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SEELENGRUND UND GOTTESGRUND

"Er kam, um von dem Licht zu zeugen – von dem wahrhaftigen Licht, welches alle
Menschen
erleuchtet, die in diese Welt kommen." Joh. 1; 7, 9
Man kann Johannes den Täufer nicht höher loben als mit dem Wort: "Er zeugte von dem
Licht."
Das Licht, von dem er zeugte, ist ein wesentliches, über allem Erkennen stehendes
Licht. Es
leuchtet im Innersten des inneren Menschen, im Allertiefsten des Seelengrundes.
Wie nun gelangen wir zu diesem Licht? Unsere Ichheit mit ihrem begrenzten Verstand
vermag ihrer
Natur nach hier nichts; aber Gott hat uns eine übernatürliche Kraft und Hilfe
gegeben: das ist das
Licht der Vernunft. Es ist ein geschaffenes Licht, das unsere Natur hoch über sich
selbst erhebt und
ihr alles darreicht, dessen sie bedarf.
Darüber aber ist noch ein ungeschaffenes Licht im Menschen: das ist das Licht des
Selbst. Es ist ein
göttliches Licht und ist Gott selbst. Denn wenn wir Gott erkennen sollen, muß es
durch Gott selbst
geschehen, mit Gott und in Gott, wie der Prophet sagt: "Herr, in Deinem Lichte
sehen wir das
Licht."
Es ist ein überwesentliches Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt
kommen. Es
überstrahlt alle Wesen ohne Unterschied, wie die Sonne über allen Kreaturen
scheint. Wenn sie
noch blind sind und das innere Licht nicht wahrnehmen, liegt das nicht am Licht,
sondern es ist ihre
Schuld und ihr Schade. Aber mag ein Wesen noch so tief in der Finsternis weilen: es
hat allezeit die
Möglichkeit, zum Lichte durchzustoßen. Alsdann ist es im Licht.
Um aus der Finsternis zum Licht durchzustoßen, muß man sich von allem, was zeitlich
und
vergänglich ist, abscheiden: von aller Lust der Natur und der Sinne, auf die das
Denken und
Trachten gerichtet war, von den Kreaturen und allem, was nach außen zieht,
ausgenommen das, was
zum Leben und zur Erfüllung der irdischen Aufgaben unentbehrlich ist.
Denn erst in der Abgeschiedenheit und inneren Einsamkeit, in der die Stimmen der
Welt verstummt
sind, wird das Wort Gottes vernehmbar.
Weiter müssen zur Abgeschiedenheit Stärke und Standhaftigkeit hinzukommen, damit
der Mensch,
wenn er des Lichts gewahr wird, gelassen und unbewegt bleibt wie ein Berg und nicht
wie ein
Schilfrohr zu Boden gedrückt wird. Hier versagen viele, wie sich zeigt, wenn ein
törichtes,
spöttisches oder hartes Wort sie wie ein Schilfrohr zu Boden drückt.
In dem hingegen, der hier standhält, fällt ein Strahl des Lichts in die oberen
Kräfte der Seele: in die
Vernunft, den Willen und die Liebe. Wenn es die Vernunft erhellt, wird der Mensch
zum Propheten,
also zu einem, der auch das Entfernte nah und hell sieht; oder sagt ihm das innere
Wort, wie etwas
ist.
Nun heißt es von Johannes, er sei "mehr als ein Prophet". Das heißt: In dem
innersten Grund, in den
die Vernunft und die anderen Kräfte nicht hineingelangen, sieht man das Licht in
dem Licht: man
befindet sich im inneren Licht und erkennt alsdann im kreatürlichen Licht das
göttliche.
Was sich aber der Seele im Grunde darbietet, hat weder Bild noch Form, weder Ort
noch Weise: es
ist ein unergründlicher Grund, schwebend in sich selbst, und in diesem Grund ist
Gottes Wohnung
mehr als irgendwo anders. Wer sich dorthin einsenkt, der findet da Gott und findet
sich selbst in
Gott und eins mit Gott. Denn von diesem Grunde scheidet Gott sich nie. Hier ist dem
vom inneren
Licht erfüllten Geist Gott gegenwärtig, und die Ewigkeit wird hier empfunden, in
der es weder
Vorher noch Nachher gibt.
In diesen Grund vermag kein geschaffenes Licht zu reimen noch zu leuchten: hier ist
allein Gottes
Wohnung und Wesen. Alle Kreaturen können diesen Grund weder erfüllen noch ermessen;
das
vermag nur Gott selbst in seiner Unermeßlichkeit.
In diesen Gottesgrund gelangt allein der Grund der Seele; hier ruft und verschlingt
ein Abgrund den
anderen. Hier ist völliges Einssein. Alles, was der Mensch in seiner Vernunft über
die Dreieinigkeit
der Gottheit dachte, gilt hier nicht mehr. Denn hier ist keine Unterscheidung mehr,
sondern nur
Einheit.
Wer sich in diesen Grund ganz einsenkt, dem ist, als sei er schon immer und ewig
hier gewesen und
als sei er mit ihm eins, obwohl es nicht mehr als ein Augenblick ist; aber solcher
Einblick wird als
eine Ewigkeit empfunden und ist ein Zeugnis dafür, daß der Mensch in seiner
Ungeschaffenheit
ewig in Gott war. Als er in ihm war, da war er Gott in Gott.
Was der Mensch heute in seiner Geschaffenheit ist, das ist er in Ungeschaffenheit
ewig in Gott
gewesen und ist es noch: ein überseiendes Sein mit ihm.
Doch solange der Mensch, nachdem er aus der Ungeschaffenheit in die Geschaffenheit
hinausgeschritten ist, nicht in die innerste Einsamkeit und Lichtheit zurückkehrt,
kommt er nicht
wieder in Gott. Bevor nicht alle Neigung nach außen, alles Haften an
Zeitlichvergänglichem, alle
Ichheit und alles, was den Seelengrund mit seiner Nichtheit anfüllt und ihn für
Gott unempfänglich
gemacht hat, kurz: alles, was nicht Gott ist, völlig daraus entfernt, ausgetilgt
und entworden ist,
vermag er nicht zu seinem Ursprung durchzustoßen und zurückzukehren.
Doch auch das genügt noch nicht: Der Geist muß zuvor vom inneren Licht erfüllt und
überformt
werden.
Wer diese Durchlichtung, Überformung und Verwandlung erreimt hat und ein in
völliger Hingabe
an Gott ganz in seinen innersten Grund entsunkener Mensch geworden ist, dem mag es
wohl
gelingen, daß ihm in diesem Leben ein Blick der höchsten Überformung durch das
ungeschaffene
Licht Gottes zuteil wird, in dem er Gott erkennt: "Herr, in Deinem Lichte sehe im
das Licht."
Und wenn er oft in seinen Seelengrund einkehrt und darin heimisch wird, würde ihm
mancher Blick
in den Gottesgrund zuteil, in dem ihm von Mal zu Mal deutlicher offenbar wird, was
Gott ist.
Mit diesem innersten Grund waren große Meister wie Proclus und Plato wohl vertraut,
während
viele Christen weder sich selbst noch das erkennen, was in ihnen ist: weder den
Seelengrund noch
den Gottesgrund, weil sie statt nach innen nach außen gerichtet sind und sich mit
den äußeren
Wahrheiten der Religion begnügen, die sie hindern, über ihre Ichheit
hinauszugelangen und den
Weg nach innen zu gehen.
Damit wir fähig und bereitet werden für das Erfüllt- und Überformtwerden durch das
innere Licht,
müssen wir unsere ganze Liebeskraft statt nach außen nach innen lenken und in ihr
entflammen, um
eine würdige Stätte für den Aufgang des göttlichen Lichts zu werden. Wir müssen
denken, begehren
und sprechen wie Augustinus:
"Herr, Du gebietest mir, daß im Dich liebe: gib mir, was Du mir gebietest! Du
gebietest mir, Dich
zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen Kräften und von ganzem
Gemüte: gib
mir, Herr, daß ich Dich vor allem und über alles liebe!"
Wer das mit allen Fasern seines Wesens begehrt und sich mit aller Kraft seiner
Seele nach innen
wendet, in dem wächst die Hitze seiner Liebe, bis ihre Glut ihm Mark und Bein
verzehrt und das
Feuer der Liebe so stark und strahlend wird, daß sein Herz zu leuchten beginnt und
schließlich zu
Gott und in Gott entflammt.
Dann antwortet Gott mit seiner Liebe und spricht sein Wort, das höher, lichtvoller
und leuchtender
ist als alle Menschenworte. Davon sagt Dionysius: "Wenn das ewige Wort im
Seelengrund
gesprochen wird und der Grund so viel liebende Hingabe und Empfänglichkeit hat, daß
er das Wort
– Christus – in seiner Allheit schöpferisch und vollkommen empfangen kann, dann
wird der
Seelengrund mit dem Wort eins und wird das Wort selbst. Wenn er auch seinem Wesen
nach seine
Geschaffenheit behält, ist er vom seinem Ursprung nach das Wort selbst."
Eben dies bezeugte Jesus: "Vater, daß sie eins werden, wie wir eins sind", und das
Wort, daß
Augustinus von Gott empfing: "Du sollst verwandelt werden in mich." Dahin gelangt
man auf dem
Wege der liebenden Gott-Entflammung des Herzens.
Auf diesen Weg nach innen sollen wir achtgeben. Es ist der Weg des Geistes zu Gott
und Gottes zu
uns. Er ist schmal und verborgen, und jene verfehlen ihn, die sich auf äußere Übung
und
Wirksamkeit verlassen und meinen, sich vom Ich aus Gott nähern zu können.
Nein, wenn der Mensch den Weg nach innen betritt, muß er das Ich und seine
Schwächen und alle
äußeren Unzulänglichkeiten lassen und sich mit der ganzen Kraft seiner Liebe Gott
überlassen und
hingeben, sich selber entwerden und ganz in der Liebe aufgehen. Dann mag es
geschehen, daß er
für Augenblicke schon in der Zeit erfährt, was er ewig sein wird, wenn die Einheit
erreimt ist.
Daß uns allen dies zuteil werde, dazu helfe uns Gott!

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