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VOM SEELENGRUND

"Ein Schriftgelehrter versuchte ihn und fragte: Meister, was muß ich tun, daß ich
das ewige Leben
ererbe?
Er aber sprach: Wie steht im Gesetz geschrieben?
Und der Schriftgelehrte antwortete: ,Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von
ganzem Herzen, von
ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten wie dich
selbst.'
Jesus aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben."
Luk. 10; 25 f.
Wer des ewigen Lebens teilhaftig werden will, muß drei Zeugnissen folgen: das erste
kommt von
Gott, das zweite aus seinem Seelengrund, das dritte aus der Heiligen Schrift.
Der Schriftgelehrte folgte nur einem, auf das ihn Jesus hinwies, und wußte nichts
von den bei den
anderen, nichts von dem inneren Adel, der im Grunde der Seele verborgen ist, von
der
Verwandtschaft seines innersten Wesens mit dem göttlichen Wesen, und von der
Seligkeit des
Seelengrundes, der den Zugang bildet zum göttlichen Urgrund; und darum wußte er
auch nichts von
Gott.
Von diesem inneren Adel und Seelengrund haben viele Meister gesprochen, alte und
neue, von
Bischof Albrecht bis Meister Eckehart. Der erstere nennt den Seelengrund ein Bild,
in dem die
göttliche Dreieinigkeit sich verbirgt; der letztere spricht vom göttlichen Funken
im Seelengrund, der
nicht ruht, bevor er nicht wieder in den Gottesgrund zurückgekehrt ist, dem er
entsprungen ist und
in dem er in seiner Ungeschaffenheit war.
Hiervon haben schon vor Christi Geburt und vor den Heiligen und Lehrern der
Christenheit auch
andere große Meister gesprochen wie Plato, Aristoteles und Proclus, die vom
Innenadel wußten und
vom Seelengrund kündeten. Was sie und gleich ihnen die Lehrer der Christenheit bis
zu Meister
Eckehart kündeten, ist dies:
Die Seele hat einen Funken, einen Grund in sich, dessen Verlangen und Durst Gott
mit nichts
anderem zu löschen vermag als mit sich selbst. Gäbe er ihr auch alle Dinge, die er
je schuf im
Himmel und auf Erden es genügte ihr nicht und vermöchte sie nicht zu sättigen. Das
ist ihr von
Natur inne.
Diesen Seelengrund und dieses Sehnen verkennen jene, die nur um ihren äußeren
Menschen wissen.
Darum schmecken ihnen die göttlichen Dinge nicht. Wie groß wird ihre Not sein, wenn
sie an ihrem
Ende gewahr werden, daß sie ihren natürlichen Adel verkannt und unermeßliches Gut
übersehen
und versäumt haben! Sie finden den Zugang nicht zum Reime Gottes.
Wenn jemand kommt, der tiefer sieht, sie vor dem Irrweg warnt und ihnen helfen
will, den Weg
nach innen zu gehen und zu sich selbst zu finden, verspotten sie ihn und sagen:
"Hier ist ein neuer
Geist gekommen; doch er ist uns zu hoch." Denn sie wollen sich nicht vom neuen
Geist erfüllen
lassen, wollen sich nicht lassen, sich nicht dem Lichte Gottes überlassen, sondern
gehen weiter
ihren Weg ins Dunkel.
Welcher Weg nun führt zum Seelengrund und zu jener Gottschau, die den Jüngern
zuteil ward,
wovon im gleichen Kapitel gesagt wird: "Selig die Augen, die sehen, was ihr sehet;
denn viele
Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben's nicht gesehen."
Diese Propheten und Könige sind die weltweisen, hochgelehrten, selbstbewußten, mit
Macht und
Einfluß ausgestatteten Menschen, die trotz Kenntnis aller Übungen und Weisen nicht
sehen, was die
Jünger, die zur Nachfolge und Hingabe Bereiten, sahen.
Und warum sehen sie nicht? Sie wollten sehen. Was sie bewegte, war ihr Eigenwille.
In eben
diesem Eigenwillen aber liegt das Hindernis. Der Wille bedeckt die inneren Augen,
die rein sein
müssen von allem Wollen und Nichtwollen, wenn sie sehen sollen. Im Willen äußert
sich vor allem
der äußere Mensch, und auch wenn er den inneren Menschen bewegt, bleibt er dem
aller innersten,
dem Seelengrund, fern.
Dieser Wille muß entwerden. Wie Jesus sprach: "Ich bin nicht gekommen, meinen
Willen zu tun,
sondern meines Vaters Willen", so müssen auch wir sagen: "Nicht wie ich will,
sondern wie Du
willst!" Denn solange wir unseren eigenen Willen wirken, sind wir dem Seelengrund
und der
Seligkeit fern.
Wahre Seligkeit besteht in Gelassenheit: im Lassen, in der Willenshingabe. Der
Wille ist die Säule,
an der sich alle Uneinheit und Unordnung hält. Fällt diese Säule, so fallen die
Hindernisse, die der
Heimkehr in den Seelengrund entgegenstehen.
Wir erreichen das durch die Hinwendung zur Liebe. Ihr Wesen ist Hingabe, und ihr
Ziel und
Gegenstand ist Gott. Bischof Albrecht erläutert, wie das Wort der Schrift
verstanden sei:
"Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen: Alles Denken und Trachten des Herzens muß
gänzlich
von den Dingen und Kreaturen abgezogen und ausschließlich auf Gott gerichtet sein.
von ganzer Seele: Der innere Mensch muß Gott genau so zugewandt und zugeneigt sein
wie
der äußere Mensch aus der Erkenntnis, daß Wesen und Wahrheit nur in Gott ist.
von allen Kräften: Alle Kräfte müssen darauf gesammelt und dahin geübt werden, daß
sie
sich statt nach außen immer bewußter und zielstrebiger nach innen wenden; sie
müssen auf dieses
Ziel gespannt und gesammelt sein, wie ein Bogen kräftig gespannt und der Schütze
einzig auf das
Ziel gesammelt ist, nämlich auf Gott.
und von ganzem Gemüte: Die Übung der Liebe und die Sammlung aller Kräfte hierauf
muß
zur Gewohnheit werden, damit das Gemüt ganz mit seinem Ziel und Gegenstand eins und
der
Seelengrund ganz gottförmig werde."
Proclus spricht von dieser Einung und von dem Suchen danach als von einem
Stillewerden und
Unbewegt-Stehen im Einssein mit dem Einen. Wenn die Seele sich dahinein wendet und
ganz
Lassen wird, wird sie völlig durchgottet und hat teil am ewigen Leben.
Solange der Mensch diese Seligkeit noch entbehrt und nach außen gerichtet ist, kann
er von diesem
Seelengrund nichts wissen und darum auch nicht glauben, daß dieser Grund in ihm
ist. Aber dieser
innerste Wesensgrund ist so beschaffen, daß er den Menschen ständig in sich, in
seinen Ursprung
zurückzieht.
Dieser göttliche Zug hört nie auf. Und wenn der Mensch ihm folgt, sich von allem
löst und alles
läßt, was ihm ungemäß ist, sich nach innen wendet und in die Stille des Grundes
gelangt, erkennt er
sein wirkliches Wesen und seine göttlichen Kräfte und schaut sich selbst als
Ebenbild dessen, aus
dem er entsprungen ist.
Die Augen, die dies sehen, werden selig genannt. Denn hier, im Grunde der Seele,
ist weder
Sinnenhaftigkeit noch Gestalt, weder Zeitlichkeit noch Vergänglichkeit; hier endet
alle
Unterscheidung im Innewerden des Einsseins. Hier strahlt das göttliche Licht der
Wahrheit, hier hat
das ewige Leben seinen Aufgang.
Aus drei Gründen wird dies die "ewige Seligkeit" genannt: weil es ganz und gar
göttlich, d. h. ein
Innewerden Gottes im Menschen ist, weil es gänzliches Entsunkensein in Gott ist und
weil es Gott
ist, der den Seelengrund erfüllt und in ihm wirkt.
Die unermeßliche Seligkeit liegt nicht im Tätigsein, sondern in der
Gottgelassenheit des
Seelengrundes: Wer dazu gelangt, der wird mit Recht selig geheißen. "Selig die
Augen, die da
sehen, was ihr sehet!"
Um dies zu erfahren, muß man sich lassen, zur Stille werden und alles Gott
überlassen. Paulus
nennt dies den Frieden Gottes, der über alle Vernunft ist. In diesem Frieden schaut
Gott sich im
gelassenen Gemüt und leitet den Menschen zugleich in seinem äußeren Leben, daß ihm
alles
Schwere leicht wird, weil er nun Gott in sich trägt und sich von Gott getragen
weiß.
Daß uns allen dies geschehe, dazu helfe uns Gott!

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