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Das Pilzgift Psilocybin erweitert das Bewußtsein und verändert die Wahrnehmung / Psilocybinhaltige Pilze fallen unter

das Betäubungsmittelgesetz

Auch auf deutschen Wiesen wachsen halluzinogene Pilze


Von: Manfred Poser
Aus: Ärzte Zeitung, 27.10.1998
Sogar die Italiener, traditionell den Pilzen zugeneigt, haben Angst vor bewußtseinverändernden Minipilzen. Die Zeitung ,,La
Repubblica" aus Rom warnte kürzlich, zu Halluzinationen führende Pilze und ähnlich wirkende Pflanzen seien in der
Jugendszene im Kommen. Die neuen Drogen sind jedoch synthetische wie Amphetamin (mit höherem Abhängigkeitspotential
als der Amphetamin-Abkömmling Ecstasy). Pilze spielen in der Rauschgiftstatistik keine Rolle. In Freiburg im Breisgau, wo in
den Bergen ringsum die kleinen Pilze wachsen, haben weder Polizei noch Beratungsstellen Erkenntnisse über eine ,,Szene",
und ,,kein Thema" ist das in einer Freiburger Schwerpunktpraxis für Drogenabhängige. Es werde ,,nicht groß darüber erzählt".
Doch freilich gibt es einen kleinen Kreis von eingeschworenen Konsumenten.
Als halluzinogene Wirkstoffe sind besonders Psilocybin, Psilocin und Baeocystin in vielen sonst kaum auffälligen Pilzarten
ermittelt worden. Das Psilocybin mit seiner stabilisierenden Phosphatgruppe ist die häufigste und beständigste Wirksubstanz
unter den dreien. Die Zeit der ,,Halluzipilze" beginnt nach Mitte September und dauert bis in den Oktober hinein. Sie sind aber
wegen der - ganz im Gegensatz zum nicht ungefährlichen Fliegenpilz - unscheinbaren Färbung und geringen Größe (der Hut
erreicht in Durchmesser und Höhe meist nur einen Zentimeter) nur von echten Kennern aufzufinden.
Der häufigste halluzinogene Graslandbewohner ist der Spitzkegelige Kahlkopf, Psilocybe semilanceata. Der blaßgelbbraune bis
olivgraue kleine Pilz mit bei feuchtem Wetter klebrigem Hütchen wächst auf Magerweiden und Sauergraswiesen, oft aus
abgestorbenem Gras heraus, doch entgegen einer weitverbreiteten Behauptung nie auf Dung. Beobachter aus den USA
melden, daß er sich gerade auch in der Nähe menschlicher Ansiedlungen wohlfühlt. Der Lamellenpilz ist vielen Pilzbüchern gut
kenntlich abgebildet. So etwa in ,,Pareys Buch der Pilze" von Marcel Bon, das über 1500 Pilze in Europa zeigt, davon 1230 in
Farbe.
62 Psilocybe-Arten aus aller Welt sind bekannt
Die Psilocybin-Pilze wachsen nicht nur in Mexiko und Kalifornien, sondern auch am Schauinsland, am Belchen, auf dem
Kandel, dem Feldberg und am Notschrei auftreten (allesamt erkleckliche Erhebungen in Südbaden. Feldberg: 1493 Meter).
Psilocybe semilanceata, der in den USA ,,Liberty Cap" heißt, wächst auf allen Kontinenten, in Europa auch in Holland und der
Schweiz. In einem Gramm des Pilzes ist ein Milligramm Psilocybin. Der Amerikaner Paul Stamets nennt in seinem Buch
,,Psylocibin Mushrooms of the Wond" 62 Vertreter der Gattung Psilocybe aus aller Welt, die aber nicht alle halluzinogen sind.
Erwähnenswert ist noch Psilocybe cyanescens, eine deutlicher blaue Art (Blauender Kahlkopf), die auf Rohhumus wächst, und
Psilocybe (bisher: Stropharia) cubensis, der am häufigsten kultiviert wird.
,,La Repubblica" warnte in ihrem Beitrag, die Droge könne zu Schlimmerem als zu Halluzinationen führen: zu Schizophrenie,
Psychosen, gar zum Selbstmord. Der Psychiater Giovanni Giannelli von einer Station für Drogenabhängige in Cesena, sagte
auf die Frage, ob bewußtseinserweiternde Pilze zum Tod führen könnten: ,,nicht direkt" - höchstens indirekt, als sekundäre
Folge. Die gängige Horrorvision sei, man könne sich für einen Vogel halten und aus einem Fenster springen.
Es sind in Deutschland zwar Vergiftungen bekannt, aber keine Todesfälle. Im Februar wurde die Gesetzgebung bezüglich der
Pilze dennoch verschärft. Nach Aussagen des Landeskriminalamts in Stuttgart fallen psilocybinhaltige Pilze nun auch unter das
Betäubungsmittelgesetz, wenn sie ,,gezielt angebaut, gesammelt, gezüchtet, aufbereitet oder gehandelt werden". Der Nachweis
ist schwierig, außer - so ein Beamter - der Tee oder die Brühe stünden.
Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht. Das Psilocybin wird vom Darm aufgenommen und wirkt im Gehirn als eine
Art ,,exogener Neurotransmitter". Das Bewußtsein wird erweitert, die Wahrnehmung verändert. Wenn man in ruhiger
Gemütslage und bei freundlichen Umweltbedingungen die passende Dosis zu sich nimmt, sieht man Töne und Lichter
intensiver. Verblüffende räumliche Muster treten hervor, und die Welt wird eine Weile wunderlich. Emotionale
Grundstimmungen werden verstärkt. Manchmal kann unverarbeitetes psychisches Material emporgeschwemmt werden (der
Autor hat dies bei einem Selbstversuch erlebt). Leichtere Nebenwirkungen können auftreten.
Professor Hanscarl Leuner entdeckte die Substanz Psilocybin früh als Therapeutikum. Er unterstützte seine Methode eines
induzierten Tagtraums ab 1956 mit LSD-25 und dem etwas ähnlich wirkenden Psilocybin. Leuner nannte dies ,,Psycholytische
Therapie" und schrieb 1981, es lägen 40 Publikationen vor, daß ,,Neurosen, auch schwere und schwerste Formen bis hin zu
psychopathischen Charakterveränderungen, also oft inkurable Fälle, unter dem Einfluß von LSD-25 oder Psilocybin einer
Psychotherapie zugänglich sind". Eine europäische Statistik weise etwa ,,400 behandelte Patienten mit einer Erfolgsquote von
60 Prozent auf".
Im Jahre 1957 machte der US-Ethnologe R. Gordon Wasson durch seinen Artikel ,,Magic Mushrooms" in der Zeitschrift ,,Life"
die Pilze im Westen bekannt. Damals wußte man erst von sieben Arten ,,geistbewegender" Pilze. Nun kennt man 130 Arten und
Varietäten, die zwölf Gattungen und sechs Familien zugerechnet werden. Gut dargestellt sind sie in den Büchern
,,Narrenschwämme" von Jochen Gartz, ,,Funghi Allucinogeni" von Francesco Festi und in Paul Stamets Buch.
Durchaus möglich, daß der Volksspruch ,,Der hat spinnerte Schwammerin gegessen" (über einen Menschen, der sich seltsam
beträgt) auf Erfahrungen mit dem Psilocybe-Pilz zurückgeht. Der Schwamm ist in der Gemeinsprache vom Pilz verdrängt
worden, der in dem lateinischen ,,boletus" seine Wurzel hat (die Katalanen sagen: ,,estar tocat del bolet" - vom Pilz berührt
werden).
Martin Hanslmeier, ein weiterer Ethnologe, erwähnt in einer Ausgabe der Zeitschrift ,,integration" (1992) den Fliegenpilz-Kult der
sibirischen Völker und den Einsatz von Pilzen bei Ritualen in Neuguinea, Japan, Ägypten, Portugal und auf Bali. Angeblich gab
es schon 6000 Jahre vor Christus in der Sahara einen Pilzkult, von dem Felsabbildungen zeugen. Die große Bedeutung des
Pilzes im europäischen Volksglauben als Glücksbringer oder Satans-, Fliegen-, Hexen- und Krötengewächs legt nach
Hanslmeier ,,den Schluß auf eine solche vergessene Vergangenheit auch im europäischen Kulturraum nahe." Der Fliegenpilz
(Amanita muscaria) war lange Zeit die einzige bekannte psychotrope Art Europas. Ihm wurde die Berserkerwut nordischer
Krieger zugeschrieben.
,,Nur Katalanen und Ziegen essen Pilze"
Pilze wurden zum Fruchtbarkeitssymbol, weil sie in kurzer Zeit in großer Zahl aus dem Boden schießen. Sie bilden ein eigenes,
höchst vielfältiges Organismenreich. Auf der Welt soll es 56 000 verschiedene Pilzarten geben (rund 100 davon potente
Halluzinogene), jedoch nur 8765 Vogelarten.
Mykophile Menschen, also Pilzfreunde, leben in Europa vor allem in Italien, Bayern und Holland. Auf der britischen Insel geben
sich die Schotten und Waliser mykophil - anders die Engländer. Auf der Iberischen Halbinsel sind Basken und Katalanen
Pilzfreunde: ein keltisches Erbteil? Denn Kastilier, Aragoner, Galicier und Andalusier sind mykophob. Die Grenzlinien sind
scharf gezogen. Nördlich von Tortosa in Katalonien sind die Menschen Pilzsammler, südlich von der Stadt kann man den
Spruch hören: ,,Nur Katalanen und Ziegen essen Pilze."
,,Dem Drang nachzukommen, sich berauschen zu wollen, ist nicht weniger unnormal als der nach Liebe, sozialen Bindungen,
nach Spannung, Macht oder irgendeinem anderen erworbenen Motiv zu streben", schrieb der amerikanische Drogenexperte
Ronald K. Siegel in dem Buch ,,Intoxication". Daß die Menschheit ,,als Ganzes je e Paradiese auszukommen, ist sehr
unwahrscheinlich ," meinte der englische Schriftsteller Aldous Huxley. Alle Euphorika und Halluzinogene der Natur hätten nach
einem Ausspruch des britischen Autors H.G. Wells als ,,Türen in der Mauer" gedient.
Experten halten die Pilze für relativ harmlos
Halluzinogene Pilze einzunehmen, ist nicht unbedingt ein Himmelfahrtskommando, sofern man den unberechenbaren und meist
giftigen Fliegenpilz meidet. Man müsse schon eine hohe Dosis einnehmen, um sich in Gefahr zu bringen, meint der Pilz-Experte
Jochen Gartz. Die psychotropen Spezies führten zu ,,überschaubaren Reaktionen".
Wie soll man mit diesen Drogen umgehen - sie totschweigen oder vor ihnen warnen? Der in Freiburg lebende Biologe und
Pilzsachverständige Helgo Bran setzt auf Pädagogik: Man solle den ,,psychohygienisch positiven Aspekt" betonen, den das
mühsame sorgfältige Suchen und der entspannte Genuß böten; allerdings sei eine Altersbegrenzung angebracht, und das
Führen von Fahrzeugen und das Bedienen von Maschinen müssen tabu sein ebenso wie bei dem weitaus ,,gröberen und
vulgäreren Rauschmittel Alkohol".
http://www.theforestfloor.org/archives/psilocybe_docs/ArzteZeitung.htm

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