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DAS REICH GOTTES IN UNS

"Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch
alles übrige
zufallen." Matth. 6; 33
Im Evangelium des Matthäus werden wir mit dem Hinweis auf das Beispiel der Lilien
und der
Vögel zum Nichtsorgen ermahnt: Sorget nicht, was ihr essen und trinken und womit
ihr euch
kleiden werdet; denn Gott weiß, daß ihr des alles bedürfet. Sondern trachtet zuerst
nach dem Reiche
Gottes; dann werden euch diese Dinge hinzugegeben.
Niemand – heißt es vorher – kann zwei Herren dienen: Gott und den äußeren Dingen.
Wenn er den
einen liebt, wird er den anderen lassen. Und die Vergeblichkeit allen Sorgens wird
mit den Worten
angedeutet: Wer kann mit all seinem Sorgen seinem Leibe oder Leben mehr Länge
geben?
Besinnen wir uns, wie viel Kraft und Zeit, Arbeit, Fleiß und Hingabe wir Tag für
Tag dem widmen,
das dem Ich dient, und wie wenig dem, das zu Gott führt; wie wenig wir Gott, der
doch alles
vermag und wirkt, zutrauen, sondern lieber uns sorgen und abmühen, als ob dieses
Dasein von uns
abhänge und ewig dauere.
Das alles kommt aus dem Ich. –
Sähe man da recht hinein und hindurch, man würde darüber erschrecken, wie sehr der
Mensch in
allen Dingen und den anderen Menschen gegenüber nur das Seine sucht – in Gedanken,
Worten und
Werken immer nur das Seine, sei es Lust oder Nutzen, Ehre oder Dienst –, immer nur
für sich, sein
Ich.
Diese Ichverhaftung und Ichsucht ist so tief eingewurzelt, daß nicht nur der
äußere, sondern auch
der innere Mensch ganz auf die irdischen Dinge gerichtet ist – gerade wie das
krumme Weib, von
dem das Evangelium spricht, das ganz zur Erde gebückt war und nicht mehr aufsehen
konnte.
Armer Mensch – warum traust Du Gott, der Dir so viel Gutes getan, Dir so viele
Gaben verliehen
hat und der Dein Leben ist, nicht zu, daß er Dir auch das bißchen, das Du zum Leben
brauchst,
geben werde? Ist es nicht ein trauriger Anblick, zu sehen, daß selbst geistige und
geistliche
Menschen all ihre Liebe und all ihren Fleiß nur auf ihr Werk richten und so sehr
sich, ihr Ich,
meinen, daß sie kaum noch an Gott denken und wenig Verlangen fühlen, sich mit
ewigen Dingen zu
befassen, wenn nur die irdischen Dinge, die sie bewegen, gut vonstatten gehen.
Für sie gilt das Wort doppelt, daß man nicht zwei Herren dienen kann – Gott und den
äußeren
Dingen –, sondern daß es gilt, zuerst und vor allem nach dem Reiche Gottes zu
trachten.
Petrus mahnt uns mit Recht: "Werfet alle eure Sorgen auf Gott, denn er sorgt für
euch.“
Denn das Sorgen um äußere Dinge bewirkt dreifachen Schaden im Menschen:
es blendet Verstand und Vernunft, es löscht das Feuer der Liebe aus und es verbaut
den Weg
nach innen, der zu Gott führt, zum Reiche Gottes, das inwendig in uns ist.
Darum gilt es, sorgsam darauf zu achten, wohin unser Denken und Streben gerichtet
ist, womit wir
umgehen, solange wir in der Zeit wirken, also auf das Woher und Wohin unserer
Neigungen und
Gewohnheiten. Denn wenn einer ein oder zwei Jahre in einem Fehler beharrt, wurzelt
dieser bereits
so tief in ihm, daß er ihn kaum noch zu überwinden vermag. Noch besser ist es
darum, darauf zu
achten, daß kein Fehler im Gemüt Wurzel schlägt, sondern sogleich ausgemerzt wird.
Das ist am
Anfang leicht.
Das Wichtigste ist, daß man der Lust an äußeren, sinnenhaften Dingen Einhalt
gebietet. Denn
solange das Denken und Trachten nach außen gerichtet ist, bleibt man allen äußeren
Lockungen und
Ablenkungen geöffnet und gelangt nicht nach innen, findet nicht zu sich selbst. Der
innere Grund
bleibt einem dann verschlossen wie etwas, das unendlich fern ist. Man ist sich
selber fremd, und
Ziel und Sinn des Lebens sind ungewiß.
Aber auch die Lust an geistigen Gaben und Werten gilt es zu überwinden. Diese Lust
herrscht in
vielen Menschen, die von ihr mehr angezogen werden als von Gott. Sie nehmen diese
Lust für Gott;
und wenn sie ihnen genommen wird, vergeht auch ihr guter Wille.
Oft scheint etwas aus göttlicher Liebe zu kommen, und ist doch nur ein Reiz für den
äußeren
Menschen und eine Lockung für das Ich. Hier gilt es zu erkennen: Wo man nicht Gott
im Sinne hat,
sondern irgendein anderes, mag es noch so hoch scheinen, da ist man noch fern der
Wahrheit und
dem Reiche Gottes.
Dieses Reich muß man da suchen und finden, wo es verborgen ist: im Grunde der
Seele. Dazu
gehört freilich mancher Kampf; und es wird nicht gefunden, solange nicht aus dem
sorgenden
Haften und Hängen am Äußeren gelassenes Lassen geworden ist.
Wie die äußeren Güter müssen auch die inneren durch Liebe und beharrliche Hingabe
gewonnen
werden. Und das wird nicht an einem Tage erreicht. Denn die Neigung, daß der Mensch
in allem,
was er tut, das Seine sucht, wurzelt tief in seiner Natur; und diese Neigung geht
so weit, daß, wenn
er sich Gott zuwendet, er zuerst etwas von ihm haben will: Trost oder Wohlgefühl,
Befreiung von
diesem oder jenem, Erleuchtung oder andere Gaben. Und auch das Reich Gottes will er
zuerst
haben.
Darum gilt es zu erkennen, daß zuvor an die Stelle des Habenwollens das Lassen
treten muß; dann
erst wird uns das Reich Gottes zuteil – und alles übrige dazu.
Hüten wir uns also vor dem ichhaften Streben, selbst geistige Übungen und die
Hinwendung zu
Gott nur um der erhofften Gaben und Gewinne willen vorzunehmen! Denn Gott und sein
Reich
verbirgt sich uns, solange wir ihn um solcher Dinge willen suchen. Wir sollen Gott
suchen und nach
seinem Reiche trachten und nach nichts sonst.
Das heißt: wir sollen uns statt nach außen wirklich und gänzlich nach innen wenden,
uns in den
Grund unserer Seele einsenken und das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit dort
suchen. Darum
bitten wir doch im Vaterunser, daß sein Reich komme. Aber die meisten sind sich
nicht bewußt,
worum sie damit bitten. Gott ist sein eigenes Reich. Aus diesem Reich kommt alles,
was Leben hat,
und alles strebt dorthin.
Das ist das Reich, um das wir bitten: Gott selbst in all seinem Reichtum. Hier ist
Gott unser Vater.
Und dadurch, daß er seine Wohn- und Wirkstatt in unserer Seele bereitet findet,
wird sein Name
geheiligt: das ist sein Geheiligwerden in uns, daß er in uns walten und wirken
kann. Da geschieht
sein Wille in uns, im inneren Leben, im Himmel, wie außer uns, im äußeren Leben, in
unserem
irdischen Dasein.
Damit das geschehe, müssen wir uns lassen, uns in rechter Gelassenheit dem
göttlichen Willen
überlassen und der Kraft Gottes in uns, die alles vermag, rückhaltlos vertrauen.
Wir müssen statt
unserer eigenen seine Gerechtigkeit suchen, die darin besteht, daß er in und bei
denen bleibt, die ihn
innerlich suchen, nur ihn im Sinne haben und sich Ihm lassen und hingeben. In
solchen Menschen
herrscht und wirkt Gott. Von ihnen fällt alles äußere Sorgen ab.
Das heißt nicht, daß man Gott versuchen soll. Man soll weiterhin seine Aufgaben im
äußeren Leben
mit Sorgfalt, Vorsicht und Fleiß erfüllen, wie es sich, auch dem Nächsten
gegenüber, gebührt – im
Geiste liebender gegenseitiger Dienstleistung. Und man soll in allen äußeren Dingen
Ordnung und
Weisheit walten lassen, alles, was man tut, bewußt und gewissenhaft tun und sein
Bestes geben.
Aber bei alledem soll man auf Gott blicken, nicht an den Dingen hängen und alles
Sorgen Gott
überlassen.
Denn alles, was der Mensch tut oder läßt, ob er schafft oder ruht: wenn er dabei
nicht Gott im Sinne
hat, bleibt es fruchtlos. Solange er irgend einer Weise folgt, entfernt er sich von
Gott, der weiselos
ist. Denn hinter jeder Weise steht das Ich; hinter dem Lassen und Entsinken in den
innersten Grund,
im Entwerden des Ich, steht Gott.
Darum sagt Dionysius mit Recht: Man halte sich nicht an das Ich, sondern an das
,Nicht': man wolle
nicht, erkenne nicht, begehre nicht, suche nicht, sei nicht, sondern lasse sich und
alle Dinge und
gebe sich gänzlich hin. Dann gelangt man aus allen Weisen ins Weiselose, aus dem
Wesen ins
Überwesentliche, aus allem Erkennbaren ins Unerkennbare, aus dem Ich zum göttlichen
Nicht-Ich.
In diesem unerkannten Gott suche Deinen Frieden und trachte dabei weder nach
Empfindung noch
nach Erleuchtung. Entsinke völlig in Dein lauteres Nichts, das in Wahrheit Dein
Selbst ist. Und
halte Dich an nichts, was Dir einleuchtet oder Dich erleuchtet, sondern lasse auch
das; halte Dich
unten und entsinke weiter im Nichtwollen und Nichtich – immer weiter in die Tiefen
der Gottheit.
Das meint das göttliche Wort, das der Prophet Hesekiel vernahm: "Die da in das
Allerheiligste
eingehen, sollen kein Erbe haben, sondern Ich selber will ihr Erbe sein." Das gilt
für alle, die in die
Verborgenheit Gottes eingehen wollen: die sollen kein Erbe mit sich nehmen, sondern
ihr Erbe und
ihre Habe soll allein das weiselose, namenlose Wesen Gottes sein. Zu nichts anderem
sollen sie sich
neigen als in das Nicht-Sein.
Als Gott alle Dinge erschuf, hatte er nichts vor sich als das Nichts. Er machte
kein Ding aus Etwas,
sondern schuf alles aus dem Nichts. Wo er wirken soll, bedarf er dazu nichts als
des Nichts. Willst
Du darum ohne Unterlaß empfänglich sein für Gottes Wirken, so entsinke aus Deiner
Ichheit in
Dein Nichts; denn Dein Etwas-Sein, Deine Ichhaftigkeit hindert Gott, in Dir zu
wirken und sich
durch Dich zu offenbaren. Das ist der Sinn des Wortes: Je niedriger, desto höher;
je weniger, desto
mehr! Gott will den aller Ichheit entkleideten innersten Menschen haben. Darum
lerne, Dich zu
lassen, Deinen Seelengrund frei zu halten vom Haften und Hängen an Vergänglichem.
Werde leer
von allem, was nicht Gott ist. Denn Gott will Dich allein und ganz.
Wenn Du eine Wunde hast, in der etwas Böses wuchert, läßt Du Dich, auch wenn es
schmerzt,
schneiden, damit nicht größeres Unheil entstehe. So auch sollst Du alles, was an
Schickungen über
Dich kommt, mit denen Gott Dich heimsucht und zu sich zieht, willig hinnehmen als
etwas, das Dir
hilft, das Böse und Unheilvolle aus Dir zu entfernen, damit Dein innerstes Wesen
ganz rein und heil
und gänzlich von Gott erfüllt werde.
Lerne, in diesem Sinne ein in Gott gelassener Mensch zu werden, der, mag geschehen,
was will,
ohne Furcht und Sorge im Frieden Gottes ruht, sich gänzlich Gott überläßt und ihn
machen läßt.
Dann gehst Du aus Deiner Ichheit heraus und in die Gottheit ein. Und dann geschieht
der Wille
Gottes auf Erden wie im Himmel, außen wie innen; denn dann bist Du selbst Gottes
Reich, und
Gott herrscht in Dir und wirkt durch Dich.
Das Reich Gottes ist inwendig in uns, im Innersten des Seelengrundes:
Wenn wir mit allen Kräften den äußeren Menschen in den inneren hineinziehen und der
innere
Mensch sich völlig hineinsenkt in seinen innersten Mittelpunkt und Seelengrund, in
die
Verborgenheit des göttlichen Selbstes, in dem das wahre Bild Gottes liegt, und wenn
sich dieses
dann gänzlich in den göttlichen Abgrund schwingt, in dem der Mensch ewig in seiner
Ungeschaffenheit war – alsdann, wenn Gott den Menschen so in völliger Entwordenheit
und
Hingabe sich gänzlich zugewendet und seinen Seelengrund aufgeschlossen findet,
neigt sich der
Gottesgrund ihm zu und ergießt sich in den ihm offenen und gelassenen Seelengrund,
überformt den
geschaffenen Seelengrund mit der Fülle seines Lichts und zieht ihn durch diese
Überformung in die
Ungeschaffenheit des Gottgrundes, so daß der Geist ganz mit ihm eins wird.
Könnte der Mensch sich hierin wahrnehmen, er sähe sich so edel, daß er glauben
würde, Gott zu
sein; er würde sich als hunderttausendmal edler erkennen, als er aus sich selbst
ist. Er würde hier
aller Gedanken und Gesinnungen, Worte und Werke, alles Wissens seiner selbst und
aller Menschen
inne; alles, was je geschah, würde er da von Grund aus erkennen, wenn er in dieses
Reich gelangt.
Und in dieser Rückkehr zu seinem ursprünglichen Adel würde alles Ungewißsein und
Sorgen für
immer von ihm abfallen.
Das ist das Reich Gottes in uns, nach dem wir zuerst und vor allem suchen und
trachten sollen, und
die göttliche Gerechtigkeit, die wir dann suchen und finden, wenn wir in allen
Schickungen und in
allen Werken Gott als einziges Ziel unserer Gesinnung im Auge haben und ihm allein
vertrauen.
Hierauf zielt Paulus mit seinem Rat, sorgfältig "die Einigkeit des Geistes im Band
des Friedens zu
wahren." Denn in diesem Frieden, den man im Geiste und im innersten Seelengrund
findet,
empfängt man ja alles: das Reich und die Gerechtigkeit. Wer um das Einssein seines
Geistes mit
Gott weiß, der ist in allen Weisen und Werken und an allen Orten im Frieden Gottes.
Ihm wird alles
zur Erfahrung der Gegenwart Gottes in ihm.
Diese Gewißheit gilt es hier und jetzt zu gewinnen. Denn wie Augustinus sagt:
"Nichts ist so gewiß
wie der Tod und nichts so ungewiß wie die Stunde des Todes“; darum ist es nötig,
ohne Unterlaß
bereit zu sein und vom Wähnen zum Wissen und Gewißsein zu gelangen. Dazu leben wir
hier in der
Zeitlichkeit – nicht um der Werke willen, sondern um Gottes und seines Reiches in
uns gewiß zu
werden. Denn aus diesem Wissen erst entspringt das rechte Werk.
Je gewisser uns Gottes Gegenwart wird, je inniger unser Gemüt auf Gott gerichtet
und von ihm
erfüllt ist, desto friedevoller und gelassener wird unser Tun, desto weniger können
uns die äußeren
Dinge beirren und verwirren; denn dann ist nichts mehr in unserem Seelengrunde als
Gott. Und
wenn Gott Grund, Ursache und Ziel aller Dinge und Werke ist, sind wir mit uns
selbst und mit
allem in Frieden und ruhen mit unserem Seelengrund im Gottesgrund.
Daß wir dazu gelangen und das Reich Gottes in uns finden, dazu helfe uns Gott!

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