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GOTTES GEBURT IM MENSCHEN

"Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf
seiner Schulter.«
Jes. 9; 6
Wir feiern am Weihnachtstage in der Christenheit eine dreifache Geburt, aus der
jeder Christ in
Dankbarkeit und Freude Erquickung, Trost und Wonne schöpfen sollte:
Die erste und höchste Geburt ist die, daß der Vater im Himmel seinen eingeborenen
Sohn in
göttlicher Wesenheit und persönlicher Unterscheidung gebiert.
Die zweite Geburt, die wir heute feiern, ist die Geburt Jesu in rechter Lauterkeit.
Und die dritte Geburt besteht darin, daß Gott täglich und stündlich in jeder guten
Seele geistig
geboren wird.
Die erste verborgene Geburt geht in der dunklen unerkannten Gottheit vor sich. Die
zweite ist zum
Teil erkennbar, zum Teil unerkennbar. Die dritte meint jene, die jeden Augenblick
in der Seele
geschehen kann und soll, wenn sie sich gelassen und liebevoll Gott zuwendet; dann
geschieht diese
Geburt durch Einkehr und Rückkehr aller ihrer Kräfte, und in ihr gibt sich Gott ihr
ganz zu eigen.
Das meint das Wort: "Ein Kind ist uns geboren": es ist mehr als alles andere unser
eigen, und es
wird allezeit ohne Unterlaß in uns geboren.
Wie wir zu dieser beseligenden dritten Geburt gelangen, können wir an der ersten
lernen, in der der
Vater seinen Sohn in der Ewigkeit gebiert: infolge der überfließenden Fülle seines
überwesentlichen
Reichtums muß er sich ausgießen und mitteilen: also hat die Gottheit sich
ausgegossen bei dem
Ausgang der göttlichen Personen und ist im weiteren in die Kreaturen ausgeflossen.
Darum sagt Augustinus: "Weil Gott gut ist, sind auch wir gut, und alles, was die
Wesen Gutes
haben, kommt von der wesenhaften Güte Gottes."
Was können wir daraus lernen?
Der Vater wendet sich mit seinem göttlichen Vermögen in sich selbst, durchschaut in
klarem
Verstehen sich selbst, den wesentlichen Abgrund seines Wesens. In diesem Verstehen
seiner selbst
spricht er das Wort, und das Wort ist der Sohn, und das Erkennen seiner selbst ist
das Gebären des
Sohnes in der Ewigkeit. Also geht er in sich und erkennt sich selbst, und geht dann
aus sich heraus,
indem er sein Bild gebiert, das er dort erkannt hat, und geht dann wieder in
unaussprechlicher Liebe
in sich. Diese Liebe ist der Heilige Geist.
Diese Eigenschaft, die der Vater in seinem Eingang und Ausgang hat, soll auch der
Mensch haben,
dessen Seele zur Mutter der göttlichen Geburt werden will: er soll gänzlich in sich
gehen und dann
aus sich gehen.
Wie das?
Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie ein Abbild der Dreifaltigkeit Gottes
ist: Gemüt, Verstand
und Willen. Mittels dieser Kräfte ist sie empfänglich für Gott; mit ihrer Hilfe
schaut sie die
Ewigkeit. Denn sie ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: mit ihrem oberen Teil
gehört sie der
Ewigkeit, mit ihrem unteren sinnlichen Teil der Zeit an. Und sie ist nur zu geneigt
und bereit, sich
ganz an die sinnlichen und zeitlichen Dinge hinzugeben, und in Gefahr, damit der
Ewigkeit
verlustig zu gehen.
Darum muß notwendig eine Rückkehr geschehen, eine Einkehr und ein inwendiges
Sammeln und
Vereinigen aller Kräfte, der oberen und der unteren, wie einer, der eine Sache
verstehen und
vollenden will, alle Sinne und Kräfte auf einen Punkt sammelt. Dies ist der
Eingang.
Soll nun der Ausgang, der Übergang aus sich selbst und über sich selbst hinaus
stattfinden, müssen
wir alle Eigenschaften des Wollens, Verlangens und Wirkens lassen, bis nichts
zurückbleibt als ein
bloßes lauteres Gott-im-Sinn-Haben und wir nur noch dem Höchsten in uns Raum geben,
damit er
sein Werk und seine Geburt in uns vollziehen kann und von uns nicht darin gehindert
wird.
Denn wenn zwei eins werden wollen, muß sich das eine passiv, das andere aktiv
verhalten. Das
meint Augustinus: "Mache dich leer, damit du erfüllt werden kannst; gehe aus, damit
du eingehen
kannst", und an anderer Stelle: "0 edle Seele, warum suchst du außer dir den, der
ganz und gar in
dir ist? Und die du göttlicher Natur teilhaftig bist, was hast du mit den Kreaturen
zu schaffen?"
Wenn der Mensch aus sich, aus seinem Ich herausgeht und die Stätte Gottes in ihm,
den
Seelengrund, für die Geburt Gottes bereitet hat, muß Gott ihn ganz und gar
erfüllen.
Darum sollst Du schweigen, dann kann das Wort in Dich hineingesprochen und von Dir
vernommen
werden. Man kann dem göttlichen Wort nicht besser dienen als mit Schweigen und
Lauschen.
Gehst Du so gänzlich aus, so geht Gott gänzlich in Dich ein. Soviel aus, soviel
ein.
Von diesem Ausgang haben wir ein Gleichnis im Buche Mosis, wo Gott Abraham aus
seinem Lande
gehen und alles verlassen ließ: er wolle ihm alles Gut zeigen. Alles Gut – das ist
die göttliche
Geburt. Sein Land, das er verlassen sollte, ist das Ich mit seinem Werkzeug, dem
Körper, samt
seiner Lust und Unordnung, und das äußere Leben mit seinem Begehren und Fürchten,
Lieben und
Leiden, seinen Freuden und Betrübnissen. Diesen sollen wir uns entziehen, damit das
höchste Gut –
die Geburt Gottes in uns – uns zuteil werden kann.
Nachdem an der ersten Geburt gezeigt wurde, was wir für die dritte daraus lernen
sollen, sei ein
Gleiches an der zweiten Geburt sichtbar gemacht, in der der Gottessohn von der
Mutter geboren
und unser Bruder geworden ist:
Er war in der Ewigkeit ohne Mutter und in der Zeit ohne Vater geboren. Das meint
das Wort
Augustins: "Maria war viel seliger davon, daß Gott geistig in ihrer Seele geboren
ward, als davon,
daß er leiblich in ihr geboren wurde."
Wer nun will, daß diese geistige Geburt in seiner Seele statthabe wie in Mariens
Seele, der achte auf
die Eigenschaft, die Maria an sich hatte, die leiblich und geistig Mutter war. Sie
war eine Jungfrau
und eine Verlobte, und sie war von allem abgeschieden, als der Engel zu ihr kam.
So soll unsere Seele als geistige Mutter bei der Gottgeburt sein: eine lautere
Jungfrau in
Abgeschiedenheit, die alle Sinne nach innen gekehrt hat, auf daß sie die größte
Frucht hervorbringe:
Gott selbst, Gottes Sohn, Gottes Wort, das alle Dinge ist und in sich trägt.
Und wie Maria eine angetraute Jungfrau war, so soll es unsere Seele sein: sie soll
ihren wandelbaren
Willen einsenken in den unbeweglichen Willen Gottes, und sie soll von allem
abgeschieden sein,
um dieser Geburt teilhaftig zu werden. Sie soll eine Stille in sich schaffen und
sich ganz in sich
beschließen und im Geist verbergen und entwerden. Dann erfährt sie die Wahrheit des
Worts, daß
"mitten im höchsten Schweigen, da vollkommene Stille herrscht, das ewige Wort
vernommen
wird."
Denn wenn Gott sprechen soll, muß Dein Ich schweigen. Soll Gott in Dich eingehen,
müssen alle
Dinge ausgehen. Denn die Mannigfaltigkeit der Dinge und Bilder, die das Wort in Dir
bedecken und
sich darüber ausbreiten, hindern die Geburt Gottes in Deiner Seele.
Mache Dir darum dieses innerliche Schweigen durch Übung zur Gewohnheit; denn
Gewohnheit
schafft Können und macht Dich empfänglich für die Geburt Gottes in Dir.
Daß wir alle dieser edlen Geburt in uns Raum geben, dazu helfe uns Gott!

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