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Sprüche von Seuse

aus «Der Weg der Meister I» von P. Ermin Döll

DER WEG NACH INNEN

(5)
Die wahrste und nützlichste Lehre,
die dich am raschesten voran bringt
und in der du mit kurzen Worten in aller Wahrheit
unterwiesen wirst bis zur höchsten Vollkommenheit
eines lauteren Lebens, ist dieses Lehre:
1. Halte dich abgeschieden von allen Menschen;
2. halte dich frei von allen in dich
hineingenommenen Bildern;
3. befreie dich von allem, was nicht wesenhaft ist,
was dich gefangennehmen
und was dir Bedrängnis bringen kann;
4. und richte dein Gemüt zu allen Zeiten
auf ein verborgenes göttliches Schauen.

(6)
Abbas Moyses spricht:
Sit7ze in deiner Zelle,
sie wird dich alles lehren.
Halte deinen äusseren Menschen in Stille
und den inneren in Lauterkeit.

(10)
Achte eifrig auf deinen
äusseren Menschen,
damit er geeint werde
mit dem inneren.

(13)
Ziehe dich in Sammlung von den äusseren Sinnen ab,
wenn sie sich über die Mannigfaltigkeit
der äusseren Dinge hin zerstreut haben.
Gehe wieder nach innen,
kehre immer wieder ein
in deine innere Einmütigkeit
und erfreue dich an Gott.
Bleibe fest und gib dich nimmer zufrieden,
bis dass du erlangst in der Zeit
das gegenwärtige Nun der Ewigkeit,
soweit das menschlicher Schwachheit möglich ist.
(17)
Wie selig ist der Mensch,
der unbewegt bleibt
gegenüber der Vielheit der Dinge!
Welch heimliche Versenkung
erlebt der!

(21)
Begehrst du in die geheimnisvolle Verborgenheit
zu kommen,
sei kühn und steig aufwärts
- lass fallen deine äusseren und inneren Sinne,
deine Vernunft mit ihrer Eigenmächtigkeit,
alles, was sichtbar ist oder unsichtbar, -
aufwärts zu der einfachen Einheit;
in die sollst du eindringen ohne Wissen,
in das Schweigen, das über allem Sein ist
und über aller Meister Kunst,
hinein in den überwesenhaften Widerschein
der göttlichen Finsternis.

(22)
Alles Haften muss gelöst sein,
jedes Ding gelassen werden.
Dann vernimmt man auf dem verborgenen,
ganz und gar unbekannten,
überstrahlenden, allerhöchsten Gipfel
mit stillsprechendem Schweigen
Wunder über Wunder.
Man empfindet da neue,
abgeschiedene, unwandelbare Wunder
in der überlichten Finsternis,
die da ein überklarer, lichtvoller Schein ist,
in dem alles widerleuchtet.

(23)
Die Versenkung nimmt dem menschlichen Geist
Bild und Form und Vielheit ab.
Er gelangt in eine wahrnehmende Unwissenheit
seiner selbst und aller Dinge
und wird in den Abgrund
der ineinanderfliessenden Einheit hineingetragen,
wo er Seligkeit gemäss der höchsten Wahrheit erfährt.
Darüber hinaus gibt es kein Streben noch Mühen,
denn Anfang und Ende sind eins geworden,
und der Geist ist – sich selbst entsunken –
eine mit dem göttlichen geworden.
(36)
Wer der tiefsten Innerlichkeit angehören will,
der muss sich von aller Vielheit lösen.
Man muss sich hineinversetzen
in eine Gleichgültigkeit gegenüber allem,
was das Eine nicht ist.

(40)
Wenn ich mich finde als das Eine,
das ich sein soll,
und als das All,
das ich sein soll,
was gibt es grössere Lust?
Ein Mensch soll stehen frei von Bildern
und losgelöst von allem Geschaffenen:
darin liegt die höchste Lust.
LEERWERDEN

(56)
Du sollst wissen,
dass innere Gelassenheit
den Menschen zur tiefsten Wahrheit führt.

(59)
Ein gelassener Mensch
soll nicht ständig danach ausschauen,
was er bedarf.
Er soll darauf schauen,
was er entbehren kann.

(60)
Versetze dich in ein Ledigsein
und in Gelassenheit!
Denn wenn das unmässige Begehren zuviel wird,
könnte hieraus ein verborgenes Hindernis werden.

(62)
Wer etwas begehrt,
das ausser ihm ist,
oder wen etwas verdriesst,
das in ihm ist,
der hat sich nicht gelassen.

(69)
Eine Gelassenheit über aller Gelassenheit
ist gelassen sein in Verlassenheit.

(79)
Was ist das kleinste Hindernis?
Das ist ein Gedanke.
Was ist das grösste Hindernis?
Das ist, wo der Mensch unter der Herrschaft
seines Eigenwillens bleibt.

(90)
Wer will, dass ihm alle Dinge zuteil werden, Swer will, daz im ellú ding sein,
der soll sich selbst der sol im selb
und allen Dingen und allen dingen
zum völligen Nichts werden. nichtesnit werden.
(91)
Wer sich in rechter Weise lassen wollte,
der sollte, sich in sich selbst versenkend,
sich in die Nichtigkeit seinen eigenen Ich kehren
und einsehen, dass das Ich
wie alle Dinge
ein Nichts ist.

(93)
Was ist die Übung Waz ist eins wolgelassen menschen uebunge?
eines ganz gelassenen Menschen? Daz ist ein entwerden
Das ist ein Zu-Nichts-werden.

(111)
In der Entrückung versinkt der Geist;
und hier ist es recht um ihn bestellt,
denn Gott ist ihm alles geworden,
und alle Dinge sind ihm irgendwie Gott geworden.
Denn alle Dinge werden ihm zu Nichts in der Weise,
wie sie in Gott sind;
und doch bleibt ein jeglich Ding,
was es ist in seinem natürlichen Sein.
OFFENSEIN

(131)
In der Versenkung In dem inschlag
habe ich alle Dinge vergessen; han ich aller ding vergessen,
denn da ist kein Grund wan es ist grundlous
und keine Begrenzung. und ungemessen.

Vermag ein Mensch die Dinge Ein mensch mag die sachen
nicht zu verstehen: nit begrifen:
ist er in Musse, sie muessig,
so verstehen die Dinge ihn. so begriffent in die sachen.

GOTT WIRKEN LASSEN

(151)
Wie geht das Sich-verlieren des Mensch
in Gott vor sich? –
Wenn der Mensch sich selbst so entzogen wird,
dass er weder von sich noch um irgend etwas weiss
und im Grund des ewigen Nichts
ganz zur Ruhe gekommen ist,
so ist er wohl sich selbst verloren.

(157)
Der Mensch kann in dieser Erdenzeit dahin kommen,
dass er sich als Eins begreift in dem,
das da ist das Nichts aller Dinge,
die man verstehen oder benennen kann.
Und dieses Nichts nennt man allgemein Gott,
und das ist an sich selber ein allerwesenhaftes Sein.
Und hier begreift sich der Mensch
als Eins mit diesem Nichts.

(165)
Da, wo der Mensch – losgelöst von sich –
versunken ist in das, das da ist,
das ist ein Wissen aller Wahrheit;
denn seiner selbst entsunken
steht er in der Wahrheit selbst.
IM GRUND DER SEELE

(188)
Wie vergisst du dein Selbst so offensichtlich
- und bist mit des ewigen Gutes Gegenwart
so ganz umgeben!
Was suchst du in irgendeiner Äusserlichkeit,
wo du das Himmelreich so geheimnisvoll in dir trägst?

(205)
Im Innern des Menschen
ist etwas ganz und gar Einfaches;
da liebt der Mensch nicht die
Gegenwärtigkeit des Bildes,
da sind vielmehr der Mensch
und er selbst
und alle Dinge Eins,
und das ist Gott.

(206)
Ein gelassener Mensch,
der sich der Wahrheit verbunden hat,
wird die Gegenwart des ganzen göttlichen Seins
in sich wahrnehmen.

(209)
Ein gelassener Mensch
sollte alle seine Seelenkräfte so zähmen,
dass, wenn er in sich hineinschaut,
sich ihm da das All zeigt.

(214)
Ein Mensch, der sich in Wahrheit gelassen hat,
entsinkt sich selbst,
und mit ihm entsinken alle Dinge.
Er steht in einem gegenwärtigen Nun
ohne selbstsüchtigen Vorsatz
und nimmt sein Eigenstes wahr.

(219)
Ein Meister sah einen groben Holzblock liegen
und sprach:
«Was ist da für ein schönes, wunderbares Bild drinnen,
wären nur die Späne abgehauen und abgeschält!»
- Ja, würde einer alles abschneiden
und abschälen und absondern,
fände er Gott bloss und rein in sich.
DIE FRUCHT BEHARRLICHER ÜBUNG

(236)
Wer allezeit bei sich selbst daheim ist, Der bi im selben alle zit wonet,
der gewinnt gar grosse Kraft. der gewúnnet gar ein riches vermúgen.

(240)
Einem gelassenen Menschen
soll kein Stündchen vergehn
ohne Achtsamkeit

(247)
Der Mensch, der allzeit Ruhe haben wollte,
der würde darin sich selbst ebenso festhalten
wie in anderen Dingen.

(253)
Man findet Leute, die sind empfänglich für alle Dinge
und sie kommen innerlich leicht voran;
sie sind wie weiches Wachs,
in das mit einem Siegel ein Bild
leicht eingedrückt wird,
jedoch bald auch wieder zusammengedrückt wird
und wieder vergeht.
In einen Stein aber gelangt das Bild
nur mit grosser Mühe
und es bleibt auch hart und fest darin
und vergeht nicht so bald.

(260)
Wenn sich ein gelassener Mensch
mit nach innen gekehrten Sinnen
in seine innere Burg setzt:
weniger Halt er von innen findet,
um so schlechter ergeht es ihm innerlich;
je geschwinder

(276)
Nimm den inneren Menschen wahr!
Darin liegt das äussere Leben
und das innere Leben.
(277)
Man findet etliche Menschen,
die haben einen inneren Antrieb gehabt
und sind dem nicht gefolgt.
Ihr Innerstes und ihr Äusseres
sind fern voneinander;
und hierin liegt bei vielen Menschen
der Mangel.

(278)
Der Mensch besitzt jetzt in seiner Natur
grossen Reichtum;
je mehr er sich nach aussen wendet,
um so ferner ist er ihm,
je mehr er sich nach innen wendet,
um so näher ist er ihm.
Wer zu seinem inneren Reichtum gekommen ist,
der wirkt alle äusseren Dinge desto besser.

(282)
Willst du allen Geschöpfen nützen,
so kehre dich ab von allen Geschöpfen.

(285)
Wem Innerlichkeit im Äusseren zuteil wird,
dem wird Innerlichkeit innerlicher zuteil
als dem, dem Innerlichkeit in Innerlichkeit zuteil wird.

(287)
Alle Dinge haben ihre Zeit.
Wie einer Zeit haben soll für die lautere Einkehr,
so soll auch der rechten Hinwendung nach aussen
die Zeit nicht vorenthalten werden.
Wer allein auf Innerlichkeit setzt, der kommt aus dem
Gleichgewicht, wenn ich Gott zu äusserem Tun zieht;
wer nur am Äusseren hängt,
der ist unbeweglich für die Innerlichkeit.
Ein weiser Mensch soll seine Innerlichkeit
nicht wegwerfen in den äusseren Dingen,
noch soll er das Äussere verleugnen
gegenüber der Innerlichkeit.
Und so geht er nach aussen und nach innen
und findet Ruhe in allen Dingen.

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