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VOM RECHTEN BETEN

"Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird
euch aufgetan."
Luk.11;9
Das Evangelium lehrt uns, wie wir beten sollen, und es unterscheidet dabei das
Bitten, das Suchen
und das Anklopfen:
Das Bitten bedeutet, daß wir mit einem gänzlich Gott zugewandten Gemüt etwas von
ihm
erheischen.
Das Suchen bedeutet, daß unsere Aufmerksamkeit auf etwas Besonderes gerichtet ist,
das wir vor
allen anderen Dingen erlangen möchten.
Und das Anklopfen bedeutet, daß wir ausharren und nicht nachlassen, bis wir das
Ersehnte
empfangen haben.
In dem Kapitel des Lukas-Evangeliums wird von einem Manne berichtet – dem Gemüt des
Menschen –, der um Mitternacht zu seinem Freunde – das ist Gott – geht, anklopft
und um Brot
bittet – das Brot der Liebe und des Lebens –. Der Freund entschuldigt sich, es sei
Nacht, die Türe
verschlossen, und er könne nicht aufstehen. Aber jener klopft so lange an, bis der
Freund sich erhebt
und ihm alles gibt, dessen er bedarf.
Was dieses Gleichnis uns lehren will, ist, daß die göttlichen Gaben nicht den
Müßiggehenden und
an die Welt Hingegebenen zuteil werden, sondern nur den nach innen Gewandten und in
der
Hinwendung zu Gott Beharrenden.
Es belehrt uns auch darüber, um was und wie wir beten sollen.
Wenn der Mensch sich dem Gebet hingeben will, muß er zuerst sein Gemüt von
jeglicher
Weltzugewandtheit und Zerstreuung durch äußere Dinge, Wesen und Wünsche, bei denen
es weilte,
zurückholen, sich alsdann ganz in den Grund einsenken, um die Gaben Gottes bitten,
das Brot der
Liebe und des Lebens im Auge haben und an das väterliche Herz klopfen. Denn wenn er
auch alle
Speise und alle Güter der Welt hätte ohne das Brot der Liebe – sie wären ihm
nutzlos.
Und dann soll der Mensch bitten, daß Gott ihm gebe und ihm helfe, um das zu bitten,
was ihm,
Gott, am meisten gefällt und was dem Menschen am dienlichsten ist. Und was alsdann
zu ihm
kommt, das soll er als von Gott gegeben dankbar entgegennehmen.
Und schließlich gilt es zu beachten, wie man Gott bittend angeht. Die meisten
können nicht
innerlich, im Geiste, beten, sondern tun es mit Worten. Nun, dann sollen sie es
wenigstens mit so
viel Liebe und Hingabe tun, wie sie nur immer aufzubringen vermögen, ihr Herz
aufschließen und
Gott bitten, daß er ihnen sich selbst durch Christus gebe. Und wenn sie dabei eine
Weise finden, die
ihnen am besten hilft, sich Gott ganz zu lassen, und wenn Gott sich ihnen mitteilt,
sollen sie bei
dieser Weise bleiben. Denn darin besteht das Suchen, daß man den Willen Gottes, der
immer der
beste für den Menschen ist, zu erkennen suche und beharrlich anklopfe; denn wer
ausharrt, dem
wird aufgetan.
Denn weit mehr, als ein liebender Vater seinen Kindern gibt, worum sie bitten, gibt
Gott denen, die
ihn bitten, die allerbesten Gaben.
Nun mag einer einwenden und fragen: Wenn Gott so milde und gütig ist und über alle
Maßen gibt
und vergibt, wie kommt es dann, daß so mancher Mensch sein Leben lang bittet und
doch das
lebendige Brot nicht empfängt?
Darauf habe ich zu antworten, daß dies nicht an Gott liegt, sondern an den
Menschen: ihr Herz und
ihr Seelengrund, ihre Liebe und ihre Gesinnung ist nicht auf Gott gerichtet und
gesammelt und für
Gottes Wesen und Gaben empfänglich, sondern mit fremder Liebe behaftet, sei es zu
Lebenden oder
Toten, zum eigenen Ich und zu dem, was es hat oder besitzen möchte.
Dieses Begehren hat den Seelengrund so ausgefüllt, daß die göttliche Liebe nicht
hineinkann.
Achten wir also darauf, womit wir umgehen, was uns bewegt, worauf unser Denken und
unsere
Liebe gerichtet ist. Denn wenn die Liebe Gottes uns erfüllen und segnen soll, muß
die Liebe zu
allem, was nicht Gott ist, notwendig hinaus.
Das meint das Wort des Augustinus: "Gieß aus, damit du voll werdest!" Aber diese
Menschen
wollen nicht ausgießen und lassen; sie kommen mit einem weltzugewandten und
welterfüllten
Herzen, mit einem von tausend Dingen angefüllten Seelengrund; und dann kann ihnen
das göttliche
Brot nicht gegeben werden.
Das ist nicht Gottes Schuld, sondern ihre eigene. Sie finden Steine statt Brot,
weil sie ein steinern
Herz haben, hart und kalt, in dem die Glut der Andacht, Liebe und Hingabe erloschen
ist. Sie lesen
wohl eifrig und beten, aber sie empfinden nichts dabei; ihr Sinnen ist nicht darauf
gerichtet, es
dürstet sie nicht danach wie den Verschmachtenden in der Wüste nach Wasser; und
darum quillt
nichts hervor.
Und wenn sie meinen, genug gebetet zu haben, gehen sie schlafen und beginnen am
anderen
Morgen von neuem damit, ihre Gebete herzusagen, und meinen, damit genug getan zu
haben. Dabei
ist ihr Gemüt so hart wie ein Mühlstein, daß man sie weder biegen noch brechen
kann.
Vor solchem erstarrten und versteinerten Seelengrund hüte Dich! Und mühe Dich auch
nicht damit
ab, so beschaffene Menschen zu ändern. Sie würden Dich nur steinigen. Hüte Dich
aber auch, daß
Du sie nicht wieder steinigst und hart über sie urteilst; sondern tue den Mund zu
und Dein Herz für
Gott auf. Richte Dich selbst und niemanden sonst. Sei sanft und gütig gegen die,
die wider Dich
sind. Schweige und nimm alles, was Dich trifft, als von Gott kommend und trage es
gelassen ihm
wieder zu in den Grund. Und verlasse Dich nicht auf Deine guten Werke, sondern
lasse Dich und
laß Gott wirken!
Woher also kommt es, daß Gott so vielen unter uns fremd und seine Gegenwart ihnen
unbewußt ist?
Es liegt daran, daß ihr Gemüt so voll ist der Bilder der Kreaturen und Dinge, daß
für Gott kein Platz
ist. Es liegt daran, daß sie nicht zur Andacht, zur Kontemplation und Hingabe
bereit sind. Würden
sie ihr Gemüt von den Bildern der Kreaturen und Dinge frei machen, sich lassen und
sich Gott
überlassen, so hätten sie Gott ohne Unterlaß. Denn er muß ihren Seelengrund, wenn
er ihn leer
findet, völlig erfüllen. Solange aber andere Bilder und Strebungen den Seelengrund
erfüllen, ist er
leer von Gott.
Dies wird in einem späteren Kapitel des gleichen Evangeliums (18; 10) verdeutlicht:
Dort wird berichtet, wie zwei Menschen in den Tempel hineingingen, um zu beten: ein
Pharisäer
und ein Zöllner.
Der Tempel, von dem hier die Rede ist, ist der inwendige Grund der Seele, in dem
Gott wohnt und
wirkt, weshalb niemand sagen kann, wie edel und würdig dieser Tempel in Wahrheit
ist. Dorthin
sollen wir uns wenden, um zu beten; und zwar müssen es immer zwei sein, die
hineingehen, d. h.
über alle Dinge und über sich selbst hinaus und in ihr Selbst hinein: nämlich der
äußere Mensch und
der innere Mensch, wenn das Gebet recht beschaffen sein soll.
Denn was der äußere Mensch ohne den Inneren betet, taugt wenig oder nichts. Der
äußere Mensch
gleicht dem Pharisäer: er bläht sich auf und zählt auf, was er alles an Guten getan
hat. Der innere
Mensch aber gleicht dem Zöllner: er blickt in sein Nichts und stellt sich völlig
Gott anheim, daß er
ihn erfülle; denn wohin Gott mit seiner Barmherzigkeit und Liebe kommt, dahin kommt
er mit
seinem ganzen Sein und mit sich selbst.
Das ist gemeint mit dem Wort des Zöllners, der sich abseits hielt – in der
Abgeschiedenheit –, daß
Gott ihm in seiner Schwachheit und Nichtheit gnädig sei: in der völligen Hingabe
seiner selbst ward
er gerechtfertigt und selig.
Nicht die großen Werke entscheiden und nicht das Gebet des äußeren Menschen,
sondern die
willige Hingabe des inneren, der alle Dinge und sich selbst läßt, um ganz in Gott
zu entwerden und
mit ihm eins zu sein.
Damit der Mensch auf den Gipfel der Vollkommenheit gelange, ist ihm nichts so nötig
wie das
Lassen und Entsinken in den allertiefsten Grund bis zu den Wurzeln der Hingabe.
Denn wie des
Baumes Höhe von der Tiefe seiner Wurzeln abhängt, so erfließt alle Erhöhung des
Menschen in
Gott aus der Tiefe seines Entsinkens in den Grund.
Achte darum darauf, daß Dein Seelengrund mit nichts erfüllt ist als allein mit dem
Verlangen nach
Gott und seinen Gaben. Wenn Du alsdann bittest und suchst und beharrlich
anklopfest, wird Dir
gegeben, dessen Du bedarfst. Du wirst die Erkenntnis finden, die Dich erleuchtet,
die Wahrheit, die
Dich frei macht, und die Tür wird Dir aufgetan, daß Du eintretest, in die göttliche
Liebe entsinkst
und mit ihr eins werdest.
Daß wir alle solchermaßen bitten und suchen, anklopfen und empfangen lernen,
erkennen und
eingelassen werden, dazu helfe uns Gott!

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