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GOTTSUCHER SIND GOTT GESUCHTE

"Welches Weib ist, die zehn Groschen hat, von denen sie einen verlor, die nicht ein
Licht anzündet,
das Haus umkehrt und mit Fleiß sucht, bis sie ihn findet." Luk. 15; 8
Dieses Gleichnis will – wie alle Gleichnisse – nicht äußerlich und wörtlich,
sondern innerlich und
geistig verstanden werden:
Die Frau ist die Gottheit. Das Licht, das sie entzündet, ist das innere Licht im
Menschen. Der
Groschen ist die Seele.
Drei Eigenschaften hat der Groschen: sein Gewicht, seine Materie, die aus Gold oder
Silber besteht,
und seine Prägung, d. h. sein Bild.
Das Gewicht der Seele ist unwägbar: sie wiegt mehr als Himmel und Erde und alles,
was darin
beschlossen ist. Denn Gott ist in ihr; darum wiegt sie soviel wie Gott.
Ihre Materie ist das Gold der göttlichen Wesenheit, die in sie eingesenkt ist, die
sich mit der
Überwesentlichkeit ihrer göttlichen Liebe in den Geist, sich selbst, versenkt und
ihn ganz mit sich
verbunden, verschmolzen, vereint hat.
Um das zu erkennen und den verlorenen Schatz zu finden, mußt Du einen anderen Weg
gehen als
jene, die der äußere Mensch geht, mögen es auch die edelsten Wege geistiger Übung
sein. Und
welchen?
Die Frau "entzündete ein Licht und kehrte das Haus um." Was hier entzündet wird,
ist das Licht der
ewigen Gottesweisheit. Und was sie entzündet, ist die Liebe.
Sie muß das Licht zur Entflammung und zum Brennen bringen.
Aber wie wenige wissen, was Liebe ist! Liebe ist nicht sinnliches Wohlgefühl und
Wollust des
Besitzes, sondern Liebe ist jenes unstillbare brennende Verlangen nach völliger
Hingabe seiner
selbst, nach willigem Lassen und gelassenem Gott-Wirkens-Lassen: das ist es,
wodurch das Licht
entzündet wird.
Und nun kehrt sie das Haus gänzlich um und sucht den güldenen Groschen. Wie
geschieht dies
Suchen? Es ist sowohl ein Tun wie ein Lassen.
Das tätige Suchen findet statt, wenn der Mensch sucht, im lassenden Suchen wird er
gesucht.
Das tätige Suchen ist wiederum zweifach: äußerlich und innerlich. Das äußere
Gottsuchen besteht
in guten Werken und geistigen Übungen, in Gewöhnung an Sanftmut, Stille,
Gelassenheit und alle
anderen Tugenden, die man durch Übung mehren kann.
All das ist gut; aber hoch über dem steht das innere Suchen: es ist so hoch über
allem äußeren
Suchen wie der Himmel über der Erde, und ihm ganz ungleich. Es besteht darin, daß
der Mensch in
seinen eigenen Seelengrund eingeht, in sein Allerinnerstes, und dort Gott sucht
gemäß dem Worte
Jesu Christi: "Das Reich Gottes ist inwendig in euch."
Wer dieses innere Reim finden will – und das ist Gott mit all seinem Reichtum und
seinem
selbsteigenen Wesen –, der muß es da Suchen, wo es ist, nämlich im innersten Grunde
seines
Wesens, wo Gott der Seele weit näher und inwendiger ist, als sie sich selber ist.
Dieser innerste Seelen- und Gottesgrund muß gesucht und gefunden werden. In diese
Wohnstatt
Gottes muß der Mensch eingehen und entsinken und sich allem, was sinnenhaft ist und
seinem
äußeren Menschen zugehört, allem, was an Bildern und Formen mit den Sinnen erfaßt
wird, ebenso
entziehen wie allem, was Phantasie und Vernunft innerlich an Bildern und Zielen
gestalten.
Wenn der Mensch in diesen Grund gelangt und Gott da sucht, wird, das Haus
umgekehrt', und
alsdann sucht nicht mehr er Gott, sondern Gott sucht ihn. So geschieht es diesem
Menschen: wenn
er in diese Wohnstätte Gottes kommt und hier, im Seelengrund sucht, kommt Gott und
sucht den
Menschen und kehrt das Haus gänzlich um.
Nun will ich etwas aussprechen, was nicht jeder versteht, auch wenn ich deutsch
spreche.
Einleuchten wird es nur dem, der schon vom inneren Licht berührt ward:
Das suchende Hineinsehen besteht nicht darin, daß man zuweilen hineingeht und dann
wieder
herausgeht und sich wieder mit den Kreaturen und der Welt zu schaffen macht.
Sondern die rechte
Einkehr und innere Umkehr, bei der aus dem Gottsucher ein Gottgesuchter wird,
besteht eben darin,
daß, wenn der Mensch in dieses Haus, in den inwendigen Grund kommt, ihm alles, was
nicht Gott
ist, gänzlich genommen und sein Innerstes so völlig umgekehrt und umgewandelt wird,
wie er es
noch nie erlebt hat, und zwar wieder und wieder. Alle Weisen und alle Lichter,
alles, was der
Mensch je erfahren und erkannt hat, wird in diesem Suchen gänzlich umgekehrt.
In dieser Umkehrung und Umwandlung wird der Mensch, wenn er sich ihr gänzlich läßt,
überläßt
und hingibt, unaussprechlich viel weiter geführt als mit allen Werken, Weisen und
Übungen, die je
erdacht wurden. Wer sich hier völlig läßt, dem wird so licht und leicht, daß, wenn
er will, er in
jedem Augenblick einkehren und sich über alle Natur hinausschwingen kann.
Diese Natur aber ist dem Menschen überaus anhänglich und will immer etwas, daran
sie haften und
hängen und ihre Stütze haben kann. Sie bewirkt, daß die meisten Menschen ungelassen
sind, weil
sie an ihrem Ich und an den Dingen haften, weder das eine noch das andere lassen
wollen, so daß es
mancherlei Leiden bedarf, damit sie lassen lernen.
Die gelassenen Menschen hingegen entsinken und entwerden allem, woran die Natur
sich halten
möchte, und dringen ohne Anhaften und Anhalten und ohne sich auf irgend etwas zu
stützen, in den
Grund und halten sich dabei gänzlich gelassen und leer, so daß Gott einziehen und
die Wandlung
vollziehen muß.
Wer in solcher Weise einkehrt und sich innerlich umkehren läßt, der überschreitet
damit alle Werke
und Weisen der Welt. Dies meint Christi Wort: "Wer zu mir kommen will, der
verzichte auf sich
selbst und wende sich ganz zu mir!"
So muß der Mensch sich lassen und sich allem Festhalten an dem entziehen, was ihn
am wahren
Fortschritt und Aufstieg hindert.
Die Ungelassenen geraten indes in große Anfechtungen und Zweifel. Sie fühlen sich
verlassen, weil
sie sich nicht zu lassen vermögen, meinen, es sei alles verloren, geraten in
wachsende Furcht und
jammern: "Herr, ich bin allen Lichts und aller Gaben beraubt." Das endet erst, wenn
sie zum Lassen
finden, nur noch Gott suchen und sich von Gott suchen und finden lassen. Dann
werden sie von
Gott liebreich über alle Dinge geführt.
Eingangs sagten wir vom Groschen, daß er sein Gewicht, seine Schwere haben müsse.
Das heißt:
die Seele muß infolge ihrer Gott-Gewichtigkeit immer wieder von selbst in den Grund
fallen und
entsinken, soweit sie da herausgefallen ist: in all der Reinheit und Lauterkeit,
wie sie aus dem
Lichtgrund ausgeflossen ist.
Und schließlich muß der Groschen seine Prägung haben, sein Bild: die Seele muß
nicht nur nach
dem Bilde Gottes gebildet sein, sondern sie muß geradezu dasselbe Bild sein, das
Gott selbst in
seinem eigenen göttlichen Wesen ist.
Denn in diesem Bilde liebt Gott, sucht Gott, erkennt und hat Gott sich selbst. Gott
liebt und lebt und
wirkt in ihm.
Hierin wird die Seele völlig gottebenbildlich, gottförmig, gottartig; sie ist all
das von Gnaden, was
Gott von Natur ist: in dem Hineinsinken in Gott, in der Vereinigung mit Gott wird
sie über sich
selbst hinaus in Gott zurück genommen. Und so völlig eins und gottförmig ist sie
da, daß, wenn sie
da sich selbst erblicken könnte, sie keinen Unterschied sähe zwischen Gott und
sich. Oder wer sie
so erblickt, der sähe sie in der gleichen Farbe und Weise wie Gott und wäre selig
in diesem
Schauen; denn Gott und die Seele sind in dieser Vereinigung völlig eins.
Selig jene, die in solcher Weise Gott suchen und sich von Gott finden lassen, daß
Gott sie in den
Seelen- und Gottesgrund hinabzieht und sich1 ihnen in unaussprechlicher Weise eint!
Das geht über
alles hinaus, was sich mit Worten aussagen läßt.
Daß wir alle diesen Weg gehen, dazu helfe uns Gott!

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