Sie sind auf Seite 1von 1

Genetik und Rassismus in der Dialektik der Aufklärung

Naturwissenschaftler machen sich über jene ,Geisteswissenschaftler’ lustig, die glauben, ihnen
erzählen zu können, was sie ,eigentlich’ treiben, wenn sie in den Laboratorien ihre Theorien
experimentell überprüfen. Völlig zu recht, denn diese Kritiker der Naturwissenschaft wollen meist
selber welche sein, und gehen methodisch genau so vor wie die Naturwissenschaften. Sie
berufen sich – der Form nach – auf den gleichen Geltungsanspruch, übersehen dabei jedoch,
daß die Naturwissenschaftler es bei ihren Gegenständen tatsächlich mit Dinglichkeit zu tun
haben – und, so scheint es auf den ersten Blick, nichts mit gesellschaftlichen Beziehungen. Diese
Beziehungen müssen erst verdinglicht, d.h. nach Marx: fetischisiert werden, bevor sie
wissenschaftlich handhabbar sind – und diese Kritik insbesondere an den Sozialwissenschaften
(einschließlich der politischen Ökonomie) sollte spätestens seit Lukács allgemein akzeptiert sein.
Im Zentrum dieses Vortrages stehen jedoch die sogenannten ‚harten’ Naturwissenschaften. Was
kommt politisch heraus, wenn Naturwissenschaftler, als Biologen zum Beispiel, die Ergebnisse
ihrer Erforschung etwa der Gene, die Krebs erzeugen können, veröffentlichen? Was verstehen
sie – als Wissenschaftler – unter ,genetisch bedingt’, was dagegen die politische Öffentlichkeit
(einschließlich dieser Wissenschaftler)? Gehen sie wirklich anders vor als der common sense,
der von der unterschiedlichen Hautfarbe oder Nationalität auf unterschiedliche
Charakterstrukturen glaubt schließen zu können? Ist die ,Dinglichkeit’, resp. ,Körperlichkeit‘, von
der oben die Rede war, tatsächlich ein von Gesellschaftlichkeit freier Begriff? Zu zeigen wird sein,
daß, so lange man den in der wissenschaftlichen Denkform eingebetteten Geltungsanspruch, in
welcher Weise auch immer, goutiert, einem die Argumente ausgehen müssen dafür, inwieweit es
einen Unterschied macht, ob man Schwarze zu Menschen erklärt oder nicht, inwieweit man
Verbrecher, Homosexuelle oder Juden an der (äußerlichen) Physiognomie oder den (innerlichen)
Genen glaubt erkennen zu können, oder nicht: denn die Konstitution der Begriffe, mit denen hier
von Kritikern wie von Protagonisten der jeweiligen Verfahren argumentiert wird, erfolgt nach dem
selben Prinzip. Dieses ist, dies zeigt die Biologie im allgemeinen, und die Genetik im besonderen,
dies zeigt aber auch die common-sense-Kritik an der Bio genetik, d.h. der ,linke Antirassismus’,
dem strukturellen Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft zutiefst verbunden. Wer
wissenschaftlich argumentiert fördert diesen: wenn auch unwissentlich und im besten Gewissen.
Was die Sache aber nur noch schlimmer macht. Es spricht Manfred Dahlmann (ISF Freiburg).

Das könnte Ihnen auch gefallen