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Sozial-Emotionale Kompetenz

Article  in  Kindheit und Entwicklung · April 2016


DOI: 10.1026/0942-5403/a000194

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2 authors:

Muriel Schmitz Una M. Röhr-Sendlmeier


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r
Sozial-Emotionale Kompetenz

e
Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in
vierten Klassen

t
Muriel Schmitz und Una M. Röhr-Sendlmeier

r
Universität Bonn, Institut für Psychologie

Ab ie
Zusammenfassung. Untersuchungsergebnisse zu einem Förderprogramm für Viertklässler werden vorgestellt, welches in drei Trainings-
einheiten von je 90 Minuten Dauer darauf abzielt, sozial-emotionale Kompetenzen zu stärken. Durch das Training, das im Verlauf von vier
Wochen stattfand, sollten auch längerfristig eine höhere Sensitivität und ein besseres Verständnis für Emotionen bei sich und anderen
sowie eine verbesserte Fertigkeit zur Perspektivenübernahme in sozialen Konfliktsituationen und das Wissen über sozial angemessene
Verhaltensweisen herausgebildet werden. An der fünfmonatigen Längsschnittstudie im Prä-Posttest-Kontrollgruppendesign mit Block-
Randomisierung nahmen 184 Viertklässler teil; auf der Basis lückenloser Teilnahme konnten die Daten von 177 Kindern ausgewertet werden.
Im Vergleich zum Ausgangsniveau verbesserte sich die Interventionsgruppe deutlich in allen trainierten Fertigkeiten sozial-emotionaler
Kompetenz. Gegenüber der Kontrollgruppe, die kein Training erhielt, waren die Interventionskinder im Wissenstest am Ende des Untersu-

g
chungszeitraums im emotionalen Verständnis und der Perspektivenübernahme signifikant überlegen. Zum Posttest wurden sie von ihren
g
Lehrkräften als deutlich sozial kompetenter eingeschätzt als vor dem Training. Befunde aus Vorläuferstudien bei Drittklässlern konnten
bestätigt werden.
Schlüsselwörter: Präventionsprogramm, sozial-emotionale Kompetenzen, Kommunikation, Grundschule

zu
Social–Emotional Competence: Evaluation of a Short-Term Training Program for Elementary School Children
rri
Abstract. Recent research has pointed to the importance of the interaction of emotions, perception of emotional expressions in social
contexts, and emotion regulation for nonaggressive behavior in children. Evaluations underline the positive impact of prevention programs
rather than interventional therapy for children. Long-term curricular training aiming at nonviolent behavior was shown to be successful;
however, comprehensive programs cannot always be administered in every-day school contexts. Thus, a short-term prevention program for
elementary school fourth-graders was developed for training in the classroom. The program Peaceful Cooperation in Conflict Situations aims
at improving the sensitivity and understanding of emotions in self and others, perspective taking in conflict situations, and knowledge of
how to communicate nonviolently. In a longitudinal control group study including block randomization, 184 elementary school children in
fourth grade participated in the study; 177 complete data records entered the final analysis. The pretest instruments were (a) a paper-and-
pencil test measuring the children’s social–emotional competencies (i. e., identifying emotional expressions in pictures; describing
emotions of aggressors and victims in conflict situations involving children; writing down options of positive behavior to solve the situation
ko

peacefully) and (b) teachers’ ratings of their pupils’ altruistic behavior and emotional and social problems. Two weeks later, the training was
administered during three 90-min lessons within a period of 4 weeks. The controls received no special treatment. At posttest 16 weeks after
the training, the same tests were administered. Data analyses (MANOVA, ANOVA) revealed that the intervention group improved considerably
and with great effects in their social–emotional proficiency as a result of the training. At posttest, they had far advanced in all tested
abilities in comparison with their pretest results. They acquired a significantly better understanding of emotions and perspective taking in
conflict situations than the controls did. The trained children were rated more favorably by their teachers with respect to their prosocial
behavior than at pretest 5 months earlier. The study supports findings from two previous studies with third graders. It shows that a short-
term program aiming at enhancing social–emotional knowledge in children can lead to positive results with effects lasting at least several
months later. The program can help to prevent the escalation of conflicts and to further peaceful communication. For implementation in
schools on a larger scale, measures will have to be taken to ensure the transfer of the reported results.
Keywords: prevention program, socio–emotional competence, communication, elementary school
un

Nach repräsentativen Erhebungen fallen im deutschspra- nahmen nach bereits gefestigten aggressiven Verhaltens-
chigen Raum 10 bis 20 % der Schulkinder durch aggres- weisen (Petermann, Krummrich, Meier et al., 2010), be-
sives Verhalten auf (Hölling, Schlack, Petermann et al., sonders wenn das Programm in der ganzen Schulklasse
2014). Um eine Verbesserung des friedlichen Miteinan- durchgeführt wird. Es liegen einige hochstrukturierte und
ders zu erreichen, sind Präventionsprogramme langfristig curricular durchführbare, langfristige Gewaltpräventions-
erfolgreicher und kostengünstiger als Interventionsmaß- programme vor, die positiv evaluiert sind (z. B. Brackett,

© 2016 Hogrefe Verlag Kindheit und Entwicklung (2016), 25 (2), 1–9


DOI: 10.1026/0942-5403/a000194
2 M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen

Rivers, Reyes et al., 2012; Schick & Cierpka, 2010). Aktu- In zwei Vorläuferstudien (Röhr-Sendlmeier & Schmitz,
ell wird verstärkt die theoretische Einbettung der Pro- 2010; Schmitz & Röhr-Sendlmeier, 2015) wurde die Wirk-

r
gramme zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen samkeit des Trainings in längsschnittlichen Kontrollgrup-
in zugrundliegende psychologische Strukturen und Funk- pendesigns mit insgesamt 519 Drittklässlern in drei Teil-
tionen diskutiert (Petermann & Barnow, 2013). Bedeut- gruppen überprüft: Mit der Trainingsgruppe wurde in drei

e
sam sind Überlegungen zur Wechselwirkung von Emo- Schulstunden zu je 45 Minuten das FMS-Programm durch-
tionen, ihrer Wahrnehmung im sozialen Kontext und der geführt; eine Zuwendungskontrollgruppe erhielt im sel-
Regulation emotionsbezogener Handlungen (Holodynski, ben zeitlichen Umfang einen zusätzlichen, motivierenden
Herrmann & Kromm, 2013). Sachkundeunterricht; eine Messungskontrollgruppe durch-

t
Ein elaboriertes kognitiv-behaviorales Verhaltenstraining lief ausschließlich das reguläre Schulcurriculum. Das För-
in der Grundschule stellen Petermann, Koglin, Natzke und derprogramm konnte sowohl auf der Basis von SEK-Tests
von Marées (2013) vor, das emotionale Kompetenzen, so- als auch der Bewertung des im Schulalltag gezeigten Sozi-

r
ziale Kompetenzen und die moralische Entwicklung för- alverhaltens durch die Lehrkräfte als erfolgreich eingestuft
dert (von Marées & Petermann, 2010). Es wird von ge- werden. Verbesserungen zeigten sich ausschließlich bei
schulten Lehrern in 26 Einheiten zu 45 bis 90 Minuten mit der Trainingsgruppe. Lernergebnisse konnten noch etwa

Ab ie
Dritt- und Viertklässlern durchgeführt. Wichtige Schritte vier Monate nach dem letzten Training festgestellt werden.
zur Erreichung emotionaler Kompetenz bestehen darin, Das Programm wurde von Kindern, Lehrerinnen und Leh-
eigene und fremde Gefühle zu erkennen, sie zu verbalisie- rern und Eltern positiv eingeschätzt. Dass bereits kurzzei-
ren und negative Emotionen kompetent zu regulieren. Zur tige Interventionen bei Kindern einen längerfristigen Ef-
Verbesserung der sozialen Kompetenz werden die Über- fekt haben können, ist auch aus anderen Studien bekannt,
nahme sozialer Perspektiven, friedliche Formen der Kom- vor allem dann, wenn selektive Ziele den Interventionen
munikation, sozial angepasste Artikulation eigener Inter- zugrunde lagen; Effekte konnten bereits bei sehr niedri-

g
g
essen und kooperatives Handeln trainiert. Längerfristige
Programme lassen sich in der Schulpraxis jedoch nicht im-
ger Trainingsintensität (≤ 5 Stunden) belegt werden (Beel-
mann, Pfost & Schmitt, 2014; Käser & Vogelsberg, 2007).
mer umsetzen. Daher wird mit dem Programm Friedliches In der aktuellen Studie sollte überprüft werden, ob sich
Miteinander in Streitsituationen (FMS) angestrebt, soziale die positiven Lernergebnisse aus den Vorläuferstudien
und emotionale Kompetenzen zeitlich komprimiert zu för- mit einem erweiterten Programm mit Kindern in vierten
zu
rri
dern. Dabei steht der Wissenserwerb über Emotionen im Klassen replizieren lassen, wie schnell die Fertigkeiten
Kontext eines Bereichs sozialen Verhaltens, der gewalt- durch das Trainingsprogramm erworben werden und ob
freien Kommunikation, im Mittelpunkt. die Trainingseffekte längerfristig anhalten.
Ausgangspunkt der Programmentwicklung waren Be-
funde, dass aggressives Verhalten mit einem Defizit in ei-
ner angemessenen Regulation negativer Gefühle einher-
geht und negativ mit affektiver Empathie korreliert ist, d. h. Methode
mit der Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer hineinver-
setzen zu können (vgl. Mayer, Roberts & Barsade, 2008).
ko

Das FMS-Training zielt auf die Verbesserung von Fertig- Das Kurzzeittrainingsprogramm Fried-
keiten im Bereich sozial-emotionaler Kompetenz (SEK), liches Miteinander in Streitsituationen
die als wechselseitige Interaktion von sozialer Kompetenz
und emotionaler Kompetenz zu verstehen ist. Emotionale Das FMS-Programm zielt auf sozial-emotionale Fertig-
Kompetenz wird definiert als ein Konstrukt, das sich aus keiten in drei Bereichen: 1. Sensitivität für Emotionen bei
den Fertigkeiten zusammensetzt, Gefühle im eigenen und sich selbst und bei anderen, 2. Fähigkeit zur Perspekti-
im Verhalten anderer zu erkennen, sie zu verstehen wie venübernahme und 3. Wissen über sozial angemessene
auch die eigenen Emotionen im Umgang mit anderen zu Verhaltensweisen. Für die ursprüngliche Konzeption des
regulieren (Mayer et al., 2008; Salguero, Palomera et al., Trainings wurde in Teilen auf das Programm der Gewalt-
un

2012). Soziale Kompetenz beinhaltet das Zusammenspiel freien Kommunikation nach Rosenberg (2007) bzw. der
von Fertigkeiten, die für ein erfolgreiches soziales Zusam- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA,
menleben benötigt werden (Jugert, Rehder, Notz et al., 2002) zurückgegriffen; im Zeitverlauf wurde das Trai-
2013). Im Trainingsprogramm FMS liegt der Schwerpunkt ning verfeinert und weiterentwickelt (Röhr-Sendlmeier &
auf den sozialen Fertigkeiten, die eigenen Interessen for- Schmitz, 2010; Schmitz & Röhr-Sendlmeier, 2015). Kon-
mulieren zu können, bestehende soziale Regeln zu kennen, zepte und Methoden berücksichtigen empirische Befunde
zur Perspektivenübernahme fähig zu sein und sozial ak- zu emotional-kognitiven Defiziten aggressiver Kinder,
zeptable Lösungen in Konfliktsituationen zu finden. wie sie in zahlreichen Studien beschrieben wurden (z. B.

Kindheit und Entwicklung (2016), 25 (2), 1–9 © 2016 Hogrefe Verlag


M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen 3

Jugert et al., 2013; Peláez Fernández, Extremera et al., die Kinder der TG ihr erworbenes Wissen nicht an die
2014). Nach diesen Untersuchungsergebnissen fehlen KG weitergeben konnten. In beiden Gruppen wurde zum

r
aggressiven Kindern vor allem Kompetenzen in Empathie Prä- und Posttest das sozial-emotional kompetente Ver-
und Impulskontrolle sowie im sozial erwünschten Um- halten in Konfliktsituationen mit Hilfe von Wissenstests
gang mit negativen Emotionen wie Ärger oder Trauer. erfasst. Zeitgleich wurden Lehrerurteile bezüglich der

e
Das FMS-Programm wird von Trainerinnen und Trainern SEK der einzelnen Schülerinnen und Schüler eingeholt.
durchgeführt, die an einer mehrtägigen Schulung teilge- Insgesamt lagen zwischen Prä- und Posttest fünf Monate.
nommen haben. Die Trainingseinheiten werden in 3 Lek- Zwei Wochen nach dem Prätest begann für die TG das
tionen von 90 Minuten Dauer im Abstand von je 2 Wo- Training, das in je 2-wöchigem Abstand dreimal von ei-

t
chen unterrichtet. Die Dauer der Trainings ist gegen- gens geschulten Trainerinnen durchgeführt wurde. Nach
über den Vorläuferstudien verdoppelt und fokussiert noch dem 2. und 3. Training wurden erneut die SEK gemessen,
stärker auf den Bereich der Emotionserkennung. um den Lernfortschritt im Trainingsverlauf zu dokumen-

r
In der 1. Trainingseinheit lernen die Schüler, warum tieren. Auf Zwischentests in der KG wurde verzichtet, da
eine friedliche Art der Kommunikation wichtig für ein sich in den vorangegangenen Studien keinerlei Verbes-
rücksichtsvolles Miteinander ist. Die Grundemotionen serungen über die multiplen Messungen gezeigt hatten.

Ab ie
Freude, Trauer, Überraschung, Angst, Ekel, Verachtung Zur Überprüfung längerfristiger Lerneffekte fand 16 Wo-
und Wut nach Ekman (1993) werden anhand von Por- chen nach dem 3. Training der Posttest statt. Für die sta-
traitbildern und mimischen Darstellungen durch die tistische Kontrolle der Ergebnisse der jeweils 2. Testun-
Trainer und Kinder besprochen. In Anlehnung an Rosen- gen der Gruppen wurde erwartet, dass sich bei der TG
berg (2007) und BZgA (2002) werden unterschiedliche bereits nach dem 2. Training Zuwächse zeigen sollten,
Kommunikationsstile erläutert: der sozial-kompetente, während bei der KG eine vergleichbare Veränderung im
friedliche Sprachstil (Giraffensprache) gegenüber dem ag- Postest nicht nachweisbar sein sollte. Prä- und Posttest

g
g
gressiven, wenig sozialen Sprachstil (Wolfssprache). Die
Schritte der Gewaltfreien Kommunikation – Beschreibung
wurden in beiden Gruppen von demselben Versuchslei-
terteam erhoben und das Training von einem anderen
einer Konfliktsituation, Formulierung von Gefühlen der studentischen Team angeleitet, um Versuchsleitereffekte
betroffenen Personen, Formulierung von Bedürfnissen, in den Testergebnissen zu kontrollieren.1 Nach dem Post-
Bitte zur Streitschlichtung – werden besprochen. Hierzu test wurde das FMS-Programm in gleichem Umfang in
zu
rri
werden Rollenspiele von den Trainern vorgeführt, die der KG durchgeführt.
auch die Schüler durchspielen. Als Hausaufgabe sollen Von 184 Kindern in 4. Klassen wurden an 4 Schulen in
die Kinder mögliche Streitsituationen in ihrem eigenen westdeutschen Städten Daten erhoben. Je zwei der teil-
Umfeld aufschreiben und angeben, wie diese in der Gi- nehmenden Schulen wurden randomisiert der TG bzw.
raffensprache gelöst werden können. In der 2. Trainings- der KG zugeordnet. Von N = 177 Schülerinnen und Schü-
einheit wird die Hausaufgabe mit den Kindern durch- lern lagen über alle Messzeitpunkte vollständige Daten
gesprochen. Die Merkmale der beiden Kommunikations- vor (n = 93 TG; n = 84 KG); die Trainingskinder hatten an
stile werden wiederholt und die 7 Basisemotionen an- allen Trainings teilgenommen. Bei insgesamt 87 Mädchen
hand weiterer Bildmaterialien dargestellt. Neue Rollen- und 90 Jungen war das Geschlechterverhältnis vergleich-
ko

spiele werden mit den Kindern durchgeführt und wieder bar in beiden Gruppen (χ2(1) = .01, p = .93). Das Durch-
die Hausaufgabe vergeben. Die 3. Trainingseinheit folgt schnittsalter – ebenfalls in den Gruppen vergleichbar
demselben Muster. (t (174) = 1.36, p = .18) – betrug 9.7 Jahren (SD = .68,
Range: 8 – 11). Detaillierte sozio-kulturelle Informationen
konnten aus Datenschutzgründen von den Schulleitungen
nicht zur Verfügung gestellt werden und durften auch bei
Studiendesign und Stichprobe den Schülern nicht direkt erhoben werden. Nach allge-
meineren Informationen der Schulbehörden und Beob-
Die Untersuchung wurde in einem Prä-Post-Kontrollgrup- achtungen der Trainer lag der Anteil der Kinder aus Fa-
un

pendesign umgesetzt. Die Trainingsgruppe (TG) erhielt das milien mit Migrationshintergrund in den Klassen bei je-
FMS-Programm, die Kontrollgruppe (KG) durchlief nur das weils etwa 60 %.
reguläre Schulcurriculum. TG und KG wurden an unter-
schiedlichen Schulen rekrutiert, um sicherzustellen, dass

1
Wir danken Dorothee Bruhn, Zarah Förster, Daniela Halm, Laura Leppelt, Kinga Potrikus, Nina Scheuerle für die Durchführung des Trainings und
der Tests, das Rating der Schülerantworten und die Eingabe der Daten.

© 2016 Hogrefe Verlag Kindheit und Entwicklung (2016), 25 (2), 1–9


4 M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen

Testverfahren tionnaire; SDQ) von Saile (2007) die Verhaltensweisen


der Schüler zu beurteilen. Den Lehrpersonen waren we-

r
Zum Prä- und Posttest wurde der Test zur Erhebung Sozial- der die Trainings- noch die Testmaterialien bekannt. Aus
Emotionaler Kompetenzen (SEK-2) verwendet, der gegen- testökonomischen Gründen wurden nur drei Skalen des
über den Vorläuferstudien überarbeitet worden war. Im SDQ erhoben: Emotionale Probleme (z. B. „erscheint häu-

e
Subtest Emotionen auf Bildern erkennen sollen die 7 Basis- fig bedrückt“), Probleme mit Gleichaltrigen (z. B. „spielt
emotionen nach Ekman (1993) auf Bildern identifiziert meist alleine“) und Prosoziales Verhalten (z. B. „ist rück-
und beschrieben werden. Bis auf das Bild für die Emotion sichtsvoll“). Jede der drei Skalen beinhaltet fünf Items,
Freude wurden alle Bilder ersetzt, da sich die bei Drittk- die jeweils auf einer 3-stufigen Skala eingeschätzt wer-

t
lässlern verwendeten Portraits in einer Pilotstudie mit den (1 = nicht zutreffend; 2 = teilweise zutreffend; 3 =
82 Schülern der 4. Klasse einer weiteren Schule nicht als eindeutig zutreffend). In der aktuellen Studie ergaben
zufriedenstellend trennscharf erwiesen hatten. Die Ant- sich für alle Skalen gute interne Konsistenzen (α = .79 bis

r
worten wurden an Hand einer 3-stufigen Skala (0 = Emo- α = .82).
tion nicht erkannt; 1 = Beschreibung vage, aber noch an-
gemessen; 2 = Emotion völlig zutreffend angegeben) ei-

Ab ie
nem Rating unterzogen. In der aktuellen Studie wurde ei-
ne zufriedenstellende interne Konsistenz von α = .70 er-
Datenanalyse
zielt.
In den Subtests Gefühle beim Verursacher erkennen, Ge-
Die mit dem SEK-2 gemessenen Leistungen sowie die
fühle beim Betroffenen erkennen und Wissen über angemes-
Lehrerurteile nach SDQ wurden in zwei multivariaten
senes Verhalten, werden 4 Streitsituationen geschildert,
Varianzanalysen (MANOVA) mit Gruppe als Zwischen-
wie sie typischerweise im Schulalltag auftreten können.

g
teilnehmerfaktor (TG vs. KG) und Messzeitpunkt als
g
Jeweils 2 Situationen werden aus der Ich-Perspektive und
2 aus der Beobachterperspektive geschildert. In einem
Messwiederholungfaktor (Prä- vs. Posttest) berechnet. Im
Fall eines signifikanten multivariaten Effekts schlossen
offenen Antwortformat sollen die Schüler sich erst in
sich univariate Varianzanalysen (ANOVA) an, um die
den Streitverursacher, dann in den Betroffenen versetzen
Quelle des Effekts zu identifizieren. Für die Analyse des
und jeweils dessen Gefühle beschreiben. Diese Differen-
zu Lernverlaufs der TG und den Vergleich ihrer SEK-2-Werte
rri
zierung wurde neu eingeführt. Die Bewertungen der Ant-
nach dem 2. Training mit den Posttest-Werten der KG
worten werden an Hand 3-stufiger Skalen vorgenommen
wurden ebenfalls ANOVAs berechnet. Die Lehrerurteile
(0 = Gefühl in der Situation nicht vorhanden oder völlig
zu Emotionale Probleme und Probleme mit Gleichaltrigen
unwahrscheinlich; 1 = Gefühl von der Tendenz her richtig,
wurden invertiert, sodass hohe Werte in allen Variablen
aber undifferenziert; 2 = Gefühl korrekt und differenziert
hohen Ausprägungen in sozial-emotionalen Fertigkeiten
angegeben). Die Antworten zum Wissen über angemes-
entsprechen. Es wurde ein nominelles α-Niveau von .05
senes Verhalten wurden mithilfe einer 5-stufigen Skala
festgelegt. Die Ergebnisdarstellung fokussiert die signifi-
ausgewertet (‐2 = stark aggressives Verhalten mit verbaler
kanten Befunde.
und Handlungsaggression bis +2 = konstruktives Verhal-
ko

ten zum gemeinsamen Problemlösen). Die internen Kon-


sistenzen für die 4-Item Skalen fielen für Gefühle beim Be-
troffenen erkennen und Wissen über angemessenes Verhalten
(α = .69 und .75) befriedigend aus. Für Gefühle beim Ver- Ergebnisse
ursacher erkennen lag α = .54 noch im einem für For-
schungszwecke akzeptablen Bereich. Die offenen Ant-
worten wurden von zwei unabhängigen Teams von Ra- SEK-2 Leistungstests im
tern ausgewertet. Zur Bestimmung der Interrater-Reliabi- Gruppenvergleich
lität wurden 51 Fragebögen (ca. 30 % der Daten) ein wei-
un

teres Mal durch das jeweils andere Ratingteam bewertet. In der MANOVA über die SEK-2-Fähigkeiten ergab sich
Die Interrater-Reliabilitäten erbrachten zufriedenstellen- ein Haupteffekt des Messzeitpunkts (F [4, 172] = 82.02,
de Übereinstimmungen, die zwischen κ = .66 – 1.00 vari- p < .001; Wilks Λ = .34, ηp2 = .66) sowie eine Interak-
ieren. tion von Messzeitpunkt und Gruppe (F [4, 172] = 87.60,
Zur Fremdeinschätzung der SEK der Schüler wurden p < .001; Wilks Λ = 0.33, ηp2 = .67) mit großer Effektstärke,
die Klassenlehrer/-innen gebeten, an Hand einer ge- die belegt, dass sich die TG in den vier untersuchten Fer-
kürzten Version des Fragebogens zu Stärken und Schwä- tigkeiten stärker vom Prä- zum Post-Test verbesserte als
chen – Lehrerversion (Strengths and Difficulties Ques- die KG (vgl. Abb. 1).

Kindheit und Entwicklung (2016), 25 (2), 1–9 © 2016 Hogrefe Verlag


M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen 5

t e r
r
Ab ie Abbildung 1. Ergebnisse von Trai-
nings- und Kontrollgruppe in den Ska-
len des Leistungstests SEK-2 zu Be-
ginn (Prä) und nach Abschluss (Post)
der Studie (M mit 95 % CI). Zeitspanne:
22 Wochen.

g
g
Die ANOVA für Emotionen auf Bildern erkennen er- Posttest (p < .001, ηp2 = .30); die KG verbesserte sich nur
brachte Haupteffekte der Gruppe (F [1,175] = 104.61, deskriptiv (p = .16, ηp2 = .02).
p < .001; ηp2 = .37) und des Messzeitpunkts (F [1,175] = Analysen des Lernverlaufs dokumentieren, dass die TG
273.54, p < .001; ηp2 = .61) sowie eine Interaktion beider bereits nach dem 2. Training im Erkennen von Emotionen
zu
rri
Faktoren (F [1,175] = 292.82, p < .001; ηp2 = .63) mit großer und der richtigen Benennung der Gefühle der Verursa-
Effektstärke. Die TG verbesserte sich vom Prä- zum cher und Betroffenen in Streitsituationen Zuwächse mit
Posttest deutlich (p < .001, ηp2 = .84), während die KG großen Effektstärken erreichte (mit jeweils p < .001;
unverändert blieb (p = .65, ηp2 < .01). ηp2 = .32 bis ηp2 = .76). Diese Werte lagen deutlich über
Für die Skala Gefühle des Verursachers erkennen zeigten den Posttest-Ergebnissen der KG (mit jeweils p < .001;
sich ebenfalls Haupteffekte der Gruppe (F [1,175] = 8.57, ηp2 = .20 bis ηp2 = .63). In der Emotionserkennung gab es
p < .01; ηp2 = .05) und des Messzeitpunkts (F [1,175] = weitere Zuwächse der TG nach dem 3. Training (p < .01,
24.15, p < .001; ηp2 = .12) sowie eine Interaktion beider ηp2 = .11). Hier und im Erkennen der Gefühle des Verur-
Faktoren (F [1,175] = 53.47, p < .001; ηp2 = .23). Die TG sachers fielen die Werte zum Posttest leicht und mit nur
ko

verbesserte sich stark zwischen Prä- und Posttest (p < geringer Effektstärke wieder ab (p < .05; ηp2 = .07 und
.001, ηp2 = .41); die Leistungen der KG blieben in etwa .05). Im Wissen über angemessenes Verhalten steigerte sich
gleich (p = .06, ηp2 = .04). die TG kontinuierlich von einem niedrigen Ausgangs-
Auch für Gefühle des Betroffenen erkennen resultierten niveau. Sie erreichte erst nach dem 2. Training das Leis-
Haupteffekte der Gruppe (F [1,175] = 5,82, p < .05; ηp2 = tungsniveau der KG beim Posttest (p = .25, ηp2 < .01). Nach
.03) und des Messzeitpunkts (F [1,175] = 7.08, p < .01; dem 3. Training zeigte sich eine bedeutsame Verbesse-
ηp2 = .04) sowie eine Interaktion (F [1,175] = 48.55, rung (p < .001, ηp2 = .19), die beim Posttest erhalten blieb.
p < .001; ηp2 = .22). Die TG verzeichnete einen starken
Anstieg in der Leistung (p < .001, ηp2 = .36); die KG zeigte
un

einen leichten Abfall (p < .01, ηp2 = .09).


Für Wissen über angemessenes Verhalten ergab sich kein Lehrerurteile im Gruppenvergleich
Haupteffekt der Gruppe (F [1,175] = 0.49, p < .49; ηp2 <
.01), aber ein Haupteffekt des Messzeitpunkts (F [1,175] = In der MANOVA über die Lehrerurteile nach SDQ gab
27.44, p < .001; ηp2 = .14) sowie eine Interaktion beider es einen Haupteffekt des Messzeitpunkts (F [4, 173] =
Faktoren (F [1,175] = 9.57, p < .01; ηp2 = .05) mit kleiner 8.62, p < .001; Wilks Λ = .87, ηp2 = .13) und eine Interaktion
Effektstärke. Die TG steigerte sich deutlich vom Prä- zum Messzeitpunkt x Gruppe mit mittlerer Effektstärke (F [4,
173] = 9.16, p < .001; Wilks Λ = .86, ηp2 = .14). Die Muster

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6 M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen

der Effekte sind Abbildung 2 zu entnehmen. Die Kinder (p < .01, ηp2 = .10); für die KG gab es keine bedeutsamen
der TG verbesserten sich vom Prä- zum Posttest stärker Veränderungen (p < .60, ηp2 < .01).

r
als die KG. Für Abwesenheit von Problemen mit Gleichaltrigen zeigte
sich weder ein Haupteffekt der Gruppe (F [1,175] = 0.27,
p = .61; ηp2 < .01) noch des Messzeitpunkts (F [1,175] = 0.83,

e
p = .37; ηp2 < .01), aber die Interaktion beider Faktoren
wurde signifikant (F [1,175] = 3.91, p < .05; ηp2 = .02). Für die
TG gab es deskriptiv eine Abnahme (p = .12; ηp2 = .03), da-
gegen für die KG eine deutliche Zunahme der einge-
schätzten Probleme (p < .05; ηp2 = .05). Die Effektstärken

t
waren durchgängig klein.
Für Prosoziales Verhalten ergab die ANOVA keinen

r
Haupteffekt der Gruppe (F [1,175] < 0.01, p = .98;
ηp2 < .01), jedoch für den Messzeitpunkt (F [1,175] = 20.96,
p < .001; ηp2 = .11) sowie eine Interaktion mit mittlerer
Effektstärke (F [1,175] = 19.74, p < .001; ηp2 = .10). Die TG

Ab ie wies vom Prä- zum Postest einen Anstieg im wahrge-


nommenen prosozialen Verhalten auf (p < .001, ηp2 = .22);
für die KG gab es keine Veränderung (p = .85, ηp2 < .01).

g
g Diskussion

In einem Kontrollgruppendesign mit Prä-Post-Messung


und Block-Randomisierung wurden die Auswirkungen
zu
rri
eines kurzfristigen Programms zum Training des Fried-
lichen Miteinanders in Streitsituationen überprüft. Die In-
terventionsgruppe, die von geschulten Trainerinnen an-
geleitet wurde, zeigte in allen untersuchten sozial-emo-
tionalen Fertigkeiten eine bedeutsame Leistungssteige-
rung mit großen Effektstärken im Vergleich zur Kon-
trollgruppe, deren Leistungslevel sich über die Zeit von
fünf Monaten kaum änderte. Die Trainingskinder, die nur
dreimal während 90 Minuten im Abstand von je zwei
ko

Wochen das Kompetenzprogramm durchliefen, lernten


die Emotionen von Personen auf Fotos präziser zu erken-
nen und zu benennen. Sie konnten die Gefühle und In-
tentionen von Verursachern und Betroffenen in geschil-
derten Streitsituationen besser einschätzen und ange-
Abbildung 2. Einschätzung der sozial-emotionalen Fertigkeiten von messenere Reaktionen für diese Situationen formulieren.
Trainings- und Kontrollgruppe durch ihre Lehrer nach SDQ (M mit 95 % Die Lernkurve verlief sehr steil und das Gelernte war
CI). Alle Scores sind so gepolt, dass hohe Werte hohen sozial-emotio-
zum Posttest 16 Wochen nach dem letzten Training noch
nalen Fertigkeiten entsprechen.
auf hohem Niveau nachweisbar. Auch in der Wahrneh-
un

mung der Lehrkräfte wurden Verbesserungen der Trai-


In der ANOVA für Abwesenheit von emotionalen Proble- ningsgruppe relativ zur Kontrollgruppe offenbar. Für die
men ergab sich kein Haupteffekt der Gruppe (F [1,175] = Interventionskinder wurden zum Posttest eine geringere
0.95, p = .33; ηp2 < .01), jedoch des Messzeitpunkts Anzahl emotionaler Probleme als zum Prätest angegeben.
(F [1,175] = 7.06, p < .01; ηp2 = .04) sowie eine Interaktion Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten die Kinder der
beider Faktoren (F [1,175] = 9.02, p < .01; ηp2 = .05). Die Trainingsgruppe nach Einschätzung der Lehrkräfte zum
TG wurde im Posttest im Vergleich zum Prätest von den Posttest seltener Probleme mit Gleichaltrigen und zeig-
Lehrkräften bei mittlerem Effekt besser eingeschätzt ten mehr prosoziales Verhalten. Somit dokumentiert diese

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M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen 7

Studie, dass ein kurzfristig angelegtes Training sozial- mat über eine mündliche Erhebung könnten die Messge-
emotionaler Fertigkeiten bei Viertklässlern erfolgreich nauigkeit erhöhen.

r
sein kann und die Lernerfolge mittelfristig stabil sind. Zur Zur Dokumentation des Lernfortschrittes in der Trai-
Effektivität des interaktiven Programmes wird beigetra- ningsgruppe wurden zwei Zwischentests durchgeführt,
gen haben, dass die Schülerinnen und Schüler in alltags- die in der Kontrollgruppe nicht stattfanden. Potentiell

e
nahen Situationen angemessenes Verhalten einübten. könnte dies die Testergebnisse beeinflusst haben. Da in
Dies wurde ihnen auch durch die Hausaufgaben nahe- beiden Vorläuferstudien keine Effekte für die Kontroll-
gelegt. Die Ergebnisse bestätigen Befunde aus vorange- gruppen durch multiples Testen gefunden worden waren,
gangenen Studien mit Drittklässlern (Röhr-Sendlmeier & wurde aus Rücksicht auf einen ungestörten Alltag in den

t
Schmitz, 2010; Schmitz & Röhr-Sendlmeier, 2015), so Schulen auf zusätzliche Testungen verzichtet. Die Tatsa-
dass nun Daten aus Evaluationsstudien mit rund 700 che, dass insgesamt die Leistungen der Trainingsgruppe
Grundschülern zu diesem Ansatz vorliegen. bereits bei der 2. Messung deutlich höher ausfielen als die

r
Die berichteten Ergebnisse zum Lernerfolg in sozial- Werte der Kontrollgruppe beim Posttest, spricht gegen
emotionalen Fertigkeiten sind sowohl mit in englischspra- reine Messungseffekte durch Testwiederholungen in der
chigen Ländern entwickelten und auf Effizienz überprüf- Trainingsgruppe. Diese Sichtweise wird gestützt durch die

Ab ie
ten Interventionsprogrammen vergleichbar (Reddy, New- Lehrerurteile, die für beide Gruppen nur zweimal erhoben
mann, De Thomas et al., 2009) als auch konsistent mit wurden und die für die Trainingskinder ebenfalls deutlich
Arbeiten im hiesigen Sprachraum. So belegten die Evalua- bessere Werte zum Posttest ergaben.
tionsstudien des inhaltlich verwandten, aber facettenrei- Nicht zu vermeiden war, dass die Lehrkräfte aus Grün-
cheren Verhaltenstraining im Grundschulalter von Peter- den der Aufsichtspflicht während des Trainings biswei-
mann und Mitarbeitern (2013; von Mareés & Petermann, len kurzzeitig in den Klassenraum kamen. Kurze Einbli-
2010) ebenfalls, dass emotionale und soziale Kompetenzen cke in Programmteile könnten zu Erwartungseffekten be-

g
g
von Kindern im Alter zwischen 9 und 12 Jahren gefördert
werden können und sich diese Effekte mehrere Monate
zogen auf Veränderungen der Kinder geführt haben. Zu-
künftig sollte eine Fremdbeobachtung durch einen ge-
nach Ende des Trainings nachweisen lassen. Dort wurden schulten Beobachter, der blind gegenüber den Studien-
im Kinder- und Lehrerurteil deutliche Verbesserungen im bedingungen und den Zielen des Trainings ist, erfolgen.
beobachteten problematischen Schülerverhalten doku- Auch die Kinder könnten um Selbst- und Fremdratings
zu
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mentiert. Die Effektstärken unserer Studie liegen in ähn- gebeten werden (Dorn, Spindler, Kullik et al., 2013). Es
lichen Bereichen, wie sie in Studien für gezielte Präventi- ist auch nicht auszuschließen, dass Lehrkräfte Inhalte, die
onsprogramme bezogen auf Wissensinhalte und für Lehr- im weitesten Sinne zur Thematik des friedlichen Kom-
erratings berichtet werden (Beelmann et al., 2014). munizierens gehören, in den Unterricht einbrachten. Dies
Einige Limitationen der Studie sind zu diskutieren: In könnte den Effekt des standardisierten Trainingspro-
die Evaluation wurde nur eine unbehandelte Kontroll- gramms überschätzen lassen. Die Kürze des Trainings ist
gruppe und keine alternative Zuwendungsgruppe einbe- für die Praxis attraktiv. Bezogen auf die überdauernde
zogen. Jedoch waren Gruppen, die im selben Umfang wie Wirksamkeit der Trainingserfolge wäre eine regelmäßige
die Trainingsgruppen mit anderem Inhalt zusätzlich un- Auffrischung im Schulalltag aber wohl sinnvoll.
ko

terrichtet wurden, schon zweimal in den Vorläuferstudien


eingeschlossen worden. Ihre Leistungen unterschieden sich
nicht von den jeweiligen reinen Messungskontrollgruppen. Ausblick
Der eingesetzte SEK-2-Test war zwar nicht identisch
mit den Trainingsmaterialien, aber diese waren so ge- Das Kurzzeittraining Friedliches Miteinander in Streitsi-
wählt, dass sich das im Training erworbene Wissen, bei- tuationen kann als ein Beitrag zur Entwicklung sozial-ko-
spielsweise das Interpretieren der Mimik der abgebilde- gnitiver Kompetenzen in einigen sozialen Verhaltensbe-
ten Personen, gut auf die Testfragen anwenden ließ. Noch reichen verknüpft mit einer angemessenen Emotionsre-
nicht zu beantworten ist, ob sich bei schwierigeren Test- gulation angesehen werden. Es kann in der mittleren
un

aufgaben mit ambivalenteren Stimuli ebenso starke Kindheit dazu beitragen, Formen des friedlichen Bewälti-
Transfer-Effekte ergeben hätten. gens von Konfliktsituationen zu entwickeln und durch
Die testtheoretischen Kennwerte der eingesetzten Ska- zeitige Emotionsregulation nicht nur Eskalationen im
len waren gut bis zufriedenstellend. Die Subskala Gefühle Schulalltag, sondern auch das Entstehen von psychischen
beim Verursacher erreichte eine für Forschungszwecke und sozialen Störungen (vgl. Petermann & Barnow, 2013)
noch knapp ausreichende interne Konsistenz. Eine Erhö- vermeiden helfen. Insbesondere könnte sich das Training
hung der Itemzahl oder ggfs. ein alternatives Antwortfor- als nützlich erweisen, Defizite in den Bereichen der Är-
ger- und Wutkontrolle auszugleichen. Es wird von gro-

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8 M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen

ßem Interesse sein, die Dynamik der Emotionsregulation Holodynski, M., Hermann, S. & Kromm, H. (2013). Entwicklungs-
psychologische Grundlagen der Emotionsregulation. Psycholo-
bei aggressivem Verhalten (Schipper & Petermann, 2013)

r
gische Rundschau, 64, 196 – 207.
genauer zu erforschen und theoretischen Überlegungen, Jugert, G., Rehder, A., Notz, P. & Petermann, F. (2013). Soziale
aktuellen Forschungsergebnissen und deren experimen- Kompetenz für Jugendliche: Grundlagen und Training (8. Aufl.).
tellen Ansätzen Beachtung zu schenken, die sich mit zen- Weinheim: Beltz-Juventa.

e
Käser, U. & Vogelsberg, S. (2007). Verkehrserziehung durch Edu-
tralen Komponenten exekutiver Funktionen beschäfti-
tainment. In U. M. Röhr-Sendlmeier (Hrsg.), Frühförderung auf
gen. Zu denken ist hier etwa an die Unterscheidung von dem Prüfstand. Die Wirksamkeit von Lernangeboten in Familie,
„hot executive functions“ (i.S. der Regulation von Emo- Kindergarten und Schule (S. 59 – 76). Berlin: Logos.
tionen) und von „cool executive functions“ (i.S. von Re- Mayer, J. D., Roberts, R. D. & Barsade, S. G. (2008). Human abili-
ties: Emotional intelligence. Annual Review of Psychology, 59,

t
gulation von emotionsbeeinflussten Handlungen und Ge-
507 – 536.
danken) und deren Erfassung im Kontext der Emotions- Peláez Fernández, M. A., Extremera, N. & Fernández Berrocal, P.
regulation (vgl. Holodynski et al., 2013; Zelazo & Carlson, (2014). Incremental prediction and moderating role of the per-

r
2012). Hieraus könnten wichtige Impulse für eine mögli- ceived emotional intelligence over aggressive behavior. Spanish
Journal of Psychology, 17, 1 – 11.
che Weiterentwicklung des Kurzzeitprogramms gewon-
Petermann, F. & Barnow, S. (2013). Emotionsregulation Editorial.
nen werden. Für den Einsatz des Trainings auf breiterer Psychologische Rundschau, 64, 193 – 195.

Ab ie
Ebene, auch denkbar als Bestandteil anderer Programme, Petermann, F., Koglin, U., Natzke, H. & von Marées, N. (2013).
sind Befunde zur Implementationsforschung bezogen auf Verhaltenstraining in der Grundschule. Göttingen: Hogrefe.
Petermann, U., Krummrich, M. Z., Meier, C., Petermann, F. & Nit-
Präventionsprogramme zu beachten (Beelmann & Karing,
kowski, D. (2010). Das Training mit aggressiven Kindern als
2014). So müsste durch geeignete Materialien, Übungen schulbasiertes Präventionsprogramm. Psychologie in Erziehung
und kontinuierlich ansprechbare Experten sichergestellt und Unterricht, 57, 132 – 143.
werden, dass die Personen, die das Programm in Schulen Reddy, L. A., Newman, E., De Thomas, C. A. & Chun, V. (2009). Ef-
fectiveness of schoolbased prevention and intervention pro-
anwenden, im Detail mit den Komponenten des Fried-

g
grammes for children and adolescents with emotional disturb-
g
lichen Miteinanders in Streitsituationen vertraut sind, da-
mit die hier belegte Effektivität auch über den Kontext
ance: A meta-analysis. Journal of School Psychology, 47, 77 – 99.
Röhr-Sendlmeier, U. M. & Schmitz, M. (2010). Sozial-emotionale
der wissenschaftlichen Studien hinaus in vielen Schulen Kompetenz – Längsschnittstudie zu Effekten einer kurzzeitigen
Förderung für Grundschulkinder. Bildung und Erziehung, 63,
erreicht wird.
347 – 369.

zu Rosenberg, M. B. (2007). Erziehung, die das Leben bereichert: Ge-


rri
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deszentrale für gesundheitliche Aufklärung. von Marées, N. & Petermann, F. (2010). Effektivität des Verhal-
Dorn, C., Spindler, G., Kullik, A., Petermann, F. & Barnow, S. (2013). tenstrainings in der Grundschule zur Förderung sozialer Kom-
Erfassung von Emotionsregulationsstrategien – eine Übersicht. petenz und Reduktion von Verhaltensproblemen. Praxis der
un

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M. Schmitz & U. M. Röhr-Sendlmeier, Erprobung eines Kurzzeittrainingsprogramms für Kinder in vierten Klassen 9

Dipl.-Psych. Muriel Schmitz


Prof. Dr. Una M. Röhr-Sendlmeier

r
Institut für Psychologie
Universität Bonn
Kaiser-Karl-Ring 9
53111 Bonn

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Muriel.Schmitz@uni-bonn.de

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© 2016 Hogrefe Verlag Kindheit und Entwicklung (2016), 25 (2), 1–9

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