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DER MENSCH – EIN TEMPEL GOTTES

"Er ging in den Tempel und fing an, auszutreiben, die darin verkauften und kauften.
Und sprach:
Mein Haus ist ein Bethaus." Luk. 19; 45 f.
Mit seinem Wort "Mein Haus ist ein Bethaus" lehrte Christus die Seinen, die Kinder
Gottes, was sie
zu tun haben, damit ihr innerer Mensch eine Stätte der Hingabe an Gott sei; denn
der Mensch ist
seinem Wesen nach ein Tempel Gottes.
Damit unser innerster Seelengrund eine würdige Heimstatt Gottes sei, müssen zuerst
die Händler
und Käufer hinausgetrieben werden, nämlich der Ungeist der Eigensucht und des
Habenwollens,
des Trachtens und Gierens nach äußeren Gütern, und alles, was dem Eigenwillen des
Ich dient.
Dann, wenn alles, was nicht Gottes ist, was Gott ungemäß und ungleich ist,
hinausgetrieben ist,
wird die Seele wieder das, was sie ihrem Wesen nach ist: ein Tempel Gottes, in dem
Gott in
Wahrheit wohnt.
Wer sind jene, die im Tempel verkaufen und kaufen? Es sind die, die ihre Liebe und
Befriedigung in
den Kreaturen und Dingen finden, jene, die, ehe sie einmal an Gott denken,
vierzigmal von äußeren
Dingen träumen und so ihren inneren Menschen ganz nach außen ziehen und den Tempel
Gottes
entweihen.
Denn daran ist kein Zweifel: Wer will, daß Gott in ihm wohne und wirke, der muß
alle Hindernisse,
alles, was nicht seine Ursache in Gott hat oder zu Gott hinführt, aus sich
entlassen. Er muß sich
darin üben, immer wieder von den Dingen weg und auf Gott hin zu blicken, bis ihm
Gott lieber ist
als alle Dinge. Dann erst ist der Tempel gereinigt, wenn alle Kreaturen und alle
Befriedigung durch
sie ausgemerzt sind derart, daß wir sie weder willentlich noch aus Neigung in uns
aufnehmen und
behalten.
Alsdann sind wir wahre Kinder Gottes, also solche, die Gott wesentlich und
gegenwärtig und
wirkend in sich wissen – in ihrem innersten Seelengrund.
Die dessen ungewiß sind, die haben nur einen gedachten und gemachten Gott. Ihnen
entgeht die
lebendige Gegenwart Gottes in ihnen. Sie hängen mehr an den Dingen als an Gott.
Die wahren Kinder Gottes lassen die äußeren Dinge hinfließen, ohne sich tiefer mit
ihnen
einzulassen, als ihre Notdurft erfordert, während sie das, dessen sie nicht
bedürfen, lassen, ohne
sich damit aufzuhalten. Sie suchen in allem nach Gott und dringen durch alle
Schickungen, seien es
gute oder böse, zu Gott. Sie sorgen sich nicht um das, was sie aufhält, widerstehen
ihm nicht,
sondern blicken bei alledem auf Gott, suchen ihn allein und bleiben in aller
Mannigfaltigkeit ihres
Einsseins mit dem lebendigen Gott in ihnen gewiß.
Wer sich solchermaßen als Tempel Gottes fühlt und der Gegenwart Gottes in ihm gewiß
ist, der
wird nicht durch die Dinge und Weisen der äußeren Welt verwirrt und zerstreut, was
auch immer
geschehen mag, sondern er weiß sich Gott im Gemüt ganz nahe und bleibt seiner
inneren
Gegenwart bewußt. So kann ihn nichts Äußeres entfrieden.
Wo aber ein Mensch von äußeren Dingen und Geschicken entfriedet wird, zeigt das,
daß er seiner
Gotteskindschaft und der Gegenwart Gottes im Grunde seiner Seele noch unbewußt ist
und daß sein
Denken, Streben und Handeln mehr nach außen, mehr auf die Dinge, ihren Besitz und
Genuß
gerichtet ist als auf Gott.
Wenn der Mensch dessen gewahr wird, soll er sich wieder und wieder nach innen
wenden, bis sein
Gemüt uneingeschränkt auf Gott gerichtet ist und in allem ihn will und meint, nicht
die Dinge,
sondern ihn sucht und, was er tut, Gott zuliebe wirkt – nicht nach seinem Willen,
sondern nach
Gottes Willen.
Denn solange der Mensch lebt und wirkt, ohne Gott in sich zu wissen, lebt und geht
er unsicher und
alles bleibt ungewiß. Von ihm gilt das Wort der Schrift: "Wehe dem, der allein ist;
fällt er, so hilft
ihm niemand auf." Wenn aber Gott in seiner Seele wohnt, kann ihm nichts und niemand
etwas
anhaben; er weiß sich jederzeit und allerorten gesichert und geborgen.
Wenn es so mit uns steht, müssen die Krämer, wenn sie mit ihrem Kram hereinkommen,
sogleich
wieder hinaus, weil kein Verlangen nach ihnen da ist. Und wenn sie versuchen, sich
eine Weile ohne
unseren Willen und ohne unsere Zustimmung im Tempel niederzulassen, können sie uns
nicht
schaden, sondern müssen zur selben Tür hinaus, durch die sie eindrangen. Und wenn
sie noch etwas
ihnen Gemäßes, das nicht göttlich war, in uns fanden, müssen sie das mit sich
nehmen, so daß der
Tempel unserer Seele bei ihrem Gehen reiner ist denn zuvor.
So müssen den guten Menschen, den Kindern Gottes, alle Dinge zum Besten dienen.
"Mein Haus ist ein Bethaus." – Gebet heißt Andacht, heißt Hingabe. Es heißt sich
innerlich mit Gott
verbinden und ganz dem Ewigen zugeneigt und hingegeben sein. Wenn Du Dich
solchermaßen in
schweigender Hingabe Gott verbindest, hast Du Andacht, wo Du auch weilst und was Du
auch
wirkst.
Es ist nicht nötig, daß Du ständig vor Seligkeit vergehst. Das ist nur etwas
Hinzukommendes, nur
unwesentliches Beiwerk, während das Wesentliche im Lassen liegt, im Sich-Überlassen
und
Hingeben an Gott, in der Verbindung und Einswerdung, mit der wir das Reich Gottes
betreten, das
in uns ist.
Nun schreibt Hilarius von drei Weisen und Wegen, die unmittelbar in das Reich
Gottes hineinführen
und uns in einen lebendigen Tempel Gottes verwandeln. Es sind Glaube,
Gotterkenntnis und Gebet.
Was ist Glaube? Ist jeder Christ schon an sich ein Glaubender? Nein. Wie es auf
einem Friedhof
viele Tote gibt, so sind – auch in der Christenheit viele, die lebendig scheinen,
in Wahrheit aber tot
sind. Denn lebendiger Glaube ist ein immerwährendes Hingewendet- und Hingeneigtsein
zu Gott
und zu allem, was göttlich ist. Einerlei, was der Mensch von göttlichen Dingen hört
– immer ist es
der lebendige Glaube in ihm, der ihm besser ausweist, was Gott ist, und ihm höhere
Gewißheit
verleiht, als alle Meister ihm vermitteln können. Denn der Glaube wurzelt im
inneren Reiche
Gottes, in dem das Leben aus seinem eigenen Grunde hervorquillt.
Jene aber, die diesen lebendigen Glauben nicht haben, sind innerlich lau und dürr,
kalt und tot, weil
unaufgeschlossen für alles, was von Gott kommt und zu Gott hinführt. Sie haben
weder Weg noch
Weise, in sich selbst zu kommen; sie wohnen nicht in sich, sondern in den äußeren
Dingen, und sind
sich selber fremd.
Die wahrhaft Glaubenden hingegen wohnen und ruhen in sich, wurzeln im inneren
Leben, und was
ihnen äußerlich Göttliches begegnet, das erweckt sogleich ihr inneres Leben und
macht offenbar,
daß sie im Reiche Gottes in ihnen leben, das denen, die im Äußeren aufgehen,
verborgen bleibt.
Das zweite ist Gotterkenntnis: die findet man eben hier, braucht sie also nicht
draußen in allen
Fernen zu suchen; denn sie offenbart sich im Innern. Hier strahlt das göttliche
Licht, hier tritt man
durch das rechte Tor ins Reich Gottes.
Von solchen Menschen, die wissen, daß sie Gottes Tempel sind, kann man mit vollem
Recht sagen:
"Das Reich Gottes ist in euch!" Sie finden die Wahrheit, die nur von denen erkannt
wird, die in
ihrem Innersten daheim sind. Sie finden in sich, was über alles Denken und
Verstehen hinausreimt:
das Licht im Licht.
Sie brauchen keine äußeren Bücher mehr, sondern lesen im lebendigen Buch von den
wunderbaren
Werken Gottes und dringen vor bis zur Erkenntnis der Dreieinigkeit Gottes: wie der
Vater den Sohn
ewig gebiert, wie das Wort ewig im väterlichen Herzen zugegen ist, wie der heilige
Geist von
beiden ausfließt und wie die göttliche Dreifaltigkeit sich in die Gott zugewandten
Menschen ergießt
und in ihnen widerspiegelt, und wie sie sich in die Gottheit zurückergießt in
namenloser
Seligkeit.
Hierin liegt, wie das göttliche Wort sagt, " das ewige Leben, daß der Mensch in
sich den Vater
erkennt und Christus, den Sohn, den er gesandt hat," Das ist das wahre Leben im
Tempel der Seele;
hier ist Christus in seiner eigenen Wohnstatt; hier ist das Reich Gottes gefunden –
die lebendige
Gegenwart Gottes, die alles Leid und alle Leiden löst.
Wer das empfunden hat, der weiß es. Und wer dies in seinem Leben am innigsten
empfindet, der ist
im ewigen Leben, im Reiche Gottes, Gott am nächsten.
Das dritte ist das Gebet. Es ist zunächst Einwärtswendung, Hinneigung des Beters zu
Gott und
Eingang des Gemüts in Gott. In einem höheren Sinne ist es eine vereinende Einkehr
des
geschaffenen Geistes in den ungeschaffenen Geist Gottes, wenn der erstere sich läßt
und sich von
der Ewigkeit Gottes bewegen und in die Abgeschiedenheit der Ungeschaffenheit ziehen
läßt.
Das tun jene, die Gott mit Christus im Geiste und in der Wahrheit anbeten. In
solchem Gebet wird
verloren und gefunden. Verloren wird der Tempel und der Geist und alles, was nicht
Gott ist; es ist
in Gott eingeflossen und entworden. Und ist ein Geist mit Gott geworden, wie Paulus
sagt: "Wer
Gott anhängt, der wird ein Geist mit Gott." – Und gefunden wird die Einheit. Wie
das geschieht,
läßt sich mit Worten nicht beschreiben, sondern nur erfahren. Denn was darüber
ausgesagt werden
kann, ist der Wirklichkeit so fern und so gering wie ein Sandkorn gegenüber dem
Himmel.
Daß wir es selbst erfahren und erlangen, dazu helfe uns Gott!

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