtl.de/cms/sendungen/ich-bin-ein-
des kleinen Dicken haben die Prüfun- Langhans ist RTL inzwischen weit, weit Natürlich kann man diese Show zu werden? star.html
Haltungsnote Knapp daneben
Wie du mir, so ich nicht dir Kriminelle Energie der Deutschen
CHRISTIAN RUDOLF keine Fluchtgefahr, heißt es. Außerdem KARL HEINZEN seportals Travel24 zufolge muß man da- Je mehr Sterne das Hotel hat, desto
verfüge er über eine „positive Sozial- von ausgehen, daß in den vergangenen größer ist das Diebstahlrisiko, weil es
prognose“. zwei Jahren etwa 4,5 Millionen Deut- einfach mehr zu klauen gibt. Die Kri-
F ür die Bundesliga beginnt in Kürze Eben jene hatte der Freigänger sei-
die Rückrunde. Die Spieler durften nem Intimfeind Christoph Daum
und sollten sich in der Winterpause damals nicht zugestanden: Jener war
D ie Statistik weist in Deutschland
knapp 150.000 Wohnungsein-
brüche pro Jahr aus. Da Europa auch
sche Hotels bestohlen haben, in denen
sie übernachteten. Am häufigsten ließen
sie Hygieneartikel aus dem Bad in ihren
minalitätsneigung der Gäste scheint
aber weniger von ihrem Vermögen als
von ihrem Bildungsniveau abzuhängen.
erholen und Verletzungen kurieren. vom Kokain so abhängig wie Hoeneß hier zusammenwächst, ist die Tendenz Koffern verschwinden. Über die Hälfte der Hoteldiebe hat die
Nun geht’s mit dem Training wieder vom Geld. Der Drogenkonsum ver- steigend. Mehr und mehr Fachkräfte Hochschulreife. Geringqualifizierte hin-
los. Einen Neustart erfährt dieser Tage wehrte Daum vor bald 15 Jahren das dieses Metiers brechen aus beinahe Je mehr Sterne das Hotel gegen sind eher von Skrupeln geplagt.
auch das zuletzt eintönige Leben des Amt des Bundestrainers. Hoeneß hatte allen Himmelsrichtungen zu uns auf, hat, desto größer ist das Da es sich um ein Massenphänomen
Uli Hoeneß. Der Ex-Bayern- die Affäre mit mitleidlo- um mit kleinen Start-ups die Chancen Diebstahlrisiko, weil es Wohlsituierter handelt, sind die übli-
Chef darf die schwedischen ser Diskreditierung erst ins des deutschen Marktes zu nutzen. Die einfach mehr zu klauen gibt. chen Erklärungsmuster für kriminelles
Gardinen tagsüber zurück- Rollen gebracht. Nun, da Staatsförderung, die sie dabei erhalten, Verhalten fehl am Platz. Man muß viel-
ziehen. Nur sieben Monate Hoeneß Gutes widerfährt, läßt sich auf 84 Prozent beziffern. So Besonders beliebt waren aber auch mehr davon ausgehen, daß die Deut-
nach Haftantritt geht der kommentiert Daum mild hoch ist die Quote der Fälle, in denen Schreibutensilien, Flaschenöffner, schen ethnisch oder kulturell dafür dis-
FOTO: WIKIMEDIA / SUPERBASS
Verurteile schon wieder ei- und verzeihend: „Ich freue die polizeilichen Ermittlungen erfolglos Gläser, Handtücher oder Bademän- poniert sind, alles zu klauen, was sie in
ner Erwerbstätigkeit nach: mich einfach nur darüber, bleiben. tel. Manche Ganovengäste schreckten die Hände bekommen, sofern sie keine
Hoeneß fand schnell eine daß bei ihm ein Stück Die Zahl der Täter ist aber verschwin- nicht einmal davor zurück, Föne, Mö- Strafe fürchten müssen. Ausländische
Anschlußverwendung in der Normalität einkehrt. Von dend klein, wenn man sie mit den Heer- bel oder gar Fernseher mitgehen zu las- Hoteliers sollten daher den Mut auf-
Jugendabteilung des FC Bay- Stigmatisierung und Aus- scharen von Bürgern vergleicht, die sich sen. Aus Furcht, Kunden zu verlieren, bringen, gegen die EU aufzubegehren:
ern. Kontakte, Prominenten- grenzung habe ich noch ähnliche Delikte zuschulden kommen drücken die Hotels zumeist beide Au- Für deutsche Diebstahltouristen darf es
Bonus? Bei Hoeneß bestehe Christoph Daum nie etwas gehalten.“ lassen. Einer Umfrage des Online-Rei- gen zu. Anzeigen sind die Ausnahme. keine Freizügigkeit geben.
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