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Handbuch der
chemischen Elemente
Handbuch der chemischen Elemente
Hermann Sicius
Handbuch der
chemischen Elemente
Springer Spektrum
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021
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Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und
Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind.
Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit,
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auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und
Institutionsadressen neutral.
enthalten. Abschließend folgt ein Ausblick auf die noch nicht entdeckten
Elemente der achten und neunten Periode.
Wenn immer möglich, hielt ich in diesem Buch bei der Darstellung der
chemischen Verbindungen der Elemente stets die Reihenfolge von Chalkoge-
niden, Halogeniden, Pnictogeniden und sonstigen Verbindungen aufrecht.
Der einführende, die Historie des jeweiligen Elements beleuchtende Teil
enthält in vielen Fällen Biografien bekannter Forscher, deren Schaffensperi-
oden im von der nahen Vergangenheit bis ins Mittelalter reichenden Zeitraum
liegen. Nicht nur Portraits von Chemikern werden Sie finden, sondern auch
von Kernphysikern, Astronomen und Medizinern.
Zu jedem Element zitiere ich am Ende des jeweiligen Unterkapitels eine
persönliche Auswahl wichtiger Patente und verweise dabei immer auf www.
espacenet.com, da dort die vollständige Patentliteratur zu finden ist.
Die Idee zu diesem Referenzwerk reicht bis in meine Jugend zurück, in der
ich Gelegenheit zur Lektüre der damaligen Standardwerke zu ähnlichen The-
men hatte. Dieses Buch verzichtet bewusst auf allzu viele Details, gibt aber
trotzdem alle erforderlichen Informationen nicht nur für die in der Industrie
tätigen Chemiker, sondern auch für Naturwissenschaftler anderer Fachrich-
tungen, Logistiker, Studierende der Chemie, Schüler der gymnasialen Ober-
stufen und auch interessierte Laien.
Mein Dank gilt dem Springer Verlag, der mir die Veröffentlichung einer
Reihe von Büchern über die chemischen Elemente des Periodensystems im
Rahmen der Kompaktbuchreihe „Essentials“ und, darauf folgend, auch die des
hier vorliegenden Handbuchs ermöglichte. Erfreulicherweise waren vor Errei-
chen des Erscheinungsdatums viele Kapitel bereits online verfügbar. Beson-
VII
VIII Vorwort
ders danken möchte ich dabei dem Lektor, Herrn Dr. Rainer Münz, des
Weiteren Herrn Dr. Reinald Klockenbusch, Frau Gabriele McLemore, Frau
Angelika Schulz und Frau Feray Steinhart für die hervorragende Zusammen-
arbeit und ihren sehr hilfsbereiten, konstruktiven und freundlichen Einsatz.
Ich wünsche diesem Standardwerk eine breite Leserschaft, die daraus den
größtmöglichen Nutzen zu ziehen vermag. Es freut mich, dass Sie dabei sind,
die so faszinierende Anorganische Chemie neu zu entdecken.
IX
Inhaltsverzeichnis
XI
XII Inhaltsverzeichnis
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe . . . . . . . . 345
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe . . . . . . . . . . . 399
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . 445
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
2 Geschichte und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
3 Aufarbeitung, Trennung und Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . 448
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe . . . . . . . . . 483
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe . . . . 531
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567
11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe . . . . . . 573
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
Inhaltsverzeichnis XIII
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Wasserstoff wurde vor 250 Jahren, die Metalle lich erzeugten Elemente nimmt das aktuelle
Lithium, Natrium und Kalium vor 200 Jahren ent- Periodensystem der Elemente (Abb. 1) 118 Ele-
deckt. Rubidium und Cäsium folgten 50 Jahre mente auf.
später, und Francium, dessen Isotope extrem kurz- Die Einzeldarstellungen der insgesamt sechs
lebig sind, wurde 1939 erstmals beschrieben. Vertreter der Gruppe der Elemente der ersten
Obwohl diese Elemente in vielen wissenschaftli- Hauptgruppe enthalten dabei alle wichtigen
chen, medizinischen und auch allgemeinen Publi- Informationen über das jeweilige Element, so dass
kationen genannt werden, haben wir sicher auch ich hier nur eine kurze Einführung vorangestellt
hier eine interessante Familie von Elementen vor habe.
uns. Sie finden sie alle im untenstehenden Perio-
densystem in der Gruppe 1 (I A).
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. 2 Vorkommen
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- Wasserstoff, Natrium und Kalium sind mit
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die Abstand die häufigsten Elemente dieser Haupt-
meisten Elemente können sich untereinander ver- gruppe mit Anteilen von 1500 bis 27.000 ppm
binden und bilden chemische Verbindungen; so an der Erdhülle. Mit deutlichem Abstand folgen
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische Lithium und Rubidium mit 30 bis 60 ppm, und
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz. Cäsium ist noch wesentlich seltener. Francium
Einschließlich der natürlich vorkommenden kommt nur in winzigsten Spuren in der Erdhülle
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künst- vor.
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Wasserstoff gewinnt man in riesigen Mengen Geschichte 1766 entdeckte der englische Che-
durch Elektrolyse von Wasser. Die meisten Alka- miker Cavendish Wasserstoff beim Auflösen un-
limetalle sind entweder durch Schmelzflusselek- edler Metalle in Säuren und wies seine Brennbar-
trolyse ihrer Salze zugänglich, oder aber durch keit nach. Obwohl ihm die Entdeckung des
Reduktion ihrer Salze mit reaktiven Metallen Wasserstoffs zugeschrieben wird, war er nicht
wie Calcium oder Barium. der Erste, der ihn darstellte, denn schon im
17. Jahrhundert erzeugte unter anderem Boyle
Knallgas.
4 Eigenschaften Der französische Naturwissenschaftler Lavoi-
sier und Cavendish fanden ungefähr zur gleichen
4.1 Physikalische Eigenschaften Zeit, dass durch Verbrennen von Wasserstoff
Wasser gebildet wird und auch, dass sich durch
Die physikalischen Eigenschaften sind in dieser Umsetzung von Wasser mit unedlen Metallen
Gruppe mit nur wenigen Ausnahmen regelmäßig umgekehrt Wasserstoff erzeugen ließ. Jedoch
nach steigender Atommasse abgestuft, abgesehen hing Cavendish der althergebrachen Phlogiston-
von der Sonderrolle, die der bei Raumtemperatur Theorie nach, wogegen Lavoisier in quantitativen
gasförmige Wasserstoff spielt. So nehmen vom Versuchen die Eigenständigkeit des Wasserstoffs
Lithium zum Cäsium Dichte und Reaktivität zu, als Element nachwies. Unter Berücksichtigung
Schmelz- und Siedepunkte sowie Elektronegati- des von ihm selbst aufgestellten Gesetzes von
vitäten dagegen ab. der Erhaltung der Masse bei chemischen Reaktio-
Auch in dieser Hauptgruppe weicht das Kopf- nen schloss Lavoisier von den Massen des bei
element (hier: Lithium) in seinen Eigenschaften einer Reaktion eines Metalls mit heißem Wasser
merklich von denen seiner höheren Homologen ab oder Säure gebildeten Wasserstoffs und Metall-
und leitet zum Magnesium über. Natrium zeigt salzes auf die Menge des bei der Umsetzung ver-
schon die meisten charakteristischen Eigenschaften brauchten Wassers.
der Alkalimetalle, aber erst Kalium kann man die-
ses Attribut vollkommen zusprechen.
Der britische Naturforscher Henry Caven-
dish (* 10. Oktober 1731 Nizza; † 24. Fe-
4.2 Chemische Eigenschaften
bruar 1810 London) entdeckte das Element
Wasserstoff und schätzte als Erster das un-
Die Alkalimetalle sind alle äußerst reaktionsfähige
gefähre Gewicht der Erdkugel. Nach dem
Elemente, die meist sehr heftig mit Nichtmetallen Besuch einer Privatschule begann Caven-
reagieren. Ebenso erfolgen nahezu explosionsar- dish Ende 1749 ein Studium an der Univer-
tige Reaktionen mit Wasser und Mineralsäuren. In sität Cambridge, das er aber Anfang 1753
ihren Verbindungen sind sie fast durchweg immer ohne Abschluss verließ. Nach einigen Rei-
der elektropositivere Partner. Die Oxide reagieren sen widmete er sich vollständig der natur-
alle stark bis sehr stark basisch. wissenschaftlichen Forschung in seinem
Londoner Haus (McCormmach und Jung-
nickel 1999; McCormmach 2004), in dem
5 Einzeldarstellungen er mit seinem Vater bis zu dessen Tod lebte
und von dem er ein großes Vermögen erbte.
Folgend sind die Elemente der Alkalimetalle Nach dem Tod seines Vaters errichtete er
(1. Hauptgruppe) jeweils einzeln mit ihren Eigen- außerhalb Londons ein großes Labor, von
schaften, Herstellungsverfahren, wichtigen Ver- diesem pendelte er zu seinem Wohnsitz und
bindungen Anwendungen beschrieben. seiner Bibliothek, beide in London. Mit-
4 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
glied der Royal Chemical Society wurde er perimentes wies er nach, dass Diamant aus
1760, ansonsten beschränkten sich seine reinem Kohlenstoff bestand.
Kontakte sowohl zu seiner Familie als auch Am bedeutendsten war das von ihm,
zu anderen Forschern auf ein Minimum. Morveau, Berthollet und Fourcroy 1787
Viele seiner wissenschaftlichen Versuche herausgegebene Buch zur Chemischen
publizierte Cavendish aber zu seinen Leb- Nomenklatur, in dem unter anderem ver-
zeiten nicht, beschrieb aber manche Phäno- sucht wurde, die Zusammensetzung von
mene (beispielsweise das Ohm’sche oder Salzen auf die ihnen zugrunde liegenden
Dalton’sche Gesetz) vor denjenigen, denen Säuren und Basen zurückzuführen. Lavoi-
die eigentliche Entdeckung zuerkannt sier erstellte systematisch Bilanzen der
wurde (Clotfelter 1987). (Cavendish starb Gewichte der Partner einer chemischen
am 24. Februar 1810 und wurde in Reaktion und gilt als Begründer der Stö-
der Kathedrale von Derby beigesetzt). chiometrie. Obwohl er ein hohes Ansehen
in der Welt der Wissenschaft genoss, rich-
Der französische Naturwissenschaftler An- tete man ihn 1794 wegen seiner Tätigkeit
toine Laurent de Lavoisier (* 26. August als Zollpächter und diesbezüglich, mögli-
1743 Paris; † 8. Mai 1794 Paris) war außer- cherweise zu Unrecht, erhobenen Vorwürfen
dem Rechtsanwalt, Hauptzollpächter, Öko- des Betruges und der Steuerhinterziehung
nom und Leiter der französischen Pulver- während der Endphase der Französischen
verwaltung. 1764 schloss er zunächst ein Revolution hin (Speter 1984).
Jurastudium mit der Promotion ab und
begann eine Tätigkeit als Rechtsanwalt in
Paris. In den vier folgenden Jahren unter- Vorkommen Wasserstoff ist sowohl in der
suchte er aber auch unzählige Proben an Sonne als auch den Gasplaneten unseres Sonnen-
Trinkwasser; diese Berichte veröffentlichte systems, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun das
er auch. 1769 wurde er als gerade 24-jähri- häufigste chemische Element; auf Wasserstoff
ger Chemiker Mitglied des erweiterten Per- entfallen 75 % der Gesamtmasse bzw. 93 % aller
sonenkreises der Akademie der Wissen- im Sonnensystem vorhandenen Atome.
schaften (Académie des Sciences). 1772 Im Zuge der Entstehung des Universums bilde-
wurde er assoziiertes Mitglied, 1778 Mit- ten sich, beeinflusst von Schwerkraft und regional
glied auf Lebenszeit. 1768 wurde Lavoisier ungleichmäßiger Verteilung der Protonen, riesige
zudem Mitglied in der Ferme Générale, der Wolken aus Wasserstoffgas, aus denen später die
60 Funktionsträger umfassenden Organisa- Protosterne gebildet wurden. Da deren Masse zu-
tion der französischen Hauptzollpächter, nächst immer weiter stieg, begannen in ihrem Inne-
und richtete in seiner Wohnung im Arsenal ren Kernfusionsprozesse, bei denen Atomkerne des
ein großes Labor ein. Wasserstoff zu denen des Heliums verschmolzen
Ab 1772 entwickelte er das Gesetz von
und so die „heutigen“ Sterne – und auch die Sonne –
der Erhaltung der Masse bei chemischen
entstanden. Zum größten Teil bestehen die Sterne
Reaktionen, das entscheidend dazu beitrug,
aus Wasserstoff-Plasma. Die Kernfusionsprozesse
die zuvor gebräuchliche Phlogistontheo-
sind die Energiequelle der Sterne.
rie durch Ergebnisse selbst durchgeführter
Auch die oben genannten großen Gasplaneten
Versuche zu widerlegen (Guerlac 1975),
während derer er Wägungen der Edukte bestehen meist aus Wasserstoff; daneben noch aus
und Produkte, soweit möglich, vornahm. gefrorenem Ammoniak, Methan, Kohlendioxid und
Außerdem wies er die notwendige Funktion anderen Bestandteilen. Im Inneren des Jupiters und
des Sauerstoffs bei Verbrennungen nach, Saturns herrschen hohe Drücke, unter denen Wasser-
jedoch nahm Lavoisier noch an, dass alle stoff wahrscheinlich in metallischer Form vorkommt.
Säuren Sauerstoff als Grundelement enthal- Dies kann die Ausbildung der Magnetfelder erklären,
ten müssten. Mittels eines Verbrennungsex- die diese nicht-terrestrischen Planeten bilden.
5 Einzeldarstellungen 5
In interstellaren Gaswolken ist Wasserstoff Säuren herzustellen, jedoch sind diese Methoden
meist in molekularer und nichtionisierter Form für eine großtechnische Produktion unwirtschaft-
enthalten. Aus diesen Gebieten entstammt elek- lich. Eines von zwei industriell gängigen Verfah-
tronische Strahlung einer Frequenz von ca. 1420 ren ist die Dampfreformierung, bei der Kohlen-
MHz (21-cm- oder H-I-Linie), die auf definierten wasserstoffe und Wasser bei hoher Temperatur
spektralen Übergängen des Wasserstoffatoms und hohem Druck umgesetzt werden. Reaktions-
beruht und die für dessen Auffindung im Weltall produkt ist dabei das sogenannte Synthesegas, ein
sehr bedeutsam ist. Daneben gibt es ionisierte Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Je
Gaswolken, die atomaren Wasserstoff enthalten nach Führung der Synthese kann man das Men-
(H-II-Gebiete) und große Mengen ionisierender genverhältnis der beiden Gase steuern. Dieses
Strahlung aussenden, die gelegentlich sichtbar Verfahren wendet man dann an, wenn der auf
ist, so dass man sie mit optischen Hilfsmitteln diese Weise produzierte Wasserstoff in Hoch-
beobachten kann. drucksynthesen gehen soll.
Auf der Erde ist der Anteil, den Wasserstoff an Die zweite in der Industrie angewandte
der gesamten Erdmasse hält, viel kleiner und Methode ist die partielle Oxidation, bei der man
beträgt 0,12 % der gesamten Masse der Erde Erdgas teilweise mit Sauerstoff umsetzt; dabei
bzw. 2,9 % der Erdkruste. Im Gegensatz zu den bilden sich unter anderem Wasserstoff und Koh-
Verhältnissen im Universum liegt Wasserstoff auf lenmonoxid.
der Erde fast nur chemisch gebundener Form vor, Ein schon lange etabliertes, immer noch effizi-
beispielsweise im Wasser der Meere und Seen entes, aber nicht mehr oft angewandtes Verfahren
(Wasser, H2O) oder in allen organischen Verbin- zur Herstellung von Wasserstoff ist die Elektro-
dungen, die generell primär Verbindungen von lyse von Wasser. Durch Einsatz elektrischer Ener-
Kohlen- und Wasserstoff sind, also in der ganzen gie und nach Zugabe kleiner Mengen katalytisch
lebenden Materie oder auch in Erdöl oder Erdgas. wirksamer Säure wird Wasser in Wasser- und
Mehr als der Hälfte aller aktuell bekannten Mine- Sauerstoff gespalten:
rale enthalten Wasserstoff.
Die obengenannten Massenanteile sind nur 2 H2 O ! 2 H2 þ O2
wegen des niedrigen Atomgewichtes des Wasser-
stoffs (oder Protons) so gering, denn Wasser Im Mol- und Volumenverhältnis von 2:1 ent-
bedeckt fast 70 % der Erdoberfläche mit einem wickelt sich an der Kathode Wasserstoff- und an
gesamten Volumen von 1386 Mrd. km3. Das Salz- der Anode Sauerstoffgas. Zur Gewinnung schwe-
wasser in den Ozeanen macht hiervon 96,5 % aus; ren Wassers, das sich im nicht durch die Elektro-
nur 3,5 % (ca. 46 Mio. km3) entfallen auf Süß- lyse verbrauchten Wasser anreichert, ist dieses
wasser. Letzteres befindet sich mehrheitlich in Verfahren aber noch wichtig.
gefrorener Form in den Polar- und Permafrost- Ein modernes Verfahren hohen Wirkungsgra-
gebieten, nur ein kleiner Teil befindet sich in Seen des ist das in den 1980er-Jahren entwickelte
oder Flüssen. Kværner-Verfahren. Bei diesem spaltet man Koh-
In der Atmosphäre liegt Wasserstoff praktisch lenwasserstoffe in einem Plasmabrenner bei Tem-
ausschließlich chemisch gebunden in Form von peraturen um 1600 C in reinen Kohlenstoff
Wasserdampf vor, dessen Anteil darin bis zu (Aktivkohle) und Wasserstoff auf. Vorteilhaft
4 Vol.-% betragen kann und als relative Luftfeuch- gegenüber allen anderen Verfahren ist, dass reiner
tigkeit gemessen wird. Diese entspricht dem Ver- Kohlenstoff an Stelle von Kohlendioxid entsteht.
hältnis des anteiligem Wasserdampfdrucks zum Da die Reaktionsprodukte und auch der zugleich
temperaturabhängigen Sättigungsdampfdruck. mit entstehende Heißdampf viel Energie enthal-
ten, resultiert ein thermodynamischer Wirkungs-
Gewinnung grad von 98 % (!).
Molekularer Wasserstoff Dieser ist zwar einfach Als natürliche und umweltfreundliche Quelle
im Labor durch Auflösung unedler Metalle in für Wasserstoff testete man Grünalgen, die unter
6 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
bestimmten Bedingungen, unter anderem der Weise erreicht. Ein Strahl schnell strömenden,
intensiven Einwirkung von Sonnenlicht, Wasser- molekularen Wasserstoffs wird durch einen zwi-
stoff aus Wasser zu erzeugen imstande sind. Die schen zwei Wolframelektroden produzierten elek-
Algen sind aber schwer in großen Mengen zu trischen Lichtbogen geleitet, wodurch der mole-
kultivieren, was das Verfahren wirtschaftlich kulare in atomaren Wasserstoff umgewandelt
uninteressant macht. wird. Leitet man diesen Strahl heißen atomaren
Neuere Arbeiten des Rostocker Leibniz Insti- Wasserstoffs auf hochschmelzende Stoffe wie
tutes (Hoer 2011) befassten sich mit ruthenium- Wolfram oder Tantal, werden diese an der Auf-
haltigen Katalysatoren, die die Gewinnung von treffstelle geschmolzen. Vorteilhaft ist zudem,
Wasserstoffgas aus Alkohol unter ansonsten mil- dass die Metalloberfläche durch die reduzierend
den Reaktionsbedingungen mit hoher Ausbeute wirkende Umgebung (Wasserstoff) vor dem Zu-
gestatten. tritt von Luftsauerstoff geschützt ist.
Die jährliche, weltweit erzeugte Menge an
Wasserstoff liegt bei 30 Mio. t. Eigenschaften
Atomarer Wasserstoff Atomaren Wasserstoff Physikalische Eigenschaften: Wasserstoff hat die
kann man aus dem üblicherweise vorliegenden geringste Dichte aller Elemente. Das normale, aus
molekularen Wasserstoff durch Erhitzen auf ex- H2-Molekülen bestehende Wasserstoffgas ist fast
trem hohe Temperaturen (mehrere 1000 C), elek- 15mal leichter als Luft. Sein Kondensations-/
trische Entladungen von Starkstrom bei niedri- Siedepunkt liegt bei 252 C (s. Tab. 1), der
gem Druck, Bestrahlung mit UV-Licht oder Erstarrungspunkt des flüssigen Wasserstoffs bei
intensiver Mikrowellenstrahlung oder aber durch 259 C. In Wasser und anderen Flüssigkeiten
Beschuss mit Elektronen einer Energie von ist er relativ schlecht löslich, in einigen Metallen
10–20 eV erzeugen. Da molekularer Wasserstoff dafür wesentlich besser.
viel energieärmer als atomarer ist, reagiert letzte- Da sein Atom bzw. Molekül im Vergleich zu
rer sehr leicht und schnell wieder zu molekularem. denen anderer Gase sehr klein ist, erzielt Wasser-
Das Gleichgewicht der stark endothermen, nach- stoff bei Raumtemperatur Höchstwerte für sein
stehenden Reaktion liegt stark auf der linken Seite Diffusionsvermögen, seine Wärmeleitfähigkeit
(Hartmann-Schreier 2004): und seine Entweichgeschwindigkeit bei gleichzei-
tig geringster Viskosität. So diffundiert Wasser-
H2 $ 2 H Δ Ho R ¼ 435 kJ=mol stoff selbst durch Polyethylen und glühendes
Quarzglas, ebenfalls sehr schnell diffundiert er in
Benötigt man größere Mengen atomaren Was- Eisen und anderen Metallen, was mit einer Was-
serstoffs, so wendet man die Verfahren nach serstoffversprödung des jeweiligen Metalls ein-
Wood oder Langmuir an. Beim Wood-Verfahren hergeht. Die sehr hohen Durchdringungsraten,
setzt man molekularen Wasserstoff unter stark verbunden noch dazu mit einer beträchtlichen
verringertem Druck (< 2 mbar) elektrischen Ent- Löslichkeit des Gases in manchen Feststoffen,
ladungen einer Spannung von ca. 4000 V aus, die bringen Vor- und Nachteile mit sich, letztere vor
zwischen zwei Aluminiumelektroden stattfinden. allem bei Transport und Lagerung.
Obwohl sich schnell wieder molekularer Wasser- Wasserstoff sendet ein aus zahlreichen Spek-
stoff rückbildet, genügen Bruchteile von Sekun- trallinien zusammengesetztes Licht aus, jedoch ist
den, um den atomaren Wasserstoff abzusaugen dieses im sichtbaren Wellenlängenbereich schon
und über die mit dem hochreaktiven atomaren nahezu kontinuierlich. Im Magnetfeld verhält er
Wasserstoff umzusetzenden Stoffe zu leiten. sich schwach diamagnetisch und ist darüber hi-
Die Methode nach Langmuir nutzt die bei der naus ein elektrischer Isolator.
Rekombination der Wasserstoffatome freiwer- Wasserstoff kondensiert bei einer Temperatur
dende Energie, die so groß ist, dass man so auch von 252 C zu einer klaren, farblosen Flüssig-
hochschmelzende Metalle schweißen kann. Tem- keit, die nach weiterem Abkühlen bei 259,2 C
peraturen von bis zu 4000 C werden auf diese zu einem Kristallisat mit hexagonal-dichtester
5 Einzeldarstellungen 7
Packung erstarrt. Einen supraflüssigen Zustand ungeladenes Neutron im Kern und ein negativ
bildet flüssiger Wasserstoff nicht aus. Sein Tripel- geladenes Elektron in der Atomhülle. Bei den
punkt liegt bei 259,35 C und einem Druck von schwereren Isotopen 21H (D, Deuterium, „schwe-
7,042 kPa, der kritische Punkt bei 239,97 C rer“ Wasserstoff) und 31H (T, Tritium, „super-
und 1300 kPa (13 bar) (Mallard und Linstrom schwerer Wasserstoff“) enthält der Atomkern
2011). noch ein bzw. zwei Neutronen mehr.
„Metallischer“, da elektrisch leitender Wasser- Das Elektron kann, dem auf der Annahme fla-
stoff konnte vor fast 20 Jahren für Bruchteile von cher Elektronenbahnen beruhenden Bohr’schen
Sekunden mit Hilfe einer Gaskanone erzeugt wer- Atommodell zur Folge, auf andere, hinsichtlich
den (Nellis 2000). ihres Abstandes zum Kern definierte Bahnen
Atom- und kernphysikalische Eigenschaften: springen, wenn ihm die nötige Energie dafür zu-
Das gewöhnliche Wasserstoffatom (11H) enthält geführt wird, wie es etwa in elektrischen Gasent-
ein einfach positiv geladenes Proton sowie ein ladungen geschieht. Springt das Elektron dann
8 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
aus dem angeregten Zustand zurück in den Grund- Chemische Eigenschaften: Das Wasserstoff-
zustand, so wird die Energiedifferenz in Form von atom kann zur Erreichung einer stabilen Elek-
Licht einer einzigen („gequantelten“) Wellenlänge tronenkonfiguration entweder ein Valenzelek-
abgegeben. Dieses Modell erklärt auch die Spek- tron abgeben oder aufnehmen. Im ersten Fall
trallinien des H-Atoms, die mit 656, 486, 434 und besitzt er dann gar kein Elektron mehr, im letz-
410 nm im Wellenlängenbereich des sichtbaren teren die Konfiguration des Edelgases Helium.
Lichtes liegen (Balmer-Serie). Weitere Bestand- Wasserstoff kann daher mit den Oxidationszah-
teile des abgestrahlten Lichtspektrums befinden len +1 und 1 auftreten. In Verbindungen mit
sich im ultravioletten Bereich (Lyman-Serie: Nichtmetallen mit Ausnahme von Bor ist er der
122, 103, 97 und 95 nm Wellenlänge). Auf der elektropositivere Partner (Oxidationszahl: +1)
anderen Seite des Spektrums, im Infraroten, exis- in den dann vorliegenden, kovalenten Bindun-
tieren Spektrallinien (Paschen-Serie: 1,9; 1,3; 1,1 gen, wogegen er in den mit reaktiven Metallen
und 1 μm) und die Brackett-Serie (4,1; 2,6; 2 und gebildeten, salzartigen und somit ionischen
1,9 μm), wobei für alle Serien nur die ersten vier Hydriden der elektronegativere (Oxidations-
Linien angegeben sind. zahl: 1) ist.
Weil es noch nicht alle Phänomene beschrei- Wasserstoff ist ziemlich reaktionsfähig und
ben konnte, entwickelte man das Bohr-Modell reagiert bei Zündung mit Sauerstoff zu Wasser
dann zu einem solchen weiter, das den Elektronen und den Halogenen – außer Iod – zu den jeweili-
räumlich ausgedehnte Atomorbitale zuweist. gen Halogenwasserstoffen, in der Wärme auch
Beim Wasserstoffatom ist die quantenmecha- mit den meisten anderen Nichtmetallen und
nische Berechnung noch relativ einfach, da hier Metallen. (Wasserstoff setzt sich auch mit gefro-
lediglich ein Proton und ein Elektron vorliegen. renem Fluor bei einer Temperatur von 200 C
Unter Standardbedingungen ist Wasserstoff (H2) fast explosionsartig um!)
ein Gemisch zweier Moleküle, deren Kernspins
unterschiedlich ausgerichtet sind [ortho- (o) und
H2 þ X2 ! 2 HX ðX ¼ HalogenÞ
para- (p) Wasserstoff]. Im etwas energiereicheren
o-Zustand (ΔHoR = + 0,08 kJ/mol) haben die 2 H2 þ O2 ! 2 H2 O
Kernspins die gleiche (parallele) Richtung, wogegen
der p-Zustand Kernspins entgegengesetzter (antipa- Weitere Erscheinungsformen und Besonder-
ralleler) Ausrichtung zeigt. Beide Molekülzustände heiten von Wasserstoff: Direkt nach seiner Erzeu-
stehen temperaturabhängig miteinander im Gleich- gung bei einer chemischen Reaktion existiert
gewicht und unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Wasserstoff für Bruchteile von Sekunden im statu
physikalischen Eigenschaften leicht (Schmelz- nascendi, dem atomaren Zustand, bevor sich zwei
und Siedepunkte sowie spezifische Wärme). Bei H-Atome zu einem H2-Molekül verbinden. Dieser
der Temperatur des absoluten Nullpunkts liegt Wasserstoff ist wesentlich reaktiver als der ge-
ausschließlich p-Wasserstoff vor, unter Standard- wöhnliche molekulare und kann z. B. violette
bedingungen (25 C, Normaldruck) besteht ein Lösungen von Kaliumpermanganat (KMnO4) zu
Gleichgewicht zwischen 25 % p- und 75 % hellrosa gefärbten Mn2+-Ionen oder ursprünglich
o-Form, was auch dem größtmöglichen Anteil gelbe Lösungen von Natriumdichromat (Na2C-
der o-Form entspricht. Wird Wasserstoff verflüs- r2O7) zu grünen Cr3+-Ionen reduzieren. Dies kann
sigt, so muss die beim Übergang von der o- zur geprüft werden, indem die sauer gestellten, oben
energieärmeren p-Form freiwerdende Energie genannten Lösungen mit Zinkpulver versetzt wer-
berücksichtigt werden, die sonst einen Teil des den, das mit der Säure reagiert. Das Zink löst sich
kondensierten Wasserstoffs direkt wieder ver- in der Säure unter Entwicklung von Wasserstoff
dampfen ließe. Dies erreicht man durch Überlei- auf, der sehr kurzzeitig „in statu nascendi“ vor-
ten des noch gasförmigen Wasserstoffs über liegt. „Normaler“, molekularer, aus der Gasfla-
geeignete Katalysatoren, die noch im Gaszustand sche entnommener Wasserstoff zeigt diese Wir-
das Gleichgewicht hin zur p-Form verschieben. kung nicht.
5 Einzeldarstellungen 9
Die sogenannte Wasserstoffbrückenbindung ist tium ist radioaktiv und erleidet mit einer kurzen
eine elektrostatische Anziehungskraft zwischen Halbwertszeit von 12,32 a β--Zerfall zum Heli-
zwei Molekülen. Von diesen enthält mindestens umisotop 32He. Es entsteht durch in der oberen
eines Wasserstoffatome, die eine positive Ladungs- Erdatmosphäre ablaufende Kernreaktionen (Lal
dichte tragen, und eines, das Atome stark elek- und Peters 1967).
tronegativer Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff Ein die Kriterien für ein Wasserstoffatom er-
oder Fluor trägt. Zwischen dem Wasserstoffatom füllendes „Ersatzatom“ ist das in Teilchenbe-
und dem mit mehr oder weniger stark negativer schleunigern hergestellte Muonium, das aus ei-
Ladungsverteilung versehenen elektronegativen nem Elektron in seiner Hülle sowie aus einem
Atom tritt eine Anziehungskraft auf, die Wasser- positiv geladenen Antimyon im Kern besteht.
stoffbrückenbindung genannt wird. Zwar ist diese Das Antimyon hat jedoch nur etwa ein Zehntel
energetisch schwächer als „echte“ chemische Bin- der Masse eines Protons. Versuche mit Myonen
dungen und auch schnell wechselnd, ist aber beschreibt z. B. Jungmann (2003).
wegen ihrer Konstanz für sehr viele Eigenschaften
bestimmter Moleküle verantwortlich. Alleine Was- Verbindungen Wasserstoff verbindet sich mit vie-
ser, Ammoniak und Fluorwasserstoff hätten nicht len Nichtmetallen bzw. Metallen, in den dann ent-
die relativ zu ihren Homologen hohen Siede- stehenden Verbindungen nimmt er oft die Oxida-
punkte, gäbe es zwischen ihren Molekülen nicht tionszahl 1 bzw. +1 ein, trägt also positive bzw.
diese Bindungen (Jeffrey 1997). negative Ladungsanteile. Dies hängst davon ab, ob
Weitere Isotope des Wasserstoffs Es gibt drei der jeweilige Bindungspartner eine höhere (alle
natürlich vorkommende Isotope des Wasser- Nichtmetalle außer Bor) oder eine niedrigere Elek-
stoffs, die sich – wegen der sehr geringen Atom- tronegativität (alle anderen Elemente mit Ausnahme
masse- auch merklich in ihren Eigenschaften der Edelgase) als Wasserstoff (2, 2) aufweist.
und denen ihrer Verbindungen unterscheiden. In Verbindung mit den meist elektropositiveren
Dies sind Wasserstoff („Protium“) selbst (11H), Metallen nimmt das Wasserstoffatom in der Regel
Deuterium (21H oder D) und Tritium (31H oder ein Elektron auf, so dass negativ geladene Hydri-
T). Es gibt darüber hinaus noch künstlich dionen (H) entstehen. Die von den Alkali- und
erzeugte, extrem kurzlebige Isotope (41H, 51H, Erdalkalimetallen (außer Beryllium) sowie von
6 7
1H, 1H), die aber hier nicht weiter betrachtet Europium (EuH2) und Ytterbium (YbH2) gebilde-
werden (Dumé 2003). ten Hydride haben salzartigen Charakter. Oft sind
Protium stellt mit einer relativen Häufigkeit diese Verbindungen an der Luft entzündlich und
von 99,98 % im natürlich vorkommenden Was- reagieren heftig mit Wasser unter Bildung mole-
serstoff den mit Abstand größten Anteil und ist kularen Wasserstoffs und des jeweiligen Metall-
nicht radioaktiv. Sein Atomkern enthält nur ein hydroxids.
einziges Proton und keine Neutronen. Des Weiteren gibt es Einlagerungen von Was-
Das Isotop 21H (D, Deuterium) weist neben serstoffatomen in oktaedrische und tetraedrische
dem Proton ein Neutron im Kern auf und steht Lücken von Metallatomgittern, wobei die Ab-
für 0,015 % aller natürlich vorkommenden Atome sorptionsfähigkeit des jeweiligen Metalls für
des Wasserstoffs. Deuteriumhaltige Verbindun- Wasserstoff bei Temperaturen um 500 C bis zu
gen verwendet man in der 1H-NMR Spektro- 10 % betragen kann. Das größte Speichervermö-
skopie als Lösungsmittel, da sie im Hinblick auf gen für Wasserstoff besitzen die Metalle der fünf-
ihre Protiumanaloga ähnliche Eigenschaften zei- ten Nebengruppe (Vanadium, Niob, Tantal).
gen, aber im Unterschied zu jenen keine störenden
Resonanzsignale liefern. Deuterium ist ebenfalls Anwendungen Wasserstoff geht in viele Ein-
nicht radioaktiv, also stabil. satzgebiete. Wichtig ist die Anwendung als Rake-
Tritium (31H, T) ist das dritte, in extrem gerin- tentreibstoff oder zunehmend als Treibstoff für
gen Mengen (geschätzt weltweit: ca. 3 kg) natür- Verbrennungsmotoren bzw. Brennstoffzellen. Das
lich vorkommende Isotop des Wasserstoffs. Tri- Oxidationsprodukt (Wasser) ist umweltfreundlich,
10 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
aber man muss zuvor Energie aufwenden, um Was- ein, da es die bei Kernspaltungen freigesetzten
serstoff zu gewinnen (Schindler et al. 2009). schnellen Neutronen abbremst. In der Kernreso-
Ammoniak wird aus Stickstoff und Wasserstoff nanzspektroskopie (meist 1H-NMR) setzt man deu-
mittels des Haber-Bosch-Verfahrens produziert. terierte Lösungsmittel deshalb ein, da sie keine im
Ammoniak ist unter anderem das Ausgangsmaterial jeweiligen Resonanzbereich auftretenden Spektral-
zur Herstellung von Düngern und Sprengstoffen. linien erzeugen. Deuterium- und Tritiumverbin-
Wasserstoff besitzt die Zulassung als Lebens- dungen verhalten sich zwar weitgehend ähnlich
mittelzusatzstoff (E 949) und dient als Treib- und zu denen des „normalen Wasserstoffs“ (Proti-
Packgas (Bundesministerium der Justiz und für ums), zeigen aber von diesen geringfügig abwei-
Verbraucherschutz 2012). chende physikalische Eigenschaften. So schmel-
Die Kohlehydrierung ist noch nicht wirtschaft- zen bzw. sieden:
lich, aber potenziell dann interessant, wenn die
Lagerstätten des natürlichen fossilen Brennstoffs • Wasser (H2O, Dichte 0,997 g/cm3 bei 20 C)
Erdöl erschöpft sind. Kohle wird unter bestimm- bei 0 C bzw. 100 C,
ten Bedingungen mit Wasserstoffgas zu syn- • „schweres Wasser“ (D2O, Dichte 1,104 g/cm3
thetisch hergestellten, flüssigen Kohlenwasser- bei 20 C) bei 3,8 C bzw. 101,4 C, und
stoffen umgesetzt, aus denen wiederum Benzin, • „superschweres Wasser“ (T2O, Dichte 1,214
Diesel- und Heizöl herstellbar sind. g/cm3 bei 20 C) bei 4,5 C bzw. 101,5 C.
Aus Pflanzen gewonnene Öle und Fette hydriert
man zwecks Haltbarmachung und Schmelz- Tritium verwendet man als radioaktiven Marker
punkterhöhung (Fetthärtung), wobei die in für Tumorzellen, oder aber Tritiumatome als Ge-
den Molekülen der Fettsäuren enthaltenen C=C- schoss in Kernbeschleunigern. Die so genannte Tri-
Doppelbindungen gesättigt und in Einfachbin- tiummethode nutzt die kurze Halbwertszeit des
dungen umgewandelt werden. Margarine wird radioaktiven Zerfalls des Tritiums zur Altersbestim-
auf diese Weise erzeugt. mung von Flüssigkeiten wie Wein aus. Nennens-
Wasserstoff findet oft als Reduktionsmittel Ein- wert ist noch der Einsatz als Energiequelle für
satz, wobei er Metalloxide bei hohen Temperatu- Leuchtfarben.
ren in die jeweiligen Metalle überführen kann. Bisher ist die Speicherkapazität von Wasser-
Dieses Verfahren ist zwar teurer und meist auch stoff, der die höchste Energiedichte aller Treib-
nur im kleinen Maßstab durchführbar, es liefert stoffe besitzt, in Tanks noch begrenzt. Ein 200 kg-
aber das Metall in seiner reinsten Form. Tank speichert als Hydrid oder in Nanoröhren
Vor der Katastrophe des Luftschiffes Hinden- gerade einmal 2 kg gasförmigen Wasserstoff, des-
burg 1937 war Wasserstoff verbreitet als Füllgas sen Brennwert einer Menge von 8 L Benzin ent-
für Ballons und Luftschiffe im Einsatz. Die spricht. Dagegen existieren Drucktanks mit einem
Sicherheitsbestimmungen verbieten dies aber zulässigen Innendruck bis zu 800 bar, die auch
schon seit langem, daher ist es mittlerweile meist den Sicherheitsanforderungen der Fahrzeugher-
durch das unbrennbare Helium ersetzt worden. steller genügen und das TÜV-Siegel tragen (Eich-
Wasserstoffgas besitzt eine hohe Wärmekapa- lseder und Klell 2010).
zität, weshalb es in Kraftwerken als Kühlmittel
eingesetzt wird. Zugute kommt dabei, dass Was-
serstoff ebenso eine hohe Wärmeleitfähigkeit Patente
aufweist, so kann Wärme über einen Strom von (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Wasserstoffgas effizient abtransportiert werden. wide.espacenet.com)
Entsprechend setzt man flüssigen Wasserstoff oft
als Kältemittel ein. B. Tsenter, Lithium hydrogen secondary elec-
Spezifische Anwendungen haben dagegen trochemical cell (privat, US 10211494 B1,
Deuterium und Tritium bzw. deren Verbindungen: veröffentlicht 19. Februar 2019)
Deuterium setzt mant in Form des „schweren
(Fortsetzung)
Wassers“ (D2O) in Kernreaktoren als Moderator
5 Einzeldarstellungen 11
der alleine eine Menge von mehr als 5 Mio. t (!) Atacama-Wüste gelegenen Minen am Salar de
Lithium enthalten soll (Jaskula 2015), und andere Atacama und etwa 7000 t auf die australische
Salzseen im Iran, in Afghanistan und eventuell Greenbushes-Mine.
unterirdische Salzstöcke in Zentralkanada. Ne- Das nach der Zugabe von Natriumcarbonat
benprodukte der Lithiumgewinnung sind meist ausgefallene Lithiumcarbonat setzt man zwecks
Kaliumcarbonat, Borax sowie Verbindungen des Reinigung zunächst mit Salzsäure um, wobei wie-
Cäsiums und Rubidiums. der Lithiumchlorid entsteht:
Da Lithium als Bestandteil von Hochleistungs-
batterien für Elektrofahrzeuge immer wichtiger Li2 CO3 þ 2 HCl ! 2 LiCl þ H2 O þ CO2
wird, ist in jedem Falle mit einer Intensivierung
der Förderung und Produktion von Lithiumver- Das zunächst noch gelöste Lithiumchlorid
bindungen zu rechnen. wird aus der Lösung durch Abdampfen des Was-
Pflanzen enthalten in der Regel Konzentratio- sers im Vakuumverdampfer gewonnen, bis es aus-
nen von 0,5 bis 3 ppm an Lithium. In ähnlicher kristallisiert. Die Salzlauge ist sehr korrosiv, daher
Größenordnung liegt die Konzentration in Süß- müssen die Metallteile der Apparaturen aus Edel-
wässern, wogegen sie in den Meeren mit ca. 180 stahl oder Nickel gefertigt sein.
ppb wesentlich höher liegt. Es kommt in Spuren in Metallisches Lithium gewinnt man schließlich
Fleisch, Fisch und anderen tierischen Produkten durch Schmelzflusselektrolyse eines bei 352 C
vor, ebenso in Mineralwässern. Es ist kein schmelzenden Gemisches aus 52 Gew.-% Li-
essenzielles Element. thiumchlorid und 48 Gew.-% Kaliumchlorid.
Im Weltall gibt es nur in Braunen Zwergen grö- Kalium wird bei der Elektrolyse nicht abgeschie-
ßere Mengen des Elements, weshalb man das stel- den, da es in der Chloridschmelze ein niedrigeres
lare Vorhandensein von Lithiumisotopen auch als Elektrodenpotenzial hat, dagegen sind geringste
Nachweis für Braune Zwerge verwendet. Sterne, die Mengen an Natrium immer im so erzeugten
keine Planeten besitzen, weisen einen höheren Lithium vorhanden. An der Oberfläche der
Gehalt an Lithium auf als solche mit Planeten. Dies Schmelze sammelt sich das kathodisch abgeschie-
wird auf die Gravitationskraft der Planeten zurück- dene Lithium in flüssiger Form und kann abge-
geführt, die, auch wenn sie weit entfernt vom Zen- schöpft werden. Im Labor ist die Gewinnung von
tralgestirn sind und eine geringe Masse haben, doch Lithium ebenfalls möglich, dazu elektrolysiert
stark genug sind, um für eine „Durchmischung“ der man eine Lösung von Lithiumchlorid in Pyridin.
im Stern enthaltenen Nuklide zu sorgen. Dadurch
gelangen, so die These, die Lithiumisotope in heiß- Eigenschaften
ere Bereiche des Sterns, in denen sie einer Kernfu- Physikalische Eigenschaften: Lithium ist mit
sion unterliegen und somit verbraucht werden (Is- einer Dichte von 0,534 g/cm3 das Metall mit der
raelian et al. 2009). niedrigsten Dichte unter Standardbedingungen
(s. Tab. 2). Was alle Elemente in ihrem festen
Gewinnung Lithiumcarbonat ist im Gegensatz Zustand anbetrifft, wird es hierin nur noch von
zu den Carbonaten seiner höheren Homologen, festem Wasserstoff (bei einer Temperatur von
Natrium- oder Kaliumcarbonat, relativ schwer 260 C) übertroffen, der unter diesen Bedingun-
löslich in Wasser. Daher lässt man das Wasser gen eine Dichte von 0,0763 g/cm3 besitzt.
der lithiumhaltigen Salzlösungen verdunsten, bis Das Kristallgitter des Lithiums ist unter Stan-
eine Lithiumkonzentration von 0,5 % überschrit- dardbedingungen wie bei seinen höheren Homo-
ten wird. Dann gibt man eine wässrige Lösung logen, den höheren Alkalimetallen, eine kubisch-
von Natriumcarbonat zu, worauf Lithiumcarbonat raumzentrierte Kugelpackung, die bei 195 C in
aus der Lösung ausfällt. eine hexagonale Struktur (Magnesium-Typ) über-
Vor einigen Jahren (2008) erzeugte man geht. Einwirkung mechanischer Kraft kann auch
ca. 27.500 t Lithium außerhalb der USA, fast die die Umwandlung in ein kubisch-flächenzentrier-
Hälfte davon entfiel auf die in der chilenischen tes Gitter bewirken. Es ist noch nicht bekannt,
14 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
weshalb die Strukturen unter den jeweils ange- Lithium von allen Alkalimetallen die größte Härte
wandten Bedingungen gebildet werden. (Mohs-Härte: 0,6). (Dieses Phänomen, die signi-
Auch wenn die Alkalimetalle – mit Ausnahme fikante Abweichung der Eigenschaften des Kopf-
von Quecksilber und Gallium – die niedrigsten elementes einer Hauptgruppe, hier insbesondere
Schmelz- und Siedepunkte haben, so zeigt die der Härte, zeigen in den benachbarten Grup-
Lithium innerhalb der Gruppe von den Alkalime- pen der Erdalkalimetalle bzw. der Borgruppe auch
tallen noch die höchsten Werte (Schmelzpunkt: das Beryllium bzw. Bor. Mit Hinsicht auf be-
181 C, Siedepunkt: 1330 C). Ebenso hat stimmte physikalische Eigenschaften gilt diese
5 Einzeldarstellungen 15
Sonderrolle des Kopfelementes für alle Hauptgrup- hung findet man auch zwischen Beryllium und
pen, man vergleiche nur Stickstoff mit Phosphor Aluminium und auch zwischen Bor und Silicium.)
und Arsen, Sauerstoff mit Schwefel und Selen oder Die Ionenradien von Li+- und Mg2+-Ionen haben
auch Fluor mit Chlor oder Brom. Diese Schrägbe- ähnliche Größe; ihre Verbindungen zeigen daher
ziehung gibt es bei den Nebengruppen nicht!) eine gewisse Verwandtschaft, auch wenn natür-
Darüber hinaus zeigt Lithium noch die größte lich die Oxidationszahlen unterschiedlich sind.
spezifische Wärmekapazität der Alkalimetalle So bildet Lithium, anders als seine höheren
und ist ein relativ guter elektrischer und Wärme- Homologen Natrium und Kalium, Organometall-
leiter. Das Li+-Ion hat mit 520 kJ/mol die höchs- verbindungen, so wie es auch bei Magnesium der
te Hydratationsenthalpie aller Alkalimetallionen. Fall ist.
So klein das unhydratisierte Ion ist, in der hydra-
tisierten Form ist es größer als ein hydratisiertes Verbindungen Lithium tritt in seinen Verbin-
Cs+-Kation. In der Gasphase liegen etwa 1 % aller dungen stets in der Oxidationsstufe +1 auf. Diese
Lithiumatome in Form von Li2-Molekülen (Dili- sind zwar ionisch aufgebaut, haben aber doch
thium) vor (Winter 1994). einen gewissen kovalenten Anteil. Dies kommt
Chemische Eigenschaften: Lithium kommt beispielsweise in der Existenz von Organoli-
wegen seiner hohen Reaktionsfähigkeit in der thiumverbindungen zum Ausdruck und in der Tat-
Natur nicht elementar vor. Lässt man Stücke des sache, dass eine Reihe von Lithiumsalzen – im
Metalls bei Raumtemperatur an vollkommen tro- Gegensatz zu den jeweiligen Natrium – oder
ckener Luft liegen, ist es einigermaßen stabil, Kaliumsalzen – gut in polar protischen bzw.
auch wenn es sich bald mit einer schwarzen dipolar-aprotischen organischen Lösungsmit-
Schicht von Lithiumnitrid überzieht. In feuchter teln (z. B. Methanol, Ethanol bzw. Aceton) lös-
Luft erscheint auf der Oberfläche schnell eine lich sind.
nicht passivierende Schicht aus Lithiumhydroxid. Chalkogenverbindungen Mit Sauerstoff bildet
Berührt man die Lithiumstücke mit der Hand, Lithium sowohl Lithiumoxid (Li2O) als auch Li-
reicht bereits die auf der Haut vorhandene Feuch- thiumperoxid (Li2O2). Lithiumoxid kann man
tigkeit zur Bildung des ätzend wirkenden Li- durch Verbrennung von Lithium oder durch ther-
thiumhydroxids aus, das der Haut wegen der bei mische Zersetzung von Lithiumperoxid oder
der Umsetzung von Lithium mit Feuchtigkeit frei- -hydroxid erzeugen (Holleman et al. 1995,
gesetzten großen Wärmemengen schwere Verät- S. 1152; Brauer 1978, S. 951). Die bei 1427 C
zungen und Verbrennungen zufügt. schmelzende, farblose Verbindung (s. Abb. 2) der
Lithium reagiert schnell und heftig mit sehr Dichte 2,01 g/cm3 und Standardbildungsenthalpie
vielen Elementen und Verbindungen (wie Wasser) 599,1 kJ/mol kristallisiert im Anti-Flussspat-
unter Abgabe teils hoher Wärmeenergien. Vergli- Typ mit der Gitterkonstante a=4,611 Å. Aus Li-
chen mit anderen Alkalimetallen ist es aber noch thiumoxid stellt man Lithiumniobat her, aber auch
das reaktionsträgste. Selbst an trockener Luft Keramiken und Gläser.
reagiert es aber schnell mit molekularem Stick-
stoff zu Lithiumnitrid (Li3N).
Lithium hat mit 3,04 V (Binnewies 2006) für
die Reaktion Metallkationx++ x e ! M das nied-
rigste Normalpotenzial aller Elemente des Peri-
odensystems. Es muss in verschlossenen, mit Pe-
troleum gefüllten Flaschen (es schwimmt wegen
seiner geringen Dichte selbst auf Petroleum auf!)
oder aber unter Argon aufbewahrt werden.
Lithium als Kopfelement der ersten Haupt-
gruppe leitet in seinen Eigenschaften zum zweit-
obersten Element der zweiten Hauptgruppe, dem
Magnesium, über. (Diese so genannte Schrägbezie- Abb. 2 Lithiumoxid (Onyxmet 2019)
16 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
Lithiumperoxid (Li2O2) stellt man aus Wasser- einer Antifluoritstruktur kristallisiert und bei einer
stoffperoxid und Lithiumhydroxid sowie an- Temperatur von 1372 C schmilzt. In der Kristall-
schließendem Erhitzen wie folgt her (Holleman struktur ist jedes Lithiumion tetraedrisch von vier
et al. 2007, S. 1263): Sulfidionen umgeben, jedes Sulfidion dagegen
kubisch von acht Lithiumionen (Pandit et al.
LiOH þ H2 O2 ! LiOOH þ H2 O 2009). Lithiumsulfid kann man entweder aus den
2 LiOOH ! Li2 O2 þ H2 O2 in flüssigem Ammoniak bei 33 C gelösten Ele-
menten (Bergstrom 1926) oder durch Erhitzen
von Lithiumhydrogensulfid (Juza und Uphof
In reinstem Zustand ist die Verbindung farblos, 1956; Arkhipova et al. 2003) herstellen.
meist aber infolge eines geringen Gehaltes an Ver- Entwicklungen zur Produktion eines Lithium-
unreinigungen hellgelb und hydrolysiert in Wasser Schwefel-Akkumulators sind in vollem Gang. Li-
unter Bildung von Lithiumhydroxid und Wasser- thiumsulfid bildet sich bei völliger Entladung und
stoffperoxid. Im hexagonalen Kristallgitter ist ist in dem als Elektrolyt verwendeten organischen
eines der Lithiumionen von sechs Sauerstoffato- Solvens unlöslich. Ein möglicher Einsatz von Li-
men dreier Peroxidionen koordiniert, das andere thiumsulfid als fester Elektrolyt wird seit länge-
dagegen in oktaedrisch verzerrter Anordnung von rem geprüft; dann könnten platzsparende Batte-
je einem Sauerstoffatom von sechs Peroxidionen rien konstruiert werden (Minami et al. 2000).
(Cota und De la Mora 2005). Lithiumperoxid kann Halogenverbindungen Die Herstellung von
man zur Herstellung sehr reinen Lithiumoxids ver- Lithiumfluorid (LiF) erfolgt durch Reaktion einer
wenden, indem man es bei knapp 200 C zersetzt. wässrigen Lösung von Lithiumhydroxid oder
In Raumfahrzeugen setzt man es zur Sauerstoffver- -carbonat mit Flusssäure sowie darauf folgendem
sorgung der Astronauten ein, da es mit dem der Eindampfen und Trocknen (Holleman et al. 1995,
Atemluft entstammenden Kohlendioxid zu Sauer- S. 1151).
stoff und Lithiumcarbonat reagiert. Zudem ist es Das schwer in Wasser lösliche Lithiumfluorid
Bestandteil in Lithiumperoxid-Akkumulatoren. (Schneider und Kutscher 1974, S. 108) schmilzt
Lithiumhydroxid (LiOH) entsteht beim heftig bzw. siedet bei 845 C (Kojima et al. 1968) bzw.
erfolgenden Auflösen von Lithium in Wasser und 1680 C, hat die Dichte 2,64 g/cm3, kristallisiert
ist eine starke Base. Aus ihm stellt man „Lithium- in der kubischen Natriumchlorid-Struktur und ist
seifen“, also Lithiumsalze von Fettsäuren, her, die in Form von Einkristallen, als Pulver oder als
als Verdicker von Schmierfetten und -ölen auf Sputtertarget im Handel (s. Abb. 3a–d). Eine
petrochemischer Basis dienen, jedoch auch bei wässrige Lösung reagiert schwach alkalisch, und
der Produktion von Bleistiften eingesetzt werden. Lithiumfluorid bildet keine Hydrate.
Lithiumsulfid (Li2S) ist ein farbloser, brennba- Erwartungsgemäß sind die Werte für die Stan-
rer, hydrolyseempfindlicher und stark wasseran- dardbildungsenthalpie mit 620 kJ/mol und die
ziehender Feststoff der Dichte 1,64 g/cm3, der in Gitterenergie mit 1034 kJ/mol sehr hoch; letzte-
res ist, wie übrigens bei vielen anderen Metallfluo- Oppermann 1998). Eine wässrige, bis zu 30 %ige
riden auch, für die hohen Schmelz- und Siede- Lösung von Lithiumchlorid kann in Kältebädern
punkte der Verbindung verantwortlich (Holleman bis hinab zu Temperaturen von 70 C verwendet
et al. 1995, S. 1170). Das Material ist stark durch- werden. Für Enteisungsflüssigkeiten eignet sich
lässig vom ultravioletten bis hin zum infraroten das Salz prinzipiell sehr gut; dies ist aber wegen
Spektralbereich. Die schon erwähnten Einkristal- deren starker Korrosivität in vielen Ländern ver-
le der Verbindung (s. Abb. 3a) setzt man als boten.
Prismen in Infrarot-Spektrometern oder auch in Lithiumchlorid tötet wirksam die Varroamilbe,
Röntgengeräten als Monochromator ein (Krieger einen sehr gefährlichen Parasiten der Honigbiene
2012, S. 252), ebenso in Strahlungsdetektoren (Ziegelmann et al. 2018).
(Herforth und Frank 1963). Lithiumbromid (LiBr) lässt sich in gleicher
Das ebenfalls farblose (s. Abb. 4) Lithiumchlo- Weise aus wässriger Lithiumhydroxid- oder Li-
rid (LiCl) erhält man im technischen Maßstab fast thiumcarbonatlösung und Bromwasserstoffsäure
nur durch Umsetzung einer wässrigen Lösung herstellen. Das wasserfreie Salz ist durch kontrol-
von Lithiumcarbonat mit Salzsäure und anschlie- lierte Umsetzung von Lithiumhydrid mit Brom
ßendem Eindampfen und Trocknen im Vakuum. zugänglich. Jenes liegt in Form farbloser Kristalle
Die Verbindung ist ein sehr wirksames Trocknungs- (s. Abb. 5) vor, die bei 550 C schmelzen (Siede-
und Entfeuchtungsmittel, stark hygroskopisch und punkt der Schmelze: 1265 C) und eine Dichte
leicht in Wasser löslich (ca. 450 g/kg Lösung von 3,46 g/cm3 haben (Holleman et al. 1995,
bei 20 C). Das Salz schmilzt bzw. siedet bei S. 1170). Die Standardbildungsenthalpie ΔHf 0298
614 C bzw. 1360 C, hat die Dichte 2,07 g/cm3 von Lithiumbromid beträgt 351 kJ/mol.
und, verglichen mit dem Fluorid, eine niedrigere Das stark hygroskopische Salz ist in sehr gro-
Standardbildungsenthalpie ΔfH0298, die aber ßen Mengen in Wasser löslich; bis zu 60 %ige
immer noch bei 408,3 kJ/mol liegt. Das Lösungen sind herstellbar. Der Dampfdruck des
Monohydrat kristallisiert isotyp zum Lithium- Wassers in den wässrigen, hochkonzentrierten
bromid in einer Perowskit-Struktur (Hönner- Lösungen ist stark reduziert. Auch in Alkanolen
scheid et al. 2003). und Diolen ist Lithiumbromid gut löslich. In Ab-
Aus wässriger Lösung erhält man unterhalb hängigkeit von der Temperatur gibt es verschie-
von 98 C nur Hydrate. Diese kann man durch dene Hydrate des Lithiumbromids, wobei unter-
Zusatz von Thionylchlorid in das wasserfreie Salz halb von 4 C das Trihydrat, zwischen 4 und
überführen (Pray 1957). Jenes verwendet man in 44 C das Dihydrat und zwischen 44 und 159 C
der Schmelzflußelektrolyse zur Gewinnung me- das Monohydrat stabil sind. Das wasserfreie Salz
tallischen Lithiums. Auch setzt man Lithiumchlo- ist oberhalb von 159 C beständig.
rid als Flussmittel beim Schweißen und Löten ein, Einsatzgebiete sind unter anderem die als
in geologischen Untersuchungen als Tracer und Trocknungsmittel, die als Katalysator in organi-
beim Naßspinnen von Cellulose (Hermanutz und schen Synthesen, als Elektrolyt und als Flussmit-
tel zum Löten. Mit Abstand am wichtigsten sind Sonstige Verbindungen Lithiumnitrid (Li3N) ist
Lösungen von Lithiumbromid in Absorptionskäl- im reinen Zustand ein rotbraunes Pulver (s. Abb. 7)
temaschinen, in denen das Kältemittel Wasser ist. der Dichte 1,38 g/cm3, das bei 845 C schmilzt
Jenes verdampft man durch Zufuhr von Wärme und lediglich bei Ausschluss von Feuchtigkeit
unter verringertem Druck. Der Dampf wird von stabil ist. Im Kristallgitter der Verbindung bilden
der Lithiumbromidlösung absorbiert, aus der das die Lithiumionen hexagonale Ringe, in deren
aufgenommene Wasser nach einiger Zeit wieder Zentrum sich je ein Nitridanion befindet. Weitere
ausgetrieben wird (Herold et al. 1996). Lithiumionen sind oberhalb und unterhalb des
Wie seine Homologen ist auch Lithiumiodid (LiI) Stickstoffatoms angeordnet, so dass jedes Stick-
aus Lithiumcarbonat oder -hydroxid und der jewei- stoffatom von acht Lithiumkernen umgeben ist
ligen Halogenwasserstoffsäure, hier HI, herzustellen (Rabenau 1981, S. 12; Holleman et al. 1995,
(Holleman et al. 1995, S. 1151). Wasserfreies Lithi- S. 1153; Paetzold 2009, S. 636). Lithiumnitrid
umiodid kann elegant auch durch Reaktion von Iod bildet sich bei der Reaktion von Lithium mit Luft-
mit Lithiumhydrid in absolutem Diethylether erhal- stickstoff schon bei Raumtemperatur; es hydroly-
ten werden (Taylor und Grant 1955). Die farblosen siert leicht zu Lithiumhydroxid und Ammoniak.
Kristalle (s. Abb. 6) des wasserfreien Salzes Technisch stellt man es durch Reaktion der Ele-
(s. Abb. 6) schmelzen bereits bei einer Temperatur mente bei Temperaturen um 1000 C her. Poten-
von 446 C (Siedepunkt der Schmelze: 1180 C) ziell ist Lithiumnitrid als Speicher für Wasser-
und haben eine Dichte von 3,49 g/cm3. Das Trihy- stoffgas interessant, da die Wasserstoffatome
drat schmilzt bei 72 C; die Schmelze gibt oberhalb leicht ins Kristallgitter des Nitrids einzulagern
von 80 C zwei Moleküle und oberhalb von 300 C sind; allerdings tritt dieser Prozess erst oberhalb
das letzte Molekül Kristallwasser ab (Hüttig und von 250 C mit ausreichender Geschwindigkeit
Pohle 1924). Lithiumiodid ist hervorragend in Was- auf, dies ist für eine technische Anwendung aber
ser (1650 g/L (!) bei 20 C) und auch Ethanol noch prohibitiv (Löfken 2002; Chen et al. 2002).
löslich. Die Standardbildungsenthalpie ΔfH0298 Lithiumcarbid (Lithiumacetylid, Li2C2) ge-
des Salzes beträgt „nur noch“ 270,08 kJ/mol winnt man durch Reaktion von Lithium mit Koh-
(Herzberg 2000). An der Luft verfärben sich die lenstoff (Holleman et al. 1995, S. 1150). Höhere
Kristalle infolge Oxidation des Iodids zu Iod schnell Drücke begünstigen bei dieser Reaktion aus den
in Richtung eines bräunlichen Farbtons. Elementen die Bildung lithiumärmerer Carbide
Wasserfreies Lithiumiodid geht sowohl als wie LiC2 oder LiC4 (Zafar und Munshi 1995,
Katalysator als auch als Reaktionspartner in orga- S. 4309). Umgekehrt erhält man Lithiumacetylid
nische Synthesen, ist Elektrolyt in Lithium-Iod- durch Erhitzen einer pulverförmigen Mischung
Batterien (Trueb und Rüetschi 1998) und eines von Lithiumcarbonat mit Kohlenstoff. Ein weiterer
von mehreren möglichen Grundstoffen zur Szin- Reaktionsweg liegt in der Umsetzung von Phenyl-
tillationsdetektion von langsamen Neutronen lithium mit 1,2-Dichlorethan (Wittig und Harborth
(Nicholson 1955). 1944). Der Feststoff der Dichte 1,2 g/cm3 kristal-
lisiert isotyp zu Rubidium- und Cäsiumperoxid Ein schon länger bekanntes Lithiumborid
(Juza und Wehle 1965) orthorhombisch und hat (Li3B14) kristallisiert tetragonal und enthält im
die Dichte 1,2 g/cm3. Mit Wasser erfolgt Hydro- Kristallgitter kovalent verbundene B8- und B10-
lyse zu Lithiumhydroxid und Ethin. Cluster im Verhältnis 1:2; die Atome des Lithiums
Es sind mehrere Lithiumsilicide in der Literatur befinden sich in den dazwischen angeordneten
beschrieben, die in ihren Kristallgittern oft Clus- Kanälen. Die Bandlücke wurde zu ca. 2 eV
terstrukturen aufweisen und Zintl-Phasen darstel- berechnet und erklärt die halbleitenden Eigen-
len, also teils ionische, teils kovalente Bindungs- schaften der roten, transparenten und diamagneti-
anteile aufweisen und diamagnetische Halbleiter schen Kristalle (Bullett 1990).
sind. Die 7Li-NMR-Spektroskopie gibt Hinweise Die technisch wichtigste Lithiumverbindung
auf aromatische aus Siliciumatomen bestehende ist aber Lithiumcarbonat (Li2CO3), das im Gegen-
Ringe (Dupke et al. 2012). Beispiele für diese satz zum homologen Natrium- und Kaliumcarbo-
Verbindungen sind Li13Si4, Li22Si5, Li7Si3 und nat nur schwer wasserlöslich ist. Man stellt es aus
Li12Si7 (Okamoto 1990, 2009), die meist nur unter lithiumhaltigen Erzen, etwa Spodumen [LiAl-
Aufwendung hoher Energie, etwa in einer Kugel- Si2O6] und Solen her (Bertau et al. 2013). Man
mühle, hergestellt werden können. Eine mögliche zerkleinert das Erz, röstet es zwecks Entfernung
Anwendung für diese Verbindungsklasse sind etwaig vorhandener organischer Verunreinigun-
Lithiumbatterien. gen und schließt es mit Schwefelsäure auf. An-
Lithiumborsilicid (LiBSi2) wurde unter extre- schließende Zugabe von Natronlauge entfernt
men Reaktionsbedingungen (Temperatur: 900 C, Kationen höherer Oxidationszahlen weitgehend.
Druck: 10 GPa) im Rahmen eines Gemeinschafts- Der dann folgende Zusatz von Natriumcarbonat
projektes der Universität München mit den Uni- lässt Lithiumcarbonat aus der Lösung ausfallen,
versitäten Augsburg, Stockholm und Phoenix AZ man zentrifugiert oder filtriert es ab (Holleman
hergestellt. Das „tum“ (von: Technische Univer- et al. 1995, S. 1153). Im Fall stärker verunreinigter
sität München) genannte Kristallgitter enthält Erze muss die Behandlung mit Schwefelsäure und
Bor- und Siliciumatome jeweils tetraedrisch mit- danach folgend die mit Natronlauge wiederholt
einander koordiniert; die Lithiumionen sind in werden.
den durch die Bor- und Siliciumatome gebildeten Entweder kann man dieses bereits relativ reine
Röhren eingelagert. Das Material ist gegenüber Lithiumcarbonat im Vakuum trocknen und dann
Luftsauerstoff und Feuchtigkeit bis hinauf zu verpacken, oder man schließt einen weiteren Rei-
Temperaturen von 800 C beständig (Zeilinger nigungsschritt an, indem man in eine gerührte
et al. 2013). Aktuell prüft man das Material auf Suspension von Lithiumcarbonat Kohlendioxid
seine Verwendung als Anode in Lithiumionen- einleitet, worauf sich eine konzentrierte wässrige
Akkumulatoren. Lösung von Lithiumhydrogencarbonat bildet.
Eine neue allotrope Gruppe von Lithiumbori- Aluminium- und eisenhaltige Verunreinigungen
den, flache, aus Lithium- und Boratomen be- können daraus abgetrennt werden; danach erhitzt
stehende Gitter („Sheets“) wurden zusammen man die das sehr reine Lithiumhydrogencarbonat
mit den jeweiligen Nanoröhrchen hergestellt; sie enthaltende Lösung, worauf schließlich bei Tem-
enthalten Li2B5-Elementarzellen. Die aus der peraturen von knapp 100 C Lithiumcarbonat ent-
Anregung mit weichen Phononen resultierenden steht (Garrett 2004).
Daten bestätigten die dynamische Stabilität der Ähnlicher, aber billiger ist die Gewinnung aus
Struktur, die berechneten Elektronendichtevertei- natürlichen Solen wie beispielsweise südamerika-
lungen geben Hinweise auf Eigenschaften eines nischen Salzseen, die man durch Verdunstung auf-
Metalls. Sowohl Sheets als auch Nanoröhrchen konzentriert. Danach gibt man Natronlauge zu wie
können Wasserstoff in Mengen absorbieren, dass im Verarbeitungsgang der Erze beschrieben.
in beiden bis zu zwei H2-Moleküle um jedes Li- Lithiumcarbonat (s. Abb. 8a, b) kristalli-
thiumatom gruppiert sein können (Zhang et al. siert monoklin mit vier Formeleinheiten in der
2015). Elementarzelle, bei 350 C und 410 C durchläuft
20 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
Einkristalle des Materials gehen in Piezokristalle Eine Synthese aus den drei zugrunde liegenden
und optische Linsen. Elementen Lithium, Bor und Wasserstoff ist theore-
Aus Lithium- und Niob-V-oxid stellt man tisch möglich, funktioniert aber nur unter extremen
Lithiumniobat (LiNbO3) her, das unterhalb einer Bedingungen (650 C und 150 bar Wasserstoff-
Temperatur von 1213 C ferroelektrisch ist und druck) (Wietelmann und Hauk 2004). Im Labor-
daher in Bandpassfiltern, Lasern und anderen maßstab liefert auch das Einleiten von Bortrifluorid
elektronischen optischen Geräten eingesetzt wird in eine Lösung von Lithiumhydrid in absolutem
(Cabrera et al. 2004; Hsu et al. 1997; Wong 2002; Diethylether das gewünschte Produkt (Brauer
Lehnert et al. 1997). Es liegt in Form farbloser 1978, S. 793). Lithiumborhydrid ist ein sehr hydro-
Kristalle vor (s. Abb. 11a, c); auch in Form von lyseempfindlicher, hygroskopischer, brennbarer,
Sputtertargets ist es im Handel (s. Abb. 11b). weißer bis hellgrauer Feststoff (s. Abb. 13) der
Wasserstoffverbindungen Lithiumhydrid (LiH) Dichte 0,666 g/cm3, der bei 280 C schmilzt. Vor-
synthetisiert man durch Erhitzen von Lithium im wiegend reduziert man mit seiner Hilfe Ketone,
Wasserstoffstrom bei ca. 650 C. Man setzt es als Aldehyde, Ester und Epoxide.
Raketentreibstoff und als sehr schnell verfügbare Lithiumaluminiumhydrid ist ein farbloses Pul-
Quelle von Wasserstoff, zum Beispiel zum Auf- ver (s. Abb. 14) der Dichte 0,92 g/cm3, das schon
pumpen von Rettungswesten, ein. Das farblose, bei 125 C unter Zersetzung schmilzt und mono-
kristalline Lithiumhydrid (s. Abb. 12) hat eine klin kristallisiert; im Gitter ist ein Li+-Ion jeweils
Dichte von 0,75 g/cm3 und schmilzt bei 688 C. von fünf (AlH4)-Tetraedern umgeben (Løvvik
Mit Säuren und Wasser reagiert es unter Freiset- et al. 2004). Durch Wasser wird es in heftiger
zung von Wasserstoff; Aldehyde und Ketone Reaktion zu Wasserstoff, Lithium- und Alumi-
reduziert es zu den jeweiligen Alkanolen. Beim niumhydroxid hydrolysiert. Der thermische
Erwärmen des Materials im Stickstoffstrom ent- Abbau bei Temperaturen um 600 C führt schließ-
stehen Lithiumnitrid und Wasserstoff. Erhitzt man lich zur Bildung einer aus Lithium und Alumi-
Lithiumhydrid auf Temperaturen um 950 C, so nium bestehenden Legierung unter Abspaltung
zersetzt es sich in die Elemente. von Wasserstoff (Wietelmann 2014). Im Labor
Lithiumdeuterid (LiD) stellt man entsprechend stellt man Lithiumaluminiumhydrid durch Sus-
durch Überleiten von Deuterium über flüssiges pendieren von Lithiumhydrid und Aluminium-
Lithium her. Es ist ein wichtiger Bestandteile der
Wasserstoffbombe, da so große Mengen an Deu-
terium gespeichert und dessen Umwandlung in
bzw. Fusion mit Tritium bzw. dessen Kernen
wesentlich begünstigt wurde.
Oft als Reduktionsmittel eingesetzt werden die
bei Raumtemperatur ebenfalls festen Verbindungen
Lithiumborhydrid (LiBH4) oder Lithiumaluminium-
hydrid (LiAlH4). Am günstigsten stellt man Li-
thiumborhydrid aus Natriumborhydrid und Lithi-
umbromid her (Rittmeyer und Wietelmann 2002). Abb. 12 Lithiumhydrid (Onyxmet 2019)
Abb. 11 a Lithiumniobat
(Stanford Advanced
Materials 2019).
b Lithiumniobat
Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019). c Lithiumniobat
(Onyxmet 2019)
22 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
chlorid in wasserfreienm Diethylether her (Fin- Aus Quecksilberalkylen sind sie zwar theore-
holt et al. 1947). Das als eines der Produkte der tisch auch darstellbar; diese Route spielt wegen
Reaktion ausfallende Lithiumchlorid filtriert man der Beteiligung giftiger Quecksilberverbindungen
ab und zieht dann den Ether im Vakuum ab. Als technisch aber keine Rolle.
Rückstand verbleibt Lithiumaluminiumhydrid: Lithiumalkyle reagieren mit Wasser explosi-
onsartig, sie sind dermaßen empfindlich auch
4 LiH þ AlCl3 ! LiAlH4 þ 3 LiCl # gegenüber Spuren von Feuchtigkeit, dass sie sich
mit Lösungsmitteln, die nicht völlig getrocknet
Im technischen Maßstab setzt man das aus wurden, sofort unter Bildung des Alkans und Li-
Natrium, Aluminium und Wasserstoff bei höherer thiumhydroxids umsetzen. Ebenso scheiden Lö-
Temperatur und unter Druck erhältliche Natrium- sungsmittel aus, deren Moleküle dissoziations-
aluminiumhydrid in inertem Lösungsmittel mit fähige, also saure Protonen aufweisen (selbst
Lithiumchlorid um (Holleman et al. 2007). Tetrahydrofuran f ällt hierunter!) Lithiumalkyle
Als starkes Reduktionsmittel wird Lithium- sind an der Luft selbstentzündlich, so dass Reak-
aluminiumhydrid in der organischen Chemie ver- tionen mit ihnen nur in einwandfrei getrockneten
breitet bei Reduktionen angewandt, da es sehr Solventien sowie unter inertem Schutzgas mög-
selektiv nahezu alle Doppel- und Dreifach- lich sind. Die Moleküle der Lithiumalkyle liegen
Bindungen zwischen Kohlenstoff- und Heteroato- im Feststoff meist oligomer zusammengeschlos-
men reduziert (z. B. =C=O oder -CN), nicht sen vor. Mit ihnen führt man Alkylierungen, De-
aber C=C- und CC-Bindungen. Seine Einsatz- protonierungen oder Metallierungen durch.
möglichkeit reicht unter anderem von der Re-
aktion von Nitroverbindungen, Amiden (Park Anwendungen
und Simmons 1974; Seebach et al. 1983), Azi- Lithiummetall Meist setzt man Lithium in Form
den oder Oximen (Chen et al. 2005) zu primären seiner Verbindungen ein. Metallisches Lithium
5 Einzeldarstellungen 23
nutzt man zur Produktion organischer Lithium- anderem bei der Alzheimer-Krankheit auftreten
verbindungen wie Lithiumhydrid, Lithiumalumi- (McBride et al. 2010).
niumhydrid und Lithiumamid, die man nicht Vor wenigen Jahren durchgeführte Untersu-
direkt aus Lithiumcarbonat herstellen kann. chungen zeigten, dass ein höherer Gehalt an
Lithium wirkt stark reduzierend und dient daher Lithium im Trinkwasser lebensverlängernd wir-
unter anderem in der Metallurgie als Mittel zur ken kann (Zarse et al. 2011).
Entfernung störender Nichtmetalle aus Metall-
schmelzen. Man legiert Lithium auch anderen
Metallen zu, um etwa deren Zugfestigkeit, Härte Patente
und Elastizität zu erhöhen. So enthält das vor (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
allem aus Blei bestehende Bahnmetall 0,04 % wide.espacenet.com)
Lithium. Da lithiumhaltige Legierungen sehr
leicht sind, findet man sie oft in der Luft- und A. Zhamu und B. Z. Jang, Protected parti-
Raumfahrttechnik. In wiederaufladbaren Lithium- cles of anode active material, lithium
Ionen-Akkus dient z. B. Lithium-Kobaltoxid als secondary batteries containing same
Kathode und Grafit oder andere Lithiumionen ein- and method of manufacturing (Nanotek
lagernde Verbindungen als Anode. Instruments Inc., WO 2019036164 A1,
In der Medizin Lithiumsalze setzt man bei psy- veröffentlicht 21. Februar 2019)
chischen Erkrankungen (Depressionen, Manien) J. Fukazawa und T. Hata, Method for produ-
ein („Lithiumtherapie“). Solche Verbindungen cing lithium vanadium phosphate (Nip-
bewirkten, zunächst in Tierversuchen, eine schwä- pon Chemical Ind., WO 2019035322 A1,
chere Wahrnehmung äußerlicher Reize, verursa- veröffentlicht 21. Februar 2019)
chen aber keine Müdigkeit (Cade 1949). In den F. Dai und L. Yang, Lithium metal battery
1950er-Jahren an Menschen durchgeführte Versu- with hybrid electrolyte system (GM Global
che (Schou 2001) öffneten der Lithiumtherapie Technology Operations LLC, US 20190
die Türen. Die Bandbreite der Dosis ist von 58210 A1, veröffentlicht 21. Februar 2019)
0,6–1,1 mmol/l aber relativ schmal; bei Über- K. H. Ahn und S. J. Park, Polymer electro-
schreiten der Dosis können schwere Nebenwir- lyte and lithium secondary battery inclu-
kungen wie Zittern, Starre, Übelkeit, Herz- ding the same (LG Chemical Ltd., US
rhythmusstörungen und Leukozytose auftreten. 2019058217 A1, veröffentlicht 21. Fe-
Lithiumionen verdrängen die des Natriums teil- bruar 2019)
weise und führen unter Umständen zu Diabetes S. Xia und H. Li, Silicon negative material,
und anderen schweren Stoffwechselstörungen. silicon negative material preparation
Die Rolle von Lithiumverbindungen als mögli- method, negative electrode plate, and
ches Psychopharmakon wird noch untersucht lithium ion battery (Huawei Technolo-
(Schrauzer und Shrestha 1990; Berridge 1984; Car- gies Co., Ltd., US 2019051894 A1, ver-
ney et al. 1985; Williams et al. 2004). Aktuell führt öffentlicht 14. Februar 2019)
man deren antidepressive Wirkung darauf zurück, T. Park und D. K. Yang, Electrolyte for
dass sie die Ausschüttung des „Glückshormons“ lithium secondary battery and lithium
Serotonin verstärken, und die antimanische mit secondary battery comprising same
der Hemmung bestimmter Dopamin-Rezeptoren (LG Chemical Ltd., US 2019051940
(Woggon 1998). Darüber hinaus beeinflussen sie A1, veröffentlicht 14. Februar 2019)
endogene Rhythmen wie beispielsweise den Schlaf- L. R. Swonger und E. Bodoin, High Purity
Wach-Rhythmus (Hafen und Wollnik 1994; lithium and associated processes (Alpha
Bünning und Moser 1972). An der Taufliege Energy Corp., US 2019051885 A1, ver-
(Drosophila melanogaster) beobachtete man, dass öffentlicht 14. Februar 2019)
Lithiumverbindungen auch gegen Vergesslichkeit
(Fortsetzung)
zu verwenden sind, als Symptomen, wie sie unter
24 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
R. Fukuta und K. Kojima, Lithium-ion secon- nommen, Sauerstoff den Säuren ihre
dary battery (Hitachi Chemical Co., charakteristischen Eigenschaften verleiht.
US 2019051927 A1, veröffentlicht 14. Durch Anwendung des Verfahrens der
Februar 2019) Schmelzflusselektrolyse stellte er als Erster
die Elemente Natrium, Kalium, Magnesi-
um, Calcium, Strontium und Barium dar.
Nachdem er 1812 für seine Verdienste
5.3 Natrium um die Chemie in den Adelsstand versetzt
wurde, legte Davy seine Professur in Lon-
Geschichte Der Name des Elements geht auf die don nieder und bestimmte Brande (Kurz-
Ägypter zurück, die aus Salzseen Soda (Natrium- biografie siehe „Lithium“) und später Fara-
day zu seinen Nachfolgern. Ab 1813 reiste
carbonat) gewannen und dieses „netjerj“ nannten.
er intensiv durch Kontinentaleuropa. Von
Der Name wandelte sich bei den Römern in „ni-
1820 bis 1827 war Davy auch Präsident
trium“ und bei den Arabern in „natrun“. Natrium-
der Royal Society, litt jedoch damals schon
salze sind also schon sehr lange bekannt, man
unter seiner durch viele chemische Versu-
gewann sie aus Seen bzw. Meerwasser oder che geschädigten Gesundheit. 1829 ver-
förderte sie aus Lagerstätten auf dem Festland. starb er im Alter von 50 Jahren in Genf,
Natriumchlorid (Kochsalz) ist davon die wich- wo er auch beigesetzt wurde (Fullmer
tigste Verbindung, die man nicht nur durch Ein- 1969; Ostwald 1974; Tshisuaka 2005).
dunsten von Meer- oder Salinenwasser produ-
zierte, sondern auch in Bergwerken wie etwa im
Raum Bad Reichenhall oder Salzburg. Daneben Vorkommen Hinsichtlich des Vorkommens in
waren noch Natriumcarbonate (Soda bzw. Na- der Erdkruste steht Natrium mit einem Anteil
tron) und auch Natriumnitrat von Bedeutung. von 2,36 % an sechster Stelle (Wedepohl 1995).
Die erstmalige Darstellung elementaren Na- Da es sehr reaktiv ist, tritt es nur in Form seiner
triums erfolgte erst 1807 durch Davy, indem er Verbindungen auf und niemals elementar. In
geschmolzenes Natriumhydroxid elektrolysierte. Meerwasser sind Na+-Ionen in einer durchschnitt-
(Analog isolierte er im gleichen Jahr unter lichen Konzentration von 0,1 % enthalten (Holle-
Anwendung desselben Verfahrens durch Schmelz- man et al. 2007).
flusselektrolyse von Pottasche auch Kalium.) Na- Mineralisch findet sich Natrium in der Natur in
trium nannte er nach seiner Herkunft aus Soda Form großer Lagerstätten von Natriumchlorid, die
„Sodium“; dieser Name ist bis heute im englisch- auch die bedeutsamste Quelle zur Gewinnung von
und französischsprachigen Raum gültig, obwohl Natrium und seinen Verbindungen sind. Bekannte
der von Berzelius 1811 vorgeschlagene Name Produktionsorte dieses „Steinsalzes“ sind in Deutsch-
„Natrium“ mindestens ebenso weit verbreitet ist. land Salzgitter, Bad Reichenhall, Berchtesgaden
Kalium dagegen nannte Davy „Potassium“; auch und Stade. Daneben findet sich Natrium in Feld-
diesen Namen haben nur Engländer und Franzo- späten wie Albit (Natronfeldspat, NaAlSi3O8)
sen übernommen. und Oligoklas [(Na, Ca)Al(Si, Al)3O8].
In einigen trockenen Gegenden der Erde
kommt das gut wasserlösliche Natriumnitrat
(NaNO3, Chilesalpeter) in Form größerer Lager-
Der englische Chemiker Sir Humphry
stätten (Atacamawüste, Chile) vor. Dort wurde es
Davy (* 17. Dezember 1778 Penzance;
vor etwa 100 Jahren in großen Mengen abgebaut
† 29. Mai 1829 Genf) arbeitete von 1802
bis 1812 als Professor für Chemie an und nach Europa verschifft, da es ein wichtiger
der Royal Institution in London. Er er- Ausgangsstoff zur Herstellung von Sprengstof-
kannte Chlor als Element und zeigte, dass fen und Düngern war. Ein anderes, großtech-
Wasserstoff und nicht, wie bis dahin ange- nisch abgebautes Mineral ist Natriumcarbonat
5 Einzeldarstellungen 25
(Na2CO3 10 H2O, Soda), das meist in die schmelze oberhalb der Kathode auf, von wo es
Produktion von Gläsern geht. Schließlich ist durch ein gekühltes Steigrohr aus der Zelle entfernt
Kryolith (Na3AlF6) zu nennen, dessen natürliche wird. Das bei der Elektrolyse mit entstandene Cal-
Vorkommen in Grönland schon erschöpft sind, cium, das einen wesentlich höheren Schmelzpunkt
und den man heute synthetisch herstellt, da große als Natrium besitzt, kristallisiert an der Kathode
Mengen davon als schmelzpunktsenkender Zu- aus und fällt in die Schmelze zurück.
schlag bei der Schmelzflusselektrolyse von Alu- Das vor Einführung der Schmelzflusselektro-
minium gebraucht werden. lyse von Natriumchlorid angewandte Castner-
Im Weltall zählt Natrium ebenfalls zu den häu- Verfahren basierte auf der Schmelzflusselektro-
figeren Elementen (Cameron 1970); die gelbe lyse von Natriumhydroxid (NaOH). Es war aber
Natrium-D-Spektrallinie kann oft im von Sternen trotz des niedrigeren Schmelzpunktes von Natri-
ausgestrahlten Licht nachgewiesen werden. umhydroxid (318 C) teurer im Betrieb. Im Ge-
gensatz dazu gewinnt man bei Anwendung des
Gewinnung Das Ausgangsmaterial für die Her- Downs-Verfahrens auch noch Chlor, was dieses
stellung metallischen Natriums ist meist Koch- Verfahren auch heute immer noch am preisgüns-
bzw. Steinsalz (Natriumchlorid, NaCl), das man tigsten macht.
entweder bergmännisch in Salzstöcken abbaut
oder aber durch Verdunsten salzhaltiger Lösungen Eigenschaften Unter Normalbedingungen ist
wie Meerwasser gewinnt. Man nutzt aber nur Natrium ein weiches, silberglänzendes und sehr
einen kleinen Anteil des Natriumchlorids, um reaktives Leichtmetall. Daher bewahrt man kleine
daraus Natrium zu produzieren. Den größten Teil Mengen unter Paraffinöl oder Petroleum auf, grö-
verwendet man direkt als Speisesalz, es wird ßere Mengen in luftdicht verschlossenen Stahlfäs-
abgefüllt, verpackt und geht in den Handel. Nur sern.
einen kleineren Anteil setzt man zur Herstellung Physikalische Eigenschaften: Das kubisch-
anderer Verbindungen des Natriums ein. raumzentriert kristallisierende Natrium (Schubert
Technisch wendet man zur Herstellung metalli- 1974) steht mit seinen Eigenschaften zwischen
schen Natriums das Downs-Verfahren zur Elektro- Lithium und Kalium. Es schmilzt bei einer Tem-
lyse geschmolzenen Natriumchlorids an. Die Downs- peratur von 97,82 C (s. Tab. 3), im Vergleich
Zelle ist ein feuerfest ausgekleideter Eisenkessel, in dazu Lithium bei 180,54 C und Kalium bei
den von unten eine Anode aus Grafit hereinragt. Zur 63,6 C). Analog verhält es sich bei den Siede-
Ableitung des bei der Elektrolyse gebildeten Chlors punkten und den spezifischen Wärmekapazitäten.
ist die Anode von einer Glocke aus Eisenblech Natrium, Lithium und Kalium sind die einzigen
überdeckt, von der als Diaphragma ein ringförmiges Metalle mit einer Dichte von <1 g/cm3. Inner-
Drahtnetz herabhängt. Eine Eisenkathode umgibt halb der Gruppe der Alkalimetalle nimmt die
ebenfalls ringförmig die Grafitanode und das Dia- Härte von niedrigen zu hohen Ordnungszahlen
phragma. Die Kathode ist von dem rinnenförmigen stets ab; diesem Trend folgt auch Natrium, das
Rand der Eisenblech-Glocke überdeckt. Den hohen mit einer Mohs-Härte von nur 0,5 weicher als
Schmelzpunkt des Salzes (801 C) senkt man in der Lithium ist.
Regel durch Zusatz von Calciumchlorid, das in der Im gasförmigen Zustand existieren einzelne
Schmelze mit 60 Gew.-% enthalten ist. Dieses Atome und auch Dimere (Na2); am Siedepunkt
eutektische Gemisch schmilzt bereits bei einer (890 C) liegen immerhin noch 16 % der Atome in
Temperatur von 580 C; die Zelle selbst betreibt Form von Dimeren vor. Der Dampf ist gelb und
man mit einer Spannung von 7 V (Holleman et al. erscheint in der Durchsicht purpurfarben.
2007) und Stromstärken von rund 35.000 A. Zur Mit Kalium bildet Natrium tiefschmelzende
Herstellung eines kg Natrium ist eine Stromleis- Legierungen, die oft bei Raumtemperatur flüssig
tung von ca. 12 kWh erforderlich. sind. Das Eutektikum (77 Gew.-% K, 23 Gew.-%
Das im Lauf der Elektrolyse gebildete, spezi- Na) schmilzt bei einer Temperatur von 12,6 C
fisch leichte Natrium schwimmt auf der Salz- (Van Rossen und Van Bleiswijk 1912).
26 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
oxid ausfällen (Penneman 1950). Im Reinzustand sich schnell und in großer Menge unter starker
ist Natriumperoxid farblos, meist aber infolge Freisetzung von Wärme zu Natronlauge auf
eines geringen Gehalts an Verunreinigungen gelb- (pH 14 bei c=1 mol/l). Es ist in wässriger Lösung
lich (s. Abb. 16). Thermisch ist die Verbindung stets vollständig dissoziiert.
überraschend beständig und schmilzt bei 675 C Unterhalb einer Temperatur von 299,6 C
fast unzersetzt. Mit Wasser reagiert das stark besitzt α-Natriumhydroxid orthorhombische Kris-
hygroskopische Natriumperoxid zu Wasserstoff- tallstruktur, darüber in seiner β-Modifikation
peroxid und Natriumhydroxid (Holleman et al. monokline. Die Ionen des Natriums und Sauer-
2017, S. 602). stoffs bilden dabei der Natriumchloridstruktur
Das hexagonal kristallisierende Natriumper- ähnliche Doppelschichten mit jeweilig abwech-
oxid (Blachnik 1998, S. 614) kann mit leicht oxi- selnder Aufeinanderfolge in x-y-Richtung (Stehr
dierbaren Stoffen wie Grafit- oder Aluminiumpul- 1967). Es existieren außerdem mehrere Hydrate
ver explosionsartig reagieren. Man verwendet es (Hart et al. 2013; Mootz und Seidel 1990; Mootz
technisch als Bleichmittel, vor allem in der Papier- et al. 1994). Mit dem in der Luft enthaltenen
und Textilindustrie. Als Absorber für Kohlendi- Kohlendioxid reagiert es unter Bildung von Na-
oxid und Sauerstofflieferant wird es oft in Unter- triumcarbonaten und muss daher in luftdicht ver-
seeboten und Flugzeugen eingesetzt, auch wenn schlossenen Behältern aufbewahrt werden.
man in Raumfahrzeugen wegen seines geringeren Natronlauge reagiert mit Schwefelwasserstoff
Gewichts Lithiumperoxid bevorzugt. In der orga- zu einem Gemisch von Natriumsulfid (Na2S)
nischen Synthese wird es als relativ selektives, und Natriumhydrogensulfid (NaHS). Aus dieser
aber an einzelnen Atomen bzw. Atomgruppen Lösung kann man das Natriumsulfid durch Trock-
stark oxidierend wirkendes Agens eingesetzt, nen im Exsikkator über Schwefel- oder Phosphor-
wie zu Herstellung von Methansulfonsäure säure bis zu einem Gehalt von 96 % aufkonzen-
(Mukhopadhyay und Bell 2005) oder der Epoxi- trieren; die restlichen 4 % entfallen auf Wasser.
dierung α,β-ungesättigter Carbonylverbindungen Dieser letzte Wasseranteil kann nur noch durch
(Reddy et al. 2005). Erhitzen auf eine Temperatur von 700 C im Was-
Natriumhydroxid (NaOH) ist industriell außer- serstoffstrom entfernt werden.
ordentlich wichtig. Die wässrige Lösung von Ein reineres Produkt liefert die Reaktion von
Natriumhydroxid ist Natronlauge, die man in un- Natrium mit Schwefel in wasserfreiem, verflüs-
zähligen Anwendungen einsetzt. Sie wird unter sigten Ammoniak (Also und Boudjouk 1992).
anderem zur Herstellung von Seife und Farbstof- Hydratisiertes Natriumsulfid (Na2S 9 H2O) ist
fen als auch zum Aufschluss von Bauxit bei der im reinen Zustand ein farbloser (s. Abb. 18), kris-
Produktion von Aluminium verwendet. Natrium- talliner, nach faulen Eiern riechender Feststoff der
hydroxid schmilzt bzw. siedet bei Temperaturen Dichte 1,86 g/cm3, der bei 1180 C schmilzt. Die
von 323 C bzw. 1390 C. Die Verbindung ist ein wasserfreie Substanz ist geruchlos. Schon bei
weißer hygroskopischer Feststoff (s. Abb. 17) und Kontakt zu schwachen Säuren – hierzu reicht das
gehört zu den stärksten Basen. In Wasser löst es in der Atemluft enthaltene Kohlendioxid – setzt
5 Einzeldarstellungen 29
die Verbindung giftigen Schwefelwasserstoff frei. mal zur Synthese organischer Tellurverbindungen
Fein verteiltes, kristallwasserfreies, Natriumsulfid
(Wilkinson et al. 1995).
reagiert heftig mit Oxidationsmitteln (Kaliumper-
Halogenverbindungen Natriumfluorid (NaF) ist
manganat oder -dichromat) und löst sich leicht in ein weißer bis grünstichiger Feststoff (s. Abb. 20a, b)
Wasser unter Bildung einer stark alkalisch reagie-
der Dichte 2,78 g/cm3, der bei 993 C schmilzt
renden Lösung. Man verwendet Natriumsulfid
(Siedepunkt der Schmelze: 1704 C) (Holleman
unter anderem als Enthaarungsmittel in der
et al. 1995, S. 1170). Man stellt Natriumfluorid
Gerberei, in Synthesen als Reduktionsmittel, zur
durch Umsetzung von Flusssäure mit Natronlauge
Flotation und in der Abwasserbehandlung zur
(I) oder Natriumcarbonat (II) her:
Fällung toxischer Schwermetallionen.
Natriumselenid (Na2Se) gewinnt man durch
(I) NaOH þ HF ! NaF þ H2 O
Reaktion von in flüssigem Ammoniak gelösten
Natrium mit Selen (Brauer 1975, S. 415) als hy-
groskopisches, braunes bis rotes (s. Abb. 19), (II) Na2 CO3 þ 2 HF ! 2 NaF þ CO2 " þ H2 O
gegenüber Hydrolyse empfindliches Pulver der
Dichte 2,63 g/cm3, das in wasserfreiem Zustand
bei 875 C schmilzt. Bei Einsatz überschüssigen Im Unterschied zu Natriumchlorid ist die Ver-
Selens werden graue Polyselenide [Natriumdise- bindung für den Menschen und viele Tierarten
lenid (Na2Se2), Natriumtriselenid (Na2Se3)] usw. giftig (tödliche Dosis für einen Erwachsenen:
gebildet, die gleichfalls leicht hydrolysieren (Mal- 1–10 g). Ursache ist die starke Bindung des Fluo-
liakas 2008, S. 5; Wirth 2000, S. 60). ridanions an die Eisenatome eisenhaltiger En-
Natriumselenid, das auch in organischen zyme, die so infolge Komplexbildung blockiert
Synthesen eingesetzt werden kann (Back 1999, und unwirksam gemacht werden. Natriumfluorid
S. 116), kristallisiert kubisch im Anti-Calcium- kristallisiert wie Natriumchlorid kubisch und ist
fluorid-Typ (Kleber und Bohm 1998, S. 142). durchlässig für IR- und UV-Licht. Seine Löslich-
Säuren setzen aus Natriumselenid giftigen Selen- keit in Wasser ist sehr gering. Man verwendet es
wasserstoff frei. als Holzschutzmittel, zum Konservieren von
Natriumtellurid (Na2Te) ist entsprechend Klebstoffen, als Trübungs- und Flussmittel bei
durch Zugabe pulverförmigen Tellurs zu einer der Herstellung von Glas sowie in der Metallurgie
Lösung von Natrium in flüssigem Ammoniak er- als schlackenbildenden Zusatz. Einkristalle setzt
hältlich, wobei auch hier auf Ausschluß von Luft man als Material für Linsen und Prismen in Ana-
und Feuchtigkeit zu achten ist (Brauer 1975, lysegeräten ein. Wichtig war in der Vergangenheit
S. 431). Der farb- und geruchlose Feststoff der die Verwendung als Fluoridierungsmittel für
Dichte 2,90 g/cm3 schmilzt bei einer Temperatur Trinkwasser, und das bei der Anreicherung von
von 953 C und ist sehr empfindlich gegenüber Uran als Zwischenprodukt dienende Uranhexa-
Luftsauerstoff und -feuchtigkeit. Seine Kristall- fluorid (UF6) kann durch Zusatz von Natriumfluo-
struktur ist kubisch; Natriumtellurid dient manch- rid gereinigt werden.
30 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
serstoffsäure bewirkt, dass wässrige Lösungen wesentlich höher (1840 g/L bei 20 C). In flüssi-
des Salzes schwach sauer reagieren. Die Bildung gem Ammoniak besteht bei 33 C eine ebenfalls
von Natriumbromid ist mit einer Standardbil- beträchtliche Löslichkeit (1620 g/L), auch in
dungsenthalpie ΔHf 0298= 360 kJ/mol stark polar-protischen und auch dipolar-aprotischen
exotherm, wenngleich auch geringer als die des Lösungsmitteln löst sich Natriumiodid gut (Hol-
Chlorids oder Fluorids. Die Löslichkeit des Sal- leman et al. 1995, S. 1170).
zes in Wasser ist hauptsächlich aufgrund der Man verordnet Natriumiodid zur Vorsorge
niedrigeren Gitterenergie dagegen entsprechend gegen Iodmangel und die durch diesen bedingte
deutlich größer (905 g/L bei 20 C). Bildung eines Kropfs; oft enthält daher handels-
Im Labor kann man durch Einleiten von Chlor- übliches Speisesalz schon geringe Mengen an
gas in eine wässrige Lösung von Natriumbromid Natriumiodid. Man verwendet mit den radioakti-
Brom darstellen und nutzt diese Reaktion auch ven Isotopen 12353I und 13153I dotiertes Natri-
analytisch zum Nachweis wasserlöslicher Bro- umiodid zur Szintigrafie der Schilddrüse.
mide (Jander et al. 1995, S. 281; Yoffe et al. Natriumiodid setzt man bei der in Aceton oder
2013). Früher nutzte man die Verbindung als ähnlichen geeigneten Lösungsmitteln durchge-
Beruhigungsmittel, ist davon aber wegen der führten Finkelstein-Reaktion zur Bildung von Iod-
Nebenwirkungen des Natriumbromids schon lan- aus Chloralkanen ein:
ge abgegangen.
Natriumiodid (NaI) ist ebenfalls ein weißes, NaI þ R Cl ! NaCl # þ RI
kristallines Salz (s. Abb. 23), das bei 661 C
schmilzt (Siedepunkt der Schmelze: 1304 C) Natriumchlorid hat eine nur geringe Löslich-
und eine Dichte von 3,67 g/cm3 aufweist. Ver- keit, fällt aus dem Lösungsmittel aus und hilft so,
schiedene Darstellungswege sind möglich, so das Gleichgewicht der Reaktion in Richtung der
der aus Natronlauge und Iodwasserstoffsäure Bildung des Iodalkans zu verschieben.
(I) oder der aus Natriumcarbonat und Eisen-II, Pnictogenverbindungen Das sehr instabile
III-iodid (II): Natriumnitrid (Na3N) schmilzt bereits bei 87 C
unter Zersetzung in die Elemente, hat die Dichte
(I) 2 NaOH þ 2 HI ! 2 NaI þ H2 O 1,84 g/cm3 und ist ein dunkelblauer Feststoff
(Steudel 2008, S. 310). Die Verbindung kristalli-
(II) 4 Na2 CO3 þ Fe3 I8 þ 16 H2 O ! siert in lockerer Ionenpackung im kubischen Anti-
8 NaI 2 H2 O þ Fe3 O4 # þ 4 CO2 " Rhenium-VI-oxid-Typ (Niewa 2002); die jeweili-
gen Gegenionen sitzen hier ausschließlich mittig
auf den Kanten eines kubisch primitiven Gitters.
Gegenüber Natriumbromid ist die Standardbil-
Konnte Natriumnitrid früher nur durch kontrol-
dungsenthalpie mit 288 kJ/mol nochmals redu-
lierten thermischen Abbau von Natriumazid oder
ziert, auch die Gitterenergie ist geringer. Demzu-
durch dessen Reaktion mit elementarem Natrium
folge ist die Löslichkeit in Wasser nochmals
erzeugt werden (Wattenberg 1930), so sind kleine
Mengen inzwischen auch durch Reaktion von auf
ein Substrat aufgebrachte Schichten elementaren
Natriums mit flüssigem Stickstoff und folgen-
dem Erwärmen des so behandelten Substrates
auf 20 C zugänglich.
Natriumphosphid (Na3P) ist durch Reaktion
von Natrium mit rotem Phosphor unter Argon
darstellbar (Brauer 1975, S. 960). Die Verbindung
ist sehr empfindlich sowohl gegenüber Luftsau-
erstoff als auch Feuchtigkeit. Der rote Feststoff
Abb. 23 Natriumiodid (Onyxmet 2019) schmilzt bei 650 C, hat die Dichte 1,74 g/cm3
32 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
und kristallisiert hexagonal mit grafitähnlich auf- zugänglich, und die Reaktion von Carbonsäuren
gebauten, eine negative Gesamtladung tragenden mit Natriumazid in stark saurem Medium bei-
Schichten aus abwechselnd aufeinander folgen- spielsweise liefert über die intermediär gebildete
den Na+- und P3 -Ionen sowie zwischen diesen Stickstoffwasserstoffsäure nach Schmidt das um
Schichten befindlichen, nur aus Na+-Ionen beste- ein Kohlenstoffatom ärmere Amin. Nach Curtius
henden Schichten. stellt man Alkylisocyanate durch Umsetzung von
Das braunviolette Natriumarsenid (NaAs) ist Natriumazid mit Carbonsäurehalogeniden her.
durch Überleiten von Natriumdampf auf Arsen Analytisch setzt man Natriumazid in Kombi-
unter verringertem Druck bei etwa 200 C erhält- nation mit Iod zum relativ spezifischen Nachweis
lich (Hart et al. 2013, S. 439), hat eine Dichte von von Thiolen und anderen organischen Thiover-
2,36 g/cm3 (Auner et al. 1996) und kristallisiert bindungen ein (Iod-Azid-Reaktion). Schon Spu-
hexagonal in noch nicht völlig aufgeklärter Struk- ren acider Protonen der Schwefelverbindungen
tur (Beister et al. 1990; Smith 2013, S. 559; Dou- erzeugen im Analysengemisch zwischenzeitlich
glas und Ho 2007, S. 323; Hafner und Range Stickstoffwasserstoffsäure, die mit Iod sofort
1994; Songster und Pelton 1993). Die Verbindung unter Bildung von Iodwasserstoff und Stickstoff
muss unter Luftausschluss gehandhabt werden, da reagiert; die Lösung entfärbt sich (Holleman et al.
sie bereits bei Kontakt mit Wasser bzw. Luftfeuch- 2007, S. 681). Ferner sterilisiert man mit Natri-
tigkeit giftigen Arsenwasserstoff entwickelt. umazid Laborgeräte sowie gegenüber einem Befall
Natriumazid (NaN3) erhält man beim Leiten von durch Mikroorganismen empfindliche Proben.
Distickstoffoxid auf geschmolzenes Natriumamid Auf Säugetiere und auch den Menschen wirkt
bei Temperaturen um 180 C nach (I); als Neben- Natriumazid schon in geringer Menge toxisch, da
produkt fällt Ammoniak an, das durch Hydrolyse Azidionen die in einigen Enzymen enthaltenen
des erhitzten Natriumamids mit dem bei der Schwermetallionen durch Bildung von Komple-
Reaktion gebildeten Wasserdampf entsteht (II): xen blockieren und zudem wie Kohlenmonoxid
die Aufnahme von Sauerstoff im Blut hemmen.
(I) NaNH2 þ N2 O ! NaN3 þ H2 O Natriumamid (NaNH2) ist ein grauweißer
(s. Abb. 24), nach Ammoniak riechender Fest-
(II) NaNH2 þ H2 O ! NaOH þ NH3 stoff, den man im Labor aus in flüssigem Ammo-
niak gelöstem Natrium in Gegenwart von Fe3+-
Ionen als Katalysator herstellen kann:
Natriumazid ist außerdem durch Erhitzen einer
geschmolzenen, aus Natriumamid und Natrium-
2 Na þ 2 NH3 ! H2 " þ 2 NaNH2
nitrat bestehenden Mischung bei ca. 175 C dar-
stellbar (III):
Geringe Mengen an Eisenverbindungen sind
zum erfolgreichen Ablauf oben stehender Re-
(I) NaNO3 þ 3 NaNH2 ! NaN3 þ 3 NaOH þ NH3
aktion notwendig, sonst bildet sich nicht das
Amid; vielmehr bleibt es dann bei der bloßen chemischen Synthesen. Im Labor lässt es sich
Auflösung von Natrium im Ammoniak und der durch vollständige Neutralisation von Schwefel-
Solvatisierung des 3s-Valenzelektrons des Natri- säure mit Natronlauge darstellen.
ums. Natriumamid schmilzt bei 210 C, siedet bei Das wasserfreie, farblose (s. Abb. 25) Salz
400 C und hat die Dichte 1,39 g/cm3. Die Ver- schmilzt bei 888 C, hat die Dichte 2,70 g/cm3
bindung ist stark basisch, hygroskopisch und sehr und gut in Wasser löslich. Man setzt es als Füller
hydrolyseempfindlich; so wird es durch Wasser in Waschmitteln sowie in der Papier-, Glas- und
heftig zu Natriumhydroxid und Ammoniak zer- Textilindustrie ein. In Form des Dekahydrats dient
setzt. Bereits Luftsauerstoff zerstört die Verbin- Natriumsulfat als Abführmittel (Hill 1979). Natri-
dung langsam oxidativ, wobei sich unter anderem umsulfat und -hydrogensulfat sind als Lebensmit-
explosive Peroxonitrate bilden, die sehr empfind- telzusatzstoff E 514 zugelassen und werden unter
lich gegenüber mechanischer Belastung (Stoß, Anderem als Säureregulator und Träger verwen-
Schlag) sind und zu heftiger Explosion neigen. det.
Altes, schon zumindest oberflächlich oxidiertes Das aus wässriger Lösung mit 5 Mol Kristall-
Natriumamid ist nicht mehr verwendbar und muss wasser kristallisierende, farblose (s. Abb. 26) Na-
unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften triumthiosufat (Na2S2O3 5 H2O) (Fixiersalz)
entsorgt werden. verwendet man in der analogen Fotografie; man
Natriumamid setzt man bei organischen Syn- setzt es zudem nach dem mit Natriumhypochlorit
thesen als starke Base ein, die auch schwach acide durchgeführten Bleichen von Papier- und Textil-
Verbindungen zuverlässig deprotoniert. So kann fasern zur Entfernung überschüssigen Chlors ein.
man Alkohole oder terminale Alkine mit seiner Das Pentahydrat schmilzt bereits bei 48,5 C im
Hilfe deprotonieren, ebenso Ethin (Acetylen). Ein eigenen Kristallwasser. Gibt man zu einer wässri-
sehr bekanntes Beispiel ist die Tschitschibabin- gen Lösung des Salzes Säure zu, so bildet sich
Reaktion, bei der man Pyridine und seine Derivate
nukleophil unter Bildung von Aminopyridinen
umsetzt.
Sonstige Verbindungen Natriumsilicid (NaSi)
ist ein graues bis schwarzes Kristallisat, das
beständig an der Luft und auch unbrennbar ist.
Man stellt es durch Schmelzen stöchiometrischer
Mengen der beiden Elemente in einem exother-
men Prozess her (Jenkins 2013). Dieser benötigt
also keine großen Mengen an Energie, denn die
Abb. 25 Natriumsulfat (Walkerma 2005)
bei der Reaktion freiwerdende Wärme wird in
den Prozess zurückgeführt. Ökonomisch sehr
wichtig ist, dass die Verbindung bei Kontakt
mit Wasser nur reinen Wasserstoff und keine
Silane liefert, sich also der gebildete und später
als Brennstoff genutzte Wasserstoff nicht entzün-
det. Das Nebenprodukt dieser Reaktion ist Natri-
umsilikat:
Kalium unter wasserfreiem Petroleum oder Pa- Butanol erfolgen (siehe unten), sondern nur
raffinöl auf. Auch unter diesen Bedingungen noch durch kontrollierte Verbrennung des Ge-
kann sich Kalium nach einiger Zeit aber mit bindes.
einer rotgelben, aus Oxiden und Peroxiden Mit Wasser setzt es sich so heftig um, dass es
gebildeten Schicht überziehen, die bei Berüh- in geschmolzenem Zustand auf dem Wasser
rung explodieren kann. Die Entsorgung kann schwimmt, der sich bei der Reaktion gebildete
dann nicht mehr durch Eintragen in tert.- Wasserstoff immer entzündet und mit violetter
5 Einzeldarstellungen 41
Flamme verbrennt; gelegentlich kommt es hierbei Kaliumcarbonat bildet. Kalilauge greift, ebenso
zur Explosion des Metallstücks (Mason et al. wie Natronlauge, unter anderem Fette, unedle
2015). Selbst an feuchter Luft läuft es sofort an Metalle und Glas an. Die Neutralisation von Kali-
und reagiert mit Wasser und dem in der Luft lauge mit Säuren muss stets unter Anwendung der
immer vorhandenen Kohlendioxid zu einer Mi- persönlichen Schutzausrüstung durchgeführt wer-
schung von Kaliumhydroxid und -carbonat. In den, da diese Reaktionen mit Freisetzung erhebli-
trockenem Sauerstoff verbrennt Kalium mit inten- cher Wärmemengen einhergehen, was auch zum
siver violett gefärbter Flamme zu Kaliumhypero- Verspritzen der Flüssigkeit führen kann. Aus Kali-
xid (KO2) und Kaliumperoxid (K2O2). Mit lauge und Salzsäure erzeugt man Kaliumchlorid,
Halogenen reagiert es fast explosionsartig. In flüs- mit Schwefelsäure entsteht Kaliumsulfat usw.
sigem Ammoniak löst sich Kalium unter Bildung Kaliumoxid kristallisiert in der Antifluorit-
einer blauvioletten Lösung. Struktur; in ihr tauschen gegenüber der des
Die Entsorgung von Kalium (sowie Natrium und Calciumfluorids An- und Kationen ihre Plätze.
auch Lithium generell) sollte durch Eintragen der Kaliumoxid bildet bei Kontakt mit Wasser
Metallstücke in einen Überschuss von tert.-Butanol sofort Kaliumhydroxid (KOH), das sich in Wasser
erfolgen, mit dem es unter gleichzeitiger Entwick- unter starker Freisetzung von Wärme zu Kali-
lung von Wasserstoff langsam zum tert.-Butanolat lauge löst. Diese zieht an der Luft Kohlendioxid
reagiert. Auf die Vollständigkeit der abgelaufenen an, wodurch sich Kaliumcarbonat bildet.
Reaktion ist unbedingt zu achten. Niedere, gerad- Kalilauge ist eine sehr starke Lauge, die, ähnlich
kettige Alkohole reagieren heftiger und sind auch wie Natronlauge, unter anderem Fette, unedle
leichter entzündlich; daher dürfen z. B. Methanol Metalle und Glas angreift. Mit starken Säuren erfolgt
oder Ethanol nicht hierzu verwendet werden. eine schnelle und heftige Neutralisation, die
Wie schon im Abschn. 5.3 beschrieben, bildet zum unkontrollierbaren Kochen der wässrigen
Kalium mit Natrium in weitem Konzentrationsbe- Mischung führen kann. Die Reaktion verläuft
reich bei Raumtemperatur flüssige Legierungen. Das mit schwachen oder verdünnten Säuren langsa-
Eutektikum enthält 23 Gew.-% Natrium und mer; in jedem Fall bilden sich Kaliumsalze
77 Gew.-% Kalium; es schmilzt bei einer Temperatur (Holleman et al. 2007, S. 1285).
von 12,6 C (Van Rossen und Van Bleiswijk Kaliumhydroxid (KOH) ist ein weißer (s.
1912). Abb. 33), hygroskopischer Stoff der Dichte 2,04 g/
cm3, der bei 360 C schmilzt, bei 1327 C siedet
Verbindungen und meist in Form von Plätzchen oder Stangen im
Chalkogenverbindungen Bei der Verbrennung von Handel ist. Unter Abgabe großer Wärmemengen ist
Kalium entstehen Kaliumperoxid (K2O2) und Ka- es in Wasser löslich (maximal 1130 g/L bei 20 C).
liumhyperoxid (KO2), die mit weiterem Kalium Man gewinnt Kaliumhydroxid heute meist durch
schließlich zu Kaliumoxid (K2O) reagieren (Holle- Elektrolyse wässriger Lösungen von Kaliumchlo-
man et al. 2007, S. 1285, I). Alternativ kann man rid und deren darauf folgendes Eindampfen.
es – unter Beachtung der Sicherheitsvorschriften! –
aus Kalium und Kaliumnitrat erzeugen (II):
Für Kaliumhydroxid bzw. seine wässrige brennungen hervor. Verschlucken bewirkt Übel-
Lösung, die Kalilauge, existieren viele Anwen- keit, Erbrechen und Durchfall.
dungen, von denen hier nur die wichtigsten Halogenverbindungen Kaliumfluorid (KF) kommt
genannt sind. Man nutzt Kalilauge zur Produk- in der Natur selten mineralisch vor. Das weiße
tion von sowohl Schmierseifen als auch Kali- (s. Abb. 34), hygroskopische Pulver der Dichte
umphosphat, das noch gelegentlich als Dis- 2,48 g/cm3 schmilzt bei einer Temperatur von
pergiermittel in Flüssigwaschmitteln enthalten 852 C (Kojima et al. 1968); die Schmelze siedet
ist. Kaliumhydroxid ist auch Grundstoff bei 1502 C. Das meist hergestellte Dihydrat
bei der Produktion von Gläsern und Farb- schmilzt bereits bei 46 C im eigenen Kristallwas-
stoffen. ser. Wässrige Lösungen von Kaliumfluorid rea-
Man verwendet Kalilauge zur Unterscheidung gieren infolge Hydrolyse schwach basisch. Die
grampositiver und -negativer Bakterien Nur Löslichkeit in Wasser beträgt bei 20 C 485 g/L;
gramnegative Bakterien bilden nach Kontakt mit die Standardbildungsenthalpie ΔHf 0298 ist mit
Kalilauge Fäden. 569 kJ/mol stark negativ (Holleman et al.
Einkristallines Silicium wird mit Kalilauge 1995, S. 1170).
anisotrop geätzt, um es in Halbleiter zu integrie- Man stellt Kaliumfluorid durch Neutralisieren
ren. In galvanischen Sauerstoffsensoren sowie von Flusssäure mit Kalilauge her und verwendet
Alkali-Mangan-Zellen dient es als Elektrolyt. die Verbindung bei der Produktion von Emaille, in
In der Lebensmittelindustrie setzt man Kali- kleineren Mengen als Additiv für Zemente, als
umhydroxid als Säureregulator ein, wo es unter Konservierungsmittel für Holz und zum Ätzen
der Bezeichnung E 525 ohne Beschränkung der von Glas. Gelegentlich ist es Zahncremes zugesetzt.
Höchstmenge zugelassen ist. Mit Hilfe von Kaliumfluorid kann man aus Chlo-
Kaliumsulfid (K2S) ist weiß bis cremefarben, ralaknen Fluoralkane herstellen (Vogel et al. 1956).
hat die Dichte 1,81 g/cm3, schmilzt bei einer Tem- Kaliumchlorid (KCl) kommt in großen Men-
peratur von 840 C und ist hygroskopisch. Das gen natürlich vor, oft als Sylvin, Carnallit, Kainit
getrocknete Material kann sich beim Stehenlassen und Sylvinit. Es handelt sich um oft große unter-
an der Luft spontan selbst entzünden, auch ohne irdische Lagerstätten in Kanada, Deutschland,
Verbrennen oxidiert es an der Luft zügig zu Ka- China und der GUS. Vor allem China hat die
liumthiosulfat. Erschütterung oder Reibung kann Kapazität seiner Produktion erheblich aufgestockt
zum explosiven Zerfall der Verbindung führen, durch den Abbau des 240 Mio. t umfassenden
Säuren zersetzen sie schnell zum jeweiligen Vorkommens in der Wüste Lop Nor; das Produkt
Kaliumsalz und Schwefelwasserstoff. Wässrige soll direkt zu Düngemitteln weiter verarbeitet
Lösungen von Kaliumsulfid sind stark basisch. werden (People’s Daily Online 2008).
Kaliumsulfid ist durch Einleiten von Schwefel- In der Praxis nutzt man die schlechtere Lös-
wasserstoff in eine wässrige Lösung von Kaliumhy- lichkeit des Kaliumchlorids verglichen zu Ma-
droxid bis zur Sättigung darstellbar, dabei entsteht gnesiumchlorid aus, so beim Eindampfen wässri-
zwischenzeitlich zunächst Kaliumhydrogensulfid. ger Lösungen von Carnallit (KMgCl3 6 H2O).
Dieses kann man dann im equimolaren Verhältnis
mit Kalilauge in Kaliumsulfid überführen; aus der
Lösung kristallisiert Kaliumsulfid als Pentahydrat.
Eine andere Darstellungsmöglichkeit ist das Zu-
sammenschmelzen von Schwefel und Kalium-
carbonat, aber das bei diesem Prozess entstehende
braune Produkt (Schwefelleber) enthält als Verun-
reinigungen aber noch Kaliumpolysulfide, Kalium-
thiosulfat und Kaliumsulfat.
Auf Haut, Augen und Atemwege wirkt Ka-
liumsulfid ätzend und ruft Rötungen oder Ver- Abb. 34 Kaliumfluorid (Onyxmet 2019)
5 Einzeldarstellungen 43
Die Flotation von im Kalibergbau gewonnenen piell ist es als Auftausalz für den Straßenverkehr
Salzgemischen wird ebenso angewandt, wie auch besser einsetzbar als Natriumchlorid, da seine
das Lösen des Kaliumchlorids aus Salzmischun- Lösungen in Wasser tiefere Schmelzpunkte haben.
gen mittels heißen Wassers. Seine Löslichkeit beträgt 347 g/L bei 20 C. (In-
Das von K + S entwickelte ESTA ®-Verfahren Nordamerika bevorzugt man dagegen das billigere
(ESTA: Elektrostatische Aufbereitung) spart die Calciumchlorid.)
Bereitung von Lösungen und deren teures Ein- Kaliumchlorid ist Teil synthetisch hergestellter
dampfen. Zunächst wird das bergmännisch ge- isotonischer Lösungen, es ist enthalten in Zahncre-
wonnene Rohsalz auf eine Korngröße von 1 mm mes für schmerzempfindliche Zähne sowie in Auf-
gemahlen. Dann behandelt man das Salzgemisch bewahrungslösungen für pH-Messelektroden und
mit oberflächenaktiven Substanzen in einem Redox-Elektroden. Da das Isotop 4019K unter ande-
„Fließbett“ bei genau definierter Temperatur und rem β-Strahlung emittiert, sind normierte Kalium-
Luftfeuchtigkeit, so dass Elektronen von einer chloridlösungen Kalibrierstandards für β-Strahlung.
Mineralsorte auf die andere überwechseln. Derart Kaliumbromid (KBr) ist noch leichter löslich in
geladen, lässt man die Salzkristalle durch einen Wasser (650 g/L bei 20 C), es bildet farblose
„Freifallscheider“ rieseln; dies ist ein zwischen Kristalle (s. Abb. 36) der Dichte 2,75 g/cm3, die
zwei Elektroden bestehendes Feld hoher Span- bei einer Temperatur von 732 C schmelzen (Sie-
nung. Die negativ geladenen Kristalle gehen in depunkt: 1435 C). Man produziert es aus Kali-
Richtung der Anode und die positiv geladenen in umcarbonat und Eisen-I,III-bromid (Holleman
Richtung der Kathode, so dass sie dermaßen sor- et al. 1995, S. 1170), das man großtechnisch aus
tiert, unterhalb der Freifallscheider getrennt auf- mit Wasser überschichtetem Eisenschrott und
gefangen werden. Das an Kaliumchlorid reiche überschüssigem Brom erzeugt:
Konzentrat lädt sich negativ auf und geht in Rich-
tung der Anode (K + S Kali 2015). 4 K2 CO3 þ Fe3 Br8 ! 8 KBr þ Fe3 O4 þ 4 CO2 "
Kaliumchlorid bildet farblose Kristalle (s.
Abb. 35) der Dichte 1,98 g/cm3, die bei einer Im Labor stellt man Kaliumbromid besser aus
Temperatur von 770 C schmelzen (Siedepunkt: einer Mischung von Kalilauge, Brom und Ammo-
1413 C). Es ist in der Europäischen Union als niakwasser her:
Lebensmittelzusatzstoff E 508 ohne Mengenbe-
grenzung zugelassen; es dient als Festigungsmit- 6 KOH þ 3 Br2 þ 2 NH3
tel und Geschmacksverstärker. In großen Mengen ! 6 KBr þ 6 H2 O þ N2 "
nutzt man es zur Produktion von Düngern, auch
stellt man andere Kaliumverbindungen aus ihm Pottasche kann man auch direkt „bromieren“,
her. Die Erdölindustrie nutzt es zum Einpumpen das Nebenprodukt ist Kaliumbromat:
in Lagerstätten, die Keramikindustrie als Schwe-
bemittel bei der Herstellung von Emaille. Prinzi- 3 K2 CO3 þ 3 Br2 ! 5 KBr þ KBrO3 # þ 3 CO2 "
Eine Darstellung der Verbindung aus den Ele- Das bei (II) entstehende Kaliumiodat ist durch
menten Kalium und Brom ist dagegen unwirt- Erhitzen ebenfalls in Kaliumiodid überführbar.
schaftlich und ohne Bedeutung. Für analytische Zwecke (Volumetrie) verwen-
Zur Produktion von Silberbromid-Emulsionen det man eine wässrige Lösung von Kaliumiodid
auf fotografischen Platten und Filmen wird es und Iod (KI I2), man stellt aus ihm Silberiodid
verwendet, ebenso fertigt man aus Kalium- und einige Medikamente her. Oxidierend wir-
bromid immer noch die Presslinge für die kende, giftige Gase und Flüssigkeiten (z. B. Ozon,
IR-spektroskopische Untersuchung fester Stoffe, Chlor, Brom, Wasserstoffperoxid, Stickoxide)
da es Infrarotlicht in hohem Maße passieren lässt. weist man mittels des Kaliumiodid-Stärke-Papiers
Einkristalle aus Kaliumbromid dienen daher als nach, das vor dem Test angefeuchtet wird. Iodid
Material zur Herstellung von Linsen und Prismen, wird von den oben genannten Stoffen zu Iod oxi-
die in Infrarotspektrometern eingebaut werden. diert, das mit Stärke zum bekannten tiefblauen
Ab 1850 nutzte man Kaliumbromid als Mittel Chlatrat (Einlagerungsverbindung) reagiert.
zur Beruhigung und gegen Epilepsie, jedoch waren Kaliumiodidhaltige Tabletten werden in Deutsch-
die verabreichten Dosen so hoch, dass die Patienten land, Österreich und in der Schweiz in großer Menge
gelegentlich an Phlegma, Schwindel, Kopfschmer- in Apotheken bzw. von Energieversorgern gelagert,
zen, Konzentrationsmangel, Gedächtnisverlust und um sie im Falle eines Kernreaktorunfalls an die
Halluzinationen litten. Hinzu kamen noch Schnup- Bevölkerung ausgeben zu können. Die rechtzeitige
fen (Bromschnupfen) und Ekzeme. Auch heute Einnahme dieser Tabletten verhindert eine Auf-
noch setzt man Kaliumbromid zur Therapie einiger nahme des bei diesen Unfällen unter Anderem frei-
seltener Epilepsien ein, aber in wesentlich niedrige- gesetzten Isotops 13153I in die Schilddrüse fast völlig
rer Dosierung. Als Sedativum (Beruhigungsmittel) (Schicha 1994; Reiners 1994). Die im Radius um
wird es heute nicht mehr verwendet. 50 km um Kernkraftwerke wohnende Bevölkerung
Kaliumiodid (KI) ist ein ebenfalls farbloses der nordwestlichen Schweiz erhält vorbeugend diese
Kristallisat (s. Abb. 37) vom Schmelzpunkt Tabletten (Jordi und Henzen 2015). Österreich hält
723 C (Siedepunkt 1325 C) mit der relativ diese Tabletten in Apotheken und Krankenhäusern
hohen Dichte von 3,13 g/cm3. In Wasser löst es vor. In Deutschland sind nur solche Tabletten in
sich unter starker Abkühlung und in großer Apotheken erhältlich, die gegen Iodmangel/Kropf
Menge (1430 g/L bei 20 C). Die Herstellung wirken. Tabletten zur Vorsorge bei Reaktorunfällen
erfolgt entweder aus Kaliumcarbonat und Iodwas- bevorraten die Gemeinden im Umkreis um die
serstoffsäure (I, Brauer 1963, S. 290) oder durch Kraftwerke selbst (Spiegel online 2004).
Umsetzung von Kalilauge mit Iod (II): Sonstige Verbindungen Kaliumphosphid (K3P)
stellt man durch Reaktion von Kalium mit Phos-
(I) 2 KHCO3 þ 2HI ! 2 KI þ H2 O þ CO2 " phor unter Argon bei 200 C her (Brauer 1975,
S. 960). Der grüne Feststoff ist äußerst empfind-
(II) 6 KOH þ 3 I2 ! 5 KI þ KIO3 þ 3 H2 O lich gegenüber Luftsauerstoff und Hydrolyse,
wird durch Wasser in heftiger Reaktion zersetzt
und kristallisiert hexagonal. In diesem Kristallgit-
ter liegen die Kaliumionen sowohl drei- als auch
vierfach koordiniert durch Phosphidionen vor
(Klemm et al. 1961)
Kaliumcarbonat (Pottasche, K2CO3) ist ein
hygroskopisches, weißes Pulver (s. Abb. 38)
vom Schmelzpunkt 891 C und der Dichte
2,43 g/cm3, das, meist mit anderen Kaliumsalzen
verunreinigt, in umfangreichen Lagerstätten in
Russland, Kanada, Eritrea, Weißrussland und
Abb. 37 Kaliumiodid (Onyxmet 2019) Israel zu finden ist und auch dort abgebaut wird.
5 Einzeldarstellungen 45
keit kaum Bedeutung, da es meist durch das billi- tägliche Mindestdosen an Kalium zwischen 2 und
gere Natrium ersetzt werden kann. In Form von 4,7 g empfohlen (Curhan et al. 1997; Hirvonen et al.
Kaliumhyperoxid (KO2) wird es in Kali-Patronen 1999; Kessler und Hesse 2000; Macdonald et al.
abgefüllt, die die Atemluft in Unterseebooten rege- 2004; Morris et al. 1999; Sellmeyer et al. 2002;
nerieren. Ansonsten ist die Hauptanwendung ein- Suter 1999). Die durchschnittliche Kaliumaufnahme
deutig die als Düngemittel in verschiedenster Form. lag 2008 in Deutschland bei 3,1 g/Tag (Frauen) und
3,6 g/Tag (Männer) (Max-Rubner-Institut).
Physiologie der Pflanzen Die Wirkung des Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung ist für
essenziellen Nährstoffes Kalium in Pflanzen ist die Aufnahme von Kalium wesentlich geeigneter
vielfältig. Es erhöht sowohl den Wurzeldruck als als tierische; und Natrium wirkt allgemein blut-
auch den des Zellsafts auf die Zellwand, was die druckerhöhend, Kalium blutdrucksenkend (Suter
Zellstreckung und Wachstum der Blattfläche et al. 2002; Tobian 1997; Bazzano et al. 2001;
bewirkt. Dadurch wird die Aufnahme des zur Ascherio et al. 1998; Barri und Wingo 1997;
Fotosynthese benötigten Kohlendioxids gefördert Khaw und Barrett-Connor 1984; Siani et al.
und steigert somit den gesamten Stoffwechsel. 1987; Sacks et al. 2001). Eine ideale Diät gegen
Ein Mangel an Kalium äußert sich in Gestalt von Bluthochdruck sollte daher Gemüse, Obst, Voll-
Chlorosen und Nekrosen zunächst an älteren Blät- kornprodukte, Geflügel, Fisch und Nüsse enthal-
tern, zur Verkümmerung und Verwelkung (Men- ten, da sie arm an Kochsalz und gesättigten Fetten
gel 1991). Dagegen macht sich ein Überschuss an ist, dafür aber reichlich Kalium, Magnesium und
Kalium in Wurzelverbrennungen und gleichzeiti- Calcium enthält, deren Wirkung der des Kaliums
gem Mangel von Calcium bzw. Magnesium ähnlich ist (Volmer et al. 2001; Zemel 1997).
bemerkbar. Generell ist die Konzentration von Geeignet zur Senkung des Blutdrucks ist die
Kalium eng mit der des Calciums verbunden DASH-Diät, da sie alle oben genannten Lebens-
mittel einschließt.
Physiologie des Menschen Kalium ist essenziell Eine kaliumreiche Ernährung wirkt sich güns-
und ist Teil der in jeder Zelle ablaufenden physio- tig auf den Stoffwechsel der Knochen aus, da
logischen Prozesse. Hierzu gehören: höhere Konzentrationen an Kalium das Ausmaß
der Ausscheidungen an Calcium verringern, die
• die normale Reizbarkeit der Muskeln sowie die durch eine salzreiche Kost eingeleitet wird. Genau
Reizleitung des Herzens (Shieh et al. 2000; genommen hält Kalium in den Nieren verstärkt
Tamargo et al. 2004), Calcium zurück und lässt es im Körper, so dass es
• die Steuerung des Wachstums der Zellen (Nie- wieder in die Knochen eingebaut werden kann
meyer et al. 2001; Shen et al. 2001) (Harrington und Cashman 2003; Lemann et al.
• die Einstellung eines normalen Blutdrucks 1991; New et al. 1994). Wichtig sind aber auch
(Young et al. 1995; Young und Ma 1999; die das Kalium begleitenden Anionen, die sons-
Krishna 1990; Suter 1998; Tannen 1987) tige Zusammensetzung der Nahrung und das Alter
• die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtes der jeweiligen Person, alles Faktoren, die auf die
zwischen Säure und Base infolge Beeinflus- ionischen Gleichgewichte einschließlich dem
sung der Säureausscheidung durch die Niere zwischen Säure und Base einwirken (Barzel
(Frassetto et al. 1997, 1998, 2001; Manz et al. 1995; Frassetto et al. 1996; Lemann 1999; Massey
2001; Remer 2000, 2003; Tannen 1987) 2003; Morris et al. 1999; Remer und Manz 2001;
• Regulierung der Freisetzung von Hormonen und Remer 2000). Kaliumcitrat wirkt beispielsweise
• Verwertung von Kohlehydraten und Synthese sehr positiv auf den Knochen, indem es die Aus-
von Proteinen scheidung von Calciumionen aus den Nieren stark
zurückdrängt (Jehle et al. 2006; Marangella et al.
Zur Vorbeugung gegen Erkrankungen (Blut- 2004; Sellmeyer et al. 2002), so dass eine Thera-
hochdruck, Nierensteine, Osteoporose, Schlaganfäl- pie mit Kaliumcitrat wirksam gegen Osteoporose
le oder Herzinfarkte), werden einem Erwachsenen eingesetzt werden könnte.
48 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
modernste Labor Deutschlands zur Verfü- demie der Wissenschaften als auswärtiges
gung. Auch Bunsen war Mitglied wissen- und die Russische Akademie der Wissen-
schaftlicher Vereinigungen wie der Akade- schaften als korrespondierendes Mitglied
mie Leopoldina (ab 1851), der Göttinger auf. 1883 wurde er Mitglied der US-ameri-
Akademie der Wissenschaften (ab 1855), kanischen National Academy of Sciences.
der Russischen Akademie der Wissen- Nach ihm sind der Mondkrater Kirchhoff
schaften (korrespondierend ab 1862) und und ein Asteroid benannt (Gerlach 1977,
ab dem gleichen Jahr (1862) (auch der S. 649; Hentschel 1997, S. 4156; Hübner
American Philosophical Society). 2010; Knott 1906, S. 165).
tall mit einer Dichte >1 g/cm3, aber trotzdem immer legierbar. Rubidium und seine Verbindungen fär-
noch eindeutig ein Leichtmetall (s. Tab. 5). Es ist an ben Flammen dunkelrot, woher auch der Name des
der Luft selbstentzündlich und reagiert äußerst hef- Elements kommt. Metallisches Rubidium ist ein
tig mit Wasser und Nichtmetallen, muss also daher extrem starkes Reduktionsmittel.
unter getrocknetem Mineralöl, im Vakuum oder
unter Inertgas aufbewahrt werden. Verbindungen
Mit Quecksilber bildet es ein Amalgam, mit den Chalkogenverbindungen Rubidiumoxid (Rb2O)
Metallen Gold, Cäsium, Natrium und Kalium ist es ist ein gelber, kristalliner Feststoff der hohen
jeweiligen Halogen unter Explosion reagieren Halogenide, Rubidiumbromid und -iodid, als
würde. Am besten stellt man Rubidiumfluorid Schmerz- und Beruhigungsmittel sowie als Anti-
(RbF) daher mittels Reaktion von Fluorwasser- depressivum (Erdmann 1900). 8237Rb-Rubidium-
stoff mit Rubidiumcarbonat (Eggeling und Meyer chlorid setzt man als Tracer zur Myokardszinti-
1905) oder Rubidiumhydroxid und folgender grafie ein (Krukemeyer und Wagner 2004).
Trocknung her. Das farblose Salz (s. Abb. 42) Rubidiumbromid (RbBr) bildet gleichfalls
kristallisiert mit vier Formeleinheiten pro Elemen- farblose Kristalle (s. Abb. 44a, b), die in der
tarzelle im kubischen Gitter (D’Ans und Lax kubischen Struktur des Kochsalzes kristallisieren,
1997, S. 686). eine Dichte von 3,35 g/cm3 haben und bei 682 C
Rubidiumfluorid schmilzt bzw. siedet bei Tem- schmelzen (Siedepunkt der Schmelze: 1340 C).
peraturen von 795 C bzw. 1410 C, hat in was- Herstellen kann man das Salz am besten aus Ru-
serfreiem Zustand die Dichte 3,58 g/cm3 und bil- bidiumhydroxid und Bromwasserstoffsäure in
det sowohl ein Sesquihydrat (2 RbF 3 H2O) als wässriger Lösung. Die Löslichkeit in Wasser ist
auch ein Drittelhydrat (3 RbF H2O) (De Forc- mit 1046 g/L bei 16 C hoch. Immer noch
rand 1911, S. 1208). Mit 1306 g/L hat es bei 18 C stark negativ sind die Standardbildungsenthalpie
eine ausgezeichnete Löslichkeit in Wasser, löst ΔfH0298 (389,50 kJ/mol) und die Freie Stan-
sich aber nur wenig oder kaum in dipolar- dardbildungsenthalpie ΔG0298 (378,40 kJ/mol)
aprotischen Lösungsmitteln wie Aceton. Die (Sichting et al. 1988, S. 976). Früher nutzte man
Freie Standardbildungsenthalpie ΔG0298 ist mit es, wie auch andere Alkalibromide, als Beruhi-
520,4 kJ/mol wie erwartet deutlich negativ gungsmittel und Antidepressivum.
(Sichting et al. 1988, S. 976), die Lösungsenthal- Auch Rubidiumiodid (RbI) ist ein farbloser,
pie mit 24,28 kJ/mol aber absolut gesehen kristalliner Feststoff (s. Abb. 45a, b), der bei
relativ gering (De Forcrand 1911, S. 27). 645 C schmilzt (Siedepunkt der Schmelze:
Darüber hinaus existieren auch saure Rubi- 1300 C) und eine Dichte von 3,11 g/cm3 besitzt.
diumfluoride wie HRbF2, das man durch Lösen Nach dem Muster nahezu aller Alkalihalogenide
von Rubidiumfluorid in konzentrierter Flusssäure
herstellen kann. Ebenfalls bekannt sind die Ver-
bindungen H2RbF3 und H3RbF4.
Rubidiumchlorid (RbCl) ist ebenfalls ein wei-
ßer Feststoff (s. Abb. 43), der bei 715 C schmilzt
(Siedepunkt der Schmelze: 1390 C) und die
Dichte 2,76 g/cm3 aufweist. Seine Standardbil-
dungsenthalpie ist, wie angesichts der zwei reak-
tiven elementaren Bestandteile zu erwarten, stark
negativ (ΔfH0298: 430,86 kJ/mol, Dickerson
et al. 1988). Man nutzte es früher wie die höheren Abb. 43 Rubidiumchlorid (Onyxmet 2019)
Abb. 45 a Rubidiumiodid (Onyxmet 2019). b: Rubidi- Abb. 47 a Rubidiumsulfat (Onyxmet 2019). b Rubidium-
umiodid (Stanford Advanced Materials 2019) sulfat (Stanford Advanced Materials 2019)
(I) 2 Rb þ H2 ! 2 RbH
Für einige wenige Stoffwechselvorgänge ist Abtrennung der Elemente Lithium, Magnesium,
Rubidium wohl für Säugetiere essenziell, nicht Calcium und Strontium. Im Filtrat befanden sich
dagegen für Pflanzen. Der tägliche Bedarf des aber noch zwei weitere Elemente, Rubidium und
Menschen an Rubidium ist geringer als 100 μg Cäsium, wie sie die Ergebnisse dessen Spektral-
und wird leicht durch die gewöhnliche Ernäh- analyse deuteten. Bunsen und Kirchhoff identifi-
rung mit ungefähr 1,5 mg/d gedeckt. Tee und zierten unter Anderem zwei bis damals unbekannte
Kaffee stellen alleine schon fast die Hälfte des Linien im blauen Bereich des Farbspektrums, wo-
Bedarfes, so hat die Arabica-Kaffeebohne den raus sie schlossen, dass im Mineralwasser noch ein
höchsten je für Lebensmittel analysierten Gehalt weiteres, bisher unbekanntes Element vorhanden
(25,5–182 mg Rubidium/kg Trockensubstanz; sein müsse, das sie nach seinen blauen Spektralli-
Illy und Viani 2005). Rubidiumionen beeinflus- nien Cäsium nannten, dies nach der lateinischen
sen die Wirkung von Neurotransmittern (Krachler Bezeichnung für „himmelblau“ (Bunsen und
und Wirnsberger 2000), daher diskutiert man die Kirchhoff 1861).
Anwendung von Rubidium als Antidepressivum. Bunsen versuchte, die zwei im Wasser verblie-
benen neuen Elemente Rubidium und Cäsium von
den anderen, noch im Wasser enthaltenen bekann-
Patente
ten Elementen zu trennen und sie möglichst auch
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
zu isolieren. Die Zugabe einer sauren, wässrigen
wide.espacenet.com)
Lösung von Platinchlorid diente zunächst dazu,
Kalium und die zwei neu entdeckten Alkalime-
P. Reinhard und A. Chirila, Fabricating
talle als unlösliche Hexachloroplatinate auszufäl-
thin-film optoelectronic devices with
len. Diese filtrierte Bunsen ab und entfernte durch
added rubidium and/or cesium (Flisom
mehrfaches Aufkochen mit geringen Mengen
AG, US 2019035953 A1, veröffentlicht
destillierten Wassers Kalium. Einleiten von Was-
31. Januar 2019)
serstoffgas reduzierte Platin-IV zu metallischem
L. Etgar und D. Amgar, Rubidium lead
Platin, das abfiltriert wurde. Im Filtrat verblieben
chloride nanocrystals (Yissum Research
nur noch die in Wasser löslichen Chloride des
Development Co. of Hebrew University,
Rubidiums und Cäsiums. Nach dem folgenden
Jerusalem, WO 2018203335 A2, veröf-
Aufarbeitungsprozess stand schließlich die Tren-
fentlicht 8. November 2018)
nung beider Alkalimetalle über die verschiedene
E. Lefort und V. Teoli, Rubidium Elution
Löslichkeit ihrer Carbonate in absolutem Ethanol;
System (Jubilant Draxiamge Inc. Und
Cäsiumcarbonat war deutlich leichter löslich als
Ottawa Heart Institute Research Corp.,
Rubidiumcarbonat (Bunsen und Kirchhoff 1861).
CA 3001563 A1, veröffentlicht 14.
Die Darstellung metalischen Cäsiums aber miss-
Oktober 2018)
glückte Bunsen und Kirchhoff, weil die Elektrolyse
Z. Du und K. Wang, Two-photon transition
geschmolzenen Cäsiumchlorids nur eine offenbar
rubidium atom clock (National Time
kolloide Lösung des Cäsiumchlorids im frisch
Service Center, Chinese Academy of
erzeugten metallischen Cäsium (Zsigmondy 2007,
Sciences, CN 107783412 A, veröffent-
S. 69) erzeugte. Erst Setterberg konnte zwanzig
licht 9. März 2018)
Jahre später metallisches Cäsium durch Elektrolyse
einer geschmolzenen Mischung von Cäsium- und
Bariumcyanid gewinnen (Setterberg 1881).
5.6 Cäsium
in Atomreaktoren oder durch Zerfall anderer kurz- Dicke etwa von Papier, Filmen oder Metall ver-
lebiger Spaltprodukte wie 13753I oder 13754Xe ent- wendet.
steht. 13755Cs erleidet mit einer Halbwertszeit von In erheblichen Mengen wurde -neben einer
30,17 a β-Zerfall (Unterweger 2002) zum stabi- Vielzahl anderer radioaktiver Isotope- 13755Cs bei
len Bariumisotop 13756Ba. 13755Cs ist auch ein den Reaktorunglücken von Fukushima und
γ-Strahler und wird daher in der Strahlentherapie Tschernobyl (8,5 1016 Bq) freigesetzt. Die zusätz-
von Krebserkrankungen, zur Messung der Fließ- lich bei allen oberirdischen Kernwaffentests aus-
geschwindigkeit in Röhren und zur Prüfung der gesandte Aktivität an 13755Cs belief sich auf wei-
58 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
tere 9,48 1017 Bq (United Nations 2011). Der in ablaufende Oxidationsreaktionen einsetzt, beispiels-
den Tagen nach dem Tschernobyler Unglück über weise für die Umwandlung aromatischer Kohlen-
Westeuropa niedergehende Fallout bewirkte vor wasserstoffe in Carbonsäuren und deren Derivate
allem eine Anreicherung von Cäsium in Pilzen (Rosowski et al. 2006). Aus mit Silberpartikeln
(Aumann et al. 1989; Kuad et al. 2009). dotiertem Cäsiumoxid stellt man Beschichtungen
Chemische Eigenschaften: Das Cäsiumatom hat für Fotokathoden her (Sayama 1948).
neben dem des Franciums den größten Radius aller Weiter sind Cäsiumperoxid (Cs2O2), das Cä-
Elementatome; daraus folgt eine niedrige Ionisie- siumhyperoxid (CsO2) und das -ozonid (CsO3)
rungsenergie und daher auch die sehr hohe Reakti- charakterisiert.
vität des Elements (Binnewies 2003, S. 49–53). In Cäsiumperoxid ist ein bei 590 C schmelzen-
seinen Verbindungen tritt es nur in der Oxidations- der, im Reinstzustand farbloser, sonst gelber,
stufe +1 auf. Reaktionen des Cäsium verlaufen feuchtigkeitsempfindlicher Feststoff der Dichte
meist sehr heftig, so entzündet es sich beim Kontakt 4,74 g/cm3, der mit Wasser zu Wasserstoffper-
mit Sauerstoff sofort und bildet wie Kalium und oxid und Cäsiumhydroxid reagiert. Man kann es
Rubidium das entsprechende Hyperoxid (CsO2). bei Temperaturen um 50 C durch Einleiten von
Mit Wasser reagiert es so heftig, dass es schon Sauerstoff in flüssiges Ammoniak darstellen, in
beim Kontakt mit diesem explodiert; es reagiert dem Cäsium gelöst ist (Brauer 1975, S. 955). Eine
sogar bei einer Temperatur von 116 C mit Eis: andere Möglichkeit der Präparation ist die thermi-
sche Zersetzung von Cäsiumhyperoxid, bei der
2 Cs þ 2 H2 O ! 2 CsOH þ H2 " Sauerstoff abgespalten wird (McIntyre 1992,
Der „Druck“, ein Elektron abzugeben, ist beim S. 3097). Auch Cäsiumperoxid ist aber empfind-
Cäsiumatom so groß, dass es beim Erhitzen mit Gold lich gegenüber starker Erwärmung, da es dann
keine gewöhnliche Metalllegierung bildet, sondern ebenfalls Sauerstoff unter Bildung niederer Cäsium-
den Cs+- und Au-Ionen enthaltenden Halbleiter oxide abgibt. Die Verbindung kristallisiert ortho-
Cäsiumaurid (CsAu) bildet (Sitzmann 2011). rhombisch und wird in einigen Typen von Photo-
kathoden eingesetzt.
Verbindungen Cäsiumhyperoxid wird beim Verbrennen von
Chalkogenverbindungen Es gibt viele Cäsium- Cäsium im Sauerstoffstrom (Holleman et al. 2007,
oxide, beginnend mit den violetten bzw. blaugrü- S. 1285) gebildet und kristallisiert in der
nen Suboxiden wie Cs11O3 und Cs3O, die elek- Calciumcarbid-Struktur. Wasser zersetzt es zu
trisch leitfähig sind. Sauerstoff, Wasserstoffperoxid und Cäsiumhy-
Daneben existiert das „normale“ (stöchiome- droxid:
trische) Cäsiumoxid (Cs2O), ein oranger bis roter
Feststoff der Dichte 4,65 g/cm3, der an der Luft
sofort zerfließt und mit Wasser sehr heftig zu 2 CsO2 þ 2 H2 O ! 2 CsOH þ H2 O2 þ O2 "
Cäsiumhydroxid (CsOH) reagiert. Aus den Ele-
menten ist Cäsiumoxid nicht synthetisierbar, son- Cäsiumhyperoxid wird in stark exothermer (!)
dern nur durch Umsetzung von Cäsiumperoxid Reaktion aus den Elementen gebildet (ΔHf 0298:
(Cs2O2) mit metallischem Cäsium (I) oder der 295 kJ/mol) und ist Ausgangsstoff zur Darstel-
von Cäsiumnitrat mit -azid (II): lung von Cäsiumozonid, indem man Ozon auf
(I) Cäsiumhyperoxid einwirken lässt.
Cs2 O2 þ Cs ! 2 Cs2 O Cäsiumhydroxid (CsOH) entsteht neben Was-
serstoff bei der explosiv verlaufenden Reaktion
(II) CsNO3 þ 5 CsN3 ! 3 Cs2 O þ 8 N2 " metallischen Cäsiums mit Wasser. Es bildet sich
ebenfalls beim Eintragen von Cäsiumoxid in Was-
ser. Relativ reines Cäsiumhydroxid ist in wässri-
Cäsiumoxid ist ein Zusatz zu Vanadiumoxid-Ti- ger Lösung durch Umsetzung von Cäsiumsulfat
tanoxid-Katalysatoren, die man für in der Gasphase mit Bariumhydroxid gewinnbar:
5 Einzeldarstellungen 59
Cs2 SO4 þ BaðOHÞ2 ! BaSO4 # der Feststoff der Dichte 4,12 g/cm3, der sich in
þ 2 CsOH polaren Lösungsmitteln gut löst. Neben Tetraal-
kylammoniumfluoriden verwendet man die Ver-
bindung als Donor von Fluoridionen und milde
Das entstehende Bariumsulfat fällt nahezu
Base, so beispielsweise bei der Knoevenagel-
quantitativ aus; die überstehende Lösung von Cä-
Reaktion, einer Aldol-Kondensation unter Einsatz
siumhydroxid filtriert man ab. Dann engt man das
stärker CH-acider Verbindungen (Friestad und
Filtrat bis zur beginnenden Kristallisation in ei-
Branchaud 1999). Man kann das Salz durch
ner Platinschale ein. Trockenes Cäsiumhydroxid
Umsetzung von Fluorwasserstoff mit Cäsiumcar-
erhält man daraus durch langsames Erhitzen in
bonat oder -hydroxid und folgendes Eindampfen
einem Silberschiffchen auf 300 C im Wasser-
und Trocknung des resultierenden Feststoffes
stoffstrom (Jacobs und Harbrecht 1981). Glas ist
erhalten.
bei diesen Operationen nicht verwendbar, da es
Cäsiumfluorid schmilzt bei 682 C und siedet
von Cäsiumhydroxid als extrem starker Base
bei 1251 C (Holleman et al. 1995, S. 1170).
angegriffen wird.
Cäsiumchlorid (CsCl) liegt unter Normalbe-
Cäsiumhydroxid kristallisiert in einer ortho-
dingungen in Form farbloser Kristalle (s. Abb. 50)
rhombischen Struktur, in der jedes Ion von fünf
in der nach im benannten kubischen Gitterstruktur
Gegenionen umgeben ist. Das Monohydrat hin-
vor. In dieser ist jedes Cäsiumion von acht Chlo-
gegen kristallisiert tetragonal (Bertheville et al.
ridionen umgeben und umgekehrt. Das Salz löst
2002), das Dihydrat orthorhombisch und das Tri-
sich sehr gut in Wasser (1680 g/L bei 20 C),
hydrat monoklin (Mootz und Rütter 1992). Cä-
Säuren und Basen.
siumhydroxid ist oft die katalytisch wirksame Base
Die Standardbildungsenthalpie des Salzes
bei der Alkynilierung von Carbonylverbindungen,
beträgt ΔHf 0298 = 443 kJ/mol (Holleman et al.
oder aber man nutzt es als Elektrolyt in galvani-
1995, S. 1170). Man stellt es meist durch Einbrin-
schen Zellen. Es schmilzt in wasserfreier Form bei
gen von Cäsiumhydroxid oder -carbonat in Salz-
272 C, hat die Dichte 3,68 g/cm3 und löst sich in
säure her. Die Verbindung schmilzt bei einer Tem-
großer Menge in Wasser (ca. 3000 g/L) bei 20 C).
peratur von 646 C (Siedepunkt der Schmelze:
Cäsiumsulfid (Cs2S) und Cäsiumselenid (Cs2Se)
1382 C) und hat die Dichte 3,97 g/cm3. Man
sind jeweils weiße bis hellgelbe, in wässriger
setzt Cäsiumchlorid in der Atomabsorptions-
Lösung stark basisch reagierende, hygroskopi-
spektroskopie als Puffer gegen eine zu schnelle
sche Pulver, die vereinzelt bei der Synthese halb-
Ionisierung leicht oxidierbarer Metalle ein, oder
leitender Materialien und in Photokathoden ein-
es ist Bestandteil wässriger Lösungen, die bei der
gesetzt werden. Gleiches gilt für Cäsiumtellurid
Reinigung von Nukleinsäuren mittels einer Ultra-
(Cs2Te) (Kong et al. 1995).
zentrifuge verwendet wird.
Halogenverbindungen Cäsiumfluorid (CsF) ist
Cäsiumbromid (CsBr) stellt man analog
ein farbloser (s. Abb. 49), kubisch kristallisieren-
aus Cäsiumhydroxid oder Cäsiumcarbonat und
Bromwasserstoffsäure her. Die farblosen Kristalle dukt, Cäsiumhydrogenacetylid CsHC2 muss zügig
kubischer „Cäsiumchlorid“-Struktur schmelzen erhitzt werden, dann bildet sich Cäsiumcarbid (Cä-
bei 636 C (Siedepunkt der Schmelze: 1300 C) siumacetylid). Zu langsames Erwärmen führt zur
und haben die Dichte 4,44 g/cm3. Es löst sich bei Zersetzung des Zwischenproduktes in Cäsium,
25 C in einer Menge von 1230 g/L in Wasser, es Kohlenstoff und Ethin (Kosolapova 2012, S. 65;
ist aber ebenfalls gut in niedrigen Alkanolen Auner et al. 2014, S. 44). Aber auch Cäsiumcarbid
löslich (Holleman et al. 2007, S. 1281). Aus wird beim Glühen zu den Elementen zersetzt. Mit
dem Material stellt man Fenster und Prismen Wasser reagiert die Verbindung heftig unter Frei-
für Infrarotspektrometer und für Szintillations- setzung von Ethin und Bildung von Cäsiumhydro-
zähler her; der Brechungsindex beträgt bei xid.
25 C 1,6974. Für Cäsiumcarbid berichtet die Literatur
Cäsiumiodid (CsI) erhält man entsprechend zwei verschiedene Modifikationen, die im
durch Auflösen von Cäsiumhydroxid in Iodwas- Gleichgewicht miteinander stehen. In der hexago-
serstoffsäure. Das bei einer Temperatur von nalen Modifikation ist ein Cäsiumion von je vier
626 C schmelzende, farblose (s. Abb. 51a, b) C22–-Hanteln im Natriumperoxidtyp umgeben,
Salz besitzt einen Brechungsindex von 1,73916 daneben gibt es auch die noch nicht genau cha-
und eine Dichte von 4,51 g/cm3. Kristalle des rakterisierte orthorhombische Modifikation
Cäsiumiodids verursachen über einen sehr weiten (Ruschewitz et al. 2001).
Wellenlängenbereich nur geringe Reflexionsver- Cäsiumcarbonat (Cs2CO3) gewinnt man aus
luste und sind zudem lichtdurchlässig zwischen natürlich vorkommenden Mineralien wie Pollucit
Ultraviolett (240 nm) und fernem Infrarot oder Spodumen. Man mahlt diese klein und
(70.000 nm). Man verwendet das Material daher erhitzt sie zusammen mit einer Aufschlämmung
oft zur Herstellung von Prismen und Spiegeln in gelöschten Kalks (Calciumhydroxid-Lösung)
Spektrometern und Szintillatoren (Kulikov und unter Druck auf 220 C. Nach dem Abfiltrieren
Malyshev 1983; Riedel 2011, S. 624), muss aller- unlöslicher Nebenprodukte verbleibt eine wässri-
dings den Zutritt von Luftfeuchtigkeit ausschlie- ge, alkalische Lösung von Cäsiumcarbonat. Über
ßen, da Cäsiumiodid stark hygroskopisch ist. deren Neutralisation mit Mineralsäure, Fällung als
Luftsauerstoff wirkt bei längerer Exposition eben- Cäsiumaluminiumsulfat und Überführung in Cä-
falls oxidierend, es bilden sich dann allmählich ciumhydroxid erhält man schließlich durch Ein-
Cäsiumiodat und freies Iod, was an der leichten leiten von Kohlendioxid reines Cäsiumcarbonat
Gelbfärbung der Verbindung zu erkennen ist. (Prinz et al. 1995; Blatter und Schuhmacher
Sonstige Verbindungen Das in reiner Form wei- 1986).
ße, luftempfindliche Cäsiumcarbid (Cs2C2) erhält Cäsiumcarbonat bildet ein weißes Pulver
man durch Einleiten von Ethin in eine Lösung von (s. Abb. 52a, b), schmilzt bei 610 C, hat die
Cäsium in flüssigem Ammoniak, das auf einer Dichte 4,07 g/cm3, ist hygroskopisch (Bick und
Temperatur von 40 C gehalten wird. Das zu- Prinz 2005) und leicht löslich in Wasser (2605 g/L
nächst aus der Lösung ausfallende Zwischenpro-
bei 15 C) unter Bildung einer basischen, klaren geringen Ionisierungsenergie ist es als Material
Lösung. Anders als Kaliumcarbonat (Pottasche) für Glühkathoden denkbar. Die Raumfahrttechnik
oder Natriumcarbonat (Soda) ist Cäsiumcarbonat nutzt Cäsium neben Quecksilber und Xenon
auch in organischen Lösungsmitteln wie Ethanol wegen seiner großen Atommasse als Antriebsmit-
gut löslich (Flessner und Doye 1999), kristallisiert tel in Ionenantrieben.
monoklin mit vier Formeleinheiten pro Elementar- Das Reinelement Cäsium ist das die Frequenz
zelle (Perelman 1965, S. 46). Beim Glühen gibt es bestimmende Element in den Atomuhren, die die
Kohlendioxid ab. Basis für die koordinierte Weltzeit darstellen
Cäsiumcarbonat setzt man als stark basischen (Bauch 1994), begünstigend hierfür ist die nied-
Katalysator bei solchen organischen Synthesen rige Verdampfungstemperatur, aus dem leicht en
ein, wo eine stärkere Basizität deutliche Verbes- Atomstrahl konstanter Geschwindigkeit erzeugt
serungen der Ausbeute zur Folge hat, so etwa werden kann. Diese Atomwolke kann man mittels
bei Veresterungen oder der Darstellung von Ma- magnetooptischer Fallen in der Schwebe halten und
krocyclen. Ein gutes Beispiel ist die fälschlicher- auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts
weise Wittig-Horner-, korrekt Horner-Wads- abkühlen. So war es möglich, die Genauigkeit der
worth-Emmons-Reaktion genannte Synthese von Cäsium-Atomuhr noch stark zu verbessern.
Alken- aus Phosphonocarbonsäuren.
Das in Form farbloser Kristalle vorliegende Analytik Für Cäsium charakteristisch sind die bei
Cäsiumnitrat (CsNO3) ist durch Auflösen von den Wellenlängen von 455 und 459 nm auftreten-
Cäsiumcarbonat in Salpetersäure erhältlich. Das den, blauen Spektrallinien. Daneben kann man Cä-
wasserfreie Salz schmilzt bei 414 C, hat die sium qualitativ über sein Perchlorat (CsClO4) und
Dichte 3,7 g/cm3 und kristallisiert sowohl kubisch Hexachloroplatinat (Cs2PtCl6) nachweisen.
als auch hexagonal. Wie die anderen Nitrate der
Alkalimetalle zersetzt sich Cäsiumnitrat beim Physiologie Cäsium ist für Säugetiere nicht
Erhitzen, gibt also Sauerstoff unter Bildung von essenziell und daher auch nicht für irgendwelche
Cäsiumnitrit ab. Die Verbindung geht in großer biologischen Prozesse erforderlich. Da sich Cä-
Menge in militärische Leuchtmunition und Infra- siumionen ähnlich zu denen des Kaliums verhal-
rottarnnebel, da Cäsiumionen wegen ihrer relati- ten, wird es im Magen-Darm-Trakt resorbiert und
ven Größe große Hydrathüllen bilden können und meist im Muskelgewebe gespeichert. Cäsium
somit wirksame Keime für die Kondensation von zeigt keine nennenswert toxischen Wirkungen.
Wasser sind, also die Bildung von Nebel stark
fördern (Koch 2002; Lohkamp 1973; Weber 1984).
Das farblose, äußerst feuchtigkeitsempfindli- Patente
che Cäsiumhydrid (CsH) stellt man durch Re- (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
aktion von Cäsium mit Wasserstoff dar (Brauer wide.espacenet.com)
1978, S. 950):
S. T. Lim und K. H. Hong, Pre-filter removal
2 Cs þ H2 ! 2 CsH of cesium and method for manufacturing
same (Picogram Co., Ltd.; Korea Atomic
Cäsiumhydrid schmilzt bei 528 C, hat die- Energy Research Institute, US 2019076765
Dichte 3,41 g/cm3 und kristallisiert in der A1, veröffentlicht 14. März 2019)
kubischen Kristallstruktur des Natriumchlorid- M. Mokmeli und D. Dreisinger, Recovery
Typs, die bei Anwendung hohen Drucks in die of cesium from epithermal mineral
des Cäsiumchlorid-Typs übergeht (Bashkin et al. deposits (Cascadero Copper Corp., US
1982). 2019048437 A1, veröffentlicht 14. Fe-
bruar 2019)
Anwendungen Für metallisches Cäsium gibt es
nur sehr wenige Einsatzgebiete. Aufgrund seiner (Fortsetzung)
62 1 Wasserstoff und Alkalimetalle: Elemente der ersten Hauptgruppe
M. A. Beck und T. J. Gammon, Tank clo- Sie promovierte 1946 an der Sorbonne, war
sure cesium removal (Westinghouse dann bis 1949 Leiterin des Radiuminstituts
Electric Co. LLC, CA 3031631 A1, ver- (Institut du Radium) in Paris und wechselte
öffentlicht 1. Februar 2019) dann an die Universität Straßburg auf den
T. Sakuma und M. Komatsu, Treatment Lehrstuhl für Radiochemie.
method of radioactive waste water con- Perey informierte die Académie des Sci-
taining radioactive cesium and radioac- ences (Akademie der Wissenschaften) 1939
über das von ihr als Zerfallsprodukt des
tive strontium (Ebara Corp.; Nippon
Actiniums gefundene Element Actinium-
Chemical Ind., US 2019006055 A1, ver-
K, das 1946 in Francium umbenannt wurde
öffentlicht 3. Januar 2019)
(Perey 1939; Perey und Adloff 1956). Sie
M. Sato und S. Sato, Radioactive cesium
war die erste Frau, die 1962 als korrespon-
remover and removal method (Univer-
dierendes Mitglied in die Akademie aufge-
sity of Fukushima; Nippon Soda Co., nommen wurde (Adloff und Kauffman
JP 2018185305, veröffentlicht 22. No- 2005); zuvor (1960) wurde sie Offizier der
vember 2018) Ehrenlegion und erhielt den Großen Preis
M. Anderson und T. M. Burke, Sodium- der Stadt Paris. 1964 verlieh die Akademie
cesium vapor trap system and method ihr den Lavoisier-Preis; 1974 erhielt Perey
(Terrapower LLC, CA 3016932 A1, ver- den Großen Nationalen Verdienstorden.
öffentlicht 8. März 2018) Durch langjährigen Kontakt mit radioakti-
ven Stoffen erkrankte sie 1960 an Krebs, sie
erblindete und verlor eine Hand durch
Amputation.
5.7 Francium
Geschichte Schon 1871 sagte Mendelejew die Vorkommen und Herstellung Francium kommt
Existenz eines zu Cäsium höheren homolo- in winzigen Spuren in der Erdkruste vor. Das Iso-
gen Elementes voraus, auch wenn der dafür vor- top 22387Fr konnte erst 1939 als Zerfallsprodukt
gesehene Platz in dem von ihm aufgestellten Pe- des Actiniumisotops 22789Ac nachgewiesen wer-
riodensystem noch leer war. Nach diversen den. 1946 erhielt das Element den Namen Fran-
Veröffentlichungen, in denen die erstmalige Auf- cium (Hyde 1960).
findung des neuen Elements fälschlicherweise Die Entdeckung des ursprünglich von Mende-
behauptet wurde (Emsley 2011, S. 186), gelang lejev Eka-Cäsium genannten Elements gelang Pe-
dies erst Perey 1939. Sie wies das Isotop 22387Fr rey am 7. Januar 1939 im Pariser Radium-Institut
als Produkt des α-Zerfalls von 22789Ac eindeutig (Adloff und Kauffman 2005). Bei der chemischen
nach. Zuerst nannte es Perey „Actinium-K“, 1946 Aufarbeitung zwecks Reinigung einer Probe von
227
schlug sie den Namen „Francium“ vor, den die 89Ac, dessen ausgesandte Strahlung mit einer
IUPAC 1949 akzeptierte. Energie von 220 keV angegeben war, fand Perey
auch Teilchen mit einer wesentlich geringeren
Energie (80 keV). Diese strahlte auch das gerei-
nigte Actinium weiter ab, musste also durch Zer-
Die französische Chemikerin und Physikerin fall des 22789Ac entstanden sein. Weitere Versuche
Marguerite Catherine Perey (* 19. Okto- führten zum Ausschluss möglicherweise hierfür
ber 1909 Villemomble; † 13. Mai 1975 in Frage kommender Elemente wie Thallium,
Louveciennes) studierte Chemie an der Blei, Bismut, Radium oder Thorium. In wässriger
Technischen Hochschule für Frauen in Paris, Lösung vorhandene kleinste Mengen des Ele-
diplomierte dort 1929 und arbeitete dann von ments ließen sich zusammen mit Cäsiumsalzen
1929 bis 1946 im Pariser Radium-Institut, ausfällen, so dass Perey auf das Vorliegen eines
bis 1934 als Assistentin von Marie Curie.
Alkalimetalls mit der Ordnungszahl 87 schloss,
5 Einzeldarstellungen 63
das durch α-Zerfall des 22789Ac gebildet worden ten Beschleuniger her, der 1995 an der New York
sein musste. Perey ermittelte noch den Anteil eines State University in Stony Brook errichtet wurde.
β-Zerfalls der Probe von 22789Ac zu 22790Th Abhängig von der Energie des Strahls von Sauer-
mit ca. 1 %. stoffnukliden kann man die Ausbeute an einzel-
Perey nannte das neue Isotop zunächst Acti- nen Isotopen des Franciums steuern:
nium-K (heute: 22387Fr). 1946 schlug sie vor, das
neue Element Francium, nach ihrem Heimatland 197
79 Au þ 18
8O ! 215x
87 Fr þ x1 0 n
Frankreich, zu benennen. Nach der Anerkennung
des namens durch die IUPAC ist Francium nach Die so erzeugten Franciumionen reduziert man
Gallium somit das zweite Element, das nach durch Kollision mit einem Target aus Yttrium zu
Frankreich benannt ist. Atomen, die im gasförmigen Zustand in einer
magneto-optischen Falle (MOT) aufgefangen wer-
Herstellung Francium stellt man in Form seiner den. Die Atome bleiben nur ca. 30 s in dieser Falle,
leichten Isotope heute künstlich durch Bombar- bevor sie entweichen oder zerfallen. Es werden
dieren eines aus 19779Au bestehenden Targets mit immer frisch erzeugte Atome nachgeliefert; die
18
8O-Kernen in einem speziell hierfür entwickel- Falle wurde mittlerweile auf ein Fassungsvermögen
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05.pub2
Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten
Hauptgruppe 2
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
tium und Barium darstellen. Auch Beryllium und Die Elemente der Gruppe der Erdalkalimetalle
Magnesium sind in elementarer Form seit etwa finden Sie in der Gruppe 2 (II A).
derselben Zeit bekannt, und die bahnbrechenden
Arbeiten des Ehepaars Curie Ende des 19. Jahr-
hunderts zur Entdeckung des Radiums öffneten 2 Vorkommen
das Tor zu einer völlig neuen Welt, der Chemie
der radioaktiven Elemente, die ich in einem wei- Magnesium bzw. Calcium sind mit 1,9 % bzw.
teren ▶ Kap. 19, „Radioaktive Elemente: Actinoi- 3,4 % am Aufbau der Erdhülle beteiligt und ge-
de“ bereits beschrieben habe. hören damit zu den häufigsten Elementen. Auch
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Barium rangiert mit einem Anteil von 0,35 %
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie immerhin auf Platz 14 der Rangliste der häufigs-
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- ten Elemente. Die Vorkommen von Strontium und
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die Beryllium sind dagegen seltener, und Radium
meisten Elemente können sich untereinander ver- kommt als Zwischenprodukt radioaktiver Zer-
binden und bilden chemische Verbindungen; so fallsreihen bei einer zugleich eigenen kurzen
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische Halbwertszeit von etwa 1600 a nur in geringsten
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz). Spuren vor. (Das zur Zeit der germanischen Völ-
Einschließlich der natürlich vorkommenden kerwanderung vorhandene Radium ist also schon
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich mehr als zur Hälfte zerfallen, und glücklicherwei-
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- se steht – noch jedenfalls – wesentlich mehr Uran
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. zur Verfügung, um diesen Verlust durch radioak-
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
tiven Zerfall zum Radium hin, auch wenn dieser Dichte hat Calcium mit 1,55 g/cm3. Hiervon aus-
langsamer abläuft, auszugleichen.) gehend steigt die Dichte nach oben leicht und nach
Magnesium- und Calciumcarbonat sind Grund- unten hin stark an, wobei Radium mit 5,5 g/cm3 die
stockvieler Gebirge, darüber hinaus kommt Cal- höchste Dichte besitzt und so ein Schwermetall ist.
cium in den Knochen eines Menschen in einer Die Mohshärte des Berylliums mit 5,5 charak-
Menge von etwa 1 kg vor. Große Mengen an Ma- terisiert einen bereits ziemlich harten Stoff. Seine
gnesiumsalzen finden sich in Meerwasser. Barium höheren Homologen vom Magnesium an sind
bildet in Form seines Sulfats große Lagerstätten von wesentlich weicher, wobei die Härten dann noch
Schwerspat aus. Strontium erscheint in der Natur mit steigender Ordnungszahl abnehmen. Radium
ebenfalls als Sulfat, aber in deutlich geringerer Häu- ist bereits sehr weich.
figkeit. Beryllium tritt nur in Gestalt einiger Mine- Die ersten drei Erdalkalimetalle, Beryllium,
ralien („Beryll“) auf. Radium ist in der uranhaltigen Magnesium und Calcium, leiten den elektrischen
Pechblende nur mit einem Anteil, bezogen auf den Strom sehr gut. Dagegen fallen Strontium, Ba-
Urangehalt, von 1:3 Mio. enthalten. rium und Radium deutlich ab, wobei aber auch
Die Einzeldarstellungen der insgesamt sechs sie eine noch sehr gute elektrische Leitfähigkeit
Vertreter der Gruppe der Erdalkalimetalle enthal- aufweisen.
ten dabei alle wichtigen Informationen über das Das erste Element der Gruppe, Beryllium, hat den
jeweilige Element, so dass hier eine eher kurze jeweils höchsten Schmelz – bzw. Siedepunkt (1278
Einleitung folgt. bzw. 2969 C) und verhält sich damit ähnlich wie die
benachbarten Kopfelemente der ersten (Lithium)
und dritten Hauptgruppe (Bor). Magnesium fällt
3 Herstellung mit einem Schmelzpunkt von 650 C und einem
Siedepunkt von 1110 C stark ab. Die Schmelz-
Zur Herstellung der reinen Metalle stehen mehrere punkte der anderen Erdalkalimetalle liegen in der
Möglichkeiten offen. Entweder man reduziert wie Größenordnung von 700–800 C und die Siede-
im Falle des Strontiums und Bariums die natürlich punkte der Metalle von Calcium bis Radium zwi-
vorkommenden Sulfate zu den Sulfiden und hydro- schen ca. 1400 und 1700 C.
lysiert diese mit Kohlensäure zu den jeweiligen
Carbonaten. Jene glüht man zu den Oxiden, die
dann mit Aluminium zu Strontium- bzw. Barium- 4.2 Chemische Eigenschaften
metall umgesetzt werden. Calcium stellt man meist
durch Reduktion des Oxids mit Aluminium her, Die typischen Reaktionen der Erdalkalimetalle
Magnesium durch Umsetzung von Magnesium- sind in den folgenden Gleichungen wiedergege-
oxid mit Eisen bei Temperaturen von jeweils über ben, wobei M für das jeweilige Metall steht. Die
1000 C. Beryllium produziert man heute tech- Reaktionsfähigkeit der Erdalkalimetalle steigt mit
nisch durch Reduktion von Berylliumfluorid (BeF2) ihrer Ordnungszahl:
mit Magnesium oder auch mittels Schmelzfluss-
elektrolyse von Berylliumchlorid (BeCl2). Oxidation : 2 M þ O2 ! 2 MO
Ohne Anwesenheit eines Katalysators reagiert Geschichte Vauquelin (Kurzbiografie siehe „Chrom“)
Beryllium nicht mit Wasserstoff. Magnesium setzt isolierte 1798 Berylliumoxid aus den Edelsteinen
sich nur unter Anwendung hohen Drucks zu sei- Beryll und Smaragd. Gleiches gelang Klaproth
nem Hydrid um. Die „echten“ Erdalkalimetalle (Kurzbiografie siehe „Cer“) etwas später; er nannte
von Calcium bis Radium reagieren, in der genann- das von ihm erhaltene Berylliumoxid „Beryllium“.
ten Reihenfolge mit zunehmender Heftigkeit, Erst 1828 konnten Wöhler (Kurzbiografie siehe
schon unter Normaldruck. Die so gebildeten Hy- „Yttrium“) und Bussy das Metall in noch unreiner
dride besitzen ein Ionengitter. Form durch Reduktion von Berylliumchlorid mit
Kalium darstellen. Lebeau erhielt 1899 Beryllium
durch die erstmals durchgeführte Elektrolyse
Reaktion mit Wasser : M þ 2 H2 O
! MðOHÞ2 þ H2 " geschmolzenen Natriumtetrafluoroberyllats (Na2-
BeF4). Das Wort „Brille“ leitet sich vom Namen
„Beryll“ ab, da vor der Erfindung der Brille im 14.
Beryllium wird wie Aluminium in Wasser pas-
Jahrhundert die ersten Augengläser aus diesem
siviert und reagiert nicht. (Dies ist eines der Bei-
Mineral gefertigt wurden.
spiele für die Schrägbeziehungen im Periodensys-
tem, nach der das Kopfelement der ersten bis
dritten Hauptgruppe zum zweiten der jeweils Der französische Pharmazeut, Arzt und
darauf folgenden Hauptgruppe überleitet.) Ma- Chemiker Antoine Alexandre Brutus
gnesium wird ebenfalls noch passiviert; es bildet Bussy (* 29. Mai 1794 Marseille; † 1. Fe-
sich eine schützende Schicht aus Magnesiumoxid. bruar 1882 Paris) studierte Chemie an der
Diese löst sich aber in heißem Wasser, so dass Pariser École de Pharmazie, promovierte
dann das Metall dem Angriff des Wassers ausge- darin 1823 und etwas später auch in Medi-
setzt ist und sich zügig unter Bildung von Magne- zin. Er hatte bis 1874 den Lehrstuhl für
siumhydroxid auflöst. Von Calcium an regieren Chemie an der École Superieure de Phar-
die Erdalkalimetalle schon bei Raumtemperatur macie in Paris inne und war gleichzeitig
lebhaft mit Wasser unter Bildung von Wasserstoff auch deren Direktor. Ebenso lehrte er Che-
und des Metallhydroxids. mie an der École Municipale Lavoisier.
stabil und wird schnell aufgelöst. An feuchter Luft In Alkalilaugen löst sich Beryllium unter
bildet sich auf seiner Oberfläche das Hydroxid Bildung des entsprechenden Beryllats ([Be
[Be(OH)2]; die Korrosion des Metalls erfolgt vor (OH)4]2), analog zum Aluminium (Aluminat),
allem bei höheren Temperaturen schneller. Ge- und zeigt damit seinen amphoteren Charakter,
genüber Luft, Sauerstoff sowie Stickstoff ist der deutlich von dem der anderen Erdalkalimetal-
Beryllium dagegen bis zu hohen Temperaturen le abweicht, deren Hydroxide teils stark basisch
beständig. reagieren.
5 Einzeldarstellungen 79
Beryllium besitzt mit 94Be nur ein stabiles Alexandrit, der im Wellenlängenbereich des roten
Isotop, aus dem das natürlich vorkommende Ele- Lichtes (755 nm) emittiert und für medizinische
ment auch praktisch ausschließlich zusammenge- Zwecke eingesetzt wird (Maushagen et al. 2002).
setzt ist. Die radioaktiven Isotope 74Be und 104Be Man stellt Berylliumoxid durch Zugabe von
kommen fast ausschließlich im Weltall vor und Basen zu den wässrigen Lösungen von Salzen
sind nur in geringsten Spuren auch auf der Erde des Berylliums her, aus denen dann Beryllium-
vorhanden. II-hydroxid ausfällt, Dieses wird abfiltriert und
Wegen seiner vergleichsweise langen Halb- zum Berylliumoxid gebrannt.
wertszeit von 1,51 106 a dient das Isotop 104Be Berylliumoxid löst sich in starken Säuren und
in der Geologie zur Bestimmung der Zeit, an scheidet daher für Anwendungen aus, bei denen
dem zurückweichende Gletscher das betreffende es mit diesen in Kontakt kommt. Zudem ist wegen
Gestein offengelegt haben könnten (Finkel und seiner Giftigkeit seine Verarbeitung und Anwen-
Suter 1993), da die an einem Ort vorhandene dung seit langem strengen Kontrollen unterzogen.
Konzentration dieses Isotops von der auf die Erde Generell müssen Berylliumoxid enthaltende Bau-
treffenden kosmischen Strahlung abhängig ist. teile gekennzeichnet sein. Vielfach ersetzt man es
Jene korreliert direkt mit der Stärke des irdischen durch das ungiftige Bornitrid oder Aluminium-
Magnetfeldes und der Strahlungsaktivität der nitrid.
Sonne (Gassmann 1994; Pott 2005). Das Iso- Berylliumsulfid (BeS) ist ebenfalls ein hoch-
top 104Be wird zudem mit anderen gasförmigen schmelzender Feststoff (1800 C), der eine Dichte
Elementen in Eis eingeschlossen; somit ist es von 2,36 g/cm3 besitzt und mit kubischer Struktur
möglich, aus Eisbohrungen den Zusammenhang kristallisiert. Die Verbindung ist entweder aus den
zwischen Sonnenaktivität und der in der Vergan- Elementen bei hoher Temperatur (I, 1150 C) oder
genheit herrschenden Temperatur aufzuzeigen durch Reaktion von Berylliumoxid mit Kohlen-
(Curran et al. 2011). stoffdisulfid darstellbar (II, Brauer 1975, S. 894):
Verbindungen (I)
Be þ S ! BeS
Chalkogenverbindungen Berylliumoxid (BeO) ist
ein hochschmelzender (2575 C) weißer Feststoff (II)
(siehe Abb. 2) (Siedepunkt der Schmelze: 2 BeO þ CS2 ! 2 BeS þ CO2
4120 C), der die Dichte 3,02 g/cm3 aufweist und
außerdem sehr hart, durchschlagsfest und wärme- Es ist ein graues bis weißes Pulver (s. Abb. 3),
leitend ist, aber auch als elektrischer Isolator wirkt. das an feuchter Luft unter Freisetzung von
Die Verbindung kristallisiert mit hexagonaler Struk- Schwefelwasserstoff hydrolysiert. Mit Säuren und
tur. Man setzt Berylliumoxid daher meist in kera- Kohlendioxid setzt es sich zügig um (Walsh
mischen Bauteilen (Zündkerzen, Schutzrohre für 2009). Berylliumsulfid ist ein II-VI-Halbleiter
Thermoelemente, wärmeabsorbierende Ummante- mit einer indirekten Bandlücke von 4,7 eV (Ropp
lungen von Halbleitern und Schmelztiegel) ein. 2012). Einkristalle des Berylliumsulfids haben
Ein im Verhältnis 1:1 gezüchteter, aus BeO und einen Brechungsindex von 1,741 und eignen sich
Al2O3 bestehender und mit Chromatomen dotierter daher prinzipiell als Material für optische Linsen,
Mischkristall ist Grundprinzip des Festkörperlasers Prismen und Spiegel.
Berylliumselenid (BeSe) ist erhältlich durch
Umsetzung von Beryllium mit Selen unter reduk-
tiven Bedingungen (Wasserstoff-Atmosphäre) bei
1100 C (Brauer 1975, S. 896). Die graue kristal-
line Masse der Dichte 4,315 g/cm3 zersetzt sich
bei Kontakt mit Wasser zu Berylliumhydroxid
und giftigem Selenwasserstoff. Auch Beryllium-
selenid ist ein II-VI-Halbleiter (Gust 2012),
Abb. 2 Berylliumoxid (Leiem 2017) ebenso wie Berylliumtellurid (BeTe), dessen
80 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
und dimere BeCl2-Einheiten vor. Beryllium- ist Temperatur (2200 C) unter Zersetzung schmel-
wie Aluminiumchlorid eine Lewis-Säure, löst zendes Pulver, das man durch Reaktion von
sich wie jenes in Alkoholen oder Ethern und ist Beryllium mit Ammoniak bei 1100 C erzeugt
so als Katalysator in Friedel-Crafts-Alkylierungen (I, Perry 2011, S. 64). Analog kann man es durch
einsetzbar; wegen der Giftigkeit der Beryllium- Überleiten von Stickstoff über geschmolzenes
verbindungen wird dies aber kaum oder gar nicht Beryllium darstellen (II, Ropp 2012):
realisiert.
Berylliumbromid (BeBr2) erzeugt man meist (I)
3 Be þ 2 NH3 ! Be3 N2 þ 3 H2
durch Reaktion von Berylliumoxid mit Brom
und Kohle bei 1100 bis 1200 C (Walsh 2009);
(II)
alternativ ist auch die Umsetzung von Beryllium- 3 Be þ N2 ! Be3 N2
oxid mit Bromwasserstoff bzw. dessen wässri-
ger Lösung möglich (Parsons 1909). Es ist ein
sehr hygroskopisches, weißes Pulver der Dichte Berylliumnitrid zersetzt sich in Wasser lang-
3,47 g/cm3, das bei 507 C schmilzt; die Schmelze sam, in Säuren und Basen schnell unter Abgabe
siedet bereits bei 520 C. Auch Berylliumbomid von Ammoniak; bei Temperaturen oberhalb von
löst sich in Wasser leicht, erleidet darin aber zügig 600 C oxidiert es an der Luft (Perry 2011, S. 64).
Hydrolyse. Es wird zur Herstellung feuerfester Keramik ver-
Berylliumiodid (BeI2) erzeugt man durch Über- wendet. Die beiden Kristallmodifikationen der
leiten von Ioddampf über auf 500–700 C erhitz- Verbindung (Umwandlungstemperatur: 1450 C)
tes Beryllium (Perry und Phillips 1995, S. 63). Die wurden eingehend hinsichtlich ihrer Kristallstruk-
weiße Verbindung schmilzt bzw. siedet bei 480 C tur untersucht (Reckeweg et al. 2003; Wriedt und
bzw. 590 C und hat eine Dichte von 4,325 g/cm3. Okamoto 1987).
Eine weitere Möglichkeit der Darstellung ist Berylliumcarbid (Be2C) entsteht beim Erhitzen
das Überleiten von Iodwasserstoff über erhitztes einer Mischung der Elemente im stöchiometri-
Berylliumcarbid: schen Verhältnis auf ca. 1000 C (I) oder auch
von Berylliumoxid und Kohle (II). Es liegt in
Be2 C þ 4HI ! 2 BeI2 þ CH4 Form gelbroter Kristalle vor, die sich oberhalb
von 2100 C zersetzen. Mit Wasser reagiert es
Durch Reaktion mit anderen Halogenen lässt bereits bei Raumtemperatur langsam zu Methan
sich Iod leicht durch das alternative Halogen aus- und Berylliumhydroxid (III):
tauschen. Mit Oxidationsmitteln wie Chlorat oder
Permanganat erfolgt teils heftige Reaktion unter (I)
Freisetzung violetten Ioddampfes, auch einfaches 2 Be þ C ! Be2 C
Erhitzen an der Luft kann zur Selbstentzündung
der Verbindung führen. (II)
2 BeO þ C ! Be2 C þ O2
Sonstige Verbindungen Berylliumnitrid (Be3N2)
ist ein weißgraues (s. Abb. 5), erst bei hoher (III)
Be2 C þ 4 H2 O ! 2 BeðOHÞ2 þ CH4 "
tome sind unter anderem Schäden der Haut, Lun- schaftliche Untersuchung geschah ab Mitte des 18.
gen, Milz und der Leber. Das Element akkumu- Jahrhunderts durch den Schotten Black, der ver-
liert im menschlichen Körper und kann auch nach suchte, Kalk (Calciumcarbonat) und Magnesium-
Jahren zur Bildung von Tumoren führen. Das carbonat zu unterscheiden. Black sah letzteres als
Einatmen von Stäuben des Metalls oder seiner Verbindung eines neuen Elements an, stellte die-
Verbindungen ist sehr gefährlich, da sich dann ses selbst aber nie her. Etwa 50 Jahre später, 1808,
Wucherungen des Lungengewebes ausbilden kön- isolierte dann Davy (Kurzbiografie siehe „Na-
nen (Berylliose). trium“) Magnesium durch Elektrolyse angefeuch-
Bei der Verarbeitung metallischen Berylliums teten Magnesiumhydroxids mittels einer damals
ist unbedingt dafür zu sorgen, dass dabei entste- gebräuchlichen Elektrolysezelle, der Voltaschen
hende Späne und Stäube abgesaugt werden. Das Säule, aber nur in Form seines Amalgams, da die
Aufarbeiten elektrischer und elektronischer Bau- Kathode der Zelle aus Quecksilber bestand.
elemente muss in jedem Fall unter Beachtung der Davy nannte das neue Element zunächst Mag-
erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen erfolgen, nium (nach „Magnesia“, Magnesiumoxid).
da in ihnen ebenfalls Beryllium bzw. sein Oxid 1828 konnte Bussy (Kurzbiografie siehe „Beryl-
enthalten sein kann. lium“) durch das Erhitzen trockenen Magnesi-
umchlorid mit Kalium geringe Mengen reinen
Magnesiums darstellen. 1833 gelang Faraday die
Patente Elektrolyse geschmolzenen Magnesiumchlorids
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world und damit die Gewinnung kleiner Mengen metalli-
wide.espacenet.com) schen Magnesiums. Dieses Elektrolyseverfahren
entwickelte Bunsen (Kurzbiografie siehe „Rubi-
X. Ziu, Processing method for beryllium dium“) um 1850 weiter und entwickelte 1852 eine
copper alloy elastic conducting wire spe- modernere Elektrolysezelle, die, ausgehend von
cially for super-micro-distance connec- geschmolzenem Magnesiumchlorid, die Produktion
tor (Huzhou Beryllium Copper Alloy des Magnesiums in größerem Maßstab erlaubte.
Co., Ltd., CN 108642320 A, veröffent- Prinizpiell wird dieses Verfahren bis heute ange-
licht 12. Oktober 2018) wandt, auch wenn zwischenzeitlich Verfahren wie
R. O. Bach, Production and recovery of der Deville-Caron-Prozess etabliert waren, also die
beryllium chloride (Beryllium Metals & Reduktion eines aus wasserfreiem Magnesiumchlo-
Chemicals Co., US 3250592 A, veröf- rid und Calciumchlorid bestehenden Gemisches mit
fentlicht 10. Mai 1966) Natrium, die aber nicht wirtschaftlich durchzufüh-
H. C. Kawecki, Process of preparing be- ren war und deshalb später wieder eingestellt wurde.
ryllium fluoride (Beryllium Corp., US
2647818 A, veröffentlicht 4. August
1953) Der schottische Chemiker und Physiker
H. C. Claflin, Process for producing be- Joseph Black (* 16. April 1728 Bordeaux;
ryllium metal (Beryllium Development † 6. Dezember 1799 Edinburgh) wies als
Corp., US 1861656 A, veröffentlicht Erster Kohlendioxid nach; man zählt ihn
7. Juni 1932) neben Davy, Bussy und Faraday zu den
Entdeckern des Magnesiums. Er war Sohn
eines irischen, in Bordeaux ansässigen
Weinhändlers; die Familie schickte ihn
5.2 Magnesium 1740 nach Nordirland. Ab 1746 studierte
er an der Universität Glasgow Chemie und
Geschichte Viele Verbindungen des Magnesi- wechselte fünf Jahre später an die Universi-
ums kannte man schon Jahrhunderte vor der tät Edinburgh.
Herstellung des Metalls. Eine erstmalige wissen-
5 Einzeldarstellungen 85
In seiner 1754 veröffentlichten Dissertation Isolatoren und verwendete den von Whewell
beschrieb er die Ergebnisse von Untersu- definierten Begriff des Dielektrikums. 1852
chungen über Magnesiumoxid und – car- fasste Faraday seine Ergebnisse zu Unter-
bonat. Er erhielt 1755 der Lehrstuhl für suchungen von Kraftlinien und Feldern
Chemie an der Universität Glasgow und in seiner Schrift „Über den physikalischen
untersuchte weiterhin Verbindungen des Charakter der magnetischen Kraftlinien“
Magnesiums. Seine Arbeit diente zum zusammen und leitete darin auch den Zu-
Nachweis der Existenz von Kohlendioxid sammenhang zwischen der Masse eines
in der Luft. Er beschrieb erstmals Schmelz- Körpers und der von ihm ausgehenden Gra-
und Verdampfungswärme des Wassers, was vitationskraft ab (Cantor 1991; Cantor et al.
für die Konstrukteure der ersten Dampfma- 1996; Hamilton 2004; James 2010; Lemme-
schinen von Bedeutung war; einer seiner rich 1991; Thomas 1991; Williams 1965).
Schüler war James Watt. 1766 ging er nach
Edinburgh, da er dort eine Professur für
Chemie an der dortigen Universität erhielt Vorkommen Magnesium kommt, wie die ande-
(Guerlac 1970, S. 173–183). Black galt als ren Erdalkalimetalle auch, wegen seiner Reaktivi-
einer der Pioniere der quantitativen Chemie tät nicht elementar, sondern nur in Form seiner
(Crosland 1959). Black war ab 1783 Ehren- Verbindungen vor, meist in Form mineralischer
mitglied der Russischen Akademie der Wis- Carbonate, Silikate, Chloride und Sulfate. Das aus
senschaften und ab 1789 korrespondieren- Magnesium- und Calciumcarbonat bestehende
des Mitglied der französischen Akademie Doppelsalz Dolomit bildet den größten Teil vieler
der Wissenschaften (Speter 1974; Anderson Gebirgsstöcke, so auch der Alpen („Dolomiten“).
und Fyffe 1992). Bekannte Mineralien sind Dolomit CaMg(CO3)2,
Magnesit (MgCO3), Olivin [(Mg, Fe)2SiO4],
Der britische Naturwissenschaftler Michael Enstatit (MgSiO3), Kieserit (MgSO4 H2O), Spi-
Faraday (* 22. September 1791 Newing- nell (MgAl2O4), Sepiolith [Mg4(Si6O15)(OH)2]
ton; † 25. August 1867 Hampton Court Schönit [K2Mg(SO4)2 6 H2O], Carnallit (KMgCl3
Green) war unter anderem für die erstmalige 6 H2O) und Talk Mg3[Si4O10] (OH)2. Serpentin
Beschreibung elektromagnetischer Felder
(Mg3[Si2O5](OH)4) ist ein grüner Schmuckstein.
und die entscheidende Verbesserung der
Zusammen mit Calciumionen ist gelöstes
chemischen Analytik verantwortlich, weg-
Magnesium für das Entstehen der permanenten
weisenden Entdeckungen. Außerdem stellte
Wasserhärte verantwortlich. Meerwasser enthält
er als Erster Benzol dar und formulierte
bis zu 0,1 % gelöste Magnesiumsalze wie das
zudem die Grundgesetze der Elektrolyse
(Hirshfeld 2014). Magnesiumchlorid oder -hydroxid.
Faraday begann 1813 als Labormitarbeiter Gewinnung 1828 gelang Bussy die erstmalige
und Vorlesungsassistent von Davy an der
Reindarstellung von Magnesium durch Erhitzen
Royal Institution und hielt bald darauf auch
trockenen Magnesiumchlorids mit Kalium:
Vorlesungen dort. 1833 wurde Faraday, der
auf Grundlage mehrerer Zehntausend Versu-
che knapp 500 Veröffentlichungen schrieb, MgCl2 þ 2 K ! Mg þ 2 KCl
zum Professor für Chemie ernannt. Im Auf-
trag des Staates bildete Faraday über viele Einige Jahre später, 1833, stellte Faraday durch
Jahre Kadetten der Militärakademie in Che- Elektrolyse geschmolzenen Magnesiumchlorids
mie aus und arbeitete für Behörden, unter das Metall her. Dieses Verfahren erweiterte Bun-
anderem ab 1836 für die Schifffahrtsbehörde sen wesentlich, indem er ab 1840 ein Verfahren
Trinity House, die die englischen Leuchttür- zur Gewinnung größerer Mengen des Metalls ent-
me betrieb. Faraday forschte über elektrische wickelte. 1852 bereits stellte er eine Elektrolyse-
86 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
zelle für diesen Zweck vor; ein Prozess, der heute belastend, da es im Vergleich zum Hochofenpro-
noch bevorzugt angewandt wird. Jedoch nahmen zess, in dessen Verlauf Stahl erzeugt wird, den
zuerst Caron und Sainte-Claire Deville die Her- 15-fachen Ausstoß von Treibhausgasen verursacht.
stellung von Magnesium in technischem Maßstab
auf, indem sie eine Mischung wasserfreien Ma- Eigenschaften Reines Magnesium ist relativ
gnesiumchlorids und Calciumfluorids in der Hitze weich (s. Tab. 2) und besitzt auch nur eine geringe
mit Natrium umsetzten. Dieses Verfahren warf Festigkeit. An Luft überzieht sich Magnesium
aber schon in der Anfangszeit viele technische schnell mit einer Schicht seines Oxids (MgO),
Probleme auf, erwies sich daher als unökono- die aber, im Gegensatz zu Aluminiumoxid, das
misch und wurde eingestellt. Metall nicht vor weiterer Korrosion bewahrt. Da
Die zwei heutzutage wichtigsten Verfahren zur Magnesium ein sehr unedles und reaktives Metall
Herstellung des Magnesiums sind entweder die ist, sind dünne Bänder, Folien oder gar Pulver
Elektrolyse geschmolzenen Magnesiumchlorids leicht entzündlich. Das Metall verbrennt bei er-
bei 750 C in Downs-Zellen oder die Reduktion höhter Temperatur auch in vielen Oxiden wie
von Magnesiumoxid mittels Eisen oder Ferrosili- Kohlenmonoxid, Stickoxid und Schwefeldioxid.
cium. Mit Wasser reagiert das Metall langsam unter
Downs-Zellen sind von unten beheizte eiserne Bildung von Wasserstoff zum Hydroxid:
Tröge, in denen sich geschmolzenes Magnesium-
chlorid befindet, vermischt mit schmelzpunkts- Mg þ 2 H2 O ! MgðOHÞ2 þ H2 "
senkenden Zusätzen wie Calcium- oder Natrium-
chlorid. In die Schmelze tauchen Grafitstäbe ein, Auf der Oberfläche des Magnesiums bildet
die als Anode dienen. An ihrem Ende sind sie von sich dabei zwar eine Schicht des Magnesiumhy-
ringförmig um sie laufenden, eisernen Kathoden droxids, der die Auflösungsreaktion weitgehend
umgeben. Das flüssige Magnesium schwimmt auf zum Erliegen bringt. Schon ein Zusatz schwacher
der Salzschmelze auf und wird abgeschöpft. Das Säuren reicht aber aus, um die Passivierung auf-
an der Anode entstehende Chlor steigt auf und zuheben und die Oberfläche des Metalls anzuät-
wird vom oberen Teil der Zelle aus direkt abge- zen, wodurch die Auflösung des Metalls wesent-
führt, ohne mit dem frisch erzeugten Magnesium lich beschleunigt wird. Nur gegenüber Flusssäure
in Kontakt zu kommen. Das so erzeugte Chlor ist Magnesium einigermaßen beständig, da sich
ist Grundstoff zur Herstellung weiteren Magne- auf der Oberfläche des Metalls ein schützender
siumchlorids aus Magnesiumoxid. Man wählt die Überzug von Magnesiumfluorid bildet. Mit Mine-
zur Elektrolyse verwendete Stromspannung der- ralsäuren reagiert Magnesium sehr heftig.
art, dass nur Magnesium an der Kathode abge-
schieden wird. Verbindungen
Das wichtigere Verfahren ist heute der Pidgeon- Chalkogenverbindungen Die chemischen Eigen-
Prozess. Aus Dolomit gewinnt man Magnesium- schaften von Magnesiumoxid (MgO) sind stark
oxid, das man zusammen mit Eisen oder Ferrosi- von der Ausführung des jeweiligen Herstellver-
licium und Schlacke bildenden Zusätzen in fahrens abhängig.
Edelstahlbehältern im Vakuum auf knapp 1200 C Erhitzt man natürlich vorkommendes Magne-
erhitzt. Das bei dieser Temperatur bereits gasför- siumcarbonat (MgCO3) auf ca. 800 C, so ent-
mig anfallende Magnesium wird aus dem Ofen weicht zwar Kohlendioxid, aber die Temperatur
abgeleitet, kondensiert an außerhalb angebrachten ist zu niedrig, als dass das Oxid sintern und damit
Wasserkühlern und wird bei Bedarf durch Des- zusammenbacken könnte. Die sich so bildenden
tillation im Vakuum weiter gereinigt. Partikel des Magnesiumoxids sind daher porös,
Aktuell steht China für sieben Achtel der Welt- haben eine große innere Oberfläche und reagie-
produktion, die sich heute um 1 Mio. t/a bewegen ren mit Wasser schnell zu Magnesiumhydroxid.
dürfte. Schon 2007 produzierte China ca. 650.000 t. Andere Herstellverfahren sind entweder das in
Allerdings ist das Pidgeon-Verfahren sehr umwelt- stark exothermer Reaktion ablaufende Verbren-
5 Einzeldarstellungen 87
nen von Magnesium oder die Ausfällung von schmilzt (Siedepunkt: 3600 C) und nahezu un-
Magnesiumhydroxid aus wässriger Lösung und löslich in Wasser ist. Man kann es über die Stufe
dessen nachfolgendes Brennen. der Sintermagnesia (1700–2000 C) hinweg erhit-
Magnesiumoxid ist ein weißes Pulver (s. Abb. zen. Es dient zur Auskleidung hitzefester Ge-
8a–d) der Dichte 3,58 g/cm3, das erst bei 2852 C räte oder Anlagen wie Schmelzöfen, Gießpfannen
88 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
Abb. 8 a Magnesiumoxid (Walkerma 2006). b Magnesiumoxid (Onyxmet 2019). c Magnesiumoxid (Stanford Advan-
ced Materials 2019). d Magnesiumoxid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2019)
oder Umhüllungen von Thermoelementen. Totge- Erhitzen auf Temperaturen oberhalb von 350 C
brannte oder gar geschmolzene Magnesia reagiert Wasser abgibt und in Magnesiumoxid übergeht.
kaum noch mit Wasser. In Wasser ist Magnesiumhydroxid schwer und
Magnesiumoxid ist ein Lebensmittelzusatz- in Alkalilaugen kaum löslich. Leicht löst es sich in
stoff (E 530) ohne Mengenbeschränkung für Säuren unter Bildung der entsprechenden Magne-
alle Arten von Lebensmitteln. Es dient dann siumsalze. Neben seiner Verwendung als Blocker
als Säureregulator oder Trennmittel, in der Dün- für Magensäure und als mildes Abführmittel dient
ge- und Futtermittelindustrie als Magnesiumträ- es ebenso als Lebensmittelzusatzstoff (E 528) mit
ger. Beim Geräteturnen wird es zum Entfeuch- der Funktion eines Trennmittels und Säurereglers
ten der Hände eingesetzt. Der größte Teil des industriell produzierten Ma-
Die Mischung aus Magnesiumoxid und -chlo- gnesiumhydroxids wird aber durch Erhitzen auf
rid (Sorelzement) findet Anwendung bei der Her- Temperaturen um 600 C zu Magnesiumoxid ver-
stellung von Fußböden in Industrieanlagen. Dane- arbeitet. Man setzt es auch als Flockungsmittel zur
ben wird Magnesiumoxid in schwach basischen Behandlung von Abwasser und gelegentlich als
Feuerfestmaterialien für die Herstellung von Ze- Flammschutzmittel in Thermoplasten (Polyolefi-
ment, für Mineralschäume und zur Produktion nen, PVC) und Elastomeren ein.
von Magnesia-Kohlenstoff-Steinen verwendet, Magnesiumperoxid (MgO2), ein weißes Pul-
das vielfach in feuerfesten Auskleidungen von ver (s. Abb. 9), das beispielsweise durch Zugabe
Konvertern, Elektrolichtbogenöfen, Gießpfannen von Wasserstoffperoxid zu einer wässrigen
sowie bei der Stahlerzeugung verwendet wird. Lösung von Magnesiumnitrat erhalten werden
Mit Hilfe von Magnesiumoxid kann man auch kann, gibt vor allem beim Erhitzen leicht Sauer-
Kieselsäure aus Trinkwasser entfernen; außerdem stoff ab und wird als Quelle für Sauerstoff in
ist es ein gutes Adsorptionsmittel und ein Verzö- der Kosmetik- und Pharmaindustrie eingesetzt.
gerer für Vulkanisationsprozesse. Auch verwendet man es zur Dekontamination
Magnesiumhydroxid [Mg(OH)2] ist ein wirksa- und Sauerstoffversorgung von Böden. Es ist
mer Säureblocker (Antazidum) und ist in Medika- zudem desinfizierender Bestandteil in Deodo-
menten zur Bindung überschüssiger Magensäure rants und Duschgels.
enthalten. Man erhält es durch Zusatz von Kalkmilch Magnesiumsulfid (MgS) ist ein weißes bis rot-
zu den Restlaugen der Kalisalzgewinnung oder aus braunes Pulver der Dichte 2,36 g/cm3, das ober-
Meerwasser durch Ausfällen mit gebranntem Dolo- halb einer Temperatur von 2000 C unter Zerset-
mit. Das ausgefällte rohe Produkt wird anschließend zung schmilzt und das man durch Reaktion von
filtriert und bei Temperaturen von ca. 100 C Schwefel oder Schwefelwasserstoff mit Ma-
getrocknet. Am reinsten erhält man es durch Auf- gnesium herstellt. Im Labor bietet sich die von
lösen von Magnesiummetall in Wasser. Es ist ein Magnesiumsulfat und Kohlenstoffdisulfid ausge-
weißes Pulver der Dichte 2,38 g/cm3, das beim hende Variante an (Brauer 1978, S. 909):
5 Einzeldarstellungen 89
das Licht nur schwach (Brechungsindex: ohne hydrolytische Zersetzung. Die Löslichkeit
ca. 1,38) und zeigt zudem eine positive Doppel- in Wasser beträgt für das wasserfreie Salz
brechung. Daher verwendet man es in der opti- 542 g/L und für das Hexahydrat 2350 g/L (jeweils
schen Industrie unter anderem zum Entspiegeln bei 20 C). Der Schmelzpunkt des wasserfreien
von Brillengläsern. Da es auch bis weit in den Salzes liegt bei 708 C, der Siedepunkt bei
UV-Bereich hinein lichtdurchlässig ist, versie- 1412 C und die Dichte bei 2,32 g/cm3.
gelt man mit Magnesiumfluorid auch aluminium- Die Anwendungen sind zahlreich; nur einige
bedampfte Spiegel für UV-Licht. Optische Fenster von ihnen seien hier genannt. So setzt man es in
bestehen gelegentlich aus Einkristallen von Ma- sehr großen Mengen zur Produktion elementaren
gnesiumfluorid. Magnesiums mittels Schmelzflusselektrolyse
Jenseits dieser Einsatzgebiete findet es noch ein. Seine Mischung mit Magnesiumoxid ver-
Anwendung in Keramiken, als Katalysator bzw. wendet man unter dem Namen Sorel-Zement in
Träger für diese bei chemischen Synthesen und als Estrichen.
Verbesserer der Festigkeit von aus Aluminium- EU-weit ist Magnesiumchlorid ohne Mengen-
oxid gefertigten Gegenständen bzw. Körpern. beschränkung unter der Bezeichnung E 511 als
Magnesiumchlorid (MgCl2) kommt in riesigen Zusatzstoff für Lebensmittel, auch für diejenigen
Mengen in Meerwasser und einigen Salzseen vor. aus ökologischer Bewirtschaftung, zugelassen
Technisch gewinnt man es durch Eindampfen und dient als Säureregulator, Festigungsmittel,
der Endlaugen, die bei der Produktion von Ka- Geschmacksverstärker, Träger sowie Trennmittel.
liumchlorid anfallen und die das Hexahydrat Bei der Herstellung von Tofu ist es als Gerin-
(MgCl2 6H2O) enthalten. Das weitere Eindampfen nungsmittel und damit zur Erzielung einer hohen
liefert aber nur ein wasserärmeres Salz. Völlig was- Ausbeute sehr wichtig.
serfreies Magnesiumchlorid kann man nur auf tro- Gelegentlich ist es, neben Calciumchlorid,
ckenem Weg durch Überleiten von Chlorgas über ein Bestandteil von Streusalzmischungen, die bei sehr
Gemisch aus Magnesiumoxid und Kohle herstellen: niedrigen Temperaturen zum Einsatz kommen.
Sprühnebel konzentrierter Lösungen von Magne-
MgO þ Cl2 þ C ! MgCl2 þ CO siumchlorid binden Staub; daher verwendet man
es zur Bindung von Staub im Steinkohlebergbau.
Im kleinen Maßstab erhält man Magnesium- Magnesiumbromid (MgBr2) ist in geringer
chlorid, jedoch am Ende stets als hydratisiertes Menge im Abraum der Kalisalzgewinnung ent-
Salz, durch Auflösen von Magnesium bzw. Ma- halten, ebenso kommt es in Meerwasser in einer
gnesiumoxid in Salzsäure. Magnesiumchlorid Konzentration von immerhin ca. 70 g/m3) vor. Es
ist stark wasseranziehend und bildet sowohl was- wird entweder aus den Elementen Magnesium
serfrei als auch als Hexahydrat farblose Kristalle und Brom (in wasserfreiem Diethylether) oder
(s. Abb. 11), löst sich in Wasser aber noch, im aber durch Auflösen von Magnesiumhydroxid in
Gegensatz zu Aluminiumchlorid, weitgehend Bromwasserstoffsäure hergestellt.
Das wasserfreie Salz ist ein farbloses (s. Abb. aber durch Reaktion von Magnesium mit Ammo-
12), hygroskopisches und sehr leicht wasserlösli- niak (Brauer 1975, S. 911) gebildet:
ches Pulver (1015 g/L bei 20 C) vom Schmelz-
punkt 711 C und einer Dichte von 3,72 g/cm3,
das man z. B. zur Erzeugung von Brom aus 3 Mg þ N2 ! Mg3 N2
bromidhaltigen Laugen verwenden kann: 3 Mg þ 2 NH3 ! Mg3 N2 þ 3 H2
MgBr2 þ Cl2 ! MgCl2 þ Br2 Magnesiumnitrid schmilzt bei ca. 800 C unter
Zersetzung und hat eine Dichte von 2,71 g/cm3;
Wasser hydrolysiert es zu Magnesiumhydroxid
Magnesiumiodid (MgI2) gewinnt man zweck- und Ammoniak.
mäßig durch Erhitzen einer Mischung der Ele- Magnesiumphosphid (Mg3P2) ist in Form grau-
mente Magnesium und Iod unter Ausschluss von grüner Presslinge knoblauchartigen Geruchs im
Luftsauerstoff (Brauer 1978, S. 906). Alternativ Handel. Der Feststoff schmilzt erst oberhalb von
funktioniert auch die Reaktion von Magnesium 750 C, hat die Dichte 2,16 g/cm3 und ist in Inert-
mit Quecksilber-II-iodid nach: gasatmosphäre durch Zusatz flüssigen weißen
Phosphors zu erhitztem Magnesium herstellbar
Mg þ HgI2 ! MgI2 þ Hg (Horn und Fluck 1979):
Propadien ab und wird entweder bei der Pyrolyse licid zur Herstellung von Silanen sowie zur Härtung
von Magnesiumacetylid (Holleman et al. 1995, von Magnesium- und Aluminium-Legierungen ein
S. 1121) (Ghali 2010, S. 139). Die erstmalige Reindarstel-
lung gelang Lebau und Bossuet (1908).
2 MgC2 ! Mg2 C3 þ C Mit Wasser und Säuren reagiert Magnesiumsi-
licid unter heftiger Hydrolyse zu an der Luft selbst-
oder beim Überleiten von Alkanen über auf entzündlichen Silanen, durch Laugen wird es dage-
700 C erhitztes Magnesium gebildet (Brauer gen nicht angegriffen. Oberhalb einer Temperatur
1978, S. 916). Im Kristallgitter der Verbindung von 450 C verbrennt es zu Magnesiumoxid und
liegen isolierte Allylenidionen [(C=C=C)4] vor. Silicium (Tani et al. 2011). Die Verbindung kristal-
Schon beim Kontakt mit Wasser entwickelt sich lisiert kubisch im Antifluorit-Gitter.
sofort Propin: Magnesiumdiborid (MgB2) hat die zur Zeit
höchste Sprungtemperatur (234 C, 39 K) unter
Mg2 C3 þ 4 H2 O ! 2 MgðOHÞ2 þ C3 H4 " den metallischen Supraleitern (Canfield und Budko
2005; Moos 2003). Die Herstellung der für
Das Schmelzen einer pulverförmigen Mi- Supraleiter benötigten Reinverbindung ist
schung stöchiometrischer Mengen von Magnesium anspruchsvoll. Eine Darstellung durch gemeinsa-
und Silicium ergibt Magnesiumsilicid (Mg2Si) mes Schmelzen der Elemente ist nicht möglich,
(Hutchings 2000, S. 181): denn Magnesium ist oberhalb einer Temperatur
von 1110 C schon gasförmig, Bor schmilzt aber
2 Mg þ Si ! Mg2 Si erst bei Temperaturen oberhalb von 2000 C.
Stattdessen erhitzt man eine Mischung von Bor
Ebenfalls möglich ist die Umsetzung von Sili- und Magnesium in einem Bornitrid-Tiegel auf
ciumdioxid mit Magnesium (Brauer 1978, S. 916): 850 C über 90 min und unter einem Argondruck
von 50 bar (Hinks et al. 2001). Der bei dieser
SiO2 þ 4 Mg ! Mg2 Si þ 2 MgO Temperatur schon auftretende Magnesiumdampf
diffundiert in das Bor, wo sich leicht auslösbare
Magnesiumsilicid bildet spröde, harte, schiefer- Magnesiumdiborid-Kügelchen bilden. In einem
blaue Kristalle (s. Abb. 14) der Dichte 1,94 g/cm3, ähnlichen Verfahren können dünne Drähte herge-
die bei 1085 C schmelzen. Diese Zintl-Phase ist ein stellt werden. In dünnen Schichten ist die Verbin-
n-Halbleiter mit kleiner Bandlücke (Noda et al. dung durch Reaktion von Magnesiumdampf mit
1992) und kann durch Dotieren mit Silber-, Gal- Diboran erhältlich, dem Wasserstoff beigemischt
lium- oder Zinnatomen in einen p-Halbleiter umge- wurde (Naica-Loebell 2001).
wandelt werden. Die wichtigste elektronische Das geruchlose, dunkelgraue bis schwarze Pul-
Anwendung der Verbindung ist in thermoelektri- ver (s. Abb. 15a, b) kristallisiert im Aluminium-
schen Generatoren (Hirayama 2019; Borisenko diborid-Typ in der Raumgruppe P6/mmm (191),
2000, S. 187). Außerdem setzt man Magnesiumsi- indem die Boratome ein grafitähnliches Gitter
(I)
RMgX þ LiR0 ! RR0 Mg þ LiX
(II)
2RMgX þ OðCH2 Þ4 O ! R2 Mg
þ MgX2 OðCH2 Þ4 O #
Abb. 19 Magnesiumnitrat-Hexahydrat (Onyxmet 2019)
5 Einzeldarstellungen 95
Auswaschen des beim Verbrennungsvorgang ge- Gips (Calciumsulfat) wird in der Bauindustrie zur
bildeten Schwefeldioxids (SO2). Der durch Re- Produktion von Gips- und Gipskartonplatten wei-
aktion von Calcium(hydr)oxid mit SO2 gebildete ter verwendet.
5 Einzeldarstellungen 99
Ca þ H2 Se ! CaSe þ H2 "
Abb. 21 Calciumhydroxid (Onyxmet 2019)
Erhitzen eines Gemisches von Calcium- und
Indiumselenid liefert das als Halbleiter verwen-
dete Material Calciumindiumselenid (CaIn2Se4)
(Yagubov et al. 1988).
Halogenverbindungen Calciumfluorid (CaF2)
bildet farblose (s. Abb. 23a bis c), in verdünnten
Säuren und in Wasser schwerlösliche Kristalle der
Dichte 3,18 g/cm3, die bei 1423 C schmelzen
(Kojima et al. 1968). Der Siedepunkt der Verbin-
dung beträgt 2533 C. In der Natur kommt Cal-
ciumfluorid als Fluorit bzw. Flussspat vor, der
meist durch Verunreinigungen gefärbt ist. Es kris-
tallisiert in dem nach ihm benannten kubischen
Abb. 22 Calciumsulfid (Onyxmet 2019)
Fluoritgitter. Es lässt Infrarot- und Ultraviolett-
licht zu großen Teilen durch. Nur durch Einwir-
Weitere Anwendungen sind unter anderem kung starker Säuren wird es unter Bildung von
Kalkputze und -farben, Düngekalk sowie die Syn- Fluorwasserstoff und Calciumsulfat angegriffen,
thesen von Calciumcarbid (Erhitzen von Cal- schwache Säuren und alle Laugen bleiben weit-
ciumoxid mit Kohle) sowie Chlorkalk (Umset- gehend wirkungslos.
zung von Calciumhydroxid mit Chlor). Calciumfluorid in Form von Flussspat wird
Calciumsulfid (CaS) kristallisiert kubisch in in Mengen von mehreren Mio. t pro Jahr abge-
der Natriumchlorid-Struktur. In der Natur kommt baut. Das etwa zur Hälfte aus CaF2 bestehende
Calciumsulfid in Form des seltenen Minerals Mineral wird zur Abtrennung der Begleitstoffe,
Oldhamit vor. Die Verbindung stellt man durch die meist aus Bleiglanz (PbS), Quarz (SiO2)
Reduktion von Calciumsulfat mit Kohle her: oder Bariumsulfat (BaSO4) bestehen, zerklei-
100 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
6 Ca þ P4 ! 2 Ca3 P2
Heute noch bestimmt man mit Hilfe der unter 2016) enthält. Zwischen diesen Schichten liegen
Entwicklung von Ethin ablaufenden Hydrolyse die Calciumionen. Es existieren daneben weitere
von Calciumcarbid die Restfeuchte von Böden. Modifikationen der Verbindung, auch solche bei
Man füllt die Probe zusammen mit einer mit hohen Drücken und Temperaturen (Böhm und
Calciumcarbid gefüllten Glasampulle sowie vier Hassel 1927; Janzon et al. 1968; Castillo et al.
Stahlkugeln in eine genormte Stahlflasche und ver- 2016; Fahy und Hamann 1990; Tonkov 1998,
schließt diese mit einem Manometerkopf. Die Fla- S. 100; Bordet et al. 2000).
sche wird geschüttelt, wodurch die Probe zerklei- Polysilane kann man aus Calciumdisilicid
nert wird und die Glasampulle zerbricht. Der durch durch Umsetzung mit in Ethanol gelöstem Chlor-
die Reaktion des so freigesetzten Calciumcarbids wasserstoff erzeugen (Zuckerman und Hagen
mit der Feuchtigkeit entstehende Gasdruck wird 2009, S. 77). Calciumsilicid setzt man in gerin-
am Manometerkopf abgelesen und in den Feuch- gem Umfang zur Herstellung von Pharmazeutika
tegehalt umgerechnet (Carbid-Methode). ein, von der Menge her meist aber zur Des-
Calciumsilicide stellt man durch Schmelzen oxidation und Entschwefelung von Gusseisen
von Calciumcarbid (CaC2) mit Silicium-IV-oxid und Edelstahl.
(SiO2), aus den Elementen bei Temperaturen von Calciumhexaborid (CaB6) ist ein dunkelgraues
>1000 C oder durch Umsetzung von Kohle mit Pulver (s. Abb. 28a, b) der Dichte 2,45 g/cm3, das
Calciumoxid oder -carbid und Sand im Elektro- bei 2235 C schmilzt (Matkovich 1977). Seine
ofen her (Macintyre 1992, S. 2780; Auner et al. Eigenschaften im Festkörper wurden untersucht
2014; S. 59). Calciumsilicide besitzen eine gute (Etourneau und Hagenmueller 1985), von denen
elektrische Leitfähigkeit, die aber stark von der der Ferromagnetismus der wichtigste ist. Dieser
jeweiligen Phase abhängt; so ist Dicalciumsilicid ist nur schwach, tritt aber bei relativ hoher Tem-
(Ca2Si) ein Halbleiter. Beim Übergießen der Cal- peratur (ca. 325 C) auf und beruht entweder auf
ciumsilicide mit verdünnter Salzsäure tritt unter einem mit einem Exziton (Loch-Elektron-Paar)
heftiger Reaktion die Bildung selbstentzündlicher verbundenen verdünnten Elektronengas oder aber
Silane ein. Man verwendet die Verbindungen nur auf Verunreinigungen auf der Oberfläche der
unter Anderem als Desoxidationsmittel für Stähle. Probe (Young et al. 1999). Die Verbindung ist
Calciumdisilicid (CaSi2) stellt man in sehr rei- unlöslich in Wasser sowie niederen Alkanolen
ner Form durch Reaktion von Calcium oder Cal- und wird durch Säuren langsam aufgelöst. Ihr
ciumhydrid mit Siliciumpulver unter Wasserstoff- Elastizitätsmoudul (Young) ist mit 379 GPa sehr
gas bei ca. 1000 C her: hoch, und reine Kristalle haben einen elektrischen
Widerstand von >2 1010 Ωm (Xu et al. 2004).
CaH2 þ 2 Si ! CaSi2 þ H2 Calciumborid ist ein Halbleiter mit einer geschätz-
ten Bandlücke von 1,0 eV (Souma 2003). Die
Alternativ geht auch die Reduktion von Sili-
cium-IV-oxid (Sand) mit Koks in Anwesenheit
von Calciumcarbid:
Gitterstruktur ist kubisch mit Calciumionen in den Man verwendet die Verbindung als Desoxidie-
Zentren der Elementarzellen und B6-Oktaedern an rungsmittel bei der Produktion sauerstofffreien
deren Ecken, die über B-B-Bindungen miteinander Kupfers und bei der Herstellung borlegierter
verknüpft sind; somit hat jedes Calciumion 24 Bo- Stähle. Außerdem kann man Calciumhexaborid
ratome als nächste Nachbarn (Yahia et al. 1990). als hochfeuerfestes Material in Keramiken und
Acht Calciumionen liegen demzufolge in kubisch Werkzeugen einsetzen. Die Verbindung ist elek-
primitiver, dem Cäsiumchlorid ähnelnder Struktur trisch gut leitfähig und kann auch als Kathode in
vor (Wells 1984, S. 1055; Zhongijie et al. 2004). heißen Schmelzen genutzt werden (Li und Meng
Die Herstellung kann auf verschiedenen We- 2006). Calciumborid dient zudem als Sauerstoff-
gen erfolgen. Im technischen Maßstab produziert fänger in Hochleistungskeramiken.
man Calciumborid aus Calciumoxid, Boroxid und Calciumhydrid (CaH2) erzeugt man durch
Magnesium (I), man kann aber auch Calcium und Überleiten von Wasserstoff über Calcium bei etwa
Bor im Vakuum bei 1000 C zusammenschmel- 400 C. Bis zu Temperaturen um 780 C ist eine
zen (II) oder Bor mit Kalk bei 1700 C unter orthorhombische Struktur des Kristallgitters am
Vakuum reagieren lassen (III, Otani 1998) stabilsten; bei ca. 600 C beginnt aber schon die
Zersetzung der Verbindung (Barin 1997, S. 296).
(I) Mit Wasser und Säuren tritt heftige Hydrolyse des
CaO þ 3 B2 O3 þ 10 Mg
farblosen (s. Abb. 29), kristallinen Calciumhy-
! CaB6 þ 10 MgO
drids unter Bildung von Wasserstoff ein.
Man kann aus 1 kg Calciumhydrid theoretisch
(II)
Ca þ 6 B ! CaB6 rund 1,066 m3 Wasserstoff erzeugen. Daneben
wird Calciumhydrid im so genannten Hydrimet-
(III) Verfahren eingesetzt, um Metalloxide wie Vana-
3 CaO þ 20 B ! 3 CaB6 þ B2 O3 dium-V-oxid, Zirconium-IV-oxid, Titan-IV-oxid
oder Natriumperoxid) zum Metall zu reduzieren.
Mit Verarbeitungstemperaturen zwischen 600 und
Weiter funktioniert auch die Reaktion von 1000 C geschieht dies unter schonenden Bedin-
Calciumcarbonat mit Borcarbid im Vakuum bei gungen. Der bei der Reaktion entstehende Was-
Temperaturen um 1400 C und ebenfalls die serstoff schützt das produzierte Metall. Außerdem
Reduktion eines Gemisches von Borsäure und nutzt man Calciumhydrid als Sikkativ und zur
Calciumoxid mit Magnesium bei 1100 C. Dage- Messung des Wassergehaltes technischer Pro-
gen ergibt die bei verhältnismäßig niedriger Tem- dukte über die volumetrische Bestimmung des
peratur durchgeführte Synthese aus Calciumchlo- bei der Hydrolyse gebildeten Wasserstoffs.
rid und Natriumborhydrid nur ein sehr unreines Calciumcarbonat (CaCO3) ist in der Natur
Produkt (Shi et al. 2003): sehr weit verbreitet und kommt in der Lithosphäre
unter anderem als Kalkstein und Marmor vor; es
CaCl2 þ 6 NaBH4 ! CaB6 þ 2 NaCl þ 12 H2
þ 4 Na
findet sich aber auch als Baustein der Skelette (CaSO4), Gips (CaSO4 2 H2O) und Bassanit
bzw. Gehäuse von Muscheln, Schnecken und (CaSO4 ½ H2O, Hemihydrat) vor und zersetzt
Korallen. Seine mineralischen Varietäten sind sich beim Erhitzen auf Temperaturen oberhalb
Calcit, Aragonit und Vaterit. (Die Skelette der von 700 C.
Wirbeltiere enthalten dagegen Hydroxylapatit Während Gips die aus Lösungen auskristalli-
sowie Fluorapatit in den Zähnen.) sierende Form des Calciumsulfats ist, sind die
Der bei einer Temperatur von 825 C schmel- diversen Formen des Halbhydrats auf folgenden
zende, farblose (s. Abb. 30) Feststoff der Dichte Wegen herstellbar und haben nachstehend be-
2,71 g/cm3 ist in reinem Wasser in nur sehr gerin- schriebene Eigenschaften:
ger Menge löslich. Ist gelöstes Kohlendioxid
anwesend, so wird die Löslichkeit drastisch er-
a. α-Halbhydrat (CaSO4 ½ H2O): Erhitzen im
höht, weil sich leicht wasserlösliches Calciumhy-
geschlossenen Gefäß (Autoklav) unter Nass-
drogencarbonat [Ca(HCO3)2] bildet. Jenes ist in
dampf oder drucklos in Säuren und wässrigen
fast allen natürlichen Wässern der Erde enthalten,
Salzlösungen. Benötigt weniger Wasser, aber
je nach Gestein, aus dem der Fluss entspringt bzw.
mehr Zeit zum Abbinden. Ausgangsstoff für
durch das er fließt. Die Konzentration von Cal-
härtere Gipse.
ciumcarbonat in Wasser wird in Härtegraden
b. β-Halbhydrat (CaSO4 ½ H2O): Erhitzen im
angegeben; diese Klassifizierung (hier: Gesamt-
offenen Gefäß unter Normalatmosphäre. Ver-
härte) kann aber je nach Land unterschiedlich
mischen mit Wasser führt schnell zur Bildung
sein:
von Gips. Ausgangsmaterial für weichere Gipse.
c. Anhydrit III (CaSO4 x H2O; 0<x<0,5) bildet
a) Deutschland: 1 dH = 10 mg/L CaO, oder
sich, wenn das Halbhydrat auf bis zu 300 C
17,85 mg/L CaCO3 oder 0,18 mmol/L
erhitzt wird. Vermischen mit Wasser liefert
b) Frankreich: 1 fH = 0,1 mmol/L Ca2+- oder
wieder rasch das Halbhydrat.
Mg2+-Ionen, oder 10 mg/L CaCO3
d. Anhydrit IIs (CaSO4) entsteht, wenn das Halb-
hydrat auf höhere Temperaturen (300–500 C)
Umgekehrt entsteht durch Erhitzen wässriger
erhitzt wird. Vermischen mit Wasser ergibt
Calciumhydrogencarbonat-Lösung durch Abspal-
langsame Rückhydratation (mehrere Stunden
tung von Wasser und Kohlendioxid wieder Cal-
oder sogar Tage).
ciumcarbonat. Dieser Prozess ist für die Entstehung
e. Anhydrit IIu (CaSO4) bildet sich beim Erhit-
der natürlichen Vorkommen von Calciumcarbonat,
zen des Halbhydrats auf Temperaturen von
auch dem von Gebirgen und Kalksinterterrassen,
500–700 C aus dem Anhydrit IIs. Diese Form
verantwortlich.
ist unlöslich in Wasser, ergibt kein Dihydrat
Calciumsulfat (CaSO4), in wasserfreier Form
mehr und ist daher auch nicht mehr als „Gips“
ein weißer Feststoff einer Dichte von 2,96 g/cm3,
verwendbar.
kommt natürlich in Gestalt der Minerale Anhydrit
f. Anhydrit I (CaSO4) entsteht durch Glühen
des Gipses bei ca. 1200 C, wobei sich dieser
teilweise zersetzt.
Zirkonium, Hafnium) und Seltenerdmetalle, als auch an einigen Enzymen und Hormonen Nur
sauerstoffbindender Legierungszusatz in Alumi- ca. 50 % des extrazellulären Calciums liegt in
nium-, Beryllium-, Kupfer-, Blei- und Magne- frei ionisierter und damit in biologisch aktiver
siumlegierungen. Form vor (Calvi und Bushinsky 2008).
Am wichtigsten ist aber die Nutzung von Ver- Zur Prävention der Osteoporose trägt eine größe-
bindungen des Calciums. Kalkstein (CaCO3) und re Calcium-Aufnahme von 1 g/Tag bei. Jedoch ist
Dolomit [CaMg(CO3)2] werden als Schlacke- die Lebensführung mitentscheidend für das Ausmaß
bildner bei der Produktion von Stahl eingesetzt. einer eventuell im Alter auftretenden Osteoporose,
Kreide ist ein Füllstoff für Kunststoffe, feinkörni- die unabhängig vom Anteil an Milchprodukten an
ges Calciumcarbonat ein hochwertiges Füllmate- der täglichen Nahrung durch Alkohol- und starken
rial für holzfreies Papier. Feingemahlener Kalk ist Kaffeekonsum begünstigt wird. Vitamin D unter-
ein Dünger für die Land- und Forstwirtschaft oder stützt dagegen den Einbau von Calciumionen in
auch ein wichtiges Futtermittel für Haustiere. die Knochensubstanz (Institute of Medicine 2010;
Mögliche Einsatzgebiete anderer Calciumver- Weaver et al. 1999; Heaney et al. 1989; Heaney
bindungen wurden bereits bei deren Einzeldiskus- 1996; Barrett-Connor et al. 1994). Die Auswirkung
sion genannt. hoher Konzentrationen an Calcium auf Herzkrank-
heiten wird noch diskutiert (Reid et al. 2010; Nordin
Analytik Charakteristisch für Calcium ist die et al. 2010; Korownyk et al. 2011; Xiao et al. 2013;
orange-rote Flammenfärbung, außerdem ist Cal- Bolland et al. 2010).
ciumsulfat wie auch die Sulfate von Strontium,
Barium und Radium schwer wasserlöslich. Eben-
falls schlecht in Wasser löslich sind das Calcium- Patente
carbonat, -oxalat- und -dichromat. Die Trennung (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
der Erdalkalimetall-Kationen erfolgt innerhalb wide.espacenet.com)
der Ammoniumcarbonatgruppe des Kationen-
trennganges. Die Bestimmungsgrenze des flam- D. Wicks und A. Findlay, Multi-Batch pro-
menphotometrischen Verfahrens liegt bei 100 μg/l cess for generating precipitated calci-
(Cammann 2001). um carbonate (Imerys USA, Inc., WO
2019079227 A1, veröffentlicht 25. April
Physiologie Im menschlichen Blut kommt Cal- 2019)
cium ausschließlich in ionisierter Form vor (Calvi L. C. Petrisko und L. Olson, Calcium oxide
und Bushinsky 2008), von dem etwa ein Drittel an compositions (Carmeuse North Ame-
Eiweiß gebunden ist. Der Gesamtcalciumgehalt rica, US 2019118159 A1, veröffentlicht
liegt normalerweise bei 2,2–2,6 mmol/L. Die 25. April 2019)
Analyse erfolgt meist mittels AAS, alternativ G. G. Lawrence und F. J. Alvarez, Rapid
bzw. ergänzend auch mit Hilfe ionenselektiver dissolution formulation of a calcium
Elektroden (Robertson und Marshall 1979; Renz receptor-active compound (Amgen Inc.,
2003; Guder und Nolte 2005). US 2019117592 A1, veröffentlicht 25.
Der menschliche Körper enthält etwa 1 kg Cal- April 2019)
cium. Fast die gesamte Menge hiervon befindet L. J. Chern und C.-P. Ju, Antibacterial
sich chemisch gebunden als Hydroxylapatit calcium-based materials (National Uni-
[Ca5(PO4)3(OH)] in Knochen und Zähnen. Cal- versity Cheng Kung, US 2019117826
cium verleiht diesen Festigkeit, bei Calciumman- A1, veröffentlicht 25. April 2019)
gel wird das Element jedoch aus diesen gelöst und B. R. Reddy, Settable, form-filling loss cir-
für andere im Organismus anfallenden Aufgaben culation control compositions compri-
genutzt (Osteoporose). Calciumionen beteiligen sing in situ formed calcium aluminate
sich an der Erregung von Muskeln und Nerven,
dem Glykogen-Stoffwechsel, der Zellteilung und (Fortsetzung)
108 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
einige europäische Länder. Ab 1775 prakti- Academy (ab 1820) und Gründungsmit-
zierte er als Arzt in Gotha, ab 1779 war glied der Londoner Chemical Society
er offizieller Brunnenarzt in Ronneburg (1841) (Doyle 1982).
und zugleich Direktor des Hebammen-
Lehrinstituts in Altenburg. 1781 wurde er
Hofmedicus, 1784 Hofrat und 1818 Gehei- Vorkommen Strontium hat einen Anteil von
mer Hofrat in Sachsen-Gotha, hatte unter 370 ppm an der kontinentalen Erdkruste (Lide
anderem Kontakt zu Goethe. 1791 benannte 2010) und ist somit auf der Erde relativ häufig.
Sulzer das Mineral Strontianit nach dem Ort Auch im Meerwasser ist es nicht selten. Wegen
seiner Auffindung, dem schottischen Stron- seiner hohen Reaktivität kommt es nur in chemisch
tian, und erkannte darin das Vorliegen eines gebundener Form vor. Die wichtigsten Minerale
neuen Elements (Sulzer 1791; Petzsch sind Strontiumsulfat (SrSO4, Coelestin) und Stron-
1969; Wolf 2004). tiumcarbonat (SrCO3, Strontianit). Insgesamt
kennt man aktuell rund 200 strontiumhaltige Mine-
Der deutsche Anatom Johann Friedrich rale, wobei sich die wichtigsten Fund- und Abbau-
Blumenbach (* 11. Mai 1752 Gotha; † orte in Spanien, Mexiko, der Türkei, China und im
22. Januar 1840 Göttingen) war ein wichti- Iran befinden. Die britischen Minen waren ab 1992
ger Pionier der Zoologie und Anthropo- erschöpft. Die weltweite jährliche Fördermenge an
logie. Blumenbach studierte von 1769 an Strontiummineralen liegt in der Größenordnung
Medizin an der Universität Jena und führte
von 0,5 Mio. t (Macmillan et al. 2005).
sein Studium ab 1772 in Göttingen fort. Er
promovierte 1775, erhielt ein Jahr später die Gewinnung Meist setzt man Strontiumsulfat
Ernennung zum außerordentlicher Profes- (Coelestin) mit Kohlenstoff bei Temperaturen
sor der Medizin und wurde 1778 dann
oberhalb von 1100 C um (I). Dabei entsteht Stron-
ordentlicher Professor. Er hielt über 50 Jahre
tiumsulfid, das in der Regel mit heißem Wasser
Vorlesungen und emeritierte erst im Alter
ausgelaugt und anschließend mit Kohlendioxid
von 83 Jahren (Reich 2012; Reich et al.
bzw. Natriumcarbonat umgesetzt wird (II), je nach-
2012).
dem wie verkäuflich die Nebenprodukte sind:
Der schottische Chemiker und Arzt Tho-
mas Charles Hope (* 21. Juli 1766 Edin- (I)
SrSO4 þ 2 C ! SrS þ 2 CO2
burgh; † 13. Juni 1844 Edinburgh) war einer
der Entdecker des Elements Strontium. Ho-
(II)
pe studierte in Edinburgh Medizin und pro- SrS þ Na2 CO3 ! SrCO3 þ Na2 S
movierte 1787. Im Oktober dieses Jahres
wechselte er an die Universität Glasgow, SrS þ CO2 þ H2 O ! SrCO3 þ H2 S
wo er den Ruf auf einen Lehrstuhl annahm.
Von 1795 an war er, bis 1799 gemeinsam
mit Joseph Black, Professor für Chemie in Strontiumcarbonat wird dann zum Oxid (SrO)
Edinburgh. Hope bewies 1793, zeitgleich geglüht, das dann mit Aluminium im Vakuum zu
zu einigen der oben zitierten Forscher, mit
metallischem Strontium reduziert wird. Dieses
Hilfe von Versuchen, dass Strontianit ein
destilliert man ab und fängt es in Kühlern in flüs-
neues Erdalkalimetall enthält, das sich von
siger Form auf:
Barium unterscheidet (Hope 1798). 1805
zeigte er, dass Wasser bei einer Temperatur 3 SrO þ 2 Al ! 3 Sr þ Al2 O3
von 4 C seine größte Dichte hat (Hope
1805). Hope war Mitglied wissenschaftli- Eigenschaften Strontium ist ein typisches Erd-
cher Gesellschaften wie unter Anderem alkalimetall, hellgoldgelb glänzend, (Holleman
der Royal Society (ab 1789), der Royal Irish et al. 2007, S. 1238), weich (Mohs-Härte: 1,5)
110 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
und sehr reaktionsfähig. Sein Schmelzpunkt schmelzenden Bariums. Sein Siedepunkt liegt mit
(777 C) liegt zwischen dem des höher schmelzen- 1380 C (s. Tab. 4) nur etwas höher als die des
den Calciums und dem des bei tieferer Temperatur Magnesiums und des Radiums. Mit einer Dichte
von 2,6 g/cm3 zählt es zu den Leichtmetallen. 800TBq (!) freigesetzt, die nur auf die Emission
Strontium lässt sich als weiches Metall leicht bie- dieses Strontiumisotops zurückzuführen war.
gen oder walzen. Es kristallisiert wie Calcium bei Auch der Reaktorunfall in Fukushima 2011 setzte
Raumtemperatur im kubisch-flächenzentrierten erhebliche Mengen des Isotops in die Umwelt frei.
Gitter. Oberhalb einer Temperatur von 215 C geht Bereits die in den 1950er- und 1960er-Jahren
diese Struktur in eine hexagonal-dichteste Kugel- durchgeführten Atomwaffentests ergaben einen
packung über, und oberhalb einer Temperatur von klaren Anstieg des Gehaltes von 9038Sr in der
605 C ist die kubisch-innenzentrierte Struktur am Atmosphäre. Nachdem oberirdische Versuche
beständigsten (Schubert 1974). mit Kernwaffen daraufhin verboten wurden, sank
Davy stellte es 1808 erstmals durch Elektro- die hierdurch hervorgerufene Aktivität wieder.
lyse dar, wenn auch noch in unreinem Zustand. Die allein auf 9038Sr zurückzuführende Radioakti-
1855 erzeugte es Bunsen dann in reiner Form. vität, die über alle Jahre gerechnet durch Kern-
Nach Radium und Barium ist Strontium das waffen kumuliert freigesetzt wurde, liegt bei
reaktionsfähigste Erdalkalimetall und reagiert 6 1017 Bq (Goldblat und Cox 1988).
direkt und heftig mit Halogenen, Sauerstoff, Die Aufnahme von 9038Sr ist für Wirbeltiere
Schwefel und auch Stickstoff. In seinen Verbin- sehr gefährlich. Das Isotop wird wegen seiner
dungen liegt es immer in der Oxidationsstufe +2 Ähnlichkeit zu Calcium bevorzugt in Knochen
vor. Wird es an der Luft erhitzt, verbrennt es mit eingelagert und kann dort durch seine starke
der charakteristischen karminroten Flammenfär- Strahlung Knochentumore oder Leukämie auslö-
bung zu Strontiumoxid und -nitrid. Mit Wasser sen. 9038Sr kann nicht durch Komplexbildner aus
reagiert es stürmisch unter Bildung von Stron- den Knochen entfernt werden, weil jene bevor-
tiumhydroxid und Wasserstoff, auch an feuchter zugt Calciumionen binden und das 9038Sr somit
Luft erfolgt schnelle Korrosion: im Knochen verbleibt (Goldblat und Cox 1988).
Nur eine schnelle Behandlung mit Bariumsulfat
Sr þ 2 H2 O ! SrðOHÞ2 þ H2 " kann zum Erfolg führen; jenes nimmt dann das
90
38Sr auf und lässt es erst gar nicht in die Blut-
Chemisch und physiologisch verhält sich bahn gelangen (Nürnberg und Surmann 1991).
Strontium ähnlich zu Calcium und bildet jeweils Auch die durch biologische Prozesse bewirkte
ein schwer lösliches Carbonat, Sulfat, Fluorid und Ausscheidung des 9038Sr verläuft sehr langsam
Oxalat. (Diehl 2003).
Strontium-90 (9038Sr) Von den insgesamt 32 Der Einbau von Isotopen des Strontiums in
Isotopen des Elements kommen vier natürlich Knochen und Zähne ist stark von den äußeren
vor (8438Sr, 8638Sr, 8738Sr und 8838Sr), wobei Bedingungen abhängig. Das Mengenverhältnis
Letzteres eindeutig den größten Anteil reprä- der Isotope 8638Sr und 8738Sr ist für diverse
sentiert (Audi et al. 2003). Das Isotop 9038Sr Gesteine jeweils unterschiedlich. Die Summie-
wird innerhalb kurzer Zeit durch mehrfachen rung dieser Faktoren erlaubt unter Umständen,
β-Zerfall aus Isotopen der Massenzahl 90 gebil- Wanderungen prähistorischer Menschen oder
det, die bei Spaltungen des Isotops 23592U in Tiere zu verfolgen (Prohaska et al. 2006).
Kernkraftwerken (Volkmer 1996) und Explo- Die von 9038Sr und 9039Y emittierte β-Strah-
sionen von Atombomben auftreten. Das macht lung nutzt man in Radionuklidbatterien aus,
es zu einem der am weitesten verbreiteten Spalt- ebenso zur Dickenmessung von Materialien oder
produkte überhaupt (Heuel-Fabianek 2014). Es zum Kalibrieren von Geigerzählern (Goldblat und
zerfällt unter β-Strahlung über 9039Y zum stabi- Cox 1988).
len 9040Zr.
Bei allen in Kernkraftwerken registrierten Un- Verbindungen
fällen gelangt immer auch 9038Sr in die Umwelt Chalkogenverbindungen Strontiumoxid (SrO) er-
(Bonka und Narroq 2011). Bei der Katastrophe zeugt man durch Erhitzen von Strontiumcarbonat
von Tschernobyl wurde eine Radioaktivität von (Strontianit) auf Temperaturen von 1300 C, wobei
112 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
(0,12 g/l) und gesundheitsschädlich. Einkristalle oder Hydroxid durch Zugabe der jeweiligen Halo-
der Verbindung sind sehr gut durchlässig für sicht- genwasserstoffsäure:
bares Licht, weshalb man es in der optischen
Industrie als Beschichtung für Linsen und in Ther- SrðOHÞ2 þ 2 HBr ! SrBr2 þ 2 H2 O
molumineszenzdosimetern einsetzt, außerdem als
Träger für das in Radionuklidbatterien verwen- Das farblose (s. Abb. 36), kristalline Salz ist
dete Isotop 9038Sr. gut löslich in Wasser; schon bei 0 C lösen sich
Strontiumchlorid (SrCl2) bildet farblose (s. 852 g und bei 100 C sogar 2225 g. Das kristall-
Abb. 35), hygroskopische Kristalle, die aber, wenn wasserfreie Bromid hat die Dichte 4,22 g/cm3,
sie längere Zeit an der Luft gelagert werden, ihr Schmelz- und Siedepunkt betragen 643 C bzw.
Kristallwasser wieder abgeben. Dieser Prozess 2146 C (diese verbreitet in der Literatur zu fin-
wird durch Erhitzen auf eine Temperatur von dende Angabe erscheint relativ zu den Siedepunk-
60 C begünstigt, bei der das Hexahydrat vorüber- ten des Strontiumchlorids und -iodids sehr hoch).
gehend in seinem Kristallwasser schmilzt, bevor es Das kristallwasserhaltige, bei Raumtemperatur
dieses allmählich vollständig abgibt und in das aus wässrigen Lösungen erzeugte Salz lässt sich
feste wasserfreie Salz übergeht.. Das Salz schmilzt durch Erhitzen auf 180 C entwässern. Es ist auch
in wasserfreier Form bei 873 C, siedet bei 1250 C in Ethanol löslich. Strontiumbromid wirkt wie
und hat die Dichte 3,05 g/cm3. Seine wässrige andere Bromide beruhigend, jedoch setzt man es
Lösung schmeckt scharf und bitter. Man erzeugt nicht mehr zu diesem Zweck ein (Uferer und Hü-
es aus den Mineralien Cölestin (SrSO4) oder ckel 2000).
Strontianit (SrCO3) und Salzsäure. Man setzt Stron- Strontiumiodid (SrI2) ist durch Reaktion von
tiumchlorid hauptsächlich zur Rotfärbung von Feu- Strontiumcarbonat mit Iodwasserstoff herstellbar
erwerk ein, auch verwendet man es bei der Herstel- (Brauer 1978, S. 923). Der weiße, kristalline,
lung von Gläsern und in der Metallurgie. gut wasserlösliche Feststoff orthorhombischer
In einigen Zahncremes ist es Bestandteil zur Struktur (Rietschel und Bärnighausen 1969;
Kräftigung der Zahnhälse und gegen Parodontose. Buchmeier und Lutz 1986; Herrmann 1931) ver-
Radioaktives 9038Sr enthaltendes Strontiumchlorid flüssigt sich bei Temperaturen oberhalb von
setzt man in der Strahlentherapie gegen Tumore ein. 507 C und zersetzt sich oberhalb von 1773 C.
Strontiumionen stärken das Skelett einiger Ko- Strontiumiodid ist hygroskopisch und verfärbt
rallenarten und werden deshalb in Aquarien gele- sich an der Luft infolge Oxidation von Iodid zu
gentlich gezielt zugesetzt (Gehrmann 2010). Zu Iod gelblich. Bei hohen Temperaturen und
beachten ist dabei aber, dass Strontium gegenüber Anwesenheit von Luft zerfällt die Verbindung
anderen Wasserorganismen unter Umständen to- vollständig zu Strontiumoxid und elementarem
xisch wirkt (Holmes-Farley 2014). Iod. Von den verschiedenen Hydraten des Salzes
Strontiumbromid (SrBr2) erzeugt man wie die ist das Hexahydrat das wichtigste; es gibt bei
anderen Strontiumhalogenide aus dem Carbonat einer Temperatur von 110 C vier Moleküle Was-
ser ab und geht in das Dihydrat über. Man setzt schimmernder Kristalle vorliegenden Produkts
die Verbindung in Szintillatorkristallen ein. liegt bei ca. 1125 C; an trockener Luft ist dieses
Pnictogenverbindungen Strontiumnitrid (Sr3N2) beständig. Die Dichte der Verbindung liegt bei
ist durch Überleiten von Stickstoff über erhitztes 3,3 g/cm3; offenbar ist das Teilgitter der Silici-
Strontium erhältlich (Ropp 2012, S. 207). Der umatome nur statistisch besetzt (1965).
schwarze Feststoff (s. Abb. 37) wird durch Wasser Strontiumhexaborid (SrB6) liegt in Form
unter Entwicklung von Ammoniak und Stron- dunkelroter bis schwarzer Kristalle vor, die eine
tiumhydroxid zersetzt (Brauer 1978, S. 929). Dichte von 3,39 g/cm3 und einen Schmelzpunkt
Das stöchiometrisch zusammengesetzte Stron- von 2235 C besitzen. Das Material ist sehr hart
tiumphosphid (Sr3P2) ist ein graues, hydroly- und kann sogar Quarz zerkratzen (Trenary et al.
seempfindliches Pulver der Dichte 2,68 g/cm3. 2008). Man stellt es durch Reaktion von Stron-
Den Halbleiter setzt man in Laserdioden und tiumcarbonat mit Borcarbid und Kohlenstoff im
anderen Hochfrequenz-Anwendungen ein. Hosono Vakuumofen her (Zheng et al. 2002), alternativ
et al. sagten die Kristallstrukturen weiterer Stron- verwendet man auch Strontiumborat, Alumi-
tiumphosphide (Sr5P3, Sr8P5 und Sr4P3) und nium und Kohlenstoff als Ausgangsmaterialien.
ihre Eigenschaft als quasi-ein- und nulldimensio- Die Verbindung ist schwach ferromagnetisch
nale Elektride voraus (2017). (Dorneles et al. 2004; Gavilano et al. 2000). Bei
Sonstige Verbindungen Strontiumcarbid (SrC2) tiefen Temperaturen ist Stromtiumhexaborid halb-
ist in reinem Zustand ein hellgraues Pulver der leitend (Ott et al. 1997). Man setzt es in Steuer-
Dichte 3,2 g/cm3, das bei einer Temperatur von stäben für Kernkraftwerke sowie als elektrischen
1700 C schmilzt und durch Glühen von Stron- Isolator ein.
tiumoxid mit Kohle hergestellt werden kann Aus technischer Sicht wichtig sind Strontium-
(Abegg und Auerbach 1908, S. 222; Vohn et al. carbonat, -nitrat, -sulfat und -chromat. Das aus na-
2000). Es ist formal vom Ethin (Acetylen) abgelei- türlich vorkommendem Coelestin (Strontiumsulfat,
tet und wird durch Wasser in heftiger Reaktion zu SrSO4) erzeugte Strontiumcarbonat (SrCO3) ist
Ethin und Strontiumhydroxid hydrolysiert: Ausgangsmaterial zur Herstellung vieler anderer
Verbindungen des Strontiums. Aus Strontiumcar-
SrC2 þ 2 H2 O ! C2 H2 " þSrðOHÞ2 bonat erzeugt man Ferritmagnete wie Strontium-
ferrit. Vor allem aber geht es in Röntgenstrahlen
Das bei 600 C durchgeführte Tempern des absorbierende Beschichtungen von Kathoden-
nicht stöchiometrisch zusammengesetzten Stron- strahlröhren in Fernsehschirmen älterer Bauart.
tiumsilicids (Sr2Si3) ergibt eine im α-ThSi2-Gitter In den mittlerweile verbreiteten Plasma- und
kristallisierende Phase der Zusammensetzung Sr4Sis LED-Bildschirmen stellt sich die Frage der even-
(Gladischewskij und Kripjakewitsch 1965). Der tuellen Bildung von Röntgenstrahlen jedoch nicht,
Schmelzpunkt dieses in Form glänzender, rötlich so dass hier kein Einsatz eines Strahlenfängers wie
Strontiumcarbonat erforderlich ist. Außerdem wird
es in Glasuren und in der Pyrotechnik eingesetzt.
Strontiumcarbonat stellt man durch Verbacken
des Minerals Cölestin (SrSO4) mit Soda (Natri-
umcarbonat) unter Einleiten von Wasserdampf
her. Alternativ ist auch die anfangs beschriebene
Reduktion des Stromtiumsulfats mit Kohle zum
Strontiumsulfid sowie dessen Umsetzung mit
Kohlendioxid in wässriger Lösung möglich. Das
weiße Pulver (s. Abb. 38) der Dichte 3,5 g/cm3 hat
zu Calciumcarbonat sehr ähnliche Eigenschaften.
Abb. 37 Strontiumnitrid (Onyxmet 2019) Man nutzt es zur Gewinnung der meisten Stron-
5 Einzeldarstellungen 115
Bariumchlorids an und destilliert oder sublimiert herstellbare Bariumperoxid (BaO2) setzt man in
das Metall dann im Hochvakuum. der Pyrotechnik ein. Löst man Bariumoxid in
Wasser, so entsteht in deutlich exothermer
Eigenschaften Barium glänzt silbrig-weiß me- Reaktion die wässrige Lösung des stark basi-
tallisch, läuft an der Luft aber infolge Reaktion schen Bariumhydroxids [Ba(OH)2]. Dieses bil-
mit Luftsauerstoff schnell matt an. Beim Erhitzen det bei Kontakt mit Kohlendioxid das schwer
an der Luft können sich auch Stücke des Metalls wasserlösliche Bariumcarbonat (BaCO3), das
entzünden und verbrennen dann zu Bariumoxid. aus der Lösung als Niederschlag ausfällt und als
Die in Wasser löslichen Bariumverbindungen unspezifischer Nachweis sowohl für Carbonat als
sind im Unterschied zu denen des homologen auch Barium dient.
Calciums hochgiftig. Bariumoxid kristallisiert kubisch im Natri-
Barium kristallisiert kubisch-raumzentriert. umchlorid-Typ und reagiert mit feuchter Luft
Seine Verbindungen färben die Flamme des Bun- zum Hydroxid, mit kohlendioxidhaltiger Luft bil-
senbrenners grün (Wellenlänge der emittierten det sich Bariumcarbonat. Technisch stellt man es
Spektrallinien: 524,2/513,7 nm). Barium hat eine durch Erhitzen eines Gemisches aus Kohle und
für Erdalkalimetalle bereits hohe Dichte von Bariumcarbonat auf Temperaturen um 1030 C
3,62 g/cm3 (20 C), ist damit aber noch ein Leicht- her, im Labor auch durch Glühen von Bariumni-
metall (s. Tab. 5). Mit einer Mohs-Härte von 1,25 trat (Brauer 1978, S. 926). Man verwendet es als
ist es das weichste Erdalkalimetall (Kresse et al. Absorber für Kohlendioxid und als Trocknungs-
2007; Sitzmann 2007). mittel, ferner zur Herstellung weiterer Verbindun-
Barium ähnelt in seinen chemischen Eigen- gen des Bariums.
schaften Strontium und Calcium, ist aber noch Im Temperaturbereich zwischen 500 und
reaktiver als diese. Darauf weist sein negatives 600 C reagiert Bariumoxid an der Luft zum
Redoxpotential (2,912 V) hin. Es reagiert heftig weißen bis hellgelben Bariumperoxid (BaO2,
mit Wasser, Luft, Halogenen sowie Schwefel und s. Abb. 42), oberhalb davon wird der im Peroxid
löst sich leicht in Säuren. Nur in konzentrierter gebundene Sauerstoff wieder abgegeben. Man
Schwefelsäure verdankt es Barium der Bildung kann daher Sauerstoff bei niedriger Temperatur
einer schützenden Passivschicht von Bariumsul- binden und bei höherer Temperatur wieder frei-
fat, dass die zunächst einsetzende Auflösungs- setzen.
reaktion: Unter Einsatz von Schwerspat (Bariumsulfat)
als Ausgangsmaterial erzeugt man Bariumhydro-
xid [Ba(OH)2] über das Oxid bzw. Sulfid. In was-
Ba þ H2 SO4 ! BaSO4 þ H2 "
serfreier Form hat das weiße (s. Abb. 43), stark
hygroskopische und polymorphe (Friedrich et al.
bald zum Erliegen kommt. In seinen Verbin- 2002) Bariumhydroxid die Dichte 4,5 g/cm3 und
dungen tritt es immer mit der Oxidationsstufe + 2 schmilzt bei 408 C. Die orthorhombisch kristal-
auf. Als insgesamt sehr unedles Metall muss es lisierende α-Modifikation ist nur bei hoher Tem-
unter inerten Schutzflüssigkeiten oder unter Ar- peratur stabil; die monokline β-Form dagegen bei
gon aufbewahrt werden. Raumtemperatur. Die Löslichkeit des Bariumhy-
droxids in Wasser steigt mit der Temperatur stark
Verbindungen (56 g/L bei 20 C Wasser, 947 g/L bei 80 C). Die
Chalkogenverbindungen Bariumoxid (BaO) ist wässrige Lösung (Barytwasser) reagiert stark
ein weißes, ätzend wirkendes, stark alkalisches, alkalisch.
hygroskopisches weißes Pulver (s. Abb. 41) der Barytwasser trübt sich beim Stehen an der Luft
Dichte 5,71 g/cm3, das bei 1923 C schmilzt schnell infolge Bildung schwer wasserlöslichen
(Siedepunkt der Schmelze: ca. 2000 C). Es Bariumcarbonats ein. Man setzt Bariumhydroxid,
adsorbiert schnell und unter Freisetzung von wenn überhaupt, zur Produktion von Glas und
Wärme Wasser und Kohlendioxid. Das aus ihm Keramik ein.
5 Einzeldarstellungen 119
Bariumsulfid (BaS) erzeugt man durch Reduk- von Bariumoxid oder Bariumcarbonat mit Selen
tion von Bariumsulfat (Schwerspat) mit Kohle bei bei hoher Temperatur. Der weiße Feststoff
1000 C im Drehrohrofen: schmilzt bei 1780 C und hat eine Dichte von
5,02 g/cm3. Bereits Luftsauerstoff zersetzt die
BaSO4 þ 2 C ! BaS þ 2 CO2 Verbindung nach kurzer Zeit unter Bildung ele-
mentaren Selens, worauf sie sich rötlich und
Eine weitere Möglichkeit der Herstellung ist später hellbraun färbt (Ropp 2012). Wasser
die Reduktion von Bariumcarbonat bei etwa und noch stärker Säuren zersetzen Bariumsele-
1000 C durch Überleiten eines Gemisches von nid unter Bildung von Selenwasserstoff und
Schwefelwasserstoff und Wasserstoff (Brauer rotem Selen (Okamoto 1991). Auch Bariumse-
1978, S. 927). Bariumsulfid ist ein weißer bis lenid kristallisiert im kubischen Natrium-
hellgelber Feststoff (s. Abb. 44) der Dichte chlorid-Gittertyp (Blachnik 2013, S. 330; Perry
4,26 g/cm3, der erst bei hoher Temperatur 2016, S. 56). Einsatzgebiete des Halbleiters, der
(2227 C) schmilzt. Bariumsulfid oxidiert leicht Schätzungen zufolge eine direkte Bandlücke
an der Luft und wird durch Feuchtigkeit zügig von 1,70 eV besitzt (Okereke und Ekpunobi
unter Bildung von Schwefelwasserstoff hy- 2011), sind beispielsweise Fotozellen.
drolysiert. Es kristallisiert in der kubischen Bariumtellurid (BaTe) hat eine Dichte von
Natriumchlorid-Struktur mit vier Formeleinhei- 5,13 g/cm3, schmilzt bei 1510 C und ist ein
ten pro Elementarzelle. Halbleiter, aber mit einer großen geschätzten
Bariumselenid (BaSe) gewinnt man durch Bandlücke von 3,4 eV. Die Bestrahlung des Mate-
Reduktion erhitzten Bariumselenats im Wasser- rials ließ es Elektronen aussenden, deren kineti-
stoffstrom (Brauer 1978, S. 949). Ebenfalls sche Energie bestimmt wurde. Die höchstmögli-
möglich ist die Darstellung durch Reaktion che im Valenzband vorliegende Energie schätzten
5 Einzeldarstellungen 121
Martin und Hensley zu 4,8 eV oberhalb des im säure (Ausnahme: Bariumsulfat reagiert nicht
Vakuum gemessenen Wertes (Martin und Hensley mit Salzsäure) oder aber direkt aus den Elemen-
1967). ten Barium und Chlor in heftiger Reaktion. Kom-
Halogenverbindungen Bei der Zugabe von merziell produziert man Bariumchlorid durch
Fluoriden zu wässrigen Lösungen von Bariumsal- Reaktion von Bariumsulfid mit Salzsäure:
zen fällt weißes Bariumfluorid (BaF2) (s. Abb. 45a, b)
aus diesen aus, da es sehr schwer wasserlöslich ist BaS þ 2 HCl ! BaCl2 þ H2 S "
(Holleman et al. 2007, S. 1241):
Bariumchlorid ruft wie Barium und alle seine
þ 2 F- ! BaF2 #
2þ Salze eine Grünfärbung der Flamme des Bunsen-
Ba
brenners hervor, es ist gut in Wasser löslich und
giftig wie alle in Wasser löslichen Verbindungen
Bariumfluorid kristallisiert in der Fluoritstruk- des Bariums. Aus wässriger Lösung erhält man
tur, besitzt die für ein Erdalkalisalz ungewöhnlich das Dihydrat.
hohe Dichte von 4,89 g/cm3 und den für die Wasserfreies Bariumchlorid kristallisiert mit
Erdalkalifluoride wiederum typischen, hohen orthorhombischer Struktur (Brackett et al. 1963;
Schmelzpunkt von 1368 C (Kojima et al. 1968; Levy et al. 1978). Es ist Nachweisreagenz für
Siedepunkt der Schmelze: 2268 C). Unter hohem Sulfat, da bei seiner Reaktion mit Sulfat als weißer
Druck wandelt sich die Struktur des Kristallgitters Feststoff Bariumsulfat ausfällt. Man nutzt es fer-
um (Leger et al. 1995); in der Gasphase ist das ner in der Pyrotechnik sowie zur Herstellung der
BaF2-Molekül gewinkelt und nicht linear (Seijo reinen Farbstoffe Bariumsulfat und -chromat. Frü-
et al. 1991). Über einen weiten Wellenlängenbe- her verwendete man Bariumchlorid auch als Rat-
reich (150–15.000 nm) sind Einkristalle aus Ba- tengift (Schmuck et al. 2008).
riumfluorid lichtdurchlässig; somit werden sie in Die Ursache der im Vergleich zum homologen
optischen Apparaturen eingesetzt. Man verwen- Calcium derart starken Giftwirkung auch für den
det Bariumfluorid ferner als Flussmittel bei der Menschen liegt darin, dass Bariumionen die pas-
Gewinnung von Leichtmetallen und deren Legie- siven Kaliumkanäle in den Membranen der Mus-
rungen sowie bei der Herstellung von Emaille. kelzellen deaktivieren. Calciumionen zeigen diese
Mit Lanthanoid-Kationen dotiertes Bariumfluorid Wirkung wegen ihres wesentlich geringeren Io-
dient als Lasermaterial (Sitzmann 2014). nenradius und anderer Löslichkeit ihrer Salze
Bariumchlorid (BaCl2) ist in wasserfreiem kaum bzw. überhaupt nicht. Kaliumionen können
Zustand ein farbloses, kristallines Pulver (s. bei Gegenwart größerer Mengen an Bariumionen
Abb. 46), das bei einer Temperatur von 962 C daher nicht mehr aus den Muskelzellen austreten.
schmilzt (Siedepunkt: 1560 C) und die Dichte Da aber nach wie vor Kaliumionen in die Zellen
3,86 g/cm3 aufweist. Es ist auf mehreren Wegen gepumpt werden, sinkt der Kaliumspiegel im Blut
zugänglich, wie beispielsweise der Auflösung drastisch, was schließlich zur Lähmung aller Mus-
von Barium oder seinen Verbindungen in Salz- keln und damit auch der Atmung führen kann
(Su et al. 2010). Als Maßnahme zur Ersten Hilfe ser abgibt (Perry und Phillips 1995, S. 223). Man
gilt die sofortige Einnahme einer wässrigen nutzt die Verbindung vereinzelt in der Homöopa-
Lösung von Natrium- bzw. Kaliumsulfatlösung, thie.
da so die Bariumionen infolge Ausfällung als Pnictogenverbindungen Bariumnitrid (Ba3N2)
schwer lösliches Bariumsulfat deaktiviert werden. ist ein schwarzes Pulver der Dichte 4,78 g/cm3
Zusätzlich muss der Patient stationär dialysiert (Preis im April 2019: 1 g 85 € bei abcr; 77,40 € bei
werden. Aldrich). Die Keramik wird gelegentlich in klei-
Bariumbromid (BaBr2) ist eine weiße kristal- nen Mengen weißes Licht emittierenden LEDs
line Masse (s. Abb. 47) der Dichte 3,58 g/cm3, die zugesetzt, zudem dient es als Ausgangsprodukt
in Form des wasserfreien Salzes einen Schmelz- zur Herstellung ternärer Metallnitride und auch
punkt von 847 C hat. Dessen zu Radiumbromid als Fließmedium bei der Herstellung von Gal-
deutlich verschiedene Löslichkeit in Wasser liumnitrid.
nutzte Marie Curie zur Abtrennung des Radiums Bariumazid [Ba(N3)2] erhält man durch Um-
(Hermann 1990). Beim Eindampfen einer ba- setzung von Stickstoffwasserstoffsäure mit Ba-
rium- und bromidhaltigen wässrigen Lösung fällt riumhydroxid (Brauer 1978, S. 930). Die weiße
das Dihydrat des Bariumbromids aus, das sich Verbindung der Dichte 2,94 g/cm3 zersetzt sich
oberhalb von 120 C zum wasserfreien Salz ent- beim Erhitzen auf 100 C fast explosionsartig, ist
wässern lässt. bei Raumtemperatur auch gegen Stoß oder plötz-
Die Verbindung stellt man durch Umsetzung liche Hitzeeinwirkung empfindlich (Köhler et al.
von Bariumsulfid oder -carbonat mit Bromwas- 2008) und an der Luft zudem selbstentzündlich.
serstoffsäure her. Bariumbromid kristallisiert in Aus Bariumazid stellt man andere Metallazide
der Blei-II-chloridstruktur (Holleman et al. 2007, her, auch dient es zur Erzeugung großer Mengen
S. 1241; Seijo et al. 1991). reinen Stickstoffs, wenn man es erhitzt.
Bariumiodid (BaI2) stellt man entweder aus Bariumphosphid (Ba3P2) ist ein Halbleiter,
Iodwasserstoffsäure und Bariumcarbonat her, den man in Hochfrequenzanwendungen einset-
oder aber aus Bariumhydroxid und Iod in Ge- zen kann. Man stellt es ähnlich wie Stron-
genwart eines Reduktionsmittels (Phosphor oder tiumphosphid her, nämlich durch Reduktion
schweflige Säure). Ein elegantes, aber nur im des Phosphats mit Ruß bzw. fein verteiltem
Labor praktikables Verfahren ist die Umsetzung Kohlenstoff im elektrischen Ofen. Ein unreine-
von Bariumhydrid mit Ammoniumiodid in Pyri- res Material erhält man beim Überleiten
din (Brauer 1978, S. 923). Das hygroskopische dampfförmigen gelben Phosphors über erhitztes
Salz ist außerordentlich leicht in Wasser löslich Bariumoxid. Der dunkelgraue bis schwarze
(bei 20 C; ca. 2000 g/L; bei 100 C etwa 2700 g/L) Feststoff der Dichte 3,18 g/cm3 zeigt glänzende
(Abegg und Auerbach 1908, S. 256). Meist tritt Kristallflächen, ist hydrolyseempfindlich
die Verbindung in Form des Dihydrats auf, das und brennt in Chlorgas bei Temperaturen ober-
beim Erhitzen auf 150 C das ganze Kristallwas- halb von 90 C, in Bromdampf oberhalb von
260 C.
Bariumarsenid (Ba3As2) ist ebenfalls ein Halb-
leiter, der beispielsweise durch Leiten von Arsen-
wasserstoff (Monoarsan, AsH3) über Bariumoxid
bei Rotglut erhalten werden kann; alternativ geht
auch die Reduktion von Bariumarsenat mit Koh-
le im elektrischen Ofen. Bariumarsenid hat die
Dichte 4,1 g/cm3 (15 C), ist etwas dunkler als
die Arsenide der anderen Erdalkalimetalle und
reaktiver als diese. So brennt es ohne Wärmezu-
fuhr in Fluor- und Chlorgas sowie auch in Brom-
Abb. 47 Bariumbromid-Dihydrat (Onyxmet 2019) dampf. In Sauerstoff entzündet es sich jedoch erst
5 Einzeldarstellungen 123
bei Temperaturen um 300 C, in Schwefeldampf und fällt bei der Zugabe von Sulfat zu wässrigen
bei dunkler Roglut. Lösungen von Bariumsalzen als weißer Nieder-
Sonstige Verbindungen Das sich vom Acetylen schlag aus. Diese Reaktion dient als wichtiger
(Ethin) ableitende Bariumcarbid (BaC2) kann Nachweis für Barium, muss aber natürlich durch
man durch Reaktion von Barium mit Kohlenstoff Begleituntersuchungen wie Atomabsorptionsspek-
bei Temperaturen um 1300 C darstellen (Vohn troskopie abgesichert werden.
et al. 1999). Ebenso ist die Synthese durch Erhit- Bariumsulfat wird vor allem durch Abbau des
zen einer Mischung von Bariumsulfat, rotem Minerals Baryt gewonnen. 2014 betrug die welt-
Phosphor und Kohlenstoff möglich (Sharma weite Produktionsmenge 9,3 Mio. t.; die wichtigs-
2007, S. 295). Der graue Feststoff der Dichte ten Produzenten waren China (4,1 Mio. t), Indien
3,74 g/cm3, der bei 1055 C schmilzt, reagiert (1,44 Mio. t), Marokko (1 Mio. t) und die USA
mit Wasser zügig unter Bildung von Ethin (Perry (0,72 Mio t). Man bricht, wäscht, trocknet und
2011, S. 499; Bradley et al. 1967). Die Kristall- mahlt das geförderte Mineral und trennt es von
struktur ist unterhalb von 150 C tetragonal; das Verunreinigungen ab. Durch geeignete Aufarbei-
Bariumion ist oktaedrisch von vier Acetylidionen tung erhöht man die Reinheit und den Weißgrad
(C22) und von zwei einzelnen Kohlenstoffato- weiter.
men je eines weiteren Acetylidions koordiniert. Natürlich vorkommendes Bariumsulfat dient
Beim Erhitzen auf 769 C erfolgt Übergang zu als Rohstoff zur technischen Herstellung anderer
eine kubischen Struktur, beim Abkühlen auf einer Bariumverbindungen einschließlich metallischen
Temperatur von 100 C in eine monokline Bariums. Man verwendet das Material als Füll-
(Vohn et al. 1999; Ropp 2012, S. 358). stoff in Kunststoffen, plastischen Massen, Lacken
Bariumhexaborid (BaB6) ist ein schwarzes, und Farben sowie bei der Herstellung von Papier.
hochschmelzendes (2270 C) Pulver, das mit Daneben setzt man es wegen der starken Absorp-
kubischer Struktur kristallisiert. Massidda et al. tionsfähigkeit für Gamma-und Röntgenstrahlung
untersuchten die elektronische Struktur und die in Strahlenschutzbeton und in der Radiologie
Fermi-Oberflächen des Materials in Abhängigkeit als Röntgenkontrastmittel ein. Die wichtigste
von seiner Dotierung unter Annahme üblicher- Anwendung ist aber diejenige in Spülschlämmen
weise vorliegender Bandstrukturen und mittels für Bohrlöcher. Bariumsulfathaltige Suspensio-
theoretischer Berechnungen. Die Transportge- nen haben eine so hohe Dichte, dass darauf selbst
schwindigkeit von Ladungen durch den Kristall im Bohrschlamm enthaltene Brocken von Gestein
berechnete man mit Hilfe der Bloch-Boltzmann- aufschwimmen, und man auf diese Art das Bohr-
Theorie (2000). loch freispülen kann.
Bariumsulfat (BaSO4) ist ein weißes Pulver Weiter nutzt man Bariumsulfat in Spachtel-
(Abb. 48a, b) der Dichte 4,5 g/cm3, das bei massen zur Beseitung von Schäden an Autoka-
1580 C unter Zersetzung schmilzt und ortho- rosserien, als Füllstoff in Bremsbelägen und
rhombisch kristallisiert (Hill 1977). Es ist nur in Beschichtungen. Als Barytweiß (Blanc fixe, Ma-
sehr geringer Menge wasserlöslich (105 mol/L) lerweiß) ist gefälltes Bariumsulfat weißer Füll-
stoff in Malerfarben und Lacken, denn es vereint
eine sehr gute Lichtechtheit mit hoher Stabilität
gegenüber chemischen Einflüssen (Brock et al.
2000, S. 123). Ferner dient es wegen seiner im
Wellenlängenbereich von 250 bis 2500 nm kaum
vorhandenen Lichtadsorption als inoffizieller
Standard für bestimmte Weißreflektoren (Grum
und Luckey 1968).
Bariumselenat (BaSeO4) ist das höhere Ho-
Abb. 48 a Bariumsulfat (Onyxmet 2019). b Bariumsulfat mologe des Bariumsulfats, hat eine Dichte von
(Stanford Advanced Materials 2019) 4,75 g/cm3 und wird durch Vereinigen wässriger
124 2 Erdalkalimetalle: Elemente der zweiten Hauptgruppe
Lösungen von Natriumselenat und Bariumchlorid chlorids in Form kleiner, sauberer Kristalle anfällt
als farbloser Niederschlag (s. Abb. 49) gewonnen (Galasso 1973).
(Ropp 2012, S. 184). Es ist ebenfalls schwer lös- Bariumtitanat ist ein weißer Feststoff (s.
lich in Wasser, wenngleich minimal leichter als Abb. 50a bis c), hat die Dichte 5,85 g/cm3, schmilzt
Bariumsulfat (15 mg/L bei 20 C). Erhitzt man bei einer Temperatur von 1620 C und ist ein
die orthorhombisch kristallisierende Verbindung keramisches Ferroelektrikum. Seine Permittivität
(Prieto et al. 2005) auf Temperaturen oberhalb hängt stark von der Stärke des angelegten elektri-
von 400 C, so tritt Zersetzung ein (Hofmann schen Felds ab.
2013, S. 190). Ursprünglich wollte man Barium- Bariumtitanat kristallisiert unterhalb von 120 C
selenat als Dünger für Futterpflanzen einsetzen, tetragonal verzerrt in der Perowskit-Struktur
um einen Mangel an Selen bei Weidetieren zu (Galasso 1973). Die Elementarzelle hat ein
verhindern. Diese Praxis ist aber inzwischen in Dipolmoment, weil das Titanion gegenüber den
der Schweiz und der gesamten Europäischen Oxidanonen in z-Richtung verschoben ist. Daraus
Union verboten (Europäische Union 2015). resultieren ein Dipolmoment der Elementarzelle
Bariumtitanat (BaTiO3) produziert man entwe- und die Polarisation. Bei der Curie-Temperatur
der durch Erhitzen einer Mischung von Barium- von 120 C erfolgt Übergang zur kubischen Struk-
carbonat und Titandioxid auf eine Temperatur von tur (Von Hippel 1950), bei der das Titanion okta-
1200 C: edrisch von sechs Oxidanionen umgeben sind und
alle Ti-O-Bindungen gleich lang sind. Damit hat
BaCO3 þ TiO2 ! BaTiO3 þ CO2 " die Elementarzelle kein Dipolmoment mehr; die
Ferroelektrizität verschwindet. Unterhalb von
oder durch Modifikation dieser Reaktion, in- 0 C liegt eine orthorhombische Struktur vor,
dem man beide im stöchiometrischen Verhältnis unterhalb von 90 C eine trigonale. Man setzt
eingesetzten Reaktionspartner mit einem Über- Bariumtitanat und hierzu verwandte Perowskite
schuss an Kochsalz vermengt. Dies erlaubt eine in der Elektronik und Sensorik als Werkstoff ein,
geringfügige Senkung der Umsetzungstempera- so etwa als Dielektrikum in Keramik-Konden-
tur, so dass das Bariumtitanat noch im Ofen aus- satoren hoher Kapazität.
kristallisiert und nach Auswaschen des Natrium- Das farblose Bariumcarbonat (BaCO3) (s.
Abb. 51a und b) kommt in der Natur als Mineral
Witherit vor. Die Verbindung hat die Dichte
4,43 g/cm3, zersetzt sich beim Erhitzen auf Tempe-
raturen um 1450 C zu Bariumoxid und Kohlendi-
oxid und besitzt bei 20 C orthorhombische Kristall-
struktur (de Villiers 1971); es existieren aber auch
Hochtemperatur-Modifikationen (Strømme 1975).
Bariumcarbonat ist sehr schwer wasserlöslich
(0,2 g/L bei 20 C); man setzt es zur Herstellung
optischer Gläser und als Material zur Beschichtung
von in Fernseh- und Computermonitoren verbau-
Abb. 49 Bariumselenat (Onyxmet 2019) ten Kathodenstrahlröhren ein, da es wirkungsvoll
Abb. 50 a Bariumtitanat
(Onyxmet 2019).
b Bariumtitanat (Stanford
Advanced Materials 2019).
c Bariumtitanat
Sputtertarget (QS
Advanced Materials 2019)
5 Einzeldarstellungen 125
Abb. 51 a Bariumcarbonat (Stanford Advanced Materi- Abb. 52 a Bariumchromat (Onyxmet 2019). b Barium-
als 2019). b Bariumcarbonat (Onyxmet 2019) chromat (Stanford Advanced Materials 2019)
schädliche kurzwellige Röntgen- und γ-Strahlung der Kaliumspiegel im Blut, verbunden zunächst
absorbiert. Die Verbindung ist wie alle löslichen mit starker Erregung des Verdauungstraktes (Er-
Bariumsalze hochgiftig, dies wegen ihrer Löslich- brechen, Durchfall), dann erst erhöhte Muskelakti-
keit in Magensäure, und bewirkt schwere Schäden vität, später dann deren schrittweiser Ausfall bis
der Funktion des Nervensystems sowie von Herz, hin zur Atemlähmung (Morton 1945). Als Erste
Kreislauf und Lunge (Morton 1945). Hilfe verabreicht man sofort eine wässrige Lösung
Das gelbe Bariumchromat (BaCrO4) (s. Abb. von Kalium- oder Natriumsulfat, denn Sulfat fällt
52a, b) erhält man in schwach saurer Lösung die Bariumionen aus und macht sie so unschädlich.
durch Fällung von Barium- mit Chromationen. Anschließend muss der Patient im Krankenhaus
Die Verbindung ist nahezu wasserunlöslich dialysiert werden, um etwaig noch im Körper ver-
und daher nicht akut giftig, aber über die bliebenes Barium zu entfernen.
Atemwege inkorporiertes Bariumchromat wirkt Für Menschen ist eine Dosis von 1–15 g töd-
stärker krebserregend als leicht lösliche Chromate lich, je nach Wasserlöslichkeit der Bariumverbin-
(Wise et al. 2010). Man setzt Bariumchromat als dung. Die maximale am Arbeitsplatz zulässige
farbgebendes Pigment in Malerfarben und Gläsern Konzentration (MAK-Wert) liegt bei 0,5 mg/m3.
ein.
238
92U;
daher ist der Gehalt an Radium in uran- Dichte 6,7 g/cm3 (Schulze 1936) und die Stan-
haltigem Gestein proportional zu dem des Urans dardbildungsenthalpie 1184,5 kJ/mol.
und beträgt etwa 0,3 g Radium/t Uran. Radium Das ebenfalls weiße Radiumchlorid (RaCl2)
begleitet Uran also immer in seinen Erzen. hat einen tieferen Schmelzpunkt (900 C) und
226
88Ra zerfällt aber selbst mit einer Halbwertszeit eine Dichte von 4,9 g/cm3. Es färbt sich im Lauf
von 1602 a zu 22286Rn. der Zeit durch Radiolyse gelblich und leuchtet
im Dunkeln. Man stellt wasserfreies Radium-
chlorid her, indem man erst Radiumsulfat
Gewinnung 1918 stellte man in den USA
bei Temperaturen um 300 C entwässert
13,6 g Radium her (Viol 1919), heutzutage liegt
und dieses dann bei Rotglut in einer Quarzröhre
die verfügbare Menge an reinen Radiumverbin-
mit gasförmigem Chlorwasserstoff umsetzt. Aus
dungen um 100 g weltweit. Wichtigste Produk-
wässriger Lösung kristallisiert das zu Bariumchlorid
tionsländer sind Belgien, Kanada, Tschechien,
isomorphe Radiumchlorid in Form seines Dihyd-
die Slowakei, das Vereinigte Königreich und die
rats aus. Das kristallisierte Salz ist farblos, seine
GUS-Staaten (Greenwood und Earnshaw 1997,
Löslichkeit beträgt 245 g/L bei 20 C. 22388RaCl2
S. 109–110).
setzt man unter dem Markennamen Xofigo ® zur
Behandlung von Knochenmetastasen ein.
Eigenschaften und Verbindungen Radiumme- Radiumbromid (RaBr2) ist ein weißer, sich
tall ist weich, silberglänzend, chemisch sehr reak- nach einiger Zeit infolge radiolytischen Abbaus
tionsfähig und ein Schwermetall (s. Tab. 6). Es gelb färbender, im Dunkeln leuchtender Feststoff
wird schnell durch Sauerstoff oxidiert und reagiert der Dichte 5,78 g/cm3, der bei einer Temperatur
heftig mit Wasser. Radium tritt immer mit der von 728 C schmilzt. Seine Löslichkeit ist mit
Oxidationsstufe +2 auf. Es ähnelt dem leichteren 706 g/L wesentlich höher als die des Chlorids.
Homologen Barium sehr und bildet wie dieses Die Kristallstruktur ist orthorhombisch.
farblose Salze, von denen Radiumsulfat (RaSO4), Das wasserfreie Salz stellt man durch Überleiten
Radiumfluorid (RaF2) und Radiumcarbonat (RaCO3) gasförmigen Bromwasserstoffs über erhitztes Ra-
schwer wasserlöslich sind. Radiumsalze verleihen diumchlorid her Kirby und Salutsky 1964). Das
der Flamme des Bunsenbrenners eine karminrote Auflösen von Radiumcarbonat in Bromwasser-
Färbung. stoffsäure ergibt das Dihydrat (RaBr22 H2O), das
Chalkogenverbindungen Radiumsulfid (RaS) man durch Überleiten von heißer trockener Luft
und Radiumselenid (RaSe) erhielt man durch entwässern kann. Die Radioaktivität des Radiums
Reduktion von Radiumsulfat bei 990 C bzw. und die damit verbundene Geschwindigkeit
Radiumselenat bei 950 C mit Kohle im Iridium- der Bildung von Zerfallsprodukten ist derart
tiegel im Hochvakuum. RaS und RaSe kristalli- stark, dass die bei dessen Zerfall kontinuierlich
sieren kubisch-flächenzentriert im Kochsalzgit- entstehenden Edelgase Helium und Radon die Kris-
ter mit 4 Einheiten in der Elementarzelle und sind talle der Radiumhalogenide zum Platzen bringen
isomorph mit den jeweiligen Bariumverbindun- können.
gen (Weigel und Trinkl 1969). Ihre Dichten wur- Sonstige Verbindungen Wasserfreies Radium-
den für RaS mit 6,03 g/cm3 und für RaSe mit nitrat [Ra(NO3)2] erzeugt man durch Auflösen
6,43 g/cm3 berechnet. Man setzte vorübergehend von Radiumcarbonat in Salpetersäure. Der weiße
Radiumsulfid in mg-Mengen zur Therapie von Feststoff ist gut in Wasser löslich (139 g/L bei
Warzen ein. Radiumtellurid (RaTe) ist mitbean- 20 C). In konzentrierter Salpetersäure ist Ra-
sprucht im Patent EP 1426756 B1. diumnitrat wenig löslich und kann so von Nitraten
Halogenverbindungen Radiumfluorid (RaF2) anderer Erdalkalien abgetrennt werden.
ist ein weißes Pulver, das im kubischen Flussspat- Radiumsulfat (RaSO4) wird durch Kochen
gitter kristallisiert. Es schmilzt bei 1330 C wässriger Lösungen von Radiumsalzen mit Bari-
(Siedepunkt der Schmelze: 1927 C), hat die umsulfat erhalten. Alternativ erhält man es durch
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Erdmetalle: Elemente der dritten
Hauptgruppe 3
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Zusammenfassung 1 Einleitung
Alle Elemente der dritten Hauptgruppe (Bor-
gruppe oder Erdmetalle), mit Ausnahme des Die in der dritten Hauptgruppe (Borgruppe oder
vor etwa zehn Jahren erstmals erzeugten Niho- Erdmetalle) enthaltenen Elemente sind sehr unter-
niuims, wurden erst im 19. Jahrhundert ent- schiedlich, so wie wir dies in allen Hauptgruppen
deckt. Obwohl Aluminium das am häufigsten von der dritten bis zur siebten sehen. Die Atome
vorkommende Metall ist, blieb es in elementa- dieser Elemente geben meist drei Elektronen ab,
rer Form lange verborgen. Gallium, Indium um eine stabile Elektronenkonfiguration zu errei-
und Thallium sind dagegen sehr selten. chen.
Die Elemente dieser Gruppe ändern ihren Alle Elemente dieser Gruppe, mit Ausnahme
Charakter teils stark von Halbmetall (Bor) über des vor 15 Jahren erstmals erzeugten Nihoniums,
das allgegenwärtige, metallische Aluminium wurden im 19. Jahrhundert entdeckt. Obwohl
hin zu tiefschmelzenden Schwermetallen (Gal- Aluminium eines der am häufigsten vorkommen-
lium, Indium und Thallium) und zu einem mög- den Metalle ist, blieb es in elementarer Form lange
licherweise leichtflüchtigen und gelegentlich verborgen. Gallium, Indium und Thallium sind
anionisch auftretenden Metall (Nihonium). dagegen sehr selten.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 137
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_3
138 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
lyse einer Mischung von Aluminium-III-oxid zurückgefallen zu sein. Diesen Effekt beobachtet
mit synthetisch hergestelltem Kryolith. Gallium man sonst bei keiner der Hauptgruppen.
trennt man in der Regel nasschemisch aus den
jeweiligen wässrigen Lösungen von Aluminium-
verbindungen ab. Indium und Thallium gewinnt 4.2 Chemische Eigenschaften
man meist als Nebenprodukt bei der Aufarbeitung
sulfidischer Erze des Zinks, Kupfers oder Bleis. Die Elemente dieser Gruppe reagieren direkt mit
Halogenen, Sauerstoff und meist auch Schwefel.
Aluminium, Gallium und Indium sind infolge der
4 Eigenschaften Ausbildung einer schützenden Passivschicht aus
Oxid vor dem Angriff durch Luftsauerstoff ge-
4.1 Physikalische Eigenschaften schützt, wogegen Thallium, vor allem an feuchter
Luft, sogar schnell korrodiert.
Wie bereits erwähnt, ist Bor ein in mehreren Wichtig sind die von Gallium und Indium mit
Modifikationen auftretendes Halbmetall, alle Elementen der fünften Hauptgruppe (Phosphor,
anderen Elemente dieser Gruppe sind aber Me- Arsen, Antimon) gebildeten III-V-Halbleiter, die
talle. wir in diesem Buch genauer vorstellen.
In dieser Gruppe von Elementen wachsen mit Nur Bor-III-oxid (B2O3) reagiert schwach
steigender Ordnungszahl naturgemäß die Atom- sauer, Aluminium- und Galliumoxid bzw. die ent-
massen sowie die Radien der Atome und der aus sprechenden Hydroxide reagieren amphoter, und
diesen gebildeten Ionen. Ausgerechnet das Halb- Thallium-I-hydroxid ist sogar eine starke Base.
metall Bor weist mit 2076 C den höchsten Auch hier sehen wir den Übergang zu einer
Schmelzpunkt auf, Gallium mit 29,76 C den mehrheitlich aus Metallen bestehenden Gruppe
niedrigsten. Die Schwermetalle Indium bzw. Thal- von Elementen.
lium besitzen nur geringfügig höhere Schmelz-
punkte (156,6 C bzw. 304 C), Aluminium
erreicht immerhin noch einen Schmelzpunkt von 5 Einzeldarstellungen
660 C. Die Siedepunkte nehmen zudem noch mit
steigender Ordnungszahl ab, vom Bor (3927 C), Im folgenden Teil sind die Elemente der Borgrup-
das hiermit wieder Spitzenreiter ist, zum Thallium pe (3. Hauptgruppe) jeweils einzeln mit ihren
(1473 C). Dazwischen liegen die anderen Me- wichtigen Eigenschaften, Herstellungsverfahren
talle dieser Gruppe: Aluminium (2467 C), und Anwendungen beschrieben.
Gallium (2204 C) und Indium (2072 C).
Mit steigender Ordnungszahl nimmt wie bei
jeder Gruppe homologer Elemente die Dichte zu 5.1 Bor
[Bor: 2,460 g/cm3, Thallium 11,850 g/cm3 und
Nihonium (geschätzt) sogar ca. 17 g/cm3]. Die Geschichte Verbindungen des Bor kennt man
Mohs-Härte des Materials nimmt aber von Bor seit Jahrtausenden. Im antiken Ägypten verwen-
zum Thallium stark ab (Bor: 9,3; Thallium: 1,2). dete man zur Mumifizierung das Mineral Natron,
Aluminium, das auch das einzige Leichtmetall in das neben anderen Verbindungen auch keimtöten-
dieser Gruppe ist, stellt einen sehr guten elektri- de Borate enthält. Ab etwa 300 nach Christus
schen Leiter dar, während das Halbmetall Bor benutzt man im Kaiserreich China Boratgläser;
erwarteterweise die geringste Leitfähigkeit für ebenso im Römischen Reich.
Strom zeigt. Erst 1808 stellten Gay-Lussac und Thénard
Die Elektronegativität (nach Pauling) geht von Bor durch Umsetzung von Bortrioxid mit Kalium,
2,0 bei Bor zunächst auf 1,5 bei Aluminium zu- unabhängig davon einige Jahre später Davy durch
rück, um dann zum Gallium (1,8) wieder anzu- Elektrolyse von Borsäure her. 1824 erkannte Ber-
steigen und bei Thallium auf einen Wert von 1,4 zelius den elementaren Charakter des Stoffes. Die
140 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Vorkommen Bor kommt in der Natur nur Ver- zelle aufweist [(B12)4B2]. Fremdatome (Stickstoff,
bindung mit Sauerstoff vor, wobei sich große La- Kohlenstoff) können jedoch in Abhängigkeit von
gerstätten u. a. in der Türkei, in Peru (Altiplano), den Herstellbedingungen im Kristallgitter einge-
Argentinien und in den USA (Kalifornien) be- baut sein. In der reinen Form ist ein Boratom darin
finden. Abgebaut werden die Mineralien Borax immer das Bindeglied zu vier B12-Ikosaedern.
(Na2B4O7), Kernit [Na2B4O6(OH)2 3 H2O] und Jedes Ikosaeder ist wiederum mit zwei einzelnen
Colemanit [CaB3O4(OH)3 H2O]. Boratomen sowie zehn anderen Ikosaedern ver-
bunden. Eine Reindarstellung dieser Modifikation
gelang aber noch nie.
Gewinnung Die Reaktion von Boroxid (B2O3)
Bor lässt Infrarotlicht durch. Es leitet bei Raum-
mit Magnesiumpulver liefert in stark exothermer
temperatur den elektrischen Strom nur schwach.
Reaktion amorphes Bor:
Die elektrische Leitfähigkeit wächst mit der
Temperatur deutlich, so wie es für Halbleiter
B2 O3 þ 3 Mg ➔ 2 B þ 3 MgO typisch ist. Das Kristallgitter des Bors ähnelt
dem hochschmelzender, keramikähnlicher Werk-
stoffe wie Silicium- oder Wolframcarbid; insofern
Erhitzen dieses amorphen Bors auf Tempera-
weist Bor nächst Diamant die zweithöchste Härte
turen um 1400 C ergibt kristallines Bor. Jenes
aller chemischen Elemente auf.
erhält man auch, wenn man Bortrichlorid (BCl3)
Chemische Eigenschaften: Bor bildet keine
mit Wasserstoff am erhitzten Wolframdraht redu-
B3+-Kationen. Die Struktur der Moleküle vieler
ziert oder geschmolzene Borsäure elektrolysiert.
Verbindungen des Elements sind vereinfacht
Das wichtigste Förderland war in den letzten
kovalent, metallisch oder ionisch und sind daher
Jahren stets die Türkei, die mehr als die Hälfte der
genauer nur mittels quantenmechanischer An-
weltweit erzeugten Menge produzierte. Mit deut-
sätze zu berechnen, die die Bildung von Molekül-
lichem Abstand folgen Chile und Kasachstan
(Brioche 2019). orbitalen berücksichtigen.
Nur die drei Valenzelektronen der äußeren
Elektronenschale können kovalente Bindungen
Eigenschaften mit s, px, py und pz-Orbitalen eingehen. Insofern
Physikalische Eigenschaften: Bor ist schwarz und müssen sich die „unter Elektronenmangel leiden-
sehr hart (s. Tab. 1); es leitet den elektrischen den“, Lewis-sauren Boratome durch Bildung
Strom nur schlecht. Wahrscheinlich ist die ther- – schwächerer – Mehrzentrenbindungen (meist
modynamisch stabilste Modifikation das rhombo- Dreizentrenbindung) behelfen, um beispielsweise
edrisch kristallisierende β-Bor. Seine Struktur ent- den Verbindungen des Nachbarelements Kohlen-
hält mindestens 105 Atome pro Elementarzelle, stoff ähnliche Molekülstrukturen bilden zu können.
zuzüglich der Atome, die sich auf hälftig besetz- Vor wenigen Jahren konnten Braunschweig et al.
ten Lagen befinden, so dass eine Elementarzelle eine Verbindung synthetisieren, deren Molekül
rechnerisch auf 114 bis 121 Boratome kommt. Die eine BB-Dreifachbindung aufweist (2012).
Struktur dieser Modifikation entspricht der eines Erst oberhalb einer Temperatur von 400 C
60-Ecken-Polyeders. zeigt Bor eine gewisse Reaktivität. Bei über
Die noch am einfachsten aufgebaute Modifika- 700 C verbrennt es an der Luft zu Boroxid
tion ist α-Bor. Hier liegen B12-Ikosaeder vor, die (B2O3). Von den meisten Säuren wird Bor auch
in Schichten angeordnet und über Dreizentren- an deren Siedepunkt nicht angegriffen; nur mit
bindungen innerhalb dieser Schichten miteinan- konzentrierter Schwefelsäure reagiert es ab Tem-
der verknüpft sind. Die Ikosaeder benachbarter peraturen um 200 C.
Schichten sind über Zweizentrenbindungen mit- Beim Lösen von Boroxid in Wasser entsteht
einander verbunden. die sehr schwache Borsäure, deren Ester die zuvor
γ-Bor war die erstmals dargestellte, kristalline farblose Flamme des Bunsenbrenners intensiv
Form des Bors, die 50 Boratome in der Elementar- grün färben.
142 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Aussehen: Schwarz Bor, Pulver (Sicius 2015) Bor kristallin Marshall 2013)
Entdecker, Jahr Davy (England), 1808
Gay-Lussac und Thénard (Frankreich), 1808
Berzelius (Schweden), 1824
Wichtige Isotope [natürliches Halbwertszeit Zerfallsart, -produkt
Vorkommen (%)] (a)
10
5B (19,9) Stabil ——
11
5B (80,1) Stabil ——
Massenanteil in der Erdhülle (ppm): 16
Atommasse (u): 10,81
Elektronegativität 2,04 ♦ K. A. ♦ K. A.
(Pauling ♦ Allred&Rochow ♦ Mulliken)
Atomradius (pm): 85
Van der Waals-Radius (berechnet, pm): 192
Kovalenter Radius (pm): 82
Elektronenkonfiguration: [He] 2s2 2p1
Ionisierungsenergie (kJ/mol), erste ♦ zweite ♦ dritte: 801 ♦ 2427 ♦ 3660
Magnetische Volumensuszeptibilität: 1,9 105
Magnetismus: Diamagnetisch
Kristallsystem: Rhomboedrisch
Elektrische Leitfähigkeit ([A/V m)], bei 300 K): 1,0 104
Elastizitäts- ♦ Kompressions- ♦ Schermodul (GPa): 441 ♦ 320 ♦ Keine Angabe
Vickers-Härte ♦ Brinell-Härte (MPa): 4900 ♦ Keine Angabe
Mohs-Härte 9,3
Schallgeschwindigkeit (m/s, bei 293,15 K): 16,200
Dichte (kg/m3, bei 273,15 K) 2,46
Molares Volumen (m3/mol, im festen Zustand): 4,39 106
Wärmeleitfähigkeit ([W/(m K)]): 27
Spezifische Wärme ([J/(mol K)]): 11,09
Schmelzpunkt ( C ♦ K): 2076 ♦ 2349
Schmelzwärme (kJ/mol): 50
Siedepunkt ( C ♦ K): 3930 ♦ 4203
Verdampfungswärme (kJ/mol): 508
Deren Strukturen sind unter Anwendung einiger mit Natriumborhydrid in inertem Lösungsmittel.
Regeln vorhersagbar. Im einfachen Fall funktioniert Diboran ist ein farbloses, sehr giftiges Gas der
dies mit der Wade-Regel, bei Boran-Clustern meist Dichte 1,17 g/L mit stechendem, abstoßendem
mit der von Balakrishnarajan aufgestellten mno- Geruch, das bei einer Temperatur von 92,5 C
Regel, und bei sehr großen Boranmolekülen hilft kondensiert (die Flüssigkeit erstarrt bei 164,9 C).
die (6m + 2n)-Regel nach Von Ragué-Schleyer. Oberhalb von 50 C beginnt seine Zersetzung
Während die einfacheren Borane wie B2H6 zu Wasserstoff und höheren Boranen wie Tetra-,
oder B4H10 sehr instabil sind, sorgen sterische Penta- oder Decaboran. Die Zündtemperatur rei-
Effekte (hohe Symmetrie, geschlossene Käfig- nen Diborans beträgt 145 C. In der Regel ent-
struktur und fehlende Dreizentrenbindungen ohne zündet es sich an der Luft spontan und verbrennt
Beteiligung von Wasserstoffatomen) im Falle unter starker Wärmeentwicklung. Mit Luft bildet
der closo-Borane (B6H62, B9H92, B10H102, es in einem weiten Volumenbereich explosive
B12H122, B21H18 und B20H16) für deren ver- Gemische (Stock 1933). Daher bringt man Dibo-
gleichsweise hohe Stabilität. So besitzt beispiels- ran in der Regel gebunden an Amine in den Han-
weise B12H122die Struktur des sehr stabilen B12- del. Aus diesen flüssigen, lagerfähigen Vorstufen
Ikosaeders. isoliert man Diboran durch Zugabe starker Mine-
Die niederen Borane sind an der Luft selbstent- ralsäuren.
zündlich. Die Reaktionen erfolgen oft explosionsar- Diboran ist das einfachste Boran; monomeres
tig und sind stark exotherm. Die Salze von Boranen BH3 ist nicht stabil. Im Molekül des Diborans ist
bezeichnet man als Boranate, die jeweiligen Anio- jedes Boratom tetraedrisch von vier Wasserstoffato-
nen haben z. B. die Formeln BH4, B2H7 (Dibo- men umgeben, und die zwei Brücken-Wasserstoff-
ranat) und B10H102– (Dekaboranat); sie setzt man als atome gehen eine 2-Elektronen-3-Zentren-Bindung
Reduktions- und Hydrierungsmittel ein. Die wich- zur Kompensation des Elektronenmangels der Bo-
tigsten Vertreter sind Natriumboranat und Lithium- ratome ein (Bauer 1937, 1942; Longuet-Higgins
boranat. Ersteres ist durch Reaktion von Natrium- und Bell 1943; Hedberg und Schomaker 1951;
hydrid mit Diboran zugänglich: Norman und Jolly 1968). Letztere reagieren daher
bereitwillig unter Addition von Lewis-Basen wie
Ammoniak, mit dem die Verbindung BH3NH3
2 NaH þ B2 H6 ➔ 2 NaBH4
gebildet wird.
Mit Alkenen reagiert Diboran unter Entste-
Das frei nicht zugängliche Monoboran kann
hung von Trialkylboranen. Als Treibstoff für
man in Form seines auch im Handel befindlichen
Raketen ist es ungeeignet, da die bei seiner Ver-
Tetrahydrofuran (THF)-Komplexes (BH3 THF)
brennung gebildeten Bor-III-oxid und Wasser in
durch Reaktion von Natriumboranat mit Iod her-
den Düsen der Rakete einen klebrigen Film aus
stellen:
Borsäuren bilden, der die Düsen verstopft.
Oberhalb einer Temperatur von 50 C zersetzt
2 NaBH4 þ I2 þ THF ➔ 2 NaI þ H2 " sich Diboran unter Anderem auch zu Tetraboran
þ 2 BH3 THF (B4H10). Nahezu quantitativ kann man die Aus-
beute gestalten, wenn man Diboran unter einem
Für das wegen seiner Selbstentzündlichkeit an Druck von 170 kPa zwischen zwei konzentrische
Luft nur unter Luftausschluss handhabbare Dibo- Glasrohre leitet, bei denen das innere auf 120 C
ran (B2H6) gibt es die Möglichkeit der Darstel- geheizt und das äußere auf 78 C gekühlt ist
lung aus Bortrifluorid und Natriumhydrid: (Römpp Online 2002). Die Auflösung von Ma-
gnesiumdiborid in Säuren ergibt ein Gasgemisch,
2 BF3 þ 6 NaH ➔ B2 H6 þ 6 NaF das auch Tetraboran enthält. Schließlich ergibt im
kleinen Maßstab auch die Reaktion von Natrium
Die Darstellung kleiner Mengen im Labor mit Ioddiboran das gewünschte Tetraboran (Hof-
gelingt aber besser durch Umsetzung von Iod mann 2013, S. 400).
144 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Das unangenehm riechende Tetraboran kon- die Gefahr explosionsartiger Reaktion. Relativ
densiert bei 17,6 C zu einer farblosen Flüssigkeit, gefahrlos kann man es an die Moleküle des Ace-
die beim Abkühlen auf 120 C erstarrt. Reines tonitrils und von Thioketonen anlagern; diese bil-
Tetraboran ist an der Luft nicht selbstentzündlich den dann mit Ethin Carborane. Die Verbindung
und auch wesentlich weniger reaktiv als Diboran, kristallisiert monoklin (Blachnik 1998, S. 316) und
hydrolysiert aber in Wasser zu Borsäure und Was- wird bevorzugt in Raketentreibstoffen, Spreng-
serstoff. Schon bei Raumtemperatur wandelt es stoffen und Pyrotechnik eingesetzt, ebenso ist es
sich langsam in höhere, stabilere Borane um. ein Katalysator für die Polymerisierung von Ole-
Pentaboran(9) (B5H9) erhält man durch Ther- finen.
molyse von Diboran (Holleman et al. 1995, Chalkogenverbindungen Boroxid (B2O3) war
S. 1003). Die an der Luft selbstentzündliche, farb- Ausgangspunkt zur ersten Darstellung von Bor-
lose Flüssigkeit besitzt einen abstoßenden Geruch oxid. 1808 reduzierten Gay-Lussac und Thénard
und hydrolysiert ein Wasser ebenfalls. Sie hat eine Boroxid mit Kalium und erhielten noch verunrei-
Dichte von 0,61 g/cm3 und erstarrt bzw. siedet bei nigtes Bor. Die erstmalige Darstellung sehr reinen
46,7 C bzw. 58,4 C. Dieses Boran untersuchte Bors erfolgte durch Weintraub, der 1909 Boroxid
man zur Zeit des Kalten Krieges in der Sowjet- im elektrischen Lichtbogen verdampfte und Was-
union auf seine Eignung als Treibstoff für Rake- serstoff in die Reaktionszone leitete (Pilgrim
ten; auch hier bestanden aber Probleme bezüglich 1950, S. 190).
der sicheren Handhabung sowie der Verstopfung Das weiße Boroxid (s. Abb. 3) erhält man in
der Düsen, weshalb das Projekt verworfen wurde. kristalliner Form durch langsames Erhitzen von
Sogar mit ansonsten wenig reaktiven Nucleophi- Borsäure auf Temperaturen zwischen 150 C und
len wie Alkanolen, Ketonen und Halogenkohlen- 200 C (Holleman et al. 2007, S. 1104). Glüht
wasserstoffen reagiert Pentaboran(9) sehr heftig. man Borsäure dagegen, so entsteht amorphes
Höhere Borane kann man z. B. durch Reaktion Boroxidglas, das man nur schwer in kristalliner
von Boroxid mit Wasserstoff und Natrium bei Form erhalten kann. Die Verbindung schmilzt bei
hoher Temperatur im Autoklaven erzeugen. So 475 C, siedet aber erst bei 2250 C, hat die
wird Decaboran neben anderen Boranen bei der Dichte 2,56 g/cm3 und ist sowohl in amorpher
thermischen Zersetzung von Diboran gebildet wie auch kristalliner Form hygroskopisch (Effen-
(Brauer 1975, S. 792). berger et al. 2001). Die wässrige Lösung des
Decaboran (B10H14) ist ein farbloser Feststoff Oxids reagiert schwach sauer, da sich Borsäure
(s. Abb. 2) mit starkem Geruch, der bei 99–103 C bildet.
schmilzt (Siedepunkt der Schmelze: 213 C), eine Das bei Raumtemperatur stabile α-Boroxid
Dichte von 0,94 g/cm3 aufweist und nur wenig kristallisiert trigonal; die Elementarzelle enthält
gegenüber Luftsauerstoff beständig ist. Decabo- sechs Formeleinheiten. Dabei ist jedes Boratom
ran ist löslich in einigen organischen Lösungsmit- von drei Sauerstoffatomen in planarer Geometrie
teln, aber bei halogenierten Solventien besteht umgeben. Jedes Sauerstoffatom ist an banachbar-
te Boratome koordiniert; das Verhältnis von Bor im Mittel 318 pm, zwischen den Molekülen der
zu Sauerstoff ergibt sich rechnerisch als 2:3. Borsäure liegen Wasserstoffbrückenbindungen vor.
Neben der amorphen und der α-Modofikation Orthoborsäure löst sich relativ leicht in Wasser;
existiert auch das β-Bortrioxid, das aber nur bei die Lösung reagiert schwach sauer. Beim Erhitzen
hohen Temperaturen beständig ist. spaltet sie Wasser ab, geht zunächst in Metabor-
Boroxid ist Ausgangsstoff zur Herstellung säure (HBO2) und beim weiteren Erhitzen in Bor-
weiterer Borverbindungen wie Borcarbid, Bor- oxid (B2O3) über. Die einprotonige Säure ist mit
säureester und Diboran. Bei der Herstellung von einem pKs von 9,25 sehr schwach, wird aber
Borsilikat- und Borphosphatglas findet es ebenso durch Umsetzung mit mehrwertigen Alkoholen
Verwendung wie als Bindemittel in aus Bornitrid in eine wesentlich acidere Form überführt, da
bestehenden Keramikwerkstoffen (Rodewald und durch Veresterung zusätzlich Protonen freigesetzt
Rempe 2005). Das toxikologische Profil des Bor- werden. Dieser Effekt ermöglicht ihre alkalime-
oxids ist ungünstig, es gilt in der Europäischen trische Titration.
Union seit 2009 als besorgniserregender Stoff. In Gegenwart eines wasserentziehenden Mit-
Borsäure (H3BO3, Orthoborsäure) kommt in tels wie konzentrierter Schwefelsäure bilden Bor-
freier Form in der Toskana vor, sowohl gelöst in säure und ihre Salze, die Borate, mit Methanol den
einigen Fumarolen als auch als Mineral Sassolin. Borsäuretrimethylester, der mit grüner Flamme
Das wichtigste Mineral ist ein Tetraborat, nämlich brennt und zum qualitativen Nachweis des Bors
Kernit (Na2B4O7 4 H2O) bzw. Borax (Na2B4O7 dient (Jander et al. 2006, S. 368). Die in einer
8–10 H2O), aus ihm kann man durch Zugabe Jahresmenge von über 2 Mio. t weltweit produ-
starker Säure Borsäure herstellen. Borsäure liegt zierte Borsäure setzt man zur Herstellung von
in farblosen (s. Abb. 4a), glänzenden Kristallen Borsilikatglas ein, auch in Homöopathika, nicht
vor, die man bei schnellem Erhitzen auf 171 C im aber mehr in Arzneimitteln (ABDA 2018). Früher
geschlossenen Tiegel unzersetzt schmelzen kann. war Borwasser, eine wässrige Lösung von Bor-
Das Kristallgitter hat eine Struktur, in der die säure, als mildes Desinfektionsmittel im Einsatz.
Borsäuremoleküle in Schichten angeordnet sind In der Lebensmittel verarbeitenden Industrie
(s. Abb. 4b). Der Abstand der Schichten beträgt ist Borsäure als Konservierungsmittel unter der
Bezeichnung E 284 noch zugelassen. Borsäure
ist ebenso noch Bestandteil in Spülmitteln sowie
Insektiziden (Noli et al. 2013). Zum Schutz von
Bauholz sowie von organischen Dämmstoffen
setzt man vorbeugend Borsäure ein, um deren
Befall mit Schimmel zu verhindern, jedoch darf
nur noch die gerade nötige Menge an Borsäure
zugegeben werden.
Man nutzt Borsäure zur Abschätzung des Koh-
lendioxidgehaltes der Erdkruste in vergangenen
Erdzeitaltern. Bei geringerem Kohlendioxidge-
halt der Atmosphäre, also bei vorherrschend alka-
lischem Milieu der Erdkruste, geht Borsäure in
Borat über, und das Isotop 105B wird bevorzugt
in das Boration eingebaut. Einige im Erdmittel-
alter und -altertum lebende Wirbellose benötigten
Borat für den Aufbau ihrer Schalen, daher ist eine
relativ genaue Datierung der Entstehung mariti-
mer Sedimente möglich.
Abb. 4 a Borsäure (Onyxmet 2019). b Schichtstruktur Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
kristalliner Borsäure (Ben Mills 2007) erließ Empfehlungen zur Reduktion bzw. zum
146 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Ausschluss von Borsäure aus Spielzeugen für Mn-B-Einfachbindung einschieben und somit
Kinder wie Knete (2004). Die ECHA setzte Bor- eine gewinkelte Mn-Te=B-Atomgruppe bilden
säure 2010 auf die Anwärterliste für sehr besorg- (s. Abb. 5), wobei die Te=B-Bindung eine Länge
niserregende Substanzen SVHC (substance of von nur 210 pm aufweist, was eindeutig für eine
very high concern) und kennzeichnete diese als Doppelbindung spricht. Die neu erzeugte, bor-
reproduktionstoxisch. und tellurhaltige Verbindung ist ein violetter, kris-
Borsulfid (B2S3) erhält man durch Überleiten talliner Festkörper. Dieselbe Reaktion ist übrigens
von Schwefelwasserstoff über erhitztes Bor auch mit Schwefel bzw. Selen möglich.
(Brauer 1975, S. 804): Bortellurid (B2Te3) selbst ist ein harter (Mohs-
Härte: 7,5), in Abweichung zum homologen
2 B þ 3 H2 S ➔ B2 S3 þ 3 H2 Bor-III-sulfid erst bei 1800 C schmelzender,
grauschwarzer Feststoff, der im kubischen Gitter
Das schwach gelbliche, äußerst hydrolyseemp- kristallisiert und die Eigenschaften eines Halblei-
findliche Borsulfid schmilzt bei 563 C und hat ters hat.
die Dichte 1,7 g/cm3. In amorpher Form beginnt Halogenverbindungen Bortrifluorid (BF3) ist
die Verbindung bei ca. 300 C zu sublimieren ein giftiges (Mastromatteo und Sullivan 1994),
(Brotherton et al. 2013, S. 351). Borsulfid setzt stechend riechendes Gas vom Siedepunkt 100 C
sich zügig mit nukleophilen Verbindungen wie (Erstarrungspunkt der Flüssigkeit: 127 C).
Alkoholen, Aminen und Mercaptanen um. In der Man kann es auf mehreren Wegen gewinnen;
organischen Synthese reduziert es Sulfoxide zu technisch erfolgt dies aus Borax oder Boroxid
Mercaptanen (mit denen es dann weiter reagiert) mit Calciumfluorid und konzentrierter Schwefel-
und überführt Ketone in Thioketone. Weiteren säure:
Schwefel addiert es in der Hitze zu Bordisulfid
(BS2), in dessen Kristallgitter B8S16-Moleküle B2 O3 þ 3 CaF2 þ 3 H2 SO4 ➔ 2 BF3 "
vorliegen (Paetzold 2009, S. 772). þ 3 H2 O þ 3 CaSO4
Borselenid (B2Se3) ist ein ebenfalls sehr hydro-
lyseempfindlicher Halbleiter, den man in Form Weiterhin möglich ist unter anderem die
von Einkristallen zum Zählen thermischer Neu- Reaktion von Boroxid mit Flusssäure:
tronen verwenden kann. Als Neutronenquelle
diente in den beschriebenen Versuchen die Le- B2 O3 þ 6 HF ➔ 2 BF3 " þ 3 H2 O
gierung 241AmBe. Die Zählung der Neutronen
erfolgt über die während der Bombardierung oder die Umsetzung von Fluorsulfon- und Bor-
registrierten Strom-Spannungskurven des Halb- säure:
leiters (Kargar et al. 2013).
Der sehr seltene Fall einer Bor-Tellur-Doppel- H3 BO3 þ 3 HSO3 F ➔ BF3 " þ 3 H2 SO4
bindung konnte in einem Molekül verwirklicht
werden, das Braunschweig et al. darstellten (Krä- Bortrifluorid ist eine sehr starke Lewis-Säure
mer 2017). Zu einem Mangan-Alkylborylen- und wird durch Wasser schließlich zu Bor- und
Komplex fügte die Arbeitsgruppe elementares Flusssäure hydrolysiert. Bortrifluorid und seine Ad-
Tellur zu, dessen Atome sich in die bestehende dukte dienen als Katalysator, etwa bei der Herstel-
1
5 Einzeldarstellungen 147
Abb. 9 a Bornitrid (Onyxmet 2019). b Bornitrid-Tiegel (QS Advanced Materials 2019). c Bornitrid-Platte
(QS Advanced Materials 2019)
150 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
chemischen Einflüssen als solche aus anderem durch Reaktion einer aus Bor und Arsen bestehen-
Material gefertigte, allerdings ist Bornitrid sehr den pulverförmigen Mischung bei 1200 C unter
spröde. Zudem hat es eine sehr hohe Wärmeleit- hohem Druck (Osugi et al. 1966). Mit Galliumar-
fähigkeit; es leitet daher die Wärme vom Schneid- senid kann Borarsenid legiert werden, was die Her-
gut schnell ab. stellung ternärer und quaternärer Halbleiter ermög-
Das farblose, in Abhängigkeit von der jeweili- licht (Geisz et al. 2000). Borarsenid schlugen
gen Dotierung orangerote (n-Typ) bis rotbraune einige Forscher in der Vergangenheit als mögliche
(p-Typ) Borphosphid (BP) (Berger 1996, S. 116) Komponente von Solarzellen vor, man setzt die
ist ein III-V-Verbindungshalbleiter mit einer indi- Verbindung aber heute nicht für diesen Zweck ein.
rekten Bandlücke von 2,1 eV (Madelung 2004, Erhitzen auf Temperaturen von 920 C führt
S. 84), der in der Zinkblende-Struktur kristallisiert zur Abspaltung gasförmigen Arsens und zur Bil-
(Popper und Ingles 1957) und 1891 erstmalig dung rhomboedrisch kristallisierenden Borsubar-
dargestellt wurde (Moissan 1891). Borphosphid senids (B12As2), das mit einer Bandlücke von
schmilzt bei 1227 C unter Zersetzung und hat die 3,47 eV ebenfalls noch ein Halbleiter ist; man
Dichte 2,9 g/cm3. Die Wärmeleitfähigkeit beträgt kann Einkristalle der Substanz auf einem Substrat
460 W/m K (Kang et al. 2017), der Brechungs- wie Siliciumcarbid züchten (Chen et al. 2008).
index 3,0 (Madelung 2004), die Kompressibilität Borcarbide und -silicide Borcarbid (B4C) ist
des sehr harten Materials 152 GPa und die Debye- hart (Mohs-Härte: 9,3) und stabil gegen Ver-
Temperatur 712 C. Aus den Elementen kann man schleiß. Im Kristallgitter liegen kovalente B-C-
Borphosphid bei Drücken über 20 kbar und einer Bindungen vor. Diese Nichtoxid-Keramik ist wie
Temperatur von 1200 C herstellen (Gielisse et al. Siliciumcarbid oder -nitrid besonders hart und
1973), ebenso durch Erhitzen von Mischungen, zäh. Borcarbid ist ein wirksamer Absorber für
die aus Phosphor, Bor und Boroxid bestehen. Man Neutronen und wurde 1986 vom Flugzeug aus
setzt die Verbindung unter anderem als Werkstoff als Granulat in den explodierten Reaktor des
besonderer Leuchtdioden ein (Udagawa 2004). Kernkraftwerks Tschernobyl geworfen, um die
Das in Form brauner Kristalle (Perry 2011, nukleare Kettenreaktion zum Erliegen zu bringen.
S. 73) kubischer Zinkblende-Struktur vorliegende Borcarbid bildet glänzende, schwarze Kristalle
Borarsenid (BAs) ist ebenfalls ein III-V-Verbin- (s. Abb. 10a, b) bzw. ein grauschwarzes Pulver der
dungshalbleiter mit einer indirekten Bandlücke, Dichte 2,51 g/cm3, das bei 2350 C schmilzt (Sie-
die je nach angewandtem Berechnungsmodell depunkt der Schmelze: >3500 C). Erst oberhalb
einen Wert im Bereich von 0,6 bis 2,1 eV aufweist einer Temperatur von 1000 C greifen es Chlor
(Hart und Zunger 2000). Die Wärmeleitfähigkeit oder Sauerstoff an; es ist völlig beständig gegen-
des Borarsenids ist mit 1300 W/m K noch höher über Flusssäure und heißer Salpetersäure.
als die ohnehin schon hohe des homologen Bor- Grobkristallines Borcarbid entsteht bei seiner
phosphids. Borarsenid zersetzt sich beim Erhitzen Herstellung aus Kohle und Boroxid im elektri-
auf 1100 C und besitzt eine Dichte von 5,22 g/cm3 schen Widerstandsofen bei Temperaturen um
(Holleman et al. 1995, S. 1053). Man gewinnt es 2400 C:
Abb. 10 a Borcarbid
(Preslav 2009). b Borcarbid
(Onyxmet 2019)
5 Einzeldarstellungen 151
2006) wie auch in Düsen für Tintenstrahldrucker ist unterhalb einer Temperatur von 269,7 C
(Wu et al. 1996). ein Supraleiter (Kayhan 2013). Ran et al. erhielten
Niobdiborid (NbB2) ist ein refraktärkerami- Nanokristalle aus der Reaktionsschmelze heraus
sches, grauschwarzes (s. Abb. 16) Material mit (2014); solche Kristalle stellten Zoli et al. aus
hexagonaler Struktur. Es ist bei sehr hohen Tem- Niob-V-oxid und Natriumboranat bei 700 C in
peraturen einsetzbar, da es erst bei 3050 C Argonatmosphäre dar (2018) nach:
schmilzt. Zusammen mit seiner niedrigen Dichte
von 6,97 g/cm3 ist es ein vielversprechender 2 Nb2 O5 þ 13 NaBH4 ! 4 NbB2
Werkstoff für Anwendungen in der Luft- und þ 8 Na " þ 5 NaBO2 þ 26 H2 "
Raumfahrt wie etwa Raketenantriebe oder Karos-
serien von Ultraschallflugzeugen. Für eine Kera- Rheniumdiborid (ReB2) ist ein schwarzer, kris-
mik hat es ungewöhnlich hohe Wärme- und elek- talliner, sehr harter Feststoff mit einem Schmelz-
trische Leitfähigkeiten; diese Eigenschaft teilt es punkt von 2400 C. Er wird durch fünftägige
aber mit der kleinen Gruppe isostruktureller, oben Reaktion eines Gemisches der Elemente in Pul-
beschriebener Boride (Kovenskaya 1970). Die verform bei etwa 1000 C hergestellt. Strontium-
übliche Arbeitsweise zur Herstellung von aus hexaborid (SrB6) ist ein dunkelroter bis schwar-
Niobdiborid bestehenden Bauteilen ist das Heiß- zer, kristalliner, hochschmelzender (2235 C) und
pressen oder Sintern im Funkenplasma unter ebenfalls sehr harter Feststoff, den man u. a. als
Druck (Sairam et al. 2014). Druckloses Sintern elektrischen Isolator und in Steuerstäben für
ist nur bei gleichzeitiger Zugabe von Sinterungs- Kernreaktoren einsetzt. Man stellt SrB6 aus Stron-
additiven wie beispielsweise Borcarbid möglich, tiumcarbonat (SrCO3), Borcarbid (B4C) und Koh-
aber die mechanischen Eigenschaften sind denen lenstoff im Vakuumofen her. Lanthanhexaborid
des heißgepressten Materials unterlegen. (LaB6) ist der Elektronenemitter in Hochleis-
Man stellt Niobdiborid durch Reaktion der tungskathoden und ein feuerfestes keramisches,
Elemente im stöchiometrischen Verhältnis her, blauviolettes Pulver (s. Abb. 17) mit einem
außerdem ist die magnesiothermische Reduktion Schmelzpunkt von 2210 C.
einer Mischung aus Niob-V-oxid und Boroxid Sonstige Verbindungen Das weiße (s. Abb. 18)
möglich (Ganguli et al. 2011): Borphosphat (BPO4) kann man durch Reaktion
von Borsäure mit Phosphorsäure in einem Platin-
Nb2 O5 þ 2 B2 O3 þ 11 Mg tiegel in einem weiten Temperaturbereich von
! 2 NbB2 þ 11 MgO 80 bis 1200 C erzeugen (Brauer 1975, S. 811).
Bei tiefer Temperatur entsteht ein weißes, amor-
Auch der ausschließliche Einsatz pulverförmi- phes Pulver, das man für 2 h auf 1200 C erhitzen
gen Bors als Reduktans ist möglich; auf diese muss, um Mikrokristalle zu erhalten (Mylius und
Weise konnten Jha et al. Nanostäbchen der Meusser 1904):
Abmessung 40x800 nm2 erhalten. Niobdiborid
Elektrolyse Sauerstoff, wodurch die Anoden lang- korrosionsbeständig. Man kann diese Oxidschicht
sam abbrennen; daher muss die gestampfte Gra- durch Eloxieren derart verstärken, dass man so
phitmasse laufend nachgefüllt werden. Der Ener- vorbehandelte Oberflächen von Aluminium auf
gieaufwand ist mit etwa 15 kWh pro kg erzeugtes verschiedenste Arten färben kann. Ist die Oxid-
Aluminium hoch. Die meisten Verbesserungs- schicht jedoch beschädigt, so tritt Lochfraßkor-
möglichkeiten hierzu sind bereits ausgeschöpft rosion auf.
(Quinkertz 2002). Führend in der Herstellung ist Aluminium löst sich, jeweils unter Entwick-
das Unternehmen Norsk Hydro/Yara, das u. a. Pro- lung von Wasserstoff, sowohl heftig in Salzsäure
duktionsanlagen in Norwegen und Deutschland (unter Bildung seines Chlorids) als auch in Na-
betreibt. tronlauge (NaOH) unter Entstehung wasserlösli-
Zur Wiedergewinnung des Aluminiums schmilzt chen Natriumaluminats:
man aluminiumhaltige Schrotte und Krätzen in
Trommelöfen ein. Letztere entstehen meist bei 2 Al þ 6 HCl ➔ 2 AlCl3 þ 3 H2 "
der Verarbeitung von Aluminium und sind Gemi-
sche des Metalls mit seinem Oxid, das im Zuge 2 Al þ 2 NaOH þ 6 H2 O ➔
der Produktion des Aluminiums anfällt. Um das
2 Na AlðOHÞ4 þ 3 H2 "
Ausmaß der Bildung von Krätzen zu verringern,
deckt man die Oberfläche der aus Bauxit
Mit Halogenen, außer mit Iod, reagiert Alumi-
und Kryolith bestehenden Schmelze mit einer
nium bei Raumtemperatur heftig unter Feuerer-
Mischung aus Kochsalz, Kaliumchlorid und
scheinung. Aluminium-III-fluorid ist schwerlös-
etwas Calciumfluorid ab. Als Zwangsanfall ent-
lich in Wasser, die anderen Trihalogenide sind
steht daher bei der Schmelzflusselektrolyse auch
jedoch in Wasser sehr leicht löslich, wobei sie sich
noch geringe Anteile Aluminium enthaltende
aber direkt hydrolytisch zersetzen.
Salzschlacke, die zu mineralischen Glasfasern
Schwefelsäure löst Aluminium langsam auf,
weiter verarbeitet wird (Feige und Merker 2006;
Salpetersäure dagegen nicht, da letztere die Ober-
Spiegel online 1993; Boin et al. 2000).
fläche des Metalls passiviert.
Der Preis für 99,7 %iges Aluminium liegt aktu-
Feinverteiltes Aluminiumpulver ist, falls es
ell bei US$ 1800.- pro t (London Metal Exchange,
nicht zuvor phlegmatisiert wurde, chemisch sehr
24. Mai 2019).
reaktiv und kann sich an der Luft von selbst ent-
Physikalische Eigenschaften: Aluminium ist
zünden.
ziemlich weich, zugleich aber zäh. Die Zugfestig-
keit von reinem Aluminium beträgt 90 N/mm2,
die Streckgrenze liegt bei 34 N/mm2 und die Verbindungen
Bruchdehnung bei 45 %. Dagegen können die Chalkogenverbindungen Aluminiumoxid (Al2O3)
Zugfestigkeiten seiner Legierungen erheblich liegt als weißes Pulver vor (s. Abb. 19a, b), das bei
höher sein. Aluminium schmilzt bei 660 C und 2072 C schmilzt (Siedepunkt der Schmelze:
siedet bei 2470 C (s. Tab. 2). Seine Dichte ist 2980 C) und eine Dichte von 3,94 g/cm3 auf-
2,70 g/cm3, daher ist es ein Leichtmetall (Haber- weist.
meyer 2014). Seine Wärmeleitfähigkeit wird nur Man gewinnt es durch den Aufschluss von
noch von denen der Elemente der ersten Neben- Bauxit mit Natronlauge nach dem Bayer-
gruppe (Kupfer, Silber, Gold) übertroffen. Supra- Verfahren, wobei zunächst Aluminiumhydroxid
leitend wird es erst unterhalb einer Temperatur entsteht (Linsmeier 2010, S. 13–15). Dessen
von 271,95 C (Ilschner 2010). Brennen oder Sintern liefert dann Aluminium-
Chemische Eigenschaften: Aluminium bildet oxid. Eine weitere Methode der Produktion ist
an der Luft sofort eine mit 0,05 μm sehr dünne das vorsichtige Entwässern natürlich vorkom-
Oxidschicht (aus Al2O3), die es vor weiterer Oxi- mender Minerale wie Böhmit oder bei der
dation schützt. Diese passivierende Schicht macht Verbrennung pulverförmigen Aluminiums. Die
reines Aluminium bei pH-Werten von 4 bis 9 sehr aktuelle weltweite Produktionsmenge des Alumi-
5 Einzeldarstellungen 159
niumoxids liegt bei ca. 130 Mio. t, von denen schmelzflusselektrolytische Erzeugung metalli-
China 2014 (bei einem gesamten Volumen von schen Aluminiums nach dem Hall-Héroult-Pro-
damals 108 Mio. t) ca. 40 %, Australien 15 % zess.
und Brasilien 8 % beisteuerten. Die USA impor- Aluminiumoxid liegt in Form zweier Modifi-
tierten Bauxit 2019 für 31 US$ und Aluminium- kationen vor, zunächst dem kubisch kristallisie-
oxid für 560 US$ pro t (Bray 2019). Etwa zwei renden γ-Al2O3, also der Tonerde, aus der man
Drittel der hergestellten Menge gehen in die Keramiken und am Ende auch Aluminium her-
160 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Abb. 19
a Aluminiumoxid zum
thermischen Sprühen
(Stanford Advanced
Materials 2019).
b Aluminiumoxid
(Onyxmet 2019)
stellt, ferner dem ebenfalls natürlich vorkommen- nicht nach. In Auskleidungen für Öfen setzt nur
den α-Al2O3 mit rhomboedrischer Struktur, das die maximale Arbeitstemperatur von 1900 C
man als Mineral Korund oder Saphir kennt und gewisse Grenzen. Mischer, Rutschen und Düsen
das als Schleifmittel oder in der Produktion von für das Plasmaschweißen sind nur einige weitere
Keramik verwendet wird. Beim Erhitzen auf praktizierte Anwendungen des Materials. Gesin-
800 C geht das in Säuren und Basen gleicher- tertes Nano-Aluminiumoxid ist zur Produktion
maßen lösliche γ-Al2O3 in die meist unlösliche harter Gläser wie denen von Armbanduhren
α-Phase über. Die als β-Al2O3 bezeichnete Modi- unverzichtbar (Rosenflanz et al. 2004); man stellt
fikation ist tatsächlich ein Natriumaluminat der auch Panzerungen her, bei denen aus Aluminium-
Formel Na2O 11 Al2O3 und wurde früher irrtüm- oxid gebrannte Kacheln auf einen aus Aramidfa-
lich als reines Aluminiumoxid angesehen. sern bestehenden Träger geklebt werden (Lins-
Die Verbindung ist ein sehr wirksamer elektri- meier 2010, S. 65). Sehr reine Keramik aus
scher Isolator mit einem spezifischen Widerstand Aluminiumoxid, die große Kristalle des Materials
von 1012 Ω·m (20 C). Dagegen liegt die Wär- enthält, ist als Edelkorund in verschiedenen Klas-
meleitfähigkeit bei einem für Keramiken sehr sierungen im Handel.
hohen Wert von 36–39 W/mK (Martienssen und Nur in der Gasphase stabil sind Aluminium-I-
Warlimont 2005, S. 438–439, 445–446). oxid (Al2O) bzw. Aluminium-II-oxid (AlO) (Hol-
Aluminiumoxid reagiert amphoter, löst sich leman et al. 2007, S. 1156).
also entweder in Säuren unter Bildung von Alu- Aluminiumhydroxid [Al(OH)3] ist sehr wichtig
miniumsalzen oder in Basen unter Bildung von zur Herstellung anderer Verbindungen des Alumi-
Aluminaten. niums. Außerdem setzt man es als Füllstoff und
Meist besitzen Keramiken auf Basis von Alu- Brandschutzmittel in Beschichtungen ein.
miniumoxid eine sehr hohe Festigkeit gegenüber Aluminiumsulfid (Al2S3) kann durch gemeinsa-
Reibung und Verschleiß; man konstruiert daher mes Schmelzen der Elemente in stark exothermer
Waschbecken, Geschirr für gewerbliche Nutzung Reaktion erzeugt werden (Brauer 1978, S. 833).
in Hotels und Restaurants aus ihm oder Brems- Alternativ ist das Überleiten trockenen Schwefel-
beläge und Feuerfest-Auskleidungen von Öfen. wasserstoffs über erhitztes Aluminiumpulver mög-
Kleine Beimengungen von Chrom-III-oxid bzw. lich:
Titan-IV-oxid führen zur der Edelsteine Rubin
(Uhrensteine, Rubinlaser) bzw. Saphir. 2 Al þ 3 H2 S ➔ Al2 S3 þ 3 H2
Da Aluminiumoxid, wie oben schon erwähnt,
ein sehr wirksames Dielektrikum mit gleichzeitig Die Verbindung schmilzt bzw. siedet bei Tem-
geringem Verlustfaktor ist, verwendet man es bei- peraturen von 1100 C bzw. 1500 C und hat die
spielsweise zum Bau von Kondensatoren, auch Dichte 2,02 g/cm3 (20 C). Das bei der Reaktion
nimmt man es als Trägermaterial zum Auflöten unter Umständen geschmolzene Material kristal-
elektrischer Schaltungen. Solche auf kerami- lisiert in harten, hydrolyseempfindlichen, gelbli-
schem Substrat aufgebrachte Schaltungen stehen chen (s. Abb. 20) Nadeln. Diese können in Form
hinsichtlich ihrer Haltbarkeit rein metallischen dreier Modifikationen vorliegen: trigonal (Raum-
5 Einzeldarstellungen 161
Abb. 20 Aluminiumsulfid
(O. Mangl 2007)
Abb. 22
a Aluminiumfluorid
(Onyxmet 2019).
b Aluminiumfluorid
Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019)
im Körper und der durch sie initiierten bzw. spurenweiser Bildung von Brom; daher bewahrt
beschleunigten Alzheimer Krankheit nahe; jedoch man Aluminiumbromid in dunklen Glasflaschen
liegen noch keine eindeutigen Resultate vor. Das auf. Durch Wasser wird es heftig zu Bromwasser-
Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt stoff und Aluminiumhydroxid hydrolysiert (San-
in Anlehnung an die Europäische Behörde für ders et al. 2013). Die Kristallstruktur ist monoklin
Lebensmittelsicherheit (EFSA), dass ein Erwach- (Nielsen et al. 1997).
sener pro Woche nicht mehr als ein mg Alumi- Im Kristallgitter des Aluminiumbromids lie-
nium pro kg Körpergewicht aufnehmen sollte gen wie in dem des Chlorids Dimere (Al2X6)
Pander und Soutschek 2016). (X=Halogen) vor, wobei zwei Bromatome zur
In seiner Funktion als Lewis-Säure dient es in Verbrückung von je zwei Atomen des Alumini-
wasserfreier Form bei Synthesen als Katalysator ums dienen. Hauptsächlich setzt man die Verbin-
bei Friedel-Crafts-Reaktionen, Dehydrierungen dung als Katalysator bei der Friedel-Crafts-
und Polymerisationen. Reaktion oder auch bei Bromierungen ein.
Flavonoide sind mittels Aluminiumchlorid Aluminiumiodid (AlI3) gewinnt man durch
nachweisbar. Hierzu löst man 2,0 g des Hexahy- Umsetzung von Aluminiumpulver mit Iod (Brauer
drats in 100 mL einer Lösung von 5 Vol.-% Eis- 1978, S. 876). Das weiße Pulver (s. Abb. 26) kris-
essig in Methanol. Nach Ablauf der dünnschicht- tallisiert monoklin (Troyanov et al. 2004); auch
chromatographischen Trennung der Flavonoide hier liegen im festen Zustand Dimere (Al2I6) vor
sprüht man dieses Reagenz auf die zur Trennung (Kotz et al. 2005, S. 1038). Das ebenfalls stark
verwendete Platte und bestrahlt diese dann mit feuchtigkeitsempfindliche Aluminumiodid schmilzt
UV-Licht einer Wellenlänge von 365 nm. Dieses bzw. siedet bei 191 C bzw. 360 C und hat eine
Verfahren ist unter „Aluminiumchlorid-Reagenz Dichte von 3,98 g/cm3. Man nutzt es für beson-
R“ im Europäischen Arzneibuch zitiert (2002). dere organische Reaktionen, da es C–O- bzw.
Aluminiumbromid (AlBr3) stellt man analog zu N–O-Bindungen spaltet; so bricht es die Moleküle
den Darstellungswegen des Chlorids in wasser- von Arylethern und Epoxiden auf. Auch ist es ein
freier Form durch Überleiten von Bromdampf Iodierungsmittel (Tian und Sang 2015).
über eine zum Glühen erhitzte Mischung von
Aluminiumoxid und Kohle oder aber direkte
Reaktion der Elemente Brom und Aluminium
her (Nicholson et al. 1950).
Aluminiumbromid ist mit einem Schmelz-
bzw. Siedepunkt von 97,5 C bzw. 263 C eben-
falls leicht flüchtig. Es ist in Benzol, Toluol,
Schwefelkohlenstoff und weiteren organischen
Lösungsmitteln löslich. Die Verbindung bildet
farblose (s. Abb. 25), an feuchter Luft rauchende
Kristalle der Dichte 3,2 g/cm3. Längere Einwir- Abb. 25 Aluminiumbromid (Onyxmet 2019)
kung von Licht führt zu einer Gelbfärbung wegen
Abb. 26 Aluminumiodid
(O. Mangl 2007)
164 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Indiumphosphid, dies aber nur in strikt auch 19 C tiefer. Aluminiumantimonid ist als potenti-
gegenüber Spuren an Feuchtigkeit abgeschlosse- eller Werkstoff für Solarzellen interessant. Dazu
nen Systemen. kann man es auch mit anderen III-V-Verbindungs-
Die Giftwirkung des durch Hydrolyse der Ver- halbleitern je nach Bedarf kombinieren.
bindung frei gesetzten Monophosphans beruht auf Sonstige Verbindungen Aluminiumcarbid (Al4C3)
der Hemmung antioxidativ wirkender Enzyme, ist formal vom Methan abgeleitet und entwickelt
was die Erzeugung des lebenswichtigen Adeno- auch bei Kontakt mit Wasser bzw. Säuren in heftiger
sintriphosphats, des Energieträgers in den Zellen, Reaktion Methan. Es bildet in reinstem Zustand
verringert oder völlig blockiert. Symptome sind in farblose bis hellgelbe Kristalle hexagonaler Struktur
schneller Folge Atemnot und Zyanose, Brust- und und der Dichte 2,36 g/cm3, ansonsten ist es gelb-
Bauchschmerz, Übelkeit und Erbrechen bis zum braun (s. Abb. 28). Aluminiumcarbid schmilzt bei
Schockzustand und Tod durch multiples Organ- 2100 C und zersetzt sich in der Schmelze (Brauer
versagen. Eine direkte Therapie gibt es nicht, 1978, S. 841).
daher kann man Patienten nur symptombezogen Meist erzeugt man die Verbindung im elektri-
und unterstützend auf der Intensivstation behan- schen Ofen bei ca. 2000 C aus den Elementen
deln. Das von Aluminiumphosphid bei Gegen- und unter Wasserstoffgas. Feine Partikel von Alu-
wart von Wasser erzeugte Monophosphan führte minumcarbid härten schon in kleinen Zugabe-
schon zu Unglücken mit Todesfolge (Müssigbrodt mengen metallisches Aluminium und verringern
et al. 2007). Im Iran ist es als „Reistablette“ dessen Neigung zum Kriechen (Zhu et al. 1998). In
bekannt, da es geerntetem Reis zum Schutz gegen Hochgeschwindigkeits-Schneidwerkzeugen setzt
Fraß durch Mäuse und Ratten zugegeben wird. man es als Schleifmittel ein (Saveker und Bonnell
Wegen häufiger Todesfälle wollte die Iranische 2000), da es ungefähr dieselbe hohe Härte wie
Organisation für Gerichtsmedizin den Einsatz Topas hat (Mohs-Härte: 8).
des Aluminiumphosphids als Pestizid verbieten Aluminiumdiborid (AlB2) erhält man durch
lassen (Shadnia et al. 2009: Mehrpour und Singh Erhitzen einer Mischung von Aluminium und
2010), es ist aktuell nicht bekannt, ob dies inzwi- Bor im Vakuum bei 800 C (Brauer 1975, S. 788;
schen auch umgesetzt worden ist. Becher 1961):
Aluminiumarsenid (AlAs) erhält man analog
durch Schmelzen von Aluminium mit Arsen Al þ 2 B ➔ AlB2
(Brauer 1975, S. 840). Der orange Feststoff der
Dichte 3,81 g/cm3 schmilzt bei 1740 C, ist ein Der dunkelgraue Feststoff (s. Abb. 29a, b) der
Halbleiter mit indirekter Bandlücke von 2,12 eV Dichte 3,17 g/cm3 kristallisiert hexagonal in der
und empfindlich gegenüber Feuchtigkeit, die ihn Raumgruppe 191 und disproportioniert beim
zu Aluminiumhydroxid und giftigem Arsenwas- Erhitzen auf etwa 975 C in Aluminium und Alu-
serstoff (Monoarsan, AsH3) zersetzt. Die Kristall- miniumdodecaborid (AlB12). Sein Reaktionsver-
struktur der Verbindung entspricht der des Typs halten hängt stark von der Teilchengröße ab.
Zinkblende. Die Elektronenmobilität liegt bei
200 cm2/V s (27 C), die Debye-Temperatur bei
144 C.
Aluminiumantimonid (AlSb) ist ebenfalls ein
III-V-Verbindungshalbleiter, der aber eine klei-
nere indirekte Bandlücke von 1,6 eV besitzt, bei
Temperaturen von 1060 C bzw. 2467 C schmilzt
bzw. siedet und die Dichte 4,26 g/cm3 hat.
Die Elektronenmobilität liegt wie beim ho-
mologen Aluminiumarsenid bei 200 cm2/V s
(27 C), die Lochmobilität bei 400 cm2/V s
(27 C), aber die Debye-Temperatur liegt mit Abb. 28 Aluminiumcarbid (Onyxmet 2019)
166 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Abb. 29
a Aluminiumdiborid
(Onyxmet 2019). b Nano-
Aluminiumdiborid
(Stanford Advanced
Materials 2019)
Abb. 30 B12-Ikosaeder
(links) und B19-Einheit in
den Kristallstrukturen von
α- und γ-AlB12
Abb. 32
a Aluminiumnitrat
wasserfrei (O. Mangl 2007).
b Aluminiumnitrat-
Nonahydrat (Onyxmet
2019)
168 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Flugzeugmodelle der Hersteller Boeing und Air- Metall als elektrischen Leiter, so müssen diese
bus enthalten jedoch vermehrt glasfaserverstärk- geschützt und ummantelt werden, da sich die
ten Kunststoff anstelle von Aluminium und/oder Kontakte gelegentlich auch lösen können. Gege-
seinen Legierungen. benenfalls helfen Verbindungen aus einer Kupfer-
Oberflächen von Aluminiumprofilen werden Aluminium-Legierung (Cupal), die Kontaktpro-
nach einer geeigneten Vorbehandlung (Eloxieren bleme zu vermeiden.
zur Verstärkung der Passivschicht) in galvani- In Elektrolytkondensatoren dient Aluminium
schen und anderen Prozessen vielfach gefärbt, als Elektroden- und Gehäusematerial. Kleinere
wodurch aus Aluminium gefertigte Bauteile in Antennen bestehen ebenfalls oft aus Aluminium.
diversen Außenanwendungen (Haustüren, Gar- Elektronik: Noch bis vor etwa 15 Jahren ver-
tenmöbel usw.) zum Einsatz kommen. wendete man ausschließlich Aluminium als Mate-
Aus Aluminium bestehen ferner Rahmen und rial für Leiterbahnen in integrierten Schaltkreisen,
Felgen von Fahrrädern, Felgen von Motorrädern auch in speziellen Transistoren kam es verbreitet
und Autos, Stöcke für Skisport und Nordic Wal- zum Einsatz (Wolf 1990, S. 196). Seine damals
king, Zelt- und Stativstangen. Da das Metall eine ausschlaggebenden Vorteile waren seine gute
hohe Wärmeleitfähigkeit besitzt, stellt man auch Haftung und die geringe Diffusion in dem als
Kühlkörper und wärmeableitende Konstruktionen Isolator zwischen den Leiterbahnen eingelegten
aus ihm her. Zudem besteht die äußere Metall- Siliciumdioxid. Später ersetzte man es aber mehr
schicht der Heizelemente von Bügeleisen und und mehr durch Kupfer, dies wegen dessen gerin-
Kaffeemaschinen aus Aluminium. Als wichtigster gerem spezifischen Widerstand und günstigerem
Bestandteil von Fassadenelementen, Dachrinnen Elektromigrationsverhalten (Wolf 2002, S. 713 ff.).
und Regenabflussrohren wurde es jedoch inzwi- Viele mikroelektronische Produkte enthalten
schen weitgehend durch Titanzink verdrängt aber weiterhin Aluminium, ebenso Leistungs-
(Fritz und Schulze 2012; Roos und Maile 2011). halbleiter; in letzteren meist als Material für Ver-
Aluminiumpulver und -pasten gehen in die bindungsdrähte zwischen Chip und Gehäusean-
Herstellung von Porenbeton (Achtziger et al. schluss.
2001). Basische Aluminiumverbindungen dienen Lebensmittelindustrie, Verpackungen, Geschirr:
als Abbindebeschleuniger für Spritzbeton (Beck- Aluminium verarbeitet man in großen Mengen zu
mann et al. 2012). Getränke- und Konservendosen bzw. zu Verpa-
Elektrotechnik Aluminium leitet den elektri- ckungsfolie, diese auch als Inliner von Plastikver-
schen Strom sehr gut und wird darin nur noch packungen (z. B. Tetra Pak). Letztere isoliert das
von Silber, Kupfer und Gold übertroffen. Kupfer aufzubewahrende Gut vollständig gegenüber Sau-
verwendet man, wenn stromführende Teile platz- erstoff und Licht. Nur säurehaltige Lebensmittel
sparend konstruiert werden müssen, wie z. B. bei dürfen nicht in Behältern aus reinem Aluminium
Wicklungen in Transformatoren, dem spezifisch aufbewahrt werden; jene kleidet man für solche
leichteren Aluminium wird dann der Vorzug Zwecke dann innen mit Kunststoff aus. Ebenso
gegeben, wenn das Gewicht entscheidend ist, stellt man Kochtöpfe, Essgeschirr und viele Kü-
wie z. B. bei Leiterseilen von Freileitungen (Flos- chengeräte aus Aluminium her.
dorff und Hilgarth 2003). In modernen Flugzeu- Aluminium reflektiert in hohem Maße Licht
gen sind Kabel aus Aluminium Standard. Oft und auch UV-Strahlung, weshalb es in Beschich-
fertigt man stromführende Metallteile aus Alumi- tungen von Spiegeln, Scannern, Scheinwerfern
nium und überzieht sie nach Bedarf mit einer und Spiegelreflexkameras eingebaut wird.
dünnen Schicht aus -teurerem- Kupfer, da jenes Pyrometallurgie: Der Treibstoff von Feststoff-
einen besseren Kontakt vermittelt. Vor allem unter raketen enthält bis zu 30 Gew.-% Aluminium-
Druck gibt Aluminium schlecht den elektrischen pulver, das bei seiner Verbrennung viel Energie
Kontakt weiter, da sich auf ihm Kriechströme und freisetzt. Aluminiumpulver findet auch als Kom-
auch die isolierend wirkende Passivschicht aus ponente von Feuerwerksmischungen Verwen-
seinem Oxid bilden können. Verwendet man das dung. Eine Mischung von Aluminium und Eisen-
5 Einzeldarstellungen 169
III-oxid („Thermit“) reagiert sehr heftig und unter Aluminium bestehendem Geschirr, so können
Freisetzung großer Wärmemengen, die Eisen zum erhebliche Mengen des Metalls gelöst werden
Schmelzen bringt; daher setzt man diese Mi- und ins Lebensmittel übergehen (Eschnauer
schung z. B. zum Schweißen von Schienen ein. 1958).
Trink- und Mineralwässer weisen mit höchs-
Physiologie und Toxizität Aluminium ist auch tens 0,2 mg/l im Gegensatz zur Nahrung sehr
in Spuren für den Menschen nicht essenziell geringe Konzentrationen auf (EFSA 2008). Die
(Spornitz 2010), jedoch enthält der menschliche Trinkwasserverordnung legt einen maximal zu-
Körper stets ca. 100 mg des Elements Werden lässigen Grenzwert von 0,2 mg/l fest.
aluminiumhaltige Lebensmittel aufgenommen, Die von einer Akkumulierung des Aluminiums
so werden sie schnell und fast quantitativ wieder im menschlichen Körper ausgehende Gesund-
ausgeschieden, wenngleich die Resorption in Ab- heitsgefahr war und ist Gegenstand umfangrei-
hängigkeit vom chemischen Verbindungszustand cher Forschungen (Gitelman 1988; Ferreira et al.
des Aluminiums, seiner damit verbundenen Lös- 2008; The Alzheimer’s Society 2009; Rondeau
lichkeit, dem pH-Wert und der Anwesenheit von et al. 2008; Yumoto et al. 2009).
Komplexbildnern schwankt. Ist die Nierenfunk-
tion eingeschränkt, kann es zu einer Akkumulie-
rung des Aluminiums im menschlichen Kör- Patente
per kommen, die Knochenerweichung und/oder (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Schäden des Zentralnervensystems hervorrufen wide.espacenet.com)
kann. Al3+-Ionen sind im Blut meist an Trans-
ferrin gebunden oder mit basischem Phosphat G. Guiglionda und L. Boissonnet, Method
verbunden (Ternes 2013). of making 6xxx aluminum sheets (Con-
Durch sauren Regen wurden in den 1980er- stellium Neuf Brisach; UACJ Corp., US
Jahren im Waldboden vorkommende Aluminium- 2019153577, veröffentlicht 23. Mai
verbindungen gelöst und bei einem pH-Wert von 2019)
<5 in eine für Pflanzen resorbierbare Form über- X. Wu und K. Yang, Procedure for post-heat
führt. Die Wurzeln der Pflanzen wurden geschä- treatment of aluminum-silicon-magnesium
digt, da Enzyme und Eiweiße der Pflanze gehemmt components made by selective laser mel-
oder in ihrer Funktion zumindest beeinträchtigt ting (3D metal printing) (University
werden. Bestimmte Kulturpflanzen sind aber ge- Monash, WO 2019090398 A1, veröf-
genüber einem großen Konzentrationsbereich von fentlicht 16. Mai 2019)
Al3+ tolerant (Poschenrieder et al. 2008; Matsu- F. Bullerjahn und M. Zajac, Supplementary
moto 2000; Ezakii et al. 2001; Panda et al. 2009). cementitious material made of alumi-
Die durch den sauren Regen in die Umwelt nium silicate and dolomite (Heidelberg-
gelangten Al3+-Ionen führten auch zu einem cement AG, US 2019144339 A1, ver-
Anstieg des Fischsterbens. öffentlicht 16. Mai 2019)
Die Lebensmittel mit den höchsten Gehalten S. E. Ezbeeva, 6xxx series aluminium alloy
an Aluminium sind Tee (bis zu 1000 mg/kg Tro- forging stock material and method of
ckenmasse), Kakao und Schokolade (ca. 100 mg/ manufacturing thereof (Aleris Alumi-
kg) sowie Salate und Hülsenfrüchte (20 bis num Duffel BVBA, US 2019136348
30 mg/kg) (Schlegel und Richter 1997). A1, veröffentlicht 9. Mai 2019)
Im Allgemeinen ist der Gehalt an Aluminium P. Uggowitzer und T. Ebner, Curable alu-
in pflanzlichen Lebensmitteln sehr niedrig, je- minium alloy on an Al-Mg-Si basis
doch kann er in Abhängigkeit von Sorte, Boden, (AMAG Rolling GmbH, PL 3196324
Anbaubedingungen und Herkunft stark schwan- T3, veröffentlicht 30. April 2019)
ken (EFSA 2008). Kocht man saure Lebensmittel
(Sauerkraut, Tomaten, Wein, Zitrusfrüchte) in aus (Fortsetzung)
170 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Galliumsalzen in wässriger Lösung in Betracht peratur unterhalb von 16,3 C bildet sich das
(Greber 2005). monoklin kristallisierende β-Gallium, in dessen
Vor einigen Jahren belief sich die jährliche Struktur sägezahnartig angeordnete Ketten von
Produktion auf weltweit nur etwa 100 t, darüber Galliumatomen vorliegen. Erfolgt die Kristallisa-
hinaus betrug die Menge des aus Abfällen wie- tion bei oder unterhalb einer Temperatur von
dergewonnen Galliums knapp 150 t. Die wichti- 19,4 C, so entsteht δ-Gallium mit trigonaler,
gen Produktionsländer für elementares Gallium dem α-Bor ähnelnder Struktur. Unterhalb einer
aus natürlichen Vorkommen sind China, Deutsch- Temperatur von 35,6 C kristallisiert Gallium
land, die Ukraine und Kasachstan, wogegen das orthorhombisch (γ-Gallium), dessen Struktur aus
Recycling intensiv in den USA, England und miteinander verbundenen Ga7-Ringen in Form
Japan betrieben wird (Jaskula 2009). einer Röhre besteht. In der Mitte dieser Röhre
befindet sich eine lineare, aus Galliumatomen
Eigenschaften zusammengesetzte Kette (Holleman et al. 2007,
Physikalische Eigenschaften: Gallium ist ein sil- S 1181; Sharma und Donohue 1962; Bosio und
berweißes, weiches Metall (Sitzmann 2014). Es Defrain 1969; Bosio et al. 1972, 1973; Bosio 1978).
hat mit 29,76 C nach Quecksilber und Cäsium Zudem bildet Gallium auch noch Hochdruck-
den niedrigsten Schmelzpunkt aller Metalle modifikationen. Bei einer Temperatur von 20 C
(s. Tab. 3). Der Grund hierfür liegt vorrangig in und einem Druck von >30 kbar (Holleman et al.
der geringen Symmetrie seines Kristallgitters S. 1181) entsteht die kubisch kristallisierende Modi-
sowie dem hohen Anteil kovalenter Bindungen fikation Gallium-II. Erhöht man den Druck weiter
zwischen jeweils zwei Galliumatomen (Müller auf 140 kbar, bildet sich Gallium-III mit tetragonaler
2008). Sein Siedepunkt liegt mit 2400 C aber Struktur, vergleichbar der des Homologen Indium.
relativ hoch, so dass es für Hochtemperaturther- Unter extremem Druck (>1200 kbar) entsteht
mometer sehr geeignet ist. Gallium lässt sich Gallium-IV, das kubisch-flächenzentriert kristalli-
sogar unterhalb seines Schmelzpunktes flüssig siert (Kenichi et al. 1998).
halten, kristallisiert aber dann bei Stoß oder Zu- Chemische Eigenschaften: Zeigt Gallium eine
fügen von Kristallkeimen unmittelbar. Flüssiges Reihe ziemlich von seinem niedrigeren Homo-
Gallium weist eine gegenüber der festen Form um logen Aluminium abweichender physikalischer
ca. 3 % höhere Dichte auf, wie es auch manche Eigenschaften, so ähnelt sein chemisches Verhal-
Halbmetalle zeigen (Züger und Dürig 1992). ten jenem stark. Auch Gallium überzieht sich an
Flüssiges Gallium zeigt leichten Paramagnetis- der Luft mit einer dünnen Oxidschicht, die es
mus, während die feste Form diamagnetisch ist. passiviert und somit vor weiterem Angriff durch
Kovalente (!) Gallium-Gallium-Bindungen lie- Luftsauerstoff schützt. Erst in reinem Sauerstoff
gen in nahezu allen Modifikationen des Metalls und unter hohem Druck verbrennt das Metall zu
vor. Die bei Raumtemperatur energieärmste und seinem Oxid (Ga2O3).
stabilste ist das in orthorhombischer Schichtstruk- Festes Gallium reagiert nicht mit Wasser, flüs-
tur kristallisierende α-Gallium, in dessen Gitter siges aber relativ zügig. Mit Halogenen setzt es
Dimere von Galliumatomen mit intrinsischer sich in heftiger Reaktion zum jeweiligen Trihalo-
kovalenter Bindung existieren. Die Dimere selbst genid (GaX3) um. In Säuren löst es sich unter
sind wiederum durch metallische Bindung mitei- Bildung von Galliumsalzen. Starke Basen lösen
nander verbunden; es sind jeweils sechs Gallium- es ebenfalls, indem Wasserstoffgas und das ent-
atome um ein weiteres angeordnet. Diese Dimere sprechende Gallat [Ga(OH)4] entsteht. Somit
bleiben in der Schmelze erhalten und treten auch reagiert Galliumhydroxid amphoter. Königswas-
in der Gasphase auf (Holleman et al. 2007, ser und konzentrierte Alkalilauge lösen das Metall
S. 1181). am schnellsten, nur konzentrierte Salpetersäure
Drei weitere Modifikationen bis hinauf zum nicht, da sie es passiviert.
δ-Gallium sind unter normalem und leicht erhöh- Flüssiges Gallium ist sehr aggressiv gegenü-
tem Druck beständig. Bei einer Erstarrungstem- ber anderen Metallen, so dass man es nur in
172 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Behältern aus Quarz, Glas, Graphit und aus- Verbindungen Gallium tritt in seinen Verbin-
nahmsweise Tantal (bis 450 C) oder Wolfram dungen fast nur mit der Oxidationszahl +3 auf,
(bis 800 C) lagern kann (Merkel und Thomas nur sehr vereinzelt mit der – instabilen- Oxida-
2008). tionszahl +1.
5 Einzeldarstellungen 173
Abb. 33 a Gallium-III-
oxid (Stanford Advanced
Materials 2019). b Gallium-
III-oxid (Onyxmet 2019)
Abb. 34 a Gallium-III-
sulfid (Onyxmet 2019).
b Gallium-III-sulfid
(Stanford Advanced
Materials 2019)
Chalkogenverbindungen Gallium-III-oxid (Ga2O3) Gallium (I) oder durch Umsetzung von Gallium-
ist ein weißer Feststoff (s. Abb. 33a, b), hat eine III-oxid mit Schwefelwasserstoff bei ebenfalls
Dichte von 6,44 g/cm3, schmilzt bei 1900 C und hohen Temperaturen (II, Brauer 1975, S. 857):
ist durch Erhitzen von Gallium-III-hydroxid auf
ca. 500 C erhältlich. Dabei entsteht zunächst die (I) 2 Ga + 3 S ➔ Ga2S3
γ-Modifikation, die eine Spinellstruktur mit Gal- (II) Ga2O3 + 3 H2S ➔ Ga2S3 + 3 H2O
liumdefekten aufweist. Bei längerem Erhitzen
geht diese in die α-Modifikation mit Korundstruk- Das weiße bis gelbe Gallium-III-sulfid (s.
tur und dann in das monoklin kristallisierende, Abb. 34a, b) ist hydrolyseempfindlich und re-
thermodynamisch stabilste β-Ga2O3 über (Yoshioka agiert mit Wasser. Es löst sich in wässrigen Säuren
et al. 2007). unter Bildung von Gallium-III-salzen (Downs
Ebenfalls zur Darstellung des Gallium-III- 1993, S. 162).
oxids geeignet ist das Erhitzen von Gallium-III- Das bei niedrigerer Temperatur stabile, im
nitrat auf Temperaturen um 200 C. Dann bildet Zinkblende-Typ kristallisierende α-Ga2S3 hat die
sich zunächst die Bixbyit-artige δ-Modifikation, Dichte 3,74 g/cm3. Die sich oberhalb einer Tem-
die sich bei weiterem Erhitzen über die orthor- peratur von 550 C bildende Hochtemperaturmo-
hombische ε-Modifikation ebenfalls in β-Ga2O3 difikation β-Ga2S3 hat dagegen die Struktur des
umwandelt. Wurtzits (Jones et al. 2001; Goodyear et al. 1961);
Gallium-III-oxid ist nahezu unlöslich in Was- sie schmilzt bei 1099 C. Man verwendet Gal-
ser (Holleman et al. 2007, S. 1196). lium-III-sulfid zur Herstellung der CIGS- (Kup-
Einige der oben genannten Modifikationen des fer-Indium-Gallium-Diselenid-) Halbleiter.
Gallium-III-oxids sind zur Zersetzung von Mole- Gallium-II-sulfid (GaS) bildet gelbe Kristalle
külen aromatischer Kohlenwasserstoffe geeignete der Dichte 3,86 g/cm3, die bei 965 C schmelzen.
Photokatalysatoren (Hou et al. 2007). Wird die Verbindung aus den Elementen synthe-
Gallium-III-sulfid (Ga2S3) erzeugt man durch tisiert, so besitzt das Kristallgitter eine hexagonale
Überleiten heißen Schwefeldampfs über geschmol- Schichtstruktur mit Ga24+-Einheiten, in denen die
zenes, auf eine Temperatur von 1250 C erhitztes Ga-Ga-Bindung durchschnittlich 248 pm lang ist.
174 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Ähnliche Schichtstrukturen zeigen auch Gal- bei 960 C. Die indirekte Bandlücke von 2,6 eV
lium-II-selenid, -II-tellurid und Indium-II-selenid. weist es als III-VI-Verbindungshalbleiter aus
Stellt man Gallium-II-sulfid aber durch chemische (Bube und Lind 1959). In Form von Einkristallen
Abscheidung aus der Gasphase her, so durch verdoppelt es die Frequenz mittleren Infrarotlichts
thermischen Abbau von Di-tert.butyl-galliumthio- (Auerhammer und Eliel 1996) und wird auch
carbamat, so entsteht es mit verzerrter Wurtzit- sonst zur drastischen Modifizierung von In-
Struktur, auf deren Gitterplätzen vermutlich Ga2+- frarotstrahlung eingesetzt (Singh et al. 1998;
und Sulfidionen sitzen (Keys et al. 1999). Kübler et al. 2005; Liska et al. 2006), was zur
Einzelschichten von Gallium-II-sulfid sind Erzeugung von Laserlicht sehr wichtig ist.
stabile zweidimensionale Halbleiter, deren Valenz- Die Nutzung seines Potenzials wird behindert
band an die Form eines umgedrehten Sombrero- durch die Schwierigkeit, Einkristalle zu züchten
huts erinnert, was zum Auftreten von Lifschitz- (Voevodin et al. 2004). Diese neigen stark dazu,
Übergängen führen kann (Zolyomi et al. 2013). entlang von Spaltlinien zu brechen und können
Gallium-III-selenid (Ga2Se3) erhält man durch daher nur schwer geschnitten werden. Einzel-
Reaktion von Gallium mit Selen bei hoher Tem- schichten der Verbindung sind dynamisch sta-
peratur (Brauer 1975, S. 860). Der schwarze Fest- bile zweidimensionale Halbleiter, ähnlich wie
stoff, der als Pulver auch rot erscheint (s. Abb. 35a, Gallium-II-sulfid (Zolyomi et al. 2013). Nanoteil-
b), schmilzt bei einer Temperatur von 1020 C chen des Materials wurden von Chikan und Kel-
und hat eine Dichte von 5,2 g/cm3. Das harte ley dargestellt, indem sie Trimethylgallium mit
und spröde Material kristallisiert kubisch in der Trioctylphosphinselenid bei hoher Temperatur im
Zinkblende-Struktur (α-Modifikation), die bei Gemisch aus Trioctylphosphin und Trioctylphos-
niedrigerer Temperatur stabil ist (Blachnik 1998, phinoxid umsetzten (2002).
S. 466). Die oberhalb von 600 C beständigere Gallium-III-tellurid (Ga2Te3) ist ein schwar-
β-Modifikation hat die Struktur des Wurtzits zer (s. Abb. 36a, b), spröder, im kubischen
(Hahn und Klingler 1949). Zinkblende-Typ kristallisierender Feststoff einer
Gallium-II-selenid (GaSe) kristallisiert wie Dichte von 5,57 g/cm3, der bei 790 C schmilzt.
Gallium-II-sulfid mit hexagonaler Struktur. Seine Man gewinnt ihn durch Umsetzung der Elemente
Dichte beträgt 5,03 g/cm3, der Schmelzpunkt liegt miteinander oder durch Überleiten von Tellurwas-
Abb. 35 a Gallium-III-
selenid (Stanford Advanced
Materials 2019). b Gallium-
III-selenid Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019)
Abb. 36 a Gallium-III-
tellurid Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019). b Gallium-III-
tellurid (Onyxmet 2019)
5 Einzeldarstellungen 175
serstoff auf Gallium-III-hydroxid (Brauer 1975, gegenüber Wasser, auch heißem, hydrolysestabil.
S. 861). Seine Wärmeleitfähigkeit ist unerwartet In Wasser ist Gallium-III-fluorid (im Gegensatz zu
gering (Kurosaki et al. 2008). seinem Trihydrat) sehr wenig löslich. Man kann
Gallium-II-tellurid (GaTe) liegt ebenfalls in es in unter Stickstoff oberhalb einer Temperatur
Form schwarzer Kristalle vor, die bei einer Tem- von 800 C unzersetzt sublimieren. Durch Ent-
peratur von 824 C schmelzen und eine Dichte wässern des Trihydrats lässt sich weder an Luft,
von 5,44 g/cm3 aufweisen. Die hier direkte noch im Vakuum, noch im Fluorstrom (!) oxid-
Bandlücke beträgt noch 1,65 eV (20 C) (Julien- freies Gallium-III-fluorid erzeugen. Die Verbin-
Pouzol et al. 1979). Die Verbindung ist durch dung kristallisiert im gleichen Gitter wie das
Umsetzung aus den Elementen mit monokliner homologe Aluminiumfluorid, also in einer trigo-
Struktur herstellbar oder aber durch chemische nalen Struktur, die dem Gitter eines verzerrten
Abscheidung aus der Gasphase (Gillan und Bar- Rhenium-VI-oxids entspricht (Roos und Meyer
ron 1997), wenn organische Galliumverbindun- 2001). Gallium-III-fluorid bildet in wässrigen
gen eingesetzt werden. Lösungen von Alkalifluoriden Hexafluorogallate
Im Kristallgitter liegen Ga24+-Einheiten und (Holleman et al. 1995, S. 1096). Man setzt es
Telluridionen vor; die Länge der Ga-Ga-Bindung wegen seines hohen Brechungsindex und der
beträgt 243 pm. Die Kristalle des Gallium-II-tel- Schwerlöslichkeit in Wasser in besonderen Linsen
lurids mit ihrer Schichtstruktur weisen ebenfalls und Gläsern ein (Troyanov et al. 2004).
eine Anharmonizität auf (Aydinlı et al. 2002). Gallium-III-chlorid (GaCl3), das wasserfrei
Halogenverbindungen Die Eigenschaften der ein hygroskopischer, farbloser (s. Abb. 38), an
Galliumhalogenide (GaX3) entsprechen stark der Luft infolge Hydrolyse rauchender Feststoff
denen der homologen Aluminiumhalogenide. vom Schmelzpunkt 78 C und Siedepunkt 201 C
Strukturell existieren auch sie, mit Ausnahme ist, wird zweckmäßig direkt durch Reaktion der
des Gallium-III-fluorids, als Dimer. Elemente (I) hergestellt, ferner durch Überleiten
Gallium-III-fluorid (GaF3) weicht in seinen trockenen Chlorwasserstoffs über geschmolzenes
Eigenschaften deutlich von den anderen Gal- Gallium bei 500 C (II) oder zwecks Zurückdrän-
liumtrihalogeniden ab. Es kann durch Reaktion gung der Hydrolyse durch Lösen von Gallium-III-
von Gallium mit Fluorwasserstoff gewonnen wer- oxid in heißem Thionylchlorid (III):
den (Brauer 1975, S. 239). Alternativ geht auch
die Darstellung durch thermische Zersetzung von (I) 2 Ga + 3 Cl2 ➔ 2 GaCl3
Ammoniumhexafluoridogallat im Fluorstrom. Als (II) 2 Ga + 6 HCl ➔ 2 GaCl3 + 3 H2
Trihydrat erzeugt man es, indem Gallium-III-hy- (III) Ga2O3 + 3 SOCl2 ➔ 2 GaCl3 + 3 SO2 "
droxid oder -oxid in Flusssäure gelöst werden.
Der farblose Feststoff (s. Abb. 37) schmilzt Gallium-III-chlorid bildet wie andere Halogen-
bzw. siedet bei 800 C bzw. oberhalb von ide der dritten Hauptgruppe Dimere der Formel
1000 C und hat die Dichte 4,47 g/cm3. Er ist Ga2Cl6 mit vier endständigen und zwei Brücken-
Temperaturen als Silicium betrieben werden, zeigt noch n- (Schwefel, Selen oder Tellur) bzw.
höhere Schaltgeschwindigkeiten bei gleichzeitig p-dotiert (Zink) werden. Galliumphosphid kann
geringeren Energieverlusten, verbunden mit einer man durch Umsetzung von Gallium mit Phosphor
Elektronenmobilität von 900 cm2/V s und einer bei Temperaturen um 700 C oder von Gallium
Lochmobilität von 10 cm2/V s (Silicium: 1400 mit Phosphortrichlorid herstellen (Brauer 1975,
bzw. 450, Germanium: 3900 bzw. 1900). S. 862); für die Produktion von Einkristallen muss
Das homologe Galliumphosphid (GaP) ist als man sich aufwändigerer Technik bedienen. Gal-
Pulver ein orangeroter, in Stücken ein rotsilbrig liumphosphid hat eine indirekte Bandlücke von
glänzender Feststoff (s. Abb. 41a, b) einer Dichte 2,25 eV (bei 20 C), verbunden mit einer Elektro-
von 4,1 g/cm3, der bei 1348 C schmilzt. Man nenmobilität von 250 cm2/V s und einer Loch-
setzt die Verbindung schon seit langer Zeit in mobilität von 150 cm2/V s.
grünen (nicht-dotiert), roten (wenn dotiert, dann Analog ist Galliumarsenid (GaAs), ein dunkel-
mit Zinkoxid) und orangen Leuchtdioden ein. Je grauer (s. Abb. 42a–c) und stark hydrolyseemp-
nach Bedarf kann das reine Galliumphosphid findlicher Feststoff der Dichte 5,31 g/cm3 und des
Abb. 41
a Galliumphosphid,
Scheiben (Václavik und
Vápenka 2013). b Gallium-
III-phosphid, Wafer
(Onyxmet 2019)
Abb. 42 a Gallium-III-arsenid, Einkristall (W. Oelen 2007). b Gallium-III-arsenid, 99,999 % (Onyxmet 2019).
c Gallium-III-arsenid (Stanford Advanced Materials 2019)
178 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Schmelzpunkts 1238 C, undotiert oder n- bzw. Bauer 2011). Die Dichte ist 5,61 g/cm3, und der
p-dotiert einsetzbar, je nach gewünschter Wir- Schmelzpunkt beträgt 712 C. Auch Galliumanti-
kung. Die direkte Bandlücke beträgt 1,44 eV bei monid tritt, wie die meisten III-V-Halbleiter, mit
Raumtemperatur. Das Material ist schon lange in einer Zinkblendestruktur auf. Überraschenderwei-
elektronischen Bauelementen im Einsatz. Auch se zeigt das undotierte Galliumantimonid bereits
hier sind die Galliumatome beliebig durch Alumi- eine p-Leitfähigkeit. Über die Art des Akzeptors
nium- bzw. Indiumatome austauschbar (z. B. Alu- wird noch diskutiert; möglicherweise ist dies eine
minium-Gallium-Arsenid). Der Vorteil von Gal- Gallium-Leerstelle oder ein auf einem eigentlich
liumarsenid ist eine gegenüber Silicium etwa für ein Antimonatom bestimmten Gitterplatz sit-
zehnfache Übertragungsfrequenz, sowie eine zendes Galliumatom. Die Verbindung geht gleich-
wesentliche Reduktion des Rauschens und damit falls in lichtelektronische Bauteile wie z. B. Laser-
des Energieverbrauchs. Daher wird es in rausch- dioden und Photodetektoren.
armen Hochfrequenzverstärkern (low noise am- Zum Vergleich sind nachstehend in Tab. 4
plifiers) für Satelliten- und Radaranlagen bevor- Kenndaten einiger Halbleiter aufgeführt wie For-
zugt eingesetzt. mel, Art der Bandlücke: direkt oder indirekt (D./
Oft spricht das Kosten-Nutzen-Verhältnis aber I.)), Dichte (D, g/cm3), Bandlücke (BL, eV), kri-
immer noch für die klassischen, aus Silicium tische Feldstärke (KF, V/cm), Elektronenmobilität
gefertigten Halbleiter, denn die Ausgangsstoffe (EM, cm2/Vs), Lochmobilität (LM, cm2/Vs),
Gallium und Arsen sind wesentlich teurer. Ein- Wärmeleitfähigkeit (WL, W/mK), Koeffizient
kristalle aus Galliumarsenid sind zudem schwerer der thermischen Ausdehnung (KT, 1/K). Aus
herzustellen als solche aus Silicium, und ihre Gründen der Vollständigkeit sind die Daten des
Geometrie ist relativ beschränkt. Zudem beträgt
die Lochmobilität (Leitung durch Defektelektro-
nen) nur 400 cm2/V · s und liegt damit unter
derjenigen des Siliciums, weshalb Galliumarsenid
trotz seiner energetischen Vorteile in manchen
Anwendungen nicht einsetzbar ist, wie in solchen
Feldeffekttransistoren, deren Wirkung auf Lochlei-
tung beruht. In Leuchtdioden deckt es den Bereich
der Wellenlängen von Infrarot bis Gelb ab.
Galliumantimonid (GaSb) ist ein geruchloser,
schwarzgrau-metallischer Feststoff (s. Abb. 43)
und ebenfalls ein direkter Halbleiter mit einer Abb. 43 Gallium-III-antimonid, 99,99 % (Onyxmet
direkten Bandlücke von nur noch 0,72 eV (27 C, 2019)
elektrischen Isolators Diamant hier ebenfalls an- Die Verbindung ist eine klare, farblose Flüssig-
gegeben; die für Siliciumcarbid sind Mittelwerte. keit vom Erstarrungspunkt 16 C und Siedepunkt
Es gibt noch einige weitere Gruppen von Halb- 93 C, die an der Luft selbstentzündlich ist und
leitern [Zinksulfid oder Cadmiumsulfid (II–VI) unter Inertgasatmosphäre gelagert werden muss.
bzw. Indiumsulfid (III–VI)], deren Diskussion Man setzt Trimethylgallium bei der Gasphasen-
den Rahmen dieses Buches aber sprengen würde. epitaxie zur Erzeugung sehr dünner Beschichtun-
Sonstige Verbindungen Gallium bildet weder ein gen aus Gallium ein (Dripps et al. 2004).
Carbid noch ein Silicid oder Borid. Rudman ver-
suchte die Synthese des hypothetischen Galliumdo- Anwendungen Das Volumen des industriell ver-
decaborids durch Zusammenschmelzen von Gallium wendeten Galliums ist wegen dessen Seltenheit
und Bor in stöchiometrischem Mengenverhältnis gering. Die wirtschaftlich wichtigsten Verbindun-
entweder in einem aus Bornitrid bestehenden Tiegel gen des Galliums sind eindeutig die mit den
bei Temperaturen von 1800 C über 15 h oder Elementen der 5. Hauptgruppe gebildeten III-V-
durch einmonatiges (!) Erhitzen der Elemente in Halbleiter, zu denen fast die vollständige Produk-
gleichem Verhältnis der Mengen bei 1100 C, bei- tion des Galliums verarbeitet wird. Daneben geht
des im evakuierten Quarzrohr. Das einzige beob- es in kleinen Mengen auch in die p-Dotierung des
achtete Produkt der Reaktion war Borsub- Siliciums (p-Dotierung).
oxid (1965). In Form einer bei Raumtemperatur flüssigen,
Gallium-III-nitrat [Ga(NO3)3] erhält man zusammen mit Indium und Zinn gebildeten Legie-
durch Auflösung von Gallium oder Gallium-III- rung geht es unter dem Namen Galinstan als Füll-
oxid in Salpetersäure und Trocknung des ausfal- flüssigkeit in Hochtemperaturthermometer, die
lenden Hydrates bei 40 C (Brauer 1975, S. 862). bis zu einer Temperatur von 1200 C einsetzbar
Die weißen Pulver (s. Abb. 44) sind in Wasser sind. Auch in weiteren Legierungen ist es enthal-
sehr gut löslich (Perry 2011, S. 491). ten, ebenso als Medium zum Wärmeaustausch
Die Verbindung schmilzt bei einer Temperatur in Kernreaktoren anstelle von Natrium-Kalium-
von 110 C unter Zersetzung. Es verstärkt die Legierungen und als Ersatz für Quecksilber in
Absorption von Calcium im menschlichen Körper Dampflampen. Die Vorteile von Gallium sind die
und wird daher auch in der Krebstherapie eingesetzt. im Vergleich geringere Reaktivität und Giftigkeit.
Die einfachste organische Galliumverbindung Flüssiges Gallium findet als Elektrodenmate-
ist das durch Umsetzung von Gallium-III-chlorid rial bei der Gewinnung hochreiner Metalle Ver-
mit Dimethylzink zugängliche Trimethylgallium wendung, ebenso als Sperrflüssigkeit bei der
(Kraus und Toonder 1933): Volumenmessung von Gasen bei hohen Tempera-
turen. Zusammenschmelzen mit Gadolinium,
2 GaCl3 þ 3 ZnðCH3 Þ2 ➔ 2 GaðCH3 Þ3 Eisen, Lithium und Magnesium ergibt magneti-
þ 3 ZnCl2 sche Legierungen. Eine Legierung mit Vanadium
(V3Ga) ist ein Supraleiter mit der vergleichsweise
hohen Sprungtemperatur von 256 C.
Gallium wird in Beschichtungen für Spiegel
eingesetzt, außerdem absorbiert es sehr leicht
Neutrinos (Gallex-Experiment). Das radioaktive
Isotop 6831Ga nutzt man in der Positronen-
Emissions-Tomographie als Tracer. 6831Ga ist
durch Bestrahlung des Isotops 6931Ga mit Proto-
nen über das zunächst gebildete Isotop 6832Ge
darstellbar. 6831Ga wird dann durch einen stark
komplexierenden Liganden [z. B. 1,4,7,10-Tetra-
azacyclododecan-1,4,7,10-tetraessigsäure (DO-
Abb. 44 Gallium-III-nitrat (Onyxmet 2019) TA)] gebunden (Green und Welch 1989).
180 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Lithium weisen noch tiefere Schmelzpunkte auf. Indium ist sehr weich und kann mit dem
Wie Gallium ist auch Indium über einen sehr Messer, kleine Kügelchen sogar mit dem Finger-
großen Temperaturbereich flüssig. Wird Glas mit nagel (!) zerteilt werden. Es ist darüber hinaus sehr
flüssigem Indium benetzt, so verbleibt, wie übri- biegsam; man hört dabei ein ähnliches Geräusch
gens auch im Falle des Galliums, ein permanenter wie beim Verbiegen von Stangen des im Perioden-
Metallfilm auf dem Glas. system benachbarten Zinns. Indium kristallisiert
5 Einzeldarstellungen 183
Abb. 45 a Indium-III-oxid
99,99 % (Onyxmet 2019).
b Nano-Indium-III-oxid
(Stanford Advanced
Materials 2019)
184 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
Die Verbindung schmilzt bei einer Temperatur Es existieren zwei kubische Strukturen; die Nie-
von 692 C, kristallisiert orthorhombisch und dertemperatur- geht bei 610 C in die Hochtem-
hat eine Dichte von 5,18 g/cm3. Ähnlich dem peraturform über (Tonkov 1992, S. 507; Rowe
Gallium-II-sulfid liegen auch hier In24+-Kationen 2012, S. 8–2). Flüssiges Indium-III-tellurid hat
vor, die durch überbrückende Schwefelatome mit eine höhere Dichte als festes, mit einem Maxi-
benachbarten Kationen verbunden sind (Schubert mum bei 867 C, jedoch bestehen je nach Bildung
et al. 1954). von Aggregationen in der Schmelze auch inner-
Darüber hinaus gibt es weitere Indiumsulfide halb der Schmelze bei konstanter Temperatur
der Formeln In4S3, In6S7 und In3S4, deren Exis- Dichteunterschiede (!) (Tsuchiya et al. 1982;
tenz auf das gleichzeitige Vorliegen von In+- und Thurn und Ruska 1976).
In3+-Ionen oder auch auf das von „Mini-Clustern“ Halogenverbindungen Die alle aus Indium und
wie In24+ oder In35+ zurückzuführen ist. dem jeweiligen Halogen zugänglichen Indium-III-
Indium-III-selenid (In2Se3) kann man durch halogenide sind Lewis-Säuren und werden durch
gemeinsames Erhitzen von Indium mit Selen dar- Wasser zu Indium-III-hydroxid bzw. -oxid und
stellen (Brauer 1975, S. 872; Shaw und Parkin dem entsprechenden Halogenwasserstoff zersetzt.
2001). Der schwarze, weiche Feststoff hat eine Nur Indium-III-fluorid (InF3) ist ziemlich be-
Dichte von 5,67 g/cm3, schmilzt bei einer Tempe- ständig gegenüber Hydrolyse, wird aber durch
ratur von 890 C und kristallisiert in Form fünf kochendes Wasser ebenfalls zum Indiumoxidfluo-
verschiedener Modifikationen (α-, β-, γ-, δ-, κ-) rid hydrolysiert (Zuckerman 2009, S. 89). Der
(Holleman et al. 2007, S. 1195). Die beiden am farblose, hochschmelzende (1170 C) Feststoff ist
häufigsten auftretenden Formen α- und β- haben schwer löslich in Wasser, aber löslich in verdünn-
eine Wurtzit-Struktur mit Lücken auf den Katio- ten Säuren. Man stellt ihn aus Indium-III-oxid und
nenplätzen; der Abstand der Bänder des γ-In2Se3 Fluor oder aus Indium-III-chlorid und Fluorwas-
beträgt ca. 1,9 eV (Jasinski et al. 2002). serstoff her (Brauer 1975, S. 240). Es wird unter
Indium-II-selenid (InSe) ist ebenfalls ein III-VI- anderem zur Herstellung von Spezialgläsern ver-
Halbleiter, und wie das Indium-III-selenid durch wendet (Atta-ur-Rahman 2005; Hoppe und Kissel
Umsetzung jeweils stöchiometrischer Mengen der et al. 1984). Die Kristallstruktur ist trigonal (Raum-
Elemente darstellbar (Brauer 1975, S. 872). Der gruppe 167) mit eckenverknüpften, aus Fluorato-
schwarze, leicht verreibbare Feststoff schmilzt bei men gebildeten Oktaedern (Porterfield 2013,
einer Temperatur von 660 C und tritt in Form S. 132). Wasserstoff reduziert es bei 300 C in
mehrerer Modifikationen auf. β-InSe kristallisiert zügigem Gasstrom zu Indiummetall, bei sehr lang-
hexagonal (Raumgruppe 194, P63/mmc), ε-InSe samer Gaszufuhr bleibt die Reduktion beim
gleichfalls hexagonal (Raumgruppe 187, P6m2) Indium-I,III-fluorid stehen (Brauer 1975, S. 240).
und γ-InSe trigonal (Raumgruppe 160, R3m) (Ikari Die Verbindung setzt man als Katalysator bei orga-
et al. 1982), wobei die thermodynamisch stabilste nischen Synthesen ein (Ur-Rahman 2005, S. 192).
die γ-Modifikation ist (Hollingsworth et al. 2000). Indium-III-chlorid (InCl3) verwendet man als
Auch in dieser treten wieder In24+-Kationen auf, Katalysator bei der Reduktion organischer Ver-
die durch verbrückende Selenatome an benach- bindungen und erzeugt es durch Verbrennen von
barte Kationen gebunden sind, so dass eine Indium in Chlorgas (I) oder durch Umsetzung
Schichtstruktur entsteht. Für das γ-InSe existieren eines Gemischs aus Indium-III-oxid und Kohle
zwei Bandlücken, eine indirekte von 1,2 eV und mit Chlor (II, Noel 2012; Holleman und Wiberg
eine direkte von 2,4 eV (McCanny und Murray 1985, S. 891):
1977; Rigoult und Rimsky 1980).
Indium-III-tellurid (In2Te3) kann durch Erhit- (I) 2 In + 3 Cl2 ➔ 2 InCl3
zen einer Mischung von Indium und Tellur dar- (II) In2O3 + 3 C + 3 Cl2 ➔ 2 InCl3 + 3 CO
gestellt werden (Brauer 1975, S. 872). Der
schwarze, harte und spröde Feststoff hat eine Es ist selbstverständlich auch möglich, Indi-
Dichte von 5,8 g/cm3 und schmilzt bei 667 C. um-III-chlorid durch Auflösen von Indium in
5 Einzeldarstellungen 185
Salzsäure darzustellen, jedoch tritt beim Versuch, bata et al. 2004), bei Friedel-Crafts-Reaktionen
das wasserfreie Salz durch Erhitzen des Hydrats (Thirupathi und Kim 2009) und bei Additionen
zu erhalten, immer eine teilweise Hydrolyse ein. von Indolen zu Enonen (Bandini et al. 2002).
Eine alternative Herstellmethode unter wasser- Man erhält die Verbindung in wasserfreier
freien Bedingungen ist daher noch die Reaktion Form durch Überleiten von Bromdampf über er-
von Indium-III-oxid mit Thionylchlorid bei Tem- hitztes Indium. Wässrige Lösungen von Indium-
peraturen um 300 C (Brauer 1975, S. 867): III-bromid können leicht aus Indium und Brom-
wasserstoffsäure erhalten werden. Aus diesen
In2 O3 þ 3 SOCl2 ➔ 2 InCl3 þ 3 SO2 scheidet sich beim Einengen oberhalb einer Tem-
peratur von 33 C wasserfreies (!) Indium-III-bro-
Die Verbindung hat mit 586 C einen deutlich mid aus, bei tieferen Temperaturen verbleiben
höheren Schmelzpunkt als Gallium-III- oder Alu- Hydrate. Die Kristallstruktur der Verbindung ist
miniumchlorid, ist aber schon oberhalb von 418 C monoklin, mit Schichten von InBr6-Oktaedern,
sublimierbar (Smith und Barrow 1958). die über drei Kanten miteinander verbunden sind
Indium-III-chlorid liegt in Form weißer, (Porterfield 2013, S. 132).
hygroskopischer Kristalle (s. Abb. 46) der Dichte Generell sind durch Umsetzung von Indium-
3,46 g/cm3 vor. In der Gasphase bildet es ebenfalls III-bromid mit metallischem Indium niedere
Dimere. Im Festkörper kristallisiert die Verbin- Bromide darstellbar (InBr2, In4Br7, In2Br3, In5Br7,
dung monoklin (Raumgruppe 12). Wasserfreies In7Br9), deren Struktur im Festkörper bereits
Indium-III-chlorid reagiert heftig mit Wasser untersucht wurde (Staffel und Meyer 1987; Ruck
unter Hydrolyse zu Indium-III-hydroxid und und Bärnighausen 1999; Dronskowski 1995).
Chlorwasserstoff. Im salzsauren Medium bildet Kochen der im stöchiometrischen Verhältnis ein-
es Doppelchloride, die sich in der Regel vom gesetzten beiden Ausgangsstoffe unter Rückfluss
Hexachloroindat-III [(InCl6)3] ableiten. Verein- in Xylol ergibt Indium-II-bromid (Freeland und
zelt setzt man Indium-III-chlorid als Katalysator Tuck 1976). Indium-I-bromid (InBr) konnte eben-
bei Synthesen von Carbonylverbindungen und falls auf diese Weise hergestellt werden. (Stephen-
zur Herstellung von Indiumsulfid ein, das in son und Mellor 1950).
CIGS-Solarzellen eingebracht wird. Indium-I-bromid (InBr) ist ein rotes Kristallisat,
In zahlreichen organischen Synthesen ange- das im Festkörper eine verzerrte Kochsalzstruktur
wandt wird auch Indium-III-bromid (InBr3), ein aufweist und isotyp zum β-Thallium-I-iodid ist
graugelber Feststoff (s. Abb. 47) vom Schmelz- (Stephenson und Mellor 1950). Es ist durch Erhit-
punkt 420 C (Siedepunkt: 656 C, Sublimations- zen von Indium mit Indium-III-bromid darstellbar.
punkt: 371 C, Dichte 4,74 g/cm3), so bei der Man verwendet es gelegentlich in der organi-
Dithioacetalisierung von Aldehyden in nicht- schen Synthese, beispielsweise zur Kopplung von
wässrigen und wässrigen Medien (Ceschi et al. α,α-Dichlorketonen zu 1-Arylbutan-1,4-dionen
2000), bei reduktiven Aldolkondensationen (Shi- (Peppe und das Chagas 2004). Mit Alkylhaloge-
niden reagiert die Verbindung zu Alkylindiumha- nodrähte aus Indiumphosphid eine stark aniso-
logeniden (Worrall et al. 1972). Bei Kontakt trope Photolumineszenz, weshalb sie für sensible
mit Wasser disproportioniert es zu metallischem Photodetektoren sehr interessant sind (Wang et al.
Indium und Indium-III-bromid, das aber weiter zu 2001).
Indium-III-hydroxid zersetzt wird (Dronskowski Indium-III-nitrid (InN) erhält man durch Re-
1994). aktion von Ammoniumhexafluoroindat-III mit
Indium-III-iodid (InI3) kann man durch Über- Ammoniak bei Temperaturen von knapp unter
leiten von Ioddampf über erhitztes bzw. geschmol- 600 C (Brauer 1975, S. 872):
zenes Indium erhalten (Brauer 1975, S. 869;
Downs 1993, S. 132). Eine wässrige Lösung der ðNH4 Þ3 InF6 þ 4 NH3 ➔ InN þ 6 NH4 F
Verbindung bildet sich beim Lösen von Indium in
Iodwasserstoffsäure. Einengen liefert dann was- Der schwarze (s. Abb. 49), an trockener Luft
serfreies Indium-III-iodid. Das schwach gelbe beständige Feststoff schmilzt bei 1100 C und hat
Indium-III-iodid ist stark hygroskopisch, leicht eine Dichte von 6,89 g/cm3. Natronlauge und
löslich in Wasser und mäßig empfindlich gegen konzentrierte Schwefelsäure lösen ihn auf, andere
Hydrolyse. Es schmilzt bei 220 C, hat eine Mineralsäuren nicht. Seine Kristallstruktur ist ein
Dichte von 4,68 g/cm3 und kristallisiert monoklin Wurtzit-Typ. Eine zukünftige Anwendung besteht
(Forrester et al. 1964). Auf den Plätzen des in Kombination mit Galliumnitrid in Solarzellen
Kristallgitters befinden sich dimere Moleküle. (Veal et al. 2009).
Man nutzt die Verbindung unter Anderem als Kata- Die Bandlücke des Indium-III-nitrids liegt bei
lysator zur Produktion von Vinyl- und Methylinda- 0,7 eV (27 C) (Davydov 2002; El-Ela und
ten (Yamamoto und Oshima 2006, S. 379). El-Assy 2012). In Kombination mit Galliumnitrid
Indium-I-iodid (InI) erzeugt man durch Re- entsteht Indiumgalliumnitrid, dessen Bandlücke
aktion von Indium mit Iod oder Indium-III-iodid durch das Verhältnis der zwei zur Synthese einge-
im Vakuum oder mit Quecksilber-II-iodid bei setzten Ausgangsstoffe im weiten Bereich von
ca. 350 C (Brauer 1975, S. 870). Der braunrote 0,7–3,4 eV einstellbar ist. Unterhalb einer Tempe-
(s. Abb. 48), diamagnetische Feststoff schmilzt ratur von 269,85 C wird die Verbindung zum
bei einer Temperatur von 365 C, hat die Dichte Supraleiter, wenn sie in Form dünner Schichten
5,32 g/cm3 und kristallisiert orthorhombisch vorliegt (Inushima 2006).
(Holleman et al. 1995, S. 1101). Indium-III-phosphid (InP) ist ein schwarzer,
Pnictogenverbindungen In der Elektronikin- einkristallin herstellbarer Feststoff (s. Abb. 50a, b),
dustrie gibt es diverse Anwendungen für III-V- der bei einer Temperatur von 1070 C schmilzt,
Verbindungshalbleiter wie Indiumnitrid, -phos- eine Dichte von 4,79 g/cm3 und eine direkte
phid, arsenid und -antimonid, wie etwa Leucht-, Bandlücke von 1,34 eV (27 C) besitzt. Ein wich-
Foto- oder Laserdioden. Dies erfolgt vorrangig in tiges Einsatzgebiet besteht in hochfrequentem
Abhängigkeit von ihrer Bandlücke, aber auch Laser, den man zur Übertragung von Daten über
andere Effekte spielen eine Rolle. So zeigen Na- Glasfaserkabel und große Entfernungen benötigt
Abb. 50 a Indium-III-
phosphid 99,9999 %
(Onyxmet 2019). b Indium-
III-phosphid, Kristalle
(W. Oelen 2007)
Abb. 51 a InAs-
Einkristallbruchstücke
(W. Oelen 2007). b Indium-
III-arsenid, 99,999 %
(Onyxmet 2019)
(Heinrich und Tillack 2012). Hier nutzt man die oder Photodioden. Auch Indium-III-arsenid ist als
hohe Beweglichkeit der Elektronen im Gitter, die cancerogen eingestuft.
der des Siliciums deutlich überlegen ist. Die Indium-III-antimonid (InSb) hat als undotiertes
Verbindung erzeugt man durch Erhitzen einer Material und bei Raumtemperatur die höchste
Mischung von Indium und rotem Phosphor in Elektronenbeweglichkeit von 78.000 cm2/(Vs)
stöchiometrischem Verhältnis unter Inertgas bei aller bekannten Halbleiter und wird darin nur
hoher Temperatur. Das Material ist feuchtigkeits- noch von Kohlenstoff-Nanoröhrchen übertroffen
empfindlich und setzt bei der Hydrolyse giftiges (Alexander-Webber et al. 2012). Man verwendet
Monophosphan frei, weshalb es als krebserregend es daher bevorzugt zur Produktion schneller elek-
eingestuft ist. tronischer Schalter (Rode 1971; Orton 2009). Die
Weitere Anwendungen liegen in Laserdioden, dunkelgrauen, metallisch aussehenden Kristalle
LEDs und optischen Detektoren. (s. Abb. 52a–c) schmelzen bereits bei 527 C
Analog stellt man den III-V-Verbindungshalb- und haben eine Dichte von 5,78 g/cm3. Die Band-
leiter Indium-III-arsenid (InAs) bei hoher Tempe- lücke ist bereits fast völlig verschwunden und
ratur aus den Elementen her. Der graue bis liegt bei 0,17 eV (27 C). Die Verbindung kann
schwarze Feststoff (s. Abb. 51a, b) schmilzt bei durch Schmelzen beider Metalle unter Inertgas in
942 C, hat die Dichte 5,68 g/cm3 und kristalli- stöchiometrischem Mengenverhältnis dargestellt
siert in der Sphalerit-Struktur, in der die Indiumio- werden.
nen in der Hälfte der tetraedrischen Lücken einer Eine zwischen zwei aus Aluminiumindiumanti-
kubisch-dichtesten Matrix aus Arsenidionen sit- monid bestehenden Schichten befindliche Schicht
zen. Die direkte Bandlücke der Verbindung liegt aus Indiumantimonid kann als „Quantenquelle“
bei nur noch 0,35 eV (27 C). Anwendungen zum Bau sehr schneller Transistoren dienen, wie
bestehen in der Elektronikindustrie, so in Laser- Feldeffekt- bzw. Bipolartransistoren mit höchsten
188 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
in Ethanol darstellbar, oder aber durch Vereini- Zersetzung. Die bei Raumtemperatur vorliegen-
gung wässriger Lösungen von Thallium-I-sulfat den Kristallnadeln monokliner Struktur (Siidra
und Bariumhydroxid. et al. 2010) färben sich leicht dunkel und sind in
Das farblose bis gelbe Thallium-I-hydroxid (Eag- Wasser und Ethanol löslich. Gesättigte wässrige
leson 1994, S. 1088) hat die Dichte 7,44 g/cm3 und Lösungen der Verbindung greifen Glas in der
schmilzt bei einer Temperatur von 139 C unter Hitze stark an. Thallium-I-hydroxid und seine
192 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
bei 440 C bzw. 824 C und hat eine Dichte von den als wichtig zum möglichen Aufbau sehr
7,29 g/cm3. Unterhalb einer Temperatur von dünner Nanomaterialien oder -röhrchen ange-
168 C kristallisiert das gelbe Thallium-I-iodid sehen. Als am vielversprechendsten erwies sich
orthorhombisch, oberhalb von 168 C ist es rot Thalliumnitrid. Unterstützt wurden die Resultate
mit der Struktur des Cäsiumchlorids (Holleman durch die jeweils registrierten Infrarot- und Ra-
et al. 2016, S. 1393). manspektren (2017).
Thallium-I-triiodid (Tl I2) erzeugt man durch Durch Absputtern einer Oberfläche metalli-
Kochen einer Suspension von Thallium-I-iodid schen Thalliums unter Stickstoff konnte Shagi-
mit Iod in wasserfreiem Methanol (Brauer 1975, nyan Thallium-III-nitrid (TlN) in Form sehr dün-
S. 882). kann durch Reaktion von Thallium(I)- ner Filme erzeugen. Als Struktur wurde die des
iodid mit Iod in kochendem Methanol gewonnen Wurtzits bestimmt. Danach ist Thallium-III-nitrid
werden. Eine andere Darstellungm ethode geht von ein degenerierter Halbleiter mit einer direkten
Iod, Iodwasserstoff und Thallium-I-iodid aus Bandlücke von 1,5 eV, einem Widerstand ρ von
(Sharpe 1952). Der schwarze Feststoff ist unlöslich 1,2 103 Ω cm und einem Hall-Koeffizienten
in Wasser und verliert die eingelagerten Iodmole- von ca. 3,7 109 m3 qul1. An ihrer Ober-
küle sehr leicht, hierzu genügt schon das Behan- fläche oxidiert die Verbindung leicht zu Thallium-
deln mit Wasser, Ether, einer Kaliumiodidlösung, III-oxid, da Thalliumionen eine viel stärkere Affi-
Ethanol oder Tetrachlorkohlenstoff. Im Festkörper nität zu Sauerstoff als zu Stickstoffatomen haben.
kristallisiert es orthorhombisch (Aldridge und Unter Vakuum oder Stickstoff sind Filme aus
Downs 2011, S. 318; Tebbe und Georgy 1990). Thallium-III-nitrid stabil. Offenbar liegen in den
Thalliumbromidiodid [Tl(Br,I)] (KRS-5) ist Kristallstrukturen der Filme eher TlN-Moleküle
eine Mischkristallverbindung aus Thallium-I-bro- und Cluster vor (2019).
mid und -iodid. Das in der optischen Industrie Ebenso sind Thallium-I-phosphid (Tl3P) und
eingesetzte Thalliumbromidiodid schmilzt bei Thallium-I-arsenid (Tl3As) kristalline Halbleiter.
414 C und hat die Dichte 7,37 g/cm3. Die Kris- Mit Hilfe der Dichtefunktionstheorie untersuch-
tallstruktur des roten Salzes ist kubisch und isotyp ten Belacel et al. 2018 die Struktur und Eigen-
zur Struktur des Cäsiumchlorids. Einkristalle der schaften von Mischkristallen aus Thallium-III-
Verbindung weisen hohe Brechungsindices auf, und Gallium-III-phosphid und deren Legierungen.
die bei Wellenlängen von 500 bzw. 50000 nm In letzteren und in übergeordneten „Supergittern“
bei 2,73 bzw. 2,15 liegen. Thalliumbromidiodid treten die sonst üblichen Probleme schwacher opti-
hat einen über einen sehr großen Wellenlängenbe- scher Übergänge in indirekten Halbleitern nicht
reich (2000–50.000 nm) konstant hohen Trans- auf. Thalliumcarbid, -silicid und -borid sind noch
missionsgrad und ist damit für Anwendungen in nicht beschrieben.
der Infrarotspektroskopie geeigneter als Quarz- Thallium-I-carbonat (Tl2CO3) erhält man
glas (Transmissionsfenster kleiner) oder Diamant durch Einleiten von Kohlendioxid in eine heiße
(zu teuer). In Wasser ist es kaum löslich, dafür wässrige Lösung von Thallium-I-hydroxid (Brau-
aber in einigen polaren, organischen Lösungsmit- er 1975, S. 887). Das farblose bis hellsandfar-
teln. Da es Infrarotlicht gut durchlässt, fertigt man bene (s. Abb. 57), leicht in Wasser lösliche und
daraus Fenster, Linsen und Filter für Infrarotka- damit giftige Salz bildet nadelförmige Kristalle
meras oder -spektrometer. Bei der ATR-Spek- monokliner Struktur; jene ist bei hohen Drücken
troskopie wird die abgeschwächte Totalreflexion nicht mehr stabil (Grzechnik und Friese 2010).
zur Untersuchung der Eigenschaften von Oberflä- Die wässrige Lösung reagiert stark basisch. Beim
chen eingesetzt. Erhitzen an der Luft ist die Verbindung bis hinauf
Sonstige Verbindungen Thalliumpnictogenide zu einer Temperatur von 175 C beständig. Ein
[TlX]2n+1H2n+4 (X = N, P, As; n = 1–5) unter- mögliches Einsatzgebiet ist das der Herstellung
suchten Shah und Roy auf Cluster hexagonaler künstlicher Diamanten (Krebs 2006).
Struktur im Kristallgitter mittels Dichtefunktions- Thallium-I-nitrat (TlNO3) erhält man durch
theorie. Die hexagonalen Struktureinheiten wer- Auflösen von Thallium, Thallium-I-hydroxid
5 Einzeldarstellungen 195
Elements 113 wählte man am Riken die Bombar- noch höherer Elemente im Jahr 2011 und erkannte
dierung von 20983Bi- mit 7030Zn-Kernen, da zu auch die Zusammenarbeit des Vereinigten In-
erwarten war, dass die so dargestellten Isotope stituts für Kernforschung (JINR, Dubna) mit
des Elements 113 unter α-Zerfall zu bekannten dem Lawrence Livermore National Laboratory
Nukliden (wie 266107Bh) zerfallen würden. Im Juli (LLNL, Berkeley CA) zur Entdeckung von Nukli-
2004 erhielt die Gruppe das erste Nuklid 278113 den der Elemente 114 und 116 an, nicht aber deren
(Rudolph et al. 2013; Morita et al. 2004): Ansprüche zur Entdeckung der Elemente 113, 115
und 118. Riken kritisierte, dass nur sehr wenige
209
83 Bi þ 70
30 Zn ➔ 279 113 ➔ 278 113 þ 1
0n Atome der jeweiligen Elemente dargestellt wor-
den seien und dies wegen des Fehlens von durch
Insgesamt registrierte das Riken-Team direkt Zerfall gebildeten Tochternukliden oder auch
nach dieser Kernfusion vier vom Isotop 278113 Überkreuz-Reaktionen nicht genügend beweis-
ausgehende und nacheinander ablaufende α-Zer- bar sei.
fälle; dies lief über 274111Rg, 270109Mt, 266107Bh Im August 2012 erhielten Morita et al. nach
und schließlich 262105Db, das dann durch spon- mehr als einjähriger Bestrahlung von Nukliden
tane Spaltung zerfiel. des Bismuts mit Zinkkernen nach oben genann-
Die Existenz des in obiger Reihe genannten, ter Fusion ein weiteres Atom des Elements
durch Zerfall gebildeten Isotops 266107Bh wies das 113 (278113) (Morita et al. 2012). Dessen Kette
Riken-Team durch dessen Synthese nach, indem des α-Zerfalls ging bis hinunter zum 254101Md,
sie 24896Cm-Nuklide mit 2311Na bombardierten das einen dann Elektroneneinfang zum 254100Fm
(Morita et al. 2009). durchlief, bevor jenes dann wieder einen α-Zerfall
Das kombinierte amerikanisch-russische Team zum relativ langlebigen (13 a) 25098Cf-Nuklid erlitt.
versuchte dagegen, mit Hilfe der Bombardierung Die oben ebenfalls schon beschriebene Fusion
von 24997Bk durch 4820Ca Nuklide des Elements von Berkelium- und Calciumatomen wurde im
117 darzustellen, von denen man annahm, dass sie JINR sowohl 2012 als auch 2013 mit überein-
unmittelbaren α-Zerfall zu solchen der Elemente stimmenden Ergebnissen wiederholt, ebenso ge-
115 und 113 erleiden würden. Dies wäre ein wei- schah dies 2014 beim GSI.
terer Beweis für die Existenz eines Isotops des Im Dezember 2015 veröffentlichte die IUPAC
Elements 113 gewesen. Die Experimente lieferten die Zusammenfassung eines Berichtes ihrer Ar-
dann auch zwei Isotope des Elements 117, die den beitsgruppe JWP (Joint Working Party), in dem
zuvor angenommenen Zerfallsweg einschlugen die Entdeckung des Elements 113 Riken zuer-
(Forsberg et al. 2016; Oganessian et al. 2010; kannt wurde, wogegen man der aus Mitgliedern
Barber et al. 2011): des JINR und des LLNL bestehenden Arbeits-
gruppe die erstmalige Darstellung der Elemente
249
97 Bk þ 48
20 Ca ! 297
117 ! 294
117 115, 117 und 118 anerkannte. Die IUPAC ent-
þ3 0 n ! ðαÞ
1 290
! ðαÞ 286 schied sich für eine schnelle Veröffentlichung
115 113
der zunächst internen Mitteilung, weil hierüber
bereits in japanischen Medien berichtet wurde.
249
97 Bk þ 48
20 Ca ! 297
117 ! 293
117
Das JINR bezeichnete die Entscheidung der IU-
289 285
þ4 0 n ! ðαÞ
1
115 ! ðαÞ 113 PAC zugunsten von Riken als „unerwartet“, weil
man dort glaubte, früher als Riken die wesent-
Diese neu dargestellten Isotope 285113 und lichen Versuche durchgeführt zu haben.
286
113 deckten sich jedoch nicht mit den früher Die offizielle Begründung der JWP erfolgte im
beanspruchten 282113, 283113 und 284113, so dass Januar 2016. Danach seien zwar die Zerfallsener-
diese Reaktion nicht zur Bestätigung der damals gien der einzelnen Nuklide in der vom Isotop
278
erhobenen Befunde herangezogen werden konnte. 113 ausgehenden Kette inkonsistent, jedoch sei
Die Gruppe um Morita veröffentlichte ihre deren Summe plausibel. Dies aber auch nur unter
Ergebnisse auch zur Erzeugung von Isotopen der stark hervorgehoben Annahme, dass die Ener-
198 3 Erdmetalle: Elemente der dritten Hauptgruppe
gien sowohl des Ausgangsnuklids 278113 als auch Ununpentium genannten Elements 115 erleiden
des am Ende resultierenden Kerns 262105Db in jeweils α-Zerfall zu den Isotopen 283113Nh und
284
allen drei Versuchen dieselben gewesen wären 113Nh des Nihoniums (Oganessian et al. 2004,
bzw. hätten sein müssen. Die JWP bemängelte 2005).
im gleichen Bericht auch, dass das aus JINR und 2004 beschossen Forscher der Arbeitsgruppe
LLNL bestehende Team bei ihrer von 2004 bis um Morita im Riken Bismut- (20983Bi) mit Zink-
2007 datierenden Kooperation die Ordnungszahlen kernen (7030Zn); Resultat war ein einziges Atom
der Elemente 113 und 115 nicht durch hinrei- des Nihoniums (278113Nh). Acht Jahre später
chende Versuche bestätigt habe (Karol et al. erhielt diese Gruppe dasselbe Atom des Niho-
2016). Infolgedessen erhielt das Riken das Erst- niums im Zuge eines neuerlichen Experiments
benennungsrecht für das neue Element zugespro- wieder und wies es auch durch dessen sechs auf-
chen, das dann seinen Namen nach dem Land einander folgende α-Zerfälle nach, die bis zum
erhielt, in dem Riken die ihm zugrunde liegenden Isotop 254101Md führten (Morita et al. 2004,
Kernfusionen durchgeführt hatte. 2012; Chowdhury et al. 2007).
Theoretisch sagt man eine Sublimationsenthalpie sollte Nihonium-I-fluorid (NhF) existieren, das
von 150 kJ/mol voraus (Eichler 2013). Nihonium-I-chlorid (NhCl) sollte weitere Chlo-
Für Nihonium erwartet man eine Dichte zwi- ridionen unter Bildung von Chloro-Komplexen
schen 16 und 18 g/cm3 (s. Tab. 7), ferner eine aufnehmen können. Ein hypothetisches Niho-
hexagonal-dichtest gepackte Struktur wie sie Thal- nium-I-hydroxid (NhOH) wäre im Gegensatz zu
lium ebenfalls aufweist. Schmelz- und Siedepunkte seinem Thallium-Analogon instabil und ginge
sollen bei 430 C bzw. 1100 C liegen, somit setzte auch in wässriger Lösung in amphoteres Niho-
zumindest die Lage des Schmelzpunktes den peri- nium-I-oxid (Nh2O) über, das in wässriger Am-
odischen, seit Gallium beobachteten Trend fort. moniaklösung am leichtesten löslich sein sollte.
Die einfachste mögliche Verbindung des Ele- Da die 7s2 7p2-Konfiguration aus relativisti-
ments ist Nihoniummonohydrid (NhH). Infolge schen Gründen als geschlossen und so als „edel-
der Spin-Orbital-Wechselwirkung ist zu erwarten, gasähnlich“ betrachtet wird, fehlt dem Atom des
dass die Länge der Nh-H-Bindung gegenüber Nihoniums in seiner äußeren Schale nur noch ein
der der Tl-H-Bindung wegen Beimengung von Elektron zum Erreichen einer lativ stabilen Kon-
π-Anteilen verkürzt ist (Han et al. 2000). Ebenso figuration. In mancher Hinsicht sollte das Niho-
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Inhalt
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2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 211
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_4
212 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
Eigenschaften auf. Die Atome der dieser Ele- Das Nichtmetall Kohlenstoff ist in seiner Modi-
mente nehmen entweder vier Elektronen auf fikation Graphit ein hochschmelzender Feststoff,
(wie Kohlenstoff) oder geben meist zwei oder vier ebenso die Halbmetalle Silicium und Germanium.
ab (wie beispielsweise Silicium oder Zinn), um Zinn und Blei, die metallischen Vertreter dieser
eine stabile Elektronenkonfiguration zu erreichen. Gruppe, weisen dagegen tiefe Schmelzpunkte auf.
Kohle ist seit vorgeschichtlicher Zeit bekannt, Flerovium ist möglicherweise sogar ein leicht
und Diamant als zweite wichtige Modifikation des flüchtiges Halbedelmetall. Sie finden sie alle im
Kohlenstoffs ist bereits in chinesischen Quellen unten stehenden Periodensystem in der Gruppe
aus dem dritten Jahrtausend vor Christus erwähnt. 14 (IV A).
Seit der Bronzezeit kennen die Menschen Blei, Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B.
Zinn auch schon seit etwa 6000 Jahren. Dass Sand Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie
Silicium zugrunde liegt, wissen wir aber erst seit Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei-
rund zwei Jahrhunderten, und Germanium wurde spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die
vor rund 130 Jahren das erste Mal beschrieben meisten Elemente können sich untereinander ver-
und charakterisiert. Selbst Atome des Fleroviums binden und bilden chemische Verbindungen; so
konnten erstmals schon 1999 dargestellt werden. wird (z. B. aus Natrium und Chlor die chemische
Wir haben also eine schon lange bekannte Familie Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz).
von Elementen vor uns, aber die neuesten Ergeb- Einschließlich der natürlich vorkommenden
nisse der Forschung, beispielsweise zu Graphenen sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
oder Halbleitern sind hochinteressant und für erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
technische Entwicklungen sehr wichtig. system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf.
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
↓
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Die Einzeldarstellungen der insgesamt sechs nium wesentlich höher als bei den schwereren
Vertreter der Gruppe der Elemente der vierten Metallen Zinn und Blei. So sublimiert Kohlen-
Hauptgruppe enthalten dabei alle wichtigen stoff (Graphit) bei Temperaturen um 3600 C,
Informationen über das jeweilige Element, so einer Temperatur, bei der alle anderen Elemente
dass ich hier nur eine kurze Einleitung vorange- dieser Gruppe längst schon verdampft sind. Sili-
stellt habe. cium schmilzt bei ca. 1400 C, Germanium
immerhin noch bei 938 C, wogegen Zinn mit
232 C und Blei mit 327 C sehr tief liegende
2 Vorkommen Schmelzpunkte aufweisen.
Auch in dieser Hauptgruppe weicht das Kopf-
Silicium ist das zweithäufigste Element und zu element (hier: Kohlenstoff) in seinen Eigenschaften
einem Viertel am Aufbau der Erdhülle beteiligt. deutlich von allen anderen ab. Silicium als zweites
Kohlenstoff ist nicht so häufig, aber die Grund- Element dieser Gruppe steht den höheren Homolo-
lage jeglichen Lebens auf der Erde. Germanium, gen, Germanium und sogar α-Zinn, näher als Koh-
Zinn und Blei sind mit Anteilen von einigen ppm lenstoff; auch seine Verbindungen (z. B. Wasserstoff-
in der Erdhülle enthalten und damit wesentlich verbindungen, Halogenide) ähneln mehr denen des
seltener. Germaniums und Zinns, so dass man hier von einer
Silicium kommt in einer riesigen Vielfalt von homologen Reihe sprechen kann.
Gesteinen (z. B. Lava) und Mineralien (Quarz)
vor, Zinn bzw. Blei meist in Form oxidischer
(Zinnstein) bzw. sulfidischer Erze (Bleiglanz). 4.2 Chemische Eigenschaften
5.1 Kohlenstoff
Themen befasst war. 1985 wurde Curl, der
Geschichte Kohlenstoff entdeckten die Men- unter Anderem mit Smalley zusammenar-
schen schon in vorgeschichtlicher Zeit und ver- beitete, von Kroto kontaktiert, der ur-
wendeten ihn als Ruß und in Form kleiner Kohle- sprünglich nur den von Smalley entwickel-
stücke. Diamanten kannten die Chinesen schon ten Laserstrahler zur Entdeckung von
um 2500 v. Chr., Holzkohle stellten schon die Ketten aus Kohlenstoffatomen in Roten
Römer durch Erhitzen von Holz in geschlossenen Riesen verwenden wollte. Bei den Unter-
Tongefäßen her. suchungen fand man zwar auch die ge-
wünschten Ketten von Kohlenstoffatomen,
1772 zeigte Lavoisier, dass Diamant nur eine
aber unerwarteterweise auch ein Molekül
andere Modifikation des Kohlenstoffs ist, da
mit 60 C-Atomen, dessen Struktur inner-
weder Holzkohle noch Diamant Wasser als Ver-
halb weniger Tage bestimmt wurde. Zu-
brennungsprodukt liefern und beide dieselbe
nächst erhielt es den Namen Buckminsterful-
Menge an Kohlendioxid pro g freisetzen. 1779 leren nach dem amerikanischen Architekten
wies Schelle nach, dass Graphit, den man bis Richard Buckminster Fuller ( 12. Juli
dahin für eine Zustandsform des Bleis hielt, viel- 1895 Milton, MA; † 1. Juli 1983 Los Ange-
mehr identisch mit Holzkohle war und bei Oxida- les, CA), der für seine geodäsischen Kup-
tion mit Salpetersäure „Luftsäure“ gab (Alias für peln bekannt war. Das Molekül lieferte im
Kohlendioxid). Diese Resultate bestätigten 1786 Massenspektrum nur einen Peak, war geo-
Berthollet, Monge und Vandermonde. Erstmals metrisch geschlossen und zeigte keine ver-
führte Lavoisier Kohlenstoff als Element in sei- zerrten Bindungswinkel. Schon früher pos-
nem 1789 erschienenen Buch auf. tulierten andere Forscher die Existenz eines
Fulleren ist eine weitere allotrope Modifikation derartigen Moleküls, und auch Curl et al.
des Kohlenstoffs, die 1985 von Curl, Kroto und konnten die Bedeutung ihrer Entdeckung
Smalley entdeckt wurde (Kroto et al. 1985). Wei- zunächst nicht einschätzen. Später kamen
tere ungewöhnliche Modifikationen elementaren weitere, künstlich erzeugte endohedrale
Kohlenstoffs wie Graphen und glasartiger Koh- Fullerene hinzu (Curl 1997). Aktuell wer-
lenstoff kamen in den Folgejahren hinzu. den Fullerene als einer der Zugänge zur
Chemie der Nanoteilchen gesehen.
Der US-amerikanische Chemiker Robert Die Eltern des britischen Chemikers Sir
Floyd Curl Jr. ( 23. August 1933 Alice, Harold Walter Krotoschiner (abgek. Kro-
TX) ist mehrfacher emeritierter Professor. to) ( 7. Oktober 1939 Wisbech; † 30. April
Zusammen mit Richard E. Smalley und 2016 Lewes) flüchteten 1937 vor den Natio-
Harold Kroto erhielt er für die Entdeckung nalsozialisten von Schlesien nach England. Er
der Fullerene 1996 den Nobelpreis für Che- begann Ende der 1950er-Jahre sein Chemie-
mie und wurde 1997 in die National Aca- studium in Sheffield, erlangte 1961 den B. Sc.
demy of Sciences, 1998 in die American und promovierte 1964 über hochaufgelöste
Academy of Arts and Sciences gewählt. Elektronenspektren freier Radikale nach
Photolyse von Substanzen mittels Blitzlicht
Curl promovierte 1957 an der Universität (Heath 2016). Später verfolgte er Themen
Berkeley, CA über spektroskopische und wie Phosphaalkene und Kohlensuboxid, also
thermodynamische Eigenschaften von Mo- ungewöhnliche Doppelbindungen enthalten-
lekülen (Shampo et al. 2010). Danach arbei- de Moleküle. Bald nach seiner Promotion
tete er an der Harvard University über den arbeitete er für den kanadischen National
Einsatz der Mikrowellenspektroskopie zum Research Council und bei den Bell Laborato-
Studium der Rotationsbarriere von Molekü- ries in den USA, kehrte aber 1967 an die
len und wechselte 1967 zur Houstoner Rice Universität Sussex zurück, wurde dort 1985
University, wo er zunächst mit ähnlichen Professor und trug von 1991–2001 den Titel
5 Einzeldarstellungen 215
des Royal Society Research Professor. Seine gie und forschte dann von 1997 bis 1999 am
gemeinsam mit Curl und Smalley betriebene Institut für mikroelektronische Technologie
Arbeit zu Fullerenen wurde 1996 mit dem in Tschernogolowka. 1999 wechselte er in
Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Von die Niederlande, wo er von 1999 bis 2001
2004 an forschte Kroto auf dem Gebiet der an der Universität von Nijmegen arbeitete,
Nanotechnologie an der Florida State Univer- dort 2004 auch promovierte, jedoch von
sity in Tallahassee. Er war seit 1990 Mitglied 2001 bis 2004 an der University of Manches-
der Royal Society und von 2002 bis 2005 ter arbeitete. Zwischen 2007 und 2014 war
deren Präsident, wurde 1996 von der Queen er Royal Society Research Fellow. 2010
geadelt und war Inhaber zahlreicher Ehren- ernannte man ihn dort zum Professor; Novo-
doktorwürden in- und ausländischer Univer- selov führt dort seit 2013 den zusätzlichen
sitäten. Titel des Langworthy Professor of Physics
und ist seit 2014 auch Royal Society
Der Werdegang des US-amerikanischen Research Professor. Er forschte über die
Chemikers Richard Errett Smalley Messung der Magnetisierung von Supralei-
( 6. Juni 1943 Akron, OH; † 28. Oktober tern im Nanomaßstab (Geim et al. 2000;
2005 Houston, TX) verlief über viele Sta- Novoselov et al. 2003) und über zweidimen-
tionen. Zunächst studierte er Chemie an der sionale Kristalle, deren bekanntester Vertre-
University of Michigan, wo er 1965 mit ter das Graphen ist (Geim und Novoselov
dem B. Sc. abschloss. Von 1965–1969 2007; Novoselov et al. 2004, 2006, 2007;
arbeitete er in der Forschung des Unterneh- Meyer et al. 2007; Ponomarenko et al.
mens Shell und ging dann zur Princeton 2008). Zusammen mit Geim erhielt er 2010
University, wo er 1971 seinen M. Sc. für diese Arbeiten den Nobelpreis für Phy-
erwarb. Die Promotion dort erfolgte 1973. sik. Novoselov ist Inhaber einiger weiterer
Danach wechselte er zum James Franck Auszeichnungen und wurde 2012 von der
Institute der Universität von Chicago, wo Queen geadelt.
er bis 1976 arbeitete. Danach kehrte Smal-
ley schließlich nach Houston zurück und Der russlanddeutsch-britisch-niederländi-
war ab 1976 Assistant Professor an der Rice sche Physiker Sir Andre Konstantin Geim
University, dort von 1980 an Associate Pro- ( 21. Oktober 1958 Sotschi, Sowjetunion)
fessor und ab 1981 Professor für Chemie. erhielt 2010 zusammen mit Konstantin No-
Parallel hierzu lief von 1990 bis 2005 auch voselov den Nobelpreis für Physik für sei-
seine Professur für Physik. Zudem war er ne Forschungen zu Graphen. Zusätzlich
von 1996 bis 2001 auch Direktor des Rice erkannte man ihm im Jahr 2000 den alter-
Center for Nanoscale Science and Techno- nativen (Ig-) Nobelpreis für Versuche zur
logy und von 2003 bis 2005 Leiter des diamagnetischen Schwebetechnik zu, die
Carbon Nanotechnology Laboratory der Ri- in der Präsentation des schwebenden
ce University. Smalley erhielt zusammen Froschs mündeten (Berry und Geim 1997).
mit Curl und Kroto den Nobelpreis für Che- Für den „schwebenden Frosch“ erhielt er
mie für die Entdeckung der Fullerene. Seit den Ig-Nobelpreis des Jahres 2000 im Fach
1990 war Smalley Mitglied der National Physik. Damit ist er der bislang Einzige, der
Academy of Sciences und seit 1986 Fellow zugleich Nobel- und Ig-Nobelpreisträger
der American Physical Society. ist.
Der britisch-russische Physiker Sir Kon- Geim wuchs die ersten sechs Jahre in Sot-
stantin Novoselov ( 23. August 1974 schi auf und besuchte danach in Naltschik
Nischni Tagil) ist ein russisch-britischer Phy- (Kabardino-Balkarien/Kaukasus) die Schule.
siker. Er beendete 1997 sein Studium am Nach deren Abschluss bewarb sich Geim
Moskauer Institut für Physik und Technolo- um die Aufnahme in die Nationale For-
216 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
nur vereinzelte Lagerstätten auf der Welt beste- elektrischen und optischen Eigenschaften. So beruht
hen. Nur ein kleiner Teil des diamantführenden der in einigen Diamanten vorhandene gelbe Farbton
Erzes besteht wirklich aus Diamanten. Das Erz auf der Anwesenheit von Stickstoffatomen. Bläulich
wird abgebaut und sorgfältig zerkleinert, damit erscheinen die mit Boratomen dotierten Diamanten,
größere Diamanten nicht zerstört werden. Danach die die Eigenschaften eines Halbleiters aufweisen
sortiert man nach Dichte, unterstützt durch Rönt- (Collins 1993).
genfluoreszenzspektroskopie, die das Sortieren Diamant verbrennt ab Temperaturen von
per Hand erlaubt. Früher lief das zerkleinerte 700 C an der Luft zu Kohlendioxid und geht
Gestein auf mit Fett bestrichenen Förderbändern, unter Luftausschluss bei ca. 1500 C in Graphit
da Diamanten stärker als andere Bestandteile des über. (Der oft in früheren Jahrhunderten ge-
Erzes auf Fett haften (Harlow 1998). machte Versuch, mehrere kleine zu einem großen
Bis in die 1750er-Jahre war Indien über lange Diamanten zusammen zu schmelzen, musste also
Zeit führend in der Produktion von Diamanten, scheitern.) Diamant ist durchsichtig und wird, da
verlor diese Rolle dann aber an Brasilien (Catelle er die größte Härte aller natürlich vorkommenden
1911; Ball 1881; Hershey 1940). In Südafrika Stoffe besitzt (s. Tab. 1), als Schleifmittel benutzt.
begann in den 1870er-Jahren die Förderung von Graphit Im Atomgitter des Graphits sind die
Diamanten aus Muttergestein wie Kimberlit kovalenten Bindungen innerhalb der Gitterebenen
(s. Abb. 2) und steigerte sich bis heute auf eine stärker als beim Diamanten; die Kohlenstoffatome
gesamte Förderleistung von 4,5 Mrd. Karat, dies sind sp2-hybridisiert. Dagegen halten die Ebenen
mit knapp 1 Mrd. Karat allein in den letzten fünf untereinander nur über Van-der-Waals-Kräfte zu-
Jahren. Neue Minen wurden in Kanada, Russland, sammen, was für die leichte Spaltbarkeit des Gra-
Angola und Zimbabwe eröffnet (Janse 2007). phits verantwortlich ist. Dessen schwarze Farbe
In den USA fand man Diamanten in Montana, (s. Abb. 3) wird durch die freien π-Elektronen
Colorado und Arkansas (Janse 2007; Lorenz bewirkt, ebenso die hohe elektrische Leitfähigkeit
2007). Heutzutage befinden sich die erfolgver- entlang der Ebenen (Deprez und McLachan 1988).
sprechendsten Lagerstätten in Russland, Bots- Graphit ist auch bei hoher Temperatur beständig und
wana, Australien und der Demokratischen Repu- dient als Dichtungsmaterial, Schmierstoff und als
blik Kongo. Russland steuerte 2005 ca. 20 % zur Grundstoff für Bleistiftminen. Die Schmierwirkung
weltweiten Jahresförderung bei, Australien er- des Graphits wird aber nur in Gegenwart von Spu-
zeugte in den 1990er-Jahren rund 40 t/a. ren an Feuchtigkeit beobachtet, sonst kommt sie
praktisch zum Erliegen (Dienwiebel et al. 2004).
Eigenschaften Bis zu Temperaturen von 4000 K ist Graphit
Diamant Im Diamant weist von jedem Kohlenstoff- thermodynamisch stabiler als Diamant, der als
atom ausgehend ein sp3-Orbital jeweils in die Ecke metastabiler Stoff bei Raumtemperatur nur des-
eines virtuellen Tetraeders. Die Substanz ist ein halb „überlebt“, weil die Aktivierungsenergie für
elektrischer Isolator mit der großen indirekten Band- die Umwandlung zu Graphit bis hinauf zu Tem-
lücke von 5,45 eV, der sichtbares Licht nicht absor- peraturen von ca. 400 C sehr hoch ist. Umgekehrt
biert. Zugaben von Fremdatomen verändern die sind für den Übergang von Graphit zu Diamant
extrem hohe Drücke und Temperaturen erforder-
lich (z. B. 1500 C und ca. 6 GPa, Zazula 1997).
Kohlenstoff hat die höchste Stabilität aller
Materialien gegenüber sehr hohen Temperaturen.
Er sublimiert bei Normaldruck bei 3642 C, ohne
zuvor an Festigkeit zu verlieren (s. Tab. 1).
Lonsdaleit Diese „hexagonale“ Modifikation des
Diamanten kann man nur durch Einwirkung eines
Abb. 2 Diamant, ungeschliffen, Südafrika (mindat.org Druck- und Temperaturschocks auf Graphit erzeu-
vor März 2010) gen. Die hexagonale Struktur des Graphitgitters
218 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
benötigte Menge an C60-Ruß stellte Wagner durch In dieser zweidimensionalen Modifikation des
Verdampfung von Graphit unter reduziertem Kohlenstoffs ist jedes Kohlenstoffatom im Winkel
Argondruck her. von 120 von drei weiteren umgeben (s. Abb. 6),
Fostiropoulos et al. entwickelten 1989 dieses sodass sich das Muster einer Bienenwabe ergibt.
Verfahren weiter und ermöglichten so die Herstel- Es handelt sich um eine Verkettung von Benzol-
lung des C60-Fullerens im Labormaßstab. Der ringen, wie sie in aromatischen Verbindungen oft
Nachweis der Struktur des Moleküls mittels auftritt. Die π-Elektronen sind delokalisiert, inso-
NMR-Spektroskopie war aber erst nach Aus- fern ist Graphen als polycyclischer aromatischer
tausch aller 126C- durch 136C-Atome möglich. Kohlenwasserstoff anzusehen. An der Peripherie
Weitere Verbesserungen dieses so genannten Hei- des Wabengitters sind meist andere Atomgruppen
delberger Verfahrens führten dazu, dass die Pro- angedockt.
duktion dieses Fullerens heutzutage industriell Diese einlagigen Schichten von Kohlenstoff-
möglich ist. Dazu verdampft man zwei Graphit- atomen, Graphene, sollten unendlich ausgedehnte
elektroden unter reduziertem Argon- oder He- und überall flache, ausschließlich zweidimensio-
liumdruck mittels Widerstandsheizung oder im nale Strukturen haben. Dies widerspricht aber
elektrischen Lichtbogen. Der Dampf kondensiert dem Mermin-Wagner-Hohenberg-Theorem, das
in der kühlenden Gasatmosphäre; der aufstei- allgemein besagt, dass in ein- und zweidimensio-
gende Ruß enthält bis zu 15 % Fullerene. Diese nalen Systemen bei Temperaturen oberhalb des
kann man durch Aufheizen verdampfen oder mit absoluten Nullpunkts für kontinuierlich symme-
Hilfe von Lösungsmitteln wie Benzol oder Toluol trische Systeme mit genügend kurzreichweitigen
etwa im Soxhlet-Extraktor herauslösen (Krätsch- Wechselwirkungen keine spontane Symmetrie-
mer et al. 1990; Fostiropoulos 1992). Das hier brechung möglich, also keine Ordnung gegeben
beschriebene Verfahren liefert eine Mischung ist. Also sollte dies das Nichtvorhandensein eines
aus 90 % C60 und 10 % C70 (Dettmann 2014; Ferromagnetismus, Antiferromagnetismus oder
Hirsch und Brettreich 2005; Mateo-Alonso et al. von Kristallstrukturen (Wagner 1966; Mermin
2007; Strey 2009). und Wagner 1966; Hohenberg 1966; Mermin
Weitere Modifikationen Im amorphen Kohlen- 1968; Coleman 1973) einschließen.
stoff sind die Atome ordnungslos in stark schwan-
kendem Verhältnis der Hybridisierungsanteile
verbunden. Hinsichtlich seiner Eigenschaften
liegt zwischen Graphit und Diamant. Hergestellt
wird er durch Mischen geeigneter Anteile der
oben genannten Modifikationen im Nanobereich.
Er ist Grundlage von Beschichtungen, die die
Lebensdauer der beschichteten Teile stark erhö- Abb. 5 Graphen-Nanopulver, Ø 100 nm (Stanford
hen. Beispielsweise bewirkt eine auf rostfreien Advanced Materials 2019)
Stahl aufgebrachte, 2 μm dicke Schicht eine Er-
höhung der Lebensdauer von einer Woche bis zu
85 a (!), dies unter ansonsten gleichen Rahmen-
bedingungen („Diamond like Coating/Carbon“).
Graphen ist eine Graphit-Basalebene mit sp2-
hybridisierten Kohlenstoffatomen. Man erhält
diese extrem dünnen Schichten durch chemisches
Spalten von Graphit. Eingebettet in Kunststoffe ist
Graphen als Ausgangsstoff für neue Verbundwerk-
stoffe oder für Untersuchungen zweidimensionaler
Kristalle geeignet, außerdem wird an Anwendun- Abb. 6 a Kristallgitter des Graphens b Kristallgitter des
gen in der Elektronik geforscht (s. Abb. 5). Graphits
5 Einzeldarstellungen 221
Daher überraschte es die Fachwelt, als Novo- Methode schwankt die Ausbeute, die Funktiona-
selov et al. 2004 die Darstellung freier, einschich- lisierung und die Zahl der eingeführten Lochde-
tiger Graphenkristalle bekannt gaben (Novoselov fekte (Feicht et al. 2017). Zunächst dispergiert
et al. 2004). Deren unerwartete Stabilität ist mög- man fein gemahlenen Graphit in einer hoch kon-
licherweise durch das Vorlegen eines metastabilen zentrierten und oxidierend wirkenden Säure wie
Zustands oder durch Bildung einer leicht gewell- Schwefel-, Salpeter-, Phosphorsäure oder deren
ten, also nicht exakt linearen Schicht des Gra- Mischungen. Danach fügt man unter ständigem
phens erklärbar (Novoselov et al. 2005a, b; Meyer Rühren in der Kälte ein weiteres Oxidationsmittel
et al. 2007). zu (z. B. KMnO4, KClO3, Peroxodisulfat) (Hof-
Graphen ist strukturell eng mit Graphit ver- mann und König 1937).
wandt, da das Stapeln dieser einlagigen Schichten Das Oxidationsmittel kann die einzelnen Gra-
zum Graphitgitter führt (Wallace 1947). Das Auf- phenschichten maximal bis zum einem Ladungs-
rollen dieser einlagigen Schichten ergibt gestreckte grad von C30+ oxidieren, dabei interkalieren die
Kohlenstoff-Nanoröhren (Iijima 1991). Ersetzte Säureanionen zwischen die Lagen des Graphens
man einige der Sechser- durch Fünferringe, wölbte im Graphitgitter (Rüdorff und Hofmann 1938; Sei-
sich die zuvor ebene Fläche zu einer Kugelober- ler et al. 2018). Damit vergrößert sich der Abstand
fläche; so könnte eine definierte Zahl von Kohlen- der Schichten deutlich von 0,33 nm auf 0,9 nm
stoffatomen theoretisch ein Fullerenmolekül aus- (Dreyer et al. 2009; Eigler 2015; Dimiev und Tour
bilden (Dresselhaus et al. 1992). Das homologe 2014). Nachdem durch folgende Aufarbeitung in
Silicen etwa liegt in Form leicht gewellter, einlagi- wässriger Phase Graphitoxid resultiert, kann man
ger, aus Siliciumatomen bestehenden Schichten dieses in neutraler oder alkalischer, wässriger
vor (Vogt et al. 2012). Phase zu Graphenoxid delaminieren. Unterstützen
Graphen ist ein Halbleiter mit verschwindender kann man diesen langsam ablaufenden Prozess
Bandlücke und sehr beweglichen Ladungsträgern. durch mechanische Behandlung wie Ultraschall
Das Material besitzt hervorragende mechanische oder in Kugelmühlen. Das Endprodukt ist nach
Eigenschaften wie eine sehr hohe Reißfestig- Endreinigung eine goldgelbe Dispersion von Gra-
keit (Lee et al. 2008). Graphen kann man mit phenoxid in Wasser; das getrocknete Produkt ist
Stickstoff-, Kohlenstoff oder Thionylchlorid/Amin goldbraun (s. Abb. 7) (Eigler et al. 2013). Graphen-
funktionalisieren, um nur einige wenige Beispiele oxid besitzt nur eine geringe Stabilität gegenüber
zu nennen (Eigler und Hirsch 2014). Einsatzge- erhöhten Temperaturen und zersetzt sich schon bei
biete sind nanostrukturierte elektronische Bauteile, ca. 100 C zu Graphen und CO/CO2 mit einer
chemische Sensoren, Trägermaterialien für Kataly- hohen Anzahl von Lochdefekten.
satoren, in Lithiumionen-Batterien, in Elektroden Die schwarzen Kohlenstoff-Nanoröhrchen
für Brennstoffzellen und auch in mechanisch ver- (s. Abb. 8) enthalten wie Graphen sp2-hybridi-
stärkten Verbundmaterialien (Popular Mechanics sierte Kohlenstoffatome in zylindrischer Anord-
2015). nung, so als ob die Ebenen des Graphitgitters bzw.
Versuche zur Herstellung von „Graphitsäure“ Graphens gerade oder auch verdreht aufgerollt
begannen Mitte des 19. Jahrhunderts (Brodie
1855; Staudenmaier 1898; Charpy 1909; Hof-
mann und Frenzel 1930). Erst später erkannte
man die mögliche Exfoliation von Graphitoxid
zu Graphenoxid. Die immer noch am meisten
verbreitete Methode zur Herstellung des Gra-
phitoxids entwickelten Hummers und Offeman
(1958), da diese einfach durchzuführen ist und
relativ ungefährliche Chemikalien verwendet
werden (Boehm und Scholz 1965). In Abhän- Abb. 7 Graphenoxid-Nanopulver, Ø 100 nm (Stanford
gigkeit von der zur Darstellung verwendeten Advanced Materials 2019)
222 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
und ist nur bei Lagerung im Dunkeln und bei (II) 4 KCN + 2 CuSO4 ! (CN)2 " + 2 K2SO4 +
30 C lange haltbar. Überraschenderweise löst 2 CuCN#
die Flüssigkeit elementaren Schwefel in großer
Menge, kaum aber rotes Selen. Im technischen Maßstab produziert man es
Halogenverbindungen Von der riesigen Zahl durch Oxidation von Blausäure mit Chlor an akti-
an Kohlenstoff-Halogen-Verbindungen seien hier viertem Silicium-IV-oxid oder mit Stickstoff-IV-
nur Tetrachlorkohlenstoff (Tetrachlormethan, oxid an Kupfersalzen.
CCl4), Chloroform (CHCl3) und Iodoform (CHI3) Das farblose, giftige, stechend-süßlich riechende
erwähnt. Tetrachlormethan gewinnt man industri- Gas kondensiert bei 21 C; die Flüssigkeit erstarrt
ell als Nebenprodukt der Herstellung von Chloro- bei 29 C. Es verbrennt mit sehr heißer, rot-
form. Chlor erhitzt man mit Methan auf Tempe- violetter Flamme. Dicyan verhält sich in chemi-
raturen von ca. 450 C, wobei stufenweise alle scher Hinsicht ähnlich wie ein Halogen und zählt
Wasserstoff- durch Chloratome ersetzt werden. daher zur Gruppe der Pseudohalogene, wie bei-
Tetrachlormethan ist eine farblose, süßlich rie- spielsweise auch Thiocyanogen (Dirhodan). Im
chende, nicht brennbare, giftige Flüssigkeit, die linearen Molekül ist die C–C-Bindung die stärkste
bei 23 C erstarrt und bei 76,7 C siedet. Es löst bisher bekannte Einfachbindung zwischen zwei
Fette, Öle und Harze, ist aber mit Wasser nicht Kohlenstoffatomen; die Dissoziationsenergie be-
mischbar. trägt 603 kJ/mol (Dean 1999, S. 443). Die Verbin-
Chloroform ist eine farblose Flüssigkeit mit dung ist nur wenig in Wasser löslich und erleidet
süßlichem Geruch, die ebenfalls aus Methan und dabei Disproportionierung zu Cyanwasserstoff und
Chlor hergestellt wird. Sie siedet bei 61 C und Cyansäure. Unter dem Einfluss von Sonnenlicht
war das erste Anästhetikum, das man ab etwa polymerisiert es zu Paracyan [(CN)2] (Krüger
1850 einsetzte. Da man später feststellte, dass es 2007, S. 27).
toxisch auf innere Organe wirkt, wurde es durch Lässt man Dicyan bei sehr hohen Temperatu-
andere Betäubungsmittel verdrängt. ren auf Graphit einwirken, so bilden sich Dicya-
Iodoform wird aus alkalischer wässriger Etha- nopolyine (NC–C2n–CN; n = 3–8), deren Mole-
nollösung und Jod oder aber durch Elektrolyse küle stabförmig sind und am Ende der Kette
einer warmen ethanolisch-wässrigen Lösung von Cyanogruppen tragen (Steudel 2013, S. 279;
Kaliumiodid erzeugt. Es bildet gelbe Kristalle, die Grösser und Hirsch 1993).
bei einer Temperatur von 123 C schmelzen. Man Theoretische Vorhersagen bezüglich eines Koh-
setzt es noch oft als Desinfektionsmittel in der lenstoffnitrids (C3N4) kursieren in der Literatur
Zahnmedizin ein. schon lange. 1984 bzw. 1989 sagten Sung et al.
Pnictogenverbindungen Kohlenstoff bildet mit bzw. Cohen et al. voraus, dass ein hypothetisches,
Stickstoff eine Reihe von Nitriden der Zusam- kristallines C3N4 eine extrem große Härte haben
mensetzung (CN)n (n = 1, 2, x), von denen Di- sollte, die noch diejenige des Diamants überträfe.
cyan [NC-CN, (CN)2] das bekannteste ist. Im Ebenso existieren diverse Modelle, wie die Struktur
Labor gibt es verschiedene Möglichkeiten, Di- eines solchen Feststoffs beschaffen sollte (Schmidt
cyan herzustellen. Man kann es entweder durch 2009). Ein von diversen Universitäten gestelltes,
Erhitzen von Quecksilber-II- oder Silbercyanid internationales Forscherteam synthetisierte 2014
(Brauer 1975, S. 629, I), durch Tropfen konzen- erstmals triazinbasiertes graphitisches Kohlenstoff-
trierter Alkalicyanidlösung in eine konzentrierte nitrid (g-C3N4), das ziemliche strukturelle Ähnlich-
Lösung von Kupfer-II-sulfat (Woodburn et al. keit zum Graphen hat, in Form leicht gewellter
1957, II) oder durch Elektrolyse von Cyanid- atomarer Ebenen vorliegt, im Gegensatz zu Graphen
Lösungen in schwach saurer wässriger Phase an ein Halbleiter mit einer Bandlücke von 1,6–2 eV ist
inerten Platinelektroden erzeugen (Schmidt und und im Molekülgitter Triazin-Sechsringe [C(R)3N3]
Meinert 1957): enthält (Cooper et al. 2014; Zheng et al. 2015).
Dieses Material könnte, wenn es wirtschaftlich her-
(I) 2 AgCN ! (CN)2 " + 2 Ag stellbar wäre, ein beständiger, preiswerter Photoka-
226 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
talysator, etwa für Solarzellen, sein und Silicium stand Paraffinöl und Wachse. Holz, Kohle und Öl
nachfolgen. nutzt man in riesigen Mengen als Energiequelle
Charakterisiert sind aber die zu Si3N4 und zum Heizen.
strukturanalogen Kohlenstoffnitride α-C3N4 und Fast alle Kunststoffe haben ihren Ursprung in
β-C3N4, in deren Gittern die Kohlenstoff- tetra- der Erdölchemie. Durch thermische Zersetzung
edrisch von Stickstoffatomen umgeben sind, und synthetisch erzeugter Polyesterfasern erzeugt
diese Tetraeder kantenverknüpft vorliegen. Die man Carbonfasern. Jene setzt man zur Verstär-
pseudo-kubische α-Form hat eine defekte Zink- kung von Bauteilen aus Kunststoff oder aber in
blende-Struktur, die dem α-CdIn2Se4-Typ ent- innovativen Leichtbaustoffen ein. Zersetzt man
spricht. Erst kürzlich gelang die Herstellung des im besonderen Polyacrylnitril (PAN), so erhält
superharten β-C3N4, indem hochreiner Graphit man graphitähnliche Fasern, die durch Wärmebe-
in einer Kugelmühle unter Argon zu amorpher handlung ihre Struktur so ändern, dass man das
Nanoteilchengröße gemahlen wurde. Dann Material aufrollen kann. Resultat sind Fasern mit
ersetzte man Argon durch Ammoniak, das dann einer Reißfestigkeit, die höher als die von Stahl ist
bei fortgesetztem Mahlen zu nanogroßen Parti- (Cantwell und Morton 1991).
keln von β-C3N4 reagiert. Hoher Druck und Der Naturstoff Cellulose, ein polymerer Zucker,
intensive Bewegung der Reaktionsmischung för- wird von Pflanzen in Form von Holz, Baumwolle
dert die Spaltung der NH3-Moleküle unter Ande- und Leinen produziert. Kohlenstoffhaltige Poly-
rem zu atomarem Stickstoff, der unter den herr- mere tierischer Herkunft sind Wolle, Kaschmir
schenden Bedingungen an der Oberfläche der und Seide.
Graphit-Nanoteilchen zu β-C3N4 reagiert. Dieses Elementarer Kohlenstoff besitzt außerordent-
weist mit 496 GPa das höchste Kompressions- lich viele Anwendungen. Er kann mit Metallen
modul aller Kohlenstoffnitride auf und übertrifft legiert werden, Graphit setzt man, gemischt mit
darin sogar Diamant etwas. Es hat dieselbe Kris- Ton, in Bleistiftminen ein, außerdem als Schmier-
tallstruktur wie β-Si3N4, also eine hexagonale mittel, als Farbpigment, als Elektrodenmaterial, in
Struktur (Yin et al. 2003a, b; Horvath-Bordon Kohlebürsten für Elektromotoren und als Neutro-
2004). nenmoderator in Kernreaktoren.
Werden in Fulleren-Molekülen die Kohlen- Kohle verwendet man oft in großindustriellen
stoff- durch Stickstoffatome ersetzt, so entstehen Reduktionsprozessen, z. B. in Hochöfen zur
Azafullerene. In den Molekülen der Cyanofuller- Gewinnung flüssigen Stahls. Diesen kann man
ene [zum Beispiel das C60(CN)2n, n = 1–9] sind dadurch noch härten, indem man frisch gegosse-
Cyanogruppen an das Fullerengerüst gebunden nen und gerade erstarrten Stahl in Kohlepulver
(Sheka 2011, S. 116). erhitzt. Silicium-, Bor-, Wolfram- und Titancar-
Verbindungen mit Metallen und Halbmetallen bid gehören zu den härtesten Werkstoffen und
Das Kohlenstoffatom ist bei Carbiden der elek- werden als Schleif- und Schneidemittel verwen-
tronegativere Bindungspartner. Viele Metalle bil- det.
den Carbide; diese sind teils sehr hart; daher setzt Holzkohle dient zum Grillen, ebenfalls als Zei-
man sie in Schneidwerkzeugen (z. B. Wolfram-, chenmaterial in der Malerei.
Tantal- oder Titancarbid) ein. Aus Calciumcarbid Aktivkohle ist das Schwarzpigment unter
(CaC2) kann man durch Zugabe von Wasser Ace- anderem in Druckertinte, in Künstler- und Was-
tylen (Ethin, C2H2) herstellen. serfarben, in Kohlepapier, Autolacken sowie To-
Anwendungen Die Hauptanwendung des nern für Laserdrucker. Man benutzt sie auch als
Kohlenstoffs und seiner Verbindungen, abgese- Füller in Kautschukprodukten wie Autoreifen.
hen von Lebensmitteln und Forstwirtschaft, ist Aktivierte Aktivkohle dient als hoch wirksames
die der Kohlenwasserstoffe, meist in Form von Adsorbens zur Reinigung von Wasser, in Gasmas-
Erdgas und Rohöl. Aus letzterem erzeugt man in ken und in der Medizin.
Raffinerien durch fraktionierte Destillation Ben- Diamant in Edelsteinqualität verwendet man
zin, Kerosin und Dieselöl, ferner aus dem Rück- zur Herstellung von Schmuck, Industriediamanten
5 Einzeldarstellungen 227
dar, reinigte das Rohprodukt durch Waschen und eingesetzt. Daher klassifiziert man es nach erfor-
nannte das neue Element Silicium (Weeks 1960). dertem Reinheitsgrad; diese sind Simg („metallur-
Reines, kristallines Silcium stellte Sainte- gical grade“, Rohsilicium mit 98–99 % Si), Sisg
Claire Deville (Kurzbiografie siehe „Alumi- („solar grade“, Solarsilicium, Gehalt >99,99 %)
nium“) erstmals 1854 her. und Sieg („electronic grade“, Halbleitersilicium,
Vorkommen Silicium zeigt als Halbmetall Verunreinigungen <1 ppb).
und auch Halbleiter sowohl die Eigenschaften Rohsilicium gewinnt man durch Reaktion von
von Metallen als auch von Nichtmetallen. Ele- Silicium-IV-oxid mit Kohle in großen Öfen bei
mentares Silicium ist für den Menschen ungiftig, einer Temperatur von ca. 2000 C:
in Form von Silikat sogar wichtig. Im menschli-
chen Körper sind rund 20 mg/kg Körpermasse SiO2 þ 2 C ! Si þ 2 CO
Silicium enthalten. Es ist mit einem Anteil von
25,8 Gew.-% das zweithäufigste in der Erdkruste Die Jahresproduktion beträgt einige Mio. t. Roh-
vorkommende Element und kommt in Form sili- silicium ist Bestandteil metallischer Legierungen
katischer Minerale oder als reines Silicium-IV- und verleiht Stahl eine größe Beständigkeit ge-
oxid (Quarz) vor. genüber Korrosion infolge Bildung von Ferrosili-
Sand besteht größtenteils aus feinen Quarzkris- cium. Ferner ist es Ausgangsmaterial für die Pro-
tallen. Die meisten Halbedel- und Edelsteine duktion von Silanen nach Müller-Rochow; jene
bestehen aus Quarz oder Silikaten, wie beispiels- benötigt man zur Herstellung von Siliconen.
weise Rosen-, Rauch-, Gelb- und Grünquarz, Solarsilicium erzeugt man, indem Rohsilicium
Amethyst, Jaspis, Opal und Achat. Mit Metallen mit gasförmigem Chlorwasserstoff bei Tempera-
bildet Silicium Silikate mit sehr unterschiedlichen turen um 300 C zu Trichlorsilan umgesetzt wird
Silikatanionen („Kieselsäure-Anionen“) aus wie
Glimmer, Asbest, Ton, Schiefer, Feldspat und Si þ 3 HCl ! H2 þ HSiCl3
Sandstein. 2011 kannte man 1437 Minerale auf
Basis von Silicium, das seinen höchsten Mengen- Jenes wird mehrfach destilliert und dann in
anteil nicht in Quarz (46,7 %) hat, sondern in Gegenwart von Wasserstoffgas bei Temperaturen
Moissanit (Karborund, Siliciumcarbid, SiC); letz- um 1100 C an Stäben aus Reinstsilicium wieder
terer ist nach Diamant mit einer Mohs-Härte von zersetzt (Sirtl und Reuschel 1964), auf denen das
9,5 der härteste Stoff. beim Zerfall gebildete Silicium aufwächst. Dieses
Gediegenes Silicium findet man an nur weni- Siemens-Verfahren ist aber sehr energieintensiv
gen Orten (z. B. Kuba, China, Russland, USA). und liefert große Mengen an Abfallprodukten.
Gewinnung Silicium stellt man in kleinerem Eine Verbesserung erzielt man durch Erzeugung
Maßstab durch Umsetzung von Silicium-IV-oxid von Monosilan (SiH4) aus den Elementen und
oder -tetrafluorid mit Metallen her: dessen nachfolgende Zersetzung an beheizten
Oberflächen oder in Wirbelschichtreaktoren.
SiO2 þ 2 Mg ! Si þ 2 MgO Man erhält so polykristallines Silicium großer
Reinheit, das für die Herstellung von Solarmodu-
3 SiF4 þ 4 Al ! 3 Si þ 4 AlF3 len geeignet ist.
Das reinste und monokristalline Halbleitersi-
Die Reaktion von Natrium mit Siliciumtetra- licium benötigt man für elektronische Bauele-
chlorid liefert amorphes, reaktives Silicium: mente. Dazu muss man im Solarsilicium noch
vorhandene Verunreinigungen mittels des Tiegel-
4 Na þ SiCl4 ! Si þ 4 NaCl ziehens oder Zonenschmelzens auf kleinstmögli-
che Gehalte bringen. Beim Tiegelziehen schmilzt
Das Element wird großtechnisch in der Photo- man Solarsilicium in Quarztiegeln und taucht ei-
voltaik (Solarzellen), in Halbleitern (elektroni- nen Impfkristall aus hochreinem monokristallinem
sche Chips) und in der Metallurgie (Ferrosilicium) Silicium in die Schmelze ein. Beim langsamen
5 Einzeldarstellungen 229
Herausdrehen des Kristalls aus der Schmelze kris- dargestellte Cyclotrisylen, das aber nur bei Einsatz
tallisiert hochreines Silicium monokristallin auf der sterisch anspruchsvollen Bis(tert.-butyl)-me-
dem Kristall aus. Die Verunreinigungen bleiben thylsilyl-Gruppen stabil ist (Elschenbroich 2003).
in der Schmelze zurück (Czochralski-Verfahren). Darüber hinaus beschreibt Elschenbroich weitere
Beim alternativ durchführbaren Zonenschmel- Moleküle, sowohl mit konjugierten Si=Si- als
zen wandert ein ringförmig um den Siliciumstab auch mit isolierten Si=C-Doppelbindungen.
angeordneter, elektrisch beheizter Induktionsring Silicium löst sich in Säuren nicht, nur in salpe-
langsam den Stab entlang und erzeugt an der tersäurehaltiger Flusssäure, in der es Hexafluoro-
Stelle, an der er sich gerade befindet, eine silicat bildet (Holleman et al. 2007, S. 922). Es ist
Schmelzzone. Diese durchwandert den Stab bis aber leicht lösbar in heißen Alkalilaugen, wobei
zum Ende und nimmt dabei alle im Silicium ent- sich Silikatanionen und Wasserstoff bilden; dies
haltenen Verunreinigungen in sich auf. wird durch das stark negative Normalpotenzial für
diese Reaktion erklärt (Riedel und Janiak 2011).
Eigenschaften An Luft überzieht es sich mit einer dünnen, pas-
Physikalische Eigenschaften: Silicium ist wie sivierenden Oxidschicht und ist daher ziemlich
Germanium und Antimon ein Elementhalbleiter. reaktionsträge.
Es kristallisiert im Gitter des Diamants, schmilzt
aber bereits bei 1410 C (s. Tab. 2). Der energeti- Verbindungen Silicium ist in seinen kovalen-
sche Abstand zwischen Valenz- und Leitungsband ten Verbindungen fast stets vierbindig und tritt
dieses indirekten Halbleiters beträgt 1,107 eV dort mit der Oxidationszahl +4 auf, nur in den
(20 C). Eine gezielte Einlagerung von Fremdato- mit Metallen gebildeten Siliciden ist es in der
men (Dotierung mit z. B. Indium-, Antimon-, Regel der elektronegativere Partner. Es konnten
Arsen- oder Boratomen) verändert die elektrische jedoch auch einige, wenn auch instabile Verbin-
Leitfähigkeit des Siliciums innerhalb weiter Gren- dungen des zweiwertigen Siliciums (Silylene)
zen. Ein Zusatz von Bor- oder Arsenatomen kann synthetisiert werden. Wichtig ist nur das in der
die Leitfähigkeit um das Hundertfache erhöhen. optischen Industrie eingesetzte Siliciummonoxid
Diese durch Störstellen bewirkte elektrische Leit- (SiO). Jüngst konnte man die Existenz des Sili-
fähigkeit (Überschuss bzw. Defekt) ist wesentlich cens nachweisen, dessen Struktur der des Gra-
größer als die „aus eigener Kraft“ erbrachte; man phens ähnelt (Vogt et al. 2012).
spricht dann von „Störstellenhalbleitern“. Aussa- Wasserstoffverbindungen Im Gegensatz zu den
gen über die Struktur der Bänder ergeben sich homologen Kohlenwasserstoffen ist das Silici-
unter anderem aus der wellenlängenabhängigen umatom in den Siliciumwasserstoffen (Silanen)
Lichtabsorption und den dazu proportionalen Ex- der elektropositivere Bindungspartner; Silane ver-
tinktionen sowie den jeweiligen Brechungsindi- halten sich daher völlig anders als die gesättigten
ces (Palik und Ghosh 1998; Honsberg und Bow- Kohlenwasserstoffanaloga (Alkane). Bei der Ein-
den 2007). wirkung von Säure auf Metallsilicide entsteht ein
Auch Silicium zeigt eine Dichteanomalie. Flüs- farbloses, selbstentzündliches Gemisch von Mo-
siges Silicium besitzt oberhalb seines Schmelz- nosilan und höheren Silanen. Mono- und Disilan
punktes eine um rund 10 % höhere Dichte als in (Siedepunkte: 112 bzw. 15 C) sind Gase, ab
festem, kristallinem Zustand (Hedler 2006). Trisilan aufwärts Flüssigkeiten. Analog zu den
Chemische Eigenschaften: In fast allen seiner Kohlenwasserstoffen existieren auch einige ver-
Verbindungen bildet Silicium, im Gegensatz zum zweigte und cyclische Silanmoleküle.
Kohlenstoff, nur Einfachbindungen aus. Mittler- Silane sind im Gegensatz zu den homologen
weile konnten aber eine ganze Reihe an Verbin- Alkanen sehr instabil und nur unter Luftabschluss
dungen hergestellt werden, deren Moleküle eine herzustellen. Vor allem die niedrigen Silane (SiH4
Si=Si-Doppelbindung aufweisen. Interessant ist bis Si3H8) entzünden sich an der Luft oft spontan
das von Sekiguchi aus Dialkyldibromsilan, Al- und verbrennen dann zu Silicium-IV-oxid und
kyltribromsilan und Natrium in Toluol bei 20 C Wasser. Die höheren Silane sind stabiler; von
230 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
Heptasilan an sind Silane nicht mehr pyrophor. (CH4). Es hat im Gegensatz zu Methan einen
Eine Übersicht über die wichtigsten Vertreter der unangenehmen Geruch und kondensiert bei
Gruppe der n-Silane gibt Tab. 3. 112 C (die Flüssigkeit erstarrt bei 185 C).
Monosilan (SiH4) ist der einfachste Vertreter Man stellt Monosilan im Labor durch Einwirkung
der Silane (auch Siliciumwasserstoffe genannt) von Salzsäure auf Magnesiumsilicid her, in der
und somit das Siliciumanalogon des Methans Technik bevorzugt man die Umsetzung von
5 Einzeldarstellungen 231
Transistoren bzw. Isolator bei Verdrahtungen ein- Silicium-IV-selenid (SiSe2) liegt in Form meh-
gesetzt. Solche dünnen Schichten stellte man rerer Modifikationen vor. Einerseits existiert die
durch thermische Oxidation von Silicium oder oben für Silicium-IV-sulfid beschriebene, faser-
durch chemische Gasphasenabscheidung her. We- artige Struktur mit über die Kanten verknüpften
gen nicht mehr den stets höheren Anforderungen SiSe4-Tetraedern, andererseits wurden auch Poly-
genügender Eigenschaften wurde und wird Silici- morphe mit eckenverknüpften Tetraedern durch
um-IV-oxid zunehmend durch andere Dielektrika Erhitzen einer stöchiometrischen Mischung der
(low-k, high-k) ersetzt. Elemente auf Temperaturen von 400 C bzw.
Die thermische Oxidation und Bildung sehr 500–600 C hergestellt (Pradel et al. 1993).
dünner Schichten aus Silicium-IV-oxid funktio- Halogenverbindungen Alle Siliciumtetrahaloge-
niert natürlich nur dann, wenn das Substrat selbst nide sind sehr empfindlich gegenüber Luftfeuchtig-
aus Silicium besteht. Bei anderen Substraten keit bzw. Wasser und hydrolysieren schnell zu
bedient man sich des Verfahrens der chemischen Silicium-IV-oxid bzw. Kieselsäure und Halogen-
Abscheidung aus der Gasphase, bei dem Silane wasserstoff. Silicium-IV-fluorid (SiF4) ist ein farblo-
bei hoher Temperatur mit Sauerstoff bzw. Lachgas ses, an feuchter Luft rauchendes Gas von stechen-
umgesetzt werden, oder bei dem Tetraethylortho- dem Geruch mit einem Sublimationspunkt von
silicat thermolysiert wird. 95 C. Es ist in unreiner Form aus Calciumfluorid,
Silicium-IV-sulfid (SiS2) ist durch Umsetzung Sand und konzentrierter Schwefelsäure (I) oder aber
von Aluminiumsulfid mit Silicium-IV-oxid bei durch Erhitzen von Hexafluorokieselsäure (H2SiF6)
1200 bis 1300 C erhältlich; dabei entsteht auch bzw. ihren Salzen (II) darstellbar:
Siliciummonosulfid (Brauer 1975, S. 699):
(I) H2SO4 + CaF2 ! 2 HF + CaSO4
3 SiO2 þ 2 Al2 S3 ! 3 SiS2 þ 2 Al2 O3 4 HF + SiO2 ! SiF4 + 2 H2O
(II) H2SiF6 ! 2 HF + SiF4
Silicium-IV-sulfid kann man ebenso durch
Überleiten trockenen Schwefelwasserstoffs über Eine für das Labor anwendbares Verfahren
Silicium bei 1200 bis 1300 C oder auch durch beinhaltet das Überleiten gasförmigen Silicium-
thermische Zersetzung von Tetraethylmercaptosi- IV-chlorids über auf 450 C erhitztes Calcium-
lan im Temperaturbereich von 250 bis 300 C fluorid (Boehm 1969):
(Holleman et al. 1995, S. 916). Natürlich ergibt
auch die Synthese aus den Elementen bei Tempe- SiCl4 þ 2CaF2 ! SiF4 þ 2CaCl2
raturen um 1000 C Silicium-IV-sulfid (Bohm
et al. 2010, S. 157). Das farblose, giftige, unbrennbare Gas subli-
Die Verbindung hat die Dichte 1,85 g/cm3, miert bei 95 C und besitzt die Dichte 4,37 g/L.
schmilzt bei 1090 C und ist eine weiße, sehr Silicium-IV-fluorid hat infolge seiner leicht erfol-
hydrolyseempfindliche Masse; sie wird selbst genden Hydrolyse zu Fluorwasserstoff einen ste-
durch Ethanol und Ammoniak zersetzt. Wird chenden Geruch und raucht an feuchter Luft.
Silicium-IV-sulfid an der Luft erhitzt, verbrennt Durch Anwendung von Drücken um 50 bar kann
es langsam. Es besitzt eine Faserstruktur, in der man es verflüssigen.
Siliciumatome verzerrt tetraedrisch von Schwe- Silicium-IV-chlorid (SiCl4, Tetrachlorsilan) wird
felatomen umgeben sind (s. Abb. 13; Bohm et al. durch Überleiten von Chlor über erhitztes Silicium
2010, S. 157). hergestellt. Die farblose Flüssigkeit (s. Abb. 14)
Abb. 13 Molekülstruktur S S S
Silicium-IV-sulfid S S S
(Smokefoot, Jahr nicht Si Si Si Si Si Si
bekannt) S S S
S S S
234 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
erstarrt bei 70 C, siedet bei 57 C, hat eine Dichte Flüssigkeit (s. Abb. 15) von stechendem Geruch,
von 1,48 g/cm3, raucht an feuchter Luft und wird die bei Temperaturen von 5 C bzw. 154 C
durch Wasser in heftiger Reaktion zu Chlorwasser- erstarrt bzw. siedet und die Dichte 2,8 g/cm3
stoff und Silicium-IV-oxid zersetzt (Rauter 1892; besitzt. Man gewint sie durch Überleiten von
Goubeau und Warncke 1949). Bromwasserstoff über Silicium bei 600 C
Die Verbindung reagiert stürmisch mit Basen, (Schumb 1939). Ebenfalls möglich ist die Darstel-
Oxidationsmitteln und auch mit organischen Ver- lung durch Reaktion von Silicium mit Brom bei
bindungen. Infolge der Hydrolyse zu Chlorwas- 600 C oder von Silicium mit Silberbromid bei
serstoff wirkt es stark korrodierend und ätzend auf 650 C (Brauer 1975, S. 671).
Haut und Schleimhäute. Tetrabromsilan reagiert mit Wasser heftig unter
Trichlorsilan (HSiCl3) ist eine farblose, hoch- sofortiger Hydrolyse zu Silicium-IV-oxid und
entzündliche, infolge Hydrolyse stechend rie- Bromwasserstoff (Holleman et al. 2007, S. 852).
chende, leichtflüchtige (Siedepunkt: 32 C) Zum Dotieren anderer Halbleiter mit Silicium
Flüssigkeit. Man stellt es durch Leiten von Chlor- nutzt man die Verbindung (Golling 2004, S. 30).
wasserstoff über erhitztes Silicium her und setzt es Silicium-IV-iodid (SiI4, Tetraiodsilan) kann
zur Herstellung von Halbleitern für Solarzellen durch Reaktion von Silicium mit Iod oder Iodwas-
ein, indem man gasförmiges Trichlorsilan über serstoff gewonnen werden (Brauer 1975, S. 676;
geeignete Substrate leitet und so sehr dünne Filme Holleman et al. 1995, S. 909). Die farblosen,
aus Silicium erzeugt. feuchtigkeits- und lichtempfindlichen Kristalle
Hexachlordisilan (Si2Cl6) produziert man schmelzen bei 120,5 C (Siedepunkt der zitronen-
durch Chlorieren von Calciumdisilicid bei Tem- gelben Schmelze 287 C) und haben eine Dichte
peraturen um 240 C (Brauer 1975, S. 669): von 4,2 g/cm3. Die Verbindung ist löslich in aro-
matischen Kohlenwasserstoffen wie Toluol; in
CaSi2 þ 4 Cl2 ! Si2 Cl6 þ CaCl2 Wasser und auch Alkanolen erfolgt schnelle
Hydrolyse zu Kieselsäure und Iodwasserstoff.
Das direkte Chlorieren von Siliciumpulver lie- Silicium-IV-iodid kristallisiert kubisch in der
fert neben Silicium-IV-chlorid ebenfalls Hexa- Raumgruppe Pa3 (Nr. 205) und färbt sich beim
chlordisilan. Die farblose Flüssigkeit erstarrt bei Stehenlassen am Licht nach einiger Zeit rötlich
2,5 C, siedet bei 145 C und hat eine Dichte von infolge der Bildung elementaren Iods.
1,56 g/cm3. Infolge Hydrolyse zu Chlorwasser- Pnictogenverbindungen Siliciumnitrid (Si3N4)
stoff raucht sie an feuchter Luft. Man nutzt hoch- tritt in Form dreier Modifikationen auf, einer tri-
reines Hexachlordisilan in der Elektronikindustrie gonal kristallisierenden α-Modifikation sowie der
zur Erzeugung siliciumhaltiger Schichten durch β- bzw. γ-Modifikation mit hexagonaler bzw.
das Verfahren der chemischen Abscheidung aus kubischer Struktur (s. Abb. 16).
der Gasphase. Technisch hergestelltes Siliciumnitrid subli-
Silicium-IV-bromid (SiBr4, Tetrabromsilan) miert bei 1900 C und hat eine Dichte von
ist eine sehr feuchtigkeitsempfindliche, farblose 3,44 g/cm3. Der keramische Festkörper liegt in
5 Einzeldarstellungen 235
ðIÞ GeO2 þ 2H2 ! Ge þ 2H2 O metallen und Metallen ein und ist somit ein Halb-
ðIIÞ GeO2 þ C ! Ge þ CO2 metall. Es kristallisiert im Diamantgitter und
schmilzt bei einer Temperatur von 938 C
(s. Tab. 4). Zudem weist es die Eigenschaft eines
Eigenschaften Germanium nimmt in der vier-
Halbleiters mit der schon kleinen -indirekten-
ten Hauptgruppe den Mittelplatz zwischen Nicht-
Bandlücke von nur 0,67 eV auf. Es ist spröde und in Kombination mit Diboran, zu der von dünnen
unter Normalbedingungen an der Luft sehr stabil, Filmen aus bordotiertem Germanium.
lediglich beim Glühen in einer Sauerstoffatmo- Chalkogenverbindungen Germanium-IV-oxid
sphäre wird es zu Germanium-IV-oxid umgesetzt. (GeO2) kommt natürlich in Form des Minerals
Germanium tritt in seinen Verbindungen mit den Argutit vor. Es entsteht beim Glühen von Germa-
Oxidationszahlen +2 und +4 auf, wobei +4 die nium oder Germanium-IV-sulfid unter Sauerstoff.
beständigere ist. Einfach bildet es sich bei der Hydrolyse von
Nur alkalische Lösungen von Wasserstoffperoxid Germanium-IV-chlorid (Schwarz 1929). Im Ge-
sowie konzentrierte Schwefel- bzw. Salpetersäure gensatz zum Silicium-IV-chlorid, bei dessen
lösen es unter Bildung von Germaniumdioxidhydrat. Hydrolyse zunächst Kieselsäuren entstehen, er-
Germanium zeigt wie sein Homologes Sili- gibt die Hydrolyse des Germanium-IV-chlorids
cium das Phänomen der Dichteanomalie. weder eine hypothetische „Germaniumsäure“
noch stabile Hydroxide, sondern das hydratfreie
Verbindungen Germaniumdioxid (Schwarz et al. 1931).
Wasserstoffverbindungen Nur wenige Verbin- Das weiße Germanium-IV-oxid (s. Abb. 18a, b)
dungen des Germaniums sind technisch von Be- schmilzt in Form des Gemisches seiner Modifika-
deutung. Germaniumwasserstoff (Monogerman, tionen bei einer Temperatur von ca. 1100 C, hat
GeH4) ist ein giftiges, hochentzündliches Gas die Dichte 4,23 g/cm3 und tritt in mehreren Modi-
von unangenehmem Geruch, das bei 89 C fikationen auf.
kondensiert. Es ist durch Reaktion von Magne- Die hexagonal kristallisierende Struktur schmilzt
siumgermanid mit Salzsäure oder auch durch bei 1115 C, hat eine Dichte von 4,7 g/cm3, ist
Reaktion von GeCl4 mit Methan bei Gegenwart isotyp zum α-Quarz und wird bei der Hydrolyse
eines Palladiumkatalysators zugänglich. Man von Germanium-IV-chlorid gebildet.
setzt Monogerman in der Halbleitertechnik zur Die tetragonale Modifikation kommt in der
Epitaxie und zum Dotieren ein. Monogerman ist Natur in Form des Minerals Argutit vor, schmilzt
der Grundkörper der organischen Germaniumver- bei 1086 C und hat die Dichte 6,24 g/cm3. Diese
bindungen (Satge 1984; Quane und Bottei 1963). Form hat eine Struktur ähnlich zu Rutil; sie
Digerman (Ge2H6) erhält man beim Leiten von entsteht durch mehrstündiges Erhitzen von Ger-
Monogerman durch eine stille elektrische Entla- manium-IV-oxid mit Wasserdampf oder beim
dung, wobei Di- und Trigerman als Hauptpro- Eindampfen einer Suspension von Germanium-
dukte und in kleiner Menge höhere Germane bis IV-oxid mit etwas Ammoniumfluorid. Ein Erhit-
zum Nonagerman, dem zur Zeit höchsten bekann- zen auf eine Temperatur von 1033 C führt zum
ten Vertreter der Reihe der Germane, entstehen. Übergang in die amorphe Form.
Auch bei anderen Verfahren zur Herstellung von Die amorphe Struktur entspricht derjenigen
Monogerman (Reaktion von Säure mit Magne- des glasartigen Silicium-IV-oxids und entsteht
siumgermanid) mit Ammoniumbromid entstehen immer beim Abkühlen einer Schmelze von
höhere Germane (Brauer 1975, S. 716).
Die farblose Verbindung ist im Unterschied zu
Ethan und Disilan bei Raumtemperatur flüssig,
siedet aber schon bei 31 C (Emeléus und Gardner
1938; Stull 1947). Die Flüssigkeit erstarrt bei
109 C und hat die Dichte 1,98 g/cm3. Die
Verbindung zerfällt beim Erhitzen bei Temperatu-
ren oberhalb von 200 C (Emeléus und Jellinek
1944; Moore et al. 1924). Man setzt Digerman zur
Herstellung epitaktisch strukturierter Dünnfilme Abb. 18 a Germanium-IV-oxid (Onyxmet 2019)
ein, ebenso zur Erzeugung dotierter dünner b Germanium-IV-oxid (Stanford Advanced Materials
Schichten aus Silicium und Germanium sowie, 2019)
240 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
Germanium-IV-oxid rauchende Flüssigkeit der nem Benzol und Ether (Holleman et al. 1995,
Dichte 1,88 g/cm3 erstarrt bzw. siedet bei S. 403). Die Molekülstruktur des Germanium-II-
49,5 C bzw. 83 C. Mit Wasser und vor allem chlorids ist polymer; schon schwaches Erhitzen
Basen erfolgt heftige Zersetzung zu Chlorwasser- führt bei der gegenüber erhöhten Temperaturen
stoff und Germanium-IV-oxid (Schwarz 1929). instabilen Verbindung zur Disproportionierung
Einwirkung von Ammoniak führt zur Bildung in Germanium-IV-chlorid und chlorärmeren Ger-
eines Gemisches aus Germanium-IV-oxid und maniumchloriden. Es ist aber durch Komplexbil-
-imid (Schwarz und Schenk 1930). Das Zudosie- dung, etwa mit dem Lösungsmittel 1,4-Dioxan,
ren wasserfreien Natriumethylats ergibt den sehr möglich, Germanium-II-chlorid in monomerer
hydrolyseempfindlichen ortho-Germaniumsäure- Form zu stabilisieren (Noltemeyer et al. 1989).
ethylester (Schwarz et al. 1931). Zusatz wasser- Germanium-IV-bromid (GeBr4) ist durch Re-
freien Alkali- oder Erdalkalichlorids bildet Hexa- aktion von Germanium mit Brom bei 200 C oder
chlorogermanate mit dem Anion [GeCl6]2. durch Umsetzung von Germanium-IV-oxid mit
Man nutzt Germanium-IV-chlorid als Zwi- Bromwasserstoffsäure bei Temperaturen um
schenprodukt bei der Produktion des Germaniums 180 C herstellbar (Brauer 1975, S. 723).
und in sehr reiner Form bei der Herstellung von Der weiße bis gelbbraune Feststoff (s. Abb. 25)
aus Quarzglas bestehenden Lichtwellenleitern, der Dichte 3,13 g/cm3 schmilzt bei 25 C; die
um im Inneren der Quarzfasern eine Schicht rei- Schmelze siedet bei 186,5 C. Germanium-IV-
nen Germanium-IV-oxids erzeugen zu können bromid reagiert mit Wasser heftig unter Bildung
(Holleman et al. 2007, S. 1015). von Germanium-IV-oxid und Bromwasserstoff;
Das sehr reaktionsfähige Germanium-II-chlorid es ist löslich in reinem und trockenem Ethanol,
(GeCl2) stellt man durch Reaktion von Ger- Tetrachlorkohlenstoff, Benzol und Ether. Die Ver-
manium-IV-chlorid mit Germanium bei Tempera- bindung hat eine kubische Kristallstruktur mit
turen oberhalb von 400 C her (Dennis 1928). tetraedrisch koordinierten GeBr4-Molekülen auf
Alternativ kann man es durch Abpumpen von den Gitterplätzen (Simon et al. 2005).
dem bei der langsamen Zersetzung von Trichlor- Germanium-II-bromid (GeBr2) erhält man
german (GeHCl3) entstehenden Chlorwasserstoff durch Reduktion von Germanium-IV-bromid mit
erzeugen (Brauer 1975, S. 722). (Trichlorgerman Germanium oder Zink (Brauer 1975, S. 724; Hol-
ist eine farblose, sehr hydrolyseempfindliche Flüs- leman et al. 1995, S. 959). In Analogie zum
sigkeit der Dichte 1,93 g/cm3, die bei 71 C Germanium-II-chlorid ist der thermische Abbau
erstarrt und bei 75 C siedet.) des Tribromgermans oder auch das Einengen
Das schwach gelbliche Germanium-II-chlorid einer Suspension von Germanium-II-oxid in kon-
reagiert mit Wasser unter Hydrolyse, mit Haloge- zentrierter Bromwasserstoffsäure möglich (Den-
nen unter deren Addition und Bildung von -auch nis 1928).
gemischten- Germanium-IV-halogeniden und mit Der polymere, farblose bis blaßgelbe Feststoff
Salzsäure unter Rückbildung von Trichlorgerman. ist in Ethanol und Aceton löslich und oxidiert
Die Verbindung ist unzersetzt löslich in trocke- oberhalb einer Temperatur von 180 C an der
5 Einzeldarstellungen 243
weil Lithiumionen etwa 50mal schneller in Ger- werden. Daher existiert etwa in Deutschland und
maniumphosphid-Doppellagen diffundieren als in Österreich keine Zulassung, da Germanium und
Graphen. seine Verbindungen dort als bedenklich gelten.
Sonstige Verbindungen Nanokristalline aus Grundlage dafür sind Resultate toxikologischer
Germaniumcarbiden mit einer der Formel GexC1–x Untersuchungen und entsprechende Einstufungen
entsprechenden Zusammensetzung wurden bei von Germanium und seinen Verbindungen als
Temperaturen um 350 C auf Substraten aus Si Schadstoffe (Tao und Bolger 1997).
(100) erzeugt. Die Ausbeute stieg unter den ge- Spuren von Germanium, das nicht als essenzi-
wählten Reaktionsbedingungen auf bis zu 15,5 % elles Spurenelement gilt, finden sich in Bohnen,
(Shrestha et al. 2015). Tomatensaft, Austern, Thunfisch und Knoblauch.
Toxizität Frühe Symptome einer Vergiftung
Anwendungen Früher war Germanium das mit Germanium sind Appetitlosigkeit, Gewichts-
bevorzugt zur Herstellung von Halbleitern einge- verlust, Erschöpfungszustände und Muskel-
setzte Material (Teal 1976), bevor es von Silicium schwäche. Als Folge sind Schäden an den Nieren
wegen dessen günstigerer Eigenschaften und des sehr wahrscheinlich.
deutlich niedrigeren Preises ersetzt wurde. Akute Vergiftungen äußern sich in Zittern,
Silicium-Germanium-Halbleiter sind aber heute einer Erweiterung der Blutgefäße, Ptosis und Zya-
noch in Röntgendetektoren anzutreffen. Das mit nose. Im Tierversuch tritt bei Fortsetzung der Ver-
günstigeren Eigenschaften versehene Gallium- suche oft der Tod durch Atemstillstand ein. Die
arsenid (GaAs) weist im Vergleich zu Germanium Ursachen für die Toxizität von Germanium sind
fast dieselben Gitterkonstanten auf, da es zu die- noch nicht vollständig erforscht.
sem isoelektronisch ist. Daher kann man Gallium-
arsenid epitaktisch auf Oberflächen von Germa-
Patente
niumkristallen auftragen.
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Linsen aus mono- oder polykristallem Germa-
wide.espacenet.com)
nium sind besonders durchlässig für Infrarotlicht,
für Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras
L. Alloatti und J. R. Ram, Closed-loop reso-
wichtig (Drugoveiko et al. 1975; Bayya et al.
nator silicon germanium photodetector
2002; Rieke 2007). Außerdem nutzt man es zu
apparatus and other semiconductor devices
Herstellung von Glasfaserleitungen für das Tele-
including curved-shape silicon germanium
fonnetz derart, dass man durch Kondensieren von
structures (Massachusetts Institute of Tech-
Germanium-IV-chlorid eine Anreicherung von
nology, US 2019326468 A1, veröffentlicht
Germanium-IV-oxid im inneren Faserkern er-
24. Oktober 2019)
zeugt, was dem Kern des Kabels einen höheren
H. Luan, Multi-layer thyristor random
Brechungsindex verschafft, wodurch wiederum
access memory with silicon-germanium
die Lichtwellen besser geführt werden. Germa-
bases (TC Lab, Inc., US 2019326294
nium-IV-oxid ist Katalysator zur Produktion von
A1, veröffentlicht 24. Oktober 2019)
wiederverwertbaren Flaschen aus Polyester (PET,
S. Siddiqui und H. Parvaneh, Defect free
Polyethylenterephthalat).
silicon germanium (SiGe) epitaxy growth
Das radioaktive Nuklid 6832Ge dient zur Erzeu-
in a low-k spacer cavity and method for
gung des ebenfalls radioaktiven, in der Medizintech-
producing the same (Global Foundries,
nik verwendeten Isotops 6831Ga, zudem kann man
Inc., US 2019326112 A1, veröffentlicht
mit ihm Detektoren von Positronen-Emissions-
24. Oktober 2019)
Tomographen kalibrieren (Lightstone et al. 1986).
H. Yusa und M. Miyakawa, Hexagonal 6H
Germanium in der Medizin und in Nah-
barium germanium oxide, method for
rungsergänzungsmitteln Germanium soll ge-
mäß der europäischen Richtlinie 2002/46/EG (Fortsetzung)
nicht in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt
5 Einzeldarstellungen 245
Im August 2012 entdeckte man in Mulden- bei Raumtemperatur unter Einwirkung hohen
hammer (Vogtland) eine Lagerstätte, die hinsicht- Druckes; es hat eine Dichte von 6,54 g/cm3.
lich ihrer Menge auf 160.000 t geschätzt wurde; Ihre Kernladungszahl 50 macht die Atomkerne
jüngere Berechnungen gehen sogar von 500.000 t des Zinns „magisch“, und Zinn tritt in der Natur in
neben 10.000 t Wolframerz aus. Damit wären Form zehn verschiedener, allesamt stabiler Iso-
diese die größten weltweit noch unerschlossenen tope auf. Dies ist die höchste Zahl stabiler Isotope
Vorkommen. Allerdings ist der Erzgehalt mit aller Elemente. Zusätzlich gibt es noch 28 ver-
durchschnittlich 0,3 % relativ gering, und das schiedene radioaktive Isotope.
Erz ist schwer aus dem Gestein zu lösen. Daher Lagert man aus Zinn gefertigte Gegenstände in
wurde die Wirtschaftlichkeit dieses Abbaus, der kalten Räumen, zerfallen sie wegen der Umwand-
als Nebenprodukte u. a. Zink, Kupfer und Indium lung von β-Zinn mit der Zeit zu schwarzgrauem,
liefern würde, mehrere Jahre lang geprüft (Seidler pulvrigen α-Zinn („Zinnpest“). Werden Stäbe rei-
2012). Im Februar 2019 wurde die Lizenz für die nen β-Zinns bei Raumtemperatur verbogen, so
Grube „Gottesberg II“ an das britische Unterneh- wird ein knisterndes Geräusch erzeugt, da die
men Anglo Saxonian Mining Ltd. verkauft. einzelnen Kristalle aneinander reiben. Geringe
Pro Jahr werden rund 300.000 t Zinn ver- Anteile an Verunreinigungen oder zulegierten
braucht, davon je ein Drittel für Lote, für Weiß- Metallen verhindern das Auftreten dieses „Zinn-
blech und für andere Chemikalien. Infolge des geschreis“.
Totalersatzes von Blei durch Zinn in Loten erwar- Zinn ist chemisch relativ stabil, da es sich an
tet man eine jährliche Steigerung der Bedarfs- Luft mit einer schützenden Oxidhaut überzieht.
menge um 10 %, weshalb der Preis für Zinn Konzentrierte Säuren und auch Basen lösen es
laufend steigt und sich in den letzten zehn Jahren aber unter Bildung von Wasserstoffgas und Zinn-
verdreifacht hat (London Metal Exchange 2015). II-salzen (in Säuren) bzw. Stannaten (in Basen).
Gewinnung Das Zinnerz wird zunächst zer- Zinn-II wird von unedleren Metallen (z. B. Zink)
kleinert und dann mittels Aufschlämmen oder reduziert; das elementare Zinn scheidet sich dann
spezieller Scheideverfahren angereichert. Hier- am Donormetall in Form eines Metallschwamms ab.
nach reduziert man es mit Kohle und hält die Verbindungen Zinn kann in den Oxidations-
Temperatur knapp oberhalb des Schmelzpunktes stufen +2 und +4 auftreten, wobei Zinn-IV etwas
von Zinn (232 C), so dass das im Laufe der stabiler ist. Die Auswirkung des bei den höchsten
Reaktion entstehende flüssige Metall abfließen Homologen dieser und benachbarter Hauptgrup-
kann, ohne bei höheren Temperaturen schmel- pen in der äußeren Schale vorliegenden „inerten
zende Verunreinigungen aufzunehmen. Heutzu- Elektronenpaares“ ist hier noch nicht so stark aus-
tage gewinnt man einen großen Teil des Zinns geprägt ist wie beim schwereren Element dieser
durch Recycling, an dessen Ende eine Elektrolyse Gruppe, dem Blei. Zinn-II wird daher noch relativ
steht. leicht zu Zinn-IV oxidiert.
Eigenschaften Zinn tritt in drei verschiedenen Wasserstoffverbindungen Zinnwasserstoff (Mono-
Modifikationen auf. Das noch im kubischen Dia- stannan, SnH4) kann man nicht aus den Elementen,
mantgitter kristallisierende graue, halbmetallische sondern nur durch Auflösung salzartiger Metall-
α-Zinn ist unterhalb einer Temperatur von 13,2 C Zinn-Verbindungen („Stannide“) in Säuren herstellen
stabil. Es weist eine Bandlücke von 0,1 eV und (Mortimer 2010, S. 112). Ebenso ist beispielsweise
eine Dichte von 5,75 g/cm3 auf (s. Tab. 5) und ist die Reduktion von Zinn-II-chlorid mit Natrium- oder
damit ein Halbleiter. Das uns von seinem Ausse- Kaliumborhydrid in wässriger, salzsaurer Lösung
hen her vertraute metallische β-Zinn kristallisiert möglich. Führt man die Trennung des bei dieser
verzerrt oktaedrisch, hat eine silberweiß glänzen- Reaktion gebildeten Gasgemisches unter völ-
de Oberfläche und eine Dichte von 7,31 g/cm3; es ligem Ausschluss von Luft und Feuchtigkeit
ist bis zu einer Temperatur von 162 C beständig. durch, so kann man auch sehr geringe Mengen
Das γ-Zinn mit rhombischem Gitter bildet sich von Distannan (Sn2H6) isolieren (Weidenbruch
oberhalb einer Temperatur von 162 C oder auch und Schlaefke 1991).
5 Einzeldarstellungen 247
Schließlich liefert auch die Reduktion von in von Hexahalogenostannaten (Donaldson und Gri-
absolutem Ether gelösten Zinn-IV-chlorid mit mes 1989; Caley 1932).
Lithiumaluminiumhydrid bei tiefer Temperatur Mit starken Laugen löst sich Zinn-IV-oxid
Zinnwasserstoff (Brauer 1975, S. 751). unter Bildung von Stannaten-IV, den Salzen der
Monostannan ist ein giftiges Gas, das bei in freiem Zustand nicht stabilen „Zinnsäuren“
52 C kondensiert (Erstarrungspunkt der Flüs- [H2[Sn(OH)6 bzw. H2SnO3]. Die jeweiligen Na-
sigkeit 146 C) und eine Dichte von 5,4 g/L triumsalze sind aber beständig; man setzt sie als
besitzt. Oberhalb einer Temperatur von 150 C Hilfsmittel zum Färben ein. In seiner Eigenschaft
zerfällt es schnell in die Elemente; dabei bildet als Halbleiter findet Zinn-IV-oxid etwa in Kombi-
sich auf den Wänden des Gefäßes ein Zinnspiegel. nation mit Antimon-III-oxid in Modulen der Pho-
Da Zinn auf der Pauling-Skala mit 2,0 eine ge- tovoltaik Verwendung. Daher sind auch aus Zinn-
ringere Elektronegativität als Wasserstoff (2,2) IV-oxid bestehende Sputtertargets im Handel
besitzt, wäre der korrekte Name für die Verbin- (s. Abb. 27c) Ebenso geht es deshalb in Lichtleiter
dung eigentlich Monozinnhydrid. Der qualitative oder Gassensoren ein; bei letzteren nutzt man die
Nachweis von Zinn beinhaltet die Reduktion was- Reaktivität der Verbindung mit vielen Gasen aus,
serlöslicher Zinnverbindungen mit naszierendem wo eine chemische Reaktion eine Änderung des
Wasserstoff, wobei sich Monostannan bildet, das elektrischen Widerstands bewirkt. Man setzt es
der Flamme des Bunsenbrenners eine blaue Fluo- ferner als Poliermehl für Natursteine, Glas oder
reszenz verleiht. Stahl ein, ebenso in Emaille- und Keramikmassen
Chalkogenverbindungen Zinn-IV-oxid (SnO2) oder als Katalysator. Das Schmelzen anorgani-
ist ein weißes (s. Abb. 27a, b), bei 1630 C scher Gläser benötigt gelegentlich Elektroden
schmelzendes Pulver der Dichte 6,95 g/cm3. Es aus Zinn-IV-oxid anstelle von solchen aus Molyb-
ist durch Verbrennen von Zinn an Luft, durch dän.
Umsetzung von Zinn-IV-chlorid und Wasser in Zinn-II-oxid (SnO) disproportioniert bei Tem-
der Gasphase oder auch durch aufeinanderfolgen- peraturen oberhalb von 300 C zu Zinn und Zinn-
des Lösen von Zinn in Schwefelsäure und Fällung IV-oxid. Die Verbindung der Dichte 6,45 g/cm3
des Zinn-IV-oxids durch Zugabe starker Basen gewinnt man durch Reaktion von Zinn-II-chlorid
herstellbar. mit starken Basen, worauf sich Zinn-II-oxidhy-
Zinn-IV-oxid ist amphoter, in Wasser unlöslich drat bildet, das man durch Erhitzen entwässern
und ist in Halogenwasserstoffsäuren unter Bildung kann (Brauer 1975, S. 759). Zinn-II-oxid existiert
Abb. 27 a Zinn-IV-oxid
(Onyxmet 2019) b Zinn-IV-
oxid, Nanopulver (Stanford
Advanced Materials 2019)
c Zinn-IV-oxid,
Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019)
Abb. 28 a Zinn-II-oxid
(Onyxmet 2019) b Zinn-II-
oxid, grobkristallin und
gemörsert (Hubertus
Giefers 2007) c Zinn-II-
oxid (Stanford Advanced
Materials 2019)
5 Einzeldarstellungen 249
in drei Modifikationen. Die bekannteste ist das gelbe Feststoff (s. Abb. 29a, b) ist unlöslich in
schwarz-blaue Zinn-II-oxid (s. Abb. 28a–c), das Wasser und ein Halbleiter einer Bandlücke von
tetragonal und isotyp zu Blei-II-oxid in der Raum- 2,2 eV (Burton et al. 2016); deshalb wird es auch
gruppe 129 mit zwei Formeleinheiten pro Ele- als Sputtertarget verkauft (s. Abb. 29c). Man setzt
mentarzelle kristallisiert. Bis zu Temperaturen die Verbindung als Farbpigment ein.
von 270 C ist auch eine metastabile, rote Modi- Zinn-II-sulfid (SnS), das natürlich als Mineral
fikation orthorhombischer Struktur existent, die Herzenbergit vorkommt, gewinnt man durch
mit acht Formeleinheiten pro Elementarzelle kris- Reaktion der Elemente (I) oder durch Einleiten
tallisiert (Köhler et al. 2012). Schon leichter von Schwefelwasserstoff in eine wässrige Lösung
Druck oder Mischen mit der tetragonal struktu- von Zinn-II-chlorid (II):
rierten Modifikation führt die rote Form in jene
über (Köhler et al. 2012). In der Literatur wird (I) Sn + S ! SnS
gelegentlich auf eine weitere rote Modifikation (II) SnCl2 + H2S ! SnS # + 2 HCl
hingewiesen, allerdings nicht auf deren Struktur
im festen Zustand Bezug genommen. Der dunkelgraue Feststoff (s. Abb. 30a–c)
Zinn-IV-sulfid (SnS2) kommt in der Natur in schmilzt bei 882 C (Siedepunkt der Schmelze:
Form des Minerals Berndtit vor (Hazen und Fin- 1230 C), hat eine Dichte von 5,22 g/cm3 und ist
ger 1978). Man kann die Verbindung durch Um- unlöslich in Wasser. Zugabe von Salzsäure hat Zer-
setzung von Zinn-IV-chlorid mit Schwefelwasser- setzung zu Schwefelwasserstoff und Zinn-II-chlorid
stoff in der Gasphase erzeugen (I) oder in schwach zur Folge. Unter Anderem wird die Verbindung als
basischer, zinn-IV-haltiger Lösung durch Fällen Zusatz in der Pulvermetallurgie eingesetzt, vor
mit Ammoniumsulfid (II): allem aber in ihrer Funktion als Halbleiter (Bandlü-
cke ca. 1,35 eV) in der Elektronikindustrie (Gielen
(I) SnCl4 + 2 H2S ! SnS2 # + 4 HCl 2008, S. 290; Andrade-Arvizu et al. 2015).
(II) „Sn4+“ + 2 (NH4)2S ! SnS2 # + 4 NH4+ Das graue Zinn-II-selenid (SnSe) wird durch
Zusammenschmelzen der Elemente in stöchio-
Im industriellen Maßstab gewinnt man es metrischem Verhältnis dargestellt, wobei die
durch gemeinsames Erhitzen der Elemente in Schmelze hierzu auf etwa 350 C erhitzt werden
Gegenwart kleiner Mengen an Ammoniumchlo- muss (Colin und Drowart 1964). Die Verbindung
rid (Brauer 1975, S. 763). Der mit trigonaler schmilzt bei 861 C, hat eine Dichte von
Cadmiumiodid-Struktur kristallisierende, gold- 6,18 g/cm3 und ist unlöslich in Wasser. Zinn-II-
Abb. 29 a Zinn-IV-sulfid
(Onyxmet 2019) b Zinn-IV-
sulfid (Stanford Advanced
Materials 2019) c Zinn-IV-
sulfid, Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019)
Abb. 30 a Zinn-II-sulfid,
Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019) b Zinn-II-sulfid
(Stanford Advanced
Materials 2019) c Zinn-II-
sulfid (Onyxmet 2019)
250 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
selenid kristallisiert bei Raumtemperatur orthor- äquatoriale Brücken mit je vier weiteren SnF6-
hombisch (Feutelais et al. 1996; Kumar et al. Oktaedern in einem planaren Schichtgitter ange-
2012). Die relativ geringe Bandlücke des IV-VI- ordnet (Holleman et al. 1995, S. 970; Housecroft
Halbleiters mit 0,9 eV (indirekt) bzw. 1,3 eV und Constable 2010, S. 769). Zinn-IV-fluorid
(direkt) bedingt Einsatzgebiete in der Photovol- setzt man als Karieshemmer in kleinen Mengen
taik und Speicherschaltern. Zahncreme zu.
Zinn-II-tellurid (SnTe) ist ein grauer, metal- Das farblose (s. Abb. 32) Zinn-II-fluorid (SnF2)
lisch aussehender, bei 780 C schmelzender Fest- stellt man durch Lösen von Zinn, Zinn-II- oder
stoff (s. Abb. 31) der Dichte 6,48 g/cm3 (Beattie Zinn-IV-oxid in Flusssäure her. Die Verbindung
1969). Unter Normalbedingungen kristallisiert es schmilzt bzw. siedet bei 215 C bzw. 850 C und
kubisch im Kochsalzgitter (β-SnTe) und ist mit hat die Dichte 4,57 g/cm3. Man verwendet Zinn-II-
einer direkten Bandlücke von nur 0,18 eV und fluoridebenfalls als Quelle für Fluorid und Entfer-
einer hohen Elektronenmobilität von 500 cm2/ ner von Plaque in Zahncremes. Das Präparat
®
V.s ein Halbleiter, den man legiert mit Blei Meridol enthält Zinn-II-fluorid; eine durch
als Detektor in infrarotsensitiven Photodioden Anwendung dieses Produkts eventuell auftretende
(Lovett 1977; Rolls et al. 1970) und thermoelek- Gelbfärbung der Zähne kann man bei der nachfol-
trischen Generatoren einsetzt (Singh 2010). Bei genden Reinigung der Zähne mit gewöhnlicher
tiefen Temperaturen liegt es in rhomboedrischer Zahncreme entfernen (Hellwege 2003, S. 141;
Struktur vor (α-SnTe), es zeigt Supraleitfähigkeit Hellwig et al. 2013)
bei sehr tiefen Temperaturen (Hein und Meijer Zinn-IV-chlorid (SnCl4) ist eine farblose
1969). Die dritte, orthorhombisch kristallisie- (s. Abb. 33a, b), ätzend wirkende, an feuchter Luft
rende Modifikation des Zinntellurids (γ-SnTe) rauchende Flüssigkeit von stechendem Geruch,
bildet sich bei Anwendung hohen Drucks die bei Temperaturen von 114 C siedet bzw.
(18 kbar=1,8 109 Pa) auf β-SnTe (Kafalas und von 33 C erstarrt. Bei Kontakt mit Wasser
Mariano 1964); dieses γ-SnTe zeigt eine um 11 %
erhöhte Dichte und einen erheblich höheren elek-
trischen Widerstand.
Halogenverbindungen Zinn-IV-fluorid (SnF4),
einen farblosen, sehr hygroskopischen Feststoff
vom Sublimationspunkt 705 C und der Dichte
4,78 g/cm3, erhält man durch Reaktion von Zinn-
IV-chlorid mit Fluorwasserstoff:
SnF4 löst sich in Wasser unter heftig verlau- Abb. 32 Zinn-II-fluorid (Onyxmet 2019)
fender Hydrolyse (Brauer 1975, S. 232). Im Kris-
tallgitter sind SnF6-Oktaeder über gemeinsame
Abb. 31 Zinn-II-tellurid, Sputtertarget (QS Advanced Abb. 33 a Zinn-IV-chlorid (Walkerma 2005) b Zinn-IV-
Materials 2019) chlorid (Onyxmet 2019)
5 Einzeldarstellungen 251
erfolgt stark exotherme Hydrolyse zu Salzsäure lige Metall. Zudem reduziert es Eisen-III zu
und Zinn-IV-oxid. Die billigste Variante der Her- Eisen-II und Chromate zu Chrom-III. Umgekehrt
stellung ist das Verbrennen von Weißblechabfäl- oxidiert Luftsauerstoff Zinn-II in wässriger oder
len im trockenen Chlorstrom und Kondensieren salzsaurer Lösung zu Zinn-IV. Man setzt Zinn-II-
des unter diesen Reaktionsbedingungen gasför- chlorid in der Galvanik zur elektrolytischen Ver-
mig anfallenden Zinn-IV-chlorids. Die Verbin- zinnung ein, wesentlich wichtiger ist aber seine
dung löst einige Nichtmetalle wie Schwefel, Iod Verwendung als Reduktionsmittel.
und Phosphor. Einwirkung sehr geringer Mengen In konzentrierter Salzsäure gelöst, dient Zinn-
an Wasser führt zur Bildung des kristallinen, farb- II-chlorid in der Bettendorfschen Probe als Nach-
losen Pentahydrats; ein weiterer Zusatz von Was- weismittel für Arsen. Es reduziert chemisch
ser hat Hydrolyse zur Folge. Man verwendet gebundenes zu elementarem Arsen, das aus der
Zinn-IV-chlorid sowohl beim chemischen Verzin- Lösung ausfällt; nur Quecksilber und Edelmetalle
nen als auch bei der Beschichtung von Gläsern. stören. Ferner dient es in der Färberei zur Re-
Organozinnverbindungen werden meist aus Zinn- duktion des Indigos und ist beispielsweise
IV-chlorid dargestellt. Beizmittel beim Färben mit Cochenille oder bei
Leitet man trockenen Chlorwasserstoff über der Herstellung von Goldpurpur und Lackfarben.
erhitztes Zinn, so entsteht wasserfreies Zinn-II- Es besitzt unter der Nummer E 512 innerhalb der
chlorid (SnCl2). So stellt man es technisch durch Europäischen Union sogar eine Zulassung als
Überleiten von Salzsäure-Dampf über Zinngrana- antioxidativer, säuernder und stabilisierender Le-
lien oder über Weißblechabfälle her. Das farblose bensmittelzusatzstoff.
(s. Abb. 34a, b), kristalline und hygroskopische Zinn-IV-bromid (SnBr4) schmilzt bzw. siedet
Salz schmilzt bereits bei 40 C im eigenen Kris- bei 31 C bzw. 202 C und hat im festen Zustand
tallwasser und lässt sich beim vorsichtigen Erhit- die Dichte 3,34 g/cm3. Der farblose (s. Abb. 35),
zen auf 100 C fast unzersetzt entwässern. Die an feuchter Luft rauchende Feststoff ist leicht in
Verbindung löst sich gut in Ethanol; in überschüs- Wasser löslich, allerdings tritt dabei Hydrolyse
sigem Wasser löst es sich unter weitgehender ein (Perry 2011, S. 483). Die Kristallstruktur
Hydrolyse zu weißem, basischem Zinn-II-chlorid. des Feststoffs ist monoklin (Blachnik 1998,
Nur in salzsaurer Lösung ist es ohne Zersetzung S. 1389; Reuter und Pawlak 2001). Bei der la-
löslich. Wasserfreies, kristallines Zinn-II-chlorid serunterstützten chemischen Abscheidung aus
schmilzt bei einer Temperatur von 247 C. der Gasphase ist es der wirksamste zinnhaltige
Zinn-II-chlorid-Dihydrat stellt man technisch Ausgangsstoff zur Erzeugung dünner Schichten
durch Lösen überschüssig eingesetzter Zinnspäne aus Zinn-IV-oxid. Wasserfreies Zinn-IV-bromid
in Salzsäure her; es fällt nach Auflösen der stö- ist durch Verbrennen von Zinn in Bromdampf
chiometrisch erfoderlichen Menge an Zinn aus herstellbar, wogegen das kristalline, bei Raum-
der heißen Lösung aus. temperatur relativ stabile Zinn-IV-bromid-Te-
Da es reduzierend wirkt, überführt Zinn-II- trahydrat beim Auflösen von Zinn-IV-oxid in
chlorid Silber- und Quecksilbersalze in das jewei- Bromwasserstoffsäure entsteht.
Grignardverbindungen und Zinn-IV-chlorid dar- tronische Bauteile für die Medizin- und Sicher-
stellen kann: heitstechnik sowie für die Luft- und Raumfahrt
beispielsweise immer noch Blei enthalten.
4 H3 CMgI þ SnCl4 ! SnðCH3 Þ4 Weißblech ist verzinntes Eisenblech, das zur
þ 4 MgICl Herstellung von Konservendosen benutzt wird.
Zinnmetall findet auch in der Homöopathie
Tetramethylzinn ist fast unlöslich in Wasser, Anwendung. Zur Herstellung von Tuben für Farb-
aber, wie zu erwarten, gut mischbar mit unpolaren pasten wie auch -früher- zur Produktion von
organischen Lösungsmitteln wie Hexan (Davies Lametta wird bzw. wurde Zinn verwendet, ebenso
2004; Scott et al. 2002). ist es nach wie vor Bestandteil von als Zahnfül-
Analytik Qualitativ weist man Zinn mittels der lung eingesetzten Amalgamen.
Leuchtprobe bzw. im Trennungsgang durch Fällung Durchsichtige, elektrisch leitende und infrarot-
mit Ammoniumpolysulfidlösung nach. Bei der reflektierende Beschichtungen aus Zinn- und In-
Leuchtprobe gibt man zur zinnhaltigen Lösung diumoxid auf Glasscheiben sind die Grundlage
20 %ige Salzsäure und Zinkpulver. Der bei der Auf- von LC-Displays (Nanning 1984).
lösung des Zinks frei werdende, naszierende Was- Hochreine Einkristalle aus Zinn finden Einsatz in
serstoff reduziert Sn2+/4+ bis zum Monostannan elektronischen Bauteilen. Zur Herstellung integrier-
(SnH4). In diese Lösung taucht man ein mit kaltem ter Schaltkreise mit immer höheren Anforderungen
Wasser gefülltes Reagenzglas ein, das danach im hinsichtlich deren Verkleinerung, Preis und Schnel-
Dunkeln in die nichtleuchtende Flamme des Bun- ligkeit findet die EUV-Lithografie Einsatz; das hier-
senbrenners gehalten wird. Tritt sofort eine blaue für benötigte sehr kurzwellige UV-Licht (Wellen-
Fluoreszenz ein, weist dies die Anwesenheit von länge 13,5 nm) wird zunehmend von zinnhaltigen
Zinn nach (Jander und Blasius 2006, S. 499). Plasmen erzeugt (Wagner und Harned 2010).
Quantitativ erfolgt die Bestimmung polarogra- Toxizität Einfache anorganische Zinnverbin-
phisch (Heyrovský und Kůta 1965) oder mittels dungen sind relativ ungiftig, wogegen organische
AAS, Hydridtechnik und Morin, um wichtige zu oft stark toxisch sind, da sie das Zinn schnell im
nennen (Cammann 2001). Körper verteilen. Dadurch kann gelöstes Zinn, wie
Anwendungen Zinn wird legiert mit Blei zum auch andere Schwermetallionen (z. B. Blei, Queck-
Bau von Orgelpfeifen verwendet eine Legierung, silber), die Schwefelatome schwefelhaltiger Amino-
die ihre Farbe lange behält und schwingungs- säuren (z. B. Cystin, Cystein) blockieren. Durch die
dämpfend wirkt. Jedoch sind dauerhaft tiefe Tem- jahrelange Verwendung von Tributylzinnderivaten
peraturen wegen der Umwandlung metallischen in Anstrichfarben für Schiffe reicherten sich diese in
in pulvriges, halbmetallisches α-Zinn schädlich den Meerwasserzonen rund um große Hafenstädte
für ausschließlich aus Zinn gefertigte, ältere an und beeinflussen darin bis heute Flora und Fauna.
Orgelpfeifen (Zinnpest). Inzwischen ersetzte
man das relativ teure Zinn daher durch billigere Patente
und gleichzeitig stabilere Werkstoffe. Deko- und (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Schmuckartikel stellt man aber weiter oft aus Zinn wide.espacenet.com)
oder seinen Legierungen (Bronze, Britanniametall)
her. W. Zeng und Y. Cao, Methods of making
Es ist zudem unverzichtbare Komponente tief- and using tin oxide film with smooth
schmelzender Metalllegierungen. Zum Löten auf surface morphologies (Applied Materi-
Leiterplatten setzt man heute eine bei rund 220 C als, Inc., WO 2019213337, veröffent-
schmelzende Legierung von Zinn, Kupfer und licht 7. November 2019)
Silber ein; bleihaltiges Lötzinn ist seit längerem
nicht mehr erlaubt. Wegen der bei tieferen Tem- (Fortsetzung)
peraturen stets drohenden Zinnpest müssen elek-
254 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
etwa 7 Mio. t produziert. China kommt für ein den fließen Blei und bleioxidbeladene Schlacke in
Viertel, die USA für ein Sechstel und Deutschland die Reduktionszone ab. Dort wird Kohlenstaub
für 5 % dieser Menge auf. Großbritannien, Italien, eingeblasen und das noch vorhandene Bleioxid
Frankreich und Spanien sind weitere wichtige zu Blei reduziert. Der Vorteil hierbei ist ein gerin-
Herstellländer für Hüttenweichblei. geres Abgasvolumen, das einen relativ hohen
Gewinnung Das Bleisulfid (Galenit, PbS) wird Gehalt an Schwefel-IV-oxid besitzt, was wiede-
zerkleinert, sortiert und flotiert, wodurch eine rum für die Herstellung von Schwefelsäure güns-
Anreicherung auf bis zu 60 % Mineralanteil er- tiger ist.
reicht wird. Das Erz wird dann mittels Röstreaktion Das so gebildete Werkblei enthält noch 2–5 %
und -reduktion, heute eher durch das umweltver- metallische Verunreinigungen (Zinn, Edelmetalle,
träglichere Direktschmelzverfahren in metallisches Arsen, Antimon, Bismut). Das folgende Schmel-
Blei überführt. zen mit Natriumcarbonat und -nitrat oxidiert Zinn,
Das fein zerkleinerte Bleisulfid legt man auf Arsen und Antimon, die in Form von Bleistannat,
einen beweglichen Rost und leitet von unten her -arsenat und -antimonat von der Oberfläche der
1000 C heiße Luft hindurch; man röstet es. Blei- Metallschmelze abgeschöpft werden (Antimon-
sulfid wird zu Blei-II-oxid und Schwefel-IV-oxid abstrich).
verbrannt. Letzteres wird ausgetragen und für die Die Metalle Kobalt, Nickel, Kupfer und Zink
Produktion von Schwefelsäure verwendet. Das entfernt man durch Seigern, Silber durch Zugabe
unter den herrschenden Bedingungen flüssige von Zink (Parkes-Verfahren) und Bismut nach Kroll
Blei-II-oxid fließt nach unten ab: und Betterton durch Legieren mit Calcium und
Magnesium; dieser „Bismutschaum“ schwimmt auf
2 PbS þ 3 O2 ! 2 PbO þ 2 SO2 der Oberfläche des flüssigen Bleis auf und kann von
dieser abgezogen werden.
Das Blei-II-oxid wird dann in einem Schacht- Eine zusätzliche, aber teure Möglichkeit der
ofen mit Koks zu Blei reduziert; dies unter Zufü- Reinigung ist die in wässriger Lösung durchführ-
gung schlackebildender Zusätze (Kalk): bare elektrolytische Raffination. Blei wird gemäß
der elektrochemischen Spannungsreihe leichter
PbO þ C ! Pb þ CO oxidiert als Wasserstoff (Pb2+ + 2e ! Pb; Nor-
malpotenzial E0: 0,125 V), jedoch besitzt
Hat das Bleierz bereits einen hohen Gehalt an Wasserstoff an Blei eine hohe Überspannung.
Bleisulfid, so röstet man es zunächst nur unvoll- Dadurch kann Blei elektrolytisch aus wässriger
ständig, so dass ein aus Bleisulfid (PbS) und Blei- Lösung abgeschieden werden.
oxid (PbO) bestehendes Gemisch entsteht. Jenes Raffiniertes Blei (Weichblei) besitzt eine Rein-
erhitzt man unter Ausschluss von Luft, so dass das heit von 99,9 % an aufwärts, Feinblei eine ab
Bleioxid mit dem übrigen Bleisulfid direkt zu Blei 99,985 %. Kabelblei ist eine Legierung mit einem
und Schwefel-IV-oxid reagiert (Röstreaktion): Kupferanteil von ca. 0,04 % Kupfer.
Eigenschaften Blei ist wesentlich edler als
PbS þ 2 PbO ! 3 Pb þ SO2 Eisen, Zink oder Aluminium (de Marcillac et al.
2003). Das weiche, duktile Schwermetall kristal-
Das modernere Direktschmelzverfahren läuft lisiert kubisch-flächenzentriert und lässt sich
kontinuierlich und ist auf Umweltschutz und leicht zu Blechen walzen oder Drähten formen.
Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Es gibt nur einen Eine Modifikation ähnlich der des Diamanten mit
Reaktionsraum; das mit reinem Sauerstoff durch- kovalenten Bindungen zwischen Bleiatomen bil-
geführte Rösten und Reduktion geschehen zeit- det das Element, im Gegensatz zum α-Zinn, Ger-
gleich in einem Reaktor. Das Bleisulfid wird manium, Silicium und Diamant, nicht mehr. Na-
ebenfalls nicht völlig geröstet; das Blei entsteht türlich vorkommendes Blei ist etwas härter
durch Reaktion des Bleisulfids mit Bleioxid. Aus aufgrund der in ihm enthaltenen Verunreinigun-
dem leicht abschüssig ausgerichteten Reaktorbo- gen (Audi et al. 2003).
256 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
Früher schrieb man mit Stiften aus Blei, die elektrische Leitfähigkeit, die aber weit unter
einen grauen Strich auf Papier hinterlassen. derjenigen anderer Metalle liegt. Unterhalb
Sein Schmelzpunkt liegt bei 327 C, sein Siede- von einer Temperatur von 266 C wird Blei
punkt bei ca. 1744 C (s. Tab. 6). Es besitzt supraleitend.
Blei überzieht sich an der Luft mit einer Schicht freien Benzins als Antiklopfmittel ein. Da sie
aus Bleioxid und ist so vor weiterer Oxidation leicht flüchtig sind, von der Haut resorbiert wer-
geschützt. In fein verteiltem Zustand ist Blei den und giftig sind (MAK-Wert Tetraethylblei:
leichtentzündlich. Es reagiert nicht mit Salz-, 0,075 mg/m3), verbot man bleihaltiges Benzin seit
Fluss- und Schwefelsäure, da sich an der Metall- 1998 in Deutschland, seit 2000 in der gesamten
oberfläche die jeweiligen schwer löslichen Salze Europäischen Union (Holleman et al. 2007,
Blei-II-fluorid, -chlorid und -sulfat bilden. In hei- S. 1011).
ßer konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure Chalkogenverbindungen Blei-II-oxid (PbO)
ist es jedoch löslich; in ersterer bilden sich schmilzt bzw. siedet bei 888 C bzw. 1470 C,
Sulfatoplumbat-Anionen, in letzterer leicht lösli- hat die Dichte 9,53 g/cm3 und ist nahezu unlöslich
ches Blei-II-nitrat. Die Oxidationszahl +2 ist sta- in Wasser. Es existiert in Form zweier Modifika-
biler als +4. tionen, als rote Bleiglätte (Lithargit) und als gelber
Die früher verbreiteten, aus Blei hergestellten Massicotit, die beide früher als Farbpigment ein-
Trinkwasserleitungen geben nur in hartem, stark gesetzt wurden (s. Abb. 38a, b). Blei-II-oxid stellt
carbonat- und/oder sulfathaltigem Wasser sehr man durch Überleiten von Luft über geschmolze-
geringe Mengen Blei ans Wasser ab. Ist das Was- nes Blei her; ebenso fällt es beim bereits beschrie-
ser weich und tritt sogar noch Luftsauerstoff benen Rösten von Bleisulfiderz an. Bei Raumtem-
hinzu, kann das Leitungsmaterial erhebliche Men- peratur ist die rote Modifikation stabil, die sich
gen Blei ans Wasser abgeben, was eine ernste oberhalb einer Temperatur von 488 C in die
Gesundheitsgefahr darstellt. gelbe, bei Raumtemperatur metastabile (Massico-
Verbindungen Die Verbindungen, in denen tit) umwandelt. Einfluss von Licht und Luft ver-
Blei mit der Oxidationszahl +2 auftritt, sind färben Blei-II-oxid schwarzbraun infolge Oxida-
am stabilsten. Blei-IV-Verbindungen sind meist tion zu Blei-IV-oxid. Es löst sich in Säuren, in
starke Oxidationsmittel. geringem Umfang auch in Basen.
Wasserstoffverbindungen (Monoplumban Blei-
wasserstoff, PbH4) ist ein sehr giftiges Gas mit
einem Siedepunkt von 13 C. Vor 20 Jahren
gelang seine Synthese aus Blei-II-nitrat und Na-
triumborhydrid (Snegirev et al. 1999). Eine ohne
Zuhilfenahme naszierenden Wasserstoffs auskom-
mende Darstellungsmethode beschreiben Yang
et al. (2005). Die Infrarot-Absorptionsbanden des
tetraedrisch strukturierten Moleküls (Bindungslänge
Pb-H: 173 pm) untersuchten Wang und And-
Abb. 38 a Blei-II-oxid (Hubertus Giefers 2007) b Blei-II-
rews (2003). oxid (Onyxmet 2019)
Plumban entsteht auch durch Einwirkung
atomaren Wasserstoffs auf fein verteiltes Blei,
ebenso durch thermische Zersetzung von Dime-
thylplumban [(CH3)2PbH2] bei Temperaturen
oberhalb von 50 C. Im Gegensatz zum analog
aufgebauten Molekül des Methans (CH4) ist
Plumban chemisch sehr instabil und leicht zer-
setzlich. Wenn man das Gas über eine erhitzte
Oberfläche leitet, zerfällt es unter Abscheidung
eines Bleispiegels. Beständiger als Plumban sind
Derivate mit organischen Substituenten, etwa Te-
tramethylblei [Pb(CH3)4] oder Tetraethylblei [Pb
Abb. 39 Blei-II, IV-oxid (Onyxmet 2019)
(C2H5)4]. Jene setzte man vor Einführung blei-
258 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
Abb. 41 a Blei-II-sulfid
(Onyxmet 2019) b Blei-II-
sulfid, Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2019) c Bleiglanz (Robert
M. Lavinsky, vor März
2010)
Abb. 42 a Blei-II-selenid, Sputtertarget (QS Advanced Materials 2019) b Blei-II-selenid (Stanford Advanced Materials
2019) c Blei-II-selenid (QS Advanced Materials 2019)
ausgelegt sind (Junior 2010, S. 107; Tritt 2005, Chlorieren von Blei darstellbar (Holleman et al.
S. 128; Dughaish 2002; Kanatzidis et al. 2011, 2007, S. 1013–1015). Die Verbindung ist nur schwer
2012; Vinayak et al. 2013; Kanatzidis 2009). in Wasser löslich und fällt daher aus bleihaltiger
Halogenverbindungen Blei-II-fluorid (PbF2) ist wässriger Lösung aus. Hierdurch fällt Blei nicht nur
durch Einwirkung von Fluorwasserstoff auf Blei- in der Schwefelwasserstoff-Gruppe, sondern auch in
II-hydroxid oder Blei-II-carbonat (Brauer 1975, der Salzsäure-Gruppe des Kationentrennungsganges
S. 232) zugänglich. Natürlich ist auch die Vereini- aus (Strähle und Schweda 1995, S. 245).
gung wässriger Lösungen von Kaliumfluorid und Im Kristallgitter des Blei-II-chlorids ist jedes
Blei-II-nitrat möglich, worauf das in Wasser sehr Bleiion von neun Chloridionen umgeben, die in
schwer lösliche Blei-II-fluorid aus der Lösung aus- Form verzerrter, dreifach überkappter, trigonaler
fällt. Der farblose Feststoff (s. Abb. 44) schmilzt Prismen angeordnet sind, die wiederum über
bei 824 C und hat in der bis hinauf zu einer gemeinsame Flächen miteinander verbunden
Temperatur von 316 C stabilen, orthorhombischen sind. Die Verbindung ist in kalter verdünnter Salz-
α-Modifikation eine Dichte von 8,24 g/cm3. Zwi- säure kaum löslich, in konzentrierter Salzsäure
schen 316 C und dem Schmelzpunkt ist die kubi- dagegen gut unter Bildung von Chloroplumbaten.
sche, im Fluorittyp kristallisierende β-Modifikation Das farblose Blei-II-chlorid (s. Abb. 45a, b)
stabiler. Die Schmelze siedet bei 1293 C. Blei-II- schmilzt bzw. siedet bei 500 C bzw. 950 C und
fluorid ist Bestandteil niedrig schmelzender Gläser hat unter Normalbedingungen eine Dichte von
und von Spiegeln zur Reflexion von Infrarot- 5,85 g/cm3. Man nutzt es noch als Flussmittel,
Strahlung. Bei der Produktion von Picolin dient es früher auch zur Herstellung von Farbpigmenten.
als Katalysator. Blei-IV-chlorid (PbCl4) ist bei Raumtempera-
Blei-IV-fluorid (PbF4) erhält man durch tur eine gelbe, ölige, an feuchter Luft rauchende
Umsetzung von Blei oder Blei-II-fluorid mit im Flüssigkeit, die sich oberhalb einer Temperatur
Überschuss eingesetzten Fluor (Brauer 1975, von 50 C zu Blei-II-chlorid und Chlor zersetzt.
S. 233) als farblosen, kristallinen Feststoff, der Ein schnelles Erhitzen auf Temperaturen um
sehr hydrolyseempfindlich ist. In feuchter Luft 100 C kann zum explosionsartigen Zerfall der
hydrolysiert er überraschend schnell zum braunen Verbindung führen.
Blei-IV-oxid. Die Verbindung kristallisiert tetra- Der Erstarrungspunkt des Blei-IV-chlorids
gonal; im Gitter liegen PbF6-Oktaeder vor, die liegt bei 15 C, die Dichte bei 3,18 g/cm3 (Hol-
über gemeinsame äquatoriale Brücken mit jeweils leman et al. 2007, S. 1015). Die PbCl4-Moleküle
vier benachbarten PbF6-Oktaedern in Form plana- haben eine tetraedrische Struktur (Pulham et al.
rer Schichten angeordnet sind (Bork und Hoppe 2002). Die Verbindung ist durch Einwirkung
1996; Holleman et al. 1995, S. 970). überschüssigen Chlors auf Blei zugänglich.
Blei-II-chlorid (PbCl2) kommt natürlich als Ebenso kann man Chlorgas in eine eisgekühlte
Mineral Cotunnit vor und ist durch Lösen von Blei Suspension von Blei-II-chlorid in Salzsäure ein-
oder Blei-II-chlorid in Salzsäure oder auch durch leiten, zu der man danach Ammoniumchlorid
gibt. Darauf fällt zitronengelbes Ammonium- Niederschlag ausfällt (Moore und Stanitski 2014,
hexachloroplumbat [(NH4)2PbCl6] aus, das man S. 105; s. auch Abb. 47a, b).
abfiltriert und in konzentrierte Schwefelsäure ein- Blei-II-iodid ist schwer löslich in Wasser,
trägt. Es scheidet sich dann öliges Blei-IV-chlorid schmilzt bei 402 C (Siedepunkt der Schmelze:
ab, das man vom Boden des Reaktionsgefäßes 954 C) und hat die Dichte 6,16 g/cm3. Unter
ablassen kann (Kolditz 1983, S. 406; Patnaik Normalbedingungen ist die Kristallstruktur trigo-
2002, S. 480; Vulte 2007, S. 40). nal (Raumgruppe 164). Es gibt außerdem mehrere
Blei-IV-chlorid ist ein starkes Oxidationsmittel bei erhöhtem Druck auftretende Modifikationen
und hydrolysiert in Wasser zügig zu Chlorwasser- (Tonkov 1992, S. 494).
stoff und Blei-IV-oxid. Einkristalle der Verbindung dienen als Detek-
Das farblose Blei-II-bromid (PbBr2) (s. Abb. 46) tor für Röntgen- und Gammastrahlen (Kasap und
kristallisiert mit orthorhombischer Struktur (Nieu- Capper 2006, S. 1129). Im 19. Jahrhundert nutzte
wenkamp und Bijvoet 1933), hat die Dichte man es vereinzelt als gelbe Malerfarbe, ersetzte es
6,66 g/cm3 und schmilzt bei 373 C (Siedepunkt aber wegen seiner Lichtempfindlichkeit und Gif-
der Schmelze: 916 C). Die Löslichkeit der Ver- tigkeit später (Siddall et al. 2007, S. 228). Noch
bindung ist in 0 C kaltem Wasser mit 4,55 g/L setzt man Blei-II-iodid unter Anderem in fotogra-
schwach. Einkristalle von Blei-II-bromid lumi- fischen Emulsionen, Iod-Batterien (Gellings und
neszieren bei Bestrahlung mit UV-Licht und bei Bouwmeester 1997, S. 387), Filtern für Infrarot-
Temperaturen unterhalb von 75 C (de Gruijter licht, Quecksilberdampflampen und thermoelek-
und Kerssen 1972). trische Materialien ein.
Blei-II-iodid (PbI2) gewinnt man durch Verei- Sonstige Verbindungen Das weiße (s. Abb.
nigen einer wässrigen Blei-II-salz- mit einer Al- 48a, b), kaum in Wasser lösliche Blei-II-sulfat
kaliiodidlösung, worauf Blei-II-iodid als gelber (PbSO4) hat eine Dichte von 6,3 g/cm3, schmilzt
bei 1170 C unter Zersetzung zu Blei-II-oxid und
Schwefel-VI-oxid, kommt in der Natur als rhom-
bisch kristallisierendes Mineral Anglesit vor. Es ist
nur in konzentrierter Schwefelsäure und starken Mi-
neralsäuren gut löslich (Hofmann 2013, S. 540; Hol-
leman et al. 1995, S. 978). Blei-II-sulfat löst sich
aber auch in starken Alkalilaugen unter Bildung von
Plumbaten wie etwa [NaPb(OH)3] (Hofmann 2013,
S. 540). In Bleiakkumulatoren besteht die Anode
aus porösem Blei oder Bleischwamm, die Kathode
aus Blei-IV-oxid und der Elektrolyt aus 37 %iger
Schwefelsäure; an beiden Elektroden bildet sich bei
Abb. 46 Blei-II-bromid (Onyxmet 2019)
der Entladung des Akkumulators Blei-II-sulfat (Blu-
menthal et al. 2007, S. 261):
Abb. 47 a Blei-II-iodid (W. Oelen 2008) b Blei-II-iodid Abb. 48 a Blei-II-sulfat (Walkerma 2005) b Blei-II-sulfat
(Onyxmet 2019) (Onyxmet 2019)
262 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
eines löslichen Blei-II-salzes und eines Alkali- skopisch. Das spektrale Maximum der emittierten
chromats ausgefällt. In der Industrie stellt man es Szintillationsstrahlung liegt bei 430 nm; bei dieser
aus Blei-II-acetat und Natriumdichromat her. Na- Wellenlänge beträgt der Brechungsindex 2,17.
türlich kommt die Verbindung in Form des in Die Ausbeute an Szintillationslicht ist gering und
der monoklinen Monazit-Struktur (Raumgruppe liegt nur bei 5 % derjenigen von Bismutgermanat
14, vier Formeleinheiten pro Elementarzelle) kris- oder 0,6 % von Natriumiodid. Die mit Bleiwolf-
tallisierenden Minerals Krokoit vor (Effenberger ramat erzielbare Lichtausbeute ist zudem stark
und Pertlik 1986). Es exisitiert ebenfalls eine or- abhängig von der Temperatur.
thorhombische Modifikation (Quittner et al. 1932; Blei-II-acetat [Pb(CH3COO)2 3 H2O] ist ein
Zocchi et al. 1959). farbloser (s. Abb. 53), bei einer Temperatur von
Blei-II-chromat zeigt als Pigment in Lacken 280 C schmelzender, kristalliner Feststoff der
und Farben eine gute Deckkraft, Brillanz und Dichte 3,25 g/cm3. Man mischte die Verbindung
Farbintensität. Trotzdem färbt es sich im Lauf unter dem Namen Bleizucker früher zum Süßen
der Zeit braun, da durch Reduktion des Chrom- Wein zu; naturgemäß traten hierdurch auch töd-
VI zu grünem Chrom-III eine dunklere Misch- liche Vergiftungen auf.
farbe entsteht. In älteren Gemälden ist dieser Tetramethylblei [(CH3)4Pb] und sein höheres
Effekt gut zu beobachten, initiiert und gefördert Homologes, das Tetraethylblei, setzte man bis
wird diese Reaktion vor allem durch den im Son- Mitte der 1980er-Jahre noch Ottokraftstoffen zu,
nenlicht enthaltenen Anteil ultravioletten Lichts, um deren Klopffestigkeit zu erhöhen. Diese Ver-
aber auch in den schwächer beleuchteten Museen bindungen verursachten aber große Probleme
macht sich diese Photoreduktion im Lauf der Jahr- durch Belastung der Umwelt mit Blei, daher sind
zehnte bemerkbar (van Tendeloo et al. 2013). diese seit drei Jahrzehnten aus Kraftstoffen dieser
Blei-II-chromat ist etwas stabiler, wenn es in Öl Art verbannt. Tetramethylblei stellt man im Labor
oder Kunstharzen eingebettet ist. durch Umsetzung von Blei-II-chlorid mit Gri-
Bleiwolframat (PbWO4) setzt man in Form von gnardverbindungen (I) oder von Blei-II-iodid mit
Einkristallen als strahlungsresistenten Szintillator Methyllithium und Iodmethan (II) her (Brauer
(Feldbauer 2009) in Kalorimetern ein, die in der 1975, S. 781); in der Technik erfolgte seinerzeit
Kernphysik verwendet werden. Man stellt diese die Produktion aus einer Blei-Natrium-Legierung
sowohl nach dem Czochralski- als auch dem und Chlormethan (III) (Carr 2005):
Bridgman-Stockbarger-Verfahren her (Ippolitova
et al. 2005; Han et al. 1999). Das farblose bis (I) 4 Mg + 4 CH3Cl ! 4 CH3MgCl
gelbliche Bleiwolframat (s. Abb. 52) kommt na- (II) 4 CH3MgCl + 2 PbCl2 ! Pb(CH3)4 + Pb +
türlich in Form der Minerale Stolzit und Ras- 4 MgCl2
pit vor. (III) PbI2 + 3 CH3Li + CH3I ! Pb(CH3)4 + 3 LiI
Die Verbindung schmilzt bei 1123 C, hat (IV) 4 PbNa + 4 CH3Cl ! Pb(CH3)4 + 4 NaCl +
eine Dichte von 8,28 g/cm3 und ist nicht hygro- 3 Pb
Tetramethylblei ist eine brennbare, farblose, stellt man daraus hochwertiges Glas her (Bleikris-
stark lichtbrechende Flüssigkeit mit süßlichem tallglas).
Geruch, die bei 110 C siedet und bei 28 C Rohre aus Blei werden seit mehreren Jahrzehn-
erstarrt. Sie ist kaum löslich in Wasser und zersetzt ten nicht mehr verbaut, da sich auf der Oberfläche
sich bei Temperaturen oberhalb von 90 C explo- des Metalls zwar eine Deckschicht aus schwer
sionsartig, wobei unter anderem Bleirauch ent- löslichem Bleicarbonat bildet, die aber die Auf-
steht. lösung von Blei im Wasser nicht vollständig un-
Anwendungen Die Autoindustrie ist mit terdrückt. Die so resultierenden Konzentrationen
einem Anteil von etwa zwei Dritteln des gesamten gelösten Bleis übersteigen die nach der Trinkwas-
Bedarfes der stärkste Verbraucher von Blei (fast serverordnung erlaubten deutlich (Stiftung Wa-
ausschließlich in Form von Blei-IV-oxid für Auto- rentest 2010).
batterien). Weitere 20 % werden in der chemi- Blei wird im Bauwesen eingesetzt, wo in Stein
schen Industrie verarbeitet. Die Weltmarktpreise eingelassene Metallteile von Blei umhüllt werden,
für Blei liegen heute bei etwa € 1475.- pro Tonne das das Bindeglied zwischen Stein und Metall ist.
(finanzen.net, 1. Mai 2020). Diese Technik ist seit dem Mittelalter verbreitet.
Wegen seiner Giftigkeit wird Blei dort, wo es Mit Walzblei fasst man Dachöffnungen (Fens-
möglich ist, ersetzt. Es hat aber immer noch eine ter) ein.
große Bedeutung als Material für Legierungen, Blei wurde und wird als Grundmaterial für
weil es leicht herstellbar ist und eine hohe Dichte Geschosse verwendet, dies wegen seiner hohen
sowie Beständigkeit gegenüber Korrosion besitzt. Dichte und Durchschlagskraft, und weil es durch
So ist es beständig gegenüber Schwefelsäure und Gießen auch leicht zu verarbeiten ist. Bleimuni-
zu einem hohen Grad auch Halogenen. Daher tion wird heute mit einer Kupferlegierung um-
wird es als Korrosionsschutz im Apparate- und mantelt, damit die Geschosse höhere Geschwindig-
Behälterbau eingesetzt. Das Bleikammerverfah- keiten erreichen können. Aus Bleischrot gefertigte
ren zur Herstellung von Schwefelsäure verwandte Jagdmunition ist wegen ihrer potenziellen Gefähr-
Blei als Behältermaterial. Auch in Überlandka- lichkeit für Mensch und Umwelt in der öffentlichen
beln fand es daher Einsatz. Diskussion (swr.de 2011; Lange 2002).
Blei wird durch Zulegieren anderer Metalle in Taucher benutzen Bleigewichte, z. B. auf den
seinen Eigenschaften wie Härte, Schmelzpunkt Hüftgurt gereiht oder in Form von Schrotkugeln
oder Korrosionsbeständigkeit verändert. Hartblei, in den Taschen einer Tarierweste, um im Wasser
eine im Apparatebau eingesetzte Legierung aus schnell absinken zu können. Der Ballast kann
Blei und Antimon, ist deutlich härter und daher erforderlichenfalls schnell abgeworfen werden.
mechanisch stabiler als reines Blei. Die früher zum Auswuchten von Autoreifen ver-
Letternmetall enthält 60–90 % Blei und als wendeten Bleigewichte sind seit zehn Jahren ver-
weitere Komponenten Antimon und Zinn. Wurde boten und durch andere, ähnlich schwere Metalle
es früher noch in großem Stil für den Buchdruck ersetzt worden. Blei ist auch Bestandteil von
gebraucht, spielt es heute nur noch zum Druck für Schwingungsdämpfern in erschütterungsemp-
klassische Ausgaben eine Rolle. findlichen Bauteilen von Autos und dient zur Sta-
Blei absorbiert effektiv Röntgen- und Gamma- bilisierung von Schiffen.
strahlung. Da es darüber hinaus relativ preiswert In einer Autobatterie sind jeweils eine Elek-
und gut verarbeitbar ist, setzt man es oft als trode aus Blei- und aus Blei-IV-oxid installiert, die
-noch weitgehend unverzichtbares- Material zum in 37 %ige Schwefelsäure als Elektrolyt tauchen.
Strahlenschutz ein. Die im hinteren Teil von in Dieser Akkumulator liefert eine Spannung von
Fernsehgeräten und Computern eingebauten Ka- 2,06 V. Bei der elektrochemischen Reaktion ent-
thodenstrahlröhren entstehenden weichen Rönt- steht unlösliches Blei-II-sulfat, das durch Wieder-
genstrahlen schirmt Blei wirkungsvoll ab. Bleihal- aufladen aber zurück in Blei und Blei-IV-oxid
tiges Glas ist ebenso dafür einsetzbar, daneben überführt wird.
5 Einzeldarstellungen 265
Blei war häufiger Bestandteil von Legierun- Ursache für die Toxizität des Bleis liegt darin,
gen, die zum Löten benutzt werden (u. a. Weich- dass es bestimmte (schwefelhaltige) Enzyme
lot); noch 1998 setzte man 20 000 t Blei darin ein. hemmt und so den Einbau von Eisenionen in das
Seit knapp zehn Jahren darf es aber kraft einer Molekül des Hämoglobins verhindert bzw. stark
entsprechenden EU-Verordnung in vielen Loten verzögert.
nicht mehr verwendet werden.
Analytik Die Anforderungen an die Analytik
Patente
sind bezüglich hochtoxischer Schwermetalle wie
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Blei sehr hoch. Bei der Atomabsorptionsspektro-
wide.espacenet.com)
metrie überführt man gelöstes Blei mittels Na-
triumborhydrid (NaBH4) in flüchtigen Bleiwas-
S. Itaru, Lead acid storage battery (Hitachi
serstoff (PbH4, Plumban), ein äußerst giftiges
Chemical Co., Ltd., WO2019216211
Gas vom Kondensationspunkt 13 C. Dieses
A1, veröffentlicht 14. November 2019)
zersetzt sich leicht in die Elemente. Es wird in
J. S. Cseh, Integrated temperature sensor on
eine Quarzküvette geleitet, die dann auf Tem-
lead selenide plate detector assembly
peraturen von über 900 C erhitzt wird. Die
(Koninklijke Philips NV, US 20193466
Absorption bei einer Wellenlänge von 283,3 nm
81 A1, veröffentlicht 14. November 2019)
wird mittels einer Hohlkathodenlampe gemessen
M. D. Babaran und A. C. L. Marquez, QFN
(Nachweisgrenze: <5 ng/ml) (Maleki et al. 1999;
pin routing thru lead frame etching (Texas
Townsend et al. 1998).
Instruments, Inc., US 2019348302 A1,
Die Atomemissionspektrometrie ermöglicht
veröffentlicht 14. November 2019)
den Nachweis von Blei in Trinkwasser bis hinun-
D. L. Williams und T. Brostrom, Bonding
ter zu Konzentrationen von 15,3 ng/ml (Zougagh
strip for fixing an electrode coil to a lead
et al. 2004; Chen et al. 2009).
body (Medtronic, Inc., US 2019344071
Die Massenspektroskopie analysiert das Isotop
206 A1, veröffentlicht 14. November 2019)
82Pb; die ICP-MS bestimmt die Konzentration
S. Yoshikawa und K. Tachibana, Lead-free
von in Urin gelöstem Blei bis herab zu 4,2 pg/g.
solder alloy and in-vehicle electronic
Toxizität Elementares, kompaktes Blei ist für
circuit (Senju Metal Industry Co., PT
den Menschen kaum giftig, da dessen Resorption
2982469 T, veröffentlicht 23. April
durch die Haut sehr schwach ist und sich auf dem
2019)
Metall an der Luft außerdem eine schwer wasser-
R. L. Clarke und S. R. Clarke, Devices and
lösliche Schicht aus Blei-II-carbonat bildet. Als
smelterless recycling of lead acid batte-
Staub wird es vor allem über die Lunge aufge-
ries (Aqua Metals Inc., PT 3072180 T,
nommen. Toxisch sind vor allem wasserlösliche
veröffentlicht 3. April 2019)
sowie organische Bleiverbindungen; letztere wer-
den leicht über die Haut resorbiert.
Seit 2006 gelten Stäube und andere über die
Lunge resorbierbare Formen von Blei und seiner 5.6 Flerovium
Verbindungen als krebserregend, Ausnahme ist
Bleichromat. Geschichte und Herstellung Das zu den Trans-
Im menschlichen Körper wird Blei akkumu- actinoiden gehörende Flerovium wurde schon
liert und nur sehr langsam wieder ausgeschieden, 1999 im Rahmen einer Kooperation des Vereinig-
da es sich in Knochen anreichert. Eine chronische ten Instituts für Kernforschung (JINR, Dubna/
Vergiftung äußert sich in Kopfschmerzen, Müdig- Russland) und des amerikanischen Lawrence
keit, Abmagerung und Defekten der Blutbildung, Livermore National Laboratory durch Bombar-
des Nervensystems und der Muskulatur. Eine dierung von Kernen des Isotops 24494Pu mit
akute Bleivergiftung kann tödlich enden. Die 48
20Ca-Nukliden erzeugt:
266 4 Kohlenstoffgruppe: Elemente der vierten Hauptgruppe
244
94 Pu þ 48 20 Ca ! 290 114 Fl þ 21 0 n IUPAC alle vom JINR in Dubna durchgeführten
Versuche und erkannte trotz einiger Inkonsisten-
Die Durchführung dieser Reaktion wurde zen die Entdeckung des neuen Elements 114 an
bereits zuvor, aber erfolglos versucht, worauf (Barber et al. 2011). In Dubna hatte man somit das
das JINR seine Versuchsapparaturen erneuerte, Recht der Erstbenennung (Koppenol 2002; Chatt
um das Target intensiver beschießen und die ent- 1979); man entschied sich zur Ehrung des Be-
standenen Nuklide besser voneinander trennen zu gründers der russischen Kernphysik, Georgi Fle-
können. Man entdeckte dabei ein einziges Nuklid rov.
des neuen Elements 114 (289114Fl), das mit einer Die von Isotopen einer je geraden Zahl von
Halbwertszeit von 30,4 s einen α-Zerfall mit einer Protonen und Neutronen ausgehenden Zerfallsrei-
emittierten Energie von 9,7 MeV erlitt (Oganessian hen erlauben eine leichtere Identifizierung des
et al. 1999a). Spätere Wiederholungen des Ver- Nuklids, als wenn dieses eine jeweils ungerade
suchs konnten dieses Ergebnis aber nicht reprodu- Zahl an Neutronen und Protonen aufweist (Fors-
zieren. Zuerst dachte man an die zwischenzeitliche berg et al. 2016a, b). Dies gilt besonders für die
Bildung eines metastabilen Nuklids 289m114Fl Anwendung der heißen Fusion, bei der ein größe-
(Oganessian et al. 2000, 2004a), später postulierte rer Teil der hergestellten Nuklide durch Spontan-
man die Bildung des Isotops 290114Fl, das dann ein zerfall verlorengeht. In Dubna stellte man 2015
Elektron unter Bildung von 290113Nh einfangen daher aus 4820Ca und 23994Pu bzw. 24094Pu leichtere
sollte. Isotope des Fleroviums her (283114Fl bis 285114Fl),
Im Frühjahr 1999 ersetzte das am JINR tätige wobei die Identifizierung des 285114Fl noch am
Team das 24494Pu-Target durch 24294Pu, um unter besten gelang (Thoennessen 2016; Oganessian
sonst gleicher Anwendung der oben stehenden et al. 2015; Barber et al. 2011). Am RIKEN erwog
Fusionsreaktion weitere Isotope des Elements man daher noch die kalte Fusionsreaktion
114 erzeugen zu können. Dieses Mal erhielt man
208
zwei Nuklide, die einem α-Zerfall einer Halb- 82 Pb þ 76 32 Ge ! 283 114 Fl þ 1 0 n,
wertszeit von 5,5 s untergingen und einem Isotop
287 287m um einen geringen Verlust wertvoller Isotope zu
114Fl oder 114Fl zugeordnet wurden (Oga-
nessian et al. 1999b, 2004b). Im Juni 1999 wie- haben und um diese Ergebnisse zu bestätigen
derholte man in Dubna den schon 1998 durchge- (Morita 2014).
führten Versuch und erhielt 289114Fl, für das man
eine Halbwertszeit des α-Zerfalls von 2,6 s ermit-
Der sowjetische Physiker Georgi Nikolaje-
telte. witsch Fljorow (Flerow) ( 2. März 1913
Zehn Jahre später, im Mai 2009, veröffentlich- Rostow am Don; † 9. November 1990 Mos-
te die Joint Working Party (JWP) der IUPAC kau) arbeitete auf den Gebieten Kernphysik,
einen Bericht, in dem sie die Entdeckung des Transurane und kosmische Strahlung. Er
Isotops 283112Cn anerkannte (Barber et al. 2009). war maßgeblich an der Entdeckung neuer
Dies schloss aber die Entdeckung des Isotops chemischer Elemente beteiligt. Nach erfolg-
114Fl mit ein, da jenes α-Zerfall zu eben diesem
287
tem Schulabschluss studierte Flerow in
283
112Cn erleidet. Das LBNL in Berkeley bestä- Leningrad (St. Petersburg) Physik und In-
tigte die Entdeckung von 286114Fl und 287114Fl im genieurwesen am Polytechnischen Institut.
Januar 2009. Im Juli 2009 folgte die GSI (das Kurze Zeit nach Abschluss seines Studiums
heutige Helmholtzzentrum für Schwerionenfor- bot Kurtschatow am Leningrader Phy-
schung, Darmstadt), die die Nuklide 288114Fl und sikalisch-Technischen Institut ihm an, seine
289 Arbeitsgruppe zu verstärken (Petrzhak 1940).
114Fl erzeugten. Im Jahr 2011 bewertete die
5 Einzeldarstellungen 267
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Pnictogene: Elemente der fünften
Hauptgruppe 5
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Zusammenfassung 1 Einleitung
Dieses Kapitel präsentiert Ihnen eine kompak-
te, umfassende Übersicht über die Pnictogene. Die Pnictogene (Elemente der Stickstoffgruppe)
Diese in chemischer Hinsicht vielseitigen Ele- sind eine sehr vielseitige Gruppe von Elementen!
mente können in zahlreichen Oxidationsstufen Im Periodensystem stehen diese in der fünften
auftreten. Ihr Charakter reicht von nichtmetal- Hauptgruppe. Die Atome der Pnictogene nehmen
lisch (Stickstoff, teils auch Phosphor) über entweder drei Elektronen auf (wie Stickstoff) oder
halbmetallisch (Arsen, Antimon) bis metal- geben bis zu fünf ab (wie Phosphor oder Arsen),
lisch (Bismut und Moscovium). Antimon ist um eine stabile Elektronenkonfiguration einneh-
schon seit einigen tausend Jahren bekannt, Ar- men zu können.
sen seit etwa 800, Phosphor seit 350 und Stick- Antimon bzw. seine Verbindungen waren be-
stoff sowie Bismut auch schon seit 250 Jahren. reits in Babylonien bekannt, von Arsen wissen wir
Selbst Moscovium ist in seinen Grundzügen seit seiner Entdeckung durch Albertus Magnus im
seit 15 Jahren beschrieben. Eine offenbar „al- Jahr 1250 auch schon sehr lange. Der Hamburger
te“ Elementenfamilie also? Keineswegs! Stän- Alchimist Brand entdeckte Phosphor Mitte des
dig erhalten Forscher und Anwender neue Er- 17. Jahrhunderts, von Stickstoff und Bismut ha-
gebnisse, es gibt derart viele Anwendungen, so ben wir seit Mitte des 18. Jahrhunderts Kenntnis,
dass wir hier nur das Wichtigste berichten kön- und sogar Moscovium ist seit jetzt schon seit
nen.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 277
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_5
278 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
↓
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Arsen, Antimon und Bismut treten in der Natur 4.2 Chemische Eigenschaften
auch elementar auf.
Pnictogene reagieren mit Metallen meist heftig zu
Oxiden, Sulfiden usw., mit Wasserstoff zu Pnicto-
3 Herstellung genwasserstoffen (H3X: Ammoniak, Phosphor-
wasserstoff, Arsenwasserstoff usw.). Sie bilden
Gasförmiger Stickstoff wird durch fraktionierte selten untereinander Verbindungen wie etwa die
Destillation flüssiger Luft gewonnen. Für die Her- Phosphornitride. Pnictogenoxide bilden, zusam-
stellung des Phosphors sind die Phosphatlager- mengebracht mit Wasser, Säuren: z. B. Salpeter-
stätten die wichtigste Quelle. Arsen, Antimon und säure (HNO3), Phosphorige und Arsenige Säure
Bismut werden entweder durch Rösten ihrer sulfi- (Summenformel H3XO3) aus den Oxiden der
dischen Erze hergestellt, oder man isoliert sie Summenformel X2O3 und Phosphorsäure, Arsen-
z. B. Antimon- als Nebenprodukt bei der Gewin- säure usw. (Summenformel H3XO4) aus den Oxi-
nung von Kupfer. den der Summenformel X2O5 (X steht für das
jeweilige Pnictogen).
4 Eigenschaften
5 Einzeldarstellungen
4.1 Physikalische Eigenschaften
Im folgenden Teil sind die Pnictogene jeweils
Wie bereits erwähnt, ist Stickstoff ein reines einzeln mit ihren wichtigen Eigenschaften, Her-
Nichtmetall. Phosphor kommt in Form einiger stellungsverfahren und Anwendungen beschrie-
Modifikationen vor, die vom Nichtmetall (weißer ben.
Phosphor) bis hin zum Halbmetall (schwarzer
Phosphor) reichen. Arsen und Antimon liegen in
ihrer jeweils stabilsten Modifikation als Halb- 5.1 Stickstoff
metalle vor, und Bismut sowie Moscovium sind
Metalle. Die physikalischen Eigenschaften sind Geschichte Natürlich vorkommende Verbindun-
nur teilweise nach steigender Atommasse abge- gen des Stickstoffs nutzte man schon seit der
stuft. So nimmt vom Stickstoff zum Bismut die Antike, wie etwa Nitrate und Ammoniumsalze.
Dichte zu, die Schmelz- und Siedepunkte sind Diese kommen sowohl in Gestalt eigener Minera-
aber sehr abhängig von der jeweiligen Modifika- lien als auch in Exkrementen vor. So gewann man
tion des betreffenden Elements. So zeigen Ar- Salpeter (Natriumnitrat) über lange Zeit aus dem
sen bzw. Antimon einen Sublimationspunkt von Boden von Ställen. Scheele (Kurzbiografie siehe
613 C bzw. einen Schmelzpunkt von 630 C, „Molybdän“) wies 1771 Stickstoff als Bestandteil
während das höhere Homologe Bismut einen we- der Luft nach; dies bestätigten die Ergebnisse der
sentlich tiefer liegenden Schmelzpunkt aufweist. 1772 von (Daniel) Rutherford durchgeführten
Generell weicht bei den Pnictogenen, wie auch Versuche. Bis zum Beginn der 1900er-Jahre stell-
bei allen anderen Hauptgruppen, das Kopfelement te Salpeter die einzige verfügbare Quelle für
(hier: Stickstoff) in seinen Eigenschaften drastisch Stickstoff dar. Das dann etablierte Frank-Caro-
von allen anderen ab. Phosphor als zweites Ele- Verfahren zur Produktion von Kalkstickstoff und
ment dieser Gruppe, vor allem in seiner schwar- das zur Herstellung von Salpetersäure eingesetzte
zen Modifikation, steht den höheren Homologen, Birkeland-Eyde-Verfahren machte den Stickstoff
Arsen und Antimon, wesentlich näher als Stick- der Luft erstmals nutzbar. Später kamen das
stoff. Auch seine Verbindungen (z. B. Wasserstoff- Haber-Bosch-Verfahren zur Synthese von Am-
verbindungen, Oxosäuren) sind denen des Arsens moniak aus Stickstoff und Wasserstoff und das
und Antimons relativ ähnlich, dass man hier von Ostwald-Verfahren zur Erzeugung von Salpeter-
einer homologen Reihe sprechen kann. säure aus Ammoniak hinzu.
280 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Der schottische Chemiker und Botaniker öffentlichte er sein Buch zur Elektrizitätsleh-
Daniel Rutherford ( 3. November 1749 re und promovierte danach in Jura (!) (Scho-
Edinburgh; † 15. November 1819 Edin- field 2004). Von 1774 bis 1780 verfasste er
burgh) entdeckte das Element Stickstoff. fünf Bände zu seinen „Versuchen und Be-
Er studierte Naturwissenschaften an der obachtungen an verschiedenen Arten von
Universität Edinburgh. In einem abge- Luft“. Daneben gründete Priestley 1774 in
schlossenen Luftraum entzündete er eine London die erste unitarische Kirchengemein-
Kerze; diese brannte und erlosch. Danach de und vertrat zunehmend radikale, reforme-
entzündete Rutherford weißen Phosphor, rische Ansichten. Diese und auch seine po-
der ebenfalls brannte und dann erlosch. Er litischen Aktivitäten für Menschenrechte
leitete die übrig gebliebene Gas durch eine führte zum Bruch mit zahlreichen Wissen-
Lösung, die das bei der Verbrennung der schaftlern. Da er auch für die Französische
Stoffe entstandene Kohlendioxid absorbier- Revolution Position bezog, zerstörten seine
te. Das danach verbleibende Gas erlaub- Gegner sein Haus und Labor in Birmingham.
te keine Verbrennung irgendeines Stoffes. Er verließ Birmingham und emigrierte 1794
von London in die Vereinigten Staaten. Er
Rutherford und sein Lehrer Black führten wurde 1782 Mitglied der American Acade-
das Ersticken der Flammen auf die Anwe- my of Arts and Sciences, aber er arbeitete
senheit des Phlogiston zurück; heute wissen meist nur noch als unitarischer Prediger und
wir, dass es sich größtenteils um Stickstoff Schriftsteller in Pennsylvania.
handelte. 1786 erhielt er in Edinburgh die
Ernennung zum Professor für Medizin und Der deutsche Chemiker Adolph Frank
Botanik und war für den Königlichen Bota- ( 20. Januar 1834 Klötze; † 30. Mai 1916
nischen Garten verantwortlich. 1819 starb Charlottenburg/Berlin) studierte von 1855
Rutherford in Edinburgh. bis 1857 Pharmazie, Naturwissenschaften
und Technologie an der Universität Berlin;
Der Naturwissenschaftler, Philosoph und 1857 bestand er das Staatsexamen zum
Theologe Joseph Priestley ( 24. März 1733 Apotheker. Von 1861 bis 1862 promovierte
Birstall/Leeds; † 6. Februar 1804 Nor- er in Chemie an der Universität Göttingen
thumberland County, PA, USA) stellte ab mit einer Arbeit über die Produktion von
den 1770er-Jahren zahlreiche damals noch Zucker. Frank errichtete 1861 in Staßfurt
unbekannte Gase (Sauerstoff, Stickstoff- die erste Kalifabrik und gilt als Begründer
dioxid, Kohlenmonoxid, Chlorwasserstoff, der deutschen Kali- und Celluloseindustrie.
Ammoniak, Schwefelwasserstoff etc.) dar.
Priestley nahm 1752 das Studium der Theo- 1861 wurde ihm das Patent auf kaliumchlo-
logie und alter Sprachen in Daventry auf. Ab ridhaltige Düngemittel erteilt. Ein anderes
1755 war er nonkonformistischer Prediger in Patent betraf die industrielle Herstellung
einer Gemeinde der Grafschaft Suffolk (Wil- iodfreien Broms aus Abraumsalzen. 1895
leford 1979; Schofield 1997; Lockemann meldeten er und Caro ein Verfahren zur Her-
1974). stellung von Calciumcyanamid (Kalkstick-
stoff) (Frank-Caro-Verfahren) an (Frank
Neben seiner intensiven Betätigung in Kir- und Caro 1895). Auf diesem Produkt bauten
chengemeinden begann Priestley 1758, phy- später die in der Landwirtschaft genutzten
sikalische Versuche durchzuführen. Ab 1763 Stickstoffdünger auf (Frank 1903; Rothe
lernte er die Grundlagen der Chemie und 1903). Da durch Hydrolyse des Kalkstick-
hielt sich jedes Jahr einige Wochen in stoffs Ammoniak entsteht, war Calcium-
London auf, um die damals führenden Wis- cyanamid auch die erste in großem Maßstab
senschaftler zu treffen. 1766 nahm ihn die verfügbare Quelle zur Herstellung von Am-
Royal Society of London auf, 1767 ver- moniak; erst das Haber-Bosch-Verfahren
5 Einzeldarstellungen 281
stellte später einen kostengünstigeren Pro- Der norwegische Physiker Kristian Olaf
zess dar. Noch 1895 gründeten Frank, Caro Bernhard Birkeland ( 13. Dezember
und weitere Teilhaber die Cyanidgesell- 1867 Kristiania/Oslo; † 15. Juni 1917 To-
schaft mbH; aus dieser entwickelte sich kio) war von 1896 an Mitglied der Norwe-
im Lauf der Jahre über die Bayrischen gischen Akademie der Wissenschaften und
Stickstoff-Werke AG die heutige SKW von 1898 an Inhaber eines Lehrstuhls der
Trostberg AG (Ziekursch 1961; Pötsch damaligen Königlichen Friedrichs-Univer-
et al. 1988). sität Kristiania. Er begann 1885 das Studi-
um der Chemie, Mathematik und Physik an
Der deutsche Chemiker Nikodem Caro der Universität Kristiania. Von 1893 bis
( 23. Mai 1871 Łódź, Russisches Kaiser- 1895 hielt er sich zu Studienzwecken im
reich/heute: Polen; † 27. Juni 1935 Rom) europäischen Ausland auf. Birkeland ließ
studierte Chemie an der Technischen Hoch- 1899 ein Observatorium für Nordlichter
schule Charlottenburg und an der Friedrich- bei Alta einrichten. Im Winter 1902/1903
Wilhelms-Universität Berlin. Als Erster betrieb er schließlich ein Netz aus vier Sta-
fertigte er am Lehrstuhl Liebermann seine tionen. Neben Alta betrieb er später drei
Diplomarbeit „Ueber Oxyaurine und Oxy- weitere Observatorien auf Island, Nowaja
aurincarbonsäuren“ (Caro 1892a, b). 1895 Semlja und Akseløya/Svalbard (Jago 2001;
promovierte er am Lehrstuhl Pinner der Birkeland 1908, 1913)
Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin mit
In Zusammenarbeit mit Eyde entwickelte er
der Arbeit „Ueber die Einwirkung von Hy-
1903 den Birkeland-Eyde-Prozess zur Her-
drazin auf Imidoäther“ (Pinner und Caro
stellung von Natriumnitrat, wobei der aus
1894, 1895).
der Luft stammende Stickstoff mittels ei-
nes elektrischen Lichtbogens oxidiert wird.
Zusammen mit Adolph Frank entwickelte Beide gründeten 1905 das Unternehmen
er 1895 das Frank-Caro-Verfahren zur in- Norsk Hydro, das die für diese Verfahren
dustriellen Produktion von Kalkstickstoff, erforderlichen hohen Elektrizitätsmengen
als sie an der Herstellung von Cyanverbin- aus Wasserkraft produzierte. Birkeland mel-
dungen aus Carbiden forschten. Ebenfalls dete 59 Patente an und wurde siebenmal für
1895 erhielten beide ein weiteres Patent den Nobelpreis vorgeschlagen, erhielt ihn
zur Herstellung von Cyaniden. 1899 grün- aber nie. Seit 1908 war er Ehrendoktor der
deten Frank, Caro und weitere Miteigentü- Technischen Hochschule Dresden. Er starb
mer die Cyanidgesellschaft. 1905 errichtete 1917 nach Einnahme einer Überdosis von
man in Italien eine Produktionsanlage für Barbituraten (Egeland und Leer 1986; Ege-
Kalkstickstoff. 1908 zog die Degussa ihre land und Burke 2005).
Beteiligung an der Firma zurück, worauf
die Umfirmierung über Bayerische Stick- Der norwegische Ingenieur Samuel Eyde
stoffwerke bis zu den Süddeutschen Kalk- ( 29. Oktober 1866 Arendal; † 21. Juni
stickstoffwerken AG lief. Aus dieser wurde 1940 Åsgårdstrand) war ein norwegischer
schließlich die SKW Trostberg AG. Ab Ingenieur und Industrieller.
1933 wurde Caro aufgrund seiner jüdischen
Herkunft verfolgt und musste nach Zürich Er studierte zunächst in Kristiania/Oslo In-
emigrieren. Er starb in Rom, wurde aber in genieurswesen, ging dann 1886 nach Berlin
Zürich begraben. Caro war Ehrensenator und bestand 1891 sein Examen als Bauin-
diverser Universitäten, Generalkonsul und genieur. Von 1891 bis 1895 plante er in
zweifacher Ehrendoktor. Er war Mitglied Deutschland neue Brücken und Eisenbahn-
der Russischen Akademie der Wissenschaften. trassen. Ab 1897 war er Mitinhaber der auf
282 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
den Bau von Wasserkraftwerken speziali- Von alliierter Seite wurde er daher ab 1918
sierten Firma Gleim & Eyde mit Niederlas- als Kriegsverbrecher gesucht und floh zeit-
sungen in Hamburg, Kristiania (heute Oslo) weilig in die Schweiz. Ab 1917 entwickelte
und Stockholm. 1905 gründete er mit Kris- Bosch die Schädlingsbekämpfung mittels
tian Birkeland und dem schwedischen Ban- Blausäure unter Anderem in Getreidesilos
kier Wallenberg das Unternehmen Norsk (Frucht 2005). Ab 1925 war Haber Mitglied
Hydro, das in der Anfangszeit Kunstdünger des Aufsichtsrates der I.G. Farben; 1926
mit dem nach Eyde und Birkeland benann- Mitbegründer des Japan-Instituts. Von
ten Birkeland-Eyde-Verfahren und unter 1922 bis 1933 war er Senator der Kaiser-
Nutzung der in Norwegen preiswert verfüg- Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der
baren Energie aus Wasserkraft produzierte. Wissenschaften. Nach der Machtübernah-
Ab 1907 bestand eine Kooperation mit der me durch die NSDAP ging Haber im Mai
BASF. 1912 wurden die ersten Anlagen zur 1933 in den Ruhestand, emigrierte dann
Erzeugung flüssigen Aluminiums und von Ende 1933 nach Cambridge und verstarb
Siliciumcarbid in Betrieb genommen. Eyde 1934 auf der Reise nach Israel, wohin er
war bis 1917 Direktor von Norsk Hydro und einen Ruf als Leiter des Weizmann-Instituts
war von 1918 bis 1922 Abgeordneter im erhalten hatte (Deichmann 1996; Szöllösi-
norwegischen Parlament, dem Storting. Janze 1998).
Von 1920 bis 1923 war er Botschafter sei-
nes Landes in Polen. Der deutsche Chemiker Carl Bosch ( 27.
August 1874 Köln; † 26. April 1940 Heidel-
Der deutsche Chemiker Fritz Haber berg) wurde zunächst als Schlosser und
( 9. Dezember 1868 Breslau; † 29. Januar Feinmechaniker in der väterlichen Firma
1934 Basel) studierte ab 1886 bei Bunsen ausgebildet, besaß aber bereits ein eigenes
an der Universität Heidelberg. Er wechselte Labor (Kerstein 1970, S. 323). Nach dem
dann nach Berlin an die Technische Univer- Besuch der Oberrealschule in Köln und ei-
sität Charlottenburg und wurde 1891 mit ner 1893 begonnenen Lehre in der schlesi-
der Arbeit „Ueber einige Derivate des Pipe- schen Marienhütte begann er 1894 Maschi-
ronals“ promoviert. Nach einigen weiteren nenbau und Metallurgie an der Technischen
Forschungsaufenthalten habilitierte Haber Hochschule Charlottenburg zu studieren.
sich am Institut für Physikalische Chemie Danach studierte er ab 1896 Chemie an
der Technischen Hochschule Karlsruhe der Universität Leipzig. 1898 promovierte
1896. Zwei Jahre später erhielt er in Karls- er mit der Arbeit „Über die Kondensation
ruhe die Ernennung zum außerordentlichen von Dinatriumacetondicarbonsäurediethy-
Professor für Technische Chemie. Ab dem lester mit Bromacetophenon“ (Holdermann
Jahr 1904 befasste Haber sich mit der und Greiling 1953; Krauch 1940).
katalytischen Bildung von Ammoniak, die
schließlich zur Entwicklung des Haber- Seit 1899 bei der BASF, wurde er 1909 dort
Bosch-Verfahrens führte (Haber und Le beauftragt, die zuvor von Fritz Haber im
Rossignol 1907). Für diese Erfindung wur- Labor betriebene Ammoniaksynthese bei
de Haber im Jahr 1919 nachträglich der hohem Druck und Temperatur in industriel-
Nobelpreis für Chemie des Jahres 1918 zu- len Maßstab umzusetzen. 1912 leitete
gesprochen. Bosch die neue Stickstoff-Abteilung; dort
ließ man die ersten Druckreaktoren mit
Im Ersten Weltkrieg beriet er das Kriegs- Weicheisen auskleiden, das frei von Kohlen-
ministerium zu Einsparung und Produktion stoff war. Der Außenmantel bestand aus koh-
von Explosivstoffen und war an der Ent- lenstoffhaltigen Stahl. Ziel war eine jährliche
wicklung von Kampfgasen beteiligt (Ange- Produktionsmenge von 100.000 t Ammo-
rer 1985; Dunikowska und Turko 2011). niak, die in der Folgezeit durch geeignete
5 Einzeldarstellungen 283
Modifikation der Synthese auch erreicht Nach dem 1871 abgelegten Abitur in Riga
wurde. Auf Anfrage des Kriegsministeriums begann er 1872 mit dem Chemiestudium an
baute die BASF auch eine Nitrat-Produktion der Universität Dorpat/Tartu. 1875 beende-
in Ludwigshafen auf. Nach der Gründung te Ostwald sein Studium und wurde Assis-
der „Kleinen IG Farben“ 1916, dem Kriegs- tent am physikalischen, später auch am che-
ende, der Wahl von Bosch zum Vorstands- mischen Institut. 1878 promovierte er mit
vorsitzenden der BASF erreichte Bosch eine der Arbeit „Volumchemische und optisch-
Milderung der allierten Bedingungen an die chemische Studien.“ 1880 ernannte ihn die
deutsche chemische Industrie. 1925 wurde Universität Dorpat zum Privatdozenten für
Bosch Vorstandsvorsitzender der großen physikalische Chemie. 1881 wechselte er
I. G. Farben, Leiter des Aufsichtsrats wurde auf eine Professur am Rigaer Polytech-
Carl Duisberg (Borkin 1990). nikum. 1905 ging er in die USA und hielt
an namhaften Hochschulen Vorlesungen
Auf Druck der Nationalsozialisten gab zur physikalischen Chemie und zur Natur-
Bosch seine Stelle 1935 an Hermann philosophie.
Schmitz ab. Weitere kritische Bemerkungen
Boschs über die deutsche Poltik ergaben, Ostwald wurde nach seiner Rückkehr nach
dass Rudolf Heß forderte, Bosch aller Äm- Deutschland bereits1906 emeritiert, forsch-
ter zu entheben und ihm öffentliche Auftrit- te einige Jahre privat und gründete 1913
te zu verbieten. Andererseits unterstützte seinen eigenen Verlag UNESMA. Er for-
Bosch die deutsche Wirtschaft und entließ mulierte darüber hinaus 1897 die nach ihm
nicht-arische Mitarbeiter erst zum letztmög- benannte Ostwaldsche Stufenregel, unter-
lichen Zeitpunkt. In einem mit Hitler ge- suchte ab 1900 die katalytische Umsetzung
führten Gespräch warnte er diesen davor, des Ammoniaks zu Salpetersäure im Labor
dass „die Vertreibung jüdischer Wissen- und entwickelte das Ostwald-Verfahren zur
schaftler die deutsche Physik und Chemie Herstellung von Salpetersäure durch die
um hundert Jahre zurückwerfen werde“. Oxidation von Ammoniak. Sein Schwieger-
Hitler habe schreiend geantwortet, dass sohn Eberhard Brauer errichtete 1901 bei
man „. . . dann eben hundert Jahre lang ohne Königs-Wusterhausen eine Versuchsanlage
Physik und Chemie arbeiten werde!“ Bosch zur Produktion von Salpetersäure, die 1902
erhielt unter Anderem die Ehrendoktorwür- begann und 1905 bei Bochum in einer grö-
de der Technischen Hochschule Karlsruhe, ßeren Anlage fortgesetzt wurde. 1909 er-
Gedenkmünzen der Gesellschaft Deutscher hielt Wilhelm Ostwald den Nobelpreis für
Chemiker und der Deutschen Bunsen-Ge- Chemie für seine Arbeiten über „Kataly-
sellschaft für Physikalische Chemie und se und die Bedingungen des chemischen
1931 den Nobelpreis für Chemie für den Gleichgewichtes und die Geschwindigkei-
Beitrag zur Erfindung der chemischen Hoch- ten chemischer Reaktionen“. Bosch war
druckverfahren. Mitglied einiger in- und ausländischer wis-
senschaftlicher Gesellschaften (Domschke
Der deutsch-baltische Chemiker und Philo- und Lewandrowski 1977; Dunsch 1982;
soph Friedrich Wilhelm Ostwald ( 2. Walden 1932).
September 1853 Riga; Livland (heute: Lett-
land); † 4. April 1932 Leipzig) war Profes-
sor an der Universität Leipzig. Er erhielt Vorkommen Stickstoff fördert die Verbrennung
1909 den Nobelpreis für Chemie für seine nicht, ist nicht brennbar, löscht Flammen und
Arbeiten über Katalyse sowie seine Unter- kann Lebewesen ersticken. Elementarer Stickstoff
suchungen über Gleichgewichtsverhältnis- tritt nur in Form zweiatomiger Moleküle (N2) auf
se und Reaktionsgeschwindigkeiten. und ist in der Luft zu 78 % enthalten. In der
284 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Erdkruste kommt anorganisch gebundener Stick- Gewinnung Stickstoff gewinnt man vor allem
stoff in Form von Nitraten und -vereinzelt- Am- durch fraktionierte Destillation verflüssigter Luft
moniumsalzen vor. Stickstoff ist in praktisch allen nach dem Linde-Verfahren. Damit lassen sich
Eiweißen und einer großen Zahl Naturstoffe ent- Reinheiten von bis zu 99,99999 % erzielen. Soll
halten; er ist essentiell für Lebewesen. der allerletzte Rest Sauerstoff entfernt werden,
Mikroorganismen können im Gegensatz zu kann dieser durch Pflanzen wie z. B. Reiskeimlin-
Pflanzen molekularen, elementaren und sehr re- ge, über die der Stickstoff geleitet wird, aufgenom-
aktionsträgen Stickstoff in ihren Körper einbauen. men werden.
So sind Bakterien wie Azotobacter und Cya- Deutlich weniger aufwändig und auch preis-
nobakterien in der Lage, Stickstoff aus der Luft werter kann man 99 %igen Stickstoff durch mehr-
zur Produktion körpereigener Proteine einzuset- stufige Adsorption/Desorption an Zeolithen erhal-
zen. Die Menge des Stickstoffs, die auf diese ten. Oder aber man presst Druckluft (Druck 5 bis
Weise gebunden werden kann, ist aber relativ 13 bar) durch eine Kunststoffmembran, wobei
gering; pro Hektar Ackerboden und Jahr können Stickstoff und Argon wesentlich langsamer durch
rund 5–15 kg gebunden werden. diese Membran diffundieren als Sauerstoff, Was-
Andere Bakterien siedeln sich in den Wurzeln ser und Kohlendioxid. Die Einstellung der Durch-
von Hülsenfrüchtlern an und werden von diesen strömgeschwindigkeit bestimmt die Reinheit, die
mit Nährstoffen versorgt. Im Gegenzug führt ein für Kleinmengen bis hinauf zu 99,995 % getrie-
in ihnen enthaltenes Enzym, die Nitrogenase, der ben werden kann.
Wirtspflanze Ammonium zu, das es aus Luftstick- Bei einem alten Verfahren leitet man Sauerstoff
stoff synthetisiert. Dies ist ein Musterbeispiel für über glühende Kohle und wäscht das entstandene
eine Symbiose. Kohlendioxid aus. Im Labor erzeugt man reinen
In Gebieten, in denen hohe Niederschlagsmen- Stickstoff durch Thermolyse von Ammoniumni-
gen auftreten, erzeugen häufig auftretende Gewit- trit (I) oder Natriumazid (II) bei erhöhter Tem-
ter bei elektrischen Entladungen Stick(stoff)oxide peratur (Brauer 1963, S. 457–460). Letztes Ver-
(NOx), die der Regen aus der Luft auswäscht. So fahren erfordert wegen der Explosivität von
erhält der Boden pro Jahr und Hektar immerhin Natriumazid aber große Vorsicht und die Einhal-
20 bis 25 kg Stickstoff zusätzlich zugeführt. Aus tung von Schutzmaßnahmen:
den Stickstoffoxiden werden im Boden schließ-
lich Nitrate gebildet. (I) NH4NO2 ! 2 H2O + N2
Seit gut hundert Jahren erzeugt das Haber- (II) 2 NaN3 ! 2 Na + 3 N2
Bosch-Verfahren Ammoniak aus Luftstickstoff
und Wasserstoff, das hauptsächlich zur Produktion Eigenschaften Das farb-, geruch- und geschmack-
von Düngern verwendet wird. Auch in Automoto- lose Gas kondensiert bei einer Temperatur von
ren entstehen beim Verbrennen des Kraftstoffes 196 C zu einer farblosen Flüssigkeit (s. Tab. 1).
zunächst Stickoxide, die in der Vergangenheit, ohne Es ist in Wasser nur sehr schwach löslich (23,2 mg
dass ein katalytischer Abbau oder eine Reinigung Stickstoff pro Liter Wasser bei 0 C) (Riedel und
zwischengeschaltet gewesen wäre, an die Umge- Janiak 2011).
bungsluft abgegeben wurden. Die heute in Moto- Stickstoff tritt in seinen Verbindungen vorwie-
ren eingebauten Katalysatoren reduzieren Stick- gend kovalent gebunden auf. Das Stickstoffatom
oxide zu Ammoniak. richtet seine vier äußeren Elektronenpaare gemäß
Im Boden liegt fast der gesamte chemisch ge- einer sp3-Hybridisierung aus. So gehen in Ver-
bundene Stickstoff organisch gebunden vor, nur bindungen wie Ammoniak, Aminen generell und
ein sehr kleiner Teil ist in Form von Ammonium Hydroxylamin vom Stickstoffatom stets drei Ein-
und Nitrat gebunden. Der Kohlenstoffgehalt des fachbindungen in Form jeweils eines Elektronen-
Bodens ist eng an die Konzentration des Stick- paares aus. Zudem befindet sich am Stickstoff-
stoffs dort gekoppelt. atom noch ein freies Elektronenpaar, das für
5 Einzeldarstellungen 285
dessen vorwiegend nukleophilen und basischen tallinen Stickstoff zu erzeugen. Dieser ist aller-
Charakter verantwortlich ist. dings sehr instabil und neigt zu explosionsartiger
Molekularer Stickstoff (N2) ist, bedingt durch Zersetzung.
die stabile NN-Dreifachbindung, sehr reaktions-
träge; die Bindungsdissoziationsenergie liegt bei Verbindungen Die große Gruppe der Stickstoff-
942 kJ/mol (Holleman et al. 2007, S. 653). Es Wasserstoffverbindungen gründet auf Ammoniak
bedarf der Zufuhr großer Energiemengen bzw. (NH3) und Hydrazin (N2H4). Ammoniak ist ein
einer durch Katalysatoren aufzuwendenden Akti- farbloses, giftiges, wasserlösliches Gas von ste-
vierungsenergie, um diese Bindung zu brechen chendem Geruch. Seine wässrige Lösung reagiert
und Stickstoff zu chemischen Reaktionen zu ver- basisch (Ammoniakwasser oder „Salmiakgeist“).
anlassen. Größtenteils wird es zu Düngemitteln, vor allem
2004 gelang es Forschern des Mainzer Max- Harnstoff und Ammoniumsalzen, weiter verarbei-
Planck-Instituts für Chemie, durch Anwendung tet. Hergestellt wird es fast ausschließlich über das
hoher Drücke (>110 GPa) bei extrem hohen Tem- sehr energieintensive Haber-Bosch-Verfahren mit
peraturen (>2000 K) einen polymeren und kris- Wasserstoff und Stickstoff als Ausgangsstoffen
286 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
(Appl 2006). Nach Abtrennung des Kohlen- Bei der klassischen Raschig-Synthese wird
dioxids werden Stickstoff und Wasserstoff im ge- Ammoniak mit Natriumhypochlorit oxidiert, wo-
eigneten Verhältnis gemischt, dabei meist auf ei- bei sich Monochloramin als Zwischenprodukt bil-
nen Druck von 150 bis 200 bar komprimiert und det (I), das mit weiterem Ammoniak zu Hydrazin
auf eine Temperatur von 400 bis 500 C erhitzt. weiterreagiert (II):
Katalysatoren sind hierfür meist Eisenverbindun-
gen, denen Aluminium- oder Calciumoxid zuge- (I) NH3 + ClO ! NH2Cl + OH
mischt sind. Gegenwärtig liegt die jährliche (II) NH2Cl + NH3 + OH ! N2H4 + Cl + H2O
Produktionsmenge bei rund 150 Mio. t; die wich-
tigsten Produktionsländer sind China, Russland und Erleichtert wird dieses mittels Druckeinspei-
die USA (U.S. Department of the Interior 2009). sung von Ammoniak betriebene Verfahren durch
Wasserstoffverbindungen Ammoniak (NH3) Freisetzung großer Reaktionswärme in Schritt I,
kondensiert bei einer Temperatur von 33 C zu die das Reaktionsgemisch auf über 100 C er-
einer stark lichtbrechenden, farblosen Flüssigkeit. hitzt.
Bei 20 C genügt ein Druck von 9 bar zur Ver- Der Bayer-Prozess nutzt dieselben Ausgangs-
flüssigung. Die kritische Temperatur beträgt chemikalien (Natriumhypochlorit/Ammoniak);
132,4 C, der kritische Druck 113 bar [32]. Bei der Zusatz von Aceton ergibt jedoch schon im
77,7 C erstarrt Ammoniak zu farblosen Kris- ersten Schritt ein Ketazin (Me2C¼N-N¼CMe2),
tallen. Im Vergleich zu den Wasserstoffverbindun- das man mit Wasser bei einem Druck von 8–12 bar
gen seiner homologen Elemente [Monophosphan und Temperaturen um 180 C zu Hydrazin und
(PH3), Monoarsan (AsH3)] liegen sein Siede- Aceton hydrolysiert. Letzteres wird in den Pro-
punkt und auch seine Verdampfungswärme zess zurückgeführt.
(23,35 kJ/mol) relativ hoch, da seine Moleküle Das Pechiney-Ugine-Kuhlmann Verfahren ist
in der flüssigen Phase Wasserstoffbrückenbindun- das modernste und wird hauptsächlich ange-
gen ausbilden (Holleman et al. 2007, S. 665). wandt. Dabei oxidiert man Ammoniak mit
Flüssiges Ammoniak ist ein gutes polar-pro- Wasserstoffperoxid (H2O2) in Anwesenheit von
tisches Lösungsmittel und ähnelt hierin Wasser. Methylethylketon als Ketazinbildner; Natrium-
Es löst Ester, Alkohole und Phenole, ebenso Alka- dihydrogenphosphat und Acetamid fungieren
li- und Erdalkalimetalle. Letztgenannte Lösungen als Katalysatoren. Der Vorteil dieses Prozesses
sind blau und enthalten solvatisierte Metallionen sind geringerer Energieverbrauch und das Fehlen
und Elektronen. Ebenso bildet Ammoniak Ammin- zwangsweise anfallender Chloride.
komplexe mit vielen Übergangsmetallen, von de- Wasserfreies Hydrazin ist eine endotherme Ver-
nen die stabilsten mit Cr3+, Pd2+, Pt4+, Ni2 + und bindung, die in wasserfreiem Zustand explosiv ist.
Cu2 + eingegangen werden. In Form verdünnter wässriger Lösungen („Hydra-
Ammoniak ist Ausgangsstoff für die Produktion zinhydrat“, siehe Abb. 2) ist es ein effektives Mittel
vieler anderer Stickstoffverbindungen. Knapp die zur Korrosionsverhinderung in Wasser-Dampf-
Hälfte entfällt dabei auf Harnstoff, aus dem man Kreisläufen, da es die auf Stahloberflächen gebil-
Dünger und Harnstoffharze herstellt. Ebenso pro- dete, lose Deckschicht des Eisen-III-oxids in eine
duziert man weitere Dünger direkt aus Ammoniak aus Eisen-II, III-oxid (Fe3O4) bestehende umwan-
(Apodaca 2019). Auch Salpetersäure erzeugt man delt, die auf dem Metall fest haftet und dieses vor
ausgehend von Ammoniak nach dem Ostwald- weiterem Angriff durch Wasser schützt. Besonders
Verfahren. Bei Kontakt zu den bei der Synthese in Wasser-Dampfkreisläufen ist praktisch keine
eingesetzten Platinkatalysatoren reagiert Ammoni- Wasserhärte vorhanden, weswegen das Wasser ex-
ak mit Sau zu Stickoxiden, die sich mit Wasser trem korrosiv ist und man hochwirksame Korrosi-
weiter zu Salpetersäure umsetzen. onsinhibitoren benötigt.
Hydrazin (N2H4) kann man technisch auf meh- Hydroxylamin (NH2OH) ist durch Reduktion
rere Arten herstellen, die sich aber hinsichtlich von Stickoxiden, Nitrit oder Nitrat mit Wasser-
ihres Reaktionsmechanismus ähneln. stoff, Schwefliger Säure oder elektrischem Strom
5 Einzeldarstellungen 287
durchgeführte Oxidation von Hydrazin (I) oder schlug es als Narkotikum bei Operationen vor.
auch die Umsetzung von Natriumamid und Na- Als erster Zahnarzt verwendete es Wells 1844
triumnitrat, beide gelöst in flüssigem Ammoniak bei der Extraktion eines Zahnes (Mayrhofer 1971,
(II): S. 14; Weißer 2005, S. 820). Andrews setzte das
Anästhetikum Lachgas in Mischung mit Sauer-
(I) 17 N2H4 + 16 HNO3 ! 4 HN3 + 4 NH4NO3 + stoff als Erster bei einer im Krankenhaus durch-
4 N2O + 11 N2 + 32 H2O geführten chirurgischen Operation ein (Andrews
(II) 2 NaNH2 + NaNO3 ! NaN3 + 1868).
2 NaOH + H2O Man stellt die Verbindung durch kontrollierte
thermische Zersetzung chloridfreien Ammonium-
Die kontrollierte Herstellung reiner Stickstoff- nitrats (Holleman et al. 1995, S. 689) oder durch
wasserstoffsäure erfolgt am besten aus reinem Erhitzen einer aus Natriumnitrat und Ammonium-
Natriumazid und einer schwachen organischen sulfat bestehenden Mischung her, beides zur Ver-
Säure wie Stearinsäure (Brauer 1963, S. 472). meidung von Explosionen bei Temperaturen
Die freie Stickstoffwasserstoffsäure ist farblos, unterhalb von 300 C. Daneben verursachen Ver-
leicht beweglich, sehr giftig und hochexplosiv. brennungsprozesse und übermäßige Düngung
Sie schmilzt bzw. siedet bei 80 C bzw. 35,7 C, landwirtschaftlich genutzer Fläche die Freiset-
hat eine Dichte von 1,09 g/cm3 und besitzt mit zung erheblicher Mengen an Distickstoffoxid in
einem pKs von 4,6 in Wasser fast dieselbe Stärke die Atmosphäre (Crutzen et al. 2008; Mäder et al.
wie Essigsäure (Holleman et al. 2007, S. 681; 2019). So setzt der Anbau von Raps, bedingt
Perry und Phillips 1995, S. 193). Die Stickstoff- durch starke Düngung, erhebliche Mengen an
atome im Molekül der Stickstoffwasserstoffsäure Distickstoffmonoxid frei, die wegen des hohen
sind nicht streng linear angeordnet. Das Azidion Treibhauspotenzials des Gases die Klimabilanz
gehört zur Gruppe der Pseudohalogenidionen, da des Rapses deutlich verschlechtern.
sich Azide in mancher Hinsicht ähnlich wie Ha- Leider gehen die Bemühungen zur Senkung
logenide verhalten. des Ausstoßes von Kraftwerken oder von mit
Die wasserfreie Säure explodiert beim Erwär- Dreiwege-Katalysator ausgerüsteten Verbren-
men und bei schwacher Erschütterung. Auch kon- nungsmotoren an Stickoxiden wie NO und NO2
zentrierte Lösungen darf man weder erhitzen, an- oft einher mit einer erheblichen Zunahme der
stoßen oder plätschernd umfüllen! Nur wässrige Lachgasemission.
Lösungen bis zu einem Gehalt von 20 % HN3 sind Die Produktion von Adipinsäure, einem Vor-
nicht explosiv. Behältermaterial ist meist Poly- podukt von Polyamidfasern, setzt ebenfalls
ethylen, Glas, Edelstahl oder Aluminium. Distickstoffoxid frei; hier bemühen sich die je-
Für das -bei einer Temperatur von 275 C un- weiligen Hersteller um eine Reduktion des Aus-
zersetzt schmelzbare- Natriumazid gibt es viele stoßes.
Anwendungen. So stellt man mit seiner Hilfe In der Atmosphäre hat das N2O-Molekül eine
Triazole her, auch sonst nutzt man es in zahlrei- sehr lange Lebensdauer; man kann seinen Beitrag
chen organischen Synthesen. In dem in Airbags zum Treibhauseffekt mit ca. 10 % beziffern. Au-
eingesetzten Treibmittel war es bis 1995 enthal- ßerdem erhöht es infolge seines Abbaus in der
ten. Das aus ihm erzeugte Bleiazid ist als Ini- Stratosphäre die Konzentration radikalischer Mo-
tialsprengstoff verwendbar. leküle, die am Abbau der dortigen Ozonschicht
Stickoxide Stick(stoff)oxide sind mit Ausnah- beteiligt sind. In dieser Funktion ist es gefähr-
me des als Anästhetikum („Lachgas“) verwende- licher als alle Halogenkohlenwasserstoffe zusam-
ten Distickstoffmonoxids (N2O) sehr giftige, meist men (Ravishankara et al. 2009). Glücklicherweise
endotherme und damit instabile Verbindungen. wird Distickstoffmonoxid in der Stratosphäre
Distickstoffmonoxid (N2O) stellte erstmalig ebenfalls in erheblicher Menge abgebaut.
Priestley 1772 her. Davy entdeckte Ende des 18. In kaltem Wasser löst sich das bei 88,5 C
Jahrhunderts seine betäubende Wirkung und kondensierende Lachgas (die Flüssigkeit erstarrt
5 Einzeldarstellungen 289
Lösungen mit Konzentrationen von bis zu 18 % Sonstige Verbindungen Blausäure (HCN) und
gelten als ungefährlich; konzentriertere und die ihre Salze, die Cyanide, sind hochgiftig, weil die
Reinsubstanz ohnehin können beim Erwärmen ex- stabilen, eine CN-Dreifachbindung aufweisen-
plodieren. Das Molekül des Trichlornitrids hat py- den Cyanidionen sich an das im Hämoglobin ent-
ramidale Struktur mit einem Cl-N-Cl-Winkel von haltene Eisen-III-ion anlagern und es so für die
107,78 und einer Länge der N-Cl-Bindung von Aufnahme von Sauerstoff blockieren, was bei
175,3 pm. Wasser hydrolysiert die im Tierversuch Einatmen größerer Mengen zum Tod durch Ersti-
giftig wirkende Verbindung zu Ammoniak und cken führt. In Bittermandeln liegen geringe Kon-
hypochloriger Säure (Klapötke et al. 2003, S. 75). zentrationen an Blausäure vor. Kaliumcyanid
Stickstoff-III-bromid (NBr3, Tribromnitrid) ist (KCN, „Zyankali“) kam als tödlich wirkendes
ein hochempfindlicher, roter Feststoff, den man Gift bei Hinrichtungen zum Einsatz. Organische
durch Bromieren von Stickstoff-III-chlorid erhält Cyanide heißen Nitrile (R-CN), z. B. Acetonitril
(Holleman et al. 2007, S. 702). Eine andere Mög- (H3C-CN), die man vielfach als Lösemittel bzw.
lichkeit der Darstellung besteht in der Umsetzung in Synthesen einsetzt.
einer aus Ammoniumbromid, Natriumchlorit und Zu den organischen Stickstoffverbindungen
Eisen-III-bromid bestehenden Mischung zählen die jeweils großen Gruppen der Amine,
Amide, Aminosäuren -aus denen Eiweiße auf-
NH4 Br þ NaClO2 þ 2 FeBr3 gebaut sind-, die Azofarbstoffe (Anilingelb),
! 2 FeBr2 þ NaCl þ 2 H2 O þ NBr3 , Sprengstoffe (Nitroverbindungen), stickstoffhalti-
ge Heterocyclen (Alkaloide wie Morphin, Coffein
ferner in der Reaktion von Bis(trimethylsilyl)bro- usw.) und die Gerüstmoleküle, die unsere Erbsub-
mamin mit Bromchlorid in n-Pentan bei Tempera- stanz tragen.
5 Einzeldarstellungen 293
Anwendungen Zur Befüllung von Reifen großer Metallische Werkstoffe lassen sich durch
Flugzeuge setzt man Stickstoff ein, da er zumindest „Tiefkühlen“ in flüssigem Stickstoff künstlich al-
von innen die Bildung von Bränden verhindert, die tern. Ebenso schrumpft man Getriebewellen so
durch die bei Start und Landung auftretende Rei- weit, dass die später aufgesetzten Zahnräder durch
bungshitze gefördert werden können. Wegen seiner Pressdruck sicher auf der Welle halten.
chemischen Inertheit dient er auch als Lampenfüllgas; Die sogenannte „Stickstoffbestattung“ (Pro-
ebenso ist er als Schutzgas zum Schweißen und als mession) wird in einigen Ländern, jedoch noch
Treibgas, Packgas sowie als Treibmittel zum Auf- nicht Deutschland, als Alternative zur Krematori-
schlagen von Sahne als Lebensmittelzusatzstoff E umsbestattung (Verbrennung der Leichen) durch-
941 zugelassen (Zusatzstoff-Zulassungsverordnung, geführt. Man friert den Leichnam in einem Bad
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher- aus flüssigem Stickstoff ein und zermahlt den
schutz 1977). Ist die Anwendung hoher Drücke in erstarrten Körper danach zu einem Pulver, der in
Getränkezapfanlagen aufgrund langer Leitungen oder einer biologisch abbaubaren Urne beigesetzt wird.
besonderer Höhenunterschiede erforderlich, so setzt
man Stickstoff zusammen mit Kohlendioxid als Patente
Druckgas ein. (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Stickstoff ist neben Wasserstoff der Ausgangs- wide.espacenet.com)
stoff für die Produktion von Ammoniak nach dem
Haber-Bosch-Verfahren. Eine große Zahl von G. M. Bologna et al., Control apparatus and
Verbindungen des Stickstoffs findet in organi- method with NOx sensor cross sensitivity
schen Synthesen sowie Düngemitteln Einsatz. for operating an internal combustion engi-
Viele Sprengstoffe enthalten chemisch gebunde- ne (GM Global Tech Operations LLC, US
nen Stickstoff; meist sind dies Nitroverbindungen. 2019376426 A1, veröffentlicht 12. De-
Liegen genügend Nitrogruppen im Molekül vor, so zember 2019)
etwa bei Pikrinsäure oder Dynamit, so reagieren die J. C. Liu et al., Diesel oxidation catalysts for
Sauerstoffatome der Nitrogruppen leicht mit den ultralow NOx control (BASF Corp.,
Kohlen- und Wasserstoffatomen desselben Mole- WO 2019229675 A1, veröffentlicht
küls; oft reicht als Anregung bereits ein Schlag oder 5. Dezember 2019)
Temperaturerhöhung aus. Als Produkte entstehen F. Guillou und S. Bertholin, CLC Method
zahlreiche Gase, die sich mit großer Wucht und and facility with production of high-
entsprechender Sprengwirkung ausdehnen. purity nitrogen (IFP Energies Now; Total
Da der Siedepunkt flüssigen Stickstoffs (Dichte Raffinage Chimie, PL 3325878 T3, ver-
0,8085 kg/L) bei 196 C liegt, kann er zur Ver- öffentlicht 29. November 2019)
flüssigung aller höher siedenden Gase wie Sauer-
stoff, Argon, Krypton etc. verwendet werden
(Römpp online). Man verwendet ihn deshalb auch
zur Erzielung supraleitender Eigenschaften von mit 5.2 Phosphor
seiner Hilfe gekühlter Materialien, zur Kühlung von
Infrarot-Fotoempfängern und zur Lagerung bzw. Geschichte Der deutsche Apotheker Hennig
zum Schockfrieren biologischer und medizinischer Brand entdeckte den weißen Phosphor 1669, als
Proben. Meist bewahrt man Flüssigstickstoff in De- er den nach Eindampfen von Urin erhaltenen tro-
war-Gefäßen auf, die einen isolierenden Mantel ckenen Rückstand unter Luftausschluss glühte.
ähnlich einer Thermoskanne enthalten. Dabei wurden die im Urin vorhandenen Phosphate
Im Tiefbau setzt man ihn zur Bodenvereisung durch die darin gleichfalls enthaltenen organischen
ein. Bei der Wiederaufarbeitung gebrauchter Ka- Verbindungen zu weißem Phosphor reduziert, der
bel entfernt man den isolierenden Kunststoff, in- im Dunkeln wegen seiner Chemolumineszenz
dem man ihn durch Tauchen in flüssigen Stickstoff leuchtete (Oppenheim 1876, S. 236).
spröde macht, so dass er leicht vom umhüllten Weißer Phosphor wurde anfangs wegen sei-
Metall (Kupfer, Aluminium) entfernt werden kann. ner Chemolumineszenz als Heilmittel eingesetzt.
294 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Arbeit über die galvanische Herstellung von beim Abkühlen wieder. Da die Abkühlung
Edelmetalloxiden wurde er von der Philoso- steuerbar ist, lassen sich so Einkristalle
phischen Fakultät der Universität Münster fertigen. Bridgman wurden neben dem No-
zum Ordinarius berufen, 1856 wurde er dort belpreis weitere wissenschaftliche Aus-
ordentlicher Professor. 1879 lehrte er nur zeichnungen zuteil, so die Rumford-
noch Physik, da er an der Schaffung eines Medaille der American Academy of Arts
weiteren Lehrstuhls für Chemie an dersel- and Sciences, die Cresson-Medaille des
ben Universität mitbeteiligt war. Franklin Instituts, die Roozeboom-Me-
daille der Königlich Niederländischen
Hittorf arbeitete über die Allotropie des Akademie der Wissenschaften und den
Phosphors und Selens und erkannte, dass Comstock-Preis für Physik der National
der Wechsel der Modifikationen bei defi- Academy of Sciences. Bridgman erhielt
nierter Umwandlungstemperatur und mit außerdem einige Ehrendoktorwürden (Wal-
bestimmter Wärmetönung erfolgt. Hittorf ter 1990; McMillan 2005).
war Mitglied in- und ausländischer Wis-
senschaftsgesellschaften, erhielt den Orden
Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste Vorkommen In der Natur kommt Phosphor nur
1897 und den Bayerische Maximilians- chemisch gebunden vor, meist als Phosphat in der
orden für Wissenschaft und Kunst. Hittorf Erdkruste [Gehalt in der Erdkruste: ~0,09 % (Hol-
ist Ehrendoktor der Medizin und Naturwis- leman et al. 1985)]. Wichtige Mineralien sind die
senschaften und seit 1914 Ehrenbürger der Apatite [Ca5(PO4)3(F, Cl, OH)], vor allem Fluor-
Stadt Münster (Hittorf und Plücker 1865; apatit und Phosphorit. Erwähnenswert ist auch
Niesen 2008; Schimank 1972). der als Schmuckstein verwendete Türkis [Cu-
Al6[(PO4)(OH)2]4].
Der US-amerikanische Physiker Percy Afrika (Marokko und Republik West-Sahara),
Williams Bridgman ( 21. April 1882 Südafrika, Jordanien, China und die USA (Flori-
Cambridge, MA; † 20. August 1961 Ran-
da) besitzen mehr als drei Viertel aller Roh-
dolph, NH) erhielt 1946 den Nobelpreis für
phosphat-Reserven. Schätzungen über die Lauf-
Physik für seine Arbeiten auf dem Gebiet
zeit dieser Vorkommen reichen von 50 bis
der Hochdruck-Physik. Bridgman begann
130 Jahren. Demgegenüber ging die deutsche
1900 mit dem Studium der Physik an der
Bundesregierung noch 2012 angesichts neu ent-
Harvard University.
deckter, voraussichtlich sehr ergiebiger Lagerstät-
1905 entwickelte er dort eine Apparatur, die ten in Nordafrika und dem Irak davon aus, dass
einen Druck von >10 GPa erzeugen konnte. die Vorräte noch fast 400 Jahre reichen; dies aber
1908 promovierte er in Physik an der Har- immer unter der Voraussetzung stabiler politi-
vard University und arbeitete dort bis 1954. scher Verhältnisse in diesen Regionen. Weiterhin
Bridgman war ab 1913 Assistant Professor, existieren große Vorkommen unter Wasser, die
ab 1926 Hollis Professor für Mathematik momentan aber nicht ökonomisch abgebaut wer-
und Naturphilosophie und ab 1950 Higgins den können.
University Professor (Bridgman 1932a, b). Daneben kommt Phosphor in Konzentratio-
nen bis zu 8 % in Guano (Kot von Meeres-
Bridgman entwickelte das Horizontal- und vögeln) vor (Okrusch und Matthes 2005), so
das Vertikal-Bridgman-Verfahren zur Her-
beispielsweise auf pazifischen Inseln (Nauru,
stellung von Einkristallen. Hierbei bewegt
Kiribati) und in Südamerika (Peru, Chile). Der
man ein das Material enthaltendes Schiff-
praktisch nur auf dem Abbau von Guano beru-
chen oder eine Ampulle horizontal bzw.
hende wirtschaftliche Aufschwung von Nauru
vertikal durch einen Heizofen. Dabei
ist allerdings schon wieder vorbei, da die Phos-
schmilzt das Material und kristallisiert
phatvorkommen inzwischen fast völlig abge-
296 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Weißer Phosphor verbleibt lange im Organismus. wirksamerer Mittel ist dies überholt. Ursache ist
Früher setzte man ihn als Rattengift ein. Wegen vermutlich, dass weißer Phosphor wichtige oxi-
seiner Toxizität (Sedelmayer 1932) und noch dative Stoffwechselabläufe (Eiweiß- und Kohlen-
298 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Abb. 7 Phosphor, rot (Onyxmet 2019) Abb. 9 Phosphor, violett (nach Hittorf, Onyxmet 2019)
hydratsynthese) stört. Die bei Reaktion in der Roten Phosphor stellt man durch mehrstündi-
wässrigen Phase mitentstehenden Phosphane sind ges Erhitzen weißen Phosphors auf ca. 260 C
starke Nervengifte. Eine wässrige Lösung von unter Luftabschluss her. Bestrahlung weißen
Kupfer-II-sulfat kann weißen Phosphor durch Phosphors mit Licht bewirkt ebenfalls die Um-
Fällung als schwer lösliches Kupfer-I-phosphid wandlung in roten Phosphor, jedoch verläuft diese
(Cu3P) unschädlich machen. Dies ist auch die sehr langsam. Ein Zusatz von Iod beschleunigt
einzige Möglichkeit, etwaig verschluckten wei- den Umwandlungsvorgang erheblich.
ßen Phosphor noch unschädlich zu machen, bevor Roter Phosphor ist nicht selbstentzündlich; ist
er vom Körper resorbiert wird. er aber mit starken Oxidationsmitteln vermischt,
Im 19. Jahrhundert traten bei Arbeitern, die kann man ihn schon durch Reibung oder Schlag
ohne vorhandenen Arbeitsschutz Streichhölzer zur Entzündung bringen. Der violette Phosphor ist
herstellten, Kiefernekrosen auf, die nicht wieder deutlich reaktionsträger und gleicht darin eher der
ausheilten. Die Betroffenen wurden arbeitsunfä- schwarzen Modifikation.
hig; ihre Sterblichkeitsrate betrug etwa ein Fünftel. Schwarzer Phosphor Dieser ist die thermo-
Seit 1906 ist die Verwendung weißen Phosphors in dynamisch stabilste Modifikation und leitet vom
der Zündmasse von Streichhölzern verboten. grau-glänzenden, faserigen Aussehen (s. Abb. 11)
Roter Phosphor Roter Phosphor hat keine ein- und seinen halbleitenden Eigenschaften her be-
heitlich definierte Kristallstruktur; es ist der Sam- reits zu den Halbmetallen über. Er ist als Stoff
melbegriff für diverse amorphe und kristalline For- mit unten beschriebener, orthorhombischer Git-
men. Seine Dichte beträgt 2,0–2,4 g/cm3, der terstruktur (s. Abb. 10) im Gegensatz zu wei-
Schmelzpunkt 585–610 C. Meist ist roter Phos- ßem Phosphor unlöslich in Kohlenstoffdisulfid,
phor (s. Abb. 7) amorph, lässt sich jedoch durch schwer entflammbar, sehr reaktionsträge und
Kristallisation aus flüssigem Blei in den monoklin weist eine Dichte von 2,69 g/cm3 auf. Mit einer
kristallisierenden Hittorfschen (violetten) Phosphor Bandlücke von nur 0,34 eV ist schwarzer Phos-
(s. Abb. 8 und 9) überführen. Jener ist ein dreidi- phor ein Halbleiter. Man stellt ihn durch Einwir-
mensional vernetztes Polymer (Thurn 1967; Thurn kung eines Drucks von 12000 bar bei Tempera-
und Krebs 1969), das unlöslich in Kohlenstoffdis- turen um 200 C aus weißem Phosphor her.
ulfid und wie roter Phosphor ungiftig ist. Violetter Ebenfalls möglich ist die Kristallisation aus flüs-
Phosphor ist auch aus weißem durch zweiwöchiges sigem Bismut oder Erhitzen in Gegenwart von
Erhitzen auf Temperaturen um 550 C zugänglich. Quecksilber.
5 Einzeldarstellungen 299
oder Salpetersäure. Als Nebenprodukte fallen da- Bei Krankheiten wie chronischer Niereninsuf-
bei CaSO4 (Phosphorgips, verunreinigter Gips) fizienz, Osteoporose und Urolithiasis müssen sich
und H2[SiF6] (Hexafluorokieselsäure) an. Man die Patienten phosphatarm ernähren (Nowack
gibt zum Reaktionsgemisch Wasser und filtriert et al. 2002, S. 292; Lückerath et al. 2011, S. 272).
den Gips zusammen mit anderen unlöslichen Ma- Mit Calciumionen bildet Phosphat im Körper Hy-
terialien ab. In einer weiteren Stufe entfernt man droxylapatit, aus dem Knochen und Zähne beste-
Fluorid in Form von Hexafluorokieselsäure durch hen. Analytisch ist Phosphat bzw. Phosphorsäure
Verdampfung. Jene ist ein wichtiges Nebenpro- durch Fällung mit Ammoniumheptamolybdat als
dukt bei der Herstellung von Fluorwasserstoff. gelbes Ammoniumolybdatophosphat oder durch
Man kann sie mit Natriumhydroxid neutralisieren, Fällung in ammoniakalischer Lösung mit Ma-
um Natriumhexafluorsilicat zu bilden. Alternativ gnesiumionen als Magnesium-Ammoniumphos-
stellt man Phosphorsäure auch durch Verbrennen phat (MgNH4PO4) nachweisbar.
elementaren Phosphors zu Phosphor-V-oxid und Schwefelverbindungen Die Sauerstoff- und
dessen nachfolgende Hydrolyse her (thermische Schwefelhalogenverbindungen des Typs POX3
Phosphorsäure) (Holleman et al. 1995, S. 764; bzw. PSX3 sind Ausgangsstoffe für die Synthese
Brauer 1975, S. 528). vieler Produkte, unter anderem Pflanzenschutz-
Wasserfreie Phosphorsäure ist stark hygrosko- mittel. Phosphorsulfide haben die allgemeine For-
pisch. Meist sind 85–90 %ige wässrige Lösungen mel P4Sx (x ¼ 3–10) und werden sie durch Er-
handelsüblich. Die Phosphorsäure dissoziiert in hitzen von rotem Phosphor und Schwefel in
drei Stufen mit den pKs-Werten pKs1 ¼ 2,161, jeweiligem Mengenverhältnis hergestellt.
pKs2 ¼ 7,207 und pKs3 ¼ 12,325. Konzentrierte Die wichtigste Verbindung ist das gelbe Phos-
Phosphorsäure ist eine farblose, viskose Flüssig- phor-V-sulfid (P4S10) (s. Abb. 14), das bei 288 C
keit und eine mittelstarke, dreibasige Säure. Zwei schmilzt, bei 514 C siedet und die Dichte
Moleküle der ortho-Phosphorsäure (H3PO4) kön- 2,09 g/cm3 hat. Wasser hydrolysiert es leicht zu
nen unter Abspaltung eines Moleküls Wasser zu Phosphorsäure und Schwefelwasserstoff. Es fin-
einem Molekül der Pyrophosphorsäure (H2P2O7) det zur Synthese von Insektiziden und Zinkdial-
kondensieren. kyldithiophosphaten Verwendung. Die Verbin-
Phosphorsäure ist die Basis phosphathaltiger dung gewinnt man durch Zusammenschmelzen
Dünger, von Rostentfernern oder auch -umwand- weißen Phosphors mit Schwefel bei Temperaturen
lern und teilweise noch von Waschmitteln. Zink um 300 C (Brauer 1963, S. 565). Die leicht
und Stahl werden durch Eintauchen in heiße entzündliche und giftige Verbindung ist in Koh-
Phosphatlösungen nahezu dauerhaft vor Korrosi- lenstoffdisulfid gut löslich (Holleman et al. 2007,
on geschützt. In der Lebensmittelindustrie dient S. 788).
sie unter der Bezeichnung E 338 als Konservie- Man setzt Phosphor-V-sulfid zur Synthese
rungs- und Säuerungsmittel, als Säureregulator schwefel- und phosphorhaltiger organischer Ver-
und Antioxidans (Kurzweil et al. 2012, S. 151). bindungen ein; Thiophenderivate erhält man aus
In Brennstoffzellen fungiert sie gelegentlich als Phosphor-V-sulfid und 1,4-Dicarbonylverbindun-
Elektrolyt; diese Zellen haben zwar geringeren gen. Im Molekül von Carbonsäureamiden wird
Wirkungsgrad und kürzere Lebensdauer, sind aber das Sauerstoff- durch ein Schwefelatom ersetzt;
robust, tolerieren Verunreinigungen des Brenn- es entstehen Thioamide.
gases und können mit Luft statt Sauerstoff betrie- Tetraphosphortrisulfid (P4S3) ist ein gelbgrü-
ben werden. In der Elektronikindustrie verwendet ner, geruchloser Feststoff, der bei 172 C schmilzt
man sie zum Ätzen von Siliciumnitrid, beim Lö- (Siedepunkt der Schmelze: 407 C), die Dichte
ten als Flussmittel und im Baugewerbe zur Ent- 2,07 g/cm3 aufweist und in Form luftbeständiger
fernung mineralischer Verunreinigungen. Ihre Nadeln orthorhombischer Struktur vorliegt. Beim
Ester und Polysäuren bzw. deren Salze sind Erhitzen der Verbindung an der Luft kann diese
essenziell für den Stoffwechsel und Bestandteile sich jedoch spontan entzünden. Ihre Gewinnung
der DNA und der RNA. erfolgt durch Erhitzen einer Mischung roten Phos-
5 Einzeldarstellungen 303
Temperaturen von 38 C bzw. 125 C erstarrt sekundärer Alkohole in die jeweiligen Alkylbro-
bzw. siedet (Spilling 2001). Sie besitzt wegen der mide (Peter et al. 2005, S. 393). Ebenso reagiert es
an feuchter Luft leicht eintretenden Hydrolyse mit Carbonsäuren zu Carbonsäurebromiden:
einen stechendem Geruch und wird durch Wasser
langsam zu Orthophosphorsäure, Salzsäure und PBr3 þ 3 R CðOÞOH ! PðOHÞ3
Schwefelwasserstoff zersetzt. Man kann die þ 3 R CðOÞBr
Verbindung im Labor einfach durch Einbringen
überschüssigen Schwefels in flüssiges Phosphor- Phosphor-III-bromid dient als Katalysator bei
III-chlorid und folgende fraktionierte Destillation der α-Bromierung von Carbonsäuren. Es ist Do-
herstellen. In der Großtechnik leitet man dagegen tierungsmittel für Silicium (Knoell und Murarka
bei 180 C gasförmiges Phosphor-III-chlorid 1985). Die Verbindung wird durch Wasser in hef-
über geschmolzenen Schwefel (Bettermann et al. tiger Reaktion zu Bromwasserstoff und phospho-
2005). Ebenso kann man Phosphor-V-sulfid und riger Säure zersetzt; Phosphor-III-bromid greift
Phosphor-V-chlorid schmelzen und das bei der oxidierbare Metalle und organische Verbindungen
Reaktion entstehende Produkt abdestillieren (Mar- unter Bromierung stark an.
tin und Duvall 1953). Thiophosphoryltrichlorid ist Phosphor-V-bromid (PBr5) erhält man durch
unter anderem gut löslich in Benzol, Tetrachlorkoh- Bromieren von Phosphor-III-bromid (Holleman
lenstoff, Schwefelkohlenstoff und Chloroform. Die et al. 2007, S. 781). Der orangegelbe Feststoff
Verbindung ist Ausgangsstoff zur Herstellung orga- (s. Abb. 19) hat infolge der an feuchter Luft ein-
nischer Thiophosphorverbindungen (beispielsweise tretenden Hydrolyse einen stechendem Geruch;
Insektizide) (Fee et al. 2005). im Kristallgitter orthorhombischer Struktur (van
Phosphor-III-bromid (PBr3) ist eine klare, Driel und Mac Gillavry 1943; Gabes und Olie 1970)
farblose (s. Abb. 18) Flüssigkeit der Dichte liegen PBr4+- und Br-Ionen vor. Phosphor-V-
2,85 g/cm3, die bei Temperaturen von 41,5 C bromid ist äußerst hygroskopisch, wirkt stark kor-
erstarrt und von 173 C siedet. Sie besitzt einen rodierend und spaltet oberhalb einer Temperatur
stechenden Geruch und raucht an der Luft. Die von 35 C Brom ab; von völliger Zersetzung wird
Verbindung ist aus weißem Phosphor und Brom im Temperaturbereich zwischen 90 C und 100 C
darstellbar, wobei das bereits gebildete Phosphor- berichtet (Perry 2016, S. 312; Gerding und Nobel
III-bromid als Lösemittel für den weißen Phos- 1958). Mit Wasser reagiert das als Bromierungs-
phor fungiert. Die gleichzeitig mögliche Entste- reagenz einsetzbare Phosphor-V-bromid stürmisch
hung von Phosphor-V-bromid unterdrückt man unter Entwicklung von Bromwasserstoff; mit Am-
durch Einsatz überschüssigen weißen Phosphors. moniumbromid entsteht Phosphornitriddibromid
Phosphor-III-bromid istt in Abhängigkeit vom Re- (Huheey 2003, S. 900):
aktionsmedium entweder Lewis-Säure oder -Base.
Das Molekül des Phosphor-III-bromids hat PBr5 þ NH4 Br ! 1=n ðNPBr2 Þn þ 4 HBr
trigonal-pyramidale Struktur. Man setzt Phosphor-
III-bromid in der organischen Synthese zum Er- Phosphoroxidtribromid (POBr3) gewinnt man
satz von Hydroxylgruppen durch Brom ein, also durch Reaktion von Phosphor-V-bromid mit Phos-
beispielsweise bei der Umwandlung primärer und phor-V-oxid (Brauer 1975, S. 520). Der weiße bis
Phosphors mit einem Kernspin von ½. Dies macht Roten Phosphor setzt man zur Herstellung der
die Spektren leicht auswertbar, da nach Entkop- Zündmasse von Streichhölzern ein. Jedoch dient
pelung der von den Protonen (11H) gelieferten er auch umgekehrt in Kunststoffen als Flamm-
Resonanzen scharfe Resonanzsignale resultieren. schutzmittel (Koch 2005).
Verglichen mit der 1H-NMR-Spektroskopie hat Der direkte Aufschluss von Calciumphosphat
die 31P-NMR-Spektroskopie zwar nur eine Emp- mit konzentrierter Schwefelsäure liefert das so
findlichkeit von knapp 7 %, aber die weit ent- genannte Superphosphat. Mehr als die Hälfte der
wickelte Technik der Fourier-NMR-Spektrosko- weltweit an Schwefelsäure erzeugten Menge geht
pie hilft, diesen Nachteil auszugleichen und in dieses Herstellverfahren.
erzeugt sehr gut aufgelöste Spektren. Moderne Nebelmunition enthält keinen wei-
Nasschemisch erfolgt die qualitative und quan- ßen Phosphor mehr, sondern nur noch roten
titative Analyse über das Orthophosphatanion (Koch 2008).
(PO43). Qualitativ lässt sich dieses in angesäuer-
ter Lösung sehr gut als gelbes Ammoniummolyb-
datophosphat nachweisen. Diese Reaktion ist Patente
auch zur fotometrischen Bestimmung des Phos- (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
phatgehaltes einsetzbar (EN ISO 6878): wide.espacenet.com)
PO4 3 þ 12 MoO 2 þ
4 þ 24H þ 3 NH4
þ X. Mingyan, Phosphorus-containing prodrugs
! ðNH4 Þ3 PðMo3 O10 Þ4 þ 12 H2 O of gemcitabine (Shanghai Changcheng
Yiya Okeji Co., Ltd., WO 2020001475
In ammoniakalischer Lösung kann man Ortho- A1, veröffentlicht 2. Januar 2020)
phosphat bei Anwesenheit von Magnesiumionen H. Changhua et al., Method for preparing
als Magnesiumammoniumphosphat [Mg(NH4)PO4] hydrocarbyl phosphine halide and reac-
ausfällen; diese Reaktion dient zur gravimetrischen tion therefor (Hubei Gurun Tech. Co.,
Analyse. WO 2020000366 A1, veröffentlicht
Die bei Anschein auf Vergiftung mit weißem 2. Januar 2020)
Phosphor durchgeführte Mitscherlich-Probe be- Demos et al., Method for depositing a phos-
steht im Erhitzen des Mageninhaltes mit Wasser. phorus doped silicon arsenide film and
Der weiße Phosphor, der mit Wasserdampf flüch- related semiconductor device structures
tig ist, wird dann kondensiert; er leuchtet bei (ASM IP Holding BV, US 2019393308
Kontakt mit Luftsauerstoff (Lumineszenz). A1, veröffentlicht 26. Dezember 2019)
Die volumetrische Bestimmung des Orthophos- T. Derevjanik et al., Lubricating compositi-
phats erfolgt derart, dass man es mit Maßlösungen ons for heavy duty diesel engines (Lu-
von Lanthan bzw. Bismut (La3+ bzw. Bi3+) als brizol Corp., WO 2019246192 A1, ver-
LaPO4 bzw. BiPO4 ausfällt und dann die Menge öffentlicht 26. Dezember 2019)
des nicht durch die Fällungsreaktion verbrauchten K. Machikawa et al., Positive electrode acti-
Metallions mittels EDTA zurücktitriert. ve material, positive electrode, seconda-
ry battery, and method for manufacturing
Anwendungen Rund vier Fünftel des industriell positive electrode (Semiconductor Ener-
hergestellten weißen Phosphors wird zu Phos- gy Lab, WO 2019243952 A1, veröffent-
phor-V-oxid verbrannt, das zu Phosphorsäure licht 26. Dezember 2019)
bzw. Phosphaten, letztere meist für Düngemittel,
weiter umgesetzt wird.
Die restliche Menge wird meist zu Phosphor- 5.3 Arsen
trichlorid (PCl3) und Phosphor-V-sulfid (P4S10)
verarbeitet, die wichtige Ausgangsstoffe für die Geschichte Das Arsenmineral Auripigment (Ar-
Herstellung von Flammschutzmitteln, Additiven, sen-III-sulfid, As2S3) gab Arsen seinen Namen.
Weichmachern und Pflanzenschutzmitteln sind. Im alten Griechenland hieß dieses „arsenikón“;
5 Einzeldarstellungen 309
Vulkanausbrüche setzen insgesamt ca. 3000 t/a Arsen kommt wie Phosphor in mehreren allo-
Arsen frei, Bakterien sogar 20000 t/a in Form tropen Modifikationen vor (s. auch Abb. 22).
leicht flüchtiger Arsane und deren Derivate. Auch Graues Arsen Graues Arsen ist die stabilste
durch Verbrennen von Erdöl und Kohle gelangen Modifikation des Elements. Sie hat die relativ
größere Mengen Arsens in die Atmosphäre. hohe Dichte von 5,72 g/cm3 und bildet stahlgraue,
glänzende Kristalle (s. Abb. 23), die den elektri-
Gewinnung Arsen gewinnt man durch ther- schen Strom leiten, wie es für einen Halbleiter zu
mische Reduktion von Arsen-III-oxid mit Koks erwarten ist. Im Kristallgitter liegen gewellte, in
oder Eisen oder durch Erhitzen von Arsenkies der Sesselkonformation vorliegende As6-Ringe
(FeAsS) bzw. Arsenikalkies (FeAs2) unter Luft- vor, die, von der Seite betrachtet, wie zwei dicht
abschluss in liegenden Tonröhren. Die Eisenerze übereinander liegende, aus Arsenatomen beste-
spalten das Arsen bei starkem Erhitzen ab, das hende Doppelschichten aussehen. Der Aufbau
absublimiert und an kalten Oberflächen in kris- des Gitters ist ziemlich starr, daher ist Arsen, wie
talliner Form wieder gesammelt wird. auch die zu ihm homologen Elemente Antimon
Hochreines Arsen, wie es zur Herstellung von und Bismut, spröde.
Halbleitern benötigt wird (>7N, >99,99999 %). Gelbes Arsen Kühlt man dampfförmiges Ar-
stellt man durch Reduktion mehrfach destillierten sen, in dem tetraedrisch ausgerichtete As4-Mole-
Arsen-III-chlorids mit Wasserstoff her: küle vorliegen (eine zum gelben Phosphor sehr
ähnliche Struktur), schnell ab, so bildet sich me-
2 AsCl3 þ 3 H2 ! 6 HCl þ 2 As tastabiles gelbes Arsen, das eine relativ geringe
Dichte besitzt (1,97 g/cm3). Gelbes Arsen ähnelt
Arsentrichlorid reagiert dabei mit Wasserstoff sehr dem niedrigen Homologen, dem weißen
zu Chlorwasserstoff und elementarem Arsen. Frü- Phosphor, ist ein Nichtmetall und ist somit auch
her gewann man Arsen durch Sublimation aus ein elektrischer Isolator. Es löst sich wie weißer
Lösungen in flüssigem Blei, wobei der Schwefel Phosphor in Schwefelkohlenstoff und kann aus
der Arsenerze durch das Blei als Blei-II-sulfid diesem in Form knoblauchähnlich riechender
(PbS) gebunden wird. Die so erreichte Reinheit Kristalle isoliert werden. Schon bei Raumtem-
von >99,999 % war für die Anwendung in Halb- peratur wandelt sich gelbes schnell in graues Ar-
leitern aber noch nicht ausreichend. sen um; diesen Vorgang beschleunigt die Einwir-
Weitere, aber sehr aufwändige Möglichkei- kung von Licht.
ten sind das langsame Auskristallisieren aus ge- Schwarzes Arsen Diese Modifikation kommt
schmolzenem Arsen oder die Umsetzung zu Mo- in zwei verschiedenen Formen vor, einer amor-
noarsan (AsH3), dessen Reinigung und darauf phen, glasartigen (dem roten Phosphor vergleich-
folgender Zersetzung bei Temperaturen um 600 C bar) und einer metastabilen, orthorhombisch kris-
in Arsen und Wasserstoff (Brauer 1963). tallisierenden, die strukturell mit dem schwarzen
Phosphor vergleichbar ist.
Eigenschaften Ersteres erhält man durch Abkühlung dampfför-
Physikalische Eigenschaften: Arsen nimmt eine migen Arsens an Oberflächen, die auf Temperatu-
Mittelposition zwischen Nichtmetall und Metall ren von >100 C erhitzt sind. Es besitzt eine Dichte
innerhalb der fünften Hauptgruppe ein und ist von ca. 4,9 g/cm3 und geht oberhalb einer Tempera-
daher ein Halbmetall; diese Modifikation ist auch tur von 270 C in die graue Modifikation über. Das
die stabilste. Unter Normaldruck sublimiert Arsen orthorhombische schwarze Arsen (s. Abb. 24) ent-
bei einer Temperatur von 616 C (s. Tab. 3) unter steht aus dem amorphen, wenn jenes zusammen mit
Bildung eines zitronengelben Dampfes, der bis zu Quecksilber auf 170 C erhitzt wird.
einer Temperatur von ca. 800 C aus As4-Mole- Braunes Arsen Werden Arsenverbindungen
külen besteht. Erst bei deutlich höheren Tempera- in wässriger Lösung reduziert, bilden sich brau-
turen (>1700 C) liegen As2-Moleküle vor. ne Mischpolymere, deren Moleküle teils Hydro-
5 Einzeldarstellungen 311
xylgruppen tragen (Holleman et al. 1995, tivere Partner ist und dann entsprechend mit po-
S. 796). sitiver Oxidationszahl auftritt.
Chemische Eigenschaften: Arsen nimmt in sei- Mit Sauerstoff und Halogenen reagiert es hef-
nen Verbindungen Oxidationsstufen zwischen 3 tig; so verbrennt es nach Erhitzen und/oder im fein
und +5 ein, wobei es in Verbindungen mit Sauer- verteilten Zustand an der Luft zu weißem Arsen-
stoff, Schwefel und Chlor immer der elektroposi- III-oxid (Arsenik):
312 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
As As
As As As
As As As As As
As As As
As As As-Doppelschicht 2
As
As As As As As
As As As As-Doppelschicht 1
As As As As As As
As As
As As As As As
As As As
As As
As = Arsenatome der nächstan Schicht
das erhitzte Gas auf eine davor gehaltene, gekühl- Triphenylarsan [As(C6H5)3] ist ein farbloser
te Porzellanschale, so bildet sich auf ihr ein Feststoff mit Schmelzpunkt 60 C. Man erzeugt
metallisch glänzender, schwarzer Arsenspiegel, ihn durch Reaktion von Arsen-III-chlorid mit
was zum Nachweis von Arsen dient (Marsh’sche Chlorbenzol und Natrium als Reduktionsmittel
Probe). (Shriner und Wolf 1950). Die Verbindung ist un-
Technisch wird Arsenwasserstoff in einstufiger löslich in Wasser und das Arsenanalogon von
Reaktion durch saure Hydrolyse von Arseniden Triphenylphosphan. Er zersetzt sich ab einer Tem-
hergestellt (Sennikov et al. 1996). Üblich und sehr peratur von 360 C. Das Molekül auch dieser
einfach durchzuführen ist etwa die Hydrolyse von Verbindung hat eine pyramidale Kristallstruktur,
Zinkarsenid in einer nicht-oxidierenden, wäss- hier mit As–C-Bindungslängen von 194,2 bis
rigen Säure wie Schwefelsäure. Auf diese Weise 195,6 pm und C–As–C-Winkeln von 99,6 bis
kann man reinen Arsenwasserstoff erzeugen 100,5 (Horne et al. 1985). Man nutzt Triphenyl-
(Brauer 1963, S. 593). Als Nebenprodukt entsteht arsan zur Darstellung von Metallkomplexen und
dabei das bei Temperaturen oberhalb von 100 C zur Produktion des in der analytischen Chemie als
instabile Diarsan. Außerdem ergibt auch die Hy- Fällungsmittel verwendeten Tetraphenylarsonium-
drierung von Arsen-III-chlorid (AsCl3) durch Na- chlorids.
triumboranat oder Lithiumaluminiumhydrid rei- Chalkogenverbindungen Arsen-III-oxid (Arse-
nen Arsenwasserstoff. nik, As2O3) ist ein jahrhundertelang verwendetes
Wenn naszierender Wasserstoff auf Arsen-III- Gift, das schon in einer Gesamtmenge von 0,1 g
oxid einwirkt, entsteht ebenfalls Arsenwasser- auf Menschen tödlich wirken kann. Eine stete
stoff. Die Hydrolyse „salzartiger“ Arsenide des Einnahme kleiner Mengen bewirkt zwar keine
Calciums und Natriums in Wasser liefert gleich- Gewöhnung des menschlichen Organismus an
falls Monoarsan. Setzt man statt regulärem Was- das Gift, aber dessen Aufnahme über die Schleim-
ser Deuteriumoxid ein, so entsteht Monoarsan-d3 haut wird deutlich verringert, so dass zur Erzie-
(Drake und Riddle 1972). Natriumarsenid liefert, lung einer tödlichen Wirkung höhere Dosen ein-
zusammen mit Ammoniumbromid in flüssigem genommen werden müssen. Jahrhundertelang ließ
Ammoniak gelöst bzw. dispergiert, gleichfalls sich Arsenik chemisch nicht nachweisen. Einem
Monoarsan (Doak et al. 2000): Täter konnte bis ins 19. Jahrhundert hinein ein
damit verübter Mord kaum nachgewiesen werden.
Na3 As þ 3 NH4 Br ! AsH3 " þ3 NaBr þ 3 NH3 Geringe Dosen an Arsenik wirken stimulierend.
Im Mittelalter war die Verbindung in Tinkturen
Auch die elektrochemische Herstellung von zur Behandlung von Augenkrankheiten enthalten.
Arsenwasserstoff ist ein gangbarer Weg, der Erst die 1836 eingeführte Marsh’sche Probe
schnell an Bedeutung gewinnt. Die elektroche- verbesserte schlagartig die Möglichkeit, Arsen in
mische Synthese erlaubt die relativ gezielte Körperflüssigkeiten nachzuweisen. Darüber hi-
Ad-hoc-Herstellung definierter Mengen von Ar- naus nutzte und nutzt man es als Gift gegen In-
senwasserstoff. Die ersten Patente zur elektroche- sekten und Ratten.
mischen Herstellung von Arsenwasserstoff und Arsen-III-oxid wird beim Verbrennen elemen-
anderen Hydriden wurden bereits zu Beginn der taren Arsens an der Luft gebildet. In der Natur
1990er-Jahre veröffentlicht. kommt Arsenik als Arsenolith mit kubischer so-
Arsenwasserstoff setzt man in großen Mengen wie als Claudetit mit monokliner Kristallstruktur
als Dotiergas, unter Anderem für Silicium, in der vor. In der Technik gewinnt man Arsen-III-oxid
elektronischen Industrie ein. Die Entsorgung der durch das Rösten arsenhaltiger Erze in sogenann-
Rückstände ist wegen deren hoher Giftigkeit auf- ten Gifthütten, wobei sich die Verbindung dort
wändig und erfolgt meist durch Adsorption an dann als „Hüttenrauch“ verflüchtigt und in langen
Aktivkohle, die danach als Sondermüll in Tiefde- Kanälen als weißes Pulver isoliert wird. In Ab-
ponien endgelagert werden muss. hängigkeit von der Kondensationstemperatur er-
314 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
unter Einwirkung von Licht vorrangig durch Verglichen mit Phosphor-III-fluorid ist Arsen-
Lochleitung bewirkt. Einstrahlung von Licht, des- III-fluorid eine stärkere Lewis-Säure Die Verbin-
sen Energie höher ist als die der Bandlücke, führt dung ist sehr giftig und krebserregend. Einsatz-
nicht zu höherer Leitfähigkeit (Moustakas und gebiete größeren Stils gibt es nicht.
Weiser 1975). Arsen-V-fluorid (AsF5) ist ein farbloses Gas, das
Halogenverbindungen Arsen bildet mit Haloge- bei 53 C kondensiert; die Flüssigkeit erstarrt bei
nen im wesentlichen Verbindungen der Typen 80 C. Es ist eine starke Lewis-Säure und darüber
AsX3 und AsX5 (X steht für das jeweilige Halo- hinaus ein Fluorierungs- und Oxidationsmittel.
gen). Man kann Arsen-V-fluorid sowohl aus den Ele-
Arsen-III-fluorid (AsF3) ist eine farblose Flüs- menten als auch durch Fluorieren von Arsen-III-
sigkeit der Dichte 2,7 g/cm3, die bei 6 C erstarrt fluorid oder -oxid unter Einsatz elementaren Fluors
und bei 57 C siedet. Die Verbindung ätzt Glas, herstellen (Brauer 1963, S. 198; Ruff et al. 1932).
raucht infolge Hydrolyse an der Luft und kann Durch „Umfluorieren“ aus Arsen-III- und Anti-
durch Überleiten wasserfreien Fluorwasserstoffs mon-V-fluorid bei Gegenwart von Brom als Kata-
über Arsen-III-oxid bei Temperaturen um 140 C lysator ist es ebenfalls zugänglich (Steudel 2014,
dargestellt werden (Brauer 1963, S. 197). Das S. 570). Das Molekül des Arsen-V-fluorids hat
dabei gasförmig entweichende Arsen-III-fluorid trigonal-bipyramidale Struktur.
fängt man in gekühlten Vorlagen auf: Wasser hydrolysiert Arsen-V-fluorid in hefti-
ger Reaktion zu Fluorwasserstoff und Arsensäure.
Fluorid-Donatoren überführen es in Hexafluoro-
As2 O3 þ 6 HF ! 2 AsF3 þ 3 H2 O arsenat-V.
Arsen-III-chlorid (AsCl3) ist eine farblose
Eine weitere Möglichkeit ist die Umsetzung (s. Abb. 30), an feuchter Luft rauchende, sehr
von Arsen-III-oxid mit Fluorsulfonsäure (Brauer giftige Flüsigkeit der Dichte 2,16 g/cm 3, die bei
1963, S. 197): Temperaturen von 16 C bzw. 130 C erstarrt
bzw. siedet. Man gewinnt sie durch Verbrennen
As2 O3 þ 6 HSO3 F ! 2 AsF3 þ 3 SO3 von Arsen im Chlorstrom, durch Überleiten
þ 3 H2 SO4 trockenen Chlorwasserstoffs über Arsen-III-
oxid bei Temperaturen um 190 C oder auch
Die Synthese im Labor läuft bevorzugt über durch Umsetzung von Arsen-III-oxid mit
das Erhitzen einer aus Arsen-III-oxid und Calcium- Schwefel-II-chlorid und Chlor (Brauer 1963,
fluorid zusammengesetzten Mischung mit über- S. 596).
schüssiger konzentrierter Schwefelsäure, die das bei Arsen-III-chlorid reagiert empfindlich ge-
der Umsetzung entstehende Wasser bindet. Das bei genüber starkem Erhitzen und intensiver
der Reaktion gebildete Arsen-III-fluorid wird direkt Einwirkung von Licht. Es wird durch Wasser,
aus der Mischung abdestilliert (Hoffman 1953): noch heftiger durch Basen hydrolysiert und
durch starke Oxidantien schnell angegriffen.
As2 O3 þ 3 CaF2 þ 3 H2 SO4 Man setzt die Verbindung in Beizen für Metall-
! 2 AsF3 þ 3 CaSO4 þ 3 H2 O oberflächen ein.
5 Einzeldarstellungen 317
Als Gegenmittel bei Aufnahme löslicher Ar- 110 C ebenfalls trigonal, aber in anderer Struktur
senverbindungen kommt bevorzugt Dimercapto- (Raumgruppe 153).
propansulfonsäure zur Anwendung. Früher nutzte man Arsen-III-iodid zur Behand-
Arsen-III-bromid (AsBr3) stellt man aus den lung von Hautkrankheiten bei Katzen und in Form
Elementen (Holleman et al. 1985, S. 801) oder von Donovan's Lösung bei Menschen, ebenfalls
durch Reaktion von Arsen-III-oxid mit Schwefel meist zur Behandlung von Hautentzündungen. Es
und Brom her (Brauer 1975, S. 574): ist leicht löslich in Kohlenstoffdisulfid und Trichlor-
methan (von Bruchhausen et al. 1999, S. 107).
2 As2 O3 þ 3 S þ 6 Br2 ! 4 AsBr 3 þ 3 SO2 " Metallverbindungen Mit einigen Metallen
der dritten Hauptgruppe bildet Arsen wichtige
Der weiße bis gelbliche, an feuchter Luft zer- Verbindungs-Halbleiter, Galliumarsenid (GaAs),
fließliche und schnell hydrolysierende Feststoff Indiumarsenid (InAs) und Aluminiumgalliumar-
schmilzt bei 31 C (Siedepunkt der Schmelze: senid (AlGaAs). Mit Mangan dotiertes Galliumar-
221 C) und hat eine Dichte von 3,4 g/cm3. Was- senid zeigt semimagnetische Eigenschaften (Cu-
ser zersetzt die Verbindung zu einem Gemisch aus rietemperatur zwischen 100 und 200 K).
Arsen- und Bromwasserstoffsäure. Arsen-III-bro- Organische Verbindungen Wie Stickstoff und
mid kristallisiert orthorhombisch (Raumgruppe Phosphor bildet auch Arsen organische Verbin-
19, Singh und Swaminathan 1967), addiert dungen (Arsane), in denen ein oder mehrere Ar-
Bromidionen unter Bildung von Tetrabromo- senatome mit der jeweiligen Anzahl von Alkyl-
Komplexen des Typs AsBr4 und wird in der gruppen verbunden sind. Ebenso kennt man
Homöopathie verwendet (Albinus 1994, S. 296). Homocyclen, in denen Arsenatome einen Fünf-
Das rotorange (s. Abb. 31) Arsen-III-iodid oder Sechsring ausbilden und dabei jeweils noch
(AsI3) schmilzt bei 146 C, siedet bei 406 C eine Methylgruppe tragen, z. B. Pentamethylcyclo-
und hat die Dichte 4,38 g/cm3. Man erhält es pentaarsen (AsCH3)5. Polyarsane wiederum sind
durch Reaktion von Arsen-III-chlorid mit Kalium- langkettige, doppelsträngige Polymere aus Arsen-
iodid (I), aus den Elementen (II) oder aus Arsen- atomen, bei denen jedes Arsenatom noch mit ei-
III-oxid, Salzsäure und Kaliumiodidlösung (III, ner Methylgruppe verbunden ist. Sie haben die
Brauer 1975, S. 575): chemische Formel (AsCH3)2n (n 100) und sind
halbleitend.
(I) AsCl3 + 3 KI ! AsI3 + 3 KCl
(II) 2 As + 3 I2 ! 2 AsI3 Anwendungen Arsen mit einer Reinheit von
(III) As2O3 + 6 HCl + 6 KI ! 2 AsI3 + 6 KCl 99,9999 % setzt man zur Herstellung von Halb-
+ 3 H2O leitern aus Galliumarsenid sowie für mittels Epi-
taxie erzeugter, sehr dünner Schichten auf Wafern
In Wasser zersetzt sich die Verbindung lang- ein. Diese bestehen aus Indium- und Galliumar-
sam, an Luft erfolgt Oxidation unter Bildung von senidphosphid und werden zur Produktion inte-
Iod und Arsen-III-oxid. Arsen-III-iodid kristalli- grierter Schaltkreise, Leucht- und Laserdioden
siert trigonal (Raumgruppe 148), oberhalb von benötigt.
Einige Arsenverbindungen verwendet man im-
mer noch als Schädlingsbekämpfungsmittel, Rat-
tengift und Fungizid. Bleilegierungen wird es
zugesetzt, um deren Festigkeit zu erhöhen, was
besonders für die in Akkumulatoren eingebauten
Bleiplatten Anwendung findet.
dene Fowler’sche Lösung, eine Mischung aus Die Verbindungen des Arsen-III sind deshalb
Lavendelwasser und Kaliumarsenit, wurde lan- hochgiftig für den Menschen, weil sie diverse Stoff-
ge als fiebersenkendes Mittel verabreicht. In wechselprozesse stören, beispielsweise die Repara-
Deutschland war Kaliumarsenit sogar noch bis tur der DNA, den zellulären Energiestoffwechsel
in die 1960er-Jahre als Mittel gegen Psoriasis und rezeptorvermittelte Transportvorgänge. Ursache
(Schuppenflechte) in Verwendung (Gibaud und ist wahrscheinlich, dass sie das von seinem Radius
Jaouen 2010). Bis in die 1970er-Jahre tötete man her sehr ähnliche Zinkion (Zn2+) aus seinen Kom-
mit Arsen-III-oxid das Zahnmark ab, jedoch tra- plexen mit schwefelhaltigen Eiweißen (Tumor-Re-
ten so viele Vergiftungsfälle mit entsprechenden pressor-Protein) verdrängen, ohne aber dessen Funk-
Nebenwirkungen auf, dass es für diesen Einsatz- tion wahrnehmen zu können. Ähnliches gilt für die
zweck verboten wurde (Hülsmann 1996). Verdrängung des Phosphoratoms in den für den
Das bereits in den 1950er-Jahren entwickelte menschlichen Stoffwechsel so wichtigen Phospha-
Melarsoprol ® ist auch heute noch das wirksamste ten. So ersetzen bei einer chronischer Vergiftung die
Mittel zur Behandlung von Malaria. Sehr bekannt Arsen- die Phosphoratome des Adenosin-
war Arsphenamin (Salvarsan ®), schon 1910 ge- Triphosphats (ATP), ebenfalls ohne die Funktion
gen die Syphilis entwickelt; es wurde lange auch der Phosphoratome weiter ausüben zu können, wo-
zur Therapie der Dysenterie eingesetzt (Gibaud mit die Atmungskette unterbrochen wird.
und Jaouen 2010). Trisenox, auf Basis von Ar- Eine akute Arsenvergiftung zeigt sich in
sen-III-oxid, erhielt noch im Jahr 2000 die Zulas- Krämpfen, Übelkeit und Erbrechen, inneren Blu-
sung zur Behandlung der promyelozytären Leu- tungen, Durchfall und Koliken, bis hin zu Nieren-
kämie (APL) in den USA, zwei Jahre später auch und Kreislaufversagen. Koma und anschließender
in Europa. Tod können die Folge sein. Für Menschen beträgt
Ursache der Toxizität Die Bedeutung des Ar- die tödliche Dosis (LD50) an Arsen-III-oxid, wie
sens für den menschlichen Körper ist noch nicht oben bereits erwähnt, 1,4 mg/kg Körpergewicht.
vollständig geklärt. Es kommt als Spurenelement Das chronische Krankheitsbild umfasst Haut-
darin vor, aber nur Tiere zeigen Mangelerschei- krankheiten, Schädigung der Blutgefäße, Abster-
nungen, falls Spuren von Arsen in ihrer Nahrung ben der Extremitäten (Black Foot Disease) und
fehlen. So zeigen Hühner und Ratten Wachstums- das Auftreten bösartiger Tumore (Fritsch et al.
störungen. Arsen ruft eine verstärkte Bildung ro- 2010). Arsen blockiert die Sulfhydryl-Gruppen
ter Blutkörperchen hervor, weshalb es zeitweise (HS-) von Enzymen und bewirkt so eine Minder-
-trotz leichter Nachweisbarkeit- sogar zum Do- produktion von Hämoglobin.
ping von Rennpferden eingesetzt wurde. Metallisches Arsen wird vom Körper dagegen
Algen, Muscheln und Garnelen enthalten relativ kaum aufgenommen und ist daher relativ ungiftig
hohe Konzentrationen an Arsen. Die in ihnen enthal- (LD50 (Ratte, oral): 763 mg/kg). Auch dieses soll-
tenen Verbindungen Dimethylarsinsäure, Trimethy- te man aber sehr vorsichtig handhaben, da es sich
larsenoxid, Trimethylarsin sowie Arsenobetain wer- an der Luft leicht mit einer dünnen Schicht seines
den vom menschlichen Körper aber innerhalb hochgiftigen Oxids (As2O3) überzieht.
weniger Tage nahezu unverändert ausgeschieden.
Für den Menschen ist die Aufnahme von
Patente
Kleinstmengen (ca. 1 mg) ohne Folgen. Regel-
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
mäßiger Verzehr kleiner Mengen von Arsentri-
wide.espacenet.com)
oxid galt früher als leistungsfördernd; diese Men-
schen wurden Arsenikesser genannt.
M. Eutick, Arsenic compositions (Euphar-
Zur Dekontamination schwermetallbelasteter
ma Pty. Ltd., US 2020016196 A1, ver-
Böden setzt man Pflanzen wie Indischen Senf
öffentlicht 16. Januar 2020)
oder Gebänderten Saumfarn ein. Letzterer nimmt
M. Fang, Removing arsenic from water with
bis zu 5 % seines Trockengewichts an Arsen auf
acid-activated clay (Fuel Tech Inc., US
und kann daher den Boden, auf den er gepflanzt
ist, langsam entgiften. (Fortsetzung)
5 Einzeldarstellungen 319
trisch nichtleitend und durch Erhitzen leicht Chemische Eigenschaften: Unter Normalbe-
wieder in die graue Modifikation überführbar ist. dingungen greifen Luftsauerstoff und Wasser An-
Werden schließlich Antimon-III-salze elektroly- timon nicht an, jedoch löst es sich in heißen,
siert, entsteht pulvriges, explosives Antimon, das konzentrierten Mineralsäuren (Salpetersäure) auf.
schon bei leichter Berührung funkensprühend in Mit Halogenen wie Fluor, Chlor und Brom rea-
metallisches Antimon übergeht. giert es schon bei Raumtemperatur heftig zu An-
Metallisches Antimon hat silberweißen Glanz timon-III- und -V-halogeniden. Beim Erhitzen an
und lässt sich wegen seiner Sprödigkeit leicht der Luft, namentlich in geschmolzenem Zustand,
spalten und zerkleinern. Seine elektrischen und verbrennt es mit bläulich-weißer Flamme zu
thermischen Leitfähigkeiten sind gering. Antimon-III-oxid. Naszierender Wasserstoff kann
Verbindungen des Antimon-III- bis zum -aller- triumhypochloritlösung unlöslich und färbt sich
dings instabilen- Antimonwasserstoff (SbH3) re- mit Polysulfidlösung orange.
duzieren, von dem sich einige wenige Antimonide Chalkogenverbindungen Antimon-III-oxid (Sb2O3)
ableiten (z. B. K3Sb). kommt als natürliche Verbindung in Form der
Minerale Senarmontit und Valentinit vor. Die bei
Verbindungen Antimon tritt nur sehr selten mit Raumtemperatur weiße (s. Abb. 32a–c), oberhalb
der Oxidationszahl 3 auf, eindeutig bevorzugt einer Temperatur von 600 C gelbe Verbindung
ist +3. Gelegentlich liegt es in der höchstmögli- schmilzt bzw. siedet bei 655 C bzw. 1425 C,
chen Oxidationszahl +5 vor. Dieser Trend zur hat unter Normalbedingungen die Dichte 5,7 g/cm3
stabilsten Oxidationszahl, die um zwei unter der und wird technisch durch Rösten von Antimon-
Höchstzahl der verfügbaren Valenzelektronen III-sulfid (Grauspießglanz, Stibnit) an der Luft
liegt, zeigt den in dieser Gruppe verlaufenden oder durch Verbrennen von Antimon erzeugt.
Wandel vom Nichtmetall Stickstoff zum Metall Ursache des Farbwechsels beim Erhitzen ist
Bismut, er ist analog auch in den benachbarten der Übergang von der weißen, kubisch kristalli-
Hauptgruppen 13 (III A, Erdmetalle, Borgrup- sierenden Modifikation (Senarmontit) zum gelben
pe), 14 (IV A, Kohlenstoffgruppe), 16 (VI A; Valentinit orthorhombischer Struktur bei einer
Chalkogene) und 17 (VII A, Halogene) fest- Temperatur von 606 C (Holleman et al. 1985,
zustellen. S. 687). Das Pulver ist in Wasser nicht löslich,
Wasserstoffverbindungen Der bereits oben er- wohl aber in konzentrierten Säuren und Laugen.
wähnte Antimonwasserstoff (SbH3, Monostiban) Das Molekül der eher kovalenten Verbindung ist
ist ein übel riechendes, giftiges, endothermes und analog zu dem des Phosphor-III-oxids aufgebaut,
sehr zersetzliches Gas vom Kondensationspunkt liegt also in Form von Sb4O6-Einheiten vor, die
17 C und der Dichte 2,16 g/cm3. Das Konden- sich auf den Gitterplätzen befinden. Antimon-III-
sat erstarrt bei 88,5 C. Man stellt Monostiban oxid reagiert amphoter und geht bei 800 C in
beispielsweise aus löslichen Antimonverbindun- „Antimon-IV-oxid“ über, das ein Mischoxid des
gen und naszierendem Wasserstoff oder aber Antimon-III und -V darstellt. Eingesetzt wird es
durch Auflösen von Antimoniden (Magnesiuman- als Farbpigment, zur Herstellung von Emaille, als
timonid, Mg3Sb2) in Säuren her (Berka et al. Katalysator zur Produktion von PET (Polyethy-
1960). Es zersetzt sich bei Raumtemperatur lenterephthalat) und, zusammen mit Zinnoxid, als
langsam, in der Wärme schnell. Man verwendet ATO (Antimon-Tin-Oxide) für transparent-leit-
es gelegentlich in der Halbleiterindustrie zur fähige Beschichtungen von Displays und antista-
n-Dotierung von Silicium. Auch Monostiban tisch wirksamen Substratoberflächen. Antimon-
kann wie Monoarsan zum Nachweis des Elemen- III-oxid ist katalytisch aktiver Synergist in einigen
tes mittels der Marsh’schen Probe dienen; dabei Flammschutzmitteln.
bildet sich auf kalten Oberflächen ein metallisch Die Europäische Chemikalien-Agentur (ECHA)
glänzender Spiegel aus Antimon. Der Antimon- nahm Antimon-III-oxid 2016 gemäß der REACH-
spiegel unterscheidet sich von dem des Arsens Verordnung 1907/2006 auf die Agenda der CoRAP
durch seine dunklere Farbe; zudem ist er in Na- (Community Rolling Action Plan), die die Wirkung
Abb. 32 a Antimon-III-oxid (Onyxmet 2019). b Antimon-III-oxid (Stanford Advanced Materials 2019). c Antimon-III-
oxid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2019)
322 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
oder Tetrachlorethan darstellbar (I; Holleman anteile an Aluminium, Antimon und ggf. Arsen,
et al. 2017, S. 952; Kumar 2007, S. 471). Alter- Gallium und Indium erlaubt es, die Bandlücke und
nativ funktioniert auch die Reaktion von Anti- damit die elektrische Leitfähigkeit des Halbleiters
mon-III-chlorid mit Bor-III-iodid (II; Holleman bestmöglich an die spektrale Verteilung der Wel-
et al. 2007, S. 832): lenlängen des Sonnenlichts anzupassen.
Antimon-III-sulfat [Sb2(SO4)3] kann man
(I) 2 Sb + 3 I2 ! 2 SbI3 durch Auflösen von Antimon-III-oxid in kon-
(II) SbCl3 + BI3 ! SbI3 + BCl3" zentrierter, heißer Schwefelsäure erhalten. Die
farblosen, nadelförmigen und hygroskopischen
Der rubinrote Feststoff (s. Abb. 43) setzt sich Kristalle haben eine Dichte von 3,62 g/cm3. In
mit Wasser und Luftsauerstoff zu Antimonoxidio- schwach basischen Lösungsmitteln wie Sodawas-
did (SbOI) um. Die Verbindung kristallisiert im ser (wässrige Lösung von Natriumcarbonat) hy-
Gittertyp des zu ihr homologen Bismut-III-iodids, drolysiert es bereits wieder zu Antimon-III-oxid
lagert Iodidionen an und bildet dann Tetraiodoan- bzw. -hydroxid.
timonat-III (Norman 1998, S. 96).
Sonstige Verbindungen Dünne, aus Antimonni- Anwendungen Meist wird Antimon in Form
trid (Sb3N) bestehende Filme wurden durch Sput- von Legierungen eingesetzt. Geschmolzenes An-
tern mit Magnetronen auf Grafit erzeugt. Die re- timon hat, anders als die meisten anderen Metalle,
versible Lastspannung dieser Sb3N/Li-Zellen lag eine höhere Dichte als im Feststoff. Daher setzt
zwischen 0,3 und 3,0 V bei einer Energiedichte man Legierungen Antimon zu, damit sie sich
von 600 mAh/g. Die Reaktion von Sb3N zu Li3Sb beim Erstarren ausdehnen. In Gießformen ver-
und Li3N wurde während der Entladung beobach- läuft die erstarrende antimonhaltige Legierung
tet. Die günstigen Leistungsdaten der Antimonni- daher in alle Ecken und Winkel, was einen ein-
trid-Lithium-Batterien sind vielversprechend für wandfreien, schrumpffreien Präzisionsguss er-
die Entwicklung wiederaufladbarer Lithiumakku- möglicht.
mulatoren (Sun et al. 2010). Blei und Zinn verleiht es in vielen Legierungen
Nach der Dichtefunktionaltheorie durchgeführ- größere Härte, so z. B. in Hartblei, Letternmetall,
te Berechnungen der Eigenschaften einer Einzel- Akkumulatoren-Blei und Bleimänteln für Erd-
schicht aus Antimoncarbid (Sb2C) besagen, dass kabel (Blei) oder auch Britanniametall, Lager-
diese thermisch, kinetisch und thermodynamisch metall und Zinngeschirr (Zinn).
stabil sein soll. Dieser indirekte Halbleiter hat eine Die Gruppe der bereits genannten III-V-Ver-
Bandlücke von 0,90 eV nach PBE (Gradientennä- bindungshalbleiter, also Legierungen mit Galli-
herung nach Perdew, Burke und Ernzerhof) (Abu- um, Indium, Aluminium und ggf. Drittmetallen
talib 2018) sind für die Halbleiterindustrie sehr wichtig.
Der III-V-Verbindungshalbleiter Aluminiuman- Antimon-III-sulfid ist ein Halbleiter hoher
timonid (AlSb) schmilzt bei 1050 C und kann zur Lichtempfindlichkeit, der in Fernsehkameras und
Herstellung von Solarzellen verwendet und dafür verschiedenen optoelektronischen Geräten einge-
mit anderen Halbleitern der gleichen Sorte dotiert setzt wurde (Cheng und Samulski 2003). Anti-
werden. Eine Änderung der jeweiligen Mengen- mon-V-sulfid dient als Vulkanisierungsmittel für
bestimmte Gummimischungen (Beispiel: rote
Schläuche in chemischen Labors) und als Be-
standteil des Zündkopfes in Streichhölzern.
Für Antimon-III-oxid (Sb2O3) bestehen beson-
ders viele Einsatzgebiete. Unter anderem ist es der
Katalysator zur Herstellung von Polyester und
PET, ein Weißpigment zur Färbung sowohl von
Polystyrol, Polyethylen und Polypropylen als
Abb. 43 Antimon-III-iodid (Onyxmet 2019) auch keramischer Massen (weiße Glasuren und
5 Einzeldarstellungen 327
nennung „wis(se)mat“ („weiße Masse“) (Grab- Vorkommen Bismut kommt oft gediegen, also
Kempf 2003, S. 197). Berzelius (Kurzbiografie sie- elementar, in der Natur vor, wobei es oft mit
he „Cer“) verlieh dem Element 1814 sein noch Kupfer-, Nickel-, Silber und Zinnerzen vergesell-
heute gültiges Symbol Bi. schaftet ist (Anthony et al. 2001). Die Fundorte
liegen dabei über die ganze Welt verteilt.
Manchmal tritt es auch als Doppelsulfid mit
Der französische Chemiker Claude Fran-
einem weiteren Metallkation auf, wie z. B. im
çois Geoffroy ( 1729; † 18. Juni 1753)
Galenobismutit (PbBi2S4), Lillianit (Pb3Bi2S6),
untersuchte sowohl Bismut als auch seine
Silber-Bismutglanz (AgBiS2), Kupfer-Bismutglanz
Verbindungen, dies nach den von Pott
(CuBiS2) und der Kupfer-Bismutblende (Cu6Bi2S6).
durchgeführten Arbeiten. Ebenso wie dieser
Insgesamt kennt man ca. 220 Minerale.
entdeckte er viele ähnliche Eigenschaften
von Bismut und Blei bzw. ihren Verbindun- Vor einigen Jahren (2006) lag die Menge abge-
gen; so konnte man Bismut ähnlich wie Blei bauten Erzes bei weltweit ca. 5500 t/a, die der
bei der Trennung von Silber und Gold ein- weiter verarbeiteten Bismutverbindungen bei
setzen. Geoffroy fand auch, dass Bismut mit rund 12.000 t/a. Die wichtigsten Förderländer
blauer Flamme verbrennt, dies im Gegen- sind China, von wo ca. 60 % des Bismuts stam-
satz zu Pott, der noch festgestellt hatte, dass men, daneben noch Mexiko (20 %) und Peru
Bismut unbrennbar sei (Geoffroy 1753). (15 %). Die drei genannten Länder spielen auch
Bevor er seine geplante Versuchsreihe zu die Hauptrolle als Standort zur Weiterverarbei-
Blei und Bismut fortführen konnte, verstarb tung, jedoch sind hier auch noch Belgien, Japan
er. Geoffroy war Mitglied der französischen und Kanada wichtig.
Akademie der Wissenschaften.
Gewinnung Oxidische oder sulfidische Erze des
Der preußische Chemiker und Arzt Johann Bismuts werden, ähnlich wie es beim Antimon
Heinrich Pott ( 6. Oktober 1692 Halber- der Fall ist, in Flammöfen mit Kohle oder Eisen
stadt; † 29. März 1777 Berlin) war ab 1709 zu Bismut reduziert. Zur Gewinnung von Bismut
an der Universität Halle als Student der
geht man von oxidischen oder sulfidischen Erzen
Theologie eingeschrieben, studierte später
aus:
Chemie und Medizin. Pott unterbrach sein
Studium für einige Jahre, um mit zwei sei-
2 Bi2 O3 þ 3 C ! 3 CO2 þ 4 Bi
ner Brüder als Verkünder der Sekte der In-
spirierten durch Deutschland zu ziehen,
nahm dann aber 1715 sein Studium wieder Bi2 S3 þ Fe ! 3 FeS þ 2 Bi
auf. Er promovierte 1716 über Metallsulfi-
de, praktizierte dann als Arzt in Halberstadt Das oxidierende Schmelzen des bei den obigen
und wechselte 1720 nach Berlin. Von 1722 Verfahren gewonnenen rohen Bismuts befreit es
an war Pott Mitglied der Societät der Wis- von einigen Verunreinigungen (Antimon, Arsen,
senschaften und ab 1724 Professor für Blei, Eisen und Schwefel). Zusammenschmelzen
Theoretische Chemie am Chirurgischen mit Natriumsulfid entfernt Kupfer, eine Extrakti-
Kolleg. 1737 wurde er auch Professor für on des geschmolzenen Bismuts mit flüssigem
Praktische Chemie. Zinn beseitigt auch Gold und Silber.
Aufgrund von Streitigkeiten um Besetzun- Eigenschaften Bismut ist ein silberweißes bis
gen einer Professorenstelle und wegen fach- rosafarbenes, sprödes Metall. Seine Kristallstruk-
licher Dispute trat Pott 1754 aus der Aka- tur ist rhomboedrisch mit dicht gepackten Dop-
demie der Wissenschaften aus, hielt aber pelschichten, entlang derer das Metall gut spaltbar
noch bis zum Jahr 1770 an der Universität ist. Bei Drücken oberhalb von 9 GPa bildet sich
Vorlesungen. Einer seiner Schüler war Mar- ein kubisch-raumzentriertes Gitter.
tin Heinrich Klaproth (Engel 2001, S. 660;
Bismut ist ein Reinelement, da es nur in Form
Kraft 2014; Ladenburg 1888, S. 486).
des äußerst langlebigen, aber radioaktiven Isotops
5 Einzeldarstellungen 329
209
83Bi natürlich vorkommt (s. Tab. 5). Somit Bleis, Thalliums und auch derjenigen seiner nied-
eröffnet bereits Bismut die lange Reihe radio- rigeren Homologen Antimon und Arsen, auch wenn
aktiver Elemente, die sich an Blei hinauf zu höhe- sie immer noch eine gewisse Toxizität besitzen.
ren Ordnungszahlen anschließt. Flüssiges Bismut zeigt wie einige andere
Es unterscheidet sich von seinen linken Nachbarn Halbmetalle und Metalle (Antimon, Gallium,
im Periodensystem, Blei und Thallium, nicht bezüg- Germanium, Silicium) das Phänomen der Dich-
lich seines ebenfalls bei ca. 300 C liegenden teanomalie beim Schmelzen, da Bismut im ge-
Schmelzpunktes, sondern wegen seiner Sprödigkeit, schmolzenen Zustand eine höhere Dichte als im
seiner relativ schlechten elektrischen Leitfähigkeit festen aufweist.
und seines deutlichen Hall-Effektes, die auch Bis- An trockener Luft ist es bei Raumtemperatur
mut immer noch einige typische Eigenschaften eines beständig. Bei Gegenwart von Feuchtigkeit bildet
Halbmetalls zuweisen. Bismutverbindungen sind sich jedoch langsam eine Oxidschicht. Relativ
demgegenüber auch nicht derart giftig wie die des stabil ist es gegen Wasser und nichtoxidierende
Abb. 44 a Bismut-III-oxid (Dblay 2009). b Bismut-III-oxid (Onyxmet 2019). c Bismut-III-oxid (Stanford Advanced
Materials 2019). d Bismut-III-oxid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2019)
5 Einzeldarstellungen 331
schwarze Salz (s. Abb. 45a–b) kristallisiert ortho- und Lax 1997, S. 340) als auch mit rhombischer
rhombisch (Raumgruppe 62) (Lundegaard et al. Kristallstruktur (Raumgruppe 62) auf (Atabaeva
2005), und seine Löslichkeit in Wasser ist extrem et al. 1973). Bismut-III-selenid ist ein topologi-
gering. Man nutzt es unter Anderem in Katalysa- scher Isolator (Xia et al. 2005). Man verwendet es
toren, das natürlich vorkommende Mineral zur zur Herstellung extrem dünner Filme (Soriaga
Herstellung von Bismut, zudem in Bremsbelägen et al. 2002, S. 167) und solcher Beschichtungen,
und in Flussmitteln beim Lichtbogenschweißen deren elektrischer Widerstand durch Anlegen ei-
(Mahmoud et al. 1997). Bismut-III-sulfid ist ein nes Magnetfeldes veränderbar ist (Magnetoresis-
direkter Halbleiter mit einer Bandlücke von tivität).
1,34 eV und eignet sich sehr gut für lichtoptische Bismut-III-tellurid (Bi2Te3) kommt in der Na-
Anwendungen oder auch als Elektrokatalysator. tur sehr selten als Mineral Tellurobismutit vor.
Bismut-III-selenid (Bi2Se3) ist Bestandteil des Die Verbindung kristallisiert in rhomboedrischer
Minerals Paraguanajuatit, ebenso des Minerals Struktur (Raumgruppe 166) schmilzt bei 573 C
Guanajuatit (Anthony et al. 1990). Der graue, und hat die Dichte 7,64 g/cm3. Den dunkelgrauen
metallisch glänzende Feststoff (s. Abb. 46a–b) (s. Abb. 47a–c), metallisch glänzenden Halbleiter
hat eine Dichte von 7,51 g/cm3, schmilzt bei der Bandlücke 0,12 eV setzt man in Thermo- und
710 C und ist ein Halbleiter mit direkten und Peltier-Elementen ein (Tan 2005).
indirekten Übergängen einer Größenordnung von In Nanodrähten oder dünnen Filmen zeigte
0,3 eV (Nechaev et al. 2013). Die Verbindung tritt n-dotiertes Bismut-III-tellurid mit einem Wert
sowohl mit trigonaler (Raumgruppe 166) (D’Ans von 287 μV/K bei 54 C einen relativ hohen
Seebeck-Koeffizienten (Tan 2005). Jedoch ist da-
mit auch eine verringerte Konzentration elektri-
scher Ladungsträger und damit eine schlechtere
elektrische Leitfähigkeit verbunden (Goldsmid
et al. 1958). In einer aktuelleren Arbeit berichten
die Autoren von einer deutlich höheren elektri-
schen Leitfähigkeit von 1,1∙105 S/m, verbunden
aber mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit von
Abb. 45 a Bismut-III-sulfid (Onyxmet 2019). b Bismut- 1,2 W/(mK), ähnlich wie bei gewöhnlichem Glas
III-sulfid (Stanford Advanced Materials 2019)
(Takeiishi 2006). Auch Bismut-III-tellurid ist ein
topologischer Isolator; dünne Filme erhält man
durch Epitaxie oder mechanisches Exfolieren
(Balandin et al. 2010a, b; Yavorsky et al. 2011).
Halogenverbindungen Bismut-III-fluorid (BiF3)
stellt man durch Lösen von Bismut-III-oxid oder
Bismutoxidchlorid in Flusssäure her (Brauer
1975, S. 218). Dagegen liefert die Reaktion von
Bismut-III-hydroxid mit wässriger Flusssäure
Abb. 46 a Bismut-III-selenid Sputtertarget (QS Advan- nur Oxidfluoride. Bismut-III-fluorid schmilzt bei
ced Materials 2019). b Bismut-III-selenid (Stanford Ad-
vanced Materials 2019) 727 C, hat die Dichte 5,32 g/cm3 und ist ein
Abb. 47 a Bismut-III-
tellurid (Sony Ericsson
W810i 2006). b Bismut-III-
tellurid (Onyxmet 2019).
c Bismut-III-tellurid
(QS Advanced Materials
2019)
332 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
weiterem Erhitzen oberhalb einer Temperatur von fide in Sulfoxide. Es ist Katalysator für die Umset-
500 C zersetzt. Die Struktur der Kristalle ist zung von Aminen, Imidazolen und Indolen zu
trigonal. Man nutzt die Verbindung zum Nachweis Enonen (Holleman et al. 1995, S. 826).
des Bismuts, da der aus der Lösung ausgefällte Bismutvanadat (BiVO4) kommt in der Natur
Niederschlag in Gegenwart überschüssigen Iodids als Mineral Pucherit vor und wird seit 1985 als
unter Bildung orangen Tetraiodobismutats (BiI4) Farbpigment verkauft. Das gelborange Pulver
wieder löslich ist. (s. Abb. 53a–b) der Dichte 6,25 g/cm3 ist heute
Bismutcarbid konnte bislang nur in Form ein- weltweit in Mengen um 1200 t/a als Pigment
zelner Cluster der Zusammensetzung BinC2n+ Yellow 184 (C.I. 771740) im Handel. Man
(n ¼ 3–11), aus der Gasphase durch Umsetzung schmilzt zu seiner Gewinnung entweder Bismut-
neutraler Bismutcluster mit gasförmigen, ungesät- III- und Vanadium-V-oxid zusammen oder fällt
tigten Kohlenwasserstoffen (C2H2, C2H4, C2H2F2) es durch Vereinigung wässriger Lösungen von
und darauf folgender Ionisierung durch Laserlicht Bismut-III-nitrat und Natriummetavanadat aus.
erzeugt werden. Die Stabilität der dargestellten Bei letzterem Verfahren hängt der Farbton stark
Cluster wechselte je nach gerader bzw. ungerader von Temperatur, Konzentration bei der Fällung
Zahl der im Cluster enthaltenen Bismutatome und dem pH-Wert der Lösung ab. Das industriell
(Yamada und Nakagawa 2009). erzeugte Bismutvanadat behandelt man zwecks
Bismut-III-nitrat [Bi(NO3)3] ist in Form des Erhöhung der Wetterbeständigkeit noch nach
Pentahydrats durch Lösen von Bismut oder Bis- (Buxbaum und Pfaff 2005). Die Verbindung be-
mut-III-oxid in Salpetersäure zugänglich (Brauer sitzt ausgezeichnete Farbdeckung, helle und reine
1975, S. 602). Die stabförmigen, farblosen Kristal- Farbe, hohe Farbstärke und sehr gute Stabilität
le trikliner Struktur (s. Abb. 52) hydrolysieren beim gegenüber Wettereinflüssen.
Erhitzen auf eine Temperatur von 60 C unter Von den vier möglichen Kristallmodifikatio-
Bildung basischen Bismutnitrats; bei noch höheren nen eignen sich nur zwei als Farbpigment, da
Temperaturen entsteht Bismut-III-oxid. Die Ver- nur sie den charakteristischen Gelbton aufweisen.
bindung ist in starken Mineralsäuren, Eisessig und Der synthetische Grundtyp kristallisiert monoklin
Glycerin löslich. Bei Kontakt mit Wasser tritt Hy- verzerrt im Calciumwolframat-Typ. Noch bestän-
drolyse zu basischen Salzen ein (Gattow und Kiel diger gegen Alkalien und das Wetter ist die tetra-
1965). Bismut-III-nitrat oxidiert nach Hantzsch gonal kristalliserende Modifikation, die meist in
1,4-Dihydropyridine und überführt organische Sul- Gegenwart von Erdalkaliionen gebildet wird. Bis-
334 5 Pnictogene: Elemente der fünften Hauptgruppe
Zwei schwerere Isotope des Moscoviums, (Schweden) und der Gesellschaft für Schwerio-
289 290
115Mc bzw. 115Mc, entdeckte man bis 2010 nenforschung (Darmstadt), dass sie die Versuche
als Produkte des α-Zerfalls der Tenness-Isotope des Jahres 2004 wiederholt und die seinerzeit in
293 294
117Ts bzw. 117Ts. Das leichtere dieser Isoto- Dubna erhaltenen Ergebnisse bestätigt hätten
289
pe ( 115Mc) konnte später auch direkt erzeugt (Lund University 2013). Auch in Dubna selbst
werden; und es hatte dieselben Eigenschaften wie wiederholte man die damaligen Versuche und er-
dasjenige, das beim Zerfall des 293117Ts auftrat. zeugte dabei auch Nuklide des Isotops 289115Mc,
Das JINR wollte 2017 andererseits leichtere das man mittels Bombardierung mit 42He-Kernen
Moscovium-Isotope durch Beschuss des leichteren auch zur Darstellung der jeweiligen Tenness-
Americiumisotops 24195Am mit geeigneten Kernen Nuklide nutzen konnte (Karol et al. 2015). Auch
des Calciums erzeugen; diese Versuche geschahen das Team des Lawrence Berkeley National Labo-
im neuen Teilchenbeschleuniger der Anlage in ratory (LBNL) bestätigte die Resultate (Gates
Dubna, in dem künftig Nuklide der ersten Elemente et al. 2015). Schließlich erkannte im Dezember
der 8. Periode dargestellt werden sollen. 2015 auch ein aus Vertretern der IUPAC und der
Im August 2013 veröffentlichte ein Team, be- IUPAP bestehendes Team von Fachleuten (Joint
stehend aus Forschern der Universität Lund Working Party) die 2010 erfolgte Entdeckung des
Literatur 337
Ununpentiums durch die Forscher des JINR und ser löslich sein. Moscovium-III-fluorid (McF3)
des LBNL und erkannte den beiden Instituten das wäre dann kaum löslich in Wasser, Moscovium-
Recht zur Namensgebung zu. III-chlorid (McCl3), das Bromid (McBr3) und Io-
did (McI3) aber leicht und unter Hydrolyse zu den
Eigenschaften Moscovium liegt mit seiner Ord- Oxidhalogeniden, wenn diese Trihalogenide denn
nungszahl von 115 im Randgebiet der sogenann- überhaupt stabil sind.
ten „Insel der Stabilität“, die sich um die Elemente Eine zweifelsfreie Möglichkeit zur Analyse
Copernicium (114) und Flerovium (112) grup- von Verbindungen des Moscoviums muss noch
piert. Daher haben die stabilsten Isotope des Mos- etabliert werden (Düllmann 2012; Eichler 2013).
coviums für derartig schwere Kerne untypisch Moscovium ist das schwerste Element, dessen
lange Halbwertszeiten von ca. 10 s. Nuklide in Isotope noch genügend langlebig sind, um mit
diesem Gebiet relativer „Stabilität“ erleiden vor- ihnen chemische Versuche durchzuführen (Moo-
rangig α- und selten einen β+- oder β-Zerfall. dy 2013, S. 24). Bei anderen Fusionen gebildete
Jedoch haben die aktuell bekannten Isotope des Hydride des Bismuts und Poloniums erwiesen
Moscoviums nicht genügend Neutronen, um sich als thermisch überraschend stabil unter den
Richtung Zentrum der „Insel der Stabilität“ posi- jeweils gewählten Versuchsbedingungen, somit
tioniert zu sein. Moscovium sollte ein niedrig hofft man, eines Tages auch Moscovium-III-hy-
schmelzendes Schwermetall mit einer Dichte ähn- drid (McH3) nach Erzeugung von Nukliden des
lich der des Quecksilbers sein (s. Tab. 6). Elements und deren Abtransport im Wasserstoff-
Generell erwartet man für Moscovium inerte strom isolieren zu können (Santiago und Haiduke
7s- und 7p1/2-Elektronenpaare. Sehr wahrschein- 2018). Moscovium sollte aber auch als Element
lich ist das Auftreten des Elements in der Oxida- flüchtig genug sein, um mit ihm in der Gasphase
tionsstufe +1, und Mc+-Verbindungen sollten de- Umsetzungen durchführen zu können.
nen des Tl+ am stärksten ähneln (Keller Jr. und
Nestor Jr. 1974). Sollte wegen relativistischer Ef-
fekte das im Periodensystem links benachbarte Literatur
Flevorium eher die Eigenschaften eines Edelgases
zeigen, wäre festgelegt, dass die wichtigste Oxi- Abutalib MM (2018) A new antimony carbide monolayer:
dationsstufe des Moscoviums +1 ist, weshalb es an indirect semiconductor with a tunable band gap.
Chem Phys Lett 708:188–193. https://doi.org/10.1016
sich sogar ähnlich einem Alkalimetall zeigen
/j.cplett.2018.08.020
könnte. Falls es dieses gibt, verhielte sich ein Albinus M (1994) Hagers Handbuch der pharmazeutischen
Mc3+-Kation allerdings wie sein leichteres Homo- Praxis: Stoffe E – O. Springer, Berlin/Heidelberg.
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Sb2Te3 and Sb2Te2se structures and their relationship
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aus, weshalb die Oxidationsstufe +5 unmöglich Cryst Sect B 30:1307-1310. https://doi.org/10.1107/
erscheint. In jedem Fall wäre Moscovium deutlich S0567740874004729
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Chalkogene: Elemente der sechsten
Hauptgruppe 6
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 345
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https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_6
346 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
Die Einzeldarstellungen der insgesamt sechs Tellur sind Bestandteil des Anodenschlamms der
Vertreter der Gruppe der Chalkogene enthalten da- Produktion hochreinen Nickels und Kupfers und
bei alle wichtigen Informationen über das jeweilige können durch dessen Aufarbeitung gewonnen
Element, so dass ich hier nur eine kurze Einleitung werden. Polonium ist in winzigsten Spuren in
vorangestellt habe. Pechblende enthalten; man gewinnt es bevorzugt
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Na- aber in Kernreaktoren durch Beschuss von Bis-
trium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie Ar- mutatomen mit Neutronen.
sen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie beispiels-
weise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die meisten
Elemente können sich untereinander verbinden und
4 Eigenschaften
bilden chemische Verbindungen; so wird z. B. aus
Natrium und Chlor die chemische Verbindung Na-
4.1 Physikalische Eigenschaften
triumchlorid, also Kochsalz).
Einschließlich der natürlich vorkommenden
Wie bereits erwähnt, sind Sauerstoff und Schwefel
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
reine Nichtmetalle, Selen und Tellur Halbmetalle
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
und Polonium sowie Livermorium Metalle. Die
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf.
physikalischen Eigenschaften sind nach steigender
Atommasse abgestuft. So nehmen vom Sauerstoff
zum Tellur die Dichte, Schmelz- und Siedepunkte
zu. Ab Polonium nehmen die Schmelzpunkte wie-
2 Vorkommen
der ab; dies dürfte wesentlich auf die sehr starke
radioaktive Strahlung zurückzuführen sein, die die
Sauerstoff ist das häufigste Element in der Erdhülle
Stabilität des Kristallgitters deutlich verringert.
und ist in der Luft zu gut einem Fünftel des Gesamt-
Generell weicht bei den Chalkogenen, wie auch
volumens enthalten. Sauerstoff, aber vor allem
bei allen anderen Hauptgruppen, das Kopfelement
Schwefel, Selen und Tellur kommen in der Natur
(hier: Sauerstoff) in seinen Eigenschaften deutlich
meist in Form von Erzen und Mineralien vor, wenn-
von allen anderen ab. Schwefel als zweites Element
gleich auch mit sehr unterschiedlicher Häufigkeit.
dieser Gruppe steht den höheren Homologen, Selen
Oxide und Sulfide sind weit verbreitet. Oxide sind
und Tellur, viel näher als Sauerstoff; auch seine
beispielsweise Kohlendioxid in der Erdatmosphäre
Verbindungen (z. B. Wasserstoffverbindungen,
und Quarz (Siliciumdioxid), der den Hauptbestand-
Oxosäuren) sind denen des Selens und Tellurs sehr
teil der Erdkruste bildet. Zu den Sulfiden gehören
ähnlich, so dass man hier von einer homologen
u. a. die Mineralien Bleiglanz, Zinnober, Pyrit, Zink-
Reihe spricht.
sulfid und Kupferkies. Wesentlich seltener kommen
Selenide und Telluride vor. Darüber hinaus gibt es
viele weitere Verbindungen wie z. B. Sulfite, Sul-
fate und Selenate. 4.2 Chemische Eigenschaften
Sauerstoff, Schwefel, Selen und Tellur kom-
men in der Natur auch in elementarer Form vor. Chalkogene reagieren mit Metallen meist heftig zu
Oxiden, Sulfiden usw., mit Wasserstoff zu Chalko-
genwasserstoffen (H2X: Wasser, Schwefelwasser-
stoff, Selenwasserstoff usw.). Sie gehen auch unter-
3 Herstellung einander Verbindungen wie Schwefeloxide oder
Selensulfid ein. Chalkogenoxide bilden, zusammen-
Gasförmiger Sauerstoff wird durch fraktionierte gebracht mit Wasser, Säuren: z. B. Schweflige Säure
Destillation flüssiger Luft gewonnen. Auch für die und Selenige Säure (Summenformel H2XO3) aus
Herstellung des Schwefels sind die Lagerstätten den Dioxiden, sowie Schwefelsäure, Selensäure
des Elements die wichtigste Quelle. Selen und usw. (Summenformel H2XO4) aus den Trioxiden.
5 Einzeldarstellungen 347
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Biosphäre vor (Allègre et al. 2001). Er besitzt stehenden Destillationskolonnen. In der ersten,
einen außergewöhnlich hohen Massenanteil von der mit einem Druck von 5–6 bar gefahrenen
50,5 % (!) an der Erdhülle. In der Luft ist ele- Mitteldruckkolonne, sammelt sich der tiefer sie-
mentarer Sauerstoff mit einem Massenanteil von dende Stickstoff (196 °C) am Kopf, der höher
23,2 % enthalten, am gesamten Wasser der Erde siedende Sauerstoff (183 °C) am Fuß der Kolon-
mit durchschnittlich 89 % in gebundener und ge- ne. Die sich im unteren Teil der Kolonne sam-
löster Form (Holleman et al. 2007). melnde, mit Sauerstoff angereicherte flüssige Luft
Nahezu alle Minerale und damit Gesteine ent- durchläuft dann eine weitere fraktionierte Destil-
halten Sauerstoff, beispielsweise Silikate wie lation in der mit einem Druck von 0,5 bar be-
Feldspäte, Glimmer und Olivine, Carbonate wie triebenen Niederdruckkolonne (Greenwood und
Kalkstein (Calciumcarbonat) sowie Oxide [Silici- Earnshaw 1988, S. 775–839). Der leichter flüch-
umdioxid (Quarz)]. Die Menge des in der Luft tige Stickstoff entweicht zuerst. Relativ konzen-
enthaltenen elementaren Sauerstoffs bleibt unge- trierter flüssiger Sauerstoff bleibt zurück, der noch
fähr konstant, da Sauerstoff produzierende Pflan- die höher siedenden Edelgase Krypton und Xenon
zen diejenige Menge Sauerstoff nachliefern, die enthält. Jene trennt man in einer zusätzlichen
durch aerob atmende Lebewesen und andere Ver- Kolonne ab.
brennungsprozesse verbraucht wird. Das Allotrop Zur Gewinnung kleinerer Mengen an Sauer-
Ozon (O3) ist in der Atmosphäre nur in sehr ge- stoff für medizinische Anwendungen leitet man
ringer Konzentration vorhanden, jedoch in der Luft durch Molekularsiebe, die Stickstoff und
Stratosphäre von entscheidender Bedeutung für Kohlendioxid absorbieren, Sauerstoff und Argon
die Abschirmung des von der Sonne ausgesandten aber durchlassen.
UV-Lichtes.
Im Weltall ist Sauerstoff nach Wasserstoff und Eigenschaften Molekularer Sauerstoff ist ein
Helium ebenfalls sehr häufig vertreten und im- farb-, geruch- und geschmackloses Gas, das bei
merhin das dritthäufigste Element (Davies 2003). einer Temperatur von 183 °C (s. Tab. 1) zu einer
bläulichen Flüssigkeit kondensiert. Jene erstarrt
Gewinnung Man gewinnt Sauerstoff fast aus- unterhalb einer Temperatur von 218,75 °C zu
schließlich durch fraktionierte Destillation flüssi- blauen Kristallen (Holleman et al. 2007). Im Fest-
ger Luft nach dem Linde-Verfahren, das später stoff liegen paramagnetische, diradikalische O2-Mo-
durch Claude verbessert wurde. Zudem fallen leküle mit einem O–O-Abstand von 121 pm (Dop-
kleinere Mengen als Nebenprodukt bei der Her- pelbindung) vor, die in Abhängigkeit von der
stellung von Wasserstoff im Zuge der Elektrolyse Temperatur in mehreren Modifikationen auftreten.
von Wasser an. Im Temperaturbereich zwischen 218,75 °C und
Man verdichtet Luft auf einen Druck von 5–6 229,35 °C kristallisiert Sauerstoff kubisch (γ-Mo-
bar, kühlt sie ab und leitet sie durch Filter, die difikation), zwischen 229,35 °C und 249,26 °C
Kohlendioxid, Spuren von Wasser und andere rhomboedrisch (β-Sauerstoff) und unterhalb einer
Gase entfernen. Die verdichtete Luft wird durch Temperatur von 249,26 °C monoklin (α-Sauer-
vorbeiströmende Gase aus dem Prozess auf eine stoff) (Holleman et al. 2007).
Temperatur nahe ihrem Siedepunkt abgekühlt. Sauerstoff ist in reinem Wasser nur wenig lös-
Danach wird sie in Turbinen expandiert. Dabei lich (bei 0 °C ca. 14 mg/L unter seinem Par-
kann man ein Teil der zur Kompression einge- tialdruck aus der Luft). In der Gasentladungsröhre
setzten Energie wieder zurückgewinnen. Dadurch (Druck: 5–10 mbar, Spannung: 1,8 kV, Stromstär-
wird das Verfahren – im Gegensatz zum Linde- ke: 18 mA, Frequenz: 35 kHz) leuchtet Sauer-
Verfahren, bei dem keine Energie zurückgewon- stoff blau.
nen wird – deutlich wirtschaftlicher. Im Grundzustand zeigt das Sauerstoffmolekül
Die beiden Hauptbestandteile der Luft, Stick- die Spins beider Valenzelektronen parallel, also
stoff (78 Vol.-%) und Sauerstoff (21 Vol.-%) gleichsinnig, angeordnet. Dieser Triplett-Sauer-
trennt man in zwei unter verschiedenem Druck stoff (Termsymbol 3Σg) stellt den energieärmsten
5 Einzeldarstellungen 349
Zustand dar. Die beiden π*-Orbitale sind nur halb stoff), die sich hinsichtlich der Anordnung der
mit jeweils einem ungepaarten Elektron besetzt, beiden ungepaarten Elektronen unterscheiden
was den diradikalischen Charakter und den Para- [beide Elektronen in einem π*-Orbital (Termsym-
magnetismus des Sauerstoff-Moleküls bedingt. bol: 1Δg) oder in beiden π*-Orbitalen (Term-
In den zwei angeregten Zuständen des Sauer- symbol: 1Σg)]. Letzterer ist energiereicher und
stoffs sind die Spins der Elektronen antiparallel, diamagnetisch; er wandelt sich schnell in den
also gegensinnig, ausgerichtet (Singulett-Sauer- 1Δg-Zustand um. Dieser hat wegen seines Bahn-
350 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
momentes einen Paramagnetismus, der dem des Ozonkonzentrationen von bis zu 5 % im als
Triplett-Sauerstoffs vergleichbar ist (Hasegawa Hauptprodukt entstehenden Sauerstoff erzielt
2008; Shinkarenko und Aleskovskiji 1981; Lecht- werden können. Eine geeignete Kühlung trägt
ken 1974). mit anderen möglichen Maßnahmen dazu bei,
Singulett-Sauerstoff kann man fotochemisch dass noch höhere Ausbeuten erreichbar sind.
aus Triplett-Sauerstoff erzeugen sowie aus che- Ebenfalls im Labor kann man mittels elektrischer
mischem Weg aus anderen Sauerstoffverbindun- Entladungen oder durch Bestrahlung mit Ultra-
gen. Der Einsatz von Licht scheidet aber wegen violettlicht Ozon erzeugen (Brauer 1963, S. 337).
nicht erfüllter quantenmechanischer Auswahl- Da sich Ozon sehr leicht zersetzt, kann man es
regeln aus, da nur durch eine simultane Bestrah- nicht in Druckflaschen abfüllen und verkaufen,
lung mit Photonen und Kollision zweier Sauer- sondern es muss an der Stelle seines Verbrauchs
stoffmoleküle Singulett-Sauerstoff gebildet wird. erzeugt werden. In der Großtechnik leitet man ein
Dieser noch am ehesten in der flüssigen Phase hauptsächlich aus Sauerstoff bestehendes Träger-
ablaufenden Vorgang führt zur blauen Farbe des gas durch einen mit elektrischen Entladungen ge-
flüssigen Sauerstoffs. Chemisch kann man den speisten Ozongenerator.
stark oxidierend wirkenden Singulett-Sauerstoff In reinem Sauerstoff sind dann Ozongehalte
aus Peroxiden gewinnen. Im Gegensatz zu nor- von 6–13 % möglich. Die Herstellung eines kg
malem Sauerstoff reagiert er mit 1,3-Dienen in Ozon erfordert etwa 7–14 kWh Strom und 1,8 m3/h
einer [4 + 2]-Cycloaddition zu Peroxiden. Kühlwasser.
Ein Allotrop des Sauerstoffs ist Ozon (O3), des- Das gewinkelte, polare Molekül des Ozons
sen Molekül drei Sauerstoffatome enthält. Es ist ein liegt in allen Aggregatzuständen vor. Der Bin-
farbloses bis bläuliches, in hoher Konzentration dungswinkel beträgt 117°, die O-O-Bindung ist
tiefblaues Gas (Ahrens et al. 2016) von typischem 128 pm lang. Ozon unterhält eine Verbrennung
Geruch. In der Luft befindliche Ozonmoleküle zer- sehr stark; Ozon oxidiert zudem viele Stoffe
fallen unter Normalbedingungen innerhalb weni- spontan, teils auch unter Explosion (Koike et al.
ger Tage zu Sauerstoff. Ozon schmilzt bzw. siedet 2005) und wirkt wesentlich stärker oxidierend
bei Temperaturen von 192,5 °C bzw. 111,9 °C als Sauerstoff. Das Normalpotenzial E° der Re-
und hat bei 0 °C eine Dichte von 2,154 kg/m3. Es aktion
ist ein starkes und giftiges Oxidationsmittel, das bei
Menschen und Tieren zu Reizungen der Atemwege O3 þ 2 Hþ þ 2 e ! O2 þ H2 O
und der Augen führt, jedoch schützt die in der
Stratosphäre enthaltene Ozonschicht die Lebewe- liegt bei +2,07 V. Bei Raumtemperatur oxidiert
sen auf der Erde vor der ultravioletten Strahlung Ozon Halbedelmetalle wie Silber oder Quecksil-
der Sonne. ber spontan zu ihren Oxiden, Halogenide zu Ha-
Die Konzentration des Ozons in der Strato- logenen, Schwefel-IV-oxid zu Schwefel-VI-oxid
sphäre beträgt bis zu einige ppm. In Städten ist und trockenes Kaliumhydroxid zum Kaliumozo-
seine Konzentration niedriger als in Gebieten mit nid. Nahezu alle Doppel- oder Mehrfachbindun-
reinerer Luft. Das in den Abgasen von Verbren- gen organischer Moleküle greift es sofort an (Pat-
nungsmotoren enthaltene Stickstoffmonoxid trägt naik 2002, S. 684).
mit zum Abbau des Ozons bei. Ozon setzt man in der Wasseraufbereitung zur
Ozon kann man im Labor durch Reaktion von Entkeimung und zum Abbau störender Stoffe ein.
konzentrierter Schwefelsäure mit Kaliumperman- Bei der oxidierenden Gaswäsche wird Ozon als
ganat darstellen. Dabei bildet sich zuerst Mangan- Oxidationsmittel verwendet. Sogar in einigen
VII-oxid, das bei Raumtemperatur zu Mangan-IV- modernen Waschmaschinen arbeitet ein Ozon-
oxid und ozonreichem Sauerstoff zerfällt. Eine generator zur Desinfektion der Wäsche. Zur Ent-
weitere Herstellmöglichkeit ist die Elektrolyse fernung von Gerüchen aus dem Innenraum ge-
einer etwa 20 %iger Schwefelsäure an Edelmetal- brauchter Fahrzeuge setzt man es ebenfalls ein
lanoden, an denen bei hohen Stromdichten (Baumbach 1992, S. 385).
5 Einzeldarstellungen 351
Verbindungen Sauerstoff reagiert mit fast allen stoff in Schwefel-VI-fluorid sowie Verbindungen
Elementen, außer mit Helium, Neon und Argon. des Neptuniums bzw. Plutoniums schon bei nied-
Sauerstoff ist stark elektronegativ und tritt daher rigen Temperaturen in die jeweiligen Hexafluori-
fast immer mit der Oxidationszahl 2 auf, mit de (NpF6 und PuF6) (Eller et al. 1998).
Ausnahme von Peroxiden, in denen er mit der Sauerstoffdifluorid (OF2) wurde 1929 erst-
Oxidationsstufe 1 erscheint. Nur in seinen Ver- malig durch Elektrolyse einer Mischung von ge-
bindungen mit Fluor hat Sauerstoff positive Oxi- schmolzenem Kaliumfluorid und konzentrierter
dationszahlen (+1 im Disauerstoffdifluorid O2F2; Flusssäure erzeugt. Heute gewinnt man es durch
+2 im Sauerstoffdifluorid OF2). Die ionischen Einleiten von Fluor in Natron- oder Kalilauge
Formen des Sauerstoffs sind Oxid (O2), Peroxid- (Holleman et al. 2017, S. 532; Brauer 1975,
(O22), Hyperoxid- (O2), Ozonid (O3) und das S. 179). Die Verbindung ist eines der stärksten
Dioxygenylkation (O2+). Oxidationsmittel überhaupt, das sogar Xenon zu
Die meisten Sauerstoffverbindungen sind io- Xenontetrafluorid (XeF4) oxidiert. Mit Schwefel-
nisch oder kovalent aufgebaute Oxide; in ihnen IV-oxid reagiert es zu Schwefel-VI-oxid und
tritt Sauerstoff in der Oxidationsstufe 2 auf. Fluor. Die Löslichkeit in Wasser ist gering, außer-
Mit Alkali- und Erdalkalimetallen bildet Sau- dem zersetzt sich Sauerstoffdifluorid in Wasser zu
erstoff ionisch aufgebaute und basische Oxide, Fluorwasserstoff und Sauerstoff. Man testete die
wie beispielsweise: Verbindung in Treibstoffen für Raketen, aller-
dings verhinderte die Aggressivität des Sauer-
2 Ca þ O2 ! CaO stoffdifluorids gegenüber den Materialien des Be-
hälters und des Motors bisher eine Anwendung in
Mit steigender Oxidationsstufe des Metallions größerem Maßstab.
reagieren Oxide zunehmend amphoter (Alumini- Sauerstoffdifluorid kondensiert bei 144,8 °C zu
um-III-oxid, Titan-IV-oxid) und schließlich sauer einer orangefarbenen Flüssigkeit, die bei 223,8 °C
(Chrom-VI-oxid). erstarrt. Das Gas hat bei einer Temperatur von 0 °C
Mit Nichtmetallen bildet Sauerstoff nur kova- eine Dichte von 2,42 g/L. Die Struktur des Moleküls
lente Oxide. Die mit Wasserstoff gebildeten Sau- ähnelt der des Wassermoleküls; der F-O-F-Bindungs-
erstoffverbindungen sind Wasser (H2O) und Was- winkel beträgt 103°, die O-F-Bindung ist jeweils
serstoffperoxid (H2O2); letzteres ist instabil und 140,5 pm lang. Wird das Gas eingeatmet, sind starke
wird als Oxidations- und Bleichmittel eingesetzt. und lang anhaltende Atembeschwerden die Folge.
Fluorverbindungen Disauerstoffdifluorid (O2F2) Trisauerstoffdifluorid (O3F2) erhält man durch
wurde erstmals durch Einwirkung elektrischer Ent- Reaktion von Sauerstoff mit Fluor unter Einwir-
ladungen auf ein aus Sauerstoff und Fluor bestehen- kung elektrischer Entladungen bei niedrigem
des Gasgemisch erzeugt (Ruff und Menzel 1933). Druck und Temperaturen von ca. 190 °C (Brau-
Das Molekül der Verbindung hat die Strukturformel er 1975, S. 176). Erstmals gelang Aoyama und
F-O-O-F mit einem FOO-Winkel von 109,5° sowie Sakuraba die Synthese (Kirshenbaum und Von
Bindungslängen O-O von 122 pm bzw. O-F von Grosse 1959).
158 pm. Das braune Gas kondensiert bei 57 °C zu Die tiefrote Flüssigkeit erstarrt bei 190 °C und
einer kirschroten Flüssigkeit einer Dichte von 1,45 zersetzt sich bereits oberhalb einer Temperatur von
g/cm3 (am Siedepunkt), die nach weiterem Abküh- 157 °C in Sauerstoff und Disauerstoffdifluorid.
len bei einer Temperatur von 163,5 °C zu einem Die Struktur des Moleküls ist gewinkelt und ent-
orangegelben Feststoff erstarrt (Bridgeman und Ro- spricht der Abfolge F-(O)3-F (Riedel und Janiak
thery 1999). 2011, S. 423; Steudel 2008, S. 426). Die Verbindung
Schon oberhalb einer Temperatur von 95 °C ist gewöhnlich sicherer handzuhaben als Ozon und
zersetzt sich Disauerstoffdifluorid und ist ansons- kann ohne Auftreten einer Explosion verdampft,
ten ein starkes Oxidations- und Fluorierungsmittel thermisch zersetzt oder einem Funkenstrahl aus-
(Streng 1963). So überführt es Chlor in Chlor-I- gesetzt werden. Sobald sie aber mit organischen
fluorid und Chlor-III-fluorid, Schwefelwasser- und/oder brennbaren Materialien in Kontakt kommt,
352 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
erfolgt fast immer eine Detonation. So führt schon ein. In chemischen Prozessen wird Sauerstoff
die Zugabe nur eines Tropfens von Trisauerstoff- meist zur Oxidation diverser Grundstoffe verwen-
difluorid zu festem, wasserfreiem Ammoniak bei det, wie z. B. bei der Oxidation von Ethen zu
183 °C zu einer schwachen Explosion (Streng Ethylenoxid, zur Erzeugung von Wasserstoff-
1963). und Synthesegas und bei der Produktion von
Tetrasauerstoffdifluorid (O4F2) konnte als Schwefel- und Salpetersäure. Weitere durch Oxi-
roter, instabiler, bei 196 °C schmelzender dation mit Sauerstoff hergestellte wichtige Pro-
Feststoff durch Einwirkung elektrischer Ent- dukte sind Acetaldehyd, Essigsäure, Vinylacetat
ladungen auf ein aus Sauerstoff und Fluor im und Chlor. Weitere Einsatzgebiete sind die Her-
Volumenverhältnis 2:1 bestehendes, in ei- stellung von Ozon, Brennstoffzellen und die
nem Pyrexkolben befindliches Gemisch bei Halbleiterindustrie. Flüssiger Sauerstoff dient als
196 °C und niedrigem Druck erhalten werden Treibstoff für Raketen.
(Gardiner und Turner 1972). Das O4F2-Molekül Bei der Reinigung von Abwässern bewirkt
steht im Gleichgewicht mit dem O2F-Radikal. zusätzlich in diese eingeleiteter Sauerstoff einen
Tetrasauerstoffdifluorid ist ein extrem starkes schnelleren Abbau organischer Schadstoffe, bei
Fluorierungs- und Oxidationsmittel, so oxidiert der Aufbereitung von Trinkwasser bewirkt Einleiten
es Ag-II zu Ag-III oder Au-III zu Au-V. Leichter von Ozon (O3) ebenfalls eine beschleunigte Oxida-
oxidierbare Stoffe reagieren selbst bei sehr tiefen tion organischer Stoffe und auch von Bakterien.
Temperaturen äußerst heftig, so reagiert bei Sauerstoff ist ein Lebensmittelzusatzstoff (E 948)
180 °C Schwefel unter Explosion zu Schwefel- und wird als Treib- und Packgas verwendet.
VI-fluorid.
Biologische Bedeutung Sauerstoff wird in der
Anwendungen Sauerstoff wird für Zwecke der Natur im Wesentlichen durch Fotosynthese er-
intensivmedizinischen Versorgung in weiß ge- zeugt. Die meisten aeroben Organismen (Säuge-
kennzeichneten Flaschen abgefüllt (Bundes- tiere einschließlich des Menschen, die meisten
ministerium der Justiz 2005). Die Anreicherung Fische, Wirbellose, Pflanzen und viele Bakte-
des Sauerstoffs im Blut ist mittels der Pulsox- rien) benötigen den auf diese Weise erzeugten
ymetrie oder anhand von Blutgasanalysen Sauerstoff zum Leben. Bei der Atmung wird
messbar (Andrews und Nolan 2006). Bei chro- der Sauerstoff in der Atmungskette wieder Was-
nischem Sauerstoffmangel im Blut verbessert ser und Kohlendioxid umgewandelt. Sauerstoff
eine langfristige zusätzliche Verabreichung und einige seiner gelegentlich auch radikalischen
von Sauerstoff die Lebensqualität und auch die Verbindungen sind sehr reaktionsfähig und kön-
Überlebensdauer (Deutsche Gesellschaft für nen Zellmaterial angreifen. Daher besitzen viele
Pneumologie 1993). Die Verwendung reinen Organismen schützende Enzyme wie Katalase
Sauerstoffs kann aber zu Problemen führen, da und Peroxidase; sind diese nicht vorhanden,
er das Kohlendioxid aus den Gefäßen verdrängt wirkt Sauerstoff toxisch. Der oxidative Stoff-
(Iscoe und Fisher 2005), was eine Erhöhung der wechsel produziert reaktive freie Radikale, die
Hirnaktivität zur Folge hat. Dies wird durch abgefangen werden müssen, da sie sonst wichti-
Zumischung von Kohlendioxid vermieden (Ma- ge Funktionsmoleküle im Körper zerstören kön-
cey et al. 2007). nen.
Bei der Herstellung von Roheisen und Stahl Atmet der Mensch reinen Sauerstoff oder Luft
sowie bei der Raffination von Kupfer setzt man höheren Sauerstoffgehaltes ein, so können nach
Sauerstoff oder mit diesem angereicherte Luft so- einiger Zeit die Lungenbläschen anschwellen
wohl zum Erreichen hoher Temperaturen als auch (Lorrain-Smith-Effekt), was unter ungünstigen
zum Verbrennen unerwünschter Beimengungen Umständen auch zum Tode führen kann. Werden
von Kohlenstoff, Silicium, Mangan und Phosphor komprimierte Sauerstoff-Stickstoff-Gemische ein-
5 Einzeldarstellungen 353
geatmet, besteht das Risiko einer Vergiftung des zifischen Rückens. Man findet ihn aber auch
zentralen Nervensystems (Paul-Bert-Effekt). in vielen anderen Regionen (Polen, südliche US-
Bundesstaaten). Er erscheint dann als gelber
Schwefel („Schwefelblüte“).
5.2 Schwefel Wesentlich häufiger tritt Schwefel in der Litho-
sphäre in Form von Sulfiden, Oxiden, Sulfaten,
Geschichte In China und Ägypten nutzte man Halogeniden etc. auf. Man kennt ca. 1000 schwe-
Schwefel schon seit etwa 5000 v. Chr. zur Des- felhaltige Minerale; die bekanntesten sind Pyrit
infektion, als Arzneimittel und zum Bleichen von und Markasit (FeS2, Schwefelgehalt ca. 53,5 %).
Textilien. Verwendet wurde Schwefel entweder Für die Gewinnung des Schwefels wichtig sind
aus natürlichen Quellen, oder man erzeugte ihn fossile Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle.
aus leicht zu verarbeitenden Erzen wie Pyrit (Fi- Erdgas kann hohe Konzentrationen an Schwefel-
gurowski 1981, S. 179). Auch im antiken Grie- wasserstoff (H2S) aufweisen. In Braunkohle be-
chenland setzte man schon früh Schwefel in oben trägt der Schwefelgehalt bis zu 10 % (Adolphi und
genannten Anwendungen ein, darüber hinaus zum Ullrich 2000).
Desinfizieren von Behältnissen, in denen Wein In der Hydrosphäre tritt Schwefel meist in
aufbewahrt wurde (Rapp 2009, S. 242). In Land- Form des Sulfations auf, das sich vor allem im
und Seekriegen verwendete man brennenden Meerwasser findet. In Süßwasser kommt Sulfat
Schwefel als Brandwaffe. In China stellte man aus natürlichen Quellen in sehr unterschiedlicher
um 1000 n. Chr. explosionsfähige Mischungen Konzentration vor; es ist ein wichtiger Bestandteil
aus Kaliumnitrat, Holzkohle und Schwefel her, der Wasserhärte. Manche Alpenquellen enthalten
das über einige Jahrhunderte hinweg der einzige Sulfat in hoher Konzentrationen. Da Sulfat, in
verfügbare Explosivstoff war (Seel 1988, S. 9). Es größeren Mengen eingenommen, Durchfall ver-
gibt keine klaren historischen Hinweise darauf, ursachen kann, beschränkt die deutsche Trink-
dass der deutsche Mönch Berthold Schwarz diese wasserverordnung die maximal erlaubte Sulfat-
später „Schwarzpulver“ genannte Mischung wie- konzentration in Trink- oder Mineralwässern auf
der entdeckt haben soll (Feldhaus 1910, S. 617). 240 mg/L.
Verbrennungsprozesse schwefelhaltiger Brenn-
Vorkommen Schwefel ist ein gelber, nichtmetal- stoffe und Vulkanausbrüche bewirken das Vorkom-
lischer Feststoff, der in mehreren allotropen Mo- men von Schwefel in Form von Schwefeldioxid
difikationen auftritt. Er kommt in der Lithosphäre, (SO2) in der Troposphäre. Die gesamte jährliche
Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre vor, so- Emission an SO2 beträgt 400 Mio. t (!) (Wellburn
wohl in Form von Sulfiden (Oxidationszahl 2), et al. 1997). Schwefeldioxid wird leicht durch Pflan-
in Aminosäuren (Oxidationszahl 1/2), als ele- zenblätter absorbiert und dem Stoffwechsel zuge-
mentarer Schwefel (Oxidationszahl 0), als Schwe- führt.
feldioxid in Vulkangasen und der Atmosphäre Außerhalb der Erde sind Schwefel oder seine
generell (Oxidationszahl +4) und in Form von Verbindungen im Sonnensystem nachgewiesen
Sulfaten (Oxidationszahl +6) (Schmidt 1973). worden. Die Wolken unseres sonnennäheren Nach-
Sein Massenanteil an der Erdhülle beträgt 0,048 %, barplaneten Venus enthalten große Mengen an
Schwefel steht damit an 15. Position in der Rangliste Schwefeldioxid und Schwefelsäure; erklärbar bei
der häufigsten Elemente. einer Oberflächentemperatur von ca. 400 °C.
Elementar kommt Schwefel in großen Lager- Ebenso fanden die Viking-Sonden Eisen- und
stätten vor, oft in Gebieten mit starker tekto- Magnesiumsulfat auf unserem sonnenferneren
nischer Aktivität, wie etwa im Iran, auf Sizilien, Nachbarplaneten Mars, was auf das frühere Vor-
in Mexiko, auf dem Meeresboden des Golfes von handensein von Wasser dort hindeuten könnte.
Mexiko sowie des Mittelatlantischen und Ostpa- Auf dem einen ungewöhnlich starken Vulkanis-
354 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
mus zeigenden Jupitermond Io -dessen mittlere nend und zeigen einen fettigen Glanz. Pulvrige Ag-
Oberflächentemperatur bei 140 °C liegt- finden gregate sind jedoch undurchsichtig matt.
sich zahlreiche heiße Stellen an der Oberfläche; Rhombischer Schwefel besteht aus S8-Ringen
einige davon sind Seen, die aus geschmolzenem (Cyclooctaschwefel); der Nachweis mittels Rönt-
Schwefel bestehen. Forschungsergebnisse der genstrukturanalyse gelang 1935. Wird Schwefel
NASA lassen vermuten, dass sich auf der Ober- zunächst erhitzt, und dann die Temperatur längere
fläche des Jupitermondes Europa erhebliche Men- Zeit gehalten, so brechen die S8-Ringe teilweise
gen Sulfate und Schwefelsäure befinden. auf, wodurch es zu einer Senkung des Schmelz-
Im Weltall wurden mit Hilfe der Radiotelesko- punktes auf bis zu 114,5 °C kommt. Weiteres
pie bisher einige Schwefelverbindungen nach- Erhitzen über den Schmelzpunkt hinaus führt zu
gewiesen, wie beispielsweise Kohlenstoffdisulfid einem drastischen Anstieg der Viskosität infolge
(CS2), Carbonylsulfid (COS), Schwefelwas- Bildung langer, kettenförmiger Moleküle, die ihr
serstoff (H2S), Thioformaldehyd (H2CS) und Maximum bei 187 °C erreicht. Bei noch höherer
Schwefeldioxid (SO2) (Gottlieb et al. 1978; Sin- Temperatur zerbrechen die langen Kettenmolekü-
clair et al. 1973). Astronomen haben die Hoff- le in kleinere Einheiten, was wiederum mit einer
nung, mittels der Detektion von Schwefeldioxid Senkung der Viskosität einhergeht.
Vulkanismus auf Planeten außerhalb unseres Son- Schwefel zeigt bis zu dreißig diverse Allotrope.
nensystems nachzuweisen. Die unter Normalbedingungen thermodynamisch
stabilen enthalten alle S8-Molekülringe (Cyclo-
Gewinnung Das Ende des 19. Jahrhunderts octaschwefel), aber es gibt Ring- und Kettenmole-
entwickelte Frasch-Verfahren erlaubt die Aus- küle mit unterschiedlicher Zahl an Schwefel-
beutung unterirdischer Lagerstätten elementaren atomen:
Schwefels (Schmidt 1973). Die wichtigsten Vor-
kommen liegen in Kanada, in den Vereinigten a. Im natürlich vorkommenden Schwefel liegen
Staaten von Amerika, der ehemaligen Sowjet- kronenförmig gezackte S8-Ringmoleküle (Cy-
union und Westasien. Die Volksrepublik China clooctaschwefel) vor. Bei Raumtemperatur am
ist der weltweit größte Importeur, Kanada der stabilsten ist der orthorhombisch kristallisieren-
größte Exporteur, gefolgt von Russland und Sau- de, geruch- und geschmacklose, gelbe α-Schwe-
di-Arabien. fel, der auch in der Natur vorkommt.
Der geförderte Schwefel wird fast ausschließ- Oberhalb einer Temperatur von 95 °C liegt
lich zu Schwefelsäure weiterverarbeitet. Der erste der monoklin kristallisierende, farblose β-Schwe-
Schritt dieses Prozesses ist das Rösten sulfidischer fel vor, der durch Erhitzen auf 100 °C und an-
Erze. Elementarer Schwefel wird weltweit ge- schließendes schnelles Abkühlen auf 20 °C für
wonnen und gehandelt. einige Zeit stabilisiert werden kann. Der mono-
Physikalische Eigenschaften: Diese hängen klin kristallisierende γ-Schwefel (Rosickýit)
stark von der Temperatur ab, da bei gegebener kommt natürlich im Death Valley (USA) vor,
Temperatur eine Reihe allotroper Modifikationen wo er durch mikrobiologische Reduktion von
vorliegen können. Wird Schwefel auf über 119 °C Sulfat gebildet wird.
erhitzt, bildet sich zunächst eine niedrigviskose b. Die Moleküle des Cyclohexaschwefels (S6) wei-
Flüssigkeit hellgelber Farbe, in der überwiegend sen eine sesselförmige Konformation auf, die
S8-Ringe vorhanden sind. unter hoher Ringspannung steht. Er hat eine
Die Dichte festen Schwefels beträgt unter Nor- Dichte von 2,21 g/cm3, schmilzt bei ca. 100 °
malbedingungen etwa 2,0 g/cm3 und seine Mohshär- C und bildet orangefarbige, rhomboedrische
te rund 2,0. Meist tritt er in Form hell- bis dunkel- Kristalle. Er wandelt sich innerhalb einiger Tage
gelber Prismen oder Pyramiden auf. Auf einer in Cyclooctaschwefel um und ist u. a. durch
Strichtafel hinterlässt Schwefel einen weißen Strich. Umsetzung einer wässrigen Lösung von Na-
Größere Kristalle sind durchsichtig bis durchschei- triumthiosulfat mit Salzsäure zugänglich:
5 Einzeldarstellungen 355
pier schnell, wobei sich diese Materialien gele- Zuge der Produktion von Kupfer, Zink oder Blei
gentlich auch entzünden. aus ihren Sulfiden. Auch Pyrit (FeS2) ist eine
Technisch stellt man Schwefel-VI-oxid im Kon- wichtige Quelle für Schwefel-IV-oxid.
taktverfahren unter Verwendung von Vanadium-V- In Ländern mit geringen Vorkommen elemen-
oxid aus Schwefel-IV-oxid und Sauerstoff bei taren Schwefels oder sulfidischen Erzen steht nur
420 °C her. In reiner Form erhält man die Verbin- die energieintensive, im Drehrohrofen betriebene
dung, wenn man sie aus Oleum abdestilliert. Im Produktion aus Gips (Calciumsulfat) und Kohle
Labor sind kleinere Mengen durch Erhitzen einer nach dem Müller-Kühne-Verfahren zur Verfügung
Mischung von konzentrierter Schwefelsäure mit (Kühne 1949).
Phosphor-V-oxid herstellbar, wobei das bei der Die Produktion der Vorstufe der Schwefelsäure,
Reaktion gebildete Schwefel-VI-oxid abdestilliert. des Schwefel-VI-oxids, erfolgt nur noch nach dem
Mit Fluor- bzw. Chlorwasserstoff reagiert die Kontaktverfahren mit Vanadium-V-oxid und. Alka-
Verbindung zu Fluor- bzw. Chlorsulfonsäure, mit lisulfat als Katalysator bzw. Co-Katalysator. Die
Alkoholen zu Schwefelsäureestern: Reaktionstemperatur in diesen Hordenöfen beträgt
420–620 °C (Lapina et al. 1999). Beim Doppelkon-
ROH þ SO3 ! R O SO3 H taktverfahren wäscht man vor der letzten Horde das
schon im Gasgemisch enthaltene Schwefel-VI-oxid
Bei der Produktion von Tensiden nutzt man mit konzentrierter Schwefelsäure aus, wodurch die
diese Reaktion, da man diese Ester mit Natron- Ausbeute auf >99,8 % gesteigert wird.
lauge neutralisiert und so die gewünschten Fett- Nach Bildung des Schwefel-VI-oxids setzt
alkoholsulfate erhält. man dieses dann mit konzentrierter Schwefelsäure
Schwefel bildet viele Oxosäuren, von denen um und verdünnt jene dann entsprechend auf die
die Schwefelsäure mit Abstand am wichtigsten gewünschte Konzentration. Vorher aber muss man
ist. Die Säuren sind nicht alle in reiner Form zunächst nichtumgesetztes Schwefel-IV-oxid durch
isolierbar. Angegeben ist nachstehend die mittlere Zugabe von Ammoniak oder Natriumthiosulfat ent-
Oxidationszahl des Schwefelatoms (Tab. 3). fernen.
Wasserfreie, 100 %ige Schwefelsäure (H2SO4) Die oft bräunliche Färbung technischer Schwe-
schmilzt bzw. siedet bei 10,9 °C bzw. 290 °C, felsäure liegt am Vorhandensein organischer Ver-
hat die Dichte 1,84 g/cm3 und ist eine farblose unreinigungen, die durch Entwässerung verkohlt
(s. Abb. 4), ölige, hygroskopische und sehr visko- werden. Oberhalb des Siedepunktes wasserfreier
se Flüssigkeit. Sie ist eine der stärksten Säuren, Schwefelsäure (279,6 °C) bilden sich Dämpfe, die
wirkt stark ätzend und bildet zwei Reihen von überschüssiges Schwefel-VI-oxid enthalten, wo-
Salzen, die Hydrogensulfate und die Sulfate, bei bei das Wasser in der siedenden Schwefelsäure
denen im Vergleich zur freien Säure ein bzw. zwei verbleibt. Die wasserfreie Schwefelsäure geht so
Protonen durch Kationen ersetzt sind. in eine 98,33 %ige Schwefelsäure über, die kon-
Schwefelsäure gehört zu den technisch wichtigs- stant bei 338 °C siedet. Bei dieser Temperatur hat
ten Chemikalien und wird vor allem in der Produk- auch der Dampf einen Säuregehalt von 98,33 %
tion von Düngemitteln und anderen Mineralsäuren, (azeotropes Gemisch).
etwa der Salz- oder Phosphorsäure, eingesetzt. Schwefelsäure ist der Bezugspunkt für die De-
Grundstoff zu ihrer Herstellung ist meist ele- finition einer Supersäure. Alle Säuren, die stärker
mentarer Schwefel, der in großen Mengen bei der als reine Schwefelsäure sind und diese somit
Entschwefelung von Erdgas und Rohöl nach dem protonieren können, werden als Supersäuren
Claus-Prozess anfällt oder aber nach dem Frasch- bezeichnet.
Verfahren abgebaut wird. Der so gewonnene Da das erste Proton des Schwefelsäuremole-
Schwefel wird zunächst zu Schwefel-IV-oxid ver- küls viel leichter abdissoziiert als das zweite, liegt
brannt (Riegel und Kent 2003, S. 503). Ebenfalls in verdünnter Schwefelsäure (c¼1 mol/l) größten-
große Mengen an Schwefel-IV-oxid entstehen bei teils Hydrogensulfat vor. Die zweite Dissoziation
der Verhüttung schwefelhaltiger Erze, etwa im zum Sulfat erfolgt nur in viel geringerem Maße
360 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
VI-fluorid ungehindert und vollständig in die 3 SCl2 þ 4 NaF ! SF4 þ 4 NaCl þ S2 Cl2
Atmosphäre. Autoreifen sollen zu ca. 25 %,
Schallschutzfenster zur Hälfte zu den SF6- Das farblose Schwefel-IV-fluorid kondensiert
Emissionen beigetragen haben. bei 40 °C zu einer Flüssigkeit, deren Dichte
Dischwefeldecafluorid (S2F10) ist eine farb- bei 73 °C 1,919 g/cm3 beträgt. Der Erstarrungs-
lose, stechend nach Schwefel-IV-oxid riechende punkt beträgt 121 °C. Die Verbindung hydroly-
Flüssigkeit der Dichte 2,08 g/cm3, die bei 55 °C siert heftig mit Wasser zu Schwefel-IV-oxid und
erstarrt und schon bei 28,7 °C siedet. Es bildet Fluorwasserstoff (Pavone et al. 2004). Schwefel-
sich als Nebenprodukt bei der Reaktion von IV-fluorid ist eine schwache Lewis-Säure und
Schwefel mit Fluor (Denbigh und Whytlaw-Gray bildet Addukte mit organischen Basen wie Pyri-
1934), die üblicherweise zum Schwefel-VI-fluo- din und Triethylamin. Man nutzt es zum Fluorieren
rid führt oder durch lichtkatalysierten Abbau des anorganischer Oxide, Sulfide oder Carbonyle; da-
Schwefelchloridpentafluorids (SF5Cl). Die Flüs- bei ist vor allem die selektive Umwandlung einer
sigkeit ist durch die leicht erfolgende Bildung von Ketogruppe (¼C¼O) zu einer Difluormethylen-
SF5•-Radikalen sehr reaktionsfreudig. Bei Erhit- gruppe (¼CF2) interessant (Holleman et al. 1995,
zung zersetzt sie sich in Schwefel-VI- und Schwe- S. 564).
fel-IV-fluorid. Mit überschüssigem Chlor reagiert Schwefel-II-fluorid (SF2) ist aus Schwefel-II-
sie zu Schwefelchloridpentafluorid. chlorid und Kaliumfluorid bei ca. 170 °C zugäng-
Dischwefeldecafluorid ist unlöslich in Was- lich. Bei niedrigen Drücken (<25 mbar) funktio-
ser und ist überraschenderweise sehr stabil ge- niert auch Quecksilber-II-fluorid (bei 150 °C) oder
genüber Hydrolyse. Es reagiert nicht mit Wasser Silber-I-fluorid (bei 20 °C), allerdings entstehen
(Holleman et al. 1995, S. 565), auch nicht mit dabei auch andere Schwefelfluoride. Eine weitere
sauren oder alkalischen wässrigen Lösungen, Möglichkeit der Darstellung ist die Reaktion von
sondern nur mit einer 10 %igen Lösung von Fluor mit Carbonylsulfid (Holleman et al. 1995,
Kaliumhydroxid in Methanol. Die Verbindung S. 564). Das farblose Gas ist nur verdünnt und in
ist sehr giftig und noch deutlich toxischer als Abwesenheit von Fluoriden kurze Zeit haltbar,
Phosgen. Seine Nutzung als Kampfstoff war im zerfällt dann aber über sein Di- und Trimer schnell
Zweiten Weltkrieg geplant, da es nur schwer zu Thiothionylfluorid und Schwefel-IV-fluorid.
rechtzeitig erkannt wird; diese Pläne wurden Difluordisulfan (S2F2; Struktur: F-S-S-F) wird
glücklicherweise nicht mehr umgesetzt. durch Reaktion von Silber-I-fluorid mit Schwefel
Schwefel-IV-fluorid (Schwefeltetrafluorid, SF4) bei 125 °C erzeugt (Brauer 1975, S. 182):
stellte man 1929 erstmals durch Reaktion von
Cobalt-III-fluorid mit Schwefel unter Beimengung 2 AgF þ 3 S ! S2 F2 þ Ag2 S
von Calciumfluorid dar. Das dabei gebildete, bei
Raumtemperatur gasförmige Schwefel-IV-fluorid Das farblose, übel riechende Gas der Dichte
wurde in Kühlfallen kondensiert (Fischer und 4,34 kg/m3 kondensiert bei 15 °C; die Flüssigkeit
Jaenckner 1929). Man darf bei der Herstellung aber erstarrt bei 133 °C (Latscha und Klein 2002,
nur ein schmales Temperaturfenster und keinesfalls S. 341; Blachnik 1998, S. 704). Bei höheren Tem-
einen stöchiometrischen Überschuss an Fluor ein- peraturen und Drücken geht es in das dann bestän-
setzen, da sich sonst größere Mengen von Schwefel- digere Thiothionylfluorid und dann durch Dispro-
VI-fluorid bilden würden. Man kann auch in Tri- portionierung weiter in Schwefel-IV-fluorid und
fluorchlormethan dispergiertes Schwefelpulver bei Schwefel über. Schon bei Raumtemperatur erfolgt
Temperaturen um 78 °C mit Fluor umsetzen bei Gegenwart von Fluorid diese Umwandlung zu
(Naumann und Padma 1973). Die geeignetste Me- Thiothionylfluorid. Mit Stickstoffdioxid reagiert je-
thode der Darstellung im Labor besteht in der Re- doch nur Difluordisulfan, im Gegensatz zu Thio-
aktion von Schwefel-II-chlorid mit Natriumfluorid thionylfluorid, zu Nitrosylfluorosulfat (Holleman
(Brauer 1975, S. 183): et al. 1995, S. 379)
362 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
Thiothionylfluorid (S2F2; Struktur: S¼SF2) peratur von 125 °C nicht an, Glas oberhalb von
kann man durch Reaktion von Kaliumfluorid bzw. 400 °C. Kaltes Wasser hydrolysiert es nur lang-
Quecksilber-II-fluorid mit Dischwefeldichlorid sam (Brauer 1975, S. 187), auch raucht es bei
bei ca. 150 °C bzw. 20 °C erzeugen (Brauer 1975, Kontakt mit feuchter Luft nur schwach (Smith
S. 182; Holleman et al. 1995, S. 379): und Muetterties 1960). Fluor überführt es in
Schwefeloxidtetrafluorid (SOF4). Es ist gut löslich
S2 Cl2 þ 2 KF ! SSF2 þ 2 KCl in Diethylether und Benzol.
Sulfurylfluorid (SO2F2) ist ein farb- und ge-
Ebenfalls möglich ist die Darstellung durch Re- ruchloses, giftiges Gas der Dichte 3,723 kg/cm3,
aktion von Stickstoff-III-fluorid mit Schwefel das bei 55 °C kondensiert (Erstarrungspunkt:
(Brauer 1975, S. 182), wobei sich als Nebenpro- 135,8 °C). Man nutzt es als Insektizid zur Kon-
dukt Thiazylfluorid (NSF) bildet. [Jenes ist ein servierung von Lebensmitteln (Getreide, Nüsse,
stechend riechendes, farbloses[ Gas vom Konden- Schalen- und Trockenfrüchte) und auch zur Be-
sationspunkt 0,4 °C. Es ist thermisch instabil, sehr kämpfung von Holzschädlingen. Im Gegensatz zu
reaktiv und hydrolysiert mit Wasser. Schon bei anderen Mitteln zur Schädlingsbekämpfung schä-
20 °C greift es Glas langsam an. In flüssiger Phase digt es nicht die Ozonschicht der Erdhülle, besitzt
(Erstarrungspunkt: 89 °C) trimerisiert es zu aber ein nicht unerhebliches Treibhauspotenzial
(NSF)3]: (Papadimitriou et al. 2008).
Sulfurylfluorid erhielt vom deutschen Bundes-
NF3 þ 3 S ! S2 F2 þ NSF amt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-
sicherheit (BVL) eine Zulassung als Konservie-
Das bei 10,6 °C kondensierende und bei rungsmittel für Lebensmittel. Zunächst erging
164,6 °C erstarrende Thiothionylfluorid (Hol- 2007 die Zulassung nur für die Anwendung bei
leman et al. 1995, S. 379) entsteht ebenfalls aus Trockenobst, später auch für die Desinfektion
Difluordisulfan in Gegenwart von Alkalifluori- leerer Mühlen. 2009 folgte die Zulassung zur Be-
den (Steudel 2008, S. 475). Bei höheren Tem- handlung von Nüssen, Schalenfrüchten und für
peraturen und Drücken disproportioniert es zu Getreide, die in Lagern oder unter gasdichten
Schwefel-IV-fluorid und Schwefel. Fluorwas- Planen zwischengelagert werden. Schließlich er-
serstoff überführt es in Schwefel-IV-fluorid ging 2012 eine Zulassung zur Bekämpfung von
und Schwefelwasserstoff. Schädlingen für geschlagenes Holz, Holzpaletten
Thionylfluorid (SOF2) erhält man durch Re- und Packholz. Dabei wird angenommen, dass bei
aktion von Fluorwasserstoff oder anderen Fluo- der Anwendung von Sulfurylfluorid die für die
riden mit Thionylchlorid (Brauer 1975, S. 187). EU gültigen Höchstkonzentrationen für Fluorid
Im Labormaßstab erwies sich die Umsetzung von 25 mg/kg für Nüsse und 3 mg/kg für Trocken-
von Thionylchlorid mit Antimon-III-fluorid in obst eingehalten werden könnten, aber das BVL
Gegenwart von Antimon-V-chlorid als Kataly- weist darauf hin, dass weitere Fluoridquellen
sator am geeignetsten (Blachnik 1998, S. 712). (Zahncreme) zu einer Überschreitung der maxi-
Das farblose Gas kondensiert bei 43,7 °C; die mal für Menschen tolerierbaren Gesamtdosis füh-
Flüssigkeit der Dichte 1,78 g/cm3 (100 °C) ren können.
erstarrt bei einer Temperatur von 110,5 °C. Darstellungswege für Sulfurylfluorid sind
Die Verbindung ist gut löslich in trockenem die Fluorierung von Schwefel-IV-oxid (I), die
Benzol und Diethylether (Housecroft 2005, thermische Zersetzung von Bariumfluorosulfo-
S. 450). nat (II, beide Muetterties 1960), der Austausch
Festes Thionylfluorid kristallisiert im mono- von Halogen zwischen Sulfurylchlorid und Na-
klinen Gitter (Raumgruppe 14). Trockenes Thio- triumfluorid (III) oder das Überleiten von
nylfluorid greift Metalle wie Magnesium, Nickel, Schwefel-IV-oxid über Silber-II-fluorid (IV,
Quecksilber und Aluminium bis zu einer Tem- Seel 1967):
5 Einzeldarstellungen 363
Dischwefeldichlorid (S2Cl2) erhält man eben- wasserstoff. Ebenfalls stürmisch reagiert Thionyl-
falls durch Chlorieren von Schwefel (Brauer chlorid mit Basen sowie mit einigen Alkoholen.
1963, S. 371). Ist Chlor im Überschuss zugegen, Beim Erhitzen über 80 °C zerfällt es in Schwefel-
läuft die Reaktion zum Schwefel-II-chlorid wei- IV-oxid, Dischwefeldichlorid und Chlor (Brauer
ter. Jenes kann aber durch Zugabe elementaren 1963, S. 382) nach:
Schwefels wieder zum gewünschten Dischwefel-
dichlorid umgesetzt werden. Die gelborange, an 4 SOCl2 ! 2 SO2 þ S2 Cl2 þ 3 Cl2
der Luft rauchende Flüssigkeit der Dichte
1,69 g/cm3 (20 °C) erstarrt bei 80 °C und besitzt
einen erstickenden Geruch; der Siedepunkt be- Im Labor stellt man Thionylchlorid durch Ein-
trägt 138 °C (Normaldruck). Mit Wasser erfolgt leiten von Schwefel-VI-oxid in Schwefel-II-chlo-
heftige Zersetzung zu einem Gemisch von Schwe- rid oder durch Überleiten von Schwefel-IV-oxid
fel und verschiedener seiner Verbindungen. Die über Phosphor-V-chlorid her (Lauss und Steffens
reine Verbindung löst Schwefel in großer Menge 2012):
auf; dabei bilden sich Ketten der Formel SnCl2 mit
n ¼ 2–100 (Kolditz 1983, S. 469). Die Anwen- (I)
dung des Dischwefeldichlorids erfolgt als Sulfi-
SCl2 þ SO3 ! SOCl2 þ SO2
dierungs- und Chlorierungsmittel (wie etwa Oxa-
lylchlorid und Chloressigsäure), außerdem setzt
(II)
man es zur Synthese diverser organischer Schwe- SO2 þ PCl5 ! SOCl2 þ POCl3
felverbindungen ein, als Zusatzstoff für Hoch-
druckschmiermittel, Schneidöle und Kautschuk-
Vulkanisationsmitteln. Thionylchlorid hat sehr viele industrielle An-
Das farblose bis leicht gelbliche (s. Abb. 6), wendungen. Unter anderem stellt man mit ihm
giftige, an der Luft rauchende Thionylchlorid aromatische Sulfonsäurechloride, Carbonsäure-
(SOCl2) stellten erstmals 1848/1849 und unab- chloride sowie Alkylchloride aus aliphatischen
hängig voneinander Persoz und Kremers durch Alkoholen her:
Umsetzung von Schwefel-IV-oxid mit Phosphor- Das ebenfalls stark ätzend wirkende, an
V-chlorid her (Persoz 1849; Kremers 1848). Seit feuchter Luft stark rauchende Sulfurylchlorid
Beginn des 20. Jahrhunderts produziert man es (SO2Cl2) ist das Dichlorid der Schwefelsäure
industriell. Thionylchlorid erstarrt bzw. siedet und wird durch Umsetzung von Chlor mit
bei 104,5 °C bzw. 76 °C und hat eine Dichte Schwefel-
von 1,64 g/cm3 (20 °C). Die Verbindung reagiert IV-oxid in Gegenwart von Aktivkohle erzeugt.
mit Wasser heftig zu Schwefel-IV-oxid und Chlor- (Brauer 1963, S. 383). Die farblose Verbindung
(s. Abb. 7) erstarrt bzw siedet bei 54 °C bzw. Kristalle neigen zu explosivem Zerfall, sind aber
69 °C und hat eine Dichte von 1,67 g/cm3. Das bei Raumtemperatur unter Inertgas stabil. Kontakt
Molekül hat verzerrt tetraedrische Struktur mit mit Luftsauerstoff führt zu sofortiger Verfärbung
dem Schwefelatom in der Mitte des Tetraeders. ins Schwarze. Unter Vakuum (2–10 mbar) kann
Mit Wasser reagiert Sulfurylchlorid unter sehr man die Verbindung bei einer Temperatur um
heftiger Hydrolyse zu Schwefelsäure und Chlorwas- 45 °C sublimieren. Die Länge der S-N-Bindung
serstoff. Ebenso setzt es sich sehr heftig mit Basen, beträgt im S4N4-Teil (Tetraschwefelnitrid) des Mo-
immer noch lebhaft auch mit niederen Alkoholen um. leküls 161 pm, in der NSN-Brücke dagegen
Man stellt aus Sulfurylchlorid aromatische ca. 153 pm.
Sulfonsäurechloride her; auch kann man mit sei- Tetraschwefeltetranitrid (S4N4) stellte Gregory
ner Hilfe aliphatische Kohlenwasserstoffe radika- 1835 erstmals, durch Reaktion von Ammoniak
lisch chlorieren mit Dischwefeldichlorid, her. Dieses Produkt
Dischwefeldibromid (S2Br2) ist durch Umset- war aber noch verunreinigt; die Stöchiometrie
zung von Schwefel mit Brom erhältlich (Brauer der Umsetzung wurde erst fünfzehn Jahre später
1975, S. 383). Ebenso funktioniert die Reaktion aufgeklärt (Fordos und Gélis 1850). Ein erstes
von Dischwefeldichlorid mit Bromwasserstoff. Bild des Moleküls entwarfen Schenck (Schenck
Die dunkelrote, ölige, Glas nicht benetzende Flüs- 1896), später auch Arnold et al. und Goehring
sigkeit erstarrt bei –46 °C zu Kristallen ortho- (Arnold et al. 1936; Arnold 1938; Goehring 1947;
rhombischer Struktur und hat die Dichte 2,63 g/ Goehring und Ebert 1955). Die Kristallstruktur-
cm3. Mit Wasser tritt schnell Hydrolyse zu Brom- analyse bestätigte das Vorliegen eines Käfigmole-
wasserstoff, Schwefel-IV-oxid und Schwefel ein. küls (Clark 1952; Sharma und Donohue 1963).
Beim Erhitzen zersetzt sich die Verbindung, wes- Man kann die Verbindung durch Reaktion von
halb sie nur im Hochvakuum unzersetzt des- Schwefel mit flüssigem Ammoniak in Gegenwart
tillierbar ist. von Silbernitrat darstellen; das Silbernitrat dient
Von Schwefeliodiden wurden bisher S2I2 und zum Abfangen des bei der Umsetzung gebildeten
SI2 charakterisiert, aber nur bei tiefer Tempera- Schwefelwasserstoffs:
tur. Außerdem werden diverse Schwefeliodid-
Kationen wie S2I42+ und S7I+ beschrieben (Kla- 16 NH3 þ 5 S8 ! 24 H2 S þ 4 S4 N4
potke und Passmore 1989).
Stickstoffverbindungen Schwefelnitride stellen Ein anderes Verfahren geht von Ammoniak
eine umfangreiche Stoffgruppe dar. Pentaschwe- und Dischwefeldichlorid in Dichlormethan als
felhexanitrid (S5N6) ist durch Reaktion von Bis Lösungsmittel aus; das bei dieser Reaktion erhal-
(trimethylsilyl)schwefel mit Tetraschwefeltetra- tene Produkt kann man aus Toluol umkristallisie-
stickstoffdichlorid zugänglich (Holleman et al. ren (Janiak et al. 2012, S. 129):
2017, S. 682) (s. Abb. 8).
Eine andere Synthesemöglichkeit besteht in der 6 S2 Cl2 þ 16 NH3 ! S4 N4 þ 12 NH4 Cl þ S8
in Dichlormethan durchgeführten Umsetzung von
Brom mit Tetrabutylammonium-tetraschwefelpen- Bessere Ausbeuten liefern Reaktionen in
tanitrid (Holleman et al. 2017, S. 682). Die orangen chlorgesättigtem Tetrachlorkohlenstoff oder Di-
chlormethan bei Temperaturen von 20 bis 50 °C silber-II-acetat, die zunächst zum Quecksilber-II-
oder, ohne Lösungsmittel, mit Ammoniumchlorid imidoheptaschwefel führt. Jenes zersetzt sich
bei 150–160 °C. Schließlich kann man auch dann zu Quecksilber-II-sulfid, Tetraschwefeldini-
Schwefel-IV-chlorid mit Bis(trimethylsilyl)dia- trid und Schwefel (Heal und Ramsay 1975):
minosulfan umsetzen:
(I)
2 SCl4 þ 2 ðMe3 SiÞ2 N 2 S ! S4 N4 þ 8 Me3 SiCl
2 S7 NH þ Hg½COðOÞCH3 2
! HgðS7 NÞ2 þ 2 CH3 CðOÞOH
Tetraschwefeltetranitrid ist eine Käfigverbin-
dung, schmilzt bzw. siedet bei 178 °C bzw. 185 °
C und hat die Dichte 2,22 g/cm3. Alle S-N-Bin- (II)
HgðS7 NÞ2 ! HgS þ S4 N2 þ 9=8 S8
dungen sind 162 pm lang, was für Mehr-
fachbindungen mit delokalisierten π-Elektronen
spricht. Zusätzlich liegen im Käfig zwei schwache Der dunkelrote, diamagnetische Feststoff
S-S-Bindungen (258 pm) vor (Janiak et al. 2012, schmilzt bei 23 °C und hat eine Dichte von
S. 129; Steudel 2014, S. 515). Mit der Temperatur 1,71 g/cm3. Die Verbindung ist instabil und zer-
ändert Tetraschwefeltetranitrid seine Farbe von setzt sich bei 0 °C innerhalb weniger Stunden,
farblos (bei 196 °C), über orange (bei 25 °C) zu beim Erhitzen auf 100 °C meist unter Explosion.
rot (bei 100 °C). In Wasser ist es unlöslich. Festes Tetraschwefeldinitrid ist in zahlreichen organi-
Tetraschwefeltetranitrid zerfällt beim Erhitzen über schen Lösungsmitteln löslich, aber nur wenig in
eine Temperatur von 130 °C oder bei Stoß in der Alkoholen und gar nicht in Wasser. In letzterem
Regel unter Explosion in Schwefel und Stickstoff. tritt nur eine langsame Hydrolyse ein, die in Basen
Die Hydrolyse führt zu Ammoniak, Thiosulfat und deutlich stärker ist. Gegenüber verdünnten Säu-
Sulfit. Starke Säuren protonieren eines der Stick- ren ist die Verbindung nahezu inert. Die Struktur
stoffatome, Lewis-Säuren bilden Additionsverbin- des Moleküls entspricht einem Sechsring in
dungen wie etwa S4N4·SbCl5, (S4N4)2·SnCl4 oder seiner Halbsesselform, in der ein oberhalb der
S4N4·BCl3. Silber-II-fluorid überführt die Verbin- S–N¼S¼N–S-Ebene liegendes Schwefelatom
dung in tetrameres Thiazylfluorid [(NSF)4] unter eine Brücke über den Ring bildet (Zhu und Gi-
Beibehaltung des molekularen Achtrings. marc 1983).
Reduktionen erfolgen am Stickstoffatom, das Das Molekül des Dischwefeldinitrids (S2N2)
in eine Iminogruppe überführt wird. Zersetzt man ist planar, nahezu quadratisch und hat formal
die Verbindung kontrolliert thermisch, so entsteht 6 π-Elektronen. Es ist kein Aromat, da es ein
Dischwefeldinitrid, das im weiteren Verlauf in Diradikal mit vier bindenden π-Elektronen so-
Polythiazyl übergeht (Steudel 2014, S. 515). wie zwei nichtbindenden π-Radikalelektronen ist
Die Summenformel des Tetraschwefeldini- (Holleman et al. 2017, S. 681; Alsfasser et al.
trids (S4N2) wurde 1951 mittels üblicher kry- 2007). Die Bindungslängen bewegen sich im Be-
oskopischer Methoden bestimmt (Meuwsen reich von 165,1–165,9 pm, die NSN- bzw.
1951). Das Molekül liegt in Form eines Sechs- SNS-Bindungswinkel betragen 89,9° bzw. 90,4°.
rings mit den Stickstoffatomen in 1- und Darstellen kann man die Verbindung durch Um-
3-Position vor (Nelson und Heal 1971). Her- setzung von Tetraschwefeltetranitrid mit Silber
gestellt wird es durch Erhitzen von Tetraschwe- oder durch kontrolliertes Erwärmen von Tetra-
feltetranitrid mit Schwefel bei 110 °C (Brauer schwefeltetranitrid (Brauer 1975, S. 275). Die
1975, S. 404): farblose Verbindung kristallisiert monoklin (Raum-
gruppe 14) (Blachnik 1998, S. 706) und ist ein leicht
2 S4 N4 þ S8 ! 4 S4 N2 flüchtiger Feststoff mit durchdringendem Geruch.
Ist Luftfeuchtigkeit in Spuren zugegen, polymerisie-
Eine andere Möglichkeit der Darstellung ist die ren etwa zwei Drittel der Verbindung zu Polythiazyl
Umsetzung von Heptaschwefelimid mit Queck- [(SN)x], und rund ein Drittel geht in Tetraschwefel-
5 Einzeldarstellungen 367
tetranitrid über. Letztere Reaktion erfolgt sofort und mercaptan). Synthetische Produkte sind die oft als
ausschließlich in Gegenwart von Spuren an Alkali- anionische Tenside in Waschmitteln verwendeten
metallen. Mit Lewis-Säuren bildet Dischwefel- Natriumsulfonate (Na-SO2-OR). Bei der Gewin-
dinitrid Addukte wie beispielsweise S2N2·BCl3, nung seltener Metalle, etwa im Zuge der Auf-
S2N2·2AlCl3 oder S2N2·SbCl5. bereitung von Erzen oder der Flüssig-flüssig-Ex-
Polythiazyl [(SN)x] ist ein elektrisch leitfähiges traktion, setzt man u. a. Xanthogenate (Ester der
Polymer, das bei 272,85 °C sogar supraleitend Dithiokohlensäure, H2CS2O), Dithiophosphor-
wird (Labes et al. 1979). Erstmals stellte man es säureester, Mercaptane oder Alkylsulfonate ein.
durch Erhitzen von Tetraschwefeltetranitrid im Nur ist die Kohlenstoff-Schwefel-Einfachbin-
Vakuum über Silberwolle dar (Burt 1910). Es dung schwächer als die Einfachbindung zwischen
entsteht durch Polymerisation des nur in der Kälte zwei Kohlenstoffatomen (Pauling 1973), weswe-
stabilen Dischwefeldinitrids. Das langsame Er- gen sie relativ leicht hydrolytisch gespalten wird.
wärmen des Dischwefeldinitrids auf eine Tem- Die Reaktionsfähigkeit und auch -richtung or-
peratur von 10 °C ergibt zuerst ein dunkel- ganischer Schwefelverbindungen unterscheidet
blaues, paramagnetisches Zwischenprodukt, das sich teilweise stark von der der jeweiligen Sauer-
innerhalb von 2–3 d in das kristalline Polythiazyl stoffanaloga. So stellt man Thiole, darunter auch
übergeht (Alsfasser et al. 2007, S. 129). Alternativ Mercaptane, durch Reaktion von Kaliumhydro-
ist die Pyrolyse von Tetraschwefeltetranitrid an gensulfid mit Alkylhalogeniden her. Alkylierung
Silberwolle bei 300 °C und unter Vakuum mög- von Thioharnstoff und nachfolgende Hydrolyse
lich. mit Natronlauge ergibt gleichfalls Thiole. Sie sind
Das metallisch-golden glänzende Material ist oxidativ leicht in Disulfide und deren Folgepro-
ziemlich stabil gegenüber Sauerstoff und Wasser, dukte überführbar.
zersetzt sich aber an der Luft langsam zu einem Disulfid-Brücken stabilisieren die Struktur von
grauen Pulver (MacDiarmid et al. 2009). Bei Proteinen; eine praktische Anwendung dafür ist
Schlag oder plötzlichem Erhitzen auf hohe Tem- das Legen von Dauerwellen. Zunächst bricht man
peraturen tritt oft Explosion ein. Das Polymermo- mittels Thioglycolsäure die Cystinbindungen im
lekül stellt eine gezackte Kette dar mit einer Länge Keratin reduktiv auf. Danach bringt man die Haa-
der SN-Bindungen von 159 pm bzw. 163 pm; die re in die gewünschte Form und oxidiert die Thiol-
Bindungswinkel betragen 120° (SNS) bzw. 106° gruppen (-SH) mit Hilfe von Wasserstoffperoxid
(NSN) (MacDiarmid et al. 1975). Entlang der zurück zu Disulfidbrücken, die die Struktur der
SN-Ketten ist die Verbindung elektrisch leitfähig, Haarproteine durch Vernetzung stabilisieren.
aber senkrecht dazu besitzt sie die Eigenschaften Thioether sind durch Umsetzung von Alkali-
eines Isolators (Archer 2001, S. 213). Die mono- sulfid mit Alkylhalogeniden zugänglich. Mit über-
kline Struktur geht schon bei Einwirkung mecha- schüssigem Alkylhalogenid werden Trialkylsul-
nischer Energie (Mahlen) in die orthorhombische foniumsalze gebildet. Thioether sind leicht zu
über (Baughman et al. 1977). Man kann Poly- Sulfoxiden und Sulfonen oxidierbar.
thiazyl in LEDs, Solarzellen, Transistoren und Sulfoxide, deren Moleküle zwei voneinander
Elektroden von Batterien einsetzen (King 2009). verschiedene Alkylgruppen tragen (R-S(O)-R0 ),
Organische Verbindungen Schwefel ist zudem besitzen am Schwefelatom ein Chiralitätszen-
in vielen organischen Verbindungen, auch natür- trum, weil das freie Elektronenpaar dabei formal
lich vorkommenden, enthalten. Beispiele hierfür den vierten Substituenten darstellt. Einige Sulf-
sind die zwei essenziellen Aminosäuren Cystin oxide, wie Dimethylsulfoxid, sind als dipolare,
und Cystein, Thiole (darunter auch Mercaptane, aber protonenfreie Lösungsmittel oft im Einsatz.
R-SH) und Thioether (R-S-R0 ). Manche von ihnen Im Bereich der Heterocyclen ist das aromatisch
sind als Aromastoffe in Knoblauch oder Kaffee riechende Thiophen bekannt. Generell befinden
enthalten, aber auch im Abwehrstoff des Stink- sich unter den Aromastoffen viele schwefelhaltige
tiers (3-Methylbutanthiol) und besitzen Gerüche Substanzen, die längst nicht nur übel riechend
von kräftig-aromatisch bis zu faulem Kohl (Ethyl- sind (Ohloff 1990). Der intensivste, aus natürli-
368 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
chen Aromen gewonnene Geruchsstoff überhaupt den Beginn der Papierherstellung darstellt. Mit
ist Thioterpinol (Geruchsschwellenwert >4 ppb), Schwefel-VI-oxid werden Dodecylaromaten und
das aus der Pampelmuse/Grapefruit isoliert wurde Fettalkohole zu Tensiden sulfoniert (Tadros 2005).
(Demole et al. 1982). Nur wenig schwächer, aber Bei der Vulkanisation von Kautschuk, einem
immer noch äußerst intensiv duftet der Geruchs- der Teilschritte zur Herstellung von Autoreifen, ist
stoff der schwarzen Johannisbeere (8-Thio-p- Schwefel unverzichtbar. Ein Zusatz von Schwefel
menth-3-on, Ohloff 1990, S. 13). Ein Monoter- vernetzt die polymeren Moleküle des Kautschuks
pen, dessen Molekül einen Thiophenring enthält, durch Bildung von Sulfidbrücken miteinander
bildet den Aromaträger des Hopfens. In Shiitake- und stabilisiert so das Polymer.
Pilzen ist der Aromastoff 1,2,3,5,6-Pentathiepan In der Medizin wird Schwefel nur äußerlich
(Lenthionin) enthalten, in Spargel 1,2-Dithiolan angewendet (Pharmacopoea Europaea 2008), wo
sowie in Rettich und Radieschen das 4-Methylsul- er bakteriostatisch wirkt, meist in Form von Sei-
finyl-3-butenyl-isothiocyanat. fen, Salben und Gelen gegen Pilzerkrankungen.
Eingenommen bewirkt er Durchfall. Schwefel
Anwendungen Schwefel wird zu vielen Synthe- kann auch bestimmte Pilze und Parasiten abtöten.
sen genutzt, allen voran für die Herstellung von Zusätze von Schwefel erhöhen die Festigkeit
Schwefelsäure. Auch Farbstoffe, Insektizide, Dün- von Stahl durch Bildung kleiner Einschlüsse wei-
gemittel werden unter Verwendung von Schwefel chen Mangansulfids, die die mechanische Ver-
produziert. arbeitbarkeit des Stahls erleichtern. Jedoch kann
Schwefelsäure wird seit fast 200 Jahren mittels aus dem Schwefel, wenn der Stahl ständig hoher
des Kontaktverfahrens hergestellt, bei dem im Luftfeuchtigkeit ausgesetzt ist, leicht Schwefel-
ersten Schritt durch Rösten sulfidischer Erze oder dioxid und am Ende Schwefelsäure gebildet wer-
durch Verbrennen von Schwefel an der Luft den, die korrosiv auf Stahl wirkt. Darauf ist bei
Schwefel-IV-oxid (SO2) erzeugt wird, das über Stahlkonstruktionen unbedingt zu achten (Küster
einen Vanadium-V-oxid-Kontakt (V2O5) geleitet et al. 1984).
wird und dabei mit dem Luftsauerstoff spontan zu Flüchtige, im Erdöldestillat enthaltene Schwe-
Schwefel-VI-oxid (SO3) reagiert. Dessen nachfol- felverbindungen sind oft starke Gifte für Metall-
gende Absorption in Wasser liefert Schwefelsäu- katalysatoren, da sie mit diesen reagieren. Die
re. Rund 90 % des Schwefels gehen in die Pro- Vergiftung führt in der Regel zur Verminderung
duktion von Schwefelsäure. der Aktivität eines Katalysators, zu dessen ver-
Rund zwei Drittel der gesamten erzeugten Men- ringerter Selektivität oder sogar zur völligen De-
ge an Schwefelsäure verarbeitet man zu Düngern. aktivierung. In einigen Fällen setzt man teuren
Wird etwa rohes Phosphat (Calciumphosphat) mit Katalysatoren, wie solche aus einer Platin-Rheni-
Schwefelsäure umgesetzt, so entsteht ein Gemisch um-Legierung, von vornherein Schwefel zu, um
aus Calciumdihydrogenphosphat [Ca(H2PO4)2] und des Katalysators Anfangsaktivität auf die ungüns-
Calciumsulfat (CaSO4 ∙ 2 H2O), das sogenannte tigen Eigenschaften des Reaktionsmediums ein-
Superphosphat: zustellen.
Schwefel findet als leicht entzündlicher Stoff
Ca3 ðPO4 Þ2 þ 2 H2 SO4 þ 2 H2 O bei der Herstellung von Schwarz- oder Schieß-
! CaðH2 PO4 Þ2 þ 2 CaSO4 ∙2 H2 O pulver und auch in Zündmitteln für Feuerwerks-
körper Verwendung.
Schwefelsäure findet weithin Einsatz zum Auf- Schwefel-IV-oxid setzt man zum Desinfizieren
schluss von Erzen, als Elektrolyt in Autobatterien, leerer Weinfässer sowie von Trockenobst ein. Im
als Katalysator bei der Alkylierung von Olefinen, Pflanzenschutz verwendet man schwefelhaltige Prä-
der Herstellung von Phenol und Aceton nach dem parate gegen den an der Blattoberfläche wachsenden
Cumolhydroperoxid-Verfahren, zur Herstellung Mehltaupilz, der ein Schädling für Reben ist.
von Fluorwasserstoff, der Produktion von Capro- Schwefel oxidiert dort langsam zu Schwefel-IV-
lactam und dem Aufschluss von Zellstoff, der oxid und hemmt so die Keimung der Pilzsporen.
5 Einzeldarstellungen 369
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https:// 5.3 Selen
worldwide.espacenet.com)
M. Yu und F. Zhou, Printing nanoporous Geschichte Der Name des Selens ist vom grie-
ultrathin membranes for lithium-sulfur chischen Wort σελήνη (selene, ¼Mond) abgelei-
batteries (Rensselaer Polytech Institute, tet. Das Element entdeckte Berzelius 1817 im
WO 2020112753 A1, veröffentlicht Bleikammerschlamm einer Schwefelsäurefabrik.
4. Juni 2020) Zuerst hielt Berzelius die Substanz für Tellur
J. R. Johnson und G. Biausque, Methods of [vom lateinischen Wort tellus (Erde) abgeleitet],
producing 1,3-butadiene from ethylene jedoch ergaben weitere von ihm durchgeführte
and sulfur (Sabic Global Technologies Versuche, dass er hier ein neues, wenngleich
BV, US 2020172451 A1, veröffentlicht dem Tellur sehr ähnliches Element vorliegen hat-
4. Juni 2020) te. Er nannte es daher Selen.
H. Nakatani und S. Nozato, Sulfur-carbon
material composite body, positive elec- Vorkommen Selen und auch sein höheres Ho-
trode material for lithium sulfur secon- mologes Tellur kommen viel seltener in der Erd-
dary batteries, and lithium sulfur secon- kruste vor als Schwefel. Elementares (gediegenes)
dary battery (Sekusui Chemical Co., Selen tritt in kleinen Mengen natürlich auf, ge-
Ltd., US 2020176763 A1, veröffentlicht bunden ebenfalls selten in Selenmineralien wie
4. Juni 2020) Clausthalit (Bleiselenid, PbSe). Selen begleitet
N. H. You und B.-C. Ku, Sulfur-doped re- oft Sulfide des Kupfers, Bleis, Zinks und Eisens.
duced graphene, manufacturing method Werden diese Erze geröstet, so konzentriert sich
therefor, and polyimide nanocomposite das bei Raumtemperatur feste Selendioxid in der
containing sulfur-doped reduced graphe- Flugasche oder im darauf folgenden Prozess zur
Herstellung von Schwefelsäure als Selenige Säure.
370 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
Selen ist essenzielles Spurenelement und Bau- Schwarzes amorphes Selen wandelt sich beim
stein der einundzwanzigsten biogenen Aminosäu- Erwärmen auf 60 °C zunächst in das schwarze,
re Selenocystein. Somit ist es zur Gesunderhal- glasartige Selen um; weiteres Erhitzen auf Tem-
tung des Menschen unverzichtbar, wirkt aber in peraturen >80 °C ergibt auch hier die Bildung
größeren Mengen stark giftig. Den höchsten Ge- grauen Selens.
halt an Selen unter den Nahrungsmitteln hat die Diese nichtmetallische schwarze Modifikation
Paranuss [knapp 2 ppm (Universität Düsseldorf erhält man durch Reduktion von Selenverbindun-
2013)]. gen in der Hitze; es gibt eine glasartige und eine
Selen ist Nebenprodukt der zur Herstellung rei- amorphe Modifikation. In der glasartigen Form
nen Kupfers und Nickels betriebenen Elektrolyse bilden die Selenatome größere Ringe und Ketten,
und sammelt sich im Anodenschlamm. Dieser wird die oberhalb einer Temperatur von 50 °C elastisch
geröstet; das sich dabei bildende Selen-IV-oxid sind; bei weiterer Erhöhung der Temperatur wird
wird mittels Schwefel-IV-oxid zu elementarem Se- Selen zunehmend plastisch.
len reduziert. Im Labor gewinnt man es in kleinen Graues „metallisches“ Selen (s. Abb. 9) ist die
Mengen, aber relativ aufwändig, durch Reduktion stabilste Modifikation und hat die Eigenschaften
von Seleniger Säure mit Iodwasserstoff (Riedel eines Halbmetalls. Es schmilzt bei 220 °C (s. Tab. 4);
und Janiak 2011): die dann gebildete schwarze Flüssigkeit, in der ein
Gemisch von aus Selenatomen gebildeten Ringen
H2 SeO3 þ 4 HI ! Se þ 2 I2 þ 3 H2 O und Ketten verschiedener Größe vorliegt, ver-
dampft bei höheren Temperaturen unter Bildung
gelben Selendampfes und siedet schließlich bei
2000 t Selen wurden im Jahr 2011 weltweit
685 °C.
produziert, meist in Deutschland (650 t), Japan Wird graues Selen belichtet, so verändert sich
(630 t), Belgien (200 t) und Russland (140 t). Die
seine elektrische Leitfähigkeit. Diese wird durch
auf der Erde verfügbare Reserve schätzt man auf
Leitung von Löchern (positiv geladenen Fehlstel-
insgesamt 93.000 t. In diesen Zahlen sind aber
len von Elektronen) verursacht. Den Mechanis-
nicht zwei der größten Produktionsländer enthal-
mus hierfür interpretiert man als „Hopping“, also
ten, China und die USA. Der Preis lag zwischen
einem Springen der Löcher von einer Kristallfehl-
2004 und 2010 ziemlich stabil bei US$ 30.-/lb.
stelle zur nächsten (Mott 1969).
(¼ ca. € 66.-/kg), verdoppelte sich dann aber bis
Beim Erhitzen in Luft verbrennt Selen mit
2011, nicht zuletzt weil China der größte Verbrau-
blauer Flamme zu Selen-IV-oxid, SeO2. Oberhalb
cher von Selen mit 1500–2000 t/a ist. 2010 gingen
von 400 °C setzt es sich mit Wasserstoff zum
ca. 30 % des erzeugten Selens in die Metallindustrie,
Selenwasserstoff, H2Se, um. Mit Metallen bildet
weitere 30 % in die Glasherstellung und je 10 %
in die Landwirtschaft, die Elektronikindustrie
(Halbleiter) und die Chemieindustrie (Pigmente).
es Selenide, zum Beispiel Natriumselenid, Na2Se, Selen-IV-oxid ist hygroskopisch und löst sich
oder Eisen-II-selenid, FeSe. gut in Wasser unter Bildung von Seleniger Säure
Das chemische Verhalten des Selens ist dem (H2SeO3), einer mittelstarken Säure, deren Salze
des Schwefels ähnlich, nur ist Selen schwerer zu man Selenite bzw. Oxoselenate-IV nennt. Umge-
oxidieren. So ergibt beispielsweise die Umset- kehrt kann man Selen-IV-oxid durch Entwässern
zung mit Salpetersäure Selenige Säure (H2SeO3) von seleniger Säure darstellen (Brauer 1963,
und nicht Selensäure (H2SeO4). S. 428). Da die Oxidationsstufe +4 des Selens
die beständigste des Elements ist, wirkt Selen-
Verbindungen Wasserstoffverbindungen Selen- IV-oxid deutlich schwächer reduzierend als
wasserstoff (Monoselan, H2Se) entsteht beim Lö- Schwefel-IV-oxid. Man setzt Selen-IV-oxid bei
sen salzartiger Selenide in verdünnten Säuren. der Riley-Synthese als mildes Oxidationsmittel
Das farblose Gas ist sehr giftig und besitzt einen ein. Shampoos zur gleichzeitigen Therapie starker
Geruch nach faulem Rettich. Schon kurzes Ein- Bildung von Schuppen können ebenfalls Selen-
atmen kleiner Mengen führt zu lange anhaltenden IV-oxid enthalten. Jedoch ist die Verbindung wie
Reizungen der Schleimhäute („Selenschnupfen“). fast alle des Selens stark giftig.
Bei Laborversuchen muss daher unbedingt unter Selenige Säure (H2SeO3) ist durch Umsetzung
einem Abzug gearbeitet werden. Man setzt Selen- von Selen-IV-oxid mit Wasser oder von Salpeter-
wasserstoff in der Elektronikindustrie zur Dotie- säure mit Selen erhältlich:
rung von Halbleitern mit Selen ein.
Das Molekül der Verbindung ist gewinkelt (I)
(HSeH: 91°), die Länge der Se–H-Bindung beträgt
146 pm (Holleman et al. 2007, S. 627). Selen- wirkt SeO2 þ H2 O ! H2 SeO3
stärker reduzierend als Schwefelwasserstoff. Wäss-
rige Lösungen von Selenwasserstoff werden durch (II)
Se þ 4 HNO3 ! H2 SeO3 þ 4 NO2
den in der Luft enthaltenen Sauerstoff schnell oxi-
þ H2 O
diert (Sennikov et al. 1996), wobei rotes Selen aus-
fällt. Reiner Selenwasserstoff entsteht beispielswei-
se beim Lösen von Aluminiumselenid in Wasser Die in Form farbloser Kristalle (s. Abb. 11) vor-
(Brauer 1963, S. 418). liegende Selenige Säure ist sehr gut löslich in Was-
Chalkogenverbindungen Selen bildet zwei Oxi- ser und hygroskopisch. In wässriger Lösung dis-
de, Selen-IV-oxid (SeO2) und Selen-VI-oxid (SeO3). soziiert sie in zwei Stufen (pKs1: 2,62; pKS2: 8,32)
Selen-IV-oxid bildet im reinsten Zustand weiße und ist damit eine mittelstarke Säure. Sie wirkt
Kristallnadeln (s. Abb. 10a, b) der Dichte 3,96 g/ nicht mehr reduzierend, sondern wird im Gegenteil
cm3, die bei 315 °C schmelzen. Man erhält die sogar durch Einwirkung von Hydrazin, Iod- oder
tetragonal kristallisierende Verbindung (Raum- Schwefelwasserstoff zu rotem Selen reduziert (Rie-
gruppe 135, Stahl et al. 1992) durch Verbrennen del und Janiak 2011, S. 458). Umgekehrt ist sie nur
elementaren Selens (Se) im Sauerstoffstrom. durch starke Oxidationsmittel (Wasserstoffperoxid,
Kaliumpermanganat) in Selensäure (H2SeO4) zu
überführen (Brauer 1963, S. 432).
Es gibt einige, aber sehr unterschiedliche Ein- stoff. Selensäure wirkt deutlich stärker oxidierend
satzgebiete für Selenige Säure. Man nutzt sie als als Schwefelsäure. Sie reagiert wie jene stark sauer
Katalysator zur Synthese von 1,2-Dialdehyden und ist ebenfalls hygroskopisch, was bedeutet, dass
(Ronzio und Waugh 1944), zur Färbung von sie organische Substanzen durch Wasserentzug ver-
Stahloberflächen (Angier 1936) und als Reagenz kohlt. Heiße Selensäure löst, im Gegensatz zu kon-
in Testkits zum Nachweis des menschlichen Dro- zentrierter Schwefelsäure, wie Königswasser Gold
genkonsums. Selenige Säure ist wie nahezu alle und Platin (Riedel und Janiak 2011, S. 458).
Selenverbindungen für Säugetiere und aquatische Selensäure verätzt Haut und Schleimhäute.
Organismen stark toxisch und kann auch zu Lang- Darüber hinaus ist Selensäure giftig.
zeitschäden führen. Selensulfide liegen nach ihrer Herstellung
Selen-VI-oxid (SeO3) ist, anders als Schwefel- meist als Stoffgemisch vor, das auf Grund der
VI-oxid, thermisch instabil und zersetzt sich bei durchschnittlichen Verhältnisformel häufig auch
Temperaturen oberhalb von 185 °C zu Sauerstoff Selendisulfid genannt wird. Jenes besteht aus
und Selen-IV-oxid (House 2008; Holleman et al. Achtringen der Zusammensetzung (SenS8n)
2001). Die bei 118 °C schmelzende, farblose Ver- (Steudel und Laitinen 1982; Holleman et al. 1995,
bindung ist durch Einwirkung von Schwefel-VI- S. 626). Selen-IV-sulfid (SeS2) ist ein hell-oranges
oxid auf wasserfreies Kaliumselenat (K2SeO4) bis rotbraunes (s. Abb. 13), in Wasser unlösliches
darstellbar (Greenwood und Earnshaw 1997a, Pulver mit einem Schmelzpunkt von <100 °C.
S. 780; Brauer 1975, S. 422). Alternativ ist es Man stellt es durch Zusammenschmelzen von
durch Dehydratisierung von Selensäure zugäng- Schwefel und Selen her. Alternativ kann man
lich, die ihrerseits aus Selen-IV-oxid und Wasser- Schwefelwasserstoff über erhitztes Selen-IV-oxid
stoffperoxid hergestellt werden kann (Seppelt leiten. Zusatz von Säuren bewirkt sofortige Hy-
et al. 1980; Steudel 2008, S. 461): drolyse der Verbindung zu Schwefelwasserstoff.
Selensulfide wirken fungizid und schuppenlö-
SeO2 þ H2 O2 ! H2 SeO4 send; sie sind daher in Anti-Schuppen-Shampoos
oft in einer Konzentration von 1 % enthalten. In
Unter Anwendung von Selen-VI-oxid ist in die höherer Konzentration (2,5 %) sind Selensulfide
C-C-Kette der Moleküle aliphatischer Kohlen- in apothekenpflichtigen Pasten und Suspensionen
wasserstoffe eine Selenon-Gruppe (¼Se¼O) ein- zur Behandlung des seborrhoischen Ekzems ent-
führbar (Schmidt und Wilhelm 1964). Mit Fluss-
säure reagiert Selen-VI-oxid zu Fluorselensäure
(MacIntyre 1992, S. 3128):
SeO3 þ HF ! HSeO3 F
1975, S. 423). Die gelbe Flüssigkeit erstarrt bzw. 3 Se þ SeO2 þ 4 HBr ! 2 Se2 Br2 þ 2 H2 O
siedet bei 8,5 °C bzw. 176 °C, hat die Dichte
2,42 g/cm3 und reagiert empfindlich gegenüber Die dunkelrote, ölige Flüssigkeit der Dichte
Wasser und bereits feuchter Luft, an der sie unter 3,6 g/cm3 erstarrt bei 49 °C, siedet unter teil-
Freisetzung von Chlorwasserstoff stark raucht. weiser Zersetzung bei 225 °C, ist empfindlich
Die Hydrolyse ergibt Chlorwasserstoff und Sele- gegenüber Hydrolyse und besitzt einen unange-
nige Säure. Die Verbindung ist unbegrenzt misch- nehmem Geruch. Beim Stehen an der Luft spaltet
bar mit Trichlormethan, Tetrachlorkohlenstoff, sie schnell Brom ab; außerdem bildet sich in ihr
Kohlenstoffdisulfid, Benzol und Toluol. In weni- ein Niederschlag von Selen. In Wasser sinkt die
gen Fällen nutzt man Selenoxiddichlorid als Lö- Verbindung zuerst in Form öliger Tropfen zu Bo-
sungsmittel. den und zersetzt sich dann langsam zu Selen,
Selen-IV-bromid (SeBr4, Selentetrabromid) ist Selen-IV-oxid und Bromwasserstoff (Lamoureux
durch Umsetzung von Selen mit Brom zugänglich und Milne 1989). Im festen Zustand ist die ortho-
(Brauer 1975, S. 419; Holleman et al. 1995, rhombische α-Form am stabilsten Raumgruppe
S. 621). Der hygroskopische, hydrolyseempfindli- 41 (Kniep et al. 1983; Katryniok et al. 1980); es
che, gelbe bis dunkel braune Feststoff (s. Abb. 15) existiert aber bei 80 °C auch eine metastabile
zersetzt sich bei Kontakt mit Wasser schließlich zu β-Form mit monokliner Kristallstruktur (Goerde-
Seleniger Säure und Bromwasserstoff. Die Verbin- ler et al. 2014).
dung ist beispielsweise löslich in Trichlormethan Pnictogenverbindungen Tetraselentetranitrid
und Kohlenstoffdisulfid. Beim Erwärmen spaltet (Se4N4) ist wie das Schwefelanalogon (S4N4) ein
Selen-IV-bromid Brom ab, um in ein Gemisch oranger Feststoff, ist noch zersetzlicher als jenes
aus Diselendibromid und Selen überzugehen. Die und explosiv. Man kann es etwa aus Selen-IV-
Elementarzelle der kristallinen Verbindung enthält chlorid und Bis(trimethylsilylamino)selen darstel-
vier Formeleinheiten, die sich jeweils an diagonal len (Silvari et al. 1933). Meist erhält man dabei die
gegenüberliegenden Ecken eines Würfels befinden α-Form, die in Form einer wenig symmetrischen
(Sahoo et al. 2012). Unter Druck reagiert Selen-IV- Käfigverbindung vorliegt. Eine hierzu etwas ab-
bromid mit Ammoniak zu Tetraselentetranitrid, das gewandelte Synthese geht von Selen-IV-oxid und
dem homologen Tetraschwefeltetranitrid ähnelt. Ge- N-Trimethylsilyl-P-trimethylphosphanoimin aus
löst in konzentrierter Bromwasserstoffsäure bildet (Dehnicke et al. 1994). Im letzteren Fall erhält
es mit Alkalibromiden Hexabromoselenat-IV, wie man rotbraune Kristallnadeln der β-Form nach
das rote Caesiumhexachloroselenat-IV (Cs2SeBr6). dem Umkristallisieren aus Acetonitril.
Diselendibromid (Se2Br2) entsteht bei der Re- Umsetzung von Selen mit Grignard-Verbindun-
aktion der gewählten stöchiometrischen Menge gen (R-Mg-Hal) ergibt nach Hydrolyse der zunächst
von Selen mit Brom (Brauer 1975, S. 418). Eine entstehenden Grignard-Addukte (R-Se-Mg-Hal) zu
weitere Möglichkeit ist die Reaktion von Selen Selenolen (R-Se-H), die die Selenanaloga zu Alka-
mit Selen-IV-oxid und Bromwasserstoff (Meyer nolen und Mercaptanen sind (Rheinboldt 1955). Die
und Wurm 1930): niederen Selenole haben einen widerwärtigen Ge-
ruch und sind giftig.
Geschichte Tellur wurde 1782 von dem österrei- Vorkommen Tellur ist ein sehr seltenes Element;
chischen Chemiker und Mineralogen Franz Jo- sein Anteil an der Erdhülle beträgt nur etwa
seph Müller von Reichenstein bei Untersuchun- 0,01 ppm (g/t). Vereinzelt kommt es mit Gold,
gen von Gold-Erzen aus der Grube Mariahilf beim gelegentlich auch mit Silber, Kupfer, Blei, Wis-
heute rumänischen Sibiu (dt. Hermannstadt) ent- mut und den Platinmetallen vergesellschaftet in
deckt. Er fand, dass das neu erhaltene Metall im elementarer Form (gediegen) in der Natur vor.
Unterschied zu Antimon und Bismut kaum eine Gediegenes Tellur kann Selen enthalten. Trotz
Reaktion mit Schwefelsäure zeigte. Wie wir heute seiner Seltenheit bildet Tellur viele eigene Mine-
wissen, enthielt das damals erstmals dargestellte rale und tritt wegen der Größe seines Atoms nicht
Tellur noch weitere Tellurmineralien. Er sandte als Ersatz für Schwefel- oder Selenatome in deren
1783 zwar noch Proben zum schwedischen Che- Mineralien auf; letztere findet man aber öfters als
miker Bergman; jener verstarb aber ein Jahr spä- Ersatz für Telluratome in Tellurmineralien.
378 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
Mineralien mit Tellurid- (Te2) bzw. Ditellu- M2 Te þ O2 þ Na2 CO3 ! Na2 TeO3 þ 2 M þ CO2
rid- (Te22) Anionen sind Goldtellurid (!), ðM ¼ Metallkation bzw: atomÞ
daneben kommen Edelmetall-, Blei- und Wis-
muttelluride vor. Dagegen sind Mineralien mit
Durch Aufschmelzen der Telluride mit Na-
Te4+-Ionen seltener, wie bereits das wichtigste
triumnitrat (NaNO3) wird ebenso Tellurit und Me-
Oxid des Tellurs, das Tellur-IV-oxid (TeO2) in
tall gebildet, allerdings entstehen dabei auch gif-
seinen zwei Modifikationen Tellurit (ortho-
tige Stickoxide:
rhombisch) und Paratellurit (tetragonal). Wei-
tere Mineralien, die Tellur in der Oxidationszahl
M2 Te þ 2 NaNO3 ! Na2 TeO3 þ 2 M þ NO2
+4 enthalten, sind Tellurite der Formeln
þ NO
[TeO3]2 oder [TeO4]4.
Von Mineralen mit Tellur in der Oxidations-
Das bei der Reaktion jeweils gebildete Na-
stufe +6 gibt es rund zwanzig, meist vom Kupfer
triumtellurit (Na2TeO3) löst man dann in Wasser;
oder Blei, die [TeO6]6-Anionen enthalten. Es
durch Zugabe von Schwefelsäure fällt man das
existieren auch gemischte Tellurminerale, darunter
sehr schwer in Wasser lösliche Tellur-IV-oxid aus.
das Calciumorthotellurat (Carlfriesit, CaTe3O8) mit
Dieses wird durch Umsetzung mit Schwefel-IV-
einem Te4+:Te6+-Verhältnis von 2:1 (Williams und
oxid zu elementarem, amorphen Tellur reduziert.
Gaines 1975; Effenberger et al. 1978).
Zur Gewinnung hochreinen Tellurs wendet man
Alle diese Minerale sind aber wegen ihrer-
das Zonenschmelzverfahren an.
Seltenheit und des Fehlens abbauwürdiger
Vor einigen Jahren wurden durchschnittlich
Lagerstätten für die technische Gewinnung
etwa 120 t Tellur jährlich hergestellt. Die wichti-
von Tellur irrelevant. Wichtige Vorkommen so-
gen Produzentenländer sind mit jeweils rund 50 t/a
wohl von elementarem Tellur als auch seiner
die USA und Japan, sowie mit ca. jeweils 13 t/a
Minerale befinden sich in Cripple Creek (Colo-
Peru und Kanada. Möglicherweise wird Tellur
rado, USA), Zlatna (Rumänien), Moctezuma
auch noch in einigen Ländern Westeuropas her-
(Mexiko) und Kalgoorlie (Australien). Bekannt
gestellt; dafür liegen aber keine Zahlen vor (British
sind:
Geological Survey 2011).
a. Telluride: Hessit (Ag2Te) und Altait (PbTe), Eigenschaften Bei Standardbedingungen tritt
b. Ditelluride: Calaverit (AuTe2) und Sylvanit Tellur nur in seiner metallischen, trigonal kristal-
[(Au, Ag)Te2] lisierenden Modifikation auf. Zudem existieren
c. Telluridsulfide: Nagyágit [AuPb(Pb, Sb,Bi) diverse unter hohem Druck gebildete Modifika-
Te2–3S6] und Tetradymit (Bi2Te2S) tionen (Bradley 1924; Ardenis et al. 1989):
d. Tellurite [Tellurit, TeO2 und Zemannit
[Mg0,5ZnFe[TeO3]3 ∙ 4,5 H2O] a. Te-II, monoklin, im Druckbereich von 4 bis
6,6 GPa.
Gewinnung Die elektrolytische Herstellung von b. Te-III orthorhombisch, im Druckbereich von
Nickel und Kupfer ist die einzige wirtschaftliche 6,6 bis 10,6 GPa stabil.
Quelle zur Gewinnung von Tellur, wie dies auch c. Te-IV, trigonal, im Druckbereich von 10,6 bis
für Selen zutrifft. Die bei der Elektrolyse zwangs- 27 GPa, und
läufig entstehenden Anodenschlämme enthalten d. Te-V, kubisch-raumzentriert, im Druckbereich
Kupfer-, Silber- sowie Goldtellurid und -selenid. oberhalb von 27 GPa.
Diese röstet man bei Temperaturen oberhalb von
500 °C bei Gegenwart von Luftsauerstoff und Das unbeständige, amorphe Tellur kann zwi-
Natriumcarbonat, wobei die Edelmetallkationen schenzeitlich aus Telluriger Säure (H2TeO3) bzw.
zum Element reduziert und das Tellurid zu Tellurit ihren Salzen (Telluriten) durch Reaktion mit
(TeO32–) oxidiert werden: Schwefel-IV-oxid in wässriger Lösung (¼ Sulfit)
5 Einzeldarstellungen 379
dargestellt werden, geht aber unter Normalbedin- punkt der Flüssigkeit: 46 °C), ist leicht in Was-
gungen langsam in die metallische Modifikation ser löslich und wird durch Luftsauerstoff schnell
über: zersetzt. In Wasser bildet sich die mittelstarke,
ziemlich unbeständige Tellurwasserstoffsäure
H2 TeO3 þ 2 SO3 2 ! Te þ SO4 2 þ H2 O (pKs1: 2,64; pKs2: 8,80) (Holleman et al. 2007,
S. 627).
Physikalische Eigenschaften: Kristallines, me- Chalkogenverbindungen Tellur-IV-oxid (TeO2)
tallisches Tellur ist halbleitend; die elektrische ist das Anhydrid der unbeständigen Tellurigen Säure
Leitfähigkeit steigt, wie zu erwarten, bei Erhö- (H2TeO3). Der farblose Feststoff (s. Abb. 16a, b)
hung der Temperatur oder bei Belichtung an, je- existiert in Form zweier Modifikationen, die in der
doch nur gering. Die Leitfähigkeit für Strom und Natur in Form der Minerale Paratellurit (α-TeO2,
Wärme des Tellurkristalls ist abhängig von der tetragonale Struktur) und Tellurit (β-TeO2, ortho-
Richtung (anisotrop). Tellur ist weich (Härte nach rhombisch) auftreten. Diese beiden Modifikatio-
Mohs 2,3) und spröde, so dass es leicht zu Pulver nen kann man oft anhand ihrer Farbe unterschei-
vermahlen werden kann. Eine Erhöhung des den, da Tellurit oft eine gelbe Farbe hat, während
Drucks erzeugt weitere kristalline Modifikationen Paratellurit meist farblos ist.
des metallischen Tellurs. Bei 450 °C schmilzt Das Verbrennen elementaren Tellurs an der
Tellur zu einer roten Flüssigkeit (s. Tab. 5), bei Luft ergibt Tellur-IV-oxid, wobei die technische
990 °C siedet es unter Bildung eines gelben, aus Synthese durch Umsetzung von Tellur mit kon-
Te2-Molekülen bestehenden Dampfes. Oberhalb zentrierter Salpetersäure bei 400 °C erfolgt (Brauer
von 2000 °C liegt der Dampf einatomig vor. 1963, S. 447):
Chemische Eigenschaften Tellur wird durch
Wasser nicht angegriffen, ebenso kaum durch 3 Te þ 4 HNO3 ! 3 TeO2 þ 4 NO þ 2 H2 O
Salz- und Schwefelsäure und in Laugen. Salpeter-
säure löst es dagegen oxidativ unter Bildung von Der tetragonal kristallisierende, farblose Paratel-
Tellurit auf. Geschmolzenes Tellur seinerseits lurit (Raumgruppe 92) der Dichte 6,02 g/cm3
greift Kupfer, Stahl und auch Edelstahl an. schmilzt bei 732,6 °C zu einer roten Flüssigkeit,
An Luft verbrennt es mit blaugrüner Flamme die bei 1245 °C in ein gelbes Gas übergeht. Mit
zu Tellur-IV-oxid (TeO2). Mit Halogenen reagiert Wasser bildet Tellur-IV-oxid die fast amphotere Tel-
es heftig zu Halogeniden; diese sind stabiler als lurige Säure (H2TeO3), die sich mit starken Säuren
die des Schwefels und Selens. So existieren auch sogar zu Tellur-IV-Salzen umsetzt. Basen dagegen
thermodynamisch stabile Iodide, darunter Tellu- lösen es zu Hydrogentellurat-IV (HTeO3) oder
riodid (TeI). Zink und andere unedle Metalle rea- Tellurat-IV (TeO32).
gieren mit pulverförmigem Tellur beim Erhitzen Aus Tellur-IV-oxid kann man Gläser eines sehr
heftig zu den jeweiligen Telluriden. hohen Brechungsindex herstellen; ebenso akus-
tooptische Modulatoren. Die Verbindung ist giftig.
Verbindungen Die häufigsten Oxidationsstufen Das gelbe, trigonal-rhomboedrisch kristallisie-
des Tellurs sind 2 (Tellurid) und +4 (in den Tetra- rende Tellur-VI-oxid (TeO3) hat eine Dichte von
halogeniden, in Tellur-IV-oxid und Telluriten). 5,07 g/cm3 und schmilzt bei einer Temperatur von
Wasserstoffverbindungen Tellurwasserstoff 400 °C unter Zersetzung zu Tellur-IV-oxid und
(H2Te) entsteht bei der elektrolytischen Reduktion Sauerstoff. Die Verbindung ist das Anhydrid der
von Tellur an der Kathode in 50 %iger Schwefel- Ortho-Tellursäure (H6TeO6). Tellur-VI-oxid kommt
säure oder durch Lösen salzartiger Telluride in in Form zweier Modifikationen vor, der gelboran-
Säuren, wie etwa bei der Umsetzung von Alumi- gen amorphen α-Form und der grauen, trigonal
niumtellurid mit Salzsäure (Brauer 1963, S. 439). kristallisierenden, deutlich reaktionsträgeren
Das knoblauchartig riechende Gas der Dichte β-Form (Raumgruppe 167; Kjekshus et al. 2000).
5,76 kg/m3 kondensiert bei 1 °C (Erstarrungs- Beide Modifikationen erhält man durch unter-
380 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
schiedlich verlaufende Entwässerung von Ortho- Rohr bei 320 °C bei Gegenwart katalytischer Men-
tellursäure. Dehydratisiert man jene bei ca. 310 °C, gen konzentrierter Schwefelsäure. Tellur-VI-oxid
entsteht die α-Form. Die β-Form bildet sich beim ist weder in Wasser noch in Säuren und heißen
Erhitzen von Orthotellursäure im geschlossenen Laugen löslich (Brauer 1963, S. 450).
5 Einzeldarstellungen 381
(R jeweils Alkyl-, Aryl-). Außerdem kennt man Peltier-Elementen zur Kühlung ein. Bestandteile
noch Diorganotellurdihalogenide R2TeX2 (R ¼ optischer Speicherplatten (CD-RW, DVD, Phase
Alkyl-, Aryl-; X ¼ F, Cl, Br, I) und Triorganotel- Change Random Access Memory) sind unter an-
lurhalogenide R3TeX (R ¼ Alkyl-, Aryl-; X ¼ F, derem auch Kombinationen aus Germanium- und
Cl, Br, I). Antimontelluriden. Gläser aus Tellur-IV-oxid be-
Tellurpolykationen Vorsichtige Oxidation von sitzen einen besonders hohen Brechungsindex
Tellur liefert ring- oder kettenförmig strukturierte und werden anstelle von Quarz (SiO2) in Licht-
Tellurpolykationen (Tenx+), die mit Gegenkationen wellenleitern eingesetzt.
zu kristallinen Verbindungen kombiniert werden Kleine Mengen an Tellur verwendet man zur
können (Beck 1997). Geeignete Oxidationsmittel Vulkanisierung von Gummi, in Sprengkapseln
sind die Halogenide der Nebengruppenmetalle bei und zum Färben von Glas und Keramik. Selten,
erhöhter Temperatur: weil teuer, ist der Einsatz von Verbindungen des
Tellurs zur Erzeugung einer grasgrünen Farbe bei
8 Te þ 2 UBr5 ! Te8 ðU2 Br10 Þ Feuerwerken.
Das Te82+-Kation besitzt eine ringförmige Mo- Biologische Bedeutung und Toxizität Tellur ist
lekülstruktur. Oft ist die Kristallisation nur in giftig und wird daher meist mit dem Gefahren-
wasserfreien Lösungsmitteln wie Zinn-IV-chlorid symbol „T“ gekennzeichnet. Tellur ist aber sehr
oder Silicium-IV-bromid auszulösen. Gelegent- schlecht in Wasser und körpereigenen Säuren lös-
lich kann man auch die jeweiligen Tellur-IV-ha- lich, weswegen das Institut für Arbeitsschutz der
logenide als Reaktionspartner einsetzen: Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Tel-
lur auf gesundheitsschädlich (Xn) herabstufte.
13 Te þ TeCl4 þ 4 BeCl2 ! 2 Te7 ðBe2 Cl6 Þ Viele Hersteller verwenden aber nach wie vor
das alte Gefahrensymbol „T“ in Verbindung mit
Auch das Te72+-Kation liegt in Form eines dem R-Satz 25 („Giftig beim Verschlucken“).
Ringes vor. Auch gemischte Selen-Tellur-Poly- Tellur besitzt jedoch nicht die Giftigkeit des
kationen sind bekannt. Eine ähnliche Reaktion Selens. Wird Tellur vom menschlichen Körper auf-
dient übrigens auch zum Nachweis elementaren genommen, wird dort durch Reduktion Dimethyl-
Tellurs. Dieses bildet nach Auflösen in heißer tellurid (Me2Te) gebildet, das für Blut, Leber, Herz
konzentrierter Schwefelsäure rote Te42+-Kationen: und Nieren giftig ist und stark nach Knoblauch
riecht. Tellurpulver wird neben den Symbolen Xn
4 Te þ 3 H2 SO4 ! Te4 2þ þ 2 H2 O þ 2 SO2 bzw. T zusätzlich mit den R-Sätzen 36/37/38 sowie
þ HSO4 S-Sätzen 26 und 37 gekennzeichnet. Die Maximale
Arbeitsplatz-Konzentration (MAK) ist auf den ge-
Anwendungen Tellur ist nur aufwändig herzu- ringen Wert von 0,1 mg/m3 festgelegt worden.
stellen und daher teuer. Es wird daher meist durch
andere Elemente bzw. Verbindungen ersetzt, wo Patente
dies möglich ist. Man verwendet es z. B. als Zu- (Weitere aktuelle Patente siehe https://
satz (<1 %) für Stahl, Gusseisen, Kupfer- und worldwide.espacenet.com)
Blei-Legierungen sowie in rostfreien Edelstäh-
len, weil so Korrosionsbeständigkeit und mecha- M. Yamamoto, Method for producing or-
nische Bearbeitbarkeit verbessert werden. In sei- ganic tellurium compound and method
ner Funktion als Halbleiter findet es lediglich im of producing vinyl polymer (Otsuka
Cadmiumtellurid Verwendung, das man in Foto- Chemical Co., Ltd., WO 2020116144
dioden und Solarmodulen einbaut. A1, veröffentlicht 11. Juni 2020)
Bismuttellurid (Bi2Te3) setzt man z. B. in Ra-
dionuklidbatterien zur Stromerzeugung oder in (Fortsetzung)
384 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
mit Hilfe geschmolzenen Natriumhydroxids (Sie- bindung sehr empfindlich und wird sofort zer-
mens Jr et al. 1977). Die Jahresproduktion beträgt setzt. Bei Raumtemperatur ist Poloniumwasserstoff
ca. 100 g. eine Flüssigkeit, die bei 36,1 °C siedet und bei
35,3 °C erstarrt (Weigel 1959). Die Verbindung
Eigenschaften Polonium ist ein silberweiß glän- bildet, wie auch die anderen Chalkogen-Was-
zendes Metall, das als einziges Metall kubisch- serstoff-Verbindungen, zwei Reihen von Salzen,
primitiv kristallisiert. Die chemischen Eigen- die Polonide und Hydrogenpolonide. Von letzteren
schaften sind in mancher Hinsicht sehr ähnlich sind aber keine Vertreter bekannt. Bleipolonid
zu denen seiner linken Nachbarn im Periodensys- kommt dagegen immer in Poloniumproben vor, da
tem, Bismut, Blei und Thallium. Bezüglich seines beim α-Zerfall von Polonium Blei entsteht (Holle-
Redoxpotenzials für die Reaktion M2+ + 2 e > M man et al. 2007, S. 626).
ist es etwa mit Kupfer vergleichbar; bezüglich Natriumpolonid (Na2Po) ist ein grauer Fest-
höherer Oxidationsstufen stehen seine jeweiligen stoff der Dichte 4,08 g/cm3 und entsteht unter
Redoxpotenziale sogar in der Nähe derjenigen Anderem bei Zusammenschmelzen von Natrium-
von Edelmetallen. hydroxid mit Polonium (Larson 1978):
Polonium löst sich, begünstigt durch Luft-
zutritt, in starken Mineralsäuren unter Bildung 3 Po þ 6 NaOH ! 2 Na2 Po þ Na2 PoO3
des rosaroten Po2+-Kations, das aber in wässriger þ 3 H2 O
Lösung langsam in das gelbe Po4+-Ion übergeht.
Die starke von Polonium ausgesandte α-Strahlung Eine andere Reaktion geht von Bleipolonid
reagiert mit Wassermolekülen unter Bildung oxi- aus:
dierender Verbindungen bzw. Radikale, die für die
Entstehung der Po4+-Ionen verantwortlich sind PbPo þ 4 NaOH ! Na2 Po þ Na2 PbO2 þ 2 H2 O
(Holleman et al. 2007, S. 620).
Alle Isotope des Poloniums sind radioaktiv Die Verbindung kristallisiert wie auch das
und sehr kurzlebig; die Spanne der Halbwertszei- homologe Natriumtellurid im Antifluorittyp, einem
ten reicht von 300 ns (!) für 21284Po bis zu 103 a kubischen System der Raumgruppe Fm3m (Raum-
für das künstlich erzeugte 20984Po (s. Tab. 6). Das gruppe 225) (Emeléus und Sharpe 1963, S. 209).
häufigste natürlich vorkommende Isotop 21084Po Magnesiumpolonid (MgPo) ist ein grauer Fest-
hat eine Halbwertszeit von nur 138 d und geht stoff der Dichte 6,7 g/cm3, der durch Zusammen-
beim α-Zerfall in 20682Pb über. Daher erzeugt man schmelzen der Elemente im Temperaturbereich
industriell genutztes Polonium direkt in Kern- von 300 °C bis 400 °C dargestellt werden kann
kraftwerken. (Eméleus und Sharpe 1963, S. 210). Er kristalli-
Wasserstoffverbindungen und Polonide Polo- siert im hexagonalen Kristallsystem.
niumwasserstoff (Monopolan, H2Po) lässt sich Bleipolonid (PbPo) stellt man durch Einleiten
nicht wie Schwefelwasserstoff aus den Elementen von Poloniumdampf in flüssiges Blei im Vakuum
gewinnen. Stattdessen wird zur Herstellung ele- dar (Hagen 2009, S. 161). Der graue Feststoff der
mentares Polonium mit Magnesium in Gegenwart Dichte 9,64 g/cm3 schmilzt oberhalb einer Tem-
verdünnter Salzsäure reduziert. Dabei entstehen peratur von 550 °C unter Zersetzung (Miura et al.
aber nur Spuren von Poloniumwasserstoff. 2007) und kristallisiert analog zu Bleitellurid in
Poloniumwasserstoff ist wie die leichteren ana- der kubischen Natriumchlorid-Struktur (Raum-
logen Verbindungen Selenwasserstoff und Tellur- gruppe 225) (Dalven 1973).
wasserstoff eine endotherme Verbindung und zer- Chalkogenverbindungen Polonium-IV-oxid
fällt unter Wärmeabgabe in die Elemente, ist also (PoO2) stellt man durch Verbrennen von Polo-
sehr instabil. Die dabei abgegebene Wärmemenge nium im Sauerstoffstrom bei <250 °C her (Stein-
ist mit >100 kJ/mol die größte aller Chalko- meyer und Kershner 1971). Die Verbindung exis-
gen-Wasserstoffverbindungen. Gegenüber auch tiert in Form zweier Modifikationen. Die gelbe ist
in Spuren vorkommendem Sauerstoff ist die Ver- bei 20 °C stabil, kristallisiert in einer fluoritähn-
386 6 Chalkogene: Elemente der sechsten Hauptgruppe
lichen Struktur (Raumgruppe 225) und schmilzt Polonium-II-oxid (PoO) entsteht zum Beispiel
bei 500 °C. Die rote Modifikation kristallisiert durch spontanen Zerfall von Polonium-II-sulfit
tetragonal und ist nur bei erhöhter Temperatur sta- (Emeléus und Sharpe 1963, S. 213). Zugabe von
bil. Unter reduziertem Druck zersetzt sich die Ver- Alkalihydroxid zu Polonium-II-oxid gewinnt man
bindung oberhalb einer Temperatur von 500 °C in Poloniumhydroxid, das im Alkalischen leicht zu
die Elemente. Po4+ oxidiert.
5 Einzeldarstellungen 387
nutzte Ionisatoren enthalten 21084Po, z. B. in An- verteilen sich gleichmäßig im gesamten Körper
lagen, die zum Aufrollen von Papier, Textilien ect. und werden nur allmählich wieder ausgeschie-
dienen, oder aber zum Aufheben elektrostatischer den. Da Poloniumisotope bei ihrem Zerfall
Ladungen auf optischen Linsen. kaum γ-Strahlung erzeugen, sind diese im Kör-
Ein g 21084Po entwickelt durch seinen radioakti- per schwer nachzuweisen.
ven Zerfall 140 Watt Wärme, die ausreicht, festes
Polonium zum Schmelzen zu bringen (Petrjanow-
Sokolow 1977). Früher setzte man Polonium in 5.6 Livermorium
kurzlebigen Radionuklidbatterien ein. Die auf Hi-
roshima und Nagasaki abgeworfenen Atombom- Geschichte Der erste bestätigte Versuch, Isoto-
ben enthielten aus Polonium und Beryllium beste- pe des Elements 116 herzustellen, hier mittels
hende Starter für die Kernspaltungsreaktion. des Beschusses von 24896Cm (s. Abb. 22) mit
48
20Ca, war 1977 der von Hulet et al. am Law-
Biologische Bedeutung und Toxizität Polonium rence Livermore National Laboratory (LLNL),
entsteht durch α-Zerfall von Radonkernen, die ihrer- jedoch konnte die Bildung von Kernen des
seits durch Abbau höherer radioaktiver Nuklide Livermoriums nicht beobachtet werden (Hulet
(Radium, Uran) im Erdreich gebildet werden. So et al. 1977). Dieselbe Kernfusion versuchten
können selbst die großvolumigen Radonatome ein Jahr später auch Oganessian et al. am Flerov
durch Risse im Fundament oder durch Leitungen Laboratory for Nuclear Reactions (FLNR), das
in Häuser eindringen, wo sich das Gas wegen seiner zum Joint Institute for Nuclear Research (JINR)
hohen Dichte immer am Boden konzentriert. Ein- in Dubna gehört. Auch 1985 schlug ein analoger
atmen von auch nur spurenweise in der Luft ent- Versuch fehl, der diesmal in Kooperation der
haltenem Radon erhöht das Risiko, an Lungenkrebs Deutschen Gesellschaft für Schwermetallonen-
zu erkranken; daher sollte man Kellerräume oft forschung (GSI, heute: Helmholtz-Zentrum für
lüften. Man schätzt, dass das Einatmen von Radon Schwerionenforschung) und der Universität Ber-
nach Rauchen die zweithäufigste Ursache für die keley durchgeführt wurde. Die Situation änderte
Entstehung von Lungenkarzinomen ist. Gründliche sich ab 1990, als in Dubna 1989 ein neuer Sepa-
Abhilfe schafft nur ein komplettes Versiegeln des rator für superschwere Elemente in Betrieb ge-
Untergrundes. nommen wurde, der ab 1995 auch einen intensi-
Die eigentliche Ursache für die Krebserkrankung veren Beschuss mit 4820Ca-Isotopen erlaubte. Auf
ist aber nicht Radon, sondern die Inhalation der sich diese Weise konnte man in der Folgezeit Isotope
schnell aus Radon bildenden, ebenfalls kurzlebigen
Isotope, die sich im Gegensatz zu Radon in der
Lunge anreichern. Unter den Zerfallsprodukten be-
finden sich auch die Poloniumisotope 21084Po,
212 214 216 218
84Po, 84Po, 84Po und 84Po, die eine starke
Wirkung auf Körpergewebe entfalten, weil sie
α-Teilchen aussenden.
Die tödliche (letale) Dosis des Isotops
210
84 Po liegt bei 1,7 ng/kg (!) Körpergewicht,
weshalb es eines der stärksten Gifte überhaupt
ist. Die toxische Wirkung beruht dabei fast nur
auf radiologischer, nicht auf chemischer Wir-
kung. Auch jene wäre aber sehr stark, da sich
Polonium ähnlich wie seine linken Nachbarn im
Periodensystem, Quecksilber, Thallium oder
Blei, verhält und schwefelhaltige Enzyme/Ami- Abb. 22 Das Target von 24896Cm, das zur Synthese von
nosäuren unwirksam macht. Poloniumionen Isotopen des Livermoriums benutzt wurde
5 Einzeldarstellungen 389
Eigenschaften Jedes Atom der Chalkogenreihe beim Polonium beobachtete Effekt noch, weshalb
hat zunächst sechs Elektronen in seiner Valenz- die Oxidationszahl +2 deutlich stabiler als +4
schale. Livermorium sollte zwar einige Ähnlich- erwartet wird. Da ebenso die 7s-Elektronen als
keit zu seinen leichteren Homologen haben, aber dermaßen stabilisiert gelten, dass sie ebenfalls
hier dominieren relativistische Effekte. Die Ener- als inert gelten können, ist das Erreichen der
gie der 7s- und der 7p-Elektronen wird Berech- Oxidationszahl +6 praktisch ausgeschlossen.
nungen zufolge gesenkt, wobei die Energie eines Schmelz- und Siedepunkt des Livermoriums sollte
der 7p-Elektronenpaare besonders stark sinkt, dem Trend innerhalb der Chalkogenreihe folgen;
weshalb es als nahezu „inert“ gilt (Faegri und man erwartet einen höheren Schmelz-, aber nied-
Saue 2001). Damit verstärkt sich dieser schon rigeren Siedepunkt als dies für Polonium der Fall
Literatur 391
ist. Die Dichte wird für α-Lv zu 12,9 g/cm3 be- sem Kapitel gemachten Aussagen auf gemesse-
rechnet (siehe Tab. 7); Livermorium sollte wie nen und vorhergesagten Eigenschaften weniger
Polonium in einer α- und β-Modifikation auftreten. Atome, die bisher erzeugt werden konnten. We-
Die Chemie des Livermoriums ähnelt vermut- gen der sehr kurzen Halbwertszeiten aller Isotope
lich der des Poloniums. Die Stabilität höherer des Livermoriums wird die Sammlung weiterer
Oxidationszahlen nimmt in der Gruppe vom Daten auch in Zukunft schwierig sein.
Schwefel über Selen, Tellur und Polonium stetig
ab. Der beständigste Oxidationszustand des Li-
vermorium ist wohl wegen der Anwesenheit Literatur
zweier nahezu “inerter” Elektronenpaare +2;
die Stufe +4 wurde als wesentlich instabiler be- Adloff JP (2003) The centennial of the 1903 Nobel Prize
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rechnet und sollte höchstens in Verbindung mit
org/10.1524/ract.91.12.681.23428
stark elektronegativen Elementen wie Fluor vor- Adolphi P, Ullrich B (2000) Fixierung und Reaktionsfähig-
kommen, etwa im hypothetischen Livermorium- keit von Schwefel in Braunkohle. In: Proc. XXXII.
IV-fluorid (LvF4). Auch die bei den niederen Kraftwerkstech. Koll., Nutzung schwieriger Brennstof-
fe in Kraftwerken, S 109–116
Chalkogenen stets beobachtete Stufe 2 wird
Ahrens A et al (2016) Wasser in der Getränkeindustrie. Fach-
wegen der Destabilisierung der 7p3/2-Orbitale verlag Hans Carl, Nürnberg. ISBN 978-3-418-00912-4
besonders instabil sein und daher kaum existie- Allègre C et al (2001) Chemical composition of the Earth
ren, weshalb man beim Livermorium von einer and the volatility control on planetary genetics. Earth
Planet Sci Lett 185(1–2):49–69
praktisch ausschließlichen Kationenchemie aus-
Alsfasser R et al (2007) Moderne Anorganische Chemie,
geht. Das Element sollte sich also fast durch- 3. Aufl. de Gruyter, Berlin, S 129–132. ISBN 978-3-11-
gehend wie ein typisches Metall unter Bildung 019060-1
von Lv2+-Kationen verhalten (Fricke 1975; Andrews FJ, Nolan JP (2006) Critical care in the emergen-
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Thayer 2010).
Emerg Med J 23:561–564. https://doi.org/10.1136/
So ist das hypothetische Livermoran (LvH2) emj.2005.029926
wahrscheinlich mehr ein Hydrid als ein Wasser- Angier R (1936) Firearm blueing and browning. Stackpole
stofflivermorid, wäre aber eine immer noch mehr- Co, Harrisburg
Archer RD (2001) Inorganic and organometallic polymers.
heitlich kovalente Verbindung (Nash und Crockett
Wiley, New York, S 213. ISBN 978-0-471-24187-4
2006). Die Lv-H-Bindung wäre wohl länger als Ardenis C et al (1989) Reinvestigation of the structure of
üblicherweise zu erwarten und der H-Lv-H-Bin- Tellurium. Acta Cryst C 45:941–942
dungswinkel größer als der in den anderen Chal- Armbruster P et al (1985) Attempts to produce superheavy
elements by fusion of 48Ca with 248Cm in the bombar-
kogenwasserstoffmolekülen, was laut Berechnun-
ding energy range of 4.5–5.2 MeV/u. Phys Rev Lett
gen darauf schließen lässt, dass sogar unbesetzte, 54(5):406–409. https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.
relative „energiearme“ 8s-Orbitale an den Bindun- 54.406
gen des vermutlich extrem instabilen Moleküls Arnold MHM (1938) The structure of (SNH)4 and its
derivatives. J Chem Soc Lond:1596–1597. https://doi.
beteiligt sind. Dieses „supervalente Hybridisie-
org/10.1039/JR9380001596
rung“ genannte Phänomen kommt aber auch in Arnold MHM et al (1936) The formation and constitution
den nicht-relativistischen Regionen des Perioden- of sulphur nitride and so-called hexasulphamide.
systems vor (Greenwood und Earnshaw 1997b, J Chem Soc Lond:1645–1649. https://doi.org/10.
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Halogene: Elemente der siebten
Hauptgruppe 7
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
Zusammenfassung 1 Einleitung
Die Halogene sind eine der chemisch reak-
tivsten Gruppen von Elementen. Sie sind teils Die Halogene (Salzbildner), kommen in vielen
schon lange bekannt, werden in sehr vielen chemischen Verbindungen vor und sind hoch-
Anwendungen eingesetzt und zeigen eine vor reaktiv. Im Periodensystem findet man sie in der
allem hinsichtlich ihrer Verbindungen mit an- siebten Hauptgruppe; den äußeren Elektronen-
deren Nichtmetallen interessante Chemie. schalen ihrer Atome fehlt nur ein einziges Elek-
Fluor und Chlor sind bei Raumtemperatur tron, um eine abgeschlossene und somit sehr sta-
Gase, Brom ist neben Quecksilber das einzige bile Elektronenkonfiguration bilden zu können.
unter diesen Bedingungen flüssige Element, Fluoridierung des Zahnschmelzes, Natriumchlo-
wogegen Iod, Astat und möglicherweise auch rid, Bromide im Toten Meer oder Iod zur Des-
Tenness unter diesen Bedingungen Feststoffe infektion in medizinischen Anwendungen . . .
sind. Lassen Sie sich überraschen: Halogene über diese Begriffe haben Sie sicher schon etwas
sind weit mehr als nur Kochsalz und Iodo- gelesen oder gehört. Aber wie sieht der Hinter-
form. grund hierzu aus? Welche Elemente umfasst diese
Gruppe? Manche wie Chlor und Brom sind schon
über 200 Jahre bekannt, die beiden radioaktiven
Vertreter, Astat bzw. Tenness, aber erst seit 1940
bzw. 2010. Fluor, Chlor, Brom und Iod bzw. ihre
Verbindungen sind auf vielen Gebieten schon lan-
ge im Einsatz.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 399
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_7
400 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Fluor und Chlor sind bei Raumtemperatur Gase, erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
Brom ist neben Quecksilber das einzige bei Raum- system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf.
temperatur flüssige Element. Dagegen sind Iod, As- Die Einzeldarstellungen der insgesamt sechs
tat und wohl auch Tenness unter diesen Bedingun- Vertreter der Gruppe der Halogene enthalten dabei
gen Feststoffe. Nur Astat und wahrscheinlich auch alle wichtigen Informationen über das jeweilige
Tenness zeigen einen stärker metallischen Charak- Element, so dass ich hier nur eine kurze Einlei-
ter, wogegen Fluor, Chlor, Brom und Iod Nicht- tung vorangestellt habe.
metalle sind. Iod leitet allerdings in manchen seiner
Merkmale schon zu den Halbmetallen über. Sie
finden alle Halogene im unten stehenden Perioden- 2 Vorkommen
system in der Gruppe 17 (VII A), siehe Abb. 1.
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Na- Halogene kommen in der Natur vor allem als
trium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie Ar- einfach negativ geladene Anionen (Halogenide)
sen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- in Form von Salzen vor. Das zugehörige Kation
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die ist meist ein Alkali- oder Erdalkalimetall, die
meisten Elemente können sich untereinander ver- Natrium- und Kaliumhalogenide herrschen dabei
binden und bilden chemische Verbindungen; so vor. Aus jenen kann man die Halogene durch
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische Elektrolyse gewinnen. Ein großer Teil der Halo-
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz. genide ist im Meerwasser gelöst.
Einschließlich der natürlich vorkommenden Wichtige Verbindungen sind Natriumchlorid
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich (Speisesalz) und Kaliumchlorid, Natrium- bzw.
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Kaliumbromid und -iodid, Calciumfluorid und Farbintensität, Dichte und Siedepunkt an. Alle
auch Kryolith (Aluminiumtrinatriumhexafluorid, liegen als zweiatomige Moleküle der Form X2
Na3AlF6). vor (z. B. F2 und Cl2) und sind elektrische Nicht-
Iod kommt darüber hinaus in der Natur auch leiter, jedoch zeigt Iod unter bestimmten Bedin-
als Iodat vor. Astat ist das seltenste natürlich vor- gungen Halbleitereigenschaften. Astat als Halb-
kommende Element, ein Zwischenprodukt der metall dürfte ein echter Halbleiter sein.
Zerfallsreihen des Urans und Thoriums, und Ten- Die Farbintensität im jeweils gasförmigen Ag-
ness konnte bisher nur in Gestalt weniger Atome gregatzustand nimmt mit steigender Ordnungs-
künstlich dargestellt werden. zahl zu, ebenso Dichte, Schmelz- und Siedepunk-
te. Die Elektronegativität nimmt dagegen in dieser
Folge ab. Unter Standardbedingungen sind Fluor
3 Herstellung und Chlor Gase, Brom ist eine Flüssigkeit und
Iod fest.
Gasförmiges, elementares Fluor (F2) ist nur durch
Elektrolyse zu erzeugen, denn kein Element und
auch keine chemische Verbindung haben ein grö- 4.2 Chemische Eigenschaften
ßeres Redoxpotenzial als Fluor.
Die anderen Halogene (Chlor, Brom, Iod) sind Halogene sind reaktionsfähige Nichtmetalle, da
sowohl durch Elektrolyse (etwa durch Chloralka- ihnen, wie eingangs bereits erwähnt, nur noch
lielektrolyse) als auch durch Einwirkung von ein einziges Valenzelektron zur vollen Besetzung
Oxidationsmitteln wie MnO2 (Braunstein) oder der äußeren Elektronenschale fehlt. Da die Bin-
KMnO4 (Kaliumpermanganat) herstellbar. dung zwischen zwei Halogenatomen nicht sehr
Brom bzw. Iod können auch durch Umsetzung stabil ist, reagieren auch Halogenmoleküle heftig;
von Bromid bzw. Iodid mit Chlor hergestellt wer- die Reaktivität nimmt von Fluor, dem reaktions-
den: fähigsten Halogen, zum Iod hin ab.
Halogene reagieren mit Metallen unter Bil-
Cl2 þ 2 Br ! 2 Cl þ Br2 dung von Salzen, was ihnen ihren Namen verlieh.
Beispiel: Bildung von Kochsalz (NaCl) bzw. Cal-
Cl2 þ 2 I ! 2 Cl þ I2 ciumchlorid (CaCl2):
der entstehenden Gase verhindert wird. Der bei In kaltes Wasser eingeleitet, setzen sich geringe
der Elektrolyse verbrauchte Fluorwasserstoff wird Mengen an Fluor zu Wasserstoffperoxid und Fluss-
laufend ersetzt. säure (Cady 1935) um:
Das elektrolytisch erzeugte Fluor ist noch mit
Fluorwasserstoff (HF), Sauerstoff und Fluorkoh- F2 þ 2 H2 O ! H2 O2 þ 2 HF
lenwasserstoffen verunreinigt. Fluorwasserstoff
entfernt man durch Adsorption an Natriumfluorid, Dagegen führt die Anwendung überschüssi-
die anderen Stoffe durch Ausfrieren. Im Labor ger Mengen an Fluor hauptsächlich zur Bildung
kann es durch thermische Zersetzung des instabi- von Sauerstoff und Sauerstoffdifluorid (Cady
len Mangan-IV-fluorids (MnF4), erzeugt werden, 1935).
das man wiederum aus K2MnF6 und SbF5 her- Werden feste Metalloberflächen Fluor aus-
stellt (Riedel 2004). gesetzt, bildet sich zunächst eine Passivierungs-
Einige Metalle wie Stahl, Aluminium, Ma- schicht auf der Metalloberfläche, die aber bei
gnesium, Nickel oder Kupfer greift Fluor kaum erhöhten Temperaturen und Fluordrücken nicht
an, da die Metalle nach erstem Kontakt mit dicht ist. Das Metall reagiert dann oft weiter,
Fluorgas sofort mit einer schützenden Fluorid- schmilzt durch die freigesetzte Reaktionswärme
schicht bedeckt werden. Sie setzen sich aber unter auf und verbrennt schließlich im Fluorstrom.
Rotglut mit Fluor um, ebenso wie dies auch bei Kunststoffe bilden durch Einwirkung von Flu-
Gold und Platin der Fall ist. Selbst die Edelgase or bei Raumtemperatur oft eine fluorierte Oberflä-
Xenon und Radon reagieren mit Fluor. Da Fluor chenschicht aus.
auch Glas angreift und am Ende unter Bildung Während Glas bei Raumtemperatur nicht mit
von Siliciumtetrafluorid auch zerstört, transpor- Fluor reagiert -wohl aber mit Fluorwasserstoff-,
tiert und lagert man es in Flaschen aus Kupfer- bildet es bei erhöhter Temperatur gasförmiges Sili-
Nickel-Legierungen. cium-IV-fluorid. Sind daneben Spuren von Fluor-
wasserstoff zugegen, erfolgt auch bei Raumtem-
Eigenschaften Bei Raumtemperatur ist Fluor peratur eine schnelle Reaktion.
ein blassgelbes, stechend riechendes Gas, das
bei einer Temperatur von 188 °C zu einer gel- Verbindungen Als elektronegativstes Element
ben Flüssigkeit kondensiert (Burdon et al. 1987, tritt Fluor in seinen Verbindungen ausschließlich
siehe auch Tab. 1). Diese erstarrt bei einer Tem- mit der Oxidationszahl 1 auf.
peratur von 219,52 °C (Holleman et al. 2007). Wasserstoffverbindungen und Fluoride Fluor-
Zwischen 227,6 °C und dem Schmelzpunkt wasserstoff ist ein ätzend wirkendes und sehr
kristallisiert Fluor kubisch (β-Fluor) (Jordan giftiges Gas, dessen wässrige Lösung Flusssäure
et al. 1964), unterhalb von 227,6 °C monoklin genannt wird. Die hinsichtlich ihrer Dissoziation
(α-Fluor) (Pauling et al. 1970). Bei einer Tem- nur mittelstarke Flusssäure reagiert leicht mit
peratur von 0 °C und einem Druck von 1013 hPa Glas, wird daher in Guttapercha- oder anderen
hat Fluor eine Dichte von 1,6959 kg/m3 und geeigneten Gefäßen aufbewahrt und industriell
besitzt somit ein höheres spezifisches Gewicht zum Ätzen von Glas eingesetzt. Aus Fluorwas-
als Luft. serstoff stellt man viele Verbindungen des
Fluor ist eines der stärksten Oxidationsmittel Fluors her.
und zugleich das elektronegativste Element. Es Fluorwasserstoff (HF) hat eine geringere Dichte
reagiert meist heftig mit allen Elementen außer als Luft, ist hygroskopisch und entwässert viele
Helium und Neon, so selbst als Feststoff mit Stoffe. In wasserfreiem Zustand kondensiert er
Wasserstoff ohne Lichtaktivierung bei 200 °C bei 19,51 °C zu einer an der Luft rauchenden
explosionsartig. Ebenfalls intensiv reagieren viele Flüssigkeit. Die Verbindung ist in jedem Verhältnis
chemische Verbindungen mit Fluor, darunter Was- mit Wasser mischbar und erzeugt eine saure Lö-
ser, Ammoniak oder Kohlenwasserstoffe. Mit Was- sung, die als Fluorwasserstoffsäure oder Flusssäure
ser kann die Reaktion auf mehreren Wegen laufen. bekannt ist.
404 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Zur Herstellung von Fluorwasserstoff konzen- Ebenfalls fällt Fluorwasserstoff bei der Her-
triert man seine Salze, die Fluoride (Beispiel: Cal- stellung von Aluminium an, wird zudem auch
ciumfluorid, Flussspat), durch Flotation auf über beim Verbrennen fluorhaltiger Abfälle oder von
98 % auf und setzt diese in einem auf 200 °C Steinkohle freigesetzt.
geheizten Drehofen mit konzentrierter Schwefel- Das Molekül des Fluorwasserstoffs ist stark
säure um. Dabei gast Fluorwasserstoff aus, der dipolar (Alsfasser et al. 2007, S. 104). Wasser-
kondensiert und die Rohsäure bildet (Kaiser 1966): stoffbrücken sind für den im Vergleich zu anderen
Halogenwasserstoffen hohen Siedepunkt von
CaF2 þ H2 SO4 ! 2 HF þ CaSO4 19,5 °C verantwortlich und auch für die Bildung
von Oligomeren. Seine wässrige Lösung, die
Durch wiederholte Rektifikation wird dann die Flusssäure, ist eine schwache Säure (pKs ¼ 3,14),
Reinsäure gewonnen, die frei von Wasser und wenn man sie etwa mit Salzsäure vergleicht.
Fluorsulfonsäure (HSO3F) ist (Kaiser 1966). Fluorwasserstoff ätzt Glas und reagiert auch mit
5 Einzeldarstellungen 405
anderen Silikaten zu gasförmigem Siliciumtetra- Sie greift Glas stark an, wirkt stark ätzend auf die
fluorid: Haut, die Schleimhäute und die Bindehaut der
Augen. Schon die Einwirkung geringer Mengen,
SiO2 þ 4 HF ! SiF4 " þ2 H2 O beispielsweise in Form einer handtellergroßen
Verätzung, kann schnell zum Tod führen. Man
Reinen gasförmigen Fluorwasserstoff trans- bewahrt Flusssäure entweder in Behältern aus
portiert man in Tankwaggons aus Eisen, da sich Kunststoff oder rostfreiem Stahl auf. Die Herstel-
die Oberfläche des Eisens mit einer Fluoridschicht lung erfolgt durch Umsetzung von Calciumfluorid
überzieht, die das Material gegen weiteren Angriff (Fluorit) mit Schwefelsäure bei einer Temperatur
schützt. Ventile, Rohrleitungen und Apparaturen um 280 °C im Drehrohrofen, wobei die Reakti-
bestehen geeigneterweise aus Monelmetall (Le- onsgase in einen auf einer Temperatur von rund
gierung aus Nickel und Kupfer). Flusssäure dage- 100 °C gehaltenen Destillationsturm abgeführt
gen wird in Kunststofftanks transportiert. werden. Der noch verunreinigte Fluorwasserstoff
Man setzt Fluorwasserstoff zur Produktion von wird isoliert, entgast, verflüssigt, fraktioniert des-
Aluminiumfluorid, synthetischem Kryolith, Uran- tilliert und von Wasser zwecks Erzeugung von
VI-fluorid und vielen anderen Fluorverbindungen Flusssäure absorbiert.
ein. Fluorwasserstoff dient zudem als Katalysator Flusssäure greift Edelmetalle nicht an, aber
bei der Herstellung von Treibstoffen. Kupfer, Silber, Tantal und Blei schwach (Holle-
Der menschliche Organismus nimmt Fluor- man et al. 2007, S. 449). Sie löst Glas bzw. Quarz
wasserstoff vor allem über die Atemwege und unter Bildung von Silicium-IV-fluorid auf. Die
die Haut auf. Gasförmiger Fluorwasserstoff wird gesamte in Europa jährlich hergestellte Menge liegt
im Fall des Einatmens praktisch völlig in den obe- bei ca. 230.000 t. Einsatzgebiete sind die Produkti-
ren Atemwegen resorbiert, aber auch bei Haut- on perfluorierter Kohlenwasserstoffe, von Tetra-
kontakt. Flüssiger Fluorwasserstoff oder seine fluorethen (Monomer des Teflons), von Fluorchlor-
wässrige Lösung, der Flusssäure, wirken ätzend kohlenwasserstoffen (Kältemittel), die Gewinnung
auf Haut (s. Abb. 2) und Schleimhäute, insbeson- von Metallen und in geringerer Menge die als
dere die der Augen. Unbedingt muss sofort erste Katalysator bei der Verarbeitung von Rohöl. Im
Hilfe bei Hautkontakt durch Behandlung mit Labor ätzt man mit einer durch Ammoniumfluorid
Calciumgluconat-Gel geleistet werden. Gelangt abgepufferten Flusssäure Metalle wie Wolfram,
Fluorwasserstoff erst einmal in den Organismus, Niob, Tantal oder Titan sowie natürlich Silicium-
so hemmt er die Wirkung vieler Enzyme, was oft IV-oxid bzw. Glas (Gottschling 2004).
tödliche Folgen hat. Die wichtigsten in der Natur vorkommenden
Flusssäure ist die wässrige Lösung von Fluor- Fluoride sind Fluorit und Fluoroapatit. Natrium-
wasserstoff und ist eine farblose, stechend rie- fluorid verwendet man heute noch als Holzschutz-
chende, hochgiftige Flüssigkeit, die in Form ihrer mittel, früher auch als Gift gegen Ratten und
38 %igen Lösung bei 112 °C siedet, bei 44 °C Ungeziefer. Die die Ozonschicht der unteren Stra-
erstarrt und eine Dichte von 1,14 g/cm3 besitzt. tosphäre stark schädigenden gasförmigen Fluor-
chlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wurden früher
als Kältemittel in Kühlschränken und als Treibgas
für Spraydosen eingesetzt. Zwar greifen dem-
gegenüber reine Fluorkohlenwasserstoffe (FKW)
die Ozonschicht kaum oder gar nicht an, jedoch
absorbieren alle diese Verbindungen Infrarotlicht
und sind daher als Treibhausgase.
Sonstige Verbindungen Polytetrafluorethen
(PTFE) setzt man seit langem unter dem Handels-
®
Abb. 2 Flusssäureverätzung an einer Hand (Dr. Watchorn namen Teflon in vielerlei Beschichtungen ein.
2012) Fluortenside sind chemisch und thermisch sehr
406 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
stabil und werden daher oft bei der Behandlung xylapatit der Zähne eingebaut wird. Fluorapatit
von Oberflächen eingesetzt. Nur sind auch diese ist durch seine geringere Wasserlöslichkeit ge-
Stoffe kaum bioabbaubar. genüber dem Speichel beständiger. Zudem wird
Mit den anderen Halogenen bildet Fluor eine der zuvor durch Säure aufgelöste Apatit wieder
Reihe von Interhalogenverbindungen. Wichtig ausgefällt und in den Zahn eingebaut, wodurch
sind Chlor- und Bromtrifluorid (ClF3 bzw. BrF3), sich die Zahnsubstanz stets erneuert. Fluorid
die man als starke Fluorierungsmittel verwendet. hemmt zudem die Wirkung bestimmter Enzyme
Sie werden in den Kapiteln Chlor und Brom näher und unterbricht den Stoffwechsel kariesverursa-
beschrieben. chender Bakterien (Stösser und Heinrich-
Mit den Edelgasen Argon, Krypton und vor Weltzien 2007). Daher wurde dem Trinkwasser
allem Xenon reagiert Fluor und bildet Verbindun- in der Schweiz zur Kariesprophylaxe bis 2003
gen wie Xenon-II-fluorid (XeF2). Krypton-II- Fluorid zugesetzt (Gesundheitsdepartement
fluorid (KrF2), die einzige bekannte Kryptonver- Basel-Stadt 2003); in Deutschland bleibt die
bindung, ist neben den Xenaten das stärkste Fluoridierung des Trinkwassers verboten. Er-
bekannte Oxidationsmittel. wachsene vertragen die Aufnahme von bis zu
10 mg Fluorid pro Tag (Ekmekcioglu und Marktl
Anwendungen Der größte Teil des hergestellten 2006). Fluorid wirkt in höheren Dosen als den
elementaren Fluors geht in die Herstellung von beschriebenen toxisch.
Uran-VI-fluorid. In Gaszentrifugen oder -diffusi- Fluor und die meisten seiner Verbindungen
onsanlagen trennt man dabei das leichter flüchtige sind für Menschen und viele andere Organismen
235
UF6 vom schwerer flüchtigen 238UF6. Ebenfalls sehr giftig. Es wirkt auf Lunge, Haut und vor
nur mittels elementaren Fluors kann man Schwefel- allem auf die Augen stark ätzend. Bei Kontakt
VI-fluorid (SF6) herstellen, das z. B. als gasförmiger mit Körperflüssigkeit (Wasser) entsteht der eben-
Isolator in Hochspannungsschaltern dient. falls hochgiftige Fluorwasserstoff. Nimmt der
Ein weiteres Einsatzgebiet gasförmigen Fluors Mensch Fluorwasserstoff (Flusssäure) über den
ist die Oberflächenfluorierung von Kunststoffen, Magen auf, so führt die dann einsetzende akute
etwa bei Kraftstofftanks in Automobilen. Die auf Vergiftung zu Schleimhautverätzungen, bluti-
der Oberfläche des Kunststoffs erzeugte fluorierte gem Erbrechen und Durchfall, unstillbarem
Schicht verringert die Durchlässigkeit für Benzin. Durst und heftigen Leibschmerzen, oft auch
Durch eine Fluorierung erhöht man die Ober- zum Tod. Einatmen kann am Ende zu ebenfalls
flächenenergie vieler Kunststoffe, weshalb man tödlichen Lungenödemen führen. Bei Hautkon-
Polyolefine – mit diesem allerdings relativ teuren takt ergeben sich zunächst Verätzungen, dann
Prozess – entsprechend vorbehandelt, dass diese tief reichende, schlecht heilende Geschwüre
lackiert oder verklebt werden können. Auch in (Forth et al. 2001); auch hier kann nach Ablauf
Hohlräumen befindliche Oberflächen werden durch bereits weniger Stunden oder Tage der Tod ein-
Fluorgas erreicht (Tressaud et al. 2007). Das durch treten.
Reaktion von Fluor mit Grafit entstehende Grafit- Fluorwasserstoff verändert die Tertiärstruk-
fluorid benutzt man als Trockenschmiermittel und tur von Proteinen (Edwards et al. 1984). Bereits
Elektrodenmaterial. mit Spuren vorhandener Al3+-Ionen bildet Fluo-
rid Fluoridoaluminate, die Orthophosphationen
Toxikologie und biologische Bedeutung Der strukturell ähnlich sind und so bestimmte Pro-
menschliche Körper enthält ca. 5 g Fluoride, ge- teine in ihrer Wirkung beeinflussen (Lubkowska
rechnet auf Grundlage eines Körpergewichtes et al. 2002), was schließlich zu einer Hemmung
von 70 kg (Keim und Schwederski 2005). Der von Enzymen führen kann, z. B. bei Enolase.
größte Teil davon befindet sich in den Knochen Fluoressigsäure und ihre Derivate werden nach
und Zähnen. Aufnahme in den Körper in Fluorocitrat umge-
Fluorid verringert das Risiko von Zahnkaries, wandelt, das das Enzym Aconitase hemmt. Da-
da es anstelle von Hydroxidionen in den Hydro- durch steigt die Konzentration von Citrat im Blut
5 Einzeldarstellungen 407
rid), Carnallit (KMgCl3 ∙ 6 H2O), Kainit [KMgCl teil dabei ist, dass die Natronlauge verunreinigt
(SO4) ∙ 3 H2O] und Bischofit (MgCl2 ∙ 6 H2O). und auch nur in geringer Konzentration anfällt;
Manche der größeren Lagerstätten entstanden daneben enthält das erzeugte Chlor Sauerstoff.
durch Trockenlegung früher vorhandener Meere. Das moderne Membranverfahren vermeidet
Zunächst kristallisieren die schwächer löslichen diese Nachteile, benötigt eine gesundheitlich ge-
Natriumsalze aus, darüber dann die leichter was- genüber Asbest unbedenkliche Kunststoffmem-
serlöslichen des Kaliums. In Deutschland befin- bran und verdrängt daher das ältere Diaphragma-
den sich große Salzlagerstätten z. B. in Bad Rei- verfahren langsam (Schmittinger et al. 2006). Die
chenhall, Stassfurt und Bad Friedrichshall, in Membran trennt beide Elektrodenräume effekti-
Österreich in der Gegend von Hallein. ver voneinander, wodurch die produzierte Natron-
Meeresorganismen (Seetang, Schwämme, Ko- lauge reiner und auch höher konzentriert anfällt.
rallen) sind gelegentlich ebenfalls in der Lage, chlor- Nachteilig sind aber immer noch die Verunrei-
organische Verbindungen herzustellen (Gribble nigung des Chlors durch Sauerstoff und die relativ
2003), kaum aber terrestrischen Lebewesen. Chlor- hohen Betriebskosten.
radikale wiederum entstehen durch Zersetzung or- Obwohl es durch die vollständige Trennung
ganischer, vom Menschen produzierter Fluorchlor- von Anoden- und Kathodenraum die reinsten Pro-
kohlenwasserstoffe (FCKW) und beschleunigen dukte liefert, wird das Amalgamverfahren nur
den Abbau von Ozon in der Stratosphäre (Dameris noch selten eingesetzt (Schmittinger et al. 2006).
et al. 2007). Dabei wird an einer aus Quecksilber bestehenden
Kathode nicht Wasserstoff, sondern zuerst Na-
Gewinnung Chlor ist mit einer jährlichen Pro- trium abgeschieden, das mit Quecksilber sofort
duktionsmenge von ca. 60 Mio. t eine sehr bedeu- in Natriumamalgam übergeht. Das Amalgam setzt
tende Grundchemikalie. Technisch stellt man es man in einer separaten Zelle kontrolliert an Grafit-
meist elektrolytisch her; als Nebenprodukt fällt es kontakten mit Wasser um, wobei reine Natron-
bei der zur Gewinnung von Natrium bzw. Ma- lauge, Wasserstoff und Quecksilber gebildet
gnesium eingesetzten Schmelzflusselektrolyse an. werden. Quecksilber ist aber sehr toxisch und ge-
Eine wässrige Natriumchloridlösung ist stets fährlich für die Umwelt, weswegen immer auf-
Ausgangsstoff für die verschiedenen Verfahren der wändigere und teurere Schutzmaßnahmen reali-
Chloralkali-Elektrolyse, die sich nur im Aufbau der siert werden müssen, die das Verfahren am Ende
Elektrolysezelle unterscheiden. Produziert werden unwirtschaftlich machen.
entsprechend folgender Brutto-Reaktionsgleichung
dabei Natronlauge, Chlor und Wasserstoff: Eigenschaften Chlor ist bei Raumtemperatur ein
gelbgrünes Gas einer Dichte von 3,214 g/L. Es
2 NaCl þ 2 H2 O ! 2 NaOH þ Cl2 " þH2 " kondensiert bei 34,6 °C zu einer gelben Flüssig-
keit (siehe Tab. 2), die bei 101 °C erstarrt
Die Anode, an der Chlor entsteht, muss von der (Holleman et al. 2007). Chlor ist schon durch
Kathode, an der Wasserstoff und Hydroxidionen Anwendung eines Drucks von 6,7 bar bei Raum-
gebildet werden, streng getrennt sein. Andernfalls temperatur zu verflüssigen und ist in Stahlflaschen
entstünde ein explosives Gasgemisch, Chlorknall- oder Kesselwagen transportierbar (Holleman et al.
gas, und zudem würde Chlor mit Hydroxidionen 2007). Mit fallender Temperatur hellt sich Chlor
zu Hypochlorit reagieren. immer mehr auf, bei 195 °C ist es fast farblos
Knapp die Hälfte des Chlors produziert man (Klapötke und Tornieporth-Oetting 1994).
mittels des Diaphragmaverfahrens (Schmittinger Chlor liegt, wie die anderen Halogene auch, als
et al. 2006), bei dem Anoden- und Kathodenraum zweiatomiges Molekül vor, in dem die beiden
voneinander durch ein aus Asbest bestehendes Chloratome 199 pm voneinander entfernt sind.
Diaphragma aus Asbest getrennt werden. Durch Von allen Halogenen hat Chlor, nicht Fluor, die
dieses können nur Natriumionen, nicht aber Chlo- mit 242 kJ/mol höchste Dissoziationsenthalpie
rid- und Hydroxidionen diffundieren. Von Nach- (Atkins und Paula 2006; Greenwood und Earns-
410 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
haw 1988). Im Fluormolekül liegt eine besonders eines Chlormoleküls ist im festen Gitter schwach
kurze Bindung der Fluoratome vor, die zur Ab- mit jeweils zwei weiteren Atomen an andere Mo-
stoßung der freien Elektronenpaare und damit zur leküle assoziiert. Zwischen den Schichten sind die
Schwächung der Bindung führt. Im Chlormolekül Abstände etwas größer (Collin 1952). Dadurch
dagegen kommt es nicht zu einem derartigen Ef- sind Chlorkristalle plättchenförmig strukturiert
fekt, da die Choratome weiter voneinander ent- und leicht spaltbar (Müller 2008).
fernt sind. In Wasser löst sich Chlor unter teilweiser Dis-
Chlor kristallisiert im festen Zustand ortho- soziation etwas [2,3 L Chlor pro Liter Wasser
rhombisch (Collin 1956), die Chlormoleküle sind (Römpp Online 2012)] zum sogenannten Chlor-
dabei in Schichten angeordnet. Dies ist ebenso bei wasser. In flüssigen chlorhaltigen Verbindungen
festem Iod und Brom zu beobachten. Jedes Atom wie Dischwefeldichlorid (S2Cl2), Siliciumtetra-
5 Einzeldarstellungen 411
chlorid (SiCl4) und Chloroform ist es hingegen lich, Ausnahmen sind die Chloride des Silbers
relativ leicht löslich, wie auch in Solventien (AgCl), Quecksilbers (Hg2Cl2) und Bleis (PbCl2).
wie Benzol, Essigsäure und Dimethylformamid Natriumchlorid (Speisesalz) kommt natürlich in
(Schmittinger et al. 2006). riesigen Mengen im Meerwasser vor. Kalium-
Chlor ist sehr reaktionsfähig und reagiert mit chlorid findet man z. B. in den Stassfurter Salzen;
fast allen Elementen, ausgenommen nur Stick- es ist oft Grundstoff für Dünger.
stoff, Sauerstoff und die Edelgase. Einige Metalle, Chlorwasserstoff (HCl) ist ein farbloses Gas
von unedlen wie Mangan und Zink bis hin zu den der Dichte 1,64 kg/m3 (0 °C), das bei einer Tem-
Platinmetallen, reagieren mit trockenem Chlor peratur von 85 °C zu einer farblosen Flüssig-
erst bei höheren Temperaturen. Ein steigender keit kondensiert; jene erstarrt bei 114,8 °C. Das
Feuchtigkeitsgehalt des Chlors erhöht dessen Re- stechend riechende Gas löst sich sehr leicht in
aktivität gegenüber Metallen erheblich. Wasser; die Lösung heißt Salzsäure und stellt
Sehr heftig reagiert Chlor mit Wasserstoff eine sehr starke Mineralsäure dar (Robinson
(Chlorknallgasreaktion), ebenso sehr lebhaft mit und Bates 1971). Im Labor stellt man Chlorwas-
anderen wasserstoffhaltigen Verbindungen wie serstoff aus konzentrierter Schwefelsäure und
Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder Ethin. Natriumchlorid oder auch durch Erhitzen eines
Mit Alkanen verläuft die Reaktion des Chlors Trockengemisches von Natriumhydrogensulfat
durch radikalische Substitution. Durch Einwir- und -chlorid her.
kung von Hitze oder Bestrahlung katalysiert, bil- In der chemischen Industrie fällt Chlorwasser-
den sich zuerst einzelne Chlorradikale, die die C- stoff meist als Nebenprodukt bei der Chlorierung
H-Bindungen des Alkans aufbrechen können, organischer Verbindungen an oder wird durch
wobei Alkylradikale und Chlorwasserstoff entste- Chlorknallgasreaktion (Zündung eines Gemi-
hen. Dieses Alkylradikal reagiert mit anderen sches aus Wasserstoff und Chlor beispielsweise
Chlormolekülen im Sinne einer Kettenreaktion. durch Belichtung) gewonnen.
Chlor ist wegen seiner hohen Reaktivität nur Bei der Photochlorierung oder Sulfochlorie-
wenig regioselektiv, es kann auch zu mehrfacher rung von Kohlenwasserstoffen fällt Chlorwasser-
Chlorierung eines Kohlenstoffatoms kommen stoff als Koppelprodukt an (s. Abb. 3).
(Brückner 2004). Eine derartige Chlorierung ist In einem Liter Wasser lösen sich bei 0 °C 520 L
jedoch nur bei Alkanen, nicht aber bei Aromaten (850 g) Chlorwasserstoffgas, bei 20 °C noch
möglich; bei letzterem gelingt die Einführung ei- 442 L. An feuchter Luft bildet HCl-Gas Nebel
nes Chloratoms nur per elektrophiler Substitution, aus Salzsäure-Tröpfchen.
die durch eine Lewissäure wie Aluminiumchlorid Salzsäure ist Bestandteil des Magensaftes al-
katalysiert wird (Brückner 2004). lesfressender Tiere und bewirkt auch im mensch-
lichen Magen die Denaturierung der Nahrung.
Verbindungen Chlor tritt in seinen Verbindun- Neben der vielfältigen Verwendung als Säure
gen in den Oxidationszahlen von 1 bis +7 auf, findet reiner Chlorwasserstoff Verwendung als
meist jedoch als Chlorid mit der Oxidationszahl Chlorierungsmittel in der Oxychlorierung von
1, nur in Fluor- und Sauerstoffverbindungen Ethen zu Vinylchlorid.
kommt es in positiven Oxidationszahlen vor. Chlorwasserstoff ist ätzend und bereits in nied-
Wasserstoffverbindungen und Chloride Chlo- rigen Konzentrationen giftig. Beim Einatmen tre-
ride leiten sich von Chlorwasserstoff (HCl) ab, ten oft Reizungen und Verätzungen der Schleim-
dessen wässrige Lösung die starke Mineralsäure häute und der Atemwege auf, die zu einer akuten
Salzsäure ist. Meist sind Chloride gut wasserlös- Bronchitis oder Lungenentzündung führen kön-
Abb. 3 Endständige
Sulfochlorierung von
Alkanen
412 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
nen. Bei Kontakt mit Haut und Kleidung lässt sich von Chlor ein. Chlordioxid wurde das wichtigste
die Säure mit Wasser gut und restlos auswaschen. in der Industrie verwendete Bleichmittel (Renberg
Sauerstoffverbindungen Chloroxide sind äu- et al. 1995; Wilhelm 2008, S. 252).
ßerst reaktiv und zerfallen meist heftig in die Ele- Großtechnisch stellt man Chlordioxid aus-
mente. Technisch wichtig sind nur Dichloroxid gehend von Natriumchlorat (NaClO3) her; zudem
(Cl2O) und Chlordioxid (ClO2). nutzen praktisch alle industriell angewandten
Dichlormonoxid (Cl2O) erhält man durch Über- Bleichprozesse Chlordioxid. Bei der Aufberei-
leiten von Chlor über Quecksilber-II-oxid (Brauer tung von Trinkwasser setzt man als Ausgangsstoff
1975, S. 310). Das gelbbraune, stechend riechende meist Natriumchlorit (NaClO2) ein. Erzeugte man
Gas kondensiert bei 7,8 °C zu einer tiefbraunen ab den 1950er-Jahren im Mathieson-Verfahren
Flüssigkeit, die bei 116 °C erstarrt. In Wasser ist noch Chloridioxid, das man durch Umsetzung
die Verbindung gut löslich, wobei sich Hypochlo- von Schwefel-IV-oxid mit Natriumchlorat erhielt
rige Säure bildet. Analog löst sich Dichlormonoxid (Sixta 2006, S. 734), hat man anstelle des
gut in Laugen unter Bildung von Hypochloriten. Schwefel-IV-oxids im heutigen Solvay-Verfahren
Man kann die Verbindung nur in flüssiger oder Methanol und Schwefelsäure im Einsatz. Jene
fester Form bei Temperaturen von 78 °C la- setzt man im Überschuss ein, da der für die Re-
gern. Im Licht zersetzt sich Dichlormonoxid und aktion nötige niedrige pH-Wert beibehalten wer-
explodiert bei Kontakt zu organischen Stoffen (Ca- den muss. Zur Vermeidung einer Explosion des
dy 1957; Holleman et al. 1995, S. 492). Chlordioxids (Jin et al. 2008; López et al. 1994)
Bei Raumtemperatur ist Chlordioxid (ClO2) ein bläst man Luft durch die Reaktionsmischung. Die
bernsteinfarbenes, giftiges Gas (Dalhamn 1957) Mischung aus dem bei der Umsetzung entstehen-
mit stechendem Geruch, dessen Gemische mit Luft den Chlordioxid und Luft entstehenden Gas leitet
explodieren können, wenn der Gehalt mehr als man in auf eine Temperatur von 8–10 °C gekühl-
10 Vol.-% an Chlordioxid beträgt. Meist wendet tes Wasser ein. In der gekühlten wässrigen Lösung
man Chlordioxid in wässriger Lösung an (siehe erzielt man Chlordioxid-Konzentrationen von 8–
Abb. 4). Die Anwendung von Chlordioxid beruhen 10 g/l an ClO2 (Deshwal und Lee 2005a, b). Pro
auf seiner oxidativen Wirkung. Man nutzt es oft Monat werden etwa 10–15 % bei Lichtausschluss
anstelle von Chlor, da es weniger gesundheits- und Raumtemperatur abgebaut.
schädliche chlorierte organische Verbindungen Man kann zur Darstellung von Chlordioxid
bei der Reaktion mit organischen Substanzen bil- auch Kaliumchlorat mit konzentrierter Schwefel-
det. Als Bleichmittel der chlorfreien Bleiche von säure umsetzen. Zur Verringerung der Explosi-
Zellstoff hat es elementares Chlor inzwischen fast onsgefahr wird Oxalsäure zugesetzt, wobei sich
vollständig ersetzt. Auch in der Trinkwasserauf- ein Gemisch aus Chlordioxid und Kohlendioxid
bereitung setzt man es zur Desinfektion anstelle bildet (Brauer 1963, S. 303).
Das Molekül des Clordioxids ist gewinkelt
(Bindungswinkel: 117°, Länge der Cl–O-Bin-
dung 147 pm (Holleman et al. 2007, S. 482). Bei
einer Temperatur von 11 °C kondensiert die Ver-
bindung zu einer öligen, bernsteinfarbenen Flüs-
sigkeit, die bis hinab zu Temperaturen um 40 °C
explosiv ist (Sattelberger et al. 2002) und dann bei
59 °C zu orangeroten Kristallen orthorhombi-
scher Struktur (Raumgruppe 61) mit acht Formel-
einheiten pro Elementarzelle erstarrt (Rehr und
Jansen 1992).
Lösungen in Wasser sind gelb bis braungelb
gefärbt und nicht explosiv, wenn sie nicht mehr
Abb. 4 Chlordioxid-Lösung in Wasser (Iridos 2010) als 10 Vol.-% Chlordioxid enthalten. Neben der
5 Einzeldarstellungen 413
Anwendung in der Textil- und Zellstoffindustrie Chlorid und Hypochlorit entstehen. Anschließend
setzte man es zum Bleichen von Mehl, Stärke, säuert man die Lösung etwas an, so dass Hypo-
Salben und Wachs ein. Bei der Desinfektion von chlorit teilweise in Hypochlorige Säure übergeht,
Trinkwasser ist es sehr wichtig (Belluatia et al. und jene oxidiert Hypochlorit zu Chlorat. In der
2007), aber auch bei der von Abwässern. Zur Tö- Technik stellt man Natriumchlorat durch Elektro-
tung pathogener Bakterien ist es bei der Behandlung lyse einer heißen wässrigen Kochsalzlösung her,
von Geflügel, rotem Fleisch, Fisch und Meeres- indem man das anodisch gebildete Chlor in der
früchten sowie Obst und Gemüse unverzichtbar. durch die Elektrolyse natriumhydroxidhaltigen
Chlordioxid ist ein Desinfektionsmittel mit weiteren Lösung hält (Brauer 1963, S. 312). Chlorsäure
zahlreichen Anwendungen (Junli et al. 1997). kann man durch Anwendung wasserentziehender
Dichlorheptaoxid (Cl2O7) ist ein farbloses, Substanzen bis zu einem Gehalt von 40 % auf-
flüchtiges Öl der Dichte 1,86 g/cm3 (0 °C), das bei konzentrieren. Darüber hinaus tritt Zersetzung zu
Temperaturen von 82 °C siedet und von 91,5 °C Chlor, Chlordioxid und Perchlorsäure ein. Auch
erstarrt. Es ist das Anhydrid der Perchlorsäure und in geringerer Konzentration zeigt Chlorsäure
kann daher durch deren Dehydratisierung mit brandfördernden Charakter, weswegen sie nicht
Phosphor-V-oxid im Temperaturbereich von 70 mit organischen Materialien in Kontakt gebracht
°C bis 0 °C mit folgender Vakuumdestillation dar- werden darf.
gestellt werden (Brauer 1975, S. 315). Umgekehrt Wasserfreie Perchlorsäure (HClO4) ist eine an
reagiert es mit Wasser unter Rückbildung zu Per- der Luft rauchende, hygroskopische, stark oxidie-
chlorsäure (Steudel 2008, S. 514). Zwar ist es stabi- rend wirkende, farblose (siehe Abb. 5) und flüch-
ler als die anderen Chloroxide, explodiert aber eben- tige Flüssigkeit der Dichte 1,77 g/cm3, die bei
falls bei Kontakt mit einer Flamme oder durch 112 °C erstarrt und bei 130 °C siedet. Perchlor-
Schlag. Im Molekül der Verbindung sind die ClO3 säure ist mit einem pKs von 10 eine extrem
Gruppen gegeneinander um 15° verdreht. starke Säure und zählt zu den Supersäuren. Bei
Die Sauerstoffsäuren des Chlors sind die Hypo- Kontakt mit Haut und Schleimhaut bewirkt sie
chlorige Säure (HClO), Chlorige Säure (HClO2), schwere Verätzungen. Beim Erhitzen wässriger
Chlorsäure (HClO3) und Perchlorsäure (HClO4). Lösungen von Perchlorsäure mit mehr als 50 %
Die Stärke der Säuren nimmt mit der Zahl der Massenanteil besteht Explosionsgefahr, ebenso
Sauerstoffatome im Molekül zu, aber die ersten beim Einengen oder Konzentrieren mit Trock-
drei sind nur in wässriger Lösung oder in Form nungsmitteln. Wasserfreie Perchlorsäure kann
ihrer Salze beständig. bereits bei Raumtemperatur explodieren, bei Kon-
Chlorsäure (HClO3) ist in reiner Form nicht takt mit brennbaren Stoffen besteht Explosions-
beständig und existiert nur in verdünnter wässrger und Brandgefahr.
Lösung, die als starkes Oxidationsmittel eingesetzt
wird. Ihre Salze, die Chlorate, sind dagegen in
der Industrie teilweise sehr wichtig. Das Molekül
der Chlorsäure besitzt eine trigonal-pyramidale
Struktur. Die Verbindung ist eine starke Säure
(pKs ¼ 2,7), die in Wasser vollständig in Ionen
dissoziiert vorliegt. Chlorate der Alkalimetalle lösen
sich in Wasser mit ungefähr neutralem pH-Wert.
Obwohl Chlorsäure vor allem im sauren Mi-
lieu ein starkes Oxidationsmittel ist, kann sie an-
dererseits auch zur Perchlorsäure oxidiert werden,
in deren Molekül das Chloratom die Oxidations-
zahl +7 aufweist (Holleman et al. 1985, S. 227).
Chlorsäure stellt man durch Einleiten von
Chlor in heiße Natronlauge her, wobei zuerst Abb. 5 Perchlorsäure 60 % (W. Oelen 2010)
414 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Perchlorsäure stellt man durch Zugabe von Gefäßen hergestellt. Glas wird unter Bildung von
starken Säuren, z. B. Schwefelsäure, aus ihren Silicium-IV-fluorid zerstört, die meisten organi-
Salzen, so etwa Kaliumperchlorat, her. Kalium- schen Stoffe verbrennen.
perchlorat erhält man durch Erhitzen von Kalium- Man setzt Chlor-III-fluorid bei Fluorierungen
chlorat (Brauer 1963, S. 318). Perchlorate wirken ein, so bei der Herstellung von Uran-VI-fluorid,
auf Pflanzen stark toxisch und sind daher in Un- darüber hnaus bei der Produktion mikroelektro-
krautbekämpfungsmitteln enthalten. Außerdem nischer Bauteile (Rudhard und Leinenbach 2008).
sind sie Bestandteil einiger Sprengstoffe. Man Während des Zweiten Weltkriegs prüften es Mi-
nutzt Perchlorsäure in der Biochemie zur Fällung litärtechniker des Deutschen Reiches als mögli-
von Proteinen, sie desaktiviert einige Enzyme un- chen Treibstoff für Raketen, in denen es aber dann
mittelbar (Holleman et al. 1995, S. 480). nie eingesetzt wurde (Clark 1972, S. 214). Das
Halogenverbindungen Chlor bildet meist mit Gas ist äußerst toxisch, das Einatmen bewirkt
Fluor, weniger mit Brom und Iod Interhalogenver- Verätzungen der oberen Atemwege und der Lun-
bindungen. Chlorfluoride (ClF, ClF3) sind starke ge; als Begleiterscheinung tritt starker Husten auf.
Oxidationsmittel; in ihnen ist Chlor das elektro- Außerdem wird die Hornhaut des Auges bei Ex-
positive Element. In den wenigen Verbindungen, position irreversibel geschädigt.
die es mit Brom und Iod bildet (BrCl, JCl, JCl3), ist Chlor-V-fluorid (ClF5) ist ein farbloses Gas
es hingegen der elektronegativere Bestandteil. von stechendem Geruch, das man durch Reaktion
Chlor-I-fluorid (ClF) ist äußerst reaktionsfähig eines equimolaren Gemisches von Fluor und
und wurde von Ruff erstmals dargestellt (Holleman Chlor-III-fluorid unter Druck erhält (Smith 1963).
et al. 1995, S. 466). Das farblose Gas der Dichte Das Gas der Dichte 5,99 kg/m3 (25 °C) konden-
2,23 kg/m3 (25 °C) kondensiert bei 101,1 °C zu siert bei 13 °C; die Flüssigkeit kristallisiert bei
einer hellgelben Flüssigkeit, die bei weiterem Küh- 102 °C. Das Molekül des Chlor-V-fluorids be-
len auf 155,6 °C erstarrt. Man stellt die Verbin- sitzt eine quadratisch-pyramidale Struktur (siehe
dung durch Erhitzen einer Mischung von Chlor Abb. 6), wobei die Cl-F-Bindungen zu den in der
und Fluor auf eine Temperatur von 250 °C in Ebene des Quadrats liegenden Fluoratomen etwas
Anwesenheit von Kupferspänen her. Ebenso kann länger sind. Zwar zersetzt sich die Verbindung in
man Chlortrifluorid mit Chlor in stöchiometri- der Hitze, aber sie ist unter Normalbedingungen
schem Verhältnis umsetzen (Brauer 1975, S. 166). mit ΔHB0 ¼ 255 kJ/mol immer noch stark exo-
Chlor-I-fluorid reagiert sehr heftig mit Wasser, Me- therm (Riedel und Janiak 2015, S. 432).
tallen und zahlreichen organischen Verbindungen. Organische Verbindungen Die Mehrzahl der
Mit Glas setzt es sich unter Bildung von Chlor- organischen Chlorverbindungen sind syntheti-
oxiden um (MacIntyre 1992, S. 2829). schen Ursprungs. Chloralkane und -alkene sowie
Chlor-III-fluorid (ClF3) erhält man durch Re- chlorierte Aromaten setzt man oft als Lösungs- oder
aktion der Elemente in stöchiometrischem Ver- Kältemittel, als Hydrauliköle oder in Pflanzen-
hältnis bei 400 °C (Brauer 1975, S. 168). Das schutzmitteln ein. Jedoch sind polychlorierte Sub-
hellgelbe Gas der Dichte 3,57 kg/m3 (25 °C) stanzen – wie das 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin
kondensiert bei 12 °C; die Flüssigkeit erstarrt bei
76,3 °C. Das Gas besitzt in verdünntem Zustand
einen süßlichen, in höherer Konzentration stark
reizenden Geruch. Die Verbindung ist extrem re-
aktiv; so reagiert sie mit Wasser sehr heftig unter
Freisetzung von Sauerstoff. Die meisten Metalle
werden sofort unter Bildung von Fluoriden ange-
griffen, nur diejenigen nicht, auf deren Oberfläche
sich eine schützende Schicht aus Fluorid bildet.
Letzteres gilt beispielsweise für Kupfer; daher Abb. 6 Struktur des Moleküls des Chlor-V-fluorids mit
wird Chlor-III-fluorid in aus Kupfer bestehenden Bindungslängen und – winkeln (Benjah-bmm27 2006)
5 Einzeldarstellungen 415
J. N. Kim und J. H. Choi, Generation system ment zu suchen. 1826 entdeckte Balard
for antiseptic solution including chlorine dann das Brom, das er isolierte und dessen
(privat, KR 102085474 B1, veröffentlicht Eigenschaften er bestimmte. Wegen des
23. April 2020) üblen Geruchs nannte er diese chlorähn-
X. Kun und F. Dimascio, Low risk chlorine liche Substanz „bromine“ („Brom“). Er
dioxide onsite generation system (Eco- wies in einer Reihe von Meeresorganismen
lab USA, Inc., MX 2019011331 A, ver- das Vorhandensein von Brom nach. Außer-
dem suchte er nach einfachen und preis-
öffentlicht 5. Dezember 2019)
werten Methoden zur Entsalzung von
M. Nagatomo et al., Process for producing
Meerwasser. 1844 nahm ihn die Wissen-
chlorine trifluoride (Central Glass Co.,
schaftliche Akademie als Mitglied auf
Ltd., JP 2018062427 A, veröfentlicht
(Pötsch et al. 1988; Flahaut und Charlot
19. April 2018)
2003).
Für Tiere ist Brom in sehr geringen Mengen beständigste und am häufigsten vorkommende
lebensnotwendig (essenziell). Die Gegenwart von Oxidationsstufe ist die des Bromids (1), positive
Bromid ist für den Aufbau des Kollagens im Bin- Oxidationszahlen besitzt Brom nur in Verbindun-
degewebe erforderlich (McCall und Scott 2014). gen mit Sauerstoff, Fluor oder Chlor.
Wasserstoffverbindungen und Bromide Bromi-
Gewinnung Industriell gewinnt man Brom durch de stammen vom Bromwasserstoff (HBr) ab, der,
Oxidation von Bromidlösungen mit Chlor: in Wasser gelöst, eine starke Säure ist, vergleich-
bar der Salzsäure (HCl). Meist sind Bromide
2 KBr þ Cl2 ! Br2 þ 2 KCl leicht löslich in Wasser, Ausnahmen sind Silber-
bromid, Quecksilber-I-bromid und Blei-II-bro-
Hauptsächlich nutzt man Sole, stark salzhaltige mid. Natrium- und Kaliumbromid sind die be-
Tiefenwässer, Salzseen, gelegentlich auch Meer- kanntesten Bromide.
wasser (Jasinski 2007), wogegen sich die früher Die industrielle Herstellung von Bromwasser-
praktizierte Gewinnung aus den Restlaugen der stoff erfolgt durch die Umsetzung von Brom mit
Kaligewinnung nicht mehr lohnt. Die jährliche einem Überschuss an Wasserstoff bei 500 °C, bei
Produktionsmenge beträgt ca. 500.000 t, neben Einsatz eines aus Platin bestehenden Katalysators
Israel und Jordanien kommt die größte Menge des lässt sich die Reaktionstemperatur auf 375 °C
Broms und seiner Verbindungen aus den USA und senken (Yoffe et al. 2013). Bromierungen aroma-
China. Das Brom wird aus den wässrigen Lösun- tischer Verbindungen sind darüber hinaus eine
gen ausgetrieben und destillativ abgetrennt. wichtige Quelle für Bromwasserstoff, der hier
als Nebenprodukt anfällt (Brauer 1963, S. 282).
Eigenschaften Die Dichte des flüssigen, chlor- Schließlich erhält man Bromwasserstoff relativ
ähnlich riechenden, ebenfalls sehr toxischen Broms einfach durch Zugabe konzentrierter Phosphor-
beträgt bei Raumtemperatur 3,12 g/cm3. (siehe säure zu Alkalibromid und leichtes Erwärmen
Tab. 3). Unterhalb einer Temperatur von 7,3 °C der Mischung.
erstarrt Brom zu dunklen Kristallen, die bei noch Bromwasserstoff hat bei 0 °C eine Dichte von
tieferen Temperaturen eine zunehmend hellere Far- 3,65 kg/m3, kondensiert bei 66,4 °C; die Flüs-
be zeigen. Es ist in Wasser etwas, in einigen orga- sigkeit erstarrt bei 86,9 °C. Das Gas löst sich
nischen Lösungsmitteln wie Alkoholen, Kohlen- sehr leicht in Wasser; die dabei entstehende Brom-
stoffdisulfid oder Tetrachlorkohlenstoff dagegen wasserstoffsäure ist mit einem pKs von 8,9 eine
sehr gut löslich. In Wasser gelöstes Brom reagiert sehr starke Säure. Hierdurch wirkt auch Bromwas-
langsam unter zwischenzeitlicher Bildung von Hy- serstoffgas stark reizend auf Augen und Atem-
pobromiger Säure (HBrO) und anschließender Ab- wege.
gabe von Sauerstoff zu Bromwasserstoff (HBr). Sauerstoffverbindungen Von Brom und Sauer-
Sonnenlicht beschleunigt die Fotolytische Zerset- stoff kennt man einige Verbindungen, von denen
zung von HBrO stark; deshalb bewahrt man Brom- Dibromtrioxid (Br2O3) und Dibrompentoxid (Br2O5)
wasser in braunen, wenig lichtdurchlässigen Fla- als Feststoffe isolierbar sind. Daneben bildet Brom
schen auf. mehrere Sauerstoffsäuren, die Hypobromige Säure
Brom ist sehr reaktionsfähig, jedoch etwas we- (HBrO), die Bromige Säure (HBrO2), die Bromsäure
niger als Chlor. Gegenwart von Feuchtigkeit er- (HBrO3) und die Perbromsäure (HBrO4), die nur in
höht die Reaktivität des Broms deutlich. Mit wässriger Lösung oder in Form ihrer Salze bekannt
Wasserstoff reagiert es bei erhöhter Temperatur und stabil sind.
zu Bromwasserstoff. Mit fast Metallen reagiert Einwirkung von Quecksilber-II-oxid auf Brom
es, meist heftig, unter Bildung der jeweiligen erzeugt das braune Dibrommonoxid (Br2O), das
Bromide (Holleman et al. 2007). nur bei Temperaturen unterhalb von 40 °C stabil
ist und sich oberhalb dieser Temperaturgrenze
Verbindungen In seinen Verbindungen tritt Brom teils heftig wieder zu Brom und Sauerstoff zer-
mit den Oxidationszahlen 1 bis +7 auf. Die setzt:
418 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
2 Br2 þ HgO ! HgBr2 þ Br2 O Brom-V-oxid (Br2O5) ist eine unter Normal-
bedingungen instabile Verbindung. Der nur bei
Bromdioxid (BrO2) erhält man durch Einleiten tiefer Temperatur zu erzeugende Feststoff zer-
von Ozon in eine Lösung von Brom in Trichlor- setzt sich oberhalb von 20 °C in die Elemente.
fluormethan oder durch Einwirkung einer Glimm- Man erhält es durch Einleiten von Ozon in eine
entladung auf ein aus Brom und Sauerstoff be- Lösung von Brom in Propionitril bei Temperatu-
stehendes Gemisch bei tiefer Temperatur (Brauer ren um 78 °C (Leopold und Seppelt 1994);
1975, S. 317). Erstmals isolierten Schwarz und hierbei fällt Brom-V-oxid aus der Lösung in
Schmeißer die Verbindung 1937 (Cohen 1997). Form weißer Kristalle aus, die allerdings drei
Bei tiefer Temperatur erscheint Bromdioxid als Moleküleinheiten Propionitril pro Formeleinheit
gelber, in Form eines Dimers vorliegender Fest- enthalten.
stoff. Oberhalb einer Temperatur von 0 °C tritt Brom-V-oxid ist das Anhydrid der Bromsäure
mehr oder weniger schnelle Zersetzung ein. und ein starkes Oxidationsmittel. Oberhalb einer
5 Einzeldarstellungen 419
Temperatur von 40 °C zersetzt es sich, unter Der Schmelzpunkt des in fester Form ockergel-
Umständen heftig, in die Elemente. ben Brom-I-chlorids liegt bei 54 °C; die Dichte
Halogenverbindungen Brom bildet eine Reihe des Feststoffs beträgt 3,13 g/cm3 (140°C). Die
von Interhalogenverbindungen, meist mit Fluor, ebenfalls ockergelbe Schmelze siedet bei 5 °C,
aber auch mit Chlor und Iod. und in gasförmigem Zustand zersetzt sich Brom-I-
Brom-I-fluorid (BrF) ist eine rotbraune, sehr chlorid oberhalb einer Temperatur von 10 °C.
flüchtige Flüssigkeit, die schon bei 20 °C siedet wobei schon ab 10 °C eine Zersetzung der Ver-
und bei 33°C erstarrt. Im gasförmigen Zustand bindung beobachtet wird. Im Kristallgitter des
ist die Verbindung hellrot und hat die Dichte Feststoffs liegen zickzackförmige BrCl-Ketten
4,04 kg/m3 (25 °C). Auch diese Verbindung ist vor, die Elementarzellen orthorhombischer Struk-
nicht sehr beständig, man setzt sie als Bromie- tur bilden (Raumgruppe 36; Drews und Seppelt
rungsreagens ein (MacIntyre 1992, S. 285). Man 2012). In Wasser hydrolysiert Brom-I-chlorid zu
stellt Brom-I-fluorid bei Temperaturen um 10 °C Salzsäure und Hypobromiger Säure (Kolditz
durch Einleiten von Fluor in Brom her (Holleman 1983, S. 528). Verwendung findet die Verbindung
et al. 1995, S. 466). bei der Produktion von Lithium-Schwefeldioxid-
Das hellgelbe Brom-III-fluorid (BrF3) erhält Batterien (tayloredge.com) und auch als Wirkstoff
®
man durch Umsetzung von Brom mit Fluor in stö- in Bioziden (beispielsweise Stabrom 909).
chiometrischem Verhältnis (Brauer 1975, S. 169). Organische Verbindungen Bromalkane, Bromal-
Die farblose, an der Luft rauchende Flüssigkeit der kene und bromierte aromatische Kohlenwasserstof-
Dichte 2,84 g/cm3 erstarrt bei 8,8 °C und siedet bei fe verwendet man unter anderem als Lösungsmittel,
125,7 °C. Die hochreaktive Verbindung zerstört Kältemittel, Hydrauliköle, Pflanzenschutzmittel,
Glas und Silicate nach kurzer Zeit (Simons 1950), Flammschutzmittel oder Arzneistoffe.
erleidet in Wasser heftige Hydrolyse und wirkt
stark ätzend auf die Haut. Das Molekül des Brom- Anwendungen Für Brom und seine Verbindun-
-III-fluorids ist annähernd T-förmig gebaut, wobei gen gibt es eine Vielzahl von Einsatzgebieten. Ele-
die axialen Br-F-Bindungen mit 181 pm etwas mentares Brom, gelöst in Methanol, dient zum
länger sind als die Bindung zwischen dem Brom- chemischen Polieren von Galliumarsenid sowie
und zentral angeordneten Fluoratom (172 pm). Der als Desinfektionsmittel, das milder als Chlor ist.
Bindungswinkel Fax-Br-Fz liegt bei 86,2°. Bromwasser ist ein guter Indikator für das Vorhan-
Man verwendet Brom-III-fluorid als starkes densein ungesättigter Kohlenwasserstoffe, durch
Fluorierungsmittel. die es entfärbt wird, dies aufgrund der Reaktion
Versuche zur Synthese des bei Raumtempera- der C¼C-Bindungen mit Brom.
tur gasförmigen Brom-I-chlorids (BrCl) wurden Bromide verwendet man als Narkose-, Beruhi-
schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts unternom- gungs- und Schlafmittel, früher auch zur Behand-
men. In diesen konnte man zunächst aber nicht die lung der Epilepsie (Bangen 1992). Methylbromid
Bildung einer Verbindung nachweisen (Lebeau ist ein Schädlingsbekämpfungsmittel, Monobro-
1906; Karsten 1907). In späteren Experimenten maceton setzt man als Tränengas ein.
ergaben sich zwar Anhaltspunkte dafür (Forbes Polybromierte Aromaten bzw. Diphenylether
und Fuoss 1927), aber erstmals nachgewiesen wirken als Flammschutzmittel in Verbundwerk-
wurde die Existenz des Brom-I-chlorids über den stoffen für Leiterplatten (Birnbaum und Staskal
Vergleich von Dampfdruckkurven und der späte- 2004). Bromierter Kautschuk wird zur Herstel-
ren Isolierung der Reinsubstanz (Lux 1930). Lux lung „luftdichter“ Reifen eingesetzt.
stellte es durch langsame Destillation einer aus In der Fotografie ist Silberbromid Bestandteil
Chlor und Brom bestehenden Mischung bei Tem- der lichtempfindlichen Suspension.
peraturen um 70 °C her. Alternativ kann man
eine Lösung von Chlor und Brom in Fluorchlor- Toxikologie und biologische Bedeutung Ele-
kohlenwasserstoff bereiten und diese mit UV-Licht mentares Brom ist sehr giftig und wirkt stark ät-
bestrahlen (Holleman et al. 1995, S. 466). zend. Kommt es mit Haut in Kontakt, so ruft es
420 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
schwer heilende Verätzungen hervor. Wird Brom Jahre später den ebenfalls französischen For-
inhaliert, so leidet der Betroffene zuerst unter schern Clément und Gay-Lussac. Letzterer und
Atemnot; in schweren Fällen ist die Bildung eines Davy gaben Iod den Namen in Anlehnung an
Lungenödems möglich. Brom wird in Gefäßen aus seine violette Farbe.
Glas, Blei, Monel, Nickel oder Teflon aufbewahrt.
Der französische Salpetersieder Bernard
Patente Courtois (* 8. Februar 1777 Dijon; † 27.
(Weitere aktuelle Patente siehe https:// September 1838 Paris) war der Entdecker
worldwide.espacenet.com) des chemischen Elements Iod und wuchs in
Saint-Médard Nitrary bei Dijon auf. 1795
Y. Wu et al., A method of pretreatment and wechselte er nach Auxerre, um dort eine
bromine recovery of PCB incineration Ausbildung zum Apotheker zu absolvieren.
ash (Beijing University of Technology, 1798 begann er seine Arbeit im Chemie-
US 2020262712 A1, veröffentlicht 20. labor von De Fourcroy in Paris. Dort führte
August 2020) er seine Studien der Chemie und Pharma-
M. A. Wolfovich et al., Brominated epoxy kologie an der Académie Polytechnique
polymers as wood coating flame retar- fort. Einer seiner Professoren, Séguin, ließ
dant formulations (Bromine Compounds ihn Opium erforschen, wobei beide gemein-
sam das Morphium entdeckten. Séguin
Ltd., US 2020239728 A1, veröffentlicht
machte sich den Verdienst der Arbeit voll-
30. Juli 2020)
ständig zueigen und nannte in seinen Ver-
N. J. Lee et al., A negative electrode having
öffentlichungen nie den Namen von Cour-
zinc particle and zinc-bromine flow bat-
tois. Friedrich Wilhelm Adam Sertürner
tery comprising the same (Korea Elec- wurde die Entdeckung offiziell von der
tronics Technology, KR 20200075310 Academie des Sciences zugeschrieben.
A, veröffentlicht 24. Juni 2020)
H. Cho et al., Recovery method for electro- 1811 entdeckte Courtois bei der Veraschung
lyte of zinc-bromine redox flow battery von Braunalgen der Gattung Laminaria aus
(Lotte Chemical Corp., KR 20200058081 der Nordsee das Element Iod. Dies war ein
A. veröffentlicht 27. Mai 2020) Nebenprodukt seiner Forschung, da er ei-
D. Pan und Y. Wu, Method for separating gentlich die Asche der Algen zur Gewin-
and recovering bromine in circuit board nung von Pottasche verwenden wollte, die
incineration ash using two-step process damals bei der Herstellung von Seifen in
(Beijing University of Technology, WO großem Umfang verwendet wurde. Beim
2020057025 A1, veröffentlicht 26. März Erhitzen dieser Asche mit Schwefelsäure
2020) stiegen violette Ioddämpfe auf, die sich an
den kühleren Glaswänden in Form glänzen-
der Iodkristalle niederschlugen Courtois er-
kannte aber nicht, dass Iod ein neues Ele-
5.4 Iod ment war, dies blieb Davy und Gay-Lussac
vorbehalten. Von ihnen erhielt Iod seinen
Geschichte Der französische Hersteller von So- Namen [vom griechischen „ioeiedes“ („vio-
da und Salpeter, Courtois, betrieb unter Anderem lett“)] (Guyotjeannin 1995; Swain 2005).
die Produktion von Schießpulver für die napoleo-
nische Armee und die von Seifen. Einer der Der französische Naturwissenschaftler Ni-
Grundstoffe für die Seifen war die mineralstoff- colas Clément (* 12. Januar 1779 Dijon; †
reiche Asche verbrannten Seetangs. Aus dieser 21. November 1841 Paris) war in Koope-
isolierte er 1811 Iod, ohne allerdings dessen ele- ration mit Charles-Bernard Désormes einer
der Entdecker des Elements Iod. Clément
mentare Natur zu erkennen. Dies gelang erst zwei
5 Einzeldarstellungen 421
schnell wieder in die Elemente zerfällt. Mit gas- I2-Moleküle jeweils mit einem Iodid-Anion zum
förmigem Ammoniak reagiert Iod heftig, da bei einfach negativ geladenen I3–-Anion, das sich in
dieser Umsetzung eine unmittelbar drastische die Molekülkette der Stärke einlagern kann. Diese
Zunahme des Gasvolumens eintritt: Einlagerungsverbindungen bewirken schon in
geringer Konzentrationen eine intensive Blaufär-
3 I2 þ 2 NH3 ! 6 HI þ N2 bung, die zum quantitativen Nachweis des Iods
genutzt wird.
Mit in Wasser gelöstem Ammoniak bildet Iod
dagegen Triiodstickstoff (NI3), einen violettbrau- Verbindungen Iod tritt in seinen Verbindungen
nen Feststoff, der meist schon bei leichter Berüh- mit den Oxidationszahlen 1 bis +7 auf, wobei
rung explodiert. die stabilste und häufigste 1 (Iodid) ist. Positive
Iod bildet, im Gegensatz zu den Halogenen Oxidationszahlen des Iods finden sich nur in sei-
niedrigeren Molekulargewichts, Polyhalogenide. nen Verbindungen mit Sauerstoff, Fluor, Chlor
Dabei verbinden sich in wässriger Phase gelöste und Brom. Wie bei Brom und Chlor sind die un-
5 Einzeldarstellungen 423
odsäure mit Iodsäure bei Gegenwart von Schwe- Das Molekül der Iodsäure ist trigonal- pyrami-
felsäure her: dal aufgebaut. Sie ist eine mittelstarke Säure mit
einem pKS von 0,8 und wirkt stark oxidierend.
HIO3 þ H5 IO6 ! I2 O6 þ 3 H2 O Iodsäure ist polymorph. Die nichtzentrosymmetri-
sche α-Modifikation ist thermodynamisch stabil;
Auch der thermische Abbau von meta-Period- daneben existiert eine metastabile, zentrosym-
säure im Vakuum ergibt Diiodhexaoxid (Siebert metrische γ-Form (Fischer und Lindsjö 2005).
et al. 1977). Die Verbindung hat die Dichte Ihre Salze sind die Iodate, die zwar stabiler
4,92 g/cm3 und ist bis hinauf zu Temperaturen als Chlorate, aber ebenfalls starke Oxidations-
von 100 °C stabil. Bei Kontakt zu Wasser erfolgt mittel sind, da sie sich mit Metallpulvern oder
eine Rückbildung von Iod- und Periodsäure. Die Schwefel explosionsartig umsetzen können.
Struktur des Festkörpers ist triklin (Raumgruppe 2) Einwirkung von Schwefelsäure auf Iodate er-
mit einer Formeleinheit pro Elementarzelle (Kraft gibt Iodsäure.
und Jansen 1995). Periodsäure, in der Form von ortho-Periodsäure
Das hellgelbe, oberhalb einer Temperatur von (H5IO6), wirkt stark oxidierend, ist aber nur eine
75 °C instabile Tetraiodnonaoxid (I4O9) erhält schwache mehrbasige Säure mit einem pKS von
man durch Einwirkung von Ozon auf eine Lösung 3,29. Sie schmilzt bei 122 °C und zersetzt sich ober-
von Iod in Tetrachlorkohlenstoff bei 78 °C in halb ihres Schmelzpunktes. In Wasser ist die Säure
hoher Ausbeute (Holleman et al. 2019, S. 443): hervorragend löslich (3000 g/L bei 20 °C), sie kris-
tallisiert monoklin (Raumgruppe 14, Feikema 1966).
2 I2 þ 9 O3 ! I4 O9 þ 9 O2 Wird ortho-Periodsäure im Vakuum erhitzt, bildet
sich schließlich meta-Periodsäure [(HIO4)n]. Man
Man kann die Verbindung auch durch Entwäs- stellt die Verbindung aus Bariumorthoperiodat und
sern von Iodsäure in Phosphorsäure bei höherer Salpetersäure her, wobei das bei der Umsetzung
Temperatur darstellen (Brauer 2012, S. 331; Perry mitentstehende Bariumnnitrat in der salpetersauren
2016, S. 500): Lösung ausfällt (Brauer 1963, S. 322).
Halogenverbindungen Iod bildet mit den ande-
8 HIO3 ! 2 I4 O9 þ 4 H2 O þ O2 ren Halogenen einige Verbindungen, die fast im-
mer direkt aus den Elementen darstellbar sind. Iod
Tetraiodnonaoxid ist ein hellgelber, hygrosko- tritt hierbei immer als der elektropositivere Be-
pischer Feststoff, der beim Erhitzen auf über 75 °C standteil auf.
zerfällt. Die Verbindung stellt ein Iod-III-iodat-V Iod-I-fluorid (IF) ist ein weißes Pulver, aber
[I(IO3)3] dar und wird durch Alkalihydroxid stabil nur bei Temperaturen unterhalb von 78 °C.
zu Iodat und Iodid zersetzt. Tetraiodnonaoxid re- Oberhalb einer Temperatur von 14 °C dispro-
agiert mit Wasser zu Iodsäure und Iod. portioniert die Verbindung in elementares Iod (I2)
Iodoxide bilden mit Wasser die diversen, theo- und Iodpentafluorid (IF5). Wasser hydrolysiert
retisch denkbaren Sauerstoffsäuren Hypoiodige Säu- Iod-I-fluorid zu Fluorwasserstoff und Hypoiodi-
re (HIO, Salze: Hypoiodite), Iodige Säure (HIO2, ger Säure (HOI). Wegen seiner Instabilität kann
Salze: Iodite), Iodsäure (HIO3, Salze: Iodate) und man die Eigenschaften des Iod-I-fluorids nicht
die Periodsäure (H5IO6, Salze: Periodate). exakt bestimmen (Hoyer 2004). Bei tiefer Tem-
Iodsäure (HIO3) ist die einzige der Halogen-V- peratur stellt man es entweder aus den Elementen
säuren des Typs HXO3, die in wasserfreier Form dar oder aus Iod und Iod-III-fluorid in Trichlor-
erhältlich ist. Die farblosen Kristalle rhombischer fluormethan bei Gegenwart kleiner Mengen an
Struktur der Dichte 4,63 g/cm3 schmelzen bei 110 ° Pyridin (Brauer 1975, S. 171; Naumann 1980;
C unter Zersetzung, sind sher leicht in Wasser Musgrave 1960). Die Struktur des Iod-I-fluorids
löslich und können durch Umsetzung von Iod mit konnte bisher noch nicht bestimmt werden, nur
starken Oxidationsmitteln wie Salpetersäure, Chlor die Länge der I-F-Bindung im Molekül (191 pm)
oder Wasserstoffperoxid gewonnen werden. (Wiebenga et al. 1961).
5 Einzeldarstellungen 425
I2 þ 3 XeF2 ! 2 IF3 þ 3 Xe
Iodchlorid als Reagenz zur Bestimmung der Iod- Anwendungen Iodtinktur und einige leicht Iod
zahl nach Wijs. Die Verbindung wirkt ätzend auf abspaltende Verbindungen (z. B. Iodoform, CHI3)
Haut und Schleimhäute, sie reizt auch stark die verwendet man als Mittel gegen Hautpilz (Anti-
Atemwege. mykotikum) und Desinfektionsmittel für medizi-
Iod-III-chlorid (ICl3) entsteht durch Einwir- nische Zwecke (Antiseptikum). Iodwasser kann
kung überschüssigen Chlors auf Iod-I-chlorid aber, im Gegensatz zu Chlorwasser, keine Algen
(Dill et al. 1992), hat die Dichte 3,12 g/cm3, mehr abtöten, so dass man ein Algenbekämpfungs-
schmilzt bei 33 °C und siedet bei 77 °C. Der in mittel zusetzen muss.
Form gelber bis rotbrauner, mit dimerer Struktur Zur Vorbeugung des Iodmangels, der u. a. zur
kristallisierender Nadeln (s. Abb. 11) vorliegende „Kropfbildung“ führen kann, setzt man Natrium-
Feststoff wirkt ätzend, riecht stechend und zer- oder Kaliumiodat in kleinen Mengen dem Speise-
fließt an der Luft. Die Verbindung ist gut in Etha- salz („Iodsalz“) zu.
nol, Benzol und Ether löslich, sie hydrolysiert Iod wird öfters als Katalysator bei chemischen
mit Wasser zu einer Mischung von Zersetzungs- Reaktionen eingesetzt, z. B. bei der stereospe-
produkten, darunter Iod-I-chlorid, Iodsäure und zifischen Polymerisation von 1,3-Butadien, der
Chlorwasserstoff (Holleman et al. 2007, S. 459). elektrophilen Sulfurierung aromatischer Verbin-
Bei organischen Synthesen dient es sowohl als dungen (Lewis-Säure-Katalysator) und auch
Iodierungs- als auch Chlorierungsmittel. der Alkylierung und Kondensation aromatischer
Iod-I-bromid (IBr) bildet dunkelgraue, ste- Amine.
chend riechende Kristalle der Dichte 4,42 g/cm3, Iodierte Aromaten dienen als Röntgenkontrast-
die bei einer Temperatur von 40 °C schmelzen mittel, Natriumiodid als Szintillator in Szintillati-
(Siedepunkt der Schmelze: 116 °C). Man stellt onszählern. Die radioaktiven Isotope 13153I (Halb-
die gut in Ethanol und Ether lösliche Verbindung wertszeit: 8,02 d) und 12353I (Halbwertszeit 13,22
durch längeres Erhitzen einer equimolaren Mi- h) setzt man als Radiopharmaka zur Therapie vor-
schung von Brom und Iod unter Inertgas dar. wiegend von Schilddrüsenerkrankungen ein.
Man nutzt Iod-I-bromid als Bromierungsreagenz
und zur Bestimmung der Iodzahl. Biologische Bedeutung und Toxizität In Kern-
Iod-III-bromid (IBr3) ist eine dunkelbraune kraftwerken sowie bei der Explosion von Nukle-
Flüssigkeit, die sich in Wasser, Alkohol und arwaffen werden unter anderem auch radioaktive
Ether löst. Man verwendet die Substanz zur Bro- Iodisotope freigesetzt. Für die im Umfeld eines
mierung und als reaktives Hilfsmittel beim Io- Kernkraftwerkes lebende Bevölkerung halten
nenstrahlätzen in der Elektronikindustrie. Dabei Bund und Länder Millionen von Kaliumiodid-
leitet man Argonionen als gerichteten Ionen- Tabletten (K12753I) bereit, die im Falle eines Stör-
strahl einer Energie von 1–3 keV auf den zu falles eingenommen werden sollen. Dies soll die
ätzenden Wafer. Jenen hält man dabei senkrecht Aufnahme möglicherweise freigesetzter radio-
oder gekippt zum Ionenstrahl in der Prozesskam- aktiver, flüchtiger und sich schnell verteilender
mer, und die Ätzung erfolgt völlig anisotrop und Iodisotope und deren Speicherung im Körper, et-
mit geringer Selektivität. Das Gas und das he- wa in der Schilddrüse, vermeiden.
rausgeschlagene Material saugen die Pumpen ab, Im menschlichen Organismus liegt Iod che-
aber es setzen sich auch Partikel an den Kam- misch gebunden in denMolekülen der Schilddrü-
merwänden und an vertikalen Kanten der Schei- senhormone Thyroxin und Triiodthyronin vor; die
be selbst ab. Zu diesem Zweck führt man neben Gesamtmenge des im Körper enthaltenen Iods liegt
5 Einzeldarstellungen 427
Röntgenstrahlen“. Die von ihm verwendete Cauchois leitete die französische Gesell-
Apparatur zur Erzeugung von Röntgen- schaft für Physikalische Chemie von 1975
strahlen war auf dem damals aktuellen tech- bis 1978, ging 1983 in den Ruhestand und
nischen Standard. Mit ihrer Hilfe entdeckte arbeitete bis 1992 noch im Labor. Sie ver-
er damals noch nicht zugeordnete Röntgen- öffentlichte mehr als 200 Schriften. Sie
spektrallinien, die seiner Ansicht nach von setzte als erste gekrümmte Kristalle in Mo-
noch unbekannten Elementen herrühren nochromatoren und bei der Röntgenstreu-
sollten. So veröffentlichte er 1936 die Ent- ung ein. Die von Kristallen reflektierte
deckung eines neuen, von ihm „Moldavi- Röntgenstrahlung nutzte sie zur Bestim-
um“ genannten Elements, es folgten 1939 mung der Struktur von Materialien (Apo-
„Sequanium“ und 1945 „Dorin“ (Fontani theker und Simon Sarkadi 2011). Neben der
2005). Später erkannte man aber, dass die zur vermeintlichen Entdeckung von Astat
angegebenen Spektrallinien nicht von noch führenden Zusammenarbeit mit Hulubei
unbekannten Elementen stamen konnten. forschte sie später an Röntgenspektren der
Trotzdem publizierte er zahlreiche wissen- Transurane. Cauchois setzte sich für die
schaftliche Schriften (Hulubei 1940, 1948, Unterstützung unterprivilegierter Mitbürger
1950; Constantinescu und Bugoi 1998); da- ein und erhielt einige wissenschaftliche
her trägt das Bukarester Nationale Institut für Preise und Auszeichnungen (Byers und
Physik und Nukleartechnik seinen Namen. Williams 2006). Sie konvertierte zum
Hulubei war zudem Gründer und erster Di- griechisch-orthodoxen Glauben und wurde
rektor des Instituts für Atomphysik in Buka- nach ihrem Tod im nordrumänischen Klos-
rest. 1946 nahm ihn die Rumänische Aka- ter Bârsana bestattet.
demie als Mitglied auf, dies machte das
kommunistische Regime ab 1948 zunächst Der US-amerikanische Physiker Dale
rückgängig, bevor Hulubei 1955 wieder dort Raymond Corson (* 5. April 1914 Pitts-
aufgenommen wurde (Berindei 2008). burg, KS; † 31. März 2012 Ithaca, NY)
erhielt den Titel des Bachelor in Physik
Die französische Physikerin Yvette Cau- 1934 am College of Emporia und den des
chois (* 19. December 1908 Paris; † 19. Masters ein Jahr später von der University
November 1999 Paris) leistete wichtige of Kansas. 1938 promovierte er an der Uni-
Beiträge zur Röntgenspektroskopie und versity of California in Berkeley. 1946
europäischen Synchrotonforschung. Nach ging er als Assistenzprofessor an die Cor-
dem Schulbesuch in Paris studierte sie an nell University in Ithaca, NY und wurde
der dortigen Sorbonne, erhielt 1928 einen 1956 dort zum Ordentlichen Professor er-
ersten Abschluss in Physik, setzte mittels nannt. Elektromagnetische Felder und
eines Stipendiums das Studium fort und pro- Wellen waren der Schwerpunkt seiner Ar-
movierte 1933 über ein Thema der hochauf- beit (Lorrain und Corson 1970). 1969 er-
lösenden Röntgenanalyse (Bonnelle 2001). nannte man ihn zum Präsidenten der Uni-
Danach arbeitete sie unter Perrin am Centre versität. 1979 wählte man ihn zum
National de la Recherche Scientifique emeritierten Präsidenten. Er veranlasste
(CNRS). 1938 wurde Cauchois Leiterin Förderprogramme besonders für weib-
des Labors für Physikalische Chemie an liche Studenten, verbesserte die Zusammen-
der Fakultät der Wissenschaften in Paris arbeit zwischen Universität und dem
und 1954 Lehrstuhlinhaberin an der Sor- Staat New York, setzte sich für Minderhei-
bonne. 1960 gründete Cauchois das Centre ten ein und änderte das Angebot der
de Chimie Physique in Orsay, war dessen Cornell-Universität über die Jahre erheb-
Direktorin bis 1970, arbeitete parallel aber lich. Er war zudem einer der Mitgründer
auch noch an der Sorbonne und später an des US-amerikanischen Weltraumpro-
der Universität Paris VI. gramms.
430 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Vorkommen Astat ist ein radioaktives che- lich radioaktive Isotope, die alle sehr kurzlebig
misches Element, das beim natürlichen Zerfall sind. Das noch längstlebige, 21085At, hat eine Halb-
von Uran entsteht. Im Periodensystem steht es in wertszeit von auch nur 8,3 h (s. Tab. 5). Nur 1 μg
der 7. Hauptgruppe unterhalb des Iods und ist des Isotops 21185At besitzt die bereits sehr hohe
damit ebenfalls ein Halogen. Wenn man von den Radioaktivität von 7,62 · 1010 Bcq; 21085At und
209
schweren Transuranen einmal absieht, ist Astat 85At zeigen eine ähnlich hohe Aktivität.
das seltenste Element auf der Erde, sodass es bei Astat sublimiert weniger stark als Iod und be-
Bedarf auf künstlichem Wege hergestellt wird sitzt auch einen geringeren Dampfdruck (Allison
(Merkel 2011). Von Astat, Radon (Ordnungszahl: et al. 1931). Jedoch verdampft etwa die Hälfte des
86) und Francium (Ordnungszahl: 87) besitzen Astats innerhalb einer Stunde, wenn es in eine
alle Isotope sehr kurze Halbwertszeiten weniger offene Glasschale gelegt und diese bei Raumtem-
Tage oder Stunden, was einen drastischen Ein- peratur stehen gelassen wird.
bruch der Isotopenstabilität zwischen Elementen
geringeren Atomgewichtes wie Blei (Ordnungs- Verbindungen Die chemischen Eigenschaften
zahl: 82, stabile Isotope) oder Bismut (Ordnungs- von Astat konnten aufgrund der extrem geringen
zahl: 83, radioaktive Isotope extrem langer Halb- zur Verfügung stehenden Mengen bislang nur mit
wertszeit) und denen höheren Atomgewichts Tracerversuchen ermittelt werden. In seinem Ver-
(Thorium: Ordnungszahl: 90, radioaktiv, aber halten ähnelt Astat stark dem Iod, ist aber ein
ebenfalls sehr langlebig) bedeutet. schwächeres Oxidationsmittel als jenes. Man
Die Gesamtmenge des auf der Erde zu jedem konnte bisher verschiedene Astatide (mit dem An-
beliebigen Zeitpunkt vorkommenden Astats wird ion At) sowie astathaltige Interhalogen- und or-
auf Mengen von 160 mg bis maximal 25 g (!) ganische Verbindungen nachweisen, ebenso die
geschätzt. Anionen der entsprechenden Sauerstoffsäuren.
So kann AtI aus einer wässrigen Iod-Astat-
Gewinnung Astat stellt man durch Beschuss von Lösung heraus gewonnen werden, dagegen AtBr
Bismut-Kernen mit α-Teilchen einer Energie von und AtCl durch Umsatz elementaren Astats mit
26 bis 29 MeV her. Man erhält dabei die relativ Brom bzw. Iod in wasserfreien Systemen.
langlebigen Isotope 20985At bis 21185At, die dann Astat ist weniger reaktiv als die übrigen Halo-
im Stickstoffstrom bei 450 bis 600 °C sublimiert gene, wurde aber intensiv untersucht, wenn dies
werden. Der At2-Moleküle enthaltende Dampf auch nur in Mikromengen erfolgen konnte. Übli-
wird an einer gekühlten Platinscheibe nieder- cherweise nutzte man aber das eng verwandte Iod
geschlagen, an der sich kleinste Kristalle bilden. als Träger und setzt dieses im Überschuss Astat
bzw. dessen Verbindungen zu, dies einfach, um
Eigenschaften Massenspektrometrische Versuche auf verfolgbar große Mengen an Prüfsubstanz zu
zeigten, dass sich Astat chemisch wie die anderen kommen (Nefedov et al. 1968; Aten et al. 1952).
Halogene, vor allem wie Iod verhält. Nur hat Astat Astat ist elektropositiver als die leichteren Haloge-
einen noch stärker metallischen Charakter als Iod. ne (Fluor, Chlor, Brom, Iod) und verhält sich nur
Es sammelt sich aber andererseits auch wie Iod in noch teilweise wie ein solches, vielmehr leitet es in
der Schilddrüse an. Jüngst führten Mitarbeiter des seinen Eigenschaften zu den Halbmetallen über.
Brookhaven National Laboratory (USA) Experi- Von Silber wird es nur noch unvollständig als
mente zur Identifikation und Messung grundlegen- Silberastatid (AgAt) ausgefällt (siehe auch unten),
der chemischer Reaktionen durch, die auch Astat eine Reaktion, die Iodid durch die Bildung von
einschlossen. Silberiodid noch in vollem Umfang zeigt (Allison
Der am CERN in Genf stationierte On-line- et al. 1931; Kugler und Keller 1985). Bisher wur-
Isotopen-Massenseparator (ISOLDE) diente 2013 den erst einige wenige Metallastatide dargestellt, so
unter anderem dazu, das Ionisationspotenzial von von Natrium, Palladium, Silber und Blei.
Astat (9,3175 eV) zu bestimmen. (Albers 2013) Astat kann nicht nur anodisch – wie für Halo-
Von Astat existieren rund zwanzig bekannte, sämt- gene üblich –, sondern auch kathodisch abge-
432 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Der deutsche Physiker Max Karl Ernst Lud- lich der rassenhygienischen Forschung zu
wig Planck (* 23. April 1858 Kiel; † stellen werde. Obwohl in den Folgejahren
4. Oktober 1947 Göttingen) ist Begründer hunderte, meist jüdische, Wissenschaftler
der Quantenphysik und erhielt 1919 für die Deutschland verließen, unternahm Planck
erstmalige Formulierung des Planck’schen auch auf Bitten prominenter Kollegen wie
Wirkungsquantums den Nobelpreis für Phy- Hahn nahezu nichts, nur für Haber setzte er
sik des Jahres 1918. Als Planck 9 Jahre sich -vergeblich- ein. Auch Planck geriet
alt war, verzog die Familie 1867 nach Mün- nun in den Blickpunkt der Reichsregierung,
chen, wo er 1874 am Maximiliansgymnasium die Preußische Akademie wurde dieser un-
das Abitur ablegte. Dann studierte Planck ab terstellt, so dass Planck aus Protest zurück-
dem Wintersemester 1874/75 Naturwissen- trat. Sein Sohn Erwin Planck wurde wegen
schaften und Mathematik an der Ludwig-Ma- seiner Beteiligung am Aufstand vom 20. Juli
ximilians-Universität in München. 1944 verhaftet am 23. Januar 1945 in Plöt-
zensee hingerichtet.
Drei Jahre später wechselte Planck für ein
Jahr nach Berlin und studierte dort Physik Nach dem Krieg ernannte man Planck zum
an der Friedrich-Wilhelms-Universität un- kommissarischen Leiter der wieder gegrün-
ter Kirchhoff und von Helmholtz. Er pro- deten Kaiser-Wilhelm Gesellschaft, er unter-
movierte 1879 über das Thema „Die Ent- nahm noch einige Vortragsreisen und starb
wicklung des Begriffs der Wärme“ und 1947 in Göttingen (Hermann 2005; Heilbron
reichte nur ein Jahr später seine Habilitati- 2006; Fischer 2007; Hoffmann 2008).
onsschrift über „Gleichgewichtszustände
isotroper Körper in verschiedenen Tem-
peraturen“ vor. 1880 erhielt er einen Ruf Erstmalige Darstellung In der ersten Hälfte des
als Privatdozent an die Münchener Univer- Jahres 2009 wurde die Probe des im ORNL syn-
sität, 1885 die als Professor für Theoreti- thetisierten 24997Bk vorbereitet und dann wegen
sche Physik an die Universität Kiel. 1892 der kurzen Halbwertszeit des Isotops zügig nach
wurde Planck Ordentlicher Professor an der Moskau geflogen. Da der russische Zoll wegen
Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Um angeblich fehlender Unterlagen zweimal das Pas-
1900 veröffentlichte er seine Theorie über sieren der Probe verweigerte, flog die Probe inner-
Oszillatoren, die nur Licht bestimmter Ener- halb weniger Tage fünfmal über den Atlantik. Als
gie abstrahlen oder aufnehmen sollten, führ- dann die Probe im Juli 2009 endlich nach Dubna
te eine Naturkonstante, das Planck’sche transportiert werden durfte, gelangte sie dort so-
Wirkungsquantum, ein und begründete da- fort in den Teilchenbeschleuniger und wurde mit
mit die Quantenphysik. Ab 1906 stand den 4820Ca-Kernen beschossen. Im Januar 2010
Planck in Kontakt mit Einstein und vertei- schließlich teilten Wissenschaftler des Flerov-
digte dessen Spezielle Relativitätstheorie. Instituts mit, dass sie den Zerfall des neuen Ele-
ments der Ordnungszahl 117 beobachtet hätten
Ab März 1912 gehörte Planck dem Vor-
(Kragh 2018). Als hierfür verantwortliche Isotope
stand der Preußischen Akademie der Wis-
wurden 294117 and 293117 identifiziert, die Halb-
senschaften an. Er war loyal gegenüber dem
wertszeiten deutlich unter einer s aufwiesen.
Deutschen Kaiser und begrüßte den Eintritt
Die beiden Isotope sind Ausgangspunkt einer
Deutschlands in den Ersten Weltkrieg.
Auch gegenüber den ab 1933 an die Macht α-Zerfallsreihe, die für 294117 über sechs Stufen
gekommenen Nationalsozialisten opponier- bis zum Dubniumisotop 270105Db und für 293117
te er nicht, sondern schrieb im Juli 1933 an über drei Stufen bis zum Roentgeniumkern
281
den damaligen Innenminister Frick, dass die 111Rg führt.
von ihm geleitete Kaiser-Wilhelm-Gesell- Da alle direkten Zerfallsprodukte der Isotope
schaft sich in den Dienst des Reiches bezüg- des Elements 117, also die Tochterkerne, noch
436 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
unbekannt waren, konnte man sie nicht als Beweis schnittliche als auch extreme Zeiten des Zerfalls
für die Darstellung von Nukliden des Elements ausgeschlossen hätten. Die 2017 erneut durch-
117 heranziehen. Erst 2011, als ein Nuklid des geführte Analyse habe die Konsistenz der Zer-
Elements 115 (des später „Moscovium“ genann- fallsreihen unter der Annahme gezeigt, dass an
ten Elements), 289115, erzeugt wurde und seine jedem Schritt der Zerfallsreihe gerade ein Nuklid
Eigenschaften mit denen des in der Zerfallsreihe beteiligt gewesen sei (Zlokazov und Utyonkov
von Element 117 beobachteten Kerns überein- 2017).
stimmten, galt dies zumindest als erster, wenn Die von der IUPAC 1979 erlassenen Empfeh-
auch nicht hinreichender Beweis. 2012 wieder- lungen für die Benennung neuer Elemente gaben
holte man in Dubna dann die Versuche, bei denen vor, Element 117 zunächst Ununseptium (Uus) zu
sieben Atome des Elements 117 erzeugt wurden. nennen, bis die Entdeckung bestätigt ist. Hamilton
Außerdem entstanden dabei auch Nuklide des von der Vanderbilt University in Nashville, TN,
Elements 118, da ein Teil des 24997Bk durch zwi- die eng mit ORNL zusammenarbeiteten, favori-
schenzeitlichen β--Zerfall in 24998Cf übergegan- sierte von Beginn an einen Namen, der auf die
gen war. Zwei Jahre später führte man beim GSI Region hinweisen soll, in der die Grundlage für
Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung das die Entdeckung des Elements 117 gelegt worden
identische Experiment mit dem in Darmstadt vor- ist, also auf den US-Bundesstaat Tennessee. Das
handenen Teilchenbeschleuniger durch und konn- internationale Team einigte sich im März 2016
te 2 Atome des Elements 117 darstellen. darauf, das Element 117 Tennessine (im Deut-
Ende 2015 erkannte die Joint Working Party schen: Tenness) zu nennen; der Name svorschlag
der IUPAC offiziell die Entdeckung des Isotops wurde von der IUPAC im November desselben
293
117 wegen der gelungenen Identifizierung des Jahres angenommen.
Tochterkerns 289115 an (Karol et al. 2015) und gab
allen an der Entdeckung beteiligten Nuklear- Eigenschaften Da von Tenness bislang nur we-
labors, also JINR, LLNL und ORNL das Recht, nige und darüber hinaus sehr kurzlebige Atome
einen offiziellen Namen für das Element vor- erzeugt wurden, kann man die voraussichtlichen
zuschlagen (Koppenol et al. 2016). Allerdings Eigenschaften des Elements schätzen. Kein Ele-
wiesen sowohl die GSI als auch die Universität ment mit einer Ordnungszahl >82 hat stabile Iso-
von Lund (Schweden) auf Ungereimtheiten der tope (Dambier et al. 2003). Die durch Coulomb-
Beweisführung hin, da die ursprünglich einzig Kräfte bewirkte Abstoßung der Protonen im
dem Isotop 289115 zugeordnete Zerfallsreihe schon Atomkern sollte mit wachsender Ordnungszahl
wegen der Mehrzahl der beim Beschuss gebilde- so stark werden, dass Kerne mit einer Ordnungs-
ten Isotope des Elements 117 mehrgleisig hätte zahl >104 gar nicht existieren können, so die
aufgestellt werden müssen. Tatsächlich ist die frühere Annahme (Möller 2016). Aber bereits in
Zahl der beim α-Zerfall von Nicht-g,g-Kernen den 1960er-Jahren wiesen Forscher auf das
entstehenden Kerne nicht unerwartet hoch, und mögliche Vorhandensein einer „Insel der Stabili-
sowohl die Universität Lund als auch die GSI tät“ bei Kernen mit ca. 114 Protonen und 184
kritisierten den IUPAC-Bericht, dass darin einige Neutronen hin, die wieder relativ stabil sein und
wichtige Fakten übersehen worden seien (Fors- Halbwertszeiten bis hinauf zu Tausenden von Jah-
berg et al. 2016a, b). ren haben sollten. (Wie mittlerweile bekannt ist,
Mitte 2018 trat das Team aus Dubna in einer zeigen Atomkerne in diesem Gebiet tatsächlich
Veröffentlichung dieser Kritik entgegen und ga- eine deutlich erhöhte Stabilität gegenüber den
ben an, sie hätten den Zerfall der Kerne 293117 und ihnen im Periodensystem benachbarten Nukliden
289
115 mittels anerkannter statistischer Methoden anderer Protonenzahl, aber auch ihre Halbwerts-
untersucht. Sie gaben zu, dass einige Daten mög- zeiten betragen höchstens einige) (s. Oganessian et al.
licherweise nicht ganz kongruent gewesen seien, 2017; Karpov et al. 2013; Staszczak et al. 2013).
da sie aus dem 90 % aller Zerfälle abbildenden Mit Tenness der Ordnungszahl 117 wäre das
vertrauenswürdigen Messintervall sowohl durch- ursprünglich einmal umrissene Gebiet dieser „In-
5 Einzeldarstellungen 437
sel der Stabilität“ schon fast überschritten, und Zunächst ist Tenness den Halogenen in Gruppe
tatsächlich liegt für die Isotope 293117Ts bzw. 17 des Periodensystems zugeordnet, da das Atom
294
117Ts die Halbwertszeit bei 21 ms bzw. 112 ms, des Elements sieben Valenzelektronen in seiner
also schon wieder bei sehr kurzen Zeiten. Berech- Außenschale mit der Konfiguration 7s27p5 auf-
nungen für das noch nicht erzeugte Isotop 295117Ts weist. Jedoch ist das Element wegen des bei den
weisen eine Halbwertszeit von 18 ms aus (Zagre- niederen Halogenen zu beobachtenden Gruppen-
baev et al. 2013; Zhao-Qing et al. 2007, 2009; trends wahrscheinlich bereits ein flüchtiges Metall
Duarte et al. 2004). Das stabilste er noch nicht (Chang et al. 2010). Der hier wohl hohe Einfluss
erzeugten Isotope sollte 296117Ts mit einer berech- relativistischer Effekte wird zu einer energetischen
neten Halbwertszeit von 40 ms sein (Chowdhury Absenkung vor allem der 7s-, aber auch der
et al. 2008). 7p-Niveaus führen. Die Stabilisierung des
438 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
7s-Orbitals nennt man den Effekt des inerten Elek- lich sein. Aufgrund relativistischer Effekte sollte
tronenpaars. Die Energie der p-Orbitale ist in un- ein Atom des Tenness also maximal 5 Valenz-
terschiedlichem Maß abgesenkt (Fægri Jr. und elektronen zur Verfügung haben (Thayer 2010;
Saue 2001; Audi et al. 2017; Barysz und Ishikawa Stysziński 2010; Pershina 2010). Da schon im
2010). Die energetische Lage der 6d-Orbitale wird Molekül des Tennesshydrids („Tennesswasser-
als zu der der 7s-Orbitale ähnlich berechnet, nur stoff“, TsH) nur noch der 7p3/2-Zustand an der
sollen sich 6d-Orbitale hier nicht an irgendeiner Bindung beteiligt ist, ist die Länge der Bindung
Bindung beteiligen. Die Zahl der möglichen Oxi- mit 195 pm deutlich länger als bei Beteiligung der
dationsstufen schätzt man für Tenness als deutlich 7s-Elektronen zu erwarten gewesen wäre, sie ist
niedriger ein als für die leichteren Halogenatome. auch deutlich schwächer als die Bindungen zwi-
Schmelz- und Siedepunkt sollten für Tenness schen Atomen der anderen Halogene und jeweils
einer Fortführung des Trends innerhalb der Grup- einem Wasserstoffatom (Bae et al. 2003). Die
pe der Halogene entsprechen und bei 350–500 °C Bindung eines Tenness- zu einem Wasserstoff-
bzw. 550–610 °C liegen (Seaborg 1994, S. 172; atom ist also äußerst labil. Insgesamt führen die
Takahashi 2002). (Den Schmelzpunkt des Astats durch relativistische Effekte verursachten Ände-
berechnete man beispielsweise auf 309 °C (Luig rungen der Energieniveaus sogar dazu, dass im
et al. 2005), zuvor waren bereits gemessene Werte hypothetischen Molekül NhTs das Tennessatom
von 230 °C (Otozai und Takahashi 1982) bzw. der elektropositivere Partner ist.
411 °C (Sharma 2001, S. 147) veröffentlicht wor- Im Molekül des Tenness-I-fluorids (TsF) sollte
den. Die Dichte von Tenness wird mit 7,1–7,3 die stabilste Bindung aller Moleküle von Halogen-
g/cm3 erwartet (s. Tab. 6). I-fluoriden vorliegen (Han et al. 2000). Das
Die Halbwertszeiten bzw. Menge der „verfüg- Molekül des Tenness-III-fluorids (TsF3) sollte Be-
baren“ Isotope des Tenness sind zu kurz bzw. ge- rechnungen zufolge nicht wie die der anderen
ring, um aktuell chemische Versuche durchführen Halogen-III-fluoride eine T-förmige Struktur ha-
zu können. Trotzdem wurden einige chemische Ei- ben, sondern eher trigonal-planar gebaut sein.
genschaften des Elements in der Vergangenheit be-
reits berechnet (Moody 2013). Im Gegensatz zu den
niederen Halogenen sollte Tenness nur noch schwer
Literatur
ein Elektron zur Auffüllung der äußeren Elektronen-
schale (7s- und 7p-Orbitale) aufnehmen (Bae et al. Albers F (2013) Fundamentale Eigenschaften des seltens-
2003), denn das Normalpotenzial für die Reaktion ten natürlichen Elements vermessen (Deutsche Physi-
Ts2 + 2 e ! 2 Ts- wurde mit +0,2 V sogar positiv kalische Gesellschaft Bundesministerium für Bildung
berechnet, was in starkem Gegensatz zum Verhalten und Forschung. Welt der Physik, Bonn/Berlin
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der anderen Halogene steht. Elementares Tenness ist men to be remembered. Forgotten Books, London.
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Die σ-Bindung im zweiatomigen Molekül Ts2 Allison F (1932) Magneto-optic method of analysis as a new
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und wäre energetisch daher nicht mehr günstig; Allison F, Murphy EJ (1930a) A magneto-optic method of
dies deutete sich bei für Astat durchgeführten chemical analysis. J Am Chem Soc 52(10):3796.
Berechnungen (At2) schon an. Daher wird schon https://doi.org/10.1021/ja01373a005
für Ts2 ein starker π-Anteil der Bindung vorher- Allison F, Murphy EJ (1930b) Evidence of the presence of
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gesagt. Im Molekül des Tenness-I-chlorids (TsCl) Phys Rev 35(3):285. https://doi.org/10.1103/PhysRev.
sollte sogar eine reine π-Bindung vorliegen. 35.285.2
Neben der instabilen Oxidationszahl 1 sollte Allison F et al (1931) Evidence of the detection of element
Tenness vor allem in Form der stabilen Oxidati- 85 in certain substances. Phys Rev 37:1178–1180.
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onsstufe +1 auftreten, daneben wäre noch +3 Allison F et al (1932a) Further research on element 87.
möglich. Der +5-Zustand wird dagegen als kaum J Am Chem Soc 54(2):613. https://doi.org/10.1021/
wahrscheinlich berechnet, und +7 sollte unmög- ja01341a025
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444 7 Halogene: Elemente der siebten Hauptgruppe
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
2 Geschichte und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
3 Aufarbeitung, Trennung und Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 445
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_8
446 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
Alle Edelgase, eventuell mit Ausnahme des Die Einzeldarstellungen der insgesamt sieben
Oganessons, sind bei Raumtemperatur gasförmig Vertreter der Gruppe der Edelgase enthalten dabei
und haben für Gase teils hohe Dichten. Nur die alle wichtigen Informationen über das jeweilige
schwereren unter ihnen sind in der Lage, che- Edelgas, so dass nur eine kurze Einleitung voran-
mische Verbindungen zu bilden. gestellt wurde.
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B.
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- 2 Geschichte und Vorkommen
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die
meisten Elemente können sich untereinander ver- Bereits fand Henry Cavendish, dass die Luft außer
binden und bilden so chemische Verbindungen; so Stickstoff und Sauerstoff noch einen kleinen
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische Anteil anderer Bestandteile enthält, nachdem er
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz. Stick- und Sauerstoff miteinander zur Reaktion
Die in diesem Kapitel vorgestellten Edelgase gebracht und die dabei entstehenden Stickoxide
Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon abgetrennt hatte. Er führte seine Versuche aber
und Oganesson sind ebenso chemische Elemente nicht fort (Brock 1997).
wie die oft bekannteren Schwefel, Sauerstoff, Ei- 1868 entdeckten Janssen und Lockyer un-
sen, Wasserstoff, Kupfer oder Gold. Sie befinden abhängig voneinander eine gelbe Spektrallinie
sich im Periodensystem in der achten Hauptgrup- (λ ¼ 587,5 nm) im Sonnenlicht (Kochhar 1991)
pe (18 oder VIII A). und führten sie auf die Existenz eines bis zu die-
Einschließlich der natürlich vorkommenden sem Zeitpunkt unbekannten Elements zurück, das
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich sie Helium nannten. Auf der Erde konnte es erst-
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Peri- mals 1892 durch Spektralanalyse von Lava des
odensystem der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente Vulkans Vesuv nachgewiesen werden, in der es
auf. eingeschlossen war.
Die Atome der Edelgase besitzen jeweils eine Mehr als hundert Jahre nach Cavendishs ersten
abgeschlossene, „gesättigte“ Konfiguration der Versuchen, die Zusammensetzung der Luft genau-
Elektronen in der äußeren Elektronenschale. Das er zu untersuchen, entfernten Raleigh und Ram-
bedeutet, dass ihre Elektronenschalen entweder say den in einer Luftprobe vorhandenen Stickstoff
vollständig mit Elektronen besetzt oder leer sind durch Reaktion mit Magnesium vollständig und
(Edelgaskonfiguration). Dadurch, dass ihre Ato- isolierten dabei ein noch unbekanntes Gas, das sie
me nur vollständig gefüllte Atomorbitale besit- Argon nannten (Brock 1997).
zen, erklärt sich der Umstand, dass Edelgase nur Helium und Argon zeigten zu anderen Gasen
unter extremen Bedingungen chemische Reaktio- unterschiedliche Eigenschaften. So war der Quo-
nen eingehen. Sie bilden daher auch, anders als tient aus ihrer molaren Wärmekapazität Cp bei
z. B. Stickstoff, Sauerstoff oder die Halogene, konstantem Druck zu der bei konstantem Volu-
miteinander keine Moleküle, sondern sind einato- men gemessenen (Cv) mit 1,67 deutlich höher,
mig und bei Raumtemperatur allesamt gasförmig. wogegen Stickstoff, Sauerstoff und andere Gase
Die interatomaren Van der Waals’schen Kräfte deutlich niedrigere Werte zeigen (Bugge 1974).
sind relativ schwach; es gibt keine leeren oder Die darauf von Ramsay und Travers initiierte
teilweise besetzten Elektronenorbitale, die in der Suche nach weiteren Mitgliedern einer Elemen-
Lage wären, ausgeprägte chemische Bindungen tengruppe im Periodensystem führte 1898 zur
zwischen den Atomen und damit ein stabiles Entdeckung von Neon, Krypton und Xenon, die
Atomgitter herzustellen. Daher rührt die hohe sie durch fraktionierte Destillation voneinander
Flüchtigkeit dieser Elemente. Der Name „Edel- trennten (Brock 1997).
gase“ ihrer Gruppe ist von ihrer geringen che- 1900 entdeckte Dorn das Radonisotop 22286Rn
mischen Reaktivität abgeleitet, ähnlich wie dies als radioaktives Zerfallsprodukt des Radiums; er
bei den „Edelmetallen“ der Fall ist. nannte es zunächst Emanation (Em). Später ge-
2 Geschichte und Vorkommen 447
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
fundene, weitere Isotope des Radons (Rutherford, Gase wie Helium sowie durch Neubildung infolge
Debierne) hielt man in den ersten Jahren des 20. radioaktiven Zerfalls, wie es bei 4018Ar der Fall
Jahrhunderts für eigene Elemente. Eine genauere ist, das durch β-Zerfall des Kaliumisotops 4019K
Spektralanalyse des emittierten Lichts und der entsteht. Helium wird beim α-Zerfall schwerer
weiteren Eigenschaften ergaben, dass es sich bei Elemente wie Uran oder Thorium gebildet, Xenon
allen diesen Isotopen um dasselbe Element han- beim seltenen Spontanzerfall von Uran. Das Ra-
delte, das seit 1934 Radon genannt wird. Oganes- donisotop 22286Rn ist ein Zwischenprodukt in der
son, das letzte Element der Gruppe, erzeugte man vom Uranisotop 23892U ausgehenden Zerfallsrei-
am russischen Vereinigten Institut für Kernfor- he. Zerfallsvorgänge sind auch der Grund dafür,
schung (JINR) in Dubna nach mehreren zuvor dass Edelgase in Gesteinen eingeschlossen sind.
gescheiterten Versuchen (Oganessian et al. 2006). Helium tritt in einigen Uranerzen, Argon im Ba-
Das mit Abstand am häufigsten in der Erdatmo- salt der ozeanischen Kruste auf (Ballentine 2007).
sphäre vorkommende Edelgas ist mit 0,934 Vol.-% In der Regel gilt: Je schwerer die Atome eines
Argon, wogegen die anderen Edelgase darin deut- Edelgas sind, desto seltener ist dieses. Während
lich seltener sind. Helium ist immerhin noch Be- Helium nach Wasserstoff das zweithäufigste Ele-
standteil von Erdgas, an dem sein Anteil bis zu ment im Weltraum und auf der Erde ist, beide
16 Vol.-% betragen kann. Krypton, Xenon und Räume zusammengerechnet, kommen Neon und
vor allem Radon gehören zu den seltensten Ele- Argon im Universum immerhin noch sehr oft vor.
menten. Die Atome von Krypton und Xenon sind jedoch
Die Anteile der Edelgase in der Atmosphäre bereits zu schwer, als dass sie noch durch Kern-
verändern sich durch Entweichen leicht flüchtiger verschmelzung in Sternen gebildet werden kön-
448 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
nen, mit Ausnahme von seltenen Supernovae, und Über die Besonderheit des flüssigen Heliums
sind deswegen schon wesentlich seltener. wird im Kapitel „Helium“ berichtet. Nur Helium
kristallisiert im hexagonalen Kristallsystem, die
anderen Edelgase kubisch-flächenzentriert. Ent-
3 Aufarbeitung, Trennung und sprechend dem von Neon zu Radon ständig wach-
Herstellung senden Atomradius werden dann nur die Kanten-
längen des Gitters größer.
Abgesehen von größten Teil des Heliums und des Die Dichten der Edelgase sind proportional zur
Radons gewinnt man die Edelgase aus der Luft Atommasse des jeweiligen Elements. Helium und
nach dem Linde-Verfahren. Zunächst trennt man Neon haben eine geringere Dichte als Luft, wo-
durch fraktionierte Destillation Stickstoff und gegen Argon, Krypton, Xenon und Radon zum
Sauerstoff ab und überführt die Edelgase in eine Teil erheblich höhere Dichten aufweisen.
weitere Kolonne. Argon hat einen zu Sauer- und
Stickstoff ähnlichen Siedepunkt und muss daher
von diesen befreit werden. Die anderen Gase des- 4.2 Chemische Eigenschaften
tilliert man entweder fraktioniert ab (Krypton,
Xenon) oder adsorbiert sie an bestimmten Medien Obwohl alle Edelgasatome abgeschlossene Elek-
(Häussinger et al. 2006). tronenschalen besitzen, sind die schwereren unter
In den letzten Jahrzehnten ist für Helium die ihnen imstande, einige chemische Verbindungen
Gewinnung aus Erdgas am wichtigsten geworden. einzugehen. Der in diesen Fällen größere Abstand
Beispielsweise exportiert Algerien verflüssigtes, der Valenzelektronen vom Kern ist die Hauptursa-
heliumhaltiges Erdgas nach Europa, aus dem ro- che hierfür, da die Ionisierungsenergie dadurch
hes Helium durch Ausfrieren aller anderen Be- sinkt. Die meisten Verbindungen kennt man vom
standteile oder durch Membrandiffusion gewon- Xenon und nicht, wie zu erwarten wäre, vom
nen und danach feingereinigt wird (Häussinger Radon, da bei jenem die sehr kurzen Halbwerts-
et al. 2006). zeiten die gezielte Darstellung einzelner Verbin-
Alle Radonisotope haben nur sehr kurze Halb- dungen fast unmöglich machen.
wertszeiten; daher kann man Radon nicht in grö- Schon früh versuchte man, Verbindungen der
ßeren Mengen herstellen. Im Labormaßstab genügt Edelgase herzustellen. Reaktionen von Argon und
für diesen Zweck Radium. Das ausschließlich auf Fluor (1894, Moissan) bzw. von Krypton mit
künstlichem Weg zugängliche Oganesson erzeug- Chlor (1924, Antropoff) scheiterten bzw. lieferten
te man durch Beschuss von Californium- mit Cal- entgegen der Behauptung des Experimentators
cium-Atomen (Oganessian et al. 2006). nicht das gewünschte Ergebnis.
Als erste Verbindung eines Edelgases überhaupt
stellte Bartlett 1962 Xenonhexafluoroplatinat-IV
4 Eigenschaften dar; kurze Zeit später folgten Xenon-II-fluorid
(Hoppe et al. 1962) und Xenon-IV-fluorid
4.1 Physikalische Eigenschaften (Chernick und Claassen, ebenfalls 1962). Kurz
danach gelang die Synthese von Krypton-II-fluo-
Alle Edelgase sind unter Normalbedingungen ein- rid, erst im Jahr 2000 dagegen die des Argonfluo-
atomig, farb- und geruchslos. Sie kondensieren rohydrids.
bzw. erstarren erst bei sehr niedrigen Temperatu- Das einzige Element, das imstande ist, direkt
ren; dabei liegen die Schmelz- und Siedepunkte mit Xenon, Radon und unter bestimmten Bedin-
umso höher, je größer die Masse des betreffenden gungen auch Krypton zu reagieren, ist Fluor. Dabei
Edelgasatoms ist. So beträgt der Siedepunkt des sind die Xenon- und Radonfluoride bei Raumtem-
Heliums 4,2 K (268,95 °C) und der des Radons peratur beständig. Andere Elemente wie Sauerstoff
als schwerstem Edelgas immer noch nur 211,9 K reagieren nicht direkt mit Edelgasen, aber durch
(61,25 °C). Reaktionen der jeweiligen Fluoride des Edelgases
5 Einzeldarstellungen 449
sind dessen Verbindungen mit anderen Elementen radioaktiver Stoffe gebildete Heliumgas (Ramsay
herstellbar. 1895). Auch er registrierte die gelbe D3-Linie
Neon gilt als das am wenigsten reaktive Edel- nach Ausfrieren des miterzeugten Stickstoffs und
gas (Lewars 2008), jedoch gehen selbst die reak- Sauerstoffs. Nahezu dieselben Versuche führten
tionsfähigsten unter ihnen nur unter Anwendung um die gleiche Zeit Crookes (Kurzbiografie siehe
drastischer Bedingungen chemische Reaktionen „Europium“) sowie Cleve (Kurzbiografie siehe
ein. Es gab daher auch lange keine Zahlenwerte „Praseodym“) und Langlet durch, die auch die
ihrer Elektronegativitäten; in der Pauling-Skala ist ungefähre Atommasse des Gases bestimmten.
Xenon der Wert 2,6 und Krypton der von 3,0 1908 gelang die erstmalige Verflüssigung des
zugeordnet. Die Skalen nach Mulliken sowie Heliums durch Onnes, aber das feste Element
Allred-Rochow erlauben die Berechnung der Elek- konnte er noch nicht erhalten. Erst Keesom er-
tronegativität für die übrigen Edelgase. Diese sind zeugte 1926 festes Helium durch Komprimieren
für die leichteren Edelgase sehr hoch [z. B. Helium: des Heliums auf 25 bar Temperaturen unter 1 K
5,50 (Allred-Rochow) bzw. 4,86 (Mulliken)] (Al- (272,15 °C).
len und Huheey 1980).
Der französische Astronom Pierre Jules
César Janssen (* 22. Februar 1824 Paris;
5 Einzeldarstellungen
† 23. Dezember 1907 Meudon) erteilte nach
Abschluss seines Studiums ab 1853 zu-
Im folgenden Teil sind die Edelgase jeweils ein- nächst Unterricht am Pariser Lycée Charle-
zeln mit ihren wichtigen Eigenschaften, Herstel- magne. 1857 reiste er nach Peru zur Bestim-
lungsverfahren und Anwendungen beschrieben. mung des magnetischen Äquators. Anfang
der 1860er-Jahre befasste er sich mit den
„tellurischen“ Linien des Sonnenspektrum
5.1 Helium und wies nach, dass sie durch Absorption
von Wasserdampf in der Erdatmosphäre
Geschichte Der französische Astronom Janssen herrühren. Generell reiste er zwecks astro-
entdeckte als Erster eine hellgelbe Spektrallinie nomischer Studien viel: 1867 auf die Azo-
bei 587,5 nm in der Chromosphäre der Sonne, ren, 1870/1882 nach Algerien und 1874
dies während einer totalen Sonnenfinsternis in nach Japan.
Indien 1868, und führte deren Auftreten auf das
Vorhandensein eines neuen Elements zurück. Von 1865 bis 1871 unterrichtete Janssen in
Noch im gleichen Jahr bestätigte Lockyer diese einer Architektenschule. 1873 wählte in die
Entdeckung und untermauerte Janssens These, Akademie der Wissenschaften (Académie
dass der Urheber ein bis dahin noch unbekanntes des Sciences) zu ihrem Mitglied. Seit 1875
war er auswärtiges Mitglied der britischen
Element war. Diese Spektrallinie liegt sehr nahe
Royal Society; im gleichen Jahr wurde
an den beiden Fraunhofer-Linien des Natriums
Janssen Direktor des Astrophysikalischen
(D1: 589,6 nm, D2 ¼ 589,0 nm) des Metalls
Instituts in Meudon. 1879 wählte in die
Natrium, daher nannte er diese Linie D3, um sie
Edinburgher Royal Society zum Ehrenmit-
von den beiden Spektrallinien des Natriums zu
glied. Janssen nahm als einer der Ersten
unterscheiden. Lockyer und Frankland schlugen Fotos von der Sonne auf und veröffentlichte
als Namen für das neue Element Helium vor. Erst diese später im „Atlas de photographies so-
1882 wies Palmieri in der vom Vulkan herabströ- laires“. Sein Interesse an der Astronomie
menden, glühenden Lava Helium erstmals auf der veranlasste ihn, 1893 den Mont Blanc zu
Erde nach. besteigen und vier Tage auf dessen Gipfel
1895 gab Ramsay (Kurzbiografie siehe „Kryp- zu bleiben, nur um die Sonne zu beobach-
ton“) Mineralsäure zu einem Uranerz und isolierte ten. 1904 nahm in die Russische Akademie
aus diesem unter Anderem das durch α-Zerfall
450 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
der Wissenschaften als korrespondierendes aufgang am 21. Juni eines Jahres ausgerich-
Mitglied auf. tet war, woraus er die Verschiebung der
Richtung des Sonnenaufgangs wegen der
Der englische Astronom Sir Joseph Nor- Präzession der Erdachse berechnete (Lo-
man Lockyer (* 17. Mai 1836 Rugby; † 16. ckyer und Penrose 1901).
August 1920 Salcombe Regis) begann 1857
seine Laufbahn als Beamter im britischen Der italienische Naturwissenschaftler Luigi
Kriegsministerium und wurde 1862 Mit- Palmieri (* 22. April 1807 Faicchio; † 9.
glied der Royal Astronomical Society. 1868 September 1896 Neapel) studierte Physik,
entdeckte er unabhängig von Janssen eine Mathematik und Philosophie an der Univer-
auf die Gegenwart von Helium zurück- sität Neapel. 1847 wurde er dort zum Pro-
zuführende Spektrallinie im Sonnenlicht, fessor für Logik und Metaphysik berufen.
er schlugen als Namen für das neu identifi- Palmieri leitete von 1855 bis 1896 das Ve-
zierte Element „Helium“ vor. suv-Observatorium bei Neapel. Da Palmieri
in einem erdbebengefährdeten Gebiet lebte,
Die noch heute bestehende wissenschaftli- entwickelte er einen elektromagnetischen
che Zeitschrift „Nature“ gründete Lockyer Seismografen und ein Gerät zur Messung
1869 und blieb deren Herausgeber bis 1919. der elektrischen Spannung in der Atmosphä-
Zwei Jahre später, 1871, wurde er Assistant re. 1882 konnte er durch Spektralanalyse
Commissioner der Royal Commission on glühender Lava des Vesuvs erstmalig Helium
Scientific Instruction and the Advancement auf der Erde nachweisen. Den Mondkrater
of Science. In den Folgejahren unternahm Palmieri benannte man nach ihm (Schettino
Lockyer mehrere Fernreisen zu Forschungs- 2014).
zwecken. 1881 erhielt Lockyer den Ruf an
das Royal Institute of Science und leitete ab Der niederländische Physiker Heike Ka-
1885 das neu gegründete Sonnenobservato- merlingh Onnes (* 21. September 1853
rium in South Kensington. 1912 gründete er Groningen; † 21. Februar 1926 Leiden) stu-
sein eigenes Observatorium in Salcombe dierte nach seinem Schulabschluss ab 1870
Hill. Er befasste sich zeitlebens intensiv Physik an der Reichsuniversität Groningen
mit der Sonne, ihrem Licht, ihrer Rotations- und wechselte von 1871 bis 1873 an die
periode und ihrer möglichen Zusammenset- Universität Heidelberg. 1879 promovierte
zung. Lockyer wurde 1892 Vizepräsident er mit der Arbeit „Nieuwe bewijzen voor
der Royal Society, gehörte als korrespon- de aswenteling der aarde“ („Neue Beweise
dierendes Mitglied der Pariser Académie für die Drehung der Erde“) zum Doktor der
des Sciences und seit 1904 auch der Russi- Physik. 1882 erhielt Kamerlingh Onnes die
schen Akademie der Wissenschaften in Berufung als Professor für experimentelle
Sankt Petersburg an. 1915 wurde er Mit- Physik an die Universität Leiden und war
glied der American Academy of Arts and von 1903–1904 deren Rektor. 1883 wurde
Sciences (Courtie 1921; Meadows 1972; er Mitglied der Königlich Niederländischen
Wilkins 1994). Akademie der Wissenschaften, ab 1916
auswärtiges Mitglied der Londoner Royal
Lockyer veröffentlichte seine Beobachtun- Society, 1920 Mitglied der britischen Na-
gen über die in früheren Jahrtausenden von tional Academy of Sciences und der franzö-
Bauherren geübte Ausrichtung von Bauwer- sischen Académie des Sciences. Außerdem
ken nach dem Sonnenstand 1894 in seinem wählte ihn 1922 die Preußische Akademie
Buch „The Dawn of Astronomy“. Beispiels- der Wissenschaften zum korrespondieren-
weise gelang ihm durch Berechnungen der den Mitglied, 1925 die Leopoldina und die
Nachweis, dass der zentrale Stein des Mo- sowjetische Akademie der Wissenschaften
numents von Stonehenge auf den Sonnen- jeweils als auswärtiges Mitglied.
5 Einzeldarstellungen 451
Tritiumkerne werden in Kernreaktoren auch als Bei Temperaturen unter 270,97 °C (2,18 K),
Nebenprodukt des Neutroneneinfangs von Borato- dem sog. Lambdapunkt, wird 42He supraflüssig
men (105B) gebildet, das man in Druckwasserreak- (Helium II). Es fließt dann durch kleinste Öffnun-
toren zur Regelung der Leistung einsetzt: gen eines Durchmessers von 10 bis 100 nm und
besitzt praktisch keine Viskosität. Die von Tisza
10
5B þ 1 0 n ! 3 1 H þ 8 4 Be entwickelte Theorie des Zwei-Flüssigkeiten-Mo-
dells geht vom gleichzeitigen Vorhandensein so-
Die Kerne des Tritiums erleiden dann β-Zerfall wohl „normal“ flüssigem als auch supraflüssigen
4
zu 32He. 2He in Helium II aus und erklärt einige Phäno-
mene der Tieftemperaturphysik zutreffend (Enns
Eigenschaften Helium kommt nur atomar vor und Hunklinger 2000).
und wird erst nahe der Temperatur des absoluten Helium II bewegt sich auf Oberflächen, die aus
Nullpunkts (0 K bzw. 273,15 °C) flüssig. Als ihm herausragen, gegen die Schwerkraft nach
einzige Substanz wird es selbst bei dieser tiefen oben (Onnes-Effekt). Da Helium II deshalb leicht
Temperatur unter Normaldruck nicht fest. Es ist unversiegelten Behältern entweicht, ist es schwie-
neben seinem Homologen Neon das einzige Ele- rig, flüssiges Helium in einem begrenzten Raum
ment, das selbst unter extremen Bedingungen kei- zu halten.
ne chemischen Verbindungen eingeht, die nicht Bei Normaldruck wird Helium selbst bei einer
sofort nach ihrer Synthese wieder zerfallen. Temperatur nahe von 273,15 °C (0 K) nicht fest.
Helium ist ein farbloses, geruchloses und un- Erst bei höheren Drücken >2,5 MPa (ca. 25 bar)
giftiges Gas. Unter Standardbedingungen verhält und unterhalb einer Temperatur von 271,65 °C
sich Helium nahezu wie ein ideales Gas. Das (1,5 K) erstarrt es. Festes Helium ist stark kom-
Gewicht eines m3 Helium beträgt bei Standard- primierbar (Leute 2004).
bedingungen 179 g; die Dichte von Luft ist dage-
gen rund siebenmal so hoch. Es besitzt nach Was- Verbindungen Helium ist selbst im Vergleich zu
serstoff die größte Wärmeleitfähigkeit aller Gase; anderen Edelgasen reaktionsträge. Ursache hier-
auch seine spezifische Wärmekapazität ist sehr für sind die extrem hohen Ionisierungsenergien
hoch. Helium ist zudem ein guter elektrischer des Heliumatoms. Durch elektrische Entladungen
Isolator. In Gasentladungsröhren leuchtet Helium in einem aus Wasserstoff und Helium bestehenden
mit gelblich-rosa Farbe. Gemisch bzw. in reinem Helium ist die Herstel-
Die Löslichkeit von Helium in Wasser ist die lung ionischer Agglomerationen wie HHe+ bzw.
niedrigste aller Gase. Es diffundiert im Unter- HeHe+ möglich. Diese sind aber keine echten
schied zu Luft leicht durch Festkörper und wird chemischen Verbindungen und zerfallen sofort
hierin nur noch von Wasserstoff übertroffen (Ham- nach ihrer Bildung wieder.
pel 1968). Unter Standardbedingungen weist He- Kürzlich gelang es Forschern aber, durch
lium einen negativen Joule-Thomson-Koeffizienten Anwendung extrem hoher Drücke auf ein aus
auf (Erwärmung bei Ausdehnung). Erst unterhalb Helium und Natrium bestehendes Gemisch in ei-
der Inversionstemperatur (ca. 233 °C/40 K bei ner Diamantstempelpresse eine kristalline Verbin-
Atmosphärendruck) kühlt es sich bei Expansion dung der Zusammensetzung Na2He zu erzeugen.
ab. Helium muss man erst unter diese Temperatur Die Heliumatome liegen auf den Zentralpunkten
vorkühlen, bevor man es durch Expansionsküh- eines kubisch-innenzentrierten Gitters, sind also
lung verflüssigen kann. von acht Natriumatomen umgeben. Ebenso ge-
Helium ist nach Wasserstoff das chemische lang der Arbeitsgruppe der Nachweis einer wei-
Element mit der geringsten Dichte und besitzt teren Verbindung, des Na2HeO (Oganov et al.
zudem die niedrigsten Schmelz- und Siedepunkte 2017).
aller Elemente. Unterhalb von 269 °C (4,15 K)
wird es bei Normaldruck flüssig (Helium I) Anwendungen Helium findet mittlerweile in
(s. Tab. 1). sehr vielen Anwendungen Einsatz. In der Inten-
5 Einzeldarstellungen 453
sivmedizin verwendet man ein Helium-Sauer- Steigerung der Einbrenntiefe und der Geschwin-
stoff-Gemisch (80:20) als Atemgas, das mit gerin- digkeit des Schweißvorganges.
gerem Widerstand durch Verengungen strömt. Es ist ein Kühlmittel zum Erreichen sehr tiefer
Beim Tauchen setzt man es als Atemgas ein [Tri- Temperaturen. Die Verwendung von 42He erlaubt
mix (Sauerstoff, Stickstoff, Helium), Hydreliox durch Verdampfungskühlen das Erreichen von Tem-
(Wasserstoff, Helium, Sauerstoff) und Heliox peraturen bis ca. 1 K, die von 32He bis ca. 240 mK.
(Helium, Sauerstoff)]. Die kostengünstige 32He-42He-Mischungsküh-
In der lebensmittelverarbeitenden Industrie dient lung erzielt sogar eine Abkühlung auf 5 mK (Wie-
es als Treib- oder Packgas (Lebensmittelzusatz- be 2003).
stoff E 939) (ZZulV). Wegen seiner Unbrennbar- Werden Supraleiter eingesetzt, hilft das als
keit und des gegenüber Luft immer noch sehr Kühlmittel verwendete Helium, diese unter ihrer
großen Dichteunterschieds hat es Wasserstoff aus Sprungtemperatur zu halten, wie z. B. in der Kern-
Sicherheitsgründen meist verdrängt. spintomografie (MRT), der Kernresonanzspektro-
In der Schweißtechnik setzt man Helium als skopie (NMR), in Teilchenbeschleunigern und in
Inertgas zum Schutz der Schweißstelle vor Sauer- der Raumfahrt (Infrarotteleskope und Infrarotka-
stoffzutritt ein. Dadurch erzielt man auch eine meras in Weltraumteleskopen).
454 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
gittern anderer Verbindungen physikalisch einge- (Lewars 2008). Die Elektronegativitätsskala nach
schlossen wäre, sind noch nicht nachgewiesen Allen führt Neon, nicht Helium, als das elektro-
worden; eine Ausnahme ist das bei sehr hohem negativste Element auf, dicht gefolgt von Fluor
Druck (0,35–0,48 GPa) und Temperaturen um und Helium.
30 °C gebildete Chlathrat aus Eis und Neon Nur massenspektrometrische Untersuchungen
(Yu et al. 2014). In diesem Chlathrat sind die geben Hinweise zumindest auf neonhaltige Ionen
Neonatome aber nicht chemisch an Wassermole- (Ne+, ArNe+, HeNe+ und HNe+) (Lide).
küle gebunden, können sich frei im Eis bewegen
und sind aus diesem durch Lagern des Eises in Anwendungen Da Neon wesentlich seltener und
einer Vakuumkammer entfernbar. Theoretische darüber hinaus auch schwieriger zu gewinnen ist
Berechnungen lassen vermuten, dass Neon das als Argon, setzt man es in nur geringen Mengen
am wenigsten reaktive Element ist. Selbst das ein. Die bekannteste Anwendung sind die Leucht-
Neon-Analogon der nach Berechnung stabilen röhren oder Neonlampen, in denen Neon durch
Heliumverbindung HHeF sollte nicht stabil sein Gasentladungen in einer typischen orangeroten
5 Einzeldarstellungen 457
Farbe zum Leuchten angeregt wird. Auch in Blitz- nenem Stickstoff unterschiedlich waren (Strutt
und Stroboskoplampen verwendet man es als 1892). 1894 wiederholte Strutt zunächst die von
Füllgas. Cavendish durchgeführten Versuche und bestätig-
In Helium-Neon-Lasern erreicht man die erfor- te dessen Resultat der Existenz eines nichtreak-
derliche Besetzungsinversion durch Anregung tiven Gasrückstands. Diesen leitete er über glü-
des Heliums und strahlungslosen Übergang von hendes Magnesium, dass mit Stickstoff zum
Elektronen zum Neon. Die stimulierte Emission Magnesiumnitrid reagiert und diesen somit bin-
erfolgt vom Neonatom bei Wellenlängen von det. Dabei stieg die Dichte des nun noch gerin-
632,8 nm (rot) sowie 1152,3 nm und 3391 nm gervolumigen Gasrückstandes weiter an. Anfang
(beide im Infraroten). 1895 veröffentlichten Ramsay und Strutt die Ent-
Der Einsatz flüssigen Neons als Kühlmittel hat deckung des neuen Elements, das sie „Argon“
gegenüber Helium und Wasserstoff den Vorteil [nach „α᾿ ργóς“ (argos), „träge“], nannten (Meurig
einer erheblich höheren Kühlleistung (Stenger Thomas 2004). Einige Jahre später arbeitete Ram-
et al. 2006). say dieses rohe Argon weiter auf und entdeckte
Die Verwendung von Neon in Mischung mit sowohl das leichtere Homologe des Argons, Ne-
Sauerstoff als Atemgas für das Tauchen erfolgt on, als auch die zwei schwereren, Krypton und
wesentlich seltener als die des Heliums, da Neon Xenon (Ramsay 1904). Die ersten Elektronenröh-
teurer ist und auch einen größeren Atemwider- ren, die als Gleichrichter bei niedrigen Spannun-
stand aufweist (Bove und Davis 2004; Francis gen eingesetzt wurden (Tungar-Röhren), waren
et al. 1972). mit Argon gefüllt und enthielten eine Wolfram-
kathode und eine Grafitanode (von Schröter
1920).
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https://
worldwide.espacenet.com) Der englische Physiker John William
Strutt, 3. Baron Rayleigh (* 12. No-
Findlay et al., LED simulated neon with vember 1842 Langford Grove; † 30. Juni
structural reinforcement (Elemental LED, 1919 Witham) studierte ab 1861 am Trinity
Inc., US 10520143 B1, veröffentlicht 31. College in Cambridge Mathematik. Nach
Dezember 2019) dem Abschluss des Studiums erhielt er dort
ein fünfjähriges Stipendium bis 1871. Ab
1873 musste er nach dem Tod seines Vaters
zunächst dessen landwirtschaftlichen Be-
5.3 Argon trieb weiterführen, übergab diese Aufgabe
aber 1876 an seinen jüngeren Bruder.
Geschichte Im Rahmen der von Cavendish
1879 erhielt er die Professur für Experimen-
(Kurzbiografie siehe „Wasserstoff“) schon 1783
talphysik sowie die Leitung des Cavendish-
durchgeführten Versuche zur Untersuchung der che-
Laboratoriums in Cambridge. Strutt war
mischen Reaktionsfähigkeit der in der Luft ent-
Mitglied einiger wissenschaftlicher Vereini-
haltenen Gase verblieb immer ein kleiner Rück-
gungen (1873 Royal Society, deren Prä-
stand. Cavendish ließ elektrische Entladungen auf sident er von 1905 bis 1908 war, ferner ab
ein Gemisch aus Stick- und Sauerstoff einwirken, 1886 sowohl korrespondierendes Mitglied
die eine Umsetzung zu Stickoxiden zur Folge hat- der Göttinger Akademie der Wissenschaf-
ten, die er mit Wasser auswusch. Cavendish hinter- ten als auch Mitglied der American Philoso-
fragte dieses Ergebnis aber nicht und führte die phical Society und der schottischen Royal
Versuche nicht fort (Brock 1997, S. 211). Society of Edinburgh, um einige zu nen-
Gut 100 Jahre später notierte Strutt, dass die nen). Von 1908 bis 1919 war er Kanzler
Dichten von aus Luft und aus Ammoniak gewon- der Universität von Cambridge.
458 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
(Schubert 1974), der kritische Punkt bei einer me (+60 kJ/mol) Krypton-II-fluorid (KrF2; Leh-
Temperatur von 63,75 °C, einem Druck von mann et al. 2002). Weitere Möglichkeiten der
5,5 MPa sowie einer kritischen Dichte von Darstellung sind die UV-Fotolyse oder der Be-
0,909 g/cm3 (Römpp). In 1 L Wasser lösen sich schuss von Krypton/Fluor-Mischungen mit Pro-
bei 0 °C höchstens 110 ml. tonen. Dabei entstehen jeweils Fluor-Radikale,
In Gasentladungsröhren leuchtet Krypton mit die imstande sind, mit Krypton zu reagieren.
blass rosafarbenem Licht. Krypton-II-fluorid hat die Dichte 3,24 g/cm3,
bildet farblose Kristalle und sublimiert bei einer
Verbindungen Wie die anderen Edelgase ist Temperatur von 77 °C unter Zersetzung. Die Ver-
Krypton sehr reaktionsträge. Nur mit Fluorradika- bindung ist auch sonst sehr instabil und zersetzt
len reagiert es bei einer Temperatur von 196 °C sich bei Raumtemperatur innerhalb weniger Tage.
unter Bestrahlung mit UV-Licht oder in elektri- Mit Wasser und den meisten organischen Verbin-
schen Entladungen, dabei entsteht das endother- dungen reagiert Krypton-II-fluorid unter Explosion.
5 Einzeldarstellungen 463
Z. Chen et al., Method and device for separa- Der britisch-amerikanische Chemiker Neil
Bartlett (* 15. September 1932 Newcastle-
ting and purifying krypton and xenon
upon-Tyne; † 5. August 2008 Walnut
(Hangzhou Branch Beijing Sinoscience
Creek, CA) studierte nach seinem Schul-
Fullcryo Technologies, Co., Ltd., CN
abschluss Chemie an der University of Dur-
111174530 A, veröffentlicht 19. Mai
ham, wo er 1958 promovierte. Im gleichen
2020) Jahr ging er an die University of British
N. O. Krivulin et al., Method of forming Columbia in Vancouver (Kanada), wo er
hexagonal silicon phase by implanting später habilitierte und den Durchbruch in
krypton ions in a film of silicon oxide on der Chemie der Edelgase erreichte. Bei sei-
a microcrystalline silicon wafer (Federal- ner Forschung ging Bartlett zunächst vom
noe Gosudarstvennoe Avtonomnoe Obra- Disauerstoff (O2) aus, den Platin-VI-fluorid
zovatelnoe Uchrezdenie Vysshego Obra- mühelos zum Dioxygenyl-Kation (O2+) oxi-
zovaniya Natsionalnyj, RU 2710479 C1, diert. Da die erste Ionisierungsenergie eines
veröffentlicht 26. Dezember 2019) Xenonatoms ungefähr gleich zu derjenigen
H. C. Kim et al., Adsorption device for des Disauerstoffmoleküls ist, ließ Bartlett
krypton and method for adsorbing kryp- Xenon mit Platinhexafluorid reagieren. Da-
ton using the same (Korea Atomic Ener- bei bildete sich aber ein Gemisch aus Flu-
gy Research, KR 20190114428 A, ver- oroxenyl-Verbindungen; dies waren die ersten
öffentlicht 10. Oktober 2019) überhaupt dargestellten Edelgasverbindun-
gen. Kurz danach stellte Rudolf Hoppe in
Münster erstmals Xenon-II-fluorid (XeF2) dar.
Vorkommen Im Weltall kommt Xenon in be- Eigenschaften Xenon ist ein einatomiges, farb-
merkenswerter Menge vor (Cameron 1970), aber loses und geruchloses Gas, das bei Temperaturen
auf der Erde ist es das seltenste stabile Element. von 108 °C kondensiert bzw. 111,45 °C er-
Sein Anteil an der Erdatmosphäre beträgt gerade starrt (s. Tab. 5). Wie die anderen Edelgase außer
einmal 0,09 ppm (Häussinger et al. 2006). In den Helium kristallisiert auch Xenon kubisch-dichtest
Magnesiumsilikat-Gesteinen des Erdmantels löst (Schubert 1974). Mit einer Dichte von ca. 5,9 kg/m3
es sich deutlich schlechter als die leichteren Edel- (bei einer Temperatur von 0 °C und einem Druck
gase (Shcheka und Keppler 2012). von 1013 hPa) hat Xenon eine fast fünfmal höhe-
Meerwasser jedoch, wie auch einige bestimm- re Dichte als Luft. Der Tripelpunkt liegt bei
te Gesteine (z. B. Granit), weisen einen geringen 111,78 °C und 0,8165 bar (Ziegler et al. 1966),
Xenongehalt auf. Dies ist dem Spontanzerfall ei- der kritische Punkt bei 16,6 °C, 5,84 MPa und
niger Isotope des Thoriums und Urans geschuldet einer kritischen Dichte von 1,1 g/cm3 (Römpp).
(Hintenberger 1972), weswegen die CTBTO die Xenon erhält metallische Leitfähigkeit, wenn
Konzentration des Xenons als Indikator für Atom- es auf eine Temperatur von 241,15 °C unter
466 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
gleichzeitig hohem Druck (33 GPa) abgekühlt Xenonverbindungen. (Radon hat sogar noch ge-
wird (Römpp). ringere Ionisierungsenergien, aber wegen der re-
In Gasentladungsröhren leuchtet Xenon blau. lativ kurzen Halbwertszeiten der Radonisotope
Wie alle Edelgase besitzt Xenon nur vollstän- sind dessen Verbindungen schwerer zu isolieren
dig aufgefüllte äußere Elektronenschalen. Es liegt und zu charakterisieren.)
nur einatomig vor und besitzt geringe Reaktivität. Direkt reagiert Xenon nur mit Fluor. In Abhän-
Die Ionisierungsenergien der äußersten Elektro- gigkeit vom Verhältnis von Xenon zu Fluor ent-
nen liegen aber deutlich niedriger als bei den stehen daher bei erhöhter Temperatur und jeweils
leichteren Homologen, so dass sie auch abzuspal- exotherm Xenon-II-, Xenon-IV- oder Xenon-VI-
ten sind, und Xenon daher chemische Verbindun- fluorid. Die meisten Verbindungen mit anderen
gen eingehen kann. Elementen wie Sauerstoff oder Stickstoff sind
Xenon ist zusammen mit Radon das reaktions- jedoch nicht stabil und nur durch Anwendung
fähigste Edelgas; man kennt inzwischen einige elektrischer Entladungen auf Xenonfluoride oder
5 Einzeldarstellungen 467
Xenon-II-chlorid bei tiefen Temperaturen zugäng- Bei schnellem Erhitzen zersetzt sich die Ver-
lich (Holleman et al. 2007). bindung explosionsartig wegen der starken Zu-
Das Gas bildet einige Xenon-Clathrate, wie nahme des Gasvolumens zu Xenon und Fluor.
etwa mit Wasser bei Temperaturen unter 40 °C. Mit leicht entzündlichen Stoffen wie Aceton,
Xenon ist dabei im Eis eingeschlossen (Pietrass Magnesiumpulver, Fetten oder Papier kann die
et al. 1995). Xenon löst sich auch zu einem ge- Verbindung ebenfalls unter Explosion reagieren
wissen Grad in Wasser (Haselmeier et al. 1995); (Roth und Weller 2014; Yang et al. 1970). Wasser-
sind in diesem Salze gelöst, so neigen größere stoff überführt Xenon-II-fluorid bei Temperaturen
Ionen zur Anlagerung an die Xenonatom unter von 400 °C zu Xenon und Fluorwasserstoff (Steu-
Bildung anionischer Komplexe (Holz 1995). del 2014, S. 570).
Als starkes Oxidations- und Fluorierungsmittel
Verbindungen Xenon-II-fluorid (XeF2) ist in findet es manchmal in der organischen Synthese
Gegenwart von Nickel-II-fluorid oder Fluor- Verwendung (Bartlett 1962; Hoppe 1964). So wan-
wasserstoff durch UV-Bestrahlung eines Gemi- delt es aliphatische Carbonsäuren in Fluoralkane
sches der Elemente darstellbar. Die Reaktion ist derselben Zahl von Kohlenstoffatomen um (Abb. 5).
mit 164 kJ/mol exotherm (Holleman et al. Aromatische C–H-Bindungen werden in die
2017, S. 464; Tramsek und Zemva 2006). Die entsprechenden C–F-Bindungen überführt (Smith
Verbindung kann man auch durch die Reaktion und March 2001). Die dirigierende Wirkung der
von Xenon mit Iodheptafluorid oder durch Um- Substitution erfolgt gemäß den Regeln der elek-
setzung von Tetrafluormethan mit Xenon erzeu- trophilen aromatischen Substitution. Alkene wer-
gen. Xenon-II-fluorid bildet farblose Kristalle den an der C¼C-Bindung fluoriert. Aromatische
(siehe Abb. 4) der Dichte 4,32 g/cm3 von ekel- Ketone und Aldehyde reagieren mit Xenon-II-
erregendem Geruch, die bei einer Temperatur von fluorid in Gegenwart katalytischer Mengen von
128,6 °C schmelzen (Weeks und Matheson 1966; Fluorwasserstoff oder Siliciumtetrafluorid unter
Riedel und Janiak 2015, S. 416). Bei Normaldruck Umlagerung zu difluorsubstituierten Ethern (Zajc
sublimiert es bei 114,35 °C; der Tripelpunkt liegt bei und Zupan 1970; Tamura et al. 2004) (Abb. 6):
129,03 °C bzw. 1,883 bar (Schreiner et al. 1968). Ein Gemisch aus Magnesium und Xenon-II-
Die kritische Temperatur liegt bei 358 °C, der fluorid ist als hochbrisantes Pyrotechnikum inte-
kritische Druck bei 93,2 bar, die kritische Dichte ressant und verbrennt mit einer 2300 °C heißen
bei 1,14 g/cm3 und das kritische Volumen bei Flamme (Koch et al. 2008).
149 cm3/mol (Ogrin et al. 1972). Die Kristall- Xenon-IV-fluorid (XeF4) erhält man durch Um-
struktur ist tetragonal mit isolierten Xenon-II- setzung von Xenon mit Fluor bei Drücken um
fluorid-Molekülen (Raumgruppe 139; Wu et al. 6 bar und Temperaturen von 400 °C (Riedel und
2017); die Bindungslänge Xe-F beträgt 198 pm Janiak 2015, S. 416; Malm und Chernick 1966).
(Lewy und Agron 1963). Bei stark erhöhtem Ebenfalls möglich ist die Reaktion von Xenon
Druck (28 GPa) bildet sich eine orthorhombische mit Sauerstoffdifluorid oder die Umsetzung von
Struktur (Raumgruppe 71). Xenon-II-fluorid mit überschüssigem Fluor bei
Überdruck und hoher Temperatur. Die Verbin-
dung ist mit 278 kJ/mol stark exortherm und
bildet unter Normalbedingungen farblose Kristal-
le (Hoppe 1964; s. Abb. 7).
Das Molekül des Xenon-IV-fluorids besitzt ei-
ne quadratisch-planare Struktur; die Länge der
Xe-F-Bindung beträgt im Feststoff 195,3 pm, im
gasförmigen Zustand bei gleicher Struktur 194 pm.
Xenon-IV-fluorid sublimiert bei 115,75 °C; der
Tripelpunkt liegt bei 117,1 °C und einem Druck
Abb. 4 XeF2-Kristalle (Andif1 2012) von 1,082 bar (Schreiner et al. 1968). Die kriti-
468 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
Menger das Anion der instabilen Xenonsäure dann Sauerstoff und Xenon nicht mehr gas-
(H2XeO4) (Appelman 1968). förmig sind.
Aus den Elementen ist die Verbindung nicht Eine auf den ersten Blick höchst ungewöhnli-
herstellbar. Daher setzt man zunächst unter hohem che Reaktion gehen Xenon und sogar Krypton mit
Druck und hoher Temperatur Xenon mit Fluor zu einem elektrophilen Anion wie B12Cl11 ein. Die-
Xenon-II-fluorid um, das dann beim Erhitzen und se Addition verläuft bei Raumtemperatur spontan;
Gegenwart weiteren Fluors teils unter Dispropor- es entsteht ein [B12Cl11Ng]-Addukt (Ng¼Xe
tionierung zu Xenon-IV-fluorid reagiert. Aus je- bzw. Kr), In den Molekülen liegen kovalente
nem bildet sich schließlich Xenon-VI-fluorid, das B-Ng-Bindungen mit beträchtlichen Bindungs-
durch Lauge dann zu Xenon-VI-oxid hydrolysiert energien (80–100 kJ/mol) vor. An den reaktiven
wird. Stellen (Boratomen) des Moleküls [B12Cl11] ist
Xenon-VI-oxid addiert im stark Alkalischen überraschenderweise die Annäherung polarer Mo-
OH-Ionen unter Bildung von HXeO4, das lang- leküle erschwert, die Anlagerung unpolarer Spezies
sam zu Perxenat (XeO64) und Xenon dispropor- wie die der Edelgasatome aber begünstigt. Für die-
tioniert. Auch ein Zusatz von Ozon zu Xenon-VI- ses neue Konzept einer chemischen Bindung wur-
oxid bildet Perxenate, in denen Xenon in seiner de der Begriff „Dipol-diskriminierendes elektro-
höchstmöglichen Oxidationsstufe +8 vorliegt. philes Anion“ eingeführt (Rohdenburg et al. 2017).
Farblose bis gelbe Alkali- und Erdalkaliperxenate
sind dabei sogar isolierbar. Die Zugabe konzen- Anwendungen Xenon dient oft als Füllgas in
trierter Schwefelsäure setzt aus den perxenathalti- Lampen. In Gasentladungslampen erzeugt das io-
gen Lösungen das gasförmige, stark explosive nisierte Gas ein dem Tageslicht ähnliches Licht.
Xenon-VIII-oxid (XeO4) frei. Xenon-VI-oxid Diese Xenonlampen findet man etwa in Filmpro-
und Perxenate gehören zu den stärksten bekann- jektoren, Befeuerungen von Start- und Landebah-
ten Oxidantien. Der quantitative Nachweis auf nen auf Flughäfen und in Blitzlichtlampen (Häus-
Xenon-VI-oxid in wässriger Lösung erfolgt durch singer et al. 2006). Diese auch seit vielen Jahren in
Zugabe von Iodid, das sofort zu Iod oxidiert wird Scheinwerfern von Autos eingebauten Lampen
und danach durch Titration mit Thiosulfat be- erzeugen ein Licht, das mehr als doppelt so stark
stimmt werden kann. ist wie das von einer Halogenlampe gleicher elek-
Xenon-VIII-oxid (XeO4) ist ein unter Stan- trischer Leistung erzeugte (Ribitzki et al. 1994). In
dardbedingungen farbloses Gas, das man durch Glühlampen zeigt Xenon dieselbe Wirkung wie
Zusatz konzentrierter Schwefelsäure zu Per- andere Edelgase, wodurch der Glühfaden auf hö-
xenat-Lösungen bei Temperaturen um 5 °C here Temperaturen erhitzt wird, was eine bessere
erhält. Seine Entsprechungen findet man nur Lichtausbeute zur Folge hat (Römpp).
noch in der Metallchemie in Form der ebenfalls In Excimerlasern bildet Xenon in situ Dimere
leicht flüchtigen, wenn auch bei Raumtemperatur (Xe2) bzw., je nach Laser, auch Xenon-Halogen-
noch festen Verbindungen Ruthenium-VIII-oxid Dimere, die UV-Strahlung bei Wellenlängen von
und Osmium-VIII-oxid. Die Bildungsenthalpie 172 nm (Pharmazeutische Zeitung 2014) bzw.
des Xenon-VIII-oxids ist mit +643 kJ/mol stark 354 nm aussenden (XeF-Laser, Römpp).
endotherm, weshalb es zu explosivem Zerfall Xenon wirkt narkotisierend und wird daher bei
unter Bildung von Xenon und Sauerstoff neigt. der Inhalationsnarkose eingesetzt. Im Gegensatz
Xenon-VIII-oxid kondensiert bei 39,5 °C zu zu Lachgas (Distickstoffmonoxid) ist es ungefähr-
gelblichen Kristallen (Selig et al. 1964). Auch lich und kein Treibhausgas. Die Vorteile liegen
bei dieser Temperatur kann es plötzlich explo- auf der physiologischen Seite (kein Abfall des
dieren, denn aus einem Molekül XeO4 bilden Blutdrucks), nachteilig sind die relativ hohe Ein-
sich drei Moleküle von Gasen (ein Xenonatom satzkonzentration und der hohe Preis (Marx et al.
und zwei Disauerstoffmoleküle). Relativ sicher 2000).
ist ein Arbeiten mit der Substanz nur bei Küh- Da Xenongas nach ersten Untersuchungen
lung mit flüssigem Stickstoff auf 200 °C, da die körpereigene Produktion von EPO anregt,
470 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
setzte die WADA Xenon im Mai 2014 auf die (Dorn 1901; Marshall und Marshall 2003). Zehn
Dopingliste, wobei diese Methode im Blut keine Jahre nach der Entdeckung konnten Whytlaw und
zur Zeit nachweisbaren Spuren zurücklässt. Gray eine zur Bestimmung der wichtigsten phy-
sikalischen Eigenschaften des Radons genügende
Menge isolieren (Whytlaw-Gray und Ramsay
Patente
1909). Zunächst nannte man das neue Element
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Radium-Emanation, da es beim radioaktiven Zer-
wide.espacenet.com)
fall des Radiums gebildet wird; ab 1923 war nur
noch der Name Radon gebräuchlich (Aston et al.
Y. Qiu, Movable high-energy xenon light
1923).
sterilizer (Wuxi Zhaier Air Purification
Equipment Co., Ltd., CN210844412 U,
veröffentlicht 26. Juni 2020) Der deutsche Physiker Friedrich Ernst
H. David, Gas mixtures containing low con- Dorn (* 27. Juli 1848 Guttstadt, Ermland;
centrations of xenon and argon provide † 6. Dezember 1916 in Halle/Saale) besuch-
neuroprotection without inhibiting the cata- te von 1857 bis 1865 das Gymnasium in
lytic activity of thrombolytic agents (Mon- Königsberg und studierte an der dortigen
atomics Technologies, US 2020171078 Universität zwischen 1865 und 1869 Ma-
A1, veröffentlicht 4. Juni 2020) thematik, Naturwissenschaften, Philosophie
Y. Kuroda et al., Xenon flashlamp irradiation und Französisch. 1871 wurde er Hilfslehrer
device for container sterilization (Iwasaki am Königlichen Wilhelms-Gymnasium in
Electric Co., Ltd., JP 2020075763 A, ver- Berlin, promovierte aber zeitgleich in
öffentlicht 21. Mai 2020) Mathematik an der Königsberger Uni-
V. Padalkin et al., Device for preparing a versität. Nach seiner 1873 an der Univer-
beverage containing the inert gas xenon sität Greifswald abgeschlossenen Habilita-
tion in Mathematik und Physik (Dorn 1873)
(privat, WO 2020085932 A1, veröffent-
nahm er noch im gleichen Jahr den Ruf als
licht 30. April 2020)
Außerordentlicher Professor an der Univer-
V. S. Chakravarthy et al., System and me-
sität Breslau an und ging 1881 als Ordent-
thod for recovery of non-condensable
licher Professor an die Technische Hoch-
gases such as neon, helium, xenon and schule Darmstadt. Dort war er ab 1885
krypton from an air separation unit (Prax- Ordentlicher Professor für Experimental-
air Technology, CN 111065872 A, ver- physik. 1895 wurde Dorn Direktor des
öffentlicht 24. April 2020) Physikalischen Instituts an der Universität
J. Y. Yoon, Electrode and xenon flash lamp Halle.
with the same (Unilam Co., Ltd., KR
102088035 B1, veröffentlicht 11. März Dorn befasste sich hauptsächlich mit Radio-
2020) aktivität, Röntgenstrahlen und Flüssigkris-
tallen. Man schreibt ihm die Mitentdeckung
des Radons zu, obwohl er „nur“ die ein Jahr
zuvor von Rutherford erhaltenen Ergebnis-
se zitierte. Er untersuchte mittels der von
5.6 Radon ihm selbst entwickelten Geräte die atmo-
sphärische Elektrizität (Dorn 1893). 1895
Geschichte Rutherford (Kurzbiografie siehe wurde er als Mitglied in die Deutsche Aka-
„Rutherfordium“) gilt mit seiner Mitteilung aus demie der Naturforscher Leopoldina ge-
dem Jahr 1899 als Entdecker des Radons (Ruther- wählt und wurde 1906 zum Geheimen
ford und Owens 1899). Dorn, dessen Name in Regierungsrat ernannt (Krollmann 1941;
diesem Zusammenhang ebenfalls oft genannt Wigand 1916).
wird, zitiert ein Jahr später Rutherfords Resultate
5 Einzeldarstellungen 471
Es ist das stabilste Radonisotop und erleidet mit 1 % sehr gering, daher ist es radiologisch prak-
einer Halbwertszeit von 3,824 d seinerseits eben- tisch ohne Bedeutung.
falls α-Zerfall zum Poloniumisotop 21884Po.
86Rn (Thoron) ist ein Produkt des α-Zerfalls
220
Verbindungen Verbindungen des Radons dürf-
von 22488Ra in der Thorium-Zerfallsreihe. Seine ten aus chemischer Scht noch stabiler sein als die
Halbwertszeit ist mit 55,6 s bereits sehr kurz; es des Xenons, zudem sollte es theoretisch auch
zerfällt unter Aussendung von Alphateilchen (42He) mehr Verbindungen des Radons als des Xenons
weiter zu 21684Po. Es wird von ungebranntem Lehm geben. Die kurze Halbwertszeit der Radonisoto-
in Gebäuden emittiert und ist hinsichtlich der Strah- pe behindert die Forschung aber beträchtlich,
lenbelastung wichtig. und zudem zerstört die energiereiche Strahlung
86Rn (Actinon) wird durch α-Zerfall von
219
des Radons manche seiner Verbindungen (Auto-
223
88Ra in der Uran-Actinium-Reihe gebildet radiolyse). Eine auf Untersuchungen mit mess-
und hat eine Halbwertszeit von nur 3,96 s. Sein baren Mengen beruhende Chemie ist daher
Anteil an natürlich vorkommendem Radon ist mit kaum möglich.
5 Einzeldarstellungen 473
Radon-II-fluorid (RnF2) entsteht leicht durch dest thermodynamisch ziemlich stabil ist. Gleich-
Reaktion von Radon mit Fluor, aber die unter wohl erwartet man, dass ein -noch hypotheti-
Normalbedingungen feste Substanz zerfällt beim sches- Radon-IV-fluorid (RnF4) stabiler als ein
Versuch, sie zu verdampfen. Zudem ist ihre ge- Radon-VI-fluorid (RnF6) wäre, dies wegen der
naue Zusammensetzung nicht geklärt (Fields et al. im Falle RnF4 erreichten, relativ energiearmen
1962; Stein 1970). Ergebnisse von Berechnungen 6s26p21/2 Konfiguration. Radon-IV-fluorid wäre
sprechen für ionische Eigenschaften, dies im Ge- damit aus thermodynamischer Sicht ungefähr so
gensatz zu allen anderen binären Edelgasverbin- stabil wie Xenon-IV-fluorid, wogegen das Radon-
dungen (Pitzer 1975; Stein 1987; Avrorin et al. VI-fluorid aus relativistischen Gründen deutlich
1982). instabiler als sein Xenon-Analogon sein dürfte
Radon-II-fluorid zerfällt oberhalb einer Tem- (Filatov und Cremer 2003). Für das RnF6-Mole-
peratur von 250 °C in seine Elemente. Es wird kül berechnet man eine regulär-oktaedrische Struk-
durch Wasser zu Radon, Sauerstoff und Fluor- tur, wogegen das Molekül des XeF6 verzerrt-okta-
wasserstoff hydrolysiert. Durch Wasserstoff wird edrisch gebaut ist (Liebman 1975; Seppelt 2015).
es vermutlich zu Radon und Fluorwasserstoff um- Eine Extrapolation entlang der Reihe der Edelga-
gesetzt. Im Molekül sollten die Rn-F-Bindungen se ließe auch die Existenz verhältnismäßig stabiler
eine Länge von 208 pm haben, und Radon-II- Radonoxide wie RnO und RnO2 sowie der von
fluorid sollte stabiler und weniger flüchtig als Radonchloriden wie RnCl2 and RnCl4 vermuten,
Xenon-II-fluorid sein (Holloway 1986). aber keine dieser Verbindungen konnte bisher dar-
Man hoffte, das gefährliche Radon in Uranminen gestellt werden.
durch Umsetzung mit Antimon-V-fluorid, Chlor- Sogar die Existenz eines Radoncarbonyls
III-fluorid und Sauerstoff in Form des Addukts (RnCO) wurde vorhergesagt; es soll beständig sein
(RnF)+(Sb2F11) entfernen zu können, also durch und eine lineare Molekülgeometrie aufweisen
Überführung in Radonfluoride. Diese Versuche ste- (Malli 2002). Durch die bei schweren Atomen
hen aber noch im Anfangsstadium. Auch durch verstärkt auftretenden relativistischen Effekte, die
Disauerstoffdifluorid wird Radon bei 100 °C zu sich unter Anderem in einer Spin-Orbital-Kopp-
Radon-II-fluorid umgesetzt. Die höheren Fluoride lung äußern, soll Berechnungen zufolge auch die
RnF4 und RnF6 wurden ebenso beansprucht, da Bildung binärer Edelgasmoleküle wie Rn2 oder
Berechnungen sie als stabil erscheinen ließen RnXe ermöglicht werden (Runeberg und Pyykkö
(Thayer 2010), aber nach wie vor ist unklar, ob sie 1998). Eine Käfigverbindung, ein Radonatom um-
jemals synthetisiert wurden. geben von der Hülle eines Fulleren-Moleküls,
Von den möglichen Oxiden wurde bislang nur wurde als Medikament gegen Tumore vorgeschla-
die Existenz des Radon-VI-oxids (RnO3) bestätigt gen (Browne 1993; Dolg et al. 1991).
(Sykes 1998). Erhitzen von Radon mit einem aus Obwohl bereits Xenon-VIII-Verbindungen exis-
Xenon, Fluor und Brom-V-fluorid bestehenden tieren, sollte dasselbe bei Radon nicht der Fall
Gemisch ergibt in Gegenwart von Spuren an Al- sein. Ein hypothetisches Radon-VIII-fluorid ist ver-
kali- oder Nickel-II-fluorid höhere Radonfluoride, mutlich extrem instabil. Die noch stabilste Verbin-
die zum Radon-VI-oxid hydrolysierbar sein sollen. dung des Radon-VIII ist wohl Bariumperradonat
Der Nachweis stützt sich bisher aber nur auf die (Ba2RnO6) (Thayer 2010). Die Instabilität des
Feststellung, dass Radon beim Ansäuern einer Radon-VIII liegt an der relativistisch bedingten
wässrigen Lösung von CsXeO3F zusammen mit Stabilität des 6s-Orbitals, das eigentlich gar nicht
Xenon in Form eines Gemischs der Trioxide für chemische Bindungen verfügbar sein sollte.
XeO3/RnO3 ausfällt. Elektrophoretische Messun- Radon reagiert mit Halogenfluoriden wie ClF,
gen lassen in schwach saurer Lösung die Existenz ClF3, ClF5, BrF3, BrF5, and IF7 unter Bildung von
von Ionen wie (HRnO3)+ und (HRnO4) vermuten. Radon-II-fluorid. In flusssaurer Lösung lagert es
Sehr wahrscheinlich beruht die Schwierigkeit, Fluoridionen an, wobei Komplexe der Formel
höhere Radonfluoride darzustellen, auch darauf, RnF3 und RnF42 entstehen, wie dies bei
dass das wohl ionische Radon-II-fluorid zumin- Beryllium-II oder Aluminium-III ebenfalls beob-
474 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
nicht unmittelbar, weil die Zerfallsenergie des Livermoriums (290116Lv) überein. Auch dieser so-
Kerns 294118 zu derjenigen des 212m84Po identisch genannte Tochterkern 290116Lv ist mit einer Halb-
war, und jenes ist eine oft bei Kernfusionen an- wertszeit von 14 ms nur sehr kurzlebig; er erleidet
zutreffende Verunreinigung. Dies tat man erst weiteren α-Zerfall zu 286114Fl. Jenes wiederum
2006, nachdem man in einem zweiten, unter etwas unterliegt entweder weiterem α-Zerfall zu 282112Cn
geänderten Bedingungen durchgeführten Experi- oder spontaner Kernspaltung.
ment weitere Atome des Oganessons erhalten hat- Ende 2015 schließlich erkannte die aus Ver-
te (Moody 2013). Der Bericht besagte den indi- tretern der IUPAC und IUPAP gebildete Joint
rekten Nachweis von ein oder zwei Atomen des Working Party (JWP) die Entdeckung des Ele-
Elements 118 im Jahr 2002 und zwei weiteren im ments 118 an mit Priorität für die Kooperation
Jahr 2005, beides durch Beschuss eines aus Cali- des LBNL und des JINR. Der endgültige Nach-
fornium bestehenden Targets mit Calciumkernen weis sei die Bestätigung der Eigenschaften der
(Oganessian et al. 2002; Oganessian 2006; San- Enkelin von 294118 (286114Fl; englischsprachige
derson 2006; Schewe und Stein 2006; Weiss Bezeichnung: „granddaughter nucleus“) beim
2006) nach: LBNL gewesen, aber auch die Beobachtung einer
weiteren konsistenten Zerfallskette des 294118
249
98 Cf þ 48 20 Ca ! 294 118 Og þ 31 0 n durch das JINR 2012 (Karol et al. 2015). Bei
jenem Versuch wollte das russische Team ein
Einer Bewertung der IUPAC aus dem Jahr Berkeliumtarget mit Calciumionen beschießen
2011 zufolge wiesen diese drei Ereignisse der und so ursprünglich Isotope des Tenness (Element
Bildung von Isotopen des Elements 118 zwar eine 117) erzeugen; durch den schnellen β-Zerfall des
249 249
sehr gute Übereinstimmung auf, es wäre aber kein 97Bk zu 98Cf resultierten bei der Fusions-
Bezug zu bereits bekannten Kernen zu erkennen reaktion aber auch Isotope des Elements 118.
gewesen, so dass die Kriterien für eine Entde- Während des halben Jahres von Oktober 2015
ckung nicht erfüllt gewesen seien (Barber et al. bis April 2016 beschoss die Gruppe in Dubna ein
2011). aus diversen Isotopen des Californiums beste-
Bei diesen Experimenten war der Wirkungs- hendes Target mit 4820Ca-Projektilen (Energie:
querschnitt mit (3–6) · 1041 m2 extrem klein, und 252 bzw. 258 MeV) mit dem Ziel, auch die schwe-
während eines Zeitraums von vier Monaten be- reren Isotope 295118 und 296118 zu erzeugen. Mit
schoss man das winzige Californiumtarget mit Strahlen der niedrigeren Energie konnte ein Atom
einer Dosis von 2.5∙1019 Calciumionen. Trotzdem des Elements 118 produziert werden, keines aber,
hielten die Forscher die Ergebnisse nicht für fehl- wenn die Calciumionen mit höherer Energie auf
positiv, weil die Möglichkeit eines zufälligen Er- das Target geschossen wurden (Voinov et al.
eignisses eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 2016). Jedoch erwies sich diese Methode als ge-
1:100.000 hatte (Jacoby 2006). eignet zur Darstellung der Kerne 293118 und 297118.
Bei den darauf gemachten, der Verifikation Jedoch konnten die Isotope 295118 und 296118 durch
dienenden Versuchen registrierte man den α-Zer- Beschuss von 24896Cm-Targets mit 5022Ti-Projek-
fall der drei Atome des Kerns 294118 zu 290116Lv; tilen erzeugt werden (Sychev 2007; Roberto
die Halbwertszeit wurde zu 0,89 ms berechnet. 2015).
Den Beweis führte man dergestalt, das man das Bevor das LBNL 2001 seine 1999 dokumen-
Isotop 290116Lv parallel durch Beschuss eines Cu- tierten Ergebnisse zurückziehen musste, hatten
riumtargets mit Calciumionen erzeugte nach: die dortigen Forscher die Absicht, als neuen
Namen des Elements „Ghiorsium“ (nach Albert
245
96 Cm þ 48 20 Ca ! 290 116 Lv þ 31 0 n Ghiorso) vorzuschlagen. Dazu kam es aber nicht
mehr, da die russischen Forscher ihre Ergebnisse
Die Charakteristik des Zerfalls des so erzeug- 2006 veröffentlichten und ihnen so das Recht der
ten Livermoriumisotops stimmte mit der des beim Namensgebung zufiel. Zunächst schlug man in
Zerfall des Oganessonkerns erhaltenen Isotop des Dubna die Namen „Flyorium“ (nach Georgi Flyo-
476 8 Edelgase: Elemente der achten Hauptgruppe
rov bzw. Flerov) und „Moskovium“ [nach dem der 60 Jahre in der russischen Kernphysik tätig
Verwaltungsgebiet (Oblast) der Stadt Moskau, in war und neben Seaborg der Einzige ist, nach dem
dem Dubna liegt] vor, aber diese Namen wurden ein Element zu Lebzeiten benannt wurde.
später den Elementen 114 (Flerovium) und 115
(Moscovium) gegeben. Das neue Element war in Eigenschaften und Verbindungen Alle Isotope
die Gruppe der Edelgase einzuordnen, und sein des Oganessons sind radioaktiv; 294118Og hat die
Name musste nach einer 2016 gegebenen Emp- sehr kurze Halbwertszeit von 0,89 ms (s. Tab. 7).
fehlung der IUPAC auf „-on“ enden (Koppenol Diese ist aber noch länger, als man es durch bloße
et al. 2016). In einer Konferenz der an der Ent- Fortschreibung der Halbwertszeiten der Trans-
deckung beteiligten Nuklearwissenschaftler des actinoide hätte erwarten können. Dies spricht da-
JINR und LBNL fiel im März 2016 mehrheitlich für, dass sich die Nuklide des Oganessons zumin-
die Entscheidung, Element 118 nach Oganessian dest noch am Rand der „Insel der Stabilität“
(Kurzbiografie siehe „Bohrium“) zu benennen, befinden. Forscher postulieren seit langem das
Literatur 477
Vorliegen einer Insel relativer Stabilität etwa ab Aulchenko VM et al (1990) Investigation of an electro-
dem Element mit der Ordnungszahl 110 aufwärts. magnetic calorimeter based on liquid krypto. Nucl In-
strum Meth Phys Res Sect A: Acceler Spectrom Detect
Durch α-Zerfall geht 294118Og in das Isotop des Assoc Equipm 289:468–474
Livermoriums 290116Lv über, das aber ebenfalls Avrorin VV et al (1982) The chemistry of radon. Russ
mit einer Halbwertszeit weniger ms weiter zer- Chem Rev 51(1):12. https://doi.org/10.1070/
fällt. Aus chemischer Sicht gehört Oganesson RC1982v051n01ABEH002787
Ballentine CJ (2007) Geochemistry: earth holds its breath.
zur Gruppe der Edelgase. Ob es aber wirklich Nature 449:294–296
bei Raumtemperatur gasförmig ist, ist nicht be- Barber RC et al (2011) Discovery of the elements with atomic
kannt. Es könnte unter Normalbedingungen sogar numbers greater than or equal to 113. Pure Appl Chem
flüssig oder fest sein, wenn auch mit niedrigen 83(7):1. https://doi.org/10.1351/PAC-REP-10-05-01
Barlow MJ et al (2013) Detection of a noble gas molecular
Schmelz- und Siedepunkt. Wegen der sich bis in ion, 36ArH+, in the crab nebula. Science 342(6164):
die höchsten Perioden fortsetzenden Schrägbezie- 1343–1345. https://doi.org/10.1126/science.1243582
hung könnte Oganesson auch einige Charakteris- Barrer RM, Ruzicka DJ (1962) Non-stoichiometric cla-
tika mit seinem Diagonalpartner Astat teilen, das thrate compounds of water. Part 4. – Kinetics of forma-
tion of clathrate phases. Trans Faraday Soc 28(58):
Halogen und Halbmetall zugleich ist. Theoretisch 2262–2271
sollte es aus chemischer Sicht noch reaktiver als Bartlett N (1962) Xenon Hexafluoroplatinate(V) Xe+(PtF6).
Radon und deutlich reaktionsfähiger als Xenon Proc Chem Soc 218. https://doi.org/10.1039/
sein, so dass es relativ beständige Fluoride, Chlo- PS9620000197
Bartlett N (2003) The noble gases. Chem Eng News 81(36):
ride und Oxide bilden sollte. All dies setzt aber 32–34. https://doi.org/10.1021/cen-v081n036.p032
voraus, dass man riesige Mengen an Atomen des Bawn CEH (1963) Morris William travers. 1872–1961.
Oganessons zu erzeugen in der Lage ist, um das Biogr Mem Fellows R Soc 9:300–313. https://doi.org/
Element ausreichend zu charakterisieren und Ver- 10.1098/rsbm.1963.0016
Binder HH (1999) Lexikon der chemischen Elemente.
bindungen herstellen zu können; hiervon ist die Hirzel, Stuttgart. ISBN 3-7776-0736-3
Wissenschaft noch weit entfernt. Allerdings er- Boldrini P et al (1974) Crystal structure of trifluoroxenon
scheint es jetzt schon unmöglich, angesichts der (1+) hexafluoroantimonate(1). Inorg Chem 13(7):
kurzen Halbwertszeiten der Isotope des Elements 1690–1694. https://doi.org/10.1021/ic50137a030
Börse online Edelgas Helium wird knapper – Preis deutlich
die Synthese und Untersuchung chemischer Ver- gestiegen, 18. September 2019
bindungen des Oganessons durchführen zu kön- Bove AA, Davis JC (2004) Bove and Davis’ diving medi-
nen. cine, 4. Aufl. Elsevier, Melbourne, S 121. ISBN 978-0-
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Untersuchung eines stark ungeordneten zweidimensio- Tech. Report No. 1
Titangruppe: Elemente der vierten
Nebengruppe 9
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
Zusammenfassung 1 Einleitung
In diesem Kapitel werden die Elemente der
vierten Nebengruppe des Periodensystems der Die Elemente der vierten Nebengruppe (Titan,
Elemente mit ihren wichtigsten Verbindungen Zirconium, Hafnium, Rutherfordium) sind hin-
beschrieben. Vor allem ist Titan Bestandteil sichtlich ihrer physikalischen und chemischen
vieler Gebrauchsgegenstände des täglichen Eigenschaften sehr ähnlich. Im Falle des Zirco-
Bedarfs und in technologischer Hinsicht für niums und Hafniums sind die chemischen Eigen-
die Zukunft unverzichtbar, aber auch Zirco- schaften wegen der sich hier vollkommen auswir-
nium und Hafnium gehen in viele Anwendun- kenden Lanthanoidenkontraktion sogar nahezu
gen. Es werden ihre chemischen und phy- deckungsgleich, nur die physikalischen Eigen-
sikalischen Eigenschaften, ihr Vorkommen, schaften zeigen einige Unterschiede. Dies wird
bedeutsame Herstellverfahren, Anwendungen bei Dichte und Einfangquerschnitt für thermische
und Patente aufgeführt. Neutronen deutlich. Die Atome der Elemente die-
ser Gruppe geben meist äußere Valenzelektronen
(jeweils zwei s- und zwei d-Elektronen) ab, um
eine stabile Elektronenkonfiguration zu erreichen.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 483
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_9
484 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgte die Einschließlich der natürlich vorkommenden
Entdeckung des Titans und des Zirconiums, die sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
des Hafniums aber erst mehr als hundert Jahre erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
später, 1923. Damit war Hafnium eines der zur system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf.
damaligen Zeit letzten stabilen, das heißt nicht
radioaktiven Elemente, die noch aufzufinden und
zu isolieren waren. Atomkerne des Rutherfor- 2 Vorkommen
diums (bzw. des damals noch Kurtschatovium
genannten Elementes) wurden erstmals 1964 Titan ist mit einem Anteil von 5650 ppm immer-
durch Kernfusion erzeugt. Sie finden alle Ele- hin das neunthäufigste in der Erdkruste vorkom-
mente dieser Gruppe im untenstehenden Perio- mende Element; in der Erdhülle sind daher immer
densystem in Gruppe 4 (IV B). noch insgesamt 4100 ppm enthalten. Wesentlich
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. seltener sind Zirconium (Gehalt in der Erdhülle:
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle 210 ppm) und Hafnium (4 ppm). Rutherfordium
wie Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle ist ausschließlich durch künstliche Kernreaktio-
wie beispielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder nen zugänglich und wird, wenn überhaupt, dann
Neon. Die meisten Elemente können sich unter- nur in extrem geringen Mengen synthetisch her-
einander verbinden und bilden chemische Ver- gestellt.
bindungen; so wird z. B. aus Natrium und Chlor Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier
die chemische Verbindung Natriumchlorid, also Vertreter der Gruppe der Elemente der vierten
Kochsalz. Nebengruppe enthalten dabei alle wichtigen In-
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Reinstes Titan erzeugt man nach dem Van-Ar- Titan ist aber gegenüber verdünnter, kalter Sal-
kel-De-Boer-Verfahren, das Rohtitan erhitzt man petersäure, Schwefelsäure, Salzsäure, chloridhalti-
zusammen mit Iod am Boden eines evakuierten gen Lösungen, vielen organischen Säuren sowie
glockenförmigem Gefäßes bei einem Druck von Natronlauge beständig. Konzentrierte Schwefel-
nur 0,1–20 Pa auf eine Temperatur von rund säure greift es unter Bildung des violetten Titan-
800 C. Dabei bildet sich unter exergonischer sulfats aber an. Kleine Mengen zulegierter Metalle
Reaktion gasförmiges Titan-IV-iodid (TiI4), das wie Zinn, Aluminium, Vanadium, Mangan, Mo-
durch Diffusion oder Konvektion an einen glü- lybdän, Palladium, Kupfer und Zirconium erhöhen
henden Wolframdraht gelangt, an dem es sich die Resistenz gegenüber Korrosion erheblich. Bei
wieder zersetzt. Dabei scheidet sich in der Rück- erhöhter Temperatur neigt es zudem zur Aufnahme
reaktion das reine Titan ab. Das bei dieser Zerset- größerer Mengen von Sauer-, Wasser- oder Stick-
zungsreaktion wieder frei werdende Iod reagiert stoff, was zu einer Versprödung führt.
am Boden des Reaktionsgefäßes erneut mit Titan.
Eventuell zuvor im Metall noch vorhandene Ver- Verbindungen
unreinigungen verbleiben im Rückstand. Chalkogenverbindungen Das ungiftige und rela-
tiv preiswerte Farbpigment Titan-IV-oxid (TiO2)
Eigenschaften Unterhalb einer Temperatur von ist in fast allen heute verwandten weißen Kunst-
886 C kristallisiert Titan hexagonal-dichtest stoffen und Farben enthalten. Es ist auch als Le-
(s. Tab. 1), bei höherer Temperatur bildet sich eine bensmittelfarbstoff E171 zugelassen. Titandioxid
kubisch raumzentrierte Struktur aus. Titan ist vor ist ein amphoteres Oxid; von ihm leiten sich Tita-
allem für solche Anwendungen geeignet, bei nate wie Barium- und Lithiumtitanat ab, die bei-
denen Festigkeit, geringes Gewicht und Korrosi- spielsweise in der Elektro- und Werkstofftechnik
onsbeständigkeit wichtig sind. Bei einer Tempe- sowie bei der Herstellung von Hochleistungsak-
ratur von >400 C nimmt die Verformbarkeit kumulatoren verwendet werden.
infolge Aufnahme von Sauerstoff und Stickstoff, Das polymorphe Titan-IV-oxid (Titandioxid,
die versprödend wirken, ab, wogegen es in sehr TiO2) ist die mit Abstand wichtigste Verbindung
reinem Zustand sogar plastisch verformbar ist. des Titans. Daneben existieren auch Titan-III-oxid
Bei relativ geringer Dichte ist Titan bei Raumtem- (Ti2O3) und Titan-II-oxid (TiO).
peratur sehr fest. Supraleitend wird es erst unter- Als weißes Farbpigment (Titanweiß) ver-
halb einer Temperatur von 272,75 C (0,4 K). braucht man Titan-IV-oxid in Mengen von welt-
Beim Stehenlassen an der Luft bildet sich auf weit 5 Mio. t pro Jahr (Gambogi 2011). Meist
der Oberfläche des Titans eine sehr dünne, passi- geht es in Beschichtungen (Lacke, Anstriche),
vierende Schutzschicht aus Titan-IV-oxid, die es außerdem werden Kunststoffe hiermit einge-
gegen viele Medien schützt. Ist es bei Raumtem- färbt. Oft ist die Verbindung auch in anderen
peratur -außer im hochreaktiven feinverteilten Farben enthalten, nur um eine höhere Deck-
Zustand- noch relativ beständig gegenüber Sauer- kraft zu erzielen. Drei Viertel der produzierten
stoff und Halogenen, so reagiert es mit diesen bei Gesamtmenge stammen von fünf Herstellern
erhöhter Temperatur sehr heftig. Die Passivie- [DuPont (USA), Cristal Global (Saudi-Arabien),
rungsschicht hält dann nicht stand. In einer aus Huntsman (USA), Kronos (USA, seit 100 Jahren
reinem Sauerstoff bestehenden Atmosphäre ver- Produzent), Tronox (USA)] (Brock et al. 2000).
brennt Titan bereits bei Raumtemperatur und bei Bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges war die
einem Druck von 25 bar vollständig zu Titan-IV- Grundlage des Weißpigments die Anatas-Modifi-
oxid. Mit Chlor und Brom erfolgt bei Temperatu- kation, danach zunehmend Rutil, da jene für grö-
ren ab 550 C schnelle und heftige Umsetzung ßere Beständigkeit gegenüber Witterungseinflüs-
zum jeweiligen Tetrahalogenid (TiCl4 bzw. sen steht.
TiBr4). Titan setzt sich bei erhöhter Temperatur Titan-IV-oxid (s. Abb. 2) erzeugt man durch
auch mit Stickstoff unter Bildung von Titannitrid Hydrolyse von Titanylverbindungen wie Titanyl-
(TiN) um. sulfat (TiOSO4), die als erstes Umsetzungsprodukt
488 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
der Reaktion von Wasser mit den sehr hydrolyse- Wasser in Kontakt kommen. Eine kontrolliert
empfindlichen Titan-IV-Verbindungen (beispiels- und etwas langsamer ablaufende Hydrolyse erhält
weise Titan-IV-chlorid, TiCl4) entstehen. In glei- man bei Einsatz von Titansäureestern mit höheren
cher Weise hydrolysieren Titan-IV-alkoholate Alkoholen oder solchen mit verzweigter Kette;
zum Teil heftig zu Titan-IV-oxid, wenn sie mit beispielhaft ist das tert.-Butylat genannt:
5 Einzeldarstellungen 489
Ti OCðCH3 Þ3 4 þ 2 H2 O Daneben gibt es acht synthetisch erzeugte
Modifikationen. Fünf von ihnen sind nur durch
! TiO2 þ 4 HOCðCH3 Þ3 Anwendung hoher Drücke herstellbar und weisen
zu α-PbO2, Baddeleyit und Cotunnit ähnliche
Als Zwischenprodukt entstehen dabei zunächst Strukturen auf; daneben gibt es noch jeweils eine
Titanoxidhydroxid bzw. hydratisiertes Titan-IV- orthorhombische und kubische Struktur. Die zu
oxid, das durch Erhitzen in Anatas oder Rutil Cotunnit ähnliche Modifikation soll nach Dubro-
überführt wird. Glühen der Verbindung ergibt vinsky das härteste Metalloxid überhaupt sein
direkt Rutil. Hochreines Titan-IV-oxid stellt man (Dubrovinsky et al. 2001), was Ergebnisse ande-
durch langsame, kontrollierte Hydrolyse gereinig- rer Untersuchungen aus dieser Zeit nicht ganz
ten Titan-IV-chlorids her. bestätigten (Hatta et al. 1996; Machida und
Meist enthalten Titanerze wie Ilmenit (Fe- Fukuda 1991; Sekiya und Kurita 2008).
TiO3) farbgebende Ionen wie Eisen-III oder Die Züchtung von Einkristallen des Rutils ist
Niobverbindungen. Da diese aber die Nutzung möglich; meist geschieht dies nach dem Verneuil-
des Titan-IV-oxids als Weißpigment einschrän- Verfahren (Al-Khatatbeh et al. 2009). Gelegent-
ken würden, müssen sie entfernt werden. Die lich wendet man noch das Zonenschmelzen an,
Aufarbeitung des Erzes und damit gleichzeitig nicht aber das Czochralski-Verfahren (Nishio-Ha-
die weitgehende Entfernung der farbgebenden mane 2010; Brauer 1978d, S. 1366). Anatas-Ein-
Verbindungen erfolgt nach dem Sulfat- oder kristalle kann man nicht aus der Schmelze heraus
Chloridverfahren. Bei der industriellen Herstel- erzeugen; spezielle Verfahren müssen hierzu an-
lung von Titanoxid aus Ilmenit nach dem Sulfat- gewandt werden.
verfahren entsteht Dünnsäure (verdünnte Schwe- Titandioxid schmilzt bei 1855 C. Es ist ther-
felsäure), die in Deutschland noch bis in die misch stabil, chemisch weitgehend inert und licht-
1980er-Jahre hinein in der Nordsee verklappt wer- beständig. Daher darf man es als Weißpigment
den durfte (!), heute aber meist nach Aufkonzen- und auch in Lebensmitteln einsetzen. Die opti-
tration für den Ilmenit-Aufschluss wiederverwen- schen Eigenschaften des Titan-IV-oxids sind
det wird. Die Praxis des Einleitens der verdünnten auffällig; so zeigt es einen hohen, jedoch von der
Schwefelsäure in Flüsse oder angrenzende Meere vorliegenden Modifikation abhängigen Bre-
ist aber bis heute noch gängige Praxis in einigen chungsindex und ist zudem doppelbrechend. Dies
Ländern. Der Einsatz des Chloridverfahrens ver- macht es als Material für optische Prismen sehr
meidet die Bildung von Dünnsäure; das eingesetzte interessant. Zudem beruht das hervorragende
Chlor leitet man, so weit möglich, wieder in den Deckkraft des Weißpigments und sein sehr gutes
Prozesskreislauf zurück. Aufhellvermögen auf seinem hohem Brechungs-
Mehr als vier Fünftel der gesamten Fördermen- index, wobei das Maximum des Deckvermögens
ge an Titanerz wird vor allem nach dem Chlorid-, bei einer Korngröße von 200 bis 300 nm liegt
aber auch -in geringerem Anteil- nach dem Sulfat- (Thiele 1998; Winkler 2003).
verfahren zu Titandioxid verarbeitet. Titan-IV-oxid hat die Eigenschaften eines Halb-
Die Modifikation Rutil kristallisiert tetragonal leiters, aber mit großer Bandlücke, die von der
und hat eine Dichte von 4,26 g/cm3. Dagegen tritt Modifikation und auch der Kristallausrichtung ab-
Anatas in Form tetragonal holoedrischer Kristalle hängt (Rutil: 3,02 eV bei einer Wellenlänge von
der Dichte 3,88 g/cm3 auf. Ab einer Temperatur 410 nm, Anatas: 3,23 eV bei 385 nm und Brookit:
von 700 C wandelt sich Anatas irreversibel in 3,14 eV bei 395 nm) (Grätzel und Rotzinger 1985).
Rutil um. Nur diese beiden Modifikationen besit- Die Verbindung kann man nur in heißer Schwe-
zen technische Bedeutung. Brookit als dritte in der felsäure, Flusssäure unter Entstehung basischer
Natur vorkommende Modifikation hat die Dichte Titan-IV-salze sowie in heißen Laugen unter Bil-
4,1 g/cm3 und orthorhombische Kristallstruktur. dung von Titanaten lösen.
Brookit erleidet bei hoher Temperatur ebenfalls Titan-IV-oxid hat aus den oben genannten
Umwandlung in Rutil. Gründen viele Einsatzgebiete, von denen das
490 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Wichtigste das in Weißpigmenten ist [Farbindizes Titandioxide sein (Hund-Rinke et al. 2013). Die in
(Color Indexes (C. I.)) Pigment White 6 und der Fotokatalyse benutzte Messgröße ist unter
77891]. Als solches setzt man es in der Europä- anderem die Quantenausbeute, typisch ist eine
ischen Union unter der Kennzeichnung E 171 als chemische Reaktion auf 1000 Photonen (Ebbing-
Lebensmittelzusatzstoff (Zahnpasta, Kaugum- haus 2002; Klare 1999). Die Selektivität der Foto-
mis) und unter dem oben genannten Farbschlüssel katalyse ist gering; daher ist es schwer, gezielt
C.I. 77891 als Pigment in Kosmetika ein. chemische Synthesen auf Basis photokatalytisch
Technische Verwendung findet es, meist in aktiver Katalysatoren durchzuführen.
Gestalt der Modifikation Rutil, zu 80 % in Far- Optischen Gläsern wird zur Erhöhung der
ben, Lacken und Beschichtungen, Kunststoffen, Dispersion Titan-IV-oxid zugesetzt. Eine sehr
Textilien, in Sonnencremes als Abschirmer ge- aktuelle Anwendung für Anatas ist die jenige in
genüber UV-Strahlung und bei der Produktion Katalysatoren für die Entstickung von Rauchga-
von Papier als Füllstoff und Aufheller (Ceresana sen. In bestimmten Typen von Solarzellen macht
2013). Der Einsatz als Deckweiß in der Ölmalerei man sich die Halbleitereigenschaften von Titan-
ist interessant, aber von den Einsatzmengen her eher IV-oxid zunutze; in Keramikkondensatoren wird
exotisch. es als Dielektrikum eingesetzt.
Titan-IV-oxid hat einen Brechungsindex, der Memristoren sind elektrische Schalter, die aus
deutlich größer als der der meisten organischen zwei dünnen Titandioxidschichten bestehen. Diese
Stoffe ist, die zur Bindung von Farben eingesetzt wiederum liegen zwischen zwei Metallkontakten.
werden. Das bedeutet, dass Pigmente aus diesem Eine dieser Schichten weist ein stöchiometrisch kor-
Material das Licht effektiv streuen, so dass sich rektes Verhältnis zwischen Sauerstoff- und Titanato-
eine gut deckende weiße Farbe ergibt. Dabei liegt men aus, die andere enthält jedoch eine im Ver-
die optimale Größe der Pigmente im Bereich von hältnis dazu geringere Zahl an Sauerstoffatomen.
200 bis 300 nm. Diese fehlenden Sauerstoffatome erzeugen Fehlstel-
Die fotochemische Aktivität von Rutil ist am len und ändern die elektronischen Eigenschaften des
geringsten, bei Anatas am stärksten. Diese Foto- Memristors. Normalerweise leitet Titan-IV-oxid den
katalytischen Eigenschaften beruhen auf der Fä- elektrischen Strom nicht, aber die Schicht mit einem
higkeit des Minerals, bei Bestrahlung mit Ultra- Unterschuss an Sauerstoffatomen schon. Legt man
violettlicht gasförmige oder gelöste Stoffe eine elektrische Spannung an den Memristor an,
mittels radikalischer Reaktion an seiner Oberflä- so wandern die Sauerstoffatome zwischen beiden
che umzusetzen. Die hierzu notwendige, von der Schichten; am Ende besitzen beide aus Titan-IV-
UV-Strahlung bereitgestellte Energie führt zu oxid bestehende Schichten eine unterstöchiome-
einer kurzfristigen Anhebung der Energie von trische Zahl an Sauerstoffatomen. Der elektrische
Elektronen über die Bandlücke hinweg, wodurch Widerstand ändert sich laufend und oft stark. Das
kurzzeitig freie Ladungsträger, also im Leitungs- Anlegen gegenläufiger Spannungen schaltet den
band befindliche Elektronen und Löcher im Memristor wieder aus, weil das ursprüngliche Ver-
Valenzband, erzeugt werden. Im Zuge der schnell hältnis der Sauerstoffatome in beiden Schichten
verlaufenden Rückreaktion können sich Energie- wieder hergestellt wird (Bullis 2008).
niveaus der Bänder in den an der Oberfläche des Bariumtitanat (BaTiO3) wird durch Erhitzen
Kristalls befindlichen Elementarzellen verschie- einer Mischung von Bariumcarbonat (BaCO3)
ben. Die so kurzzeitig gebildeten ungepaarten und Titan-IV-oxid (TiO2) auf Temperaturen von
Ladungsträger setzen sich oft mit adsorbiertem 1200 C hergestellt:
Sauerstoff und Wasser zu Hydroxi- und Peroxi-
Radikalen um oder greifen Moleküle organischer BaCO3 þ TiO2 ! BaTiO3 þ CO2
Stoffe direkt an (Lindner 1997).
Die im Handel befindlichen Fotokatalysato- Mit geringerem Aufwand kann man Bariumti-
ren auf Basis von TiO2 können reiner Anatas, tanat durch Mischen stöchiometrischer Anteile
Mischungen von Anatas mit Rutil oder dotierte an Bariumcarbonat und Titan-IV-oxid erhalten,
5 Einzeldarstellungen 491
wenn der Mischung zuvor große Mengen an Na- Titan-III-oxid (Ti2O3) gewinnt man durch
triumchlorid zugesetzt werden. Aus der flüssigen Reaktion von Titan mit Titan-IV-oxid bei etwa
Schmelze kristallisiert bei Temperaturen von etwa 1600 C oder durch Reduktion von Titan-IV-oxid
1000 C das Bariumtitanat aus der Schmelze aus. mit Kohlenmonoxid bei einer Temperatur von
Der erkaltete Schmelzkuchen wird dann mit Was- ca. 800 C (Alsfasser et al. 2007, S. 295):
ser ausgewaschen, wodurch die Salzreste aus die-
sem entfernt werden. Ti þ 3 TiO2 ! 2 Ti2 O3
Bariumtitanat (s. Abb. 3) ist eine ferroelektrische 2 TiO2 þ CO ! Ti2 O3 þ CO2
Keramik mit hoher Durchlässigkeit für elektrische
Felder (Permittivität). Bei Temperaturen <120 C Titan-III-oxid ist ein hochschmelzender
liegt Bariumtitanat in tetragonal verzerrter Kris- [1839 C (Cardarelli 2008, S. 619)], violetter bis
tallstruktur vor, deren Elementarzelle ein Dipolmo- schwarzer Feststoff (s. Abb. 5) der Dichte 4,49 g/
ment hat und so die Polarisation (Ferroelektrizität) cm3, der praktisch unlöslich in Wasser, Salz- und
hervorruft. Oberhalb von 120 C wandelt sich die Salpetersäure ist (Blachnik 1998, S. 770).
Kristallstruktur zu einer regulären Perowskit- Bei Erwärmung mit Flusssäure und Königs-
Struktur, deren Elementarzelle kein Dipolmoment wasser zersetzt sich die Verbindung, die trigonal
mehr zeigt, weshalb der Kristall seine Ferroelektri- und isotyp zu Korund kristallisiert (Brauer 1978d,
zität verliert (von Hippel 1950). Die Gesamtheit der S. 1366). Bei Temperaturen <200 C ist Titan-III-
elektrischen Eigenschaften macht Bariumtitanat und oxid ein Halbleiter, darüber wird es metallisch
die verwandten Perowskite zu geeigneten Werkstof- leitend (Riedel und Janiak 2011, S. 793). Man
fen für die Elektronik. Dazu zählt auch der Einsatz setzt es in Kondensatoren und dünnen Widerstän-
als nichtlineares Dielektrikum in Keramikkonden- den ein (Perry 2011, S. 479).
satoren hoher Nennkapazitäten. Titan-II-oxid (TiO) ist ein gold- bis bronzefar-
Ein wirkungsvolles Piezoelektrikum ist Lan- bener Feststoff (s. Abb. 6) teils stark schwanken-
thandititanat (La2Ti2O7), ein grauschwarzer Fest- den Sauerstoffgehalts der Dichte 4,95 g/cm3, der
stoff (s. Abb. 4).
bei 1770 C schmilzt; die Schmelze siedet bei Titan-III-sulfid (Ti2S3) her (Holleman et al. 2007,
3227 C. Man gewinnt es durch Reduktion von S. 1525). Auch die Synthese aus den Elementen
Titan-IV-oxid mit Titan bei Temperaturen von ist möglich, allerdings erfolgt sie erst unter Druck
1600 C (Brauer 1978d, S. 1366): und bei Temperaturen von ca. 800 C. Der
schwarze Feststoff der Dichte 3,68 g/cm3 kristal-
Ti þ TiO2 ! 2 TiO lisiert hexagonal-dichtest in der Struktur des
Nickelarsenids. Die Verbindung ist bei Raum-
Alternativ kann man Titan-II-oxid durch Ein- temperatur gegenüber Feuchtigkeit und Wasser
wirkung von Wasserstoffgas auf Titan-IV-oxid bei beständig. Nur durch Einwirkung heißer konzen-
sehr hoher Temperatur (2000 C) und extremem trierter Salzsäure zersetzt sich Titan-III-sulfid
Druck (130 bar) herstellen (Cardarelli 2008). Die unter Bildung von Schwefelwasserstoff.
Verbindung wirkt stark reduzierend und reagiert Im Kristallgitter des in Form schwarzer glän-
mit Wasser unter Bildung von Wasserstoff (Singh zender Nadeln auftretenden Titantrisulfids (TiS3)
2007); dabei geht Titan-II gleichzeitig in Titan-IV liegen pro Formeleinheit ein Ti4+-Kation sowie
über: jeweils ein Sulfidanion (S2) und ein Disulfida-
nion (S22) vor (Holleman et al. 2007, S. 1528).
TiO þ H2 O ! TiO2 þ H2 " Dabei befinden sich die von immer sechs Schwe-
felatomen umgebenen Titanatome im Mittelpunkt
Bei Raumtemperatur ist stöchiometrisch zu- eines trigonal verzerrten Prismas. Die Prismen
sammengesetztes Titan-II-oxid ein metallischer sind derart übereinander gestapelt, dass die Titan-
Leiter, der monoklin kristallisiert (Wang und atome in gerader Anordnung übereinander liegen
Kang 1998; Riedel und Janiak 2011, S. 792). und die Disulfidanionen stets auf der langen Seite
Titan-IV-sulfid (TiS2) stellt man aus den Ele- des Rechteckes eines jeweiligen Prismas. Die Ver-
menten oder aber aus Titan-IV-chlorid und Schwe- bindung kann durch Reaktion der Elemente bei
felwasserstoff her (Brauer 1978d, S. 1371). Der einer Temperatur von 600 C dargestellt werden.
bronzefarbene Feststoff der Dichte 3,22 g/cm3 Butyllithium reduziert Ti4+ formal zu Ti3+, indem
kristallisiert in der Schichtstruktur des Cadmium- Trilithiumtrithiotitanat-III (Li3TiS3) entsteht
iodids, in der die oktaedrischen Lücken jeder (Chianelli und Dines 1975).
zweiten Schicht von Sulfidionen, die selbst eine Titan-IV-selenid (TiSe2) kristallisiert im Cad-
hexagonal-dichteste Packung bilden, mit Titanka- miumiodid-Gittertyp, in dem die Ti4+-Ionen die
tionen besetzt sind. Titan-IV-sulfid ist sehr emp- oktaedrischen Lücken jeder zweiten Schicht der
findlich gegenüber Hydrolyse und zersetzt sich hexagonal-dichtesten Packung der Se2--Ionen
langsam schon in Gegenwart von Wasser, sehr besetzen (Riekel 1976). Die Verbindung ist ein
schnell bei Kontakt mit Säuren. Die Substanz ist Halbleiter und wird wegen seiner kleineren Band-
brennbar, aber an trockener Luft beständig. Oxi- lücke und trotz seiner im Vergleich zum Titan-IV-
dierende Säuren wie konzentrierte Salpetersäure sulfid größeren Toxizität in Schaltkreisen und
oder heiße konzentrierte Schwefelsäure zersetzen Batterien eingesetzt. Es wird auch als Sputtertar-
Titan-IV-sulfid schnell unter Abscheidung von get verkauft (s. Abb. 7).
Schwefel. Siedende Alkalilauge löst es unter Bil-
dung von Alkalititanat und -sulfid.
Titan-IV-sulfid zeigt die elektrische Leitfä-
higkeit eines Halbmetalls (Whittingham 2004).
Daher findet es als Elektrodenmaterial in Lithium-
batterien oder Lithium-Ionen-Akkumulatoren Ver-
wendung, aber auch als festes Schmiermittel.
Aus oben beschriebenem Titan-IV-sulfid stellt
man durch dessen Erhitzen im Vakuum auf Abb. 7 Titan-IV-selenid Sputtertarget (QS Advanced
1000 C oder durch Reduktion mit Wasserstoff Materials 2018)
5 Einzeldarstellungen 493
In diese Schichtstruktur können leicht Alka- Titan-IV-fluorid (TiF4) stellt man durch Re-
liionen (M) eingebaut werden, wobei sich Alkali- aktion von Fluorwasserstoff mit Titan-IV-chlorid
selenotitanite der Formel MxTiSe2 (x1) bilden. her (Brauer 1978b, S. 1343):
Dadurch werden allerdings die ohnehin schon
geringen Van der Waals-Wechselwirkungen der TiCl4 þ 4 HF ! TiF4 þ 4 HCl
Ionen zwischen den Schichten noch weiter ge-
schwächt (Bouroushian 2010). Man kann Titan- Das farblose, stark hygroskopische Pulver der
IV-selenid durch gemeinsames Erhitzen von Titan Dichte 2,8 g/cm3 schmilzt bei 377 C und reagiert
und Selen unter Argon darstellen; das rohe Pro- mit Wasser heftig unter Hydrolyse. Im Kristallgit-
dukt wird durch Verdampfen und Rekristallisieren ter liegen voneinander isolierte, aus TiF6-Okta-
unter Verwendung von Iod als Transportmittel in edern aufgebaute Säulen vor (Bialowons et al.
der Gasphase in reinstes Titan-IV-selenid umge- 1995). Man setzt Titan-IV-fluorid zur Synthese
wandelt. von Glycosylfluoriden und Fluorhydrinen sowie
Titan-IV-tellurid (TiTe2) ist ebenfalls als Sput- für nukleophile Additionen an Aldehyde, Imine
tertarget zur Herstellung halbleitender Schichten und Nitrile ein (Nikiforov et al. 2014). Es dient aber
erhältlich. auch als Katalysator für chemische Synthesen.
Halogenverbindungen Das violette Titan-III- Unter anderem prüfte man seine Verwendung in
chlorid (TiCl3) schmilzt bei 440 C und ist selbst- Zahncreme (Schlueter et al. 2007). Mit Alkalifluo-
entzündlich. Es reagiert sehr heftig mit oxidieren- riden bildet es Hexafluorotitanate-VI (s. Abb. 8).
den Stoffen. Man stellt die Verbindung durch Titan-IV-chlorid (TiCl4) ist eine farblose, vor
Reduktion von Titan-IV-chlorid mit Titan oder allem an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit
mittels Reaktion von Titan mit heißer Salzsäure vom Schmelzpunkt 25 C und Siedepunkt
her (Brauer 1978b, S. 1341): 136 C (s. Abb. 9). Man stellt es durch Umsetzung
von Titan-IV-oxid mit Kohle und Chlor im Tem-
3 TiCl4 þ Ti ! 4 TiCl3 peraturbereich zwischen 700 C und 1000 C her:
2 Ti þ 6 HCl ! 2 TiCl3 þ 3 H2 "
wird es nur noch von Titancarbid übertroffen. Metalls eingebaut, sondern mit den äußersten Titan-
Titanmononitrid ist ein gutes Schleif- und Rei- atomen der Oberfläche zur Reaktion gebracht. Je
bungsmittel, da es bei hoher Abrasivität kaum nach dem Stickstoffgehalt der Sputteratmosphäre
Verschleiß zeigt und praktisch nicht auf fremden bilden sich Titannitride unterschiedlicher Zusam-
Oberflächen haftet. Zudem leitet die Verbindung mensetzung, was sich in wechselnden Farben der
den elektrischen Strom und reflektiert Infrarot- Oberfläche als auch deren Härte äußert.
licht stark. Nachteilig ist seine große Sprödigkeit. Titan-III-phosphid (TiP) gewinnt man durch
Das keramische, sehr harte Material, das gele- Umsetzung der Elemente unter Druck (Brauer
gentlich auch mineralisch in Meteoriten vor- 1978f, S. 1383). Alternativ funktioniert auch die
kommt [Osbornit (Nichols et al. 2001)], stellt Umsetzung von Titan-IV-chlorid mit Monophos-
man selten als Pulver oder gar in Gestalt kerami- phan bei 750 C in der Gasphase oder sogar die
scher Formteile her, sondern nur in sehr dünnen elektrolytische Darstellung eines nahezu stöchio-
Beschichtungen. Man kann es bei Überleiten von metrisch zusammengesetzten Titan-III-phosphid-
Stickstoff über auf 1200 C erhitzten Titan- Pulvers bei 860 C aus einer Schmelze, die bezo-
schwamm bei gleichzeitigem Ausschluss von gen auf Meta- und Diphosphat, Natriumchlorid
Luftsauerstoff (I) oder durch Reduktion von und Lithiumfluorid noch 10 Gew.-% Titandioxid
Titan-IV-chlorid mit Ammoniak bei ebenfalls enthält (Brauer 1978f, S. 1383). Unterstöchiome-
hoher Temperatur (>1000 C) (II) herstellen: trisches Titan-III-phosphid (TiP0,1–0,6) erhält man
durch Leiten einer aus Monophosphan und Wasser-
(I) 2 Ti þ N2 ! 2 TiN stoff zusammengesetzten Gasmischung über fein
gepulvertes Titanhydrid bei Temperaturen von
(II) 4 TiCl4 þ 6 NH3 ! 4 TiN þ 16 HCl þ N2 þ H2 800–1000 C. Die metallisch aussehende, schwarz-
graue Verbindung hat die Dichte 3,94 g/cm3, ist
Sehr dünne Beschichtungen erzeugt man durch thermisch sehr stabil und schmilzt bei 1860 C.
eine geänderte Reaktionsführung. Eine durch Ni- Sogar Säuren greifen das hexagonal kristallisie-
tridierung, also mittels Umsetzung von Titan mit rende Titan-III-phosphid kaum an, ganz im Ge-
Stickstoff gewonnene Schutzschicht besteht meist gensatz zu vielen anderen Metallphosphiden.
aus einer ca. 10 μm dicken Verbindungsschicht Titan-III-phosphid setzt man wegen seiner
und einer 50–200 μm dicken Diffusionsschicht. Halbleitereigenschaften in Hochfrequenz-An-
Die Umsetzung von Titan mit Stickstoff ist wendungen, Fotodioden und Lasern ein, außer-
außerdem durch gemeinsames Schmelzen mit dem vereinzelt als Katalysator in organischen
Kaliumcyanid und -carbonat möglich. Im Tidu- Synthesen (Perry 2011, S. 488). Im System
ran ®-Verfahren verwendet man ein cyanidhaltiges Titan-Phosphor existieren noch weitere Phasen,
Wasserbad (!) zur Nitridierung oder aber lässt die jeweils einer Zusammensetzung Ti3P (Halter
Stickstoff direkt mit Titan bei hohen Temperatu- et al. 1986), Ti2P (Gemmi et al. 2003), Ti7P4
ren und Drücken reagieren (Plasmanitridieren). (Carrillo und Lundström 1979), Ti5P3 (Carrillo
Dünne Beschichtungen erzeugt man in der Gas- und Lundström 1980) sowie Ti4P3 (Snell 1968)
phase aus Stickstoff, Wasserstoff und Titan-IV- entsprechen.
chlorid: Titan-III-arsenid (TiAs) ist ebenfalls ein
schwarzgrauer Feststoff, ist ein Halbleiter mit sehr
2 TiCl4 þ 4 H2 þ N2 ! 2 TiN þ 8 HCl kleiner Bandlücke und hat fast schon metallische
Leitfähigkeit. Dünne Filme konnte man durch che-
Extrem dünne Schichten erhält man durch Sput- mische Abscheidung aus einer aus [Ti(NMe2)4]
tern von Target-Oberflächen (z. B. von Titanmono- und t-BuAsH2 zusammengesetzten Gasphase
nitrid-Sputtertargets) mit Atomen von Edelgasen bei Atmosphärendruck und Temperaturen von
herstellbar (Martin 1994). Stickstoffatome aus der 350–550 C erzeugen (Thomas et al. 2011).
das Metall umgebenden Atmosphäre werden unter Geschmolzenes Antimon löst bei ca. 700 C
diesen Bedingungen nicht nur in die Oberfläche des auch feinverteiltes Titan praktisch nicht. Nach
496 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Umkehrschluss die Reaktion von Titan-IV-chlorid Temperatur schmelzenden Elemente oder durch
mit Monosilan, Dichlorsilan oder Silicium (Pier- Zusammenschmelzen von Bor und Titan im
son 1999, S. 331; II–IV): Lichtbogenofen her (Kollenberg 2004). Alterna-
tiv kann man es durch Überleiten eines gasförmi-
(I) 3 Ti þ 2 SiCl4 ! TiSi2 þ 2 TiCl4 gen Gemisches aus Titan-IV-chlorid, Bortribro-
mid (BBr3) und Wasserstoff über einen auf 1400
(II) TiCl4 þ SiH4 ! TiSi2 þ 4 HCl þ 2 H2 bis 1600 C erhitzten Wolframdraht gewinnen
(Kieffer und Schwarzkopf, S. 259; I), durch
Umsetzung von Wasserstoff, Bor-III-chlorid und
(III) TiCl4 þ 2 SiH2 Cl2 þ 2 H2
Titan-IV-chlorid in der Gasphase (Blumenthal
! TiSi2 þ 8 HCl
et al. 2007, S. 239; II), Reduktion einer Mischung
von Titan-IV-oxid und Bor-III-oxid mit Ma-
(IV) TiCl4 þ 3 Si ! TiSi2 þ SiCl4
gnesium oder Aluminium (Salmang und Scholze
2006, S. 380; III) oder aber durch Umsetzung von
Titan-IV-oxid mit Kohle und Borcarbid (Briehl
Titandisilicid schmilzt bei einer Temperatur
2007, S. 253; IV). Das graue Titanborid (Schmelz-
von 1760 C, hat die Dichte 4,02 g/cm3 und ist ein punkt 3230 C, Dichte 4,52 g/cm3, Mohs-Härte
metallisch glänzender, braungrauer bis schwarzer
9, Abb. 14 und 15) vereint elektrische Leitfähig-
kristalliner Feststoff (s. Abb. 13) mit guter ther-
keit (105 S/cm) mit hoher Wärmeleitfähigkeit
mischer und elektrischer Leitfähigkeit. [60–120 W/m K].
Die Verbindung kristallisiert mit orthorhombi-
scher Struktur, ist unlöslich in Wasser und Mine-
(I) TiCl4 þ 2 BBr3 þ 5 H2
ralsäuren – mit Ausnahme von Flusssäure – und
! TiB2 þ 4 HCl þ 6 HBr
löst sich langsam in 10 %iger Kalilauge. Neben
Titandisilicid existieren weitere Titansilicid-Phasen
wie TiSi1,8 mit einer Dichte von 3,9 g/cm3, das (II) TiCl4 þ 2 BCl3 þ 5 H2 ! TiB2 þ 10 HCl
tetragonal kristallisierende Ti3Si, das definiert bei
2120 C schmelzende, tetragonal und isotyp zu
Zr5Si4 kristallisierende Ti5Si4 sowie TiSi mit
Schmelzpunkt 1760 C und orthorhombischer,
zu Eisenborid (FeB) isotyper Kristallstruktur
(Chen 2004). Aus Titandisilicid hergestellte Halb-
leiter setzt man in solchen Solarmodulen ein, die
genügend Energie zur elektrolytischen Spaltung
von Wasser liefern (Ritterskamp et al. 2007).
Titandiborid (TiB2) stellt man durch Sintern
eines festen Gemisches der beiden erst bei hoher
Abb. 14 Titandiborid (Onyxmet 2018)
IV-oxid in konzentrierter Schwefelsäure (Lat- Anwendungen Titan ist spröde und nicht sehr
scha und Mutz 2011). Hydrolyse des Titan-IV- gut umformbar. Auf das Walzen von Titanble-
chlorids in konzentrierter Schwefelsäure ergibt chen entfallen daher alleine die Hälfte aller
zwar ebenfalls Titan-IV-oxidsulfat, allerdings Kosten des schon ohnehin teuren Metalls. Die-
verbleibt in der flüssigen Phase eine vergleichs- ses und seine Legierungen bezeichnet man oft
weise hohe Konzentration an Chlorwasserstoff, mit den amerikanischen Standardgrades ASTM
den man nur aufwändig entfernen kann (Brauer von 1 bis 35. Reines Titan wird dabei mit den
1978e, S. 1375). Die Verbindung ist ein was- Grades 1 bis 4 bezeichnet, je nach Reinheits-
serlöslicher, hydrolyseempfindlicher, weißer grad.
Feststoff, der orthorhombisch kristallisiert. Das Oft wird Titan mit 6 Gew.-% Aluminium und
Monohydrat spaltet oberhalb einer Temperatur 5 Gew.-% Vanadium legiert, um es für den Ein-
von 350 C Wasser ab, und ab Temperaturen ober- bau in Motoren und Turboladern einsetzbar zu
halb von 500 C zersetzt sich Titan-IV-oxidsulfat machen (ASTM-Grade 5). Des Weiteren verwen-
unter Abgabe von Schwefel-IV-oxid. Die Verbin- det man Legierungen aus Titan mit Aluminium
dung dient sowohl zum Nachweis für Wasserstoff- (6 Gew.-%), Zinn (2 Gew.-%), Zirconium
peroxid als auch für in wässriger Phase gelöstes (4 Gew.-%) und Molybdän (2 bis 6 Gew.-%).
Titan, denn bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Titan verleiht Stahl schon bei Beimengung
Substanzen entsteht das orangegelbe Peroxotitanyl- in niedrigsten Konzentrationen (Anteil: 0,01 bis
Ion (TiO2)2+. 0,1 Gew.-%) eine hohe Festigkeit, Zähigkeit, aber
Titanocendichlorid [Dichlorobis(cyclopenta- auch Duktilität. Titan ist in nichtrostenden Stählen
dienyl)titan-IV] [Ti(C5H5)2Cl2] schmilzt bei einer eine wichtige Komponente zur Korrosionsinhibie-
Temperatur von 290 C, hat die Dichte 1,6 g/cm3 rung.
und zersetzt sich in Wasser. Im Molekül der dun- Seine hohe Beständigkeit gegenüber Korro-
kelrotbraunen Verbindung (s. Abb. 18) ist das in sion macht es vor allem geeignet für Anwendun-
zentraler Position befindliche Ti4+-Ion tetraed- gen, bei denen das betreffende Metall oder seine
risch von je zwei Cyclopentadienylringen und Legierung in Kontakt mit Seewasser kommen.
Chloridionen umgeben. Da es gegenüber Hydro- Dies sind etwa Ventile und Pumpenschaufeln in
lyse und Oxidation sehr empfindlich ist, muss Anlagen zur Meerwasserentsalzung oder Legie-
man es unter Schutzgas (Argon) aufbewahren. rungen, die Bestandteil von Schiffsschrauben
Die Verbindung setzt man mit Trimethylalu- sind. Ebenso findet man es in Elektroden von
minium zum Tebbe-Reagenz um, das in situ Seekabeln und in Tauchermessern.
durch Zusatz einer milden Base wie Pyridin in Sowohl die hohe Festigkeit als auch Korrosi-
das Schrock-Carben [Methylen-bis(cyclopenta- onsbeständigkeit von Titan und seinen Legierun-
dienyl)titan-IV] [H2C=Ti(C5H5)2] überführt gen bedingt den Einsatz in chirurgischen Implan-
werden. Jenes reagiert mit Carbonylverbin- taten (Schrauben, Platten, Prothesen). Vorteilhaft
dungen unter Austausch der C=O- gegen eine dabei ist auch, dass Titan, im Unterschied zu ni-
C=CH2-Gruppe. ckelhaltigem Edelstahl, keine allergischen Reak-
tionen hervorruft. In der Zahnmedizin bevorzugt
man es als Material für Zahnkronen und -brücken,
da es neben seinen vorteilhaften physikalischen
Eigenschaften deutlich billiger als Gold ist. Auch
die HNO-Chirurgie setzt Titan als Werkstoff für
Prothesen von Gehörknöchelchen und Pauken-
röhrchen ein. Titanclips bevorzugt man als Mate-
rial für Aneurysma-Operationen gegenüber sol-
chen aus Edelstahl.
Ebenso findet man Titan und seine Legierun-
Abb. 18 Titanocendichlorid (Smokefoot 2016) gen in mechanisch und chemisch stark bean-
500 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
5.2 Zirconium
nach dem Mineral Zirkon Zirconium nannte. Die satz zum Metall bzw. dessen Legierungen verar-
erstmalige Isolierung von Zirconium gelang erst beitet (Bedinger 2015; Audi et al. 2003).
Berzelius (Kurzbiografie s. „Cer“) 1824, indem er
eine Mischung aus Kaliumhexafluorozirconat Gewinnung Zirkon wird zuerst zu Zirconium-
(K2ZrF6) mit Kalium in einem geschlossenen IV-oxid (ZrO2) aufgeschlossen und dazu mit
Stahlbehälter erhitzte. Nach beendeter Reaktion Natriumhydroxid geschmolzen. Dieses wird es
wusch er das entstandene Produkt mit Wasser, mit Kohle im Lichtbogen zunächst zu Zirconium-
trocknete das so erhaltene noch verunreinigte Zir- carbonitrid umgesetzt, das danach mit Chlor bei
coniummetall und reinigte es danach erneut, Temperaturen von etwa 900 C in Zirconium-IV-
diesmal durch Erhitzen in verdünnter Salzsäure chlorid umgewandelt wird:
(Prechtl 1826). Da natürlich vorkommendes Zir-
conium stets auch geringe Mengen Hafnium ent- ZrO2 þ 2 C þ 2 Cl2 ! ZrCl4 þ 2 CO
hält, verfälschte jenes die Ergebnisse der Versu-
che, die zur Bestimmung der exakten Atommasse Unter Schutzgasatmosphäre reduziert man das
des Zirconiums durchgeführt wurden. Erst 1924 so gewonnene Zirconium-IV-chlorid schließlich
gelang die Berechnung der korrekte Atommasse mit Magnesium zu elementarem Zirconium (Kroll-
des Zirconiums (Gonzalez et al. 1924). Prozess):
schmilzt bei der hohen Temperatur von 1857 C Stücke des Metalls mit einer dünnen, passivierend
und wird, da es praktisch seit Entstehung der Erde wirkenden Schicht, die derart schützend ist, dass
existiert, anhand des in seinen Mineralien oft sich Zirconium bei Raumtemperatur nur in Fluss-
enthaltenen Urans und Thoriums zur radiometri- säure und Königswasser löst, nicht aber in den
schen Altersbestimmung eingesetzt. (Die Uran- „üblichen“ Mineralsäuren Salz-, Schwefel- und
Blei-Datierung führt man oft mit dem Mineral Zir- Salpetersäure. In Basen ist es nicht löslich.
kon (ZrSiO4) durch. Im Kristallgitter des Zirkons Zirconium hat keine bisher bekannte bio-
können Uran-, aber keine Bleiatome eingebaut logische Wirkung und ist nicht toxisch (Holleman
werden. Das Mineral ist beständig gegenüber et al. 2007, S. 1533).
mechanischer Verwitterung und chemisch inert.)
Zirconium ist im reinen Zustand ziemlich Verbindungen
weich und biegsam, lässt sich daher gut durch Mehrheitlich tritt Zirconium in seinen Verbindun-
Walzen, Schmieden und Hämmern verarbeiten. gen in der Oxidationsstufe +4 auf, aber auch die
Geringe Verunreinigungen von Wasserstoff, Koh- Oxidationsstufen von +3 bis 2 sind sämtlich
lenstoff oder Stickstoff machen es aber spröde und bekannt, auch wenn sie nur in Einzelfällen vor-
hart, wodurch es schwerer zu behandeln ist. Hin- kommen.
sichtlich seiner elektrischen Leitfähigkeit steht Chalkogenverbindungen Die wichtigste Ver-
es deutlich hinter anderen Metallen zurück; so be- bindung des Elements überhaupt ist Zirconium-
trägt diese nur 4 % derjenigen des Kupfers, ist IV-oxid (ZrO2), das ein stabiler, hochschmelzen-
aber noch besser als die des leichteren Homologen der [2680 C, Siedepunkt extrapoliert: 5000 C
Titan. Immerhin leitet Zirconium die Wärme gut. (!)], weißer Feststoff der Dichte 5,9 g/cm3 ist
Supraleitend wird das Metall nahezu am abso- (s. Abb. 20). Man verwendet es zur Herstellung
luten Nullpunkt der Temperatur, unterhalb von feuerfester Beschichtungen und Auskleidungen in
272,6 C (0,55 K). Öfen und Tiegeln, es muss aber für diesen Zweck
Die Lanthanoidenkontraktion bewirkt unter mit Magnesium-, Calcium- bzw. Yttriumoxid (La-
anderem, dass die Eigenschaften des Zirconiums mas und de Walsöe Reca 2000) vermengt und
und die des schwereren Homologen Hafnium sich gesintert werden. Ein mit Aluminiumoxid gesin-
stark ähneln; die Atom- und Ionenradien sind fast tertes Zirconium-IV-oxid nutzt man als kerami-
identisch. Nur hinsichtlich der Dichten ist der schen Werkstoff, der bei besonders hohen Tempe-
Unterschied sehr deutlich; die Dichte des Haf- raturen eingesetzt werden kann.
niums ist ungefähr doppelt so groß wie die des Das chemische Verhalten des Oxids hängt von
Zirconiums (Zr: 6,5 g/cm3, Hf: 13,3 g/cm3). seiner thermischen Vorbehandlung ab. Kalt oder
Ebenso ist der Einfangquerschnitt für Neutronen nach leichtem Erhitzen löst es sich zügig in Mi-
beim Zirconium, ganz im Gegensatz zu dem des neralsäuren, nach starkem Erhitzen nur noch in
Hafniums, sehr niedrig, was es für Bauelemente in Fluss- und in konzentrierter Schwefelsäure. Man
Kernreaktoren sehr interessant macht. Seine auf- kann es gut durch Schmelzen mit starken Alkalien
wändige Trennung vom Hafnium ist daher erfor-
derlich.
Chemische Eigenschaften Zirconium ist relativ
unedel und reagiert vor allem bei erhöhter Tempe-
ratur mit vielen Nichtmetallen. In feinverteiltem
Zustand verbrennt es mit grell leuchtender, weißer
Flamme zu Zirconium-IV-oxid, bei Gegenwart von
Luftstickstoff auch zu Zirconiumnitrid und -oxini-
trid. Das kompakte Metall ist deutlich beständiger
und setzt sich erst bei hoher Temperatur mit Sau-
erstoff und Stickstoff um (Holleman et al. 2007,
S. 1533). Beim Lagern an der Luft überziehen sich Abb. 20 Zirconium-IV-oxid (Onyxmet 2018)
504 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Abb. 22 a Zirconium-
mononitrid (Onyxmet
2018). b Zirconium-
mononitrid Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2018)
(I) Zr þ 2 Si ! ZrSi2
triumborhydrid bei 700 C und unter Argon
umsetzten:
T. Nabeta und K. Kanenishi, Zirconium bo- Jeffreys Moseley ( 23. November 1887
ride and method of its manufacture Weymouth; † 10. August 1915 Gallipoli).
(Daiichi Kigenso Kagaku Kogyo, US Er studierte ab 1906 in Oxford Physik und
2018339909 A1, veröffentlicht 29. arbeitete später bei Rutherford an der Uni-
November 2018) versität Manchester, erst in der Lehre, dann
fast ausschließlich in der Forschung. 1913
stellte er eine systematische Beziehung zwi-
schen Wellenlänge und Ordnungszahl eines
5.3 Hafnium chemischen Elements fest. Dieses Moseley’-
sche Gesetz beschreibt die Energie der Kα-
Geschichte Wegen seiner sehr großen chemi- Linie im Röntgenspektrum eines Elements,
deren Strahlung beim „Rückfall“ eines in
schen Ähnlichkeit zu Zirconium entzog sich
der L-Elektronenschale befindlichen Elek-
Hafnium lange seiner Entdeckung, da es stets
trons zur K-Schale ausgesandt wird. Allge-
in zirconiumhaltigen Mineralien enthalten ist
mein kann man mit Hilfe dieses Gesetzes
(Mel’nikov 1982). Das Moseley’sche Gesetz sagte
auch die Lage, also Wellenlänge bzw. Wel-
1912 die Existenz eines damals noch unbekannten lenzahl bzw. Energie, der anderen Spektral-
Elements zwischen den Elementen mit den Ord- linien des Röntgenspektrums eines Ele-
nungszahlen 71 und 73 (Lutetium und Tantal) vo- ments berechnen, da sie für jenes jeweils
raus; auch Urbain folgerte dies aus seinen Unter- charakteristisch sind:
suchungen (1911, 1912). Der von Moseley
versuchte Nachweis in Mineralien der Lanthanoi-
f ¼ c=λ ¼ f R Zeff 2 1=n1 2 1=n2 2
den (Seltenerdmetalle) scheiterte 1914 aber. Dies
war für Bohr 1922 nicht erstaunlich, da seine
Arbeiten zeigten, dass die Reihe der Seltenerdme- Dabei sind:
talle mit Lutetium abgeschlossen war und ein neues
Element mit der Ordnungszahl 72 viel mehr dem c: Lichtgeschwindigkeit (299.792.458 m/s)
Titan und Ziconium ähneln müsse. [In Mendele-
jevs Periodensystem bestand zudem eine Lücke für f R: Angepasste Rydberg-Frequenz
das zu seiner Zeit noch unbekannte Element der [R (1/(1 + me/M))]
Ordnungszahl 72 (Kaji 2002)]. 1923, nur ein Jahr
R1: Rydberg-Konstante (10.973.731,568508
später, wiesen es Coster und de Hevesy in Kopen- m1)
hagen mittels Röngenspektralanalyse in Zirkon
nach (Coster und de Hevesy 1923). Darauf führten R: Rydberg-Frequenz (R = c R1)
Jantzen und Hevesy Versuche zur Abtrennung des
nach dem alten Namen von Kopenhagen, Hafnia, me: Masse eines Elektrons
benannten Hafniums durch; ihnen gelang dies (9,109383561031 kg)
durch mehrfache fraktionierte Kristallisation der
Diammonium- und Dikaliumfluoride beider Ele- M: Kernmasse des Elements (M = mA –
Zme + Eb/c2)
mente. Hafnium erhielt man aus der reinen, haf-
niumhaltigen Fraktion durch Reduktion mit Z: Ordnungszahl des Elements
Natrium (de Hevesy 1923, 1925).
mA: (durchschnittliche) Atommasse des
Elements
Den ersten Beleg für die Richtigkeit des
Konzepts des Periodensystems und der Eb: Massenequivalent der Bindungsenergie
Ordnungszahlen der Elemente lieferte aller Elektronen
1913 der britische Physiker Henry Gwyn
512 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Zeff: Effektive Kernladungszahl des Ele- mente. Erstmals wurde hier die von Einstein
ments (Zeff = Z – S) und Planck begründete, später von Schrö-
dinger weiter entwickelte Quantentheorie
S: Konstante, die die von anderen Elektro- im Modell eines Atoms integriert. Bohr
nen ausgeübte Abschirmung zwischen Kern war außerdem Präsident der Dänischen Kö-
und betrachtetem Elektron beschreibt niglichen Akademie der Wissenschaften
und Vorsitzender der Dänischen Atomener-
n1, n2: Hauptquantenzahlen der jeweils giekommission, zudem Mitglied einiger
betrachteten Zustände: ausländischer wissenschaftlicher Gesell-
schaften (Royal Society in London, Acca-
1: innerer (z. B. K-Schale), 2: äußerer
demia dei Lincei in Rom, Deutsche Akade-
(z. B. L-Schale)
mie der Naturforscher Leopoldina, National
Moseleys Entdeckung zeigte, dass die Ord- Academy of Sciences, American Academy
nungszahlen der Elemente aus experi- of Arts and Sciences). Ihm wurde außerdem
mentell erhaltenen Daten berechnet werden der höchste dänische Orden, der Elefanten-
konnten. Auch zeigte Moseley die damals Orden, verliehen. Ein Asteroid und ein
im Periodensystem der Elemente noch Mondkrater wurden nach Bohr benannt.
bestehenden Lücken bei den Ordnungszah-
Der niederländische Physiker Dirk Coster
len 43, 61 und 75 (die später entdeckten und
( 5. Oktober 1889 Amsterdam; † 12. Fe-
dann als Technetium, Promethium und Rhe-
bruar 1950 Groningen) studierte von 1913
nium benannten Elemente) auf (Heilbron
bis 1919 Physik an der Universität Leiden
1966; Heimann 1967).
und promovierte dort 1922. Für insgesamt
Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwei Jahre arbeitete er danach an den Uni-
meldete er sich zur britischen Armee und versitäten Lund (bei Prof. Siegbahn, 1924
fiel in der Schlacht von Gallipoli nahe Istan- Nobelpreisträger für Physik) und in Kopen-
bul. hagen bei Niels Bohr. Dort entdeckte er
1923 zusammen mit George de Hevesy
Der dänische Physiker Niels Henrik David das Element Hafnium durch rötgenspek-
Bohr ( 7. Oktober 1885 Kopenhagen; † 18. troskopische Untersuchung von Zirkon. Er
November 1962 Kopenhagen) erhielt 1922 organisierte für Lise Meitner ihre Ausreise
den Nobelpreis für Physik „für seine Ver- aus dem nationalsozialistischen Deutsch-
dienste um die Erforschung der Struktur der land. Der Asteroid (10445) Coster trägt sei-
Atome und der von ihnen ausgehenden nen Namen (Brinkman 2013).
Strahlung“. Er studierte ab dem Jahr 1903
an der Universität Kopenhagen Physik, Der ungarische Chemiker George Charles
Mathematik, Chemie, Astronomie und Phi- de Hevesy ( 1. August 1885 Budapest; †
losophie. Das Thema seiner 1911 abge- 5. Juli 1966 Freiburg im Breisgau) studierte
schlossenen Promotion waren die magneti- Chemie, Mathematik und Physik in Buda-
schen Eigenschaften von Metallen. 1912 pest, Berlin und Freiburg. Er promovierte
wechselte er nach Manchester in das Labor 1908 an der Universität Freiburg über die
von Ernest Rutherford. 1914 wurde er dort Gewinnung der Alkalimetalle durch Elek-
Dozent, ging aber bald danach zurück nach trolyse ihrer geschmolzenen Hydroxide
Kopenhagen, wo er 1920 Professor für Phy- (Vértes 2007). 1911 ging auch er zu Ernest
sik an der dortigen Universität wurde. Das Rutherford zur Universität Manchester, wo
von ihm bereits 1913 postulierte Atommo- er Niels Bohr traf. Sein Arbeitsschwerpunkt
dell (Bohr 1924) konnte bereits die Linien- waren radioaktive Zerfallsreihen. Ende
spektren des Wasserstoffs erklären, nicht 1912 kehrte er nach Budapest zurück und
aber befriedigend die der höheren Ele- habilitierte sich dort ein Jahr später über die
5 Einzeldarstellungen 513
gasförmige Iod wieder in den Kreislauf der Eigenschaften Physikalische Eigenschaften Haf-
Reaktion zurückgeführt wird (van Arkel und de nium ist silbrig-glänzend, duktil und beständig
Boer 1925). gegen Korrosion (s. Tab. 3). In chemischer Hin-
sicht ist es Zirconium äußerst ähnlich (Schemel Oxidchlorids oder Sulfats bei 600–1000 C dar-
1977), wogegen die physikalischen Eigenschaften gestellt. In besonders reinem Zustand ist die Ver-
zum Teil deutlich von Zirconium abweichen bindung durch Hydrolyse von Hafniumalkohola-
(Scerri 1994). Vor allem für nukleare Anwendun- ten erhältlich (Brauer 1978d, S. 1371). In reiner
gen ist eine möglichst vollständige Trennung der Form ist die Verbindung ein weißes (s. Abb. 28b),
Elemente voneinander erforderlich, denn Haf- sonst weiß- bis cremefarbenes Pulver (s. Abb. 28a)
niumkerne haben einen 600 Mal höheren Ein- mit monokliner Kristallstruktur (Ruh et al. 1968),
fangsquerschnitt für thermische Neutronen als das einen sehr hohen Schmelz- bzw. Siedepunkt
Zirconium, das praktisch durchlässig für Neutro- (2812 bzw. 5400 C) sowie eine Dichte von
nen ist. 9,68 g/cm3 besitzt. Der Brechungsindex liegt bei
Insgesamt sind gegenwärtig 34 Isotope des knapp 2,00, die Dielektrizitätskonstante der amor-
Hafniums bekannt, mit Massenzahlen zwischen phen Verbindung bei 20–25 (Park und Kang
153 und 186. Die stabilen Isotope besitzen Mas- 2006; Jones et al. 2005). Das Oxid ist praktisch
senzahlen zwischen 176 und 180 (17672Hf bis unlöslich in Wasser und organischen Lösungsmit-
180
72Hf). Die Halbwertszeiten der radioaktiven teln.
Isotope bewegen sich zwischen 400 ms für Hafnium-IV-oxid besitzt eine hohe Härte und
153 15
72Hf und 210 a für 17472Hf. eine geringe Wärmeausdehnung. Bei einer Tem-
Chemische Eigenschaften Auf kompaktem peratur von 1720 C geht die monokline Kristall-
Hafnium bildet sich beim Lagern an der Luft eine struktur in die tetragonale über, bei 2600 C
schützende, sehr dünne Passivschicht aus, die erfolgt ein weiterer Phasenübergang in Richtung
einen weiteren Angriff durch Luftsauerstoff und einer kubischen Modifikation. Die Dielektrizitäts-
-feuchtigkeit verhindert. Hafnium löst sich zwar konstanten nehmen dabei in Richtung der gezeig-
in Mineralsäuren bei Raumtemperatur kaum, ten Umwandlungen zu (monoklin: 16–18, tetra-
reagiert bei erhöhter Temperatur aber mit Haloge- gonal 30, kubisch 70) (Cunningham 2014).
nen und verbrennt in Luft. In fein verteiltem Wegen seiner großen Bandlücke von 5,5 eV ist
Zustand kann es sich an der Luft sogar spontan es kein Halbleiter mehr, sondern hat weitgehend
entzünden. Gegenüber starken Basen ist es inert. die Eigenschaften eines elektrischen Isolators.
Hoch erhitzt, reagiert es auch mit anderen Nicht- Sind die Schichtdicken sehr gering, so ist mittels
metallen wie Stickstoff, Kohlenstoff, Bor und geeigneter Dotierung und Anlegen einer elektri-
Silicium. schen Spannung eine orthorhombische Kristall-
phase darstellbar, die ferroelektrische Eigenschaf-
Verbindungen ten besitzt (Böscke et al. 2011). Dies beobachtet
Die mit Abstand häufigste Oxidationsstufe des man bei durch Atomlagenabscheidung erzeugten,
Hafnium ist +4, man kennt aber auch alle niedri- extrem dünnen Schichten von Hafnium-IV-oxid,
geren Oxidationsstufen von +3 bis 2. die nach Temperung zunächst in der nicht ferro-
Chalkogenverbindungen Hafnium-IV-oxid (HfO2) elektrischen monoklinen Phase kristallisieren.
wird durch Glühen des Oxalats, Hydroxids, Wird zwischen an dieser Schicht aufgebrachten
Abb. 28 a Hafnium-IV-
oxid (Walkerma 2005).
b Hafnium-IV-oxid
(Onyxmet 2018)
516 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
Metallelektroden eine starke Spannung angelegt, der Dichte 6,03 g/cm3. [Ein völliger Ersatz der
so erfolgt beim Abkühlen ein Übergang der Sulfid- durch Selenid- und Telluridionen übrigens
monoklinen Struktur in die orthorhombische und reduziert die Bandlücke bei einer Zusammenset-
tetragonale. Dies kann noch durch Dotierung der zung von Hf(S2xTex)1y auf 0 eV, wenn y~0 und
Schicht, etwa mit Verbindungen des Siliciums, 0,08<x<0,095 ist (Hodul und Stacy 1984).] Man
Yttriums oder Zirconiums, unterstützt werden stellt Hafnium-IV-sulfid durch Leiten von Schwe-
(Müller et al. 2011a, b, 2012). Die neu entstan- felwasserstoff über Hafnium-IV-oxid im Tempe-
dene orthorhombische Phase zeigt jedoch eine raturbereich von 500 bis 1300 C her (Kaminskii
gewisse Asymmetrie, so dass die kleinen Oxidio- et al. 1973). Es hat eine schichtförmige Kristall-
nen bei Anlegen eines elektrischen Felds zwi- struktur und kann in Lagen weniger Atome zur
schen mehreren stabilen Gitterplätzen wechseln Erzeugung sehr dünner, halbleitender Schichten,
und so eine Polarisation bewirken können. Je beispielsweise für Feldeffekt-Transistoren (Kana-
dicker die Oxidschicht wird, desto schwächer zawa et al. 2016; Kaur 2017), auf Substrate auf-
wird aber der Einfluss der angelegten Schicht- gebracht werden.
spannung, so dass dicke Schichten ihre monokline Das schwarze, kristalline Hafnium-IV-selenid
Gitterstruktur beibehalten und kein ferromagneti- (HfSe2) ist ein indirekter Halbleiter mit einer Band-
sches Verhalten zeigen. Ein Maximum der Ferro- lücke von 1,16 eV und der Dichte 7,46 g/cm3. Es
elektrizität liegt bei Schichtdicken von 10 bis ist in Reinheitsgraden bis hinauf zu den Er-
15 nm vor, aber der Leckstrom ist noch messbar. fordernissen der Elektronikindustrie erhältlich
Wird beim Hafnium-IV-oxid eine remanente (6N=99,9999 %). Die so hergestellten Kristalle
Polarisation Pr von bis zu 10 μC/cm2 und eine werden zuerst auf eine bestimmte Größe gezüch-
Wiederholbarkeit des Effektes über mehr als tet, dann durch Zonenschmelzen gereinigt. Sie
150.000 Zyklen erreicht, so besitzt das Mischoxid zeigen einen regelmäßigen Gitteraufbau und las-
Hf0,5Zr0,5O2 aus dem jeweils monoklinen Haf- sen sich leicht selbst in einzelnen Gitterschichten
nium-IV- und Zirconium-IV-oxid eine maximale abtragen. Sie besitzen eine exakte Stöchiometrie
remanente Polarisation von 16 μC/cm2 bei und bestehen aus einer Phase. Ähnliches gilt für
Schichtdicken von 7,5 bis 9,5 nm (Mittmann et al. das in Pulverform graue, in Gestalt von Einkris-
2017), weil vom reinen Hafnium-IV-oxid begin- tallen schwarze Hafnium-IV-tellurid (HfTe2), das
nend mit steigender Beimischung von Zirconium ebenfalls ein Halbleiter ist.
ein laufender Übergang zur ferroelektrischen or- Im Jahr 2016 gemeinsam vom Dresdner
thorhombischen Phase des Mischoxids einsetzt. Max-Planck-Institut für Festkörperphysik und
Da Hafnium-IV-oxid schon weit als high-k der Technischen Universität Shanghai durchge-
Dielektrikum verbreitet ist und exzellent CMOS- führte Arbeiten zu Telluriden der höheren Über-
kompatibel ist, entstehen neue Anwendungen als gangsmetalle brachten überraschende Ergebnisse.
schneller, energieeffizienter und nichtflüchtiger Zunächst zeigten Ditelluride wie WTe2 und MoTe2
Halbleiterspeicher (FeFET, FRAM, FeCap). Den einen extrem hohen magnetischen Widerstand
Stromverbrauch einer integrierten Schaltung ver- und sind als Weyl-Halbmetalle bzw. Quantenspin-
ringert man durch eine Verkleinerung der Struktur Hall-Isolatoren anzusehen, die in neuen Anwen-
und erhöht zugleich die Schaltgeschwindigkeit. dungen der Elektronik und Spintronik eingesetzt
Materialien wie Hafnium-IV-oxid erlauben bei werden können. Tritelluride wie ZrTe3 sind in
konstanter Kapazität dickere Isolatorschichten, kompaktem Zustand unter bestimmten Bedingun-
wodurch Leckströme minimiert werden (Devi gen supraleitend. Pentatelluride wie ZrTe5 oder
2007). Daher geht es als High-k-Dielektrikum in Hafniumpentatellurid (HfTe5) haben außerge-
die Produktion von Halbleitern oder als Spiegel- wöhnliche thermoelektrische Eigenschaften. Re-
material in die optische Industrie. sultate von ab-initio-Berechnungen zeigten erst,
Das braune Hafnium-IV-sulfid (HfS2) ist ein dass diese Pentatelluride Quantenspin-Hall-Isola-
typischer Halbleiter mit einer indirekten Bandlü- toren mit großer Bandlücke sind. An ZrTe5 jüngst
cke von 1,8 eV (Terashima und Imai 1987) und durchgeführte Messungen belegen aber eher die
5 Einzeldarstellungen 517
Eigenschaften eines Dirac-Halbmetalles und das kristalline Pulver (Abb. 30) ist empfindlich
Auftreten chiraler Magneteffekte beim Übergang gegenüber Hydrolyse und raucht wegen der Bil-
vom Dirac- zum Weyl-Halbmetall. Diese Penta- dung von Salzsäurenebeln an feuchter Luft.
telluride sind topologische Isolatoren, sind also an Die Verbindung sublimiert schon bei einer
ihrer Oberfläche elektrisch leitend, in ihrem Inne- Temperatur von 315 C und schmilzt unter Druck
ren aber nicht. Anwendung extrem hoher Drücke bei 433 C. Hafnium-IV-chlorid hat eine mono-
wurden aus den Halbmetallen ZrTe5 und HfTe5 kline Kristallstruktur, die leicht verzerrte HfCl6-
sogar Supraleiter (!) (Medvedev et al. 2016). Oktaeder enthält, die über cis-Brücken miteinan-
Halogenverbindungen Hafnium-IV-fluorid (HfF4) der verbunden sind (Niewa und Jacobs 1995).
ist in Reinform ein weißer Feststoff (Abb. 29) der Unter anderem setzt man Hafnium-IV-chlorid
Dichte 7,1 g/cm3, der bei einer Temperatur von bei der chemischen Abscheidung aus der Gas-
1140 C schmilzt, in Wasser hydrolysiert und auf phase zur Herstellung von Hafniumcarbid ein
mehreren Wegen erhalten werden kann, so durch (Allendorf 1999).
Reaktion von Hafniumdioxid mit Fluor (Touma- Hafnium-IV-bromid (HfBr4) gewinnt man
nov 2003): durch Bromierung von Hafnium im Bereich von
320 bis 350 C (Brauer 1978c, S. 1358). Ebenfalls
HfO2 þ 2 F2 ! HfF4 þ O2 funktioniert die Umsetzung von Hafnium-IV-oxid
mit Kohlenstoff und Brom:
Ebenso liefert die Fluorierung von Hafnium,
Hafniumcarbid oder Hafniumdiborid das ge- HfO2 þ 2 C þ 2 Br2 ! HfBr4 þ 2 CO
wünschte Produkt (Hagen 2009). Hafnium-IV-
fluorid kristallisiert monoklin (Benner und Müller Der weiße bis cremefarbene Feststoff (s. Abb. 31)
1990). Reaktion mit wässriger Flüsssäure ergibt der Dichte 4,9 g/cm3 sublimiert schon bei einer
unter anderem das Trihydrat (Johnson 1972; Temperatur von 317 C und wird durch Wasser
Clark et al. 2013). In dünnen, aufgesputterten völlig zu basischem Hafniumoxid hydrolysiert.
Schichten setzt man es in Interferenzfiltern ther-
mischer Photovoltaikanlagen ein (Martin et al.
2002).
Kalium- oder Ammoniumhexafluoridohafnat-
IV [K2HfF6, (NH4)2HfF6] verwendet man zur
Abtrennung des Hafniums von Zirconium, da
die beiden Hafniumsalze leichter in Wasser lös-
lich sind als die des Zirconiums.
Hafnium-IV-chlorid (HfCl4) erhält man durch
Chlorieren von Hafnium bei etwa 320 C (Brauer
1978c, S. 1358). Alternativ entsteht es auch beim Abb. 30 Hafnium-IV-chlorid (Onyxmet 2018)
Überleiten von trockenem Chlorwasserstoff über
Hafnium-II-hydrid (Allendorf 1999). Das weiße,
Da Hafniumcarbid sehr empfindlich gegenüber Hafniumdiborid (HfB2) ist durch Reaktion von
gasförmigem Stickstoff ist, muss man die Synthe- Hafniumdioxid mit Kohlenstoff und Bortrioxid
sen unter reinem Argon als Schutzgas durchfüh- oder Borcarbid erhältlich:
ren. Im Gitter des Hafniumcarbids besetzten
Kohlenstoffatome die oktaedrischen Lücken der HfO2 þ B2 O3 þ 5 C ! HfB2 þ 5 CO
oberhalb von 1775 C stabilen, kubisch-raum-
zentrierten Matrix der Hafniumatome. Auch das Ebenfalls Hafniumdiborid liefert die Umset-
so gebildete Hafniumcarbid besitzt daher eine zung von Hafnium-IV-chlorid mit Wasserstoff
Kristallstruktur vom Natriumchlorid-Typ mit er- und Bortrichlorid bei Temperaturen >2000 C
heblicherer Phasenbreite (HfC0,99 bis HfC0,60), oder das Sintern der Elemente.
ein Elastizitätsmodul von bis zu 510 GPa sowie Der in Pulverform dunkelgraue Feststoff
eine Vickershärte von 26,1 GPa und. An Luft (s. Abb. 35b) schmilzt bei einer Temperatur von
oxidiert es oberhalb von 500 C. Das Material ist 3100 C und hat die Dichte 10,5 g/cm3. Die Ver-
sehr teuer; jedoch geht es vereinzelt in Beschich- bindung ist überraschenderweise stabil gegenüber
tungen und auch in Kontrollstäben von Atomre- fast allen Säuren und wird nur von Flusssäure
aktoren (Pierson 1996). angegriffen, und erst bei Temperaturen über
Hafniumdisilicid (HfSi2) ist ein cremefarbenes 1500 C oxidiert sie (McNallan 2000). Hafnium-
bis hellgelbes Pulver (s. Abb. 34) der Dichte diborid ist sehr hart (Hutchings und Shipway
7,6 g/cm3, das in Keramiken eingesetzt wird. 2017; Jayaraman et al. 2005), kristallisiert hexa-
Die Erzeugung der Verbindung an Grenzflächen gonal (Lawson et al. 2011) und isotyp zu Titan-,
zwischen Hafnium-IV-oxid und Silicium ist von Zirconium- und Aluminiumdiborid.
de Siervo et al. (2006) beschrieben worden. Bei Man setzt Hafniumdiborid in verschleißfesten
Temperaturen oberhalb von 550 C kristallisiert Beschichtungen ein, ferner als Material für Kon-
an der Phasengrenze eine gleichmäßig struktu- trollstäbe in Kernreaktoren, ICBM-Hitzeschilde
rierte Phase von Hafniumdisilicid aus. oder, in Kombination mit Siliciumcarbid, in hoch-
temperaturbeständigen Werkstoffen (Loehman
et al. 2006). Die halbleitende Substanz ist auch
in Form von Sputtertargets erhältlich (s. Abb. 35a),
aus denen extrem dünne Schichten abgelöst und
auf verschiedene Substrate aufgebracht werden.
Auch in den in Düsen von Tintenstrahldruckern
installierten Heizelementen ist es enthalten
(Wu et al. 1996).
Abb. 35 a Hafnium-
diborid (QS Advanced
Materials 2018).
b Hafniumdiborid
(Onyxmet 2018)
520 9 Titangruppe: Elemente der vierten Nebengruppe
242
94 Pu þ 22
10 Ne ! 260
104 Rf þ 41 0 n
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world Die Sowjets reklamierten das Benamungsrecht
wide.espacenet.com) aufgrund der Erstentdeckung für sich und benann-
ten es nach Igor Kurtschatow Kurtschatovium
H. Chen, Production system of crystal strip (Ku). Dieser Name wurde jedoch von der Arbeits-
hafnium and method thereof (Nanjing gruppe in Berkeley abgelehnt, die erstmalig
Youtian Metal Technologies Co., Ltd., fünf Jahre später Isotope des Elements erhielten
(Ghiorso 1969); stattdessen wurde von deren
5 Einzeldarstellungen 521
Seite Rutherfordium (Rf) favorisiert. Erst drei die jüngste Vergangenheit hinein entdeckt werden
Jahrzehnte danach konnte man sich auf den (Heßberger et al. 1997, 2001; Ghiorso et al. 1993;
Namen Rutherfordium einigen, jedoch mit dem Ellison et al. 2010; Barber et al. 1993; Ninov et al.
Zugeständnis an Dubna, das neue Element 1999; Oganessian et al. 2007, 2009, 2015). Über
105 Dubnium nennen zu dürfen. die Festlegung der Namen wurden zwischen den
hauptsächlich an der Entdeckung dieser Elemente
beteiligten Institute zahlreiche Kontroversen ge-
Der neuseeländische Physiker Ernest
führt (IUPAC Commission 1997).
Rutherford, [ 30. August 1871 Spring
Grove; † 19. Oktober 1937 Cambridge,
Eigenschaften
Vereinigtes Königreich] erhielt 1908 den
Physikalische Eigenschaften Rutherfordium soll
Nobelpreis für Chemie für die von ihm
1903 erstmalig definierte Unterteilung der unter Normalbedingungen fest sein und in einer
drei damals wichtigsten radioaktiven Zer- hexagonal-dichtest gepackten Struktur kristalli-
fallsarten α, β und γ. Aus seinen Versuchen sieren, ähnlich wie es bei seinem leichteren
zur Streuung von α-Teilchen an Goldfolie Homologen, dem Hafnium, der Fall ist. Seine
leitete er sein Atommodell ab, das eine sehr Dichte wird mit dem hohen Wert von 23,2 g/cm3
ungleiche Massenverteilung von Elektro- erwartet (s. Tab. 4), und Rutherfordium wäre
nen und Atomkernen postulierte. Diese damit bereits das dichteste bekannte Element,
Arbeiten führte er an der McGill-Universi- ganz abgesehen von den noch schwereren Trans-
tät in Montréal (Kanada) durch, wo er bis actinoiden. Wie bei allen diesen schweren Isoto-
1907 arbeitete. Danach wechselte er an die pen sind nicht nur Atomradius, Kernladungszahl
Universität Manchester (England) und und Zahl der äußeren Valenzelektronen aus-
arbeitete dort unter anderem mit Niels Bohr schlaggebend für die Eigenschaften, sondern
zusammen. zunehmend auch relativistische Effekte. Diese
stabilisieren stark die äußeren 7s-Elektronen,
Nach dem Ersten Weltkrieg ging er als Pro- weshalb die Atome der Transactionoide, deren
fessor nach Cambridge und übernahm die
erster Vertreter das Rutherfordium ist, eher 6d-
Leitung des dortigen Cavendish-Laborato-
Elektronen (!) abgeben, um in einer positiven
riums. 1921 verfasste er seine Schrift über
Oxidationszahl aufzutreten. Dieses Verhalten
die Kernstruktur der Atome und war zwi-
wäre demjenigen seiner leichteren Homologen
schen 1925 und 1930 Präsident der Royal
gegenläufig (Östlin und Vitos 2011; Türler et al.
Society (Campbell 1999; Wilson 1983).
1998).
Der radioaktive Zerfall und die Art der Isotope
Gewinnung Nach der oben bereits beschriebe- des Rutherfordiums wurden ebenfalls untersucht
nen Methode, die die sowjetischen Forscher zur und in einigen Publikationen beschrieben (Heß-
Erzeugung des Isotops 260104Rf anwandten, ver- berger et al. 2001; Lane et al. 1996; Hofmann
folgte der amerikanische Arbeitskreis unter Sea- 2009).
borg hierzu unterschiedliche Verfahren, indem sie Chemische Eigenschaften Berechnungen sei-
Isotope des Californiums mit leichten Kohlen- ner Ionisationspotenziale, Atomradien, Orbital-
bzw. Sauerstoffkernen beschossen (Ghiorso et al. energien etc. ergaben, dass Rutherfordium dem
1969, 1970; Bemis et al. 1973): Hafnium und auch den leichteren Gruppenmit-
gliedern Titan und Zirconium ähnelt und somit
249
þ 12 6 C ! 257 104 Rf þ 41 0 n
98 Cf in eine Gruppe mit diesen einzuordnen ist (Kratz
98 Cf þ 6C ! 104 Rf þ 3 0 n
249 13 259 1
et al. 2003; Kratz 2003). Einige seiner Eigen-
96 Cm þ 8O ! 104 Rf þ 5 0 n
248 18 261 1
schaften bestimmte man mittels Reaktionen in
der gas- und in der wässrigen Phase. Es ist zu
Rutherfordium ist das erste Transactionoid; erwarten, dass die Oxidationszahl +4 die stabilste
viele weitere Elemente dieser Reihe sollten bis in für Rutherfordium ist, wenngleich die Existenz
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tallografiya 31:446–449
Vanadiumgruppe: Elemente der
fünften Nebengruppe 10
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567
Zusammenfassung 1 Einleitung
Dieses Kapitel beschreibt die chemischen und
physikalischen Eigenschaften, Vorkommen, Die Elemente der fünften Nebengruppe (Vana-
Herstellverfahren, Anwendungen und Patente dium, Niob, Tantal und Dubnium) sind zueinan-
der Elemente der fünften Nebengruppe des der physikalisch und chemisch relativ ähnlich. Bei
Periodensystems der Elemente mit ihren wich- Niob und Tantal wie auch bei den jeweils linken
tigsten Verbindungen. Vanadium ist Bestand- Nachbarn im Periodensystem, Zirconium und
teil einer Reihe widerstandsfähiger und harter Hafnium, sind die chemischen Eigenschaften
Stähle, wogegen man aus den harten und che- wegen der sich auswirkenden Lanthanoidenkon-
misch relativ inerten Metallen Niob und Tantal traktion sogar fast deckungsgleich. Bezüglich
hochschmelzende Legierungen für besondere ihrer physikalischen Eigenschaften bestehen für
Anwendungen herstellt. Isotope des Dubniums beide Elemente dann aber doch Unterschiede, was
kommen in der Natur nicht vor und können man bei der Dichte und den Schmelz- und Siede-
ausschließlich auf künstlichem Weg erzeugt punkten sieht. Meist geben die Atome der Ele-
werden. mente dieser Gruppe insgesamt fünf äußere
Valenzelektronen (je zwei s- und zwei d-Elektro-
nen) ab, um eine stabile Elektronenkonfiguration
zu erreichen.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 531
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_10
532 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
Die Entdeckung des Vanadiums und Niobs nen über das jeweilige Element, so dass hier nur
erfolgte Mitte des 19. Jahrhunderts, die des Tan- eine sehr kurze Einleitung vorangestellt wurde.
tals in den frühen 1900er-Jahren, und sogar das
nur künstlich darstellbare Dubnium wurde in
Form eines seiner Isotope vor fast 50 Jahren (!) 2 Vorkommen
schon erzeugt. Sie finden alle Elemente im unten
stehenden Periodensystem in Gruppe 5 (V B). Vanadium kommt in der Erdhülle immerhin noch
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. mit einem Anteil von 410 ppm vor, Niob und
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie Tantal dagegen zählen mit Anteilen von 18 bzw.
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie etwa 8 ppm zu den seltenen Elementen. Dubnium
Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die meisten gewinnt man ausschließlich durch künstliche
Elemente können sich untereinander verbinden Kernreaktionen und auch dann nur in geringsten
und bilden chemische Verbindungen; so wird z. B. Mengen, die bis an wenige Atome heranreichen.
aus Natrium und Chlor die chemische Verbindung
Natriumchlorid, also Kochsalz.
Einschließlich der natürlich vorkommenden 3 Herstellung
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- Vanadium und Niob erzeugt man meist durch
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. Umsetzung ihrer Pentoxide (V2O5 bzw. Nb2O5)
Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier Ver- mit Calcium bzw. Aluminium, Tantal dagegen
treter der Gruppe der Elemente der fünften Neben- bevorzugt durch Reduktion seines Chlorids (TaCl5)
gruppe enthalten dabei alle wichtigen Informatio- mit Natrium. Wenn es um die Gewinnung reinen
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
↓
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Niobs oder Tantals geht, ist immer zuvor eine auf- 5.1 Vanadium
wendige Trennung der beiden, sich in der Natur
fast immer begleitenden Elemente notwendig. Geschichte Zum ersten Mal wurde das später als
Vanadium benannte Element 1801 vom spani-
schen Mineralogen del Río in einem Bleierz ent-
4 Eigenschaften deckt. Er nannte das neue Element zunächst Pan-
chromium, später Erythronium, widerrief seine
4.1 Physikalische Eigenschaften Entdeckung aber kurz darauf, als zeitgenössische
Forscher wegen der Ähnlichkeit der von del
Die physikalischen Eigenschaften sind auch in die- Río beschriebenen Verbindungen zu denen des
ser Gruppe mit nur wenigen Ausnahmen regelmä- Chroms behaupteten, dass diese angeblich von
ßig nach steigender Atommasse abgestuft. In Ana- einem neuen Element herrührenden Verbindun-
logie zu den Nachbarelementen der vierten und gen lediglich unreine Chromverbindungen seien
sechsten Nebengruppe nehmen vom Vanadium (Caswell 2003).
zum Tantal Schmelz- und Siedepunkte, Schmelz- Die 1830 von Sefström durchgeführten Arbei-
und Verdampfungswärmen sowie die Dichten zu, ten belegten die Auffindung eines bis dahin unbe-
ebenso – aber nur schwach – die chemische Reak- kannten Elements, das sowohl dem Chrom als
tionsfähigkeit. Der bei den Elementen der ersten auch dem Uran ähnelte, aber weder dem einen
bis dritten Hauptgruppe zu beobachtende Effekt noch dem anderen entsprach. Sefström nannte
der Schrägbeziehung erscheint bei sämtlichen das Element Vanadium, und Wöhler belegte
Nebengruppenelementen, also auch in dieser wenig später dessen Identität mit dem von del
Gruppe, nicht. Vanadium leitet in seinen Eigen- Río beschriebenen Erythronium (Sefström 1831).
schaften also nicht zum Molybdän über. In unreiner Form stellte Roscoe das Metall
1867 durch Reduktion von Vanadium-II-chlorid
mit Wasserstoff dar, sehr reines Vanadium erzeug-
4.2 Chemische Eigenschaften ten 1925 Marden und Rich durch Reduktion von
Vanadium-V-oxid mit Calcium. 1903 setzte man
Die Elemente der Vanadiumgruppe sind teilweise Vanadium erstmals als Legierungsbestandteil in
reaktiv, aber gelegentlich auch sehr reaktionsträ- Stählen ein (Bauer 2000).
ge. An der Luft lagernd, schützt sie eine sehr
dünne, passivierende Oxidschicht vor weiterer Vorkommen Vanadium ist mit einem Gehalt von
Korrosion durch Luftsauerstoff, und auch in Säu- 120 ppm an der kontinentalen Erdkruste ein ziem-
ren sind sie nur vereinzelt und auch dann nur unter lich häufig vorkommendes Element, damit liegt
Anwendung drastischer Methoden löslich. Mit dieses oft nur Fachleuten bekannte Metall etwa
vielen Nichtmetallen (Halogene, Sauerstoff, auch gleichauf mit Chlor oder Chrom. Es kommt
Stickstoff und Kohlenstoff) reagieren sie aber bei wegen seiner hohen Reaktivität nur in chemisch
erhöhter Temperatur. Vanadium-V-oxid (V2O5) gebundener Form vor, allerdings sind reine Vana-
reagiert schwach sauer, die entsprechenden Pen- diumminerale selten und darüber hinaus nur
toxide des Niobs und Tantals (Nb2O5 bzw. Ta2O5) verstreut, das heißt in geringen Konzentrationen,
praktisch neutral. verbreitet. Die wichtigsten Vanadiumminerale
sind die ähnlich zu den Phosphaten strukturier-
ten Vanadate, so wie Vanadinit [Pb5(VO4)3Cl],
5 Einzeldarstellungen Descloizit [Pb(Zn, Cu) (OH,VO4)], Carnotit
[K2(UO2)2(VO4)2 3 H2O] und Patrónit (VS4).
Im folgenden Teil sind die Elemente der Vanadi- Der größere Teil des Vanadiums ist in geringen
umgruppe (5. Nebengruppe) jeweils einzeln mit Konzentrationen als Begleiter in Erzen anderer
ihren wichtigen Eigenschaften, Herstellungsver- Schwermetalle enthalten, zum Beispiel im Ma-
fahren und Anwendungen beschrieben. gnetit (Eisen-II, III-oxid, Fe3O4) oder in Mischer-
534 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
zen des Titans und Eisens mit Anteilen von umerze heute keine Rolle mehr für die Gewinnung
0,3–0,8 % (Hartwig 2003). Entsprechende Erze spielen. Wenn Eisenerze im Hochofen zusammen
aus Südafrika können auch Vanadiumgehalte von mit Kohle geröstet werden, werden auch die va-
bis zu 1,7 % aufweisen (Bauer 2000). Das gegen- nadiumhaltigen Verunreinigungen zu Vanadium
wärtig von Australian Vanadium erschlossene reduziert, das sich im flüssigen Eisen sammelt.
Feld in Gabanintha (Westaustralien) soll ihren Der beim Frischen in das flüssige Eisen eingebla-
Angaben zufolge ca. 184 Mt mit einem durch- sene Sauerstoff bewirkt, dass Vanadium oxidiert
schnittlichen Gehalt von 0,76 % Vanadium-V-oxid und als Vanadium-V-oxid in der Schlacke so stark
umfassen (australianvanadium.com.au 2019). angereichert wird, dass diese bis zu einem Viertel
Sind im menschlichen Körper nur ca. 0,3 ppm aus Vanadium-V-oxid besteht und somit die bedeu-
des Elementes enthalten, können es beispiels- tendste Quelle zur Herstellung von Vanadium ist.
weise der Fliegenpilz oder bestimmte Arten von Die Schlacke wird unter Zuleiten von Sauer-
Seescheiden anreichern. Letztere sind imstande, stoff mit Natriumchlorid bzw. -carbonat zu Natri-
Vanadium bis zum zehnmillionenfachen Gehalt, ummetavanadat (NaVO3) geröstet, das ausgewa-
verglichen mit dem umgebenden Meerwasser, zu schen und durch Ansäuern und darauf folgende
speichern (Holleman et al. 2007, S. 1542). Übli- Zugabe von Ammoniumsalzen als Ammonium-
cherweise liegt die dem zugrunde zu legende polyvanadat aus wässriger Lösung ausgefällt
Konzentration des Vanadiums im Meerwasser wird. Jenes wandelt man in Vanadium-V-oxid
nur bei rund 1,3 μg/L (Rehder 1991), da die meis- um, das ebenfalls dann das letzte Produkt vor
ten Verbindungen des Vanadiums schwer bis der Gewinnung reinen Vanadiums ist, wenn
überhaupt nicht wasserlöslich sind. andere vanadiumhaltige Erze als Ausgangsstoffe
Kohle und Erdöl enthalten ebenfalls Vana- verwendet werden.
dium, das darin in Konzentrationen von bis zu Ein sehr ergiebiges Verfahren zur Gewinnung
0,1 % (!) enthalten sein kann (Hartwig 2003). von Vanadium aus Rückständen der Erdölver-
Venezolanisches und kanadisches Erdöl weisen brennung beschreibt ein Patent der Ente Minera-
besonders hohe Gehalte an Vanadium auf (Holle- rio Siciliano (Corigliano et al. 1988). Erdöl hin-
man et al. 2007, S. 1543). gegen wird mit einer magnesiumnitrathaltigen
Die aktuell geförderte Menge an Vanadium wässrigen Lösung ausgewaschen, wobei Vana-
(gerechnet als Metall) bewegt sich um 78000 t/a, dium in die wässrige Phase übergeht und so vom
wobei der größte Anteil aus Russland, China und Erdöl abgetrennt werden kann. Danach durchläuft
Südafrika stammt. Die zur Zeit bekannten Reser- der Aufarbeitungsprozess alle Schritte von Ein-
ven liegen in der Größenordnung von >63 Mio. t dampfen des Feststoffes, Rösten, Ausfällen des
(Polyak 2015). Ammoniumpolyvanadats bis zur Herstellung
von Vanadium-V-oxid (Bauer 2000).
Gewinnung Del Rio und später Sefström waren Das bei allen obengenannten Verfahren anfal-
die Ersten, die den Nachweis erbrachten, dass es lende Vanadium-V-oxid reduziert man entweder
sich bei den von ihnen gefundenen Verbindungen mit Aluminium, Calcium, Ferrosilicium oder Koh-
um die eines damals neuen Elements, des Vanadi- lenstoff. Letzterer hat jedoch den Nachteil, dass er
ums, handelte (Caswell 2003; Sefström 1831). mit dem durch Reduktion erhaltenen Vanadium
Die erste Darstellung elementaren, aber noch teils weiter zu Carbiden reagiert. Ungeeignet ist
unreinen Vanadiums erfolgte 1867 durch Roscoe, aus ähnlichem Grund auch Ferrosilicium. Zur
der Vanadium-II-chlorid (VCl2) mit Wasserstoff Gewinnung reinen Vanadiums muss man daher
umsetzte. In sehr reiner Form konnte es erst Calcium oder Aluminium verwenden:
1925 durch Reaktion von Vanadium-V-oxid
(V2O5) mit Calcium hergestellt werden. V2 O5 þ 5 Ca ! 2V þ 5 CaO
Ausgangsstoffe zur Gewinnung von Vanadium
sind Erze wie Carnotit, Patronit, titanhaltige Die Verwendung von Calcium erlaubt die
Magnetite und sogar Erdöl (!), wogegen Vanadi- Herstellung reinen Vanadiummetalls, wogegen
5 Einzeldarstellungen 535
als Reduktionsmittel eingesetztes Aluminium zu- dieser Temperatur eine spontane elektrische
nächst eine Legierung mit Vanadium bildet, aus der Mikropolarisation (Krome 2003; Moro et al.
es bei hohen Temperaturen im Vakuum aufwendig 2003). Vanadium bildet auch supraleitende Legie-
durch Destillation abgetrennt werden muss. rungen, etwa mit Gallium, Zirkonium und Niob.
Für die meisten Anwendungen ist der mühsa- Chemische Eigenschaften Vanadium ist relativ
me Weg der Aufarbeitung zu reinem metallischen unedel und reagiert mit zahlreichen Nichtmetal-
Vanadium gar nicht erforderlich. Es genügt die len. Beim Lagern an der Luft behält es aber zu-
mindestens zur Hälfte aus Vanadium bestehende nächst seinen Metallglanz, bevor nach einigen
Legierung Ferrovanadium (Bauer 2000), die man Wochen Korrosion unter Bildung grüner Oxide
auf einfache Weise durch Umsetzung der beim eintritt. Beim Erhitzen an der Luft und in Sauer-
Hochofenprozess anfallenden vanadiumhaltigen stoff verbrennt es zu Vanadium-V-oxid, ebenso
Schlacke mit Kalk und Ferrosilicium erhält. reagiert es mit stark oxidierend wirkenden Halo-
Ist dagegen das durch Umsetzung von genen (Fluor und Chlor) schon bei Raumtempe-
Vanadium-V-oxid mit Calcium erhaltene Vana- ratur heftig. Mit Kohlen- und Stickstoff setzt es
dium noch nicht rein genug, so reinigt man es sich erst bei sehr hoher Temperatur zu Nitriden
nach dem Van Arkel-De Boer-Verfahren. Dabei und Carbiden um. Wasserstoff absorbiert Vana-
reagiert das am Boden einer evakuierten Ampulle dium bis zu Temperaturen von 500 C und wird
befindliche, auf hohe Temperaturen erhitzte Vana- dabei sehr spröde. Durch weiteres Erhitzen auf
dium mit gleichzeitig in der Ampulle vorhande- 700 C im Vakuum lässt sich der Wasserstoff
nem Iod. Das sich bei der Reaktion beider Ele- wieder entfernen (Bauer 2000).
mente bildende Vanadium-III-iodid (VI3) zersetzt Die meisten Säuren und Basen greifen Vana-
sich an einem über 1000 C heißen, in die dium nicht an, nur Flusssäure und stark oxidie-
Ampulle ragenden Wolframdraht wieder zu den rende Säuren (konzentrierte Schwefel- und Salpe-
Elementen, wobei sich das Vanadium in sehr rei- tersäure, Königswasser) korrodieren das Metall.
ner Form auf dem Draht abscheidet.
Verbindungen Vanadium kann in seinen Verbin-
Eigenschaften dungen in allen Oxidationsstufen zwischen +5 und
Physikalische Eigenschaften Vanadium ist ein 1 sowie auch 3 vorliegen. Am stabilsten sind
stahlgraues, bläulich schimmerndes, nichtmagne- +5 und +4. Der in wässriger Lösung erfolgende
tisches, zähes, aber schmiedbares Schwermetall Wechsel der diversen Oxidationsstufen ineinander
der Dichte 6,11 g/cm3 (Bauer 2000; s. Tab. 1). In wird anschaulich demonstriert: Im Sauren enthal-
sehr reinem Zustand ist es weich, verliert diese ten unter diesen Bedingungen gelöste Vanadium-
Eigenschaft aber, wenn es größere Beimengungen V-verbindungen farblose VO2+-Ionen. Diese kön-
anderer Elemente enthält, und wird dann sehr fest nen schrittweise reduziert werden, zuerst zu blauen
und zäh. VO2+-Ionen („V4+“), dann weiter zu grünen V3+-
In vielen physikalischen Eigenschaften ähnelt es Kationen bis hin zu grauvioletten V2+-Ionen. Eine
Titan. Es schmilzt bei der für die Elemente der ersten weitere Reduktion zu noch tieferen Oxidationsstu-
Übergangsmetallperiode relativ hohen Temperatur fen ist in wässriger Lösung nicht möglich.
von 1910 C. Bereits geringe Anteile an Kohlenstoff Chalkogenverbindungen Das wichtigste und
erhöhen den Schmelzpunkt noch deutlich; so stabilste Oxid des Vanadiums ist Vanadium-
bewirkt ein Kohlenstoffanteil von 10 % eine Erhö- V-oxid (V2O5), ein unter Normalbedingungen
hung des Schmelzpunktes um ca. 800 C (Holleman oranger (s. Abb. 2a–c), giftiger Feststoff mit
et al. 2007, S. 1543)! Vanadium kristallisiert Schmelzpunkt 690 C (Siedepunkt der Flüssig-
kubisch-raumzentriert mit zwei Formeleinheiten keit: 1750 C). Es kann durch Verbrennen von
pro Elementarzelle (Schubert 1974). Vanadium an der Luft (I) oder Glühen von
Vanadium wird unterhalb einer Temperatur Ammoniummetavanadat bei Temperaturen ober-
von 268,02 C (5,13 K) supraleitend (Waxler halb von 500 C erzeugt werden (II, Brauer 1981,
und Corack 1952), ebenso erfolgt exakt unterhalb S. 1422):
536 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
im Bedarfsfall durch fraktionierte Destillation erst verwendet Vanadium-II-chlorid als starkes Re-
wieder isoliert werden (Brauer 1981, S. 1412). duktionsmittel zur Herstellung von Sulfiden aus
Vanadium-IV-chlorid ist Ausgangsmaterial zur Sulfoxiden, von Aminen aus Aziden und auch für
Herstellung weiterer Verbindungen des Vanadiums, reduktive Kopplungen. Die Verbindung kristalli-
zudem setzt man es als Chlorierungsmittel bei eini- siert im Cadmiumiodid-Gittertyp.
gen organischen Synthesen, beispielsweise bei der Auch für Vanadium-II-chlorid bestehen meh-
elektrophilen Kopplung von Phenolen (Holleman rere mögliche Synthesewege, so durch Reduktion
et al. 2007, S. 1548), ein: von VCl3 mit Wasserstoff bei hoher Temperatur,
durch Disproportionierung von VCl3 und Abde-
2C6 H5 OH þ 2VCl4 ! HO C6 H4 C6 H4 stillieren des gleichzeitig gebildeten VCl4 oder
OH þ 2VCl3 þ 2HCl direkt aus den Elementen unter Einhaltung der
stöchiometrischen Menge an Chlor.
Vanadium-III-chlorid (VCl3) ist in Form des Vanadium-IV-bromid (VBr4) ist ein zersetzli-
Hexahydrats ein grünes, hygroskopisches Pulver. cher, purpurroter, kristalliner Feststoff, der nur in
Die wasserfreie Form ist ebenfalls stark wasser- der Gasphase und bei Temperaturen unterhalb von
anziehend und liegt in Form rosaroter bis violetter 23 C beständig ist (Holleman et al. 2007,
Kristalle vor, die oberhalb einer Temperatur S. 1547). Bei höheren Temperaturen spaltet es
von 300 C schmelzen. Es kristallisiert trigonal- Brom ab und geht in Vanadium-III-bromid
rhomboedrisch (Brauer 1981, S. 1407–1410). (VBr3) über. Man kann VBr4 aus den Elementen
Vanadium-III-chlorid gewinnt man durch Erhit- bei Temperaturen um 300 C herstellen:
zen von Vanadium-IV-chlorid auf Temperaturen
von 160 C (I), aus den Elementen (Holleman et al. V þ 2 Br2 ! VBr4 ,
2007, S. 1550, II) oder elegant aus Vanadiumoxi-
den und den jeweiligen Schwefelchloriden (III): muss das dabei entstehende gasförmige Tetrabro-
mid aber sofort in Vorlagen, die auf einer Tempe-
(I) 2VCl4 ! 2VCl3 + Cl2 ratur von 78 C gehalten sind, auffangen, um es
(II) 2V + 3Cl2 ! 2VCl3 zu stabilisieren.
(III) V2O3 + 3SOCl2 ! 2VCl3 + 3SO2 Vanadium-III-bromid (VBr3) erzeugt man
2V2O5 + 6S2Cl2 ! 4VCl3 + 5SO2 + 7S durch Reaktion von Vanadium-IV-chlorid mit
wasserfreiem Bromwasserstoff; dabei entsteht
In angesäuertem Wasser ist es ohne Hydrolyse zuerst unbeständiges und sofort unter Abgabe
löslich. Wird es auf Temperaturen über 400 C von Brom zerfallendes Vanadium-IV-bromid:
erhitzt, so disproportioniert es zu Vanadium-II- 2VCl4 + 8HBr ! 2VBr3 + 8HCl + Br2
bzw. -IV-chlorid (Housecroft und Sharpe 2005). Ebenso kann man die Synthese aus den Ele-
Mit Wasserstoffgas kann man es bei Temperatu- menten Vanadium und Brom wählen (Brauer
ren um 700 C zum Dichlorid reduzieren. VCl3 ist 1981, S. 1413):
Ausgangsstoff zur Darstellung von Vanadium-III-
Komplexen, zum Beispiel mit Tetrahydrofuran 2V þ 3 Br2 ! 2 VBr3
oder Acetonitril [VCl3(THF)3 (Heyn 2007) bzw.
VCl3(MeCN)3]. Eine weitere Einsatzmöglichkeit Die schwarzen, blättrigen, stark wasseranzie-
ist die als Katalysator bei Polymerisationen. henden Kristalle lösen sich in Wasser mit grüner
Vanadium-II-chlorid (VCl2) ist ein hellgrüngel- Farbe. Die Verbindung kristallisiert trigonal-
ber Feststoff, der bei 910 C sublimiert. Aus ihm rhomboedrisch, damit isotyp zu Vanadium-III-
konnte Roscoe 1867 erstmalig elementares Vana- chlorid, und wird durch Luftfeuchtigkeit und Licht
dium darstellen. Es ist nicht so hygroskopisch wie zersetzt zu Vanadium, Vanadiumoxiden und Brom-
die höheren, oben beschriebenen Vanadiumchlo- wasserstoff. Vanadium-III-bromid bildet beispiels-
ride und ist in den meisten organischen Lösungs- weise mit Tetrahydrofuran rotbraune, lösliche
mitteln unlöslich (Brauer 1981, S. 1408). Man Komplexverbindungen (Fowler et al. 1967).
5 Einzeldarstellungen 541
2V þ 3 I2 ! 2VI3
lag die Bildungstemperatur zwischen 600 und der Elemente aufeinander auf dem Stahlträger bei
1000 C. Dagegen reagierte Silicium-IV-oxid Temperaturen >1200 C erforderlich.
mit Vanadium erst bei einer Temperatur oberhalb Neben Vanadiumdiborid gibt es auch ein Va-
von 800 C unter Bildung von V3Si, V5Si3 und nadiummonoborid (VB), das ebenfalls ein
V2O5. V3Si wird bei 258 C supraleitend. hochschmelzender, grauschwarzer Festkörper
Spätere Untersuchungen zeigten, dass VSi2 der Dichte 5,52 g/cm3 ist.
zunächst als erstes Vanadiumsilicid an der Pha- In organischen Vanadiumverbindungen tritt das
sengrenze von Einkristallen aus Silicium und Element oft in seinen niedrigsten Oxidationsstufen
Vanadium entsteht. Ist jedoch ein dünner Vana- auf, +2, 0, 1 und 3. Vanadocen [Bis(cyclopen-
diumfilm und/oder amorphes Silicium beteiligt, tadienyl)vanadium] beispielsweise setzt man als
bilden sich entweder VSi2 oder -meist- V3Si, Katalysator für die Polymerisation von Alkinen
wobei beide Verbindungen sich nie zusammen ein. Es wurde zuerst von Birmingham et al. durch
bilden (Schutz und Testardi 1979). Vor einigen Reduktion von Vanadocendichlorid mit Alumi-
Jahren durchgeführte Versuche zeigten die Exis- niumhydrid dargestellt (1954); aus der Reaktions-
tenz noch weiterer Silicide (V5Si3, V6Si5); alle mischung wurde Vanadocen bei Temperaturen
oben genannten Vanadiumsilicide waren harte, um 100 C absublimiert. Aus einem unter Verwen-
hochschmelzende, nichtmagnetische Feststoffe dung von Tetrahydrofuran stabilisierten Addukt
mit sonst metallischen Eigenschaften (Thieme ([V2Cl3(THF)6]2[Zn2Cl6]) erzeugte man durch
und Gemming 2009). Reaktion mit Cyclopentadienylnatrium ebenfalls
Vanadiumdiborid (VB2) ist ein in Pulverform Vanadocen (Jordan 2009). Die Molekülstruktur
dunkelgrauer Feststoff (s. Abb. 8) der Dichte des purpurfarbenen, kristallinen, paramagnetischen
5,1 g/cm3, den man zur Herstellung hochfeuerfes- Feststoffes zeigt das V2+-Ion äquidistant zwischen
ter Keramik einsetzt. beiden Cyclopentadienyl-Ringen. Die durch-
Vanadiumdiborid wird durch Schmelzen stö- schnittliche V–C-Bindungslänge liegt bei 226 pm
chiometrischer Mengen Vanadium- mit Borpulver und der Abstand der Ringe bei 390 pm (Rogers et al.
bei hoher Temperatur gebildet. Ein aktuelles Ver- 1981; Jellinek 1959); die Dissoziationsenergie für
fahren ist die kürzlich durchgeführte Synthese bei die Cp–V-Bindung wird mit großer Schwankungs-
1430 C und Drücken von 8 GPa; das so herge- breite zwischen 145 bzw. 369 kJ/mol zitiert (Huheey
stellte Vanadiumdiborid hat metallische Leitfähig- et al. 2003, S. 797). Der purpurfarbene, paramagne-
keit und eine auch noch bei Temperaturen von tische, kristalline Feststoff schmilt unter Luft- und
>1100 C sehr hohe Vickers-Härte (Wang et al. Feuchtigkeitsausschluss bei 167 C.
2018). In einer anderen Arbeit (Gidikova 2000) Das Molekül des Vanadocens lagert leicht wei-
wurde die Bildung von Vanadiumdiborid in Form tere Liganden an und ist auch leicht zu seinem
sehr dünner Schichten auf Stahl untersucht; dabei Monokation oxidierbar (Calderazzo et al. 1999).
war allerdings eine mehrstündige Einwirkung bei- Butyllithium reduziert es in Gegenwart von
1,3-Cyclohexadien als Lösungsmittel zu Monocy-
clopentadienyl-Benzol-Vanadium [(C5H5)V(C6H6)]
(Kupfer 2007).
rals Columbit entdeckte er 1801 erstmals promovierte 1850 an der Universität Lund
das später Niob genannte Element; er be- und wurde dort 1854 Dozent, 1862 auch
nannte es noch als Columbium (Hatchett Professor der Chemie und Mineralogie.
1802a). Rose entdeckte das Element dann 1871/72 war er Rektor der Universität, seit
erst 1844 wieder, nannte es aber Niob. Er 1861 Mitglied der Stockholmer Akademie
war bis 1806 auf dem Gebiet der Mineralo- der Wissenschaften. Er entdeckte einige bis
gie aktiv und war ab 1797 Mitglied der dahin unbekannte Minerale, arbeitete mit
Royal Society (Griffith et al. 2003). 1808 Cyanidkomplexen von Edelmetallen und
wurde er zum auswärtigen Mitglied der verbesserte die Trennung von Niob und Tan-
Bayerischen Akademie der Wissenschaften tal. Ferner verfasste er Lehrbücher für Orga-
gewählt. Da er von seinem Vater dann aber nische Chemie und viele Veröffentlichungen
einen Betrieb zur Herstellung von Kutschen in chemischen Zeitschriften, wie beispiels-
übernahm, stellte er seine Arbeit auf dem weise den Berichten der Deutschen Chemi-
Gebiet der Chemie ein und kümmerte sich schen Gesellschaft (Hofberg et al. 1906b).
in der Folgezeit nur noch um das ererbte
Familienunternehmen. Nach ihm ist ein seit
1979 vergebener Preis (Charles-Hatchett- Vorkommen Niob ist mit einem Anteil an der
Preis) benannt, der für herausragende Erdkruste von 18 ppm relativ selten und kommt
Ergebnisse zur Forschung über das Element nie gediegen, also elementar, sondern stets in che-
Niob vergeben wird. misch gebundener Form vor. Da wegen der Lan-
Heinrich Rose (* 6. August 1795 Ber- thanoidenkontraktion die Ionenradien von Niob
lin; † 27. Januar 1864 Berlin) war ein deut- und Tantal sehr ähnlich sind, treten die beiden
scher Chemiker und Mineraloge, der in Elemente immer vergesellschaftet auf, wie zum
seiner Jugend vom deutschen Chemiker Beispiel im Columbit (bzw. Niobit bzw. Tantalit,
Klaproth gefördert und von 1819 bis 1821 je nach mengenmäßig vorwiegendem Element)
bei Berzelius zum Chemiker ausgebildet [(Fe, Mn)(Nb, Ta)2O6] oder auch im Pyrochlor
(Kurzbiografien beider Chemiker siehe (NaCaNb2O6F). Manche der Nioberze gelten als
„Cer“). 1822 erhielt Rose den Ruf als strategisch wichtig und stehen unter der Aufsicht
Dozent der Chemie an die Universität Ber- der US-amerikanischen Börse, da ihr Verkauf
lin und wurde 1832 Mitglied in der Preußi- eventuell bewaffnete Konflikte finanziert (Field-
schen Akademie der Wissenschaften. Ab send 2012).
1835 war er ordentlicher Professor der Che- Euxenit [(Y, Ca, Ce, U, Th)(Nb, Ta, Ti)2O6],
mie in Berlin und nahezu zeitgleich auswär- Olmsteadit (KFe2(Nb,Ta)[O|PO4]2 H2O) und
tiges Mitglied der Bayerischen Akademie Samarskit ((Y,Er)4[(Nb,Ta)2O7]3) sind weitere
der Wissenschaften. 1849 erhielt er die Mit-
nennenswerte, wenn auch seltene Minerale des
gliedschaft in der American Academy of
Niobs. Wirtschaftlich bedeutend sind die Vorkom-
Arts and Sciences, später folgten weitere
men in Karbonat-Silikatgestein, in denen Pyro-
Mitgliedschaften in Deutschland (1856
chlor angereichert ist. Die Jahresproduktion liegt
Göttinger Akademie der Wissenschaften
(Krahnke 2001), 1860 Deutsche Akademie aktuell bei seit Jahren unveränderten 60000 t bei
der Naturforscher Leopoldina). Er war zugleich 4,3 Mio. t geschätzter Reserven (Papp
Mitbegründer der Deutschen Geologischen 2015a). Über 90 % der Produktionsmenge stam-
Gesellschaft. men aus Brasilien, weitere 9 % aus Kanada; somit
Rose war 1829 Verfasser eines Handbuchs sind diese die einzigen relevanten Förderländer. In
der analytischen Chemie und erforschte den USA und anderen Ländern kommt zwar auch
vorrangig die Chemie des Niobs und Titans. verhältnismäßig viel an Niob vor, aber nur in
Der schwedische Chemiker Christian Form von Mineralen, die sehr geringe Konzentra-
Wilhelm Blomstrand (* 20. Oktober tionen des Elements aufweisen, die eine Förde-
1826 Växjö; † 5. November 1897 Lund) rung unrentabel machen. Größere Erzlager iden-
5 Einzeldarstellungen 547
tifizierte man in jüngerer Zeit in Afrika (Kongo, ten. In chemischer Hinsicht ist Niob seinem
Nigeria) und in Russland. schwereren Homologen Tantal sehr ähnlich. Der
Zusatz seiner Nachbarelemente der sechsten Ne-
Gewinnung Da Niob und Tantal fast aus- bengruppe, Wolfram oder Molybdän, verleiht
schließlich miteinander vergesellschaftet auftre- Niob eine noch größere Beständigkeit gegenüber
ten, schließt man die Erze zunächst in einer hohen Temperaturen, und erstaunlicherweise wir-
Mischung von konzentrierter Schwefel- und ken sich Zusätze von Aluminium in einer erhöh-
Flusssäure bei Temperaturen zwischen 50 und ten Festigkeit aus. Unterhalb einer Temperatur
80 C auf. Dabei bilden sich die leicht wasserlös- von 263,9 C wird das Element supraleitend,
lichen Komplexanionen [NbF7]2 und [TaF7]2. und es besitzt ein sehr großes Vermögen zur Auf-
Im zweiten Schritt führt man die Trennung des nahme von Gasen.
Niobs vom Tantal bzw. umgekehrt durch. Dies Beim Stehen an der Luft bildet sich auf Niob
geschieht durch Anwendung fraktionierter Kris- eine dünne, aber sehr wirksam gegen Oxidation
tallisation oder Extraktion mittels organischer schützende Passivschicht. Daher ist Niob bei
Lösungsmittel, wobei man bei letzteren unter- Raumtemperatur an der Luft beständig. Beim
schiedliche Löslichkeiten der Organoniob- bzw. Erhitzen auf Temperaturen von >200 C oxidiert
Organotantalverbindungen ausnutzt. es aber deutlich, weswegen auch das Schweißen
Fügt man zur wässrigen Lösung der oben von Niob unter Schutzgasatmosphäre erfolgen
genannten Fluorokomplexe Kaliumfluorid hinzu, muss. Auch gegenüber den meisten Säuren ist es
so werden die Dikalium-Salze dieser Fluoride bei Raumtemperatur stabil, jedoch wird es durch
gebildet. Dabei ist nur das K2TaF7 schwer löslich Flusssäure sowie heiße, konzentrierte Salpeter-
in Wasser und fällt als Niederschlag aus, wogegen und Schwefelsäure angegriffen, wie übrigens auch
das Kaliumheptafluoroniobat-V in Lösung bleibt durch heiße Alkalilaugen.
und abgetrennt werden kann. Man setzt jenes
dann mit Sauerstoff im alkalischen Milieu zu Verbindungen
Niob-V-oxid und jenes dann mit Kohle weiter Chalkogenverbindungen Niob-V-oxid (Nb2O5) ist
zum Niobcarbid um. Dieses Niobcarbid lässt ein unbrennbares, weißes (s. Abb. 9a, b) Pulver
man mit weiterem Niob-V-oxid bei sehr hoher vom Schmelzpunkt 1491 C und der Dichte
Temperatur im Vakuum zum Metall reagieren, 4,55 g/cm3.
oder man setzt Niob-V-oxid direkt mit Aluminium Es kristallisiert bis hinauf zu einer Temperatur
zu Niob um. Auf letztgenannte Art stellt man den von 750 C monoklin (Brauer 1981, S. 1465) und ist
größten Teil des Niobs für die Stahlindustrie her; im Wellenlängenbereich von 350 bis 7000 nm licht-
Zusätze von Eisenoxid ermöglichen die Produk- durchlässig. Die Verbindung entsteht bei der Oxida-
tion von Ferroniob (Gehalt an Niob: 60 %). tion von Niob an Luft; man kann sie in reiner Form
Anstelle des Zusatzes von Kaliumfluorid be- durch Hydrolyse von Niob-V-chlorid erhalten:
vorzugt man heute extraktive Verfahren unter
Verwendung von Methylisobutylketon. Ein drit- 2 NbCl5 þ 5 H2 O ! Nb2 O5 þ 10 HCl
tes Verfahren der Trennung besteht in der fraktio-
nierten Destillation der Chloride NbCl5 und Man setzt Niob-V-oxid zur Erhöhung des
TaCl5. Diese kann man direkt aus dem jeweiligen Brechungsindexes optischer Gläser ein (Objek-
Niob- oder Tantalerz, Kohle und Chlor erzeugen tive für Fotoapparate und Kopiergeräte sowie
(Eckert 2000). Brillengläser). Außerdem findet es zur Produktion
des ferroelektrischen Lithiumniobat (LiNbO3) ver-
Eigenschaften Niob ist ein grausilbrig glänzen- wendet.
des, duktiles Schwermetall (s. Tab. 2), das in Dieses kristallisiert als farbloser Feststoff
allen Oxidationsstufen von 3 bis +5 auftreten (s. Abb. 10) mit weitem Transparenzbereich von
kann. Wie bei allen Elementen dieser Neben- 320–5600 nm und ist doppelbrechend mit Bre-
gruppe ist auch bei Niob die Stufe +5 am stabils- chungsindices von no=2,286 und ne=2,202 bei
548 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
einer Wellenlänge von 633 nm (Prokhorov und refraktiv, elastooptisch, piezoelektrisch und pyro-
Kuz’minov 1999; Räuber 1978; Weis und Gayl- elektrisch. Oberhalb der Curie-Temperatur ver-
ord 1985; Cabrera et al. 2004; Hsu et al. 1997). liert das Material seine Ferroelektrizität und wird
Die Verbindung ist unterhalb ihrer Curie-Tem- paraelektrisch (Lehnert et al. 1997). Man setzt
peratur Tc von 1213 C ferroelektrisch (Wong Lithiumniobat unter anderem in Bandpassfiltern
2002) und deshalb optisch elektrooptisch, photo- und Lasern ein.
5 Einzeldarstellungen 549
Umsetzung von Niob mit Schwefel bei Tempera- gen andere Atome bzw. Ionen unter Bildung
turen von 700 bis 1000 C: wohldefinierter sogenannter Interkalationsverbin-
dungen einlagern (Lévy 2012). Die – mögliche –
Nb þ 2 S ! NbS2 Einlagerung von zwei Atomen Helium pro For-
meleinheit vergrößert den Abstand der Schichten
Der schwarze Feststoff (s. Abb. 13) der Dichte auf 29 pm (!) (Birks et al. 1976; Brown und
4,54 g/cm3 kristallisiert trigonal (Morosin 1974) Beernsten 1965), auch der Abstand zwischen
und wird unterhalb einer Temperatur von den Selenatomen vergrößert sich. Eine Interkala-
266,85 C supraleitend (Lee 2012). Man setzte tion von Rubidiumionen trennt die Schichten im
die Verbindung früher meist als Schmierstoff, Kristall noch weiter voneinander, komprimiert
heute aber bevorzugt als halbleitendes Sputterma- aber die in der Schicht selbst befindlichen Niob-
terial ein (Perry 2011, S. 297). und Selenidionen (Bourdillon et al. 1979). Ionen
Niob-IV-selenid (NbSe2) ist als Pulver ein des zu Niob homologen Vanadiums können bis zu
schwarzer Feststoff (s. Abb. 14b) der Dichte 1 % der Niobatome ersetzen; darüber hinaus
6,3 g/cm3, der oberhalb einer Temperatur von lagern sie sich zwischen den Schichten an, wobei
1300 C schmilzt. Man setzt es wie das homologe bis zu einem Niobanteil von 30 % die hexagonale
Niob-IV-sulfid als Schmierstoff und unterhalb Struktur erhalten bleibt (Bayard et al. 1976). In
von -266 C als Supraleiter ein, wobei die Anwen- Form von Nanosheets setzt man Niob-IV-selenid
dung als Schmierstoff, wie etwa in Kohlebürsten in Solarzellen ein (Ibrahem et al. 2014).
von Motoren, schon größtenteils der Vergangen- Niob-IV-tellurid (NbTe2) ist eine intermetal-
heit angehört. Dünne Filme der halbleitenden Ver- lische Verbindung und bildet Kristalle mit mono-
bindung werden durch chemische Abscheidung kliner Struktur. In Pulverform erscheint es
aus der Gasphase erzeugt; dazu erhitzt man ein schwarz, als Sputtertarget goldgelb (s. Abb. 15).
Gemisch aus Niob-V-oxid, Selen und Natrium- Die Verbindung der Dichte 7,6 g/cm3 ist mit Rein-
chlorid auf eine Temperaturen von 300–800 C heitsgraden bis zu 5N erhältlich und wird bei
unter Atmosphärendruck und bei Einsatz eines Temperaturen um 272,5 C supraleitend.
Gemisches von Argon und Wasserstoff als Träger- Halogenverbindungen Niob-V-fluorid (NbF5)
gas. Monoatomare Schichten können mit Hilfe ist ein farbloser, sehr hygroskopischer, an der Luft
eines Molekularstrahls aufgebracht werden (Wang zerfließlicher Feststoff der Dichte 3,3 g/cm3, der
et al. 2017). Die stabilste Kristallstruktur ist hexa- bei einer Temperatur von 79 C schmilzt; die
gonal (Lévy 2012). Durch Beschuss mit Ladungs- Flüssigkeit siedet bei 233 C. Die Verbindung löst
dichtewellen erhält man unterhalb von 247 C sich in Wasser und Ethanol unter Solvolyse; durch
periodische Verzerrungen des Kristallgitters Alkalilaugen wird sie augenblicklich zu basi-
(Riccó 1977). schem Niob-V-oxid und Fluorwasserstoff zersetzt
Zwischen die Schichten des Kristallgitters von (Brauer 1975, S. 261; Agulyansky 2004). Niob-
Niob-IV-selenid können sich in teils großen Men- V-fluorid kristallisiert monoklin (Blachnik et al.
1998) und liegt als tetrameres Molekül im Fest-
Kaliumheptafluoroniobat ist ein weißer, hygro- infolge der Bildung von Nebeln aus Salzsäure
skopischer Feststoff (s. Abb. 16) der Dichte raucht. Die Substanz hat die Dichte 2,75 g/cm3
3,19 g/cm3, der sich gut in Wasser löst, bei und schmilzt bei einer Temperatur von 208 C.
733 C schmilzt und in Form kleiner, stark Man gewinnt Niob-V-chlorid durch Reaktion
glänzender Nadeln monokliner Struktur vorliegt von Niob mit Chlor (I, Brauer 1981, S. 1444)
(Brown und Walker 1966; Agulyansky 2004). oder, in hoher Reinheit, aus Niob-V-oxid und
Das Heptafluoronniobat-V- hydrolysiert leicht Thionylchlorid (II) bzw. Tetrachlorkohlenstoff
zum (NbOF5)2-Anion. Man setzt das Kalium- (III):
heptafluoroniobat zur elektrochemischen Syn-
these von Niobdiborid (NbB2) ein, aber auch (I) 2 Nb + 5 Cl2 ! 2 NbCl5
zur schmelzflusselektrolytischen Gewinnung me- (II) Nb2O5 + 5 SOCl2 ! 2 NbCl5 + 5 SO2"
tallischen Niobs bei Temperaturen um 800 C (III) Nb2O5 + 5 CCl4 ! 2 NbCl5 + 5 COCl2"
(Hirschberg 1999). In Versuchen zeigte sich die
sehr gute Eignung von mit Mn4+-Ionen dotiertem Im Feststoff liegt die stark kovalente Substanz in
Kaliumheptafluoroniobat als Leuchtstoff für Form von Dimeren vor; jedes Niobatom ist dabei
warmweiße LED-Lampen, denn es luminesziert oktaedrisch von sechs Chloratomen umgeben
bei Bestrahlung mit blauem oder ultraviolettem (Hoenle und Schnering 1990; Cotton et al. 1997).
Licht intensiv rot und in sehr engem Wellenlän- Die Verbindung ist eine sehr starke Lewis-Säure und
genbereich (Jansen et al. 2017). wird in dieser Funktion auch bei einigen organi-
Niob-V-chlorid (NbCl5) ist ein gelber (s. Abb. 17), schen Synthesen eingesetzt (Andrade et al. 2004).
sehr hygroskopischer Feststoff, der empfindlich Niob-IV-chlorid (NbCl4) ist ein in Form braun-
gegenüber Hydrolyse ist und an feuchter Luft schwarzer Nadeln der Dichte 3,14 g/cm3 in mono-
552 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
Das grauschwarze Diniobpentaphosphid (Nb2P5) ren und als Sputtermaterial zur Produktion von
stellten Kanno et al. durch Erhitzen einer Mischung Halbleiterfilmen im Einsatz.
beider Elemente auf eine Temperatur von 1000 C Ein weiteres charakterisiertes Carbid des
bei gleichzeitiger Anwendung von Drücken von Niobs ist Niob-II-carbid (Nb2C), das bei einer
3–5 GPa dar. Die Verbindung besitzt orthorhombi- Temperatur von 3080 C schmilzt und hexagonal
sche Kristallstruktur. Bei der Reaktion als Neben- kristallisiert.
produkt gebildeter schwarzer Phosphor wurde Niobdisilicid (NbSi2) ist ein grauer kristalliner
durch Lösen in Salpetersäure entfernt (1980). Festkörper der Dichte 5,53 g/cm3, der bei einer
Niobmonoarsenid (NbAs) ist ebenfalls ein kris- Temperatur von 1950 C schmilzt und gelegent-
talliner Feststoff, der gelegentlich als Halbleiter in lich in speziellen Keramiken eingesetzt wird.
der Lichtleittechnik verwendet wird. Auch ein Erhitzt man Plättchen aus Niob, auf denen sich
Triniobpentaarsenid (Nb3As5) wurde schon vor pulverförmiges Silicium und ein Stückchen Na-
längerem untersucht und charakterisiert (Laoha- triummetall befindet, jeweils für 6 d auf Tempera-
vanich et al. 1981). turen zwischen 730 und 930 C, so bildet sich an
Sonstige Verbindungen Niob-IV-carbid (NbC) der Phasengrenze eine sehr dünne, bis zu 129 μm
ist ein dunkelgraubrauner Feststoff (s. Abb. 19a, dicke Schicht aus Niobdisilicid. Die Stärke der
b) mit dem hohen Schmelzpunkt von 3500 C und Schicht nimmt linear mit der Temperatur und pro-
der Dichte 7,6 g/cm3. Im kompakten oder gesin- portional zur Quadratwurzel der Heizzeit zu, bis
terten Zustand glänzt es metallisch und läuft beim sie das Maximum erreicht. Die Beschichtung
Stehen an der Luft an. Es liegt im weiten Homo- schützt Niob vor der unter diesen Bedingungen
genitätsbereich von NbC0,7 bis NbC0,99 vor und normalerweise stattfindenden Verbrennung in
kristallisiert im kubischen Natriumchloridtyp. Luft (Yamada et al. 2012).
Niob-IV-carbid ist ein äußerst harter Stoff (Mohs- Niobdiborid (NbB2) ist ein in Pulverform
härte: >9) und löst sich in einem Gemisch aus schwarzes (s. Abb. 20), hochschmelzendes Mate-
Fluss- und Salpetersäure (Perry 2011, S. 488). rial (3050 C) der Dichte 6,97 g/cm3 und hexago-
Man stellt Niob-IV-carbid aus einem Gemisch naler Kristallstruktur, das man in Keramiken von
von Kohle- und Niobpulver im Vakuum oder Überschallflugzeugen oder Raketensystemen
unter einer Wasserstoff-Schutzgasatmosphäre bei einsetzt. Für Keramik besitzt Niobdiborid eine
sehr hoher Temperatur her. Alternativ ist die Dar- relativ hohe elektrische und Wärmeleitfähigkeit
stellung aus Kohlenstoff und Nioboxiden unter (25,7 μΩcm), jedoch teilt es diese Eigenschaft
ansonsten ähnlichen Bedingungen möglich. In mit den isostrukturellen Diboriden seiner Nach-
sehr dünnen Schichten kann man es durch chemi- barn im Periodensystem (TiB2, ZrB2, HfB2 und
sche Abscheidung aus der Gasphase erzeugen TaB2) (Kovenskaya 1970). Die Verbindung stellt
(Pierson 1999, S. 241). Man setzt es besonderen man meist metallothermisch wie folgt her:
Stählen zur Erhöhung der Verschleißfestigkeit
zu (Anwendung in Kolbenringen; Brunhuber Nb2 O5 þ 2B2 O3 þ 11Mg ! 2NbB2 þ 11MgO
und Hasse 2001). Niob-IV-carbid ist zudem als
Beschichtungsmaterial von Grafit für Kernreakto-
Jedoch ist auch die Synthese aus den Elemen- lytkondensatoren. Niob-V-oxid dient wegen seiner
ten (Çamurlu und Maglia 2009; Sairam et al. hohen Spannungsfestigkeit als Dielektrikum in
2013) oder, wenn man Nanostäbchen des Pro- einem aus Niobanode und Niob-V-oxid bestehen-
dukts erzeugen will, die aus einem pulverförmi- den Kondensator. Lithium- und Kaliumniobat
gen Gemisch aus Niob-IV-oxid und Bor möglich fungieren als Einkristall in Lasern und in nichtli-
(Jha et al. 2011): nearen optischen Systemen.
Metallisches Niob reflektiert, wenn es in sehr
3 NbO2 þ 10 B ! 3 NbB2 þ 2 B2 O3 dünner Schicht auf die Außenseite von Halogen-
glühlampen aufgedampft wird, die von der Wolf-
Ein Verfahren zur Erzeugung von Nanokristal- ramglühwendel emittierte Wärmestrahlung zurück
len aus einem geschmolzenen Gemisch aus Niob- nach innen. Bei zugleich geringerem Energiever-
V-oxid und elementarem Bor wurde kürzlich vor- brauch ist so eine höhere Betriebstemperatur und
gestellt (Ran et al. 2014), sehr aktuell ist die von somit auch eine größere Lichtausbeute möglich.
Zoli et al. vorgestellte, bei 700 C für 30 min unter Niob ist Katalysator bei chemischen Verfah-
Argon durchgeführte Reaktion zwischen Niob-V- ren, beispielsweise der Produktion von Salzsäure,
oxid und Natriumborhydrid zur Gewinnung von von Biodiesel (Deshmane et al. 2010) und von
Nanokristallen (2018): Alkoholen aus Butadien.
Unterhalb von 263,65 C ist reines Niob
2 Nb2 O5 þ 13NaBH4 ! 4 NbB2 þ 5 NaBO2 ein Supraleiter des Typs II. Supraleitende, niob-
þ26 H2 " þ8 Na " haltige Hohlraumresonatoren kommen in Teil-
chenbeschleunigern zum Einsatz. Niob-Zinn-
Meist presst man kompakte, aus Niobdiborid
oder Niob-Titan sind die Hauptbestandteile in
bestehende Teile heiß oder sintert sie im Funken- den zum Teil mehrere 100 t schweren supraleiten-
plasma, wobei zusätzlich hoher Druck aufzuwen-
den Spulen, die Magnetfelder mit Flussdichten
den ist. Das Sintern wird durch die kovalente
von bis zu 20 T erzeugen.
Natur der Verbindung und der an der Grenzfläche
zur Luft leicht erfolgenden Bildung von Oxiden
erschwert. Druckloses Sintern ist möglich, indem Physiologie und Toxikologie Niob ist in kleinen
man Sauerstofffänger wie Borcarbid oder Kohlen- Mengen nicht toxisch, aber pulverförmiges Niob
stoff zugibt, aber die mechanische Festigkeit der irritiert Augen und Haut. Eine biologische Funk-
Artikel leidet hierunter. tion des Niobs ist nicht bekannt (Haley et al. 1962;
Schroeder et al. 1970).
Anwendungen Das wichtigste Einsatzgebiet ist
für Niob das als Zusatz zu rostfreien Stählen und
Patente
Nichteisenlegierungen, da Werkstücke durch
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
geringe Konzentrationen an Niob bereits mecha-
wide.espacenet.com)
nisch stärker belastbar sind. Ferro- und Nickel-
niob sind in Superlegierungen enthalten, die man
T. Tai und Y. Hori, Bonding method (NGK
in mechanisch und thermisch stark belasteten Tei-
Insulators Ltd., US 2019036008 A1, ver-
len in Gasturbinen, Raketen und Öfen verbaut. In
öffentlicht 31. Januar 2018)
Münzen ist Niob gelegentlich als Legierungsbe-
J. Barker und R. Heap, Metallate electrodes
standteil zu finden. Zur Entfernung von Resten an
(Faradion Ltd., US 2019027746 A1, ver-
Kohlenstoff aus zu schweißenden Metallen legiert
öffentlicht 24. Januar 2019)
man Niob als Karbidbildner zu.
P. N. Kumta und B. Gattu, High capacity,
Da Niob einen niedrigen Einfangquerschnitt für
air-stable, structurally isomorphous lithi-
thermische Neutronen hat, findet es, trotz seines
um alloy multilayer porous foams (Uni-
hohen Preises, in der Reaktortechnik Verwendung.
Ferner ist Niob Anodenmaterial in Niob-Elektro- (Fortsetzung)
5 Einzeldarstellungen 555
Kohle im Chlorstrom. Nach erfolgter Trennung Luftsauerstoff erst oberhalb einer Temperatur
reduziert man TaCl5 mit Natrium zu Tantal. von etwa 300 C reagiert. In kompakter Form ist
Auch Schlacken aus der Zinnverhüttung sind es nicht, in feinverteilter Form dagegen leicht ent-
eine wichtige Quelle für die Gewinnung von Tan- zündlich. In den meisten Säuren ist Tantal auf-
tal. Zudem spielt die Wiedergewinnung aus grund der auf seiner Oberfläche gebildeten Pas-
Abfällen eine Rolle, die bei der Herstellung von sivschicht nicht löslich und ist selbst gegen
Tantal-Walzerzeugnissen (20 % des Verbrauchs) Königswasser beständig, das sogar Gold und Pla-
in Form von Spänen anfallen und meist umge- tin angreift. Tantal wird nur durch Flusssäure,
schmolzen werden. Zudem sind Legierungszusät- rauchende Schwefelsäure und einige Salzschmel-
ze aus Tantalcarbid für die Wiedergewinnung ver- zen angegriffen.
wendbar.
Schwierig gestaltet sich auch die Wiederge- Verbindungen
winnung des Tantals aus Tantal-V-oxid, das in Chalkogenverbindungen Tantal-V-oxid (Ta2O5)
Gläsern und auch Lithiumtantalat-Einkristallen ist ein weißes Pulver (s. Abb. 21) vom Schmelz-
vorhanden ist. Diese beinhaltet Rösten, Auflösen punkt 1872 C und der Dichte 8,2 g/cm3, das bis
in Flusssäure oder Schwefelsäure, Extraktion mit zu einer Temperatur von 1360 C in orthorhom-
Ketonen sowie die Fällung von Tantal-V-oxid bischer Struktur kristallisiert. Es ist nur in Fluss-
oder die Kristallisation von Kaliumfluorotantalat. säure löslich (Brauer 1981, S. 1461). Tantal-V-
oxid verfügt über einen hohen Brechungsindex
Eigenschaften (je nach angewandtem Beschichtungsverfahren
Physikalische Eigenschaften Tantal ist ein lila- 2,1 bis 2,2) und ist lichtdurchlässig im Wellenlän-
graues, stahlhartes (Andersson et al. 2000) genbereich von 350 bis 8000 nm.
Schwermetall (s. Tab. 3) mit einem Schmelzpunkt Die bei der Trennung von Tantal und Niob anfal-
von etwa 3000 C (Malter und Langmuir 1939), lende Lösung von Tantalfluorid-Hydrogenfluorid
womit es den vierthöchsten Schmelzpunkt aller [H2(TaF7)] wird mit wässriger Ammoniaklösung
Elemente nach Wolfram, Kohlenstoff und Rhe- versetzt. Darauf fällt Tantal-V-oxid-Hydrat aus der
nium aufweist. Geringe im Metall eingelagerte wässrigen Phase aus, das man anschließend durch
Mengen an Kohlenstoff oder Wasserstoff steigern Erhitzen entwässert (angegeben ist die vereinfachte
den Schmelzpunkt noch einmal deutlich, aller- Reaktionsgleichung):
dings auch verbunden mit einer Zunahme der
Sprödigkeit. Unterhalb einer Temperatur von 2H2 TaF7 þ 5H2 O þ 14NH3 ! Ta2 O5 þ 14NH4 F
268,85 C wird Tantal supraleitend.
Das Metall kristallisiert im kubisch-raumzen- Zur Anwendung in der Elektronik wird hoch-
trierten Gitter (α-Tantal), was auch der thermody- reines Tantal-V-oxid benötigt. Dies erhält man
namisch stabilsten Modifikation entspricht. Da- durch schonende Hydrolyse des Ethoxids (I) bzw.
neben existiert das unter Normalbedingungen des Chlorids (II):
metastabile β-Tantal, das in tetragonaler Struktur
kristallisiert. Jenes erzeugt man durch Elektrolyse
geschmolzenen Tantalfluorids (Arakcheeva et al.
2002). Reines Tantal ist duktil und lässt sich stark
dehnen.
Chemische Eigenschaften Tantal ist ein relativ
unedles Metall und reagiert bei hohen Tempera-
turen mit vielen Nichtmetallen. Bei Raumtempe-
ratur ist das Metall jedoch durch eine dünne
Schicht aus Tantal-V-oxid, die sich auf der Metall-
oberfläche beim Stehenlassen an der Luft bildet,
geschützt und damit passiviert, so dass es mit Abb. 21 Tantal-V-oxid (Onyxmet 2018)
558 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
(I) Ta(OEt)5 + 5 H2O ! Ta2O5 + 10 EtOH der Produktion von Halbleitern dient Tantal-V-
(II) TaCl5 + 5 H2O ! Ta2O5 + 10 HCl oxid als High-k-Dielektrikum für On-Chip-Kon-
densatoren, da seine relative Permittivität mit
Man setzt es wegen seiner lichtbrechenden 24 bis 28 ziemlich hoch liegt (Murarka et al.
Eigenschaften zum Bau optischer Geräte ein. Bei 2003).
5 Einzeldarstellungen 559
Tantal-IV-sulfid (TaS2) ist ein grauer Feststoff Eigenschaften und werden unter anderem in der
bzw. schwarzes Pulver, das bei einer Temperatur Fotokatalyse, Fotovoltaik, in Transistoren und in
oberhalb von 1300 C schmilzt und eine Dichte Lithiumbatterien verwendet.
von 6,86 g/cm3 hat. Man gewinnt es durch Tantal-IV-tellurid (TaTe2) kristallisiert mono-
Reaktion von Tantal mit Schwefel bei Temperatu- klin und ist in Form schwarzer Einkristalle von
ren um 900 C (Lieth 2013) oder auch durch bis zu 1 cm Länge im Handel. Die intermetallische
Umsetzung von Tantal-V-oxid mit Schwefelwas- Verbindung hat die Dichte 9,4 g/cm3. Man setzt
serstoff oder Kohlenstoffdisulfid. Daneben sind sie in Sputtertargets ein (s. Abb. 23), die man zur
noch mindestens vier weitere Tantalsulfide (Ta6S, Erzeugung sehr dünner Schichten des Produktes
Ta2S, Ta1+xS2 und TaS3) bekannt und auch charak- nutzt. Die im Kristallgitter vorliegenden, jeweils
terisiert, die jeweils in gewissen Homogenitätsbe- in Zickzack-Anordnung vorliegenden Tantal- und
reichen vorkommen (Brauer 1978, S. 1470). Telluratome gehen unter anderem π-Bindungen
Die bei Raumtemperatur und bis zu einer Tem- miteinander ein, was durch experimentelle Daten
peratur von 780 C stabile Modifikation der Ver- der Leitfähigkeit und die Berechnung teilbesetzter
bindung ist das 2H-TaS2. Es hat metallische Zustände bestätigt wird (Vernes et al. 1998).
Eigenschaften (spezifischer Widerstand 120 μΩ Halogenverbindungen Tantal-V-fluorid (TaF5)
cm; Schlicht 1999, S. 11), eine Schichtstruktur bildet an der Luft zerfließliche, farblose Prismen,
und kristallisiert trigonal sowie isotyp zu Niob- die sehr feuchtigkeitsempfindlich und stark licht-
IV-sulfid (Riedel 2003, S. 498). Die oberhalb brechend sind. Diese haben die Dichte 4,74 g/cm3
einer Temperatur von 780 C existierende, gelbe und schmelzen bei 97 C; die Flüssigkeit siedet bei
Modifikation 1 T-TaS2 ist ein bei 20 C metasta- 230 C. Die Verbindung ist in Wasser unter Zi-
biler Halbleiter, den man durch Abschrecken des schen und Hydrolyse zu Tantaloxidfluorid (TaOF3)
heißen Festkörpers erhält. Man setzt Tantal-IV- löslich. Tantal-V-fluorid ist eine sehr starke Lewis-
sulfid als Schmierstoff und Halbleiter ein (Perry Säure und in sauren Lösungen etwas stabiler als in
2011, S. 410). Wasser, dementsprechend wird sie durch Alkalilau-
Tantal-IV-selenid (TaSe2) gewinnt man durch gen heftig zersetzt. Bei höheren Temperaturen
Reaktion einer pulvrigen Mischung von Tantal
und Selen bei Temperaturen über 600 C. Bei
langsamem Abkühlen entsteht die silberne 2H-
Form mit hexagonaler Kristallstruktur als bei tie-
fer Temperatur stabile Modifikation. Die rhombo-
edrisch kristallisierende 3R-Form (Clark und
Brown 2013) ist durch Erhitzen der goldmetal-
lisch aussehenden, trigonal kristallisierenden
1T-Form auf 300 bis 500 C zugänglich. Bei
800 C wandelt sich die 3R-Form in die ebenfalls Abb. 22 Tantal-IV-selenid Sputtertarget (QS Advanced
rhomboedrisch strukturierte 6R-Form um (Lieth Materials 2018)
2013). Die 1T-Modifikation ist nur bei Tempera-
turen über 800 C am stabilsten, kann aber durch
Abschrecken des heißen Feststoffs auf Raumtem-
peratur zumindest für einige Zeit „eingefroren“
werden.
Tantal-IV-selenid setzt man als Sputtertarget
(s. Abb. 22) zur Erzeugung sehr dünner Schichten
ein (Perry 2016, S. 412); Baumann und Her-
berg-Liedtke 2013). Diese aus Nanoteilchen von
Tantal-IV-selenid bestehenden Schichten zeigen Abb. 23 Tantal-IV-tellurid Sputtertarget (QS Advanced
in Abhängigkeit von ihrer Dicke unterschiedliche Materials 2018)
560 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
(I) 2 Ta + 5 F2 ! 2 TaF5
(II) 2 Ta + 5 SnF2 ! 2TaF5 + 5 Sn
(I) 2 Ta + 5 I2 ! 2 TaI5
(II) Ta2O5 + 5 AlI3 ! 2 TaI5 + 5 AlOI Abb. 26 Tantal-III-nitrid (Onyxmet 2018)
562 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
und Tantal-V-chlorid bei Temperaturen von man bei hoher Temperatur (2500 C) durch Über-
350–500 C erzeugen; diese reflektieren Infrarot- leiten von Kohlenwasserstoffen (Methan, Ethin,
licht (Blackman et al. 2003). Toluol) über erhitzte Tantaldrähte in einer Was-
Sonstige Verbindungen Das grauschwarze Tan- serstoff-Atmosphäre (Brauer 1981, S. 1475).
tal-IV-carbid (TaC) (s. Abb. 27) schmilzt bzw. Das intermetallische Tantal-II-carbid (Ta2C)
siedet bei einer Temperatur von 3983 C bzw. besitzt eine Schmelztemperatur von 3500 C und
5500 C, gehört damit zu den höchstschmelzen- eine Dichte von 15 g/cm3 (Brauer 1981, S. 1475).
den Materialien überhaupt und wird hierin nur Das dunkelbraune Tantaldisilicid (TaSi2)
noch von Tantalhafniumcarbid übertroffen. Un- (s. Abb. 28) setzt man in Spezialkeramiken ein.
terstöchiometrische Phasen von Tantal-IV-carbid Es schmilzt bei einer Temperatur von rund
(um TaC0,9) weisen sogar Schmelzpunkte 2200 C; aktuell kosten 10 g eines 325-mesh-
>4000 C auf! Tantal-IV-carbid besitzt die hohe Pulvers € 52 (Alfa Aesar).
Mohshärte von 6,5 bis 7 (Weiß 2014), hat die Tantalboride (TaB, TaB2) sind äußerst harte
Dichte von 13,9 g/cm3 (Remy 1973) und kristal- Stoffe, beispielsweise liegt die Vickers-Härte dün-
lisiert im kubischen Natriumchlorid-Gitter mit ner Filme oder Kristalle beider Verbindungen bei
vier Formeleinheiten pro Elementarzelle (Strunz 30 GPa (Motojima et al. 1982; Otani et al. 1998;
und Nickel 2001; Rowcliffe und Warren 1970). Okada et al. 1993). Unterhalb von Temperaturen
Wegen seiner großen Härte dient Tantal-IV- von 700 C sind sie stabil gegenüber Oxidation
carbid als Beschichtung auf hitzefesten Legierun- und Angriff durch Säure. Während das graue
gen in Triebwerken und Schneidwerkzeugen. Die Tantaldiborid (TaB2) (s. Abb. 29) dieselbe hexa-
Verbindung ist chemisch weitgehend inert und gonale Struktur wie andere Diboride hat (Chen
löst sich nur in Fluss- oder Schwefelsäure. Tantal- et al. 2008), kristallisiert Tantalmonoborid (TaB)
IV-carbid wurde bisher erst ein einziges Mal orthorhombisch. Ferner kennt man noch die Bo-
(1962) als natürlich vorkommendes Mineral ride Ta3B4 und Ta5B6. Hochreine Einkristalle bis
(im Ural) entdeckt (Hey 1966) und ist als aner- zu 1 cm Durchmesser und 6 cm Länge kann man
kanntes Mineral in den Systematiken nach Strunz durch Zonenschmelzen aller jeweils rohen Tantal-
(Strunz und Nickel 2001) bzw. Dana aufgeführt. boride herstellen.
Tantal-IV-carbid stellt man in größeren Men-
gen durch Erhitzen von Tantalpulver mit Flamm-
ruß her. Eine Reaktion von Tantal-V-oxid mit
Kohlenstoff führt zum gleichen Ergebnis, wes-
halb metallisches Tantal nicht aus diesen Aus-
gangsstoffen hergestellt werden kann. (Dieses
muss vielmehr durch Reduktion mit Wasserstoff,
Alkali- oder Erdalkalimetallen erzeugt werden.)
Kleinere Mengen an Tantal-IV-carbid erzeugt
Abb. 28 Tantaldisilicid (Stanford Advanced Materials
2018)
Abb. 27 Tantal-IV-carbid (Stanford Advanced Materials Abb. 29 Tantaldiborid Sputtertarget (QS Advanced
2018) Materials 2018)
5 Einzeldarstellungen 563
Filme von Tantalboriden können durch aufnimmt, wodurch das gewünschte Hochva-
chemische Abscheidung aus der Gasphase einer kuum in den Röhren aufrecht erhalten werden
Mischung von Tantal-V-chlorid, Bor-III-chlorid, kann.
Wasserstoff und Argon bei Temperaturen von Tantal ist mit einem Anteil von bis zu 9 % auch
540–800 C erzeugt werden. Zur Darstellung von Komponente von im Flugzeugbau verarbeiteten
TaB2-Filmen wählt man dabei ein Verhältnis BCl3/ Superlegierungen.
TaCl5 von 6 und für die von TaB-Filmen eines von
ca. 3. Nanokristalle von TaB2 lassen sich dagegen
Patente
gut durch Umsetzung von Tantal-V-oxid mit Na-
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
triumborhydrid im Temperaturbereich 700–900 C
wide.espacenet.com)
während einer Reaktionszeit von 30 min unter
Argon darstellen (Zoli et al. 2018):
X. Wang und N. Yoshida, Tantalum contai-
ning material removal (Applied Materi-
2 Ta2 O5 þ 13 NaBH4 ! 4 TaB2 þ 8 Na als Inc., US 2019013211 A1, veröffent-
þ 5 NaBO2 þ 26 H2
licht 10. Januar 2019)
D. Ouellette und S. Y. Wu, Perpendicular
Anwendungen Tantal, das zur Zeit in Mengen spin transfer torque memory (PSTTM)
von rund 1400 t/a jährlich produziert wird, setzt devices with a non-stoichiometric tan-
man überwiegend in sehr kleinen Kondensatoren talum nitride bottom electrode and
hoher Kapazität ein. Diese Kondensatoren findet methods to form the same (Intel Corp.:
man verbreitet in Mobiltelefonen und im Auto- privat, WO 2019005160 A1, veröffent-
mobilbau. Die selbst in extrem dünnen Schichten licht 3. Januar 2019)
noch stabile und stark isolierend wirkende Schicht K. Jacobs Kanarik und T. Kim, Atomic
aus Tantal-V-oxid auf der Oberfläche der aufge- layer etching of tantalum (Lam Research
wickelten Tantalfolie ist verantwortlich für deren Corp., US 2018350624 A1, veröffent-
hohe Kapazität. Die weiteren, eine hohe Kapazität licht 6. Dezember 2018)
begünstigenden Faktoren sind möglichst dünne J. R. Vargas und S. Seelman, Thin film
Schichten zwischen den Elektroden und die ex- tantalum coating for medical implants
trem hohe Permittivität des Tantal-V-oxids. (Zimmer Inc., US 2018325632 A1, ver-
Weil das Metall nicht toxisch ist und auch nicht öffentlicht 15. November 2018)
mit Körperflüssigkeiten reagiert, findet es auch in H. C. Starck Tantalum and Niobium GmbH,
medizinischen Implantaten Verwendung, wie bei- Distortion-free screen-printed anodes on
spielsweise in Nägeln zur Fixierung von Knochen, Ta/Nb sheet (IL 229946 A, veröffentlicht
in Prothesen, in Klammern und in Kieferschrau- 31. Oktober 2018)
ben. Tantal-V-oxid setzt man sogar als Röntgen- K. Nagatsu, Tantalum sputtering agent
kontrastmittel ein, wenngleich dies wegen der (JX Nippon Mining & Metals Corp.,
hohen Kosten selten erfolgt (Kammler und Ulmer TW 201837220 A, veröffentlicht 16.
1971). Oktober 2018)
Tantal dient nicht selten als Innenbekleidung A. Hausladen und M. S. Lewandowski,
von Reaktionskesseln und wird auch in Wärme- Method of joining titanium and titanium-
austauscher und Pumpen eingebaut, meist jedoch based alloys to ferrous metals using tan-
in Legierungen mit einem Wolframgehalt von 2,5 talum (Lake Region Manufacturing Inc.;
bis 10 %. Diese sind noch stabiler und wider- Lake Region Medical, MY 167228 A, ver-
standsfähiger als reines Tantal, dies bei konstanter öffentlicht 14. August 2018)
Duktilität. In dieser Form ist es auch Bestandteil N. Yin und A. Rai, Tantalum powder anode,
von Laborgeräten, Spinndüsen sowie Kathoden and capacitor including same, and manu-
von Elektronenröhren. Letzteres deshalb, weil er-
hitztes Tantal ein großes Volumen an Wasserstoff (Fortsetzung)
564 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
zuverlässigere Indikationen erhielt dasselbe For- man beispielsweise nur einige Atome des Iso-
scherteam 1976, als man bromierte Verbindungen tops 268105Db; die beobachteten Halbwertszeiten
des Dubniums herstellen wollte. Das in Form schwanken daher stark. So wird von drei Versu-
weniger Moleküle erzeugte Dubnium-V-bromid chen berichtet, bei denen man insgesamt 23 (!)
(DbBr5) konnte man damals ebenfalls nachweisen. Kerne dieses Isotope erzeugt hätte (Stoyer et al.
Das japanische JAERI (Japanese Atomic 2007). Das zweitstabilste Isotop (270105Db) fiel
Energy Research Institute) beschrieb 2002 Versu- sogar nur in einer Zahl von drei Kernen an (Ogan-
che, die wässrige Chemie des Dubniums zu erfor- essian et al. 2010; Khuyagbaatar et al. 2014). In
schen (Nagame 2002). beiden Fällen entstanden die Kerne durch radioak-
Im LBNL erforschte man weitere Fusionsreak- tive Zerfälle, die ursprünglich von den schweren
tionen als möglicherweise gangbare Wege zur Kernen 288115Mc und 294117Ts ausgingen.
Erzeugung von Isotopen des Dubniums: Die bisher erhaltenen Versuchsergebnisse las-
sen die Einordnung des Dubniums in die fünfte
249
97 Bk þ 16
8O ! 41 0 n þ 261
105 Db und Nebengruppe plausibel erscheinen, auch wenn
Abweichungen zu den leichteren Homologen
250
98 Cf þ 15
7N ! 4 0n þ
1 261
105 Db
Vanadium, Niob und Tantal durch relativistische
Effekte verursacht werden. Die Orbitale kontrahie-
Letztgenannte Reaktion wurde am LBNL
ren quer über alle Elektronenschalen hinweg,
schon seit 1970 untersucht. Man wandte dabei
die Elektronen selbst bewegen sich auf den
die damals neue Methode der Elternkern-
innen liegenden Orbitalen immer schneller und
Tochterkern-Korrelation an und wies die Existenz
erreichen dabei nahezu Lichtgeschwindigkeit, die
eines Isotops 260105Db anhand der von dessen
7s-Orbitale werden stark zusammengezogen und
α-Zerfallsprodukt 256103Lr emittierten Röntgen-
dadurch energetisch stabilisiert, schirmen so die
strahlung nach (Ghiorso et al. 1970). Diese Ergeb-
außen liegenden d- und f-Orbitale vom Kern ab,
nisse wurden durch Arbeiten am Institut in Oak
wodurch sich jene wiederum vergrößern. Daher
Ridge bestätigt (Hensley 1977).
übernehmen die am schwächsten gebundenen
Die Wahl von Targets immer höheren Atom-
Elektronen, meist der d- und f-Orbitale, die Valenz-
gewichtes gipfelte 1988 in der Wahl des
funktion, wogegen die 7s-Elektronen schwerer für
Einsteinium-Isotops 25499Es durch das Team des
Zwecke der Bindung verfügbar sind. Das Db+-Ion
Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL).
sollte diesbezüglichen Rechnungen zufolge ein
Dessen Beschuss wurde mit 136C-Kernen durch-
6d-Elektron verlieren, die Ionen Db2+ und Db3+
geführt. Wegen der winzigen Targetprobe war die
ein oder zwei 7s-Elektronen. Maximal hat aber
Empfindlichkeit des Nachweises aber bereits stark
auch ein Dubniumatom fünf Valenzelektronen.
beeinträchtigt, so dass Einsteinium sicher dasje-
Für Dubnium werden eine kubisch-raumzentrierte
nige Target mit der höchstmöglichen Ordnungs-
Kristallstruktur, eine Dichte von ca. 29 g/cm3 und
zahl für diese Art von Kernfusionen ist.
sehr hohe Schmelz- und Siedepunkte vorausgesagt
(s. Tab. 4).
Physikalische Eigenschaften Das längstlebige
Isotop des Dubniums ist 268105Db mit einer Halb- Chemische Eigenschaften Berechnungen zur
wertszeit von 28 h (Audi et al. 2012). Andere Chemie in Lösung weisen darauf hin, dass die
Isotope des Elements sind teils wesentlich kurzle- höchstmögliche und auch stabilste Oxidations-
biger (Karpov et al. 2013). Diese Kurzlebigkeit zahl des Dubniums +5 ist. Dieser Zustand soll
begrenzt die Möglichkeit, Versuche mit den gerade gleichzeitig stabiler als die des Nb5+ und Ta5+
erzeugten Atomkernen durchzuführen; erschwert sein. Trotzdem sollen beispielsweise die Pentaha-
wird dies noch dadurch, dass die stablisten Isotope logenide wie Dubnium-V-chlorid (DbCl5) noch
des Elements auch am schwierigsten zu erzeugen zügig hydrolysieren. In manchen Eigenschaften
sind (Karpov et al. 2013). Pro Experiment erhält könnte Dubnium zum Hafnium überleiten; so
566 10 Vanadiumgruppe: Elemente der fünften Nebengruppe
belegen schon 1976 durchgeführte thermochro- Db-V lässt sich von Kationen-Austauschern aber
matografische Versuche eine ähnliche Flüchtig- mittels α-Hydroxyisobutyrat eluieren. Mittels Gas-
keit von HfBr4 und DbBr5. chromatografie durchgeführte Versuche zur Prü-
Zwischen 1988 und 1993 arbeiteten viele fung auf Flüchtigkeit zeigten, dass Halogenide
Labors weltweit daran, Komplexe des Dubniums des Dubniums offenbar schwerer flüchtig sind als
zu isolieren. Verbindungen aller Elemente der fünf- die seiner leichteren Homologen.
ten Nebengruppe sowie des Protactiniums isolierte Ab 2005 konnten die Versuche mit Dubnium-
man aus konzentriert salzsaurer Lösung, verdünnte isotopen auf eine neue Grundlage gestellt warden,
dann, setzte Flusssäure zu. Dubnium zeigte dabei weil man mit dem gerade entdeckten, relativ
ein zu Tantal unterschiedliches, aber nahe zu Niob langlebigen Isotop 268105Db arbeiten konnte
und Protactinium stehendes Verhalten, nur ließ (t1/2: 28 h). Eine auf einem Target durch Beschuss
es sich nicht so einfach wie jene beiden mittels erzeugte, extrem dünne Lage von Dubniumato-
organischer Lösungsmittel (Diisobutylcarbinol) men wurde durch Lösen in Königswasser ent-
extrahieren. Man interpretierte dies dahingehend, fernt. Zufügen von Ammoniakwasser fällte die
dass Dubnium größere Komplexe mit hoher nega- Elemente in Form ihrer Hydroxide aus, die abfil-
tiver Ladung bildet, die schwer extrahierbar sind. triert und gewaschen wurden. Sowohl in Berkeley
Literatur 567
als auch in Dubna arbeitete man die Probe Part III: discovery profiles of the transfermium ele-
getrennt auf (Berkeley: Phasenumkehrchromato- ments. Pure Appl Chem 65(8):1757
Bauer G (2000) Vanadium and vanadium compounds. In:
grafie und Dubna: Anionenaustauschchromatogra- Ullmann’s encyclopedia of industrial chemistry. Wiley-
phie). Db5+ wurde eindeutig identifiziert und er- VCH, Weinheim. https://doi.org/10.1002/14356007.
schien dreimal in tantal-, aber nie in niobhaltigen a27_367
Fraktionen. Das chemische Profil von Dubnium Baumann W, Herberg-Liedtke B (2013) Chemikalien in
der Metallbearbeitung Daten und Fakten zum Umwelt-
bleibt also weiterhin teilweise unklar (Stoyer et al. schutz. Springer, Berlin/Heidelberg, S 1451. ISBN
2007), zumal 2009 am Tandembeschleuniger der 978-3-642-61004-2
Forschungsanlage der japanischen Energiebehörde Bayard M et al (1976) Synthesis and structural aspects of
durchgeführte Versuche zeigten, dass Dubnium the vanadium-substituted niobium diselenides. Inorg
Chem 15(8):1763–1767. https://doi.org/10.1021/ic501
eher wie Niob Hydroxyfluoro-Komplexe in wäss- 62a005
riger Lösung bildet, während Tantal in Form reiner Becker S, Müller BG (1990) Vanadiumtetrafluorid. Angew
Fluorokomplexe auftritt (Nagame et al. 2016). Chem 102:427–428
In Analogie zu Niob und Tantal sollte das Ver- Berzelius JJ (1825) Flussspatsäure Tantalsäure und Fluss-
patsäure Tantalsalze, Tantalum und verschiedene seiner
brennen des Metalls im Sauerstoffstrom das Dub- Verbindungen. Ann Phys Chem 4:6–22
nium-V-oxid (Db2O5) bilden, und mit Halogenen Birks AR et al (1976) Band structure changes in interealates
wird die Reaktion zu den Pentahalogeniden of Niobium Diselenide. Phys Stat Sol B 76(2):599–604.
(DbX5) erwartet. Das Dubnium-V-chlorid (DbCl5) https://doi.org/10.1002/pssb.2220760219
Blachnik R et al (1998) Taschenbuch für Chemiker und
sollte ein flüchtiger Festkörper sein und durch Was- Physiker. Band III: Elemente, anorganische Verbindun-
ser schnell hydrolytisch zersetzt werden. Auch gen und Materialien, Minerale, 4. Aufl. Springer, Ber-
Fluorokomplexe sollte Dubnium bilden. lin/Heidelberg. ISBN 3-540-60035-3
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Chromgruppe: Elemente der sechsten
Nebengruppe 11
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
Zusammenfassung 1 Einleitung
Dieses Kapitel beschreibt die chemischen und
physikalischen Eigenschaften, Vorkommen, Die Elemente der sechsten Nebengruppe (Chrom,
Herstellverfahren, Anwendungen und Patente Molybdän, Wolfram und Seaborgium) sind zuei-
der Elemente der sechsten Nebengruppe des nander physikalisch und chemisch relativ ähnlich.
Periodensystems der Elemente mit ihren wich- Auch bei Molybdän und Wolfram wirkt sich noch
tigsten Verbindungen. Chrom findet man als die Lanthanoidenkontraktion aus; die chemischen
Legierungsbestandteil in harten und wider- Eigenschaften beider Elemente weichen nur gering-
standsfähigen Stählen, Verbindungen des fügig voneinander ab. In den jeweiligen physikali-
Chrom-VI jedoch in der galvanischen und le- schen Eigenschaften unterscheiden sich Molybdän
derverarbeitenden Industrie. Molybdän und und Wolfram aber gelegentlich deutlich, was man
Wolfram gehen in harte und hochschmelzende an deren Dichte und den Schmelz- und Siedepunk-
Legierungen, ihre Nitride und Carbide sind ten festmachen kann. Oft geben die Elemente dieser
aber vor allem für die Elektronikindustrie Gruppe insgesamt sechs äußere Valenzelektronen
wichtig. Isotope des Seaborgiums kommen in (jeweils zwei s- und zwei d-Elektronen) ab, um eine
der Natur nicht vor und können ausschließlich stabile Elektronenkonfiguration zu erreichen. Bei
auf künstlichem Weg erzeugt werden. Chrom ist die Oxidationsstufe +3 die stabilste. Mo-
lybdän und Wolfram treten in ihren Verbindungen in
verschiedenen Oxidationsstufen auf.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 573
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_11
574 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
Die Entdeckung des Chroms, Molybdäns und formationen über das jeweilige Element, so dass
Wolframs erfolgte jeweils gegen Ende des 18. hier nur eine kurze Einleitung folgt.
Jahrhunderts, die des Seaborgiums dagegen fast
200 Jahre später, 1974. Sie finden alle Elemente
im unten stehenden Periodensystem in Gruppe 6 2 Vorkommen
(VI B).
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Chrom ist in der Erdhülle immerhin noch mit
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie einem Anteil von 190 ppm vertreten, wogegen
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- Molybdän bzw. Wolfram mit Anteilen von
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die 14 bzw. 60 ppm eher selten sind. Seaborgium ist
meisten Elemente können sich untereinander ver- ausschließlich durch künstliche Kernreaktionen
binden und bilden chemische Verbindungen; so und dann nur in geringsten Mengen, die bis an
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische wenige Atome heranreichen, zugänglich.
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz).
Einschließlich der natürlich vorkommenden
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich 3 Herstellung
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. Chrom gewinnt man, nach Aufschluss seiner
Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier Erze, durch Reduktion des gereinigten Oxids mit
Vertreter der Gruppe der Elemente der sechsten Aluminium. Die Produktion von Molybdän und
Nebengruppe enthalten dabei alle wichtigen In- Wolfram ist wesentlich teurer; hier ist die Re-
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
ständigste ist. Chrom-VI-Verbindungen sind starke Ausschluss von Luftsauerstoff haltbar. Eine Be-
Oxidationsmittel, die des Chrom-II wirken dage- gründung der unterschiedlichen Stabilitäten von
gen kräftig reduzierend (Riedel und Janiak 2011, Cr2+- und Cr3+-Ionen liefert die Kristallfeldtheorie,
S. 814) und sind in wässriger Lösung nur bei nach der im oktaedrisch koordinierten Cr3+-Ion
578 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
alle energetisch günstigen Orbitale (t2g) mit je zur Herstellung von Chrom-IV-oxid, Kaliumdi-
einem ungepaarten Elektron besetzt sind, wogegen chromat und Ammoniumdichromat.
beim Cr2+-Ion aufgrund des es umgebenden, meist Das orangefarbene, ebenfalls sehr giftige Kali-
nur schwachen oktaedrischen Ligandenfeldes in umdichromat (K2Cr2O7) (s. Abb. 3) wirkt ebenso
der Regel der energiereichere und damit unbestän- stark oxidierend wie Chrom-VI-oxid; man stellt es
digere high spin-Komplex (3 ungepaarte Elektro- durch Ansäuern einer Lösung von Kaliumchro-
nen in den t2g- und eines im eg-Oribital) gebildet mat (K2CrO4) her. Die Oxidationswirkung nutzt
wird (Riedel und Janiak 2011, S. 812). man in den von der Polizei benutzten Promilletes-
Chrom-VI-Verbindungen, wie etwa Chrom- tern, da etwaig in der Atemluft enthaltener Etha-
VI-oxid, Chromat (CrO42) bzw. Dichromat nol in schwefelsaurer Lösung zu Acetaldehyd
(Cr2O72), sind starke Oxidationsmittel und darü- oxidiert und gleichzeitig Chrom-VI zu grünem
ber hinaus giftig und krebserregend. Chrom-III reduziert wird. Außerdem benutzt
man Kaliumdichromat als Titer in der quantitati-
Verbindungen ven Analyse sowie als Fixiermittel in industriellen
Chalkogenverbindungen Chrom-VI-oxid (CrO3) Färbebädern.
ist das Anhydrid der hypothetischen Chromsäure. Ammoniumdichromat [(NH4)2Cr2O7] ist ein
Es schmilzt bei 235 C und bildet bei Raumtempe- oranges (s. Abb. 4), gut in Wasser lösliches kris-
ratur rotviolette, geruchlose, nadelförmige Kristalle tallines Pulver der Dichte 2,15 g/cm3, das sich ab
(s. Abb. 2), die verzerrt tetraedrische Struktur besit- einer Temperatur von 100 C exotherm zersetzt.
zen (Stephens und Cruickshank 1970). Oberhalb einer Temperatur von 130 C erfolgt
Chrom-VI-oxid ist ein starkes Oxidationsmit- Selbstentzündung, oberhalb von 240 C Explo-
tel und kann mit brennbaren organischen Stoffen sion. Mechanische Reize wirken sich auf Ammo-
explosionsartig reagieren. Beim Glühen gibt die niumdichromat dagegen kaum aus. Die Verbin-
Verbindung Sauerstoff unter gleichzeitigem Abbau dung ist kein Sprengstoff, wird aber gelegentlich
zu Chrom-III-oxid ab. In wässriger Lösung bildet
es gelbe Chromatanionen (CrO42); diese Lösung
wirkt stark ätzend. Chrom-VI-oxid ist sehr giftig,
krebserregend und erbgutverändernd. Wird die
Substanz verschluckt, können bereits Mengen
<1 g für Erwachsenen tödlich wirken; erste Symp-
tome sind Krämpfe und Lähmungen.
Chrom-VI-oxid stellt man durch Versetzen
konzentrierter Chromatlösungen mit konzentrier-
ter Schwefelsäure her. Anwendungen bestehen in
der Galvanotechnik, in Holzschutzmitteln sowie Abb. 3 Kaliumdichromat (Onyxmet 2018)
ten Rutiltyp (Alsfasser und Meyer 2007). Beim (I) 2 CrCl3 þ H2 ! 2 CrCl2 þ 2 HCl
Erhitzen an der Luft zersetzt es sich zu Chrom-III-
oxid (Perry 2011). (II) 4 CrCl3 þ LiAlH4 ! 4 CrCl2 þ LiCl
Chrom-III-chlorid (CrCl3) wird durch direkte þ AlCl3 þ 2 H2
Umsetzung von Chrom im Chlorgasstrom bei
Temperaturen um 600 C gewonnen (Brauer 1981, (III) 2 CrCl3 þ Zn ! 2 CrCl2 þ ZnCl2
S. 1541):
Die wasserfreie Verbindung ist ein hydrolyse-
2 Cr þ 3 Cl2 ! 2 CrCl3
und luftempfindlicher, hygroskopischer, grauer
und geruchloser Feststoff, der orthorhombisch
Eine andere Synthese beinhaltet die Umset-
kristallisiert (Burg 1950). Man verwendet Chrom-
zung von Chrom-III-oxid mit Kohle und Chlor
II-chlorid als Katalysator und Reduktionsmittel.
bei noch wesentlich höheren Temperaturen
Chrom-III-bromid (CrBr3) schmilzt in Form
(ca. 1200 C; Holleman et al. 2007, S. 1573),
seines violetten, leicht in Wasser löslichen Hexa-
wobei allerdings die intermediäre Bildung von
hydrates schon bei 79 C und hat eine Dichte von
Chromcarbiden vermieden werden muss:
5,4 g/cm3. Man gewinnt es durch Reaktion von
Chrom mit Brom. Alternativ ist auch die Gewin-
Cr2 O3 þ 3 C þ 3 Cl2 ! 2 CrCl3 þ 3 CO
nung aus Chrom-III-acetat und Acetylbromid
möglich (Brauer 1978, S. 1487). Die schwarz-
Die rotviolette, wasserfreie Form (s. Abb. 10a)
glänzenden Kristalle des wasserfreien, bei
schmilzt bei einer Temperatur von 1152 C und
1130 C schmelzenden Salzes erscheinen im
hat eine Dichte von 2,87 g/cm3. In reinem Zustand
durchfallenden Licht grün, im reflektierten rot.
ist die Verbindung nahezu unlöslich in Wasser;
Sie sind erst nach Zusatz reduzierend wirkender
der Lösungsvorgang wird erst durch Anwesenheit
Chrom-II-salze in Wasser löslich.
von Spuren reduzierend wirkender Substanzen
Das bei einer Temperatur von 842 C schmel-
ermöglicht (Riedel und Janiak 2011).
zende, farblose Chrom-II-bromid (CrBr2) der
Die Verbindung setzt man meist als Kata-
Dichte 4,36 g/cm3 erhält man unter anderem
lysator, zur elektrolytischen Verchromung sowie
durch Reduktion von Chrom-III-bromid mit Was-
zur Wasserdichtimprägnierung ein.
serstoff (Brauer 1981, S. 1481), allerdings müs-
Das bei einer Temperatur von 824 C schmel-
sen hierfür 6–10 h bei einer Reaktionstemperatur
zende Chrom-II-chlorid (CrCl2) wird durch
zwischen 350 und 400 C aufgewandt werden:
Reduktion von Chrom-III-chlorid mit Wasser-
stoff bei Temperaturen um 500 C hergestellt
(I); alternativ kann dies auch unter Einsatz von 2 CrBr3 þ H2 ! 2 CrBr2 þ 2 HBr
Lithiumaluminiumhydrid (II) oder durch Re-
aktion von Chrom-III-chlorid mit Zink (III) er- Das wasserfreie Salz löst sich in luftfreiem
reicht werden: Wasser mit blauer Farbe und oxidiert an der Luft
schnell (Blachnik 1998, S. 392; Holleman et al.
1995, S. 1453).
Das kristallwasserfreie Chrom-III-iodid (CrI3) ist
ein dunkelgrüner Feststoff der Dichte 4,9 g/cm3, der
relativ beständig gegen Luft und Feuchtigkeit ist. Er
kristallisiert trigonal und zersetzt sich oberhalb einer
Temperatur von 500 C unter Bildung von Chrom-
II-iodid und Iod. Das Hexahydrat bildet dunkel-
violette, hygroskopische Kristalle. Man kann die
Abb. 10 a Chrom-III-chlorid wasserfrei (benjah-bbm27 Verbindung als Ausgangsstoff zur Herstellung
2009). b Chrom-III-chlorid-Hexahydrat (Mangl 2007) hochreinen Chroms verwenden (Eagleson 1994,
5 Einzeldarstellungen 583
S. 222). Man stellt Chrom-III-iodid durch Reaktion tallfluoride („MF2“) nach der schematischen For-
von Chrom mit überschüssigem Iod bei Temperatu- mel (Gutmann 1967, S. 246):
ren um 500 C her. Um Präparate hoher Reinheit zu
erhalten, zersetzt man das zunächst gebildete rohe CrO2 F2 þ MO ! MF2 þ CrO3
Chrom-III-iodid durch Erhitzen auf 700 C zunächst
zu Chrom-II-iodid, das dann anschließend reiodiert Chromylfluorid bildet ferner Addukte mit
wird. schwachen Lewis-Basen wie NO oder SO2.
Chrom-II-iodid (CrI2) erhält man durch Um- Chrom-VI-dioxiddichlorid (Chromylchlorid,
setzung stöchiometrischer Mengen der Elemente CrO2Cl2) ist eine flüchtige, blutrote (s. Abb. 11),
miteinander (Brauer 1981, S. 1481). Das Salz sehr giftige Flüssigkeit vom Erstarrungspunkt
schmilzt bei einer relativ hohen Temperatur von 96,5 C und Siedepunkt 117 C, die an feuchter
868 C, weist eine Dichte von 4,92 g/cm3 auf, Luft stark raucht. Wasser zersetzt die Verbindung
besitzt orthorhombische Kristallstruktur und ist heftig unter Bildung von Chlorwasserstoff und
sehr luft- und wasserempfindlich. Die braunroten Chromsäure.
Kristallblättchen lösen sich leicht in luftfreiem Die Darstellung erfolgt durch Reaktion trocke-
Wasser unter Bildung einer hellblauen Lösung nen Chlorwasserstoffs mit Chromtrioxid (I) bei
(Brauer 1981, S. 1481). sofortiger Entfernung des bei der Reaktion mit-
Oxohalogenverbindungen Monomeres Chrom- gebildeten Wassers oder durch Erhitzen einer
VI-dioxiddifluorid (Chromylfluorid, CrO2F2) ist Mischung aus Kaliumchromat, Natriumchlorid
mit einem Sublimationspunkt von 30 C ein extrem und konzentrierter Schwefelsäure (II) sowie nach-
flüchtiger und giftiger Feststoff. Man erhält ihn folgendem Abdestillieren des bei der Umsetzung
durch Reaktion von Chromylchlorid mit Fluor bei entstandenen Chromylchlorids:
200 C (I) oder Reaktion von Chrom-VI-oxid mit
Schwefeltetrafluorid (II) oder Fluorwasserstoff (I) CrO3 þ 2 HCl ! CrO2 Cl2 þ H2 O
(Brauer 1975, S. 266; Engelbrecht und von Grosse
1952): (II) K2 CrO4 þ 2 NaCl þ 2 H2 SO4
(I) CrO2 Cl2 þ F2 ! CrO2 F2 þ Cl2 ! CrO2 Cl2 þ Na2 SO4 þ K2 SO4 þ 2 H2 O
Oxidation von Alkenen zu Aldehyden, einsetzt. Man stellt Chrommononitrid durch mehrstün-
Ferner dient es als Beizmittel beim Gerben von diges Erhitzen pulverförmigen Chroms bzw. des
Leder. Es ist als krebserzeugend und erbgutver- aus Chrom bestehenden Werkstücks unter Stick-
ändernd (Kategorie 2) eingestuft. stoff bei Temperaturen oberhalb von 800 C her
Pnictogenverbindungen Chrommononitrid (CrN) (Brauer 1981, S. 1494):
hat metallische Eigenschaften und ist ein schwar-
zes, magnetisches Pulver (s. Abb. 12a, b) der 2 Cr þ N2 ! 2 CrN
Dichte 5,9 g/cm3, das unlöslich in Säuren sowie
Laugen ist und in der kubischen Natriumchlo- Alternativ ist auch das Erhitzen von Chrom-III-
ridstruktur kristallisiert. Als Mineral Carlsbergit chlorid im Ammoniakgasstrom möglich (Brauer
kommt es sogar natürlich auf der Erde sowie in 1981, S. 1494):
Meteoriten vor (Anthony 1995). Diese γ-Phase
des Chromnitrids schmilzt bei einer Temperatur CrCl3 þ 4 NH3 ! CrN þ 3 NH4 Cl
von 1500 C unter Zersetzung in die Elemente,
verliert aber schon vorher beim Erhitzen auf diese Chrommonophosphid (CrP) ist ein in Laserdi-
Temperatur Stickstoff und geht in Dichrommono- oden und Hochfrequenzanwendungen eingesetzter
nitrid (Cr2N, „β-Phase“) über, das im hexagonalen Halbleiter; noch wichtiger ist das eng verwandte
Gitter kristallisiert (Martienssen und Warlimont Chrommonoarsenid (CrAs) mit ähnlichen Einsatz-
2005). gebieten. Letzteres ist ein schwarzgraues Pulver
Chrommononitrid ist sehr hart und überra- der Dichte 7,04 g/cm3, das auch als Sputtertarget
schend stabil auch gegenüber aggressiven erhältlich ist.
Chemikalien. Man setzt es unter anderem zur Sonstige Verbindungen Chromcarbid (Cr3C2)
Passivierung von aus Chrom gefertigten Gegen- kommt natürlich in Form des Minerals Tongbait
ständen oder auch als Beschichtung für Zerspa- vor und ist ein grauer (s. Abb. 13a–c), brennbarer,
nungswerkzeuge ein (Doege und Behrens 2010). bei einer Temperatur von 1890 C schmelzender
Die Verbindung hat metallische Leitfähigkeit; Feststoff der Dichte 6,68 g/cm3. Die Verbindung
durch Sputtern im Handel erhältlicher Targets kristallisiert orthorhombisch (Perry 2011, S. 487).
(s. Abb. 12c) können sehr dünne Schichten auf Der Siedepunkt der Schmelze liegt extrapoliert
Substraten aufgebracht werden. Von aktuellem bei 3800 C. Die Darstellung von Chromcarbid
Interesse ist der Einsatz von Chrommononitrid erfolgt durch Umsetzung von Chrom-III-oxid
in metallischen, serientauglichen und preisgüns- mit Aluminium und Kohlenstoff (Mitsuyuki
tigen Bipolarplatten für PEM-Brennstoffzellen et al. 2007):
(Lampke et al. 2018). Das ZBT Duisburg forscht
aktuell auf dem Gebiet der Direkt-Methanol- 3 Cr2 O3 þ 4 C þ 6 Al ! 2 Cr3 C2 þ 3 Al2 O3
Brennstoffzellen; hier dampft man die Chromnit-
ridschicht auf einen Träger (Aluminium, Stahl) Die Verbindung ist Bestandteil korrosionsre-
auf (2018). sistenter Hartmetalllegierungen (Bobzin 2013).
Abb. 13 a Chromcarbid
(Stanford Advanced
Materials 2018).
b Chromcarbid (Onyxmet
2018). c Chromcarbid
Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2018)
webe. Menschen, die chronisch solchen Verbin- durch Behandlung mit Salpetersäure das weiße
dungen ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko Molybdän-VI-oxid (MoO3), das Hjelm 1781 mit
für Lungenkrebs. Die Giftwirkung ist dabei umso Kohle zum metallischen Molybdän reduzierte.
höher, je schwerer löslich das Salz ist (Rubin und Lange erschien Molybdän uninteressant, erst etwa
Strayer 2008). 100 Jahre später erkannte man, dass zulegiertes
Molybdän die Festigkeit von Stahl erheblich er-
höhte. Es wurde daher vor allem zur Herstellung
Patente
militärischer Waffen wie Kanonenrohre genutzt.
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Die europäischen Abbauaktivitäten wurden längst
wide.espacenet.com)
eingestellt, heute kommt Molybdän aus Süd- und
Nordamerika sowie aus China.
L. Chen, Waterproofing agent stearoyl chro-
mium production plant (Chengdu Pa
Luo Ao Technology Co., Ltd., AU Der preußisch-schwedische Chemiker und
2018 101998 A4, veröffentlicht 24. Apotheker Carl Wilhelm Scheele (* 19.
Januar 2019) Dezember 1742 Stralsund; † 21. Mai 1786
F. Peng, Chromium oxide magnetic powder Köping) arbeitete mit zahlreichen chemi-
production plant (Chengdu Mi Er Dun schen Verbindungen und war an der Ent-
Technology Co., Ltd., AU 2018101901 deckung mehrerer Elemente beteiligt. Das
A4, veröffentlicht 24. Januar 2019) schwedisch besetzte Pommern verließ
Z. Tang und L. Karabin, Nickel-Iron-Alu- Scheele 1757 und ging nach Göteborg,
minum-Chromium based alloys, and um dort eine Lehre in einer Apotheke zu
products made therefrom (Arconic Inc., absolvieren. Er arbeitete dort intensiv im
US 2019024225 A1, veröffentlicht 24. Labor und wechselte 1765 in eine Malmöer
Januar 2019) Apotheke. Dort arbeitete er für drei Jahre
S. M. Bischof und U. J. Kilgore, Perfluo- mit Retzius, Professor für Chemie der Uni-
versität Lund, zusammen und führte mit
rohydrocarbyl-N2-phosphinyl amidine
diesem weitere Versuche im Labor durch.
compounds, chromium salt complexes,
1768 verlegte Scheele Wohn- und Arbeits-
catalyst system, and their use to oligo-
platz nach Stockholm, 1770 schließlich
merize ethylene (Chevron Phillips Che-
nach Uppsala. In der dortigen Apotheke
mical Co., Ltd., US 10183960 B1, ver- „Zum Wappen von Uppland“ stand ihm
öffentlicht 22. Januar 2019) ein Labor zur Verfügung, er lernte den an
R. Ortmann und H. Friedrich, Method for der dortigen Universität lehrenden Chemi-
reducing hexavalent chromium in oxidic ker Bergman kennen. Mit ihm arbeitete er
solids (Lanxess Deutschland GmbH, HU zu Flussspat und Braunstein, Scheele
E039006 T2, veröffentlicht 28. Dezem- veröffentlichte erste Abhandlungen und
ber 2018) wurde 1775 in die Akademie der Wissen-
V. Nikolaenko und G. P. Shvejkin, Method schaften aufgenommen. Er war für die Ent-
for producing chromium carbide powder deckung des Sauer- und Stickstoffs mit-
(RU 2674526 C1, veröffentlicht 11. verantwortlich, publizierte die Ergebnisse
Dezember 2018) aber erst 1777 und somit drei Jahre später
als Priestley, der seine Entdeckung des
Sauerstoffs drei Jahre zuvor veröffentlich-
te (Friedrich 1992; Lockemann 1984,
5.2 Molybdän S. 274–290).
1775 übernahm Scheele eine Apotheke
Geschichte Molybdän kommt in seinen Lager- in Köping, erarbeitete sich dort ein hohes
stätten vor allem als Molybdänglanz (Molybdän- Ansehen, veräußerte die Apotheke aber
IV-sulfid) vor. Aus ihm gewann Scheele 1778
5 Einzeldarstellungen 589
bzw. siedet, eine Dichte von 4,70 g/cm3 hat und küle. Die Salze der Molybdänsäure heißen Mo-
im industriellen Maßstab durch Rösten von lybdate, wobei die Molybdationen (MoO42) wie
Molybdän-IV-sulfid (MoS2) produziert wird: die Sulfationen tetraedrisch koordiniert sind.
Molybdän-IV-oxid (MoO2) schmilzt bei einer
2 MoS2 þ 7 O2 ! 2 MoO3 þ 4 SO2 Temperatur von 1100 C, hat eine Dichte von
6,47 g/cm3 und tritt -sehr selten- natürlich als
In kleinen Mengen entsteht es durch Zugabe Mineral Tugarinovit auf. Es ist durch Reduktion
von Säure zu Molybdatlösung und nachfolgen- von Molybdän-VI-oxid mit Wasserstoff, Ammo-
dem Trocknen der dabei ausfallenden „Molyb- niak oder Molybdän bei hohen Temperaturen
dänsäure“ („H2MoO4“), die in Wirklichkeit zugänglich (Cotton und Wilkinson 1967). Der
hydratisiertes Molybdän-VI-oxid ist und beim braunviolette Feststoff kristallisiert monoklin; in
Erhitzen auf Temperaturen von 450 C das fein verteilter Form ist er an der Luft pyrophor
gesamte Wasser verliert (Heynes und Cruywagen (selbstentzündlich). Die Verbindung wird unter
1986). anderem als Katalysator für die Dehydrierung
Molybdän-VI-oxid ist ein weißes bis hell- von Alkoholen verwendet (Balandin und Rozh-
gelbes, orthorhombisch kristallisierendes Pulver destvenskaya 1959).
(s. Abb. 18a, b), das sich beim Erhitzen gelb färbt Molybdän-IV-sulfid (MoS2) kommt in der
und nach dem Erkalten wieder farblos wird Natur al Molybdänit bzw. Jordisit vor. Man kann
(Brauer 1981, S. 1544). Es löst sich kaum in es durch Reaktion von Molybdän-IV-oxid mit
Wasser, besser in alkalischen Lösungen, in denen Schwefel in Gegenwart von Kaliumcarbonat oder
es Molybdat (MoO42) bildet. Molybdän-VI-oxid aus einem pulverförmigen Gemisch der Elemente
wird sowohl als Edukt zur Synthese anderer gewinnen (Brauer 1981, S. 1551):
Molybdänverbindungen eingesetzt als auch als
Bestandteil von Emaille und als Katalysator für MoO2 þ 3 S ! MoS2 þ SO2
organische Synthesen. Mo þ 2 S ! MoS2
Im Gegensatz zum Molekül der Schwefelsäure
(H2SO4) gibt es keine diskreten H2MoO4-Mole- Das dunkelgraue bis schwarze Molybdän-IV-
sulfid (s. Abb. 19a bis d) besitzt eine grafitähn-
liche Schichtstruktur mit leicht gegeneinander
verschiebbaren Schichten. Hierdurch besitzt die
Verbindung gute schmierende Eigenschaften.
Graphenähnliche Schichtstrukturen sind somit
herstellbar (Radisavljevic et al. 2011; O’Donnell
et al. 2002; Ikezoe et al. 1998; Lazarev et al.
1994). Das hexagonal kristallisierende Molyb-
Abb. 18 a Sublimierte Kristalle von Molybdän-VI-oxid dän-IV-sulfid (Laman et al. 1985) ist ein Halblei-
(Nidox1 2011). b Molybdän-VI-oxid (Stanford Advanced ter einer indirekten Bandlücke von 1,23 eV (Kam
Materials 2018)
und Parkinson 1982), die sich in atomar dünnen
Schichten auf bis zu 1,8 eV erhöhen kann und Katalysator, z. B. beim Entschwefeln von Rohöl.
dann direkt ist (Mak et al. 2010; Merki et al. Ein mögliches weiteres Einsatzgebiet ist das als
2011). Die Halbleitereigenschaften machen es in Katalysator für Brennstoffzellen. Früher schon
vielen Anwendungen einsetzbar; zudem lässt sich testete man die Verbindung in Lithium-Molyb-
durch Einwirkung von Sauerstoff die dielektri- dän-IV-sulfid-Batterien (Laman et al. 1985;
sche Kapazität des Molybdän-IV-sulfids steuern Brandt und Laman 1989).
(WR 2017). Molybdän-IV-selenid (MoSe2) kommt sehr sel-
Molybdän-IV-sulfid ist an der Luft bis hinauf ten in der Natur als Mineral Drysdallit vor und hat
zu Temperaturen von 300 C stabil, erst darüber eine ähnliche Struktur wie Molybdän-IV-sulfid
wird es durch Luftsauerstoff „geröstet“ und zu (Greenwood und Earnshaw 1997). Verglichen
Molybdäntrioxid oxidiert: mit jenem besitzt es zwar auch Halbleitereigen-
schaften, aber eine höhere elektrische Leitfähig-
2 MoS2 þ 9 O2 ! 2 MoO3 þ 4 SO3 keit (Yun et al. 2012; Eftekhari 2017) mit
niedrigeren Bandlücken [indirekt: 0,85 eV (mehr-
Unter Luftabschluss ist MoS2 bis zu Tempera- schichtiges Material), bzw. direkt: 1,5 eV (Einzel-
turen von 1300 C beständig. Die Verbindung löst schicht)]. Im Handel ist es entweder in Form eines
sich weder in Wasser noch in verdünnten Säuren, schwarzen Pulvers (s. Abb. 20a) der Dichte
jedoch unter Zersetzung in Königswasser und 6,9 g/cm3 und Schmelzpunkt >1200 C oder
Schwefelsäure. Durch Chlor wird es zum grauen Sputterttargets (s. Abb. 20b). Einsatzge-
Molybdän-V-chlorid (MoCl5) oxidiert (I) und biete sind Transistoren und Lichtdetektoren.
durch Wasserstoff bei hoher Temperatur zum Wie viele andere Dichalkogenide von Über-
Molybdän-III-sulfid (Mo2S3) reduziert (II): gangsmetallen (TMDCs) hat Molybdän-IV-sele-
nid eine oben schon erwähnte Schichtstruktur mit
(I) 2 MoS2 þ 7 Cl2 ! 2 MoCl5 þ 2 S2 Cl2 schwacher Wechselwirkung der Schichten unter-
einander (Wang et al. 2012a). Gelegentlich be-
(II) 2 MoS2 þ H2 ! Mo2 S3 þ H2 S schreibt man darin die Koordinationsgeometrie
der Molybdänatome als oktaedrisch oder auch
trigonal-prismatisch (Parilla et al. 2004). Einkris-
Die Hauptanwendung ist die als trockenes talle sowohl des Molybdän-IV-sulfids als auch
Schmiermittel. Unter Ausschluss von Sauerstoff des -selenids wandeln eingestrahltes zirkular po-
ist die Anwendung bis zu Temperaturen von gut larisiertes Licht in eine nahezu depolarisierte
1000 C möglich. Man mischt Molybdän-IV-sul- Lumineszenz um (Kioseoglou et al. 2016).
fid oft Schmierölen zu, was die Lebensdauer des Molybdän-IV-selenid stellt man durch Erhit-
Schmierfilms und damit auch von Maschinenbau- zen einer pulverförmigen Mischung der Elemente
teilen deutlich verlängert. Typische Anwendun- im abgeschmolzenen Röhrchen bei hoher Tempe-
gen sind beispielsweise Flugzeugtriebwerke und ratur her. Eine Reinigung des derart erzeugten
Turbinen.
Unverzichtbar ist Molybdän-IV-sulfid darüber
hinaus bei fast allen Umformverfahren. Beim
„Bondern“ oder „Trommeln“ wird eine Schicht
der Verbindung gleichmäßig auf alle zu behan-
delnden Metallträger aufgebracht. Der Vorteil
gegenüber klassischen Schmierstoffen wie Seife
ist die größere Temperaturbeständigkeit des festen
Schmierstoffes. Auch Geschosse von Feuerwaf-
fen schmiert man zwecks Erreichen einer höheren Abb. 20 a Molybdän-IV-selenid (Onyxmet 2018).
Geschwindigkeit des Geschosses mit Molybdän- b Molybdän-IV-selenid Sputtertarget (QS Advanced Mate-
IV-sulfid. Molybdän-IV-sulfid dient zudem als rials 2018)
5 Einzeldarstellungen 593
Materials erreicht man durch chemischen Trans- IV-tellurid bildet (Bernède et al. 1990). Die amor-
port in der Gasphase unter Verwendung von Brom phe Verbindung erhält man durch Reaktion von
oder Iod bei Temperaturen um 650 C und extrem Molybdänhexacarbonyl mit in Decalin suspen-
niedrigem Druck. Man kann auf diese Weise grö- diertem Tellur (Qiu et al. 2003). Ein weiteres
ßere Einkristalle hexagonaler Struktur erzeugen. Verfahren ist die in-situ-Erzeugung von Molyb-
Auch ein Aufdampfen sehr dünner Beschichtun- dän-IV-tellurid aus Tellurdioxid und Molybdän-
gen des Materials ist mit diesem Verfahren mög- VI-oxid in stark saurer Galvaniklösung, aus der es
lich (Choi et al. 2014). Überschüssiges Selen direkt in Form eines sehr dünnen Films beispiels-
entfernt man durch Absublimieren im Vakuum weise auf Edelstahl aufgebracht werden kann
(Al-Hilli und Evans 1972). (Ying et al. 2011).
Molybdän-IV-tellurid (MoTe2) ist ein schwar- Bei Raumtemperatur kristallisiert Molybdän-
zes Pulver der Dichte 7,7 g/cm3 mit den Eigen- IV-tellurid hexagonal (α-MoTe2) wie auch das
schaften eines Halbleiters und relativ niedrigen -IV-sulfid. In der Elementarzelle dieser diamagne-
Bandlücken [indirekt: 0,9 eV (mehrschichtiges tischen Modifikation ist jedes Molybdän- von
Material), bzw. direkt: 1,1 eV (Einzelschicht)] sechs Telluratomen umgeben, die sich auf den
(Ruppert et al. 2014; Lezama et al. 2014; Zhang Ecken eines trigonalen Prismas befinden, so dass
und Zunger 2015). In Form von Sputtertargets im Kristall Schichten aus beiden Atomsorten vor-
erscheint es bronzefarben (s. Abb. 21). Man er- liegen, die durch Van der Waals-Kräfte zusammen
hält es durch Erhitzen einer stöchiometrischen gehalten werden (Wieting et al. 1980; Yanpeng
Mischung der Elemente auf Temperaturen von et al. 2016; Agarwal und Caspers 1976). Die
1100 C im Vakuum (Puotinen und Newnham Schichten lassen sich leicht gegeneinander ver-
1961). Überschüssiges Tellur wird durch Auflö- schieben, woraus auch die schmierenden Eigen-
sen in Schwefelsäure entfernt (Kettaf et al. 1990). schaften resultieren. Unter hohem Druck wird
Die chemische Abscheidung aus der Gasphase α-MoTe2 halbmetallisch (Rifliková et al. 2014).
führt zu sehr reinen Produkten (Brown 1966); Oberhalb von 900 C kristallisiert Molybdän-
dabei setzt man Brom ein, das den später entste- IV-tellurid in der paramagnetischen, monoklinen
henden Einkristall jedoch zu einem n-Halbleiter Struktur (β-MoTe2); bei schnellem Abkühlen
macht (Bernède et al. 2003). Wäre dagegen nur kann diese Struktur auch bei Raumtemperatur
Tellur als Anion im Gitter vorhanden, läge ein konserviert werden (Revolinsky und Beerntsen
p-Halbleiter vor (Morsli et al. 1997). Die Verbin- 1966; Vellinga et al. 1970; Manolikas et al.
dung ist in Pulverform schwarz (Balakrishnan und 1979). Die β-Modifikation leitet den elektrischen
Ramasamy 1994). Strom besser, weil sie ausgeprägte Metalleigen-
Eine weitere Möglichkeit zur Erzeugung dün- schaften besitzt (Hla et al. 1996; Zandt et al.
ner Filme aus Molybdän-IV-tellurid liegt im Über- 2007). Durch Erhitzen amorphen Molybdän-IV-
leiten gasförmigen Tellurs bei ca. 860 C über tellurids kann man Nanoröhrchen eines Durch-
einen sehr dünnen Film aus Molybdän, wobei sich messers von 20–60 nm erzeugen.
an dessen Oberfläche eine Schicht aus Molybdän- An der Luft oxidiert die Verbindung bei Raum-
temperatur langsam zu Molybdän-IV-oxid und
Tellur-IV-oxid, bei höherer Temperatur bilden
sich Mischoxide (Bart et al. 1980, 1982). Beim
Erhitzen auf hohe Temperatur verflüchtigt sich ein
Teil des chemisch gebundenen Tellurs, und es
bildet sich Molybdän-III-tellurid (Mo2Te3), das
beim Glühen weiter Tellur abgibt und zum Ende
metallisches Molybdän zurücklässt (O’Hare 1987).
In verdünnter Salpetersäure löst sich Molybdän-
Abb. 21 Molybdän-IV-tellurid Sputtertarget (QS Advan- IV-tellurid, nicht aber selbst in heißer in Salz- oder
ced Materials 2018) Schwefelsäure (Morette 1942). 260 C heißes
594 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
Oleum löst die Verbindung allerdings auf (Obo- MoF6 als Nebenprodukt auf, allerdings in gerin-
lonchik et al. 1972). gen Konzentrationen. Da zudem Molybdän und
Die Oberfläche von Molybdän-IV-tellurid kann Wolfram in chemischer Hinsicht sehr ähnlich
mit diversen anderen Chalkogeniden wie Cad- sind, enthält MoF6 auch immer geringe Anteile
miumtellurid (Löher et al.1996) oder Zinn-IV-sul- an Wolfram-VI-fluorid (WF6) (Suenaga 1993;
fid dotiert werden (Schlaf et al. 1997). Lithiumio- Kikuyama et al. 2003).
nen können sich in größeren Konzentrationen in Man stellt die Verbindung durch Umsetzung
das Schichtgitter einlagern, wobei eine in Lithi- von Molybdän mit überschüssigem elementarem
umbatterien verwendbare Elektrode entstünde Fluor her (Brauer 1975, S. 267). Das unterhalb
(Krabbes et al. 1985). einer Temperatur von 17 C feste Molybdän-VI-
Anwendungen von Molybdän-IV-tellurid kön- fluorid kristallisiert orthorhombisch, wobei die
nen Schmierstoffe, lichtelektronische Schaltungen Fluoratome hexagonal-dichtest angeordnet sind
und Halbleitercompounds sein. Dioden günstiger (Levy et al. 1983) und sich oktaedrisch um ein
Eigenschaften wurden schon hergestellt (Bernède Molybdänatom herum gruppieren (Drews et al.
et al. 1996), ebenso Transistoren (Lin et al. 2014) 2006).
und Feldeffekt-Transistoren (Nakaharai et al. Molybdän-V-fluorid (MoF5) erzeugt man durch
2015). Hinsichtlich seiner Anwendung in Reaktion von Molybdänhexacarbonyl [Mo(CO)6]
Schmierstoffen, die am besten im Vakuum und mit Fluor bei Temperaturen von –78 C (Brauer
bei ca. 500 C erfolgt, ist ihm aber das dazu noch 1975, S. 266):
preiswertere Molybdän-IV-sulfid überlegen. Misch-
kristalle, die abwechselnd aufeinander Schichten 2 MoðCOÞ6 þ 5 F2 ! 2 MoF5 þ 12 CO
von Molybdän-IV-tellurid und Indiumnitrid ent-
halten, zeigen besonders niedrige Brechungsindi- Alternativ kann man es auch durch Umsetzung
ces und stärkere Lichtabsorption (Villegas und des Hexafluorids mit Molybdän bei ca. 60 C in
Rocha 2015). einer Edelstahlapparatur darstellen (Ouellette et al.
In Solarzellen, in denen Kristalle von Cad- 1972):
miumtellurid auf eine Molybdänoberfläche mon-
tiert sind, kann sich an der Grenzfläche der Phasen Mo þ 5 MoF6 ! 6 MoF5
Molybdän-IV-tellurid bilden. Liegt jenes in seiner
n-Struktur vor, verringert es die Wirkung der Molybdän-V-fluorid schmilzt bei 64 C, siedet
Solarzelle (Dhar 2014). β-MoTe2 ist ein guter bei 212 C und ist ein gelber, an der Luft infolge
Elektrokatalysator zur Herstellung von Wasser- Hydrolyse rauchender Feststoff, der in Form
stoff (McGlynn et al. 2017). zyklisch angeordneter [MoF5]-Tetramere kristal-
Ein weiteres charakterisiertes Molybdäntellu- lisiert (Voit et al. 1999).
rid ist Mo6Te8 (Puotinen und Newnham 1961), Molybdän-III-fluorid (MoF3) stellt man durch
das schwarze, würfelförmige Kristalle bildet und Reaktion von Molybdän-V-fluorid mit Molybdän
entsteht, wenn ein Gemisch von Molybdän und bei Temperaturen von 400 C her (Brauer 1975,
Tellur in stöchiometrischem Verhältnis eine S. 266):
Woche lang unter Luftausschluss auf 1000 C
erhitzt wird. Es ist nicht supraleitend (Miller und 3 MoF5 þ 2 Mo ! 5 MoF3
Smith 1998; Hamard et al. 2000).
Halogenverbindungen Molybdän-VI-fluorid Die Verbindung ist ein hellgrüner Feststoff der
(MoF6) ist bei Raumtemperatur eine sehr hydro- Dichte 4,64 g/cm3 mit Schmelzpunkt >600 C,
lyseempfindliche, farblose bis gelbliche Flüssig- der sich beim Erhitzen auf Temperaturen von
keit der Dichte 3,5 g/cm3, die bei 34 C siedet. 900 C über schwarz nach dunkelrot verfärbt,
Molybdän ist eines der Spaltprodukte des Urans, was auf teilweiser Zersetzung gründet. Die Kris-
und somit tritt im Zuge der Trennung der Isotope tallstruktur des Molybdän-III-fluorids ist nicht
235 238 eindeutig belegt; die in der Literatur gemachten
92U und 92U über das Uran-VI-fluorid auch
5 Einzeldarstellungen 595
therapie weniger toxische und reaktionsträgere Ein Mangel an Molybdän verringert den Ertrag
Platinmetall-Komplexe. bei vielen Nutzpflanzen, wobei in Pflanzen und
auch Tieren Konzentrationen im Bereich von
Anwendungen Rund 70 % des hergestellten wenigen ppm aufrechterhalten werden müssen.
Molybdäns gehen in die Produktion von Metall- Bestimmte mit Hülsenfrüchtlern in Symbiose
legierungen wie Ferro-Molybdän, in der es dieser lebende Knöllchenbakterien binden Luftstickstoff
eine wesentlich höhere Härte als Stahl verleiht. und reduzieren Nitrat zu Ammoniak mittels eines
Generell setzt man Molybdän oft als Legierungs- molybdänhaltigen Enzyms (Nitrogenase).
bestandteil zur Steigerung von Festigkeit, Korro- Bei Inhalation oder oraler Aufnahme können
sions- und Hitzebeständigkeit (Hastelloy ®, Inco- Molybdänstaub und -verbindungen schwach to-
loy ® oder Nicrofer ®) ein, so auch in der Luft- und xisch wirken. Das Element ist aber im Vergleich zu
Raumfahrt. In Dünnschichttransistoren verkör- vielen anderen Schwermetallen nur wenig toxisch.
pert Molybdän die leitende Metallschicht und in
Dünnschichtsolarzellen den metallischen Rück-
Patente
leiter. Aus Molybdän bestehende Folien sorgen
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
für die gasdichte Stromdurchführung in Quarz-
wide.espacenet.com)
glas, wie beispielsweise in Halogenglühlampen.
Bei der Raffination von Erdöl dient Molybdän
N. Matsukura und E. Katsuno, Method for
zur Entfernung von Schwefel und dessen Verbin-
long-term stabilization of dispersibility
dungen. Dagegen verwendet man Molybdän-IV-
of organic molybdenum compound in
sulfid verbreitet als Schmiermittel, sowohl separat
base oil (Adeka Corp., WO 201901
als auch in Öl suspendiert. Molybdän-VI-oxid
2861 A1, veröffentlicht 17. Januar 2019)
und Molybdate verwendet man zur Feuerfestaus-
N. Roth, Molybdenum alloys for medical
rüstung von Textilien.
devices (Mirus, US 2019008995 A1,
Bei Röntgenuntersuchungen, die nur eine
veröffentlicht 10. Januar 2019)
minimale Strahlenbelastung zulassen, dient Mo-
T. Nardi und R. A. Barth, Molybdenum
lybdän als Anodenmaterial. Schließlich gewinnt
coated elevator safety brakes (Otis Ele-
man das Technetiumisotop 99m43Tc in situ unter
vator Co., US 2019011007 A1, veröf-
anderem durch β-Zerfall des Isotops 9942Mo.
fentlicht 10. Januar 2019)
A. Bonduelle und A. Chaumonnot, Olefin
Physiologie und Toxikologie Molybdän ist
metathesis method using a catalyst con-
überraschenderweise für die meisten Organismen
taining silicon and molybdenum (IFP
essenziell, da es beispielsweise in der Nitroge-
Energies Now, US 2019009260 A1, ver-
nase, der Nitratreduktase oder der Sulfitoxidase
öffentlicht 10. Januar 2019)
enthalten ist, also Enzymen, die etwa den Abbau
C. Dezelah und J.-S. Lehn, Deposition of
von Purin und die Synthese von Harnsäure kata-
molybdenum thin films using a molyb-
lysieren.
denum carbonyl precursor (Merck Patent
Der Organismus nimmt Molybdän in Form von
GmbH, US 2019003050 A1, veröffent-
Molybdat auf. Das Molybdän gelangt schließlich als
licht 3. Januar 2019)
Molybdän-Cofaktor in das jeweilige Enzym, wo
E. Ström, A new molybdenum silicide
das Molybdänion Redoxreaktionen katalysiert; dies
based composition (Sandvik Intellectual
durch häufigen Wechsel zwischen den Oxidations-
Property, US 2019002355 A1, veröffent-
zahlen +4, +5 und +6 (Schwarz et al. 2009). Bei
licht 3. Januar 2019)
normaler Ernährung tritt Molybdänmangel nicht
M. Porosoff und H. D. Willauer, Alkali metal
auf. Sind die inkorporierten Dosen zu hoch, so führt
doped molybdenum carbide supported on
dies zu Gicht, Gelenk- und Leberkrankheiten. Der
gamma-alumina for selective CO2 hydro-
Molybdän-Cofaktor-Mangel ist als Erbkrankheit
bekannt (Reiss und Hahnewald 2011). (Fortsetzung)
600 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
genation into CO (U. S. Government, ren 1546, 1547, 1551 und 1553 auch Bür-
Section Navy, CA 3030838 A1, veröf- germeister. Als Universalgelehrter forschte
fentlicht 18. Januar 2018) Agricola im Bereich der Medizin, Pharma-
R. Kolvenbach und M. S. Rigutto, Process zie, Alchemie, Philologie und Pädagogik,
for the preparation of molybednum Politik und Geschichte, Metrologie, Geowis-
disulfide nanoparticles supported on tita- senschaften und Bergbau. Agricola ver-
nia (Shell International Research, CA schaffte sich einen Überblick über die
gesamte Technik des Bergbaus und Hütten-
3030310 A1, veröffentlicht 18. Januar
wesens zu seiner Zeit; ein Jahr nach seinem
2018)
Tod erschien sein Hauptwerk De re metallica
libri XII., das später ins Deutsche übersetzt
wurde und unter dem Namen Vom Berg-
kwerck XII Bücher veröffentlicht wurde; es
5.3 Wolfram
blieb bis Mitte des 18. Jahrhunderts das Stan-
dardwerk seines Genres (Pieper 1953, S. 98;
Geschichte Wolfram wurde in Form eines seiner
Prescher 1980; Ladwig 1987, S. 113).
Erze schon vor fast 500 Jahren durch Agricola in
Freiberg entdeckt, weil es die Gewinnung von
Zinn aus dessen Erzen durch Verschlackung des Der spanische Chemiker Fausto Elhuyar y
chemisch gebundenen Zinns stark erschwerte. Er de Suvisa (* 11. Oktober 1755 Logroño; †
nannte das Mineral „Wolfsschaum“; aus diesem 6. Februar 1833 Madrid) studierte 1772 bis
Namen wurde später „Wolfram“. Die im Engli- 1776 zusammen mit seinem Bruder Juan
schen sowie den romanischen Sprachen ge- José Elhuyar (s. unten) Chemie an der Uni-
brauchte Bezeichung „tungsten“, „tungsteno“ versität Paris und ging danach mit ihm zur
oder „tungstène“ ist vom altnordischen „tung Bergakademie Freiberg. Reisen führten in
sten“ („schwerer Stein“) abgeleitet; hiermit bis nach Schweden, wo er in Uppsala mit
bezeichnete man im Schweden des 18. Jahrhun- Scheele zusammenarbeitete und dort stu-
derts aber das Mineral Calciumwolframat, das dierte. Nach seiner Rückkehr nach Spanien
Scheele 1781 isolierte und aus ihm Wolfram-VI- 1781 wurde er Professor an der Bergbau-
oxid darstellte. Erstmals stellten die in Scheeles schule im baskischen Bergara und siedelte
Labor arbeitenden Brüder Elhuyar 1783 aus einer 1788 nach Mexiko-Stadt über, wo er Gene-
aus Zinnwald gelieferten Probe des Minerals raldirektor der Bergwerke wurde und 1792
dort ebenfalls eine Bergakademie gründete.
durch Reduktion elementares, wenn auch noch
1821 kehrte er nach Madrid zurück, wurde
verunreinigtes Wolfram her.
Staatsminister und Generaldirektor der
Bergwerke in Spanien.
WO3 þ 3 H2 ! W þ 3 H2 O
gara, an der sein Bruder lehrte, und ging
1783 als Bergwerksdirektor nach Kolum- In Elektroöfen, in denen die Schmelztemperatur
bien. des Wolframs (3422 C) erreicht wird, kann im
Stile eines „Zonenschmelzens“ unter Wasserstoff-
Vorkommen Wolfram ist in der kontinentalen atmosphäre Wolfram in kompakter Form erschmol-
Erdkruste nur mit einem Anteil von 1 ppm zen werden.
vertreten (Wedepohl 1995), elementar kommt
es nicht auf der Erde vor. Wichtige Minerale sind Eigenschaften
Wolframit [(Mn, Fe)WO4], Scheelit (CaWO4), Stol- Physikalische Eigenschaften: Wolfram ist weiß-
zit (PbWO4) und Tuneptit (WO3 H2O). Die wich- glänzend, in reiner Form dehnbar, gleichzeitig sehr
tigsten Förderländer sind China, Peru, die USA, hart und besitzt mit ca. 19,3 g/cm3 etwa dieselbe
Korea, Bolivien, Kasachstan, Russland, Österreich Dichte wie Gold oder Uran. Die Kristallstruktur des
und Portugal, wobei die österreichischen Vorkom- Metalls ist in der Regel kubisch-raumzentriert (-
men (Scheelit im Felbertal, Hohe Tauern) die wich- α-Wolfram). Wolfram schmilzt bei einer Temperatur
tigsten Europas sind. von 3422 C (s. Tab. 3), hat daher den höchsten
Die Weltproduktion betrug 2013 ca. 71000 t, Schmelzpunkt aller chemischen Elemente auf und
von denen vier Fünftel aus China stammten. Die darüber hinaus mit 5550 C knapp hinter Rhenium
nächstwichtigen Förderländer waren die Russi- (5597 C) den zweithöchsten Siedepunkt. Es wird
sche Föderation (4500 t), Kanada (2500 t) und erst bei einer Sprungtemperatur von 15 mK supra-
Österreich (1400 t). Alle anderen Länder erzeug- leitend (Holleman et al. 2007, S. 1426).
ten weniger als 1000 t/a. Die verfügbaren Weltre- Chemische Eigenschaften: Wolfram ist che-
serven schätzte man im gleichen Jahr auf 2,9 Mio. misch sehr beständig; selbst gegenüber Flusssäure
t, wovon 1,9 Mio. t auf China, 290.000 t auf und Königswasser, zumindest bei Raumtempera-
Kanada, 250.000 t auf Russland und 53.000 t auf tur. Nur Mischungen aus Fluss- und Salpetersäu-
Bolivien entfallen. re sowie alkalische Alkalinitratschmelzen lösen
Die Produktion in Österreich besteht schon seit Wolfram auf.
mehreren Jahrzehnten, wurde zwischenzeitlich
infolge des niedrigen Marktpreises für Wolfram
aber immer wieder für einige Jahre ausgesetzt. Verbindungen
Die Aufarbeitung des Erzkonzentrates erfolgt in Chalkogenverbindungen Das bei Raumtemperatur
Mittersill, die Endverarbeitung zu Wolfram, Wolf- gelbe (s. Abb. 28a–c), beim Erwärmen orange Wolf-
ramcarbid und Wolfram-VI-oxid im steirischen ram-VI-oxid (WO3) schmilzt bei einer Temperatur
Sulmtal. von 1473 C und hat eine Dichte von 7,16 g/cm3. Es
kommt in Form seiner Hydrate natürlich vor (Els-
Gewinnung Wolfram ist nicht durch Reduktion moreit, Tungstit, Meymacit). Wolfram-VI-oxid er-
mit Kohle aus oxidischem Wolframerz herstell- zeugt man durch Glühen von Wolfram oder Wolf-
bar, da hierbei lediglich Wolframcarbid entsteht. ramverbindungen unter Zutritt von Luft oder auch
Daher ist die Herstellung des Metalls aufwändiger durch Zugabe von Salzsäure zu wässrigen Lösun-
und beginnt durch Zusatz von Ammoniakwasser gen von Natriumwolframat (Brauer 1981, S. 1566):
zu der nach dem Aufschluss des Erzes enthaltenen
Wolframatlösung. Das Abfiltrieren des bei dieser Na2 WO4 þ 2 HCl ! WO3 # þH2 O þ 2 NaCl
Reaktion entstehenden Niederschlages sowie des-
sen Trocknung bei Temperaturen um 600 C lie- Wolfram-VI-oxid löst sich in Wasser und Säuren
fert bereits ziemlich reines Wolfram-VI-oxid, das kaum oder überhaupt nicht; in Laugen dagegen unter
man bei etwas höherer Temperatur (800 C) im Bildung von Wolframaten. Anwendungsgebiete
Wasserstoffstrom zu pulverförmigem, metalli- sind unter anderem die als Katalysator in der Pig-
schem Wolfram reduziert: mentindustrie.
602 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
Einige Wolframate werden vielfach technisch vorkommt. Es dient zur Herstellung reinen Wolf-
eingesetzt, so etwa Calciumwolframat (CaWO4), rams über Natriumwolframat. Man stellt die Verbin-
das in der Natur in Form des Minerals Scheelit dung durch Festkörperreaktion von Calciumoxid
5 Einzeldarstellungen 603
Abb. 28 a Wolfram-VI-oxid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2018). b Wolfram-VI-oxid, Normalqualität (Stan-
ford Advanced Materials 2018). c Wolfram-VI-oxid, Normalqualität (Onyxmet 2018)
Man setzt die Verbindung als Szintillator in der tallisiert und eine Dichte von 7,5 g/cm3 aufweist.
Kernphysik ein (Bardelli et al. 2006), ebenso in In der Natur kommt die Verbindung als Tungstenit
Röntgenbildschirmen und fluoreszierenden Far- vor, kann aber auch synthetisch hergestellt wer-
ben (Perry 2016, S. 84). den, entweder aus den Elementen (I) oder durch
Cobaltwolframat (CoWO4) stellt man durch Umsetzung von Wolfram-VI-oxid mit Schwefel
Versetzen einer wäßrigen Lösung von Cobalt-II- (II, Brauer 1981, S. 1574):
sulfat mit einer von Natriumwolframat her,
wodurch das Cobaltwolframat ausgefällt wird. (I) W þ 2 S ! WS2
Nach Abfiltrieren, Waschen und Trocknen erhält
man das blaugrüne bis blauschwarze, monoklin (II) 2 WO3 þ 7 S ! 2 WS2 þ 3 SO2
kristallisierende reine Cobaltwolframat (Deng
et al. 2012). Dieses schmilzt bei einer Temperatur
von 1280 C, hat die Dichte 8,42 g/cm3 und wird Die Verbindung wird in Katalysatoren zur
als Pigment, Katalysator (Abasaeed et al. 2006) Hydrierung von Rohöl eingesetzt, des Weiteren
und als Trocknungsmittel für Glasuren, Tinten als Trockenschmiermittel für Schrauben und
und Farben eingesetzt (Alper 2012, S. 114). Gewindespindeln in der Medizintechnik, im
Wolfram-IV-oxid (WO2) entsteht durch Re- Motoren- und Werkzeugbau und vielen anderen
duktion von Wolfram-VI-oxid (WO3) mit Was- Einsatzgebieten (dicronite.de). Man prüft Wolf-
serstoff (Brauer 1981, S. 1564) oder durch ram-IV-sulfid aktuell als mögliches Speicherme-
Umsetzung von Wolfram mit Wasserdampf bei dium für Lithiumionen und Protonen (Bhandavat
hoher Temperatur. Der braune Feststoff schmilzt et al. 2012). Die Verbindung katalysiert die Hy-
bei 1700 C und besitzt eine Dichte von 10,8 g/ drierung von Kohlendioxid zu Kohlenmonoxid
cm3. Die Verbindung kristallisiert monoklin und Wasserdampf (Lassner und Schubert 2012).
(Wells 1984), ist diamagnetisch und besitzt Am Beispiel von Wolfram-IV-sulfid wies man
wie Metalle elektrische Leitfähigkeit. Man setzt erstmals das Phänomen der Entstehung anorgani-
Wolfram-IV-oxid in Katalysatoren sowohl für scher Nanoröhrchen nach (Tenne et al. 1992), das
die Aufarbeitung von Erdöl als auch für die Ent- generell durch ein in Schichtstruktur vorliegendes
fernung von Stickoxiden aus Verbrennungs- Material begünstigt wird (Panigrahi und Pathak
abgasen von Kraftwerken ein, wobei diese mit 2008). Diese Nanoröhrchen aus Wolfram-IV-sul-
Ammoniak zu ungefährlichem Stickstoff umge- fid verbessern mechanische Eigenschaften von
setzt werden. Weiterhin ist die Anwendung als Nanokompositen wie etwa deren Biegefähigkeit
färbender Bestandteil in Gläsern, Glasuren und und Reißfestigkeit (Lalwani 2013). Ähnliche
Keramiken möglich. Effekte beobachtete man bei Epoxyharzen (Zohar
Wolfram-IV-sulfid (WS2) ist ein graublauer bis et al. 2011). Die Festigkeit von Nanofasern aus
schwarzer Feststoff (s. Abb. 32a, b), der bei Polymethylmethacrylat wurde derart erhöht, dass
1250 C schmilzt, mit hexagonaler Struktur kris- man die Eignung dieses modifizierten Kunststoffs
5 Einzeldarstellungen 605
Ammoniak über erhitztes Wolfram bei gleichzei- (s. Abb. 37a–c) hat sehr hohe Schmelz- bzw.
tigem Ausschluss von Sauerstoff darstellbar. Man Siedepunkte (2785 C bzw. 6000 C), auch die
setzt diese sämtlich halbleitenden Verbindungen Dichte ist mit 15,63 g/cm3 sehr hoch. Das Mate-
in der Mikroelektronik als Kontakte, elektrisch rial ist beinahe so hart wie Diamant („Widia“).
leitende Beschichtungen sowie als Barrieren zwi- Man stellt es durch Erhitzen einer Mischung
schen Silicium und anderen Metallen ein. Es ist von Kohle- und Wolframpulver her, wodurch
aber beispielsweise seltener in Gebrauch als sich Kohlenstoffatome in das Kristallgitter der
Titannitrid oder Filme aus metallischem Wolfram. Wolframatome einlagern. Wolframcarbid ist sehr
Wolframmononitrid (WN) kristallisiert in kubi- hart und wird daher als Material für Werkzeuge
scher Struktur und wird als sehr harte, hochtem- eingesetzt.
peraturbeständige Keramik und als Katalysator (Da sich Wolframcarbid auch bei der Reaktion
in der Synthese eingesetzt. Schon sehr dünne von Wolframoxiden mit Kohlenstoff bildet, schei-
Beschichtungen aus diesem Material, die auch det dieser Weg zur Erzeugung von Wolfram aus.
durch chemische Abscheidung aus der Gasphase Aus diesem Grund wird zur Herstellung von
herzustellen sind, schützen vor Verschleiß und Wolfram Wasserstoff als Reduktionsmittel ange-
Korrosion. So wurden solche Filme aus Wolfram- wandt).
nitrid durch reaktives Sputtern oder Abtrag durch 2010 verbrauchten die wichtigsten Erzeuger-
einen Laser unter Stickstoff bzw. dessen Mischung länder eine Menge von ca. 40.000 t Wolfram zur
mit Argon bei im Lauf des Versuchs steigendem Herstellung von Wolframcarbid. Jedoch müssen
Druck und 400 C auf Edelstahl aufgetragen. Nach- noch 6–10 % Cobalt als Bindemittel zugesetzt
einander wurden Phasen von W9N bis W4N bei werden; dies geschieht durch Sintern oder aber
30,8–387 GPa beim Sputtern bzw. W6N bis W2N durch heißisostatisches Pressen unter extremem
im Druckbereich 19,5–27,7 GPa bei Verwendung Druck (1600 bar) und bei Temperaturen um
von Laserlicht nachgewiesen (Samano et al. 2010). 1600 C (Upadhyaya 1998). Das Bearbeiten eines
Wolframmonophosphid (WP) ist ein Halbleiter so produzierten Hartmetalls auf der Grundlage
und wird meist in Photodioden und Hoch- von Wolframcarbid ist nur mittels Diamantschlei-
frequenzanwendungen eingesetzt. Die Kristallstruk- fen – oder bei kleinen Objekten – Laserstrahlen
tur zeigt verzerrte hexagonale Prismen und die Bil- möglich. Durch Flammenschmelzschweißen kann
dung von P-P-Ketten. Die 31P-NMR-Spektren dieses Hartmetall auf große Bohrwerkzeuge auf-
zeigen nur eine Spezies von Phosphoratomen; der getragen werden (Bertau et al. 2013).
W-P-Abstand beträgt 247 pm (Oyama und Requejo Die Anwendungen sind zahlreich. So ist Wolf-
2002). Kürzlich durchgeführte Versuche zeigten die ramcarbid Bestandteil von Bauteilen, an die hin-
sehr gute Eignung von Wolframmonophosphid- sichtlich Verschleißfestigkeit sehr hohe Ansprüche
Nanopartikeln, aufgebracht auf einen aus Cad- gestellt werden, beispielsweise bei Umformwerk-
miumsulfid bestehenden Fotokatalysator, zur zeugen. Bei manchen Armbanduhren ist es eine
lichtkatalysierten Produktion von Wasserstoff Komponente des Gehäusematerials (Hersteller:
(Zhang et al. 2017). Rado). Die Verbindung findet sich auch in
Sonstige Verbindungen Die nichtoxidische, Schmuckgegenständen, es ist aber zu bedenken,
grauschwarze Keramik Wolframcarbid (WC) dass aus diesem Material hergestellte Ringe
Abb. 37 a Macro-Wolframcarbid, Pulver (Stanford Advanced Materials 2018). b Wolframcarbid, Körnung 0,2–0,9 mm
(Onyxmet 2018). c Wolframcarbid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2018)
610 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
wegen dessen Härte (nach Mohs 9,5!) kaum zer- Endprodukte sind Wolfram-VI-und Bor-III-oxid.
trennt werden können. Die Schmelzpunkte der in Pulverform schwarz
Militärisch verwendet man Wolframcarbid als erscheinenden Boride (s. Abb. 38) betragen
Kernmaterial in panzerbrechenden Geschossen. 2670 C (W2B), 2655 C (WB) und 2365 C
Die Kugeln in Kugelschreibern bestehen aus (WB2) (Okada et al. 1995).
Wolframcarbid (O’Donnell et al. 2002), meist Organische Verbindungen Wolframhexacar-
auch die Spikes von Fahrrad-Winterreifen (Kur- bonyl [W(CO)6] ist ein flüchtiger, luftstabiler
lov und Gusev 2013). Komplex, in dessen Molekül das Wolframatom
Das blaugraue Wolframdisilicid (WSi2) schmilzt die Oxidationsstufe Null besitzt. Wolframhexa-
bei 2160 C und hat eine Dichte von 9,3 g/cm3. carbonyl wurde, wie andere Metallcarbonyle, in
Man erzeugt es durch Reaktion von Monosilan, kleinsten Konzentrationen im in Kläranlagen
Dichlorsilan oder Disilan mit Wolframhexafluorid entstehenden Faulgas nachgewiesen (Feldmann
(Pierson 1999, S. 332): 1999). Man stellt die Verbindung meist aus Wolf-
ram-VI-chlorid und Kohlenmonoxid in Gegen-
WF6 þ 2 SiH4 ! WSi2 þ 6 HF þ H2 wart von Aluminiumalkylen oder Kupferpulver
WF6 þ 2 SiH2 Cl2 þ 3 H2 ! WSi2 þ6 HF þ 2 HCl her (Brauer 1981, S. 1822):
WF6 þ Si2 H6 ! WSi2 þ 6 HF
WCl6 þ 6 CO þ 2 AlR3 ! WðCOÞ6 þ 2 AlCl3
þ 3 RR
Die in Wasser unlösliche Verbindung kristalli-
siert tetragonal im Calciumcarbid- bzw. Molybdän- Im Molekül des Wolframhexacarbonyls sind
disilicid-Gittertyp (Paetzold 2010, S. 199; Martiens- die sechs Kohlenmonoxidliganden oktaedrisch
sen und Warlimont 2005, S. 474). Man setzt die um das zentrale Wolframatom angeordnet (Elschen-
Verbindung als Halbleiter in der Mikroelektronik broich 2008, S. 330). Die farblose Verbindung
ein; auch diese kann man in Form extrem dünner, (s. Abb. 39a, b) ist relativ luftstabil und hat eine
durch chemische Abscheidung aus der Gasphase
erzeugte Filme auf Substrate auftragen (Briehl
2007, S. 255; Levy 1989, S. 204/237).
Auch Wolframboride sind sehr harte Stoffe. So
beträgt deren Vickers-Härte ~20 GPa (WB, WB2)
(Otani und Ishizawa 1995; Okada et al. 1995) und
~30 GPa (WB4) (Mohammadi et al. 2011). Dabei
stellte man etwa durch Zonenschmelzen Einkristalle
(Länge 6 cm, Durchmesser 1 cm) von Boriden der
Formel WB2x (x=0,07–0,17) her, wogegen Kris-
talle des WB4 durch Zusammenschmelzen von
Wolfram und Bor im elektrischen Lichtbogen ge- Abb. 38 Wolframborid (Onyxmet 2018)
züchtet wurden. Letztgenanntes Wolframtetraborid
wurde in einer Publikation von 1967 als noch bor-
reicher definiert [W2xB9 (x1,6), Novotny et al.
1967].
Wolframdiborid (WB2) zeigt dieselbe hexago-
nale Struktur, wie man sie bei vielen anderen
Diboriden findet (Woods et al. 1966). WB aber
tritt in Gestalt verschiedener Strukturen [α (tetra-
gonal), β (orthorhombisch) und δ (tetragonal)]
auf. Wolframboride oxidieren an der Luft beim Abb. 39 a Wolframhexacarbonyl (Materialscientist
Erhitzen auf 600 C stark bis durchgehend, 2009). b Wolframhexacarbonyl (Onyxmet 2018)
5 Einzeldarstellungen 611
Dichte von 2,65 g/cm3. Sie schmilzt bzw. siedet In Sportgeräten findet man ebenfalls des Öfte-
bei Temperaturen von 170 C bzw. 175 C, ren Wolfram und seine Legierungen. So besteht
beginnt aber schon bei 150 C zu sublimieren. das Gehäuse von Dartpfeilen größtenteils aus
Wolframhexacarbonyl ist kaum löslich in unpola- Wolfram, desgleichen Pfeilspitzen, die im Bogen-
ren organischen Lösungsmitteln. Eine von meh- schießen zum Einsatz kommen. Die im Formel
reren Einsatzmöglichkeiten ist die Entschwefe- 1-Rennsport vorgeschrieben Zusatzgewichte sind
lung von Organoschwefelverbindungen. wegen des geringen Platzbedarfs gleichfalls aus
Im Molekül der Verbindung sind zwei CO- Wolfram gefertigt. Dementsprechend ist es auch
Moleküle dann durch Wasserstoffatome ersetzbar, in den Kielbomben größerer Sportsegelschiffe zu
wenn ein drittes durch einen sterisch anspruchsvol- finden. Gelegentlich verstärken Fasern aus Wolf-
len Phosphanliganden (Tricyclohexylphosphan) ram den Carbonrahmen von Tennisschlägern.
substituiert wird. Dieses Molekül [W(CO)3[P
(C6H11)3]2(H2)] wurde 1982 erstmals synthetisiert Physiologie und Toxizität Wolfram ist in Form
(Kubas 2001, S. 444). Der gleiche Autor beschreibt eines Co-Faktors Bestandteil einiger Enzyme.
auch die Substitution dreier CO-Liganden durch Einige Bakterien (Eubacterium acidaminophilum)
Acetonitril (Kubas et al. 1990). nutzen ein Aminosäuren abbauendes, wolframhalti-
ges Enzym, das beispielsweise Ameisensäure bzw.
Anwendungen Der mit Abstand größte Teil des deren Salze (Formiate) abbaut (Rauh et al. 2004;
weltweit produzierten Wolframs (90 %) geht in Bevers et al. 2009).
die Herstellung von Wolframstahl, der härter als Wolfram und seine Verbindungen gelten weit-
Normalstahl ist. Wegen seines hohen Schmelz- hin als physiologisch unbedenklich. Oral verab-
punktes ist Wolfram Bestandteil von Legierun- reichtes Wolfram wird meist schnell über den Urin
gen, die zur Produktion der Turbinenschaufeln wieder ausgeschieden, ein kleiner Teil wird in den
von Düsentriebwerken verwendet werden (Lass- Knochen abgelagert. Insgesamt können wegen
ner et al. 2005). Die Glühwendeln in Glühlampen der sehr geringen Löslichkeit der meisten
bestehen aus Wolfram. Wolfram-VI-verbindungen auch nur sehr geringe
Die Dichte von Wolfram ist mit 19,3 g/cm3 Mengen direkt vom Organismus aufgenommen
ebenso hoch wie die des Golds und Urans. Man werden (Kazantzis und Leffler 2007, S. 871–879).
kann es daher zur Herstellung von Ausgleichsge- Im US-Bundesstaat Nevada traten in einer
wichten und zur Abschirmung von Röntgenstrah- Gegend, in der das Grundwasser aufgrund lokaler
lung verwenden, für letztgenannte Anwendung Erzförderung hoch mit löslichen Wolframverbin-
bevorzugt man aber wegen des niedrigeren Preises dungen belastet ist, überdurchschnittlich viele
und der leichteren Verarbeitbarkeit immer noch Fälle von Leukämie auf. Blut und Urin der dort
Blei. Es existieren Berichte, dass Wolfram daher lebenden Menschen zeigen stark erhöhte Konzen-
zum Fälschen von Goldbarren (Wolframkern mit trationen an Wolfram. Nachfolgende umfangrei-
Goldummantelung) verwendet wird (Manager che Prüfungen konnten jedoch keinen Zusam-
Magazin 2012). menhang zwischen dem Auftreten von Krebs
Elektroden für Schweißprozesse müssen sowie hohen Wolframkonzentrationen im Trink-
thermisch stark belastbar und chemisch wider- wasser herstellen.
standsfähig sein; diese Bedingungen erfüllt
Wolfram. Beim Wolfram-Inertgas-Schweißen
Patente
(WIG) besteht eine Elektrode aus Wolfram oder
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
einer seiner Legierungen. Zwischen der Wolf-
wide.espacenet.com)
ramelektrode und dem Metallteil brennt dabei
ein Lichtbogen unter Schutzgas. Ferner ent-
F. Li und S. Plaza, Tungsten pentachloride
halten Sonden von Rastertunnelmikroskopen
conditioning and crystalline phase mani-
Wolfram, und das Metall ist Hauptbestandteil
panzerbrechender Geschosse. (Fortsetzung)
612 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
Geschichte Die Synthese des 106. Elements Die damals erhaltenen Resultate wurden je-
gelang im Juni 1974 sowjetischen Wissenschaft- doch zunächst als nicht ausreichend beweiskräftig
lern um Flerov und Oganessian am Kernfor- verworfen. Zehn Jahre später beobachtete die-
schungszentrum in Dubna. Mit einem Schwerio- selbe Arbeitsgruppe einen Spontanzerfall (Halb-
nenbeschleuniger wurde ein Chromionen-Strahl wertszeit: 5 ms), der dem Isotop 260106Sg zuge-
5 Einzeldarstellungen 613
ordnet wurde (Barber et al. 1993; Münzenberg wurde 1974 ebenfalls von der Gruppe in Dubna
et al. 1985). Wiederum einige Zeit später konnte untersucht. Dabei konnte man auch das Isotop
259
entsprechend auch das Isotop 261106Sg rückver- 106Sg nachweisen (Barber et al. 1993). Weitere
folgt werden. Diese Untersuchungen wurden Reaktionen mit noch leichteren Chromkernen
durch das Team des französischen Ganil-Instituts wurden durchgeführt, wobei dann entsprechend
in der Form verbessert, dass Bleisulfid- statt leichtere Kerne des Seaborgiums erhalten wurden
Bleitargets zur Erzielung intensiverer Strahlung (Folden 2009). Schließlich untersuchte das Team
eingesetzt wurden. Auf diese Weise wurden in Dubna auch die Reaktion
1600 Nuklide des 261106Sg erzeugt, dessen Halb-
wertszeit und Zerfallsschemata relativ genau und 209
83 Bi þ 51
23 V !260x 106 Sg þ x1 0 n,
vollständig ermittelt wurden (Streicher et al.
2007). in deren Verlauf die Bildung von zehn Atomen
Die Reaktion des Isotops 258106Sg nachgewiesen wurde.
Die heiße Fusion erzeugt hoch angeregte
207
82 Pb þ 54
24 Cr ! 261x
106 Sg þ x1 0 n Atome, die einer größeren Gefahr der spontanen
614 11 Chromgruppe: Elemente der sechsten Nebengruppe
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Mangangruppe: Elemente der siebten
Nebengruppe 12
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
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624 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
noch die Auswirkungen der Lanthanoidenkon- Bohrium nur durch Kernfusion und dann in Men-
traktion, aber nicht mehr so deutlich wie bei den gen weniger Atome erhältlich ist.
Elementen der vierten bis sechsten Nebengruppe.
In ihren physikalischen Eigenschaften unterschei-
den sich Technetium und Rhenium schon erheb- 3 Herstellung
lich, wenngleich das Technetium dem Rhenium
wesentlich näher steht als dem Mangan. Die Ele- Mangan gewinnt man entweder durch Elektrolyse
mente dieser Gruppe können maximal sieben äu- seiner Salzlösungen oder aluminothermisch aus
ßere Valenzelektronen (jeweils zwei s- und fünf Braunstein, Technetium und Rhenium bevorzugt
d-Elektronen) abgeben, um eine stabile Elektro- durch Reduktion der Pertechnetate bzw. Perrhe-
nenkonfiguration zu erreichen. Bei Chrom ist die nate mit Wasserstoff. Rhenium zeigt dabei Paral-
Oxidationsstufe +3 die stabilste, bei Technetium lelen zum Wolfram, das man ebenfalls auf diese
und Rhenium sind es die Stufen +4 und +7. Weise erzeugt.
Die Entdeckung des Mangans erfolgte gegen
Ende des 18. Jahrhunderts, die des Rheniums
Mitte der 1920er-Jahre, die des Technetiums 4 Eigenschaften
1937, und die ersten Isotope des Bohriums wur-
den 1981 erzeugt. Sie finden alle Elemente im 4.1 Physikalische Eigenschaften
unten stehenden Periodensystem in Gruppe
7 (VII B). Die physikalischen Eigenschaften sind auch in
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. dieser Gruppe mit nur wenigen Ausnahmen regel-
Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie mäßig nach steigender Atommasse abgestuft. In
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- Analogie zu den Nachbarelementen der sechsten
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die und achten Nebengruppe nehmen vom Mangan
meisten Elemente können sich untereinander ver- zum Rhenium Dichte, Schmelzpunkte und -wär-
binden und bilden chemische Verbindungen; so men sowie Siedepunkte und Verdampfungswär-
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische men zu, die chemische Reaktionsfähigkeit geht
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz). dagegen zurück. Der bei den Elementen der ersten
Einschließlich der natürlich vorkommenden bis dritten Hauptgruppe zu beobachtende Effekt
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich der Schrägbeziehung erscheint bei sämtlichen
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- Nebengruppenelementen, also auch in dieser
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. Gruppe, nicht. Das Element Mangan leitet in sei-
Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier Ver- nen Eigenschaften also nicht zum Ruthenium
treter der Gruppe der Elemente der siebten Neben- über; die beiden Elemente unterscheiden sich
gruppe enthalten dabei alle wichtigen Informatio- sogar stark.
nen über das jeweilige Element, sodass ich nur eine
sehr kurze Einleitung vorangestellt habe.
4.2 Chemische Eigenschaften
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
auch Stickstoff und Kohlenstoff) reagieren sie seit der Steinzeit verwendet (Chalmin et al. 2003,
aber bei erhöhter Temperatur, Mangan ist nach 2006). Zur Herstellung von Glas setzte man Ver-
Scandium sogar das reaktionsfähigste Metall der bindungen des Mangans schon ab 400 v. Chr. zu
ersten Periode der Übergangsmetalle. Mangan-II- deren Herstellung ein. Braunstein färbt das Glas
oxid (MnO) reagiert schwach basisch, alle Dioxide intensiv braun-violett, wogegen Verbindungen
der Gruppe (Mn/Tc/ReO2) amphoter, und die des Mn-III Glas entfärben, da sie das grüne Fe-II
Dimetallheptoxide (Mn/Tc/Re2O7) sauer. zum gelben Fe-III oxidieren, woraus in der Über-
lagerung der Farben mit dem Violett des Mangans
ein graues, fast farbloses Aussehen resultiert
5 Einzeldarstellungen (Sayre und Smith 1961; McCray 1998).
1770 erhielt Kaim durch Reduktion von Braun-
Im folgenden Teil sind die Elemente der Mangan- stein mit Aktivkohle wohl erstmalig metallisches
gruppe (siebte Nebengruppe) jeweils einzeln mit Mangan; 1774 reduzierte Gahn auf Scheeles Hin-
ihren wichtigen Eigenschaften, Herstellungsver- weis hin ebenfalls Braunstein mit Kohlenstoff zu
fahren und Anwendungen beschrieben. Mangan (Rancke-Madsen 1975).
Im 19. Jahrhundert entdeckte man, dass zule-
giertes Mangan die Verformbarkeit von Eisen ver-
5.1 Mangan bessert, weshalb es um 1860 schon in großen
Mengen zur Produktion von Stahl eingesetzt
Geschichte Das Pigment Braunstein (Mangan- wurde (Corathers und Machamer 2006). Braun-
IV-oxid) kommt in der Natur vor und wird schon stein selbst wurde seit 1866 im Weldon-Prozess
626 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
Die mit Abstand bedeutendsten und auch erheblich gesteigert werden kann (Corathers und
intensiv geförderten Vorkommen lagern unter Machamer 2006).
der südafrikanischen Kalahari-Wüste; andere Die Mehrzahl der technischen Anwendungen
wichtige Förderländer sind China, Australien, erfordern kein reines Mangan; daher beschränkt
Brasilien, Indien, Gabun und die Ukraine. 2014 man sich oft auf die Produktion einer Eisen-
belief sich die weltweit geförderte Menge auf Mangan-Legierung mit einem Gehalt von 78 %
18 Mio. t Erz bei geschätzten Reserven in Höhe Mangan („Ferromangan“). Jenes stellt man durch
von 570 Mio. t (Corathers 2015). Reduktion eines Gemisches aus Mangan- und
Die Erze müssen im Allgemeinen einen Min- Eisenoxiden mit Koks im elektrischen Ofen her.
destgehalt von 35 % Mangan aufweisen, damit ein Ähnlich verläuft die Produktion weiterer Mangan-
Abbau wirtschaftlich möglich ist. Für die verschie- legierungen, wie z. B. Silicomangan, zu dessen
denen, später geplanten Anwendungen ist eine Vor- Herstellung Quarzsand der im Ofen befindlichen
klassifizierung der Erze erforderlich. Soll das Mischung zugesetzt wird.
erzeugte Mangan als Legierungsbestandteil einge- Es ist aber nicht möglich, reines Mangan auf
setzt werden, so sollte das Erz zwischen 38 und diesem Weg herzustellen, da dann neben dem
55 % Mangan enthalten. Ist die Verwendung des Metall auch dessen stabile Carbide (beispiels-
Metalls dagegen -in Form von Braunstein- in weise Mn7C3) entstehen. Erst bei Temperaturen
Alkali-Mangan-Batterien vorgesehen, so muss der über 1600 C zersetzen sich diese wieder unter
Mangananteil bei mindestens 44 % liegen, bei Freisetzung reinen Mangans, das unter diesen
zugleich geringem Anteil anderer Schwermetalle. Bedingungen schon sehr flüchtig ist, sodass dieses
Noch höheren Anforderungen müssen diejenigen Verfahren kein wirtschaftlich gangbares ist.
Erze genügen, die man zur Herstellung reinen Man- Bevorzugt elektrolysiert man daher Lösungen
gans sowie dessen Verbindungen verwendet. von Mangan-II-sulfat (MnSO4) bei Spannungen
Auf dem Boden der Tiefsee kommt Mangan in von 5 bis 7 V an Elektroden aus Edelstahl. An der
Mengenanteilen bis zu 50 % in knollenartigen, bis Kathode schlägt sich reines Mangan nieder und an
zu 20 cm dicken, aus Oxiden von Schwermetallen der Anode Sauerstoff, der die in wässriger Lösung
bestehenden Agglomerationen vor. Diese enthal- befindlichen Mn2+-Ionen zu Mangan-IV-oxid
ten auch die im Periodensystem benachbarten (Braunstein, MnO2) oxidiert.
Nebengruppenelemente Kobalt, Nickel und Kup- Ferner ist die Reduktion von Manganoxiden in
fer in Form ihrer Oxide. Bisher ergab sich aber deren Mischung mit Aluminiumpulver im Stile
kein wirtschaftlicher Nutzen aus einer etwaigen des Thermitverfahrens möglich:
Förderung, da die für Mangan auf dem Weltmarkt
erzielbaren Preise nicht ausreichen, die Kosten 3 MnO2 þ 4 Al ! 3 Mn þ 2 Al2 O3
einer Produktion zu decken (Wellbeloved et al.
2005). Eigenschaften
Physikalische Eigenschaften: Das silberweiße,
Gewinnung Wahrscheinlich gelang dem Öster- harte, sehr spröde Mangan ist ein Schwermetall,
reicher Kaim 1770 die erstmalige Darstellung des das bei Temperaturen von 1244 C bzw. 2100 C
Elements in unreiner Form durch Umsetzung von schmilzt bzw. siedet (s. Tab. 1). Die Struktur, in der
Mangan-IV-oxid mit Kohle, bevor Scheele und Mangan unter Normalbedingungen kristallisiert,
Gahn vier Jahre später mittels derselben Reaktion unterscheidet sich von der der meisten anderen
reineres Mangan darstellten (Rancke-Madsen Metalle. Hier liegt keine dichteste Packung oder
1975). Der Name des Mangans ist der antiken kubisch-raumzentrierte Struktur vor, sondern die
Bezeichnung für Braunstein („manganesia nigra“) α-Mangan-Struktur ist vielmehr eine bis zu einer
entlehnt (Liebig et al. 1851). Temperatur von 727 C stabile, verzerrt-kubische
1856 erkannte man, dass die Produktivität des Struktur mit 58 Atomen in der Elementarzelle,
damals zur Gewinnung von Stahl herangezogenen wobei die Atome des Mangans jeweils von einer
Bessemer-Verfahrens durch Zusatz von Mangan unterschiedlichen Menge gleicher Atome (zwi-
628 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
schen 12 und 16) umgeben sind (Oberteuffer und 14 Manganatomen umgeben ist (Shoemaker
Ibers 1970). Diese paramagnetische Modifikation et al. 1978). β-Mangan wird bei tiefen Tempera-
wird unterhalb der Néel-Temperatur von 100 K turen nicht antiferromagnetisch (Kasper et al.
(173 C) antiferromagnetisch. 1956).
Zwischen Temperaturen von 727 und 1095 C Oberhalb einer Temperatur von 1095 C liegt
liegt β-Mangan mit ebenfalls kubisch-verzerrter das in der kubisch-flächenzentrierten Struktur
Struktur vor, dessen Elementarzelle 20 Atome kristallisierende γ-Mangan vor (Kupfer-Typ), die
enthält und in der jedes Manganatom von 12 bis bei weiterem Erhitzen oberhalb von 1133 C in
5 Einzeldarstellungen 629
Eisens ist es wichtiger Bestandteil dunkler Erden. MnO2 þ 4 HCl ! MnCl2 þ Cl2 " þ2 H2 O
Man nutzt es bereits seit der Antike zum Färben und
Entfärben von Gläsern. Man kann die Verbindung Aus demselben Grund verwendet man es nicht
durch Mahlen von Pyrolusit oder Erhitzen von nur als Oxidationsmittel bei der Synthese von Hy-
Mangan-II-nitrat [Mn(NO3)2] an der Luft auf eine drochinon aus Anilin, sondern setzt es ebenfalls
Temperatur von 500 C herstellen: zum Aushärten polysulfidhaltiger, pastenförmi-
ger Dichtstoffe durch Oxidation der Thiolgrup-
MnðNO3 Þ2 ! MnO2 þ 2 NO2 pen ein. Daher findet es auch Anwendung bei der
Herstellung von Firnissen und Trocknungsmit-
Jedoch stellt das heute gängigste Verfahren die teln. Durch den Gehalt an Eisensilikat gelbgrün
Elektrolyse einer wässrigen Lösung von Mangan- gefärbte Gläser kann man mit Mangan-IV-oxid
II-sulfat (MnSO4) dar, bei deren Ende sich ein aus aufschmelzen. Jenes würde, für sich genommen,
Braunstein bestehender Schlamm an der Anode dem Glas eine violette Farbe verleihen, aber die
ablagert. Farbaddition von Violett und Gelbgrün ergibt
Man kann Mangan-IV-oxid auch herstellen, nahezu Weiß bzw. ein farbloses Glas. Auch als
indem man Lösungen von Mangan-II-salzen mit farbgebender Bestandteil von Ziegeln findet es
Natronlauge und Wasserstoffperoxid versetzt, Verwendung.
worauf Mangan-IV-oxid in Form eines dunkel- Mangan-IV-oxid ist das Kathodenmaterial in
braunen, reaktiven Niederschlags aus der Lösung Alkali-Mangan-Batterien und zersetzt sich bei
ausfällt (Remy 1961, S. 258): der Entladung der Batterie zu Manganoxidhydro-
xid und Mangan-II-hydroxid.
Mn2þ þ H2 O2 þ 2 OH ! MnO2 # þ2 H2 O Mangan-III-oxid (Mn2O3) entsteht beispiels-
weise in Zink-Braunstein-Batteriezellen bei deren
Bedeutung hat diese Verbindung, weil sie im Entladung; angegeben ist die Summengleichung:
Unterschied zum wasserfreien Mangandioxid
eine größere Reaktionsfähigkeit als Oxidations- Zn þ 2 MnO2 þ H2 O ! ZnðOHÞ2 þ Mn2 O3
mittel aufweist.
Das braunschwarze, in Wasser unlösliche Pul- Ebenso ist die Verbindung durch Erhitzen
ver (s. Abb. 5) gibt beim Erhitzen Sauerstoff ab von Braunstein (Mangan-IV-oxid, MnO2) auf
5 Einzeldarstellungen 631
Temperaturen von >535 C zugänglich. Auch Form von Sputtertargets erhältlich (s. Abb. 7b). Die
ist es möglich, hydratisiertes Mangan-II-sulfat Dichte der unterhalb seiner Néel-Temperatur von
(MnSO4 4 H2O) in ammoniakalischer Lösung 163 C antiferromagnetischen, unter Normalbe-
durch Zugabe von Wasserstoffperoxid in Man- dingungen kubisch kristallisierenden Verbindung
gan-III-oxidhydroxid [MnO(OH)] umzuwan- liegt bei 5,45 g/cm3. Man kann Mangan-II-oxid
deln, das man durch Erhitzen auf Temperaturen durch Umsetzung braunsteinhaltiger Erze mit Kohle
von 250 C zu Mangan-III-oxid (Mn2O3) ent- bei Temperaturen zwischen 400 und 1000 C erzeu-
wässern kann (Brauer 1981, S. 1582). gen. Bei Zutritt von Luftsauerstoff wird es schnell
Das bei Raumtemperatur orthorhombisch kris- zurück zum Mangan-IV-oxid (MnO2) oxidiert; unter
tallisierende, in Pulverform schwarze Mangan-III- Umständen tritt dabei sogar spontane Entzündung
oxid (s. Abb. 6) ist nahezu unlöslich in Wasser, ein. Daher muss man die Verbindung unter Schutz-
unbrennbar und zersetzt sich bei Temperaturen gasatmosphäre abkühlen lassen.
oberhalb von 900 C. Es existieren diverse Modi- Eine alternative Herstellmethode besteht
fikationen, die teils nur durch Anwendung hohen im Erhitzen von Mangan-II-carbonat (MnCO3)
Drucks erhältlich sind (Ovsyannikov et al. 2013; (McCarroll 1994):
Geller 1971; Kim et al. 2005). Man setzt die Ver-
bindung als Kathodenmaterial von Lithiumionen- MnCO3 ! MnO þ CO2
Akkumulatoren und als Farbpigment in Gläsern ein.
Mangan-II,III-oxid (Mn3O4) gehört zur Klasse Mangan-II-oxid ist in einigen für die Metallur-
der Spinelle, eine Klasse gemischter Oxide der all- gie verwendeten Gießpulvern enthalten (Gigacher
gemeinen Formel AB2X4 (A: Metall in der Oxida- et al. 2003, 2004). Außerdem setzt man es, analog
tionsstufe +2; B: Metall mit der Oxidationsstufe +3; zum Mangan-II,III-oxid, in Düngern, Futtermit-
X: Chalkogen in der Oxidationsstufe 2). Es teln und Halbleitern ein, weshalb die Verbindung
kommt in der Natur in Form des Minerals Haus- auch in Form von Sputtertargets (s. Abb. 7b) er-
mannit vor. Die Verbindung entsteht bei der Pyro- hältlich ist.
lyse von Mangandioxid (MnO2) und auch bei der Mangan-II-sulfid (MnS) tritt in Form eines grü-
Verbrennung organischer Verbindungen des Man- nen (α-MnS, kristallisiert im kubischen Natrium-
gans. Mangan-II,III-oxid kristallisiert in einer durch chloridtyp) oder dunkelroten [β-MnS, mit Zink-
den Jahn-Teller-Effekt tetragonal verzerrten Spinell- blende-Struktur (s. Abb. 8), bzw. γ-MnS, mit
struktur (Holleman et al. 2007, S. 1614). Man setzt Wurtzitstruktur] Pulvers der Dichte 3,4 g/cm3
die Verbindung als Futtermittelzusatzstoff sowie zur auf, das bei 1610 C schmilzt. Die zwei roten
Herstellung von Halbleitern und magnetischen Modifikationen sind metastabil und gehen in fes-
Materialien ein. tem Zustand ab einer Temperatur von ca. 250 C in
Mangan-II-oxid (MnO) kommt natürlich in die stabile grüne über. Mangan-II-sulfid ist ein p-
Form des Minerals Manganosit vor und ist ein Halbleiter einer Bandlücke von ca. 3 eV (Ponti et
bei einer Temperatur von 1945 C schmelzendes, al. 2016). In der Natur findet man Mangan-II-sulfid
olivgrünes Pulver (s. Abb. 7a); es ist zudem auch in in Form der Minerale Alabandin oder Rambergit.
+ 2+
N N
N + 1e– N –
+ 1e N N
Mn N Mn N N
Mn
NN NN NN
N N N
N N N N N
N
MnCl2 þ 2 C5 H5 Na ! ðC5 H5 Þ2 Mn þ 2 NaCl Physiologie, Toxizität Mangan ist für alle Lebe-
wesen essenziell und Komponente diverser
Im Festkörper liegt Manganocen in einer Enzyme, in deren Molekülen es wegen seiner
Struktur vor, in der jedes Manganion von drei zahlreichen Oxidationsstufen in unterschiedli-
Cyclopentadienylgruppen umgeben ist. Zwei chen Funktionen auftreten kann. Diese findet
dieser drei Gruppen sind dabei mit je zwei man in der Fotosynthesereaktion (Yano et al.
Manganionen verbunden, während das dritte nur 2006) ebenso wie bei anaeroben Vorgängen
an ein Manganatom grenzt. Die verbrückenden (Madigan und Martinko 2009).
Cyclopentadienyl-Liganden befinden sich nicht in Enzyme, die Superoxid abbauen (Superoxiddis-
symmetrischer Anordnung zwischen den Manga- mutasen; Alscher 2002; Law et al. 1998) oder Sau-
natomen (Riedel et al. 2007). Unterhalb der Néel- erstoff in bestimmte organische Moleküle einbauen
Temperatur von 134 C ist Manganocen antiferro- können (Dioxygenasen), enthalten als wirksames
magnetisch (Holleman et al. 2007, S. 707), oberhalb Prinzip redoxaktive Manganionen. Manganperoxi-
davon stark paramagnetisch (Elschenbroich 2008, dase ist als eines der wenigen bekannten Enzyme
S. 455). zum Abbau von Lignin in der Lage. An vielen
5 Einzeldarstellungen 637
Vorkommen Schon 1952 gelang der spektro- Gewinnung Jedes Jahr entstehen in Kernreakto-
skopische Nachweis, dass zumindest in einigen ren weltweit mehrere t des Metalls durch Spaltung
Roten Riesen wegen der in ihnen herrschenden des Uranisotops 23592U, weswegen abgebrannte
extrem hohen Temperaturen und Drücke Isotope Brennstäbe einen Anteil an Technetium von rund
des Technetiums vorkommen (Paul und Merrill 6 % (!) aufweisen. Infolgedessen dürfte sich die
1952). Da das Alter dieser Sterne schon mehrere bislang auf künstlichem Weg hergestellte Menge
Mrd. a beträgt, das längstlebige Isotop des Tech- des Metalls auf -extrapoliert- rund 100 t belaufen
netiums aber nur eine Halbwertszeit von ca. 4 und übertrifft damit die natürlich vorkommende
Mio. a besitzt, galt dies als erster klarer Beweis, um Größenordnungen.
das Isotope derartig schwerer Elemente im Inne- Bei der Wiederaufarbeitung dieser abgebrannten
ren solcher Sterne gebildet werden können Kernbrennstäbe löst man das Technetium in wässri-
(Moore 1951). Die Masse und Energie unserer gem Medium auf und oxidiert es zu Pertechnetat
Sonne reicht hingegen nicht zur Bildung solcher (TcO4). Nach Abwarten einer gewissen Abkling-
Isotope aus, bestenfalls lässt sich das Vorhanden- zeit kann man es dann von Salzen anderer in der
sein von Isotopen des Eisens (Ordnungszahl 26) Lösung enthaltenen Elemente (Uran, Neptunium,
im Sonnenspektrum nachweisen. Plutonium) abtrennen. Nach Umwandlung zu
Die winzigen Mengen, in denen Technetium Ammoniumpertechnetat (NH4TcO4) oder -hexachlo-
auf der Erde vorkommt, beruht nur auf dem inter- rotechnetat-IV [(NH4)2TcCl6] lässt man diese Ver-
mediären Vorhandensein von Zerfallsprodukten bindungen dann bei erhöhter Temperatur mit Was-
schwererer Atomkerne, die sofort weiter zerfallen. serstoff reagieren, worauf sich metallisches
Die in der Erdkruste enthaltene Menge an Tech- Technetium bildet. Ein zweiter Darstellungsweg ist
netium entspricht von der Größenordnung her die Elektrolyse einer schwefelsauren, wasserstoff-
etwa der des Franciums und Astats. Genau peroxidhaltigen Lösung von Ammoniumpertechne-
genommen, bildet 1 kg Uran der ausschließlichen tat.
Isotopenzusammensetzung 23892U als vorletztes Es wird jedoch weit mehr an Technetium pro-
Glied der nachfolgenden Zerfallskette ein Billi- duziert, als genutzt werden kann. Daher muss die
onstel (!) dieser Menge, also 1 ng, an Technetium größte Menge des im Reaktor hergestellten Mate-
(9943Tc) (Dixon et al. 1997; Curtis 1999): rials endgelagert werden. Erschwerend wirkt die
lange Halbwertszeit der erzeugten Isotope des
238
92 U ! ðSFÞ137 53 I þ 99
39 Y þ 21 0 n Technetiums. Zurzeit wird noch die Lagerung in
Salzstöcken favorisiert, jedoch bestehen Beden-
99
39 Y ! ðβ ;1, 5 sÞ99 40 Zr ! ðβ ;2, 1 sÞ ken wegen einer eventuell zu leicht möglichen
Auswaschung durch Grundwasser.
99
41 Nb ! ðβ ; 15 sÞ99 42 Mo ! ðβ ; 66 hÞ99m 43 Tc Soll Technetium in der Medizin eingesetzt
werden, so beschießt man Molybdän mit Neutro-
99m
43 Tc ! ðβ ; 211:100 aÞ99 44 Ru
nen. Das so erhaltene Isotop 9942Mo erleidet
β-Zerfall zum Isotop 99m43Tc, das unter Aussen-
Im Vergleich dazu ist die bislang vom Men- dung der therapeutisch eingesetzten γ-Strahlen in
schen erzeugte und teils auch in die Natur frei- das Isotop 9943Tc übergeht.
gesetzte Menge an Technetium riesig. Versuche Bei diesem Prozess entsteht nach Auflösen des
mit Kernwaffen setzten bisher insgesamt Metalls schließlich Pertechnetat (TcO4) in Kon-
ca. 250 kg frei, und einige t des Elements ent- zentrationen von 10 bis 1000 nmol/L. Nach des-
stammten Kernkraftwerken und Wiederaufarbei- sen Konzentration und Aufarbeitung entstehen
tungsanlagen (Yoshihara 1996; Tagami 2003). In Verbindungen, die man mit Wasserstoffgas zu
manchen Meerestieren ist wegen eines durch metallischem Technetium reduziert.
Einleitung technetiumhaltiger Abwässer stark
radioaktiv belasteten Lebensraumes ebenfalls Eigenschaften
Technetium nachzuweisen (Harrison und Phipps Physikalische Eigenschaften: Technetium ist ein
2001). in kompakter Form silbergraues, als Pulver matt-
5 Einzeldarstellungen 641
graues, radioaktives Metall. Sein Schmelz- bzw. menden Nukleonenbereich von 95 bis 101 sind
Siedepunkt liegt mit 2157 C bzw. 4265 C ziem- dies aber nur Isobare der zu Technetium benach-
lich hoch (s. Tab. 2) und zwischen den jeweiligen barten Elemente Molybdän und Ruthenium, sodass
Werten des Molybdäns und Rutheniums. Das alle Technetiumisotope ungerader Nukleonenzahl
Metall kristallisiert hexagonal (Schubert 1974); schon einmal instabil, d. h. radioaktiv, sind.
das Linienspektrum weist Emissionen bei 363, Ist die Nukleonenzahl dagegen gerade, kön-
403, 410, 426, 430 und 485 nm auf. nen Isobare mehrerer Elemente stabil sein. Dafür
Bei Raumtemperatur ist Technetium schwach existieren zwei unterschiedliche Energiekurven,
paramagnetisch. Unterhalb einer Temperatur von eine für gg-Kerne (jeweils gerade Zahl an Proto-
265,45 C wird das hochreine Metall supralei- nen und Neutronen) und eine für die energierei-
tend. Im supraleitenden Zustand wird die Durch- cheren, also instabileren uu-Kerne (jeweils unge-
lässigkeit für Magnetfelder sehr hoch und wird rade Zahl an Protonen und Neutronen). Das
nur noch von der des Niobs übertroffen. Vorhandensein von gg-Kernen ist bevorzugt, und
Alle bisher bekannten 34 Isotope des Elements nur wenn es keinen gg-Kern gleicher Nukleonen-
sind radioaktiv. Die längstlebigen sind 9843Tc, zahl gibt, existiert der entsprechende uu-Kern. Die
97 99
43Tc bzw. 43Tc mit Halbwertszeiten von 4,2 Atomkerne des Technetiums gerader Massenzahl
Mio., 2,6 Mio. bzw. 211.100 a. 9943Tc ist ein (9643Tc, 9843Tc und 10043Tc) sind alle uu-Kerne
weicher β-Strahler. Ist die Massenzahl der Isotope und könnten nur dann beständig sein, falls es
des Technetiums <98, so fangen sie Elektronen keine stabilen gg-Kerne gleicher Nukleonenzahl
ein (ε) und gehen in Molybdänisotope gleicher gäbe. Da aber jedes der Isotope 9642Mo, 9842Mo,
100 96 98 100
Massenzahl über. Die Isotope mit Massenzahlen 42Mo, 44Ru, 44Ru und 44Ru stabil ist,
99 und 101 erleiden dagegen β-Zerfall zu den entfällt auch diese Möglichkeit, dass Technetium
jeweiligen Isotopen des Rutheniums. Nur für das stabile Isotope besitzen könnte.
Isotop 10043Tc sind beide Zerfallswege möglich. Chemische Eigenschaften: Technetium ähnelt in
Warum ist Technetium als Element relativ seinen chemischen Eigenschaften weit mehr dem
niedriger Massenzahl instabil? Dies wird erklärt Rhenium als dem Mangan. Ist die beständigste Oxi-
durch die von Mattauch aufgestellten Thesen dationsstufe des Mangans +2 (Mn2+), so liegt Tech-
(Mattauch’sche Isobarenregel). Atomkerne sind netium in seinen Verbindungen oft auch in anderen
nur dann stabil, wenn sich die Zahl der Neutronen Oxidationsstufen vor (+4, +5 und +7). Auch +1, +3,
und Protonen miteinander im Gleichgewicht 0 und sogar 1 sind beschrieben, während gerade
befindet. Für Technetium liegt dieser Bereich die bei Mangan verbreitete Oxidationszahl +2 nur
möglicherweise beständiger Isotope bei Massen- selten auftritt (Rimshaw und Hampel 1968).
zahlen zwischen 95 und 101. Nur sind auch diese Pulverförmiges Technetium ist leicht brennbar
Isotope sämtlich radioaktiv. und reagiert auch heftig mit reaktiven Nichtme-
Kerne einer konstanten Zahl von Nukleonen tallen. Auch das kompakte Metall läuft an feuch-
(Protonen plus Neutronen), aber verschiedener ter Luft infolge Korrosion langsam an.
Protonen- (Kernladungs- oder Massen)zahl hei- Hingegen ist Technetium überraschend bestän-
ßen Isobare, wie beispielsweise 9942Mo, 9943Tc dig gegenüber Säuren wie Salz- oder Flusssäure,
und 9944Ru. Die Kernbindungsenergie der Atom- nur in konzentrierter Schwefel- oder Salpetersäu-
kerne dieser Isobare ist parabelförmig abhängig re löst es sich.
von der Zahl der Protonen, wobei der Scheitel-
punkt der Parabel die Kernbindungsenergie Verbindungen
innerhalb des stabilsten Atomkerns wiedergibt Chalkogenverbindungen Technetium-VII-oxid
(Mattauch 1934). (Tc2O7) kann man durch Verbrennen von Techne-
Bei ungerader Nukleonenzahl liegen die Ener- tium im Sauerstoffstrom bei 450–500 C erhalten
giewerte aller Kerne ebenfalls auf einer Parabel (Brauer 1981, S. 1598). Die nadelförmigen, gel-
und nur das stabilste existiert auch, also das, dessen ben Kristalle orthorhombischer Struktur haben die
Kernbindungsenergie in der Nähe des Pa- Dichte 3,5 g/cm3, schmelzen bei 120 C (die
rabelmaximums liegt. Für den in Betracht kom- Flüssigkeit siedet bei 311 C) und sind stark was-
642 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
Vor kurzem stellte man Technetium-III-chlorid Spektren und Leitfähigkeit studierten Feng et al.
(TcCl3) aus Ditechnetium-III-dichlorid-tetraacetat im weiten Druckbereich bis zu 0.40 GPa. So steigt
und Chlorwasserstoff bei 300 C her. Im Kristall- beispielsweise die Härte von TcP4 mit dem
gitter des schwarzen Festkörpers befinden sich Druck (2017).
Tc3Cl9-Einheiten, die entsprechend einer C3V- Sonstige Verbindungen Technetium zeigt wie
Symmetrie angeordnet sind (Poineau et al. 2010). andere höhere Metalle der Nebengruppen kaum
Die Technetiumbromide TcBr4 und TcBr3 konnte noch eine „metalltypische“ Kationenchemie und
man durch Umsetzung metallischen Technetiums bildet dagegen eher kovalente Verbindungen mit
mit Brom bei ca. 400 C erhalten. Danach durchge- Molekülstruktur oder auch Cluster. Selbst im
führte Versuche zur Bestimmung der Kristallstruk- Molekül des Hydridotechnetat-VII-Komplexes
tur mittels Röntgendifraktometrie zeigten, dass [(TcH9)2] ist ein Technetiumion trigonal-pris-
TcBr3 im orthorhombischen Gitter kristallisiert. In matisch von insgesamt neun Wasserstoffanionen
diesem liegen unendliche Ketten von flächenseitig umgeben(!).
aneinander grenzenden TcBr6-Oktaedern vor, dies Hinsichtlich seiner Fähigkeit, direkte Ein- und
mit abwechselnd langen und kurzen Abständen der Mehrfachbindungen zwischen Metallatomen ein-
Technetiumatome untereinander. Auch das rot- zugehenden, ähnelt Technetium nur noch dem
braune TcBr4 kristallisiert orthorhombisch; im Rhenium, einigen Platinmetallen und dem Gal-
Gitter befinden sich ebenfalls unendliche Ketten lium (s. Abb. 18).
mit TcBr6-Octaedern, die jedoch lediglich kanten- In Abb. 18 sind die beiden wichtigsten Tech-
verknüpft sind. Anzeichen für Tc-Tc-Bindungen netium-Cluster abgebildet, der Tc6- und der Tc8-
liegen hier dagegen nicht vor. Technetium-III-bro- Cluster. In beiden sind je zwei Technetiumatome
mid ist isomorph mit Ruthenium- bzw. Molybdän- durch eine Dreifachbindung miteinander verbun-
III-bromid (RuBr3, MoBr3), wogegen TcBr4 mit den. Die Chemie dieser Cluster ist schon seit
Platin- und Osmium-IV-bromid (PtBr4, OsBr4) iso- Längerem Gegenstand ausführlicher Untersu-
morph ist (Poineau et al. 2009). chungen (Kryutchkov 1996).
Es gibt zahlreiche weitere Halogenide und Oxid- Ein Technetiumcarbid der ungefähren Zusam-
halogenide, über die aber nur wenige Daten zu mensetzung Tc6C wird gebildet, wenn Technetium-
finden sind, wie beispielsweise die Technetium- metall zusammen mit Kohle (Anteil ca. 16 %)
VII-trioxidhalogenide (TcO3F, TcO3Cl, TcO3Br erhitzt wird; die Entstehung des Carbids erkennt
und TcO3I), die Technetium-VI-oxidtetrahalogenide man dann am abrupten Wechsel der Kristallstruktur
(TcOF4, TcOCl4) und die Technetium-V-oxidtrihalo- des Gitters der Technetiumatome von hexagonal
genide (TcOF3, TcOCl3 und TcOBr3). Alle diese nach kubisch.
Verbindungen sind meist sehr hydrolyseempfindlich Eine 2016 vorbereitete Veröffentlichung über
und werden daher durch Wasser schnell zersetzt. ein angebliches Technetiummonocarbid (TcC)
Pnictogenverbindungen Reines Technetiummo- musste zurück gezogen werden (Jensen). Berech-
nonitrid (TcN) weist eine Dichte von 12,12 g/cm3 nungen zeigten, dass die Forscher stattdessen
auf und kristallisiert im kubischen Kochsalzgit- eine bis dahin unbekannte Phase metallischen
ter. Die Zusammensetzung intermediärer Phasen Technetiums untersucht hatten. Wie an der Uni-
untersuchte man während der Thermolyse von versität Stony Brook, NY, von Oganov et al.
(NH4)TcCl6 und (NH4)2TcBr6 innerhalb eines durchgeführte Rechnungen zeigten, ist die Bil-
Temperaturbereiches von 380–800 C unter dung von Technetiumcarbiden aufgrund der ein-
Argon. Bei 380 C erhält man stickstoffunter-
Tc Tc Tc Tc
sättigtes Nitrid TcN0,75 mit kubisch-flächen-
zentrierter Struktur. Mit steigender Reaktions- Tc Tc Tc
temperatur erfolgt eine lineare Änderung der Tc Tc Tc Tc
Gitterparameter (Vinogradov et al. 1978). Tc Tc Tc
Die strukturell bedingten Eigenschaften der
Technetiumphosphide Tc3P und TcP4 wie Härte, Abb. 18 Technetiumcluster Tc6 und Tc8 (Aglarech 2005)
5 Einzeldarstellungen 645
deutig bevorzugten intermetallischen Bindung kann sie teils auch bekämpfen. Die meisten inne-
der Technetiumatome im Gegensatz beispiels- ren Organe des Menschen sind so erfassbar.
weise zum Zirconium- oder Tantalcarbid energe- Der größte Teil des 99m43Tc wird schnell wie-
tisch viel ungünstiger (Wang et al. 2016). der aus dem Körper ausgeschieden, ein kleiner
Dagegen existieren Technetiummonoborid verbleibt im Körper und zerfällt unter Aussen-
und -diborid (TcB und TcB2), deren sämtliche dung der medizinisch genutzten γ-Strahlung
relevanten Phasen im Druckbereich 0–100 GPa zu 9943Tc, das eine lange Halbwertszeit von
hinsichtlich ihrer Elastizität untersucht wurden. 212.000 Jahren besitzt, ein weicher β-Strahler ist
Die Existenz einer neuen orthorhombisch kristal- und daher auch zu diesem Zweck verwendet wird.
lisierenden Phase von TcB wird vorhergesagt. Überraschenderweise erwiesen sich Ammo-
Weiterhin wurden die Phasen Tc3B und Tc7B3 nium- oder Kaliumpertechnetat als äußerst wirk-
beobachtet (Yang 2014). sames Rostschutzmittel für Stahl. Selbst unter
Ditechnetiumdecacarbonyl [Tc2(CO)10] ist aus drastischen Bedingungen (auf bis zu 250 C
Kohlenmonoxid und Technetium-VII-oxid unter erhitzter Wasserdampf) wird Stahl nach vorheri-
Druck zugänglich und ein weißer Feststoff (Hile- ger Behandlung mit einer Lösung von 55 mg/L
man et al. 1961). Neuerdings wurden zahlreiche Kaliumpertechnetat (KTcO4) in belüftetem entio-
Derivate des Carbonyls hergestellt (Sidorenko nisiertem (!) Wasser nicht oxidiert.
2010). Im Molekül des Carbonyls sind zwei durch
eine schwache Einfachbindung miteinander ver- Physiologie und Toxikologie Technetium be-
bundene Technetiumatome von jeweils fünf, in sitzt nach bisher vorliegenden Resultaten nur eine
oktaedrischer Symmetrie angeordneten Kohlen- geringe chemische Toxizität, alle Isotope des Ele-
monoxidmolekülen umgeben (Bailey und Dahl mentes sind aber radioaktiv und müssen gemäß
1965; Wallach 1962). Die zu Technetium ver- ihrer Strahlungsintensität in Schutzbehältern auf-
wandten Elemente der siebten Nebengruppe, bewahrt werden. Für das Isotop 99m43Tc gilt zur
Mangan und Rhenium, bilden analoge Carbonyle. Abschirmung der freigesetzten weichen Röntgen-
strahlung ein Sicherheitsabstand von 30 cm als
Anwendungen Der größte Teil des nur in gerin- ausreichend. Einatmen staubförmigen Metalls
gen Mengen gehandelten Technetiums dient als muss unbedingt vermieden werden, da dieses in
Radiotherapeutikum (Schwochau 1994). Das mit den Lungen abgelagert wird und über die Zeit
Abstand wichtigste Isotop des Technetiums, das Krebs verursachen kann.
für diese Zwecke genutzt wird, ist das sehr kurz-
lebige 99m43Tc (Halbwertszeit: 6 h). Man gewinnt
Patente
es durch Beschuss von 9842Mo mit Neutronen in
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
speziellen Reaktoren (Dilworth und Parrott 1998),
wide.espacenet.com)
von denen auf der ganzen Welt aber nur maximal
fünf im Einsatz sind. Die Überalterung dieser
P. Schaffer und F. Benard, Process of cyclo-
Reaktoren und damit sich häufende Stillstände
tron production of technetium-99m, sys-
lassen Engpässe bei der Versorgung mit diesem
tem, and device (Triumf, JP 2018095967
Isotop befürchten.
A, veröffentlicht 21. Juni 2018)
Seine kurze Halbwertszeit, die sehr weiche
W. Yang und Y. Liu, Method for preparing
γ-Strahlung und die Fähigkeit, sich an viele im
tricarbonyl technetium-99m interme-
menschlichen Körper vorhandene Moleküle
diate (Institute of High Energy Physics
anzulagern, prädestinieren 99m43Tc als Tracer für
CAS, WO 2018107526 A1, veröffent-
die Szintigrafie. Dazu koppelt man das in Lösung
licht 21. Juni 2018)
vorliegende Technetium an Eiweiße oder Anti-
H. Ebara und Y. Honda, Technetium pro-
körper und injiziert sie in den Blutkreislauf. Das
duction device, technetium production
Technetium lagert sich dabei auch an Tumorzellen
an und macht sie nicht nur „sichtbar“, sondern (Fortsetzung)
646 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
Vorkommen Rhenium ist eines der seltensten Darüber hinaus hat Rhenium mit 3186 C
nicht-radioaktiven Elemente und ist in der Erd- nach Wolfram und Kohlenstoff den dritthöchsten
kruste nur mit einem Anteil von 0,7 ppb (!) ver- Schmelzpunkt aller Elemente und mit 5596 C
treten. Elementar kommt es nicht vor, sondern nur deren höchsten Siedepunkt. Unterhalb einer Tempe-
chemisch gebunden in einigen wenigen Erzen. Es ratur von 271,45 C wird es supraleitend. Rhe-
tritt oft als Begleiter des Molybdäns in dessen nium ist gut schmied- und schweißbar und bleibt
Erzen wie etwa Molybdänglanz (Molybdän-IV- dies auch nach Rekristallisation (Gebhardt et al.
sulfid, MoS2) auf, der Rhenium in Anteilen bis 1972).
zu 0,2 % enthalten kann (Greenwood und Earn- 34 Isotope und weitere 20 Kernisomere des
shaw 1988). Columbit (Fe,Mn)[NbO3], Gadolinit Rheniums sind bekannt, von denen nur die Iso-
Y2FeBe[O|SiO4]2 und Alvit (ZrSiO4) können tope 18575Re und 18775Re natürlich vorkommen.
ebenfalls nennenswerte Mengen an Rhenium auf- Ersteres hat einen Anteil von 37,4 % an der natür-
weisen. Die wichtigsten Vorkommen, wenn man lichen Isotopenverteilung und ist stabil, das
angesichts der Seltenheit des Elementes über- andere und damit häufigere (Anteil: 62,6 %) ist
haupt davon sprechen kann, befinden sich in den schwach radioaktiv und erleidet β-Zerfall mit
USA, in Kanada, Polen, Chile und Usbekistan. einer Halbwertszeit von 4,12 1010 a zu 18776Os.
Das einzige bislang aufgefundene reine Rhenium- Daher rührt die spezifische Radioaktivität natürlich
mineral ist der Rhenit (Rhenium-IV-sulfid, ReS2); vorkommenden Rheniums mit 1020 Bq/g.
gefunden wurde er im Fernen Osten Russlands auf Von den künstlich erzeugten Isotopen setzt
einer Kurileninsel (Korzhinsky et al. 1994). man 18675Re und 18875Re als Tracer ein, das vor-
wiegend unter Emission von β-Strahlung zerfal-
Gewinnung Rhenium gewinnt man aus den lende Isotop 18675Re auch zur Therapie bei der
sulfidischen Erzen des Molybdäns. Werden diese Radiosynoviorthese (Farahati et al. 1997). Dafür
geröstet, sammelt sich das flüchtige Rhenium- verwendet man 18875Re bevorzugt als Radio-
VII-oxid in der Flugasche. Mit Ammoniakwasser pharmakon zur Bekämpfung von Tumoren.
kann man die Verbindung aus der Asche auswa- Chemische Eigenschaften: Rhenium weist für
schen, wobei eine wässrige Lösung von Ammo- die Reaktion
niumperrhenat (NH4ReO4) entsteht (I), das
abgetrennt und dann bei hoher Temperatur mit Re3þ þ 3 e ! Re
Wasserstoff zu Rhenium reduziert wird (II):
mit +0,3 V ein positives Standardpotenzial auf und
(I) Re2O7 + H2O + 2 NH3 ! 2 NH4ReO4 verhält sich meist auch einem Halbedelmetall ähn-
(II) NH4ReO4 + 4 H2 ! 2 Re + N2 + 8 H2O lich. Es ist bei Raumtemperatur nahezu inert und
auch gegenüber Luftsauerstoff beständig. Erst wenn
2015 betrug die Menge des weltweit produ- es auf Temperaturen von 400 C erhitzt wird,
zierten Rheniums 46 t bei gleichzeitigen Reserven reagiert es mit Sauerstoff, Schwefel, Fluor und
von 2500 t. Die wichtigsten Produzenten waren Chlor. Es ist auch unlöslich in Salz- oder Flusssäure,
Chile (26 t), die USA (8,5 t) und Polen (7,8 t) wohl aber in konzentrierter, also oxidierend wirken-
(Polyak 2015). der Schwefel- und Salpetersäure. Wird es mit
Peroxiden verschmolzen, so entstehen farblose
Eigenschaften Perrhenate-VII (ReO4) oder grüne Rhenate-VI
Physikalische Eigenschaften: Rhenium ist ein (ReO42). In feinverteilter Form ist Rhenium an
sehr seltenes, silberweiß glänzendes Metall, das der Luft leicht entzündlich; an feuchter Luft oxidiert
hexagonal-dichtest kristallisiert (Holleman et al. pulverförmiges Rhenium sogar zu Perrheniumsäure
2007, S. 214). Seine mit 21,03 g/cm3 sehr hohe (HReO4).
Dichte ist die vierthöchste aller Elemente
(s. Tab. 3) und wird nur noch von der des Os- Verbindungen Ähnlich wie bei Mangan und
miums, Iridiums und Platins übertroffen. Technetium kennt man Verbindungen in allen
648 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
Oxidationsstufen von 3 bis +7, wobei, im rheniumhaltiger Manganerze liefert unter ande-
Gegensatz zu Mangan, diejenigen mit höheren rem das flüchtige Rhenium-VII-oxid (Schmelz-
Oxidationszahlen auch die stabileren sind. punkt 220 C, Siedepunkt 363 C), das aus dem
Chalkogenverbindungen Rhenium-VII-oxid Flugstaub ausgewaschen wird. Aus der so entste-
(Re2O7) ist das stabilste Oxid des Rheniums, das henden wässrigen Lösung der – im Gegensatz zur
nicht nur ein Zwischenprodukt bei der Produktion „Permangansäure“ – stabilen, relativ starken Per-
von Rhenium ist, sondern auch Ausgangsmaterial rheniumsäure fällt man Rhenium durch Zugabe
für die Synthese organischer Verbindungen des von Ammoniumsalzen in Form farblosen Ammo-
Elements (Herrmann et al. 2007). Das Rösten niumperrhenats (s. Abb. 19) und reduziert jenes
5 Einzeldarstellungen 649
Rhenium-VII-sulfid bei 1100 C (II) hergestellt Das Gitter des Rhenium-IV-selenids hat eine
(Brauer 1981, S. 1619): sehr niedrige trikline Symmetrie, die auch beim
Übergang vom kompakten zum extrem dünnen
(I) Re + 2 S ! ReS2 Material nicht wechselt (Dumcenco et al. 2008;
(II) Re2S7 ! 2 ReS2 + 3 S Jiang et al. 2018).
Rhenium-IV-tellurid (ReTe2), ein in kristalli-
Rhenium-IV-sulfid ist ein schwarzer, geruchlo- ner Form metallisch glänzender Festkörper
ser, triklin kristallisierender und wasserunlösli- (s. Abb. 21) der Dichte 8,55 g/cm3, weicht von
cher Halbleiter der Dichte 7,5 g/cm3. Er ist stabil seinen beiden oben erwähnten Homologen ab,
gegenüber Salzsäure, Laugen und Alkalisulfid; denn sein Kristallgitter zeigt keine Schichtstruk-
nur starke Oxidationsmittel greifen die Verbin- tur, sondern eine orthorhombische Geometrie
dung an und oxidieren sie zu Perrhenat. Rhenium- (Wildervanck und Jellinek 1971).
IV-sulfid zersetzt sich oberhalb von 700 C im Halogenverbindungen Rhenium reagiert mit
Vakuum in Rhenium und Schwefel; die Re- Halogenen meist zu Hexahalogeniden (ReX6).
duktion mit Wasserstoff führt ebenfalls zu metal- Fluor und Chlor ergeben mit Rhenium bei einer
lischem Rhenium. Temperatur um 120 C direkt blassgelbes Rhe-
Rhenium-IV-selenid (ReSe2) kristallisiert wie nium-VI-fluorid (ReF6) (Brauer 1975, S. 271)
andere Übergangsmetalldichalkogenide in einem bzw. bei 600 C grünes, sehr leicht zu Rhe-
Schichtengitter, in dem nur die jeweiligen Ionen nium-V-chlorid zerfallendes Rhenium-VI-chlo-
einer Schicht relativ stark aneinander gebunden rid (ReCl6).
sind, nicht aber die Ionen benachbarter Schichten. Hellgelbes Rhenium-VII-fluorid (ReF7) liegt
Jene sind nur durch schwache Van der Waals- bei Raumtemperatur in Form pentagonal-bi-
Kräfte miteinander verbunden, was sich darin pyramidaler Kristalle der Dichte 4,3 g/cm3 vor
äußert, dass dünne Schichten leicht von den Ober- (Vogt et al. 1994), die bei einer Temperatur von
flächen des kompakten Materials abgelöst werden 48 C schmelzen. Die Verbindung stellt man aus
können. den Elementen bei 400 C unter Druck her:
Rhenium-IV-selenid weist eine Dichte von
9,22 g/cm3 auf (Wildervanck und Jellinek 1971) 2 Re þ 7 F2 ! 2 ReF7
und ist ein Halbleiter mit einer indirekten Band-
lücke von 1,2 eV (27 C). Einkristalle mit Die Darstellung des bei Raumtemperatur flüs-
schwarzglänzender Optik können bis zu Reinhei- sigen Rhenium-VI-fluorids (ReF6), das bei 18,5 C
ten von 6N erzeugt werden (2D Semiconductors erstarrt und bei 33,7 C siedet, erfolgt entweder
2018). Durch chemische Abscheidung aus der durch Reaktion von Rhenium-VII-fluorid mit
Gasphase kann man unter Normaldruck Dicken Rheniummetall im Autoklaven bei Temperaturen
bis zu lediglich drei ionischen Lagen erzeugen um 300 C (I, Drews et al. 2006) oder aus den
(s. Abb. 20b). Dazu leitet man eine Mischung Elementen bei Wahl eines geringeren Fluorüber-
aus Argon und Wasserstoff durch ein Röhrchen, schusses als im Falle des Heptafluorids (II, Brauer
dessen Enden auf unterschiedlicher Temperatur 1975, S. 271):
gehalten sind. Das Substrat (Goldfolie) sowie pul-
verförmiges Rhenium-VI-oxid befinden sich am (I) 6 ReF7 + Re ! 7 ReF6
„heißen“ Ende (750 C), wogegen sich das Selen- (II) Re + 3 F2 ! ReF6
pulver am „kalten“ Ende (250 C) befindet (Jiang
et al. 2018). Die Atome des Selens gehen langsam Die Verbindung kristallisiert mit orthorhombi-
in die Gasphase über und werden vom Träger- scher Struktur; in den Moleküleinheiten ist ein
gasstrom auf das Rhenium-VI-oxid geleitet, wo Rhenium- oktaedrisch von sechs Fluoratomen
folgende Reaktion abläuft (s. auch Abb. 20a): umgeben.
Rhenium-V-chlorid (ReCl5) liegt in Form hy-
2 ReO3 þ 7 Se ! 2 ReSe2 þ 3 SeO2 drolyseempfindlicher, paramagnetischer, schwarz-
5 Einzeldarstellungen 651
brauner Kristalle (s. Abb. 22) monokliner Struktur erzeugt man durch Umsetzung von Rhenium-V-
vor, die bei 261 C schmelzen. Man stellt die Ver- chlorid (ReCl5) mit Antimon-III-chlorid (SbCl3)
bindung aus den Elementen oder auch aus (I) bzw. Rhenium-III-chlorid bei einer Temperatur
Rhenium-VII-oxid und Tetrachlorkohlenstoff her von 300 C (II, Brauer 1981, S. 1610), wogegen
(Brauer 1981, S. 1608). Im Kristallgitter selbst lie- die γ-Form bei der Reaktion von Rhenium-V-
gen Re2Cl10-Einheiten vor. In Wasser ist es nur chlorid mit Tetrachlorethen bei Temperaturen um
unter Disproportionierung bzw. Hydrolyse zu einem 120 C gebildet wird (III):
Gemisch aus Perrheniumsäure, Rhenium-IV-oxid,
Chlororhenat-IV-Anionen und Chlorwasserstoff (I) 2 ReCl5 + SbCl3 ! 2 ReCl4 + SbCl5
löslich. Unzersetzt löst es sich in Cyclohexan. Es (II) ReCl5 + ReCl3 ! 2 ReCl4
dient als Zwischenprodukt für Synthesen von Organ- (III) 2 ReCl5 + C2Cl4 ! 2 ReCl4 + C2Cl6
orheniumverbindungen.
Rhenium-IV-chlorid (ReCl4) existiert in drei β-Rhenium-IV-chlorid ist ein schwarzes, in
unterschiedlichen Modifikationen. Die β-Form monokliner Struktur kristallisierendes Pulver,
652 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
das in Wasser oder auch schon an feuchter Luft 6 ReCl5 þ 10 BBr3 ! 6 ReBr4 þ 3 Br2
Hydrolyse erleidet. Es löst sich in Alkanolen, þ10 BCl3 "
Aceton und auch Dimethylsulfoxid unter langsa-
mer Zersetzung und ist unlöslich in Acetonitril,
Das schwarze, bei 500 C schmelzende Rhe-
Tetrahydrofuran, Benzol und Tetrachlorkohlen-
nium-III-bromid (ReBr3) ist aus den Elementen
stoff. Beim Erhitzen unter Inertgasatmosphäre
bei Temperaturen um 600 C herstellbar (Brauer
disproportioniert es zu Rhenium-III- und Rhe-
1981, S. 1612). Es ist relativ beständig beim Ste-
nium-V-chlorid (Riedel und Janiak 2011, S. 836).
henlassen an der Luft. In Aceton ist es unzersetzt
Dagegen stellt γ-Rhenium-IV-chlorid ein brau-
löslich, dagegen wird es durch Wasser und auch
nes Pulver monokliner Kristallstruktur dar, das
Ammoniak schnell solvolysiert.
ebenfalls nur an trockener Luft beständig ist.
Das schwarze Rhenium-IV-iodid (ReI4) ist
Auch ist es unlöslich in Benzol und Tetrachlor-
hygroskopisch und hydrolyseempfindlich. Es
kohlenstoff, in Aceton löst es sich aber unzersetzt
spaltet, namentlich bei Unterdruck, schon bei
mit grüner Farbe.
Raumtemperatur Iod ab, um in Rhenium-III-iodid
In wasserfreien Lösungsmitteln kann man
überzugehen. Man erzeugt es durch Umsetzung
Rhenium-IV-oxid mit Thionylchlorid zur α-Mo-
einer wässrigen Lösung von Perrheniumsäure
difikation des Rhenium-IV-chlorids umsetzen,
(erhältlich durch Auflösen von Rhenium-VII-oxid
die aber immer nur in unreinem Zustand anfällt.
in Wasser) mit Iodwasserstoffsäure:
Rhenium-III-chlorid (ReCl3) ist ein parama-
gnetischer, dunkelvioletter Feststoff mit trigonaler
Re2 O7 þ 14 HI ! 2ReI4 þ 3 I2 þ 7 H2 O
Kristallstruktur und der Dichte 4,8 g/cm3, der bei
500 C schmilzt (Biltz et al. 1932). Man gewinnt
die Substanz durch thermische Zersetzung von Rhenium-III-iodid (ReI3) gewinnt man am bes-
Rhenium-V-chlorid (Brauer 1981, S. 1612): ten ebenfalls durch eine Redoxreaktion, diesmal
zwischen Perrheniumsäure, Ethanol und Iodwas-
ReCl5 ! ReCl3 þ Cl2 serstoff (I), oder aber aus Rhenium-III-chlorid und
Bor-III-iodid bei etwa 300 C (II, Brauer 1981,
S. 1615):
Die bei erhöhter Temperatur ablaufende
Reaktion von Rhenium-V-chlorid mit Zinn-II- (I) HReO4 + 3 HI + 2 C2H5OH ! ReI3 + 4 H2O +
chlorid 2CH3C(O)H
(II) ReCl3 + BI3 ! ReI3 + BCl3"
ReCl5 þ SnCl2 ! ReCl3 þ SnCl4 "
Die erst bei ca. 800 C unter Zersetzung in die
stellt eine elegante Alternative dar, da das mit Elemente schmelzende, schwarze, monoklin in
entstehende Zinn-IV-chlorid leicht abdestilliert Nadelform kristallisierende Verbindung ist kaum
und so dem Reaktionsgemisch entzogen wird. Ist löslich in Wasser, verdünnten Säuren, Alkoholen,
Rhenium-III-chlorid an feuchter Luft noch eini- Kohlenwasserstoffen und Tetrachlorkohlenstoff
germaßen beständig, so hydrolysiert es in Wasser (Latscha und Mutz 2011, S. 239).
und vor allem in Basen. In dipolar-aprotischen Pnictogenverbindungen Aus Rheniumnitrid
Lösungsmitteln sowie Salz- und Essigsäure ist es (ReNx) bestehende Filme konnten auf (100)-Si-
hingegen unzersetzt löslich. Sauerstoff oxidiert es Substraten mit der durch pulsierendes Laserlicht
bei hohen Temperaturen zu Oxidchloriden. unterstützten Methode der Abscheidung aus der
Rhenium-IV-bromid (ReBr4) ist ein schwarzer, Gasphase (PLD-Methode) erzeugt werden. Ein
instabiler Feststoff, den man durch Umsetzung Stab aus hochreinem Rhenium setzte man einer
von Rhenium-V-chlorid mit Bor-III-bromid, nicht aus molekularem Stickstoff bestehenden Atmo-
aber direkt aus den Elementen erhält (Brauer sphäre aus. Die unter anderem mittels Auger-
1981, S. 1612): Elektronen- und Röntgen-Spektroskopie cha-
5 Einzeldarstellungen 653
rakterisierten Filme sind sehr gute elektrische Synthesebedingungen wechseln. So stellten Iva-
Leiter, wenn das Verhältnis N/Re<1,3 ist. Der nenko et al. halbleitende Einkristalle von ReSi1,75
elektrische Widerstand von ReNx-Filmen für durch Reaktion einer Mischung aus Rhenium-
0,2<x<1,3 beträgt nur 5 % desjenigen von aus und Siliciumpulver im entsprechenden stöchio-
reinem Rhenium bestehenden Filmen, nur für metrischen Verhältnis her und reinigten das Pro-
x>1,3 steigt der Widerstand sprunghaft an (Soto dukt durch Zonenschmelzen. Die Verbindung soll
et al. 2007). im Kristallgitter eine große Anisotropie der effek-
Weitere Untersuchungen zeigten, dass die tiven Massen und Beweglichkeit der Silicid-
Härte der Rheniumnitride, von denen bis jetzt Fehlstellen besitzen (2002).
Re3N, Re2N, Re3N2, ReN3 und ReN4 charakteri- Inui untersuchte die Strukturen sowie die
siert sind, mit steigendem Gehalt an Stickstoff thermoelektrischen Eigenschaften einiger Rhe-
zunimmt (Cui et al. 2014). Die hexagonal kristal- niumsilicide. Die schon oben erwähnte binäre
lisierenden Nitride Re3N und Re2N haben sehr Verbindung ReSi1,75 kristallisiert mit monokliner
hohe Kompressionshärten von >400 GPa und Struktur. Die Dichte und Anordnung der Silicid-
liegen damit auf einer Stufe mit den härtesten Fehlstellen kann durch Legieren mit einem
Übergangsmetallcarbiden und -nitriden. Besser dritten Metall bzw. Halbmetall beeinflusst wer-
für technische Anwendungen geeignet ist Re3N, den (2005).
weil man es bei moderaten Drücken (13–16 GPa) Rheniumdiborid (ReB2) hat eine zu Diamant
und Temperaturen (1300–2100 C) aus den Ele- vergleichbare Härte (Chung et al. 2007), schmilzt
menten darstellen kann (Friedrich et al. 2010). bei 2400 C (Portnoi und Romashov 1968) und ist
Rheniumphosphid (ReP) ist ein Halbleiter und bei Temperaturen von <268,65 C supraleitend
kann in Hochenergieanwendungen und Laser- (Strukowa et al. 2001). Die Verbindung wurde
dioden eingesetzt werden. 1962 erstmals dargestellt (La Placa und Post);
Sonstige Verbindungen Die Verwendung von man erhitzt dazu eine pulverförmige Mischung
Rheniumcarbiden in keramischen Heizelementen der Elemente auf ca. 1000 C im Vakuum und
ist patentiert (Tatematsu et al. 1989). Dirhenium- über fünf Tage hinweg. Dabei resultiert ein
monocarbid (Re2C) konnte im Mikromaßstab schwarzes Pulver (s. Abb. 23). Metallisch glän-
unter Normalbedingungen aus einer feinpulvri- zende Stücke erhält man dagegen, wenn man die
gen Mischung der Elemente nach elfstündigem Mischung bei gleicher Temperatur einem elektri-
Mahlen erzeugt werden. Das in polyedrischen schen Lichtbogen aussetzt. Anwendung hoher
Agglomeraten kristallisierende Produkt erwies Drücke ist im Gegensatz zur Produktion syntheti-
sich als bis zu Temperaturen von 800 C stabil scher Diamanten nicht erforderlich.
und besaß eine spezifische Oberfläche von 2 m2/g Auch Rheniumdiborid ist mit einem Kom-
(Granados-Fitcha et al. 2016). pressionsmodul von 360 GPa äußerst hart und
Auch Re2C ist, ähnlich wie Re2N, mit einer steht darin Diamant (442 GPa) kaum nach. Die
Härte (Bulk-Modul) von 400 GPa extrem inkom- Ursache für die außerordentlich hohe Härte von
pressibel. Üblicherweise und im Gegensatz zu der Rheniumdiborid, -nitriden und -carbiden ist,
oben beschriebenen, nur für den Kleinstmaßstab dass in diesen Gittern sehr viele kurze kovalente
anwendbaren Methode stellt man Rheniumcarbi- Bindungen (Zhou et al. 2007) vorliegen, und
de üblicherweise unter Anwendung hoher Drücke Atome des Rheniums mit einer Valenzelek-
und Temperaturen her (bis zu 10 GPa für Re2C und tronendichte von 476/nm3 (zum Vergleich:
20–30 GPa für Re2N). Hierzu verwendete man Osmium mit 572/nm3, Diamant mit 705/nm3)
eine Mischung aus Rhenium und selbst erzeugtem, die diesbezüglich nahezu höchsten Werte aller
polymerem Kohlenstoffnitrid und erhielt bei Drü- Atome von Übergangsmetallen besitzen (Cum-
cken unter 10 GPa nur Re2C (Yasui et al. 2015). berland 2007). Eine Beimengung der kleinen
Rheniumdisilicid (ReSi2x) bildet schwarze Bor-, Stickstoff- und Kohlenstoffatome weitet
Kristalle vom Schmelzpunkt 2000 C. Die Zu- das Kristallgitter des Rheniums nur um wenige
sammensetzung des Materials kann je nach Prozent auf.
654 12 Mangangruppe: Elemente der siebten Nebengruppe
Ge. Co., Ltd., WO 2018151965 A1, ver- Der russische Kernphysiker Juri Zolako-
öffentlicht 23. August 2018) witsch Oganessian (* 14. April 1933 Ros-
Y. Kon und B. Katryniok, Use of rhenium- tow am Don) war von 1989 bis 1996 Direk-
containing supported heterogenous cata- tor des Flerow-Labors für Kernreaktionen
lysts for the direct deoxy-dehydratation (FLNR) des Vereinigten Instituts für Kern-
of glycerol to allyl alcohol (Centre forschung (JINR) in Dubna. Von 1951
National de Recherche Scientifique; bis 1956 studierte er Kernphysik am Mos-
kauer Institut für Physik-Ingenieurswesen
Lille Ecole Centrale, US 2018207618
und arbeitete ab 1958 am Moskauer
A1, veröffentlicht 26. Juli 2018)
Kurtschatow-Institut, wo er im Labor für
T. Wilkes und F. Cichocki Jr., Tungsten-
Kernreaktionen tätig war. 1962 promovierte
rhenium alloys for curved surgical
er zum Kandidat der Wissenschaften und
needle applications (Ethicon Inc., AU
habilitierte 1970. Zusammen mit Flerov
2018204738 A1, veröffentlicht 19. Juli war er ab 1965 maßgeblich an den Arbeiten
2018) beteiligt, die zur Entdeckung kurzlebiger
J. Hämälainen und M. Ritala, Atomic Elemente mit Ordnungszahlen von 102 an
layer deposition of rhenium-containing aufwärts (Rutherfordium, Dubnium, Sea-
thin film (ASM IP Holding BV, JP borgium, Bohrium, Nihonium, Flerovium
2018095961 A, veröffentlicht 21. Juni und Livermorium) führten. Oganessian gilt
2018) als einer der führenden Wissenschaftler der
Schwerionenforschung. Er synthetisierte
und charakterisierte nicht nur schwere
Nuklide, sondern konstruierte Ionenbe-
5.4 Bohrium schleuniger und erstellte Verfahren zum
Nachweis ionischer Strahlung.
Geschichte Die Entdeckung des Elementes
wurde zuerst von der Arbeitsgruppe JINR in
Dubna (Russland) beansprucht (Oganessian Oganessian entwickelte neue Ideen zur Her-
et al. 1976). Fünf Jahre später beschoss ein Team stellung der Elemente 102 bis 118, an deren
des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenfor- Entdeckung er Anteil hatte. Er arbeitete
schung 20983Bi-Kerne mit Kernen des Chroms intensiv mit anderen führenden Instituten
(5424Cr), um schließlich fünf Atome des Isotops zusammen (LBNL in Berkeley, CERN in
262 Genf und GSI in Darmstadt). 2006 wies sein
107Bh zu erhalten (Armbruster et al. 1981;
Team Kerne des Elements der Ordnungs-
Münzenberg et al. 1989). Diese Entdeckung der
zahl 118 nach. 2016 wurde deshalb für
deutschen Forschungsgruppe wurde 1992 auch
dieses Element von den an den Arbeiten
von der IUPAC anerkannt (Wilkinson et al.
beteiligten Gruppen der Name Oganesson
1993), ebenso ihr Vorschlag, das neu entdeckte (Og) der IUPAC vorgeschlagen. Am 30.
Element nach dem dänischen Physiker Niels Bohr November 2016 bestätigte diesen die IU-
(Kurzbiografie siehe „Hafnium“) zu benennen PAC offiziell, womit Oganessian nach Sea-
(Ghiorso et al. 1993): borg erst der zweite Mensch ist, nach dem
zu Lebzeiten ein Element benannt wurde.
209
83 Bi þ 54
24 Cr ! 262
107 Bh þ 1
0n
Verbindungen. Bohrium sollte ebenso wie seine Durch Beschuss von 24997Bk mit 2210Ne konnte
niedrigeren Homologen ein flüchtiges Heptoxid man sechs (!) 267107Bh-Nuklide darstellen, die mit
[Bohrium-VII-oxid (Bh2O7)] bilden, das sich mit einer Mischung von Chlorwasserstoff und Sauer-
Wasser zur Perbohriumsäure (HBhO4) umsetzt. stoff umgesetzt wurden und flüchtiges Oxidchlorid
Die Existenz von Oxidhalogeniden (zum Beispiel (BhO3Cl) bildeten (Gäggeler et al. 2000):
BhO3Cl) wird ebenfalls erwartet.
Die Moleküle dieser Oxidchloride sollten in 2 Bh þ 3 O2 þ 2 HCl ! 2 BhO3 Cl þ H2
der Reihe TcO3Cl > ReO3Cl > BhO3Cl zuneh-
mend große Dipolmomente und somit abneh-
mende Flüchtigkeit besitzen, was die Messung Literatur
der Adsorptionsenthalpien bestätigte (Hoffman
et al. 2006). Alscher RG (2002) Role of superoxide dismutases (SODs)
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Eisengruppe: Elemente der achten
Nebengruppe 13
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 663
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_13
664 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
In China wurde der Hochofen bereits im (80 Mio. t), Indien (77 Mio. t) und Russland
6. Jahrhundert v. Chr. entwickelt. Auch im Gebiet (ca. 50 Mio. t), was für alle drei Nationen zusam-
zwischen Ostiran und Nordindien finden sich men einen Anteil an der gesamten Weltproduk-
Zeugnisse, dass die Menschen dort die Herstel- tion von mehr als zwei Drittel ausmacht. In Eu-
lung von Gusseisen schon viel früher beherrsch- ropa sind die bedeutendsten Produktionsländer
ten als dies in Europa der Fall war. Deutschland, Frankreich, Italien, das Vereinigte
Königreich und die Ukraine. Die gesamte Menge
Vorkommen Eisen ist mit einem Massenanteil über und unter Tage abgebauten Eisenerzes liegt
von 4,7 % das vierthäufigste Element in der Erd- bei knapp 3 Mrd. t Erz, wovon ein Anteil von
hülle. In der Erdkruste bzw. der gesamten Erdku- über 80 % an dieser Menge auf China, Indien,
gel ist sein Anteil mit 5,6 bzw. 28,8 % sogar noch Russland, Australien und Brasilien entfällt. Die
höher. In Kombination mit Nickel stellt es wahr- früher wichtigen Eisenerzproduzenten Frankreich,
scheinlich den Hauptbestandteil des Erdkerns. Deutschland und Schweden sind dagegen bedeu-
Man nimmt an, dass Konvektionsströmungen tungslos geworden. In den Wertstoffkreislauf zu-
flüssigen Eisens im äußeren Kern das Erdmagnet- rückgeführter Schrott wird darüber hinaus als
feld erzeugen. Quelle für metallisches Eisen immer wichtiger.
Im Universum steht Eisen, trotz seiner hohen Um im Hochofen zu metallischem Eisen
Ordnungszahl von 26, immerhin noch an neunter umgesetzt werden zu können, muss das Eisenerz
Stelle der Häufigkeitsverteilung der Elemente. Ei- in Form großer, gesinterter Brocken darin einge-
senisotope sind daneben die schwersten Atome, die bracht werden. Fein verteiltes Erz ist wegen der
im Inneren von Sternen, die etwa die Größe der starken Luftbewegungen im Ofen unbrauchbar.
Sonne haben, noch durch Kernfusion erzeugt Größere Erzstücke kann man ohne weitere Vorbe-
werden. handlung verwenden, kleinere sintert man zusam-
Als wichtigste Eisenerze baut man heute men mit Kalkstein, feinkörnigem Koks und
Magnetit (Eisen-II,III-oxid) und Hämatit (Ei- Wasser meist in Form feuchter Roh-Pellets auf
sen-III-oxid) ab, wobei die größten Vorkommen sogenannten Wanderrosten (Förderbändern). Von
in den gebänderten Formationen enthalten sind unten her wird Gas durch den Wanderrost geleitet,
(Takonit oder Itabirit). Gelegentlich findet man das dann entzündet wird, wodurch eine Flammen-
auch elementares Eisen in der Natur, meist nur in front auf die Pellets trifft, die dadurch kurz ange-
Form kleiner, von Gestein umgebener Bläschen, schmolzen und zu Pellets gebrannt werden. Diese
aber auch großvolumiger Aggregate, die mehrere Pelletieranlagen sind meist noch in der Nähe der
t wiegen können. Metallisches Eisen ist in den Erzmine zu finden (s. Abb. 2).
Systematiken nach Strunz und Dana als eigen- In den schachtförmig aufgebauten Hochofen
ständiges Mineral aufgeführt. Die meisten der werden abwechselnd Lagen aus Koks und Erz in
etwas über 100 Funde weltweit rühren von Me- spiralförmiger Verteilung geschüttet. Im oberen
teoriteneinschlägen her; in diesen Meteoriten Teil des Ofens befinden sich Bunker, die zur Aus-
enthält der Metallkern neben Eisen allerdings schleusung von Gasen dienen, und die unten im
hohe Beimengungen an Nickel. Die Eisenerze sind Ofen installierten Kokslagen ermöglichen auch
dagegen sehr häufig, wie zum Beispiel Magnetit durch die gesinterte Reaktionsmischung hindurch
(Magneteisenstein, Fe3O4), Hämatit (Roteisen- das Durchströmen des Prozessgases (Luft). Das
stein, Fe2O3), Pyrrhotin (Magnetkies, FeS), Pyrit ca. 2000 C heiße Prozessgas trocknet und erhitzt
(Eisenkies, FeS2) und Siderit (Eisenspat, FeCO3). Kohle und Erz, wobei bei sehr hoher Temperatur
Insgesamt sind ca. 1500 Eisenminerale bekannt. die Reaktion:
Eisenerz und Stunden hat der Inhalt einer Füllung des Hoch-
Kohle ofens durchreagiert.
Das aus dem Hochofen austretende, zum Stahl-
Gichtgas werk verbrachte Eisen hat meist einen Eisengehalt
von nur ca. 95 % und ist so für die meisten
500 °C Anwendungen noch nicht einsetzbar, da es zu viel
Schwefel, Kohlenstoff, Silicium und Phosphor
enthält. Im Stahlwerk entschwefelt man daher
zunächst durch Einblasen von Calciumcarbid,
Magnesium oder Branntkalk, zieht die bei der
Entschwefelungsreaktion resultierende Schlacke
900 °C
ab und verbläst anschließend das Roheisen mit
Zusätzen gebrannten Kalks in einem Konverter
mit Sauerstoff. Die oben genannten Verunreini-
gungen werden dabei verbrannt: Silicium zu Sili-
2000 °C
cium-IV-oxid, Kohlenstoff zu Kohlendioxid und
Heissgas
Phosphor zu Phosphat, das als Calciumphosphat
gebunden wird. Das flüssige Eisen hat hiernach
Roheisen 1400 °C eine Temperatur von 1600 C. Es enthält so viel
Schlacke Sauerstoff, dass beim Erstarren des Metalls der
noch darin verbliebene Kohlenstoff zu Kohlen-
Abb. 2 Schematischer Aufbau eines Hochofens (Fuchs monoxid reagiert, das in Form von Blasen im
2004)
Eisen eingeschlossen bleibt. Da die Festigkeit
des Stahls hierunter leiden würde, muss der Sau-
des Ofens, aus dem sie in regelmäßigen Abstän- erstoff aus dem flüssigen Stahl entfernt werden.
den durch ein Loch abgelassen werden müssen Daher gibt man beim Abstechen des flüssigen
(„Abstich“). Das flüssige Eisen ist zunächst mit Eisens diesem Aluminium zu.
der flüssigen Schlacke vermischt und weist eine Neben der energieintensiven und daher teuren
Temperatur von knapp 1500 C auf. Das infolge Erzeugung von Stahl im Hochofen existiert eine
des Gehaltes an Kohlenstoff bei dieser Tempera- ganze Reihe alternativer Produktionsverfahren,
tur bereits flüssige Eisen trennt man außerhalb des bei denen jeweils porenhaltiges Roheisen (Eisen-
Ofens von der auf ihm schwimmenden Schlacke schwamm) anfällt:
und gießt es in Transportpfannen. Diese Pfannen, Schachtofen: In den Kopf des kurzen Ofens
gefüllt mit dem dann erstarrten Eisen, verbringt führt man vorerhitzte eisenhaltige Stückerze ein,
man zum Stahlwerk. die mit einem 1000 C heißen, am Boden des
Die Schlacke besteht vor allem aus Calcium- Ofens eingelassenen Gasgemisch (Kohlenmon-
alumosilikat, da im als Ausgangsstoff dienenden oxid, Wasserstoff, Wasser. Kohlendioxid, Methan)
Eisenerz oft Aluminiumoxid und Silikat enthalten zu Eisen einer Reinheit von 85 bis 95 % reduziert
sind und man zur weiteren Erniedrigung des werden (Wiberg, Purofer, Midland-Ross).
Schmelzpunktes dem Erz noch Kalk zusetzt. Retorte: In diese aus Keramik bestehenden
Diese Schlacke wird mit Wasser verdüst, erstarrt Reaktoren bringt man hoch eisenhaltige Erze,
dabei durch das Abschrecken als feinkörniges gemischt mit Kohle und Kalkstein, ein, oder redu-
Glas (Schlackensand), das gemahlen und als Fül- ziert die Erze direkt mit Erdgas. Auch hierbei
ler für Beton eingesetzt wird. Auf eine t Eisen resultiert Eisen einer Reinheit von ca. 80 bis
kommen etwa 250 kg Schlacke. 95 % (Höganäs, Corex).
Das oben aus dem Ofen austretende, kohlen- Drehrohrofen: Eine Mischung aus Eisenerz in
monoxidhaltige Gas ist brennbar; man verwendet Form von Stücken oder Pellets mit Braunkohle
es zum Erhitzen des Prozessgases. Nach etwa acht und ggf. Heizöl wird in bis zu 100 m lange Öfen
668 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
gefüllt und in diesen bis zu einer Temperatur von hexagonal-dichtest kristallisiert. Im Existenzbe-
1050 C aufgeheizt [Verfahren nach Krupp, RN reich des γ-Eisens findet die entsprechende
(Republic Steel Corp. und National Lead Corp., Umwandlung zu ε-Eisen statt. Die eventuelle
SL (Steel Company of Canada und Lurgi)], bevor Existenz eines β-Eisens – mit noch unklarer Struk-
die Mischung durchreagiert. Ergebnis ist Eisen- tur – ist nicht gesichert.
schwamm einer Reinheit von 85–90 %. Im Kern der Isotope 5626Fe und 5826Fe besteht
Eine Abwandlung dieser Methode ist das eine hohe Bindungsenergie, erkennbar am deutli-
schwedische Dored-Verfahren (Domnarf-Reduk- chen Massendefekt, weswegen diese Isotope als
tion), bei dem das vorerhitzte Eisenerz ebenfalls stabile Endglieder der Kernfusionsreihen in Ster-
mit Kohle oder Koks in einen Drehrohrofen ein- nen gebildet werden.
gebracht wird. Das bei der Reaktion frei werdende Chemische Eigenschaften: Eisen ist ein uned-
Kohlenmonoxid wird durch Einblasen von Sauer- les Metall und reagiert zügig, zum Teil auch hef-
stoffgas zu Kohlendioxid verbrannt, wobei im tig, mit vielen Stoffen. Es ist aber an trockener
Inneren des Ofens Temperaturen bis zu 1350 C Luft beständig, ebenso in trockenem Chlor und
erreicht werden. Dadurch wird flüssiges Roheisen konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure (!).
erzeugt. Auch stark basische Stoffe greifen es zumindest
Wirbelschichtreaktor: Darin wird feinkörniges in der Kälte kaum an.
Eisenerz aufgewirbelt und mittels Erdgas oder In verdünnten Mineralsäuren löst es sich
Wasserstoff zu Eisenschwamm reduziert (H-Iron, jedoch schnell unter Entwicklung von Wasserstoff
Fior- und Finex-Verfahren). und der Bildung von Eisen-II-Salzen auf. Feuchte
Elektroofen: Diese Methode erfordert einen sehr Luft korrodiert Eisen zu Eisenoxidhydrat (Rost).
hohen Einsatz von Energie (bis zu 2500 kWh In verteiltem Zustand kann sich metallisches
pro t Roheisen) und ist nur bei Angebot billigen Eisen an der Luft auch spontan entzünden; eben-
Stroms wirtschaftlich. Dies gilt vor allem für dieje- falls heftig reagiert erhitztes Eisen in Chlor oder
nigen Varianten des Verfahrens, bei denen die Brom. In stöchiometrischem Mengenverhältnis
Reaktanden auch noch vorgewärmt und -reduziert mit Schwefel erhitzt, entsteht Eisen-II-sulfid.
werden (Udy- und Elektrokemisk-Verfahren). Auch mit weiteren Nichtmetallen (Phosphor,
Kohlenstoff oder Silicium) reagiert Eisen bei er-
Eigenschaften höhter Temperatur zu Phosphiden, Carbiden oder
Physikalische Eigenschaften: Das stahlgraue Siliciden.
Eisen kristallisiert kubisch und schmilzt bei einer
Temperatur von 1538 C (s. Tab. 1). Unterhalb Verbindungen In chemisch gebundenem Zu-
von 910 C, also auch bei Raumtemperatur, ist die stand tritt Eisen fast ausschließlich in den Oxida-
kubisch-raumzentriert (im Wolfram-Typ) kristal- tionsstufen +2 und +3 auf.
lisierende α-Modifikation (Ferrit) stabil, deren Chalkogenverbindungen Eisen bildet mit
Ferromagnetismus oberhalb einer Temperatur Sauerstoff einige Oxide, die aber alle keine auf
von 766 C (Curie-Temperatur) in Paramagnetis- dem Metall fest haftende Schutzschicht bilden.
mus übergeht. Von 910 bis 1390 C ist die Daher oxidiert ein der Atmosphäre ausgesetztes
γ-Modifikation (Austenit) am beständigsten, die Stück Eisen im Laufe der Zeit vollständig. Das
kubisch-flächenzentrierte Struktur (Kupfer-Typ) künstliche Aufbringen einer Oxidschicht („Brü-
aufweist. Zwischen einer Temperatur von 1390 C nieren“) verlangsamt bestenfalls die Korrosion,
und dem bei 1538 C liegenden Schmelzpunkt ist hält sie aber nicht auf (Kickelbick 2008). Eisen-
erneut eine kubisch-raumzentrierte Modifikation oxide und Eisenhydroxide setzt man als Pig-
(δ-Ferrit) am stabilsten. mente und sogar als Lebensmittelzusatzstoffe
Ebenso bewirkt die Einwirkung hoher Drücke (E 172) ein.
Änderungen von Modifikationen: Drücke von Eisen-III-oxid (Fe2O3) ist ein rotbrauner Fest-
>15 GPa bewirken bei Temperaturen bis zur Rot- stoff (s. Abb. 3), der bei 1565 C schmilzt und
glut die Umwandlung von α-Eisen in ε-Eisen, das eine Dichte von 5,24 g/cm3 aufweist. Es bildet
5 Einzeldarstellungen 669
sich bei der Reaktion von Eisen mit überschüssi- Eisen-III-oxid verwendet man in sehr großer
gem Sauerstoff; alternativ ist es durch Brennen Menge als Pigment verschiedener Tönung zum
von Eisen-III-oxid-hydroxid darstellbar. In der Einfärben etwa von Betonpflastersteinen oder in
Natur kommt es in Form der Minerale Hämatit der Malerei (Wehlte 1967). Da es magnetisierbar
(trigonal) und Maghemit (kubisch) vor. ist, enthalten es auch Beschichtungen von Ton-
670 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
reinweißer Farbe zu erhalten, muss man die bei Hexahydrat und Thionylchlorid ist die wasserfreie
1100 C schmelzende Substanz auf 1000 C erhit- Verbindung wieder zugänglich, dabei fungiert
zen und strikt unter Ausschluss von Luftfeuchtig- Thionylchlorid als „Wasserfänger“, indem es mit
keit arbeiten. Das Tetrahydrat ist hellbraun Wasser zu Chlorwasserstoff und Schwefeldioxid
(s. Abb. 9) und nur schlecht löslich in Wasser. reagiert:
Eisen-II-fluorid wird meist als Ausgangsstoff zur
Herstellung weiterer EisenII-Verbindungen ver- FeCl3 6 H2 O þ 6 SOCl2
wendet (Housecroft und Sharpe 2004), darüber ! FeCl3 þ 6 SO2 þ 12 HCl
hinaus als Katalysator bei Fluorierungen (Wilder-
muth et al. 2000). Die Darstellung des Eisen-III-chlorids erfolgt
Wasserfreies Eisen-III-chlorid (FeCl3) (s. Abb. durch Überleiten von Chlor über Eisendraht oder
10) ist ein schwarzer Feststoff, der bei 304 C -wolle bei Temperaturen von 250 bis 400 C
schmilzt, bei 319 C bereits siedet und sogar sowie anschließende Sublimation zu Reinigungs-
schon ab einer Temperatur von 120 C sublimiert. zwecken. Selbst Spuren an Wasser muss man
Er riecht infolge Hydrolyse stechend nach Salz- dabei ausschließen (Brauer 1981, S. 1641):
säure und ist stark hygroskopisch; mit steigendem
Wassergehalt hellt sich seine Farbe über rotbraun 2 Fe þ 3 Cl2 ! 2 FeCl3
bis ockergelb [Hexahydrat (FeCl3 6 H2O)] auf.
Letzteres bzw. dessen wässrige Lösung reagiert Das kristallwasserhaltige Salz (s. Abb. 10b, c)
infolge Hydrolyse stark sauer. Ebenso ist Eisen- ist durch Auflösen von Eisen in Salzsäure gewinn-
III-chlorid auch eine starke Lewis-Säure. Beim bar, wobei sich zunächst Eisen-II-chlorid (FeCl2)
Erhitzen zersetzt sich das Hydrat unter -nahezu- bildet. Durch nachfolgendes Einleiten von Chlor
vollständiger Bildung von Wasserdampf und in diese wässrige Lösung entsteht schließlich
Chlorwasserstoff, womit es unmöglich ist, auf die- Eisen-III-chlorid.
sem Wege wieder die wasserfreie Verbindung zu Im technischen Maßstab produziert man Eisen-
erhalten. Nur durch gemeinsames Erhitzen von III-chlorid durch Überleiten von Chlor über Ei-
senschrott bei einer Temperatur von rund 650 C.
Ähnlich wie Aluminiumchlorid zeigt die
schichtartige Festkörperstruktur des Eisen-III-
chlorids schon stark kovalente Bindungsanteile.
Im gasförmigen Zustand liegen kurz oberhalb des
Sublimationspunkts dimere Einheiten (Fe2Cl6)
vor, die sich bei noch höherer Temperatur zum
Monomer abbauen.
Wässrige Lösungen von Eisen-III-chlorid ver-
wendet man zum Oxidieren und Ätzen von aus
Kupfer bestehenden Oberflächen von Leiter- und
Abb. 9 Eisen-II-fluorid-Tetrahydrat (Onyxmet 2018)
Druckplatten:
Abb. 10 a Eisen-III-
chlorid, wasserfrei
(Onyxmet 2018). b Eisen-
III-chlorid-Hexahydrat
granuliert (BXXXD 2006).
c Eisen-III-chlorid-
Hexahydrat (Onyxmet
2018)
5 Einzeldarstellungen 673
Ethanol und Diethylether löslich; gerade in ge- bis schwarzfarbener Feststoffe unterschiedlicher
lösten Zustand wird Eisen-II-iodid schnell oxi- Dichten und Schmelzpunkte auf. So besitzt bei-
diert (Lautenschläger 2007, S. 410). spielsweise Trieisenmonophosphid (Fe3P) eine
Eisen-II-iodid-Tetrahydrat ist ein schwarzer Dichte von 6,92 g/cm3, schmilzt bei 1166 C und
Feststoff, der ebenfalls in Ethanol und Wasser kristallisiert tetragonal, isotyp zu Trinickelmono-
löslich ist und sich schon bei Temperaturen von phosphid (Ni3P). Dieisenmonophosphid (Fe2P)
knapp unter 100 C zersetzt. Die Verbindung ist schmilzt bei einer Temperatur von 1365 C, kristal-
Bestandteil einiger homöopathischer Medika- lisiert hexagonal und hat die Dichte 6,83 g/cm3
mente, ist aber auch ein Katalysator zur Synthese (Gu et al. 2013). Weitere Verbindungen sind
von Alkalimetalliodiden (Perry 2011, S. 483). Eisenmonophosphid (FeP) bzw. Eisendiphosphid
Pnictogenverbindungen Die bisher charakteri- (FeP2), beide mit orthorhombischer Kristallstruk-
sierten Eisennitride sind unter anderem Dieisenmo- tur und Dichten von 5,07 bzw. 5,70 g/cm3, sowie
nonitrid (Fe2N), „Trieisenmononitrid“ (Fe3N1+x), Eisentetraphosphid (FeP4), das monoklin kristal-
Tetraeisenmononitrid (Fe4N) sowie Stickstoffmar- lisiert (Jeitschko und Braun 1978) und die Dichte
tensit (α´´-Fe16N2) (Oyama 1996, S. 186). In der 4,13 g/cm3 besitzt. Die Eisenphosphide sind un-
Natur kommt Tetraeisennitrid in Form des Mine- löslich in Wasser, aber erleiden im Lauf der Zeit
rals Roaldit, Trieisennitrid als Siderazot vor. hydrolytische Zersetzung. Durch Zusätze in flüs-
Das Ausgangsprodukt Dieisenmononitrid in sei- siges Roheisen eingebrachter Phosphor verbessert
ner orthorhombisch kristallisierenden, metallisch infolge der Bildung von Fe2P und Fe3P die Ver-
aussehenden γ´-Modifikation der Dichte 6,35 g/cm3 schleißeigenschaften des Gusseisens (Brunhuber
erhält man durch Überleiten von Ammoniak über und Hasse 2001, S. 956).
erhitztes Eisen im Temperaturbereich von 350 bis Eisenarsenide finden sich in unterschiedlicher
550 C (Brauer 1981, S. 1649). Jedoch kann sich Zusammensatzung in der Natur, so Westerveldit
bei dieser Syntheseführung auch das oben zitierte (FeAs), Löllingit (FeAs2) und Ferroskutterudit
„Trieisenmononitrid“ mit variablem Stickstoffgehalt, („FeAs3“). Ersteres, also Eisenmonoarsenid (FeAs),
hexagonaler Kristallstruktur (ε-Modifikation) und ist ein bräunlich-weißer bis grauer Feststoff vom
der Dichte 7,36 g/cm3 bilden. Dieses gibt bei Tem- Schmelzpunkt 1020 C, der die Dichte 7,83 g/cm3
peraturen von >500 C weiteren Stickstoff ab und aufweist und orthorhombisch kristallisiert (Perry
geht schließlich in Fe4N über, ein dunkelgraues Pul- 2016, S. 214). Eisendiarsenid (FeAs2) schmilzt
ver der Dichte 6,57 g/cm3 (Rechenbach und Jacobs bei 990 C, hat eine Dichte von 7,4 g/cm3 und
1996), in dessen Kristallgitter eine kubisch-dichteste besitzt in festem Zustand ebenfalls orthorhombi-
Packung der Eisenatome vorliegt. Durch die Bildung sche Struktur; es ist darüber hinaus ein diamagne-
von Nitriden bei der Herstellung von Stahl infolge tischer Halbleiter mit der -geringen- Bandlücke
gezielter Reaktion des Eisens mit dem in der Luft von 0,22 eV (Fan et al. 1972). FeAs und FeAs2
vorhandenen Stickstoff wird dieser gehärtet; den sind beide durch Elektrolyse von aus Eisen-III-
Prozess bezeichnet man als „Nitrieren“ (Bergmann oxid oder -chlorid und Alkaliarsenaten bestehen-
2009, S. 268). den Schmelzen zugänglich (Hagenmuller 2012,
Prieto et al. beschrieben ein Verfahren zur Erzeu- S. 299), auch durch Erhitzen einer aus stöchio-
gung dünner Eisennitrid-Filme mittels Sputtertech- metrischen Mengen von Eisen- und Arsenpulver
nik und charakterisierten die so erzeugten Phasen bestehenden Mischung unter Ausschluss von
mit Hilfe der Mössbauer-Spektroskopie, der Rönt- Luft.
gendiffraktometrie und anderer Techniken (Prieto Das „Eisentriarsenid“ (FeAs3) konnte bisher
et al. 2008). nicht in reiner Form erhalten werden, das zuge-
Eisenphosphide erhält man durch Erhitzen eines hörige Mineral Ferroskutterudit enthält noch
Gemisches aus rotem Phosphor und sehr reinem große Anteile an Nickel-, Cobalt- und Sulfidionen
Eisen unter Luftausschluss bei Temperaturen von (Kiefer et al. 2017). Dieisenarsenid (Fe2As) ist ein
600 bis 1100 C (Brauer 1981, S. 1649). Die Ver- paramagnetischer, grauer Feststoff mit Schmelz-
bindungen treten sämtlich in Form spröder, grau- punkt >400 C, der bis zu seiner Néel-Temperatur
5 Einzeldarstellungen 675
von 80 C (353 K) antiferromagnetisch ist (Kat- tur aus, die bei 1837 C schmelzen. Die Dichte der
suraki und Achiwa 1966). Verbindung liegt bei 7,7 g/cm3. Eisencarbid ist
Eisenarsenide und ihre Derivate verfügen teil- spröde, daher schlecht verformbar, und ist unter-
weise über bemerkenswerte elektrische Eigen- halb seiner Curie-Temperatur von 215 C ferro-
schaften. Obwohl diese Materialklasse schon seit magnetisch. Langes Glühen und/oder langsames
den 1970er-Jahren bekannt ist, wies man erst Abkühlen führt zur Zersetzung der Verbindung in
2008 eine sehr hohe Übergangstemperatur von Eisen und Kohlenstoff. Eingesetzt wird Eisen-
Tc= 56 K (217 C) für BaFe2As2 nach (Keimer carbid als dünn auf einen Träger aufgebrachter
2011). Dieses gehört zur Gruppe der „122-Eisen- Katalysator bei einigen chemischen Verfahren
arsenid-Supraleiter“, die die Formel EAFe2Pn2 (Schnepp et al. 2010).
(EA=Erdalkaliion, Pn=Pnictogenid) haben und Zementit bildet sich in verschiedenen Phasen
fast alle in tetragonaler Struktur kristallisieren des Hochofenprozesses aus Eisen und Kohle. Pri-
(Hosono et al. 2015; Kreyssig et al. 2008; Tegel märzementit (s. Abb. 13) ist derjenige Zementit,
et al. 2008; Rotter et al. 2008a, b; Sadovskii der aus der Schmelze heraus kristallisiert, woge-
2008). Unter Druck und nach geeigneter Dotie- gen Sekundärzementit durch Ausscheidung aus
rung werden sie supraleitend (Shirage et al. 2008; Austenit und Tertiärzementit durch Ausscheidung
Park et al. 2008; Alireza et al. 2009; Anupam et al. aus Ferrit gebildet werden (Gobrecht und Rump-
2009). Die höchste für diese Klasse von Verbin- ler 2006).
dungen bis 2008 gemessene Übergangstempera- Ferrosilicium stellt man durch Glühen einer
tur war 38 K (235 C) für Ba0,6K0,4Fe2As2 Mischung von Sand, Koks und Eisen- oder
(Rotter et al. 2008a, b; Shirage et al. 2009). Schrottabfällen her. Produkte mit Siliciumantei-
Warum die Supraleitfähigleit ausgerechnet bei len bis zu 15 % erzeugt man in mit feuerfesten
diesen Verbindungen auftritt, konnte noch nicht Steinen ausgekleideten Öfen (Osann 2013,
befriedigend erklärt werden (Pickett 2009). In S. 138), die mit höherem Gehalt an Silicium in
undotiertem Zustand sind alle zudem antiferroma- elektrischen Lichtbogenöfen. Im Handel sind vor
gnetisch, ab einer spezifischen Übergangstempe- allem Produkte mit 15, 45, 75 und 90 % Silicium
ratur dann paramagnetisch (Baek et al. 2009). anzutreffen. Betragen die Schmelzpunkte reinen
Bei den 122-Eisenarsenid-Supraleitern gibt es Eisens bzw. Siliciums 1538 C bzw. 1414 C und
zwei Möglichkeiten der Dotierung. Entweder man die jeweiligen Dichten 7,87 bzw. 2,33 g/cm3, so
führt gezielt Löcher durch Ersatz des Erdalka- liegen die Schmelzpunkte für alle Ferrosilicium-
liions durch ein Alkaliion, also ein Ion mit gerin- Produkte mit ca. 1210 C deutlich darunter. Die
gerer Ladung, ein (Huang et al. 2008). Oder aber Schmelzpunkte zeigen zwei Bereiche von Eutek-
man ersetzt Fe2+ durch Co2+, womit ebenfalls eine tika der ungefähren Zusammensetzung Fe2Si
signifikante Anhebung der Sprungtemperatur bzw. FeSi2,5. Die Dichten nehmen dagegen mit
erreicht werden kann (Leithe-Jasper et al. 2008). steigendem Anteil an Silicium nahezu linear zu
Die Synthese der Verbindungen ist einfach und der des Siliciums hin ab. In der Regel erscheinen
gelingt mittels der Flux-Methode, bei der man die alle Arten von Ferrosilicium in Form grauer Pul-
für eine chemische Reaktion nötigen Ausgangs-
produkte je nach gewünschtem Endprodukt in
etwas Lösungsmittel löst und jene Zielverbindung
dann auskristallisieren lässt (Canfield et al. 2009).
Das Strukturprinzip dieser Supraleiter findet
man auch bei anderen schweren Fermi-Supralei-
tern wie CeCu2Si2 (Steglich et al. 1979) oder auch
URu2Si2 (Palstra et al. 1985)
Sonstige Verbindungen Eisencarbid (Fe3C),
auch Zementit genannt, bildet sehr harte, grau- Abb. 13 Kristallnadeln von Primärzementit (Eisenbeisser
schwarze Kristallnadeln orthorhombischer Struk- 2007)
676 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
ver oder, falls zuvor geschmolzen, silberglän- borids liegen Zickzack-Ketten von Boratomen
zender Stücke (s. Abb. 14). vor, die von je sieben Eisenatomen koordinativ
Man nutzt Ferrosilicium zur reduktiven Dar- gebunden sind. Die Länge der Einfachbindungen
stellung von Metallen aus ihren Oxiden sowie als schwankt von 178 pm (B-B) über 215–220 pm
Getter zur Entfernung von Resten an Sauerstoff (Fe-B) bis zu 240–272 pm (Fe-Fe). Einkristalle
aus Stahl und anderen Eisenlegierungen. So ver- bilden sich entlang bevorzugter Bindungsrichtun-
meidet man den Verlust an zum Erzielen einer gen aus; dies erfolgt entlang der Achse der leich-
gewissen Härte nötigen Kohlenstoff. Man ver- ten Magnetisierung (AEM) (Zhdanova et al.
wendet es auch zur Produktion von Ferrochrom 2013). Eisenmonoborid liegt in Form eines
sowie von Elektroblechen und hitzebeständigem grauen Pulvers der Dichte 7,15 g/cm3 vor, das
Stahl. Es ist neben Magnesium und geringen zwischen 1300 und 1500 C sintert bzw. schmilzt.
Mengen an Seltenerdmetallen Additiv in Schmel- Im Handel sind auch graue Sputtertargets der Ver-
zen von Eisen, denen Kugelgrafit zugesetzt wurde bindung (s. Abb. 15).
(Böge et al. 2013, S. M-5; Brown 1994, S. 222; Dieisenborid (Fe2B) ist als schwarzes Pulver
Hasse 2001, S. 618). im Handel (s. Abb. 16), kann aber auch als Nano-
Eisenboride stellt man durch Erhitzen von Ei- pulver hergestellt werden. Beide Verbindungen
senoberflächen her, auf denen borreiche Verbin- sind sehr widerstandsfähig gegenüber Kom-
dungen aufgetragen wurden. Dieser als Borieren pression und innerhalb eines gewissen Tempera-
bekannte Prozess erzeugt Beschichtungen, die aus turbereiches auch supraleitend.
Eisenboriden bestehen. Meist sintert man an der Eisenpentacarbonyl [Fe(CO)5] stellt man
Oberfläche des Eisens Borcarbid (B4C) oder Bor, durch Überleiten von Kohlenmonoxid über fein-
und die Boratome diffundieren im Bereich der verteiltes Eisen bei Temperaturen von 150 bis
Temperatur von 800–1100 C in das Eisensubstrat 200 C und unter Anwendung eines Gasdrucks
hinein. Zuerst werden Schichten von Dieisenbo- von 50 bis 300 bar her (Holleman et al. 2017,
rid (Fe2B) und dann von Eisenmonoborid (FeB) S. 2199; Bertau et al. 2013, S. 260). Je reiner das
gebildet, aber mit schwankender Zusammenset-
zung der Oberfläche gemäß den jeweils gewählten
Versuchsbedingungen (Keddam und Chentouf
2005). Nanopartikel des Materials gewann man
durch Reduktion von Eisen-II-salzen mit Na-
triumborhydrid (Joshi und Hosmani 2014):
4 FeSO4 þ 8 NaBH4 þ 18 H2 O
! 2 Fe2 B þ 6 BðOHÞ3 þ 25 H2 þ 4 Na2 SO4
Abb. 15 Eisenmonoborid Sputtertarget (QS Advanced
FeB kristallisiert in orthorhombischer Struktur, Materials 2018)
Fe2B in tetragonaler (Lyakhova et al. 2013; Kap-
fenberger et al. 2006). Im Gitter des Eisenmono-
zu dieser exothermen (Wildermuth et al. 2012) Essigsäure. Es ist stabil gegenüber Wasser und
Reaktion verwendete Eisen ist, desto niedriger schwachen bzw. verdünnten Säuren (!), dagegen
sind die aufzuwendenden Temperaturen und zersetzen konzentrierte Mineralsäuren die Verbin-
Drücke. Zur Reinigung destilliert man das gebil- dung unter Bildung der jeweiligen Eisen-II-salze
dete Produkt unter vermindertem Druck (s. Dampf- und Kohlenmonoxid. Halogene oxidieren Eisen-
druckkurve bei Stull, 1947), da bei zu hoher Tem- pentacarbonyl unter Bildung der entsprechenden
peratur auch wieder eine Zersetzung in Eisen und Eisenhalogenide. Die Verbindung wirkt reduzie-
Kohlenmonoxid eintreten kann. rend und überführt beispielsweise Nitroaromaten
Die orange, muffig riechende Flüssigkeit in Aniline und Ketone in Alkohole.
(s. Abb. 17a, b) erstarrt bei 21 C und siedet Ferrocen [Bis(η5-cyclopentadienyl)eisen,
bei 105 C (Stull 1947). Man verwendet die Ver- Fe(C5H5)2], wurde erstmals 1951 durch Umset-
bindung heutzutage zur Synthese organischer, zung von Cyclopentadienylmagnesiumbromid
katalytisch wirksamer Eisenverbindungen. In mit Eisen-III-chlorid dargestellt (Kealy und Pau-
den 1920er- und 1930er-Jahren setzte man Eisen- son 1951). Die orangen Kristalle waren stabil
pentacarbonyl Benzin als Antiklopfmittel zu; gegenüber Luftsauerstoff und sublimierbar.
hiervon ging man aber aus technischen und Nahezu gleichzeitig wurde die Verbindung durch
ökologischen Gründen wieder ab. Aktuell ist Überleiten von Cyclopentadien über erhitztes
die Produktion halblichtdurchlässiger Eisenoxid- Eisen erzeugt (Miller et al. 1952). Die sich in einer
Nanopigmente hoher Reinheit aus Eisenpentacar- guten elektrophilen Substituierbarkeit und Stabi-
bonyl; dabei verbrennt man es gezielt im Tempe- lität äußernde Aromatizität dieser Verbindungs-
raturbereich von 600–800 C bei Überschuss an klasse führte zur Namensgebung der „Metalloce-
Luftsauerstoff (Pfaff 2017, S. 199/216). Effekt- ne“, hier: Ferrocen (Woodward et al. 1952;
pigmente sind bei Anwendung des Verfahrens Pauson 2001).
ebenfalls zugänglich, wenn Aluminiumstaub mit Heute stellt man Ferrocen im Labor durch
Eisen-III-oxid beschichtet und die Farbgebung Umsetzung von Cyclopentadien mit Eisen-II-
über die erzielte Schichtdicke gesteuert wird. chlorid in einem inerten Lösemittel bei Ge-
Im Kristallgitter der Verbindung liegen mono- genwart überschüssigen Kaliumhydroxids her
mere Einheiten trigonal-bipyramidaler Struktur (Jolly 1968).
vor (Braga et al. 1993). Eisenpentacarbonyl ist Ferrocen bildet orangefarbene Kristallnadeln
vollständig mit höheren Alkoholen mischbar, fer- (s. Abb. 18) der Dichte 1,49 g/cm3 (20 C), die
ner mit Kohlenwasserstoffen, Diethylether und bei einer Temperatur von 173 C schmelzen (Sie-
depunkt der Schmelze: 249 C) und bei Raum-
temperatur mit monokliner Struktur kristallisieren
(Dunitz et al. 1956). Schon ab etwa 100 C tritt
langsam Sublimation ein; ein Verfahren, das man
gerne zur Reindarstellung der Verbindung nutzt.
Das in Wasser unlösliche und stabile Ferrocen ist
in Kohlenwasserstoffen wie n-Hexan oder Toluol
gut löslich.
Im Molekül beträgt der Abstand der Cyclopen-
tadienylringe 332 pm und die Abstände Fe-C bzw.
C-C 204,5 pm bzw. 140,3 pm.
Die ekliptische Konformation (s. Abb. 19) ist
energetisch günstiger als die gestaffelte und somit
gegenüber jener bevorzugt (Greenwood und
Earnshaw 1988, S. 408). Es kann aber durch die
Abb. 17 a Eisenpentacarbonyl (Smokefoot 2015). temperaturabhängige Kristallstruktur der Verbin-
b Eisenpentacarbonyl (Onyxmet 2018) dung (triklin bei <–89 C und orthorhombisch bei
678 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
Abb. 19 Ferrocen:
Gestaffelte Konformation
(links) und ekliptische
Konformation (rechts) (Jü
2010)
Das schwarze, bei einer Temperatur von Rutheniumhalogeniden (Schäfer et al. 1963). Es
1200 C schmelzende Ruthenium-IV-oxid (RuO2) hat die Dichte 7,0 g/cm3, kristallisiert in einer
(s. Abb. 24) gewinnt man durch Hydrolyse von Struktur ähnlich zu Rutil (Wells 1975) und ist
684 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
nahezu unlöslich in Wasser. Man setzt es zur Die Verbindung bildet dunkelbraune, ortho-
Beschichtung von Titananoden ein, wie man sie rhombisch strukturierte Kristalle, die bei einer
auch bei der Chloralkali-Elektrolyse verwendet, Temperatur von 54 C schmelzen und eine
in elektronischen Bauteilen (de Nora 1970), in -berechnete- Dichte von 3,68 g/cm3 besitzen. Im
Katalysatoren (Lu et al. 2005) und in für Tief- Kristallgitter liegen RuF6-Einheiten vor, in denen
temperaturmessungen geeigneten Widerstands- sechs Fluoratome oktaedrisch das Ruthenium-
thermometern (Johnson Matthey 2002), da es atom umgeben.
unter diesen Bedingungen eine außergewöhnlich Das smaragdgrüne Ruthenium-V-fluorid (RuF5)
hohe Kondensatorkapazität aufweist. ist in besserer Ausbeute als RuF6 und bei niedri-
Generell zeigen die Chalkogenide von Über- gerer Temperatur (300 C) als sowohl dieses als
gangsmetallen eine hohe Kapazität zur Speicherung auch das Osmium-VI-fluorid (OsF6) aus den Ele-
elektrischer Energie, so auch Ruthenium-IV-sulfid menten zugänglich (Ruff und Vidic 1925):
(RuS2). Dieses wurde in Form von 20 nm langen
Nanopartikeln durch Beschallung einer pulverför- 2 Ru þ 5 F2 ! 2 RuF5
migen Mischung von Ruthenium und Schwefel
erzeugt. Überprüft wurde die Eignung als Konden- Die Verbindung schmilzt bzw. siedet bei Tem-
satormaterial mittels zyklischer Voltammetrie, Be- peraturen von 87 bzw. 227 C, hat eine Dichte
und Entladungsanalyse sowie elektrochemischer von 3,9 g/cm3 und kristallisiert monoklin. Im
Impedanzspektroskopie. So lieferte die RuS2-Elek- Kristallgitter liegen Tetramere vor, in denen die
trode eine spezifische Kapazität von 85 F/g bei Rutheniumatome jeweils über Fluorbrücken mit-
Vorliegen einer drei Elektroden enthaltenden Kon- einander verbunden sind (Holloway et al. 1964).
figuration und einer konstant bei 0,5 mA/cm liegen- Ruthenium-V-fluorid reagiert mit Wasser zu-
den Entladungsstromdichte. Der symmetrische Su- nächst zu Rhenium-III/IV-hydroxid und Fluor,
perkondensator hatte immer noch eine spezifische das das Ruthenium in situ zum Tetroxid (RuO4)
Kapazität von 17 F/g, die er im Langzeitversuch oxidiert (Sakurai und Takahashi 1979).
über 5000 Zyklen in mehr als 96 % (!) der Fälle Das schwarze α-Ruthenium-III-chlorid (RuCl3)
wieder erreichte (Krishnamoorty et al. 2017). (s. Abb. 25) ist durch Umsetzung von Ruthenium
Ein auf Titandioxid als Trägermaterial aufgetra- im mit Kohlendioxid verdünnten Chlorstrom (Re-
gener, anionischer, hexanuklearer Carbidocarbonyl- my und Kühn 1924) zugänglich. Die Verbindung
Cluster [(Ru6C(CO)16)2] zeigt eine hohe Wirk- schmilzt bei Temperaturen um 500 C und hat die
samkeit als Katalysator für die Reduktion von Dichte 3,11 g/cm3. Die diamagnetische α-Modifi-
Schwefel-IV-oxid mittels Wasserstoff. Verant- kation besitzt eine Struktur ähnlich zu Chrom-III-
wortlich dafür sind während der Reaktion an der chlorid mit langen Ru–Ru-Bindungen.
Oberfläche entstehende Nanoteilchen von Ruthe- Dagegen kristallisiert die dunkelbraune und
nium-IV-sulfid, wie röntgendiffraktometrische metastabile β-Modifkation hexagonal und wan-
Messungen zeigten (Ishiguro et al. 2002). delt sich oberhalb von 450–600 C irreversibel
5 Einzeldarstellungen 685
niumcarbid, das mit kubischer Struktur kristalli- (Elschenbroich 2008, S. 632 ff.). Auch einige
siert (Jinénez-Villacorta 2017). Polymerisationsreaktionen könnten ohne ruthe-
Filme aus Rutheniumsilicid (Ru2Si3) entstan- niumhaltige Katalysatoren kaum stattfinden; ein
den beim Erhitzen festen Rutheniums mit Sili- Beispiel dafür ist die sehr wichtige Polymerisation
cium an der Phasengrenzfläche. Der halbleitende von Methacrylsäuremethylester unter Verwen-
Film behielt seine Leitfähigkeit bis hinauf zu dung von Tris(triphenylphosphino)Ruthenium-
Temperaturen von 700 C, auch wenn unter die- II-chlorid [RuCl2(PPh3)3] (N. N. 1999).
sen Bedingungen dann teilweise Oxidation ein-
tritt. Diese Temperatur ist um rund 100 C höher Anwendungen Der weltweite Bedarf an Ruthe-
als diejenige, die mit Titannitrid erzielbar ist (Mat- nium ist trotz seiner Einsatzpotenziale als Kata-
suya et al. 2003). lysator gering. Der größte Anteil des Elements geht
Zwei Strukturen von Rutheniumsiliciden, RuSi wegen seiner Härte und geringen Abriebsneigung in
bzw. Ru2Si3 (Raumgruppe P213 bzw. Pbcn) wur- die Elektronikindustrie. Am wichtigsten ist seit eini-
den zuerst synthetisiert. Daneben bildete sich gen Jahren ein Perpendicular Recording genanntes
noch RuSi2 (mit β-FeSi2-Struktur; Raumgruppe Speicherverfahren für Daten auf Festplatten. Dabei
Cmca). Die danach durchgeführten Berechnun- ist eine dünne Schicht Ruthenium zwischen der aus
gen der Bildungsenthalpie, Phononenstreuung Kobalt, Chrom und Platin bestehenden Speicher-
und Elastizitätskonstanten zeigen, dass dieses schicht und der magnetischen Schicht angeordnet
Cmca-RuSi2 stabil ist. Die Analyse der elektroni- (Shi et al. 2005; Hydes 1980).
schen Bandlagen weist Cmca-RuSi2 als Halbleiter Wie schon oben erwähnt, zeigt Ruthenium bei
mit einer direkten Bandlücke von 0,48 eV aus. vielen Reaktionen einen ausgeprägten Katalyseef-
Es liegen starke kovalente Bindungen zwischen fekt und wird deshalb breit verwendet. So laufen
den Ruthenium- und Siliciumatomen vor. Die Hydrierungen von Carbonylverbindungen oder
Vickers-Härte wurde zu 28,0 GPa bestimmt, was Aromaten in Gegenwart bestimmter Verbindungen
einem äußerst schwer komprimierbaren Material des Rutheniums glatt. Die Eignung für die aus
entspricht (Zhang et al. 2015). Wasserstoff und Kohlenmonoxid bzw. -dioxid
Rutheniumboride besitzen ebenfalls eine ex- betriebene Erzeugung von Methan besteht prinzi-
trem große Härte; so sollen aus RuB2 und Ru2B3 piell, jedoch sind nickelhaltige Katalysatoren hier
bestehende Filme Vickers-Härten von ca. 50 GPa wirtschaftlicher (Traa und Weitkamp 1998).
besitzen (Rau et al. 2009). Dieselben Materialien Ähnlich wie seine Homologen Eisen und
in kompakter Form haben allerdings deutlich Osmium katalysiert auch Ruthenium die Ammo-
geringere Härten (Chung et al. 2007; Qin et al. niaksynthese nach Haber-Bosch, bei der Stick-
2008). Zuerst vermutete man für Rutheniumdibo- stoff mit Wasserstoff umgesetzt wird. Hinderlich
rid (RuB2) eine hexagonale Struktur (Kempter für eine weite Verbreitung ist nur der hohe Preis
und Fries 1961); dies wurde wenig später aber in des Rutheniums; aktuell am wirksamsten und am
Richtung einer orthorhombischen Struktur korri- wenigsten störungsanfällig sind kohlenstoffarme
giert (Roof und Kempter 1962). oder -freie Rutheniumverbindungen (Bielawa
Tetrapropylammoniumperruthenat [(C3H7)4 et al. 2001).
N+RuO4] ist ein Oxidationsmittel, das in orga- Platin oder Palladium zulegiert, erhöht es
nischen Synthesen zugleich katalytisch wirksam deren Härte. Auch in Legierungen für Füllfeder-
ist (Ley et al. 1994). halter oder Zahnfüllungen ist es enthalten (Eich-
Ruthenium bildet viele Komplexe, in denen es ner und Kappert 2005). Es wirkt korrosionsschüt-
alle Oxidationsstufen zwischen 2 und +8 ein- zend auf Titan sowie dessen Legierungen (Schutz
nehmen kann. Einige von ihnen sind Katalysato- 1996), und erhöht auch die Härte von Nickel in
ren in diversen organischen Synthesen, wie etwa mechanisch und thermisch hoch beanspruchten
in der Grubbs-Reaktion (Metathese von Olefinen) Legierungen (Koizuma et al. 2003). Mit Rutheni-
oder der Noyori-Synthese, bei der β-Keto-Ester in um-IV-oxid beschichtet man die bei der Chloral-
isomerenreine Alkohole umgewandelt werden kalielektrolyse eingesetzten Titananoden.
5 Einzeldarstellungen 687
bzw. 15 d sehr kurz sind. Rhenium-Osmium- Chemische Eigenschaften: Osmium ist als
Chronometer nutzen das Mengenverhältnis des Edelmetall äußerst reaktionsträge und reagiert
durch β--Zerfall von 18775Re gebildeten 18776Os direkt nur mit Fluor, Chlor und Sauerstoff. Kom-
zu 18876Os zur Altersbestimmung von Eisenme- paktes Osmium verbrennt in Sauerstoff erst bei
teoriten (Brick et al. 1991). Rot- bzw. Gelbglut, aber das fein verteilte Metall
690 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
bildet schon beim Stehenlassen an der Luft und und im Rutilgitter kristallisierende, auch in Form
bei Raumtemperatur in Spuren hochgiftiges langer Einkristalle erhältliche Feststoff (Rogers
Osmium-VIII-oxid (OsO4). In nicht oxidierenden et al. 1972; Yen 2004; Boman et al. 1970) oxidiert
Mineralsäuren sowie kaltem Königswasser ist bereits an der Luft langsam zu Osmium-VIII-oxid
Osmium unlöslich, aber heiße konzentrierte Sal- und ist in fein verteiltem Zustand sogar pyrophor.
peter- oder Schwefelsäure sowie geschmolzenes Es ist aber nicht toxisch wie Osmium-VIII-oxid
Natriumperoxid oder Kaliumchlorat greifen es an. (Smith et al. 1974). Die Verbindung zeigt eine
elektrische Leitfähigkeit, die der von Metallen
Verbindungen sehr nahe kommt (Greedan et al. 1968).
Chalkogenverbindungen Das sehr giftige Osmi- Osmium-IV-sulfid (OsS2) kommt in natürlichen
um-VIII-oxid (OsO4) stellt man durch direkte Oxi- Lagerstätten sehr selten als metallisch glänzendes,
dation metallischen Osmiums oder durch Oxida- graues Mineral Erlichmanit der Mohs-Härte 5 vor.
tion osmiumhaltiger Lösungen mit Salpetersäure Die Verbindung kann durch Einleiten von Schwe-
oder Natriumperoxodisulfat/Schwefelsäure her. felwasserstoff in eine saure Lösung eines Osmium-
Die blassgelben Kristalle monokliner Struktur IV-salzes oder -komplexes als grauschwarzer Fest-
(Dichte: 4,9 g/cm3) schmelzen bereits bei einer stoff ausgefällt werden (Cali 1964, S. 92). Die
Temperatur von 40 C; die Flüssigkeit siedet bei Verbindung ist ebenso wie ihre höheren Homolo-
130 C (Brauer 1981, S. 1634). Neben Perxenaten gen Osmium-IV-selenid (OsSe2) und Osmium-IV-
und Ruthenium-VIII-oxid ist Osmium-VIII-oxid tellurid (OsTe2) ein Halbleiter.
die einzige Verbindung, in der ein Element in der Halogenverbindungen Osmium-VI-fluorid (OsF6)
Oxidationsstufe +8 auftritt (Abb. 26a, b). ist ein gelber, mit orthorhombischer Struktur kris-
Wegen seiner Flüchtigkeit wird es vom Men- tallisierender Feststoff der Dichte 5,1 g/cm3
schen leicht eingeatmet, der so ein Schwermetall (Drews et al. 2006). Im Kristallgitter liegen ok-
im Körper aufnimmt. Die größte Gefahr geht taedrische OsF6-Einheiten vor. Die sehr hydroly-
aber von seiner leicht erfolgenden Reduktion zu seempfindliche Verbindung schmilzt bzw. siedet
schwarzem Osmium-IV-oxid aus, die, wenn der/- bei Temperaturen von 33,4 bzw. 47,5 C und wird
die Betreffende keinen geeigneten Augenschutz durch Umsetzung des Metalls mit überschüssigem
trägt, schon auf der Netzhaut der Augen stattfindet Fluorgas bei Temperaturen um 300 C dargestellt:
und einen dauerhaften Verlust des Sehvermögens
bewirken kann. Os þ 3 F2 ! OsF6
Osmium-VIII-oxid ist nur wenig löslich in
Wasser, aber gut in Tetrachlorkohlenstoff. Es Osmium-VI-fluorid kann man mit in Iod-V-
wirkt stark oxidierend und reagiert teils heftig fluorid gelöstem Iod in der Wärme zu Osmium-
mit reduzierenden und brennbaren Stoffen, durch V-fluorid (OsF5) reduzieren (Brauer 1975, S. 283;
die es meist zu schwarzem Osmium-IV-oxid redu- Singh 2007, S. 307):
ziert wird. Als Katalysator zusammen mit den als
Oxidationsmittel dienenden Wasserstoffperoxid 10 OsF6 þ I2 ! 10 OsF5 þ 2 IF5
oder N-Methylmorpholin-N-oxid eingesetzt, be-
wirkt es die stereoselektive Oxidation von Alke- Jenes ist ein blaugrüner, monoklin kristallisie-
nen zu cis-Diolen (Van Rheenen et al. 1978). render, ebenfalls gegenüber Hydrolyse anfälliger
Das bei einer Temperatur von 650 C unter Feststoff, der bei 70 C zu einer grünen Flüssig-
Zersetzung schmelzende Osmium-IV-oxid (OsO2) keit schmilzt. Diese verfärbt sich bis zu ihrem
ist durch Reduktion von Osmium-VIII-oxid mit Siedepunkt bei 225 C ins Blaue. Im Kristallgitter
einer Mischung aus Stickstoff und Wasserstoff befinden sich kantenverknüpfte OsF5-Tetramere
oder durch Schmelzen von Kaliumhexachloroos- (Alsfasser et al. 2007).
mat (K2OsCl6) mit Natriumcarbonat zugänglich Osmium-IV-fluorid (OsF4) ist entweder durch
(Brauer 1981, S. 1745; Thiele und Woditsch Reduktion von Osmium-VI-fluorid mit Wolfram-
1969). Der schwarze, in Wasser kaum lösliche hexacarbonyl (Singh 2007, S. 307), durch Fluo-
5 Einzeldarstellungen 691
rierung von Osmium mit unterschüssigem Fluor existierende schwarze, orthorhombisch aufgebaute
(Leddicotte 1961), durch Reduktion von gelöstem Hochtemperaturmodifikation (Machmer 1967) ver-
Osmium-V-fluorid (Cotton 1997, S. 5) oder durch flüchtigt sich unter Bildung gelber Dämpfe (Bauer
Umsetzung von Hexafluoroosmat [OsF6]2 mit in und Ruthart 2013).
Fluorwasserstoff gelöstem Arsen-V-fluorid zu- Man kann Osmium-IV-chlorid auf verschiede-
gänglich (Hartley 2013). Der gelbe, bei einer nen Wegen darstellen. Entweder erhitzt man
Temperatur von 230 C schmelzende Feststoff Osmium-III-chlorid (OsCl3) im Vakuum auf Tem-
wird durch Wasser schnell hydrolysiert (Haynes peraturen um ca. 500 C, wobei Disproportionie-
2015) und besitzt eine Polymerstruktur, die iso- rung eintritt (Singh 2007, S. 307):
morph zu der anderer Tetrafluoride der Platinme-
talle ist (Johnson 1977, S. 321). 2 OsCl3 ! OsCl4 þ OsCl2
Osmium-V-chlorid (OsCl5) ist ein schwarzer,
in dimeren Einheiten kristallisierender Feststoff Oder man erhitzt Osmium-VIII-oxid mit
vom Schmelzpunkt 160 C. Die Substanz ist in Thionylchlorid (I) oder Tetrachlorkohlenstoff (II,
unpolaren Lösungsmitteln schlecht, in Phosphor- MacIntyre 1992):
oxidchlorid aber gut löslich (Burns und O’Don-
nell 1979). Man gewinnt es durch Umhalogenie- (I)
OsO4 þ 4 SOCl2 ! OsCl4 þ 2 Cl2 þ 4 SO2
rung aus Osmium-VI-fluorid und Bortrichlorid
(I) oder aus Osmium-VIII-oxid, Schwefel-II-chlo- (II)
rid und Chlor (II, Denicke und Lößberg 1980): OsO4 þ 4 CCl4 ! OsCl4 þ 4 COCl2
þ 2 Cl2
(I)
2 OsF6 þ 4 BCl3 ! 2 OsCl5 þ 4 BF3 þ Cl2
Auch „einfaches“ Chlorieren von Osmium bei
(II)
2 OsO4 þ 8 SCl2 þ 5 Cl2 ! 2 OsCl5 þ 8 SOCl2 etwa 700 C ergibt das gewünschte Produkt (Ruff
und Bornemann 1910):
Osmium-IV-bromid (OsBr4) gewinnt man direkt sein, was die Verbindung für Anwendungen
durch Reaktion von Osmium mit Brom unter in der Elektronik prädestinieren würde.
Druck bei hoher Temperatur. Alternativ stehen Osmiumboride haben eine große Härte und
die Darstellung aus Osmium-IV-chlorid und somit eine sehr geringe Kompressibilität, was
Brom, ebenfalls im Autoklaven, oder das Kochen mit der hohen Elektronendichte des Osmium-
von in Ethanol gelöstem Bromwasserstoff und atoms und der starken kovalenten Bindungen zwi-
Osmium-VIII-oxid als Alternativen zur Verfü- schen Bor- und Osmiumatomen erklärt wird
gung (Cotton 1997, S. 5). Der schwarze Feststoff (Cumberland et al. 2005). Jedoch sind diese Mate-
zersetzt sich an seinem Schmelzpunkt von 350 C rialien nicht superhart wie zuvor angenommen
zu Oxidbromiden des Osmiums (Greenwood und (Hebbache et al. 2006). Die Verbindungen stellt
Earnshaw 2012, S. 1083). man durch Erhitzen einer aus Magnesiumdiborid
Das bei einer Temperatur von 340 C unzer- und Osmium-III-chlorid bestehenden Mischung
setzt schmelzende, dunkelgraue und nahezu was- bei ca. 1000 C her, entweder im Vakuum oder
serunlösliche Osmium-III-bromid (OsBr3) erhält in Inertgasatmosphäre (Cumberland et al. 2005).
man durch thermischen Abbau von Osmium-IV- Man kennt OsB, Os2B3 und OsB2, von denen
bromid bei Temperaturen von >300 C unter die ersten zwei hexagonal im Gittertyp des Rheni-
Ausschluss von Luft (Hartley 2013, S. 475). umdiborids kristallisieren. Ursprünglich bezeich-
Allerdings ist noch nicht abschließend geklärt, nete man die Kristallstruktur auch des Osmiumdi-
ob es sich entweder um OsBr3 oder aber um ein borids als hexagonal (Kempter und Fries 1961),
Oxidbromid handelt (Schäfer 1986). korrigierte dies später aber auf orthorhombisch
Pnictogenverbindungen Gängige Synthesewe- (Roof und Kempter 1962). In jüngerer Zeit konnte
ge zur Herstellung isolierbarer Osmiumnitride auch eine Modifikation mit hexagonaler Struktur
sind noch unbekannt. Lediglich Komplexe, die dargestellt werden (Xie et al. 2014).
Osmium-Kationen und nitridischen Stickstoff
enthalten, wurden bisher erhalten, so der planar- Anwendungen Der aktuelle Preis für Osmium
quadratisch strukturierte Osmium-IV-nitrido-Kom- ist sehr hoch und erfuhr während der vergangenen
plex OsN(PNP) [PNP=N(CH2CH2P(tBu)2)2], den Jahre eine ständige Steigerung. Ein nahezu aktu-
man durch Deprotonierung des Hydridokomplexes eller Preis (Juli 2018) für 1 g Osmium beläuft sich
Os(N)H(PNP)+ erhalten kann (Schendzielorz et al. auf netto ca. 1000 CHF(!). Für das in nur sehr
2016). Die Verbindung ist reaktiv, das Stickstoff- geringen Mengen produzierte Element gibt es
atom reagiert gleichermaßen mit Elektrophilen (Si- wenige technische Anwendungen. Neuerdings
Me3Br) und Nukleophilen (PMe3). stellt man aus hochreinem Osmium Schmuck her
Das halbleitende Osmiumphosphid (OsP) setzt und einzelne, mehr als 100.000 € kostende De-
man vereinzelt in Laserdioden ein. signeruhren enthalten Zifferblätter aus Osmium.
Sonstige Verbindungen Synthetisch hergestell- Darüber findet es sich in sehr geringer Menge in
tes Osmiumcarbid (OsC) kristallisiert in einer Schreibkugeln -teurer- Kugelschreiber, in elektri-
Nickelarsenid-Struktur; dies ist aber noch nicht schen Kontakten und medizinischen Implantaten
abschließend bestätigt, denn auch andere mögli- wie etwa künstlichen Herzklappen.
che Strukturen können die mechanische Stabilität
der Verbindung erklären (Tian et al. 2008). Analytik Über die – sehr gefährliche und nicht
Andere Autoren verweisen auf eine Wolframcar- eindeutige – Identifikation des Osmiums über
bid-ähnliche Struktur. den Geruch seines Tetroxids (OsO4) verläuft
Mittels Molekularstrahlen konnten dünne der nasschemische Nachweis derart, dass man
Filme von Osmiumsiliciden (OsSi2 und Os2Si3) die osmiumhaltige Substanz auf ein mit einer
erzeugt werden. Beide Verbindungen sind Halb- wässrigen Lösung von Benzidin- oder Kalium-
leiter mit Bandlücken von 1,4–1,8 eV (OsSi2) und hexacyanoferrat getränktes Filterpapier auf-
0,95 eV (Os2Si3) (Cottier et al. 2006 und dort bringt. Das in Spuren in der Probe enthaltene
zitierte Literatur). Die Bandlücke von Os2Si3 soll Osmium-VIII-oxid führt zur Verfärbung des
5 Einzeldarstellungen 693
kristallisiert (Östlin und Vitos 2011). Ferner sollte man sowohl durch Fusion zweier leichterer Kerne
es wie Osmium und Diamant eine extrem hohe als auch durch radioaktiven Zerfall noch schwe-
Stabilität gegenüber komprimierenden Kräften rerer Elemente (Oganessian et al. 1999; Ninov
haben (Cohen 1985). et al. 1999). Berechnungen zufolge ist 108 eine
Wie schon bei den benachbarten, jeweils höch- magische Ordnungszahl und 162 eine magische
sten Elementen der Nachbargruppen beobachtet, Neutronenanzahl für deformierte Kerne; diesem
erfährt hier das 7s-Orbital eine Stabilisierung Umstand könnte also 270108Hs eine relativ lange
durch relativistische Effekte, weshalb das Hs+- Halbwertszeit verdanken (Dvorak et al. 2006).
Kation bei fortlaufender Ionisierung zum Hs2+- Tatsache ist bereits, dass beim Zerfall dieses Iso-
Kation entgegen den üblichen Regeln zunächst tops nur eine sehr geringe Energie frei wird (Smo-
ein 6 d-Elektron abgeben dürfte. lańczuk 1997). Versuche an Isotopen des Nach-
Die meisten Isotope des Hassiums erleiden barelements Darmstadtium belegen zudem die
α-Zerfall, die anderen oft eine spontane Kernspal- Stabilität von Isotopen mit 162 Neutronen.
tung. Die leichtesten Isotope, die in der Regel Chemische Eigenschaften: Hassium sollte sich
kürzere Halbwertszeiten aufweisen, erzeugte im Wesentlichen wie seine niederen Analoga
696 13 Eisengruppe: Elemente der achten Nebengruppe
173
Osmium und Ruthenium verhalten, also ein reak- 76Os. Hassium-VIII-oxid erwies sich entspre-
tionsträges Platinmetall sein (Griffith 2008). Mit- chend den Gesetzmäßigkeiten der achten Neben-
tels Reaktionen in der Gasphase konnten einige gruppe als weniger flüchtig als Osmium-VIII-oxid
zuvor aufgestellte Thesen bewiesen werden (So- (Schädel und Türler 2009). Diese Reaktion war
verna et al. 2003). Ferner sollte die Oxidations- einer der maßgeblichen Beweise, dass das Ele-
stufe +8 die stabilste sein (Schädel 2003; Barnard ment Hassium in die achte Nebengruppe einzu-
und Bennett 2004), also die Existenz eines Has- ordnen ist (Düllmann et al. 2002).
sium-VIII-oxids (HsO4) ermöglichen. Außerdem 2004 setzte man Hassium-VIII-oxid mit Natri-
sagte man die Existenz aller Oxidationsstufen umhydroxid unter Bildung von Hassat-VIII um;
zwischen +6 und +2 voraus (Hoffman et al. die analoge Reaktion ist für Osmium gut beschrie-
2006; Düllmann 2008). ben. Man hofft, durch eine geplante Darstellung
Während Ruthenium-VIII-oxid in Lösung von Hassocen [Bis-cyclopentadienyl-Hassium,
noch zu Ruthenat-VI reduziert wird (Martín Hs(C5H5)2], die relativistischen Effekte des Has-
et al. 2006), verbrennt Osmium zum relativ stabi- siums besser zu verstehen, da diese bei niedriger
len, wenn auch noch stark oxidierend wirkenden Oxidationsstufe (hier: +2) deutlicher hervortreten.
Osmium-VIII-oxid, das in wässriger Lösung sta-
bil bleibt (Stellman 1998; Housecroft und Sharpe
2004). Hassium-VIII-oxid wird daher ebenfalls Literatur
eine flüchtige Verbindung sein, die in wässriger
Lösung Hassat-VIII bildet (Pershina et al. 2008). Alireza PL et al (2009) Superconductivity up to 29 K in
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Cobaltgruppe: Elemente der neunten
Nebengruppe 14
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 703
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_14
704 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
Meitnerium kommt nicht in der Natur vor Rhodium und Iridium bilden zusammen mit
und ist nur auf künstlichem Wege durch Kern- Cobalt und den sehr kurzlebigen Isotopen des
fusion zugänglich. radioaktiven Meitneriums diese neunte Neben-
gruppe des Periodensystems.
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Na-
trium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie
1 Einleitung Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei-
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die
Die Elemente der neunten Nebengruppe (Cobalt, meisten Elemente können sich untereinander ver-
Rhodium, Iridium und Meitnerium) sind in ihren binden und bilden chemische Verbindungen; so
physikalischen und chemischen Eigenschaften wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische
relativ ähnlich. Auch bei Rhodium und Iridium Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz.
sieht man noch die Auswirkung der Lanthano- Einschließlich der natürlich vorkommenden
idenkontraktion. Die physikalischen Eigenschaf- sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
ten dieser zwei Elemente unterscheiden sich erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perio-
jedoch schon merklich, nicht aber die chemi- densystem der Elemente 118 Elemente auf
schen. Die Eigenschaften des Cobalts dagegen (Abb. 1).
weichen von denen der zwei „edlen“ Platinme- Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier
talle Rhodium und Iridium deutlich ab, so zeigt Vertreter der Gruppe der Elemente der neunten
Cobalt ein negatives Normalpotenzial sowie Nebengruppe enthalten dabei alle wichtigen In-
niedrigere Dichten, Schmelz- und Siedepunkte. formationen über das jeweilige Element, sodass
Die Elemente dieser Gruppe könnten theoretisch ich hier nur eine sehr kurze Einleitung voran-
maximal neun äußere Valenzelektronen (je zwei gestellt habe.
s- und sieben d-Elektronen) abgeben, um eine
stabile Elektronenkonfiguration zu erreichen.
Bei Cobalt ist aber die Oxidationsstufe +2 die 2 Vorkommen
stabilste, bei Rhodium +3 und bei Iridium +4,
wenn man bei den beiden letzteren überhaupt Cobalt ist im Unterschied zum häufig vorkom-
von stabilen Verbindungen sprechen kann. menden Nachbarn im Periodensystem, Eisen
(Kürzlich konnte man die Existenz eines Kom- (47000 ppm der Erdhülle!) mit einer Konzen-
plexes nachweisen, in dem Iridium mit der Oxi- tration von gerade einmal 37 ppm selten. Rho-
dationszahl +9(!) auftritt.) Die Exergonie (bzw. dium und Iridium haben mit Anteilen an der Erd-
Exothermie) für Bildungsreaktionen von Rho- kruste von 0,001 ppm (!) schon fast den Status
dium- und Iridiumverbindungen aus den Ele- von Spurenelementen und gehören zu den seltens-
menten ist nur selten negativ und dann niedrig; ten nicht-radioaktiven Elementen. Meitnerium ist
oft ist auch eine hohe Aktivierungsenergie auf- nur durch künstliche Kernreaktionen und auch
zuwenden. dann nur in Mengen weniger Atome zugänglich
Für das höchste Element dieser Nebengruppe, (s. Abb. 1).
das Meitnerium, führte man bisher so gut wie
keine chemischen Untersuchungen durch. Es ist
zu erwarten, dass es sich chemisch ähnlich wie 3 Herstellung
Iridium verhält.
Die Entdeckung des Cobalts erfolgte 1735, Cobalt ist ein Nebenprodukt des Röstprozesses
die des Rhodiums und Iridiums Anfang des 19. von Kupfer- und Nickelerzen, bei dem es als Oxid
Jahrhunderts. Atome des Meitneriums wurden anfällt. Jenes wird dann durch Erhitzen mit Kohle
erstmals 1982 erzeugt. Sie finden alle Elemente zum Metall reduziert. Rhodium und Iridium müs-
des Periodensystems in Gruppe 9 (VIII B) sen erst aufwändig von unedlen Begleit- so-
(s. Abb. 1). wie anderen Platinmetallen abgetrennt werden,
4 Eigenschaften 705
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
wonach sie schließlich in ihre höheren Chloro- Schrägbeziehung auf, also leitet Cobalt hinsicht-
komplexe überführt werden. Jene reduziert man lich seiner Eigenschaften nicht zum Palladium
dann mit Wasserstoffgas zum jeweiligen reinen über.
Metall.
5 Einzeldarstellungen
Bergman führte erstmals die Unterscheidung
Im folgenden Teil sind die Elemente der Cobalt- zwischen organischen und anorganischen Stof-
gruppe (9. Nebengruppe) jeweils einzeln mit ihren fen in die Chemie ein und war einer der ersten
wichtigen Eigenschaften, Herstellungsverfahren analytisch arbeitenden Chemiker. Ihm zu Ehren
und Anwendungen beschrieben. benannte man das Uranmineral Torbernit und
den Mondkrater Bergman (Hofberg et al. 1906;
Moström 1957; Smeaton 1970; Schufle 1985).
5.1 Cobalt
Vorkommen Im Gegensatz zu Eisen ist Cobalt
Geschichte Verbindungen des Cobalts kennt man mit einem Anteil an der Erdkruste von ca. 40 ppm
schon lange; eine Verwendung war beispiels- selten, darin tritt es nur in Form seiner Verbindun-
weise die Blaufärbung von Glas und Keramik. gen auf. Elementar kommt es in geringer Menge
Der Name leitet sich vom Wort „Kobold“ ab, da in Meteoriten und im Erdkern vor. Cobalt ist
man glaubte, Geister hätten die nach wertvollen Begleiter vieler Minerale des Nickels, Kupfers,
Metallen aussehenden, aber schlecht verarbeit- Eisens, Silbers und Urans, aber eben nur in nied-
baren und nach der Verhüttung kein Edelmetall rigen Konzentrationen. In ähnlicher Weise ist
liefernden Cobalterze verzaubert. (Eine ähnli- Cobalt in vielen Mineralen vertreten. Zu den wich-
che Stigmatisierung wurde Nickel und Wolfram tigsten Cobalterzen gehören Cobaltit (CoAsS),
zuteil.) Die erstmalige Darstellung des Cobaltme- Linneit und Siegenit (früher fälschlicherweise
talls gelang Brandt 1735, dessen Ergebnisse spä- Cobaltnickelkies genannt (Co,Ni)3S4), Skutterudit
ter durch Bergman bestätigt wurden. (Speiskobalt, Smaltin, CoAs3) und Heterogenit
(CoOOH). In sulfidischen Erzen liegt der Cobalt-
gehalt nur bei etwa 0,2 %.
Der schwedische Chemiker Georg Brandt Liegen die weltweiten Reserven an Cobalt
(* 26. Juni 1694 Skinnskatteberg; † 29. April Schätzungen zufolge bei ca. 25 Mio. t (Shedd
1768 Stockholm) entdeckte 1735 Cobalt in Bis- 2015), so beträgt die aktuelle jährliche Produktion
muterzen und erkannte als Erster seine elementare knapp 120.000 t. Etwa die Hälfte dieser Menge
Natur. Er war ab 1727 Leiter des chemischen stammt aus der Demokratischen Republik Kongo,
Labors des Bergskollegiums in Stockholm und wogegen Australien, China, Sambia, Kanada und
von 1730 Leiter der Königlichen Münze. Brandt Russland jeweils nur rund 5 %, also etwa 6000 t,
erforschte hauptsächlich die Elemente Arsen, An-
beisteuern.
timon, Bismut, Zink und Quecksilber. Er ver-
öffentlichte Schriften über Methoden zur Herstel-
Gewinnung Cobalt erzeugt man meist als
lung starker Mineralsäuren.
Nebenprodukt der Gewinnung von Kupfer und
Der ebenfalls schwedische Chemiker und
Nickel. Ein erstes Rösten des Erzes wandelt das
Mineraloge Torbern Olof Bergman (* 20. März
1735 Låstad; † 8. Juli 1784 Motala) studierte zu- im Erz ebenfalls enthaltene Eisensulfid in Eisen-
nächst an der Universität Uppsala. Dort war er von oxide um, die man durch Zugabe von Siliciumdi-
1758 an Dozent für Physik, ab 1767 Professor für oxid (Quarzsand) zu Eisensilikatschlacke umsetzt.
Chemie und publizierte einige wichtige Schriften Der Rückstand, auch Rohstein genannt, enthält
(Bergman 1766, 1775 und 1781). In den Jahren Cobalt, Nickel, Kupfer und restliches Eisen in
1771 und 1779 fungierte er als Rektor der Univer- Form ihrer Sulfide oder Arsenide.
sität. Mitglied der Königlich Schwedischen Aka- Ein nachfolgender Röstprozess, unter Beigabe
demie der Wissenschaften wurde er 1764, ein Jahr von Natriumcarbonat und -nitrat, oxidiert haupt-
später Fellow der Royal Society in London und sächlich Sulfid zu Sulfat und Arsen zu Arsenat;
1778 Mitglied der Göttinger Akademie der Wis- diese Oxoanionen laugt man durch Zugabe
senschaften. von Wasser aus. Die Oxide der oben genannten
Metalle bleiben zurück und werden mit starker
5 Einzeldarstellungen 707
Mineralsäure (Salz- oder Schwefelsäure) behan- Auf dem Höhepunkt der Entwicklung von
delt. Kupferoxid löst sich in diesen nicht und wird Kernwaffen diskutierte man den möglichen Ein-
daher von den anderen Metallen, deren Oxide satz des Isotops 6027Co als Wirkverstärker. Mit
in diesen Säuren löslich sind, abgetrennt. Die Cobalt ummantelte Sprengkörper sollten im
Zugabe von Chlorkalk fällt selektiv Cobalt in Moment der große Mengen an Neutronen freiset-
Form seines Hydroxids aus, das man anschließend zenden Kernexplosion große Mengen des hoch-
erhitzt, wobei sich Cobalt-II,III-oxid (Co3O4) aktiven γ-Strahlers bilden. Nie aber darf radioak-
bildet. Jenes reduziert man dann mit Koks oder tives Cobalt zum Zweck der Herstellung rostfreier
Aluminiumpulver zu metallischem Cobalt. Stähle mit nichtaktivem verschmolzen werden,
wie es in den 1980er-Jahren auf Taiwan geschah
Eigenschaften (Nuclear Regulation Agency 1984).
Physikalische Eigenschaften: Das stahlgraue, Chemische Eigenschaften: Hinsichtlich seines
sehr harte und zähe Schwermetall besitzt eine chemischen Verhalten ähnelt es mehr dem Nickel
gegenüber Eisen nochmals höhere Dichte von als dem Eisen; verglichen mit letzterem ist es an
8,89 g/cm3 (Holleman et al. 2007, S. 1682, der Luft durch Bildung einer schützenden Passiv-
s. auch Tab. 1). Cobalt ist ferromagnetisch mit schicht beständig. Trotz seines unedlen Charak-
einer Curie-Temperatur von 1150 C. Das Metall ters wird es nur von oxidierenden Säuren (kon-
tritt in Form zweier Modifikationen, α-Cobalt zentrierte Salpeter- und Schwefelsäure) gelöst. In
und β-Cobalt, auf. Unterhalb einer Temperatur den meisten seiner Verbindungen tritt es in den
von 400 C ist das α-Cobalt stabiler, das Oxidationszahlen +2 und +3 auf, wobei in Salzen
hexagonal-dichtest kristallisiert. Wird es weiter +2, in vielen Komplexen aber +3 die beständigere
erhitzt, so bildet sich die β-Form mit kubisch- Form ist. Es gibt aber Verbindungen, in denen
flächenzentrierter Struktur. Cobalt leitet Strom Cobalt alle Oxidationszahlen von 1 bis +5 ein-
und Wärme gut. nimmt.
Cobalt ist ein Reinelement, da es in der Natur
ausschließlich in Form des Isotops 5927Co vor- Verbindungen
kommt. Man kennt inzwischen insgesamt 28 Iso- Chalkogenverbindungen Cobalt-II-oxid (CoO) ist
tope und 10 weitere Kernisomere mit Massenzah- ein gelbes bis olivgrünes (s. Abb. 2), wasserun-
len von 4727Co bis 7427Co. Von den radioaktiven lösliches Pulver mit der Dichte 5,7 g/cm3 und
Isotopen ist das längstlebige auch das technisch einem Schmelzpunkt von 1935 C. Es kristalli-
wichtigste: 6027Co („Cobalt 60“), ein β-Strahler siert mit kubischer Struktur und ist unterhalb einer
mit einer Halbwertszeit von 5,24 a. Dessen erstes Temperatur von 16 C antiferromagnetisch (Si-
Zerfallsprodukt ist das Nickelisotop 6028Ni, das linsky und Seehra 1981). Die Verbindung wird
dabei in Form eines doppelt angeregten Zustandes in trockenem Zustand beim Erhitzen an der Luft
anfällt. Unter Emission von γ-Strahlung zweier zu Cobalt-II, III-oxid oxidiert, wogegen sie in
unterschiedlicher Energien (1,17 bzw. 1,33 MeV) feuchter Luft schon bei Raumtemperatur in
geht 6028Ni in seinen Grundzustand über. Deshalb Cobalt-III-oxidhydroxid [Co(O)OH] übergeht.
verwendet man 6027Co als γ-Strahler zur Sterilisie- Cobalt-II-oxid wird selbst gebildet durch Erhitzen
rung oder Konservierung von Lebensmitteln, zur metallischen Cobalts an der Luft oder durch Glü-
Untersuchung von Material (Durchleuchtung) und hen von Cobalt-II-nitrat, -II-hydroxid oder -II-car-
in der Krebstherapie. Der Einsatz anderer Isotope bonat unter Luftausschluss. Eine technische Ver-
wie 5727Co oder 5827Co als Tracer wird in der wendung ist die als Ausgangsstoff zur Herstellung
Medizin ebenfalls praktiziert. von Pigmenten in der keramischen Industrie (Thé-
Das in größeren Mengen benötigte 6027Co nards Blau).
erhält man nur durch Bestrahlen von 5927Co mit Das schwarze (s. Abb. 3), bei ca. 900 C unter
Neutronen in Kernreaktoren. Kleinere Mengen Abgabe von Sauerstoff schmelzende Cobalt-II,
fallen als eines der Produkte der spontanen Kern- III-oxid (Co3O4) entsteht beim Erhitzen von
spaltung schwerer Nuklide, wie etwa 25298Cf, an. Cobalt-II-oxid an der Luft auf Temperaturen
708 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
oberhalb von 400 C (Holleman et al. 2007, und die Co3+-Ionen in der Hälfte der oktaedri-
S. 1682–1687). Die Kristallstruktur ist die eines schen Lücken befinden (D’Ans und Lax 1997,
Spinells, worin sich innerhalb einer kubisch- S. 388).
dichtesten Packung von Oxidionen (O2) die Kohle oder reaktive Metallpulver (Magnesi-
Co2+-Ionen in einem Achtel der tetraedrischen um, Aluminium) reduzieren Cobalt-II,III-oxid zu
5 Einzeldarstellungen 709
Die Eignung verschiedener Cobaltnitride (Co2N, Cobalttriantimonid (CoSb3) wurde eine Struktur
Co3N und Co4N) als Elektrokatalysator der ähnlich zu der des Skutterudits berechnet, jedoch
Sauerstoffentwicklung in Metall-Luft-Batterien kann schon eine geringfügige Abwandlung der
oder Brennstoffzellen prüften Wu et al. in alka- Gittergeometrie merkliche Änderungen der Band-
lischer Lösung. Schon der einfache metallische lücke zur Folge haben, die für die Reinsubstanz
Tetracobaltmononitrid-Katalysator (Co4N) war mit durchschnittlich ca. 2 eV berechnet wurde
mit einer stabilen Stromdichte von 10 mA/cm2, (Hammerschmidt et al. 2013).
bei einer zugleich kleinen Überspannung von Sonstige Verbindungen Das graue, metallische,
330 mV, mit einem Gefälle der Tafel-Geraden mit orthorhombischer Struktur kristallisierende
von 58 mV/dec den meisten aktuell bekannten Dicobaltcarbid (Co2C) hat eine Dichte von
nicht-modifizierten Metalloxid-Elektrokatalysa- 7,74 g/cm3 und ist durch Überleiten von Kohlen-
toren überlegen (2016). monoxid über erhitztes Cobalt bei Temperaturen
Poröse Nanodrähtchen aus Cobaltnitriden um 220 C darstellbar (Brauer 1981, S. 1674).
(Länge 7 μm, Durchmesser 135 nm auf Kohlen- Intermediär entsteht es im Verlauf der Fischer-
stoff-Träger) sind als edelmetallfreie Verbin- Tropsch-Synthese bei Verwendung cobalthaltiger
dungen relativ preisgünstige, hoch wirksame Katalysatoren und beeinflusst auch den weiteren
bifunktionelle Katalysatoren für die vollständige Ablauf der Reaktion hinsichtlich Art und Aus-
Spaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff beute der Endprodukte (Davis und Occelli 2010,
(Wu et al. 2016). Bei der gewählten Stromdichte S. 67; Xiong et al. 2005). Dicobaltcarbid zerfällt
von 10 mA/cm2 betrugen die Überspannungen bei weiterem Erhitzen auf Temperaturen von
97 mV für die Entwicklung von Wasserstoff und 260 bis 310 C wieder. Einwirkung von Wasser-
251 mV für die des Sauerstoffs. Die Zellspannung stoff, Stickstoff oder Kohlendioxid bei erhöhter
blieb mit ca. 1,59 V über 37 h hinweg stabil. Temperatur bewirken eine Änderung der Kristall-
Hiermit erwiesen sie sich hinsichtlich des Preis-/ struktur nach hexagonal. In der orthorhombischen
Leistungsverhältnisses wirksamer als das eben- Struktur ist jedes Kohlenstoffatom oktaedrisch
falls getestete Platin bzw. Iridium-IV-oxid (Chen von sechs Cobaltatomen umgeben und jedes Co-
et al. 2018). baltatom trigonal-planar von drei Kohlenstoffato-
Das graue Dicobaltphosphid (Co2P) hat eine men (Zhao et al. 2012).
Dichte von 6,4 g/cm3 und schmilzt bei 1386 C. Tricobaltcarbid (Co3C) ist ausschließlich
Man erhält es durch Umsetzung eines stöchiome- bei Temperaturen von 500 bis 800 C stabil,
trischen Gemisches von Cobalt mit rotem Phos- hat eine Dichte von 8,4 g/cm3 und kristallisiert
phor im Temperaturbereich 650–700 C (Brauer isotyp zu Trieisencarbid (Zementit) (Brauer
1981, S. 1634). Die orthorhombisch kristallisie- 1981, S. 1674).
rende Verbindung ist in Wasser nicht löslich und Polykristallines, bei 1325 C schmelzendes
wird darin überraschenderweise auch kaum hy- Cobaltdisilicid (CoSi2) hat in kompakter Form
drolytisch angegriffen, löst sich aber in Salpeter- einen niedrigen elektrischen Widerstand und wird
säure (Nowotny 1947). in Schaltkreisen eingesetzt. Obwohl die Sinterung
Cobalttriarsenid (CaAs3) kommt natürlich in des Materials erst bei ca. 600 C einsetzt, bleiben
Form des Minerals Skutterudit vor und ist syn- noch Nachteile wie Verbackung und Leckströme
thetisch durch Erhitzen einer pulverförmigen bestehen (Vaydia et al. 1985; Ting et al. 1986).
Mischung von Cobalt und Arsen im stöchiometri- Aus epitaktischen CoSi2-Kristallen bestehende
schen Verhältnis darstellbar. Die halbleitende Ver- Filme können das Problem verringern (Shim
bindung hat die Dichte 6,84 g/cm3, schmilzt bei et al. 1997), jedoch entsteht bei der Grenzflächen-
942 C und kristallisiert kubisch-disdodekaedrisch reaktion zwischen Cobalt und Silicium wieder ein
(Mandel und Donohue 1971; Warner 2012, S. 187; gut leitfähiges Lochgitter im als Substrat dienen-
Schröcke und Weiner 1981, S. 278). den Silicium. Weitgehende Abhilfe schafft hier
Für das ebenfalls halbleitende, silbergraue, bei nur der Einsatz einkristallinen Cobaltdisilicids,
Temperaturen oberhalb von 400 C schmelzende das in der Fluoritstruktur kristallisiert, die nur ge-
714 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
ringfügig von der des reinen Siliciums abweicht Reduktion von Nitrilen, worin es sogar Raney-
(He et al. 2004). Cobalt übertrifft (Barnett 1969).
Die Temperaturgrenze, oberhalb derer die Ver- Das in wasserfreiem Zustand violette (s. Abb.
bindung mit Silicium-IV-oxid reagiert, ist mit 14b), als Heptahydrat hellviolette bis karminrote
>1000 C deutlich höher als die des Titandisili- Cobalt-II-sulfat (CoSO4) (s. Abb. 14a) bildet je
cids (700 C), außerdem ist die Widerstandsfähig- nach Hydratisierungsgrad verschiedene Kristall-
keit gegenüber Flusssäure besser. strukturen aus (Dunitz und Pauling 1965). Die
Cobaltmonosilicid (CoSi) kristallisiert kubisch Verbindung ist durch Auflösen von Cobalt oder
und Dicobaltmonosilicid (Co2Si) im orthorhombi- Cobalt-II-oxid in Schwefelsäure darstellbar. Man
schen Blei-II-chlorid-Typ (Zeng et al. 2010). setzt es unter anderem zur Herstellung von
Diese beiden Silicide sind nicht besonders stabil, Glasuren, in der Porzellanmalerei, als Toner im
sintern bei wesentlich niedrigeren Temperaturen Fotodruck und in galvanischen Bädern ein.
und werden daher technisch auch nicht eingesetzt. In den 1960er-Jahren gaben es nordamerikani-
Die beiden wichtigsten Cobaltboride sind CoB sche Brauereien, unter Einhaltung der damals
und Co2B. Erstgenanntes schmilzt bei 1460 C, ist gesetzlich zulässigen Konzentrationsgrenzen, dem
ein dunkelgraues Pulver (s. Abb. 13a) der Dichte Bier zum Stabilisieren des Schaums zu. Die kurz
7,25 g/cm3 und wird bei ca. 1500 C durch Sintern darauf publizierten ca. 120 Fälle schwerer Schä-
bzw. Schmelzen einer pulverförmigen Mischung digungen des Herzmuskels und der Leber, die
aus Cobalt und Bor unter Inertgas hergestellt. fast zur Hälfte tödlich verliefen, führten nahezu
Durch Plasmaschmelzen kann man Nanokristalle augenblicklich zur Einstellung dieses Brauver-
erzeugen (Choi et al. 2014). Benötigt man die Ver- fahrens. Cobalt-II-sulfat ist nicht nur giftig, son-
bindung als Katalysator, so setzt man ein Cobalt-II- dern auch als krebserregend eingestuft (Thomas
salz mit Natriumborhydrid um (Nishimura 2001, 1996).
S. 25 und 263; Wu et al. 2015). Die Verbindungen Cobalt-II-nitrat [Co(NO3)2] ist sehr gut löslich
sind sehr beständig gegenüber Oxidation, so setzt in Wasser (1330 g/L bei 0 C) und wird durch
man Cobaltboride als dünne Beschichtung von Me- Lösen von Cobalt, Cobalt-II-oxid oder -II-carbo-
talloberflächen ein, die so deren Verschleiß verrin- nat in verdünnter Salpetersäure hergestellt. Das
gern. Ein Einsatzgebiet ist der Korrosionsschutz braunrote Hexahydrat (s. Abb. 15) kristallisiert
metallischer Bauteile von Dosiersystemen für Medi- monoklin, daneben existieren weitere hydrati-
kamente (Yoon et al. 2012). sierte Formen (Ribár et al. 1976). In der anorga-
Ebenso befindet es sich in Versuchen, um seine nischen Analyse schmilzt man es mit dem zu
Eignung zur Speicherung von Wasserstoff zu tes- analysierenden Gemisch auf der Magnesiarinne;
ten, bevorzugt in Brennstoffzellen, da es ein wirk- in der Probe vorhandenes Zink bildet Rinmans
samer Katalysator für Hydrierungen ist. Cobaltbo- Grün („ZnCo2O4“) und Aluminium Thénards
rid gilt als der selektivste übergangsmetallhaltige Blau (Al2CoO4). Zudem findet es zur Produktion
Katalysator zur Herstellung primärer Amine durch von Buntpigmenten und zur Färbung keramischer
Materialien Verwendung. Cobalt-II-nitrat ist eben- Cobalt-II-carbonat (CoCO3) stellt man durch
falls krebserregend und erbgutverändernd. Umsetzung einer wässrigen Lösung von Natrium-
Das stark oxidierend wirkende, grüne, hygro- carbonat mit der wässrigen Lösung eines Cobalt-
skopische Cobalt-III-nitrat [Co(NO3)3] ist durch II-salzes her, wobei meist das basische Salz aus-
Umsetzung von Cobalt-III-fluorid (CoF3) mit fällt (Remy 1961). In der Natur kommt es in Form
Stickstoff-V-oxid (N2O5) bei Temperaturen um des Minerals Sphärocobaltit vor. In getrocknetem
70 C zugänglich (Brauer 1981, S. 1674). Es Zustand liegt ein rosafarbenes Pulver (s. Abb. 17)
reagiert mit Wasser unter Entwicklung von Sau- der Dichte 4,13 g/cm3 vor, die als Katalysa-
erstoff und oxidiert brennbare organische Verbin- tor und Pigment verwendet wird und auch in
dungen heftig, manchmal auch explosionsartig. In blauen Emailglasuren enthalten ist.
Tetrachlorkohlenstoff ist es einigermaßen unzer- Das tiefblaue Cobalt-II-acetylacetonat (s. Abb. 18)
setzt löslich. wird als Katalysator sowie als Ausgangsmaterial
Cobalt-II-phosphat [Co3(PO4)2] ist als violet- zur Herstellung organischer Cobalt-II-Komplexe
tes Farbpigment im Handel (Müller et al. 2002). eingesetzt.
Dünne Filme des Materials dienen als Katalysa- Dicobaltoctacarbonyl [Co2(CO)8] wird durch
toren zur Gewinnung von Sauerstoff aus Wasser Reaktion von Cobalt-II-salzen unter hohem Koh-
(Kanan et al. 2009). Das ebenfalls violette Tetra- lenmonoxid-Druck, oft bei Gegenwart katalytisch
hydrat (s. Abb. 16) fällt als Feststoff aus der wirksamer Mengen an Cyanid, hergestellt (Brauer
wässrigen Phase aus, wenn die wässrige Lösung 1981, S. 1833):
eines Cobalt-II-salzes mit der eines Orthophos-
phats vermischt wird. Durch Erhitzen erhält man 2 CoCO3 þ 8 CO þ 2 H2
das wasserfreie Salz. Im Kristallgitter liegen die ! Co2 ðCOÞ8 þ 2 H2 O þ 2 CO2
Cobaltionen sowohl hexa- als auch pentakoordi-
niert vor (Anderson et al. 1975; Nord und Stefa- Der orangefarbene, bei Vorliegen größerer
nidis 1983). Kristalle dunkelrote Feststoff (s. Abb. 19b) der
716 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
Abb. 19 a O O O
C O
a Dicobaltoctacarbonyl, C C C
miteinander im O
Gleichgewicht stehende
OC C CO
Isomere (Smokefoot 2007). OC Co Co CO Co Co
b Dicobaltoctacarbonyl, mit
C C
n-Hexan angefeuchtet O O
C C C C
(Onyxmet 2018) O O C O O
O
Dichte 1,78 g/cm3 schmilzt bei 52 C unter Zer- mit wasserfreiem Cobalt-II-chlorid in absolutem
setzung und wird üblicherweise unter n-Hexan Tetrahydrofuran darstellen.
aufbewahrt, da er bei Zutritt von Luftsauerstoff
langsam Zersetzung unter Abspaltung von Koh- Anwendungen Cobalt und seine Verbindungen
lenmonoxid erleidet. Die Verbindung ist toxisch finden seit langem Anwendung in hitzebeständigen
und brennbar (Pohanish 2008, S. 697). Pigmenten sowie zur Bemalung von Porzellan und
Im festen Zustand liegt Dicobaltoctacarbonyl Keramik. Gläser werden mit Thénards Blau ge-
in Form zweier Mesomere vor. Die Struktur färbt. Cobalt erhöht als Legierungsbestandteil von
des ersten zeigt zwei miteinander verbundene, Stählen deren Verschleiß- und Hitzefestigkeit und
trigonal-bipyramidal koordinierte Cobaltatome, wird ebenfalls in Sinter- und Diamantwerkstoffen
die des anderen einen durch zwei Carbonylligan- eingesetzt. Seine magnetischen Eigenschaften be-
den verbrückten Komplex, wobei letztgenannte dingen die Anwendung in Datenträgern. Cobalt-
Struktur stabiler ist (Sumner et al. 1964; Elschen- verbindungen dienen bei organischen Synthesen
broich 2008, S. 633, s. Abb. 19a). oft als Katalysatoren und beschleunigen darüber
Man setzt Dicobaltoctacarbonyl in der Pauson- hinaus das Abbinden (Trocknen) von Farben und
Khand-Reaktion zur Synthese von Cyclopenteno- Lacken. Der Lithium-Cobaltoxid-Akkumulator ent-
nen ein. Dabei koppelt ein durch Abspaltung hält genanntes Material als Kathode, Grafit als
zweier Carbonyliganden entstandener Cobaltkom- Anode und aprotische Lösungsmittel als Elektro-
plex an das als Edukt eingesetzte Alkin. Wird lyt. Er wird auch heute noch in vielen Geräten des
Dicobaltoctacarbonyl hydriert, so bildet sich der täglichen Gebrauchs verwendet.
Komplex [CoH(CO)4], der wiederum als Kata-
lysator bei der Hydroformylierung dient. Physiologie, Toxizität Empfohlen wird eine täg-
Das kristalline, schwarze Cobaltocen [Co(C5H5)2] liche Aufnahme von 0,1 μg Cobalt als Spuren-
schmilzt oberhalb von 176 C. Es ist sehr element für einen Erwachsenen. Enthalten ist
empfindlich gegenüber Luftsauerstoff und muss Cobalt im essenziellen Vitamin B 12 (Cobalamin)
unter Inertgas gehandhabt werden. Es ist gut in (Hausmann 1955; Ekmekcioglu und Marktl
Kohlenwasserstoffen wie n-Hexan oder Toluol 2006). Ein Mangel an diesem Vitamin kann zu
löslich (Fischer und Jira 1953; Greenwood und Anämie führen (Löscher et al. 2006), aber es gibt
Earnshaw 1988, S. 1463). Man kann es leicht genügend Vitamin-B 12-haltige Vitaminpräparate
durch Umsetzung von Cyclopentadienylnatrium im Handel. Nutztieren wie Kühen werden
5 Einzeldarstellungen 717
relativ reines Rhodiummetall. Die Namensge- findet man sehr selten auch Rhodiumminerale
bung erfolgte nach der rosenroten Farbe vieler wie Bowieit, Genkinit oder Miassit, die für eine
Verbindungen des Rhodiums. technische Produktion aber ohne Bedeutung sind.
Meist tritt Rhodium als Begleiter sulfidischer
Nickel-Kupfer-Erze auf, die meist in Sibirien,
Südafrika und Kanada abgebaut werden, oder
Der englische Arzt und Naturwissen- aber in lateinamerikanischen Edelmetalllagerstät-
schaftler William Hyde Wollaston (* 6. ten.
August 1766 East Dereham; † 22. Dezem-
ber 1828 London) promovierte 1793 an der
Gewinnung Die Gewinnung reinen Rhodiums
Universität Cambridge im Fach Medizin. Er
ist wie die der anderen Platinmetalle kosten- und
gab im Jahr 1800 seine Tätigkeit als Arzt
zeitaufwendig. Generell bedingt die chemische
aber auf und widmete sich der Optik und
Ähnlichkeit und die Reaktionsträgheit der Platin-
Chemie. Als Erster entdeckte er Spektralli-
metalle schon eine schwierige Trennung unter
nien im Licht der Sonne. (Fraunhofer war
hiermit erst über zehn Jahre später erfolg- sich, gar nicht zu reden von anderen Begleitmetal-
reich, jedoch veröffentlichte dieser im len, die im Zuge des Verfahrens der Reindarstel-
Gegensatz zu Wollaston die Ergebnisse lung ebenfalls abgetrennt werden müssen. Der bei
auch, weshalb die Absorptionslinien im der technischen Herstellung von Kupfer oder
Sonnenspektrum Fraunhofersche Linien Nickel anfallende Anodenschlamm ist in der
genannt werden.) Regel der Ausgangsstoff zur Gewinnung von
Wollaston konstruierte das erste Re- Rhodium. Diesen Schlamm behandelt man mit
fraktometer und trieb die Entwicklung eines Königswasser, wodurch Gold, Platin und Palla-
Verfahrens zum Aufschluss von Platinerzen dium gelöst werden, aber Ruthenium, Osmium,
voran, in dessen Verlauf er 1803 die neuen Rhodium und Iridium sowie Silber als Silberchlo-
chemischen Elemente Palladium und Rho- rid ungelöst bleiben. Das Silberchlorid überführt
dium entdeckte (Wollaston 1804, 1805). man durch Erhitzen mit Bleicarbonat und Salpe-
1810 fand er die Aminosäure Cystin. Von tersäure in leicht wasserlösliches Silbernitrat und
1804 bis 1816 war er Sekretär der Royal kann Silber so abtrennen.
Society und erhielt 1828 deren Royal Me- Den verbleibenden Rückstand schmilzt man
dal. Ausländische Mitgliedschaften umfass- mit Natriumhydrogensulfat, wodurch sich nur
ten die in der Bayerischen Akademie der Rhodium in Form seines Sulfats [Rh2(SO4)3] löst.
Wissenschaften (1820) und die in der Ame- Jenes wird mit Wasser ausgelaugt.
rican Academy of Arts and Sciences (1822) Zugabe von Natronlauge fällt Rhodium-III-hy-
(Hartog 1900). Nach Wollaston sind unter
droxid [Rh(OH)3], das danach mit Salzsäure aufge-
anderem das Mineral Wollastonit und der
nommen wird. Zum in Lösung befindlichen Rho-
Mondkrater Wollaston benannt. Die Geolo-
dium-III-chlorid (RhCl3) gibt man anschließend
gical Society of London vergibt in jedem
Natriumnitrit und Ammoniumchlorid zu, was zur
Jahr die Wollaston-Medaille für herausra-
Fällung des Rhodiums als Nitritokomplex
gende Leistungen.
[(NH4)3Rh(NO2)6] führt. Diesen trennt man ab und
digeriert ihn mit Salzsäure, wobei sich lösliches Am-
Vorkommen Rhodium gehört zusammen mit moniumhexachlororhodat-III [(NH4)3RhCl6] bildet.
Rhenium, Ruthenium und Iridium zu den seltens- Dessen Lösung dampft man ein und leitet Wasser-
ten nicht radioaktiven Elementen in der kontinen- stoff über das erhitzte Salz; dabei wird das che-
talen Erdkruste und besitzt darin einen Anteil von misch gebundene zu elementarem Rhodium redu-
1 ppb. Das Metall kommt in der Natur elementar ziert.
(gediegen) vor, wie beispielsweise in den USA Aktuell schwankt die jährliche, weltweite Pro-
(Montana und Alaska). Meist tritt es vergesell- duktion um die 30 t Rhodium, wozu die Aufar-
schaftet mit anderen Edelmetallen auf. Zudem beitung automobiler Abgaskatalysatoren einen
5 Einzeldarstellungen 719
großen Teil beisteuert. Der eindeutig größte, aus und Natriumcarbonat kann man das Metall eben-
natürlicher Produktion gewonnene Teil stammt falls in eine chemisch gebundene, lösliche Form
aus Südafrika (etwa 75 % der gesamten Produk- überführen.
tionsmenge), mit großem Abstand folgen Russ-
land, Kanada und Zimbabwe. Vor der im zweiten Verbindungen Rhodium liegt in seinen Verbin-
Halbjahr 2008 beginnenden weltweiten Wirt- dungen in allen Oxidationsstufen von 1 bis +6
schaftskrise erreichte der Preis für eine Feinunze vor, wobei +3 am stabilsten ist. Die niedrigeren
(31 g) Rhodium die spekulative Höhe von mehr Stufen erscheinen oft in Carbonyl-, Cyano oder
als 10.000 US$, heute kostet diese Menge nach Phosphankomplexen des Rhodiums.
Durchlauf eines Tiefstandes wieder 2175 US$ Chalkogenverbindungen Man kennt insgesamt
(7. Februar 2019, Finanzen.net), ist damit aber drei Oxide des Rhodiums, Rhodium-III-oxid
trotz jüngstem Anstieg immer noch weit von sei- (Rh2O3), -IV-oxid (RhO2) und -VI-oxid (RhO3).
nem spekulativen Höchststand entfernt. Letzteres ist aber nur in der Gasphase im Tempe-
raturbereich von 850 C bis 1050 C beständig.
Eigenschaften Rhodium-III-oxid ist ein paramagnetisches,
Physikalische Eigenschaften: Rhodium ist ein sil- schwarzes (s. Abb. 20), bei Raumtemperatur
berweißes, hoch schmelzendes, hartes Edelmetall, in der Korundstruktur kristallisierendes Pulver.
das aber gleichzeitig dehnbar und durch Hämmern Diese Kristallstruktur wandelt sich aber bei
bearbeitbar ist. Sein Schmelzpunkt (1964 C, ca. 750 C in eine orthorhombische Form um
s. Tab. 2) liegt zwischen denen seiner rechten (Coey 1970). Rhodium-III-oxid schmilzt bei einer
und linken Nachbarn im Periodensystem, Temperatur von 1100 C unter Zersetzung und hat
Ruthenium (2334 C) und Palladium (1555 C), die Dichte 8,2 g/cm3. In wasserfreier Form ist es
ebenso die im Bereich von 12–13 g/cm3 liegende sowohl durch Verbrennen von Rhodiumpulver an
Dichte. der Luft, aber auch durch Umsetzung wasserfreier
Rhodium, das in einer kubisch-dichtesten Ku- Rhodium-III-salze mit Sauerstoff bei ca. 800 C
gelpackung kristallisiert, besitzt von allen Platin- erhältlich (Wold und Dwight 1993). Es ist weder
metallen die höchste Wärme- und elektrische in Wasser noch in Säuren löslich.
Leitfähigkeit. In der Natur vorkommendes Rho- Das Pentahydrat (Rh2O3 5 H2O) stellt man
dium ist ein Reinelement, das es nur das Isotop durch Zugabe von Natron- oder Kalilauge zu einer
103
45Rh enthält. Insgesamt kennt man von Rho- Natrium- oder Kaliumhexachlororhodatlösung
dium 33 Isotope sowie weitere 20 Kernisomere. her (Brauer 1981, S. 1634). Das blassgelbe Pulver
Die künstlich hergestellten, radioaktiven Isotope ist ebenfalls in Wasser kaum bzw. nicht löslich,
sind mit Halbwertszeiten von maximal einigen wohl aber in verdünnten Mineralsäuren.
Jahren kurzlebig. Das Isotop 10545Rh (Halbwerts- Rhodium-IV-oxid (RhO2) ist in wasserfreiem
zeit: ca. 36 h) setzt man als Tracer ein. Zustand schwarz, als Hydrat grün. Letzteres
Chemische Eigenschaften: Rhodium ist nach gewinnt man durch Einwirkung von Ozon auf
Iridium das reaktionsträgste Metall überhaupt. eine wässrige Lösung von Rhodium-III-sulfat
Selbst mit Sauerstoff oder Chlor reagiert es erst oder durch deren anodische Oxidation. Erhitzen
bei Temperaturen oberhalb von 600 C unter Bil- von Rhodium-III-oxid unter Druck mit über-
dung von Rhodium-III-oxid (Rh2O3) bzw. Rho- schüssigem Sauerstoff ergibt wasserfreies Rhodi-
dium-III-chlorid (RhCl3). Auch Fluor greift nur um-IV-oxid (Holleman et al. 2007, S. 1702;
erhitztes Rhodium an, dann geht die Reaktion Muller und Roy 1968). Die Verbindung kristalli-
allerdings gleich zum Rhodium-VI-fluorid (RhF6). siert tetragonal mit zwei Formeleinheiten pro Ele-
Mineralsäuren greifen das Metall nicht an, ledig- mentarzelle (Shannon 1968).
lich Königswasser – und konzentrierte Schwe- Erhitzt man Rhodium-IV-oxid auf Temperatu-
felsäure – lösen fein verteiltes Rhodiumpulver ren von ca. 850 C, so bildet sich Rhodium-VI-
langsam auf. Durch Zusammenschmelzen mit oxid (RhO3), das aber bei weiterem Erhitzen in die
Cyaniden, Kaliumdisulfat, Natriumhydrogensulfat Elemente zerfällt.
720 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
Rhodiumsulfid der Zusammensetzung Rh17S15 nur abgerundete Körner eines Durchmessers von
kommt in Form des kubisch kristallisierenden knapp 0,1 mm. Der 1981 dokumentierte Fundort
Minerals Miassit (früher auch: Prassoit) sehr sel- lag in Russland, am Fluss Miass bei Tschelja-
ten in der Natur vor. Bisher fand man von Miassit binsk; eine Beschreibung des Minerals lieferte
5 Einzeldarstellungen 721
durch andere Liganden ermöglicht asymmetrische die Ausbeute des Verfahrens (Holleman et al.
Hydrierungen (Knowles 2002). Dies nutzt man bei 2007, S. 1697).
der Synthese von L-DOPA (L-3,4-Dihydroxyphe- Rhodiummetall gelangt in immer größeren
nylalanin) aus, einer α-Aminosäure, die im Körper Mengen in Beschichtungen für Spiegel, Brillen-
nicht aus Eiweiß, sondern aus Tyrosin mithilfe des gestelle, Armbanduhren und auch Schmuck, da es
Enzyms Tyrosinhydroxylase gebildet wird. Licht stark reflektiert, chemisch unter Anwen-
Der Wilkinson-Katalysator wird auch bei der dungsbedingungen völlig stabil und auch relativ
Hydroformylierung verwendet, in deren Verlauf hart ist. Aus Silber oder auch Weißgold gefertigter
aus Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Alkenen Schmuck läuft nach einiger Zeit an; ein Überzug
Aldehyde entstehen (Elschenbroich 2008). von Rhodium verhindert dies zwar, jedoch verteu-
Einen weiteren Komplex, in dem das Rhodium- ern sich die betreffenden Schmuckgegenstände
atom ebenfalls die Oxidationszahl +1 aufweist erheblich. Rhodium bzw. seine Legierung mit
und in planar-quadratischer Koordination vorliegt Platin findet auch in Heizspiralen oder Thermo-
[cis-(Diiododicarbonyl-rhodium-I)-], setzt man seit elementen Anwendung.
Ende der 1960er-Jahre zur Produktion von Essig- Als Finanzanlage eignet sich Rhodium wie alle
säure aus Methanol nach dem Monsanto-Verfahren Edelmetalle, jedoch unterliegt sein Preis wegen der
ein. Genau genommen wird dieser Komplex unter beispielsweise im Vergleich zu Gold vielfältigen
den bei der Reaktion herrschenden Bedingungen in technischen Einsatzmöglichkeit noch stärker speku-
situ aus einem Rhodium-III-halogenid, Iod bzw. lativen Schwankungen und macht es daher nur
Iodwasserstoff und Kohlenmonoxid erzeugt. Die- bedingt geeignet für Investoren, die eine sichere
ser Herstellprozess läuft unter milderen Reaktions- Rendite erwarten. Vor allem die Nachfrage aus der
bedingungen ab als vorangegangene Verfahren Schmuckindustrie nahm in den letzten Jahren stark
(Temperatur: 150–200 C, Druck: 3–6 MPa). zu und lag bereits vor einigen Jahren bei oder sogar
über der gesamten weltweit produzierten Jahres-
Anwendungen Rhodium findet sich hauptsäch- menge von rund 25 t. Ende 2015 lag der Preis bei
lich in Katalysatoren. In solchen für Fahrzeugmo- ca. 650 US$ pro Feinunze, im Februar 2019 bei
toren beschleunigen sie die Reduktion von Stick- 2200 US$, aber vor dem Ausbruch der Wirtschafts-
oxiden zu Stickstoff, beim Ostwald-Verfahren die krise 2008 betrug er ein Vielfaches davon.
Oxidation von Ammoniak zu Stickstoffmonoxid,
um nur wenige Beispiele zu nennen. Öfters ist
Patente
Rhodium dabei mit anderen Platinmetallen le-
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
giert, jedoch hängt dies ganz von der beabsichtig-
wide.espacenet.com)
ten Syntheseführung und den Preisen für diese
Edelmetalle ab.
D. Ochiai und Y. Yamashita, Exhaust gas
Platin und Palladium würden in ihrer hypothe-
purification catalyst (Cataler Corp.,
tischen Funktion als Katalysatoren für Fahrzeug-
WO 2018198423 A1, veröffentlicht
motoren ein relativ breit gestreutes Spektrum von
1. November 2018)
Stickstoffverbindungen liefern, das von Distick-
S. Xie und K. Liu, Synthesis method of
stoffoxid (Lachgas, N2O) bis hin zu Ammoniak
rhodium platinum core-shell double-
reicht (Votsmeier et al. 2003). Die Verwendung
metal nanowire (University of Huaqiao,
von Rhodium bewirkt dagegen relativ zielsicher
CN 108705098 A, veröffentlicht 26.
die nahezu ausschließliche Bildung ungiftigen,
Oktober 2018)
neutralen Stickstoffs.
Q. Chen und J. Liao, Rhodium phosphide
Die im Ostwald-Verfahren verwendeten, aus
catalyst for preparing hydrogen special
einer Platin-Rhodium-Legierung im Mengenver-
for fuel cell and preparation method
hältnis 9:1 bestehenden Katalysatoren werden in
(Chengdu New Keli Chemical Sience
Form von Netzen eingesetzt. Ein Zusatz von Rho-
dium verbessert die Haltbarkeit der Netze sowie (Fortsetzung)
724 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
Gewinnung Iridium erhält man meist als Neben- Dichte sei. In Deutschland gilt meist Iridium als
produkt der industriellen Produktion von Nickel das dichteste Element, dagegen in der englisch-
und Kupfer, bei deren Elektroraffination sich auch sprachigen Literatur Osmium (Arblaster 1989,
Silber, verschiedene Edelmetalle, Selen und Tel- 1995).
lur als Anodenschlamm am Boden der Elektroly- Iridium ist das einzige Metall, das an der Luft
sezelle sammeln (Loferski 2016). Darauf folgen noch bei Temperaturen oberhalb von 1600 C
einige Trennungsschritte, die unter anderem das mechanisch handhabbar ist, ohne sofort zu
Schmelzen mit Natriumperoxid und nachfolgendes verbrennen. Es hat mit einer Temperatur von
Lösen des Rückstandes in Königswasser bzw. auch 4130 C den zehnthöchsten Siedepunkt aller Ele-
das Schmelzen mit Chlorid/Auflösen in konzen- mente, besitzt eine gute Leitfähigkeit für Wärme
trierter Salzsäure bei Gegenwart eines Überschus- und Strom, wird allerdings erst bei Temperaturen
ses von Chlorgas beinhalten. In einem weit fortge- unterhalb von 273,01 C, also praktisch am abso-
schrittenen Stadium des Trennprozesses fällt man luten Nullpunkt, zum Supraleiter. Darüber hinaus
Iridium entweder als Ammoniumhexachloroiridat- weist es nach Osmium das zweithöchste Elastizi-
IV [(NH4)2IrCl6], oder aber man extrahiert das tätsmodul und auch relativ hohe Werte für das
zuvor noch in Lösung befindliche Hexachloroiridat Kompressions- und Schermodul auf, was seine
mittels eines kontinuierlichen Flüssig-flüssig-Ex- außerordentliche Festigkeit bewirkt. Diese macht
traktionsverfahrens mit organischen Aminen (Gil- Iridium wiederum für alle Anwendungen interes-
christ 1943). In allen Fällen steht am Ende die sant, bei denen hohe Materialfestigkeit erforderlich
Reduktion des Hexachloroiridats mit Wasserstoff, ist, wogegen aber sein hoher Preis steht.
die das Metall als Pulver oder als Schwamm liefert Neben zwei natürlich vorkommenden, stabi-
(Ohriner 2008; Hunt und Lever 1969). len Isotopen (19177Ir und 19377Ir) existieren 34
Der Preis für Iridium veränderte sich in der radioaktive Isotope und 21 Kernisomere. Das
Vergangenheit über eine relativ große Spanne Isomer 192m77Ir geht mit der kurzen Halbwertszeit
und reagiert empfindlich auf Störungen in der von 241 a durch Umlagerung in 19277Ir über und
Produktion, Veränderung der Nachfrage, Speku- ist dabei sogar noch das stabilste (!) aller radio-
lation sowie nicht zuletzt der politischen Lage in aktiven Isotope des Elements. Jenes 19277Ir erlei-
wichtigen Förderländern (Hagelüken 2006). Der det mit der Halbwertszeit von 73,83 d -die aber
vor wenigen Jahren zu beobachtende Anstieg des noch die längste der „regulären“, also nicht-iso-
Preises auf über 1000 US$ pro Feinunze beruhte meren, radioaktiven Iridiumisotope ist(!)- β-
auf einer stark zunehmenden Produktion von Zerfall zu 192m278Pt. Alle anderen radioaktiven
Kristall-LEDs, die in Fernsehgeräte eingebaut Isotope des Elements weisen noch kürzere Halb-
werden, und in denen Iridium ebenfalls enthal- wertszeiten auf.
ten ist. Das oben genannte Isotop 19277Ir emittiert
beim Zerfall auch γ-Strahlung einer relativ hohen
Eigenschaften Energie von ca. 550 keV und findet daher als
Iridium ist ein sehr schweres, hartes, sprödes, sil- Durchstrahler bei der Prüfung von Bauteilen einer
brigweiß bis gelblich glänzendes Edelmetall. Dicke von >2 cm Verwendung (DIN EN 1435).
Gegenüber Korrosion ist es das stabilste Element. Eine für diese Meßzwecke typische, für den
Physikalische Eigenschaften: Seine Härte und Transport geeignete „Iridiumkanone“ wiegt 15
Sprödigkeit macht Iridium zu einem nur schwer bis 20 kg, ist ca. 20 cm lang, 10 cm breit und
bearbeitbaren Metall. Seine sehr hohe Dichte von 15 cm hoch, enthält das Iridium in Form einer
22,56 g/cm3 (s. Tab. 3) ist fast identisch mit der kleinen Tablette (Durchmesser: 2–3 mm) in einem
des Osmiums, so dass vereinzelt die Dichten des Halter eingeschweißt und um diese herum einen
aus einem einzigen Isotop des jeweiligen Metalls Mantel aus abgereichertem Uran zur Absorption
gewonnenen Materials zur Beantwortung der überschüssiger γ-Strahlung.
Frage herangezogen wurden, welches von beiden Chemische Eigenschaften: Iridium ist an der
Metallen denn nun dasjenige mit der höchsten Luft in kompakten Zustand völlig stabil, löst sich
726 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
weder in Mineralsäuren noch in Königswasser. Bei es erst oberhalb von 300 C, bei Chlor sind für eine
Rotglut oxidiert das kompakte Metall unvollstän- direkte Reaktion bereits 600 C aufzuwenden. In
dig zu schwarzem Iridium-IV-oxid (IrO2), das aber Chloridschmelzen wird es bei Gegenwart von
bei Temperaturen oberhalb von 1140 C wieder Chlor zu Chlorokomplexen aufgeschlossen, z. B.
zurück in die Elemente zerfällt. Mit Fluor reagiert Dinatriumhexachloroiridat-IV (Na2IrCl6).
5 Einzeldarstellungen 727
In den letzten Jahren gelang die Herstellung Iridium-III-sulfid (Ir2S3) ist ein in Wasser un-
von Iridium-VIII-oxid (IrO4) und des Peroxoiri- löslicher, schwarzer Feststoff, den man durch
dyl-Kations [(IrO4)+], der einzigen bisher beob- Erhitzen einer Mischung der Elemente bei erhöh-
achteten Verbindung, in denen ein Element mit ter Temperatur erhält. Zur Reinigung der Kristalle
der Oxidationsstufe +9 auftritt. Üblicherweise nutzt man den Transport über die Gasphase in
nimmt Iridium in seinen Verbindungen Oxidati- Gegenwart von Bromdampf. In der Kristallstruk-
onsstufen von +2, +4, seltener auch +6, ein. Ins- tur liegen oktaedrisch koordinierte Iridiumionen
gesamt kennt aber man alle Oxidationsstufen des sowie Sulfidionen mit tetraedrisch angeordneter
Elements zwischen 1 und +9 (Pyykkö und Xu Umgebung vor. Direkte Bindungen zwischen Iri-
2015). diumatomen scheinen nicht vorzuliegen (Parthé
et al. 1967).
Verbindungen Iridium-IV-sulfid (IrS2) bildet Kristalle kubi-
Chalkogenverbindungen Iridium-IV-oxid (IrO2) scher Struktur der Dichte 9,3 g/cm3, die sich beim
wird bei der Verbrennung von Iridium in reinem Erhitzen auf Temperaturen oberhalb von 300 C
Sauerstoff erzeugt; Luft reicht für eine vollständi- zersetzen. Die Verbindung ist ein Halbleiter.
ge Oxidation nicht aus. Alternativ erzeugt man es Halogenverbindungen Iridium-VI-fluorid (IrF6)
durch Verbrennen von Iridium-III-chlorid (Brauer stellt man durch direkte Umsetzung des Metalls
1981, S. 1734). Die Verbindung ist ein schwarzer, mit überschüssigem Fluor bei Temperaturen um
geruchloser Feststoff der Dichte 11,7 g/cm3, der 300 C her (Brauer 1975, S. 282). Es liegt in Form
beim Erhitzen an der Luft auf Temperaturen von gelber Blättchen bzw. Nädelchen orthorhombi-
1200 C in das allerdings nur in der Gasphase scher Struktur vor. Im Kristallgitter befinden sich
stabile Iridium-VI-oxid (IrO3) übergeht (Holle- pro Elementarzelle vier oktaedrische IrF6-Einhei-
man et al. 2007, S. 1702). Iridium-IV-oxid kris- ten (Seppelt et al. 2006). Die Verbindung besitzt die
tallisiert tetragonal in der Rutil-Struktur. Man Dichte 5,1 g/cm3 und schmilzt bzw. siedet bei
nutzt es zur Herstellung von Beschichtungen Temperaturen von 44 C bzw. 53,6 C (Lide
sowohl von Elektroden, die in der Medizintechnik 2010). Iridium-VI-fluorid ist sehr hygroskopisch,
verwendet werden, als auch von elektrochromen neigt zu heftiger Hydrolyse, ätzt Glas und korro-
Materialien. diert sogar Platin oberhalb einer Temperatur von
Iridium-VIII-oxid (IrO4) enthält Ir8+-Ionen und 400 C. Es wirkt stark oxidierend und fluoriert
wurde erstmals mittels einer bei 267 C in fes- sogar Halogene, um selbst in Iridium-IV-fluorid
tem Argon durchgeführten fotochemischen Reak- (IrF4) überzugehen.
tion dargestellt; bei höheren Temperaturen zerfällt Iridium-V-fluorid (IrF5) entsteht durch kontrol-
die Verbindung schnell (Riedel et al. 2009). lierte Zersetzung von Iridium-VI-fluorid oder des-
Vor wenigen Jahren konnte man zum ersten sen Reaktion mit Siliciumpulver oder Wasserstoff
Mal bei einem Element überhaupt die Existenz jeweils in wasserfreiem Fluorwasserstoff (Bartlett
der Oxidationsstufe +9 mittels Fotodissoziations- und Rao 1965; Paine und Asprey 1975). Es ist
spektroskopie nachweisen; entstanden war kurz- ebenfalls ein reaktiver gelber Feststoff, schmilzt
zeitig das Peroxoiridyl-Kation ([IrO4]+) (Zhou bei 105 C und enthält vier Formeleinheiten pro
et al. 2014). Hierzu setzte Zhous Gruppe ein in Elementarzelle (Ir4F20), in denen die Iridiumato-
einer Argon/Sauerstoff-Atmosphäre befindliches me oktaedrisch koordiniert sind.
Iridiumtarget der Bestrahlung mit gepulstem La- Iridium-IV-fluorid (IrF4) ist ein dunkelbrauner,
serlicht aus. Die Produkte dieser Reaktion wurden durch Reduktion von Iridium-V-fluorid mit Iri-
mittels Massenspektrometrie nachgewiesen, da- diumpulver oder mit Wasserstoff in wasserfreiem
runter auch das (IrO4+)-Kation. Dessen stabilstes Fluorwasserstoff zugänglicher Feststoff (Paine
Isomer besaß die Struktur eines Tetraeders, in und Asprey 1975). Es war seinerzeit das erste
dessen Ecken die jeweils doppelt an das Iridium- Metall-IV-fluorid mit dreidimensionaler Gitter-
atom gebundenen Sauerstoffatome angeordnet struktur; man fand mittlerweile jedoch, dass auch
waren. Rhodium-, Palladium- und Platin-IV-fluorid die-
728 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
Wasser und einigen anderen unpolaren organi- IrSi3 erhalten werden, die dann mittels Raman-
schen Lösungsmitteln (Perry 2016, S. 523; Grif- Spektroskopie untersucht wurden. Die dabei er-
fith 1967, S. 241). Seine Kristallstruktur ist mono- haltenen Resultate weisen in eine ähnliche Rich-
klin (Brodersen 1968). Mehrere Hydrate sind tung (Almendra 2002).
bekannt (Kandiner 2013). Mittels eines hierzu verwandten Herstellver-
Pnictogenverbindungen Eines von mehreren fahrens stellte man diverse Iridiumboride dar.
denkbaren Iridiumnitriden (IrN) konnte unter Die Zusammensetzung der aus den Versuchen
Anwendung hoher Drücke und Temperaturen erhaltenen Phasen untersuchte man für Boranteile
durch Überleiten von Ammoniak über fein ver- von 10–70 Atom-% im binären Iridium-Bor-Sys-
teiltes Iridium gewonnen werden. Die Kristall- tem bei >700 C. Vier definierte Phasen wurden
struktur entspricht einer monoklinen, fehlgeord- nachgewiesen (Ir4B5+x, Ir5B4+x sowie die Hoch-
neten Manganphosphid-Struktur (Crowhurst et al. und Tieftemperaturmodifikation von Ir4B3x).
2006). Ab initio-Berechnungen bestätigten diese Kristallstrukturen und Bildungsenthalpien be-
Ergebnisse und sagen für das Material eine große rechneten Zeiringer et al. unter Anwendung der
Härte voraus (Qiang et al. 2014). First-principle-Methode (2015).
Iridiumphosphid (IrP3) ist ein – sehr selten – in Tetrairidiumdodecacarbonyl [Ir4(CO)12] bil-
der Photooptik verwendeter Halbleiter. Die kris- det kanariengelbe, bei einer Temperatur von
talline Substanz der Dichte 7,36 g/cm3 schmilzt 193 C schmelzende Kristalle, die stabil gegen-
bei 1197 C. über Luftsauerstoff und nur wenig in organischen
Die intermetallische Verbindung Tetrabismut- Lösungsmitteln löslich sind. Die Verbindung wird
iridid (Bi4Ir) bildet Kristalle, in denen die Bis- noch nicht als Katalysator für organische Synthe-
mutatome sowohl planar-prismatisch als auch sen eingesetzt. Jedes der vier Iridiumatome hat
-antiprismatisch koordiniert sind, so dass ein drei- eine oktaedrische Koordination und ist an je drei
dimensionales Netzwerk von Ringen und Helices andere Iridiumatome (equidistante Abstände von
entsteht. Die Länge der Bi-Ir-Bindung liegt gemit- 269 pm) sowie drei terminale Carbonylliganden
telt bei 285 pm (Isaeva et al. 2015). gebunden (Churchill und Hutchinson 1978). Die
Sonstige Verbindungen Die hochschmelzen- Darstellung erfolgt durch reduktive Carbonylie-
den und sehr harten Iridiumcarbide sind in klei- rung hydratisierten Iridium-III-chlorids in der
nen Mengen etwa durch Sintern der Elemente im Wärme (Pergola et al. 1990):
Lichtbogen zugänglich. Die höchste Kompres-
sionshärte hat das tetragonal strukturierte Iridium- IrCl3 þ 3 CO þ H2 O ! IrðCOÞ2 Cl2
dicarbid (IrC2) und das höchste Schermodul þ CO2 þ 2 Hþ þ Cl
das tetragonal kristallisierende Iridiumtetracarbid 4 IrðCOÞ2 Cl2 þ 6 CO þ 2 H2 O ! Ir4 ðCOÞ12
(IrC4); beide ultraharten Verbindungen sind me- þ 2 CO2 þ 4 Hþ þ 8 Cl
tallische Leiter. Ähnlich hohe Härten zeigt auch
das halbleitende Ir4C5 (Li et al. 2011). Berechnun- Anwendungen Elektronikindustrie und ange-
gen stützen diese Befunde. wandte Physik: Der weltweite Bedarf an Iridium
Iridiummonosilicid (IrSi) und Iridiumtrisilicid stieg in den letzten Jahren deutlich. Dies wurde
(IrSi3) sind metallische Leiter, dazwischen lie- nicht zuletzt durch die Elektronikindustrie verur-
gende Phasen wie beispielsweise IrSi1,6 dagegen sacht, weil Tiegel aus Iridium sehr gut zur Erzeu-
halbleitend. Spektroskopische Befunde (UV- und gung großer oxidischer Einkristalle nach dem
Röntgen-Photoelektronen-Spektroskopie) weisen Czochralski-Verfahren geeignet sind (Crookes
auf Bindungen zwischen den d-Orbitalen der Iri- 1908). Die so erzeugten Einkristalle, die oft in
diumatome und sp3-Hybridorbitalen des Silici- Festplatten von Computern und in Festkörperla-
ums hin (Wittmer et al. 1986). Durch thermisches sern verbaut werden, besitzen sowohl eine nur
Verschmelzen von auf Siliciumträgern aufge- sehr geringe Zahl an Strukturfehlern als auch
brachten Iridiumfilmen mit dem jeweiligen Sub- einen äußerst niedrigen Gehalt an Verunreinigun-
strat konnten die Iridiumsilicide IrSi, IrSi1,75 und gen. Der Bedarf an diesen Einkristallen hat in
730 14 Cobaltgruppe: Elemente der neunten Nebengruppe
letzter Zeit stark zugenommen. Zur dieser Gruppe Das 1889 gegossene Urmeter besteht aus einer
gehören unter anderem Gadolinium-Gallium-Gra- Legierung mit 90 % Platin und 10 % Iridium und
nat und Yttrium-Gallium-Granat. Dazu schmilzt wird im International Bureau of Weights and Mea-
man das vorgesinterte Oxidgemisch unter oxidie- sures nahe Paris aufbewahrt. Nachdem es seit 1960
renden Bedingungen bei Temperaturen, die bis hi- nicht mehr als Standardmaß der Länge gilt und in
nauf zu 2100 C reichen können. dieser Funktion von einer von einem Kryptonatom
In Röntgenstrahlteleskopen bedampft man das emittierten Spektrallinie abgelöst wurde, gilt es aber
aus Chrom bestehende Substrat optischer Spiegel doch weiterhin als internationaler Standard der
mit einer sehr dünnen, nahezu atomaren Schicht Masse (Davis 1985; Jabbour et al. 2001).
von Iridium, da das Metall eines der besten Re- Man verkapselt Kernbrennstäbe mit hohem
flexionsmedien für diese Art von Strahlung ist Anteil am Isotop 23894Pu mit Iridium, da es Tem-
(Ziegler et al. 2001). peraturen bis zu 2000 C standhält, fest und wi-
Einige Komplexe des Iridiums weisen eine derstandsfähig gegenüber chemischen Einflüssen
besonders starke Phosphoreszenz auf und werden ist. In atomgetriebenen unbemannten Raumkör-
daher in Lichtdioden und solchen Erzeugnissen pern der NASA wurde es aus diesem Grund eben-
eingesetzt, bei denen eine derart kräftige Lu- falls eingesetzt.
mineszenz unverzichtbar ist (Inganäsa 2004; Katalysatoren: Der Einsatz von Iridium und
Tonzetich 2002; Schubert et al. 2005). seinen Verbindungen als Katalysatoren für diverse
Zur Vermeidung des Auftretens von Überspan- organische Synthesen wird immer umfangreicher
nungen und damit verbundener Entwicklung von (Jollie 2011). So dienen Iridiumverbindungen
Sauerstoff setzt man bei der Chlorelektrolyse mit im von der BP entwickelten Cativa-Verfahren
geringen Mengen Iridiumoxid beschichtete Titan- als Katalysatoren (Cheung et al. 2012).
anoden ein (Kintrup et al. 2014). Iridium wirkt, wie auch einige andere Metalle,
Legierungsbestandteil zur Erhöhung der Fes- katalytisch zersetzend auf Hydrazin. Man setzt es
tigkeit und Beständigkeit gegenüber Korrosion: in Raketenantrieben schwächeren Schubs ein.
Wichtige Anwendungen sind mit einem heutigen Wird Iridium in geringen Mengen und in Form
weltweiten Bedarf von mehreren t/a korrosions- einiger seiner seiner Organokomplexe, wie Car-
beständige Kontakte in Zündkerzen (Handley bonyl- oder Hydridokomplexe, einer Reaktions-
1986); allerdings findet man diese vorwiegend in mischung zugesetzt, kann es auch sehr stabile
der Luftfahrt. Reines Iridium ist sehr spröde und Bindungen zwischen Kohlenstoff- und Wasser-
hart (Darling 1960; Biggs et al. 2005), kann aber stoffatomen aktivieren, wie sie unter anderem in
durch Zulegieren geringer Mengen (jeweils etwa Alkanen vorliegen. Das Ergebnis ist dann die
0,2 %) von Titan oder Zirkonium dehnbarer direkte Alkylierung des Iridiumatoms (Janowicz
gemacht werden. In Flugzeugen findet man Iri- und Bergman 1982; Hoyano und Graham 1982)
dium in Legierungen, die eine besonders hohe (s. Abb. 23).
Stabilität gegenüber Korrosion sowie auch sehr Die Möglichkeit, Iridium zur enantioselektiven
langlebig sein müssen. Hydrierung von Alkenen einzusetzen, wird gegen-
Sein hoher Schmelzpunkt, seine Härte und wärtig geprüft. Eine besonders interessante Ziel-
Beständigkeit gegenüber Korrosion sind fast gruppe einer solchen neuen Reaktionsklasse ist
immer für den möglichen Einsatz des Iridiums die Möglichkeit der Synthese von Naturstoffen
verantwortlich, denn sein hoher Preis spricht (Källström et al. 2006; Roseblade und Pfaltz 2007).
dagegen. Zur Produktion von Extruderköpfen Radiologie: Wie bereits eingangs erwähnt, dient
bevorzugt man wegen der hohen Verschleißfestig- das radioaktive Isotop 19277Ir, ein γ-Strahler, zur
keit Iridium oder seine Legierungen mit Platin zerstörungsfreien Werkstoffprüfung (Halmshaw
oder Osmium, beispielsweise bei der Herstellung 1954; Hellier 2001). Außerdem setzt man dieses
von Kunstfasern (Serkov 1979). Legierungen aus Isotop bei der Therapie von Krebs ein und bringt
Iridium und Osmium verwendet man zur Produk- es zu diesem Zweck in oder direkt neben die Kör-
tion von Kompassgehäusen und Waagen. perpartie, die behandelt werden soll.
5 Einzeldarstellungen 731
UV-light UV-light
alkane alkane
Ir Ir Ir
H -H2 H -CO
PMe3 L C C
alkyl O O
H
Abb. 23 Aktivierung von Alkanmolekülen durch Iridiumhydrido- bzw. -carbonylkomplexe (Smokefoot 2009)
2010). Es sollte ferner relativ stabile Tetrahaloge- Almendra A (2002) Micro-Raman study of iridium silici-
nide (MtX4) geben (Ionova et al. 2004). des. J Raman Spectr 33(2):80–83. https://doi.org/
10.1002/jrs.824
Alvarez LW et al (1980) Extraterrestrial cause for the
Verbindungen Meitnerium ist in der Reihe stei- cretaceous-tertiary extinction. Science 208(4448):
gender Ordnungszahlen das erste Element, dessen 1095–1108
Chemie bislang kaum untersucht wurde. Die Anderson JB et al (1975) Crystal structure of cobalt ortho-
phosphate Co3(PO4)2. J Solid State Chem 14:372–377
Halbwertszeiten seiner Isotope sind sehr kurz, Arblaster JW (1989) Densities of osmium and iridium.
und es fehlte bisher an geeigneten Versuchsein- Platin Met Rev 33(1):14–16
richtungen, eventuell vorhandene Verbindungen Arblaster JW (1995) Osmium, the densest metal known.
des Meitneriums so zu prüfen, wie dies bei seinen Platin Met Rev 39(4):164
Barnett C (1969) Hydrogenation of aliphatic nitriles over
leichteren Homologen bereits gemacht wurde transition metal borides. Ind Eng Chem, Prod Res Deve-
(Düllmann 2012; Eichler 2013). lopm 8(2):145–149. https://doi.org/10.1021/i360030a009
Verbindungen des Elements mit genügend hoher Bartlett N, Rao PR (1965) Iridium pentafluoride. Chem
Flüchtigkeit sollten das Meitnerium-VI-fluorid Commun 12:252–253
Bates CH et al (1966) The solubility of transition metal
(MtF6) sein; ein flüchtiges Meitnerium-VIII-fluorid oxides in zinc oxide and the reflectance spectra of Mn2+
(MtF8) scheint ebenfalls möglich. Zur Durch- and Fe2+ in tetrahedral fields. J Inorg Nucl Chem
führung chemischer Untersuchungen an Transacti- 28:397–405
noiden benötigt man in der Regel vier Atome einer Bentzen SM (2000) Lise Meitner and Niels Bohr – a
historical note. Acta Oncol 39(8):1002–1003
Halbwertszeit von mindestens 1 s, und pro Woche Bergman TO (1775) Disquisitio de Attractionibus Electi-
muss mindestens ein neues Atom erzeugt werden. vis (Abhandlung über Verwandtschaftskräfte)
Obwohl das schon bekannte Isotop 278109Mt mit Bergman TO (1781) Opuscula physica, chemica et mine-
einer Halbwertszeit von 7,6 s grundsätzlich hierfür ralogica (Kleine Physische, Chemische und Mineralo-
gische Werke)
geeignet wäre, besteht die Schwierigkeit darin, dem Bergman TO (1791) Physick Beskrifning Ofver Jordklo-
zu untersuchenden Prozess fortlaufend Atome des tet (1766), übersetzt von L. H. Röhl, Physikalische
Elements zuzugeben und die Experimente wochen- Beschreibung der Erdkugel. Röse-Verlag, Greifswald
lang weiterzuführen, damit statistisch belastbare Biggs T et al (2005) The hardening of platinum alloys for
potential jewellery application. Platin Met Rev 49(1):
Resultate erhalten werden können. Der Versuch, 2–15
das eingangs schon genannte Isotop 271109Mt, das Botelho MBS et al (2011) Iridium(III)-surfactant complex
wegen seiner „magischen“ Zahl von Neutronen immobilized in mesoporous silica via templated syn-
(162) noch das stabilste des Elements sein sollte, thesis: a new route to optical materials. J Mater Chem
21:8829–8834
hierfür zu verwenden, scheiterte 2003 überraschend Brauer G (1975) Handbuch der Präparativen Anorgani-
(Zielinski et al. 2003). schen Chemie, Bd 1, 3. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart,
Versuche, die möglicherweise demnächst mit S 280. ISBN 3-432-02328-6
Verbindungen des Meitneriums geplant sind, wer- Brauer G (1978) Handbuch der Präparativen Anorgani-
schen Chemie, Bd 2, 3. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart,
den sich wahrscheinlich an analogen Verbindungen S 1736. ISBN 3-432-87813-3
des Iridiums und deren Eigenschaften orientieren, Brauer G (1981) Handbuch der Präparativen Anorgani-
genauso wie dies in der Vergangenheit für Hassium- schen Chemie, Bd 3, 3. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart,
VIII-oxid (HsO4) und Osmium-VIII-oxid (OsO4) S 1634/1674/1833. ISBN 3-432-87823-0
Brauer G (1994) Handbuch der Präparativen Anorgani-
erfolgte. Wurde Meitnerium bisher zugunsten seiner schen Chemie, 4. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart. ISBN
„interessanteren“ Nachbarn bisher vernachlässigt, 3-432-87823-0
könnte sich dies in der Zukunft ändern. Britvin SN et al (2001) Miassite Rh17S15, a new mineral
from a placier of Miass River, Urals. Zap Vser Mineral
Obshch 130(2):41–45
Brodersen K (1968) Structure of β-RuCl3, RuI3, IrBr3, and
Literatur IrI3. Angew Chem Int Ed 7:148. https://doi.org/
10.1002/anie.196801481
Albertini VR et al (2010) Superhard properties of rhodium Brodersen K et al (1968) Die Struktur des IrBr3 und über
and iridium boride films. ACS Appl Mater Interfaces die Ursachen der Fehlordnungserscheinungen bei den
2(2):581–587. https://doi.org/10.1021/am9008264 in Schichtenstrukturen kristallisierenden Edelmetalltri-
Literatur 735
halogeniden. J Less Comm Met 15:347. https://doi.org/ Ekmekcioglu C, Marktl W (2006) Cobaltmangel. In:
10.1016/0022-5088(68)90194-X Essentielle Spurenelemente: Klinik und Ernährungs-
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Nickelgruppe: Elemente der zehnten
Nebengruppe 15
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
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742 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
kontraktion noch festzustellen. Die physikalischen Informationen über das jeweilige Element, so
Eigenschaften dieser zwei Elemente unterscheiden dass hier nur eine kurze Vorstellung der Ele-
sich jedoch schon merklich, nicht aber die chemi- mente folgt.
schen. Die Eigenschaften des Nickels dagegen
weichen von denen der zwei „edlen“ Platinmetalle
Palladium und Platin sichtbar ab, so zeigt Nickel 2 Vorkommen
ein negatives Normalpotenzial sowie niedrigere
Dichten, Schmelz- und Siedepunkte, wenngleich Nickel ist im Unterschied zum sehr häufig vor-
es wesentlich edler als Eisen ist, ein benachbartes kommenden, übernächsten Nachbarn im Perio-
Element aus der ersten Periode der Übergangsme- densystem, Eisen (47000 ppm der Erdhülle!) mit
talle. einer Konzentration von gerade einmal 150 ppm
Die Elemente dieser Gruppe könnten theore- ziemlich selten, wenngleich es auch viermal häu-
tisch maximal zehn Valenzelektronen (je zwei figer als Cobalt vorkommt. Palladium und Platin
s- und acht d-Elektronen) abgeben, um eine sta- weisen mit Anteilen an der Erdkruste von 0,011
bile Elektronenkonfiguration zu erreichen. Bei bzw. 0,005 ppm (!) schon nahezu den Rang von
Nickel ist jedoch die Oxidationsstufe +2 die sta- Spurenelementen auf. Nur durch Anwendung
bilste, bei Palladium und Platin findet man glei- künstlicher Kernreaktionen und dann auch nur in
chermaßen +2 und +4. Die Reaktionsneigung Mengen weniger Atome ist Darmstadtium zu-
dieser zwei Metalle ist gering, aber merklich gänglich.
größer als bei Rhodium und Iridium. Für das
höchste Element dieser Nebengruppe, das Darm-
stadtium, wurden noch so gut wie keine chemi-
3 Herstellung
schen Untersuchungen durchgeführt. Es ist zu
erwarten, dass es sich chemisch ähnlich wie Pla-
Nickel wird durch Rösten von Nickelsulfid und
tin verhält.
anschließender Reduktion des dabei entstehenden
Die Entdeckung des Nickels erfolgte 1751 und
Nickel-II-oxids mit Kohle erzeugt. Palladium
die des Palladiums 1803. Platin kannte man als
und Platin müssen erst aufwändig von unedlen
Legierungsbestandteil schon im alten Ägypten,
Begleit- sowie anderen Platinmetallen abgetrennt
aber rein dargestellt wurde es ebenfalls erst Ende
werden, wobei sie unter anderem in Königswasser
des 18. Jahrhunderts. Die erstmalige Darstellung
gelöst und in die dabei entstehenden Chlorokom-
von Atomen des Darmstadtiums gelang 1994. Sie
plexe überführt werden. Palladium wird dabei
finden alle genannten Elemente in Gruppe 10 (VIII B)
noch selektiv von den anderen Metallen mittels
des umseitig abgebildeten Periodensystems.
Flüssig-flüssig-Extraktion separiert. Die Edelme-
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Na-
talle sind, einmal in Form ihrer reinen Verbindun-
trium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie
gen isoliert, dann relativ einfach durch deren
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei-
Reduktion erhältlich.
spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die
meisten Elemente können sich untereinander ver-
binden und bilden chemische Verbindungen; so
wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische 4 Eigenschaften
Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz.
Einschließlich der natürlich vorkommenden 4.1 Physikalische Eigenschaften
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- Die physikalischen Eigenschaften sind auch in
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. dieser Gruppe mit nur wenigen Ausnahmen regel-
Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier mäßig nach steigender Atommasse abgestuft. In
Vertreter der Gruppe der Elemente der zehnten Analogie zu den Nachbarelementen der neunten
Nebengruppe enthalten dabei alle wichtigen (nicht der ersten!) Nebengruppe nehmen vom
5 Einzeldarstellungen 743
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Nickel zum Platin Dichten, Schmelzpunkte und len (Halogene, Sauerstoff) reagieren sie erst bei
-wärmen sowie Siedepunkte und Verdampfungs- hoher Temperatur.
wärmen zu, die chemische Reaktionsfähigkeit
geht dagegen deutlich zurück. Auch hier tritt kein
Effekt der Schrägbeziehung auf, also leitet Nickel 5 Einzeldarstellungen
hinsichtlich seiner Eigenschaften nicht zum Silber
über. Im folgenden Teil sind die Elemente der Nickel-
gruppe (10. Nebengruppe) jeweils einzeln mit
ihren wichtigen Eigenschaften, Herstellungsver-
4.2 Chemische Eigenschaften fahren und Anwendungen beschrieben.
Abb. 2 a Leben und Arbeiten in Norilsk (McGuire und Chernyshova 2016). b „Gefärbter“ Fluss bei Norilsk (Radio Free
Europe, 13. Sept. 2016)
Abb. 3 a Nickel-II-oxid
(Onyxmet 2018). b Nickel-
II-oxid Sputtertarget
(QS Advanced Materials
2018). c Nickel-II-oxid
(Stanford Advanced
Materials 2018)
Verbindungen
Chalkogenverbindungen Nickel-II-oxid (NiO)
kommt in der Natur in Form des Minerals Bunsenit
vor. Es ist durch starkes Erhitzen von Nickel-II-
nitrat [Ni(NO3)2] oder Nickel-II-carbonat (NiCO3)
zugänglich; alternativ liefert natürlich auch das
Verbrennen metallischen Nickels das gewünschte
Produkt. Die schwach basisch reagierende Ver- Abb. 4 Nickel-III-oxid (TheMrBunGee 2016)
bindung schmilzt bei einer Temperatur von
1984 C, besitzt die Dichte 6,72 g/cm3, ist anti- beschrieben wurden. Auch Nickel-III-oxid ist
ferromagnetisch und weist eine Kristallstruktur krebserzeugend.
ähnlich der von Natriumchlorid auf. Während Nickel-IV-oxid (NiO2 n H2O) erzeugt man
Nickel-II-oxid in reinstem Zustand hellgelb ist, durch Oxidation von Nickel-II-hydroxid mit
führen höhere Gehalte an Sauerstoff zu einer Persulfat in wässriger Phase. Die Verbindung
grünlichen und geringe Mengen an Ni3+-Ionen wirkt stark oxidierend, zersetzt sich beim Erhit-
zu einer dunklen Farbe (s. Abb. 3a–c). Je niedriger zen zu Nickel-II-oxid und Sauerstoff und
die Temperatur ist, bei der Nickel-II-oxid erzeugt kristallisiert in einer verzerrten Cadmiumiodid-
wurde, desto löslicher ist es in der Regel in Säuren Schichtstruktur (Tarascon et al. 1999).
und Basen (Brauer 1981, S. 1689). Mit Nickel-IV-oxid oxidiert man Alkohole zu
Man verwendet Nickel-II-oxid als Anode in Bre- Carbonsäuren und aliphatische Hydrazone zu Dia-
nnstoffzellen, ferner zur Produktion von Emaille, zoalkanen.
Keramikartikeln und Gläsern. Gelegentlich setzt Nickel-II-sulfid (NiS) tritt in Form dreier, auf
man es als Katalysator für die Hydrierung organi- jeweils unterschiedlichen Wegen zugänglicher
scher Verbindungen ein. Die Verbindung ist Zwi- Modifikationen auf und kommt auch in der Natur
schenstufe zur Erzeugung reinen Nickels durch als Mineral Millerit vor. Die bei Raumtemperatur
Überleiten von Kohlenmonoxid. Es ist als krebser- stabilste Modifikation, γ-Nickel-II-sulfid, stellt
zeugend eingestuft. man durch Einleiten von Schwefelwasserstoff
Nickel-III-oxid (Ni2O3) bildet ein dunkel- (H2S) in eine wässrige Lösung von Nickelsulfat
graues bis schwarzes Pulver (s. Abb. 4), das sich her:
ab einer Temperatur von 600 C zu Nickel-II-
oxid und Sauerstoff zersetzt. Man gewinnt es NiSO4 7 H2 O þ H2 S ! NiS #
beispielsweise durch Abscheidung aus der þH2 SO4 þ 7 H2 O
Gasphase auf kalten Oberflächen (Kang und
Rhee 2001). Die Verbindung ist ein starkes Oxi- Es ist ein schwarzes, trigonal kristallisierendes
dationsmittel und oxidiert etwa Chlorwasserstoff Pulver der Dichte 5,66 g/cm3, das sich nur schwer
zu Chlor (Holleman et al. 2007, S. 1715). Man in verdünnter Salzsäure löst.
setzt schwarzes, also mit Ni2O3 stark angerei- Beim Erhitzen auf eine Temperatur von 396 C
chertes, Nickel-II-oxid in ähnlichen Anwendun- wandelt sich γ- in das bei 797 C schmelzende
gen ein, wie sie bereits oben für Nickel-II-oxid β-Nickel-II-sulfid um. Dieses ist ebenfalls ein
748 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
Verwendung bei der Herstellung von Wasserstoff umringt sind. Jedes Atom einer Sorte ist daher
(HER) in alkalischer Lösung. Zudem ist dieses von sechs der anderen umgeben. In der Natur
Material wirksam auch zur Erzeugung von Sauer- kommt Nickelarsenid, wenn auch verunreinigt
stoff (OER) sowie zu dessen Reduktion (ORR) durch Eisen, Schwefel, Antimon und andere
einzusetzen, da es wesentlich besser als reiner Ni- Begleitstoffe, in Form des Minerals Nickelin vor.
ckelschaum funktioniert. Insofern sollte ein breites Wenngleich es unlöslich ist, sind alleine der
Potenzial für die Anwendung in Brennstoffzellen Abrieb oder Stäube der Verbindung schon sehr
und Batterien bestehen (Shalom et al. 2015). giftig. Man setzt Nickelarsenid daher lediglich
Ähnlich vorteilhafte Eigenschaften zeigen als Katalysator ein, um Spuren von Metallen aus
auch sphärisch strukturierte, unter Einsatz von Kohlenwasserstoffen zu entfernen.
Harnstoff hergestellte Nanopartikel von Nickel- Breithauptit [Nickelantimonid (NiSb)] ist ein
nitrid. Besonders geeignet sind sie zur Oxidation selten natürlich vorkommendes Mineral ebenfalls
von Ethanol bzw. Methanol in alkalischem Me- hexagonaler Struktur. Meist tritt es in Form größe-
dium, wobei Ströme von von 200 μA bzw. rer Aggregate rotbrauner Farbe auf. Diese sind mit
100 μA in einmolarer alkoholischer Lösung einer Mohs-Härte von 5,5 bereits ziemlich hart.
gemessen wurden, die jeweils 0,1 m Natriumhy- Sonstige Verbindungen Trinickelcarbid (Ni3C)
droxid enthielten. Auch hier empfiehlt sich der gewinnt man durch Reaktion von Nickel mit
Einsatz in Brennstoffzellen (Mazloum-Arkadani Kohlenmonoxid (Brauer 1981, S. 1696):
et al. 2018).
Insgesamt sind in der Literatur mindestens acht 3 Ni þ 2 CO ! Ni3 C þ CO2
Nickelmono- und -polyphosphide beschrieben
(Ni3P, Ni5P2, Ni12P5, Ni2P, Ni5P4, NiP, NiP2, Trinickelcarbid ist ein grauschwarzes Pulver,
NiP3) (Von Schnering und Hönle 1994). Dinickel- das bis zu Temperaturen von 400 C stabil ist.
phosphid (Ni2P) ist Gegenstand intensiver Prü- Salzsäure zersetzt es schon bei Raumtemperatur
fung auf seine Eignung als Elektrokatalysator unter Entwicklung von Wasserstoff und Methan.
zur Erzeugung von Wasserstoff (HER), da es hohe Ebenso löst es verdünnte Salpetersäure; versetzt
Aktivität mit großer Stabilität verbindet, vor allem man es dagegen mit verdünnter Schwefelsäure, so
in stark basischer bzw. überraschend auch in sau- scheidet sich Kohlenstoff ab. In der Kristallstruk-
rer Lösung, jedoch ist für die Wirksamkeit in tur liegt eine trigonal-dichte Packung der Nickel-
basischer Lösung eher die Bildung einer sehr dün- Atome vor (Blachnik 1998, S. 638).
nen Schicht von Nickeloxid bzw. -hydroxid ver- Nickelsilicid (NiSi) erzeugt man meist durch
antwortlich. Insofern müssen die Katalysatoren thermisch bewirktes Verbacken von Oberflächen
noch durch Modifizierung verbessert werden des Nickels und Siliciums, wobei sich an der
(Zhou et al. 2017). Phasengrenzfläche unter anderem Nickelsilicid
Nickelarsenid (NiAs) ist ein roter, metallischer geringen elektrischen Widerstands bildet (Foggia-
Feststoff der Dichte 7,57 g/cm3, der bei einer to et al. 2004).
Temperatur von 968 C schmilzt (Holleman et al. Dinickelborid (Ni2B) ist ein grauer Feststoff, der
2007, S. 1716). Nach der kubischen Struktur des bei 1230 C schmilzt und die Dichte 7,9 g/cm3
Kochsalzgitters ist die Nickelarsenid-Struktur aufweist. Man erzeugt die Verbindung durch Re-
ebenfalls eine sehr häufige des AB-Typs, aber aktion von Nickel-II-acetat mit Natriumborhydrid
mit hexagonal-dichtester Kugelpackung. Dieser in Ethanol (Caggiano und Taillemaud 2001). Frü-
Strukturtyp ist weit verbreitet bei Chalkogeniden, her stellte man die Verbindung meist durch Sintern
Arseniden und Antimoniden der Übergangsmetal- eines Gemisches der Elemente bei Temperaturen
le. Im Fall des Nickelarsenids selbst sitzen die zwischen 1000 und 2000 C her und konnte so
Nickelatome in den von sechs Arsenatomen gebil- auch größere Kristalle oder Einkristalle erhalten
deten oktaedrischen Lücken des Gitters, wogegen (Kapfenberger 2005). In der tetragonalen Kristall-
die Arsenatome jeweils von sechs in Form eines struktur sind die Boratome je quadratisch-anti-
trigonalen Prismas angeordneten Nickelatomen prismatisch von acht Nickelatomen umgeben, und
752 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
unlöslicher Feststoff (s. Abb. 18a, b) der Dichte strom bei 350 C erhalten. Alternativ gelingt
8,3 g/cm3, der bei einer Temperatur von 750 C auch die Darstellung mittels Erhitzen einer aus
unter Zersetzung schmilzt. Man kann es durch Palladium-II-chlorid und Kalium- oder Natrium-
Erhitzen fein verteilten Palladiums im Sauerstoff- nitrat bestehenden Mischung auf Temperaturen
758 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
von Kohlenwasserstoffen hängt vom Partialdruck 250 C, so gewinnt man das wasserfreie Salz
des Wasserstoffs ab. Als wesentliche Einflussgröße (Brauer 1981, S. 1731). Auch diese Verbindung,
hierfür diskutiert man die Bildung eines Filmes mit ein rotbrauner, monoklin kristallisierender Fest-
hohem Kohlenstoffgehalt an der Metalloberfläche. stoff (Dahmen et al. 1994), wird bei Zutritt von
Berechnungen zeigen, dass Kohlenstoffatome in Wasser langsam hydrolysiert.
das Metallgitter hinein diffundieren können, je- Die oktaedrische Struktur einiger Komplexe
doch kein Grafit entstehen kann, da die Bildung des Pd2+-Ions wurde bestätigt (Bruns et al. 2012).
des grafittypischen Schichtengitters unterbunden
wird. Vielmehr resultiert dabei ein Palladiumcar- Anwendungen Fein verteilt verwendet man Pal-
bid (Pd6C), dessen Kristallgitter in der Lage ist, ladium in vielen Katalysatoren für organische
viele Wasserstoffmoleküle in seinen Hohlräumen Synthesen, oft für Reaktionen, bei denen Wasser-
zu speichern, was bei Hydrierungen eine teilweise stoff addiert oder abgespalten wird (Höllein
Umsetzung gegenüber der vollständigen bevor- 2004), ebenso bei der thermischen Spaltung von
zugt (Kresse et al. 2010). Kohlenwasserstoffen (Li und Gribble 2007).
Die Bildung des Palladiumsilicids (Pd2Si) Wegen der Korrosionsbeständigkeit des Metalls
erfolgt an der Grenze zwischen Palladium- und baut man Kontakte aus Palladium in Relais für
Siliciumoberflächen in Form eines Films, dessen Telefon-, Lautsprecher- und anderen Akustikan-
Dicke temperaturabhängig ist und der metallische lagen ein. Legierungen aus Palladium und Nickel
Leitfähigkeit aufweist. Die Debye-Temperatur können Gold in metallischen Beschichtungen
des Silicids betrug 15320 C und die Hall- ersetzen. Titan macht man durch Zulegieren klei-
Mobilität ca. 55 cm2/V s, beide abhängig von nerer Mengen an Palladium korrosionsbeständig
der Struktur des Kristallgitters (Wittmer et al. gegenüber chloridhaltigen Medien (Salzwasser),
1978). weswegen diese Werkstoffe oft im chemischen
Innerhalb des Systems Palladium-Bor existie- Anlagenbau eingesetzt werden (Kickelbick 2008;
ren im Temperaturbereich von 500–1600 C vier Rau und Ströbel 1999).
definierte Palladiumboride (Pd4B, Pd3B, Pd5B2 Wegen seines im Vergleich zu Platin niedri-
und Pd2B), wie Resultate der röntgenstruktur- geren Preises verwendet man es weithin in Ab-
und differenzthermoanalytischen Prüfungen zei- gaskatalysatoren für Ottomotoren. Man verar-
gen. Oberhalb von ca. 960 C schmelzen diese beitet es bevorzugt anstelle von Silber in
Phasen und ergeben eine Verbindung der ungefähr Weißgold, da es gegenüber jenem beständiger
einheitlichen Zusammensetzung PdB0.57, bevor an der Luft ist. Man findet es darüber hinaus in
die Ausscheidung festen Bors beginnt (Griffith Zahnprothesen, medizinischen Instrumenten, Zünd-
et al. 1989). kerzen für Flugzeugmotoren, Federn für Füllfe-
Das rotbraune Palladium-II-nitrat [Pd(NO3)2] derhalter und Platintiegeln; jene bestehen zu vier
erhält man durch Lösen von Palladium in heißer, Fünftel aus Platin und einem Fünftel aus Palla-
konzentrierter Salpetersäure (Cotton 1997). Un- dium.
zersetzt ist es nur in verdünnter Salpetersäure lös- Durch heißes Palladiumblech diffundiert
lich; in Wasser hydrolysiert es unter Bildung einer Wasserstoff nahezu widerstandslos, wodurch
trüben Lösung. Zugabe von Natronlauge führt zur man Palladium zum Reinigen, Abtrennen oder
Ausfällung von Palladium-II-oxid. Beim Erhitzen auch Speichern von Wasserstoff verwendet. Es
zersetzt sich die Verbindung, und zudem ist sie ein dient als p-Kontakt in Halbleitern, die auf Gal-
starkes Oxidationsmittel, da sowohl Pd2+ leicht in liumnitrid oder dessen Homologen aufgebaut
Palladium übergeht, als auch Nitrat oxidierend sind. Ebenso werden die aus Kunststoff be-
wirkt. stehenden Leiterplatten entweder vollständig
Palladium-II-sulfat-Hydrat (PdSO4 H2O) er- oder nur im Bereich ihrer Bohrungen zur Her-
zeugt man durch Auflösen von Palladium-II-oxid stellung des Erstkontaktes mit Palladium be-
oder Palladium-II-nitrat in heißer Schwefelsäure. schichtet, worauf denn jeweils eine Schicht
Verwendet man konzentrierte Schwefelsäure bei Nickel- oder Kupfermetall folgt.
5 Einzeldarstellungen 761
5.3 Platin
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world Geschichte Wahrscheinlich verwendeten schon
wide.espacenet.com) die Ägypter um 3000 v. Chr. Platin. In Europa
kamen die ersten Hinweise aus den damaligen
S. B. Walker, Conductive ink compositions spanischen Kolonien in Mittel- und Südamerika.
comprising palladium and methods for Es wurde als unschmelzbar angesehen, wie Scali-
making the same (Electroninks Inc., ger 1557 schrieb (McDonald und Hunt 1982),
WO 2019028435 A1, veröffentlicht aber die Spanier erkannten den Wert des Metalls
7. Februar 2019) nicht und sahen es nur als Verunreinigung von
H. Li und J. Liu, Markovnikov-selective Gold an („platina“ = minderwertiges Silber). Oft
palladium catalyst for carbonylation of verwarf man es achtlos, und es bestanden sogar
alkynes with heteroarenes (Evonik De- Erlasse zum Verbot der Beimischung von Platin
gussa GmbH, SG 10201805541YA, ver- zu Gold (Hesse 2007).
öffentlicht 30. Januar 2019) Den Engländern Wood und Brownrigg als auch
J. Li und G. Li, Tetradentate platinum and dem Spanier de Ulloa schreibt man die erste Entde-
palladium complex emitters containing ckung des Platins zu (Weeks 1968). Brownrigg
phenyl-pyrazole and its analogues (Uni- erwähnt den sehr hohen Schmelzpunkt des neu
versity of Arizona, US 2019013485 A1, entdeckten, weil vorher noch nicht beschriebenen
veröffentlicht 10. Januar 2019) Metalls. Daraufhin begannen einige Chemiker mit
T. Miyaji und H. Miyazaki, Method for weiteren Untersuchungen des Platins (Watson und
producing palladium-gold loaded catalyst Brownrigg 1749). Scheffer erkannte, dass Platin
for vinyl acetate synthesis (N. E. Chemcat ebenso wie Gold sehr beständig gegenüber Korro-
Corp., WO 2018235705 A1, veröffent- sion und chemischen Angriffen ist (McDonald und
licht 27. Dezember 2018) Hunt 1982). Von Sickingen verschmolz als Erster
L. A. Donohue und R. A. Stroud, Methods Platin mit Gold und löste Platin in Königswasser
for stabilizing palladium films (Materion auf, fällte Platin als Ammoniumhexachloroplatinat-
Corp., US 2018356362 A1, veröffent- IV [(NH4)2PtCl6] und reduzierte jenes wieder zu
licht 13. Dezember 2018) metallischem Platin. Achard stellte 1784 den ersten
Walter und C. Suchentrunk, Plating bath Platintiegel her, indem er ein Gemisch aus Platin-
composition and method for electroless und Arsenpulver in einer Tiegelform schmolz und
plating of palladium (Atotech Deutsch- das Arsen verdampfen ließ (!).
land GmbH, US 2018340260 A1 / -261 Da Ende des 18. Jahrhunderts noch kein Platin
A1, veröffentlicht 29. November 2018) ausreichender Reinheit hergestellt werden konnte,
A. Ruiz und T. Webster, Silver pal- kannte man damals nur das spröde, unreine
ladium and silver platinum nanoparticles Metall; reinstes Platin kann aber zu sehr langen
useful as antimicrobial and anticancer Drähten ausgezogen werden. Auf der Suche nach
agents (Northeastern University, WO verform- und dehnbarem Platin gelang es nach
2018218091 A1, veröffentlicht 29. 1786 Chabaneau, aus Platin die Verunreinigungen
November 2018) Gold, Blei, Quecksilber, Kupfer und Eisen zu
S. Sung und P. W. McCanty, Palladium entfernen, aber die Resultate waren inkonsistent,
diesel oxidation catalyst (BASF Corp., da das seinerzeit bekannte „Platin“ die damals
CA 3027822 A1, veröffentlicht 21. noch unbekannten, anderen Mitglieder der Platin-
Dezember 2017) gruppe (Palladium, Iridium, Osmium, Rhodium
und Ruthenium) enthielt. Schließlich gelangen
762 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
Ebenso greifen es auch Mischungen aus Wasser- Gruppe, Palladium und Platin, hinsichtlich ihrer
stoffperoxid und konzentrierter Schwefelsäure an. chemischen Reaktivität gegenüber Iridium deut-
Platin besitzt längst nicht einen so „edlen“ lich ab, das als chemisch insgesamt beständigstes
Charakter, wie allgemein angenommen wird. Metall der Maßstab ist. Selbst Ruthenium und
Überhaupt fallen die beiden Edelmetalle dieser Osmium wären als widerstandsfähiger einzustu-
5 Einzeldarstellungen 765
Platin-IV-sulfid (PtS2) ist ein grauschwarzer 61 C bzw. 69 C schmilzt bzw. siedet. Sein braun-
Feststoff der Dichte 7,9 g/cm3, der bei Tempera- roter Dampf ist bis zu einer Temperatur von 200 C
turen oberhalb von 225 C unter Zersetzung beständig (Brauer 1975, S. 278). Die Verbindung
schmilzt. Auch Platin-IV-sulfid ist durch Umset- ist durch Reaktion der Elemente bei ca. 300 C in
zung stöchiometrischer Mengen von Platin und einer aus Messing bestehenden Apparatur oder
Schwefel herstellbar (Brauer 1981, S. 1720) und durch thermisches Disproportionieren von Platin-
ebenfalls nahezu unlöslich in Säuren und Laugen. V-fluorid (PtF5) oberhalb einer Temperatur von
Platin-IV-sulfid besitzt, wenn man es zerreibt, die 130 C darstellbar, wobei man das gebildete,
Eigenschaft eines Trockenschmierstoffs, ähnlich abdestillierende Platin-VI-fluorid zwecks Stabili-
wie Grafit oder Molybdän-IV-sulfid. sierung sofort in Kühlfallen auffangen muss.
Platin-IV-selenid (PtSe2), ein schwarzes Pulver Platin-VI-fluorid wirkt extrem stark oxidierend,
der Dichte 9,54 g/cm3, besitzt wie das homologe selbst gegenüber molekularen Sauerstoff oder
Sulfid eine Schichtstruktur, hier im Cadmiumiodid- Xenon, wobei Pt6+ in Pt5+ übergeht. Somit konnte
Gittertyp (O’Brien et al. 2016). Es ist in Form Bartlett mittels Platin-VI-fluorid 1962 die erste
einlagiger Schichten ein Halbleiter der Bandlücke Edelgasverbindung darstellen (Bartlett und Loh-
1,2 eV (Wang et al. 2015), den man durch Erhit- mann 1960).
zen einer pulverförmigen Mischung der Ele- Platin-V-fluorid (PtF5) ist eine tiefrote, mono-
mente darstellen kann (Grønvold et al. 1960). klin kristallisierende Verbindung (Mueller und
Man erhält die Verbindung auch, wenn man Serafin 1992), die bei Temperaturen von 80 C
Selendampf bei ca. 400 C über dünne Platinfo- bzw. 130 C schmilzt bzw. zu Platin-IV-fluorid
lie leitet (Duesberg et al. 2016). Einfacher ist und -VI-fluorid disproportioniert. Man gewinnt
Platin-IV-selenid durch Einleiten von Selenwas- es aus den Elementen bei Rotglut oder durch
serstoff in die saure, wässrige Lösung einer Umsetzung von Platin-II-chlorid (PtCl2) mit
Platin-IV-Verbindung oder durch Erhitzen von Fluor bei 350 C (Brauer 1975, S. 278). Es ist
Platin-IV-chlorid mit elementarem Selen zu- löslich in Brom-III-fluorid und ebenfalls ein äu-
gänglich. ßerst starkes Oxidationsmittel, wenn auch etwas
Natürlich kommt Platin-IV-selenid als wegen schwächer als Platin-VI-fluorid. Immerhin oxi-
seiner Schichtstruktur sehr weiches Mineral Su- diert es Wasser zu Sauerstoff.
dovikovit vor. Die oben erwähnte Bandlücke Platin-IV-chlorid (PtCl4) ist eine stark hygro-
reduziert sich drastisch auf 0,21 eV bei doppel- skopische, rotbraune, orthorhombisch kristallisie-
schichtigem Aufbau des Kristallgitters, bei Vor- rende Verbindung (Blachnik 1998, S. 676; s. auch
liegen noch dickerer Schichtpakete verschwindet Abb. 22a), die sich beim Erhitzen auf eine Tem-
sie völlig. Obwohl Platin-IV-selenid nichtmagne- peratur von 370 C unter Bildung von Chlor und
tisch ist, diskutiert man dann einen möglichen Platin-II-chlorid zersetzt. Man erhält sie entweder
Ferromagnetismus des Materials, wenn ca. 10 % durch Lösen von Platin in Königswasser unter
der Gitterplätze des Platins unbesetzt sind und das zwischenzeitlicher Bildung von Hexachloropla-
Material leichter Belastung ausgesetzt wird (Zul-
fiqar et al. 2016). Wasser und Sauerstoff greifen
die Verbindung zumindest bei Raumtemperatur
nicht an. Mögliche Einsatzgebiete sind Detekto-
ren für Infrarotlicht und Katalysatoren, kombi-
niert mit Graphen auch Fotokatalysatoren zur
Bildung von Peroxidradikalen aus Wasser und
Sauerstoff.
Halogenverbindungen Platin-VI-fluorid (PtF6)
ist ein dunkelroter, orthorhombisch kristallisieren-
der Feststoff einer Dichte von ca. 5,2 g/cm3 Abb. 22 a Platin-IV-chlorid (Onyxmet 2018). b Hexa-
(Seppelt et al. 2006), der bei Temperaturen von chloroplatin-IV-säure (Onyxmet 2018)
5 Einzeldarstellungen 767
Das halbleitende Platinsilicid (PtSi) ist ein grau- pelsalz, das kirschrote Cäsiumplatinidhydrid
weißer, in der orthorhombischen Manganphosphid- (Cs9Pt4H), berichtet, das diskrete Pt2-Anionen ent-
Struktur kristallisierender Feststoff (Addison 1974, hält und somit ein Maximum an Ladungstrennung
S. 425; Klepeis et al. 2001; Pietsch et al. 2013) der aufweist (Smetana und Mudring 2016).
Dichte 12,4 g/cm3, der bei einer Temperatur von Nach einer elektrochemischer Reduktion bil-
1229 C schmilzt und durch Umsetzung von Platin det Platin auf seiner Oberfläche ebenfalls Anionen
mit Silicium oder Silicium-IV-oxid gewonnen wer- aus. Ein Grund für dieses für Metalle sehr unge-
den kann (Rochow 2013, S. 1361). Daher darf man wöhnliche Verhalten sieht man in der relativisti-
Silicium bzw. Quarz nie in Platintiegeln schmel- schen Stabilisierung der 6s-Orbitale (Ghilane
zen, da jene dadurch zerstört werden (Hofmann et al. 2007).
2013, S. 380). Die Substanz dient als Material Die Moleküle des kommerziell erhältlichen
für Infrarotdetektoren, Infrarotkameras (Wallrabe Dichloro(cycloocta-1,5-dien)platin-II spalten leicht
2013; Beyerer et al. 2012), Schottky-Dioden 1,5-Cyclooctadien-Liganden ab, so dass man aus-
(Schaumburg 2013) und für Kontakte elektroni- gehend von dieser Verbindung sehr gut organische
scher Schaltkreise (Schlachetzky und Von Münch Platinchemie betreiben kann (Han et al. 2007). Cis-
2013). Weitere, ebenfalls die Eigenschaften eines platin (cis-Diammindichloroplatin-II) war der erste
Halbleiters zeigende Platinsilicide sind die gut planar-quadratisch koordinierte Platinkomplex, der
charakterisierten Verbindungen Diplatinsilicid imstande ist, die menschliche DNA zu vernetzen
(Pt2Si) und Platindisilicid (PtSi2). Alle Platin- und Krebszellen somit abzutöten, weswegen er als
silicide sind auch wegen ihrer Beständigkeit Chemotherapeutikum mit gutem Erfolg eingesetzt
gegenüber chemischen Einflüssen seit längerem wurde und wird, auch wenn sein Einsatz mit zahl-
Gegenstand intensiver Forschung (Einspruch und reichen Nebenwirkungen (Übelkeit, Haarausfall,
Larrabee 2014; Fryera und Ladb 2016; Tanner Tinnitus, Teilverlust des Hörvermögens und Nieren-
und Okamoto 1991). schäden) verbunden sein kann (Richards und Rod-
Nanodrähte aus Platinborid (PtB) konnten im ger 2007; Carinder et al. 2014; Taguchi et al. 2005).
elektrischen Gleichstromlichtbogen aus einer pul- Generell sind Platinkomplexe weithin Forschungs-
verförmigen Mischung aus Platin und Bornitrid gegenstand (Ahrens und Strassner 2006).
hergestellt werden. Die Zusammensetzung und
Kristallstruktur wurde mittels Röntgendiffrakto- Anwendungen Von den 218 t Platin, die 2014
metrie sowie Scan- und Transmissionselektronen- verkauft wurden, gingen 98 t in Abgaskatalysato-
mikroskopie bestimmt. Die Nanodrähte sind ren für Automotoren, nahezu 75 t in die Herstel-
30–50 nm dick und 20–30 μm lang (Ding 2012). lung von Schmuck, 20 t in Form von Katalysatoren
Mit stark elektropositiven Metallen wie Barium in die chemische Industrie sowie zur Raffination
bildet Platin Bariumplatinide (BaPt, Ba3Pt) (Jansen von Erdöl und rund 6 t in die Elektronikindustrie.
et al. 2006), in denen Platin anionisch auftritt. Diese Die restlichen ca. 28,5 t teilten sich auf viele unter-
Verbindungen metallischer Leitfähigkeit werden schiedliche Anwendungsfelder auf, wie Medi-
unter anderem und zusammen mit anderen Verbin- zintechnik, Elektroden, Chemotherapeutika,
dungen zur Elektronenemission in Glühkathoden Zündkerzen, Sauerstoffsensoren und Turbinen.
von Elektronenröhren eingesetzt (Buxbaum 1987). Ertl untersuchte eingehend die katalytische Wir-
Der elektronegative Charakter der Platinatome kung von Platin auf die Oxidation von Kohlen-
wurde eingehend untersucht und auf Grundlage monoxid und erhielt dafür 2007 den Nobelpreis
relativistischer Berechnungen bestätigt (Jansen (Ertl 2007). Platin wird besonders häufig in
et al. 2004, 2006; Jansen 2005); die Platinatome diversen Katalysatoren verwendet (Seymour und
haben in den Molekülen dieser Verbindungen aber O’Farrelly 2001), meist in fein verteilter Form
noch keinen völlig anionischen Charakter. Dies ist (Schwamm). Seine wichtigste Anwendung ist die
im Fall des Cäsiumplatinids (Cs2Pt), einer dunkel- in Abgaskatalysatoren, bei denen es dafür sorgt,
roten, kristallinen Verbindung, aber erfüllt (Jansen dass restliche, im Abgas vorhandene Kohlenwasser-
et al. 2003). Im Oktober 2016 wurde über ein Dop- stoffe noch zu Kohlendioxid und Wasser verbrannt
5 Einzeldarstellungen 769
werden. Bei der Raffination von Erdöl ist es im in Rührwerken, Legierungen, die zu 70 % aus
Reforming-Prozess für die Umwandlung von Platin bestehen:
Schweröl in hochoktanige Benzine mit relativ
hohem Gehalt an Aromaten unverzichtbar. Platin- Pt1Ir/Pt3Ir (99 % Platin und 1 % Iridium/97 %
IV-oxid (Adam-Katalysator) ist dagegen ein Be- Platin und 3 % Iridium)
schleuniger für Hydrierungen, vor allem von Pt5Rh/Pt10Rh/Pt20Rh/Pt30Rh (95–70 % Platin,
Pflanzenölen. Platin katalysiert die Zersetzung von 5–30 % Rhodium)
Wasserstoffperoxid, weshalb es oft in Brennstoff- FKS Pt (99,8 % Platin und 0,2 % Zirconium-IV-
zellen eingebaut wird (Laramie und Dicks 2003). Es oxid)
überträgt in seiner Funktion als Katalysator unter FKS Pt10Rh (89,8 % Platin, 10 % Rhodium und
anderem schnell Elektronen auf Sauerstoffatome, 0,2 % Zirconium-IV-oxid)
die so reduziert werden (Wang et al. 2008). ODS Pt (99,8 % Platin und 0,2 % Yttriumoxid)
Von 1889 bis 1960 diente ein aus Platin und ODS Pt10Rh (89,8 % Platin, 10 % Rhodium und
Iridium im Verhältnis von 90:10 bestehender Stab 0,2 % Yttriumoxid)
als Maß für das in Paris aufbewahrte Urmeter. ODS Pt20Rh (79,8 % Platin, 20 % Rhodium und
Auch das Urkilogramm besteht nach wie vor als 0,2 % Yttriumoxid).
Maß und aus derselben Legierung (Gupta 2010).
Auch die Standardwasserstoffelektrode ist aus
Platin gefertigt (Feltham und Spiro 1971). Patente
Platin verwendet man oft zur Herstellung von (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Uhren und Schmuck, da es nie anläuft oder wide.espacenet.com)
Abnutzungserscheinungen zeigt. Der Preis für
Platin unterliegt stärkeren Schwankungen als der Y. Li und Z. Qun, Compound and use
des Goldes. Oft liegt der Preis in guten wirtschaft- thereof and platinum complex and lipi-
licher Zeiten deutlich höher als der des Goldes, dosome thereof (University of Shenyang
wogegen er in Krisenzeiten wegen mangelnder Pharmaceutical; Beijing Snowle Bio
Industrieproduktion stark sinkt. Technology Co., Ltd., US 2019031696
Platindraht dient zur Herstellung von Elektro- A1, veröffentlicht 31. Januar 2019)
den, korrosions- und temperaturfesten Laborbe- V. Kysilka und J. Mengler, Platinum(IV)
hältern, Implantaten und Prothesen, Tiegeln, complex with increased antitumor effi-
medizinischen Instrumenten (Brook 2006) und cacy (Vuab Pharma AS, PL 3189064 T3,
elektrischen Kontakten. Eine zu rund 75 % aus veröffentlicht 31. Januar 2019)
Platin und 25 % aus Cobalt bestehende Legierung H. Jiang und L. Xing, Amphipathic non-
ist ein starker Permanentmagnet (Krebs 1998). steroidal anti-inflammatory platinum
Platin legiert man mit kleinen Anteilen anderer nanoparticle and preparation method
Metalle zur besseren Bearbeitbarkeit: therefor (University of China Pharma,
WO 2019019265 A1, veröffentlicht 31.
Fasserplatin 96 % Platin, 4 % Palladium Januar 2019)
(Schmelzpunkt 1750 C, P. Cao und J. Berlin, Silicon nanoparticle
Dichte 20,8 g/cm3, Zugfestigkeit: with platinum anti-cancer agent (Hope
314 N/mm2)
City, US 2019022246 A1, veröffentlicht
Juwelierplatin 96 % Platin, 4 % Kupfer
(Schmelzpunkt: 1730 C,
24. Januar 2019)
Dichte: 20,3 g/cm3, Zugfestigkeit: S. Sengupta und M. Roy, Lipid-based plati-
363 N/mm2) num compounds and nanoparticles (Aka-
mara Therapeutics Inc., US 2019002489
Fasser- und Juwelierplatin finden bevorzugt in A1, veröffentlicht 3. Januar 2019)
der Schmuckindustrie Einsatz. Für die technische
und optische Glasschmelze verwendet man, meist (Fortsetzung)
770 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
Kernspaltung. Ein β--Zerfall wurde noch nicht wertszeit haben sollte, oft weit neben den später in
beobachtet. der Praxis ermittelten Resultaten. Die Mehrheit
der Forscher glaubt, mit dem Element der Ord-
Eigenschaften nungszahl 110 die sogenannte „Insel der Stabili-
Physikalische Eigenschaften: Alle Isotope des tät“ nahezu erreicht zu haben, also superschwere
Elements sind äußerst instabil und damit natürlich Kerne mit relativ deutlich erhöhter Halbwertszeit,
radioaktiv, wobei die schweren Isotope noch be- als sie aufgrund ihrer Masse eigentlich haben soll-
ständiger sind als die leichten. Das schwerste Iso- ten (Eichler 2013).
top, 281110Ds, besitzt eine für diese Massenzahl Immerhin konnte man vor einiger Zeit mittels
lange Halbwertszeit von 12,7 s (!), aber schon Quanten-Tunnel-Berechnungen die experimen-
279
110Ds nur eine von 0,18 s. Die anderen Isotope tell gefundenen Halbwertszeiten für den α-Zer-
sind noch deutlich kürzerlebig, ihre Halbwertszei- fall aller Isotope des Darmstadtiums bestätigen
ten liegen zwischen 70 ms und 1 μs (!). Auch bei (Chowdhury et al. 2006; Samanta et al. 2007).
Darmstadtium lagen die Voraussagen darüber, Gleichzeitig sagt dieses Modell voraus, dass das
welches Isotop nun welche voraussichtliche Halb- noch unentdeckte Isotop 294110Ds mit der magi-
772 15 Nickelgruppe: Elemente der zehnten Nebengruppe
schen Zahl von 184 Neutronen die sensationell weise Monate, Trennung und Detektion müssen
lange Halbwertszeit eines α-Zerfalls von 311 a ständig arbeiten. Die neutronenreicheren und
haben sollte, das „nicht-magische“ Nuklid 293110Ds damit stabileren Isotope des Elements können
sogar eine von ca. 3500 a (!) (Chowdhury et al. wohl nur indirekt durch α-Zerfall von Kernen
2008). Man darf also gespannt sein, welche Resul- des noch schwereren Coperniciums gebildet wer-
tate die kommenden Jahre bringen werden. den (Oganessian et al. 2004).
Man erwartet, dass Darmstadtium unter Normal- Eine Synthese von 276110Ds bzw. 277110Ds
bedingungen ein Feststoff kubisch-raumzentrierter durch Beschuss von 23290Th mit 4820Ca scheint
Kristallstruktur ist. Es sollte sich um ein Schwerme- möglich, dann aber nur mit geringer Ausbeute
tall der hohen Dichte von ca. 34,8 g/cm3 handeln (Feng et al. 2009). Zudem ist die Halbwertszeit
(s. Tab. 4). Die äußere Elektronenkonfiguration des des 277110Ds mit 5,7 ms viel zu kurz; somit entfällt
Atoms wäre mit 6d87s2 wieder regelmäßig, im auch diese Möglichkeit, die Chemie des Darm-
Gegensatz zu der seines leichteren Homologen stadtiums genauer zu untersuchen.
Platin mit 5d96s1. Dies entspricht einer relativisti-
schen Stabilisierung des 7s2-Elektronenpaars;
somit wäre das klassische Aufbauprinzip bei den
Literatur
Elementen mit den Kernladungszahlen von 104 bis
112 nicht verletzt. Addison CC (1974) Inorganic chemistry of the main-group
Chemische Eigenschaften: Darmstadtium ge- elements. Royal Society of Chemistry, Cambridge,
hört zur Gruppe der Platinmetalle und ist darin das S 425. ISBN 978-0-85186-762-5
schwerste Element der Nickelgruppe, wie Berech- Agarwala RP, Sinha APB (1957) Crystal structure of nickel
selenide – Ni3Se2. Z Anorg Allg Chem 289:203
nungen seiner Ionisierungspotenziale zeigten. In Ahrens S, Strassner T (2006) Detour-free synthesis of
die Voraussage der chemischen Eigenschaften des platinum-bis-NHC chloride complexes, their structure
Elements wurde noch nicht viel investiert. Was and catalytic activity in the CH activation of methane.
man glaubt vorherzusagen, ist daher im Rahmen Inorg Chim Acta 359(15):4789
Albert B et al (2015) Metastable Ni7B3: a new paramagne-
des Erwarteten: Es sollte ein Edelmetall mit den tic boride from solution chemistry, its crystal structure
stabilsten Oxidationszahlen +6, +4 und +2 sein. and magnetic properties. Inorg Chem 54:10873. https://
Erstaunlicherweise soll der Zustand der Oxida- doi.org/10.1021/acs.inorgchem.5b01929
tionsstufe 0 in wässriger Lösung der beständigste Alsfasser R et al (2007) Moderne Anorganische
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sein (!). 019060-5
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Verbindungen Es gibt noch keine eindeutigen palladium. Nature 195:70–71
Ergebnisse, was die Untersuchung möglicher Ver- Barber RC et al (1993) Discovery of the transfermium
elements. Part II: introduction to discovery profiles.
bindungen des Darmstadtiums angeht (Düllmann Part III: discovery profiles of the transfermium ele-
2012), da die Halbwertszeiten seiner Isotope ein- ments. Pure Appl Chem 65(8):1757
fach zu kurz sind. Die einzige Verbindung, die Bartlett N, Lohmann DH (1960) Two new fluorides of
man eventuell wegen ihrer Flüchtigkeit gut nach- platinum. Proc Chem Soc 14(3):14–15
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wertszeit des untersuchten Isotops mindestens ISBN 978-3-642-23965-6
Blachnik R (1998) Taschenbuch für Chemiker und Physi-
1 s betragen, und darüber hinaus mindestens ein ker: Bd. III. Elemente, anorganische Verbindungen
gleiches Isotop pro Woche produziert werden und Materialien. Springer, Berlin/Heidelberg, S 638.
muss. Die Laufzeit dieser Versuche beträgt teil- ISBN 978-3-540-60035-3
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Kupfergruppe: Elemente der ersten
Nebengruppe 16
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 779
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_16
780 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
zum Metall., wobei Kupfer und Silber Halb- spielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon. Die
edelmetalle sind. Gold ist dagegen ein Edelmetall, meisten Elemente können sich untereinander ver-
auch wenn es in seiner Beständigkeit gegenüber binden und bilden chemische Verbindungen; so
Korrosion die des Iridiums nicht erreicht. Die Ele- wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische
mente dieser Gruppe geben meist ein, zwei oder Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz.
drei äußere Valenzelektronen ab, um eine stabile Einschließlich der natürlich vorkommenden
Elektronenkonfiguration zu erreichen. Bei Kupfer sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
sind die Oxidationsstufen +1 und +2 am stabilsten, erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
bei Silber +1 und bei Gold +1 und +3. Für das system der Elemente (s. Abb. 1) 118 Elemente auf.
höchste Element dieser Nebengruppe, das Roent- Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier
genium, wurden noch so gut wie keine chemischen Vertreter der Gruppe der Elemente der zweiten
Untersuchungen durchgeführt. Es ist zu erwarten, Nebengruppe enthalten dabei alle wichtigen In-
dass es sich chemisch ähnlich wie Gold verhält. formationen über das jeweilige Element, so dass
Kupfer, Silber und Gold sind alle schon seit auch hier nur eine kurze Einleitung folgt.
Jahrtausenden bekannt. Die erstmalige Darstellung
von Atomen des Roentgeniums gelang 1994. Sie
finden alle Elemente im unten stehenden Perioden- 2 Vorkommen
system in Gruppe 11 (I B).
Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B. Na- Kupfer kommt mit einer Konzentration von
trium, Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie 100 ppm in der Erdhülle vor und ist damit für
Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie bei- ein Halbedelmetall sehr häufig, dagegen sind
5 Einzeldarstellungen 781
Silber bzw. Gold mit 0,08 bzw. 0,004 ppm sehr Methoden, auch mit reaktiven Nichtmetallen
selten. Roentgenium ist nur durch künstliche (Halogene, Sauerstoff) erfolgt erst bei hoher Tem-
Kernreaktionen und auch dann nur in Mengen peratur eine Umsetzung.
weniger Atome zugänglich.
5 Einzeldarstellungen
3 Herstellung
Im folgenden Teil sind die Elemente der Kupfer-
Kupfer erhält man durch Rösten seines Sulfids gruppe (1. Nebengruppe) jeweils einzeln mit ihren
und anschließende Reduktion des dabei entste- wichtigen Eigenschaften, Herstellungsverfahren
henden Kupfer-I-oxids mit Kupfer-I-sulfid zu und Anwendungen beschrieben.
Rohkupfer, das dann noch elektrolytisch raffiniert
wird. Silber und Gold müssen erst von anderen,
begleitend auftretenden Edelmetallen getrennt 5.1 Kupfer
werden, wobei sie im darauf folgenden Prozess
unter anderem in Königswasser gelöst werden. Geschichte Eine umfangreiche Verwendung des
Silber erzeugt man auch als Nebenprodukt des Kupfers setzte ab 5000 v. Chr. ein. Die darauf
Röstens von Sulfiden unedlerer Metalle. Oft fallen folgende Zeit bis zum 3. Jahrtausend v. Chr.
Silber und Gold im Anodenschlamm des jeweili- nennt man daher auch Kupferzeit. Im römischen
gen Raffinationsprozesses an. Reich produzierte man um das Jahr 0 herum
schon 15.000 t des Metalls jährlich (!) (Hong et al.
1996). Kupfer war aber in reiner Form zu weich
4 Eigenschaften und überzog sich nach einiger Zeit mit grünem
Kupferhydroxid („Grünspan“), sodass man es
4.1 Physikalische Eigenschaften mit Zinn und Blei zu einer damals als „Bronze“
bezeichneten, härteren und chemisch wider-
Die physikalischen Eigenschaften sind auch in die- standsfähigeren Legierung verarbeitete. (Heute
ser Gruppe mit nur wenigen Ausnahmen regelmä- versteht man unter reiner Bronze eine Legierung
ßig nach steigender Atommasse abgestuft. In aus viel Kupfer und wenig Zinn, die frei von
Analogie zu den Nachbarelementen der zehnten Blei ist.) Auch Messing, bestehend aus Kupfer
Nebengruppe nimmt vom Kupfer zum Gold nur und Zink, kannte man schon im antiken Grie-
die Dichte zu, wogegen Schmelzpunkte, Schmelz- chenland.
und Verdampfungswärmen sowie die Siedepunkte
auf ungefähr konstantem Niveau verbleiben. Die Vorkommen Kupfer kommt vereinzelt gediegen
chemische Reaktivität geht vom Kupfer zum Gold in der Natur vor, ist als Mineral anerkannt und
deutlich zurück. erscheint in der Klassifizierung der Minerale nach
Strunz unter der Nr. „1.AA.05“, in der Systematik
nach Dana unter „01.01.01.03“. Weiterhin gibt es
4.2 Chemische Eigenschaften verschiedene Kupfermineralien wie Bornit, Mala-
chit, Cuprit, Chalkosin und Cornwallit, es kommt
Die Elemente der Kupfergruppe sind nur wenig aber sehr häufig auch als Begleiter vieler Minerale
reaktionsfähig (Kupfer) oder sogar reaktionsträge anderer Elemente vor. Die größten Vorkommen
(Silber und Gold), auch wenn einige andere lagern in Chile, Peru, Sambia, Kanada, den USA
Metalle wie Iridium noch wesentlich widerstands- und der Mongolei, in Europa sind Schweden,
fähiger sind. Silber und Gold sind in den meisten Polen und Portugal wichtig. Chile ist mit Abstand
Säuren unlöslich, Kupfer ist in dieser Hinsicht der größte Produzent des Metalls weltweit, vor
reaktionsfähiger. Namentlich Silber und Gold re- Peru und den USA. Weltweit sind heute noch rund
agieren meist nur unter Anwendung drastischer 600 Kupferminen in Betrieb.
782 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
Die Kupfererze kommen in großer Menge und Metalle an der Anode in Lösung, während die
mit hoher Konzentration des Metalls vor, sodass edleren als Anodenschlamm ausfallen. Letzterer
ein Abbau wirtschaftlich möglich ist. Man gewinnt dient so zur Gewinnung von Edelmetallen.
Kupfer beispielsweise aus Chalkosin (Kupfer- Die Anode löst sich also langsam auf, und das
glanz, Cu2S) oder Chalkopyrit (Kupferkies, in der Lösung befindliche Kupfer, und nur dieses,
CuFeS2), gelegentlich auch aus Bornit (Buntkup- scheidet sich an der Kathode als reines Kupfer mit
ferkies, Cu5FeS4), Atacamit [CuCl2 Cu(OH)2] einer Reinheit von bis zu 99,99 % wieder ab.
oder Malachit [Cu2(OH)2CO3]. Schon vor etwa 1000 Jahren begann man in
China, Kupfer durch sogenanntes Zementieren
Gewinnung Kupferkies (CuFeS2) röstet man herzustellen, indem man Eisen in Lösungen von
zunächst unter Zusatz von Koks, wobei Kupfer- Kupfer-II-sulfat gab. Darauf schied sich Kupfer
stein (Kupfer-I-sulfid, Cu2S, mit wechselndem auf dem Eisen ab, nachteilig war dabei die relativ
Gehalt an Eisensulfid) und Eisenoxide entstehen. starke Verunreinigung des Kupfers durch Eisen
Jene verschlackt man mit quarzhaltigen Zuschlä- (Lung 1986).
gen zu Eisensilikat, das auf dem Kupferstein Kupfer ist auch aluminothermisch durch Erhit-
schwimmt und abgegossen wird: zen eines aus Kupfer-II-oxid und Aluminiumgrieß
bestehenden Gemisches herstellbar. Der Zusatz
6 CuFeS2 þ 10 O2 ! 3 Cu2 S þ 2 FeS eines Fließmittels wie Calciumfluorid ermöglicht
þ 2Fe2 O3 þ 7 SO2 das Auflösen oxidischer Schlacke und erhöht die
Fe2 O3 þ C þ SiO2 ! Fe2 SiO4 þ CO Ausbeute an Metall. Da für ein solches Verfahren
aber das relativ teure Aluminium eingesetzt wer-
Den so gebildeten, rohen Kupferstein gießt man den muss, ist dieser Weg nicht von kommerziel-
dann in einen Konverter und bläst Luft in die lem Interesse.
Schmelze ein. Zunächst wird dadurch das noch
verbleibende Eisensulfid zu Eisenoxid geröstet, Eigenschaften
das man durch Zusatz weiterer kieselsäurehaltiger Physikalische Eigenschaften: Kupfer schmilzt bei
Stoffe und Koks erneut als Schlacke bindet und 1083,4 C und ist mit einer Dichte von 8,92 g/cm3
von der Schmelze abgießt. Etwa 70 % des Kup- ein Schwermetall (s. Tab. 1). Es ist relativ weich
fersteins wird hierbei zum Kupfer-I-oxid (Cu2O) und ein sehr guter Leiter sowohl für elektrischen
oxidiert (Schlackenblasen). Nach dem Abgießen Strom als auch für Wärme. Wenn Kupfer als Lei-
der eisenhaltigen Schlacke reagiert der Rest des ter in Stromkabeln eingesetzt werden soll – es hat
Kupfer-I-sulfids (Cu2S) mit dem schon entstande- eine sehr hohe Leitfähigkeit-, so muss es frei von
nen Kupfer-I-oxid, wobei sich Rohkupfer und den diese verringernden Verunreinigungen wie
Schwefel-IV-oxid bilden (Garblasen): Eisen und Phosphor sein. Kaltstreckung erhöht
die Festigkeit gegossenen Kupfers, aber Kaltver-
2 Cu2 S þ 3 O2 ! 2 Cu2 O þ 2 SO2 formungen sind ohne zwischenzeitliches Glühen
Cu2 S þ 2 Cu2 O ! 6 Cu þ SO2 gut durchzuführen. Ab Temperaturen von 700 C
kann man Kupfer gut schmieden und pressen.
Das so erzeugte Rohkupfer besitzt einen Kup- Chemische Eigenschaften: Das hellrote Kupfer
fergehalt von ca. 98 %. Daneben enthält es mehrere läuft an der Luft an und ändert seine Farbe in
Metalle wie Eisen, Zink, aber auch kleinere Men- rotbraun. Der oft über lange Zeit hinweg verlau-
gen an Silber und Gold. Zur weiteren Reinigung fende Korrosionsprozess bewirkt am Ende den
raffiniert man das Kupfer elektrolytisch; der Verlust des Metallglanzes und die Bildung einer
Elektrolyt ist eine schwefelsaure Lösung von Kup- blaugrünen Schicht von basischem Kupfer-II-car-
fer-II-sulfat, die Anode besteht aus dem gerade bonat an der Metalloberfläche.
produzierten Rohkupfer und die Kathode aus rei- Kupfer tritt in den Oxidationsstufen 0 bis +4
nem Kupfer. Im Verlauf der Elektrolyse gehen auf; am häufigsten sind +1 und +2. Die Oxida-
Kupfer und alle im Vergleich zu Kupfer unedleren tionsstufe +2 ist auch in wässriger Lösung die
5 Einzeldarstellungen 783
beständigste, wogegen +3 und +4 nur sehr selten Säuren korrodieren Kupfer unter Umständen
auftreten, wie beispielsweise in Cs2CuF6. Kupfer- stark, nicht aber Laugen.
II-salze sind in der Regel blau oder grün. Kompaktes Kupfer ist nicht brennbar, wohl
Salzsäure greift Kupfer nur in Gegenwart von aber fein verteiltes. An der Luft ist es durch eine
Sauerstoff und Wasserstoffperoxid, dann aber dünne Schicht von Kupfer-II-oxid vor weiterer
stark, an. Heiße, konzentrierte Schwefelsäure löst Oxidation geschützt. Bei Rotglut reagiert es mit
es, ebenso wie auch konzentrierte Salpetersäure Sauerstoff unter Bildung einer dicken Schicht aus
oder Königswasser. Auch stärkere organische Kupferoxiden. Auch Fluor passiviert Kupfer,
784 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
indem auf der Metalloberfläche eine aus Kupfer- Kupfer-I-diamminkomplexes [Cu(NH3)2]+. Wäh-
II-fluorid (CuF2) bestehende Passivschicht bildet. rend trockenes Kupfer-I-oxid an der Luft beständig
Flüssiges Kupfer besitzt ein hohes Lösungsver- ist, reagiert das feuchte Produkt mit Luftsauerstoff
mögen für Gase, auch für Sauerstoff und Wasser- schnell zu blauem Kupfer-II-hydroxid. Mit ver-
stoff. Diese können, wenn sie beim Erstarren der dünnter Salpeter- bzw. Schwefelsäure dispropor-
Schmelze miteinander reagieren, zur Bildung un- tioniert es zu Kupfer-II-nitrat bzw. -sulfat und
erwünschter Risse und Poren im Werkstück füh- Kupfer. Wasserstoff reduziert Kupfer-I-oxid bei
ren (Wasserstoffversprödung). erhöhter Temperatur zu metallischem Kupfer.
Kupfer-I-oxid ist ein Halbleiter mit einer direk-
Verbindungen ten Bandlücke von ca. 2 eV und hat ein hohes
Chalkogenverbindungen Kupfer-I-oxid (Cu2O) ist Lochleitungsvermögen, jedoch wurde es schon
ein gelber bis rotbrauner, kubisch kristallisieren- vor langer Zeit von Silicium, Germanium und
der Feststoff der Dichte 6,0 g/cm3, der bei einer III-V-Verbindungshalbleitern, wie etwa Galliumar-
Temperatur von 1235 C schmilzt und beim Erhit- senid, verdrängt. Weitere Anwendungen sind fäul-
zen schwarz wird (s. Abb. 2). In der Natur kommt nishemmende Anstriche für Schiffskörper, die als
es in Form des Minerals Cuprit vor. Rotpigment für Glas und Emaille, als Fungizid und
Kupfer-I-oxid stellt man entweder durch als Katalysator für organische Synthesen.
Umsetzung von Kupfer-II-oxid mit Kupfer bei Das schwarze, amorph oder kristallin auf-
erhöhter Temperatur oder durch Thermolyse von tretende Kupfer-II-oxid (CuO) (s. Abb. 3a, b)
Kupfer-II-oxid bei Temperaturen von >800 C schmilzt bei einer Temperatur von 1326 C und
her (Brauer 1978, S. 979). Alternativ ist die Dar- hat die Dichte 6,48 g/cm3. In der Natur kommt es
stellung auch durch Umsetzung metallischen in Form des Minerals Tenorit vor. Man kann die
Kupfers mit Kupfer-II-oxid möglich: Verbindung entweder durch Erhitzen und so
bewirkte Pyrolyse von Kupfer-II-nitrat oder -car-
CuO þ Cu ! Cu2 O bonat oder aber durch Erwärmen frisch gefäll-
ten Kupfer-II-hydroxids herstellen (Brauer 1978,
Ferner kann man zur Darstellung von Kupfer- S. 979). Kupfer-II-oxid entsteht auch beim Erhit-
I-oxid Kupfer-II-salze im alkalischen Milieu zen metallischen Kupfers an der Luft. Es ist un-
durch Hydrazin und Aldehyde reduzieren oder löslich in Wasser und Alkoholen, wohl aber in
aber durch Zugabe von Alkalilauge aus den wäss- verdünnten Säuren unter Bildung der jeweiligen
rigen Lösungen von Kupfer-I-salzen ausfällen. Kupfer-II-salze. In Ammoniakwasser löst es sich
Die Verbindung ist nahezu unlöslich in Was- in Form des blauen Kupfertetrammin-Komplexes
ser, dagegen gut in verdünnten Säuren. In Am- ([Cu(NH3)4]2+).
moniakwasser löst sie sich unter Bildung des Kupfer-II-oxid gibt beim Erhitzen auf Tempe-
raturen um 800 C Sauerstoff ab und geht in
Kupfer-I-oxid über. Jenes entsteht auch, wenn
man fein verteiltes Kupfer mit Kupfer-II-oxid
erhitzt. Bei höheren Temperaturen lässt sich oxid und Schwefel-IV-oxid. In verdünnten wäss-
Kupfer-II-oxid durch Wasserstoff oder Kohlen- rigen Mineralsäuren ist Kupfer-II-sulfid nicht
monoxid zu Kupfer reduzieren. löslich; dagegen reagiert es beispielsweise mit
Man verwendet Kupfer-II-oxid als Farbpigment der oxidierendend wirkenden, konzentrierten Sal-
für Glas und Keramik. Es dient ferner als Kathode petersäure zu Kupfer-II-sulfat, Stickstoffoxid und
in Batterien, als Katalysator, für fäulnishemmende Wasser:
Anstriche und zur Entschwefelung von Erdöl.
Seine Mischoxide mit anderen Metalloxiden besit- 3 CuS þ 8 HNO3 ! 3 CuSO4 þ 8 NO þ 4 H2 O
zen außergewöhnlich hohe Sprungtemperaturen
um 100 K (-173 C) und bilden die Klasse der Man kann Kupfer-II-sulfid durch Einleiten von
Hochtemperatur- oder keramischen Supraleiter Schwefelwasserstoff in eine wässrige Lösung
(Rietschel 1998). eines Kupfer-II-salzes darstellen, aus der es dann
Kupfer-I-sulfid (Cu2S) ist ein dunkelblauer als schwarzer Niederschlag ausfällt, durch Erhit-
bis blaugrauer Feststoff (s. Abb. 4a, b) mit einem- zen einer aus Kupfer-I-sulfid und Schwefel be-
Schmelzpunkt von 1100 C und der Dichte stehenden Mischung (Brauer 1978, S. 982) oder
5,6 g/cm3, den man bei erhöhter Temperatur durch durch gemeinsames Erhitzen der Elemente in stö-
Zusammenschmelzen der Elemente unter Vakuum chiometrischem Verhältnis (Blachnik und Müller
erhalten kann (Brauer 1978, S. 981). In der Natur 2000). Die Fällung als schwarzes Kupfer-II-sulfid
kommt das Sulfid als Mineral Chalkosin vor. Die dient als Nachweis von Kupfer im Trennungsgang
Verbindung ist unlöslich in Wasser und auch nur der Kationen, wenn das ausgefällte Sulfid an-
sehr schlecht in Salzsäure. Bei Temperaturen bis schließend in Salpetersäure gelöst wird und man
zu 110 C liegt die orthorhombische β-Form vor, die in Lösung befindlichen Cu2+-Ionen dann
oberhalb davon die α-Form mit hexagonaler durch Zusatz von Ammoniakwasser in den schon
Kristallstruktur. Einsatz findet Kupfer-I-sulfid in zitierten, blauen Kupfertetrammin-Komplex über-
Anstrichfarben und zur Herstellung von Nanokris- führt. Ein Einsatzgebiet sind ebenfalls keimhem-
tallschichten. mende Anstriche.
Kupfer-II-sulfid (CuS) ist ebenfalls ein schwar- Kupfer-I-selenid (Cu2Se) erhält man durch
zer, wasserunlöslicher, aber elektrisch leitfähiger Reaktion pulverförmigen Kupfers mit Selen in stö-
Feststoff (s. Abb. 5a, b) der Dichte 4,6 g/cm3, der chiometrischem Verhältnis bei Temperaturen zwi-
bei 507 C unter Zersetzung zu Schwefel und schen 300 und 400 C (Brauer 1978, S. 983). Der
Kupfer-I-sulfid schmilzt, falls unter Luftaus- blauschwarze Feststoff (s. Abb. 6) schmilzt bei
schluss gearbeitet wird. Seine Kristallstruktur ist 1113 C, besitzt die Dichte 6,84 g/cm3 und kristal-
hexagonal; es tritt in der Natur als Mineral Covel- lisiert unterhalb einer Temperatur von 131 C te-
lin auf. tragonal (β-Cu2Se), oberhalb dieser Temperatur
In feuchter Luft oxidiert die Verbindung lang- kubisch (α-Cu2Se). In der Natur kommt es in Form
sam zu Kupfer-II-sulfat; nur an trockener Luft ist der Minerale Bellidoit und Berzelianit vor.
es beständig. Rösten an der Luft ergibt Kupfer-II-
Abb. 4 a Kupfer-I-sulfid (Onyxmet 2018). b Kupfer-I- Abb. 5 a Kupfer-II-sulfid (Onyxmet 2018). b Kupfer-II-
sulfid Sputtertarget (Onyxmet 2018) sulfid Sputtertarget (QS Advanced Materials 2018)
786 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
Pnictogenverbindungen Das dunkelgrüne Kup- phors wird der Magen analog mit Kupfer-II-sul-
fer-I-nitrid (Cu3N) stellt man durch Überleiten von fat-Lösung gespült.
Ammoniak über erhitztes Kupfer-II-fluorid her Kupfer-I-phosphid erweist sich, wenn es in
(Brauer 1978, S. 984). Die Verbindung schmilzt Form büschelförmiger, selbsttragender Nanoteil-
bei 450 C im Vakuum unter Zersetzung, besitzt chen auf ein feinporiges Kupfernetz aufgebracht
die Dichte 5,84 g/cm3, kristallisiert kubisch (Xiao wird, als sehr wirksamer Elektrokatalysator zur
et al. 2011) und ist bei Raumtemperatur an der Erzeugung von Wasser- bzw. Sauerstoff. Dieses
Luft beständig. Beim Erhitzen auf etwa 400 C System ist wirksamer als die gelegentlich einge-
erfolgt mit Sauerstoff zügige Oxidation unter Bil- setzten IrO2- oder Pt/C-Katalysatoren und auch
dung von Kupfer-II-oxid und Stickstoff. In ver- noch wesentlich billiger. Bei einer Spannung
dünnten Mineralsäuren sowie konzentrierter Salz- von 120 mV erreicht man Stromdichten von
säure ist Kupfer-I-nitrid unter Bildung von Kupfer, 10 mA/cm bei gleichzeitig niedrigen Überspan-
des jeweiligen Kupfer- und Ammoniumsalzes lös- nungen (Wei et al. 2016).
lich. Stark oxidierende Säuren wie konzentrierte Verwandt hierzu ist die Anwendung von Nano-
Schwefel- und Salpetersäure zersetzen die Sub- röhrchen aus Kupfer-I-phosphid, die auf einer
stanz mit heftiger Reaktion. bestehenden Kupferfolie durch anodische Oxida-
Kupfer-I-phosphid (Cu3P) tritt in Form spröder, tion und darauf folgende Phosphidierung erzeugt
gelbgrauer bis schwarzer Kristalle hexagonaler wurden. Diese Röhrchen waren sehr wirksame
Struktur (s. Abb. 15) auf und reagiert nicht mit Anoden in einem Superkondensator, wenn sie mit
Wasser. Es schmilzt bei 900 C und dient als Sauer- Nanoröhrchen aus Kohlenstoff als Kathode kom-
stofffänger in Kupfer und seinen Legierungen. biniert wurden (Energiedichte 44,6 Wh/kg, Leis-
Man kann die Verbindung durch Umsetzung tungsdichte 17 kW/kg sowie 82 % regenerierbare
eines stark kupferhaltigen Materials mit rotem Leistung nach 5000 Zyklen) (Chen et al. 2017).
Phosphor in einem Ofen oder Tiegel herstellen. Kupfer-I-arsenid (Cu3As) kommt, wenn auch
Ebenso ist es durch Bestrahlung von Kupferhypo- selten, als Mineral Domeykit natürlich vor. Seine
phosphit mit ultravioletter Strahlung zugänglich Kristallstruktur ist kubisch; das Mineral bildet
(Lelental und Light 1978); das bei Anwendung graue voluminöse Aggregate, die im Lauf der Zeit
dieses Verfahrens erzeugte Kupfer-I-phosphid zeigt an der Oberfläche bunt schillern. Die Lagerstätten
dann Fluoreszenz. Gelangt weißer Phosphor auf befinden sich hauptsächlich in Chile, in den USA
die Haut und verursacht dort Brandwunden, so be- (Keweenaw-Halbinsel, Michigan) und im Iran.
handelt man die betroffenen Stellen mit einer 1 % Vereinzelt wurde Domeykit auch in einigen ande-
igen Lösung von Kupfer-II-sulfat, worauf die Stü- ren Ländern aufgefunden.
cke weißen Phosphors an ihrer Oberfläche mit Im System Kupfer-Arsen existieren drei inter-
einem schwärzlichen Film von Kupfer-I-phosphid mediäre Phasen. Die nur unterhalb einer Tempera-
überzogen und so unschädlich gemacht werden. tur von 340 C stabile ε-Phase kristallisiert hexa-
Bei versehentlichem Verschlucken weißen Phos- gonal in der ungefähren Zusammensetzung Cu8As.
Die Verbindung Cu3xAs (0x0,3) besitzt dage-
gen eine trigonale Kristallgeometrie und tritt zwi-
schen 200 C und ihrem Schmelzpunkt nicht in
weiteren polymorphen Formen auf. Die arsen-
reichste Phase ist Cu5yAs2 (0y0,1), deren
Struktur aber noch nicht aufgeklärt ist; sie zersetzt
sich oberhalb von 300 C. Vermutlich ist das Mine-
ral α-Domeykit eine Hochdruckmodifikation, und
das Mineral β-Domeykit isotyp zu Cu3As (Hey-
ding und Despault 2011).
Galvanisch abgeschiedenes, kristallines Kup-
Abb. 15 Kupfer-I-phosphid (Onyxmet 2018) ferantimonid (CuxSb; 1<x<3) testete man in
790 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
Form dünner Filme als Anode in Lithiumbatte- findet das Pentakupfersilicid auf der metallisierten
rien. Jackson et al. untersuchten die Veränderun- Rückseite aller Chips und eventuell auf deren
gen der kleinen Kristallite, die während der Auf- Kanten und Ecken. Der negative Effekt anderer-
nahme bzw. Abgabe von Lithiumionen eintreten. seits besteht in einem größeren Volumen des
Die grundlegenden Reaktionsmechanismen blei- Chipmaterials, was wiederum zu strukturellen Be-
ben in oben genannten Bereich des Kupferanteiles schädigungen führen kann (Maier 2015). Kompo-
weitgehend gleich, jedoch ist die reversible Kapa- site aus Silicium, Kupfer und Graphit sind geeig-
zität des Elektrodenmaterials stark abhängig vom nete Materialien für in Lithiumionen-Batterien
Kupferanteil. Ex-situ-Versuche zeigen, dass sich verwendete Anoden (Wang 2006).
interne Spannungen, die während der Lithiierung Das nur in reinster Form weiße, sonst gelbliche
auftreten, in einer deutlichen Veränderung der Kupfer-I-cyanid (CuCN) (s. Abb. 16) ist fast un-
Morphologie der Oberfläche äußern. Insgesamt löslich in Wasser und schmilzt bei einer Tempe-
verbessern dünne Filme von Kupferantimonid ratur von 473 C. Man stellt es durch Versetzen
den Wirkungsgrad dieser Batterien (2016). wässriger Lösungen von Kupfer-II-sulfat und
Sonstige Verbindungen Kupfer-I-acetylid (Cu2C2, Natriumcyanid her, wobei Natriumsulfat, Dicyan
„Kupfer-I-carbid“) erhält man durch Einleiten und Kupfer-I-cyanid gebildet werden. Einsatz fin-
von Ethin in die ammoniakalische Lösung eines det es beim Galvanisieren oder als Nukleophil zur
Kupfer-I-salzes. Liegen in der Lösung auch noch Überführung von Arylhalogeniden in Arylnitrile
Cu2+-Ionen vor, so entsteht als Nebenprodukt (Rosenmund-Von Braun-Reaktion; Supniewski
Kupfer-II-acetylid, das noch instabiler als erstge- und Salzberg 1928).
nanntes ist (Brauer 1975, S. 986). Kupfer-I-acety- Das grauweiße Kupfer-I-sulfat [Cu2SO4] ist
lid-hydrat fällt bei dann als rotbrauner Niederschlag durch Reaktion von Kupfer mit Schwefelsäure
aus der wässrigen Phase aus. Die getrocknete bei Temperaturen um 200 C zugänglich (Brauer
Verbindung ist unlöslich in Wasser, aber löslich 1978, S. 984). Ein zweiter Herstellprozess besteht
in Salzsäure unter Bildung von Ethin und Kupfer- in der Umsetzung von Dimethylsulfat mit Kupfer-
I-chlorid. In wasserfreiem Zustand ist Kupfer-I- I-oxid bei 160 C unter Argon (Berthold und Born
acetylid explosiv und kann schon durch Reibung 1987). Wasser disproportioniert die Verbindung
zur Detonation gebracht werden (Urbanski 1967, zu Kupfer-II-sulfat und Kupfer, wogegen sie an
S. 227; Köhler et al. 2008). Luftsauerstoff oxidiert trockener Luft beständig ist. Die Kristallstruktur
die Substanz zu Kohlenstoff, Wasser und Kupfer- ist orthorhombisch (Berthold et al. 1988).
I-oxid. Kupfer-II-sulfat (CuSO4) findet man der Natur
Man verwendet Kupfer-I-acetylid als Initial- wegen seiner guten Wasserlöslichkeit nur in Wüs-
sprengstoff sowie als Katalysator bei Ethinylie- tengebieten als Mineral Chalkanthit. Es ist die
rungen. wichtigste Verbindung des Kupfers und wird
Pentakupfersilicid (Cu5Si) ist silberfarben, technisch als auch im Labor aus Kupfer-II-oxid
geruchlos, schmilzt bei einer Temperatur von bzw. auch -sulfid und Schwefelsäure hergestellt.
825 C und hat die Dichte 7,8 g/cm3. Man
gewinnt es durch Schmelzen einer stöchiometri-
schen Mischung von Kupfer und Silicium unter
Luftabschluss bei 800 C (Chromik et al. 1999;
Rochow 2013; Janiak et al. 2012). Die Verbin-
dung ist unlöslich in Wasser, kristallisiert kubisch
(Gottstein 2013) und dient unter anderem als Kon-
takt in Lithiumakkumulatoren. Bei der Produktion
gewöhnlicher Chips nutzt man dünne Filme aus
Pentakupfersilicid, um die Kupferkontakte der
Chips zu passivieren und so Diffusion und Elek-
tromigration noch besser zu unterdrücken. Man Abb. 16 Kupfer-I-cyanid (Onyxmet 2018)
5 Einzeldarstellungen 791
Kabeln Verwendung, wie beispielsweise in elek- der wässrigen Lösung eines Kupfersalzes auf
trischen Oberleitungen, die aus einer Legierung einer Platinnetzkathode niederschlägt. Weitere
von Kupfer und Magnesium bestehen. Methoden sind die Iodometrie, die komplexome-
Andere Legierungen des Kupfers sind Mes- trische Bestimmung mit Titriplex gegen Murexid,
sing (mit Zink), Bronze (mit Zinn) und Neusilber die Polarografie, AAS, ICP-MS oder Invers-
(mit Zink und Nickel). Unterschieden werden voltammetrie (Neeb 1969).
dabei Knetlegierungen (Messing und Neusilber),
die nur durch Warm- oder Kaltumformung er- Physiologie, Toxizität Schon in geringen Men-
zeugt werden, und Gusswerkstoffe (Rotguss, gen wirkt Kupfer auf zahlreiche Mikroorganis-
Bronzen), die aus der flüssigen Phase heraus men toxisch. Im Rahmen einiger Bauprojekte
vergossen und nach dem Erstarren kaum noch kommen daher mit Kupfer beschichtete Türklin-
plastisch verformbar sind. ken zum Einsatz, beispielsweise in Krankenhäu-
Kupfer dient als Spiegel für Kohlendioxidla- sern zwecks besserer Desinfektion (Bonnet 2009).
ser, da es Infrarotlicht stark reflektiert. Kupfer hat Legierungen des Elementes mit einem Anteil von
nicht nur eine ausgezeichnete elektrische, sondern mindestens 60 % Kupfer deaktivieren auch Noro-
auch eine sehr gute Wärmeleitfähigkeit. Daher viren (Warnes und Keevil 2013). Sehr geringe
fungiert es oft als Wärmeleiter. Kupferplatten ätzt Mengen an Kupfer verhindern unter anderem
man je nach gewünschtem Muster an und verwen- die Verkeimung von Blumenwasser. Für höhere
det sie anschließend als Druckschablonen für Lebewesen ist das Element oft nur schwach giftig,
Kupferstiche und Radierungen. Mit Kupferblech lediglich im – seltenen – Fall der Krankheit Mor-
deckte man, zum Teil schon vor Jahrhunderten, bus Wilson erleiden Organe, die über einen langen
Dächer; die darauf gebildete Patina passiviert das Zeitraum hinweg Kupferverbindungen speicher-
darunterliegende Metall vor weiterer Korrosion. ten, aber nicht mehr abgaben, Schädigungen (Ala
Weitere Anwendungen sind die Herstellung von et al. 2007). Kupferverbindungen bewährten sich
Münzen, Farbpigmenten, Tonern, Oberflächenbe- auch als Mittel zur Bekämpfung von Schnecken.
schichtungen und medizinischen Produkten. Für die meisten höheren Lebewesen ist Kupfer
essenziell, da es in zahlreichen Enzymen enthal-
Analytik Enthält eine Probe Kupfer, so färbt sie ten ist. Der Mensch sollte täglich 1–1,5 μg Kupfer
die Boraxperle in der oxidierenden Zone der aufnehmen; besonders Schokolade, Leber, Getrei-
Flamme blau bis blaugrün, wogegen in der redu- de, Gemüse und Nüsse enthalten Kupfer. Kupfer
zierenden Flammenzone meist keine Färbung ist auch Bestandteil des Hämocyanin, des blauen,
beobachtet wird. Im Trennungsgang der Kationen Sauerstoff tragenden Blutfarbstoffes der Insekten.
ist Kupfer eines der Elemente, die in der Schwefel- Mangelerscheinungen beim Menschen können
wasserstoff-Gruppe als Sulfid gefällt werden. Die- durch Unterernährung, verringerte Absorption
ses Kupfer-II-sulfid trennt man zusammen mit den (bei Morbus Crohn oder Mukoviszidose) oder
anderen Sulfiden ab, löst sie in Säure und behan- gleichzeitige vermehrte Aufnahme anderer Schwer-
delt einen Teil der Probe mit Ammoniakwasser. metalle bewirkt werden (Mercer 1998; Lutsenko
Bei Anwesenheit von Kupfer bildet sich der tief- et al. 2007). Wahrscheinlich ist, dass ein gestörter
blaue Kupfertetramminkomplex ([Cu(NH3)4]2+). Stoffwechsel des Kupfers im Gehirn das Entste-
Die Cu2+ -Ionen können auch durch Zugabe einer hen der Alzheimerkrankheit begünstigt (Bayer
Kaliumhexacyanoferrat-II-Lösung als rotbraunes 2003). Eine Verabreichung größerer Mengen an
Kupfer-II-hexacyanoferrat-I (Cu2Fe(CN)6]) ge- Kupferverbindungen ergab aber keine Verringerung
fällt werden. Darüber hinaus färben Kupferver- des Krankheitsbildes bei schon an Alzheimer Er-
bindungen die Flamme des Bunsenbrenners grün krankten (Kessler et al. 2008). Andererseits wurde
bis blau. später sogar berichtet, das in das Gehirn einge-
Quantitativ bestimmt man Kupfer elektrogra- führte Kupfer bindende Stoffe die Symptome der
vimetrisch durch die gewichtsmäßig ermittelte Alzheimerkrankheit abmildern (Bush et al. 2010).
Menge des Kupfers, die sich bei der Elektrolyse Jüngste Ergebnisse zeigten, dass Kupfer sich bei
5 Einzeldarstellungen 793
die Entwicklung diverser Gegenstände aus rost- Jahr 2010 fast ein Drittel zur weltweiten Produk-
freiem Stahl (unter anderem Haushaltsgeräte, tion bei, wurde aber 2011 von Mexiko als führ-
Bestecke, Leuchter). Im gesamten 20. Jahrhundert ender „Silbernation“ abgelöst; auch China zog
entwickelte sich die Fotografie, verbunden mit inzwischen an Peru vorbei. Im Jahr 2014 förderten
einer enormen Nachfrage nach Silbersalzen; Mexiko 4700 t, China 4400 t, Peru 3700 t und
durch die fortschreitende Digitalisierung der Ab- Australien 1900 t Silber. Das polnische, auch inter-
bildungstechnik ist der Einsatz von Silberverbin- national aktive Unternehmen KGHM ist mit einer
dungen in fotografischen Anwendungen aber wie- aktuellen Fördermenge von 1200 t/a der größte
der stark rückläufig. Produzent der Europäischen Union. Meist gewinnt
Für Silber entstehen seit kurzem aber wieder man Silber aus Silbererzen, die mit Blei-, Kupfer-
neue Einsatzmöglichkeiten, die die Nachfrage för- und Zinksulfiden/-oxiden vergesellschaftet sind.
dern. Nicht nur die antimikrobielle Wirkung von Die weltweite Reserve schätzt man gegenwärtig
Silberverbindungen, die gegenüber denen des auf 530.000 t (Katrivanos 2015); diese sollte daher
Kupfers bevorzugt werden, sondern vor allem in rund 25 a erschöpft sein, wenn nicht rechtzeitig
der Einsatz in Funkantennen von Chips und in Verfahren zur Wiedergewinnung aus Abfällen ent-
Kontakten an der Oberseite von Solarzellen wickelt und etabliert werden.
gewinnt stark an Bedeutung. Etwa ein Fünftel des Silbers erzeugt man durch
Auslaugung der Erze des Metalls mit 0,1 %iger
Vorkommen und Gewinnung Silber ist ein sel- Natriumcyanid-Lösung. Man zerkleinert das Erz,
tenes Metall, da sein Anteil an der Erdkruste nur gibt die Cyanidlösung hinzu und belüftet den
0,079 ppm beträgt. Es kommt aber immer noch Ansatz intensiv. Bei dem Prozess gehen sowohl
rund 20mal häufiger als Gold vor. In der Natur elementares Silber als auch seine Erze (Ag2S,
fand man es bisher an über 4000 verschiedenen AgCl) als Dicyanoargentat-I ([Ag(CN)2]) in
Orten in gediegener Form, meist Körner, seltener Lösung. Das bei dieser Reaktion mitentstehende
aber Nuggets, dünne Plättchen oder Dendrite. Natriumsulfid oxidiert man entweder zu löslichem
Daneben sind die sulfidischen Minerale am wich- Natriumsulfat oder entfernt es durch Fällung mit
tigsten, wie der Akanthit (Silberglanz, Ag2S), Bleisalz (als Blei-II-sulfat). Aus der Lösung fällt
Stromeyerit (Kupfersilberglanz, CuAgS) und der man dann Rohsilber durch Zugabe metallischen
Miargyrit (Silberantimonglanz, AgSbS2). Bis zum Zinks aus und reinigt es anschließend weiter.
Jahr 2010 waren 167 Silberminerale bekannt. Sil- Will man dagegen Silber aus Bleierzen erzeu-
ber als Halbedelmetall ist relativ leicht aus seinen gen, röstet man diese und arbeitet sie zu rohem
sulfidischen Erzen zu isolieren, oft reicht schon Blei auf. Jenes enthält noch bis zu 1 % Silber. Das
bloßes Erhitzen wie beim Akanthit, worauf sich schon 1842 entwickelte Verfahren des Parkesie-
auf dem Erz dünne Silberdrähte (Silberlocken) rens nutzt die unterschiedliche Löslichkeit von
bilden können (Jahn 2008). Silber und Blei in flüssigem Zink. Hierzu gibt
Silber tritt außerdem in Konzentrationen von man bei Temperaturen oberhalb von 400 C Zink
maximal 1 % als Begleiter sulfidischer Erze ande- zum geschmolzenen Blei und lässt die Schmelze
rer Metalle auf, aus denen es auch industriell dann abkühlen. Silber ist in geschmolzenem Zink
gewonnen wird. Hierzu zählen zum Beispiel Blei- wesentlich leichter löslich als Blei. Nach dem
glanz (PbS) und Kupferkies (CuFeS2). Es kommt Erstarren dieses aus Zink und Silber bestehenden
auch in Form von Quecksilberamalgam natürlich „Zinkschaums“ (oder auch „Armblei“ genannt)
(!) vor, so als Kongsbergit (95 % Silber) sowie findet man darin den größten Teil des ursprünglich
Arquerit (85–95 % Silber). Auch mit Gold legiert im Blei enthaltenen Silbers. Der Zinkschaum wird
fand man es an bislang 60 Orten vor (Küstelit, abgetrennt und dann wieder über den Schmelz-
10 bis 30 % Gold). punkt des Bleis von 327 C hinaus erhitzt, sodass
Die bedeutendsten Lagerstätten des Silbers lie- der größte Teil des noch darin verbliebenen Bleis
gen in Nord- und Südamerika (Mexiko, USA, schmilzt und entfernt werden kann. Die immer
Kanada, Peru, Bolivien). Alleine Peru steuerte im noch alle drei Metalle enthaltende Schmelze
5 Einzeldarstellungen 795
erhitzt man bis zum Siedepunkt des Zinks (908 C) Wärme und elektrischen Strom überlegen. Ein
und destilliert das Zink ab. Zurück bleibt das so weiterer Vorteil ist seine außerordentlich große
genannte „Reichblei“ mit einem Silbergehalt von Dehnbarkeit und Weichheit, die das Aushämmern
8–12 %. zu extrem dünnen Folien einer Dicke weniger μm
Das flüssige Reichblei überführt man in einen oder das Ausziehen zu bis zu 2 km langen Drähten
Treibofen und leitet einen Luftstrom durch die eines Gewichtes von <1 g (!) gestattet.
Schmelze, der für eine vollständige Oxidation Reines geschmolzenes Silber löst aus der Luft
des Bleis zu Bleioxid sorgt. Jenes führt man lau- leicht ein mehrfaches Volumen an Sauerstoff,
fend aus der Schmelze ab, die somit immer weiter ohne mit diesem zu reagieren. Beim Erstarren
an Blei verarmt. Das weitaus edlere Silber bleibt der Schmelze entweicht dieser wieder, indem die
dagegen unverändert. Bildet sich schließlich auf bereits erstarrte Schmelze plötzlich aufreißt bzw.
der Oberfläche der Metallschmelze keine matt platzt. Silber mit geringen Anteilen zulegierter
erscheinende Schicht aus Bleioxid mehr, so wird Metalle zeigt dieses Phänomen nicht.
schließlich das glänzende Silber sichtbar. Dieses Chemische Eigenschaften: Silber ist ein ziemlich
„Blicksilber“ genannte Produkt enthält schon reaktionsträges Halbedelmetall, das auch bei erhöh-
mehr als 95 % Silber und wird der elektrolyti- ter Temperatur nicht mit Luftsauerstoff reagiert. Ent-
schen Raffination unterzogen. hält die Luft der Umgebung allerdings auch nur
Die Gewinnung des Silbers aus Kupfererzen Spuren an Schwefelwasserstoff, so läuft das Metall
erfolgt aus dem Anodenschlamm, den man bei der nach einiger Zeit dunkel an, da sich auf seiner Ober-
elektrolytischen Raffination des Kupfers erhält. fläche ein dünner Überzug an Silbersulfid (Ag2S)
Im Moebius-Verfahren reinigt man Rohsilber bildet. Silber wird nur von heißer konzentrierter
elektrolytisch. Dazu schaltet man das Rohsilber Salpetersäure bzw. konzentrierter Schwefelsäure
als Anode in einer mit Silbernitratlösung als Elek- gelöst. Wässrige, cyanidhaltige Medien lösen Silber
trolyten gefüllten Zelle. Die Kathode ist ein Fein- unter Bildung des Dicyanoargentat-I-Komplexes
silberblech. Während der Elektrolyse gehen Silber ([Ag(CN)2]). Gegenüber geschmolzenen Alkali-
und alle unedleren Bestandteile des Rohsilbers in hydroxiden ist es beständig.
Lösung. Edlere Metalle wie Gold und Platin fallen
unter die Anode und werden als Anodenschlamm Verbindungen
abgetrennt, der eine wichtige Quelle für Gold und Chalkogenverbindungen Silber-I-oxid (Ag2O)
andere Edelmetalle ist. An der Kathode wird aus- schmilzt schon bei einer Temperatur von 230 C
schließlich sehr reines Silber abgeschieden (Elek- unter Zersetzung in die Elemente und ist ein
trolyt- oder Feinsilber). braunschwarzer Feststoff (s. Abb. 18) der Dichte
7,2 g/cm3. In feuchtem Zustand ist es kaum licht-
Eigenschaften empfindlich und zersetzt sich beim Trocknen
Physikalische Eigenschaften: Silber ist ein weiß- etwas. Es kristallisiert im Kupfer-I-oxid-Typ und
grau glänzendes, unter Normaldruck bei 961 C löst sich in Wasser etwas mit alkalischer Reaktion
bzw. 2212 C schmelzendes bzw. siedendes Halb- unter Bildung von Silber-I-hydroxid. Die Darstel-
edelmetall (s. Tab. 2), das kubisch-flächenzen- lung geht von einer wässrigen Lösung von Silber-
triert kristallisiert. Schon bei Temperaturen ober- I-nitrat aus, zu der man Natronlauge gibt. In dem
halb von 700 C, also noch in festem Zustand, ist stark alkalischen Milieu fällt Silber-I-oxid als
Silber merklich flüchtig. Mit einer Dichte von brauner Niederschlag aus (Brauer 1978, S. 998):
10,49 g/cm3 (bei 20 C) ist es ein Schwermetall.
Silber besitzt von allen Metallen die stärkste 2 AgNO3 þ 2 NaOH ! 2 NaNO3 þ Ag2 O #
Lichtreflexion und wird daher schon seit etwa þ H2 O
150 Jahren in Spiegeln eingesetzt (Hartmann
1858). Je feiner verteilt Silber aber ist, desto dunk- Man setzt es beispielsweise als Katalysator bei
ler erscheint es. Silber ist zudem allen anderen der Kupplung von ω-Ketoalkanolen an Benzyl-
Metallen hinsichtlich seiner Leitfähigkeit für bromid oder ähnliche Moleküle unter Verdrän-
796 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
gung des Halogens ein (Williamson-Synthese Silber-I-sulfid (Ag2S) ist ein schwarzer, in Was-
(Tanabe und Peters 1981). Die zur Ableitung der ser und Ammoniakwasser praktisch unlöslicher
Wärme in Computern verwendeten Wärmeleit- Feststoff des Schmelzpunkts 825 C und der
pasten enthalten Silber-I-oxid wegen seiner hohen Dichte 7,23 g/cm3. Man kann es durch Zusam-
Wärmeleitfähigkeit. Ebenso ist es Bestandteil der menschmelzen von Schwefel mit Silber oder
zum Beispiel in Armbanduhren eingesetzten Sil- durch Einleiten von Schwefelwasserstoff in saure,
beroxid-Zink-Batterie. wässrige Lösungen von Silber-I-salzen herstellen.
5 Einzeldarstellungen 797
Silber-II-fluorid (AgF2) stellt man aus den Ele- Wegen seiner Schwerlöslichkeit in Wasser dient
menten her; alternative Verfahren sind die Umset- es als gravimetrischer Standard zur quantitativen
zungen von Silber-I-fluorid bzw. -chlorid mit Bestimmung des Silbers aus wässriger Lösung.
Fluor bei Temperaturen um 200 C. Das starke Wegen seiner Empfindlichkeit gegenüber Licht
Fluorierungsmittel ist ein weißes Pulver, das setzte man es früher oft in fotografischen Filmen,
bei 690 C schmilzt und empfindlich gegenüber Platten und Papieren ein. Die nicht polarisierba-
Licht ist, weshalb es in Behältern aus Teflon, ren, also korrekte Resultate ergebenden Silber-
passiviertem Metall oder Quarzglas aufbewahrt Silberchlorid-Referenzelektroden ersetzten die
werden muss. Bei Raumtemperatur liegt es als früher gebräuchlichen Kalomelelektroden weit-
„echte“ Silber-II-verbindung vor, bei höheren gehend.
Temperaturen sind im Produkt Anteile von Sil- Silber-I-bromid (AgBr) hat die Dichte 6,47 g/cm3,
ber-I-tetrafluoroargentat-III enthalten (Wolan und schmilzt bzw. siedet bei 430 C (Bildung einer
Hoflund 1998; Müller-Rösing et al. 2005). Unter- orangeroten Flüssigkeit) bzw. 1533 C, ist schwer
halb ihrer Curie-Temperatur von 110 C wird löslich in Wasser und fällt beim Versetzen der
die Verbindung ferromagnetisch (!). wässrigen Lösung eines Silbersalzes mit Bromid
Man setzt Silber-II-fluorid in Mengen von als gelblich-weißlicher Niederschlag aus (Keim
höchstens 100 kg/a unter anderem zur Fluorierung 2013). Die Synthese kann auch aus den Elementen,
und Herstellung organischer Perfluorverbindungen allerdings unter Anwendung drastischer Bedingun-
ein (Osborne et al. 1962), des Weiteren zur – aller- gen, erfolgen (unter Überdruck bei 500 C) (Ber-
dings nicht sehr selektiven- Fluorierung aromati- riman und Herz 1957).
scher Kohlenwasserstoffe (Zweig et al. 1980), zur Silber-I-bromid ist in konzentrierter Ammo-
Darstellung von Xenondifluorid (XeF2) durch Re- niak-Lösung mäßig und nur in thiosulfat- und
aktion von Silber-II-fluorid mit Xenon in wasser- cyanidhaltigen Medien leicht löslich. Im Licht
freiem Fluorwasserstoff (Levec et al. 1974) oder erfolgt schnelle Zersetzung, verbunden mit einer
auch zur Umsetzung von Kohlenmonoxid zu Car- Dunkelfärbung infolge der Abscheidung von Sil-
bonylfluorid (COF2). ber (Sitzmann 2009). Diesen Effekt nutzte man in
Silber-I-chlorid (AgCl) ist ein weißer, licht- der analogen Fotografie; verstärkt wurde dieser
empfindlicher, schwer in Wasser löslicher Fest- Effekt noch durch gezieltes Dotieren mit Silber-
stoff (s. Abb. 20), der bei einer Temperatur von formiat (Belloni 2003). Der fotografische Ent-
455 C schmilzt (Siedepunkt der Schmelze: wicklungsprozess, d. h. die Geschwindigkeit der
1550 C). Die Verbindung ist unter Komplex- Entstehung eines latenten Bildes, wird maßgeb-
bildung leicht in wässriger Ammoniaklösung lich durch die Größe bereits vorhandener ionisier-
(Bildung des Silber-I-diamminkomplexes, [Ag ter Cluster von Silberatomen beeinflusst, da jene
(NH3)2]+), außerdem in Natriumthiosulfat- und eine gewisse Mindestgröße haben müssen (Fayet
Kaliumcyanidlösung löslich und wirkt desinfi- et al. 1985).
zierend in mit Trinkwasser gefüllten Behältern. Das hellgelbe Silber-I-iodid (AgI) (s. Abb. 21)
hat die Dichte 5,67 g/cm3, schmilzt bei 552 C
und kristallisiert bei Raumtemperatur in der
Wurtzit-Struktur (β-AgI). Man fällt es aus wässri-
ger Lösung eines Silber-I-salzes durch Zugabe
von Iodiden aus. Diese Reaktion nutzt man in
der qualitativen Analyse als Nachweis für Iodid,
weil das bei der Fällung entstehende AgI einen
gelblichen Niederschlag bildet, der im Gegensatz
zu Silberchlorid und -bromid nicht in einer wäss-
rigen Lösung von Ammoniak, sondern nur noch
in einer von Natriumthiosulfat löslich ist (Keiter
Abb. 20 Silber-I-chlorid (Onyxmet 2018) et al. 2003).
5 Einzeldarstellungen 799
Erz bei einem Goldanteil von 1 bis 10 g/t. Meist ist Aus dem Wasser des Flusses wird es als so
Gold hier an arsenhaltigen Pyrit gebunden, was genannte Fluss-Seife abgelagert. Man findet
die Aufarbeitung dieser Erze erschwert und somit diese sogar auf den Geröllfeldern des Rheins
verteuert. im Grenzgebiet zu Frankreich und der Schweiz
In stark eisenoxidhaltigen Körpern, umgeben („Rheingold“). Ein Kieswerk der Holcim-
von Granitgestein, wurden durch Vulkanausbrü- Lafarge-Gruppe bei Rheinzabern ist der einzige
che und nachfolgende Spülungen mit hydrother- offizielle Goldproduzent Deutschlands und ge-
malem Wasser Gold, Kupfersulfide und Eisenoxi- winnt aus seinen Kiesgruben jährlich einige kg
de selbst an verschiedenen Stellen abgeladen und Gold (Seidler 2012).
so Lagerstätten des Typs Eisenoxid-Kupfer-Gold Die Weltjahresförderung wuchs von 2008 nach
gebildet. Die wichtigsten dieser Vorkommen sind 2014 um rund 25 % auf 2860 t. Diese Menge,
in Australien (Queensland, South Australia). In gefördert und produziert innerhalb eines einzigen
Südaustralien bilden diese Lagerstätten auch eine Jahres, übertrifft diejenige, die weltweit zwischen
der größten weltweit mit Reserven von ca. 8,5 Mrd. den Jahren 500 und 1500 erzeugt wurde, und liegt
t, aber niedrigen Gehalten an Metall (0,5–2 % beim Hundertfachen der im 19. Jahrhundert pro-
Kupfer, 0,5–1,5 g/t Gold). Die Mine Olympic duzierten Menge, vorausgesetzt, die Angaben der
Dam enthält noch dazu große Mengen an Silber damaligen Quellen stimmen. War Südafrika lange
und Uran; für letzteres stellt diese Mine sogar das Zeit das wichtigste Herstellerland, so wurde es
wichtigste Vorkommen der ganzen Welt dar. hierin 2007 von Australien abgelöst. Schon ein
Gold findet sich oft in porphyrischen Kupfer- Jahr später übernahm China die Führung. Weitere
lagerstätten, umfangreichen Vorkommen in jun- wichtige Förderländer sind Russland, die USA,
gen Gebirgen. Die wertvollen Erze kommen fein Peru und Kanada. Man schätzt die weltweit
verteilt in den Gesteinsklüften vor. Die größ- vorhandenen Reserven auf 55.000 t (George
te Lagerstätte dieses Typs weltweit liegt in den 2015).
chilenischen Anden (Chuquicamata), wo man
>10 Mrd. t Erz vermutet. Zwar ist der Gehalt Gewinnung Gold kommt meist gediegen vor
des Gesteins gering (0,5–1 % Kupfer, 0,1–1 g/t und muss nicht, wie viele andere Metalle, durch
Gold), aber das Volumen des erzführenden Steins Reduktion aus Erzen gewonnen werden. Man
erlaubt eine wirtschaftliche Produktion. braucht es meist „nur“ mechanisch aus dem
In von Urmeeren geschaffenen Ablagerungen umgebenden Gestein zu isolieren. Gold ist auf-
können bedeutende Goldvorkommen enthalten grund seiner großen Widerstandsfähigkeit
sein, entweder im Basaltgestein vulkanischen gegenüber chemischen Einflüssen nur schwer in
Ursprungs (Volcanic Hosted Massive Sulfides, lösliche Verbindungen überführbar; daher müssen
VHMS) oder in Ablagerungen (Sediment Hosted besondere Verfahren zur Gewinnung des Metalls
Massive Sulfides, SHMS). Oft beinhalten diese angewendet werden.
Vorkommen nur „gewöhnliche“ Schwermetalle Sehr selten sind mit bloßem Auge sichtbare
wie Mangan, Kupfer, Zink und Blei, in einigen Körner oder gar Nuggets. Das größte bisher je
von ihnen aber lagern auch förderbare Anteile gefundene Nugget war „Welcome Stranger“; das
von Gold, Silber und anderen Wertmetallen. man 1869 in Australien fand; es wog 2284 Fein-
In Deutschland gilt Rammelsberg bei Goslar unzen (ca. 71 kg) (!) (Venable 2011). In den
(SHMS) mit einem geschätzten Vorrat von meisten Fällen liegt Gold in Form kleinster Teil-
28 Mio. t Erz bei einem Goldgehalt von immer- chen und noch dazu fein verteilt vor, was eine
hin 1 g/t neben dem dort allgegenwärtigen Blei manuelle Sammlung unmöglich macht. In der
und Zink als wichtigste deutsche Lagerstätte. Regel kombiniert man verschiedene Verfahren,
Generell führen fast alle Flüsse weltweit um aus einer Lagerstätte und auch deren Ab-
geringste Mengen an Gold, das zuvor in Form raumhalden Gold zu gewinnen. Ferner ist Gold
kleiner Blättchen im Gestein eingelagert war Nebenprodukt bei der elektrolytischen Raffina-
und dann durch Verwitterung freigesetzt wurde. tion anderer Metalle.
5 Einzeldarstellungen 805
Beim Goldwaschen schlämmt man den gold- cyanidhaltigen Schlamms entweder in Absetzbe-
haltigen Sand, meist an Flüssen, mit Wasser auf, cken oder auf Halden.
wobei sich das spezifisch schwerere Gold am Ein Zusatz von Borax ist sicher eine umwelt-
Boden absetzt und abgetrennt werden kann. freundlichere Variante, da das Schmelzen von
Nachteilig sind geringe Ausbeute bei hohem Zeit- Gold und den vielen es begleiteten Verunreinigun-
aufwand, von Vorteil dagegen die gute Ausbeute gen so bei ziemlich tiefer Temperatur erfolgt,
an groben Goldteilchen, die bei der Cyanidlauge- denn Borax wirkt schlackebindend. Dieses so
rei manchmal nicht aufgearbeitet werden. Tierfel- genannte Boraxverfahren spart also auch noch
le können nützlich sein, um mit ihren feinen Energie (Appel und Na-Oy 2012; Marsden und
Haaren Goldfäden zurückzuhalten und so die House 2006). Das Gold setzt sich dann auf dem
Ausbeute zu erhöhen. Goldwaschen wird heute Boden einer Schmelzpfanne ab, die Oxide
auch mit Maschinen durchgeführt. schwimmen auf. Steht Borax nicht zur Verfügung,
Beim Amalgamverfahren vermischt man die kann man auch auf andere Flussmittel wie Cal-
goldhaltigen Sande und Schlämme intensiv mit ciumfluorid, Natriumcarbonat oder Natriumnitrat
Quecksilber, in dem sich Gold sowie eventuell zurückgreifen.
andere vorhandene gediegene Metalle wie Silber Oft gewinnt man Gold und andere Edelmetalle
lösen. Das flüssige bis teigige Goldamalgam ist aus den Anodenschlämmen der Raffination uned-
silbern (Okamoto et al. 1989). Die Mischung von lerer Metalle wie Kupfer oder Nickel, die als
Amalgam und Quecksilber setzt sich wegen ihrer Anode in der Elektrolyse fungieren. Die edlen
hohen Dichte am Gefäßboden ab und kann abge- Metalle gehen bei der Elektrolyse nicht in Lösung
lassen werden. Durch Erhitzen des Amalgams und fallen unter den Anodenstab aus Rohkupfer
verdampft Quecksilber und lässt Rohgold zurück. bzw. -nickel.
Leider wird dieses Verfahrens gelegentlich immer Gold erzeugt man weiterhin durch Aufarbei-
noch von Goldsuchern, namentlich in armen Län- tung von Abfällen aus zahntechnischen Labors
dern, angewendet, die das hochgiftige Queck- und Betrieben der Schmuckverarbeitung. Auch
silber einfach durch Erhitzen des Amalgams mit in kommunalem Klärschlamm können beachtli-
Bunsenbrennern verdampfen. Dadurch gelangt es che Mengen an Gold (>0,1 g/t) enthalten sein
unkontrolliert in die Umwelt, verseucht Böden (Dönges 2015).
und Pflanzen, die wiederum Nahrung für Tiere Die Goldvorräte in allen Weltmeeren zusam-
und Menschen sind (Illegale Schürfer 2011). men genommen schätzt man auf ca. 15.000 t
Im Fall großer Lagerstätten ist die Cyanid- (Falkner und Edmond 1990).
laugung wirtschaftlich. Gold ist in sauerstoff-
haltiger Natriumcyanidlösung unter Bildung Eigenschaften Gold ist ein Reinelement, das na-
des Dicyanoaurat-I-Komplexes ([Au(CN)2]) türlich nur in Form des Isotops 19779Au vor-
löslich. Dazu mahlt man den goldhaltigen Sand kommt. Gold ist in unlegiertem Zustand sehr
sehr fein, füllt ihn in Behälter und lässt unter weich (s. Tab. 3); man kann es zu durchschei-
Luftzutritt die hochgiftige Natriumcyanidlösung nenden Blättchen schlagen. Es ist relativ leicht
darüber rieseln. Nach dieser „Extraktion“ befindet verdampfbar, auch wenn es gerade einmal auf
sich das Gold gelöst in der wässrigen Phase, aus Schmelztemperatur erhitzt wurde.
der es durch Zugabe von Zinkstaub ausgefällt und Von verdünnten Mineralsäuren wird es nicht
von dieser abgetrennt wird. Nach Waschen und angegriffen, wohl aber von stark oxidierend wir-
Trocknen raffiniert man das Metall. Obwohl heute kenden Säuren wie Königswasser und heißer,
die Cyanidlauge im Kreislauf gefahren und so- konzentrierter Selensäure (H2SeO4).
mit zu größtmöglichen Teilen wieder verwendet Auch anderweitig ist Gold nicht so edel, wie
wird, kommt es immer wieder vor, dass durch allgemein angenommen wird. Es ist deutlich
Lecks in den Anlagen Natriumcyanid in die Um- reaktiver als Rhodium oder Iridium. Die Halo-
welt gelangt. Ein schwerer Nachteil dieses Verfah- gene Fluor, Chlor und sogar Brom und Iod
rens ist auch der Zwangsanfall riesiger Mengen greifen Gold an (Jansen 2000). In wässrigen
806 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
Cyanidlösungen ist Gold bei Luftzutritt leicht beim Erhitzen auf 150 C in Gold und Sauerstoff
als Kaliumdicyanidoaurat-I löslich, ebenso in zersetzt. Der kristalline, lichtempfindliche Fest-
heißen, sauren hydrothermalen Wässern (!) stoff kristallisiert verzerrt quadratisch planar; ein
(Zhu et al. 2011). Sogar Huminsäuren vermögen Goldatom ist dabei von vier Sauerstoffatomen
es unter Bildung löslicher Komplexe anzugrei- umgeben. Man kann die Substanz durch Re-
fen (Alloway 1999). aktion von Gold mit einem Sauerstoffplasma her-
stellen, oder versetzt wässrige Lösungen von
Verbindungen Gold-III-chlorid oder Tetrachlorogoldsäure mit
Chalkogenverbindungen Das noch stabilste Oxid einer ebenfalls wässrigen Lösung von Natrium-
ist das rotbraune Gold-III-oxid (Au2O3), das sich carbonat. Das darauf hin ausfallende hydrati-
5 Einzeldarstellungen 807
sierte Gold-III-oxid trocknet man über Silicagel Mischverbindung [Au(I)Au(III)Se2] vorliegt (Cre-
(nicht durch Erhitzen!). Die wasserfreie Verbin- tier und Wiegers 1973).
dung ist nur auf sehr kompliziertem Weg zugäng- Calaverit, der mit Krennerit dimorph ist, ist ein
lich (Brauer 1978, S. 1090). Man verwendet weltweit, aber selten vorkommendes Mineral der
Gold-III-oxid zum Färben von Gläsern (Gold- Dichte 9,3 g/cm3 und der Mohs-Härte 2,5–3. Es
rubinglas) und eventuell in der optischen Elek- kristallisiert monoklin mit vier Formeleinheiten
tronik. pro Elementarzelle und der chemischen Zusam-
Das braunschwarze Gold-I-sulfid (Au2S) ist mensetzung AuTe2 (Goldditellurid) und liegt
durch Einleiten von Schwefelwasserstoff in wäss- meist in Form blättriger Kristalle, aber gelegent-
rige Lösungen von Kaliumdicyanoaurat-I erhält- lich auch körniger Aggregate vor, deren Farbe von
lich, die wiederum leicht durch Auflösen von silbrig bis messinggelb reichen kann. Krennerit
Gold in wässriger Kaliumcyanidlösung gebildet dagegen besitzt eine orthorhombische Struktur,
werden (Ishikawa et al. 1995): die vereinzelt Silber atome anstelle von Goldato-
men im Kristallgitter enthält und im Extremfall
4 Au þ 8 KCN þ 2 H2 O þ O2
(I) die chemische Formel Au0,8,Ag0,2)Te2 besitzt.
! 4 KAuðCNÞ2 þ 4 KOH
Die Farbe natürlich vorkommenden Krennerits
ist ähnlich zu der des Calaverits, die Dichte mit
(II) 2 KAuðCNÞ2 þ H2 S þ 2 H2 O ! Au2 S # 8,62 g/cm3 etwas niedriger.
þ2 KOH þ 4 HCN Halogenverbindungen Gold-III-fluorid (AuF3)
gewinnt man durch Fluorierung von Gold mit
Gold-I-sulfid kristallisiert kubisch und isotyp Brom-III-fluorid (BrF3) (Mido und Taguchi
zu Silber-I-sulfid und Kupfer-I-oxid. Zwischen 1997), durch Fluorierung von Gold-III-chlorid
Raumtemperatur und 100 C hat die Verbindung (AuCl3) (Riedel und Janiak 2011, S. 759) oder
die Eigenschaften eines p-Halbleiters mit der durch vorsichtige Thermolyse von Gold-V-fluorid
niedrigen Bandlücke von 0,37 eV. Beim Erhitzen bei Temperaturen um 200 C. Der diamagneti-
an der Luft zersetzt sich die Verbindung zu Gold sche, orange-gelbe, hexagonal kristallisierende
und Schwefel-IV-oxid. Säuren zersetzen es zu und hydrolyseempfindliche Feststoff (Perry 2011,
Gold und Schwefelwasserstoff (Morris et al. S. 191; Bartlett et al. 1991) sublimiert bei etwa
2002). 300 C und zersetzt sich bei weiterem Erhitzen.
Das schwarze Gold-III-sulfid (Au2S3) schmilzt Im Molekülgitter ist jede AuF4-Einheit mit zwei
bei einer Temperatur von 197 C und hat die anderen dieser Einheiten unter Bildung spiralför-
Dichte 8,7 g/cm3. Zu seiner Darstellung leitet miger Ketten verbunden. Mit Fluoridionen bildet
man Schwefelwasserstoff in eine etherische Gold-III-fluorid Komplexanionen wie (AuF4)
Lösung von Tetrachlorogoldsäure ein. Eine wei- und (Au2F7) (Schmidt und Müller 1999). Gold-
tere Möglichkeit ist die Umsetzung von in De- III-fluorid hat fast nur akademisches Interesse und
kalin gelöstem Gold-III-chlorid mit Schwefel dient zur Präparation meist exotischer Goldver-
(Brauer 1978, S. 1017; Kristl und Drofenik bindungen (Roesky 2012, S. 96).
2003). Die Verbindung ist in Salpetersäure sowie Das rote, bei 60 C schmelzende Gold-V-fluo-
konzentrierter Natriumsulfid- und Natriumcya- rid (AuF5) zersetzt sich oberhalb einer Tempera-
nidlösung löslich, nicht aber in anderen Mineral- tur von 200 C zu Gold-III-fluorid und Fluor.
säuren. Diese starke Lewis-Säure kann durch thermische
β-Gold-II-selenid (AuSe) ist ein schwarzer, Zersetzung von Dioxygenylhexafluoroaurat-V
halbleitender Festkörper mit monokliner Kristall- (O2AuF6) bei 200 C erhalten werden; letzteres
struktur und vier Formeleinheiten pro Elementar- erzeugt man durch Umsetzung von Gold in einer
zelle. Im Kristall sind die Goldatome entweder Sauerstoff-/Fluor-Atmosphäre bei 350 C (Best-
linear an Selenatome gebunden oder in planar- gen 2016, S. 9; Laguna 2008). In der Gasphase
quadratischer Struktur von ihnen umgeben. Daher liegt Gold-V-fluorid in Form von Di- oder
ist die Annahme vermutlich richtig, dass hier eine Trimeren vor.
808 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
O O
1 mol% AuCl3
Abb. 29 Reaktion von 2-Methylfuran mit Buten-1-on-3, katalysiert durch Gold-III-chlorid (Walkerma 2005)
5 Einzeldarstellungen 809
Anwendungen Nur ein knappes Zehntel des Gol- wohl sein Preis in den vergangenen Jahren stark
des wird industriell verwendet, wobei das schon schwankte. Dieser wird täglich zweimal in
den Einsatz in Dentalprodukten einschließt. Die London festgelegt und auf eine Feinunze bezo-
Häfte der Golderzeugung geht in Schmuckgegen- gen. Unter anderem hängt der Goldpreis vom
stände und rund ein Drittel wird als Anlage von Ölpreis, von aktuellen Fördermengen in wichti-
Investoren gekauft. Viele Zentralbanken stockten gen Produktionsländern und vom Kurs wichtiger
ihre Goldreserve in den letzten Jahren stark auf Währungen zum US$ ab. Heute sind alle Wäh-
eine aktuelle Menge von ca. 31000 t. Weltweit sind rungen der Welt nicht mehr an die Goldmenge
aktuell rund 170.000 t Gold im Umlauf. des jeweiligen Landes gebunden. Das hat aber
Schmuck und Dekoration: Gold wird entweder zur Folge, dass Geldmengen und Schulden ex-
in reiner Form oder mit anderen edlen Metallen trem stiegen.
legiert zu Ringen, Ketten, Armbändern, Uhren Optik: Da Gold namentlich langwelliges Infra-
etc. verarbeitet. Die weltweit größte Nachfrage rotlicht sehr gut reflektiert, enthalten wärmeab-
nach Goldschmuck kommt aktuell aus China schirmende Beschichtungen auf Gläsern und
und Indien. Für Vergoldungen wird hauchdünn Spiegeln Gold. Zur Änderung der Leitfähigkeit
gewalzte und geschlagene Goldfolie (Blattgold) je nach gewünschter Anwendung dotiert man
verwendet und auf Bilderrahmen, Bücher, Mobi- das halbleitende Germanium mit Gold.
liar, Figuren usw. geklebt, wobei 1 g Blattgold für Nanopartikel: Goldpartikel im Größenbereich
die Bedeckung einer Fläche von 0,5 m2 genügt. von nm erwiesen sich als sehr geeignete Katalysa-
Wird Blattgold beleuchtet, so scheint die Licht- toren für organisch-chemische Produktionsverfah-
quelle blaugrün durch. ren, durch die gelegentlich sogar auf den Einsatz
Metalle und Kunststoffe lassen sich in galva- von Lösungsmitteln verzichtet werden kann. Ein
nischen Bädern mit Gold beschichten. Auf Glas Einbau kleinster Goldcluster ermöglicht Studien
und Keramik kann man goldhaltige Pigmente ein- zur Wirkung von Eiweißen in lebenden Zellen, da
brennen. Die seit der Antike übliche Vergoldung einige Biomoleküle Goldatome ziemlich fest bin-
mit Hilfe eines aus Quecksilber und Gold be- den (Couto et al. 2016); als Fernziel erhofft man
stehenden Amalgams ist heute wegen der großen sich dadurch auch verbesserte Diagnosen einiger
Giftigkeit des Quecksilbers nicht mehr üblich; Krankheiten. Einige Gold-Nanopartikel haben ein
dabei tauchte man den zu vergoldenden Gegen- „strukturelles Gedächtnis“, denn sie werden nach
stand in das Amalgam, zog ihn wieder heraus und Wechselwirkung mit chiralen Substanzen selbst
ließ das Quecksilber verdunsten (!), bis die Ober- chiral und bleiben es meist auch (Jadzinsky et al.
fläche goldfarben erschien. Die Verarbeitung von 2007; Gautier und Bürgi 2008).
Goldpigmenten in der Glasherstellung ist aller- Elektronik: Gold verwendet man hier wegen
dings wegen der hohen Kosten durch preiswertere seiner leichten Verarbeitbarkeit und Lötbarkeit
Verfahren, die dieselbe Wirkung haben, ersetzt sowie seiner großen Beständigkeit gegenüber Kor-
worden. rosion. Die Kontakte (Bonds) zwischen den Chips
Lebensmittel: Gold ist als Lebensmittelzusatz- selbst und den jeweiligen Anschlüssen integrierter
stoff E 175 zugelassen. Man findet es in Über- Schaltkreise bestehen teils aus reinem Gold, jedoch
zügen von Süßwaren und Pralinen. In den Spiri- nimmt man aus Kostengründen Nachteile unedle-
tuosen Danziger und Schwabacher Goldwasser rer Metalle in Kauf und wechselt wegen des bes-
ist es ebenfalls enthalten. Metallisches Gold ist seren „Preis-Leistungsverhältnisses“ vermehrt zu
ungiftig und reichert sich im Körper nicht an. Kupfer oder Aluminium. Leiterplatten und Stecker
Wertanlagen und Währungen: Gold ist zugleich vergoldet man immer noch oft, ebenfalls Kontakte
Wertanlage und internationales Zahlungsmittel. in sicherheitsrelevanten Anlagen wie Signalschal-
Viele Zentralbanken lagern es ein, obwohl diese tungen oder Relais in der Bahntechnik.
Goldreserven längst nicht mehr die Währungs- Medizin: Gold ist Füllung bzw. Ersatz für
menge decken können. Man sieht Gold als relativ defekte bzw. fehlende Zähne. In der Therapie
beständige Wertanlage ohne Ausfallrisiko, ob- von Rheuma zeigt die Anwendung bestimmter
5 Einzeldarstellungen 811
goldhaltiger Präparate meist Erfolg, wogegen bei Goldatome, weswegen Weißgold bereits ziemlich
der Behandlung von Arthritis die Gefahr einer zu anfällig gegenüber Korrosion und Anlaufen ist.
hohen Zahl von Nebenwirkungen besteht. Rosé- und Rotgold enthalten Feingold, Kupfer
Grundlegende Ansprüche an die Eigenschaf- und eventuell geringere Anteile an Silber.
ten: In der Regel bewegen sich alle zur Herstellung Gelbgold kann neben Silber auch Anteile an
von Schmuck verwandten, leicht zu bearbeitenden Kupfer, dann meist im Verhältnis 1:1 zu Silber,
Goldlegierungen im Phasendreieck Gold-Silber- enthalten; dies geschieht je nach gewünschter Farbe
Kupfer (vgl. Abb. 32). der Legierung. In der Schmuckindustrie wird man
Andere Metalle als Kupfer oder Silber ändern sich naturgemäß auf mengenmäßig geringe Zusätze
die Eigenschaften der Legierung. Geringe Men- von Silber und Kupfer beschränken, um den edlen
gen niedrig schmelzender Metalle wie Gallium, Charakter des Schmuckes zu erhalten.
Indium, Zinn oder Zink senken Schmelztempe- Grüngold dagegen enthält kein Kupfer, son-
ratur und Oberflächenspannung der Metall- dern nur Gold und Silber im ungefähren Atom-
schmelze, ohne dass sich die Farbe der Legierung verhältnis 1:1 (Feingehalt um 650) und wird nur
wesentlich ändert und den Einsatz in Loten ermög- selten verwendet. Ein Zusatz von Cadmium inten-
licht. Dagegen wirken Zusätze von Nickel oder siviert den Grünton zwar noch, senkt aber den
Platin härtend bei gleichzeitigen Einbußen an gold- Schmelzpunkt und die Beständigkeit gegenüber
gelbem Glanz. Blei, Bismut und einige Leichtme- Korrosion deutlich.
talle können ab einem gewissen Mengenanteil sogar Der Sammelname Weißgold steht für Gold-
eine Versprödung verursachen. legierungen, die größere Anteile an Palladium,
Eine kräftige Eigenfarbe der Legierung bedingt Silber oder Nickel aufweisen und ihre goldene
einen Mindestgehalt von 75 Gew.-% Gold (Feinge- Farbe fast völlig verloren haben. Platin bildet
halt 750; Gelbgold); die restlichen 25 Gew.-% ent- mit Gold eine schwere, teure, sehr korrosions-
fallen in der Regel auf Silber. Bereits hier ist aber beständige und gut aushärtbare Legierung.
nur jedes zweite Atom ein Goldatom! Festigkeit und Nickel verleiht dem Gold eine höhere Festig-
Härte sind dagegen bei einem Feingehalt von keit, senkt den Schmelzpunkt der Legierung
585 am größten, jedoch geht dies teils auf Kosten und macht sie so leicht verarbeitbar. Auch der
des Goldglanzes. In einem 333er-Weißgold enthält Preis des Schmuckgegenstands ist dann deutlich
die Menge von elf Metalltomen nur noch zwei niedriger. Allerdings wächst die Gefahr allergi-
scher Reaktionen des Trägers. Daher setzt man
Nickel in Weißgold kaum noch ein, auch wenn
Gold derartiges Weißgold früher in der schmuckver-
(Au)
rot- arbeitenden Industrie gerne in stark beanspruch-
gelb ten Teilen wie Nadeln, Scharnieren und Verbin-
grün-
10
90
80
gelb
70
Ge 0 5
blass
hts 40
gelblich
wic
weißlich kupfer-
0
rot
10
weiß
werden, der ihnen einen hellen Metallglanz und
Silber 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Kupfer
(Ag)
bessere Kratzfestigkeit verleiht, ist die Farbe der
Gewichts % Cu (Cu)
Basislegierung nicht so wichtig. Im Vergleich zu
Abb. 32 Farben von Legierungen aus Gold, Silber und den nickelhaltigen Varianten liegen Schmelzpunkte,
Kupfer (Metallos 2009) Oberflächenspannung der Schmelze, Dichte und
812 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
lians-Universität Würzburg die nach ihm preis erhielt Röntgen zahlreiche weitere
benannten Röntgenstrahlen; dafür verlieh Ehrungen.
man ihm 1901 den Nobelpreis für Physik
(Beier 1995; Fölsing 2002; Gerabek 2005,
S. 1258). 1848 zog seine Familie nach Eigenschaften
Apeldoorn in die Niederlande. Von 1861 Physikalische Eigenschaften: Roentgenium kommt
bis 1863 besuchte Röntgen die Technische nur in Form radioaktiver, äußerst kurzlebiger Iso-
Schule in Utrecht, die er ohne Abschluss tope vor, die allesamt nur auf künstlichem Weg
verließ. Er bestand auch nicht die in den zugänglich sind. Die bisher erzeugten Isotope des
Niederlanden mögliche Zulassungsprüfung Elements besitzen Massenzahlen von 272, 274
für die Universität, belegte aber als Gast- sowie von 278 bis 282. Entweder erleiden diese
hörer Kurse in Naturwissenschaften, Ma- α-Zerfall oder spontane Kernspaltung, wobei die
thematik und Sprachen an einer niederlän- schweren Isotope stabiler sind als die leichteren.
dischen Universität. So besitzt das Isotop 282111Rg immerhin eine
Halbwertszeit von 2,1 min(!), die leichteren
Röntgen siedelte 1865 in die Schweiz über 281 280
111Rg und 111Rg aber nur noch solche von
und begann im November 1865 das Stu-
1–30 s. Die leichtesten Isotope (272111Rg und
dium des Maschinenbaus an der Eidgenös- 274
sischen Technischen Hochschule Zürich 111Rg) zerfallen jedoch schon mit Halbwerts-
(ETH Zürich). Er erhielt im August 1868 zeiten weniger ms. Durch α-Zerfall der entspre-
sein Diplom als Maschinenbauingenieur chenden Isotope des Nihoniums (Ordnungszahl
und promovierte ein Jahr später, ebenfalls 113) werden die jeweiligen Isotope des Roentge-
an der ETH, in Physik zu „Studien über niums ebenfalls gebildet (Morita et al. 2004).
Gase“ (Röntgen 1869, 1870). Röntgen Es ist offensichtlich, dass wieder Theorien über
habilitierte 1874 in Straßburg und wirkte die zu erwartenden Stabilitäten noch gar nicht
ab April 1875 als außerordentlicher Profes- entdeckter Isotope des Elements im Umlauf sind,
sor für Physik und Mathematik an der Uni- dies vor dem Hintergrund, dass die Atommassen
versität Hohenheim. Kundt, sein akademi- der Nuklide des Roentgeniums auf die ab einer
scher Lehrer aus frühen Zürcher Jahren, Massenzahl von 300 erwartete „Insel der Stabili-
verschaffte Röntgen dann ab Oktober 1876 tät“ zusteuern. So berechnete man für das noch
eine Stelle als außerordentlicher Professor nicht entdeckte 283111Rg eine Halbwertszeit von
für Physik in Straßburg. 1879 wechselte er 10 min.
als ordentlicher Professor nach Gießen, Man erwartet, dass Roentgenium unter Normal-
1888 nach Würzburg, wo er 1893 und bedingungen ein Feststoff kubisch-raumzentrierter
1894 zum Rektor der Universität gewählt Kristallstruktur und einer Dichte von 28,7 g/cm3 ist
wurde. Am 8. November 1895 entdeckte er (s. Tab. 4). Die leichteren Homologen Kupfer,
die von ihm so genannten X-Strahlen, die Silber und Gold besitzen im Grundzustand eine
im Deutschen den Namen „Röntgenstrah- Elektronenkonfiguration von nd10(n+1)s1. Für
len“ erhielten; er nahm dazu am 22. Dezem-
Roentgenium zeigen Berechnungen aber, dass die
ber 1895 die Hand seiner Frau auf. Im
Konfiguration 6d97s2 wegen relativistischer Ef-
Januar 1896 stellte Röntgen seine Entde-
fekte am stabilsten sein, und dass das Element
ckung dem deutschen Kaiser Wilhelm II.
wie Silber den typischen „Silberglanz“ aufweisen
und wenige Tage später der Würzburger
Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft vor sollte (Liu und Van Wüllen 1999).
(Röntgen 1896). Vom 1. April 1900 an war Chemische Eigenschaften: Roentgenium wird
Röntgen an der Ludwig-Maximilians-Uni- in seinen wesentlichen Eigenschaften dem Gold
versität München als ordentlicher Profes- ähneln, aber durchaus einige Abweichungen zei-
sor für Physik tätig. Neben dem Nobel- gen. Es ist ebenfalls ein Edelmetall; seine Oxida-
tionsstufe +1 ist weniger stabil als die vergleich-
814 16 Kupfergruppe: Elemente der ersten Nebengruppe
bare des Goldes. Dafür sollten die Stufen +3 mit einer Halbwertszeit von 26 s relativ „langlebi-
und +5 beständiger sein, also die vorhandenen gen“ Isotops 281111Rg scheiterte es bisher daran,
d-Elektronen stärker in chemische Bindungen ein- dass nicht genug „Nachschub“ erzeugt werden
beziehen. Roentgenium hat eine geringere Elektro- konnte, um die Durchführung eines Versuches auf-
nenaffinität als Gold, daher ist die Existenz der Oxi- rechterhalten zu können. Bisher fand die Grundla-
dationsstufe 1 („Roentgenid“) unwahrscheinlich genforschung an Roentgenium aber noch nicht so
(Seth et al. 1998a, b). viel Interesse wie an den schwereren, vermutlich
edelgasähnlichen Elementen Copernicium und Li-
Verbindungen Eindeutige Beweise für die che- vermorium (Hancock et al. 2006; Eichler 2013).
mischen Eigenschaften des Elements gibt es noch Berechnungen einzelner Bindungen besagen,
nicht, da an solche Studien Bedingungen gestellt dass die Bindung zwischen einem Rg- und einem
werden. Diese besagen, dass anfangs vier Atome H-Atom wegen relativistischer Effekte ziemlich
des zu studierenden Elements vorhanden sein müs- stark ist. Ebenfalls untersucht wurden Bindungen
sen und zusätzlich pro Woche ein Nuklid einer zwischen je einem Atom des Roentgeniums und
Halbwertszeit von mindestens 1 s verfügbar sein eines Halogens. Rg+ wird ein extrem weiches Kat-
soll (Düllmann 2012; Griffith 2008). Im Falle des ion sein, noch weicher als Cs+ oder Au+, jedoch ist
Literatur 815
noch nicht klar, ob selbst „Roentgeniumhydroxid Blachnik R et al (1998) Taschenbuch für Chemiker und
(RgOH)“ basische oder nicht doch schon saure Physiker. Springer, Berlin/Heidelberg, S 428. ISBN
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übertroffen (Asklepios Kliniken Hamburg GmbH,
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Zinkgruppe: Elemente der zweiten
Nebengruppe 17
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
2 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 820
3 Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
4 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
5 Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 819
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https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_17
820 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
elektronen ab, um eine stabile Elektronenkonfi- Chlor die chemische Verbindung Natriumchlorid,
guration zu erreichen. Bei Zink und Cadmium sind (also Kochsalz).
die Oxidationsstufen +2 am stabilsten, bei Queck- Einschließlich der natürlich vorkommenden
silber gleichermaßen +1 und +2. Für das höchste sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich
Element dieser Nebengruppe, das Copernicium, erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden-
konnten bisher kaum chemische Untersuchungen system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf.
durchgeführt werden. Es ist zu erwarten, dass es Die Einzeldarstellungen der insgesamt vier
sich chemisch ähnlich wie Quecksilber verhält. Vertreter der Gruppe der Elemente der zweiten
Zink als Element kennt man seit dem 17. Jahr- Nebengruppe enthalten alle wichtigen Informatio-
hundert, Cadmium seit 1817, wogegen Queck- nen über die jeweiligen Elemente, so dass hier nur
silber schon in der Antike bekannt war. Die erst- eine kurze Einleitung folgt.
malige Darstellung von Atomen des Coperniciums
gelang 1996. Sie finden alle Elemente im unten
stehenden Periodensystem in Gruppe 12 (II B). 2 Vorkommen
Elemente werden eingeteilt sowohl in Metalle
(z. B. Natrium, Calcium, Eisen, Zink), Halbme- Zink ist mit einer Konzentration von 120 ppm in
talle wie Arsen, Selen, Tellur als auch Nichtme- der Erdhülle noch relativ häufig, dagegen sind
talle wie beispielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod Cadmium und Quecksilber mit Anteilen von 0,3
oder Neon. Die meisten Elemente können sich bzw. 0,4 ppm selten. Copernicium ist nur durch
untereinander verbinden und bilden chemische künstliche Kernreaktionen und auch dann nur in
Verbindungen; so wird z. B. aus Natrium und Mengen weniger Atome zugänglich.
5 Einzeldarstellungen 821
65
CO þ ZnO ! CO2 þ Zn " 30Zn mit einer Halbwertszeit von 244 d, man setzt
ihn als Tracer ein. Das natürlich auftretende Isotop
67
Das Kohlendioxid komproportioniert mit der 30Zn kann mittels NMR-Spektroskopie vermessen
Kohle wieder zu Kohlenmonoxid, das in den werden.
Kreislauf zurückgelangt (Boudouard-Gleichge- Chemische Eigenschaften: Zink ist aufgrund
wicht). seines stark negativen Normalpotenzials ein uned-
In den Zinkdampf sprüht man flüssiges Blei ein les Metall, bildet aber an der Luft eine aus basi-
und kondensiert Zink auf diese Weise aus. Dieses schem Zinkcarbonat bestehende, relativ stabile
Rohzink ist noch stark durch Blei, Eisen und Cad- Schutzschicht und kann deshalb als Korrosions-
mium verunreinigt und wird deshalb durch fraktio- schutz für Eisen verwendet werden. (Das sehr
nierte Destillation aufgearbeitet. In der ersten Stufe wirksame Feuerverzinken beinhaltet das Eintau-
destilliert man zunächst die sehr flüchtigen Metalle chen der Stahlteile in flüssiges Zink, wodurch sich
Zink und Cadmium ab, wogegen Blei und Eisen an der Grenzfläche beider Metalle eine wider-
zurückbleiben. Die zweite Stufe beinhaltet eine standsfähige Legierung aus Eisen und Zink bildet.
Feindestillation von Cadmium und Zink, deren Darüber befindet sich eine Schicht reinen Zinks,
Siedepunkte etwa 140 C auseinanderliegen. Das die wiederum noch die oben beschriebene, korro-
tiefer siedende und daher zuerst verdampfende sionshemmende Deckschicht ausbildet.)
Cadmium sammelt man in Form von Staub. Zink Zink ist leicht in Säuren unter Bildung von
geht erst bei höherer Temperatur über und kann Zink-II-salzen löslich, aber auch in Laugen, wobei
durch dieses Verfahren auf einen Reinheitsgrad Zinkate ([Zn(OH)4]2) entstehen. Zinkoxid re-
von bis zu 99,99 % (Feinzink) gebracht werden. agiert somit amphoter, ähnlich wie Aluminium-
Beim mit Abstand wichtigeren nassen Verfah- oxid. Nur sehr reines Zink (99,999 %) ist kaum
ren löst man das noch verunreinigte Zinkoxid in oder gar nicht löslich in verdünnten Mineralsäu-
verdünnter Schwefelsäure. Eventuell mit in Lö- ren. Dies liegt an einer hohen Wasserstoffüber-
sung gegangene, aber edlere Metalle wie bei- spannung und einer dies bedingenden kinetischen
spielsweise Cadmium fällt man durch Zusatz Hemmung der Entladung von H3O+-Ionen auf der
von Zinkpulver wieder aus. Danach elektrolysiert Oberfläche des Zinks. Fast ausschließlich tritt
man die Zinksulfatlösung unter Einsatz von Bleia- Zink in seinen Verbindungen mit der Oxidations-
noden und Aluminiumkathoden. An der Kathode stufe +2 auf.
schlägt sich Zink mit einem Reinheitsgehalt von Pulverförmiges Zink ist hochreaktiv und kann
ebenfalls 99,99 % nieder. sich sowohl an Luft spontan entzünden als auch
mit Wasser unter Bildung von Zinkhydroxid und
Eigenschaften Wasserstoff reagieren.
Physikalische Eigenschaften: Das bläulich-weiße
Metall ist bei Raumtemperatur und bei Tempera- Verbindungen
turen oberhalb von 200 C relativ spröde und Chalkogenverbindungen Zinkoxid (ZnO) kommt
kristallisiert hexagonal-dichtest (s. Tab. 1). Bei natürlich in Form des Minerals Zinkit (Rotzink-
Temperaturen zwischen 100 und 150 C ist es erz) vor. Synthetisch stellt man es entweder in
sehr dehnbar und kann unter diesen Bedingungen Form von „Zinkweiß“ oder „Zinkoxid“ her. Ers-
zu Blechen gewalzt und zu Drähten gezogen wer- teres erzeugt man aus dem in Frankreich verbrei-
den. Zink ist nach Silber, Kupfer, Gold und Alu- teten Verfahren, das die Reaktion von Zinkdampf
minium der fünftbeste Leiter für Elektrizität mit Luftsauerstoff beinhaltet. „Zinkoxid“ erhält
(Hartwig 2006). man nach dem „amerikanischen Verfahren“ durch
Man kennt 29 Isotope und zusätzlich zehn Kern- Rösten von Zinkerz und -schrott, daran anschlie-
isomere im Bereich von 5430Zn bis 8330Zn, von ßende Reduktion mit Kohle mit folgender Reoxi-
denen die fünf in der Natur vorkommenden Isotope dation oder aber durch Fällung als Hydroxid oder
(6430Zn, 6630Zn, 6730Zn, 6830Zn und 7030Zn) alle Carbonat aus Zinksalzlösungen (I) und anschlie-
stabil sind. Das noch stabilste radioaktive, aber nur ßendes Erhitzen des abfiltrierten Zinkhydroxids
künstlich darstellbare Isotop ist der β- und γ-Strahler bzw. -carbonats (II):
5 Einzeldarstellungen 823
(I) ZnSO4 þ 2 NaOH ! ZnðOHÞ2 # þNa2 SO4 ten mit rauer Oberfläche, die man in Solarzellen
einsetzt, können durch Abscheidung aus der
(II) ZnðOHÞ2 ! ZnO þ H2 O Gasphase (CVD) erzeugt werden. Insgesamt liegt
die jährliche Produktionsmenge bei ca. 1,5 Mio. t;
Oft enthält industriell hergestelltes Zinkoxid noch etwa ein Sechstel davon wird in Europa ver-
unzulässig hohe Gehalte an Blei. Sehr dünne Schich- braucht.
824 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
Abb. 2 a Zinkoxid
(Onyxmet 2018).
b Zinkoxid (Stanford
Advanced Materials 2018).
c Zinkoxid Sputtertarget
(QS Rare Elements 2018)
Zinkoxid ist ein weißes Pulver (s. Abb. 2a, b) Jahren setzte man es sowohl in Öl- als auch Was-
der Dichte 5,61 g/cm3, das oberhalb einer Tempe- serfarben ein. Heutzutage verliert es gegenüber
ratur von 1300 C schon einen merklichen Titan-IV-oxid („Titanweiß“) an Bedeutung.
Dampfdruck besitzt und unter Normaldruck bei Aktuelle Arbeiten des Paul-Scherrer-Instituts
einer Temperatur von etwa 1800 C sublimiert. untersuchen die mögliche Eignung von Zinkoxid
Ein Schmelzen von Zinkoxid erfolgt erst unter zur Umwandlung von solarer in chemische Ener-
erhöhtem Druck bei ca. 1975 C. Starkes Erhitzen gie. Sonnenlicht wird auf einen mit Zinkoxid
ändert seine Farbe nach zitronengelb, beim Ab- beschichteten Tiegel fokussiert. Bei den herr-
kühlen entsteht aber wieder das weiße Pulver. schenden sehr hohen Temperaturen verdampft
Zinkoxid ist ein direkter Halbleiter mit einer Zinkoxid und wird in Zink und Sauerstoff zerlegt.
-allerdings großen- Bandlücke von 3,2–3,4 eV, Das sofort verdampfende Zink wird kondensiert
wird auch in Form von Sputtertargets (s. Abb. 2c) und dient als Rohstoff für so genannte „Zink-Luft-
verkauft und ist zudem wegen der asymmetrisch Batterien“, die bereits heute in Hörgeräten ver-
aufgebauten Elementarzelle piezoelektrisch. Die wendet werden. Hierin arbeiten diese Batterien
Halbleitereigenschaften der Verbindung kann in Form einer Knopfzelle hoher Energiedichte
man aber durch Dotierung mit aluminiumdotier- und fast waagerechter Entladungskurve. Zusätz-
tem Zinkoxid oder Bor verbessern. Die sonst so lich enthalten die transparenten leitenden Schich-
häufig für eine p-Dotierung eingesetzten Metalle ten von Leuchtdioden, Solarzellen und Flüssig-
Indium oder Gallium haben hier keine Anwen- kristallanzeigen Zinkoxid in seiner Funktion als
dung. Halbleiter, meist ist es dann mit Aluminium
Zinkoxid ist in Wasser unlöslich, aber Säuren zwecks Erzielung einer wesentlich höheren Leit-
lösen es unter Bildung von Zink-II-salzen. Ebenfalls fähigkeit dotiert.
löslich ist es in einem Überschuss an Base, zum Zinkoxid wirkt antiseptisch und ist daher gele-
Beispiel einem Alkalihydroxid, zum jeweiligen Zin- gentlich in Wundpräparaten enthalten, auch
kat. Erhitzen von Zinkoxid mit Cobalt-II-salzen solchen für die Behandlung von Zähnen. In Zink-
führt zur Bildung von Rinmans Grün (siehe Band salben, -pasten und -pflaster eingesetzt, trocknet
„Cobaltgruppe, Elemente der neunten Neben- es die Haut aus und unterbindet die Bildung von
gruppe“, ISBN 978-3-658-16345-7). Ekzemen und Mykosen. Man findet es in Sonnen-
Zinkoxid deckt zwar schwächer als Bleiweiß, schutzpräparaten und setzt es in großen Mengen
wird aber verbreitet unter den Namen Zinkweiß, als Aktivator bei der Vulkanisation von Kaut-
Chinesischweiß, Ewigweiß oder Schneeweiß als schuk zu (Krug et al. 2016). Es dient auch als
gegenüber Licht und Schwefelwasserstoff bestän- Korrosionsschutzmittel in Kühlkreisläufen von
diges, mit anderen Farben verträgliches Pigment Siedewasserreaktoren.
in Malerfarben eingesetzt. In alkalischen Binde- Nanopartikel auf Basis von Zinkoxid dienen
mitteln reagiert es teilweise zu löslichem Zinkat, seit einigen Jahren als UV-Absorber in Verpa-
und in Öl entstehen zu einem gewissen Grad ckungen für Lebensmittel. Zinkoxid ist Kata-
Zinkseifen. Mit Zinkweiß arbeitet man schon seit lysator bei der Synthese von Methanol, bei
der Antike, aber erst ab Ende des 18. Jahrhunderts Hydrierungen und Fettspaltungen. Es ist einer
ersetzte es das giftige Bleiweiß. Seit den 1830er- der Rohstoffe in Trocknungsmitteln (Sikkativen),
5 Einzeldarstellungen 825
Abb. 3 a Zinksulfid (Onyxmet 2018). b Zinksulfid Sput- Abb. 4 a Zinkselenid (Onyxmet 2018). b Zinkselenid
tertarget (QS Advanced Materials 2018) Sputtertarget (QS Advanced Materials 2018)
Kitten, Pudern, Klebstoffen und Fotokopierpa- Eine Mischung aus ausgefälltem Bariumsulfat
pier, um nur noch einige seiner weiteren Anwen- und Zinksulfid heißt Lithopone und wird in An-
dungen zu nennen. strichfarben als Weißpigment verwendet. Ein
Das weiße bis hellgelbe Zinksulfid (ZnS) Nachteil bei Außenanstrichen ist die mäßige Sta-
(s. Abb. 3a, b) kommt natürlich in Form des bilität von Zinksulfid gegenüber Sauerstoff, da
kubisch kristallisierenden Sphalerits (Zinkblende, jenes langsam zu löslichem Zinksulfat oxidiert
α-Zinksulfid) und Wurtzit (β-Zinksulfid) mit hexa- wird (Prabhu et al. 1984).
gonaler Kristallstruktur vor (Schröcke und Weiner Zinkselenid (ZnSe) ist ein zitronengelbes Pulver
1981, S. 142 und 177); letztere ist die Hochtempe- (s. Abb. 4a) der Dichte 5,42 g/cm3, das bei Tem-
raturmodifikation und bei Raumtemperatur meta- peraturen >1100 C schmilzt. Es kommt natürlich
stabil. Die Umwandlung von Sphalerit in Wurtzit in Form des Minerals Stilleit vor. Man kann die
beginnt erst oberhalb einer Temperatur von Verbindung durch Einleiten von Selenwasserstoff
1185 C. Bei einem Druck von 15 MPa liegt der in eine wässrige Lösung von Zinksulfat darstellen.
Schmelzpunkt von Wurtzit bei 1850 C, ansonsten Alternativ erhitzt man ein aus Zinkoxid, Zinksulfid
sublimiert Wurtzit schon oberhalb von 1200 C. und Selen bestehendes Gemisch auf etwa 800 C,
Zinksulfid ist ein II-VI-Verbindungshalbleiter mit oder man erwärmt eine Mischung von Zinksulfid
der großen Bandlücke von 3,54 eV (Sphalerit, mit Selen-IV-oxid (Brauer 1978, S. 1028):
20 C) bzw. 3,91 eV (Wurtzit, 20 C) und einer
Dichte von 4,1 g/cm3. ZnS þ SeO2 ! ZnSe þ SO2
Die Darstellung ist durch Schmelzen von Zink
mit Schwefel möglich, ebenso durch Reaktion Zinkselenid kristallisiert entweder im Zink-
von Zinkoxid mit Schwefel in ammoniakalischem blende- oder Wurtzit-Typ.
Medium oder durch Umsetzung einer ammo- Unter Verwendung von Zinkselenid erzeugt
niumgepufferten wässrigen Lösung von Zinksul- man hochreflektive Oberflächen, wozu man es in
fat mit Ammoniumsulfidlösung oder Schwefel- dünnen Schichten abwechselnd mit anderen
wasserstoff (Brauer 1978, S. 1027). Substanzen, beispielsweise Kryolith, nach vorhe-
Zinksulfid wird durch Dotieren mit Al3+- und/ rigem Absputtern von Oberflächen, wie beispiels-
oder Cu+- oder Ag+-Ionen lumineszierend und wird weise denen von Sputtertargets (s. Abb. 4b) sowie
zum Beispiel in Bildröhren oder nachleuchtenden geeignetem Transport in der Gasphase im Vakuum
Zifferblättern von Uhren eingesetzt. Die Verbindung aufdampft. Im Gegensatz zu gewöhnlichem Glas
hat einen hohen Brechungsindex, deshalb erzeugt ist es sowohl für Infrarot- als auch sichtbares Licht
man optische Spiegel bzw. Reflektoren durch Auf- durchlässig (s. Abb. 5). Daher setzt man es unter
dampfen dünner Schichten von Zinksulfid im anderem zur Produktion optischer Fenster und
Vakuum. Sie ist ferner sehr durchlässig für Infrarot- Fokussierlinsen für Laserlicht ein. Wegen seiner
licht und findet deshalb verstärkt in Nachtsichtkame- Transparenz für Infrarotlicht (Sauer 2008) ist es
ras Verwendung, jedoch muss man aus Zinksulfid speziell für die ATR-Spektroskopie interessant,
bestehende Fenster gründlich entspiegeln. bei der man es als stark lichtbrechenden, aber infra-
826 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
So verkohlt es Holz (!), setzt Ethanol zu Diethyle- wasserstoffsäure oder durch Umsetzung von
ther und Papier zu Pergamentpapier um. Bariumbromid mit Zinksulfat, wobei dann vom
Man verwendet wasserfreies Zinkchlorid zum ausgefällten Bariumsulfat leicht abfiltriert werden
Imprägnieren von Holz, ferner zur Herstellung kann (Brauer 1978, S. 1025). Zinkbromid schmilzt
von Pergamentpapier, zum Desinfizieren, zur bzw. siedet in wasserfreier Form bei 394 C bzw.
Konservierung tierischer Stoffe, zum Beizen und 697 C und hat die Dichte 4,2 g/cm3.
Färben von Messing, in der Färberei als Beize für Zinkbromid dient als Elektrolyt in Batterien
Anilinblau, zur Produktion einiger Teerfarben, als und Akkumulatoren (Winter und Besenhard
wasserentziehendes Mittel bei Synthesen sowie, 1999), ferner als Additiv in Flussmitteln für Löt-
neben weiteren Anwendungen, als Ätzmittel in zwecke und zur eleganten, elektrolytischen Her-
der Medizin. stellung organischer Zinkverbindungen in absolut
Aus hoch konzentrierten Lösungen von Zink- wasserfreiem Medium (Rjabova 2001). Die wich-
und Ammoniumchlorid gewinnt man Lötsalz tigste Anwendung ist die als Verdrängungs- und
[(NH4)2ZnCl4], das, in Wasser gelöst, oxidische Reaktionsflüssigkeit bei der Öl- und Gasförde-
Passivschichten von einem Metallstück entfernt, rung aus größerer Tiefe.
bevor jenes verlötet oder verzinnt wird. Zinkchlo- Zinkiodid (ZnI2) schmilzt bzw. siedet als wasser-
rid löst unter diesen Bedingungen die betreffen- freies Salz bei Temperaturen von 446 C bzw.
den Metalloxide (beispielsweise Eisen- oder Kup- 625 C. Die Substanz der Dichte 4,74 g/cm3 ist
feroxid) infolge Komplexbildung auf und stellt so ein farbloser bis hellgelber Feststoff (s. Abb. 9),
einen nicht unterbrochenen Kontakt zwischen der der sehr gut löslich in Wasser und auch in einigen
Oberfläche des Stahls und dem zum Löten benutz- organischen Lösungsmitteln ist. Beim Erhitzen des
ten Zinn her, wirkt aber selbst auch ätzend auf wasserhaltigen Salzes an der Luft erfolgt Hydro-
freigelegte Metalloberflächen. Daher muss der lyse; man erzeugt Zinkiodid durch Reaktion von
Einsatz genau dosiert erfolgen. In der Pyrotechnik Zink mit Iod unter Zusatz kleiner, katalytisch wirk-
setzt man zur Erzeugung weißen Rauchs ein samer Mengen an Wasser (Brauer 1978, S. 1025).
Gemisch aus Zinkoxid, Hexachlorethan und Zinkiodid ist keine salzartige Verbindung mehr,
Aluminiumpulver ein. sondern hat mehrheitlich kovalenten Charakter.
Zugabe von Natronlauge zu einer wässrigen Trotzdem setzt man sie gerne in Lehrversuchen als
Lösung von Zinkchlorid fällt zunächst gallertarti- Elektrolyt ein, weil sich deren Verlauf anhand der
ges Zinkhydroxid aus, das sich in einem Über- Bildung dunkel gefärbten Iods an der Anode gut
schuss an Lauge unter Bildung des Zinkats löst. veranschaulichen lässt. Im Molekülgitter liegen
Das wasserfreie Zinkbromid (ZnBr2) ist eben- jeweils vier an drei Ecken verbundene Tetraeder
falls ein weißer, extrem hygroskopischer Fest- vor, die einen Zn4I10-„Super-Tetraeder“ bilden.
stoff, der sich wie das Chlorid äußerst leicht in Diese haben eine strukturelle Ähnlichkeit zu denen
Wasser löst (4470 g/L bei 20 C). Man gewinnt es des Phosphor-V-oxids (P4O10). Man verwendet
durch Reaktion von Zink mit Brom bzw. Brom- Zinkiodid wegen seiner hohen Absorptionsfähigkeit
Abb. 13 Zinksulfat-Heptahydrat (Onyxmet 2018) Anwendungen Die Anwendungen für Zink sind
nahezu unerschöpflich. Der aktuelle weltweite Jah-
Zinksulfat-Heptahydrat (ZnSO4 7 H2O) bildet resbedarf dürfte bei 15 Mio. t liegen, wovon etwa
farblose, rhombische Kristalle (s. Abb. 13), die die Hälfte in die Verzinkung von Eisen und Stahl
bei mäßigem Erwärmen im eigenen Kristallwas- gehen. Sehr oft geht es in Legierungen mit Kupfer
ser schmelzen. Bei knapp 700 C zersetzt es sich (Messing) oder Aluminium. Mit Magnesium her-
zu Zinkoxid und Schwefel-VI-oxid. Man kann es gestellte Legierungen enthalten bis zu 5 % Zink.
einfach durch Auflösen von Zink oder Zinkoxid in Korrosionsschutz: In der Automobilindustrie
verdünnter Schwefelsäure herstellen. Infolge feuerverzinkt man seit gut 30 Jahren Stahl- und
Hydrolyse reagieren wässrige Lösungen von Eisenteile, um sie vor Korrosion zu schützen. Das
Zinksulfat schwach sauer. Verfahren gibt es aber schon wesentlich länger.
Man setzt Zinksulfat in der Färberei ein, außer- Auf dem Werkteil wird ein Überzug aus metalli-
dem bei der Imprägnierung von Holz und Leder. schem Zink erzeugt, das sowohl eine Barriere
Reinzink gewinnt man durch Elektrolyse wässri- bildet als auch bei freiliegenden und benachbarten
ger Lösungen von Zinksulfat. Die Verbindung ist Eisenteilen Korrosion verhindert, da es als Opfer-
in Flammschutzmitteln enthalten und bewirkt, anode wirkt. Beim ältesten Verzinkungsverfahren,
Firnis in geringer Konzentration zugesetzt, ein dem diskontinuierlichen Feuerverzinken (Stück-
beschleunigtes Trocknen der Farben bzw. des verzinken), taucht man aus Stahl bestehende Bau-
Leinöls. Zinkionen wirken bakterizid; daher teile in aus flüssigem Zink bestehende Bäder.
setzt man Zinkoxid und -sulfat in Salben und Später stellte man das Verfahren auf eine kon-
Augenwässern ein. Weitere Anwendungen sind tinuierliche Arbeitsweise um, bei dem man Stahl-
Textilbeiz- und galvanische Verzinkungsbäder, bänder durchlaufend verzinkt („Bandverzinken“)
Spurennährstoffe und Flotationsmittel, um noch und danach erst weiter verarbeitet. Beim diskon-
einige, aber nicht alle Einsatzgebiete zu nennen. tinuierlichen Verfahren erreicht der Zinküberzug
Wasserhaltiges Zinknitrat [Zn(NO3)2] entsteht eine Dicke von 50 bis 150 μm und kann jahr-
beim Auflösen metallischen Zinks in Salpetersäu- zehntelang vor Korrosion schützen; bei der Band-
re, wasserfreies dagegen nur durch Umsetzung verzinkung sind nur Dicken von 7 bis 25 μm
830 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
erzielbar, die naturgemäß eine deutlich verkürzte an Cadmium, Blei und/oder Mangan. In Alkali-
Schutzdauer bieten. Die Beschichtung kann aber Mangan-Batterien ist Zinkpulver das Anodenma-
wiederholt werden, und so sind ebenfalls größere terial, unter Beimengung geringer Anteile an Blei,
Dicken herstellbar. Bismut, Indium, Aluminium und Calcium, um die
Beim galvanischen Verfahren bringt man die Korrosionsanfälligkeit zu verringern.
Zinkschicht elektrolytisch auf. Das zu beschich- Bleche aus Titanzink sind der vorherrschende
tende Werkstück dient als Kathode, ein Stück Werkstoff, da sie noch beständiger gegenüber
reines Zink als Anode. Anlegen einer Gleichspan- Korrosion und zugleich mechanisch wesentlich
nung bewirkt sowohl die Auflösung der Anode als belastbarer sind als Bleche aus unlegiertem Zink.
auch die Bildung eines Überzuges aus Zink auf Man verwendet diese Bleche zum Dachdecken,
der Kathode. Die erreichbare Dicke der Zink- als Bekleidung von Fassaden, für (Regenrinnen
schicht beträgt 2,5 bis 25 μm, ist also geringer und Fallrohre), für Außenfensterbänken oder für
als die beim diskontinuierlichen Feuerverzinken diverse Arten von Anschlussstücken. Diese Ble-
gebildete. Beim galvanischen Verfahren lohnt che halten bis zu einem Jahrhundert und benöti-
sich wegen der hohen Energiekosten aber nicht gen während dieser Zeit kaum oder gar keine
die Erzeugung größerer Schichtdicken. Wartung.
Beim Spritzverzinken sprüht man geschmolze- Zinkdruckguss: Die im Druckgußverfahren
nes Zink mit Hilfe von Druckluft auf das Werk- produzierten Teile aus Zinklegierungen behalten
stück. Ein Vorteil bei der Verwendung hitzeemp- bei Temperatur- und Druckwechsel infolge ihrer
findlicher Werkstoffe ist eine geringere thermische hohen mechanischen Belastbarkeit weitgehend
Belastung. Plattieren ist das mechanische Auftra- ihre Maße. Man setzt sie daher oft zur Herstellung
gen von Zink auf die Oberfläche des Werkstücks, von Automobilzubehör und Beschlägen, im
das bei Kleinteilen angewandte Sherardisieren Maschinen- und Apparatebau, in Spielwaren und
beinhaltet das Diffundieren von Zink in das Träger- Elektrogeräten ein.
metall des zu beschichtenden Gegenstandes. Chemische Synthese: Zinkmetall ist ein wirk-
Batterien: Das gegenüber Eisen unedlere Zink sames Reduktionsmittel: so reduziert man Carbo-
ist stets die „Opferanode“ und wird bevorzugt nylverbindungen zu Alkanen nach Clemmensen,
oxidiert, wogegen das Eisen bzw. der Stahl unver- Allylalkohole zu Alkenen (Elphimoff-Felkin und
ändert bleibt. Erst wenn das Zink abgetragen ist, Sarda 1977), Acyloine zu Ketonen (Brückner
wird auch Eisen angegriffen. In Phosphatierungs- 2004) und Nitroverbindungen entweder zu Ary-
mitteln sind Zinkverbindungen enthalten. laminen, Arylhydroxylaminen (Kamm 1925),
Zinkmetall stellt die Anode in vielen nicht Azoarenen (Bigelow und Robinson 1942) oder
wiederaufladbaren Batterien und wird in großen N,N0 -Diarylhydrazinen.
Mengen hierfür verbraucht, so in Alkali-Mangan-, Zinkorganyle sind ausgezeichnete Alkylie-
Zink-Kohle-, Zink-Luft-, Silberoxid-Zink- und rungsmittel und wirken selektiver als Grignard-
Quecksilberoxid-Zink-Batterien. Zinkmetall ist Verbindungen, die gewisse funktionelle Gruppen
vergleichsweise billig, seine Verbindungen sind nicht angreifen und oft auch stereoselektiv reagie-
nicht sehr toxisch, ist ein gutes Reduktionsmittel ren. Dehalogenierungen verlaufen ebenfalls meist
und macht relativ hohe Zellspannungen erreich- glatt (Gronowitz und Raznikiewicz 1964).
bar. Darüber hinaus ist Zink ein guter elektrischer
Leiter und in wässrigen Elektrolyten einigerma- Physiologie, Toxizität Zink ist für den mensch-
ßen beständig. lichen Stoffwechsel essenziell, denn es ist Bestand-
Bau: Bis vor ca. zehn Jahren war noch korro- teil einer Vielzahl von Enzymen (RNA-Poly-
sionsbeständigeres, amalgamiertes Zink im Ein- merase, Carboanhydrase). Zink spielt eine
satz, aber Quecksilber wurde seitdem wegen sei- zentrale Rolle im Stoffwechsel und ist für das
ner Giftigkeit weitgehend aus den meisten Wachstum der Zellen unverzichtbar. Ein Zink-
Batterietypen eliminiert. In Zink-Kohle-Batterien mangel reduziert die Wirkung zahlreicher Hor-
verwendetes Zink ist oft becherförmig gestaltet mone (RHW-Redaktion 2011) und destabilisiert
und enthält als Korrosionsschutz geringe Mengen das Immunsystem.
5 Einzeldarstellungen 831
Analytik Erhitzt man eine zinkhaltige Probe mit Der deutsche Chemiker Friedrich Stro-
wenigen Tropfen einer Lösung eines Cobaltsalzes meyer (* 2. August 1776 Göttingen; † 18.
auf einer Magnesiarinne in der Flamme eines Bun- August 1835 Göttingen) studierte von 1793
senbrenners, so erfolgt schnell die Bildung von Rin- bis 1799 in Göttingen Medizin und promo-
mans Grün. Quantitativ lässt es sich durch Titration vierte 1800. Allerdings legte er als Lehrkraft
mit einer EDTA-Maßlösung bestimmen, im Spuren- besonderen Wert auf die Vermittlung chemi-
bereich durch Grafitrohr-AAS oder ICP-MS. scher Kenntnisse und etablierte 1805 dort ein
832 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
Licht transparent, weshalb es gelegentlich als Cadmiumtellurid (CdTe) ist eine kristalline,
Fenstermaterial in IR-Anwendungen benutzt grauschwarze (s. Abb. 19a), bei 1092 C bzw.
wird. 1121 C schmelzende bzw. siedende Verbindung
Die Verbindung wurde schon intensiv auf ihre der Dichte 5,85 g/cm3. Der direkte II-VI-Verbin-
Eignung als Nanokristall geprüft. In diesem dungshalbleiter, der in Form von Sputtertargets im
Kleinstmaßstab bestimmt hauptsächlich die Größe Handel ist (s. Abb. 19b), hat bei 27 C eine Band-
des Kristalls die Lage der Energieniveaus der Elek- lücke von nur 1,56 eV, weshalb er in Solarzellen
tronen und damit die Frequenz absorbierten bzw. oder Fotodioden eingebaut wird. Zudem ist die
emittierten Lichts. Je kleiner der Kristall, desto Verbindung billiger als Silicium, aber nicht von
niedriger ist meist auch die Wellenlänge des aus- gleicher Leistungsfähigkeit. In Form von mit
gesandten Lichts. Daher sind Cadmiumselenid- Quecksilbertellurid gebildeten Mischkristallen
Nanopartikel beispielsweise als Biomarker für in- dient es als Infrarotdetektor; als Mischkristall mit
vitro-Untersuchungen oder als Lichtumwandler in Zinktellurid resultiert ein sehr wirksamer Detektor
Solarzellen im Einsatz (Weiss 2006). für Röntgen- und γ-Strahlen (Brebrick 1988; Cap-
Cadmiumrot vermischt man in zur Verwen- per und Garland 2011).
dung in Malfarben mit Cadmiumsulfid und kann Für optische Fenster und Linsen verwendet
so die gesamte Palette von Gelb bis Dunkelrot man es wegen seiner potenziellen Gesundheits-
abbilden. Die Mischungen sind lichtbeständiger schädlichkeit nur noch in geringem Umfang.
als Zinnober und dürfen, trotz erheblicher Vorbe- Dabei zeigt es neben seiner Halbleitereigenschaft,
halte, immer noch in Farbpigmenten -und sogar seines geringen Absorptionsvermögens für Infra-
bei Tätowierungen(!)- eingesetzt werden. Dies rotlicht im Bereich von 800 bis 20.000 nm noch
gilt nicht für Autolacke und Kunststoffteile. eine weitere, sehr interessante Eigenschaft: Es hat
Das graue Cadmiumselenid (s. Abb. 18a, b) den höchsten linearen elektrooptischen Koeffizi-
wird in der Elektronikindustrie als Halbleiter ein- enten aller kristallinen II-VI-Verbindungen, sein
gesetzt. Brechungsindex variiert also stark und in erster
Näherung linear mit einem angelegten elektri-
schen Feld. Ohne Gegenwart eines elektrischen
Feldes liegt der Brechungsindex für Infrarotlicht
der Wellenlänge 10 μm bei 2,65. Die Verbindung
ist unlöslich in Wasser, aber viele Säuren zerset-
zen es unter Bildung toxischen Tellurwasser-
stoffs. Auch Cadmiumtellurid selbst ist, vor allem
in Form feinen Staubs, als giftig eingestuft.
Übergangsmetalle (Wolfram) sowie früher auch Cadmiumnitrid (Cd3N2) ist ein schwarzer Fest-
die von Silberbromid-Gelatine. stoff der Dichte 7,67 g/cm3, der durch thermische
Cadmiumiodid (CdI2) hat analoge Zugangsver- Zersetzung von Cadmiumamid bei 180 C
fahren wie das -bromid, also Reaktion der Ele- (Brauer 1975, S. 1044) bzw. Cadmiumazid bei
mente miteinander oder Auflösen von Cadmium 210 C (Karau und Schnick 2007) zugänglich
oder Cadmiumcarbonat in Iodwasserstoffsäure mit ist. Die Verbindung zersetzt sich heftig bei Kon-
anschließender Kristallisation. Das dabei gebildete takt mit Luft und Feuchtigkeit, Cadmiumnitrid
Hydrat wird mit Thionylchlorid entwässert (Holle- reagiert nahezu explosionsartig mit verdünnten
man et al. 2007, S. 1490). Im kleineren Maßstab Säuren und Laugen.
funktioniert die Darstellung aus Cadmiumsulfat Das tetragonal kristallisierende, graue Cadmium-
und Kaliumiodid gut (Brauer 1978, S. 1043). phosphid (Cd3P2) hat die Dichte 5,96 g/cm3,
Die weiß glänzenden, leicht spaltbaren Plätt- schmilzt bei 700 C und ist ein Halbleiter mit
chen (s. Abb. 23) kristallisieren in einer hexago- einer Bandlücke von 0,52 eV. Man kann es daher
nalen Schichtstruktur (Villars und Cenzual 2006), in Laserdioden verwenden; wegen der Giftigkeit
in der die Iodidionen eine hexagonal-dichteste der hydrolyseempfindlichen Verbindung bevor-
Kugelpackung bilden, in der jede zweite Okta- zugt man aber andere Substanzen.
ederlückenschicht mit Cadmiumionen besetzt ist. Das dunkelgraue, geruchlose, tetragonal kris-
Diesen Strukturtyp findet man bei vielen anderen tallisierende, bei einer Temperatur von 621 C
Bromiden, Iodiden, Sulfiden, Seleniden und Tel- schmelzende Cadmiumarsenid (Cd3As2) erhält
luriden (Riedel und Janiak 2007, S. 138). Nano- man durch Umsetzung von Cadmium mit einem
partikel mit der Struktur eines geschlossenen mit Arsen-Dampf beladenen Wasserstoff-Strom
Käfigs, also ungefähr der eines Fullerens, erhält (Brauer 1975, S. 1047). Kurz unterhalb ihres
man bei der Bestrahlung von Cadmiumiodid mit Schmelzpunktes erfolgt ein Phasenübergang
Elektronen (Tenne et al. 2003). (Hiscocks und Elliott 1969; Freyland et al.
Die Verbindung schmilzt bzw. siedet bei Tem- 1983). Die Verbindung wird durch Kontakt mit
peraturen von 387 C bzw. 796 C und hat bei Säuren zersetzt, wobei sich hochgiftiger Arsen-
Raumtemperatur die Dichte 5,67 g/cm3. Sie ist wasserstoff bildet.
sehr leicht in Wasser löslich (1850 g/L bei Das tetragonal kristallisierende, graue Cad-
20 C). Man setzt Cadmiumiodid sehr vereinzelt miumdiarsenid (CdAs2) erhält man durch gemein-
als Reagenz zum Nachweis von Alkaloiden und sames Schmelzen von Cadmium und Arsen im
Nitrit ein, außerdem bei der Herstellung von stöchiometrischen Verhältnis bei Temperaturen
Leuchtfarben. Cadmiumiodid ist sehr giftig für um 650 C im Vakuum (Brauer 1975, S. 1047).
Säugetiere und Wasserorganismen.
Sonstige Verbindungen Cadmiumcarbid, Cad-
Pnictogenverbindungen Das in der kubischen miumsilicid und Cadmiumborid sind bisher nicht
anti-Bixbyit-Struktur kristallisierende, schwarze in der Literatur beschrieben.
838 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
Atomkernen des Elements und seiner abgeschlos- ist Quecksilber das einzige Element, dessen
senen d-Elektronenkonfiguration zutage treten- Dampf bei Raumtemperatur einatomig ist.
den relativistischen Effekte bewirken eine etwas Quecksilber leitet Strom im Vergleich zu ande-
lockerere „Packung der Atome“, wodurch das ren Metallen schlecht, zumindest in flüssigem
Metall eine geringere Dichte hat, als mit ca. Zustand (Ziman 1961). Festes Quecksilber leitet
16 g/cm3 eigentlich zu erwarten gewesen wäre den Strom besser und wird unterhalb einer Tem-
(Calvo et al. 2013). Mit Ausnahme der Edelgase peratur von 268,9 C supraleitend.
842 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
bekannt wurde. In Ätzmitteln für die Bearbeitung aus Monosacchariden (Horton 2004; Stick und
von Stahl und Kupfer und als Katalysator bei der Williams 2001). Eine Methode zum Nachweis
Herstellung von Vinylchlorid findet es noch Ver- von Arsen beruht auf Quecksilber-II-bromid, da
wendung. naszierender Wasserstoff Arsen zunächst in Ar-
Die Struktur des festen Quecksilber-I-bromids senwasserstoff umwandelt, der Quecksilber-II-
(Hg2Br2) beruht wie die des Chlorids auf dem bromid braunschwarz verfärbt (Pederson 2006;
Vorliegen linearer X-Hg-Hg-X-Moleküle (X: Odegaard und Sadongei 2005).
Halogen) (Wells 1984). Die als krebserregend Das bei 140 C bzw. 290 C schmelzende bzw.
(Kat. 3B) eingestufte, weißbräunliche Verbindung siedende Quecksilber-I-iodid (Hg2I2) hat eine
(s. Abb. 32) der Dichte 7,3 g/cm3 schmilzt bei Dichte von 7,7 g/cm3 und ist aus den Elementen
einer Temperatur von 390 C und kann durch darstellbar. Andere Möglichkeiten der Herstel-
Erhitzen von Quecksilber mit Brom in geeigneten lung sind die Komproportionierung von Queck-
Retorten oder durch Zugabe von Alkalibromid zu silber mit Quecksilber-II-iodid, die Fällung mit
einer Lösung von Quecksilber-I-nitrat gewonnen stöchiometrischen Mengen an Iodid aus einer
werden (Brauer 1978, S. 1052). Lösung eines Quecksilber-I-salzes (Riedel und
Das weiße Quecksilber-II-bromid (HgBr2) Janiak 2007; Moody 2013, S. 414) oder die von
(s. Abb. 33) schmilzt bzw. siedet bei den niedrigen Quecksilber-II-chlorid mit Kaliumiodid in alko-
Temperaturen von 238 C bzw. 319 C, hat die holischer Lösung bei gleichzeitiger Anwesenheit
Dichte 6,1 g/cm3 und ist sehr giftig. Die Darstel- des Reduktionsmittels Zinn-II-chlorid (Kozin und
lung ist entweder aus den Elementen in Gegen- Hansen 2013). Der gelbe, tetragonal kristallisie-
wart von Wasser (Zimmer und Niedenzu 1976) rende Feststoff disproportioniert unter Lichtein-
oder durch Bromierung von Quecksilber-I-bro- wirkung schnell zu Quecksilber und Quecksilber-
mid möglich. Man nutzt es als Katalysator bei II-iodid und färbt sich beim Erwärmen rot. Aus
der Koenigs-Knorr-Synthese von Glykosiden medizinischen Anwendungen ist es wegen seiner
Giftigkeit eliminiert worden (Weller 2014).
Quecksilber-II-iodid (HgI2) kommt als Mine-
ral Coccinit natürlich vor. Die in Form einer gel-
ben bzw. roten Modifikation vorliegende Verbin-
dung (s. Abb. 34) schmilzt bzw. siedet bei
Temperaturen von 259 C bzw. 354 C, hat die
Dichte 6,27 g/cm3 und ist durch Reaktion der
Elemente miteinander erhältlich. Alternativ lässt
es sich durch Zugabe von Quecksilber-II-chlorid
zu einer Kaliumiodidlösung als roter Nieder-
schlag ausfällen, die ebenfalls im Handel ist
Abb. 32 Quecksilber-I-bromid (Onyxmet 2018) (s. Abb. 34b).
Die rote α-Modifikation des Quecksilber-II-io- bei Einwirkung von Licht sowie bei Temperaturen
dids verfärbt sich beim Erhitzen bis zum Schmelz- oberhalb von 450 C. Mit Alkalisulfaten bildet es
punkt unter Umwandlung in die β-Form gelb Doppelsalze. Man nutzt die Verbindung als Kata-
(Hager et al. 1999). Für viele Organismen ist es lysator bei der Synthese von Acetaldehyd aus
giftig. In überschüssiger Kaliumiodidlösung ist es Ethin und Wasser. Quecksilber-II-sulfat ist als
unter Entstehung von Kaliumtetraiodomercurat-II sehr giftig für Mensch und Tier sowie als umwelt-
löslich. In der Veterinärmedizin ist Quecksilber- schädlich eingestuft.
II-iodid Bestandteil von Wundtinkturen. Quecksilber-II-nitrat [Hg(NO3)2] erhält man
durch Auflösen von Quecksilber in heißer, kon-
Pnictogenverbindungen Definierte Nitride oder zentrierter Salpetersäure:
Phosphide des Quecksilbers sind nicht bekannt. In
der Natur kommt jedoch sehr selten Atheneit vor, 3 Hg þ 8 HNO3 ! 3 HgðNO3 Þ2 þ 2 NO
ein hexagonal kristallisierendes Mineral (Bindi þ 4 H2 O
2010) der Zusammensetzung (Pd,Hg)3As, das
die Dichte 10,2 g/cm3 und die Mohs-Härte Auch hier kann man das reine, kristalline Pro-
5 besitzt. Es tritt in Form opaker, metallisch-sil- dukt nur aus saurer Lösung erhalten, da in Was-
berweißer Blasen auf. Die 9. Auflage der Syste- ser Hydrolyse eintritt. Ebenso ist die Darstellung
matik nach Strunz erfasst Atheneit unter „Sulfide aus Quecksilber-I-nitrat und Salpetersäure mög-
und Sulfosalze/Legierungen und legierungsartige lich (Bode und Ludwig 2013). Die wasserfreie,
Verbindungen/Verbindungen von Halbmetallen gelbliche, kristalline Verbindung (s. Abb. 36)
mit Platin-Gruppen-Elementen“. In der Systema- schmilzt schon bei einer Temperatur von 79 C.
tik nach Dana findet man Atheneit ebenfalls in der Es gibt auch verschiedene Hydrate (Kozin und
Klasse der „Sulfide und Sulfosalze“, dort aber Hansen 2013).
unter „Sulfidminerale“. Wenn man dieses Mineral Da auch Quecksilber-II-nitrat sehr giftig ist
überhaupt in der Natur findet, dann meist in Kon- und die Umwelt stark belastet, setzt man es heute
zentraten von Goldauswaschungen; bisher war nicht mehr zur Behandlung von Fellen ein (Csu-
dies in einigen russischen, brasilianischen und ros und Csuros 2002; Lew 2008), sondern nur
südafrikanischen Fundorten der Fall. noch zur Herstellung anderer Verbindungen des
Quecksilbers. Da es ein Oxidationsmittel ist,
Sonstige Verbindungen Quecksilber-II-sulfat reagiert es teils heftig mit brennbaren organischen
(HgSO4) stellt man durch Auflösen von Queck- Chemikalien (Lewis 2008).
silber in konzentrierter Schwefelsäure her. Man
kann es nur aus schwefelsaurer Lösung auskris- Anwendungen
tallisieren, da es in Wasser zu basischem Sulfat Thermometer: Quecksilber benetzt Glas nicht und
hydrolysiert. Das weiße bis gelbliche Kristallisat hat eine thermische Ausdehnung, die über einen
(s. Abb. 35) der Dichte 6,47 g/cm3 zersetzt sich weiten Bereich hinweg nahezu proportional zur
Temperatur ist. Man verwendete es daher gerne in Xenon, das in der Autoindustrie als Füllgas für
Flüssigkeits- und Kontaktthermometern bis herab Scheinwerferlampen benutzt wird.
zu einer Temperatur von 35 C. Wegen seiner Schalter: Dieser Einsatz ist fast nur noch von
Giftigkeit ersetzt man es aber, wo immer es mög- historischem Interesse. Quecksilber diente in
lich ist, zunehmend durch niedrigschmelzende ihnen lange Zeit als flüssiges und bewegliches
Legierungen (Galinstan), gefärbten Alkohol oder Kontaktmedium für elektrischen Strom, ist aber
elektronische Thermometer. Für medizinische seit 2005 in der EU für diese Anwendung nicht
Anwendungen bestimmte Thermometer dürfen mehr zulässig. Die Funktion beruhte darauf, dass
innerhalb der EU seit April 2009 kein Quecksilber ein in einem Glasrohr befindlicher, beweglicher
mehr enthalten. Quecksilbertropfen neigungsabhängig den elek-
Manometer/Barometer: Bis heute dient Queck- trischen Kontakt zwischen zwei ins Glas einge-
silber oft als Manometerflüssigkeit. Bei Normal- schmolzenen Metallstiften öffnet oder schließt.
druck (1 Atmosphäre) ist die Säule des Quecksil- Derartige Schalter sind beispielsweise noch in
bers 760 mm hoch. Die Maßeinheiten für 1 mm alten Treppenlicht-Zeitschaltern oder in Thermo-
sind: 1 mm = 1 torr (bis 1978) = 133,21 staten von Boilern enthalten.
Pa = 1,33 mbar. Amalgam: Diese Legierungen des Quecksil-
Quecksilberdampflampen: Diese gibt es in ver- bers mit anderen Metallen (Zinn etc.) verwendet
schiedenen Auslegungsformen. Niederdrucklampen man noch als Füllmittel für Zähne. Quecksilber
haben Innendrücke bis ca. 10 mbar und strahlen ohne zerstört auch Konstruktionen aus Magnesium,
zusätzlich eingebrachten Leuchtstoff nur wenig Aluminium und Zink durch Amalgambildung!
sichtbares Licht ab, aber dafür einen hohen Anteil Desinfektions- und Heilmittel, Kosmetika: Frü-
an UV-Licht. Sie besitzen meist einen aus Quarzglas her waren organische Quecksilbersalze Wirkstoff
bestehenden Kolben und dienen beispielsweise zu zur Desinfektion von Wunden, sind aber nahezu
Desinfektionszwecken. Leuchtstofflampen tragen vollständig aus diesen verbannt worden. Vom
zusätzlich an der inneren Glasoberfläche einen fluo- Ende des Mittelalters bis zum Anfang des 20.
reszierenden Leuchtstoff und vereinen sehr hohe Jahrhunderts diente die graue Quecksilbersalbe zur
Lichtausbeute mit Langlebigkeit. Die neben Neon- Behandlung der Syphilis (Zimmermann 1989).
röhren verwendeten Leuchtröhren sind meist Bis in die 1990er-Jahre war Quecksilber-I-chlorid
Quecksilber-Niederdrucklampen mit Leuchtstoffen als Spermizid in Vaginal-Zäpfchen enthalten.
der jeweiligen Farbe und haben eine nochmals er- Elektrolyse: Im früher zur Produktion von Na-
höhte Lebensdauer. tronlauge und Chlor weit verbreiteten, heute in
Mitteldrucklampen verwendet man in der Ablösung befindlichen Amalgamverfahren band
Industrie zur Aushärtung bestimmter UV-reaktiver man das an der aus Quecksilber bestehenden
Klebstoffe, Lacke und Druckfarben. Hochdruck- Kathode entstandene Natrium in situ als Amal-
lampen dagegen weisen einen Betriebsdruck gam. Dieses wurde von Zeit zu Zeit abgeführt
bis zu ca. 10 bar auf, der bereits nach kurzer und durch frisches Quecksilber ersetzt. Das Amal-
Zeit aufgebaut wird. Diese Quecksilberdampf- gam zersetzte man in separaten Zellen mit Wasser
Hochdrucklampen setzt man vielfach zur Straßen- wieder zu Natriumhydroxid und reinem Queck-
und Industriebeleuchtung ein. Sie sind schon mit silber.
einer Zündelektrode ausgestattet, haben eine gute Gewinnung edler Metalle: Oft nutzte man
Lichtausbeute und senden blaugrünes Licht aus. Quecksilber, um Edelmetalle in gediegener Form
Die Lichtausbeute beträgt bis zu 60 %, der Rest aus dem Erdreich in Form eines Amalgams zu
der erzeugten Energie geht als Abwärme verloren. „extrahieren“. Anschließend ließen wilde Schür-
In ihnen sind die Wolframelektroden nur wenige fer – und lassen immer noch – das Quecksilber
mm voneinander entfernt. Das im Kolben befind- einfach verdunsten, wobei das reine Edelmetall
liche Quecksilber verdampft sehr schnell und dann zurück bleibt. Bei machen südamerikani-
erzeugt im Gaszustand das typische Lichtspek- schen Fundorten ist die Umwelt des umliegenden
trum. Ein Ersatz für Quecksilber ist seit längerem Gebietes daher stark belastet.
848 17 Zinkgruppe: Elemente der zweiten Nebengruppe
Astronomie: Quecksilber dient als „flüssiger Spie- Anlegen einer Spannung wieder oxidiert. Der
gel“ in Teleskopen. Das Metall befindet sich in einem Stromfluss bei gegebener Spannung korreliert
tellerförmigen, rotierenden Spiegelträger, wobei es direkt mit der Menge an vorhandenem Queck-
sich auf der gesamten Spiegelträgerfläche in dünner silber. Die Nachweisgrenze liegt auch hier im
Schicht verteilt und einen fast perfekten Parabolspie- unteren einstelligen ng-Bereich (Clevenger et al.
gel bildet. Der wesentliche Nachteil ist, dass man die 1997; Salaun und van der Berg 2006).
Spiegel nur horizontal ausrichten kann.
Physiologie, Toxizität und Gesetzgebung Bei
Analytik Die Amalgamprobe dient als qualitativer der Aufnahme über den Verdauungstrakt ist reines
Nachweis für Quecksilber. Hält man ein Kupferblech metallisches Quecksilber relativ ungefährlich,
in eine salpetersaure Lösung der Probe, so scheidet eingeatmete Dämpfe wirken aber stark toxisch.
sich auf dem Kupfer ein silbriger, nicht entfernbarer Am giftigsten sind organische Verbindungen des
Amalgamfleck ab. Im Unterschied zu Silber ver- Quecksilbers, beispielsweise Methylquecksilber.
flüchtigt sich dieser in der Flamme eines Bunsen- Je nach Aufnahme sind sowohl eine akute
brenners. Auf einem vor die Brennerflamme gehal- als auch eine chronische Vergiftung möglich
tenen Uhrglas kondensiert das verdampfte (Schweinsberg 2002).
Quecksilber in Form kleiner Tröpfchen. Die Glüh- Wirkung auf die Umwelt und Verbote: Norwe-
rohrprobe funktioniert ähnlich. Man vermischt die gen verbot 2008, Schweden 2009 generell den
zu analysierende Substanz mit derselben Menge an Gebrauch von Quecksilber. Innerhalb der EU
Natriumcarbonat und glüht das Gemisch im Abzug. verfolgt man seit Januar 2005 eine „Gemein-
Enthält die Probe Quecksilber, so scheidet sich die- schaftsstrategie für Quecksilber“, die eine Bewirt-
ses als metallischer Spiegel an der Wand des schaftung bestehender Mengen und den Schutz
Reagenzglases ab. von Menschen vor Exposition vorsieht. Seit
Im qualitativen Trennungsgang ist Quecksilber Inkrafttreten der EU-Verordnung über das Verbot
sowohl in der Salzsäure- als auch in der Schwe- der Ausfuhr von Quecksilber und bestimmten
felwasserstoff-Gruppe nachweisbar. Gibt man Verbindungen sowie die sichere Lagerung von
Salzsäure zu, so fällt Kalomel (Hg2Cl2) aus, das Quecksilber vom 22. Oktober 2008 gilt es als
nach Zugabe von Ammoniaklösung zu Queck- gefährlicher Abfall und muss in unterirdische,
silber und Quecksilber-II-amidochlorid dispro- gesicherte Lagerstätten verbracht werden. Der
portioniert. Einleiten von H2S dagegen fällt Export von Quecksilber oder quecksilberhaltigen
Quecksilber als schwarzen Zinnober (HgS) aus. Stoffen mit einer Konzentration von über 95 %
Mit Hilfe der AAS (Quarz- oder Graphitrohr) Quecksilber in Nicht-EU-Staaten ist verboten.
sind Quecksilberverbindungen bis zum Teil in Da auch die Vereinten Nationen Quecksilber als
extrem niedrigen Mengen nachweisbar (Flores „global umweltschädlich“ einstufen, ist die Nach-
et al. 2001; Lobinski und Marczenko 1997; Chen frage nach Quecksilber stark zurückgegangen. Das
et al. 2009). In Verbindung mit der Kaltdampfer- im Januar 2013 von 140 Staaten ratifizierte Mina-
zeugung konnte man eine Nachweisgrenze von mata-Übereinkommen regelt Produktion, Verwen-
0,03 ng (!) erreichen. Bei der AES-MIP erfolgt dung und Lagerung von Quecksilber und seinen
die Detektion ebenfalls bei den Wellenlängen Abfällen. Neue Produktionsstätten dürfen nicht
253,65 nm und 247,85 nm; der bisherige Rekord mehr errichtet, bestehende müssen innerhalb einer
steht bei einer absoluten Nachweisgrenze von Übergangszeit von 15 a geschlossen werden.
4,4 ng/g Probe. Die ICP-MS ist gerade bei Queck- Trotzdem schätzt man, dass auch gegenwärtig
silberorganylen sehr empfindlich und erreicht noch >2000 t/a gasförmiges Quecksilber in die
ähnlich niedrige Nachweisgrenzen (Craig et al. Atmosphäre entweichen und zudem noch erhebli-
1999; Frech et al. 2000). Bei der anodischen che Mengen in Böden und Gewässern vorhanden
Stripping-Voltammetrie reichert man zunächst sind (Chen et al. 2016; Streets et al. 2009).
Quecksilber auf der aus Gold bestehenden Mess- Goldsucher sind für ein knappes Drittel der
elektrode an, wonach man das Quecksilber durch weltweit emittierten Menge an Quecksilber
5 Einzeldarstellungen 849
wurde er mit einem Weltbild konfrontiert, in achtete ab 1610 Jupiter und die Rotation
dem die Sonne als Abbild Gottes galt. 1500 einiger seiner Monde um den Planeten,
verließ Kopernikus Bologna und begann und Bradley wies Anfang des 18. Jahrhun-
nach kurzem Aufenthalt im Ermland erneut derts die durch die relative Bewegung der
ein Studium in Italien, diesmal im Fach Erde zu den Sternen verursachte Aberration
Medizin in Padua. Gleichzeitig war Koper- des Lichtes nach. Kepler lieferte mit der
nikus oft in Rom, dies in seiner Funktion als Beschreibung der elliptisch um die Sonne
Bevollmächtigter des Frauenburger Dom- verlaufenden Planetenbahnen die mathema-
kapitels. tische Grundlage des „neuen“ heliozentri-
schen Weltbildes, die Newton mit seinem
Seine Studienaufenthalte in Italien schloss
er 1503 mit der Promotion zum Doktor des Gravitationsgesetz bewies (Bruhns 1876,
Kirchenrechts in Ferrara ab und kehrte dann S. 461–469; Carrier 2001; Freely 2015; Ha-
wieder nach Frauenburg zurück. Als Fürst- mel 1994).
bischof hatte er dort die Aufgabe, Verwalter
des Ermlandes zu sein. Er nahm 1504 an
Der bulgarische Atomphysiker Victor Ni-
den Preußischen Landtagen in Elbing und
nov (* 1959 Sofia) studierte an der Univer-
Marienburg teil. Mehrere Jahre später
sität Darmstadt, wo er 1992 auch promo-
wandte er sich wieder der Astronomie zu
vierte. Im Rahmen seiner späteren Tätigkeit
und stellte seine damals revolutionären
beim Darmstädter Helmholtzzentrum für
Thesen vom Umlauf der Planeten um die
Schwerionenforschung war er an der Entde-
Sonne und der durch die Drehung der Erde
ckung der Elemente Darmstadtium, Roent-
bedingten scheinbaren Bewegung der Fix-
genium und Copernicium beteiligt. Später
sterne auf. Seine Kernaussagen waren:
wechselte er zum Lawrence Berkeley
National Laboratory (LBNL) in Berkeley,
a) Die Erde dreht sich täglich einmal um
USA, und arbeitet heute an der privaten
ihre Achse.
University of the Pacific in Stockton, CA.
b) Die Erde bewegt sich in einem Jahr ein-
mal auf einer kreisförmigen Bahn um die Ein von ihm und vielen anderen Wissen-
Sonne. schaftlern im Jahr 1999 verfasster Bericht
c) Die übrigen Planeten bewegen sich über eine angeblich erstmalige Darstellung
ebenfalls auf kreisförmigen Bahnen um von Nukliden des Livermoriums und Oga-
die Sonne. nessons im LBNL enthielt Messdaten, die
von diversen anderen Forscherteams ein-
Nahezu alle seine Vorgänger, mit Aus- schließlich des LBNL selbst nicht reprodu-
nahme von Nikolaus von Kues sowie Re- ziert werden konnten, weshalb Ninov und
giomontanus, nahmen als Grund für die seine Kollegen der Fälschung von Messda-
Präzession eine langsame Drehung der ten bezichtigt wurden. Die Publikation
Fixsternsphäre an, hielten also die Erde für wurde im Jahr 2000 zurückgezogen, Ninov
den Fixpunkt des Universums. Kurz vor vom LBNL entlassen, wobei sich Ninov
Kopernikus’ Tod 1543 veröffentlichte dann jedoch auf durch die damals verwendeten
Johannes Petreius in Nürnberg Kopernikus’ Apparaturen erzeugte Messfehler beruft.
Darauf untersuchte man auch Ninovs frü-
Hauptwerk „De revolutionibus orbium coe-
here Berichte zur Entdeckung der Elemente
lestium“. Kopernikus’ Theorie wurde zu-
Darmstadtium und Copernicium; hier aber
nächst nahezu einhellig abgelehnt. Erst
waren fast alle Aufzeichnungen schlüssig,
deutlich später stützten Befunde anderer
und man musste keine Veröffentlichung
Wissenschaftler seine Thesen. Galilei beob-
zurückziehen.
5 Einzeldarstellungen 851
auch in einem möglichen Oxidationszustand +4. Bindi L (2010) Atheneite, [Pd2][As0.75Hg0.25], from Itabi-
Ein dem zweiatomigen Ion Hg22+ analoges Cn22+ ra, Minas Gerais, Brazil: crystal structure and revision
of the chemical formula. Can Mineral 48:1149–1155.
sollte Berechnungen zufolge instabil sein. Man https://doi.org/10.3749/canmin.48.5.1149
erwartet, dass sich Copernicium-II-fluorid (CnF2) Blachnik R (1998) Taschenbuch für Chemiker und Physi-
leicht in die Elemente zersetzt. Halogenokomplexe ker. Band III: Elemente, anorganische Verbindungen
sollten existieren. und Materialien, Minerale, 4. Aufl. Springer, Berlin/
Heidelberg, S 484. ISBN 3-540-60035-3
Bode H, Ludwig H (2013) Chemisches Praktikum für
Verbindungen Copernicium ist das schwere Mediziner. Springer, Berlin/Heidelberg, S 70. ISBN
Homologe des Quecksilbers und sollte wie dieses 978-3-540-60035-3
Brauer G (1975) Handbuch der Präparativen Anorgani-
starke binäre Bindungen mit Edelmetallen wie schen Chemie, Bd I, 3. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart.
Gold eingehen. In Versuchen wurde die Adsorp- ISBN 3-432-87813-3
tion von Atomen des Coperniciums auf Gold- Brauer G (1978) Handbuch der Präparativen Anorgani-
oberflächen bei verschiedenen Temperaturen schen Chemie, Bd II, 3. Aufl. Enke-Verlag, Stuttgart.
ISBN 3-432-87813-3
geprüft, um die Bindungsenthalpie zu messen. Brebrick RF (1988) Thermodynamic modeling of the Hg-
Copernicium erwies sich als flüchtiger als Queck- Cd-Te and Hg-Zn-Te systems. J Cryst Growth 86:39–48
silber; die Reaktionscharakteristika wiesen es ein- Brückner R (2004) Reaktionsmechanismen, 3. Aufl. Spek-
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Seltenerdmetalle: Lanthanoide und
dritte Nebengruppe 18
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
2 Geschichte, Vorkommen und Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859
3 Physikalische und chemische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863
4 Analytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864
5 Weltmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan,
Actinium) sowie der Gruppe der Seltenerdmetalle (Cer bis Lutetium) . . . . . . . 866
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
Zusammenfassung 1 Einleitung
In diesem Kapitel werden ausführlich die Ele-
mente der dritten Nebengruppe des Perioden- Die Seltenerdmetalle: relativ häufig vorkommend,
systems der Elemente sowie die der Lantha- aber doch so fremd. Auch wenn Sie bisher noch
noiden („Seltenerdmetalle“) mitsamt ihrer nichts von ihnen gehört haben sollten, werden
wichtigsten Verbindungen beschrieben. Diese diese Elemente für die Realisierung moderner
insgesamt achtzehn Elemente sind Bestandteil Technologien immer wichtiger. Sowohl die Me-
vieler Gebrauchsgegenstände des täglichen talle als auch ihre Verbindungen kommen in
Bedarfs und in technologischer Hinsicht für vielen aktuellen Anwendungen zum Einsatz und
die Zukunft unverzichtbar. Wir führen ihre che- begegnen Ihnen täglich.
mischen und physikalischen Eigenschaften, ihr Elemente werden eingeteilt in Metalle (z. B.
Vorkommen, bedeutsame Herstellverfahren, An- Natrium, Calcium, Chrom, Eisen, Zink), Halbme-
wendungen und Patente auf. talle wie Arsen, Selen, Tellur sowie Nichtmetalle
wie beispielsweise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon.
Die meisten Elemente können sich untereinander
verbinden und bilden chemische Verbindungen;
so wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemische
Verbindung Natriumchlorid (also Kochsalz).
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 857
H. Sicius, Handbuch der chemischen Elemente,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_18
858 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Einschließlich der natürlich vorkommenden sieben 4 f-Orbitale fortlaufend mit Elektronen auf,
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich so dass sich die Elektronenkonfiguration von 4f1
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- (Cer) bis 4f14 (Lutetium) erstreckt. Als Ceriterden
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. bezeichnet man gewöhnlich die ersten sieben Ele-
Die in diesem Buch vorgestellten Seltenerdme- mente mit Konfigurationen von f1 bis f7 (Cer
talle wie z. B. Cer, Dysprosium oder Thulium und bis Gadolinium) einschließlich des Lanthans,
die diesen chemisch sehr ähnlichen Metalle der wogegen die Yttererden, zu denen auch Yttrium
dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lan- gerechnet wird, Elektronenkonfigurationen von f8
than, Actinium) sind ebenso chemische Elemente (Terbium) bis f14 (Lutetium) aufweisen. Die Lite-
wie die viel bekannteren Schwefel, Sauerstoff, ratur sieht diese Unterteilung aber nicht immer
Stickstoff, Wasserstoff, Helium oder Gold. scharf, zumal manche Eigenschaften der Lantha-
Die Metalle der dritten Nebengruppe erscheinen noide sich regelmäßig über die gesamte Elemen-
im Periodensystem unter „3 bzw. III B“. Ihre Atome tengruppe hinweg ändern und eine ausgeprägte
besitzen jeweils ein einziges Elektron in ihrer höch- Trennung nicht gegeben erscheinen lassen.
sten d-Elektronenkonfiguration (Scandium: 3d1, Insgesamt werden wir in diesem Kapitel also
Yttrium: 4d1, Lanthan: 5d1, Actinium: 6d1). achtzehn Elemente beschreiben, ein knappes
Die vierzehn Seltenerdmetalle von Cer bis Fünftel aller in der Natur vorkommenden. Ich
Lutetium finden Sie im obenstehenden Perioden- werde sie Ihnen zunächst in einer zusammenfas-
system unter „Ln“. Vom Atom des Cers bis zum senden Übersicht präsentieren und sie anschlie-
Atom des Lutetiums füllen diese ihre insgesamt ßend einzeln vorstellen.
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Bereits erschlossene und in der Abbauphase Zur Gewinnung der einzelnen Metalle und
befindliche Vorkommen von Seltenen Erden ihrer Verbindungen wurden im Lauf der Zeit
befinden sich außerdem in den USA (Mountain diverse Methoden entwickelt, die folgend vorge-
Pass, Kalifornien), Indien, Brasilien und in stellt werden. Diese dienen zunächst zur Tren-
Malaysia (FID Verlag 2014). Vietnam arbeitet nung der Kationen der einzelnen Seltenerdmetalle
mit der Japanese Oil, Gas and Metals National voneinander, bevor aus den isolierten, ionenrei-
Corporation zusammen, um seine 2012 auf nen Fraktionen, je nach Menge, die jeweiligen
33 Mio. t geschätzten Vorräte an Seltenerdmetal- Metalle hergestellt werden können. Sehr ausführ-
len abzubauen (Hundt 2012). Japanische Forscher lich sind die Gewinnungsprozesse, vom Erz bis
entdeckten seit 2011 große Vorkommen an Ver- zum reinen Metall, bei Kieffer et al. (1971) sowie
bindungen der Seltenerdmetalle in ca. 6 km Tiefe Gupta und Krishnamurthy (2005) beschrieben.
im Pazifik, rund 2000 km südöstlich von Tokyo Fraktionierte Kristallisation Dieses bis An-
(Spiegel Online 2013). fang der 1970er-Jahre erfolgreich angewandte
2012 organisierte das deutsche Unternehmen Verfahren ist heutzutage nur noch von histori-
Seltenerden Storkwitz AG zusammen mit einem schem Interesse. Es nutzt die unterschiedliche
australischen Unternehmen Probebohrungen bei Löslichkeit der jeweiligen Magnesiumdoppelni-
Storkwitz, zwischen Dessau und Leipzig gelegen. trate 2 Ln(NO3)3 3 Mg(NO3)2 24 H2O in Wasser.
Die bis in eine Tiefe von 600 m durchgeführten Eine wässrige, diese Salze enthaltende Lösung
Bohrungen bestätigten die aus den 1970er-Jahren dampft man so weit ein, dass ungefähr die Hälfte
stammenden Resultate, dass es sich um Vorkom- der Salzmenge aus dieser auskristallisiert. Man
men in der Größenordnung von 4,4 Mio. t Erz mit filtriert dann die Kristalle ab, löst sie wieder in
einem Anteil von 0,45 % Seltenerdoxid handelt Wasser und lässt die Lösung wie oben beschrie-
(Wirtschaftswoche 2013). 2014 wurden weitere, ben erneut zur Hälfte auskristallisieren. Ebenso
bis zu einer Tiefe von 1200 m gehende Bohrungen dampft man die flüssige Phase, die Mutterlauge,
realisiert, deren Ergebnisse aber besagten, dass ein weiteres Mal ein.
die Förderung der Seltenerden in dieser Mine Durch mehr- bis vielfaches Wiederholen des
wirtschaftlich unattraktiv war, und dass die Sel- Prozesses und systematisches Vereinigen von
tenerden Storkwitz AG die erworbene Bergbauli- Lösungen und Kristallen können die Lanthanoid-
zenz an das Sächsische Oberrbergbauamt schon kationen zunächst in leicht, mittelschwer und
2015 zurückgab. Vor diesem Hintergrund werden schwer lösliche Fraktionen unterteilt werden.
eine effiziente Nutzung sowie eine Wiederge- Wird dieses Verfahren fortgesetzt, so ist nach
winnung einzelner Seltenerdmetalle immer wich- einer genügend hohen Zahl von Kristallisations-
tiger. Vorschläge hierzu macht das Öko-Institut schritten eine scharfe Auftrennung und damit die
e. V., Berlin und Darmstadt (Schossig 2011). Isolierung sehr reiner Fraktionen eines einzelnen
Lanthanoidkations erzielbar. Es können unter
Umständen aber ca. 10.000 Trennoperationen hier-
2.3 Herstellung für erforderlich sein (Bildungsserver für Chemie,
Sartori 1975).
2.3.1 Seltenerdmetalle Fraktionierte Fällung Diese Methode der frak-
Die Ähnlichkeit der chemischen Eigenschaften tionierten Fällung der Lanthanoid-hydroxide zeigt
der Lanthanoide (Ln) macht ihre Trennung auf- viele Parallelen zu dem der fraktionierten Kristal-
wändig und teuer. Für die meisten technischen lisation. Für die Auftrennung wichtige Kriterien
Anwendungen reicht der Einsatz preiswerterer sind die Löslichkeitsprodukte und Basizitäten der
Mischmetalle aus. Jenes kann direkt aus einem Lanthanoidhydroxide [Ln(OH)3]. Diese nehmen
Mischchlorid, das am Ende der Aufbereitung mit steigender Ordnungszahl des Seltenerdmetalls
von Erzen der Seltenerdmetalle, z. B. Monazit, (also mit abnehmenden Ionenradius) ab.
durch Hochtemperaturchlorierung anfällt, gewon- Eine wässrige Lösung von Salzen der Selten-
nen werden. erdmetalle wird mit Natronlauge oder Ammo-
862 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
niaklösung versetzt. Zuerst fallen die schwerer Ln3þ ðaqÞ þ 3 RSO3 H ðsÞ
löslichen Hydroxide der Yttererden aus, erst spä- ! LnðRSO3 Þ3 ðsÞ þ 3 Hþ ðaqÞ
ter die leichter löslichen Hydroxide der Ceriter-
den. Der pH-Wert der Lösung ist durch Zugabe verschiebt sich mit steigendem Ionenradius im-
der Base gut steuerbar, so lassen sich die in der mer mehr zur rechten Seite. Daher werden Lan-
Lösung enthaltenen Seltenerdmetallkationen in than-III-Ionen zuerst gebunden, die des Luteti-
verschiedene Fraktionen unterteilen. Indem fort- um-III dagegen zuletzt.
laufend die Fällungen wiederholt und einzelne Zur Vervollständigung der Trennung wäscht
Fraktionen vereinigt werden, kann man analog man anschließend die Säule mit anionischen
zum bei der fraktionierten Kristallisation angege- Komplexbildnern aus, die die in Form nahezu
benen Schema eine Auftrennung bis hin zu den getrennter Fraktionen auf der Säule gebundenen
einzelnen Elementen erreichen. Lanthanoidkationen Ln3+ im allgemeinen umso
Trennung durch Redoxreaktionen Einige Sel- leichter auswaschen, je kleiner der Radius des
tenerdmetalle bilden nicht nur Kationen der Oxi- betreffenden Kations ist. Diese Kationen fallen
dationsstufe + III, sondern auch solche mit den also in umgekehrter Reihenfolge ihrer Ordnungs-
Oxidationsstufen + II und + IV. Die Eigenschaften zahl an und werden in voneinander getrennten
der so gebildeten Verbindungen unterscheiden sich Eluatfraktionen gesammelt.
voneinander oft stark. Bereits eine ein- bis dreima- Die Isolierung einzelner Lanthanoidkationen
lige Wiederholung dieser Methode genügt, um das bzw. deren Komplexe mittels geeigneter Ionen-
betreffende Seltenerdmetall in ausreichender Rein- austauscher für technische oder medizinische
heit zu isolieren. Andererseits ist dieses Verfahren Anwendungen ist in einigen Patenten beschrie-
nur auf bestimmte Lanthanoide anwendbar. ben, beispielhaft seien hier (Maisano und Crivel-
Cer und Terbium können beispielsweise zu lin 2009) Gadoliniumchelate genannt.
ihren jeweiligen Kationen der Oxidationsstufe Hochleistungsflüssigchromatografie (HPLC)
+ IV oxidiert, Samarium, Europium und Ytter- Die Trennung der Seltenerdkationen ist eben
bium dagegen zu ihren Kationen der Oxidations- falls mittels Hochleistungsflüssigchromatographie
stufe + II reduziert und hiernach abgetrennt (HPLC) möglich und wurde bereits in mehre-
werden. ren Veröffentlichungen beschrieben (etwa Meyer
In der Technik wendet man dieses Verfahren 2008; Schwantes et al. 2008).
zur Herstellung reinen Cers an. Nach Ausfällung Einige Verfahren greifen zusätzlich auf Io-
der Hydroxide Ln(OH)3 aus einer mehrere Sel- nenaustausch zurück, um Paare benachbarter
tenerdmetallkationen enthaltenden Lösung fil- Lanthanoiden schnell und unter Erzielung hoher
triert man die Hydroxide ab und erhitzt sie an Reinheiten zu trennen (Tm/Er, Gd/Eu, Eu/Sm,
der Luft auf ca. 100 C. Nur Cer-III-hydroxid Sm/Pm und Pm/Nd). Schwantes et al. (2008)
wird dabei zu (in reinem Zustand hellbeigem) diskutieren die Isolierung radioaktiver Zielio-
Cer-IV-Oxid umgewandelt, das sich im Gegen- nen für Neutroneneinfangexperimente. Hier
satz zu den beim Erhitzen in Luft mit entstande- wird die chromatografische Trennung in einer mit
nen Seltenerdmetalloxiden Ln2O3 nicht in Salpe- einem Kationenaustauscherharz gefüllten Säule
tersäure löst. durchgeführt. Anschließend wurden die jeweili-
Ionenaustauschchromatografie Der Einsatz gen Lanthanoidkationen durch Elution mit
dieses Verfahrens ergibt bereits nach wenigen α-Hydroxyisobuttersäure (α-HIB) ausgewaschen,
Arbeitsschritten eine sehr gute Isolierung einzelner dies mit einer Trennungsauflösung von 4 innerhalb
Seltenerdmetallkationen. Dabei lässt man eine von 15 min.
wässrige, diese Kationen enthaltende Lösung durch Lösungsextraktion 1952 wurde als neues Auf-
Säulen laufen, die Kationenaustauscherharze enthal- arbeitungsverfahren die Lösungsextraktion entwi-
ten (Weis 2001; Hecht und Zacherl 1955). ckelt. Dabei extrahiert man die Lanthanoiden mit-
Das Gleichgewicht der Ionenaustauschreak- tels Tributylphosphat (TBP) fraktionierend als
tion Ln(NO3)3 3 TBP-Komplexe, deren Löslichkeit
3 Physikalische und chemische Eigenschaften 863
in Wasser mit steigender Atommasse zunimmt. ionen in reiner Form enthalten. Aus diesen fällt
Wirtschaftlich hat sich dieses Verfahren wegen man Lanthan-III-oxalat, das wiederum zu Lan-
des hohen Arbeitsaufwandes aber nicht dauerhaft than-III-oxid verglüht wird. Dieses setzt man ent-
behaupten können. weder im Gemisch mit Kohle im Chlorstrom
In der Praxis beruht die Lösungsextraktion der bei erhöhter Temperatur zu Lanthan-III-chlorid
Seltenerdmetallkationen auf der für jedes einzelne um, oder aber man überführt Lanthan-III-oxid
Kation unterschiedlichen und selektiven Auf- im Drehrohrofen mit Fluorwasserstoff zu
teilung zwischen zwei flüssigen Phasen, der Lanthan-III-fluorid. Das Metall gewinnt man
verdünnt salpetersauren (polaren) Lösung der schließlich durch Schmelzflusselektrolyse von
Lanthanoid-Ionen und einer organischen (unpola- Lanthan-III-chlorid oder durch Reduktion von
ren) Mischung von unpolarem Lösungsmittel und Lanthan-III-fluorid mit Calcium oder Magnesium.
einem Komplexbildner (z. B. Tributylphosphat, Da Actinium in der Natur nur in sehr geringen
Di(2-ethylhexyl)phosphorsäure (Gschneidner und Mengen vorkommt und zudem von seinen Begleit-
Eyring 1995; Koch et al. 1993) oder auchlangket- elementen, den Actinoiden, nur mit äußerst hohem
tige quartäre Ammoniumsalze). Aufwand getrennt werden kann, wäre eine Gewin-
Man verquirlt die beiden nicht miteinander nung natürlich vorkommenden Actiniums extrem
mischbaren Phasen im Gegenstrom, um bestimmte teuer. Heute stellt man das Isotop 22789Ac durch
Seltenerdmetallionen mittels TBP aus der wässri- Bestrahlung von 22688Ra mit Neutronen in Kernre-
gen Lösung zu extrahieren. Danach trennt man die aktoren her.
organische Phase, die jetzt die Ln3+-Ionen enthält,
ab, um jene danach wieder zurück in eine weitere
wässrige Phase zu überführen. 3 Physikalische und chemische
Die salpetersaure Lösung wird erneut mit dem Eigenschaften
organischen Lösungsmittel und einem anderen
Komplexbildner versetzt, um durch Wiederho- 3.1 Physikalische Eigenschaften
lung des Verfahrens weitere Ln3+-Ionen abzutren-
nen. Bis zur Erzielung ausreichend hoher Rein- 3.1.1 Seltenerdmetalle (Lanthanoide)
heiten ist dieses Verfahren etwa hundert Mal Wie in der Einleitung bereits erwähnt, besitzen die
hintereinander anzuwenden. Atome der vierzehn Lanthanoide die Elektronen-
Nach erfolgreicher Auftrennung in die einzel- konfiguration [Xe] 6s2 5d1 4f1–14. Einige ihrer
nen reinen Metallsalzfraktionen überführt man physikalischen Eigenschaften ändern sich konti-
letztere meist in die jeweiligen Chloride LnCl3, nuierlich von einem zum darauf folgenden Ele-
aus denen die reinen Metalle durch Schmelzfluss- ment. Charakteristisch ist die Abnahme der Ionen-
elektrolyse gewonnen werden. radien mit wachsender Kernladungszahl und
Atommasse („Lanthanoidenkontraktion“). Diese
2.3.2 Metalle der dritten Nebengruppe wirkt sich sogar noch auf einige Elemente der
Metallisches Scandium erzeugt man aus seinem dritten Reihe der Übergangsmetalle aus, deren
natürlich vorkommenden Silicat Thortveitit, das Ordnungszahlen auf die der Lanthanoide folgen.
in mehreren Schritten zu Scandiumoxid umge- Die außergewöhnliche Ähnlichkeit von Zirko-
wandelt wird. Dieses setzt man dann mit Fluor- nium und Hafnium, von Niob und Tantal und auch
wasserstoff zu Scandiumfluorid um und reduziert noch von Molybdän und Wolfram ist großenteils
jenes mit Calcium. hierauf zurückzuführen.
Wöhler stellte unreines Yttrium bereits 1824 Andere physikalische Eigenschaften wie
durch Reaktion von Yttriumchlorid mit Kalium Dichte, Schmelzpunkte, magnetische Momente
her. Heute erzeugt man reines Yttrium durch oder Farbe der dreiwertigen Ionen unterliegen
Reduktion seines Fluorids mit Calcium. dagegen periodischen Änderungen. Alle Daten
Zur Produktion von Lanthan müssen zunächst sind in den Tabellen im zweiten Teil dieses
Lösungen hergestellt werden, die Lanthan-III- Buches enthalten.
864 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Cer, Europium und Ytterbium weisen die nied- die Reaktion Ln3+ + 3 e ! Ln von 2,833 V
rigsten Schmelzpunkte auf, ebenso neben Praseo- (Ce) bis 2,25 V (Lu) leicht oxidiert werden und
dym die niedrigsten Dichten. Dysprosium und starke Reduktionsmittel darstellen. Sie reagieren
Holmium weisen die höchste Magnetisierung mit Wasser und verdünnten Säuren unter Ent-
auf und werden, vor allem Holmium, in Legierun- wicklung von Wasserstoff und mit Nichtmetallen
gen für Hochleistungsmagnete eingesetzt. Alle (z. B. Sauerstoff, Chlor, Stickstoff) bei erhöhter
Lanthanoide sind silbrig oder silbrig-weiß er- Temperatur meist heftig zu Oxiden (Ln2O3),
scheinende Schwermetalle mit Dichten von Chloriden (LnCl3) und Nitriden (LnN).
6,77 g/cm3 (Cer) bis 9,84 g/cm3 (Lutetium) (zum Aus diesen Gründen kommen die Lanthanoid-
Vergleich: Eisen mit 7,88 g/cm3). metalle nur chemisch gebunden und oft miteinan-
Die magnetischen und spektralen Eigenschaf- der vergesellschaftet in der Natur vor. Sie sind
ten einzelner Lanthanoidkationen bestimmt die relativ gleichmäßig in der Erdkruste verteilt; es
jeweilige Besetzung der 4f-Orbitale. Diese wer- gibt nicht viele Lagerstätten, in denen diese Ele-
den stark durch die weiter außen liegenden, mente hoch angereichert auftreten.
besetzten 5s2- und 5p6-Schalen abgeschirmt und Die schwer wasserlöslichen Fluoride (LnF3)
so nur schwach durch die Umgebung beeinflusst. erhält man am besten mittels Fällung aus schwach
Daher sind die für die Absorptions- bzw. Emissi- sauren Lösungen. Die Oxalate [Ln2(C2O4)3 n H2O]
onsspektren der Ln3+-Ionen maßgeblichen Ener- sind, ebenso wie die der Erdalkalimetalle, schwer
gieniveaus der 4f-Orbitale genau definiert, was in löslich in wässrigen Medien und können aus ver-
scharfen, nahezu monochromatischen Spektralli- dünnter salpetersauren Lösung gefällt werden,
nien zum Ausdruck kommt. Diese f-f-Übergänge übrigens eines der zur qualitativen und quantitati-
unterscheiden somit sehr deutlich von den über ven Analyse auf Lanthanoidkationen verwendetes
einen breiten Wellenlängenbereich verteilten d-d- Verfahren.
Übergängen, die oft einem starken Einfluss des
Ligandenfelds unterliegen. 3.2.2 Metalle der dritten Nebengruppe
Scandium, Yttrium, Lanthan und Actinium bilden
3.1.2 Metalle der dritten Nebengruppe fast nur Verbindungen, in denen sie in der Oxida-
Scandium und Yttrium zeigen Schmelzpunkte tionsstufe +3 vorliegen. Auch sie zeigen stark
um 1500 C, wogegen Lanthan und Actinium negative Normalpotenziale und werden, vom
bei etwa 1000 C schmelzen. Scandium ist noch Scandium zum Actinium hin zunehmend, von
ein Leichtmetall, Yttrium steht auf der Stufe Wasser auch bei Raumtemperatur schon angegrif-
zum Schwermetall, und Lanthan sowie Actinium fen; in Säuren lösen sie sich leicht.
haben bereits beachtlich hohe Dichten und sind
Schwermetalle. Alle Metalle dieser Gruppe haben
ein silbrig-weißes Aussehen. 4 Analytik
wird das nach Bestrahlung mit Röntgenstrahlen beitung dieser Rohstoffe benötigten Schlüsselin-
emittierte Licht, dessen Wellenlängenverteilung dustrien im eigenen Land entwickeln zu können
für jedes Seltenerdmetallion charakteristisch ist. (Bradsher 2009). Die ursprüngliche Vermutung,
Einige andere Metallionen (z. B. Chrom-III) diese Politik bezwecke, Produktion aus dem Wes-
stören aber diese Bestimmung, so dass deren ten nach China zu verlagern, wird vermehrt in
vorherige Abtrennung erforderlich ist (Nopper Frage gestellt, da in China tätige westliche Unter-
2003). nehmen über eine zunehmende Benachteiligung
Die ICP-Atomemissionsspektrometrie ist die gegenüber einheimischen Herstellern klagen (Neue
heute gängigste Nachweismethode. Die in der Zürcher Zeitung 2010).
Probe enthaltenen Substanzen werden in ein ex- Diese Dominanz Chinas wird jedoch durch
trem heißes Plasma eingespritzt, worauf sie sofort das verstärkte Aufkommen anderer Förderländer
ionisiert und zudem angeregt werden. Beim Über- innerhalb der nächsten zehn Jahren weitgehend
gang der Ionen zurück in ihren Grundzustand schwinden, wodurch auch die Preise eine Korrek-
geben sie jeweils Licht einer für jedes Element tur erfahren dürften (Pothen 2014). Man schätzt,
typischen Wellenlänge ab (Nopper 2003). dass die außerhalb Chinas geförderte Menge an
Seltenerdmetallen bis zum Jahr 2020 auf bis zu
140.000 t/a steigen könnte, was zu jenem Zeit-
5 Weltmarkt punkt etwa der Hälfte der vorhergesagten welt-
weiten Fördermenge entspräche.
Die weltweite Marktsituation für Seltenerdmetal- In der jüngeren Vergangenheit wurde die För-
le ist für Ceriterden („leichte“ Lanthanoiden, derung Seltener Erden in den vormals wichtigen
z. B. Cer, Lanthan, Praseodym, Neodym) und Förderländern zwischenzeitlich unrentabel. Von
Yttererden („schwere“ Lanthanoiden, beispiels- 2011 bis heute brachte das US-amerikanische
weise Dysprosium, Terbium, Europium) unter- Unternehmen Molycorp Minerals vor dem Hin-
schiedlich. Eine umfassende Übersicht zur Situa- tergrund der chinesischen Ausfuhrbeschränkun-
tion bis 2009 liefern Elsner und Liedtke (2009). gen die Förder- und Produktionsanlagen in ihrer
Ebenfalls sehr ausführlich, jedoch nur die Situa- Mine in Mountain Pass auf den neuesten Stand.
tion bis Anfang der 2000er-Jahre betrachtend, ist Diese Mine war vor Eintritt Chinas in den Welt-
die Arbeit von Haxel et al. (2005), deren Themen- markt einmal die größte der Welt (Molycorp
schwerpunkte die damalige weltweite Situation Minerals, Inc. 2014); mit der Aufnahme der regu-
der Förderländer und die Häufigkeit des Vorkom- lären Produktion wurde bereits wieder begonnen
mens aller Elemente, im Besonderen die der (Thinking-kompakt 2013).
Seltenerdmetalle sind. Lohmann und Podbregar Die Vereinigten Staaten von Amerika verklag-
beschreiben die aktuelle Knappheit einiger Sel- ten China im März 2012 schließlich vor der
tenerdmetalle und den beginnenden Verteilungs- Welthandelsorganisation (WTO) (Frankfurter All-
kampf der Industrie um diese essenziellen Roh- gemeine Zeitung 2012). Als Antwort auf die
stoffe (2012). Proteste etablierte die Volksrepublik China wenig
Das Angebot für Ceriterden ist inzwischen später einen Wirtschaftsverband für Seltene Er-
ausreichend und durch mehrere Anbieterländer den, der deren Abbau und Verarbeitung koordi-
gesichert, bei den „schwereren“ Elementen hat nieren und die Verkaufspreise festsetzen sollte
China aber immer noch eine übermächtige Stel- (Spiegel Online 2012).
lung (Elsner 2014). Japanische Firmen, die einen großen Bedarf an
Bislang beherrschte China den Markt eindeu- Seltenerdmetallen und ihren Verbindungen haben,
tig; noch 2013 erzielte das Land 92 % der ge- treffen Vorsorgemaßnahmen gegenüber drohen-
samten weltweiten Fördermenge (Lohmann und den Engpässen. Manche Großunternehmen wie
Podbregar 2012) und reduzierte deren Export- z. B. Toyota bilden hierfür eigens Arbeitsgruppen;
quote binnen kurzem mehrfach nacheinander, für diese Maßnahmen werden vom Ministerium für
einige Metalle auch fast völlig, um die zur Verar- Handel und Wirtschaft unterstützt.
866 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Jüngst entdeckte, große Vorkommen von Sel- Elements voraus, auch wenn er damals Haupt-
teneren in Grönland und Kanada dürften weiter und Nebengruppen-elemente noch nicht deutlich
dazu beitragen, die weltweite Versorgungslage zu unterschied (die „korrekten“ Homologen sind,
entspannen. Die Vorräte im bereits vorher genann- wie wir heute wissen, Gallium, Indium und Thal-
ten grönländischen Kvanefeld-Projekt könnten lium). Zehn Jahre später isolierte Nilsson aus
bei 100.000 t liegen, womit alleine diese Region mehreren kg einer Mischung von Gadolinit und
für eine Produktionsmenge stünde, die der chine- Euxenit ein noch verunreinigtes Metalloxid, das
sischen Jahresproduktion nahekäme. sich in seinen Eigenschaften von denen der bis zu
Nach einer 2011 durchgeführten Studie von diesem Zeitpunkt bekannten Oxide unterschied
Roland Berger Strategy Consultants (2011) sowie (Nilsson 1879 und 1880). Daher nahm er an, ein
Cmiel (2012) werden Engpässe weiterhin eher bei neues Element entdeckt zu haben, und nannte es
den schweren Seltenerdmetallen gesehen. Die zu Ehren seiner Heimat „Scandium“.
Preise für jene werden deshalb demnächst anstei-
gen und auch über längere Zeit relativ hoch blei-
ben, wogegen die Preise für die leichteren Cerit- Lars Frederik Nilsson (*27. Mai 1840
erden in naher Zukunft eher sinken werden. Skönberga, † 14. Mai 1899 Stockholm)
Bencek et al. (2011) kommen zu dem Schluss, war ein schwedischer Chemiker, ab 1878
dass die aktuelle Nervosität um eventuelle Ver- Professor für Analytische Chemie in Upp-
sorgungsengpässe bei Seltenerdmetallen vorüber- sala, ab 1883 Leiter der Königlichen Akade-
gehend ist. Der Vorschlag der Industrie zur Errich- mie für Landwirtschaft in Stockholm.
tung von Vorratslagern sollte jedoch von der Zusammen mit Petterson forschte er in ver-
Wirtschaftspolitik unterstützt, und eine langfris- schiedenen Gebieten der Chemie. Das 1879
von ihm entdeckte Scandium füllte die
tige Rohstoffstrategie verfolgt werden.
damals noch vorhandene, als „Ekabor“
bezeichnete Lücke im Periodensystem. Au-
ßerdem stellte er als Erster reines Thorium-
6 Einzelne Metalle der dritten oxid dar und entwickelte für die damalige
Nebengruppe (Scandium, Zeit neuartige Düngemittel.
Yttrium, Lanthan, Actinium)
sowie der Gruppe der
Seltenerdmetalle (Cer bis Reines Scandium konnte man übrigens erst
Lutetium) 1937 durch Schmelzflusselektrolyse einer aus
Kalium-, Lithium- und Scandiumchlorid bestehen-
In den nachfolgenden Einzelbeschreibungen fin- den Mischung bei Temperaturen um 750 C dar-
den Sie das Portrait eines jeden Metalls auf jeweils stellen.
einer Doppelseite. Die dort beschriebenen An-
wendungen gehen weit über den Einsatz des Gewinnung Als Ausgangsstoff zur Herstellung
Mischmetalls für Feuersteine und Seltenerdoxide von Scandium dient hauptsächlich Thortveitit,
als hydrophobe Zusätze für Keramikerzeugnisse das einzige Mineral, das das Element in nennens-
(z. B. Azimi et al. 2013a) hinaus. werter Menge enthält. Scandiummetall wird an-
Zunächst sind die Portraits der Elemente der schließend durch Umsetzung zu Scandiumfluo-
dritten Nebengruppe dargestellt, danach folgen rid und dessen darauf folgender Reduktion mit
die Lanthanoide (Seltenerdmetalle). Calcium erzeugt. Weltweit wird Scandium
zur Zeit in fünf Minen abgebaut: Bayan-Obo
(Volksrepublik China), Schowti Wody (Жо́вті
6.1 Scandium Во́ди, Ukraine), von der Scandium International
Mining Corp. in Kiviniemi (Finnland) und Nyn-
Geschichte Mendelejew sagte schon 1869 die gan (Australien) sowie auf der Halbinsel Kola
Existenz eines zu Bor und Aluminium homologen (Russland).
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 867
Eigenschaften Scandium zählt zu den Leichtme- Lösungen verhalten sich Sc3+-Ionen ähnlich wie
tallen (s. Tab. 1). An Luft wird es langsam matt, Al3+-Ionen.
es bildet sich eine schützende gelblich-weiße
Oxidschicht. Scandium reagiert mit verdünnten Verbindungen
Säuren unter Bildung von Wasserstoff und Sc3+- Chalkogenverbindungen Scandiumoxid (Sc2O3)
Ionen. In Wasserdampf reagiert es ab 600 C entsteht durch Verbrennen des Metalls in Luft
schnell zu Scandiumoxid (Sc2O3). In wässrigen oder auch durch Glühen wärmeempfindlicher
6.2 Yttrium
im Auftrag des Bürgermeisters von Berlin
Geschichte Der finnische Chemiker Gadolin ein Lehrbuch der Chemie für Schüler, pa-
entdeckte im Jahre 1794 das erste chemische Ele- rallel hierzu übersetzte er die Lehrbuchreihe
ment aus der Gruppe der Seltenerdmetalle, das des schwedischen Chemikers Jöns Jakob
Yttrium im Mineral Gadolinit (früher: Ytterbit). Berzelius ins Deutsche. Wöhler erhielt 1836
den Ruf auf den Lehrstuhl für Chemie und
Pharmazie der Georg-August-Universität
Der Finne Johan Gadolin (* 5. Juni 1760 Göttingen.
Åbo/Turku, † 15. August 1852 Virmo/My-
nämäki) lehrte Chemie an der Universität
Turku und wird nach der Analyse des Ga- Gewinnung Aufkonzentriertes und gereinigtes
dolinits zitiert: „Aus diesen Eigenschaften Yttriumoxid wird durch Reaktion mit Fluorwas-
findet man, dass diese Erde in vielem mit serstoff in Yttriumfluorid überführt, das dann mit
der Alaunerde übereinkommt; in anderen Calcium im Induktionsofen zu Yttriummetall
aber mit der Kalkerde, dass sie sich aber umgesetzt wird:
auch von beyden, so wie auch von übrigen
2 YF3 þ 3 Ca ! 2 Y þ 3 CaF2
bisher gekannten Erdarten unterscheidet.
Daher scheint sie einen Platz unter den ein-
fachen Erdarten zu verdienen, weil die bis- Dieses Yttriumoxid gewinnt man nach Auf-
her gemachten Versuche keine Zu- schluss der in verschiedenen Teilen der Welt
sammensetzung von anderen vermuthen geförderten Erze. Den Ursprung bildet die mitt-
lassen. Jetzt wage ich noch nicht eine solche lerweile stillgelegte Grube in Ytterby (s. Abb. 6),
neue Erfindung zu behaupten, weil mein die die American Society of Minerals als histori-
kleiner Vorrath von der schwarzen Steinart sches Denkmal gekennzeichnet hat.
mir nicht erlaubte, die Versuche nach mei- Nach Abtrennung der anderen Seltenerden fällt
nen Wunsche zu verfolgen. Ohnedem halte man Yttrium aus wässriger Lösung durch Zugabe
ich auch dafür, dass die Wissenschaft viel- von Natronlauge als Yttriumhydroxid aus und
mehr gewinnen sollte, wenn die mehreren, überführt jenes durch Erhitzen in Yttriumoxid.
neuerlich von den Scheidekünstlern be-
schriebenen, neuen Erdarten in einfachere Eigenschaften Yttrium ist an der Luft relativ
Bestandtheile zerlegt werden könnten, als beständig, läuft dabei aber oberflächlich an. Bei
wenn die Zahl der neuen einfachen Erdarten Temperaturen oberhalb von 400 C können sich
noch vergrößert wird“ (Crell 1788). frische Schnittstellen an der Luft spontan entzün-
den. Von Wasser wird es langsam angegriffen, in
1824 erhielt Wöhler – noch verunreinigtes –
Yttrium durch Umsetzung von Kalium mit Ytt-
riumchlorid, aber erst 18 Jahre später konnte Mo-
sander die das Yttrium noch begleitenden Ele-
mente Erbium und Terbium von diesem trennen
und danach Yttrium in reiner Form darstellen.
Säuren löst es sich als unedles Metall schnell auf. 2230 C) der Dichte 4 g/cm3. Die Verbindung ist
Yttrium tritt in seinen Verbindungen praktisch auf diversen Wegen zugänglich, wie der Fluorie-
ausschließlich in der Oxidationsstufe +3 auf, nur rung von Yttriumoxid oder der Auflösung von
in einigen Clusterverbindungen mit Oxidations- Yttriumoxid in Flusssäure. Yttriumfluorid ist trans-
stufen <3. Yttrium zählt noch zur Gruppe der parent in einem Bereich von 200 bis 14.000 nm
Leichtmetalle (s. Tab. 2). und kristallisiert orthorhombisch (Cheethan und
Norman 1974).
Verbindungen Yttriumfluorid dient als meist als Ausgangs-
Chalkogenverbindungen Reines Yttriumoxid (Y2O3) stoff zur Herstellung von Yttrium oder dessen
(s. Abb. 7) stellt man durch Verglühen des Carbo- Verbindungen, man produziert aber auch Spezial-
nats oder Oxalats her. Das weiße Pulver der Dichte gläser und keramische Materialien aus ihm.
5 g/cm3 schmilzt bei einer Temperatur von 2410 C Das ebenfalls farblose Yttriumchlorid (YCl3)
(Siedepunkt der Schmelze: 4300 C) und besitzt entsteht als Hydrat (s. Abb. 10) durch Auflösen
kubische Kristallstruktur (Marezio 1966). von Yttriumoxid in Salzsäure, das wasserfreie Salz
Bezüglich seiner Basizität steht es zwischen wird durch Umsetzung von Chlor mit Yttriumoxid
dem schwach basischen, nahezu amphoteren oder auch metallischem Yttrium gebildet. Das
Scandiumoxid und dem stark basischen Lanthan- monoklin kristallisierende Salz, indem jeweils ein
oxid. Ein gegen hohe Temperaturen beständiger Yttriumion verzerrt oktaedrisch von sechs Chlor-
keramischer Werkstoff aus 90 % Yttriumoxid idionen umgeben ist (Templeton und Carter 1954),
und 10 % Thoriumoxid (Yttrilox) zeigt einen schmilzt bzw. siedet bei 721 C bzw. 1507 C und
sehr weiten Bereich der Durchlässigkeit für hat ähnliche Anwendungen wie das Fluorid. Au-
Licht, der vom mittleren UV- bis zum mittleren ßerdem wirkt es als schwache Lewissäure kataly-
IR-Licht reicht. Da Einkristalle aus Yttriumoxid sierend bei einigen organischen Synthesen.
einen hohen Brechungsindex zeigen (ca. 1,9), Das ebenso farblose Yttriumbromid (YBr3) ist
hat es Anwendungen in der Lichttechnik (Spe- durch Reaktion der Elemente miteinander dar-
zialgläser und -linsen), außerdem in hochtempe- stellbar (Housecroft und Sharpe 2005). Die hygro-
raturfesten Keramiken für Lambdasonden oder skopische, erst bei einer Temperatur von 904 C
Beschichtungen für Grafitstäbe in Kernreaktoren. schmelzende Verbindung kristallisiert in der Struk-
Das durch Tempern der jeweiligen Metall- tur des Bismut-III-iodids (D’Ans und Lax 1997).
oxide erhältliche Yttrium-Barium-Cuprat (YBa2- Yttriumiodid (YI3), ein hellgraugelber, bei
Cu3O7–x) war Anfang der 1990er-Jahre die erste 997 C schmelzender Feststoff der Dichte
Verbindung, für die eine Sprungtemperatur von 4,62 g/cm3 ist gleichfalls leicht löslich in Wasser
181 C (92 K) ermittelt wurde, die oberhalb und kristallisiert trigonal (Jongen und Meyer
des Siedepunktes flüssigen Stickstoffs liegt (Dju- 2005). Man kann es durch Umsetzung von Iod
rovich und Watts 1993; Schwaigerer et al. 2002). mit Yttrium in wasserfreier Form herstellen,
Allerdings ist nur die orthorhombische Modifika- wogegen das Tetrahydrat durch einfaches Auf-
tion supraleitend, und dann muss auch die Bedin- lösen von Yttriumoxid in Iodwasserstoffsäure
gung x<0,6 erfüllt sein. erhältlich ist (Herzfeld und Korn 1901/2012).
Yttriumsulfid (Y2S3) (s. Abb. 8) ist ein gelbes, Daneben existiert auch noch ein Tri- und ein
feuchtigkeitsempfindliches Pulver mit einem Hexahydrat (Emeléus und Sharpe 1981).
Schmelzpunkt von 1925 C. Es kristallisiert Pnictogenverbindungen Yttriumnitrid (YN) ist
kubisch und zeigt eine Bandlücke von 2,58 eV. durch Einwirkung von Stickstoff unter hohem
man setzt es als III–VI-Halbleitern meist zur Druck auf feinverteiltes Yttrium synthetisierbar.
Dotierung ein (Hori et al. 2004). Günstiger ist es aber, zunächst Yttrium in sein
Halogenverbindungen Yttriumfluorid (YF3) Hydrid zu überführen und jenes dann bei „nur“
(s. Abb. 9) ist ein bei hoher Temperatur (1150 C) 800 C mit Stickstoff in Druckbehältern zum Ni-
schmelzender, weißer Feststoff (Siedepunkt: trid umzusetzen (Brauer 1975b, S. 1105). Der
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 873
blauviolette, als Pulver schwarz erscheinende Yttriumhydroxid und Ammoniak führt- sowie
Feststoff schmilzt erst bei sehr hoher Temperatur auch bei hohen Temperaturen Luftsauerstoff. Die
(>2670 C), weist eine Dichte von 5,6 g/cm3 auf Verbindung kristallisiert in der kubischen Koch-
und ist empfindlich gegenüber Hydrolyse – die zu salzstruktur (McGuire et al. 1957) und eignet sich
874 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 7 Yttrium-III-oxid 99,9 % (Onyxmet 2018) Abb. 10: Yttriumchlorid-Hexahydrat (Onyxmet 2018)
schwindigkeiten (Spencer et al. 1963) setzt man längen >1100 nm als optischer Isolator, lässt also
den Granat oft als Wirtskristall in Festkörperla- Licht bestimmter Orientierung der Polarisations-
sern ein. Je nach gewünschter Wellenlänge des ebene nur in eine Richtung durch, aber in der
emittierten Lichtes dotiert man ihn mit geringen Gegenrichtung Licht beliebiger Polarisation ablenkt
Mengen anderer Seltenerdmetalle, wie Neodym und/oder absorbiert. YIG hat somit die Funktion
(hellvioletter Nd:YAG-Laser, s. Abb. 11) oder eines optischen „Ventils“ in der Hin- bzw. der eines
Erbium (blassrosaroter Er:YAG-Laser). Der „Isolators“ in der rückläufigen Richtung, man nennt
gelbe, mit Ce3+-Ionen dotierte Laser wird unter dieses Prinzip auch „optische Diode“.
anderem als Szintillator in Rasterelektronenmi- Man verwendet YIG in Hochfrequenzanwen-
kroskopen eingesetzt. dungen (Oszillatoren, Filter) sowie in der Mikro-
Undotierten YAG nutzte man wegen seiner wellen und magnetooptischen Technik (Helszajn
großen Härte sowie starker Brechung und Dis- 1985).
persion des Lichtes aber auch als künstlich Yttriumcarbid (YC2) ist ein harter, hoch-
erzeugter Schmuckstein, sogar als Ersatz für Dia- schmelzender, metallisch aussehender Feststoff
mant (Schumann 2002). der Dichte 4,13 g/cm3, den man in Keramiken
Der ebenfalls künstlich hergestellte Yttrium- einsetzt. Die Verbindung kann erhebliche Mengen
Eisengranat (YIG, Y3Fe5O12) (s. Abb. 12) ist an Wasserstoff bzw. Deuterium aufnehmen
unterhalb seiner Curie-Temperatur von 277 C (Maehlen et al. 2003), deren Atome unter Um-
(550 K) ferrimagnetisch. Als Dielektrikum zeigt wandlung der Struktur des Stammgitters in dieses
er bei Anlegen eines Magnetfeldes den Faraday- eingebaut werden. Seraphin et al. untersuchten die
Effekt, d. h. eine proportional zur Flussdichte des Wirkungen der Einlagerung von Yttriumcarbid in
Magnetfeldes und zur Länge des YIG-Einkristalls keramische Nanoröhrchen (1993).
eintretende Drehung der linearen Polarisations- Die diversen Yttriumboride (YB2, YB4, YB6,
ebene des Lichtes. Dabei wirkt YIG bei Wellen- YB12, YB25, YB50 und YB66) sind alle hochschmel-
zende, graue bis schwarze, harte kristalline
Feststoffe (Rogl und Klesnar 1990). So ist
Yttriumdiborid (YB2) ist ein wichtiger Supraleiter,
dessen hexagonales Gitter isotyp zu dem
des Magnesium- oder Aluminiumdiborids ist
(s. Abb. 13). Die Verbindung hat eine berechnete
Dichte von 5,05 g/cm3 und einen Schmelzpunkt
von ca. 2100 C (Warkentin et al. 2013). Yttrium-
diborid beginnt schon bei mäßigem Erhitzen an
der Luft zu oxidieren; bei etwa 800 C ist es voll-
ständig verbrannt (Wu 2001).
Abb. 11 Yttrium-Aluminium-Granat, mit Neodym do- Das tetragonal kristallisierende Yttriumtetra-
tiert (Unbekannt)
borid (YB4) (s. Abb. 14) hat eine ebenfalls berech-
nete Dichte von 4,32 g/cm3 (Crow et al. 1987).
Gewinnung Das wichtigste Mineral zur Gewin- langsam, mit warmem schnell unter Bildung
nung von Lanthan ist der in Brasilien, China und von Wasserstoff und Lanthanhydroxid. Mit Halo-
einigen afrikanischen Ländern häufig vorkom- genen reagiert es schon bei Raumtemperatur
mende Monazitsand (s. Abb. 16), der ca. 10- heftig; fast ebenso leicht bildet Lanthan Chal-
Gew.-% chemisch gebundenes Lanthan enthält. kogenverbindungen.
Nach dessen Aufschluss mit konzentrierter Schwe-
felsäure fällt man die so erhaltenen Sulfate der Verbindungen
Seltenerdmetalle in der Kälte als Oxalate aus Chalkogenverbindungen Lanthanoxid (La2O3) ist
und wandelt diese dann durch Glühen in die ein hochschmelzendes (2315 C; Siedepunkt der
jeweiligen Oxide um. Die Abtrennung des Lan- Schmelze: 4200 C), weißes, hygroskopisches
than-III-oxids erfolgt durch Ionenaustausch und Pulver der Dichte 6,51 g/cm3 (s. Abb. 17). Es ist
Komplexbildung. Gereinigtes Lanthan-III-oxid stark basisch und reagiert mit Wasser exotherm
überführt man mit Fluorwasserstoff in Lanthanf- unter Bildung von Lanthanhydroxid, auch wenn
luorid. Bei hoher Temperatur setzt man jenes dann es nur schwer in Wasser löslich ist. Seine Bandlü-
mit Calciummetall zu elementarem Lanthan und cke beträgt 4,3 e.V.
Calciumfluorid um, analog zu dem beim Yttrium Lanthanoxid wird meist verwendet, um aus
beschriebenen Prozess: ihm Lanthanmetall herzustellen. Hierzu überführt
man es entweder durch Lösen in Flusssäure in
LaF3 þ 2 Ca ! 2 La þ 3 CaF2
Lanthanfluorid (LaF3) oder durch Chlorieren bei
höherer Temperatur in Lanthanchlorid (LaCl3).
Die Abtrennung verbleibender Calciumreste
Beide Halogenide kann man mit reaktiven Erdal-
und Verunreinigungen erfolgt in einer zusätzli-
kalimetallen (Magnesium oder Calcium) dann zu
chen Umschmelzung im Vakuum.
Lanthan und Magnesium- bzw. Calciumchlorid
umsetzen.
Eigenschaften Das silberweiß glänzende Metall
Sehr reines, einkristallines Lanthanoxid ist
ist leicht verformbar (s. Tab. 3). Es existieren in
stark lichtbrechend, schwer und hart und ist daher
Abhängigkeit von der Temperatur drei Modifika-
oft ein Bestandteil optischer Linsen in hochwerti-
tionen. Lanthan ist reaktionsfähig, sehr unedel
gen Kameras. Es ist in piezo- und thermoelektri-
und überzieht sich an der Luft schnell mit einer
schen Materialien enthalten, ebenso wie in Kata-
weißen Oxidschicht, die in feuchter Luft zum
lysatoren für Verbrennungsmotoren (Cao et al.
Hydroxid weiterreagiert.
2005). Man setzt es in Leuchtmitteln (Phospho-
Lanthan reagiert bereits bei Raumtemperatur
ren) ein und sowohl in dielektrischen als auch
mit Luftsauerstoff zu Lanthanoxid (La2O3), mit
leitfähigen Keramiken. Bei Temperaturen um
vorhandenem Wasser dann weiter zu Lanthanhy-
350 C lassen sich polykristalline Filme der zu-
droxid [La(OH)3]. Bei Temperaturen oberhalb
vor gesputterten Verbindung durch thermische
von 440 C verbrennt Lanthan an der Luft zu
Abscheidung aus der Dampfphase erzeugen (Kale
Lanthanoxid. Mit kaltem Wasser reagiert es
et al. 2005). In den bisher für das Bogenschwei-
ßen unter Vakuum eingesetzen, mit Thoriumoxid
beschichteten Wolframelektroden wird das Tho-
rium- aus Sicherheitsgründen durch Lanthanoxid
ersetzt. Man prüft weiterhin seine Funktion als
Katalysator bei direkten chemischen Umsetzun-
gen von Alkanen, die gewöhnlich sehr reaktions-
träge sind (Manoilova et al. 2004).
Lanthansulfid (La2S3) ist ein gelbes, feuchtigkeits-
Abb. 16 Monazit, Fundort: Madagaskar, ausgestellt im empfindliches Pulver (s. Abb. 18) vom Schmelz-
Mineralogischen Museum in Bonn/Deutschland (Ra’ike punkt 2100 C und der Dichte 4,9 g/cm3. Im Tem-
2009) peraturbereich von 300 K bis 1400 K verhält
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 879
sich das Material wie ein intrinsischer Halbleiter, einem Produkt der chemischen Zusammenset-
dessen Leitfähigkeit dann durch das Verhältnis zung LaS1,48 (Wood et al. 1985).
von Lanthan- zu Sulfidionen bestimmt wird. Der Die kubisch kristallisierende γ-Modifikation des
höchste Wirkungsgrad liegt bei 5104 K1 bei Lanthansulfids ist eine der wenigen Verbindungen,
880 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 19 a Lanthanfluorid,
Sputtertargets (QS
Advanced Materials 2017)
und wasserfreies Salz (b,
Onyxmet 2018)
scher Doppelschichten im Kristallgitter gespei- selbst bei einer mehrfach überhöhten Dosierung
chert (Zhang et al. 2017). (Schmidt et al. 2008).
Über die anderen Pnictogenide [Lanthan- Lanthancarbonat verwendet man auch zur
phosphid (LaP), Lanthanarsenid (LaAs)] sind Produktion des in Brennstoffzellen eingesetzten
nur wenige physikalische Daten verfügbar. Bei- Lanthan-Strontium-Manganits (LSM) der Formel
des sind Feststoffe, die in Halbleitern und licht- La1xSrxMnO3. Dieses oxidische Keramikma-
technischen Anwendungen eingesetzt werden. terial besitzt einen Dotierungsgrad x, der bis 0,2
Sonstige Verbindungen Lanthannitrat [La(NO3)3] betragen kann. In seinem vorliegenden Perovskit-
erzeugt man durch Auflösen von Lanthan bzw. Gitter der generellen Formel ABO3 steht „A“ für
seinen Verbindungen in Salpetersäure (Singh Lanthan- und Strontiumionen, „B“ dagegen für
2007a). Das Hexahydrat schmilzt bereits bei die Manganionen. LSM zeigt vom Grad der
40 C im eigenen Kristallwasser, ist leicht löslich Dotierung abhängige Leiter-Nichtleiter-Übergän-
in Wasser und kristallisiert triklin. Durch vorsichti- ge, Para- und Ferro-Magnetismus (Urushibara
ges Erwärmen ist es dennoch möglich, das Hexa- et al. 1995) sowie auch Griffith-Phasen (Deisen-
zum Tetrahydrat zu entwässern; jenes besitzt ent- hofer et al. 2005; Dagotto 2003; Park et al. 1998).
weder orthorhombische oder monokline Struktur LSM ist ein schwarzer Festkörper der ungefähren
(Gobichon et al. 1996). Qualitativ lassen sich Ace- Dichte 6,5 g/cm3 und ein guter elektrischer Lei-
tylverbindungen bzw. Acetat hiermit nachweisen, ter. In Feststoff-Brennstoffzellen dient LSM als
denn basisches Lanthanacetat bildet mit Iod ein Kathode, denn es leitet mit steigender Temperatur
tiefblaues Clathrat. Der qualitative Nachweis des wie ein Halbmetall den Strom immer besser
Fluorids ist der Bildung des sehr schwer wasserlös- (Armstrong und Virkar 2002; Zudem zeigt LSM
lichen Lanthanfluorids geschuldet, das über die den CMR-Effekt (kolossalen magnetoresistiven
Messung der Trübung einer Lösung erfasst wird Effekt), der besagt, dass sich der elektrische
(Harzdorf 1967). Widerstand bei Anwesenheit von Magnetfeldern
Lanthancarbonat [La2(CO3)3] stellt man in drastisch ändert. Ursache ist eine Verschiebung
reinem Zustand, also ohne Hydrate und beige- der Bandstrukturen, die bis zur Bildung eines
mischte basische Carbonate, durch Einleiten von elektrischen Isolators führen können (Von Hel-
Kohlendioxid unter Druck in eine mit Anilin und molt et al. 1993; Ramirez 1997).
Aniliniumchlorid gepufferte Lösung her (Brauer Lanthancarbid (LaC2) wird ähnlich wie andere
1975b, S. 1116). Vereinzelt setzt man Lanthanc- Seltenerdcarbide durch Reaktion des jeweiligen
arbonat, wie andere Seltenerdverbindungen, als Metalls (hier: Lanthan) mit entgastem hochreinen
Katalysator beim Cracken von Kohlenwasser- Graphit bei ca. 2000 C im Lichtbogenofen unter
stoffen ein. Edelgasatmosphäre (Helium, Argon) und unter
Eine der wichtigsten Anwendungen liegt aber Beimengung eines Gettermetalls zur Entfernung
in der Medizin, wo man es Binder für Phosphat von Spuren an Sauerstoff erzeugt (Brauer 1975b,
einsetzt. Fosrenol ® dient bei Patienten mit Nieren- S. 1115). Der gelbe, elektrisch leitende Feststoff
insuffizienz zur Behandlung erhöhter Phosphat- schmilzt erst oberhalb von 2360 C, hat die Dichte
werte, zeigt nicht die Nachteile vergleichbarer 5,3 g/cm3 und kristallisiert tetragonal analog zu
aluminiumhaltiger Präparate (Fukagawa und Har- Calciumcarbid (Martienssen und Warlimont 2006).
man 2005), aber dafür eventuell Nebenwirkun- Die Verbindung erleidet heftige Hydrolyse bei
gen, deren Langzeiteffekt beim Menschen unter- Kontakt mit Wasser, wobei sich die brennbaren
sucht wurden und noch werden (Feng et al. 2006). Gase Wasserstoff und Ethin (Acetylen) bilden
Auch Tiere können mit diesem Wirkstoff behan- (Greenwood und Earnshaw 1997, S. 299):
delt werden, so Katzen mit Lantharenol ® oder
Renalzin®. In Abhängigkeit von der verabreich- 2 LaC2 þ 6 H2 O ! 2 LaðOHÞ3 þ 2 C2 H2
ten Dosis des Medikaments schied das Tier Phos- " þH2 "
phat aus (Schmidt et al. 2006, 2008; Spiecker-
Hauser et al. 2007). Darüber hinaus waren keine Lanthancarbid kann in besonderen Keramik-
schädlichen Nebenwirkungen zu beobachten, werkstoffen eingesetzt werden.
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 883
Lanthandisilicid (LaSi2) ist eines von mehre- (LaPO4:Ce, Tb) sowie Sonnenbanklampen einge-
ren Lanthansiliciden, ein hochschmelzender Fest- setzt, ferner in Batterien von Hybrid- oder Elek-
stoff der Dichte 5,0 g/cm3 [Preis für 1 g 99,9 %ige trofahrzeugen, deren Akkumulatoren bis zu 15 kg
Ware bei Alfa Aesar US$ 88 (November 2017)], Lanthan und 1 kg Neodym enthalten. Eine
der durch Wasser oder verdünnte Säuren jedoch Lanthan-Nickel-Legierung (LaNi5) dient als Was-
hydrolytisch zersetzt wird. Das System Lanthan- serstoffspeicher in Nickel-Metallhydrid-Akkumu-
Silicium wurde schon vor längerem hinsichtlich latoren, eine aus Lanthan und Kobalt als Per-
seiner thermodynamischen Eigenschaften unter- manentmagnet (LaCo5). Als Zusatz verwendet
sucht (Blinder et al. 1995). Aktuelle Versuche man es in Kohlelichtbogenlampen zur Studiobe-
zeigten, dass niedrige Schottky-Barrieren (φb) leuchtung. In Verbindung z. B. mit Kobalt, Eisen
auch auf hochdotierten Substraten nicht unbe- und Mangan dient es als Kathode für Hochtempe-
dingt niedrige Kontaktwiderstände garantieren ratur-Brennstoffzellen (SOFC). Legierungen mit
(Yu et al. 2017). Titan verwendet man in der Medizintechnik zur
Lanthanhexaborid (LaB6) erhält man durch Herstellung korrosionsresistenter und sterilisierba-
Umsetzung von Lanthanchlorid mit Natriumbor- rer Instrumente.
hydrid bei Temperaturen um 400 C. Wird dagegen Lanthanoxid dient zur Herstellung von Gläsern
Lanthanoxid anstelle des Chlorids verwendet, so mit relativ hohem Brechungsindex, der sich auch
steigt die für die Synthese benötigte Temperatur nur gering mit der Wellenlänge ändert; Einsatzge-
auf 1200 C (Lundström 1985; Tegus et al. 2014; biet sind Kameras, Teleskoplinsen und Brillenglä-
Qian et al. 2008; Bar-Cohen 2014, S. 171). Das ser. Es wird zudem zur Produktion von Kristall-
feuerfeste keramische Material (s. Abb. 21) schmilzt glas und Porzellanglasuren benutzt, da es die
bei 2210 C, hat die Dichte 4,71 g/cm3, ist geruchlos bisher hierfür verwendeten, toxischen Bleiverbin-
und besitzt violette Farbe (Etourneau et al. 1970). dungen bei gleichzeitig verbesserter chemischer
Bei Kontakt mit Wasser, Säuren oder Halogenen Beständigkeit, vor allem gegenüber Alkalien
können brennbare Silane freigesetzt werden. Es („spülmaschinenfest“) ersetzen kann. Lanthan-
kristallisiert kubisch (Korsukova et al. 1984). oxid ist ferner ein wichtiger Zusatz zu Zeolithen
Das Material ist beständig im Vakuum und wird beim Cracking-Prozess zur Verarbeitung von
in der Plasmatechnik und als Glühkathode in Elek- Erdöl in Raffinerien, in Poliermitteln für Glas, in
tronenmikroskopen eingesetzt. Durch Beimischen Glühkathoden für Elektronenröhren und in kera-
geringer Mengen an Lanthanhexaborid zu einem mischen Kondensatormassen sowie silikatfreien
Polymer erzielt man eine Absorption von Laser- Gläsern.
licht, was zum Markieren bzw. Schweißen mittels Lanthanfluorid wird als optisches Material,
Laserlicht genutzt wird (Sindlhauser 2017) Beschichtung von Lampen oder (dotiert mit Euro-
pium) als Elektrodenmaterial zum Nachweis von
Anwendungen Lanthan wird in Leuchtstoffen Fluoridionen verwendet. Lanthan-III-chlorid-Hep-
von Energiesparlampen und Leuchtstoffröhren tahydrat wird in der Medizin als Calciumkanalblo-
cker eingesetzt und kann in der Wasserwirtschaft
zur Eindämmung von Algenwachstum durch Bin-
Abb. 21 dung von Phosphaten verwendet werden.
Lanthanhexaborid-Kathode
(Ahecht 2007)
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
wide.espacenet.com)
(Fortsetzung)
884 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
selbst von Luft und Wasser schnell angegriffen. Chalkogenverbindungen Actiniumoxid (Ac2O3)
An der Luft überzieht es sich mit einer dünnen ist ein trigonal kristallisierender, weißer Feststoff
Schicht von Actiniumoxid, die es vor weiterer (Zachariasen 1949) der Dichte 9,19 g/cm3, der
Oxidation schützt. durch Verglühen gefällten Actiniumoxalats unter
Sauerstoff bei Temperaturen um 1100 C erhältlich
Verbindungen ist (Brauer 1975b, S. 1127):
Die meisten der wenigen überhaupt bekannten
Verbindungen des Actiniums sind die Halogenide Ac2 ðC2 O4 Þ3 ! Ac2 O3 þ 3 CO2 þ 3 CO
AcX3 und Oxidhalogenide AcOX, außerdem das
Oxid Ac2O3, das Sulfid Ac2S3 und das Phosphat Actiniumsulfid (Ac2S3) ist durch Überleiten
AcPO4. eines gasförmigen Gemisches von Schwefelwas-
886 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
serstoff und Schwefelkohlenstoff über Actinium- Sonstige Verbindungen Zugabe von Natrium-
III-oxalat bei 1400 C darstellbar (Brauer 1975b, dihydrogenphosphat zur salzsauren Lösung eines
S. 1127): Actiniumsalzes fällt weißes Actiniumphosphat
(AcPO4 0,5 H2O).
Ac2 ðC2 O4 Þ3 þ 3 H2 S ! Ac2 S3 þ 3 H2 O þ 3 CO2
þ 3 CO
Anwendungen Das selbst stark radioaktive Acti-
nium dient als Neutronenquelle in der Neutro-
Der schwarze Feststoff kristallisiert im kubi- nenaktivierungsanalyse, einer Methode, mit deren
schen Kristallsystem, darin in der seltenen Tho- Hilfe u. a. radioaktive Zerfallsprodukte genauer
rium-IV-phosphidstruktur (Th3P4). untersucht werden können. Darüber hinaus verwen-
Halogenverbindungen Actiniumfluorid (AcF3) det man es zur thermoionischen Energieumwand-
ist als sehr schwer in Wasser löslicher weißer lung in speziellen Generatoren. Jene emittieren
Feststoff der Dichte 7,88 g/cm3 durch Zugabe Elektronen aus einer durch das Radionuklid erhitz-
von Flusssäure zur Lösung eines Actiniumsalzes ten Glühkathode und haben Wirkungsgrade zwi-
erhältlich, oder aber man leitet Fluorwasserstoff schen 10 und 20 %. Einsatzgebiet sind meist kleine,
über auf ca. 700 C erhitztes Actinium, dies alles in der Raumfahrt verwendete Kernreaktoren. Acti-
in einer aus Platin bestehenden Apparatur (Zacha- nium findet zunehmend Einsatz in Radiotherapeu-
riasen et al. 1950; Meyer und Morss 1991, S. 71 tika (Scheinberg und McDevitt 2011).
und 87). Überleiten feuchten Ammoniaks über
auf 900 C erhitztes Actiniumfluorid ergibt das
Oxifluorid (AcOF); unter weniger drastischen Patente
Bedingungen bleibt das Fluorid im Gegensatz (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
zum Lanthanfluorid jedoch stabil. wide.espacenet.com)
Das farblose, kristalline und hydrolyseempfind-
liche Actiniumchlorid (AcCl3) entsteht in wasser- C. Griffith, Separation of actinium from pro-
freier Form durch Reaktion von Actiniumhydroxid cess liquors (Australian Nuclear Science
oder -oxalat mit Tetrachlorkohlenstoff bei Tempera- and Tech Organization, WO 2019000014
turen ab 500 C aufwärts (Brauer 1975b, S. 1125): A1, veröffentlicht 3. Januar 2019)
E. R. Birnbaum et al., Actinium-225 compo-
2 AcðOHÞ3 þ 3 CCl4 ! 2 AcCl3 þ 3 CO2 sitions of matter and methods of use (Los
þ 6 HCl Alamos Nat. Sec. LLC, US 2017202983
A1, veröffentlicht. 20 Juli 2017)
Die hexagonal kristallisierende Substanz hat Kozempel et al., A method of Ac isolation
eine Dichte von 4,81 g/cm3 und sublimiert ober- from a mixture of radium, actinium, and
halb von 900 C. Die Reaktion von Actiniumchlo- thorium (České Vysoké Učeni Technické
rid mit feuchtem Ammoniak bei 1000 C liefert das v Praze, CZ 20160151 A3, veröffentlicht
durch Hydrolyse gebildete Oxidchlorid AcOCl. 24. Mai 2017)
Die bei einer Temperatur von rund 750 C durch- J. M. Moreno Bermudez und A. Turler,
geführte Festkörperreaktion von Aluminiumbromid Method of purification of 225-Ac from
und Actiniumoxid ergibt Actiniumbromid (AcBr3), irradiated 226-Ra targets (Pharmaceuti-
einen weißen, in hexagonaler Struktur (Uran-III- cals, Inc., US 2017137916 A1, veröf-
chlorid-Typ) kristallisierenden Feststoff der Dichte fentlicht 18. Mai 2017)
5,85 g/cm3 (Brauer 1975b, S. 1126):
6.5 Cer
Ac2 O3 þ 2 AlBr3 ! 2 AcBr3 þ Al2 O3
Geschichte Cer wurde unabhängig voneinan-
Dessen Behandlung mit feuchtem Ammoniak der und im gleichen Jahr (1803) sowohl von
bei Temperaturen um 500 C führt analog zum Berzelius und Hisinger als auch von Klaproth
Oxibromid AcOBr. entdeckt und nach dem damals gerade aufgefun-
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 887
anderem als Sputtertarget verkauft werden. Durch 1881; Kürti und Czakó 2005, S. 194; Streitwieser
Beschuss dieser Targets mit energiereicher Strah- und Heathcock 1980, S. 1459; Allinger et al. 1980,
lung können durch zwischenzeitliches Verdamp- S. 1105; Vollhardt und Schore 2005, S. 1338).
fen der Substanz an anderer Stelle sehr dünne Cer-III-chlorid (CeCl3) ist in wasserfreiem
Schichten aufgebracht werden („chemical vapor Zustand ein weißer bis leicht gelblicher Feststoff
deposition“). Diese Chalkogenide des Cer-III vom Schmelzpunkt 817 C und der Dichte
haben halbleitende Eigenschaften (Ryan et al. 3,92 g/cm3 (s. Abb. 23). (Die geschmolzene Sub-
1962). stanz siedet bei einer Temperatur von 1730 C.)
Halogenverbindungen Cer-III-fluorid (CeF3) (Herrmann und Edelmann 1997).
ist ein farbloser Feststoff, der bei einer Temperatur Die Verbindung ist hygroskopisch und bildet
von 1460 C schmilzt (Siedepunkt der Flüssig- dabei verschiedene Hydrate, wie beispielsweise
keit: 2300 C) und eine Dichte von 6,16 g/cm3 das triklin kristallisierende Heptahydrat (Levason
hat. Man gewinnt ihn durch Lösen von Cer-III- und Webster 2002). Es ist das gängige Ausgangs-
chlorid (CeCl3) in Flusssäure und folgendes Ab- produkt zur Synthese weiterer Cer-III-Verbindun-
rauchen des rohen CeF3 mit Ammoniumfluorid gen, außerdem wird die Verbindung in ihrer Funk-
im Platintiegel. Auch die Reaktion von Cer-IV- tion als mittelstarke Lewissäure als Katalysator
oxid mit überschüssiger Flusssäure liefert das ge- bei einigen Friedel-Krafts-Acylierungen sowie
wünschte Produkt (Brauer 1963, S. 247). Die bei der Alkylierung von Ketonen eingesetzt.
Verbindung ist zwar schwer löslich in Wasser, Cer-III-chlorid kann als Ausgangsstoff zur
hydrolysiert in diesem aber langsam zu Ceroxid- Synthese anderer Cerverbindungen eingesetzt
fluorid (CeOF). Es ist isotyp zu den Fluoriden der werden, aber auch als Lewis-Säure dienen, zum
anderen leichten Lanthanoide (LaF3, PrF3 und Beispiel als Katalysator für Friedel-Crafts-Acylie-
NdF3) (Lundin et al. 1972). rungen und zur Alkylierung von Ketonen. Eine
Aufgrund seiner Transparenz im Bereich der besondere Reaktion ist die Luche-Reduktion von
Wellenlängen von 300 bis 5000 nm findet es zur Ketonen bei gleichzeitigem Vorliegen aldehydi-
Herstellung von Spezialgläsern Verwendung. scher Funktionen, bei der Cer-III-chlorid dem
Man setzt es in geringen Mengen in hitzebestän- Kohlenstoffatom der Ketogruppe durch Komple-
digen Keramiken ein, darüber hinaus als Szintil- xierung eine derart positive Partialladung über-
lator für Teilchendetektoren, als Sputtertarget in trägt, dass es die folgende mit Natriumboranat
der elektronischen Industrie und als leuchtkraft- durchgeführte Reduktion ziemlich selektiv ein-
verstärkendes Additiv in Grafit-Elektroden von geht (Gemal und Luche 1981; Takeda und Ima-
Kohlebogenlampen. moto 1999). Sogar β-ungesättigte Ketone können
Das weiße, in Wasser unlösliche Cer-IV-fluorid so zu Enolen reduziert werden, ohne dass die
(CeF4) erhält man durch Umsetzung von Cer-IV- C=C-Doppelbindung reduziert würde(!) (John-
oxid mit Fluor bei ca. 500 C (Brauer 1975a, son und Tait 1987).
S. 256). Gegenüber Hydrolyse ist es ziemlich
beständig; bei höheren Temperaturen lässt es sich
durch Wasserstoff zu Cer-III-fluorid reduzieren.
Die Verbindung schmilzt bei 650 C, hat die
Dichte 4,77 g/cm3 und besitzt eine Kristallstruktur
vom Uran-IV-fluorid-Typ (Riedel und Janiak
2011, S. 782). Man setzt es neben Silberdifluorid
und Cobalttrifluorid als Katalysator bei der Fluo-
rierung aliphatischer, aromatischer und heterocy-
clischer organischer Verbindungen mit elementa-
rem Fluor ein sowie, ebenfalls als Katalysator, für
die Hantzsch-Reaktion von Dihydropyridinen aus
β-Diketon, Aldehyd und Ammoniak (Hantzsch Abb. 23 Cer-III-chlorid, wasserfrei (BoFr@ 2006)
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 891
Cer-III-bromid (CeBr3) erhält man durch Auf- Cer-III-phosphid (CeP) ist ein Halbleiter, der
lösen hydratisierten Cer-III-carbonats [Ce2(CO3)3] in Hochfrequenzanwendungen und Laserdioden
in heißer konzentrierter Bromwasserstoffsäure. verwendet wird. Man erhält es durch Überleiten
Das dabei entstehende Hydrat kann durch gemein- gasförmigen weißen Phosphors über in Argonat-
sames Erhitzen mit Ammoniumbromid entwässert mosphäre erhitztem Cer.
werden (Mantz 2007, S. 455). Alternativ kann Sonstige Verbindungen Cercarbid (CeC2) ist
Bromwasserstoff über Cer-III-hydrid geleitet wer- ein dunkelbraunes Pulver der Dichte 5,23 g/cm3
den, um ein besonders reines Produkt zu erzeugen (s. Abb. 24), das durch Umsetzung von Cer-IV-
(Zuckerman 2009, S. 3). Das weiße, in wasserfreier oxid mit Kohlenstoff im elektrischen Ofen herge-
Form hexagonal und isotyp zu Uran-III-chlorid stellt wird. Bei Kontakt mit Wasser setzt es Ethin
kristallisierende Cer-III-bromid (Janiak et al. 2012, (Acetylen) frei. Einsatzgebiete sind Spezialkera-
S. 371; Zachariasen 1948) schmilzt bei einer Tem- miken und die chemische Forschung.
peratur von 732 C (Siedepunkt der Flüssigkeit: Cerdisilicid (CeSi2) ist ein tetragonal kristallisie-
1560 C), besitzt eine Dichte von 5,21 g/cm3 und rendes, graues Pulver der Dichte 5,3 bis 5,65 g/cm3
ist stark hygroskopisch. Die Verbindung dient zum und des Schmelzpunkts 1620 C, das in Reinhei-
quantitativen Nachweis von γ-Strahlung in Szintil- ten bis zu 5N kommerziell erhältlich ist. Die Ver-
lationszählern (Higgins et al. 2008). bindung hat halbleitende Eigenschaften, ist aber
Das gelbe, orthorhombisch kristallisierende auch als Beimengung zu keramischen Werkstof-
Cer-III-iodid (CeI3) schmilzt bei 760 C (Sie- fen im Einsatz. Cerdisilicid ist sehr hydrolyse-
depunkt: 1400 C) und kann in wasserfreier empfindlich und wird durch Wasser unter Bildung
Form aus den Elementen hergestellt werden. von an der Luft selbstentzündlichen Silanen und
Das Hydrat erhält man durch Auflösen von Cer-III-hydroxid zersetzt.
Cer-III-oxid in konzentrierter Iodwasserstoff- Cerhexaborid (CeB6) bildet blauschwarze,
säure. metallisch glänzende Kristalle der Dichte 4,85
Pnictogenverbindungen Cer-III-nitrid (CeN) ist g/cm3, die bei einer Temperatur von 2552 C
ein dunkelrotbraunes Pulver mit hohem Schmelz- schmelzen. Generell sind die Boride der Selten-
punkt (American Elements 2017). Gingerich erdmetalle meist alle harte, hochschmelzende
untersuchte dessen Beständigkeit in der Gasphase Stoffe mit metallischer Leitfähigkeit, die stabil
(1971). Es ist Bestandteil spezieller Keramiken gegenüber nichtoxidierenden Substanzen sind.
und von Halbleitern. Die Herstellung kann durch Angegriffen werden sie alle mehr oder weniger
Überleiten eines unter Druck stehenden Stick- durch Oxidantien und starke Laugen. Boride
stoffstroms über in einem Molybdäntiegel erhitz- setzt man in beispielsweise in Halbleitern, Turbi-
tes Cermetall erfolgen (Kaldis und Zürcher 1976), nenschaufeln und Raketendüsen ein. In jüngerer
oder man schmilzt Cer im Arc-Ofen zunächst Zeit durchgeführte Untersuchungen zeigten, dass
unter Argonatmosphäre, die dann durch Stickstoff diese Boride supraleitend mit hohen Sprungtem-
ersetzt wird (Gambino und Cuomo 1966). Eine peraturen und sehr widerstandfähig gegenüber
dritte, sicherheitstechnisch aber nicht unbedenkli- Kompression sind (American Elements 2017).
che Methode beinhaltet die Herstellung eines
Cer-Amalgams, also das Auflösen von Cerstück-
chen in Quecksilber, das Homogenisieren der
Mischung über 2 d bei 330 C, deren Einfüllen
in zwei Schiffchen aus Molybdän und schließlich
Umsetzung bei 1050 C während 9 h im Stick-
stoffstrom, wobei man das Quecksilber durch
Einleiten überschüssigen Stickstoffs austreibt
(Bischof et al. 1972; Magyar 1968). Nach diesen
Methoden können alle Nitride der Lanthanoiden
hergestellt werden. Abb. 24 Cercarbid (Onyxmet 2018)
892 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Anwendungen Elementares Cer, legiert mit O. Yurasova et al., Method of electric oxi-
Magnesium, setzt man in der Luft- und Raumfahrt dation of cerium ions (III) (Aktsionernoe
ein, wegen seines geringen Einfangquerschnitts Obshchestvo Gosudarstvennyj Nauchno
für Neutronen in Kernreaktoren und schließlich Issledovatelskij i Projektnyj Inst Redko-
als Bestandteil von Hochleistungselektroden zur metallichesk, RU 2673809 C1, veröf-
Erzeugung von Lichtbögen. fentlicht 30. November 2018)
Wichtiger sind die Verbindungen des Cers S. Seal und S. Barkam, Cerium oxide nano-
als Oxid, Nitrat, Sulfat, Carbonat, Chlorid und particle compositions and methods (Uni-
Fluorid. Sie verwendet man zum Einfärben von versity Central Florida Foundation Inc.,
Emaille, als Zusatz zum Glas z. B. für UV-Filter Oakland University, US 2018339913
(Emsley 2011), als Katalysatoren, für Bildröhren A1, veröffentlicht 29. November 2018)
und als Getter. In der Glasindustrie wird Cer-IV- H. Kasaini, Selective extraction of cerium
oxid als Poliermittel für optische Gläser eingesetzt, from other metals (Rare Element Resour-
zum Ein- bzw. Entfärben von Glas und Porzellan ces, US 2018320248 A1, veröffentlicht
und zum Eintrüben von Emaillen. Cerverbindun- 8. November 2018)
gen enthaltende Gläser sind stabiler gegen Bestrah- Z. Ding et al., Corrosion inhibiting additive
lung durch Sonnenlicht; sie lassen gut IR-Licht (United Tech Corp., US2017350020 A1
durch und absorbieren gleichzeitig UV-Licht. veröffentlicht 7. Dezember 2017)
Cer-III-fluorid verwendet man bei der Ver- S. Chouzier et al., Cycloalkane oxidation
arbeitung von Metallen, als Bestandteil feuer- catalysts and method to produce alco-
fester Keramiken, in der Elektronikindustrie hols and ketones (Rhodia Operations,
zum Sputtern, als Zusatzstoff in Grafit-
Elektroden von Kohlebogenlampen zur Stei- (Fortsetzung)
894 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Oxidschicht aus. Diese schützt das Metall jedoch Wasser reagiert es unter Bildung von Wasserstoff
nicht vor weiterer Oxidation, da sie an Luft zum Praseodymhydroxid [Pr(OH)3], in Säuren
abblättert. Bei erhöhter Temperatur verbrennt löst es sich leicht auf. Praseodym tritt in seinen
Praseodym direkt zum Sesquioxid (Pr2O3). Mit Verbindungen mit den Oxidationszahlen +3 und
896 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
+4 auf, wobei +3 die häufigere ist. Pr-III-Ionen Die Verbindung kristallisiert kubisch in der
sind gelbgrün, Pr-IV-Ionen farblos. Fluorit-Struktur; dabei bleibt 1/12 der für die Sau-
erstoffatome vorgesehenen Plätze unbesetzt (Rii-
Verbindungen tershaus und Jørgensen 1967; McCullough 1950;
Chalkogenverbindungen Praseodym-III-oxid (Pr2O3) Guth et al. 1954). Es existieren außerdem noch
gewinnt man wie auch sein höheres Homologes, weitere Phasen zwischen Praseodym-III- und
Praseodym-IV-oxid (PrO2), durch Verbrennung -IV-oxid (Mashelkar 1995). Man verwendet
von Praseodym in Sauerstoff (Krebs 2006, S. 283). Praseodym-III, IV-oxid unter anderem für das
Alternative Darstellungsmethoden beinhalten die Färben von Glas und Keramik.
Reduktion des schwarzen Mischoxids (Praseo- Eine Übersicht über Ergebnisse aktueller
dym-III, IV-oxid, Pr6O11) mit Hydrazin oder die Untersuchungen zu Oxiden des Praseodyms geben
durch Erhitzen bewirkte Entwässerung von Yang et al. (2010), Wollschläger et al. (2008) und
Praseodym-III-hydroxid gewonnen werden. Ferro (2011).
Das grün gelbe, in Wasser unlösliche Pulver Praseodym-IV-oxid (PrO2), ein braunschwar-
(s. Abb. 30) hat die Dichte 6,9 g/cm3 und schmilzt zer, im Flussspat-Gitter kristallisierender (Brauer
bei einer Temperatur von 2183 C (Siedepunkt 1975b, S. 1081) Feststoff der Dichte 7,32 g/cm3,
der Flüssigkeit: 3760 C); es kristallisiert kubisch. kann man beispielsweise durch Erhitzen von
Daneben existiert noch eine farblose, hexagonal Praseodym-III,IV-oxid im Sauerstoffstrom bei
kristallisierende Form. Man verwendet es klas- hohem Druck gewinnen.
sisch zum Grünfärben von Gläsern und Keramik, Praseodym-III-sulfid (Pr2S3) erhält man durch
aber auch als Bestandteil halbleitender Komposite Umsetzung von Praseodym-III-oxid mit Schwe-
(O’Keefe et al. 2005; Sah 2007). felwasserstoff (Brauer 1975b, S. 1098). Die Ver-
Praseodym-III,IV-oxid (Pr6O11) ist ein schwar- bindung schmilzt bei einer Temperatur von
zer, geruchloser Feststoff (s. Abb. 31) vom 1765 C, hat die Dichte 5,1 g/cm3 und kommt in
Schmelzpunkt 2500 C (Siedepunkt der ge- Form dreier Modifikationen vor. Die bei Raum-
schmolzenen Verbindung: 4200 C) und der temperatur stabile ist γ- Pr2S3, ein grüner Feststoff
Dichte 6,5 g/cm3, der in der Natur als Begleiter (Faulkner und Schwartz 2009, S. 28). Die zwei
von Mineralien wie Bastnäsit, Monazit und Xeno- anderen Modifikationen sind α- Pr2S3 (kristalli-
tim vorkommt (Rao et al. 2003, S. 13). Man siert orthorhombisch) und β- Pr2S3 mit tetragona-
erzeugt es durch Verbrennung von Praseodym ler Kristallstruktur (Werheit et al. 1984, S. 332).
mit Sauerstoff (Kang et al. 2004, S. 166). Bei Erhitzen auf Temperaturen ab etwa 1400 C liefert
Kontakt mit heißem Wasserdampf disproportio- das Monosulfid (PrS) (Meyer und Morss 1991,
niert es zu Praseodym-III- und -IV-oxid (Albers S. 335).
et al. 2011). Praseodym-III-selenid (Pr2Se3) und Praseo-
dym-III-tellurid (Pr2Te3) werden ebenfalls als
Sputter-Target verkauft (American Elements 2017);
Abb. 30 Praseodym-III-
oxid, Hohhot Museum of
Geology, China (Brücke-
Osteuropa 2011)
beide sind kristalline Festkörper. Einsatzgebiet ist chlorid meistens zur Herstellung anderer Verbindun-
auch hier vorrangig die Elektronikindustrie sowie gen des Praseodyms.
die chemische Forschung. Ebenso interessant Praseodym-III-bromid (PrBr3) bildet grüne,
sind diese Verbindungen, wie auch generell die hexagonale Kristalle (Perry 1995, S. 323), die
Chalkogenide der Seltenerdmetalle, für Feststoff- ebenfalls hygroskopisch sind. Die Verbindung
Brennstoffzellen oder Solarzellen. Sie sind alle schmilzt bei 693 C (Siedepunkt: 1547 C) und
jedoch empfindlich gegenüber sauren Lösungen, besitzt die Dichte 5,28 g/cm3.
da dann aus ihnen der jeweilige, hochgiftige Chal- Sonstige Verbindungen Praseodym-III-nitrid
kogenwasserstoff freigesetzt wird. (PrN), ein schwarzgraues Pulver, und Praseody-
Halogenverbindungen Praseodym-III-fluorid m-III-phosphid (PrP) verwendet man als Reinst-
(PrF3) ist zugänglich aus Praseodym-III-oxid und materialien [Reinheitsgrad bis zu 5N (99,999 %)],
Fluorwasserstoff oder Chlortrifluorid (Simons dabei das Phosphid in der Halbleiterindustrie und
2012, S. 99; Brauer 1975a, S. 254). Der grüne, chemischen Forschung, das Nitrid darüber hinaus
geruchlose Feststoff (s. Abb. 32) schmilzt bei in Hochleistungskeramiken. Praseodym-III-arse-
1399 C (Siedepunkt der geschmolzenen Verbin- nid (PrAs) ist ein kristalliner Feststoff, der Be-
dung: 2300 C), hat die Dichte 6,3 g/cm3 und ist standteil von Halbleitern ist und auch in fotoopti-
nahezu unlöslich in Wasser. Die Kristallstrukturen sche Anwendungen geht.
der Trifluoride einiger Seltenerdmetalle wurden Praseodymcarbid wird als Mischung der bei-
von Lundin et al. untersucht (1972); eingesetzt den Carbide PrC und PrC2 verkauft; Einsatzge-
wird PrF3 zum Dotieren von Laserkristallen (Sha- biet sind meist Spezialkeramiken. Diese und viele
libeik 2007, S. 69). andere Metallcarbide sind bei Kosolapova (1971)
Praseodym-III-chlorid (PrCl3) erhält man beschrieben. Praseodymsilicid (PrSi2) ist eben-
durch Reaktion von Praseodym oder seinem Oxid falls ein kristalliner Festkörper, der in Keramiken
mit Chlorwasserstoff (Druding und Corbett 1961; und Halbleiter eingearbeitet wird.
Corbett 1973); ebenso erhält man das hydrati- Praseodymhexaborid (PrB6) bildet schwarze
sierte Salz natürlich durch Auflösen von Praseo- Kristalle der Dichte 4,84 g/cm3; es wird in kleinen
dym in Salzsäure. Das Hydrat kann durch Er- Mengen in Hochleistungskeramiken eingesetzt.
hitzen auf Temperaturen um 400 C vollständig Praseodym-III-sulfat [Pr2(SO4)3] liegt als Oc-
entwässert werden, wenn Aluminium- oder tahydrat in Form grüner, monokliner Kristalle
Thionylchlorid zugefügt werden (Taylor und Car- (s. Abb. 34) der Dichte 2,83 g/cm3 vor (Lin
ter 1962; Kutscher und Schneider 1971; Freeman et al. 2002), die einfach durch Auflösen von
und Smith 1958). Praseodym-III-oxid in Schwefelsäure und folgen-
Die wasserfreie Verbindung ist ein blaugrüner, des Eindunsten der Mutterlauge bei erhöhter Tem-
hexagonal kristallisierender Feststoff und stark peratur erhalten werden. Charakteristisch für alle
hygroskopisch; der Schmelzpunkt liegt bei 786 C
(Siedepunkt: 1710 C). Dagegen liegt das Hepta-
hydrat in Form hellgrüner Kristalle trikliner Struktur
vor (s. Abb. 33). Man verwendet Praseodym-III-
Patente
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Abb. 35 Praseodym-III-acetat-Hydrat (beide jeweils wide.espacenet.com)
99,9 %, von Onyxmet 2018)
H. Suzuki et al., Exhaust gas puryfing catalyst
(Toyota Jidoshia K.K:, US 2017348674
Sulfate der Seltenerden ist, dass deren Löslichkeit
A1 veröffentlicht 7. Dezember 2017)
in heißem Wasser schlechter ist als in kaltem.
S. Titlbach et al., Mixed metal oxide com-
Erhitzen überführt das Octahydrat über verschie-
posite for oxygen storage (BASF SE,
dene wasserärmere Stufen schließlich in das was-
US 2017333877 A1, veröffentlicht 23.
serfreie, farblose Salz, das bei einer Temperatur
November 2017)
von 931 C schmilzt.
M. J. Dejneka, Multichromic glasses with
Auch andere Verbindungen des Praseodyms
praseodymium and neodymium (Cor-
liegen in Form hell- bis lindgrüner Kristalle
ning Inc., CA 3020836 A1, veröffent-
vor, wie bespielsweise Praseodym-III-acetat
licht 19. Oktober 2017)
[Pr(CH3COO)3] bzw. -phosphat (PrPO4) (siehe
H. Suzuki und T. Yoshida, Exhaust gas pu-
auch Abb. 35 und 36).
rifying catalyst (Toyota Motor Co., Ltd.;
Cataler Corp., US 2018264409 A1, ver-
Anwendungen Praseodym verwendet man zur
öffentlicht 20. September 2018)
Herstellung von sehr starken Magneten (IAM-
N. Lyskov et al., Cathode material for
GOLD Corporation 2012) sowie in Legierungen
SOFC based on praseodymium cuprate
mit Magnesium zur Herstellung hochfester Bau-
(Nekommercheskaya Organizatsiya Fond,
teile von Flugzeugmotoren (Rokhlin 2003; Nair
RU 2630216 C1, veröffentlicht 6. Septem-
und Mittal 1988). Eine Praseodym-Nickel-Legie-
ber 2017)
rung (PrNi5) besitzt einen derart starken magneto-
H. Li, Preparation of porous magnetic com-
kalorischen Effekt, dass sie die Annäherung an
posite silk-loaded, praseodymium-do-
den absoluten Nullpunkt bis auf ein Tausendstel
ped BiOBr photocatalyst (Jinan Univer-
Grad erlaubt (Emsley 2001).
sity, CN 108404981 A, veröffentlicht 17.
Praseodymverbindungen verleihen Gläsern und
August 2017)
Emaille eine gelbe bis grüne Farbe (Hammond
2000). Wird Fluoridglas mit Praseodymionen
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 899
6.7 Neodym
Foto zeigt Neodymmetall neben seinem rotvio- stoffatmosphäre erhitzt, bildet es das Hydrid
lettfarbenen Oxid. NdH2. Neodym tritt in seinen Verbindungen haupt-
Mit Wasser reagiert Neodym unter Bildung sächlich in der Oxidationsstufe +3 auf, jedoch sind
von Wasserstoff zu Neodymhydroxid. In Wasser- auch Werte von +2 und +4 möglich.
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 901
Das malvenfarbene, hexagonal kristallisie- 1975b, S. 1081). Eine andere Methode beinhaltet
rende Pulver ist hygroskopisch und geht leicht die Reaktion des jeweiligen Seltenerdmetalls mit
in das intensiv rosafarbene Hexahydrat über dem entsprechenden Ammoniumhalogenid in
(D’Ans und Lax 2007, S. 634; s. Abb. 40). Man flüssigem Ammoniak bei ca. 78 C:
verwendet Neodym-III-chlorid oft zur Synthese
anderer Verbindungen des Elements (Meyer und Ln þ 2 NH4 X ! LnX2 þ 2 NH3 þ H2
Morss 1991; Patnaik 2003), wie Katalysatoren
für die chemische Synthese (beispielsweise die Das dabei zunächst entstehende Addukt mit
des Kautschuks). Das Hexahydrat dient meist zur Ammoniak spaltet dieses beim Erhitzen ab, und
violetten bis weinroten Färbung von Glas und das reine Dihalogenid bleibt zurück. Die Verbin-
Keramik. dung selber schmilzt bei ca. 725 C; an der Luft
Neodym-III-bromid (NdBr3) schmilzt bei einer oder bei Kontakt mit Feuchtigkeit geht sie über
Temperatur von 682 C (Siedepunkt: 1540 C) ihre Hydratform meist zügig in basische Bromide
und hat die Dichte 5,3 g/cm3. Es liegt in Form des Neodym-III über.
violetter, orthorhombischer (Paetzold 2009), hy- Analog kann Neodym-II-iodid (NdI2) erhalten
groskopischer Kristalle vor (s. Abb. 41). werden; die dunkelgrüne bis schwarze Verbin-
Das grüne Neodym-III-iodid (NdI3) kristalli- dung schmilzt bei 562 C und kristallisiert im
siert ebenfalls orthorhombisch; es ist wie das Strontiumbromid-Gittertyp.
Bromid sehr hygroskopisch, schmilzt bzw. siedet Sonstige Verbindungen Das dunkelgraubraune
bei 787 C bzw. 1370 C und weist die Dichte Neodym-III-nitrid (NdN) ist wie das Neodym-III-
5,85 g/cm3 auf. phosphid (NdP) ein Halbleiter für Hochfrequenzan-
Das dunkelgrüne, hygroskopische, im Blei-II- wendungen, ebenso eignet sich die Verbindung zur
chlorid-Typ kristallisierende Neodym-II-bromid Einarbeitung in Laserdioden. Neodym-III-nitrid
(NdBr2) ist durch Reduktion von Neodym-III-bro- verwendet man in geringen Mengen ebenfalls in
mid mit metallischem Neodym im Vakuum bei Hochleistungskeramiken. Das homologe Neodym-
Temperaturen um 850 C zugänglich (Brauer III-arsenid (NdAs) ist ein kristalliner Festkörper, der
ebenfalls in Halbleitern, aber auch photooptischen
Anwendungen eingesetzt werden kann.
Neodymcarbid (NdC2) ist ein graues Pulver,
das bei Kontakt mit Wasser brennbares Ethin
(Acetylen) freisetzt. Wie die anderen hochfesten
Silicide und auch Boride der Lanthanoiden dient
es unter anderem zur Herstellung sehr dünner
Beschichtungen im Bereich der Fotovoltaik, von
Abb. 40 Neodym-III-chlorid-Hydrat (Stanford Advan- Elektroden und Brennstoffzellen.
ced Materials 2018) Das schwarze, im Handel sowohl als Pulver als
auch in Form von geschmolzenen oder gesinterten
Stücken unterschiedlicher Reinheit erhältliche Neo-
dymhexaborid (NdB6) hat die Dichte 4,93 g/cm3.
Wie die anderen Seltenerdboride ist es hoch-
schmelzend und hart; es wird in Halbleitern,
Magneten und dort eingesetzt, wo metallische
Werkstoffe eine große Härte besitzen müssen.
Ebenso setzt man die Verbindung in Form von
Sputtertargets (s. Abb. 42) ein, aus denen man
durch Beschießen kleinste Mengen heraus lösen
und durch anschließenden Transport in der Gas-
Abb. 41 Neodym-III-bromid wasserfrei (Onyxmet 2018) phase an den Ort verbringen kann, auf dem dünn-
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 903
gang zum violettbraunen α-Pm2O3 mit hexagona- durch Zugabe von Flusssäure zu einer sauren
ler Struktur (Huheey 1988, S. 873 ff.; Roberts Lösung eines Promethium-III-salzes in Form
et al. 1972). Der Schmelzpunkt dieser Modifika- eines hellrosafarbigen Niederschlages aus. Die
tion liegt bei 2130 C. Auch Ergebnisse von wasserfreie Verbindung hat eine violettrosa Farbe,
Untersuchungen zur magnetischen Suszeptibilität eine Dichte von 6,72 g/cm3 und schmilzt bei einer
liegen seit längerem vor; Promethium-III-oxid ist Temperatur von 1338 C (Holleman et al. 2007,
stark paramagnetisch (Roberts et al. 1963). S. 1942). Die Kristallstruktur ist hexagonal. Aus
Halogenverbindungen Das schwer in Wasser PmF3 erfolgte erstmals die Darstellung metalli-
lösliche Promethium-III-fluorid (PmF3) fällt man schen Promethiums durch Umsetzung mit Li-
906 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
thium (Weigel 1963). Erhitzt man wasserhalti- Isotops 14761Pm, dessen radioaktive Strahlung
ges Promethium-III-fluorid, so erfolgt teilweise eine nur geringe Eindringtiefe hat. 14761Pm ist in
hydrolytische Zersetzung zu violettfarbigem Pro- lumineszierenden Farben von Signallampen ent-
methium-III-oxidfluorid (PmOF). halten, deren Phosphore ein durch die Strahlung
Promethium-III-chlorid (PmCl3) ist durch dieses Isotops induziertes Licht ausstrahlen. Es
Überleiten trockenen Chlorwasserstoffs über Pro- wird hier aus Sicherheitsgründen gegenüber
226 3
methium-III-oxid (Pm2O3) darstellbar (Weigel 88Ra und 1H bevorzugt (Hammond 2000).
1969; Holleman et al. 2007, S. 1942). Der violette In Atombatterien wird die von 14761Pm emit-
Feststoff der Dichte 4,19 g/cm3 schmilzt bei einer tierte β-Strahlung in elektrischen Strom umge-
Temperatur von 655 C und kristallisiert hexagonal wandelt. Die promethiumhaltige Quelle befindet
(Weigel 1969; Huheey 1988, S. 873–900). Auch sich dabei zwischen zwei Halbleiterplatten. Die
hier liefert das Erhitzen des Hydrats oder eines Batterie hat eine Lebensdauer von einigen Jahren
nicht vollständig getrockneten Präparates das basi- (Elleman 1964). Promethium setzt man auch zur
sche Salz, in diesem Fall das blassrosafarbige Pro- Messung der Dicke von Werkstoffen ein, wobei
methiumoxidchlorid (PmOCl). der Betrag der Strahlung gemessen wird, der
Analog entsteht das korallenrote Promethium- die Probe durchdringt. Zukünftige Einsatzgebiete
III-bromid (PmBr3) durch Überleiten eines Stro- könnten in tragbaren Röntgenquellen oder in
mes trockenen Bromwasserstoffs über erhitztes Aggregaten für die Raumfahrt liegen.
Promethium-III-oxid; das Salz hat die Dichte
5,45 g/cm3, kristallisiert orthorhombisch und
schmilzt bei einer Temperatur von 660 C (Holle- Patente
man et al. 2007). (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Dieser Syntheseweg ist auf Promethium-III-iodid wide.espacenet.com)
(PmI3) nicht mehr anwendbar. Überleiten getrock-
neten Iodwasserstoffs über Promethium-III-oxid er- S. Saruta et al., Radiation detecting appara-
gäbe nur noch das basische Salz PmOI. Die Herstel- tus and radiation imaging system (Canon
lung des roten, bei 695 C schmelzenden Triiodids K. K., US 201715461754, veröffentlicht
gelingt aber beispielsweise durch Auflösen von 17. März 2017)
Promethium-III-oxid in geschmolzenem Alumini- S. Yuhua und J. Limin, Powder metallurgy
umiodid (AlI3) bei Temperaturen um 500 C: technique for preparing 147Pm high
active source (China Institute of Atomic
Pm2 O3 þ 2 AII3 ! 2 PmI3 þ Al2 O3 Energy, CN 101264515 A, veröffentlicht
17. September 2008)
Sonstige Verbindungen Wird zu sauren Lösungen L. Junyao und F. Zhejing, Battery equip-
von Salzen des Promethium-III Ammoniakwasser ment having promethium electric power
gegeben, so fällt hellbraunes Promethium-III-hy- (Wuhan Henghe Power, CN 2011564424
droxid [Pm(OH)3] aus, das in Mineralsäuren aber (Y), veröffentlicht 26. November 2008)
wieder gut löslich ist, So lassen sich zum Beispiel das F. F. Knapp et al., Chromatographic extrac-
rosafarbene Promethiumnitrat [Pm(NO3)3], ein gut tion with di(2-ethylhexyl)orthophos-
wasserlösliches Salz, oder auch das Sulfat darstellen. phoric acid for production and purifica-
Letzteres verhält sich analog zu den Sulfaten der tion of promethium-147 (UT-Battelle
benachbarten Lanthanoiden und ist nur mäßig löslich LLC, US 20080060998 A1, veröffent-
in Wasser. Das Oxalat-Hydrat [Pm2(C2O4) 3 licht 13. März 2008)
10 H2O], hat die niedrigste Löslichkeit in Wasser T. Ishigami und A. Inoue, Manufacture of
aller Oxalate der Seltenerdmetalle. radioactive substance sealding wire
source for metal halide lamp (Tokyo Shi-
Anwendungen Promethium wird meist nur für
(Fortsetzung)
Forschungszwecke eingesetzt, mit Ausnahme des
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 907
baura Electric Co., JP S57134857 A, 1886 Gadolinium nannte (de Marignac 1878
veröffentlicht 20. August 1982) und 1880; de Boisbaudran 1886). Er war
K. Takami und T. Matsuzawa, Self- Mitglied in verschiedenen wissenschaftli-
Luminescent light source for liquid crys- chen Akademien.
tal display watch (Hitachi Ltd., US
Paul Émile (François) Lecoq de Bois-
4285055 A, veröffentlicht 18. August
baudran (* 18. April 1838 Cognac; † 28.
1981)
Mai 1912 Paris) entdeckte 1875 das Ele-
C. Parry und K. Round, Promethium sour-
ment Gallium in Weiterentwicklung seiner
ces (CA Atomic Energy Ltd., US Arbeiten zur Funkenspektroskopie. Durch
3711326 A, veröffentlicht 16. Januar Aufarbeitung von 54 kg einer Zinkblende
1973) aus Südfrankreich erhielt er 1875 einen
L. C. Olsen et al., Nuclear battery (Mc Don- Rückstand, in dem er das Element Gallium
nell Douglas Corp., US 3706893 A, ver- mittels einer Spektrallinie nachwies und es
öffentlicht 19. Dezember 1972) daraus isolieren und auch darstellen
konnte. Dies erhielt er durch Elektrolyse
einer ammoniakalischen Galliumsulfat-
6.9 Samarium Lösung, worauf er die physikalischen
Eigenschaften bestimmte. In der Folge
Geschichte Die Entdeckung des Samariums arbeitete er insgesamt vier Tonnen Zink-
beschreibt die Literatur nicht klar. Einige Quellen blende in analoger Weise auf, um daraus
berichten, dass De Marignac schon 1853 Sama- am Ende 75 g Gallium herzustellen. Später
rum spektroskopisch im Didymoxid nachwies verlagerte sich sein Forschungsschwer-
und De Boisbaudran 1879 aus dem Mineral punkt in Richtung der Seltenerdmetalle;
Samarskit ((Y,Ce,U,Fe)3(Nb,Ta,Ti)5O16) das Ele- so entdeckte er 1879 Samarium im
ment isolieren konnte. Andere Autoren schreiben Samarskit und 1886 Dysprosium in der
Delafontaine die Entdeckung des Elements im Holmiumerde.
Jahr 1878 zu, der es offenbar aber nur in verun-
reinigtem Zustand erhielt, denn zwei Jahre später Gewinnung Monazit oder Bastnäsit werden
wies er die Existenz eines zweiten Elements im als durch Aufschluss und darauf folgende Trennver-
„Samarium“ beschriebenen Metall nach. Auch fahren in Fraktionen reiner einzelner Seltenerd-
hier erscheint 1879 de Boisbaudran als Entdecker, metallsalze aufgespalten. Aus der reines gelös-
der auch offiziell als solcher registriert ist. tes Samarium enthaltenden Fraktion erzeugt
man sehr reines Samariumoxid. Dieses setzt
man mit Lanthanmetall um, wobei das bei der
Reaktion gebildete Samarium wegen seines bei
Jean-Charles Galissard de Marignac diesen Temperaturen hohen Dampfdrucks ab-
(* 24. April 1817 Genf; † 15. April 1894 sublimiert.
Genf) entwickelte bereits 1866 das erste
industrielle Verfahren zur Trennung von
Eigenschaften An Luft ist Samarium einigerma-
Tantal und Niob auf Grundlage der unter-
ßen beständig, da sich auf frisch geschnittenen
schiedlichen Löslichkeit der jeweiligen
Metallflächen eine passivierende, gelbliche Oxid-
Fluorkomplexe (de Marignac 1866). 1878
entdeckte er im Mineral Gadolinit das Ele- schicht ausbildet. Metallisch glänzendes Sama-
ment Ytterbium, 1880 ein weiteres Element, rium entzündet sich an der Luft oberhalb einer
das de Boisbaudran, der de Marignacs Ent- Temperatur von 150 C. Mit Sauerstoff reagiert
deckung bestätigte, in Absprache mit ihm es lebhaft, wie die meisten anderen Seltenerd-
metalle, zum Sesquioxid (Sm2O3). Mit Wasser
908 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
reagiert es, wie das stark negative Normalpoten- riumhydroxid, auch von Säuren wird es zügig
zial schon vermuten lässt (s. Tab. 9), ebenfalls angegriffen und in ihnen unter Bildung von
schnell unter Bildung von Wasserstoff und Sama- Samarium-III-salzen gelöst. Die beständigste
Oxidationsstufe ist, wie bei fast allen Lanthanoi- kline ist. Die Verbindung absorbiert stark Infra-
den, +3, jedoch tritt es auch als stark reduzierend rotlicht und wird daher in optischen Gläsern hier-
wirkendes Sm2+-Kation auf. Sm3+-Kationen fär- für eingesetzt.
ben wässrige Lösungen gelb. Mit Halogenen Samarium-III-sulfid (Sm2S3) ist ein graubrau-
reagiert es zum jeweiligen Trihalogenid, die ober- ner bis roter Feststoff mit Schmelzpunkt von
halb von einer Temperatur von 700 C mit Sama- 1720 C und der Dichte 5,81 g/cm3 (Janiak et al.
rium, Lithium oder Natrium zu den Dihalogeni- 2012, S. 346). Die Verbindung existiert in Gestalt
den reduziert werden können (Meyer und Schleid zweier verschiedener Kristallmodifikationen, von
1986). denen bei Raumtemperatur die orthorhombische
Beim Abkühlen auf eine Temperatur von Struktur die stabilere ist. Man gewinnt Samarium-
258,55 C (14,6 K) wird Samarium antiferro- III-sulfid durch Überleiten von Schwefelwasser-
magnetisch (Lock 1957; Haire et al. 1983). Ein- stoff über erhitztes Samarium-III-oxid (Brauer
zelne Samariumatome können in einer festen 1975b, S. 1098) oder durch Erhitzen von Sama-
Fullerenmatrix eingeschlossen werden, worauf rium mit Schwefel unter Vakuum.
Samarium unterhalb einer Temperatur von 8 K Samarium-III-tellurid (Sm2Te3) ist ein kristal-
supraleitfähig wird (Chen und Roth 1995). lines, graues Pulver der Dichte 7,3 g/cm3, das man
in Halbleitern einsetzt.
Verbindungen Ein- oder Polykristalle von Samariummono-
Chalkogenverbindungen Das gelbe Samarium- chalkogeniden (SmX, X=S, Se, Te) erhält man
III-oxid (Sm2O3) (s. Abb. 44) schmilzt bei einer durch Reaktion des Metalls mit dem Dampf des
Temperatur von 2325 C, hat die Dichte jeweiligen Chalkogens (Schwefel, Selen, Tellur)
8,35 g/cm3 und wird am einfachsten durch Ver- bei hoher Temperatur (Maines et al. 1970). Durch
brennen von Samarium an Luft gewonnen, alter- Sputtern, beispielsweise mittels eines Elektronen-
nativ auch durch Erhitzen von Samariumoxalat strahls, können Teile des Materials verdampft und
oder -carbonat auf Temperaturen um 700 C an anderer Stelle in Form eines dünnen, halblei-
(Meyer und Morss 1991). In Form von Nanopar- tenden Filmes wieder niedergeschlagen werden
tikeln ist es durch Umsetzung von Samariumhy- (Morinaga et al. 2003). Eine andere Methode zur
drid mit Sauerstoff erhältlich; diese setzt man in Erzeugung dieser dünnen Filme ist das Bombar-
Mengen einiger 100 t/a als Katalysator für chemi- dieren von Samariumtargets mit Elektronen in
sche Synthesen, wie die Oxidation aliphatischer einer mit Chalkogenwasserstoff gesättigten At-
primärer Alkohole zu ihren Aldehyden, ein (Di- mosphäre (H2S, H2Se, H2Te) (Van der Kolk
rote 2004, S. 114; Emsley 2003, S. 372; Perry et al. 2010).
2011, S. 355). Die Verbindungen sind alle schwarze, halblei-
Samarium-III-oxid ist kaum löslich in Wasser tende Feststoffe mit kubischer Kochsalzstruktur
und tritt in Form zweier Modifikationen auf, von und Bandlücken von 0,15, 0,45 bzw. 0,65 eV in
denen die kubische Struktur stabiler als die mono- SmS, SmSe bzw. SmTe, jeweils bei einem Druck
von 0 bar gemessen (Buschow 2005). Einwirkung
äußeren Drucks lässt sie in die jeweiligen Modi-
fikationen mit metallischen Eigenschaften über-
gehen. Der Übergang erfolgt für SmTe bei 60 kbar,
für SmSe bei 45 kbar und bei SmS bereits ab
6,5 kbar. (Allerdings tritt bei SmS etwa der Über-
gang zur „wirklichen“ metallischen Form erst
oberhalb eines Druckes von 20 kbar auf, da dann
die vorher paramagnetische Substanz magnetisch
wird). Diese Umwandlungen treten deutlich zu-
tage, so ändert sich unter anderem die Farbe
Abb. 44 Samarium-III-oxid (Onyxmet 2018) beim Polieren und Kratzen von Schwarz sprung-
910 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
haft auf Goldgelb. Dabei ändert sich aber die Hexahydrat dagegen ist gelb, kristallisiert mono-
Kristallstruktur nicht, nur das Volumen der Ele- klin und gibt beim Erhitzen auf Temperaturen
mentarzelle nimmt deutlich ab. Der ganze Vor- oberhalb von 100 C das Kristallwasser voll-
gang ist für alle genannten Verbindungen rever- ständig ab. Die Schmelzflusselektrolyse einer
sibel, allerdings mit einer Hysterese verbunden, Mischung von Samarium-III-chlorid und Natri-
So geht „metallisches“ SmS zum Beispiel erst umchlorid ergibt reines Samarium. Gelegentlich
beim niedrigen Druck von ca. 0,5 kbar wieder in dient die Verbindung als Katalysator für Cyclisie-
die halbmetallische Form über. Eine Tempera- rungen (Schmittel und Strittmatter 1998) oder für
turerhöhung auf 200 C oder Bestrahlung mit die Polymerisation von Olefin (Miyatake und Ta-
Laserlicht (De Tomasi 2002) bewirkt dasselbe. kaoki 2009).
Diese Änderung des elektrischen Widerstands Auch ein dunkelbraunes, bei etwa 850 C
nutzt man in Drucksensoren (Elmegreen et al. schmelzendes Samarium-II-chlorid (SmCl2) ist
2008). Mäßig starkes Erhitzen erhöht die Leit- bekannt. Die Herstellung erfolgt analog zum
fähigkeit des Halbleiters enorm, so dass die unten beschriebenen Verfahren zur Darstellung
Samariummonochalkogenide in thermoelektrischen des Dibromids.
Energiewandlern eingesetzt werden (Golubkov Das bei einer Temperatur von 669 C schmel-
et al. 2002), ebenso in reversiblen elektrischen zende, rotbraune, im Blei-II-chlorid-Typ kristalli-
Speichern hoher Energiedichte (Sterzel 2014). sierende Samarium-II-bromid (SmBr2) erhält man
Halogenverbindungen Samarium-III-fluorid durch Reduktion von Samarium-III-bromid mit
(SmF3) ist ein gelblichweißes Pulver (s. Abb. 45) metallischem Samarium bei Temperaturen ober-
und schmilzt in wasserfreier Form bei einer halb von 800 C im Vakuum (Brauer 1975b,
Temperatur von 1306 C. Man erhält es auf ein- S. 1081). Die Verwendung von Wasserstoff als
fache Weise durch Reaktion von Fluorwasserstoff Reduktionsmittel funktioniert auch, allerdings
mit Samarium-III-oxid (Brauer 1975a, S. 254). sind Ausbeute und Reinheit des so erzeugten
Bei 25 C kristallisiert die Verbindung orthorhom- SmBr2 geringer (Procter et al. 2009). In guter Rein-
bisch, bei Temperaturen oberhalb von 495 C tri- heit ist es auch aus in Tetrahydrofuran gelösten
gonal (Gesland et al. 1998). Samarium-II-iodid und Lithiumbromid oder sogar
Samarium-III-chlorid (SmCl3) entsteht durch aus metallischem Samarium und 1,1,2,2-Tetrabro-
Auflösen von Samariummetall oder Samarium- methan darstellbar.
III-carbonat in Salzsäure. Die Verwendung tro- Ein elegantes, schon im Kapitel „Neodym“
ckenen Chlorwasserstoffs ergibt entsprechend erwähntes Verfahren, das auf die Herstellung der
das wasserfreie SmCl3, wie auch das Überleiten Dihalogenide der meisten Seltenerdmetalle an-
eines trockenen Chlorgasstroms über erhitztes wendbar ist, beinhaltet die Reaktion des Metalls
Samarium (Corbett und Druding 1961). Die gelb- (Ln) mit dem entsprechenden Ammmoniumhalo-
liche, hygroskopische Verbindung (s. Abb. 46) genid in flüssigem Ammoniak bei einer Tempera-
schmilzt bei 686 C, hat eine Dichte von 4,46 g/cm3
und kristallisiert in hexagonaler Struktur. Das
tur von 78 C, wie folgende Summenformel findlich gegenüber Luftsauerstoff und Hydrolyse
wiedergibt: ist. Eine zu Beginn dunkelrote, klare Lösung der
Substanz in Wasser entfärbt sich innerhalb von
Ln þ 2 NH4 X ! LnX2 þ 2 NH3 þ H2
Minuten, es entwickelt sich Wasserstoff und es
fallen basische Iodide des Samarium-III aus
Zunächst entstehen bei dieser Methode Am-
der Lösung aus. Die Verbindung schmilzt bei
moniakaddukte der entsprechenden Dihalogeni-
einer Temperatur von 840 C unter Zersetzung
de, die aber beim Erhitzen auf 200 C im Vakuum
(Jantsch 1930) und ist nur durch Reduktion von
Ammoniak abspalten und in die reinen Dihaloge-
Samarium-III-iodid (SmI3) mit Wasserstoff bei
nide übergehen (Howell und Pytlewsky 1969).
etwa 750 C, durch Erhitzen auf 600 C, wobei
Diese sehr hygroskopischen Dihalogenide sind
Iod in einer evakuierten Kühlfalle aufgefangen
nur unter Ausschluss von Sauerstoff handhabbar.
wird, oder durch Umsetzung mit Samarium in
Samarium-II-bromid und auch das -II-iodid (siehe
stöchiometrischem Verhältnis herstellbar (Jantsch
unten) setzt man als Reduktionsmittel bei organi-
und Skalla 1930). Üblich ist jedoch mittlerweile
schen Synthesen ein. Vorteile sind trotz des hohen
die Darstellung aus 1,2-Diiodethan und Samarium
Preises, dass funktionelle Gruppen so gut wie nie
in absolutem Tetrahydrofuran und unter Schutz-
angegriffen bzw. verändert werden, und dass
gasatmosphäre (Kagan et al. 1980). Ebenfalls
das Sm2+-Ion mehrere Lewisbasen komplex bin-
möglich ist das Eintragen von Samariummetall
den kann. Grundlegende Arbeiten führte Kagan
in eine Lösung von Iod in Tetrahydrofuran. Da
bereits 1977 durch; das Anwendungsspektrum
diese Lösungen trotz aller Schutzmaßnahmen mit
wurde mittlerweile sehr breit und umfasst alle
der Zeit an aktivem SmI2 verarmen, sollten sie
Arten der Reduktion von Aldehyden und Keto-
immer frisch vor Gebrauch präpariert werden.
nen, beispielsweise zu cyclischen Alkoholen. Bei-
Schon lange verwendet man es in der organi-
spielhaft und stellvertretend seien hier die Arbei-
schen Synthese als Reduktionsmittel bei Dimerisie-
ten von Zörb (2010), Niermann (2012) und Kagan
rungen, Ringöffnungs- oder -schließungsreaktionen
(2003) einschließlich der in diesen zitierten Se-
(Soderquist 1991; Curran et al. 1992; Molander und
kundärliteratur genannt.
Harris 1996; Steel 2001; Yokoyama et al. 2007;
Das gelbe Samarium-III-bromid (SmBr3) ist
Chen et al. 2009; Procter et al. 2009).
wie das Chlorid hygroskopisch, schmilzt bei einer
Pnictogenverbindungen Samarium-III-nitrid
Temperatur von 640 C und kristallisiert im Gitter
(SmN) ist ein Halbleiter, dessen Struktur und
des Plutonium-III-bromids. In wasserfreier Form
elektronische Eigenschaften schon gut untersucht
ist es durch Reaktion der Elemente zugänglich,
und dokumentiert sind (Petit et al. 2005; Larson
das Hydrat durch Auflösen von Samarium oder
et al. 2007; Trodahl et al. 2008). Der dunkelgraue
Samariumcarbonat in Bromwasserstoffsäure
bis schwarze Festkörper hat die Dichte 7,35 g/cm3
(Brauer 1975b, S. 1080).
und wird auch in Form von Sputter-Targets verkauft
Samarium-II-iodid (SmI2) ist ein schwarzer bis
(Metallic Flex in Deutschland, Demaco in den Nie-
dunkelgrüner Feststoff (s. Abb. 47), der sehr emp-
derlanden oder von American Elements). Das
Erzeugen von Beschichtungen mit Samariumnitrid,
aber auch allen anderen Seltenerdmetallnitriden
wurde von Azimi et al. 2013b beschrieben. Im
kubisch-einfach koordinierten Kristallgitter der
Verbindung liegen sowohl ferro- als auch antifer-
romagnetische Zustände vor. Aufgrund der Lage
der Energiebänder und der Elektronendichte in
den jeweiligen Zuständen wird halbmetallisches
Verhalten für den ferromagnetischen Zustand und
metallisches in den antiferromagnetischen Zu-
Abb. 47 Samarium-II-iodid (Onyxmet 2011) ständen I und III erwartet (Som et al. 2018).
912 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Samarium-III-phosphid (SmP) ist wie die von Ladungsträgern möglich ist (topologischer
Phosphide der anderen Lanthanoiden ein Halb- oder Kondo-Isolator, Fisk et al. 2014; Li et al.
leiter, kann aber auch auf klassische Art zum 2014). Da Samarium und vor allem Bor einen
Tönen von Glas verwendet werden (Varanasi hohen Einfangquerschnitt für thermische Neutro-
et al. 1998). Auch Samarium-III-arsenid (SmAs) nen haben, verwendet man Samariumhexaborid in
und -antimonid (SmSb), die man durch Reaktion Atomreaktoren auch als Steuermaterial (Pöttgen
der Elemente unter Schutzgas erhält, kommen in und Johrendt 2014).
einigen Anwendungen als Halbleiter zum Ein- Samarium-III-sulfat [Sm2(SO4)3] tritt als Octahyd-
satz. rat in Form gelber Kristalle der Dichte 2,93 g/cm3 auf
Sonstige Verbindungen Samariumcarbid (s. Abb. 49).
(SmC2) ist ein kristalliner Feststoff der Dichte Samarium bildet, legiert mit Cobalt zwei starke
5,86 g/cm3, das in Wasser und Säuren unter Permanentmagnete, SmCo5 (ohne weitere Metall-
Bildung von Samarium-III-verbindungen und zusätze) und Sm2Co17 (mit Eisen, Kupfer und Zir-
Ethin (Acetylen) löslich ist. Samariumdisilicid konium als zusätzlichen Bestandteilen der Legie-
(SmSi2) ist ebenfalls empfindlich gegenüber wäss- rung). SmCo5 wurde vor bereits ca. 50 Jahren
rigen Medien. Beide Verbindungen sind Halblei- entwickelt und später dann in Gestalt von Sm2Co17
ter und werden zu technischen Zwecken gerne, verbessert. Diese beiden Legierungen waren bis
auch vereinigt mit ähnlichen Substanzen, als Kom- zur Darstellung der aus Bor, Neodym und Eisen
positschicht epitaktisch auf einen Träger, etwa Sili- bestehenden Supermagnet-Legierung diejenigen
cium, aufgedampft. Werkstoffe mit den höchsten magnetischen Ener-
Samariumhexaborid (SmB6) erzeugt man durch giedichten (bis zu 250 kJ/m3) und zugleich hohen
Reaktion von Samarium-III-chlorid oder -oxid mit Curie-Temperaturen (bis ca. 800 C), Einsetzbar
einer Mischung aus Bor-III-oxid (B2O3) und sind sie allerdings nur bis 250 C (SmCo5) und bis
Magnesium oder mit Natriumborhydrid (Duman ca. 500 C (einzelne Sm2Co17-Legierungen); au-
2015; Tegus 2015). Alternativ funktioniert auch ßerdem sind sie sehr spröde.
die Reduktion von Samarium-III-oxid mit Bor, Vorteile gegenüber den neueren Neodym-Bor-
Borcarbid oder Gemischen aus Bor und Grafit: Eisen-Magneten haben sie durch ihre höhere Ener-
giedichte bei hohen Temperaturen, die bessere
Sm2 O3 þ 6 B2 O3 þ 21 Mg Beständigkeit gegenüber Korrosion und gegenüber
! 2 SmB6 þ 21 MgO
ionisierender Strahlung, ein Nachteil ist ihr deut-
lich höherer Preis. Die Herstellung erfolgt derart,
Das tiefblaue Pulver (Einkristalle s. Abb. 48) dass man die Bestandteile der Legierung in einem
hat einen sehr hohen Schmelzpunkt (2580 C) und Vakuuminduktionsofen schmilzt, sie dann schnell
die Dichte 5,07 g/cm3. Die Kristallstruktur ist abkühlt und zu Pulver (<10 μm) mahlt. Das so
kubisch einfach (vergleichbar zu Cäsiumchlorid); erhaltene einkristalline Pulver richtet man dann in
die Verbindung ist halbleitend (Misra 2007) und einem Magnetfeld aus, presst es zu einem Form-
nahezu unlöslich in Wasser. In der Kälte ist sie in
ihrem Inneren ein Isolator, wogegen an den äuße-
ren Oberflächen oder Kristallkanten ein Transport
Schmelzpunkt 1312 C, Siedepunkt 3250 C). Ursache hierfür ist die Elektronenkonfigura-
Diese Werte stechen aus der Gleichmäßigkeit der tion [Xe] 4f7 6s2 des Europiums. Durch die halb
ansonsten vorliegenden Lanthanoidenkontraktion gefüllte f-Schale stehen nur die zwei 6 s-Valenz-
hervor (s. Tab. 10). elektronen für die metallische Bindung zur Verfü-
gung. Resultat sind geringere Bindungskräfte und von DEHPA [Di(2-ethylhexyl)phosphorsäure] und
ein deutlich größerer Atomradius. Vergleichbares Kerosin. So isoliert man Europium, Gadoli-
ist auch bei Ytterbium mit seiner vollständig nium und Samarium von den übrigen Metallen,
gefüllten 4f-Schale zu beobachten. Europium reduziert dann Europium zu Eu2+ und fällt dieses
kristallisiert unter Normalbedingungen kubisch- hiernach als schwer in Wasser lösliches Europi-
raumzentriert (Barrett 1956). Von Drücken von um-II-sulfat (EuSO4), wogegen Sm3+ und Gd3+ in
80 GPa ab aufwärts und unterhalb einer Tempera- Lösung bleiben (McGill 2012). Dieses Europium-
tur von 271,35 C (1,8 K) wird es supraleitend II-sulfat trennt man ab und bringt es wieder in
(Shimizu et al. 2009), da sich dann auch die Struk- Lösung, fällt Eu2+ dann als schwer lösliches Oxa-
tur des Kristallgitters deutlich ändert. lat [Eu2(C2O4)3 10 H2O] und glüht jenes zu
Europium ist ein unedles Metall und reagiert Europium-III-oxid (Eu2O3).
schnell mit vielen Nichtmetallen. Es ist das reak- Europium-III-oxid (Eu2O3) ist ein weißer bis
tivste der Lanthanoide, nahezu vergleichbar mit leicht rosafarbener, basisch reagierender, hygro-
Erdalkalimetallen. Wird es auf 180 C erhitzt, skopischer Feststoff (s. Abb. 50a, b), der bei einer
entzündet es sich an der Luft spontan und ver- Temperatur von 2291 C schmilzt (Siedepunkt
brennt zu Europium-III-oxid (Emsley 2001). der Schmelze: 4118 C) und eine Dichte von
Auch mit den Halogenen Fluor, Chlor, Brom 7,42 g/cm3 aufweist. Die Verbindung kristallisiert
und Jod reagiert Europium zu den Trihalogeniden. monoklin und fluoresziert bei Bestrahlung mit
Europium löst sich in Wasser langsam, in war- UV-Licht rot; dies nutzt man zur Kennzeichnung
mem Wasser sowie in Säuren schnell unter Bil- von Banknoten (Adachi et al. 2004).
dung von Wasserstoff und des farblosen Eu3+ Europium-II-oxid (EuO) stellt man durch Umset-
-Ions. Das ebenfalls farblose Eu2+ -Ion lässt sich zung von Europium-III-oxid mit Europium bei
durch elektrolytische Reduktion an Kathoden in 800 C her; überschüssiges Europiummetall wird
wässriger Lösung gewinnen. In der Gruppe der im Vakuum abdestilliert (Shafer 1965). Oder aber
Seltenerdmetalle ist es ist das einzige Kation der man reduziert basisches Europiumchlorid mit Li-
Oxidationsstufe +2, das in wässriger Lösung sta- thiumhydrid (Brauer 1978, S. 1092). Der violette
bil gegenüber der Oxidation zu Ln3+ ist. Halbleiter besitzt eine relativ geringe Bandlücke von
1,12 eV und wird meist als extrem dünner Film
Verbindungen mittels physikalischer Abscheidung aus der Gas-
Chalkogenverbindungen Im Zuge der Aufarbei- phase epitaktisch auf feste Substrate aufgetragen
tung der Lanthanoidenerze, die mit dem Auf- (Sutarto et al. 2009; Altendorf et al. 2011). Die
schluss von Monazit oder Bastnäsit mit Schwe- Verbindung ist violett, kristallisiert kubisch in der
felsäure oder Natronlauge begann, setzt man zur Kochsalzstruktur und ist sehr empfindlich gegen-
Herstellung von Europium ein Verfahren auf über Wasser und Luftsauerstoff, durch die es zügig
Grundlage von Flüssig-Flüssig-Extraktion und in Europium-III-hydroxid überführt wird. Bis hinauf
einer Reduktion von Eu3+ zu Eu2+ ein. Nach der zu einer Temperatur von ca. 203 C ist Europium-
Abtrennung des Cers als Cer-IV-oxid löst man die II-oxid ferromagnetisch; Dotierungen mit Ionen
restlichen Seltenerdmetalle in Salzsäure und exta- weiterer Seltenerdmetalle heben die Curie-Tem-
hiert dann diese Lösung mittels einer Mischung peratur weiter an. Der Spinfilter-Effekt auf Elektro-
Abb. 50 a Europium-III-
oxid Sputtertarget (QS
Advanced Materials 2018).
b: Europium-III-oxid
(Stanford Advanced
Materials 2018)
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 917
nen, der von Europium-II-oxid ausgeübt wird, und wurde (Kim et al. 2016). Die so dargestellten Kris-
daraus abgeleitete potenzielle Anwendungen sind talle zeigten intensive Fluoreszenz und starken
derzeit Gegenstand von Forschungsarbeiten (Santos Magnetismus. Die Eignung zur Behandlung von
2007; Caspers et al. 2011). Krebs wird zur Zeit untersucht. Dies ist eine der
Das schwarze, an trockener Luft beständige ersten biogenen Synthesen von Nanokristallen.
Europium-II-sulfid (EuS) wird durch Reaktion Europium-II-tellurid (EuTe) gewinnt man
von Europium und Schwefel dargestellt (I), alter- durch Erhitzen einer Schmelze der Elemente auf
nativ ist es durch Überleiten von Schwefelwasser- Temperaturen von 500 C und höher (Brauer
stoff über Europium-III-oxid oder -oxalat ober- 1975b, S. 1102). Ebenso möglich ist die Einwir-
halb von 1000 C zugänglich (II) (Brauer 1975b, kung überschüssigen Tellurs auf Europium-II-
S. 1098; Pink 1969): oxid bzw. -oxalat oberhalb von 600 C oder das
Erhitzen einer Mischung von Europium-II-hydrid
(I) und Tellur im Wasserstoffstrom. Der schwarze
Eu þ S ! EuS antiferromagnetische Feststoff (Coey 2010; Szy-
tula und Leciejewicz 1994) hat die Dichte 6,48 g/
(II) cm3, schmilzt bei einer Temperatur von 1526 C
Eu2 O3 þ 3 H2 S ! 2 EuS þ 3 H2 O þ S und kristallisiert ebenfalls kubisch in der Kristall-
struktur des Natriumchlorids.
Halogenverbindungen Europium-III-fluorid
Die Verbindung hat die Dichte 5,7 g/cm3, kris- (EuF3) erhält man durch Umsetzung von Eu-
tallisiert kubisch im Kochsalzgitter und ist wie ropium-III-oxid mit Fluorwasserstoff (Brauer
andere Monochalkogenide der Seltenerdmetalle 1975a, S. 254), es ist ein weißer Feststoff
ein Halbleiter (Macintyre 1992, S. 3125). Wäh- (s. Abb. 51), der bei 1390 C schmilzt (Siede-
rend es in Wasser praktisch unlöslich ist, löst es punkt der Schmelze: 2280 C) und kaum löslich
sich in Säuren unter Entwicklung von Schwefel- in Wasser ist. Unter Normalbedingungen kristal-
wasserstoff. Feuchte Luft oxidiert es langsam zu lisiert die Verbindung orthorhombisch, oberhalb
basischem Sulfat. einer Temperatur von 647 C trigonal. Man
Verzerrungen der Struktur des Kristallgitters verwendet Europium-III-fluorid zur Produktion
verursachen auch bei Europium-II-selenid (EuSe) fluoridhaltiger Gläser.
lokal unterschiedliche Spinkonfigurationen (Callen Europium-III-chlorid (EuCl3) stellt man zweck-
und De Moura 1978). Der schwarze Halbleiter hat mäßig aus den Elementen her. Die wasserfreie
eine Dichte von 6,45 g/cm3 und wird ebenfalls als gelbliche Verbindung (s. Abb. 52) ist stark hygro-
Sputtertarget für die epitaktische Gasphasenab- skopisch, hat die Dichte 4,89 g/cm3, kristallisiert
scheidung verwendet. Nanoteilchen des Materials hexagonal und schmilzt bei 850 C unter Zerset-
mit einer Partikelgröße von 11–20 nm erzeugten zung zu Chlor und Europium-II-chlorid (Kuznet-
Hasegawa et al. 2008; sie konnten die Existenz sov und Gaune-Escard 2001).
von Fehlstellen (Europium-Defekten) im Kristallgit-
ter mittels Röntgenstrahldiffraktometrie, Transmis-
sionselektronenspektroskopie, ICP-AAS und Rönt-
genspektroskopie nachweisen. Die Magnitude des
Faraday-Effektes für einzelne Teilchen war erheb-
lich größer als dies für Bulk-Kristalle von EuSe oder
auch EuS gemessen wurde. Kürzlich erzeugte man
unter Einwirkung rekombinierender Zellen von
Escherichia coli und in Gegenwart von metall-
bindenden Eiweißen, Phytochelatinsynthase und
Metallthionin Nanopartikel der Verbindung, wie Abb. 51 Europium-III-fluorid (Stanford Advanced Mate-
durch geeignete Analyseverfahren nachgewiesen rials 2017)
918 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 54 Europium-III-
sulfat, auf dem rechten Bild
ist die intensiv rotviolette
Fluoreszenz nach
Bestrahlung mit
kurzwelligem UV-Licht zu
sehen (Unbekannt)
Spektrallinien eines noch unbekannten Elements, Reduktion zu Eu2+ leicht zu separieren; man kann
das er zuerst Yα nannte. Dessen Existenz wurde es dann als schwerlösliches Europium-II-sulfat aus-
einige Jahre später durch Crookes und de Boisbau- fällen und abfiltrieren. Die Flüssig-flüssig-
dran bestätigt, worauf De Boisbaudran und De Extraktion wird danach erneut eingesetzt, bis Gado-
Marignac dieses Gadolinium nannten. 1935 stellte linium in hoher Reinheit von den anderen Ionen
Trombe Gadolinium durch Schmelzflusselektrolyse getrennt ist (McGill 2012; Brown und Sherrington
einer aus Gadolinium-III-chlorid, Kalium- und 1979).
Lithiumchlorid bestehenden Mischung her (Trombe Die Gewinnung elementaren Gadoliniums ist
1935) und wies zusammen mit Urbain und Weiss durch Reaktion von Gadolinium-III-fluorid mit
auch den Ferromagnetismus des Gadoliniums nach Calcium möglich (Trombe 1935):
(Urbain et al. 1935).
2 GdF3 þ 3 Ca ! 2 Gd þ 3 CaF2
Félix Trombe (* 19. März 1906 Nogent- Eigenschaften Das silbrigweiß bis grauweiß
sur-Marne; † 1985 Ganties) war ein franzö- glänzende Gadolinium ist duktil und schmiedbar.
sischer Chemiker und Ingenieur. Er war Es ist neben Dysprosium, Holmium, Erbium,
Wegbereiter der Nutzung von Sonnenlicht Terbium und Thulium eines der Lanthanoide,
zur Gewinnung von Energie in Kraftwer- das Ferromagnetismus besitzt (Urbain et al.
ken. 1935; s. Tab. 11). Mit einer Curie-Temperatur von
292,5 K (19,3 C) weist es die höchste Curie-
Georges Urbain (* 12. April 1872 Paris; †
Temperatur aller Lanthanoide auf, nur Eisen, Kobalt
5. November 1938 Paris) studierte Chemie
an der Pariser Sorbonne, promovierte 1899 und Nickel haben höhere (Jackson 2000a, b; Rau
und hatte danach bis zu seinem Tod einen und Eichner 1986). Gadolinium hat mit 49.000 barn
Lehrstuhl in Paris inne. Sein wichtigstes wegen des in ihm mit ca. 15 % enthaltenen Isotops
157
Forschungsgebiet waren die Lanthanoide; er 64Gd (254.000 barn) den höchsten Einfangquer-
untersuchte deren Gemische vor allem spek- schnitt für thermische Neutronen aller bekannten
troskopisch. Ihm gelang die Isolierung von stabilen Elemente.
Lutetium und Gadolinium. Urbain gründete In trockener Luft ist Gadolinium relativ bestän-
1919 die Société des Terres Rares, wurde dig, in feuchter Luft bildet es eine nichtschützen-
1921 in die Wissenschaftliche Akademie de, lose anhaftende und abblätternde Oxidschicht
Frankreichs und 1925 als Korrespondenzmit- aus. Mit Wasser reagiert es langsam unter Ent-
glied in die Russlands aufgenommen. wicklung von Wasserstoff. In verdünnten Säuren
löst es sich auf.
Gewinnung Prinzipiell setzt man, wie für die
meisten anderen Seltenerdmetalle auch, neben Verbindungen
Ionenaustausch vor allem die Flüssig-Flüssig- Chalkogenverbindungen Gadolinium-III-oxid
Extraktion zur Gewinnung des reinen Elements (Gd2O3) schmilzt bei Temperaturen oberhalb
ein. Als Ausgangsmaterial im Falle des Gadoli- von 1900 C, hat eine Dichte von 7,41 g/cm3
niums dient meist Bastnäsit, der aufgeschlossen und ist ein weißer, praktisch wasserunlöslicher
und gelöst wird. Zuerst trennt man Cer als Cer- Feststoff (s. Abb. 55a, b). Bei längerem Stehenlas-
IV-oxid ab und nimmt das Filtrat in Salzsäure sen an der Luft zieht die Verbindung aber Feuch-
auf, das darauf mit einer Mischung von D2EH- tigkeit und Kohlendioxid aus der Luft an. Bei
PA [Bis (2-ethylhexyl)phosphorsäure] und Kero- Raumtemperatur kristallisiert sie kubisch; es gibt
sin in einem Mixer-Settler behandelt wird. Die aber noch zwei weitere, bei höheren Temperatu-
Lanthanoiden ab einer Ordnungszahl von 63 und ren existierende Modifikationen (Chen et al.
aufwärts (Europium, Gadolinium, Samarium, 2004). Man verwendet Gadolinium-III-oxid in
schwerere Seltenerdmetalle) gehen dabei in die Leuchtstoffen und fluoreszierenden Pulvern
organische Phase über. Europium ist durch (Degenhardt 1979), in Steuerstäben von Kernre-
922 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
aktoren (Kamimura et al. 1993), außerdem in oxiden (Granaten) mit Gallium und ggf. anderen
stark lichtbrechenden Gläsern als Röntgenkon- Elementen in magneto-optischen Speichern (Han-
trastmittel in der Medizin und in Form von Misch- sen et al. 1987).
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 923
Abb. 55 a Gadolinium-
III-oxid (Stanford
Advanced Materials 2018).
b Gadolinium-III-oxid,
Sputtertarget (QS
Advanced Materials, LLC
2017)
Die Verbindung setzt sich aus zwei Phasen der jeweils nur eine Formeleinheit pro Elementarzelle
Formel Tb7O12 bzw. Tb11O20 zusammen (Lucas auf (Zhang et al. 1993). Die thermodynamischen
et al. 2014, S. 50; Housecroft und Sharpe 2005, Eigenschaften der Verbindung wurden von Kon-
S. 749). Ersteres kristallisiert rhomboedrisch und ings et al. untersucht (2014). Die Verbindung setzt
ist isomorph mit Praseodym-III,IV-oxid. Letzteres man in Röhren von Farbfernsehern und in Fluo-
dagegen kristallisiert triklin; beide Phasen weisen reszenzlampen ein.
928 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 61 Terbium-III,IV-oxid (Stanford Advanced Mate- Abb. 63 Terbium-III-chlorid (Stanford Advanced Mate-
rials 2018) rials 2017)
Pnictogenverbindungen Das dunkelgraue bis lung mit kurzwelligem UV-Licht mit gelbgrüner
schwarze Terbium-III-nitrid (TbN) hat die Dichte Farbe fluoreszieren (s. Abb. 64).
9,55 g/cm3 und ist ein Halbleiter. Terbium-III-phos- Terbium-Gallium-Granat (Tb3Ga5O12) ist ein
phid (TbP) ist ebenfalls ein Halbleiter, aber mit kristalliner Feststoff, der nach dem Czochralski-
geringerer Bandlücke als das Nitrid und wird in Verfahren durch Ziehen aus der Schmelze hergestellt
Hochfrequenzanwendungen sowie Laser- und Pho- wird. Die Substanz wird in Faraday-Isolatoren einge-
todioden eingesetzt. Terbium-III-arsenid (TbAs) baut.
zeigt ebenfalls halbleitende Eigenschaften und wird
in der Lichtoptik verwendet.
Für das System Terbium-Antimon stellten Anwendungen Terbium verwendet man vorran-
Mironov et al. 1981 ein Phasendiagramm auf. gig in Halbleitern als Dotierungsmittel für Cal-
Unter anderem findet man Eutektika bei einem ciumfluorid, Calciumwolframat und Strontium-
Anteil von 14 % Sb mit einem Schmelzpunkt molybdat. Eine Mischung aus Terbiumoxid und
von 1130 C sowie bei >99 % Sb und bei einem Zirkonium-IV-oxid verstärkt das Gefüge von
Schmelzpunkt von 623 C. Insgesamt ist die Bil- Hochtemperatur-Brennstoffzellen.
dung von vier Terbiumantimoniden nachweisbar; Legierungen aus Terbium, Eisen und Kobalt,
so schmelzen die durch peritektische Reaktion mit und ohne Zusätze von Gadolinium, verwen-
erzeugten Tb5Sb3 bzw. Tb4Sb3 bei 1650 bzw. det man zur Erzeugung der Beschichtungen auf
1770 C, wogegen TbSb kongruent bei 2160 C wiederbeschreibbaren magnetooptischen Disks.
schmilzt. Tb4Sb3 und TbSb zeigen polymorphe Aus Terbium und Dysprosium bestehende
Übergänge (Mironov et al. 1981). Legierungen weisen eine starke Magnetostrik-
Sonstige Verbindungen Es gibt einige im Sys- tion auf, was sie sehr geeignet für Materialprü-
tem Terbium-Kohlenstoff existierende Terbium- fungen macht. In den ohnehin schon starken
carbide (TbC2, TbC3, Tb2C3, Tb3C), die zwar alle Magneten aus Neodym-Eisen-Bor-Legierungen
hochschmelzend, hart und nahezu metallisch leit- verstärken terbiumhaltige Zusätze noch die
fähig sind, aber empfindlich selbst gegenüber Koerzitivität (Resistenz gegenüber Entmagneti-
feuchter Luft sind, durch die sie hydrolytisch zu sierung).
Methan, Acetylen oder Gemischen dieser oder Terbium-III, IV-oxid setzt man auch dem grü-
anderer Kohlenwasserstoffe zersetzt werden (Ko- nen Leuchtstoff in Bildröhren und Fluoreszenz-
solapova et al. 1974; O’Bannon 1984). lampen zu. Zur Erzeugung kohärenten Laserlichts
Terbiumhexaborid (TbB6) geht in ähnliche einer Wellenlänge von 546 nm (grün) verwendet
Anwendungen wie die anderen Boride der Seltener- man Natriumterbiumborat.
den. Der Faraday-Effekt des Terbium-Gallium-Gra-
Terbium-III-sulfat [Tb2(SO4)3] schmilzt bei nat Tb3Ga5O12 ist sehr hoch; daher findet er in
einer Temperatur von 360 C, das Octahydrat liegt optischen Isolatoren Verwendung (Schlarb und
in Form farbloser Kristalle vor, die bei Bestrah- Sugg 1994).
Abb. 64 Terbium-III-
sulfat vor und nach
Bestrahlung mit UV-Licht
(Unbekannt)
930 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Man setzt die Verbindung in Lasern, Leuchtstof- Magneten ausgerüsteten Maschinenteilen ist es
fen und Metalldampflampen ein, zudem in Cer- wegen seiner magnetischen Eigenschaften ver-
mets (Verbundwerkstoffe aus Keramik in einer wendbar (Chu 2010, S. 77). Dem Dielektrikum
Metallmatrix) für Kernreaktor-Steuerstäbe. In mit Bariumtitanatoxid wird es zur Herstellung sehr
932 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 65 a Dysprosium-
III-oxid (Materialscientist
2009). b Dysprosium-III-
oxid (Onyxmet 2018)
Tab. 0.1: Globaler Metallbedarf für die analysierten 42 Zukunftstechnologien im Jahr 2013 und
2035 im Verhältnis zur Weltproduktionsmenge des jeweiligen Metalls 2013. Der über
die betrachteten Zukunftstechnologian hinaus bestehende Rohstoffbedarf ist nicht
berücksichtigt
Bedarf20xx/Produktion2013
Metall Zukunftstechnologien
2013 2035
Lithium 0,0 3,9 Lithium-lonen-Akku, Airframe-Leichtb.
Schwere Seltene Erden
0,9 3,1 Magnete, E-PKW, Windkraft
(Dy/Tb)
Rhenium 1,0 2,5 Superlegierungen
Leichte Seltene Erden
0,8 1,7 Magnete, E-PKW, Windkraft
(Nd/Pr)
Tantal 0,4 1,6 Mikrokondensatoren, Medizintechnik
Scandium 0,2 1,4 SOFC-Brennstoffzellen
Kobalt 0,0 0,9 Lithium-lonen-Akku, XtL.
Germanium 0,4 0,8 Glasfaser, IR- Technologie
Platin 0,0 0,6 Brennstoffzellen, Katalyse
Zinn 0,6 0,5 Transparente Elektroden, Lote
Palladium 0,1 0,5 Katalyse, Meerwasserentsalzung
Indium 0,3 0,5 Displays, Dünnschicht-Photovoltaik
Gallium 0,3 0,4 Dünnschicht-Photovoltaik, IC, WLED
Silber 0,2 0,3 RFID
Kupfer 0,0 0,3 Elektromotoren, RFID
Titan 0,0 0,2 Meerwasserentsalzung, Implantate
Anmerkung: die Ergebnisse in dieser Tabelle sind nicht mit der Vorgängerstudie ANGERER et al. (2009) zu vergleichen, da sie
sich auf einen anderen Zeitraum (22 statt 24 Jahre), ein anderes Basisjahr (2013 statt|2006), ein anderes Technologieport-
folio (42 statt 32) und neuere Erkenntnis se zur Innovationsdynamik beziehen.
Abb. 71 Für das Jahr 2035 auf Grundlage des Jahres 2013 geschätzter Bedarf an wichtigen Metallen (Marscheider-
Weidemann et al. 2016)
Eigenschaften Silberweiß glänzendes Holmium Abb. 72 Bei Arjeplog (Schweden, oben) und Kittilä
ist weich, form- und schmiedbar. Es besitzt außer- (Finnland, unten), gelegen in Lappland, einer der Regionen
mit größeren Vorkommen an Seltenerden (Sicius-Hahn
gewöhnliche magnetische Eigenschaften. Sein
2018)
Ferromagnetismus ist wesentlich stärker als der
des Eisens. Mit 10,6 μB besitzt Holmium das
höchste magnetische Moment eines natürlich vor-
kommenden chemischen Elements. Mit Yttrium
nen Verbindungen liegt es fast ausnahmslos in der
kann man es zu magnetischen Legierungen schmel-
Oxidationszahl +3 vor.
zen. Holmium ist unter Standardbedingungen para-
magnetisch und wird unterhalb einer Temperatur
Verbindungen
von 253 C (20 K) ferromagnetisch (Gupta und
Chalkogenverbindungen Erst 1911 gelang die
Krishnamurthy 2005; s. Tab. 14).
Reindarstellung von Holmium-III-oxid (Ho2O3).
In trockener Luft ist Holmium einigermaßen
Man gewinnt dieses heute durch Verbrennen metal-
beständig, in feuchter oder warmer Luft läuft es
lischen Holmiums im Sauerstoffstrom oder durch
als unedles Metall aber unter Bildung einer gelb-
die thermische Zersetzung von Holmiumnitrat
lichen Oxidschicht schnell an. Bei Temperaturen
(Meyer und Morss 1991, S. 195) oder -oxalat:
oberhalb von 150 C verbrennt es an der Luft zum
Oxid (Ho2O3). Mit Wasser reagiert es schon in der Ho2 ðC2 O4 Þ3 ! 2 Ho2 O3 þ 6 CO
Kälte langsam unter Entwicklung von Wasserstoff
zum Hydroxid. In Mineralsäuren löst es sich Holmium-III-oxid schmilzt bzw. siedet bei
zügig unter Bildung von Wasserstoff auf. In sei- Temperaturen von 2330 C bzw. 3900 C und
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 937
weist eine Dichte von 8,4 g/cm3 auf. Der hellgelbe Ultraviolett- bzw. Infrarotlichtes adsorbiert Hol-
Feststoff (s. Abb. 73) ist kaum löslich in Wasser, mium-III-oxid in gewissen Frequenzfenstern die
aber wohl in Säuren unter Bildung von Holmium- jeweilige Strahlung stark und wird daher in opti-
III-salzen, die wie die meisten Salze der trivalen- schen Filtergläsern verwendet (Allen 2007).
ten Lanthanoide in wässriger Lösung schwach Holmium-III-sulfid (Ho2S3) ist ein graues Pul-
sauer reagieren. Im Wellenlängenbereich des ver der Dichte 5,92 g/cm3 und im Handel in Rein-
938 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
das Erhitzen der hydrolyseempfindlichen Verbin- der 5N-Ware (99,999 %) US$ 75 (!) (Chemsavers,
dung mit Ammoniumbromid überführt sie ohne September 2017).
Zersetzung in das wasserfreie Salz. Jenes ist stark Sonstige Verbindungen Es gibt verschiedene
hygroskopisch, schmilzt bzw. siedet bei 919 C Holmiumcarbide, deren Zerfall bei hoher Tempe-
bzw. 1470 C, hat eine Dichte von 4,85 g/cm3 ratur bereits von Wakefield untersucht wurde
und kristallisiert in einer trigonaler Struktur. (1961). So existiert ein Holmiumdicarbid (HoC2),
Holmium-III-iodid (HoI3) gewinnt man in was- das bei Kontakt mit Säuren Ethin (Acetylen) frei
serfreier Form durch Umsetzung der Elemente setzt, aber auch die ebenfalls hydrolyseempfindli-
Holmium und Iod miteinander (Brauer 1975b, chen Ho2C3 und Ho3C.
S. 1077). Eine weitere Methode geht von der unter Holmiumdisilicid (HoSi2) ist ein graues Pulver
Vakuum und bei ca. 500 C durchgeführten der Dichte 7,1 g/cm3. Diese Verbindung sowie
Reaktion von Holmium mit Quecksilber-II-iodid generell das System Holmium-Silicium mit eini-
aus. Die wasserfreie Verbindung bildet hellbraune gen anderen intermediären Siliciden sind seit län-
Kristalle (s. Abb. 77), hat die Dichte 5,4 g/cm3 gerem Gegenstand intensiver Forschung (Perkins
und den für ein Metalltriiodid relativ hohen et al. 2005, s. auch Abb. 78; Kitayama et al. 2001;
Schmelzpunkt von 994 C. Seine Kristallstruktur Goncharuk et al. 2011).
ist ein Schichtengitter mit trigonal angeordneten Holmiumboride gibt es ebenfalls mehrere, die
Elementarzellen (Bismut-III-iodid-Typ). Ein Ein- im Handel sowohl als Pulver als auch in Form von
satzgebiet des Holmium-III-iodids ist in Metall- Sputtertargets erhältlich sind [darunter HoB4 oder
dampflampen (Flesch 2007). Holmiumhexaborid (HoB6)]; Anwendung dieser
Pnictogenverbindungen Holmium-III-nitrid (HoN) hochschmelzenden Verbindungen sind Halbleiter
ist ein grauer, harter, bei hoher Temperatur und Keramiken.
schmelzender Feststoff, der durch Erhitzen fein
verteilten Holmiums in einer Stickstoffatmosphä-
re erzeugt werden kann. Holmium-III-phosphid Anwendungen Seine hervorragenden magneti-
(HoP) ist durch Überleiten gasförmigen gelben schen Eigenschaften prädestinieren Holmium
Phosphors über erwärmtes, in Pulverform vorlie- für zahlreiche Anwendungen. In Polschuhen von
gendes Holmium zugänglich und ist ebenfalls ein Hochleistungsmagneten ist es ebenso enthalten
Halbleiter, der in Laserdioden und anderen Hoch- wie in Magnetblasenspeichern, in denen es in
energie- bzw. -frequenzanwendungen eingesetzt Form von in sehr dünner Schicht aufgebrachten
wird. Die magnetischen Übergänge dieser Verbin- Legierungen mit Eisen, Kobalt und Nickel zum
dung untersuchte schon Furrer (1976). Holmium- Einsatz kommt (Jiles 1998; Hoard et al. 1985). In
III-arsenid (HoAs) ist ein bei Raumtemperatur Steuerstäben von Brutreaktoren ist es als Absor-
ebenfalls fester Halbleiter und wird in lichtopti- ber für thermische Neutronen prinzipiell einsetz-
schen Modulen eingebaut, jedoch kosten 250 mg bar, jedoch sind die ihm verwandten Elemente
Gadolinium und Dysprosium hier leistungsfähi-
ger und auch wirtschaftlicher.
In Granaten für Festkörperlaser wird es weithin
verwendet als Dotiermittel [Yttrium-Eisen (YIG),
Yttrium-Aluminium (YAG), Yttrium-Lithium-
Fluorid (YLF)]. Sie emittieren IR-Licht einer
Wellenlänge von 2100 nm und werden in der
Medizin und Optik eingesetzt (Gupta und Krish-
namurthy 2005).
Holmiumoxid verwendet man zur Erzeugung
gelben Glases, wegen seiner auf einen engen Wel-
lenlängenbereich begrenzten Lichtabsorption zu-
Abb. 77 Holmium-III-iodid 99,9 % (Onyxmet 2018) dem als Kalibriersubstanz für Fotometer.
940 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 78 Holmiumsilicide
unter dem Scanner-Tunnel-
Mikroskop (Perkins et al.
2005)
241 C (32 K) und 193 C (80 K) und oberhalb chen oder Sputtertargets angeboten und spezifisch
von 193 C paramagnetisch (Jackson 2000a). in der Infrarotdetektion und -Fotografie eingesetzt
In Luft läuft Erbium grau an, ist dann aber wird. Mit geringen Mengen an Erbium dotiertes
relativ beständig. Bei erhöhter Temperatur ver- Zinn-II-selenid zeigt eine Selbstkompensierung
brennt es zum Sesquioxid (Er2O3). Mit Wasser (Huseynov et al. 2013).
reagiert es, wie namentlich alle Lanthanoide nied- Erbium-III-tellurid (Er2Te3) schmilzt bei einer
rigerer Ordnungszahl, unter Wasserstoffentwick- Temperatur von 1213 C, hat die Dichte 7,11 g/cm3
lung zum Hydroxid. In Mineralsäuren löst es sich und kristallisiert orthorhombisch. Aus der Ver-
ziemlich schnell unter Bildung von Wasserstoff bindung hergestellte Quantenpunkte („Quantum
und Erbium-III-verbindungen auf. In seinen Ver- Dots“), also Nanokristalle, haben im Wellenlän-
bindungen liegt es fast ausschließlich in der Oxi- genbereich zwischen 490 und 740 nm einen relativ
dationsstufe +3 vor, die Er3+ -Kationen bilden in engen Emissionsbereich. Anwendungen bestehen
Wasser rosafarbene Lösungen. Feste Salze des in Solarmodulen und der Optik.
Erbiums sind ebenfalls rosa gefärbt. Halogenverbindungen Erbium-III-fluorid (ErF3)
gewinnt man durch Reaktion von Erbium mit Fluor
Verbindungen oder durch die von Flusssäure mit Erbium-III-chlo-
Chalkogenverbindungen Erbium-III-oxid (Er2O3) rid (Herzfeld und Korn 2012, S. 90). Die rosafar-
gewinnt man durch Verbrennung von Erbium an bene Verbindung (s. Abb. 80) schmilzt bei einer
Luft. Das pinkfarbene, leicht hygroskopische Pul- Temperatur von 1146 C (Siedepunkt der Schmelze:
ver (s. Abb. 79) schmilzt bei einer Temperatur von 2200 C) und hat eine Dichte von 7,81 g/cm3.
2344 C (Siedepunkt der Schmelze: 3920 C) und Erbium-III-fluorid ist nahezu unlöslich in Wasser
hat die Dichte 8,64 g/cm3. Erstmals in reiner Form und kristallisiert orthorhombisch.
hergestellt wurde es erst 1905 (Ihde 1970, S. 377). Erbium-III-chlorid (ErCl3) ist in wasserfreier
Die in Wasser nahezu unlösliche Verbindung Form auf mehreren Wegen zugänglich. Entweder
kristallisiert kubisch. Man verwendet sie zur Fär- durch Umsetzung von Erbium-III-oxid oder -car-
bung von Gläsern und Keramik. Erbium-III-oxid bonat mit Ammoniumchlorid (Brauer 1975b,
absorbiert wie andere Seltenerdmetalloxide stark S. 897), des Weiteren durch Auflösen von Erbium
Infrarotlicht; daher setzt man es zur Produktion in Salzsäure und Entwässern des dabei gebildeten
von in der Glas- und Stahlindustrie benutzten Hydrates mit Thionylchlorid oder aber natürlich
Schutzbrillen ein. durch Reaktion der Elemente Erbium und Chlor
Das gelbweiße Erbium-III-sulfid (Er2S3) schmilzt miteinander.
bei einer Temperatur von 1730 C, hat eine Dichte Das wasserfreie Salz schmilzt bei 774 C (Sie-
von 6,07 g/cm3 und wird von einigen Herstellern depunkt: 1500 C), hat eine Dichte von 4,1 g/cm3
(Lorad Chemical Corp., American Elements) ange- und ist ein hygroskopischer, rosafarbener Fest-
boten. Das Einsatzgebiet liegt auch hier zumeist in stoff; das Hexahydrat hat eine noch intensivere
Halbleitern; dasselbe gilt auch für Erbium-III-sele- Farbe (s. Abb. 81). Beide Verbindungen sind gut
nid (Er2Se3), einem kristallinen Feststoff, der wie löslich in Wasser und haben jeweils monokline
alle vergleichbaren Seltenerdsulfide und -selenide Kristallstruktur (D’Ans und Lax 2007). Erbium-
sowohl in Stücken, als Pulver, in Form von Plätt-
Abb. 84 a Erbium-III-
nitrat-Pentahydrat 99,99 %
(Onyxmet 2018). b Erbium-
III-sulfat (Onyxmet 2018)
6.16 Thulium
scher Strukturen und die Darstellung der
Geschichte Die Entdeckung des Thuliums er- ersten Edelgasverbindungen. Er war Mit-
folgte erst weit in der zweiten Hälfte des 19. verfasser von Lehrbüchern für Anorgani-
Jahrhunderts, obwohl Forscher wie Mosander sche Chemie („Biltz-Klemm-Fischer“), da-
und de Marignac schon viel früher mit thulium- rüber hinaus Präsident der Gesellschaft
haltigen Erden arbeiteten, ohne zu wissen, dass Deutscher Chemiker, Rektor der Universität
diese das Element enthielten. Als Cleve (Kurzbio- Münster und von 1965 bis 1967 Präsident
grafie siehe „Praseodym“) 1879 Absorptions- der IUPAC. Außerdem war er Mitglied eini-
ger Akademien und einer der Herausgeber
spektren erbium- und ytterbiumhaltiger Proben
der Zeitschrift für anorganische und allge-
untersuchte, fand er, dass diese einige bis dahin
meine Chemie sowie des Chemischen Zen-
unbekannte Banden zeigten. Diese wies er zwei
tralblatts.
neuen Elementen zu, die er auch gleich mit den
heute noch gültigen Namen bezeichnete: Hol-
mium und Thulium. Soret (Kurzbiografie siehe
Gewinnung Nach der schon für die vorangegan-
„Holmium“) hatte anhand der gleichen Proben
genen Seltenerdmetalle dargelegten Methode wird
vorher und unabhängig von Cleve das Vorhanden-
auch hier das sehr reine Thuliumoxid durch
sein eines neuen Elements, des Holmiums postu-
Reaktion mit einem reaktiveren Metall, als es
liert, nicht aber auf Thulium verwiesen (Cleve
Thulium ist, reduziert. Allerdings gelangt hier
1879, 1880).
Lanthan und nicht Calcium zum Einsatz. Die hohe
James isolierte Thulium 1911 durch mehrtau-
Exothermie dieser Reaktion ermöglicht es, dass
sendfache fraktionierte Kristallisation der Bro-
aus dem Reaktionsgemisch heraus Thulium direkt
mate des Erbiums, Thuliums und Ytterbiums
absublimiert werden kann.
(James 1911). Noch einmal 25 Jahre später gelang
Klemm und Bommer die Darstellung reinen Thu-
liums durch Reaktion von Kalium mit Thulium- Eigenschaften Silbergraues Thulium ist sehr
III-chlorid bei einer Temperatur von ca. 250 C weich, gut dehn- und schmiedbar. Es kristalli-
(Klemm und Bommer 1937). siert bei Raumtemperatur in der stabileren
hexagonalen Modifikation (β-Tm), daneben
gibt es noch eine tetragonale Form (α-Tm)
Der englische Chemiker Charles James (Hammond 2000). Das Metall ist ferromagne-
(* 27. April 1880 Earls Barton; † 10. tisch unterhalb von 248 C (25 K), antiferro-
Dezember 1928 unbekannt) bearbeitete an magnetisch zwischen 248 C (25 K) und
der University of Hampshire die Trennung 217 C (56 K) und paramagnetisch oberhalb
der Seltenerdmetalle durch fraktionierte von 217 C (56 K) (Jackson 2000b)
Kristallisation. Ihm gelang ebenfalls die (s. Tab. 16).
Isolierung und Charakterisierung des Lute- In trockener Luft ist Thulium ziemlich
tiums. beständig, in feuchter Luft läuft es grau an. Bei
erhöhter Temperatur verbrennt es, wie alle ande-
Wilhelm Karl Klemm (* 5. Januar 1896 ren Lanthanoide auch, zum Sesquioxid
Guhrau; † 24. Oktober 1985 Danzig) stu-
(Tm2O3). Mit Wasser reagiert es unter Wasser-
dierte Chemie in Breslau. 1933 wurde er
stoffentwicklung zum Hydroxid, und Mineral-
zum Professor für Anorganische Chemie
säuren lösen es unter Entwicklung von Wasser-
an der Technischen Universität Danzig
stoff leicht auf. In seinen Verbindungen liegt es
ernannt. Schwerpunkte seiner Arbeit waren
die Magnetochemie, in Kooperation mit fast immer in der Oxidationsstufe +3 vor, die
Eduard Zintl die Aufklärung intermetalli- Tm3+ -Kationen bilden in Wasser pastell-bläu-
lich-grüne Lösungen.
946 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
Abb. 85 a Thulium-III-
oxid (Stanford Advanced
Materials 2017). b
Thulium-III-oxid (Sicius
2017)
erdmetalle durch Auflösen von Thulium in Brom- beispielsweise der von 2-Acetylthiophen mit
wasserstoffsäure; man kann es durch Erhitzen mit Aldehyden und Ketonen in Tetrahydrofuran, auch
Ammoniumbromid unzersetzt in die wasserfreie als Reduktionsmittel wie auch Samarium-II-iodid.
Form überführen (Brauer 1975b, S. 1077). Diese Pnictogenverbindungen Thulium-III-nitrid (TmN)
ist ebenfalls durch Überleiten von Bromdampf ist ein hochschmelzender, pulvriger, schwarzer Fest-
über erhitztes Thulium erhältlich. Der nahezu wei- stoff der Dichte 9,32 g/cm3, den man in hochtempe-
ße, stark wasseranziehende Feststoff schmilzt bei raturbeständigen Keramiken verwendet.
952 C Siedepunkt der Schmelze: 1440 C und Die höheren Pnictogenide sind, wie auch dieje-
kristallisiert im trigonalen Eisen-III-bromid-Typ. nigen der anderen Lanthanoide, eher für die Her-
Dunkelgrünes Thulium-II-bromid (TmBr2) ist stellung von Halbleitern wichtig. Sputtertargets
durch Reduktion von Thulium-III-bromid mit haben höchstmögliche Reinheit und Dichte sowie
Thulium im Vakuum bei hohen Temperaturen kleinstmögliche Korngröße. Die bei Raumtempe-
(ca. 900 C) zugänglich (Brauer 1975b, S. 1081). ratur ebenfalls dunkelgrauen bis schwarzen Thu-
Die gegenüber Wasser und Luft sehr empfindliche lium-III-phosphid (TmP) und Thulium-III-arsenid
Verbindung muss unter trockenem Schutzgas ge- (TmAs) gehen sowohl in Halbleiter und als auch in
handhabt werden. durch Aufdampfen erzeugte, dünne Beschichtun-
Thulium-III-iodid (TmI3) erhält man durch gen für die Display- und optische Technik. Die
Umsetzung von Thulium mit Iod. Der gelbe Fest- Gitterstrukturen dieser Verbindungen und die des
stoff (s. Abb. 87) ist stark hygroskopisch, schmilzt Thulium-III-antimonids (TmSb) (Dichte 8,61 g/cm3)
bzw. siedet bei 1015 C bzw. 1260 C und lässt prädestinieren sie für Anwendungen in infrarotemp-
sich nur bei Ausschluss auch von Spuren Wasser findlichen Kamerachips (Wijn 1998).
unzersetzt, also ohne Bildung von Hydrolysepro- Sonstige Verbindungen Thulium-III-sulfat
dukten, erhitzen. Man setzt Thulium-III-iodid in [Tm2(SO4)3] bildet jadegrüne, an feuchter Luft
Metalldampflampen ein. zerfließliche Kristalle [s. Abb. 88, Preis bei
Thulium-II-iodid (TmI2) erhält man auf ähn- Sigma-Aldrich für 1 g 99,9 %ige Ware: € 42.50.-
liche Weise, wie dies für das Dichlorid oder Di- (Oktober 2017)].
bromid schon beschrieben wurde, hier durch Durch Zusammenschmelzen von Thuliumme-
Reduktion des Triiodids mit Thulium im Vakuum tall mit Grafit im jeweiligen Mengenverhältnis
bei Temperaturen von 800 bis 900 C, oder auch sind bei hoher Temperatur diverse Thuliumcarbi-
mittels Reduktion von Quecksilber-II-iodid mit de zugänglich. Schon Emeléus und Sharpe be-
Thulium unter Luftausschluss bei rund 500 C schrieben Tm3C, Tm2C3 und TmC2 (1968).
(Brauer 1975b, S. 1077). Ebenfalls möglich ist Die Thuliumboride TmB4 und TmB6 sind sehr
die Darstellung aus stöchiometrischen Mengen harte, hochschmelzende Festkörper mit nahezu
der Elemente (Gschneidner et al. 2017). Der metallischer elektrischer Leitfähigkeit. Man ver-
schwarze Feststoff ist hygroskopisch und auch wendet sie in Keramiken, Halbleitern, Raketen-
empfindlich gegenüber Luftsauerstoff. Die bei düsen und Turbinenschaufeln; sie sind nur in
756 C schmelzende Verbindung kristallisiert im nichtoxidierenden Säuren beständig. Oxidierende
Cadmium-II-iodid-Typ. Man setzt sie als Kata- Säuren und starke Alkalien zerstören sie, vor
lysator bei pinakolartigen Kupplungen ein, wie allem beim Erhitzen.
Komplexbildner (z. B. EDTA, DTPA) vom Harz einerseits durch Verbrennen von Ytterbium im Sau-
gelöst, wodurch eine Voranreicherung erzielt wird. erstoffstrom erzeugen (Holleman et al. 2007,
Eine weitere, am Ende reines Yb3+ liefernde S. 1938), alternativ liefert auch die thermische Zer-
Trennung ist über viele nachgeschaltete Trenn- setzung von Ytterbiumcarbonat oder -oxalat bei
schritte möglich. Metallisches Ytterbium wird Temperaturen um 700 C das gewünschte Produkt
durch Elektrolyse einer Schmelze aus Ytterbium- (Meyer und Morss 1991, S. 196).
III-fluorid und Ytterbium-III-chlorid erzeugt. Dabei Ytterbium-III-oxid lässt sich durch Umsetzung
setzt man Alkali- oder Erdalkalimetallhalogenide mit Tetrachlorkohlenstoff oder mit heißer Salz-
zur Senkung des Schmelzpunktes zu. Flüssiges säure zu Ytterbium-III-chlorid umsetzen (Sebas-
Cadmium oder Zink dient als Kathode. Alternativ tian und Seifert 1998). Einsatzgebiete sind dielek-
ist es über die Reaktion von Ytterbium-III-fluorid trische Keramiken, Katalysatoren und spezielle
mit Calcium, bzw. Ytterbium-III-oxid mit Lanthan optische Gläser (Medenbach et al. 2001; Bauer
oder Cer zugänglich. Hochreines Metall gewinnt 2011).
man durch anschließende Destillation im Hochva- Die höheren Ytterbium-III-chalkogenide, die
kuum. alle durch Mineralsäuren zersetzt werden, wurden
vor allem von Babaly et al. untersucht.
Eigenschaften Ytterbium ist ein silberglänzen- Halogenverbindungen Ytterbium-III-fluorid
des, weiches Schwermetall, besitzt mit nur (YbF3) ist durch Reaktion von Flusssäure mit
6,97 g/cm3 aber eine Dichte, die viel niedriger Ytterbium-III-oxid oder -chlorid erhältlich (Brauer
ist als die der im Periodensystem benachbar- 1975a, S. 254). Die farblose Verbindung (s. Abb. 90)
ten Seltenerdmetalle Thulium bzw. Lutetium schmilzt bei einer Temperatur von 1157 C, hat
(s. Tab. 17). Ähnliches gilt für die relativ niedri- die Dichte 8,2 g/cm3 und kristallisiert bei Raum-
gen Schmelz- und Siedepunkte. Diese Werte ste- temperatur orthorhombisch (β-YbF3). Es ist
hen, wie auch beim Europium, im Widerspruch schwach löslich in Wasser und wird verbreitet in
zur sonst geltenden Lanthanoidenkontraktion. Die Gläsern eingesetzt. Ytterbiumfluorid geht außer-
Erklärung dafür ist, dass die Elektronenkonfigu- dem in zahlreiche Faserverstärker und Lichtleiter.
ration [Xe] 4f14 6s2 des Elementes nur zwei anstatt Hohe Reinheitsgrade gehen als Dotierungsmittel in
drei – wie bei den anderen Lanthanoiden – Granatkristalle, die in Lasern verwendet werden.
Valenzelektronen für metallische Bindungen zur Ytterbium-III-chlorid (YbCl3) erhält man, wie
Verfügung stellt. Die Bindungskräfte im Metall- schon oben beschrieben, aus Ytterbium-III-oxid
gitter sind daher deutlich geringer. Bei Drücken und Tetrachlorkohlenstoff oder aber heißer Salz-
von >16.000 bar wird Ytterbium zum Halbleiter. säure (Sebastian und Seifert 1998). Das bei letz-
Ytterbium ist ein unedles Metall, das bei terer Synthese anfallende Hydrat kann man nur
erhöhter Temperatur mit Nichtmetallen wie Sau- durch Erhitzen im Chlorwasserstoffstrom auf
erstoff, Halogenen, Schwefel und Stickstoff ca. 350 C unzersetzt in die wasserfreie Form
reagiert. An trockener Luft oxidiert es oberfläch- überführen. Sowohl die wasserfreie Form als auch
lich und langsam, schneller bei Anwesenheit von das Hydrat sind farblos (s. Abb. 91).
Feuchtigkeit. Fein verteiltes metallisches Ytter- Das wasserfreie Salz schmilzt bei 703 C, hat
bium ist, wie die anderen Seltenerdmetalle auch, die Dichte 2,57 g/cm3 (Siedepunkt der Schmelze:
an Luft und unter Sauerstoff selbstentzündlich. 1900 C) und kristallisiert in einer Schichtstruk-
tur, die dem des kubisch strukturierten Alumi-
Verbindungen niumchlorids entspricht (Chervonnayi und Cher-
Chalkogenverbindungen Ytterbium-III-oxid (Yb2O3) vonnaya 2004). Es verhält sich auch ähnlich zu
ist ein bei 2355 C schmelzender, weißer Feststoff diesem in seiner Funktion als Lewis-Säure und
(s. Abb. 89) der Dichte 9,17 g/cm3; nur hinsichtlich katalysiert bestimmte organische Reaktionen wie
der Dichte seiner Verbindungen reihen sich Ytter- die Aldolsynthese sogar wesentlich besser als
bium und auch Europium also perfekt in die Reihe bekannte Lewis-Säuren wie Aluminium-III- oder
der Lanthanoiden ein. Die Verbindung kann man Eisen-III-chlorid, nur ist demgegenüber sein
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 951
hoher Preis fast prohibitiv. Zudem verkürzt es die de hergestellt werden können, erheblich (Schaus
erforderliche Reaktionszeit der Pictet-Spengler- et al. 2004; Srinivasan und Ganesan 2003).
Reaktion zur Gewinnung von Tetrahydro-Beta- Zudem beschleunigt das relativ kleine Yb3+-Ion
Carbolinen, aus denen synthetische Indolalkaloi- Aldol-Synthesen stark; diese verlaufen im Unter-
952 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
genüber Hydrolyse. Ein deutscher Lieferant rungen. Ytterbium-II-iodid kann wie das analoge
von Sputtertargets auf Basis der Nitride der Lan- Samarium-II-iodid als starkes Reduktionsmittel
thanoiden ist Metallic Flex. eingesetzt werden. Ytterbium-III-fluorid verwen-
Ytterbium-III-phosphid (YbP) ist ein metallisch det man zur Verhinderung von Karies in der Zahn-
glänzender Feststoff, der durch Einleiten von medizin. Es setzt kontinuierlich Fluorid frei, das
Phosphan (PH3) in eine Lösung von Ytterbium in den Zahnschmelz eingebaut wird.
in flüssigem Ammoniak synthetisiert werden
kann (Pytlewski und Howell 1967). Einsatzgebiet
ist auch hier die Halbleiterindustrie.
Sonstige Verbindungen An stabilen Ytterbium- Patente
carbiden sind Yb3C, Yb15C19 Stelle genannte Yt- (Auswahl aktueller Patente aus https://
terbiumacetylid und YbC2 bekannt; die Kristall- worldwide.espacenet.com)
strukturparameter dieser Verbindungen wurden
von Gschneidner und Calderwood zusammen I. Samartsev und M. Leonardo, Broadband
gefasst (1986). Letztes geht in besondere Kerami- red light generator for RGB display (IGB
ken. Beide Verbindungen sind empfindlich gegen- Photonics Corp., MX 2017003539 A,
über Säuren. veröffentlicht 16. Oktober 2017)
Ytterbiumhexaborid (YbB6) ist ein grauer, sehr M. Piz und E. Filipek, New type phase of
harter, hochschmelzender Feststoff, der in spezi- restricted solid solution in the triple sys-
ellen Keramiken verarbeitet wird [beispielsweise tem of vanadium, ytterbium and yttrium
bietet Nordic Biolabs das Produkt an; Preis für oxides and method for producing new
100 mg: SEK 852.- (Oktober 2017)]. type phase of restricted solid solution in
the triple system of vanadium, ytterbium
Anwendungen Ytterbium und seine Verbindun- and yttrium oxides (Zachodniopomorski
gen setzt man technisch nur in geringen Mengen Univ. Technologiczny w Szczecinie, PL
ein. Als Bestandteil in bestimmten Legierungen 417368 A1, veröffentlicht 4. Dezember
verbessert es die Kornfeinung, Festigkeit und 2017)
mechanischen Eigenschaften rostfreien Stahls. Z. Zhao und Y. Kobayashi, Solid-state laser
Geprüft wird Ytterbium-III-oxid aktuell wegen apparatus, fiber amplifier system, and
seiner starken Abstrahlungsleistung von Infrarot- solid-state laser system (University of
licht unter gegebenen Versuchsbedingungen als Tokyo, Gigaphoton, Inc., US 2017338617
Ersatz für Magnesiumoxid in schweren Wirkla- A1, veröffentlicht 23. November 2017)
dungen für kinematische Infrarottäuschkörper.
70Yb wird als γ-Strahler in der Radiografie
169
spätere Lutetium) und Aldebaranium (das spätere Oxids her, davon geht ein Teil in Sputtertargets
Ytterbium) gab, ohne aber reine Stoffe daraus (s. Abb. 92). Dessen Kristallstruktur ist kubisch,
isolieren zu können. James gewann durch fraktio- wie dies auch für die entsprechenden Oxide der
nierte Kristallisation von Ytterbiummagnesiumnit- anderen schweren Lanthanoide beobachtet wird
rat im gleichen Jahr 1907 reines Lutetiumsalz, aber (Holleman et al. 2007, S. 1941).
Urbain legte die Ergebnisse seiner Forschung früh- Einige Anwendungen für Lutetium-III-oxid
zeitiger vor und erhielt später auch das Recht zur sind der jeweils komponentenweise Zusatz in
Namensgebung. Spezialgläsern (Medenbach et al. 2001), La-
serlichtquellen, ferner der als Katalysator bei
Gewinnung Wie für Ytterbium schon erwähnt, Reaktionen von Alkanen und Alkenen (Poly-
ist auch hier die Ionenchromatografie die erfolg- merisation, Cracken, Alkylierungen) und – trotz
versprechendste Methode. Das am Ende dieser seines hohen Preises – als Szintillationsmaterial in
Trennoperationen anfallende Lutetium-III-oxid der Medizin (Chang 2006).
wird zu Lutetium-III-fluorid umgesetzt, das mit Lutetium-III-sulfid (Lu2S3), -selenid und -tellu-
Calcium bei ca. 1400 C zu rohem Lutetiummetall rid sind sämtlich kristalline Feststoffe, die man
reduziert wird. Eine Feinreinigung erfolgt durch vereinzelt in Halbleitern einsetzt.
Umschmelzen im Hochvakuum. Halogenverbindungen Auf bekanntem Weg
kann man Lutetium-III-fluorid (LuF3) herstellen,
Eigenschaften Lutetium ist das letzte Element also aus Lutetium-III-oxid und Fluorwasserstoff
der Reihe der Seltenerdmetalle und leitet in seinen oder durch Reaktion von Flusssäure mit Lute-
physikalischen Eigenschaften zum benachbarten tium-III-chlorid (Brauer 1975a, S. 254).
Hafnium über. Lutetium ist ein weiches, silber- Der geruchlose weiße Feststoff (s. Abb. 93) hat
glänzendes Schwermetall und besitzt infolge der einen relativ hohen Schmelzpunkt (1182 C, Sie-
Lanthanoidenkontraktion mit 175 pm den kleins- depunkt der Schmelze: 2200 C) wie alle Fluoride
ten Atomradius, mit 9,84 g/cm3 die höchste der Seltenerdmetalle. Die Verbindung ist kaum
Dichte sowie die höchsten Schmelz- (1652 C) löslich in Wasser und kristallisiert orthorhom-
und Siedepunkte (3402 C) aller Seltenerdmetalle bisch. Man setzt sie gelegentlich in Szintillations-
(s. Tab. 18). zählern ein.
Auch Lutetium ist ein unedles Metall, das vor Wasserfreies Lutetium-III-chlorid (LuCl3) ist
allem bei höheren Temperaturen mit den meisten durch Umsetzung der Elemente oder durch
Nichtmetallen reagiert. An trockener Luft oxidiert Reaktion von Lutetium-III-oxid oder -carbonat
es langsam, schneller bei Anwesenheit von mit Ammoniumchlorid erhältlich (Brauer 1975b,
Feuchtigkeit. Metallisches Lutetium ist in feinver- S. 897). Auflösen von Lutetium in Salzsäure liefert
teiltem Zustand brennbar. In Wasser löst sich das Hexahydrat, das aber durch Erhitzen mit
Lutetium nur langsam, in Säuren schneller unter Thionylchlorid in die wasserfreie Form überführ-
Wasserstoffbildung (Krebs 2006). In Lösung lie- bar ist; diese schmilzt bzw. siedet bei 925 C bzw.
gen immer dreiwertige, farblose Lu3+ -Ionen vor. 1480 C, kristallisiert monoklin und hat eine
Dichte von 3,98 g/cm3. Sowohl die wasserfreie
Verbindungen Form als auch das Hexahydrat sind farblose Fest-
Chalkogenverbindungen Lutetium-III-oxid (Lu2O3) stoffe (s. Abb. 94), die leicht in Wasser löslich sind.
ist ein nahezu wasserunlösliches, weißes, leicht hy- Das ebenfalls weiße, stark hygroskopische
groskopisches Pulver vom Schmelzpunkt 2487 C Lutetium-III-bromid (LuBr3) stellt man in seiner
(Siedepunkt der Schmelze: 3980 C) und der Dichte wasserfreien Form durch Reaktion von Lutetium
9,42 g/cm3, das man entweder durch Verbrennen mit Bromwasserstoff her. Die Verbindung hat den
von Lutetium an der Luft oder durch thermische relativ hohen Schmelz- bzw. Siedepunkt 1025 C
Zersetzung von Lutetiumcarbonat oder -oxalat bzw. 1410 C kann durch Reaktion von Lutetium
erzeugt (Krebs 2006). Jährlich stellt man nur mit Bromwasserstoff gewonnen werden (Brauer
wenige t des seltenen Lutetiums in Form seines 1975b, S. 1077). Die Darstellung der wasserfreien
6 Einzelne Metalle der dritten Nebengruppe (Scandium, Yttrium, Lanthan, Actinium) sowie der . . . 955
Verbindung ist auch hier möglich, indem man das Lutetium mit Quecksilber-II-iodid (Brauer 1975b,
Hexahydrat zusammen mit Amminiumbromid S. 1077). Die Verbindung schmilzt bei 1050 C
oder auch Thionylbromid erhitzt. (Siedepunkt der Schmelze: 1210 C). Eine Um-
Das braune, ebenfalls stark wasseranziehende wandlung der wasserhaltigen in die -freie Form
Lutetium-III-iodid (LuI3) erzeugt man aus Lute- erfolgt durch gemeinsames Erhitzen mit Ammo-
tium und Iod oder aber durch Umsetzung von niumiodid; ein Erwärmen ohne Zufügen des Am-
956 18 Seltenerdmetalle: Lanthanoide und dritte Nebengruppe
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Radioaktive Elemente: Actinoide
19
Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973
2 Actinoide – Geschichte und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974
3 Aufarbeitung, Trennung und Herstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975
4 Actinoide – physikalische und chemische Eigenschaften, Analytik . . . . . . . . . . 975
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1056
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 973
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https://doi.org/10.1007/978-3-662-55939-0_19
974 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Elemente teilt man in Metalle (z. B. Natrium, 5f-Orbitale fortlaufend mit Elektronen auf, so
Calcium, Eisen, Zink), Halbmetalle wie Arsen, dass sich die Elektronenkonfiguration von 5f1
Selen, Tellur sowie Nichtmetalle wie beispiels- (Thorium) bis 5f14 (Lawrencium) erstreckt.
weise Sauerstoff, Chlor, Iod oder Neon ein. Die Insgesamt werden wir in diesem Kapitel daher
meisten Elemente können sich untereinander ver- vierzehn Elemente beschreiben. Die Einzeldar-
binden und bilden chemische Verbindungen; stellungen werden alle relevanten Informationen
(so wird z. B. aus Natrium und Chlor die chemi- über diese, jeweils sehr individuellen Elemente
sche Verbindung Natriumchlorid, also Kochsalz). enthalten, so dass immer nur eine sehr kurze Ein-
Die in diesem Buch vorgestellten Actinoide leitung vorangestellt wurde.
wie z. B. Thorium, Neptunium, Berkelium oder
Nobelium sind ebenso chemische Elemente wie
die viel bekannteren Schwefel, Sauerstoff, Stick- 2 Actinoide – Geschichte und
stoff, Wasserstoff, Helium oder Gold. Vorkommen
Einschließlich der natürlich vorkommenden
sowie der bis in die jüngste Zeit hinein künstlich Die beiden einzigen in nennenswerter Menge in
erzeugten Elemente nimmt das aktuelle Perioden- der Natur vorkommenden Actinoiden sind Tho-
system der Elemente (Abb. 1) 118 Elemente auf. rium und Uran, die oder deren Verbindungen
Die vierzehn Actinoiden von Thorium bis bereits seit ungefähr 200 Jahren bekannt sind.
Lawrencium finden Sie im Periodensystem unten Alle anderen Actinoide entstehen dagegen entwe-
unter „An>“. Vom Atom des Thoriums bis zum der als Zwischenprodukte in Zerfallsreihen (Acti-
Atom des Lawrenciums füllen diese ihre sieben nium, Protactinium, Neptunium und Plutonium)
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- III VII VIII VIII VIII VIII
IA II A IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
oder wurden bislang künstlich erzeugt. Über diese 4 Actinoide – physikalische und
sämtlich metallischen Elemente wird in den Ein- chemische Eigenschaften,
zelkapiteln berichtet. Analytik
Sämtliche Actinoide sind sehr reaktionsfähige
Metalle. Daher kommen auch die in der Natur 4.1 Physikalische Eigenschaften
vorkommenden Thorium, Uran und die Spuren-
metalle Protactinium, Neptunium und Plutonium In der Gruppe der Actinoide werden die 5f-Niveaus
nicht elementar vor, sondern nur in Form ihrer schrittweise bei gleichzeitigem Vorliegen besetzter
chemischen Verbindungen. äußerer Unterschalen (6s2, 6p6, 7s2, teilweise 6dn,
n = 1 oder 2) aufgefüllt. Sie sind chemisch wesent-
lich stärker differenziert als die Elemente der homo-
3 Aufarbeitung, Trennung und logen Lanthanoidengruppe (Gruppe der Seltenerd-
Herstellung metalle), was namentlich für die Elemente von
Thorium bis Plutonium gilt. Mit Ausnahme von
Falls die Notwendigkeit besteht, verschiedene in Thorium bilden sämtliche Actinoide An3+-Ionen,
wässriger Lösung vorhandene Actinoide vonei- deren Farben sich wie die der Lanthanoidkationen
nander zu trennen, kommt wegen ihrer Ähnlichkeit in charakteristischer Weise ändern. Die Absorpti-
zu den Lanthanoiden prinzipiell die Anwendung onsspektren der An3+-Ionen sind durch schmale,
derselben Trennverfahren oder leicht hierzu abge- aber intensivere Banden als die der homologen Sel-
wandelter Prozesse in Betracht. Die Ähnlichkeit tenerdmetallionen charakterisiert.
der chemischen Eigenschaften der Actinoide (An) Weitere Analogien zwischen Actinoiden und
macht ihre Trennung in jedem Falle aufwändig und Lanthanoiden sind die mehr oder weniger gleich-
teuer. mäßige Abnahme der Ionenradien der An3+-Ionen
Zur Trennung der leichteren Actinoide (abge- mit steigender Kernladungszahl (Actinoidenkon-
kürzt als „An“) nutzt man die deutlichen Unter- traktion), viele Verbindungen beider Gruppen
schiede in der Stabilität der verschiedenen Oxida- sind zueinander isomorph [z. B. Trichloride
tionsstufen dieser Elemente, während für die (AnCl3/LnCl3), Dioxide (AnO2/LnO2)], ferner in
Trennung schwererer Actinoide, wie auch bei ähnlichen magnetischen Eigenschaften von An3+-
den Lanthanoiden, die Ionenaustauschchromato- und Ln3+-Ionen sowie im vergleichbaren Verhal-
grafie unter Nutzung der Actinoidenkontraktion ten bei Ionenaustauschprozessen.
eingesetzt wird. An3+-Ionen werden von Katio- Andere physikalische Eigenschaften wie Dichte,
nenaustauschern umso fester gebunden, je kleiner Schmelzpunkte, magnetische Momente oder Farbe
ihre Kernladungszahl ist, während die Extraktion der dreiwertigen Ionen unterliegen teils periodi-
mit Komplexbildnern, wie Citrat, Lactat oder schen Änderungen, jedoch gibt es von den Elemen-
α-Hydroxyisobutyrat bevorzugt für die durch ten Thorium bis Plutonium zum Teil gravierende
kleinere Ionenradien gekennzeichneten schweren Abweichungen von der Regel. Die Eigenschaften
An3+-Ionen erfolgt. Die Actinoidionen erscheinen der schwersten Actinoide, etwa ab Einsteinium, sind
im Eluat daher in der Reihenfolge Lr3+, No3+. . . durch deren starke Radioaktivität erheblich beein-
Bk3+, Cm3+. flusst, was sich vorrangig auf die Schwächung der
Aus abgebrannten, in wässrige Lösung einge- Gitterkräfte im Metall und in seinen Verbindungen
brachten Kernbrennstoffen kann man einzelne auswirkt. Alle Daten sind in den Tabellen im zwei-
Actinoide auch mittels der Flüssig-flüssig-Ex- ten Teil dieses Buches enthalten.
traktion isolieren.
Metallische Actinoide kann man generell
durch Reduktion ihrer wasserfreien Fluoride 4.2 Chemische Eigenschaften
AnF3 oder AnF4 mit Magnesium- oder Lithium-
Calcium-Dampf bei 1100 bis 1400 C oder durch Die am häufigsten vorkommende Oxidationsstufe
Schmelzflusselektrolyse gewinnen. der Actinoide ist +3, daneben existieren die Oxi-
976 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
dationsstufen +4 für Thorium bis Curium (Ord- und Schmidt, dass Thorium radioaktiv ist, und
nungszahlen 90 bis 96), +5 für Protactinium bis 1914 wurde Thorium erstmalig in reiner Form
Americium (Ordnungszahlen 91 bis 95), +6 (Uran dargestellt (Lely und Hamburger 1914; Van Arkel
bis Americium, Ordnungszahlen 92 bis 95) und und De Boer 1925).
sogar +7 (Neptunium und Plutonium, Ordnungs-
zahlen 93 und 94).
Actinoide sind reaktionsfähige Metalle, die Der dänische Geologe und Mineraloge Jens
leicht oxidiert werden und somit starke Reduk- Esmark (* 31. Januar 1763 Houlbjerg; †
tionsmittel sind. Dies wird an ihren negativen Nor- 26. Januar 1839 Christiania/Oslo) studierte
malpotenzialen E0 für die Reaktion An3++ 3 e ! ab 1784 Medizin und Naturwissenschaften
An im Bereich von 1,6 bis 2,3 V deutlich. Sie in Kopenhagen. Danach studierte er Jura
reagieren schon mit Wasser und verdünnten Säu- und Geometrie, ging 1791 zur sächsischen
ren unter Entwicklung von Wasserstoff, mit Nicht- Bergakademie Freiberg und studierte in
metallen (z. B. Sauerstoff, Chlor, Stickstoff) bei Chemnitz Mineralchemie. 1797 kehrte er
erhöhter Temperatur meist heftig zu Oxiden nach Dänemark zurück und wurde zunächst
An2O3, Chloriden AnCl3 und Nitriden AnN. Oberbergamts-Assessor in Kongsberg, bevor
Daher treten die Actinoidmetalle nur che- er dort ab 1802 den Lehrstuhl für Physik,
misch gebunden und oft miteinander vergesell- Chemie und Mineralogie übernahm. 1814
schaftet in der Natur auf, falls sie denn dort erhielt er den Ruf der Universität Christia-
nia/Oslo für den Lehrstuhl der Mineralogie.
überhaupt vorkommen. Die oft schwer wasser-
Er war einer der ersten Wissenschaftler, die
löslichen Fluoride AnF3 erhält man am besten
die Auswirkung der letzten Eiszeit auf die
mittels Fällung aus schwach sauren Lösungen.
Bildung der Gebirge in Zentraleuropa rich-
Die Oxalate An2(C2O4)3 n H2O sind, ebenso
tig beschrieben. Ab 1800 war er Mitglied
wie die der Erdalkalimetalle, meist schwer lös- der Dänischen Akademie der Wissenschaf-
lich in wässrigen Medien und können aus ver- ten, ab 1825 der Königlich Schwedischen
dünnter salpetersaurer Lösung gefällt werden. Akademie der Wissenschaften (Bryhni 2009).
so liegt es in Form verschiedener Hydrate vor; man Man verwendet Thorium-IV-fluorid im Wesent-
kann das Hemihydrat durch Erhitzen auf 400 C in lichen zur Herstellung metallischen Thoriums und
die wasserfreie Verbindung umwandeln. Thorium- von Hochtemperaturkeramiken. Darüber hinaus
IV-fluorid ist sehr durchlässig für sichtbares und geht es in optische Anwendungen (Willey 2002,
UV-Licht; seine Einkristalle haben einen niedrigen S. 276) und ist eine mögliche Ausgangsverbindung
Brechungsindex. zur Herstellung von Kohlebogenlampen.
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 979
Krämpfen und Kreislaufkollaps. Die emittierte rium in MOX-Brennelementen lief seit April 2013
radioaktive Strahlung, die mehrheitlich aus α- im norwegischen Forschungsreaktor Halden. Ziel
Strahlung besteht, ist ebenfalls gefährlich. Einge- war es, das Verfahren in kommerziellen Kernkraft-
atmeter Staub kann im Körper akkumuliert wer- werken anzuwenden und dabei auch den Einsatz
den. Im Versuch an Mäusen bewirkte eine orale des Plutoniums zu reduzieren (Peggs et al. 2012;
Gabe in hoher Dosis tödliche Magen- und Darm- World Nuclear Association 2013). Diese fünfjähri-
geschwüre (Witten et al. 1951; Natkunarajah und ge Testreihe wurde inzwischen beendet mit guten
Cliff 2009). Thorium-IV-nitrat war früher noch und erwartbaren Ergebnissen, dies zudem ohne
wichtig zur Herstellung von Glühstrümpfen für nennenswerte Zwischenfälle. Die in Halden Ver-
Gaslampen, wurde aber zwischenzeitlich durch antwortlichen hätten die neuen thoriumhaltigen
nichtradioaktive und daher meist ungefährlichere Pellets gerne in einem kommerziell arbeitenden
Materialien ersetzt. Reaktor getestet, nur sahen sie wegen der aktuell
geringen Akzeptanz der Kernenergie zunächst
Anwendungen Thorium setzte man in Form sei- kaum Möglichkeiten hierfür. Die Betreiber der
nes Dioxids zur Herstellung von Glühstrümpfen ein. Kernreaktoren hielten erst einmal an der bewähr-
Jene stellte man her, indem man Stoffgewebe mit ten, auf Uran basierenden Technologie fest. Even-
einer 99 % Thorium- und 1 % Cernitrat enthalten- tuell ergibt sich in der Zukunft wieder eine Chance
den Lösung tränkte und dann anzündete. In der (Røst 2019); eventuell ist diese „Thorium-Techno-
Hitze zersetzte sich Thorium-IV-nitrat unter Abspal- logie“ in anderen Anwendungen einsetzbar. Auch
tung von Stickoxiden zu Thorium-IV-oxid. Jenes das Konzept des beschleunigergetriebenen Rubbia-
verlieh der Gasflamme ein weißes Licht, das nicht tron-Reaktors basiert auf dem Einsatz von Tho-
auf die -sehr schwache- Radioaktivität des Thori- rium.
ums zurückzuführen war; es handelte sich einfach Zur Verbesserung der Zündeigenschaften der
um ein chemisch angeregtes Leuchten. Wegen der beim Wolfram-Inertgas-Schweißen (WIG-Schwei-
Radioaktivität des Thoriums ging man aber zwi- ßen) verwendeten Elektroden setzte man zwi-
schenzeitlich doch zu anderen Materialien über. schenzeitlich Thorium-IV-oxid in Mengen von
Thorium kann wegen seines hohen Wirkungs- 1 bis 4 % zu. Diese Verwendung ist inzwischen
querschnitts für thermische Neutronen zur Herstel- aber wegen der durch Dämpfe und Schleifstaub
lung des spaltbaren Uranisotops 23392U verwendet verbreiteten Strahlenbelastung nahezu eingestellt
werden. Aus Thorium 23290Th entsteht durch Neut- worden. Moderne WIG-Elektroden enthalten statt-
ronenbestrahlung 23390Th, das durch β-Zerfall über dessen Zusätze von Cer-IV-oxid.
Protactinium (23391 Pa) in Uran (23392U) übergeht. Als Glühelektrodenwerkstoff eingesetzter Wolf-
Die frühen Hochtemperaturreaktoren (HTR), die ramdraht wird zur Verringerung der Elektronen-
Thorium als Brennmaterial verwendeten (z. B. Austrittsarbeit mit geringen Mengen Thoriumdi-
THTR-300), bildeten aber weniger an 23392U als oxid versehen. Dies ermöglicht die Reduzierung
sie an Spaltstoff verbrauchten. Sie waren neben der der zur Erzielung einer vergleichbaren Emission
Zugabe von Thorium daher auf ständige Zufuhr nötigen Temperatur in Elektronenröhren und ver-
hochangereicherten Urans (93 % 23592U) angewie- bessert daher das Startverhalten von Entladungs-
sen. Dies war aus Sicherheitsgründen inakzepta- lampen. Im Lampenbau wird Thorium ferner als
bel, und neue Konzepte für Hochtemperaturreak- Getter in Form von Thorium-IV-oxid-Pillen oder
toren sehen die Verwendung von Thorium nicht Thoriumfolie eingesetzt.
mehr vor. Ein modern konstruierter HTR ist auf Thorium-IV-oxid setzte man früher den Glä-
Basis des klassischen U/Pu-Zyklus mit niedrig sern hochwertiger optischer Linsen zu, um jenen
angereichertem Uran aufgebaut. einen sehr hohen optischen Brechungsindex bei
Trotzdem versucht man, das schwach radio- zugleich kleiner optischer Dispersion zu ver-
aktive Thorium weiterhin zur Gewinnung von leihen (Canon Corp.). Thoriumhaltige Linsen
Energie zu nutzen. Eine auf zunächst fünf Jahre haben einen leichten, sich verstärkenden Gelb-
angelegte Versuchsreihe zur Verwendung von Tho- stich. Wegen der geringen, von thoriumhaltigem
982 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
aus Wasserstoff und Fluorwasserstoff bestehenden monoklin kristallisierender Feststoff, der auch in
Gemisch bei 600 C her (Brauer 1975, S. 1171). starken Mineralsäuren unlöslich ist.
Auch ist die reduzierende Fluorierung von Pro- Protactinium-V-chlorid (PaCl5) kann man durch
tactinium-V-oxid mit einem solchen Gasgemisch Reaktion von Protactinium-V-oxid mit Chlor und
bei Temperaturen um 500 C möglich. Die Verbin- Kohlenstoff, oder aber unter Verwendung von
dung ist ein dunkelrotbrauner, wenig flüchtiger, Thionylchlorid oder Tetrachlorkohlenstoff herstel-
986 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
len (Brauer 1975, S. 1173). Die gelbe Verbindung Des Weiteren gibt es elegante Umsetzungen
schmilzt bzw. siedet bei Temperaturen von 306 C von Protactinium-V-oxid bzw. -chlorid mit Sili-
bzw. 420 C und kristallisiert im monoklinen Kris- ciumtetraiodid bei Temperaturen von 600 bis
tallsystem mit vier Formeleinheiten pro Elemen- 700 C (II und III), die Reaktion von Protactinium-
tarzelle, bestehend aus einer Kettenstruktur mit V-oxid mit Aluminiumiodid (IV) bei ähnlicher
siebenfach koordinierten, verzerrten pentagonalen Temperatur und die von Protactinium-V-chlorid
Bipyramiden (Dodge et al. 1967). mit Iodwasserstoff (V). Auch Überleiten von Iod-
Protactinium-IV-chlorid (PaCl4) ist durch dampf über Protactiniumcarbid (PaC) bei Tem-
Reduktion von Protactinium-V-chlorid mit Was- peraturen um 400 C liefert das gewünschte Pro-
serstoff oder Aluminium bei Temperaturen um dukt (VI, Emsley 2001, S. 348):
400 C zugänglich, alternativ geht auch die
Umsetzung von Protactinium-IV-oxid mit Tetra- (II) 2 Pa2 O5 þ 5 SiI4 ! 4 PaI5 þ 5 SiO2
chlorkohlenstoff (Brauer 1975, S. 1176). Auch die
thermische, im Vakuum durchgeführte Dispropor- (III) 4 PaCl5 þ 5 SiI4 ! 4 PaI5 þ 5 SiCl4
tionierung von Protactiniumoxidchlorid liefert bei
Temperaturen >500 C Protactinium-IV-chlorid (IV) 3 Pa2 O5 þ 10 AlI3 ! 6 PaI5 þ 5 Al2 O3
(Emeleus und Sharpe 1970, S. 15). Der gelbgrüne,
hygroskopische, kristalline Feststoff sublimiert ab (V) PaCl5 þ 5 HI ! PaI5 þ 5 HCl
400 C im Vakuum und besitzt tetragonale Kris-
tallstruktur. Protactinium-IV-chlorid löst sich in (VI) 2 PaC þ 9 I2 ! 2 PaI5 þ 2 I4 C
starken Mineralsäuren unter Bildung grüner
Lösungen (Fuger et al. 2010, S. 201).
Protactinium-V-bromid (PaBr5) erhält man Das schwarze, nur im gepulverten Zustand
durch Reaktion von Protactinium-V-chlorid mit braun erscheinende, orthorhombisch kristallisie-
Bortribromid bei Temperaturen zwischen 500 und rende Protactinium-V-iodid ist stark feuchtig-
550 C (Brauer 1975, S. 1177): keits- und luftempfindlich. Es ist nur in wasser-
freiem Acetonitril und Ethanol unzersetzt und in
3 PaCl5 þ 5 BBr3 ! 3 PaBr5 þ 5 BCl3 größeren Mengen löslich. Beim Erhitzen subli-
miert die Verbindung unter Bildung eines im Licht
Alternativ geht auch die Darstellung aus tiefrot erscheinenden Dampfes.
Protactinium-V-oxid mit Aluminiumbromid bei
etwa 400 C, wobei die Verbindung bei dieser Anwendungen Wegen seiner Seltenheit, hohen
Temperatur zu sublimieren beginnt. Radioaktivität und Giftigkeit findet Protactinium
Protactinium-V-bromid bildet orangerote Kris- außer in der Forschung keine praktische Anwen-
talle und ist sehr empfindlich gegenüber Wasser dung.
und Ammoniak. Nur in völlig trockener Luft ist es Das Protactiniumisotop 23191Pa, das beim
stabil und ist darüber hinaus kaum löslich in unpo- α-Zerfall von 23592U entsteht und sich in Kernre-
laren Lösungsmitteln. Protactinium-V-bromid tritt aktoren auch durch β-Zerfall von 23190Th bildet,
im Temperaturbereich bis 400 C mit monokliner kann Auslöser einer nukleare Kettenreaktion sein,
Struktur (α-Modifikation) und darüber in der eben- die prinzipiell auch zum Bau von Atomwaffen
falls monoklin kristallisierenden β-Struktur vor, genutzt werden könnte. Die kritische Masse
die Dimere auf den Plätzen des Kristallgitters ent- beträgt 750 180 kg (Seifritz 1984). Andere
hält (Brown 1979). Autoren kommen zum Schluss, dass eine Ketten-
Für Protactinium-V-iodid (PaI5) gibt es meh- reaktion in 23191Pa selbst bei beliebig großer
rere Darstellungswege, zu denen auch der aus den Masse nicht möglich ist (Ganesan et al. 1999).
Elementen zählt (I, Brauer 1975, S. 1179): Das Protactiniumisotop 23391Pa ist ein Zwi-
schenprodukt im Brutprozess von 23290Th zu
233
(I) 2 Pa þ 5 I2 ! 2 PaI5 92U in Thorium-Hochtemperaturreaktoren.
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 987
Das in Form mehrerer Modifikationen auftre- ca. 600 C (Holleman et al. 2007, S. 1971). Ein-
tende Uran-VI-oxid (UO3) erhält man durch Glü- wirkung von Sauerstoff unter Druck auf Uran-V,
hen von Uranylverbindungen unter Sauerstoff bei VI-oxid (U3O8) ergibt ebenfalls Uran-VI-oxid, das
990 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
21450 Bq/g. Das Oxid ist in Schwefel- und Sal- sen eingesetzt. Frisch aus Natururan hergestelltes
petersäure löslich unter Bildung der jeweiligen Uran-IV-oxid hat eine spezifische Aktivität von
Uranylionen. Leitet man trockenen Chlorwasser- 22.300 Bq/g. Gemische von Stäuben der Verbin-
stoff bei Temperaturen um 700 C über Uran-V, dung und Luft können explodieren, in fein verteil-
VI-oxid, so bildet sich Uranylchlorid (UO2Cl2). tem Zustand ist Uran-IV-oxid pyrophor und ver-
Die Reduktion zum technisch wichtigen Uran- brennt zu Uran-V,VI-oxid.
IV-oxid ist durch Überleiten eines Stroms von Uran-IV-oxid verarbeitet man zu den in Kern-
Wasserstoff bei 700 C oder Kohlenmonoxid brennstäben eingesetzten Pellets (s. Abb. 11). Das
bei 350 C möglich. dafür nötige Uran-IV-oxid gewinnt man über ver-
Yellow Cake ist ein gelbes, pulveriges Gemisch schiedene Verfahren:
von Uranverbindungen (s. Abb. 10), das ur- Im AUC-Verfahren (AmmoniumUranylCar-
sprünglich bei der Aufarbeitung uranhaltiger Erze bonat) erzeugt man aus Uranerz zunächst Ammo-
als gelbes Material anfiel. Heute erzeugt man niumuranylcarbonat. Dieses glüht man zu Uran-
wegen der im Prozess angewandten höheren Tem- VI-oxid, das dann nachfolgend mit Wasserstoff zu
peraturen ein eher braunschwarzes Produkt. Yel- Uran-IV-oxid reduziert wird (Volkmer 1996).
lowcake löst man aus dem Erz durch Behandlung Das ADU-Verfahren (AmmoniumDiUranat)
mit Säuren heraus; 2 t Erz ergeben etwa 1 kg sieht zuerst die Herstellung von Uran-VI-fluorid
Yellowcake. Jener besteht zu >80 % aus Uranver- (UF6) vor, das man anschließend zu Uranylfluorid
bindungen (Hausen 1988) und ist Ausgangsmate- hydrolysiert. Dieses setzt man mit wässriger Am-
rial zur Herstellung von Brennelementen. Je nach moniaklösung zu Ammoniumdiuranat um und
dem Typ des Reaktors, in dem diese eingesetzt erhitzt jenes im Wasserstoffstrom, wobei Uran-
werden sollen, reichert man entweder das Isotop IV-oxid entsteht (Hermens und Kendall 1993):
235
92U über die Zwischenstufe des Uran-VI-fluo-
rids (UF6) an, oder aber man verarbeitet den Yel- UF6 þ 2 H2 O ! UO2 F2 þ 2 HF
lowcake weiter zu Uran oder Uran-IV-oxid. UO2 F2 þ 6 NH4 OH ! ðNH4 Þ2 U2 O7 þ 4 NH4 F
Die Rückstände aus der Herstellung von Yellow-
þ3 H2 O
cake sind ebenfalls radioaktiv und müssen entsorgt
ðNH4 Þ2 U2 O7 þ 2 H2 ! 2 UO2 þ 2 NH3 þ 3 H2 O
werden; dies ist aber manchmal wegen ihrer großen
Menge und langen Halbwertszeit ein Problem.
Das braun- bis schwarzfarbige Uran-IV-oxid Das trockene DC-Pulver-Verfahren (Direct Con-
(UO2) kristallisiert im kubischen Gitter des Fluo- version) beinhaltet die Umsetzung von Uran-VI-
rits, schmilzt bei einer Temperatur von 2865 C fluorid mit einem Gemisch aus Wasserdampf und
und hat eine Dichte von 10,97 g/cm3. Es hat die Wasserstoffgas bei hoher Temperatur, wobei sich
Eigenschaften eines Halbleiters (Meek et al. 2000; Uran-IV-oxid bildet (Gradel und Doerr 2001).
Rodriguez et al. 2011), es ist aber schlecht dotier- Im Zuge der Wiederaufbereitung von Brennele-
bar und wird daher -und natürlich wegen seiner menten (Purex-Prozess) löst man die Brennstäbe in
Radioaktivität- nicht in elektronischen Schaltkrei- Säure, extrahiert Uran mittels Flüssig-flüssig-
Extraktion und erhält schließlich Uranylnitrat, leichteren, spaltbaren Uranisotops 23592U für die
das man dann durch Glühen in Uran-VI-oxid Verwendung in Kernreaktoren. Während der
umwandelt und jenes anschließend zu Uran-IV- Gasdiffusion (s. Abb. 12) sammeln sich bevor-
oxid reduziert. zugt die Moleküle des Uran-VI-fluorids, die die-
Uransulfid-Kationen [(US2)2+] beschrieben ses leichtere Isotop erhalten (Gmelin), jedoch
Pereira et al.; sie stellten aus U2+-Kationen und muss dieser Prozess bis zu 1000 mal nacheinan-
Schwefeldonatoren Thiouranylionen in der Gas- der ausgeführt werden.
phase her (2013). Heute erzeugt man es meist durch Fluorieren
Neben Uran-IV-selenid (USe2) existieren noch von Uran-IV-fluorid (UF4). Ruff und Heinzel-
weitere Uranselenide (USe3, U3Se5, U2Se3, U3Se4 mann gewannen die Verbindung 1909 erstmalig
und USe) und auch ein Oxidselenid (UOSe). Vom durch Umsetzung von Uran-V-chlorid (UCl5) mit
Diselenid kennt man drei verschiedene Modifika- elementarem Fluor in einem auf 20 C gekühl-
tionen. Das schwarze α-Uran-IV-selenid kristalli- ten Platinrohr (Ruff 1909; Heinzelmann 1911):
siert mit tetragonaler Struktur und ist durch
Reduktion von Uran-VI-selenid mit Wasserstoff 2 UCl5 þ 5 F2 ! UF6 þ UF4 þ 5 Cl2
bei Temperaturen um 700 C zugänglich;
Aus Uran-V-chlorid und Fluorwasserstoff
USe3 þ H2 ! USe2 þ H2 Se dagegen ist das Hexafluorid nur in unreiner Form
erhältlich (Ruff und Heinzelmann 1911). Die Syn-
β- bzw. γ-Urandiselenid kristallisieren ortho- these aus den Elementen, die Fluorierung von
rhombisch (Noël 1996) bzw. hexagonal und sind Urancarbid (UC2) oder auch die Umsetzung von
ebenfalls schwarze Festkörper; man stellt sie Uranoxiden mit Chlor- oder Bromfluoriden liefert
durch Erhitzen von Uran-VI-selenid im Hochva- jedoch wieder reines UF6 (Hainer 1950). Die bei
kuum dar, wobei Selen abgespalten wird. Bei der Bildung der Verbindung auf verschiedenem
ca. 760 C entsteht β-Uran-IV-selenid, bei nied- Weg freiwerdenden Enthalpien ermittelte John-
rigerer Temperatur (575 C) γ-Urandiselenid son (1979).
(Brauer 1978, S. 1232). Die Verbindung ist unter- Frühere Versuche einer Umsetzung von Uran-
halb von 259 C (14 K) ferromagnetisch; ersetzt V,VI-oxid (U3O8) mit überschüssiger konzentrier-
man Selen teilweise durch Tellur, so erhöht dies ter Flusssäure ergaben eine leicht verdampfbare
die Curie-Temperatur noch. gelbe Flüssigkeit, wobei deren Dampf an den
Uran-II-tellurid (UTe) weist sogar eine Curie- kälteren Stellen der Versuchsapparatur wieder
Temperatur von 173 C (100 K) auf, zeigt also kondensierte. Es handelte sich dabei um Addukte
neben halbleitenden Eigenschaften auch noch diverser Uranfluoride mit Fluorwasserstoff bzw.
Ferromagnetismus über einen weiten Temperatur- Uranoxidfluoride (Ditte 1880, 1884; Smithells
bereich (Aldred et al. 1980). 1883).
Halogenverbindungen des U-VI Uran-VI-fluo- Wie oben beschrieben, stellt man heute Uran-
rid (UF6) ist ein farbloser, kristalliner Feststoff, VI-fluorid in endothermer Reaktion von Uran-IV-
der leicht flüchtig, radioaktiv und sehr giftig ist.
Die Substanz ist äußerst aggressiv gegenüber fast
jedem Stoff und tierischem Gewebe. Es ist nur bei
völligem Ausschluss von Wasser beständig; mit
Wasser reagiert es nahezu explosionsartig unter
Hydrolyse. Die Eigenschaften der Verbindung
beschrieben Von Grosse (1941), Kirshenbaum
(1943) sowie Weinstock und Crist (1948).
Bei einer Temperatur von 56,5 C sublimiert
Uran-VI-fluorid unter Normaldruck. Diese Ei- Abb. 12 Kaskade von Gaszentrifugen (U. S. Dept. Of
genschaft nutzt man bei der Anreicherung des Energy 1984)
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 993
fluorid (UF4) mit Fluor bei Temperaturen um 300 C Uranhexafluorid ist nur in trockener Luft
her. Nur bei Einsatz deutlich überschüssigen beständig, hydrolysiert mit Wasser äußerst heftig
Fluors erfolgt vollständige Umsetzung. Auf ana- zu Fluorwasserstoff und Uranylfluorid (Kessie
loge Weise sind übrigens auch die Hexafluoride 1976). Die Verbindung wirkt stark fluorierend
des Neptuniums und Plutoniums zugänglich und reagiert mit den meisten Metallen zu deren
(Malm et al. 1958). Relativ leicht reagieren Chlor- Metallfluoriden. Nur wenige Substanzen wie
trifluorid (ClF3), Bromtrifluorid (BrF3) und Brom- Nickel oder Teflon sind relativ stabil. Organische
pentafluorid (BrF5) mit allen Uranoxiden zu Verbindungen werden zügig fluoriert, wobei
Uran-VI-fluorid. Xenondifluorid (XeF2) oxidiert wegen der gelegentlichen Heftigkeit der Reak-
Uran-IV-fluorid bei erhöhter Temperatur und tion als Nebenprodukte Fluorwasserstoff, Uran-
unter Druck. Metallisches Uran und alle Uranoxide VI-fluorid und Kohlenstoff entstehen (De Witt
werden von Stickstofftrifluorid (NF3) ebenfalls bis 1960).
hin zum Uran-VI-fluorid fluoriert. NF3 ist ein milde- Nachdem dem Zermahlen der verbrauchten
res Oxidationsmittel als Fluor, weshalb man es bei Brennstäbe fluoriert man das Gemisch, wobei
der Aufarbeitung von Brennelementen zu flüchtigen die leicht flüchtigen Hexafluoride des Urans,
Fluoriden bevorzugt (McNamara et al. 2009); NF3 Neptuniums und Plutoniums abdestillieren (Uh-
besitzt aber ein außerordentlich hohes Treibhauspo- líř, Marečeka). Dieses leicht flüchtige Gemisch
tenzial (ca. 20.000-mal größer als Kohlendioxid!). kondensiert man und bestrahlt es anschließend
Uran-VI-fluorid bildet farblose Kristalle mit UV-Licht. Diesem gegenüber ist Uran-VI-
(s. Abb. 13) der Dichte 5,1 g/cm3, die unter fluorid aber im Gegensatz zu Neptunium- bzw.
Normaldruck und bei einer Temperatur von Plutonium-VI-fluorid (NpF6 bzw. PuF6) stabil;
56,5 C sublimieren (Oliver et al. 1953; Wein- jene zersetzen sich unter dem Einfluss der
stock et al. 1959). Aufbewahrt wird es unter abso- Bestrahlung zu den Tetrafluoriden und Fluor.
lutem Ausschluss von Feuchtigkeit in Ampullen Somit ist es möglich, Uran in reiner Form durch
aus Quarz- oder Pyrexglas. neuerliche Destillation seines Hexafluorids zu-
Das thermodynamische Verhalten der Verbin- rück zu gewinnen (Beitz und Williams 1990;
dung wurde detailliert untersucht (Scott et al. Jeapes und Fields 1998).
1948; Masi 1949). Obwohl Uran hier mit der Oxi- Der Transport der Uran-VI-fluorid enthalten-
dationszahl +6 auftritt, ist das Molekül mit einer den Tanks erfolgt auf dem Wasser- oder Landweg.
molaren magnetischen Suszeptibilität χmol von Die Tanks müssen den Normen ANSI N14.1 oder
4,3 105 cm3 mol1 deutlich paramagnetisch ISO 7195 entsprechen und bestehen gewöhnlich
(Henkel und Klemm 1935; Tilk und Klemm 1939). aus Stahl, haben einen Durchmesser von 30 Zoll
Im verzerrt oktaedrisch strukturierten Mole- (76 cm) und enthalten 2,28 t Produkt.
kül (Taylor et al. 1973) überwiegen aber eindeu- Uran-VI-fluorid ist in mehrfacher Hinsicht
tig kovalente Bindungen, die für den Paramagne- gefährlich für die menschliche Gesundheit
tismus mit verantwortlich sind (Kimura et al. (McGuire 1991). Es greift alle Gewebe an, bildet
1968). Die Kristallstruktur der festen Verbindung dabei ätzend wirkende Flusssäure. Dies kann bis
ist orthorhombisch (Levy et al. 1976) bei Raum- hin zu zum Verlust des Sehvermögens, zu Lun-
temperatur, wogegen sie bei 80 C hexagonal genödemen und schließlich zum Tod führen. Da-
wird, dies mit dann praktisch unverzerrten UF6- rüber hinaus ist es wie alle Uranverbindungen
Oktaedern (Taylor und Wilson 1975). Weiteres wegen der typischerweise von Schwermetallionen
Abkühlen auf 196 C, der Siedetemperatur des
Stickstoffs, stabilisiert die hexagonale Struktur
(Levy et al. 1983). Die Infrarot- und Raman-
Spektren der Verbindung wurden eingehend ana-
lysiert (Claassen et al. 1970; Weiss et al. 1972;
Paine et al. 1974; Bernstein und Meredith 1977;
Kim und Mulford 1990). Abb. 13 Uran-VI-fluorid (Materialscientist 2011)
994 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Uran-V-bromid (UBr5) ist durch Bromieren (I) UO2 þ CCl4 ! UCl4 þ CO2
von in Acetonitril suspendiertem Uran bei tieferer
Temperatur oder durch Bromieren von Uran-IV- (II) UO2 þ 2 SOCl2 ! UCl4 þ SO2
bromid erhältlich (Brauer 1978, S. 1214). Der
dunkelbraune, hygroskopische und stark hydroly-
Weiterhin ist die Chlorierung von Uran-III-chlo-
seempfindliche Feststoff (Fuger et al. 2010, S. 526
rid möglich, die Umsetzung von Uran-VI-oxid mit
und 1795) kristallisiert triklin im Gitter des
einem reduzierend wirkenden Perchloralken (Heyn
β-Uran-V-chlorids.
et al. 1986) oder die klassische Reaktion von Uran-
Halogenverbindungen des U-IV Uran-IV-fluo-
IV-oxid mit Kohlenstoff und Chlor, letztere ergibt
rid (UF4) bildet hellgrüne Kristalle (s. Abb. 14),
wie bei den analogen Darstellungsverfahren ande-
hat eine Dichte von 6,7 g/cm3 und schmilzt
rer Metalle ein sehr reines Chlorid.
bzw. siedet bei Temperaturen von 1036 C bzw.
Uran-IV-chlorid schmilzt bzw. siedet bei Tem-
1417 C. Man stellt es durch Umsetzung von
peraturen von 590 C bzw. 791 C und hat die
Fluorwasserstoff mit Uran-IV-oxid her oder auch
Dichte 4,72 g/cm3. Es lässt sich unter Inertgas bei
durch Reduktion von Uran-VI-fluorid mit Wasser-
ca. 600 C unter Bildung eines rotbraunen Damp-
stoff. In sehr reiner Form erhält man es durch
fes sublimieren. So erhaltenes Uran-IV-chlorid
Überleiten trockenen Dichlordifluormethans über
liegt in Form dunkelgrüner Kristalle tetragonaler
auf 400 C erhitztes Uran-VI-oxid (Booth et al.
Struktur vor (Mooney 1949; Taylor und Wilson
1946):
1973), die in vielen polaren Solventien wie Wasser,
Ethanol oder Aceton löslich sind (Brauer 1978,
UO3 þ 2 CCl2 F2 ! UF4 þ Cl2 þ COCl2 þ CO2
S. 1210). Man setzt es bei der elektromagnetischen
Trennung von Isotopen in einem mit einem Mas-
Die stark exotherme Verbindung (Cordfunke
senspektrometer ausgerüsteten Zyklotron ein.
und Ouweltjes 1981) besitzt monokline Kristall-
Das dunkelbraune, stark hygroskopische Uran-
struktur mit zwölf Formeleinheiten pro Elemen-
IV-bromid (UBr4) schmilzt bzw. siedet bei 519 C
tarzelle (Larson et al. 1964; Kern et al. 1994).
bzw. 761 C, weist eine Dichte von 5,55 g/cm3 auf
Uran-IV-fluorid hydrolysiert an feuchter Luft
und kristallisiert in monokliner Struktur (Douglass
langsam zu Uran-IV-oxid und Fluorwasserstoff.
und Staritzky 1957). Man gewinnt es durch direkte
Es ist sehr giftig sowohl nach Verschlucken oder
Reaktion von Uran mit Brom bei Temperaturen um
Kontakt mit der Haut oder Schleimhäuten. Wie
650 C (Brauer 1978, S. 1214). Alternativ setzt
bei vielen Verbindungen von Schwermetallen
man Uran-III-hydrid mit Brom unter Bildung des
besteht auch hier die Gefahr der Anreicherung
Tribromids um, das danach unter Einwirkung von
im menschlichen Körper.
Brom in Uran-IV-bromid überführt wird. Schließ-
Das dunkel- bis olivgrüne Uran-IV-chlorid
lich ist auch die Reaktion von Uran-IV-oxid mit
(UCl4) (s. Abb. 15) wird technisch durch Um-
Kohle und Brom möglich.
setzung von Tetrachlorkohlenstoff oder Thionyl-
Uran-IV-iodid (UI4) erzeugt man aus Uran und
chlorid mit Urandioxid bei Temperaturen von
überschüssigem Iod (Brauer 1978, S. 1218).
knapp 400 C erzeugt (Brauer 1978, S. 1210):
Schmelz- und Siedepunkt des schwarzen Fest- Uran-III-bromid (UBr3) stellt man durch Leiten
stoffs liegen bei 506 C bzw. 762 C; allerdings von Bromwasserstoff über erhitztes Uran-III-hy-
beginnt die Verbindung schon unterhalb ihres drid her (Brauer 1978, S. 1214). Der rote Feststoff
Schmelzpunktes, sich unter Abgabe von Iod wandelt sich bei ca. 730 C in eine grünliche
zu zersetzen. Die nadelförmige Kristalle haben Schmelze um. Die Verbindung ist isotyp zu Uran-
monokline Struktur (Levy et al. 1980). III-chlorid und besitzt daher ebenfalls ein Kristall-
Halogenverbindungen des U-III Das purpur- gitter hexagonaler Struktur (Levy et al. 1975).
farbene, bei 1495 C schmelzende Uran-III-fluo- Uran-III-iodid (UI3) ist das einzige Trihaloge-
rid (UF3) ist durch Reduktion von Uran-IV-fluo- nid des Urans, das man definiert durch Synthese
rid mit Aluminium bei ca. 900 C erhältlich aus den Elementen erzeugen kann (Brauer 1978,
(Brauer 1978, S. 1207). Auch möglich ist die S. 1218). Der schwarze Feststoff kristallisiert
exotherme (Cordfunke und Ouweltjes 1981) abweichend zu seinen niederen Homologen or-
Umsetzung der Elemente bei Einsatz stöchiome- thorhombisch im Gittertyp des Plutonium-III-
trischer Mengen, oder aber die aus Uran-IV-fluorid bromids (Levy et al. 1975). Es eignet sich gut als
und Urannitrid unter Inertgas (Tagawa 1976). Die Lewis-Säure-Katalysator für einige Diels-Alder-
trigonal, isotyp zu Lanthanfluorid kristallisierende Reaktionen (Collin et al. 2000).
Verbindung besitzt die Dichte 8,9 g/cm3 (Holle- Pnictogenverbindungen Es gibt mehrere Uran-
man et al. 2007, S. 1969). nitride, das bei 2805 C schmelzende Uranmono-
Uran-III-chlorid (UCl3) ist durch Reduktion nitrid (UN) der Dichte 14,3 g/cm3 und einer
von Uran-IV-chlorid mit Wasserstoff, aber auch kubisch-flächenzentrierter Kristallstruktur, das
durch Umsetzung von Uran mit einer auf ab einer Temperatur von 900 C unter Zerset-
ca. 700 C erhitzten Schmelze aus Natrium- und zung schmelzende Uransesquinitrid (U2N3) der
Kaliumchlorid erhältlich (Serrano et al. 2000). Dichte 11,3 g/cm3 (mit kubisch-raumzentrierter
Der rote, bei einer Temperatur von 837 C Struktur der α-Modifikation) und das nicht immer
schmelzende, kristalline Feststoff der Dichte stöchiometrisch auftretende, im kubisch-flächen-
5,50 g/cm3 ist stark hygroskopisch und sehr gut zentrierten Calciumfluorid-Typ kristallisierende
in Wasser löslich. In salzsaurer Lösung ist es als Urandinitrid (UN2). Alle diese Verbindungen
Lewis-Säure stabiler als in Wasser. sind dunkelgraue, pulvrige, hydrolyseempfindli-
Im Kristallgitter des festen Uran-III-chlorids che Feststoffe.
sind die Uranatome von jeweils neun Chlorato- Uranmononitrid (UN) erzeugt man in zweistu-
men umgeben, so dass ein trigonales Prisma ent- figer Synthese durch carbothermische Reduktion
steht, dessen Ecken mit jeweils einem Chloratom von Uran-IV-oxid (Minato et al. 2003; Carmack
besetzt sind. Zusätzlich gibt es noch drei flächen- 2004) unter Argon bei ca. 1500 C und während
zentriert angeordnete Chloratome. Insgesamt 10 bis 20 Stunden:
resultiert eine hexagonale Struktur mit zwei For-
meleinheiten pro Elementarzelle; eine Struktur, a) 2 UO2 þ 6 C ! 2 UC þ 4 CO
die auch bei den Trihalogeniden anderer Actinoi-
de und Lanthanoide vorkommt. Die molekulare b) 4 UC þ 2 UO2 þ 3 N2 ! 6 UN þ 4 CO
Struktur des geschmolzenen Salzes wurde inten-
siv untersucht (Okamoto et al. 1998, 2005). Ein weiterer Weg zur Darstellung von Uran-
Uran-III-chlorid ist das Ausgangsmaterial zur mononitrid läuft über die Reaktion von Uran mit
Herstellung von Metallocenen mit den Liganden Wasserstoffgas bei Temperaturen oberhalb von
Cyclopentadien oder Tetrahydrofuran (Brenna 280 C, wobei intermediär Uran-III-hydrid
et al. 1986). Die Verbindung katalysiert die Bil- (UH3) gebildet wird (Matthews et al. 1988).
dung von Aluminiumalkylen aus Lithiumalumi- Jenes setzt man bei ca. 500 C mit Stickstoffgas
niumhydrid und Alken (Folcher et al. 1986) und um; es wird zunächst Uransesquinitrid (U2N3)
ist äußerst giftig für den Menschen und sehr gebildet, das durch Erhitzen auf 1150 C in das
schädlich für die Umwelt. Mononitrid überführbar ist.
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 997
Der geeignetste Weg zur Herstellung des Uran- ca. 2750 C und kristallisiert im kubischen
dinitrids (UN2) ist die Reaktion von Uran-IV-fluo- Natriumchlorid-Gitter. Man muss bei seinem Ein-
rid mit Ammoniak bei hoher Temperatur und unter satz in keramischen Reaktorbrennstäben darauf
hohem Druck (Silva et al. 2008). Ein Gemisch achten, dass es mit Sauerstoff, einigen geschmol-
von Urannitriden ist durch Lichtbogenschmelzen zenen Metallen und auch mit Wasser reagiert
metallischen Urans unter Stickstoff zugänglich. (Gorlé et al. 1974).
Urandinitrid spaltet ab einer Temperatur von Urandiborid (UB2) stellt man durch Sintern
675 C Stickstoff ab, oberhalb von 975 C ent- von Borpulver mit Uran-III-hydrid unter Schutz-
steht das Mononitrid (Mizutani und Sekimoto gas bei Temperaturen oberhalb von 1300 C her
2005; Silva et al. 2009). Wegen seines unter radio- (Snyder und Tripler 1960). Die Verbindung ist
aktiven Brennstoffen fast unerreichten Schmelz- chemisch ziemlich beständig, hochschmelzend
punktes, seiner sehr guten Wärmeleitfähigkeit und feuerfest. Man setzt Urandiborid in der
und der hohen spaltbaren Dichte wird sein mögli- Bestrahlungstherapie ein, indem man es in Form
cher Einsatz in Kernreaktoren intensiv geprüft. von Mikrokügelchen direkt in die zu behandeln-
In jüngster Zeit gelang die Synthese einiger den Stellen im Körper implantiert, wo diese dann
Komplexe mit endständigen -UN-Gruppen wie für längere Zeit verbleiben.
UNF3 (Marsden et al. 2008) oder Kronenethern Vor wenigen Jahren gelang erstmals die Syn-
(King et al. 2012). these molekularer Uran-II-verbindungen, dies
Uranmonophosphid (UP) konnte durch Um- durch in situ-Reduktion von Uran-III mit Alkali-
setzung von Siliciumpulver mit Uran-IV-fluorid den (MacDonald et al. 2013). Ein ähnliches
bei ca. 900 C und gleichzeitigem Überleiten Ergebnis konnte durch Umsetzung von Tris(aryl-
von Phosphordampf dargestellt werden (Ono oxid)aren-Uran-III mit Kalium in Gegenwart
et al. 1971). Die kubischen Gitter des Uranarse- eines Kronenethers erzielt werden (Meyer 2014).
nids (UAs) und Uranantimonids (USb) sowie die- Uran-IV-sulfat-Octahydrat [U(SO4)2 8 H2O]
jenigen ternärer Arsenide wurden ebenfalls schon erhält man durch kathodische Reduktion von Ura-
vor längerer Zeit untersucht (Stirling et al. 1983; nylsulfat (Brauer 1978, S. 1245). Der dunkelgrü-
Jha und Sangal 1997; McWhan et al. 1990; Noël ne Feststoff kristallisiert mit monokliner Struktur
et al. 2000). und erleidet in Wasser Hydrolyse zum basischen
Sonstige Verbindungen Uran-IV-carbid (UC) Sulfat.
erzeugt man durch Sintern von Grafit mit Uran im Im sandwichartigen Molekül des Uranocens
Vakuum-Lichtbogenofen (Brauer 1978, S. 1241). [U(C8H8)2] ist ein U4+-Ion umgeben von zwei
Um daraus Keramik herzustellen, sintert man Cyclooctatetraen-Ringen. Der grüne Feststoff ist
Uranoxide (UO2 oder U3O8) mit Grafit bei Tem- luftempfindlich, in trockenem Zustand an Luft
peraturen um 2300 C (Zuckerman 2009, S. 349; auch selbstentzündlich, in organischen Lösemit-
Toumanov 2007; Martienssen und Warlimont teln löslich und relativ stabil gegenüber Hydro-
2006; S. 464; Perry 2011, S. 488): lyse. Es wurde erstmals 1968 von Streitwieser
et al. durch Umsetzung von Dikaliumcycloocta-
UO2 þ 3 C ! UC þ 2 CO tetraenid mit Uran-IV-chlorid in Tetrahydrofuran
(THF) bei 0 C erhalten:
Leitet man ein Gemisch aus Argon und Methan
bei Temperaturen um 600 C über feinverteiltes (I) C8 H8 þ 2 K ! ½C8 H6 K2 ðTHF, 30 CÞ
Uran, so bildet sich gleichfalls Uran-IV-carbid:
(II) 2 ½C8 H6 K2 þ UCl4 ! UðC8 H6 Þ2
U þ CH4 ! UC þ 2 H2 þ 4 KCl ðTHF, 0 CÞ
Eine jüngst entwickelte Methode verwendet Zi- Im Feststoff liegen die Cyclooctatetraen-Ringe
tronensäure als Kohlenstoffquelle (Salvato 2016). in der ekliptischen Konformation, also in de-
Das grauschwarze Uran-IV-carbid schmilzt bei ckungsgleicher Anordnung vor, sie können nach
998 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
den seinerzeit noch unbekannten Elemen- bremst werden, und erhielt für seine Arbeiten
ten der Ordnungszahlen 43 und 75, die sie 1938 den Nobelpreis. Im gleichen Jahr emi-
schließlich 1925 entdeckten und nach ihrer grierte Fermi in die USA und war ab 1944
persönlichen Herkunftsregion Masurium am Atom-Forschungsprogramm der USA
bzw. Rhenium nannten. Während die Ent- und an Entwicklung und Bau der ersten
deckung des Rheniums wenig später be- Atombomben beteiligt. Nach dem Zweiten
stätigt wurde, gelang dies für Element 43 Weltkrieg kehrte Fermi an das Kernfor-
zweifelsfrei erst 1937 durch Segrè, der es schungszentrum an der Universität Chi-
dann Technetium nannte. cago zurück. 1954 starb er an Magenkrebs.
Noddack stellte 1934 als Erste die These Nach ihm benannte man unter anderem
auf, dass beim Beschuss schwerer Kerne eine Gruppe von Elementarteilchen (Fer-
mit Neutronen diese Kerne in mehrere grö- mionen), das Element Fermium und ein
ßere Bruchstücke zerfallen. Damals galt der Energieniveau in Vielteilchensystemen
Zerfall schwerer Atomkerne in leichtere (Ferminiveau).
Elemente noch als ausgeschlossen, jedoch
wiesen Ende 1938 Hahn und Straßmann
diesen Effekt nach. 1939 benutzte Frisch Gewinnung Neptunium entsteht als Nebenpro-
dafür den Begriff der Kernspaltung. Trotz dukt der Energiegewinnung in Kernreaktoren.
mehrfacher Nominierung erhielt Noddack Eine Tonne abgebrannten Kernbrennstoffes ent-
nie den Nobelpreis für Chemie, 1931 aber hält ca. 500 g Neptunium (Hoffmann 1979). So
die Liebig-Gedenkmünze der Gesellschaft entstandenes Neptunium besteht fast nur aus dem
Deutscher Chemiker und 1966 das Große Isotop 23793Np. Dieses entsteht aus dem Uraniso-
Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutsch- top 23592U durch zweifachen Einfang von Neutro-
land.
nen und anschließenden β-Zerfall:
Enrico Fermi (* 29. September 1901 Rom;
† 28. November 1954 Chicago), einer der 235
92 U þ 1 0 n ! 236 92 U ! ð120 nsÞ236 92 U þ γ
92 U þ 0 n ! 92 U ! ð6,75 dÞβ þ
bedeutendsten Kernphysiker des 20. Jahr- 236 1 237 237
92 Np
hunderts, erhielt 1938 den Nobelpreis für
Physik für, so die Begründung, die Identi- Metallisches Neptunium kann man durch
fizierung neuer radioaktiver Elemente pro- Reaktion seiner Halogenide mit Alkali- bzw. Erd-
duziert nach Bestrahlung mit Neutronen. alkalimetallen darstellen, etwa durch Umsetzung
Dies, obwohl seine Behauptung, damit von Neptunium-III-fluorid mit Barium oder
Kerne von Transuranen erzeugt zu haben, Lithium bei 1200 C:
falsch war. Sein Studium der Physik
schloss er mit nur 21 Jahren ab. Nach zwei 2 NpF3 þ 3 Ba ! 2 Np þ 3 BaF2
Forschungsaufenthalten bei Born und Eh-
renfest in den Jahren 1923 und 1924 nahm
Eigenschaften Neptunium hat silbrig-metalli-
Fermi den Ruf auf eine Professorenstelle in
sches Aussehen (s. Tab. 4), ist sehr reaktionsfä-
Florenz an, nahm dann aber die Lehrtätig-
hig und tritt in drei verschiedenen Modifikatio-
keit als Professor für theoretische Physik
an der Universität Rom auf und arbeitete nen auf:
bis 1932 an Themen der Quantenmechanik
(Fermi-Dirac-Statistik für Fermionen, Fer- α-Np (orthorhombisch), bis 280 C [Dichte
mis Goldene Regel, Fermifläche, Fermi- 20,25 g/cm3 (20 C)]
Resonanz) (Fermi 1934, 1938). β-Np (tetragonal), zwischen 280 C und 577 C
Fermi fand, dass die durch Neutronen [Dichte 19,36 g/cm3 (313 C)]
ausgelöste Kernspaltung dann sehr effektiv γ-Np (kubisch), oberhalb von 577 C [Dichte
verläuft, wenn die Neutronen stark abge- 18,0 g/cm3 (600 C)]
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1001
(Uran), zu 12,5 % durch β-Zerfall zu 23694Pu Verbindung und deren geringer Wärmekapazität
(Plutonium) und zu 0,16 % durch α-Zerfall zu wiederum in Kernbrennstäbe ein (Yamashita
232 236
91Pa (Protactinium). Das Isotop 92U wie- et al. 1997; Serizawa et al. 2001). Nach deren
derum zerfällt mit einer Halbwertszeit von Wiedereinsetzen in den Reaktor bestrahlt man sie
23,42 Mio. a zu 23290Th, dem einzigen natür- mit Neutronen und erzeugt so 23894Pu (Keller
lich vorkommenden Isotop des Thoriums, das 1969/1970; Holleman et al. 2007, S. 1972;
gleichzeitig Ausgangspunkt der Thorium- Yoshida et al. 2006).
Zerfallsreihe ist. 23694Pu dagegen ist sehr kurz- Industriell erzeugt man Neptunium-IV-oxid,
lebig und geht durch α-Zerfall mit einer indem man zuerst Neptunium-IV-oxalat aus einer
Halbwertzeit von 2,858 a (Audi et al. 2003) neptuniumhaltigen Lösung durch Zugabe von
in 23292U über, das sich wiederum durch Oxalsäure ausfällt und dieses Oxalat dann zum
α-Zerfall mit einer Halbwertszeit von 68,9 a gewünschten Neptunium-IV-oxid glüht. Eventu-
in 22890Th umwandelt. ell in Lösung befindliches Neptunium höherer
235
93Np: Halbwertszeit 396,1 d, wandelt sich fast Oxidationszahlen wird ggf. vor der Zugabe von
nur durch Elektroneneinfang um und bildet Oxalsäure mit Ascorbinsäure zu Np-IV reduziert
dann 23592U. (Porter 1964). Neptunium-IV-oxid ist das stabilste
Oxid des Elements (Fahey et al. 1976; Sharma
Die anderen, hier nicht gesondert aufgeführten 2001, S. 128; Richter und Sari 1987).
Isotope und Kernisomere sind sehr kurzlebig mit Das schwarzbraune Neptunium-V-oxid (Np2O5)
Halbwertszeiten zwischen 45 ns (237m193Np) und kristallisiert monoklin. Beim Erhitzen zersetzt es
4,4 d (23493Np). sich oberhalb von 420 C zu Neptunium-IV-oxid
und Sauerstoff. Die Literatur zitiert diverse Verfah-
Verbindungen ren zu seiner Darstellung wie beispielsweise das
Chalkogenverbindungen Neptunium-IV-oxid (NpO2) zwei- bis dreistündige Erhitzen von Neptuniumper-
ist ein gelbgrüner bis brauner, kubisch im oxid auf Temperaturen von 300–350 C (Sharma
Calciumfluorid-Gitter kristallisierender Feststoff 2001, S. 128; Richter und Sari 1987; Benedict et al.
mit einem Schmelzpunkt von 2800 C und der 1986; Fahey 1986).
Dichte 11,1 g/cm3, der das aus chemischer Sicht Ternäre Neptuniumoxide (Neptunate) erhält
beständigste Neptuniumoxid ist. Es ist im Gegen- man durch Erhitzen von Neptunium-IV-oxid mit
satz zu Uran-IV-oxid relativ reaktionsträge und dem Oxid eines anderen Metalls oder durch Aus-
zeigt sich auch nahezu inert beim Kontakt mit fällung aus alkalischer Lösung. Ein Sintern mit
Wasser. Die thermodynamischen Daten der Ver- Lithiumoxid über 16 h bei 400 C ergibt etwa
bindung wurden schon vor langem bestimmt Li5NpO6, die 16-stündige Umsetzung der jeweili-
(Huber und Holley 1968; Westrum et al. 1953). gen Peroxide der höheren Alkalimetalle mit NpO2
Es ist beständig unter Sauerstoffdrucken bis zu im Quarzglasrohr bei 400 C im Sauerstoffstrom
2,84 MPa und bis hinauf zu Temperaturen von ergibt beispielhaft K3NpO5 (Keller et al. 1965;
400 C. Man synthetisiert es durch Erhitzen ande- Carnall et al. 1965; Morss et al. 1994; Keller und
rer Verbindungen des Neptuniums wie des Ni- Seiffert 1969; Awasthi et al. 1971). Ternäre Oxide
trats, Oxalats, Hydroxids oder Oxide höherer des Neptunium-VI- und -VII entstehen durch
Oxidationszahl des Neptuniums (Porter 1964; Ta- Erhitzen von Neptuniumperoxid mit Wasser, das
buteau und Pagès 1985). In kristalliner Form ist es ein Alkali- oder auch Erdalkalihydroxid und das
auch aus nahezu neutraler wässriger Lösung aus- jeweilige Peroxid enthält, auf Temperaturen von
fällbar (Roberts et al. 2003). 400–600 C während einer Zeit von 15–30 h. So
Neptunium-IV-oxid (mit fast quantitativem entstehen etwa Ba3(NpO5)2 oder Na2Np2O7
Anteil an 23793Np) ist eines der Produkte der (Hoekstra und Gebert 1977).
Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemen- Neptunium-III,IV-sulfid (Np3S5) und Neptu-
te. Man separiert es von diesen und füllt es unter nium-III,IV-selenid (Np3Se5) konnten vor kurzem
Beachtung der thermischen Ausdehnung der in Form schwarzer Prismen durch Reaktion stö-
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1003
chiometrischer Mengen von Neptuniummetall Sehr ähnlich hierzu verhalten sich die entspre-
und Schwefel bzw. Selen in geschmolzenem Cä- chenden Sulfide des Neptuniums (Brauer 1978,
siumchlorid bei Temperaturen um 800 C her- S. 1272). Schließlich existieren auch Np2Se3 und
gestellt werden. Bis zur Néel-Temperatur von Np3Se4, die man durch Erhitzen stöchiometrischer
238 C (35 K) bzw. 237 C (36 K) herab sind Mengen von Neptuniumhydrid und Selen im
das Sulfid bzw. Selenid paramagnetisch, unter- Vakuum herstellen kann (Thévenin et al. 1982,
halb dieser Temperatur antiferromagnetisch. Das 1985).
Sulfid ist ein Halbleiter, das Selenid auch ein Ebenso kennt man mehrere Neptuniumtelluri-
Halbmetall. In beiden sind sowohl Np3+- als auch de, beispielsweise das im kubischen Gitter kristal-
Np4+-Ionen enthalten (Ibers et al. 2011, 2013). lisierende Np3Te4, ein grauschwarzer, ferrimagne-
Weitere Neptuniumsulfide konnten dargestellt tischer Feststoff der Dichte 10 g/cm3 (Persson
und charakterisiert werden, wie NpS, NpS3, 2016). Das ebenfalls kubisch kristallisierende
Np2S5, Np2S3, und Np3S4. Das hochschmelzende Neptunium-II-tellurid (NpTe) ist ein grauschwar-
Neptunium-III-sulfid (Np2S3) erzeugt man durch zer Feststoff der Dichte 11,22 g/cm3, zeigt metal-
Überleiten eines Gemisches von Schwefelwasser- lischen Charakter und zersetzt sich beim Erhitzen
stoff und Kohlenstoffdisulfid über Neptunium-IV- zu Np3Te4 und Neptunium (Jain et al. 2013;
oxid bei Temperaturen von ca. 1000 C. Von der Damien und Wojakowski 1975).
Verbindung kennt man drei allotrope Modifikatio- Halogenverbindungen des Np-VI Neptunium-
nen, so existiert die α-Form bis hinauf zu 1230 C, VI-fluorid (NpF6) ist ein orangefarbener kristalli-
die β-Form bis hinauf zu 1530 C. Bei noch höhe- ner Feststoff, der bei einer Temperatur von
rer Temperatur ist die γ-Modifikation am stabil- 54,4 C schmilzt [Siedepunkt der Schmelze:
sten. Das Monosulfid (NpS) wird durch Erhitzen 55,2 C (Frlec 1967)]. Die Verbindung ist sehr
von Np2S3 mit Neptunium bei Temperaturen von empfindlich gegenüber Hydrolyse, reagiert heftig
ca. 1600 C gebildet. Np2S5 wiederum entsteht mit Wasser und wirkt wegen der so bedingten
beim Erhitzen einer aus Np3S5 und Schwefel leichten Freisetzung von Fluorwasserstoff korro-
bestehenden Mischung auf etwa 500 C. Alle siv. Das feste, rein kovalente Neptunium-VI-fluo-
diese Neptuniumsulfide sind, mit Ausnahme von rid ist paramagnetisch (Hutchison und Weinstock
β- und γ-Np2S3, isotyp mit den entsprechenden 1960; Hutchison et al. 1962; Goodman und Fred
Uransulfiden, und einige wie NpS, α- und 1959; Eisenstein und Pryce 1960) und besitzt im
β-Np2S3 sind dies auch mit den jeweiligen Pluto- festen Zustand orthorhombische Struktur mit
niumsulfiden. Ebenso wurden Oxidsulfide wie vier Formeleinheiten pro Elementarzelle. In der
NpOS, Np4O4S und Np2O2S dargestellt, wenn- Gasphase weisen die sechs Np-F-Bindungen im
gleich man sie auch nicht gründlich untersuchte. ideal oktaedrischen NpF6-Molekül eine jeweils
NpOS wurde beispielsweise hergestellt, indem gleiche Länge von 198 pm auf; der Bindungswin-
man ein Gemisch aus NpO2, Np3S5 und reinem kel F-Np-F beträgt 90 (Kimura et al. 1968).
Schwefel in einem geschlossenen Rohr aus Neptunium-VI-fluorid ist leicht durch Fluo-
Quarzglas für eine Woche auf eine Temperatur rieren von Neptunium-IV-fluorid (NpF4) bei
von 900 C erhitzte (Fried und Davidson 1948; etwa 500 C herstellbar (Weaver et al. 1958);
Zachariasen 1949; Peacock und Edelstein 1997). diese Reaktion wird auch heute noch zur Herstel-
Das in orthorhombisch-pseudo-tetragonaler lung der Verbindung angewandt. Die hohe Flüch-
Struktur kristallisierende Neptunium-V-selenid tigkeit des Hexafluorids erlaubt eine Abtrennung
(Np2Se5) wird unterhalb von 258 C (15 K) des Neptuniums von den meisten anderen in
ferromagnetisch (Thévenin et al. 1982). Daneben abgebrannten Brennstäben enthaltenen Elemen-
gibt es noch das halbleitende Neptunium-VI-sele- ten. Die erste Darstellung der Verbindung datiert
nid (NpSe3), das durch Erhitzen im Vakuum auf aus den 1940er-Jahren und ging von der Reak-
420 C in das oben genannte Np3Se5 überführt tion von Fluor mit Neptunium-III- oder -IV-fluo-
werden kann, und das im kubischen Kochsalzgit- rid aus (Fried und Davidson 1948; Seaborg und
ter kristallisierende Neptunium-II-selenid (NpSe). Brown 1947).
1004 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Zwei andere in verbrauchten Brennstäben ent- das sie zum jeweiligen Tetrafluorid und Fluor
haltene Elemente, Plutonium und Uran, lassen zersetzt. Lässt man Alkalifluorid mit NpF6 reagie-
sich in Form ihrer Tetrafluoride ebenfalls durch ren, so bilden sich unter Reduktion Fluorokom-
Fluorierung in ihr jeweiliges Hexafluorid über- plexe des Neptunium-V, wie beispielsweise mit
führen, nur laufen diese Reaktion bevorzugt bei Natriumfluorid das Na3NpF8 (Leverne et al. 1968)
vom Neptunium abweichender Temperatur ab oder mit Cäsiumfluorid das CsNpF6 (Peacock und
(Uran: 300 C, Plutonium: 750 C) und gestatten Edelstein 1976). Eine Hydrolyse mit geringen
nur auf diese Weise die Abtrennung von Neptu- Mengen Wasser ergibt Neptunium-VI-oxidtetra-
nium (Uhlíř und Marečeka 2009). Hinsichtlich der fluorid (NpOF4).
Flüchtigkeit verhalten sich die Hexafluoride Die Verbindung ist aus mehreren Gründen ex-
des Urans, Neptuniums und Plutoniums nahezu trem toxisch. Zum ersten bildet sich bei ihrem Kon-
gleich (Malm et al. 1959). Bei der Aufarbeitung takt mit Feuchtigkeit Flusssäure, die Haut und
fluoriert man das feingemahlene Brennmaterial Schleimhäute stark verätzt, auch die Atemwege,
direkt unter Bildung der oben genannten jeweili- und durch die unmittelbar erfolgende Resorption
gen Hexafluoride. Sollte man doch ein Gemisch den Calcium- und Magnesiumstoffwechsel meist
von diesen erhalten, so kann Neptunium im unter Todesfolge blockiert. Neptunium-VI-fluorid
Unterschied zu Uran zur Oxidationsstufe +4 redu- ist zudem radioaktiv und zeigt darüber hinaus die
ziert werden, indem man bei Temperaturen von typische Giftwirkung eines Schwermetalls.
ca. 100 bis 200 C Cobalt-II-fluorid in Form von Neptunium-VI-dioxiddifluorid (NpO2F2) ist
Pellets zugibt. Auch wird Neptunium-VI-fluorid ein rosafarbener Feststoff, den man durch Umset-
bei ca. 100 C zu zwei Dritteln seiner Menge zung von Neptuniumperoxid mit Neptunium-V-
durch Magnesiumfluorid absorbiert, während fluorid im Fluorstrom bei ca. 330 C erhält. Nep-
Uranhexafluorid inert bleibt (Nakajima und tunium-VI-oxidtetrafluorid (NpOF4) entsteht durch
Groult 2005). Erhitzen von Neptuniumoxiden in einem Gasge-
Weitere Darstellungswege sind die Umsetzung misch aus Fluorwasserstoff und Fluor (Eller et al.
von Neptunium-IV-oxid mit Fluor und die selek- 1998; Malm et al. 1968; Fried 1954, S. 471;
tiv nur auf Neptunium anwendbare Reaktion mit Drobyshevskii et al. 1978; Peacock und Edelstein
Brom-III- oder -V-fluorid (Trevorrow et al. 1968). 1976; Kleinschmidt et al. 1992).
Die Einwirkung von Disauerstoffdifluorid in was- Halogenverbindungen des Np-V Das hellblaue
serfreiem, flüssigen Fluorwasserstoff bewirkt Neptunium-V-fluorid (NpF5) schmilzt bei einer
schon bei einer Temperatur von 78 C eine Temperatur von 318 C unter Zersetzung und
praktisch vollständige Umsetzung zu Neptunium- kristallisiert tetragonal (Morss et al. 1993). Man
VI-fluorid (Eller et al. 1998): stellt es in zwei Schritten aus Cäsium- und
Neptunium-VI-fluorid her, wobei sich zunächst
CsNpF6 bildet, das dann mit Bor-III-fluorid in
NpO2 þ 3 O2 F2 ! NpF6 þ 4 O2
wasserfreiem Fluorwasserstoff umgesetzt wird
NpF4 þ O2 F2 ! NpF6 þ O2 (Holleman et al. 2007, S. 1969; Fuger et al.
2006, S. 699–812; Rao et al. 2006).
(Der Versuch, Disauerstoffdifluorid direkt mit Halogenverbindungen des Np-IV Bei Tempe-
der jeweiligen Neptuniumverbindung reagieren raturen von ca. 500 C erhält man durch Reaktion
zu lassen, führt dagegen zu dessen explosions- von Neptunium-IV-oxid mit Fluorwasserstoff im
artiger Zersetzung.) Sauerstoffstrom das grüne Neptunium-IV-fluorid
Sofern selbst Spuren von Feuchtigkeit und (NpF4) (Malm et al. 1958). Bei einer anderen
Fluorwasserstoff entfernt wurden, kann man Herstellmethode oxidiert man Neptunium-III-
Neptunium-VI-fluorid bei Raumtemperatur unbe- fluorid (NpF3) mit einem Gemisch aus Sauerstoff
grenzt lange in Ampullen aus Quarzglas lagern. und Fluorwasserstoff. Die Verbindung hat die
Allerdings ist die Substanz, wie auch das Pluto- Dichte 6,8 g/cm3, kristallisiert monoklin und ist
nium-VI-fluorid, empfindlich gegenüber Licht, leicht sublimierbar (Kleinschmidt et al. 1992). Mit
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1005
Wasserstoff lässt es sich wieder zum Neptunium- oxidierbar, so wird sie durch Umsetzung mit
III-fluorid reduzieren und mit Fluor zu Neptu- elementarem Fluor in das leicht flüchtige Neptu-
nium-VI-fluorid (NpF6) oxidieren. nium-IV-fluorid (NpF6) und durch ein aus Sauer-
Das orangebraune, bei einer Temperatur von und Fluorwasserstoff bestehendes Gemisch in
538 C schmelzende Neptunium-IV-chlorid (NpCl4) Neptunium-IV-fluorid (NpF4) überführt (Malm
(Holleman et al. 2007, S. 1969; Keller 1969/70) et al. 1958). Jedoch ist es auch möglich, das
wurde erstmals durch Reaktion von Tetrachlor- Trifluorid durch Umsetzung mit reaktiven Metal-
kohlenstoff mit Neptunium-IV-oxid (NpO2) oder len wie Lithium oder Barium bei Temperaturen
-IV-oxalat bei 500 C dargestellt. Die mit tetra- von ca. 1200 C zu metallischem Neptunium zu
gonaler Struktur kristallisierende Verbindung der reduzieren.
Dichte 4,92 g/cm3 ist sehr empfindlich gegenüber Das grüne, bei 800 C schmelzende Neptunium-
Hydrolyse. Erhitzt man nicht völlig entwässertes III-chlorid (NpCl3) stellt man durch Reduktion von
Neptunium-IV-chlorid, so hydrolysiert es durch Neptunium-IV-chlorid (NpCl4) mit Wasserstoff
bis zum Neptunium-IV-oxid. Durch Überleiten oder Ammoniak bei 450 C dar, ebenso auch durch
von Wasserstoff in der Hitze kann man es in Erhitzen einer Mischung von Aluminiumchlorid
Neptunium-III-chlorid (NpCl3) überführen. Es und Neptunium-IV-oxid. Das Salz der Dichte
ist in polaren organischen Lösungsmitteln wie 5,58 g/cm3 kristallisiert isotyp zu Uran-III-chlorid,
Aceton und Nitromethan löslich. also in hexagonaler Struktur mit zwei Formelein-
Neptunium-IV-bromid (NpBr4) erhält man durch heiten pro Elementarzelle. Auch hier ist jeweils ein
Reaktion von Neptunium-IV-oxid mit Alumini- Neptuniumatom von neun des Chlors umgeben.
umbromid (I), in reinerer Form aber durch Er- Das homologe Neptunium-III-bromid (NpBr3),
wärmen von Neptunium oder auch Neptunium- einen grünen Feststoff der Dichte 6,62 g/cm3,
III-bromid mit einer entsprechenden Menge kann man durch Reaktion von Neptunium-IV-
Brom bei Temperaturen um 420 C (II, III) (Kel- oxid mit Aluminiumbromid erhalten (Brauer
ler 1969/70): 1978, S. 1268). Die Verbindung ist wie alle Halo-
genide des Neptuniums sehr empfindlich gegen-
(I) 3 NpO2 þ 4 AlBr3 ! 3 NpBr4 þ 2 Al2 O3 über Hydrolyse und wird durch Wasser zu
basischen Halogeniden oder gleich ganz zum
(II) Np þ 2 Br2 ! NpBr4 jeweiligen Oxidhydroxid zersetzt. Von ihr gibt es
zwei Modifikationen, das hexagonal und isotyp zu
(III) 2 NpBr3 þ Br2 ! 2 NpBr4 Uran-III-chlorid kristallisierende α-NpBr3 und
daneben das β-NpBr3 mit orthorhombischer, zu
Der dunkelrote Feststoff schmilzt bei einer den höheren Actinoidtribromiden isotyper Struk-
Temperatur von 464 C und kristallisiert im tur. Ein Aufbromieren zum Neptunium-IV-bro-
monoklinen Kristallgitter. mid gelingt durch Erhitzen mit Bromdampf auf
Halogenverbindungen des Np-III Neptunium- Temperaturen oberhab von 400 C.
III-fluorid (NpF3) wird durch Reaktion von Das braune Neptunium-III-iodid (NpI3) ent-
Neptunium-IV-oxid mit einem Gemisch aus Was- steht durch Reaktion von Neptunium-IV-oxid mit
serstoff und Fluorwasserstoff bei Temperaturen Aluminiumiodid (Brauer 1978, S. 1269). Der bei
um 500 C erhalten. Alternativ ist auch die Aus- einer Temperatur von 767 C schmelzende Fest-
fällung der Verbindung durch Zugabe von Fluorid stoff der Dichte 6,82 g/cm3 ist empfindlich
zu einer wässrigen Lösung eines Neptunium-III- gegenüber Hydrolyse und kristallisiert isotyp
salzes im schwach Sauren möglich. Der violette zu Plutonium-III-bromid mit orthorhombischer
Feststoff schmilzt bei 1425 C (Siedepunkt der Struktur (Keller 1969/70).
Schmelze: 2223 C) und kristallisiert in der trigo- Ionische Spezies des Neptuniums in wässriger
nalen Struktur des Lanthanfluorids (Zachariasen Lösung Neptunium-III existiert in Form hydrati-
1949), in der jedes Neptunium- von neun Fluora- sierter, dunkelblauer bis purpurfarbener Np3+-
tomen umgeben ist. Die Verbindung ist leicht Ionen in saurer Lösung (Greenwood und Earn-
1006 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
einer Mischung aus Arsen und Neptuniumhydrid Neptunium bildet Hydride der Formel NpH2+x
im evakuierten Rohr; zur Darstellung des Np3As4 kubisch-flächenzentrierter Struktur und hexagonal
setzt man noch Iod zu. Kristalle des bei tiefer kristallisierendes Neptunium-III-hydrid (NpH3).
Temperatur ferromagnetischen NpAs2 (Delapal- Diese sind sämtlich isotyp zu den jeweiligen
me et al. 1982; Aldred et al. 1974) sind goldbraun Hydriden des Plutoniums. Die Hydride müssen
und die des Np3As4 schwarz; beide Verbindungen mit äußerster Vorsicht gehandhabt werden, da sie
sind Halbmetalle (Blaise et al. 1981; Dabos et al. sich im Vakuum oberhalb von Temperaturen von
1986). Das Neptuniumantimonid (NpSb) erhält 300 C unter Bildung fein verteilten, selbstent-
man durch 16-tägiges Schmelzen einer Mischung zündlichen Neptuniums zersetzen.
stöchiometrischer Mengen der Elemente bei einer Einige Verbindungen des Neptuniums prüfte
Temperatur von 1000 C. Analog erhält man man darauf, ob sie radioaktiven Abfall infolge
ein Neptuniumbismutid (NpBi) durch tagelanges ihrer Schwerlöslichkeit in Wasser immobilisie-
Erhitzen einer Schmelze von Neptunium und Bis- ren könnten. Das grüne Neptuniumpyrophosphat
mut (Burlet et al. 1992). (α-NpP2O7) erzeugt man aus Neptunium-IV-oxid
Sonstige Verbindungen Einzelne Neptunium- und Borphosphat bei 1100 C. Ebenso konnte
carbide (NpC, Np2C3, NpC2) konnten erzeugt, man einige Neptuniumsulfate darstellen, wie auch
aber noch nicht vollständig charakterisiert und Carbonate.
im Hinblick auf ihre mögliche Eignung als Brenn- Einige wenige organische Verbindungen des
stoff in Reaktoren geprüft werden. NpC ist nicht Elements kennt man, wie die Komplexe mit Cy-
stöchiometrisch, wird zutreffender mit der Formel clopentadien und Cyclooctatetraen sowie deren
NpCx (0,82 x 0,96) beschrieben und ist durch Derivate. 1972 gelang die Synthese des Tetrahy-
Umsetzung von Neptuniumhydrid mit Grafit bei drofuran-Adduktes von Np(C5H5)3, nicht aber die
1400 C oder durch Schmelzen von Neptunium des reinen Komplexes. Die analoge Verbindung des
und Grafit im Lichtbogen einer Wolframelek- Neptunium-IV, ein in Tetrahydrofuran und Benzol
trode erhältlich (de Novion und Lorenzelli löslicher rotbrauner Feststoff, erhielt man durch
1968). NpC reagiert mit überschüssigem Kohlen- Reaktion von Neptunium-IV-chlorid mit Kaliumcy-
stoff unter Bildung von Np2C3. NpC2 entsteht, clopentadienid:
wenn Neptunium-IV-oxid im Grafittiegel auf
Temperaturen von 2700–2800 C erhitzt wird NpCl4 þ 4 KC5 H5 ! NpðC5 H5 Þ4 þ 4 KCl
(Holley et al. 1984).
Es existieren mehrere Neptuniumboride. Nep- Neptunocen [Np(C8H8)2] konnte ähnlich
tuniumdiborid (NpB2) erhält man durch Glühen durch Umsetzung von Neptunium-IV-chlorid
von Neptuniumhydrid mit Bor im Atomverhält- mit Kaliumcyclooctatetraenid dargestellt werden;
nis Np:B = 1:2 in einem aus Zirkoniumborid die Verbindung ist isotyp zu ihren Analoga Ura-
bestehenden Tiegel bei Temperaturen zwischen nocen und Plutonocen (s. Abb. 17) und reagiert
800 und 2100 C im Vakuum, allerdings nur in wie diese schon mit Luftsauerstoff. Da Neptu-
unreiner Form. Zur Herstellung des Neptunium- nium wegen seiner Fähigkeit, in Form aller Oxi-
tetraborids (NpB4) schmilzt man die Elemente dationsstufen von +3 bis +7 aufzutreten, das un-
im Atomverhältnis Np:B = 14:86 im elektrischen typischste Element der Actinoidenreihe ist, sind
Lichtbogenofen unter Argon. Neptuniumhexabo- Organokomplexe des Elements von enormem
rid (NpB6) entsteht nach gleicher Methode, nur Interesse.
unter Anwendung eines Atomverhältnisses Np:B Mit Oxalat, Gluconat und weiteren organi-
von 8:92 (Koch 1972, S. 194). Nach letzterem schen Anionen bildet Neptunium anionische
Verfahren entsteht allerdings auch das Dodekabo- Komplexe. In den meisten Fällen liegt das Ele-
rid (NpB12) in geringer Menge; dieses zersetzt sich ment dabei in den Oxidationsstufen +4 bis +6 vor.
aber in der Hitze zu Bor und dem Hexaborid. Die Die Reihenfolge der Stabilität für Komplexe des
einzige kongruent verdampfende Phase im gesam- Np-IV, Np-V und Np-VI mit monovalenten anor-
ten System Bor-Neptunium ist das Tetraborid. ganischen Liganden ist F > H2PO4 > SCN >
1008 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
5.5 Plutonium
Die angegebenen Zeiten sind Halbwertszeiten. ben dabei zurück. Im Jahr werden so ca. 20 t
239
94Pu hat eine Halbwertszeitvon 24.110 a (Audi Plutonium, meist in Form des Isotops 23994Pu,
et al. 2003) und zerfällt fast nur unter Aussendung produziert.
von α-Strahlung zu 23592U. Der weitere Zerfall
folgt der natürlichen Uran-Actinium-Reihe, die Eigenschaften Plutonium ist unter Normalbe-
bei 23592U beginnt. dingungen ein silberglänzendes Metall der
Der Einfang eines weiteren Neutrons führt hohen Dichte von 19,86 g/cm3 (Holleman et al.
meist zur Kernspaltung, zum Teil auch zur Bil- 2007, S. 2149; s. Tab. 5). Alle seine Isotope sind
dung des Isotops 24094Pu, das aber schlecht spalt- radioaktiv, durch die beim Zerfall der Nuklide
bar ist. 24094Pu erleidet mit einer Halbwertszeit frei werdende Energie erwärmt sich Plutonium
von 6564 a (Audi et al. 2003) α-Zerfall zu 23692U. von selbst. 100 g des Elements (23994Pu) erzeu-
Absorption eines weiteren Neutrons ergibt gen ca. 0,2 W Wärmeleistung (Greenwood und
das gut spaltbare 24194Pu, das sich mit kurzer Earnshaw 1988). Daher kann metallisches Plu-
Halbwertszeit von 14,35 a (Audi et al. 2003) tonium die Temperatur des absoluten Null-
praktisch ausschließlich per β-Zerfall in 24195Am punkts (0 K, 273,15 C) nicht mehr erreichen.
umwandelt. Es ist, verglichen mit anderen Metallen, ein
Weitere Einfangsreaktionen von Neutronen schlechter Leiter für Wärme und elektrischen
sind bis herauf zu 24394Pu möglich, das wegen Strom und kristallisiert in Abhängigkeit von der
seiner kurzen Halbwertszeit kaum noch in der Temperatur in insgesamt sechs (!) allotropen
Lage ist, weitere Neutronen zu absorbieren. Die- Modifikationen jeweils deutlich voneinander
ser Prozess ist daher bei 24394Pu beendet; 24394Pu verschiedener Dichte. Die bei Raumtemperatur
erleidet dann β-Zerfall zu 24395Am. stabile Modifikation (α-Pu) kristallisiert mono-
Das leichtere Isotop 23894Pu kann man gezielt klin.
durch Einfang mehrerer Neutronen aus dem Uran- Plutonium zeigt das seltene Phänomen der
Isotop 23592U herstellen. Es können in derart Dichteanomalie, die Dichte nimmt bei der Pha-
behandelten Brennstäben auch schwerere Pluto- senumwandlung zur δ0 - und ε-Modifikation
niumisotope vorkommen, die Ausgangspunkte wieder zu. Auch beim Schmelzen wird, wie bei
jeweils eigener Zerfallsreihen sind. Wasser, die Dichte größer (Los Alamos Science
Wird das oben genannte, im Kernkraftwerk 2000). Flüssiges Plutonium besitzt die höchste
erzeugte 23994Pu durch schnelle Neutronen ge- Viskosität aller Elemente im flüssigen Zustand.
spalten, ist die durchschnittliche Zahl neu freige- Plutonium weist ferner eine hohe magnetische
setzter Neutronen pro gespaltenem Atomkern sehr Suszeptibilität auf, ist aber trotzdem nur para-
hoch. Bei einer solchen Fahrweise des Reaktors und nicht ferromagnetisch(Los Alamos Science
kann daher mehr 23994Pu aus 23892U erzeugt wer- 2000).
den als durch Spaltung verbraucht wird. Einen Plutonium ist ein unedles und sehr reaktives
solchen Reaktor nennt man einen „schnellen Brü- Metall. An der Luft reagiert es schnell mit Luft-
ter“. Bislang konnte das Funktionieren eines sol- feuchtigkeit und Sauerstoff. Selbst in Form kom-
chen Brutprozesses in der Praxis aber noch nicht pakter Blöcke kann es sich beim Stehenlassen an
im großen Maßstab gezeigt werden. der Luft spontan entzünden (Haschke et al.
Das Plutonium befindet sich nach dem Brut- 2000). Das Metall läuft aber meist zuerst matt
prozess zusammen mit anderen Spaltprodukten an und überzieht sich mit einer blauschwarzen
und nicht umgesetzten Rest-Kernbrennstoff in Oxidhaut. Längeres Stehen an der Luft führt zur
den abgebrannten Brennelementen. Flüssig-flüs- Bildung einer dicken, graugrünen, pulverig
sig-Extraktion hilft, das Plutonium aus dieser abreibenden Oxidschicht (Brauer 1978). Das
Mischung zu isolieren. Dazu löst man das Mate- Metall reagiert beim Erhitzen mit den meisten
rial zunächst in Salpetersäure und extrahiert Plu- Nichtmetallen und Wasser, wogegen es bei
tonium und Uran mittels Tri-n-butyl-phosphat. Raumtemperatur von Wasser und Laugen nicht
Die Spaltprodukte und anderen Bestandteile blei- angegriffen wird.
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1011
In konzentrierter Salpetersäure ist es infolge ums ähneln denen anderer Actinoide; ähnlich wie
der Bildung einer schützenden Passivschicht nicht bei diesen bestimmt bei Plutonium die starke Ra-
löslich (Greenwood und Earnshaw 1988). Die dioaktivität die chemischen Eigenschaften mit, da
weiteren chemischen Eigenschaften des Plutoni- durch die entstehende Wärme Bindungen aufge-
1012 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
brochen werden können. Auch die freiwerdende erhält man Plutonium-IV-sulfid (PuS2) durch Erhit-
Strahlung kann zum Aufbrechen chemischer Bin- zen stöchiometrischer Mengen von Plutonium und
dungen führen. Schwefel auf 600 C. Erhitzt man es unter Vakuum
auf noch höhere Temperatur, so spaltet es Schwefel
Verbindungen unter Bildung von α-Plutonium-III-sulfid (Pu2S3)
Chalkogenverbindungen Das durch starken in- ab; jenes ist eine stark exotherme Verbindung mit
trinsischen radioaktiven Zerfall oft glühende, gelb- Schmelzpunkt 1727 C und der Dichte 10,0 g/cm3.
braune Plutonium-IV-oxid (PuO2) (s. Abb. 18) ist Glühen dieses Sesquisulfids im Vakuum auf eine
das aus chemischer Sicht stabilste Oxid des Ele- Temperatur von 1350 C ergibt β-Pu2S3 (Hummel
ments. Der braungrüne Feststoff der Dichte 11,5 g/cm3 et al. 2002).
schmilzt bei einer Temperatur von 2400 C (Sie- Das im kubischen Kochsalzgitter kristallisie-
depunkt der Schmelze: 2800 C) und kristallisiert rende, bei 2075 C schmelzende Plutoniummono-
im kubischen Calciumfluorid-Gittertyp (Clark selenid (PuSe) erhält man unter anderem durch
et al. 2006). Das nahezu inerte Material entsteht Umsetzung der Elemente in stöchiometrischem
durch spontanes Verbrennen von Plutonium an Verhältnis im elektrischen Lichtbogenofen (Koch
der Luft oder, in reinerer Form, unter Sauerstoff, 2013, S. 189, und dort zitierte Literatur; McIntyre
jeweils unter Normalbedingungen (Brauer 1978, 1992). Wie auch das homologe Samarium-II-sele-
S. 1305), ebenfalls beim Glühen von Plutonium- nid ist es ein Halbleiter. Für Plutonium-III-selenid
IV-oxalat oder -nitrat. Plutonium-IV-oxid kann (Pu2Se3) sind diverse Modifikationen bekannt
man zu Keramik sintern. Aus der Schmelze gezo- (Koch 1972, S. 189).
gene Einkristalle sind schwarz und glänzend. Man Plutonium-VI-dioxidtellurid (Pu2O2Te) hat
verwendet die Verbindung als Material für Brenn- dieselbe Struktur wie die entsprechenden Verbin-
stäbe und in Radionuklidbatterien. dungen der Seltenerdmetalle. Wie die im Tempe-
Plutoniummonosulfid (PuS) entsteht durch raturbereich von 269 C (4 K) bis 25 C (298 K)
mehrstündiges Überleiten von Schwefelwasser- gemessenen magnetischen Suszeptibilitäten und
stoff bei Temperaturen von 400 bis 600 C über Leitfähigkeiten nahelegen, ist die Verbindung
zuerst frisch hergestelltes, fein verteiltes und dann unterhalb der Néel-Temperatur von 217 C
thermolytisch teils zersetztes Plutonium-III-hy- (56 K) antiferromagnetisch und zugleich ein
drid (Kruger et al. 1965). Danach homogenisiert Halbleiter mit einer intrinsischen Bandlücke von
man das Material durch vierstündiges Erhitzen im 0,65 eV. Der Radius des Pu-Atoms ist wegen
Wolframtiegel auf eine Temperatur von 1600 C relativistischer Effekte deutlich kleiner als zu
im Vakuum. Das entstandene Sulfid ist von gelb- erwarten gewesen wäre, was in einer Aufblähung
brauner Farbe. der 5f-Orbitale und einer Schrumpfung des Atom-
Auch höhere Sulfide des Plutoniums sind radius im Kristall begründet ist. Die Ursache der
bekannt; viele Synthesen wurden von Cleveland gemessenen Bandlücke für diese Verbindung
(1970) und Grønvold (1984) ausgearbeitet. So hexagonaler Kristallstruktur ist die Energiediffe-
renz zwischen den hybridisierten p-Orbitalen des
Chalkogenatoms und dem 6d-7s Leitungsband
des Plutoniumatoms (Costantini et al. 1983).
Halogenverbindungen des Pu-VI Plutonium-
VI-fluorid (PuF6) ist bei einer Temperatur von
180 C farblos, vertieft aber seine Farbe beim
Erwärmen und liegt bei 20 C als rotbrauner,
leicht flüchtiger, kristalliner Feststoff vor, der
radioaktiv und korrosiv ist. Mittlerweile zur Her-
Abb. 18 PuO2 glüht durch die beim α-Zerfall des in ihm
stellung des Plutonium-VI-fluorids etabliert ist die
enthaltenen, kurzlebigen Isotops 23894Pu frei gesetzte Ener- endotherme und auch endergonische (!) Fluorie-
gie (U.S. Department of Energy 1997) rung von Plutonium-IV-fluorid (Mandleberg et al.
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1013
1956; Florin et al. 1956) bei Temperaturen um rausgesetzt aber, es sind nicht einmal Spuren von
750 C. Die Reaktion verläuft aber mit sehr guter Feuchtigkeit und Fluorwasserstoff darin enthal-
Ausbeute, wenn das entstehende PuF6 sofort ab- ten, und das Glas besitzt keinerlei Gaseinschlüsse.
kondensiert und so dem Gleichgewicht der Plutonium-VI-fluorid kann man in einer redu-
Reaktion entzogen wird (Weinstock und Malm zierenden Flamme in Plutonium-IV-oxid über-
1956; Steindler et al. 1958): führen (Sokolov et al. 2003). Erhitzen auf Tem-
peraturen von etwa 280 C führt in Umkehrung
PuF4 þ F2 ! PuF6 der Bildungsreaktion schnell zu einer Zersetzung
zu Plutonium-IV-fluorid und Fluor (Trevorrow
Viel glatter erfolgt die Reaktion von Uran- bzw. et al. 1961; Fischer at el. 1961, 1962; Tsujimura
Neptunium-IV-fluorid zum jeweiligen Hexafluorid et al. 1972; Burns et al. 1981). Die Verbindung
(bei 300 C bzw. 500 C; Malm et al. 1958). erleidet zudem Autoradiolyse, also die Zerset-
Alternativ ist auch die Fluorierung von zung durch die selbst abgestrahlte Radioaktivität
Plutonium-IV-oxid zum Hexafluorid möglich zu Plutonium-IV-fluorid und Fluor (Wagner et al.
(Steindler et al. 1959). „Exotische“ Verfahren sind 1965; Bibler 1979). In einem ausschließlich
die Fluorierung des Tetrafluorids mittels sehr star- das kurzlebige Isotop 23994Pu enthaltenden
ker Oxidationsmittel wie Krypton-II-fluorid (Asp- Plutonium-VI-fluorid führen die emittierten α-
rey et al. 1986) oder Disauerstoffdifluorid (Malm Teilchen zum Bruch von Bindungen, dies mit
et al. 1984; Sokolov et al. 2002). einer täglichen Zersetzungsrate von 1,5 % (!).
Bei Normaldruck schmilzt bzw. siedet Pluto- In der Gasphase und bei stark reduziertem Druck
nium-VI-fluorid bei 52 C bzw. 62 C und ist kann die Geschwindigkeit des Abbaus aber
daher leicht in die Gasphase überführbar (Wein- deutlich gesenkt werden. Energiereichere γ-Strah-
stock et al. 1959). Unterhalb eines Drucks von lung führt erwartungsgemäß ebenfalls zu einem
710 hPa sublimiert es beim Erwärmen. Diese schnellen Abbau zum Tetrafluorid und Fluor
Eigenschaft ist für die Anreicherung des Isotops (Steindler et al. 1964). Bestrahlung mit Licht im
239
94Pu (Halbwertszeit: 24.110 a) wichtig. ungefähren Wellenlängenbereich von 335 bis
Festes Plutonium-VI-fluorid ist paramagne- 560 nm zersetzt die Verbindung zügig zu Pluto-
tisch und weist bei 22 C eine molare magnetische nium-V-fluorid und Fluor (Rabideau und Camp-
Suszeptibilität χmol von 1,73 104 cm3/mol auf bell 1987).
(Gruen et al. 1956). Die Verbindung ist kova- Ohne die Eigenschaften von Uran- und
lent und kristallisiert orthorhombisch mit vier Plutonium-VI-fluorid im Einzelnen zu kennen,
oktaedrisch koordinierten Formeleinheiten pro postulierte man schon früh eine mögliche Tren-
Elementarzelle. Diese regelmäßige oktaedrische nung des Urans von Plutonium (Seaborg 1942;
Struktur zeigen die PuF6-Moleküle auch in der Steindler 1963). Bei den damals durchgeführten
Gasphase (Bindungswinkel F-Pu-F 90 mit Länge Versuchen erwies sich Plutonium in einem Fluor-
Pu-F 197,1 pm) (Kimura et al. 1968). Das Molekül strom nur oberhalb einer Temperatur von 700 C
zeigt jeweils drei Streck- und drei Biegeschwin- als flüchtig. Generell zeigte sich, dass Uranver-
gungen, deren IR- und Raman-Aktivität charakte- bindungen unter diesen Bedingungen am flüchtig-
risiert wurden (Hawkins et al. 1955; Malm et al. sten waren, diejenigen des Neptuniums und
1955; Steindler und Gunther 1964; Kugel et al. schließlich die des Plutoniums folgten mit Ab-
1976; Beitz et al. 1983; Walters und Briesmeister stand (Brown et al. 1942; CN-343). Daraus wurde
1984; Kim und Mulford 1990). geschlossen, dass höhere, leicht flüchtige Fluoride
Plutonium-VI-fluorid ist nur in völlig trocke- des Plutoniums instabiler als diejenigen des Urans
ner Luft beständig; mit Wasser erfolgt eine heftige seien (Brown et al. 1942; CN-363) bzw. dass sie
Reaktion unter Bildung basischer Plutoniumoxide nur in einer Fluoratmosphäre bei höherer Tempe-
und Fluorwasserstoff (Kessie 1967). Man kann ratur existieren könnten (Fisher et al. 1944). Die
die Substanz praktisch unbegrenzt lange in Quarz- von Brewer et al. vorausgesagten thermodynami-
glas- oder PYREX-Ampullen aufbewahren, vo- schen Daten (1945) konnten Anfang der 1950er-
1014 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Jahre experimentell bestätigt werden (Florin Bestrahlung von Plutonium-VI-fluorid mit Laser-
1950, 1953; Tannenbaum und Florin 1953; Bre- licht einer Wellenlänge von <520 nm darstellen
wer et al. 1950; Mandleberg et al. 1953; Hurst (Rabideau und Campbell 1987). Bestrahlen der
et al. 1953). Verbindung über längere Zeit setzt den Abbau
Plutonium-VI-fluorid ist allgemein zur Anrei- bis zum Plutonium-IV-fluorid fort.
cherung von Plutonium und, wie bereits erwähnt, Halogenverbindungen des Pu-IV Das rotbraune
besonders zur Isolierung des spaltbaren Isotops Plutonium-IV-fluorid (PuF4) erzeugt man meist
239
94Pu aus bestrahltem Uran unverzichtbar (Audi durch Reaktion von Plutonium-IV-oxid (PuO2)
et al. 2003). In Kernreaktoren entsteht dabei auch oder auch Plutonium-III-fluorid (PuF3) mit Fluor-
das kurzlebige 24194Pu (t1/2: 14 a), das einerseits wasserstoff im Sauerstoffstrom bei Temperaturen
spaltbar ist, andererseits durch β-Zerfall in zwischen 450 und 600 C. Der Zusatz von Sauer-
241
95Am übergeht. Bei der Lagerung verbrauchter stoff soll hier einer möglichen Reduktion des
atomarer Brennstoffe erfolgt daher schnell eine Plutonium-IV-fluorids durch Spuren an Wasser-
Anreicherung des Americiums, das seinerseits stoff entgegen wirken, die eventuell im Fluorwas-
mit einer Halbwertszeit von 432 a infolge α-Zer- serstoff enthalten sind. Die Verbindung hat eine
falls zu 23793Np zerfällt und die wesentliche Ursa- Dichte von 7,1 g/cm3 und kristallisiert mit mono-
che für die starke Radioaktivität radioaktiver kliner Struktur (Zachariasen 1949).
Abfälle über Jahrhunderte hinweg ist. [24195Am Halogenverbindungen des Pu-III Das violette,
ist dagegen nur unter drastischen Bedingungen in Wasser schwer lösliche Plutonium-III-fluorid
(Beschuss mit Neutronen) spaltbar. Eventuell vor- (PuF3) stellt man durch Reaktion von Fluoriden
handenes Americium muss nasschemisch auf zu mit einer wässrigen Lösung von Plutonium-III-
Uran, Neptunium und Plutonium unterschiedliche nitrat her (Burney und Tober 1965). Eine weitere
Weise aufgearbeitet werden, da es im Unterschied Möglichkeit der Darstellung ist die Umsetzung
zu diesen die Oxidationsstufe +3 bevorzugt.] von Plutonium-III- oder -IV-oxalat oder Plu-
Die Trennung des Plutoniums von dem in ihm tonium-IV-oxid mit einem aus Fluorwasserstoff
enthaltenem Americium erfolgt durch Oxidation und Wasserstoff bestehenden Gasgemisch (Brauer
mit Disauerstoffdifluorid (O2F2), wobei flüchtiges 1978, S. 1299):
PuF6 und festes AmF4 entstehen. Ersteres destil-
liert ab, wird separat kondensiert und hat nur noch Pu2 ðC2 O4 Þ3 þ 6 HF ! 2 PuF3 þ 3 CO þ 3 CO2
einen sehr geringen Anteil an Americium; der 2 PuO2 þ H2 þ 6 HF ! 2 PuF3 þ 4 H2 O
Rückstand enthält dann entsprechend einen hohen
Anteil daran (Mills und Reese 1994). Uran und Die Verbindung schmilzt bzw. siedet bei Tempe-
Plutonium sind dagegen durch Fluorierung leicht raturen von 1396 bzw. 1957 C und ist flüchtiger als
voneinander trennbar, da Uran-VI-fluorid schon Americium-III-fluorid (Carniglia und Cunningham
bei relativ niedriger Temperatur entsteht (Golliher 1955; Kleinschmidt 1989). Plutonium-III-fluorid
und Harris 1973; Nishimura und Sugikawa 1979; besitzt eine Dichte von 9,33 g/cm3 und kristallisiert
Moser und Navratil 1984; Drobyshevskii et al. in der Lanthanfluoridstruktur (Koch 1972), in der
2002). jedes Plutoniumion von neun Fluoridionen in einer
Plutonium-VI-fluorid ist extrem giftig, ätzend verzerrten trigonal-prismatischen Struktur umgeben
und zudem noch stark radioaktiv. Bei Inkorpora- ist. Lange diskutierte man darüber, ob die schlechte
tion wird es in der Leber und den Nieren angerei- Wasserlöslichkeit des PuF3 geeignet sei, Plutonium
chert. aus Lösungen ausfällen und somit abtrennen zu
Halogenverbindungen des Pu-V Im amorphen können (Gupta 1990). Galt es früher als unwirt-
bzw. flüssigen Plutonium-V-fluorid (PuF5) lie- schaftlich (Winchester 1957), so scheint man heute
gen PuF5-Einheiten vor, die miteinander durch ein solches Verfahren zu favorisieren (Martella et al.
Fluorbrücken zu linearen Ketten verbunden sind 1984; Grebenkin et al. 1997).
(Lemire 2005, S. 352; Holleman et al. 2007, Plutonium-III-chlorid (PuCl3) liegt in Form
S. 1970). Man kann die Verbindung durch grüner Kristalle hexagonaler, zu Uran-III-chlorid
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1015
da der Wasserstoff sehr bereitwillig mit dem 0,32 mg/kg Körpergewicht (Los Alamos Science
Sauer- und Stickstoff der Luft reagiert (Haschke 2000).
et al. 2000; Haschke und Allen 2001). Viel gefährlicher ist aber seine Radioaktivität,
Plutonium-III-sulfat [Pu2(SO4)3] bildet Dop- die Krebs verursachen kann. Bereits die Inhala-
pelsalze mit Alkalisulfat in wässriger Lösung tion von 40 ng 23994Pu genügt, um den Jahres-
(Koch 2013, S. 187). Plutonium-IV-sulfat-Tetra- grenzwert für Inhalation zu erreichen. Diese
hydrat [Pu(SO4)2 4 H2O] kristallisiert aus wäss- Menge ist so gering, dass die Giftigkeit von Plu-
riger Lösung als korallenroter Feststoff aus (spec- tonium noch gar nicht zum Tragen kommen kann.
trum.de). Außerhalb des Körpers wird die von 23994Pu aus-
gesendete α-Strahlung schon durch die oberste
Anwendungen Plutonium nutzt man zivil in Hautschicht aus abgestorbenen Zellen abge-
Form von in Kernreaktoren befindlichen Brenn- schirmt. Diesen Schutz gibt es nicht bei In-
stäben zur Erzeugung von Energie und militärisch korporation, beispielsweise Inhalation, da die
in nuklearen Sprengköpfen. Die Brennstäbe ent- α-Strahlung unmittelbar die Zellkerne lebender
halten Uran- und Plutoniumoxid in unterschiedli- Zellen trifft.
chem Mischungsverhältnis (MOX); meist liegt Kleine Dosen an 23994Pu führen im Langzeit-
der Anteil des Plutoniumoxids bei 7–8 %. versuch erst nach frühestens zehn Jahren bei
Zur Herstellung von Kernwaffen benötigt man Hunden zu Knochenkrebs. Grund dafür ist mögli-
reines 23994Pu, von dem sowohl die USA als auch cherweise eine ungleichmäßige Verteilung des
Russland ca. 100 t besitzen sollen. Im Sprengkopf Plutoniums im Skelett sein, die zu punktuell stark
befindet sich das spaltbare Material (etwa Pluto- bestrahlten Stellen führt (Frisch 1977).
nium) meist in Form einer ausgehöhlten Kugel. Das in Kernreaktoren immer miterzeugte
241 241
An der linken und rechten Außenseite der Kugel 94Pu zerfällt sehr schnell zu 95Am, das große
sind herkömmliche TNT-Sprengsätze angebracht, Mengen relativ weicher γ-Strahlung abgibt. In
deren Explosionswirkung in Richtung der aus gelagertem Plutonium erreicht die Konzentration
Plutonium bestehenden Hohlkugel gerichtet ist. von 24195Am nach ca. 70 a ihren höchsten Stand
Die gleichzeitige Zündung der TNT-Sprengsätze und stellt ein besonderes Gefahrenpotenzial dar.
verdichtet die Hohlkugel, und die kritische Masse
(Mindestmasse eines aus spaltbarem Material
Patente
bestehenden Objektes, oberhalb derer die effek-
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
tive Neutronenproduktion eine Kettenreaktion der
wide.espacenet.com)
Kernspaltung aufrechterhalten kann) wird erreicht
bzw. überschritten. Es kommt dann zur fortgesetz-
C. Li und C. Zuo, Plutonium feed liquid
ten, unter Emission riesiger Energie- und Strah-
containing oxaidation device method
lungsmengen verlaufenden Kernspaltung und der
(China Institute of Atomic Energy, CN
so bewirkten Detonation des Sprengkopfes. Den
108682466 A, veröffentlicht 19. Okto-
Umsetzungsgrad der Kernspaltung kann man
ber 2018)
durch Einbau von Neutronenreflektoren und zu-
X. Heres und G. Bernier, Use of Hydroxiimi-
sätzlichen Neutronenquellen auf nahezu 100 %
noalkalnoic acids as anti-nitrous agents in
bringen.
operations of reductive stripping of pluto-
nium (Commissariat à l’Energie Ato-
Toxizität Plutonium ist wie einige andere
mique et aux Energies Alternatives; Orano
Schwermetalle giftig und schädigt besonders die
Cycle, US 2018286527 A1, veröffentlicht
Nieren. Es bindet ebenfalls an Proteine im Blut-
4. Oktober 2018)
plasma und lagert sich oft in den Knochen und der
C. Zuo und W. Zheng, Method for recy-
Leber ab. Die für einen Menschen tödliche Dosis
cling plutonium from spent radioactive
dürfte lediglich im zweistelligen Milligrammbe-
reich liegen, für Hunde beträgt die LD50Dosis (Fortsetzung)
1018 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
entsteht in geringeren Mengen als 24195Am im 1962), was deutlich unter den Dichten für Uran,
Reaktor und ist daher noch erheblich teurer (US$ Neptunium und Plutonium liegt.
160 pro mg) (Florida Spectrum Environmental Es kann in insgesamt zwei Modifikationen
Services, Inc. 2008). auftreten. Die unter Standardbedingungen stabile
Americium fällt auf dem Weg über das Pluto- Modifikation α-Am kristallisiert mit hexagonaler
niumisotop 23994Pu in Kernreaktoren zwangs- Struktur (doppelt-hexagonal dichteste Kugelpa-
weise an. Aus letzterem wird, falls es nicht zur ckung mit der Schichtfolge ABAC). Diese
Kernspaltung kommt, durch stufenweisen Neu- Struktur ist somit isotyp zu der von α-La
troneneinfang (n,γ) und folgendem β-Zerfall unter (McWhan et al. 1962; Gmelins Handbuch der
anderem 24195Am oder 24395Am erbrütet. Anorganischen Chemie). Bei hohem Druck geht
Das aus abgebrannten Brennstäben von Leis- α-Am in β-Am über. Diese β-Modifikation kris-
tungsreaktoren gewonnene Plutonium besteht zu tallisiert im kubischen Kristallsystem (kubisch
etwa 12 % aus dem Isotop 24194Pu. Erst 70 a nach dichteste Kugelpackung mit der Stapelfolge
beendetem Brüten erreichen die abgebrannten ABC (McWhan et al. 1962).
Brennstäbe ihren Höchstgehalt von 24195Am; Die Lösungsenthalpie von Americium in
danach nimmt dessen Anteil wieder ab, jedoch Salzsäure bei Standardbedingungen beträgt
langsamer als der Anstieg des Massenanteils 620,6 1,3 kJ/mol. Ausgehend davon wurde
erfolgte [BREDL (Blue Ridge Environmental die Standardbildungsenthalpie (ΔH0) von Am3
Defense League)]. +
(aq.) auf 621,2 2,0 kJ/mol und das Standard-
Aus dem so entstandenen 24195Am kann durch potenzial E0 für die Reaktion Am3+ + 3e ➔ Am
weiteren Neutroneneinfang im Reaktor 24295Am auf 2,08 0,01 V berechnet (Mondal et al.
gebildet werden, das in Form zweier Kernisomere 1987).
auftritt. Americium ist reaktionsfähig, da es schon bei
Zur Herstellung des Isotops 24395Am ist ein Raumtemperatur mit Luftsauerstoff reagiert und
vierfacher Neutroneneinfang des 23994Pu erforder- sich gut in Säuren löst. Gegenüber Alkalien ist es
lich: stabil.
243
94 Pu! ð4,96hÞβ þ
239 1 243 Verbindungen
94 Puþ4 0 n! 95 Am
Chalkogenverbindungen Americium-III-oxid
Metallisches Americium kann durch Reaktion (Am2O3) erhält man durch Erhitzen von Ameri-
von Americium-III-fluorid in wasser- und sauer- cium-IV-oxid (AmO2) im Vakuum, oder aber
stofffreier Umgebung in Reaktionsapparaturen man reduziert das Dioxid mittels Wasserstoffgas
aus Tantal und Wolfram mit elementarem Barium (Chikalla und Eyring 1968). Der rotbraune Fest-
erhalten werden (Westrum und LeRoy 1951). Die stoff schmilzt bei einer Temperatur von 2205 C
Reduktion von Americium-IV-oxid mittels Lan- (Holleman et al. 2007, S. 1972) und tritt in Ge-
than oder Thorium ergibt ebenfalls metallisches stalt dreier Modifikationen auf, der hexa-
Americium (Wade und Wolf 1967): gonal kristallisierenden α-Form (Templeton und
Dauben 1953), der monoklin strukturierten
3 AmO2 þ 4 La ! 3 Am þ 2 La2 O3 β-Form und des im Mangan-III-oxid-Gittertyp
kristallisierenden γ-Americium-III-oxids (Koch
Eigenschaften Americium ist ein künstlich er- 1972, S. 33).
zeugtes, radioaktives, in frisch hergestelltem Americium-IV-oxid (AmO2) entsteht aus-
Zustand silberweißes Metall, das bei Raumtempe- schließlich künstlich in Kernreaktoren beim
ratur an der Luft langsam matt wird. Es ist leicht Bestrahlen von Urandioxid (UO2) bzw. Pluto-
verformbar. Sein Schmelzpunkt beträgt 1176 C niumdioxid (PuO2) mit Neutronen. Liegen erst
(s. Tab. 6; Wade und Wolf 1967), der Siedepunkt einmal Verbindungen des Americiums vor, so
2607 C. Die Dichte liegt dagegen bei nur entsteht das Dioxid auch durch Glühen von
13,67 g/cm3 (Wade und Wolf 1967; McWhan et al. Americium-III-oxalat [Am2(C2O4)3] oder Ameri-
1020 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
241
Aussehen: Silbrig-weiß 95Am unter dem
Farbe von Amx+aq.: Siehe „Verbindungen“ Mikroskop (Bionerd 2010)
Entdecker, Jahr Seaborg, Ghiorso, James, Morgan (USA, 1944)
Wichtige Isotope Halbwertszeit Zerfallsart, -produkt
240
95Am (synthetisch) 50,8 h ε > 24094Pu
241
95Am (synthetisch) 432,2 a α > 23793Np
242 m1
95Am (synthetisch) 141 a IT > 24295Am
243
95Am (synthetisch) 7370 a α > 23993Np
241
Preis (US$, 2014/2008*) 1 g AmO2 ( 95Am) 1500
1 mg AmO2 (24395Am) 160
Atommasse (u): 243,061
Elektronegativität (Pauling) 1,3
Normalpotenzial (V; Am3+ + 3 e ! Am) 2,08
Atomradius (berechnet, pm): 184 (—)
Kovalenter Radius (pm): 229
Ionenradius (pm): 92 (Am4+)
Elektronenkonfiguration: [Rn] 7s2 5f7
Ionisierungsenergie (kJ/mol), erste: 547
Magnetische Volumensuszeptibilität: 7 104
Magnetismus: Paramagnetisch
Curie-Punkt ♦ Néel-Punkt (K): Keine Angabe
Einfangquerschnitt Neutronen (barns): 74 (24395Am)
Elektrische Leitfähigkeit ([A/(V m)], bei 300 K): 147,1
Elastizitäts- ♦ Kompressions- ♦ Schermodul (GPa): Keine Angabe
Vickers-Härte ♦ Brinell-Härte (MPa): Keine Angabe
Kristallsystem: Hexagonal
Schallgeschwindigkeit (m/s, bei 293 K): Keine Angabe
Dichte (g/cm3, bei 298 K) 13,67
Molares Volumen (m3/mol, bei 293 K): 17,78 106
Wärmeleitfähigkeit ([W/(m K)]): 10
Spezifische Wärme ([J/(mol K)]): 62,7
Schmelzpunkt ( C ♦ K): 1176 ♦ 1449
Schmelzwärme (kJ/mol): 14,4
Siedepunkt ( C ♦ K): 2607 ♦ 2880
Verdampfungswärme (kJ/mol): 239
cium-III-nitrat [Am(NO3)3] bei Temperaturen um bindungen sind von Silva et al. zusammengefasst
950 C (Fried 1951). Der schwarze Feststoff worden (1995).]
kristallisiert in der kubischen Fluoritstruktur, Americium-IV-oxid auf Basis des Isotops
hat die Dichte 11,68 g/cm3 und schmilzt bei 241
95Am wurde als Emitter von Ionen in der Ver-
ca. 1000 C unter Zersetzung. [Die thermodyna- gangenheit oft in Ionisationsrauchmeldern einge-
mischen Daten des Americiums und seiner Ver- setzt, diese werden aber heute wegen deren Radio-
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1021
Eine allgemeine Anweisung zur Darstellung noch unsicher. Mit Reflektor beträgt die
von Nitriden, Sulfiden, Phosphiden und Oxiden kritische Masse sogar nur 3–5 kg (Dias et al.
der Actinoide enthält US 5218112. Demnach 2003).
konnten die oben genannten Zielverbindungen Theoretisch eignet sich dieses Isotop für
aus einer organometallischen Actinoidverbindung Raumschiffe mit atomarem Antrieb oder zum
und einer protischen Lewis-Base (Ammoniak, Bau sehr kompakter Kernwaffen, aber Americium
Phosphan, Hydrogensulfid und Wasser in einem ist gegenwärtig generell nur in sehr kleinen Men-
geeignetem Lösungsmittel erzeugt werden. Als gen verfügbar. Daher wird 242m195Am auch nicht
Zwischenprodukt bildet sich -im Falle der Nitride- in Kernreaktoren eingesetzt, obwohl es dazu
zunächst ein Amminkomplex, den man danach geeignet wäre (Ronen et al. 2000). Die zwei ande-
durch Erhitzen in das Nitrid überführen kann ren, in größeren Mengen vorhandenen Isotope,
241 243
(Van der Sluys et al. 1992). 95Am und 95Am sind zwar in der Lage, in
Die temperaturabhängige Ausdehnung des einem schnellen Reaktor eine Kettenreaktion auf-
Gitters von Americium-, Plutonium- und Neptu- rechtzuerhalten, jedoch besitzen sie zu hohe kriti-
niumnitrid beschreiben Takano et al. (2008). sche Massen [unreflektiert 65 10 kg bei
241 243
Ebenso stellten Roddy et al. drei höhere Ameri- 95Am, 209 kg bei 95Am (Institut de Radio-
ciumpnictogenide unter Einsatz des längstlebigen protection et de Sûreté Nucléaire)].
Isotops 24395Am dar und charakterisierten sie auch, Die vom Isotop 24195Am emittierte α-Strah-
soweit möglich. In drei dieser Systeme gelang es der lung (Halbwertszeit 432,2 a) nutzt man in Ionisa-
Arbeitsgruppe des Oak Ridge Laboratory, Legierun- tionsrauchmeldern (World Nuclear Association
gen mit jeweils ungefähr gleichem Verhältnis der 2014), da seine γ-Aktivität klein ist. Der Zerfall
Atome (AmAs, AmSb und AmBi) in kleinster Menge führt zur Bildung von 23793Np, das wegen seiner
zu erzeugen, die jeweils in der kubischen Koch- hohen Halbwertszeit von 2,144 Mio. a für diese
salzstruktur kristallisieren (Roddy 1974). Anwendung zu inaktiv ist.
Sonstige Verbindungen Die Carbide der Dasselbe Isotop (24195Am) könnte auch in Ra-
Actinoiden der Ordnungszahlen 90 bis 95, unter dionuklidbatterien (RTG) von Raumsonden ein-
ihnen Americiumcarbid (Am2C3), haben bis auf gesetzt werden, dies wurde technisch aber noch
das gelbe Thoriumdicarbid ein silbermetallisches nicht umgesetzt.
Aussehen und sind hochschmelzende, aber hy- In der Medizin setzt man 24195Am, in Form
drolyseempfindliche Feststoffe. Sie entstehen seines Oxids mit Beryllium verpresst, als Neu-
durch Reaktion des Metalls oder seines Hydrids tronenquelle für radiochemische Untersuchun-
mit Kohlenstoff oder auch geeigneten Kohlen- gen ein (Binder 1999, S. 174–178). Durch ihren
wasserstoffen bei hoher Temperatur (Ahrland hohen Wirkungsquerschnitt für die von 24195Am
et al. 1973; Koch 1972, S. 209). ausgesandten (α,n)-Teilchen werden die Beryl-
Für die Americiumboride AmB4 und AmB6 lium- in entsprechende Kohlenstoffisotope
beschrieben zuerst Eick und Mulford 1969 die umgewandelt.
Gitterparameter. AmB4 kristallisiert isotyp zu Americium ist Ausgangsstoff zur Herstellung
Cerborid (CeB4) mit tetragonaler, AmB6 istotyp von Isotopen höherer Ordnungszahl, zum Bei-
zu Calciumborid (CaB6) mit kubischer Struktur spiel der Curiumisotope 24296Cm und 24496Cm.
(Ahrland et al. 1973, S. 398). In Teilchenbeschleunigern erzeugt man durch
Beschuss von 24195Am mit 126C bzw. 2210Ne Ein-
Anwendungen Das Isotop 242m195Am hat mit steinium 24799Es bzw. Dubnium 260105Db.
ca. 5700 barn den höchsten jemals gemessenen Mit seiner intensiven Gammastrahlungs-
thermischen Spaltquerschnitt für eine induzierte Spektrallinie bei 60 keV zeigt 24195Am gute Eig-
Kernspaltung (Seelmann-Eggebert et al. 2006). nung als Strahlenquelle für die Röntgen-Fluores-
Die kritische Masse einer Kugel aus reinem zenzspektroskopie. Dies nutzt man auch zur
242m1
95Am beträgt nur 9–14 kg; die Wirkungs- Kalibrierung von Gammaspektrometern im nie-
querschnitte aller Isotope sind aber zum Teil derenergetischen Bereich, da die benachbarten
1024 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Linien vergleichsweise schwach sind und so ein stellung der ersten Nuklide des Americiums ge-
einzeln stehender Peak entsteht. wählt wurde. Dazu trug man eine wässrige
Lösung von Plutoniumnitrat [239Pu(NO3)4] auf
ein kleines Stück Platinfolie auf und glühte diese,
Patente
bis sie mit einer sehr dünnen Schicht von
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
Plutonium-IV-oxid bedeckt war. Dann beschoss
wide.espacenet.com)
man die Folie im Zyklotron mit Heliumkernen,
löste danach die Oxidschicht in Salpetersäure auf
T. Haraga und Y. Sato, Fluorescent probe for
und fällte durch Zugabe konzentrierten Ammo-
americium and curium measurement,
niakwassers die Metalle in Form ihrer Hydroxide
and separation and quantitative analysis
aus. Diese löste man in Perchlorsäure und gab
method for americium and curium (Japan
diese Lösung über Ionenaustauscher. Nachgewie-
Atomic Energy Agency, JP 6332669 B2,
sen wurde dabei die Isotope 24296Cm und 24096Cm.
veröffentlicht 30. Mai 2018)
Hayashi et al. griffen kürzlich die Abtrennung des
M. Alyapyshev und V. A. Babain, Method
Curiums von Plutonium bei gleichzeitiger Anwe-
for isolating americium from liquid
senheit von Spuren an Americium erneut auf
radioactive waste and for separating ame-
(Hayashi et al. 2013). Eine elegante Trennung ist
ricium from rare earth elements (State
mittels Ionenaustauscherharzen möglich, die Pyri-
Atomic Energy Corporation Rosatom on
dinstrukturen als funktionelle Gruppen enthalten
behalf of the Russian Federation, CN
(Suzuki 2007).
108026610 A, veröffentlicht 11. Mai
Das im Sommer 1944 erzeugte 24296Cm ent-
2018)
stand nach:
G. S. Jarvinen und L. A. Seaman, Oxidation
of americium in acidic solution (privat,
US 2015337412 A1, veröffentlicht 26. 239
þ 4
! 242
þ 1
94 Pu 2 He 96 Cm 0n
November 2015)
V. J. Seljavskij und M. N. Gerasimenko, Dieses neue Curiumisotop zerfiel unter α-Strah-
Method of extracting americium from lung mit einer Halbwertszeit von 150 d (damals
wastes (SIB Khim Kom AOOT, RU ermittelter Wert; heute zu 162,8 d bestimmt) wie-
2508413 C1, veröffentlicht 27. Februar der zu einem Isotop des Plutoniums (23894Pu).
2014) Ein halbes Jahr später entdeckte die Gruppe
W. W. Schulz, Removal of plutonium and unter Anwendung derselben Technik ein noch
americium from alkaline waste solutions kurzlebigeres Isotop (24096Cm, t1/2: 27 d) durch
(US Energy, US 4156646 A, veröffent- Beschuss von 23994Pu mit Kernen des Heliums
licht 29. Mai 1979) (α-Teilchen):
239
94 Pu þ 4
2 He ! 240
96 Cm þ 31 0 n
5.7 Curium
[Erstaunlich ist, dass Curium, gemessen an
Geschichte Noch vor der Entdeckung des Ame- seiner bereits hohen Ordnungszahl, durchaus in
riciums stieß die Arbeitsgruppe um Seaborg (Sea- Form langlebiger Isotope auftreten kann; alle
borg, Ghiorso und James) im Sommer 1944 auf diese synthetisierte man später: 24696Cm, t1/2:
Curium. Auch hierfür nutzten die Forscher bereits 4760 a, 25096Cm, t1/2: 8300 a, 24596Cm, t1/2:
das in Berkeley installierte 60-Inch-Zyclotron 8500 a, 24896Cm, t1/2: 348.000 a(!)]
(Seaborg et al. 1949; Lumetta et al. 2006). Auch Eine vergleichende Beschreibung der wichtigen
sonst entsprach die Durchführung des Versuches Eigenschaften von Verbindungen des Americiums
weitgehend derjenigen, die etwas später zur Dar- und Curiums geben Weigel und Kohl (1985).
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1025
wässrigen Lösungen ist das Cm3+-Ion farblos, das und Uran und ähnelt auch hier mehr den Lantha-
Cm4+-Ion blassgelb (Holleman und Wiberg noiden. In Komplexen tritt es meist koordiniert
2007a). Konzentriertere Lösungen von Cm3+ mit neun Liganden auf.
erscheinen aber ebenfalls blassgelb (Lumetta Von Curium sind 20 Isotope und 7 Kernisomere
et al. 2006; Keller 1971; Lide 1997–1998). des Elements zwischen 23396Cm und 25296Cm
Curium unterscheidet sich in seinem Komplex- bekannt, die alle radioaktiv sind. Die längsten
bildungsverhalten von Actinoiden wie Thorium Halbwertszeiten weisen 24796Cm [15,6 Mio. a
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1027
(!)] und 24896Cm (348.000 a) auf. Relativ langle- trigonal, die β-Modifikation monoklin, und die
big sind auch noch die Isotope 24596Cm (8500 a), γ-Form ist isotyp zum γ-Mangan-III-oxid (Noé
250 246
96Cm (8300 a) und 96Cm (4760 a). et al. 1970). Weitere Salze des Curiums sind durch
Technisch am meisten verwendet werden aber Auflösen der Verbindung in Mineralsäuren dar-
die kurzlebigen Isotope 24296Cm mit 162,8 d und stellbar. In der Gasphase lässt es sich mit trocke-
244
96Cm mit 18,1 a Halbwertszeit, da beide leich- nen Halogenwasserstoffen zu den entsprechenden
ter zugänglich sind. Trihalogeniden umsetzen (Wallmann et al. 1967).
Die Nuklide mit ungerader Massenzahl zeigen Im System Curium-Schwefel kannte man
hohe Einfangsquerschnitte (in barn) für thermische lange Zeit nur ein Sulfid, Curium-III-sulfid
Neutronen und sind daher leicht durch diese spalt- (Cm2S3) (Koch 1092, S. 168). Man konnte die
bar: 24396Cm (620), 24596Cm (2100), 24796Cm (82). Verbindung durch fünfstündiges Überleiten eines
Gemisches aus Schwefelkohlen- und Schwefel-
Verbindungen wasserstoff über auf 1300 C erhitztes Curium-
Chalkogenverbindungen Curium-IV-oxid (CmO2) IV-oxid darstellen. Der dunkelbraune Feststoff
ist durch Glühen von Curium an der Luft oder kristallisiert kubisch im Thoriumphosphid-Git-
unter Sauerstoff zugänglich (Asprey et al. 1955). tertyp und ist in verdünnten Säuren unter Bildung
Oder man glüht die in der Hitze zersetzlichen von Curium-III-hydroxid und Schwefelwasser-
Curium-III-oxalat [Cm2(C2O4)3] oder Curium- stoff löslich.
III-nitrat [Cm(NO3)3] bis zur Gewichtskonstanz. Später wurden auch Monochalkogenide und
Schließlich bietet auch das Erhitzen von Curium- Monopnictogenide des 24896Cm erzeugt, die alle
III-oxid unter Sauerstoffdruck bei Temperaturen in der kubischen Kochsalzstruktur kristallisieren.
>600 C eine Möglichkeit. Erstaunlicherweise sind alle diese Verbindungen
Das schwarze, unter Normalbedingungen in zwar zu ihren americiumhaltigen Analoga isotyp,
leicht exothermer Reaktion gebildete Curium-IV- jedoch sind die Gitterkonstanten im Falle der
oxid (Konings 2001) beginnt sich ab einer Tem- Chalkogenide für die jeweilige Curium- höher
peratur von knapp 400 C unter Abgabe von als bei der entsprechenden Americiumverbin-
Sauerstoff und Bildung von Curium-III-oxid zu dung. Umgekehrt verläuft der Trend bei den Pnic-
zersetzen; dieser Prozess verläuft nach längerem togeniden (Damien et al. 1979).
Erhitzen bei ca. 430 C vollständig (Mosley 1972). Bereits einige Jahre früher wurden die Gitter-
Unter Sauerstoff bleibt Curium-IV-oxid aber auch parameter einiger Sulfide und Selenide des Cu-
in der Hitze beständig. Die Verbindung kristalli- riums (auf Basis des Isotops 24496Cm) bestimmt.
siert kubisch in der Fluorit-Struktur (Noé und Hierzu wurde Curiumhydrid mit überschüssigem
Fuger 1971), in der ein Curium- von acht Sauer- Schwefel bzw. Selen in evakuierten Ampullen aus
stoffatomen und ein Sauerstoff- von je vier Curiu- Pyrexglas umgesetzt. γ-Cm2S3 und Cm2Se3 kris-
matomen umgeben ist (Wallmann 1964). tallisieren kubisch mit Gitterkonstanten von 8,452
Curium-III-oxid (Cm2O3) erhält man durch bzw. 8,785 Å. Die Verbindungen CmX2 (X=S,
Erhitzen von Curium-IV-oxid im Vakuum auf Se) zeigen stöchiometrisch einen leichten Unter-
Temperaturen von ca. 600 C (Asprey et al. schuss an Schwefel bzw. Selen, kristallisieren tet-
1955; Konings 2001; Lumetta et al. 2006): ragonal und sind ebenfalls isotyp zu ihren Ameri-
ciumanaloga (Damien et al. 1975).
4 CmO2 ! 2 Cm2 O3 þ O2 Ab initio-Berechnungen der Kristallstrukturen
sowie elektronischer Eigenschaften von Verbin-
Eine andere Darstellungsmöglichkeit ist die dungen des Curiums sind bei Milman et al. (2003)
der Reduktion von Curium-IV-oxid mit Wasser- zu finden.
stoffgas (Haug 1967). Der farblose bis hellbraune Halogenverbindungen Curium-IV-fluorid (CmF4)
Feststoff schmilzt bei einer Temperatur von erzeugt man durch Fluorieren von Curium-III-
2270 C und tritt in Form dreier Modifikationen fluorid. Der braune Feststoff kristallisiert, isotyp
auf. Die bei 20 C stabile α-Form kristallisiert zu Uran-IV-fluorid, mit monokliner Struktur und
1028 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
zwölf Formeleinheiten pro Elementarzelle (Asp- 1965). Die farblose Verbindung schmilzt bei
rey und Haire 1973; Penneman et al. 1973; Haug 625 C, hat eine Dichte von 6,87 g/cm3 und kristal-
und Baybarz 1975). lisiert in orthorhombischer Struktur mit vier Formel-
Curium-III-fluorid (CmF3) entsteht durch Zu- einheiten pro Elementarzelle (Stevenson et al.
gabe von Fluorid zur wässrigen, schwach sauren 1975).
Lösung eines Curiumsalzes als weißer Nie- Die Synthese von Curium-III-iodid (CmI3)
derschlag. Alternativ funktioniert die Reaktion gelingt aus den Elementen jedoch glatt und weit-
Curium-III-hydroxid mit Flusssäure. Das bei die- gehend ohne Bildung von Nebenprodukten
ser Darstellungsweise immer noch in der Verbin- (Kruse et al. 1965). Alternativ hierzu ist die
dung enthaltene Kristallwasser ist durch Trocknen Umsetzung von Curium-III-chlorid mit Ammo-
mit heißem Fluorwasserstoff oder durch Stehen niumiodid möglich. Die farblose Verbindung ist
über Phosphor-V-oxid im Exsikkator entfernbar wie die meisten Iodide bei erhöhter Temperatur
(Lumetta et al. 2006; Cunningham 1966). Der luftempfindlich, hat die Dichte 6,37 g/cm3 und
farblose Feststoff schmilzt bei einer Temperatur kristallisiert im hexagonalen Kristallsystem mit
von 1406 C (Burnett 1966) und kristallisiert in sechs Formeleinheiten pro Elementarzelle und
der Lanthanfluoridstruktur (Penneman et al. 1973; isotyp zu Bismut-III-iodid (Milman et al. 2003).
Kruse et al. 1965). Durch Reaktion mit Barium- Diese Kristallstruktur kann unter Druck bei 20 C
metall in Tantal- oder Wolframtiegeln kann man in eine orthorhombische (Plutonium-III-bromid-
aus dem Fluorid metallisches Curium darstellen Typ) umgewandelt werden; zugleich verschieben
(Wallmann et al. 1951). sich die Absorptionsmaxima aus dem nahen UV
Curium-III-chlorid (CmCl3) entsteht durch Über- in das sichtbare Spektrum (Haire et al. 1987).
leiten wasserfreien Chlorwasserstoffs über Curium- Zudem tritt in den Lumineszenzspektren aller
III-oxid bei Temperaturen von 400–600 C als farb- Curium-III-halogenide sowohl ein Stokes- als
lose Verbindung (Wallmann et al. 1967). Eine auch ein Antistokes-Effekt auf, also eine Ver-
andere Synthese verlief durch Reaktion festen Cu- schiebung des nach Anregung der Verbindung
riumnitrids (auf Basis 24496Cm) mit Cadmiumchlo- abgestrahlten Lichtes sowohl zu längeren als auch
rid im mg-Maßstab bei ca. 475 C im dynamischen zu kürzeren Wellenlängen (Stump et al. 1993).
Vakuum. Das gebildete 24496CmCl3 kristallisierte Pnictogenverbindungen Die Nitride der Acti-
hexagonal; mittels Differenzthermoanalyse wurde noiden gelten, wie schon im Kapitel „Americium“
der Schmelzpunkt im Goldtiegel zu 695 C be- beschrieben, wegen ihrer relativen chemischen
stimmt. Bemerkenswert an dieser Synthese war der Beständigkeit und ihres hohen Schmelzpunktes als
Verzicht auf korrosive Hilfsstoffe (Hayashi et al. nahezu ideale Kernbrennstoffe. Hierzu erzeugte
2013). Schon 30 Jahre vorher wurde die Kristall- man eine Probe pulverförmigen Curiumnitrids
struktur von 24896CmCl3 erstmals bestimmt (Peter- (CmN) mit einem Gehalt an Plutonium von
son und Burns 1973). 0,35 % sowie an Americium von 3,59 % durch
Curium-III-bromid (CmBr3) kann man analog zu carbothermische Nitridierung des Oxids (Takano
Americiumbromid durch Umsetzung des Metall- et al. 2014). Um eine Vorstellung davon zu geben,
chlorids, hier also Curium-III-chlorid, mit Ammo- mit welchen Mengen hier gearbeitet wurde, ist
niumbromid bei einer Temperatur von 400 bis hier beispielhaft das zugehörige Herstellverfah-
450 C bei gleichzeitiger Gegenwart von Wasser- ren der Originalquelle entsprechend in Auszügen
stoff, also eines reduzierenden Agens, in wasser- beschrieben:
freier Form erhalten. Ebenso reagiert Curium-III-
Ca. 50 mg einer pulverförmigen Verbindung der
oxid mit Bromwasserstoff bei hoher Temperatur Zusammensetzung Pu0.74Cm0.26O2, in der 24094Pu
(600 C) zum wasserfreien Bromid. Die Reaktion durch α-Zerfall des 24496Cm angereichert wurde,
zwischen den Elementen dürfte sehr heftig und ziel- löste man in einem kochenden Gemisch aus 9 m
gerichtet zum wasserfreien Bromid verlaufen, Salpetersäure und Wasserstoffperoxid. Letzteres
sollte zur Reduktion der Pu-IV- und Pu-VI-Ionen zu
jedoch liegen hierüber keine Angaben vor. Das
Pu3+ dienen, bevor die Probe für vier Tage an der
Hydrat ist durch Auflösen von Curium-III-oxid in Luft gelagert wurde, um das gesamte in der Probe
Bromwasserstoffsäure zugänglich (Kruse et al. enthaltene Plutonium in Pu-IV umzuwandeln. Die so
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1029
hergestellte, Pu4+ und Cm3+-haltige Lösung gab Anwendungen Curium zeigt eine deutlich stärke-
man dann mehrfach nacheinander über ein Anione- re Radioaktivität als 22688Ra (Binder 1999). Daher
naustauscherharz, bis der Ablauf nur noch Cm3+
enthielt. Danach fällte man dieses in schwach salpe- gibt Curium große Wärmemengen ab (3 W/g bei
244 242
tersaurer Lösung als Oxalat, wusch den Nieder- 96Cm und 120 W/g (!) bei 96Cm), was den
schlag dreimal mit je 5 ml Wasser und erhielt dann Einsatz dieser Isotope in Form ihres Oxids (Cm2O3)
12 mg trockenes Curium-III-oxalat. Jenes glühte in Radionuklidbatterien zur Versorgung mit elektri-
man 3 h bei 870 C im Platintiegel, worauf nach
langsamem Abkühlen bis unter 400 C das schwarze scher Energie möglich erscheinen lässt. Für Raum-
CmO2 gewonnen wurde. Dieses Oxid wurde dann sonden wurde vor allem die Verwendung von
carbothermisch nitridiert nach (Minato et al. 2003): 244
96Cm geprüft. Am Ende unterlag es hinsichtlich
seiner Wirtschaftlichkeit aber gegen 23894Pu. Es
2 CmO2 þ 4 C þ N 2 ! 2 CmN þ 4 CO benötigt als α-Strahler zwar nur eine dünnere
Abschirmung, aber seine Spontanspaltungsrate
Hierzu mischt man 7 mg des pulverförmigen sowie die damit verbundene Intensität der Neutro-
Oxids mit amorphem Kohlenstoff im Atomverhält- nen- und γ-Strahlung ist höher, bei gleichzeitig sehr
nis C:Cm=4, presste aus der Mischung eine kurzer Halbwertszeit (18,1 a); zum Vergleich
Tablette mit Durchmesser 3,15 mm und gab diese 238
in einen Wolframtiegel zur Nitridierung. Die dabei 94Pu mit 87,7 a.
242
gebildete poröse CmN-Tablette behandelte man bei 96Cm wurde auch eingesetzt, um reines
238
1200 C für 1,5 h im N2/H2-Gasstrom nach. Die 94Pu für Radionuklidbatterien in Herzschritt-
diffraktometrische Bestimmung der Kristallstruktur machern zu erzeugen. 24496Cm fungiert als
gelang mit 5 mg der Probe. Viele der vorbereiten-
den Schritte wurden unter Argon in der Glovebox
α-Strahler in den vom Max-Planck-Institut für
durchgeführt. Chemie in Mainz entwickelten α-Partikel-Rönt-
genspektrometern (APXS). Diese gelangten in
Sonstige Verbindungen Die Kondensation des den Mars-Rovern Sojourner, Spirit und Opportu-
Dampfes metallischen Curiums im Vakuum auf eine nity zur chemischen Analyse von Oberflächenge-
mit einer 1 μm dicken Schicht amorphen Kohlen- stein zum Einsatz. Die kürzlich auf dem Kometen
stoffs überzogene Iridiumfolie führte zur Bildung Tschurjumow-Gerassimenko gelandete Sonde
von Curiumcarbiden. Der Gehalt an Curium in Philae der Raumsonde Rosetta ist mit einem
diesen Proben und damit deren chemische Zusam- APXS ausgerüstet, um die Zusammensetzung
mensetzung wurde über die Zahl der bei der spon- des Gesteins zu analysieren.
tanen Kernspaltung des 24496Cm emittierten Neutro- Außerdem ist Curium Ausgangsmaterial zur
nen zu Cm2C3 und Cm3C berechnet. Cm2C3 Erzeugung höherer Transurane und Transactinoi-
kristallisiert kubisch-einfach, Cm3C kubisch-flä- de. Beim Beschuss von 24896Cm mit bzw. Magne-
chenzentriert (Radchenko 2004). siumatomen (2612Mg) entstanden Nuklide des
Durch Reaktion von Curiumfluorid mit der Elements Hassium (269108Hs, 270108Hs) (Holle-
jeweils stöchiometrischen Menge Silicium im man und Wiberg 2007c).
Vakuum erhielten Weigel und Marquart 1983 die
Curiumsilicide CmSi, Cm2Si3 und CmSi2 bei Tem- Patente
peraturen von 1260 C (CmSi und CmSi2) bzw. (Weitere aktuelle Patente siehe https://world
1220 C (Cm2Si3). Das schwarze CmSi kristalli- wide.espacenet.com)
siert orthorhombisch, ist isotyp zu Lanthan- und
Cermonosilicid mit vier Formeleinheiten pro J. Narbutt und M. Rejnis, Method for sepa-
Elementarzelle und hat eine Dichte von 9,36 g/cm3. ration of americium(III) and alterna-
Cm2Si3 ist dagegen ein hellsilbriger Feststoff mit tively curium from the lanthanum pro-
hexagonaler, zum β-PuSi2 isotyper Struktur mit ducts of splitting in the liquid-liquid
zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle und der extraction systems (Instytut Chemii I
Dichte 8,84 g/cm3. CmSi2 liegt schließlich in Form Techniki Jądrowej, PL 405294 A1, ver-
silbriger Plättchen tetragonaler, zu α-ThSi2 isoty- öffentlicht 16. März 2015)
per Struktur mit vier Formeleinheiten pro Elemen-
tarzelle vor; die Dichte beträgt 9,26 g/cm3. (Fortsetzung)
1030 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Es ist auch durch analoge Reaktion aus BkF4 tur geht α-Bk in das kubisch kristallisierende
mit Lithium oder aber von BkO2 mit Lanthan oder (Raumgruppe Fm3m, Schichtfolge ABC) β-Bk
Thorium darstellbar (Spirlet et al. 1987): über, dessen Dichte 13,25 g/cm3 beträgt (Peterson
et al. 1971).
3 BkO2 þ 4 La ! 3 Bk þ 2 La2 O3 Die Lösungsenthalpie von Berkelium in Salz-
säure unter Standardbedingungen beträgt 600,2
Eigenschaften Berkelium ist ein künstlich 5,1 kJ/mol. Auf dieser Basis wurde die
erzeugtes, radioaktives Metall mit silbrig-weißem Standardbildungsenthalpie von Bk3+ in wässri-
Aussehen (s. Tab. 8), einem Schmelzpunkt von ger Lösung auf 601 5 kJ/mol und das Stan-
986 C und einer Dichte von 14,78 g/cm3. Unter dardpotenzial E0 für die Reaktion Bk3+ + 3 e !
Standardbedingungen liegt das in einer doppelt- Bk zu 2,01 0,03 V berechnet (Fuger et al.
hexagonal dichtesten Kugelpackung (Raum- 1981).
gruppe P63/mmc) mit der Schichtfolge ABAC Zwischen 207 und 30 C (70 K bzw. 300 K)
kristallisierende α-Bk vor. Bei höherer Tempera- verhält sich Berkelium wie ein Curie-Weiss-Para-
magnet mit einer Curie-Temperatur von 101 K. >1100 C oder durch Umsetzung der Elemente
Beim Abkühlen auf etwa 34 K geht Berkelium in miteinander zugänglich (Peterson und Hobart
einen antiferromagnetischen Zustand über (Miha- 1984, S. 53) und hat eine Dichte von 8,28 g/cm3.
lisin et al. 1980). Die Reaktion von Berkelium mit Schwefel, Selen
Berkelium ist wie alle Actinoide reaktionsfä- und Tellur in Quarzampullen ergibt Chalkogenide
hig und bildet mit Sauerstoff, Wasserstoff, Halo- der nichtstöchiometrischen Zusammensetzung
genen, Chalkogenen und Pnictogenen verschie- BkS2x, BkSe2x und BkTe2x, die sich bei weite-
dene Verbindungen, wobei die Reaktivität mit rem Erwärmen zu den Sesquichalkogeniden der
der Temperatur zunimmt. Bei Raumtemperatur allgemeinen Formel Bk2X3 (X=S, Se, Te) zer-
reagiert es allerdings mit Sauerstoff nur langsam setzen.
(Peterson und Hobart 2006). Halogenverbindungen Das gelbgrüne Berke-
Berkelium tritt in den meisten seiner Verbin- lium-IV-fluorid (BkF4) entsteht durch Einwirkung
dungen mit der Ordnungszahl +3 auf, jedoch ist von Fluor auf Berkelium bei Temperaturen um
auch +4 möglich, da das Element so eine relativ 400 C (Koch 1972). Es kristallisiert monoklin
stabile halbgefüllte f-Elektronenschale erhält. Ist es mit zwölf Formeleinheiten pro Elementarzelle
bei seinem Homologen in der Lanthanidenreihe, und isotyp zu Uran-IV-fluorid (Asprey und
dem Terbium, aber schwer bzw. unmöglich, reines Keenan 1968; Keenan und Asprey 1969; Asprey
Dioxid (TbO2) herzustellen, so ist dies für Berke- und Haire 1973; Penneman et al. 1973; Haug und
lium das gewöhnlicherweise anfallende Produkt Baybarz 1975; Ensor et al. 1981).
der Verbrennung. Das Tetrafluorid, das Jodat und β-Zerfall überführt Berkelium-IV-fluorid lang-
ein Chlorokomplex sind weitere Verbindungen des sam in Californium-IV-fluorid (CfF4) (siehe
Bk4+, das im Gegensatz zu „Tb4+“ in wässriger auch: Berkelium-III-bromid; beobachtet für
249 249
Lösung beständig ist, wenngleich es auch leicht 97BkF4 und 98CfF4) (Macintyre et al. 1992,
zu Bk3+ reduzierbar ist. Umgekehrt wirkt Bk4+ S. 2826). (Das Isotop 24997Bk hat eine Halbwerts-
ungefähr so stark oxidierend wie Ce4+. Liegen zeit von 330 d.)
Bk3+ oder Bk4+ nicht in stark saurer Lösung vor, Berkelium-III-fluorid (BkF3) ist ebenfalls ein
hydrolysieren beide leicht. Bk3+ ist in mineralsau- gelbgrüner Feststoff und kristallisiert bei Raum-
rer Lösung grün, Bk4+ gelb in salzsaurer und oran- temperatur orthorhombisch im Yttriumfluorid-
gegelb in schwefelsaurer Lösung. Typ mit der Dichte 9,70 g/cm3. Die Struktur wan-
delt sich bei Temperaturen oberhalb von 350 C in
Verbindungen den trigonalen Lanthanfluorid-Typ der Dichte
Chalkogenverbindungen Das braune Berkelium- 10,15 g/cm3 um (Peterson und Cunningham
IV-oxid (BkO2) kristallisiert kubisch in der Fluorit- 1968; Ensor et al. 1981). Aus Berkelium-III-fluo-
Struktur, in ihr ist ein Berkeliumion von acht rid gewann man durch Reaktion mit Lithium bei
Oxidionen und ein Oxidion von vier Berkeliumio- 1000 C in einer aus Tantal bestehenden Appara-
nen umgeben. tur erstmals metallisches Berkelium (Peterson
Reduktion mit Wasserstoffgas überführt die et al. 1971; S. 1775–1784).
Verbindung in Berkelium-III-oxid (Bk2O3), das Das grüne Berkelium-III-chlorid (BkCl3) kris-
ein gelbgrüner Feststoff mit einem Schmelzpunkt tallisiert hexagonal, isotyp zu Uran-III-chlorid,
von 1920 C ist und kubisch-raumzentriert kris- mit zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle
tallisiert (Holleman et al. 2007, S. 1972; Peterson und schmilzt bei 603 C (Peterson und Cun-
1967, S. 327–336; Peterson und Cunningham ningham 1968, S. 823–828; Peterson et al.
1967; Baybarz 1968). 1986). Das Hexahydrat besitzt aber monokline
Das braunschwarze, im kubischen Thorium- Kristallstruktur (Burns und Peterson 1971).
phosphid-Typ kristallisierende Berkelium-III-sul- Berkelium-III-bromid (BkBr3) existiert in Form
fid (Bk2S3) ist durch Überleiten eines Gemisches zweier Modifikationen, von denen die mit orthor-
aus Kohlenstoffdisulfid und Schwefelwasserstoff hombischer Struktur im PuBr3-Typ kristallisie-
über Berkelium-III-oxid bei einer Temperatur von rende bei Raumtemperatur stabiler ist. Beim
1034 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Erhitzen auf ca. 350 C wandelt diese sich in eine dride entstehen durch Reaktion des Metalls mit
mit monokliner Struktur (AlCl3-Typ) um. Einige Wasserstoffgas bei etwa 250 C und sind nicht-
Jahre gelagertes 249BkBr3 orthorhombischer Struk- stöchiometrische Verbindungen der allgemeinen
tur zeigt bei der Bestimmung der Kristallstruktur Formel BkH2+x (0<x<1).
mittels Röntgendiffraktometrie, dass in der Zwi- Hydrate des Berkelium-III-nitrats, -sulfats,
schenzeit ein erheblicher Anteil des 24997Bk -oxalats und -chlorids sind ebenfalls bekannt.
β-Zerfall zu 24998Cf eingegangen ist. Dabei war Erhitzt man Berkelium-III-sulfat-Dodecahydrat
kein Wechsel der Struktur zu beobachten, obwohl [Bk2(SO4)3 12 H2O] auf eine Temperatur von
ein orthorhombisch kristallisierendes Bromid zuvor 600 C unter Argon, so entsteht Berkelium-III-
bei Californium unbekannt war. Die Geschwin- oxydsulfat (Bk2O2SO4) als thermisch sehr stabile
digkeit der Umwandlung beträgt gut 0,2 % pro Verbindung.
d (!), was das Studium der Eigenschaften von Das in trigonaler Anordnung aufgebaute Mole-
Berkeliumverbindungen sehr erschwert. Neben kül des „Berkelocens“ [(η5–C5H5)3Bk] mit drei
der chemischen Kontamination durch Californium Cyclopentadienylgruppen entsteht durch Reaktion
schädigt dieses 24998Cf durch intensive Emission von Berkelium-III-chlorid mit geschmolzenem Be-
von α-Strahlen und dadurch bedingte starke Auf- ryllocen [Be(C5H5)2] bei einer Temperatur von
heizung das Kristallgitter. Eine so verursachte 70 C als bernsteinfarbener Feststoff der Dichte
Verfälschung der Messergebnisse kann nur dahin- 2,47 g/cm3. Der Organokomplex lässt sich sogar
gehend berichtigt werden, dass Messungen in weitgehend unzersetzt bei 350 C sublimieren,
Abhängigkeit von der Zeit durchgeführt und die jedoch zerstört die starke Radioaktivität des Me-
dabei erhaltenen Resultate extrapoliert werden tallatoms den Komplex innerhalb weniger Wo-
(Burns et al. 1975; Young et al. 1980; Cohen et al. chen.
1968; Peterson und Hobart 1984).
Berkelium-III-iodid (BkI3) ist ein gelber Fest- Anwendungen Berkeliumisotope verwendet man
stoff, der mit trigonaler Struktur und sechs For- oft zur Synthese noch schwererer Transurane
meleinheiten pro Elementarzelle im Bismut-III- und Transactinoide. So dient 24997Bk zur Herstel-
iodid-Gittertyp kristallisiert (Fellows et al. 1977; lung von Nukliden des Lawrenciums, Ruther-
Holleman et al. 2007, 1969). fordiums und Bohriums, ebenso auch der des
Pnictogenverbindungen Alle Berkeliumpnic- Isotops 24998Cf.
togenide der Formel BkX konnten auf Basis des Eine nach einem fast einjährigen Bestrahlungs-
Isotops 24997Bk für die Elemente (X) Stickstoff und Reinigungsprozess erhaltene Probe von 22 mg
249
(Stevenson und Peterson 1979), Phosphor, Arsen 97Bk wurde 2010 im Zuge der Zusammenarbeit
und Antimon dargestellt werden. Ausgangsstoffe des Vereinigten Instituts für Kernforschung [JINR,
waren entweder Berkelium-III-hydrid (BkH3) Dubna (Russland)] und dem amerikanischen
oder metallisches Berkelium, die man mit dem Lawrence Livermore National Laboratory 150 Tage
jeweiligen Pnictogen im Hochvakuum und bei lang mit Calciumionen im U400-Zyklotron
erhöhter Temperatur in Quarzampullen reagieren beschossen. Dieser Versuch führte zu den ersten
ließ. Alle Verbindungen kristallisieren im kubi- sechs Atomen des Elements Tenness (OZ: 117).
schen Kochsalz-Gitter mit den Gitterkonstanten
495,1 pm für BkN, 566,9 pm für BkP, 582,9 pm
Patente
für BkAs und 619,1 pm für BkSb (Damien et al.
(Weitere aktuelle Patente siehe https://world
1980) und haben halbmetallischen Charakter.
wide.espacenet.com)
Sonstige Verbindungen Berkelium-III- und
Berkelium-IV-hydroxid sind beide in verdünnter
L. I. Guseva und V. V. Stepushkina, Method
(1 m) Natronlauge beständig. Berkelium-III-phos-
of ion exchange separation of berkelium-
phat (BkPO4) zeigt in fester Form eine kräftige
250 from einsteinium-254 (Institut Geo-
Fluoreszenz, wenn es vorher durch Bestrahlung
mit grünem Licht angeregt wurde. Berkeliumhy- (Fortsetzung)
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1035
werdenden Mengen die nächst schwereren Cu- β-Cf kristallisiert kubisch-flächenzentriert bzw.
riumsotope bis hinauf zu 24996Cm. Aus letzterem kubisch-dichtest (Raumgruppe Fm3m, Stapel-
entsteht schließlich unter anderem durch zweima- folge ABC). Oberhalb von 725 C erfolgt
ligen β-Zerfall 24998Cf (Audi et al. 2003). Umwandlung der β- in die γ-Modifikation, die
Die Arbeitsgruppe um Seaborg beschrieb 1950 gleichfalls kubisch kristallisiert (Noé und Peter-
die erstmals erfolgte Erzeugung von Nukliden des son 1975).
Californiums (Seaborg et al. 1950; S. 4832–4835). Die Lösungsenthalpie von Californium in
Elementares Californium ist entweder durch Salzsäure liegt unter Standardbedingungen bei
Reduktion von Californium-III-oxid mit Lanthan 576,1 3,1 kJ/mol. Daraus berechnet sich die
oder Thorium oder aber von Californium-III-fluo- Standardbildungsenthalpie von Cf3+(aq.) zu
rid mit Lithium oder Kalium erhältlich: 577 5 kJ/mol und das Standardpotenzial E0
für Cf3+ + 3 e ! Cf zu etwa 1,92 0,03 V
CfF3 þ La ! Cf þ LaF3 (Fuger et al. 1984; Raschella et al. 1982).
Das silberglänzende Schwermetall ist wie alle
1974 reklamierten Haire und Baybarz (1974) Actinoide sehr reaktiv und wird von Wasser-
die erstmalige Darstellung metallischen Califor- dampf, Sauerstoff und Säuren angegriffen. Ge-
niums durch Umsetzung von Californium-III- genüber Alkalien ist es stabil.
oxid (Cf2O3) mit Lanthan. Beschrieben wurden Alle Californiumisotope von 24998Cf bis
254
eine kubisch-flächenzentrierte und eine hexa- 98Cf sind wegen ihrer relativen Langlebigkeit
gonale Struktur; der Schmelzpunkt wurde mit imstande, eine Kettenreaktion mit Spaltneutro-
900 30 C angegeben. nen aufrechtzuerhalten. Die kritischen Massen
1975 beschrieb man die beiden obenge- von aus 25198Cf bzw. 25498Cf bestehenden
nannten Strukturen nur als chemische Verbin- Kugeln liegen mit extrapolierten Massen von
dungen des Californiums: das hexagonal kris- 5,46 bzw. 4,3 kg sehr niedrig, jedoch sind entwe-
tallisierende Cf2O2S und das kubisch- der deren Herstellung zu aufwändig, ihre Ver-
flächenzentrierte CfS (Zachariasen 1975). Noé fügbarkeiten nicht gegeben oder die Halbwerts-
und Peterson stellten diese und eigene Ergeb- zeit dieser Isotope zu kurz, als dass sie in
nisse wenig später vor; diese belegen eindeutig Kernwaffen eingesetzt werden könnten.
die Darstellung von Californium und charakte-
risieren dessen Eigenschaften (Noé und Peter- Verbindungen
son 1975). Chalkogenverbindungen Californium-IV-oxid
(CfO 2) ist ein braunschwarzer Feststoff und kris-
Eigenschaften Californium zählt mit seiner Ord- tallisiert mit kubischer Fluorit-Struktur (Baybarz
nungszahl 98 zu den Actinoiden, das zu ihm ana- et al. 1972). In sehr geringen Mengen entsteht es
loge Element der Lanthanoidenreihe ist das in Kernreaktoren beim Bestrahlen von Uran-IV-
Dysprosium. Es ist ein künstlich gewonnenes, bzw. Plutonium-IV-oxid mit Neutronen. Der
radioaktives Metall mit einem Schmelzpunkt Abstand der Zentren der Elementarzellen liegt
von ca. 900 C und einer Dichte von 15,1 g/cm3 bei ca. 531 pm. Die Verbindung ist durch Oxida-
(s. Tab. 9), das in insgesamt drei verschiedenen tion von Californium mit molekularem Sauerstoff
Modifikationen auftritt (α-, β- und γ-Cf). Das bis bei hohem Druck darstellbar.
hinauf zu einer Temperatur von 600 C existie- Californium-III-oxid (Cf2O3) ist das gewöhn-
rende α-Cf besitzt eine doppelt-hexagonal dich- liche Produkt der exothermen Reaktion von Sau-
teste Kristallstruktur (Raumgruppe P63/mmc, erstoff mit Californium (Morss et al. 1987), ein
Schichtenfolge ABAC) (Noé und Peterson 1975; gelbgrüner Feststoff, der mit zwei Modifikatio-
Ermishev et al. 1986). nen auftritt. Von Raumtemperatur bis ca. 1400 C
Unter Temperatur- und Drucksteigerung geht liegt die kubisch-raumzentrierte Struktur vor,
α-Cf allmählich in β-Cf über (Peterson et al. von dieser Übergangstemperatur bis hin zum
1983). Das zwischen 600 und 725 C beständige Schmelzpunkt von 1750 C die monokline
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1037
(Green und Cunningham 1967; Copeland und der analogen Verbindung des Berkeliums etwas
Cunningham 1969; Baybarz et al. 1972). Es wird höhere Dichte von 8,44 g/cm3 (Peterson und
in sehr reiner Form in Neutronenquellen auf Hobart 1984, S. 53).
Basis des Isotops 25298Cf eingesetzt, wozu man Halogenverbindungen Hellgrünes Califor-
mittels geeigneter Verfahren zunächst das Cali- nium-IV-fluorid (CfF4) wird durch Reaktion von
forniumoxalat [25298Cf2(C2O4)3] aus wässriger Californium-III-oxid mit Fluor bei 400 C gebil-
Lösung ausfällt, dieses trocknet und danach det (Macintyre et al. 1992):
zum Californium-III-oxid glüht (Boulogne und
Faraci 1971). 2 Cf 2 O3 þ 6 F2 ! 4 CfF3 þ 3 O2
Californium-III-sulfid (Cf2S3) konnte ähnlich
wie sein Berkeliumanalogon durch Leiten eines Ohne eine chemische Umsetzung entsteht
aus Schwefelwasserstoff und Kohlenstoffdisulfid 249
CfF4 durch β-Zerfall von Berkelium-IV-fluo-
bestehenden Gasgemischs über Californiumhy- rid (249BkF4). Die Verbindung kristallisiert mono-
droxid bei ca. 1100 C dargestellt werden. Auch klin mit zwölf Formeleinheiten pro Elementar-
diese Verbindung kristallisiert kubisch im Tho- zelle und isotyp zu Uran-IV-fluorid (Holleman
riumphosphid-Gittertyp und hat die gegenüber et al. 2007, S. 1969; Asprey und Haire 1973;
1038 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Penneman et al. 1973; Haug und Baybarz 1975; weils erhalten. So entsteht aus Berkeliumbro-
Chang et al. 1990). Erhitzt man Californium-IV- mid mit sechsfacher Koordination des Ber-
fluorid, so gibt es Fluor ab und geht in Califor- keliumions und monoklin aufgebautem Gitter
nium-III-fluorid (CfF3) über. (AlCl3-Typ) das in gleicher Weise strukturierte
Californium-III-fluorid (CfF3) ist ein gelbgrü- Californiumbromid, und analog bildet sich
ner Feststoff, der temperaturabhängig in Form aus BkBr3 achtfach koordinierter Geometrie
zweier Modifikationen auftritt. Die orthorhombi- (PuBr3-Typ) das gleich strukturierte CfBr3, eine
sche Struktur (YF3Typ) liegt bei tieferen Tem- ansonsten nicht bekannte Kristallstruktur der Ver-
peraturen vor, bei höheren die trigonale des Lan- bindung (Young et al. 1980). Sogar die Standard-
thanfluoridtyps. In jener ist jedes Metallion von bildungsenthalpie von CfBr3 bestimmte man; sie
neun Fluoridionen in einer verzerrten trigonal- ist mit ca. 753 kJ/mol erwartungsgemäß stark
prismatischen, dreifach überkappten Geometrie negativ (Fuger et al. 1990).
umgeben (Stevenson und Peterson 1973; Haire Auch das rotorangefarbene Californium-III-
2006). iodid (CfI3) konnte in einer Menge weniger μg
Auch Californium-III-chlorid (CfCl3) ist ein im Hochvakuum bei einer Temperatur von
grüner Feststoff und erscheint in Form zweier ca. 500 C aus Californium-III-hydroxid und Iod-
Modifikationen. In der hexagonalen Kristallstruk- wasserstoff dargestellt werden (MacIntyre et al.
tur des UCl3-Typs ist jedes Californiumion von 1992, S. 2826; Wild et al. 1978). Dieses Triiodid
neun Chloridionen umgeben und weist zwei For- bleibt beim Erhitzen bis zum relativ hohen Subli-
meleinheiten pro Elementarzelle auf. In der or- mationspunkt von ca. 800 C stabil (Macintyre
thorhombischen Geometrie des PuBr3-Typs ist et al. 1992, S. 2826). Es kristallisiert trigonal mit
jedes Metallion mit acht Chloridionen in jeweils sechs Formeleinheiten pro Elementarzelle und
unterschiedlichen Abständen koordiniert. Die wie viele andere Triiodide der Actinoiden isotyp
Verbindung kann zum tiefblauen Californium-II- zu Bismut-III-iodid. Reduktion der Verbindung
chlorid reduziert werden (Burns et al. 1973; Peter- mit hochreinem Wasserstoff bei knapp 600 C
son et al. 1986; Nave et al. 1987; Green und ergibt das dunkelviolette Californium-II-iodid
Cunningham 1967). (Wild et al. 1975).
Das grüne Californium-III-bromid (CfBr3) Die Herstellung dieses Californium-II-iodids
(s. Abb. 22) kristallisiert monoklin im Aluminium- (CfI2) gelang in Mengen einiger μg im Hochva-
chlorid-Gittertyp mit sechsfacher Koordination kuum in einer Quarzglaskapillare. Beim Erhitzen
der Cf3+-Ionen. Die Verbindung schmilzt bei über den Schmelzpunkt hinaus reagiert es mit dem
einer Temperatur von 675 C. Beim Erhitzen gibt im Glas enthaltenen Sauerstoff unter Bildung von
es zum Teil Brom ab und geht in Californium-II- Oxidiodid (Wild et al. 1978). Bei Raumtempera-
bromid (CfBr2) über (Burns et al. 1975; Young et al. tur kristallisiert die Verbindung orthorhombisch,
1975). in der Hitze trigonal.
Erleiden das Isotop 24997Bk enthaltende Berke- Hydrolyse der Trihalogenide ergibt, wie bei
liumverbindungen einen β-Zerfall zu der jeweili- vielen anderen Metall-III-halogeniden, zunächst
gen Verbindung des Californiums (24998Cf), so die Oxidhalogenide, so auch beim Californium.
bleiben Oxidationszahl und Kristallstruktur je- Californium-III-oxifluorid (CfOF) erhielt man
durch Hydrolyse von Californium-III-fluorid bei
hoher Temperatur; es kristallisiert im kubischen
Fluoritgitter (Peterson und Burns 1968).
Californium-III-oxichlorid (CfOCl) konnte
durch Hydrolyse hydratisierten Californium-III-
chlorids bei 300 C dargestellt werden und kris-
tallisiert tetragonal (Copeland und Cunningham
1969; Burns et al. 1998).
Abb. 22 Californium-III-bromid (Materialscientist 2009)
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1039
mit α-Teilchen (42He) darstellen (Thompson Haire und Baybarz 1973). Oft muss man experi-
1956). Das Isotop 25399Es ist am leichtesten zu- mentell erhaltene Daten wegen des schnell wach-
gänglich, weswegen es meist für Bestimmungen senden Gehaltes an Verunreinigungen retropolie-
der chemischen Eigenschaften verwendet wird, ren.
obwohl es nicht das längstlebige ist. Erzeugt wird Einsteinium und sein Oxid (Es2O3) bzw. Fluo-
es durch Bestrahlung von 25298Cf mit thermischen rid (EsF3) sind die am stärksten paramagnetischen
Neutronen (Smirnov et al. 1985). Stoffe der Actinoidenreihe mit effektiven magne-
Einsteiniummetall erhält man durch Reaktion tischen Momenten von 10,40,3 μB für Es2O3
von Einsteinium-III-fluorid mit Lithium (Cun- und 11,40,3 μB für EsF3. Die Curie-Temperatu-
ningham und Parsons 1971) oder von Einstei- ren liegen bei 220 C (53 K) und 236 C
nium-III-oxid mit Lanthan (Haire und Baybarz (37 K) (Huray et al. 1983, 1984).
1979): Die chemischen Eigenschaften des Metalls
wurden bereits 1954 von Seaborgs Arbeitskreis
EsF3 þ 3 Li ! Es þ 3 LiF beschrieben (Ghiorso et al. 1954; Seaborg et al.
Es2 O3 þ 2 La ! 2 Es þ La2 O3 1954a, b). Einsteinium ist wie die anderen Acti-
noide chemisch sehr reaktionsfähig. In wässriger
Lösung ist die dreiwertige Oxidationsstufe am
Eigenschaften Einsteinium steht mit seiner Ord- stabilsten, es sind aber auch Verbindungen mit
nungszahl 99 in der Reihe der Actinoide; sein Einsteinium in der Oxidationsstufe +2 bekannt.
Analogon in der Reihe der Lanthanoide ist das Zweiwertige Verbindungen konnten bereits als
Holmium. Die an seiner erstmaligen Synthese Feststoffe dargestellt werden. Wässrige Lösungen
beteiligten Arbeitsgruppen geben (Seaborg et al. mit Es3+-Ionen haben eine blassrosa Farbe (Hol-
1955) eine Beschreibung derjenigen Daten von leman und Wiberg 2007, S. 1956).
Eigenschaften, die man seinerzeit bestimmen
konnte. Verbindungen
Einsteinium ist ein künstlich erzeugtes, radio- Das farblose, kubisch kristallisierende Einstei-
aktives Metall mit einem Schmelzpunkt von nium-III-oxid (Es2O3) lag nach seiner erstmaligen
860 C, einem Siedepunkt von 996 C und einer Darstellung durch Glühen des Nitrats in μg-Men-
Dichte von 8,84 g/cm3 (Haire 1990; s. auch gen und Aggregaten eines ungefähren Durchmes-
Tab. 10). Es kristallisiert kubisch dichtest bzw. sers von 30 nm vor. Für die Verbindung kennt man
flächenzentriert. Die Radioaktivität des Elements auch noch je eine monokline und hexagonale
ist so stark, dass dadurch das Metallgitter ge- Modifikation, die sich in Abhängigkeit von der
schwächt oder zerstört wird (Haire und Baybarz Präparationstechnik, der Lagerungszeit und dem
1979), wofür die niedrige Dichte und die tiefen durch die Eigenbestrahlung ausgelösten Erhitzen
Schmelz- und Siedepunkte sprechen. Das Metall der Probe einstellen. Für Einsteinium-III-oxid
ist divalent und bei höherer Temperatur flüchtig liegt noch kein eindeutiges Phasendiagramm vor.
(Haire et al. 1984). Die von 25399Es abgestrahlte Die hexagonale Modifikation ist isotyp zur Struk-
Wärmeenergie beträgt 1000 W/g (!). tur des Lanthan-III-oxids (Haire und Eyring
Untersuchungen des Elements und seiner Ver- 1994).
bindungen müssen wegen der kurzen Halbwerts- Halogenide des Elements sind für dessen Oxi-
zeiten seiner Isotope, verbunden mit steigender dationszahlen +2 und +3 bekannt, wobei +3 stets
Kontamination durch andere Actinoide, und der die stabilere Form vertritt (Young et al. 1981).
durch starke radioaktive Strahlung bedingten Einsteinium-III-fluorid (EsF3) erhält man als farb-
Zerstörung der Kristallgitter dieser bei Raum- losen Niederschlag, wenn eine das Einsteinium-
temperatur festen Substanzen direkt nach ihrer III-chlorid enthaltende Lösung mit Fluoridionen
Herstellung erfolgen. Die Umwandlungsrate von versetzt wird. Alternativ kann man Einsteinium-
Einsteinium zu Berkelium und dann zu Califor- III-oxid unter leicht erhöhtem Druck und bei
nium beträgt 3,3 % pro d (!) (Ensor et al. 1981; 300–400 C mit Fluor oder Chlor-III-fluorid
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1043
Patente
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mg. 40 pg 257100Fm isolierte man aus 10 kg der einige Berechnungen oder Vorhersagen vor. Die
Explosionsreste aus dem Hutch-Bombentest vom Sublimationsenthalpie wurde direkt durch Mes-
16. Juli 1969 (Hoff und Hulet 1970). sung des Partialdrucks des Fermiums über Fm-
Nach der Bestrahlung wird Fermium durch Sm- und Fm/Es-Yb-Legierungen im Bereich der
Ionenaustauschchromatografie von den anderen Temperaturen von 370 bis 630 C bestimmt. Es
bei der Bestrahlung gebildeten Actinoiden getrennt. ergab sich dabei ein Wert von ca. 142 kJ/mol. Da
Die Elution erfolgt mit einer Lösung von Am- die Sublimationsenthalpie von Fermium in einer
monium-α-hydroxyisobuttersäuremethylester (Hoff ähnlichen Größenordnung liegt wie die der eben-
und Hulet 1970; Thompson et al. 1956; Choppin falls mit der Oxidationszahl 2 auftretenden Ele-
et al. 1956). Kleinere Kationen wie auch Fm3+ mente Einsteinium, Europium und Ytterbium, ist
bilden stabilere Komplexe mit den α-Hydroxyiso- anzunehmen, dass Fermium ebenfalls Ionen die-
buttersäuremethylester-Anionen, daher werden sie ser Oxidationszahl bilden kann. Vergleiche mit
bevorzugt von der Säule eluiert (Silva 2011). Eine Radien und Schmelzpunkten von Europium-,
Methode für die schnelle fraktionierte Kristallisation Ytterbium- und Einsteinium-Metall führten zu
entwickelten Mikheev et al. (1983). Schätzwerten von 198 pm und 852 C für Fer-
Obwohl 257100Fm mit einer Halbwertszeit von mium (Silva 2006) (s. Tab. 11).
ca. 100 d das stabilste Fermiumisotop ist, wird Das Normalpotenzial für das Fm3+/Fm-Paar
meist mit 255100Fm gearbeitet. Jenes ist zwar mit wurde zu 1,96 V berechnet, also dürfte Fermium
einer Halbwertszeit von etwa 20 h viel kurzlebi- wie die anderen Actinoide unedel und ziemlich
ger, jedoch kann es leicht als β-Zerfallsprodukt reaktionsfähig sein. Für das Redoxpaar Fm3+/Fm2+
des 25599Es gewonnen werden (Silva 2006; Porter schätzte man das Redoxpotenzial ähnlich zum
et al. 1997). Ytterbium Yb3+/Yb2+-Paar ein, mit einem Wert
von ca. 1,15 V (Podorozhnyi et al. 1977); ein
Eigenschaften Sämtliche bisher bekannten 19 Nu- Wert, der mit theoretischen Berechnungen überein-
klide und 3 Kernisomere sind radioaktiv, mit zum stimmt (Nugent 1975). Polarographische Untersu-
Teil sehr kurzen Halbwertszeiten. Am stabilsten ist chungen ergaben für das Fm2+/Fm-Redoxpaar ein
noch 257100Fm mit einer Halbwertszeit von 100,5 d. Normalpotenzial von 2,37 V (Hobart et al.
Die bisher beobachteten Massenzahlen reichen von 1979).
242 bis 260 (Audi et al. 2003). Nubase 2003 führt insgesamt 19 Isotope des
Als Fermiumbarriere bezeichnet man das Phä- Fermiums auf (Audi et al. 2003). Diese haben
nomen, dass die Fermiumisotope 258100Fm, Atommassen von 242 bis 260, von denen
259 260 257
100Fm und 100Fm nach kurzer Zeit durch 100Fm mit einer Halbwertszeit von 100,5 d
Spontanspaltung zerfallen. Zudem ist 257100Fm das längstlebige ist. Die anderen Isotope sind
ein α-Strahler und zerfällt zu 25398Cf. Auch erlei- deutlich instabiler, wie etwa 253100Fm mit 3 d,
251 254
det kein bislang bekanntes Isotop des Fermiums 100Fm mit 5,3 h, 100Fm mit 3,2 h oder
einen β-Zerfall (Audi et al. 2003). Dies verhin- 256
100Fm mit 2,6 h, und dies sind noch die be-
dert, dass mit Hilfe von Neutronenstrahlung, zum ständigsten. Die ganz kurzlebigen Isotope besit-
Beispiel im Kernreaktor, Elemente mit höheren zen Halbwertszeiten von 30 min bis hinunter in
Ordnungszahlen als 100 bzw. Massenzahlen grö- den ms-Bereich.
ßer als 257 erzeugt werden können. Die Atom-
kerne des Fermiums sind daher die schwersten, Verbindungen Feste Verbindungen des Fer-
die noch durch Neutroneneinfang hergestellt wer- miums konnte man bisher noch nicht darstellen,
den können. Jedes Zufügen weiterer Neutronen zu die bisher erhaltenen Ergebnisse beziehen sich auf
einem Fermiumnuklid führt zu dessen Spontan- die mit Tracertechnik verfolgte Chemie des Fer-
spaltung. miums in Lösung. Gewöhnlicherweise existiert in
Das Metall wurde bislang nicht dargestellt, Lösung das Fm3+-Ion, das eine Lewis-Säure mit
dagegen führte man Messungen an Legierungen einer Dissoziationskonstante von 1,6 104 (pKa:
mit Lanthanoiden durch, und schließlich liegen 3,8) ist (Lundquist et al. 1981). Dieses Ion bildet
1046 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
Komplexe mit einer Vielzahl organischer Ligan- geringen Mengen, zu Studienzwecken gewonnen.
den über deren Sauer- oder Stickstoffatome; und Zur Zeit können daher noch keine möglichen
diese Komplexe sind stabiler als die meisten Anwendungen diskutiert werden.
der vorausgehenden Actinoide (Thompson et al.
1954), da gemäß der „Actinoidenkontraktion“ das
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Fm3+-Ion einen kleineren Durchmesser als die
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trivalenten Kationen der vorausgehenden Ele-
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mente hat. Die Reduktion von Fm3+ zu Fm2+ ver-
läuft relativ leicht (Malý 1967) und ist schon
N. B. Mikheev und V. I. Spitsyn, Method
durch milde Reduktionsmittel wie Sm2+ zu errei-
for preparing fermium in a bivalent state
chen, mit dem Fm2+ zusammen ausfällt (Mikheev
(Institut Fizicheskoj Khimii AN SSSR;
et al. 1972; Hulet et al. 1979; Mikheev et al. 1977;
Obedinennyj i Yadernykh I, SU 371782
Hobart et al. 1979).
A1 A1, veröffentlicht 30. Oktober 1979)
Anwendungen Fermium bzw. seine Verbindun- (Fortsetzung)
gen werden, wenn überhaupt und dann in extrem
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1047
sie auf einer hinter dem Target montierten, dünnen sollte bei ca. 827 C liegen (s. Tab. 12), die Dichte
Metallfolie (meist aus Gold, Platin, Aluminium beim vergleichsweise niedrigen Wert von
oder Beryllium) im Vakuum auf. So vermeidet 10,30,7 g/cm3 (Haynes 2011). Der Radius des
man eine direkt nach dem Versuch nötige chemi- Md2+-Ions wurde mit 194 10 pm vorhergesagt.
sche Aufarbeitung mit dann resultierender Zerstö- Johansson und Rosengren versuchten schon früh,
rung des Einsteiniumtargets. Zur Folie transpor- ein generelles Phasendiagramm für die höheren
tiert werden die Atome des Mendeleviums mittels Actinoide aufzustellen (1975).
eines dann zugeschalteten Gasstroms (oft He- In Lösung fand man für Mendelevium die
lium, kombiniert ggf. mit einem Kaliumchlorid- Oxidationszahlen +3 oder +2, wogegen +1 zwar
Aerosol). Man behandelt dann die Folie mit berichtet, bisher aber nicht bestätigt wurde.
Säure, wäscht so die zunächst adsorbierten Nu- Schon nach seiner erstmaligen Synthese im Jahr
klide des neu erzeugten Elements aus, fällt 1955 wurde das Element direkt nach Fm3+ in der
die Ionen des Mendeleviums aus der Lösung Reihenfolge der Elution von einem Kationen-
zusammen mit Lanthan-III-fluorid aus, löst den austauscherharz nachgewiesen, ein deutlicher
entstandenen Niederschlag mit ethanolischer Hinweis auf das Vorliegen der Oxidationszahl
Salzsäure und leitet dieses salzsaure Eluat über +3. 1967 beobachtete man die Bildung von in
einen Kationenaustauscher. Besteht die Folie Wasser unlöslichen Hydroxiden und die ge-
dagegen aus Gold, so löst man diese in Königs- meinsame Fällung mit La3+ als Fluorid (Silva
wasser auf und lässt das auf eine Konzentration 2006, S. 1635). Weitere Resultate von Versu-
von 6 m HCl eingestellte Eluat dann über einen chen zum Kationenaustausch und zur Flüssig-
Anionenaustauscher laufen, der Gold in Form flüssig-Extraktion führten zur vorläufigen Fest-
seines Tetrachloroaurat-III-Komplexes bindet, die stellung, dass Mendelevium ein trivalentes
Actinoiden aber passieren lässt. Actinoid mit einem etwas geringeren Radius
des Md3+-Ions war als dies für Fm3+ registriert
Eigenschaften Infolge der mit steigender Ord- wurde.
nungszahl verstärkten relativistischen Stabilisie- Md3+ wird leicht zu Md2+ reduziert; das Redox-
rung der 5f-Orbitale geht das bei den Atomen der potenzial E0 beträgt 0,160,05 V für die
Lanthanoiden noch meist vorhandene einzelne Reaktion Md3+ + e ! Md2+ (Toyoshima et al.
d-Elektron bei den Atomen der höheren Actino- 2013). Das Metall selbst ist sehr anfällig für Oxi-
iden in die f-Schale über. So verbleiben zu Valenz- dation, wie die stark negativen Normalpotenziale
zwecken dienende Elektronen in der Regel nur in von 1,74 V für Md3+ + 3 e ! Md und 2,5 V
der s-Außenschale des Atoms des Elements; „ver- für Md2+ + 2 e ! Md belegen (Silva 2006).
fügbar“ sind also maximal nur zwei Elektronen. Versuche, Md3+ in Lösung zu Md4+ zu oxidie-
Auch deswegen haben die Elemente ab Einstei- ren, scheiterten bislang.
nium relativ niedrige Schmelzpunkte, aus ähnli- Insgesamt kennt man sechzehn Isotope des Men-
cher Ursache wie bei Europium und Ytterbium in deleviums, von 245101Md bis hin zu 260101Md, au-
der Reihe der Lanthanoiden. Ein weiterer Grund ßerdem fünf Kernisomere (245m101Md, 247m101Md,
249m 254m 258m
für die schwächeren Bindungen innerhalb des 101Md, 101Md und 101Md) (Nurmia
Metallatomgitters ist dessen teilweise Selbstzer- 2003). Das längstlebige Isotop überhaupt ist dabei
258
störung infolge der starken radioaktiven Strah- 101Md mit einer Halbwertszeit von 51,5 d und
lung. das längstlebige Isomer 258m101Md (t1/2: 58 min).
Die vergleichsweise hohe Flüchtigkeit des Trotzdem bevorzugt man zur Durchführung che-
Mendeleviums belegten von Zvara und Hübener mischer Experimente das deutlich kürzerlebige
256
durchgeführte thermochromatographische Stu- 101Md (t1/2: 1,17 h), da man es in größeren Men-
dien (Silva 2006, S. 1634). Die Sublimationsen- gen durch Beschuss von Einsteiniumtargets mit
thalpie schätzten Haire und Gibson auf nur rund Heliumkernen erzeugen kann. Nach 258101Md sind
140 kJ/mol, der Schmelzpunkt des kubisch flä- die längstlebigen Isotope 260101Md (t1/2: 31,8 d),
257 259
chenzentriert kristallisierenden Mendeleviums 101Md (t1/2: 5,52 h), 101Md (t1/2: 1,6 h) und
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1049
256
101Md (t1/2: 1,17 h). Alle anderen Isotope zerfal- 5.13 Nobelium
len zur Hälfte in weniger als einer Stunde; einige
von ihnen haben Halbwertszeiten von nicht einmal Geschichte und Gewinnung Die erstmalige
5 min. Erzeugung von Atomen des Nobeliums bean-
Das für Versuche bevorzugte 256101Md zerfällt spruchten während des Jahrzehnts von 1957 bis
wie viele Actinoiden-Isotope über zwei oder 1966 mit wechselnder Führung Arbeitsgruppen in
sogar mehr Routen; hier sind es zu 90,7 % Elek- Schweden, den Vereinigten Staaten und der frü-
troneneinfang (β zu 256100Fm) und ansonsten heren Sowjetunion. Die erste Veröffentlichung
α-Zerfall zu 25299Es. kam 1957 von Physikern des Stockholmer
Nobel-Instituts, die ein Curiumtarget mit 136C-
Kernen während 25 h und in halbstündigen Inter-
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vallen beschossen hatten. In den jeweilgen Pausen
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wusch man die neu erzeugten Nuklide vom Target
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ab, ließ die jeweilige wässrige Phase über Ionen-
austauscher laufen und setzte das Target dann
N. B. Mikheev und A. N. Kamenskaya,
wieder zu Beschusszwecken an seinen Platz zu-
Mendelevium production method (Insti-
rück. In einigen der Lösungen fand man einen
tut Fizicheskoj Khimii AN SSSR; Insti-
α-Strahler der Abstrahlungsenergie 8,5 MeV, der
tut Yadernoj Fiziki, SU 907986 A1, ver-
schneller eluiert wurde als Fm3+ oder Cf3+ und der
öffentlicht 15. Oktober 1983)
eine Halbwertszeit von ca. 10 min haben sollte.
Die Schweden führten dies auf die Isotope
1050 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
251
102XX bzw. 253102XX zurück, auch wenn sie Berkeley 1959 erneut. Diesmal reklamierte man
100No, einen α-Strahler der Energie von 8,3
252
nicht vollständig die Erzeugung von Isotopen des
Mendeleviums ausschließen konnten (Atterling MeV, der nach folgender Gleichung gebildet wor-
et al. 1957), und schlugen den Namen Nobelium den sein sollte:
für das ihrer Ansicht nach neu aufgefundene Ele-
96 Cm þ 6C ! 102 No ! 102 No þ 4 0 n
ment vor. Dieser wurde von der IUPAC gleich 244 12 256 252 1
Alfred Bernhard Nobel (* 21. Oktober Eigenschaften Eine Reihe an Voraussagen und
1833 Stockholm; † 10 Dezember 1896 San vorläufige Versuchsergebnisse liegen für Nobelium
Remo, Italien) wanderte 1842 mit seinen vor (Silva 2006, S. 1639). Nobelium verhält sich
Eltern nach St. Petersburg aus, wo der Va- demnach sehr ähnlich zu seinem linken Nachbarn
ter Hütten- und Waffenfabriken gründete. im Periodensystem der Elemente, Mendelevium.
Nobel Jr. studierte ab 1851 ein Jahr Chemie Man erwartet, dass die Elemente Fermium,
in den Vereinigten Staaten von Amerika, Mendelevium und Nobelium bevorzugt in der
publizierte dort sein erstes amerikanisches Oxidationszahl +2 auftreten, da die 5f-Orbitale
bzw. auch schwedisches Patent über ein ihrer Atome durch relativistische Effekte stabili-
Gasmeßgerät bzw. Schießpulver (Carlisle siert werden. Ferner sollten sie im Vergleich
2004) und verbrachte danach noch einige zu den meisten Actinoiden niedrige Dichten,
Jahre im Ausland. Nach dem Bankrott der Schmelz- und Siedepunkte haben, die fast auf
von seinem Vater betriebenen Waffenfabrik dem Niveau der für die homologen Lanthanoiden
kehrte die gesamte Familie 1859 nach gemessenen Werten liegen. Für das vermutlich
Stockholm zurück. Ab diesem Jahr konzen- kubisch-flächenzentriert kristallisierende Nobe-
trierte Nobel seine Forschung auf die Erpro- lium ergaben sich dabei eine Dichte von
bung und sichere Handhabung des Spreng-
9,90.4 g/cm3 (Fournier 1976) und ein Schmelz-
stoffes Nitroglycerin, den er auch im
1052 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
punkt von 827 C (Haynes et al. 2011, S. 4121) nicht, denn man erwartete sowohl für NoCl2 als
(s. auch Tab. 13); die Sublimationsenthalpie auch NoCl3 keine hohe Flüchtigkeit. 1968 wurde
schätzt man auf 126 kJ/mol (Silva 2006, S. 1639). aber die bevorzugte Oxidationszahl +2 für Nobe-
Die Chemie des Nobeliums ist nur lückenhaft lium belegt, als Ergebnisse von Versuchen zur
beschrieben und wenn, dann nur in wässriger Kationenaustauschchromatografie und Fällung
Phase (Hulet 1979). Mit seiner Grundkonfigura- an einigen Zehntausend (!) 255102No-Atomen
tion der Elektronen von [Rn]5f14 sollte, wie beim zeigten, dass sich das ionisierte Element mehr
homologen Element Ytterbium, der divalente wie ein Erdalkalimetall als wie ein Actinoid oder
Zustand der stabilste und nur durch Anwendung Lanthanoid verhielt (Nurmia 2003; Martin et al.
starker Oxidationsmittel in +3 überführbar sein, 1974). Sechs Jahre später fand man, dass No2+
was 1967 durch Ergebnisse von Versuchen mit sich zusammen mit Erdalkalimetallen von sauren
metallischem Nobelium, Fermium, Californium Kationenaustauscherharzen eluieren ließ (Silva
und Terbium bestätigt wurde. Alle Metalle setzte 2006, S. 1639) und im divalenten Zustand stark
man mit elementarem Chlor um und ließ die ent- ionisches Verhalten zeigt, wie etwa im Hydrid
stehenden Chloride mittels eines Trägergases in NoH2 (Balasubramanian 2001).
ein Röhrchen diffundieren. Alle Chloride wurden Das Komplexbildungsverhalten von Nobelium
auf fester Oberfläche stark adsorbiert, was den entspricht ungefähr der des Strontiums (Silva
Rückschluss zuließ, das sie nicht sehr flüchtig 2011, S. 1639). Das Standardredoxpotential E
sind. Sehr beweiskräftig war das Resultat aber für die Reaktion No3+ ! No2+ bestimmte man zu
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1053
ca. +0,75 V (Toyoshima et al. 2009), was No3+ als zu erzeugen; diese Versuche lieferten aber eben-
mäßig starkes Oxidationsmittel klassifiziert. Die in falls keine schlüssigen Ergebnisse.
der Literatur zitierten Normalpotenziale E für die 1961 unternahm dieselbe Gruppe einen neuen
Reaktionen No2+!No0 bzw. No3+!No0 schwan- Versuch und bombardierte ein aus verschiedenen
ken je nach Quelle stark, jedoch sind die inzwi- Isotopen zusammengesetztes, 3 mm großes Cali-
schen anerkannten Zahlen 2,61 bzw. 1,26 V. forniumtarget mit 105B- und 115B-Kernen im
Nobelium hat also eine etwa so starke Neigung, in Linearbeschleuniger für schwere Ionen (Ghiorso
ein Ion der Oxidationszahl +2 überzugehen, wie et al. 1961). Bei diesem Versuch entstand das
ein reaktives Erdalkalimetall, wie auch die nega- Isotop 257103XX, das eine Halbwertszeit von
tive freie Bildungsenthalpie dieser Reaktion zeigt. 8 2 s gehabt haben und α-Teilchen einer Energie
Man kennt insgesamt zwölf, sämtlich radioak- von 8,6 MeV abgestrahlt haben soll:
tive, Isotope des Nobeliums, mit Massenzahlen
von 250 bis 260 und 262, außerdem noch Kerni- 252
98 Cf þ 11
5B ! 263
103 Lr ! 258
103 Lr þ 51 0 n
somere mit den Massenzahlen 251, 253 und
254 (Kratz 2011). Das längstlebige Isotop über- (Später identifizierte man das in Frage kom-
haupt ist 259102No mit einer Halbwertszeit von mende Isotop korrekt als 258103Lr.) Nur eine Frage
58 min, und das längstlebige Kernisomer ist blieb noch unbefriedigend erklärt, warum die
251m
102No mit einer Halbwertszeit von 1,7 s. Für Ausbeutekurve über die Massenzahlen der er-
das noch nicht entdeckte Isotop 261102No sagt man zeugten Isotope so breit gewesen sein sollte. Das
eine Halbwertszeit von knapp 3 h voraus (Audi Team in Berkeley schlug als Namen für das Ele-
et al. 2003). Zur Durchführung chemischer Ver- ment Lawrencium vor, der von der IUPAC unter
suche, falls dies überhaupt möglich ist, bevorzugt Verwendung des Elementsymbols „Lr“ auch
man aber das „zweitstabilste“ Isotop, das schon akzeptiert wurde.
sehr kurzlebige 255102No (t1/2: 3,1 min), da es in Das Team im russischen Dubna (Vereinigtes
„größeren“ Mengen durch Beschuss von 24998Cf- Institut für Kernforschung, Joint Institute for
mit 126C-Kernen darstellbar ist. Danach sind die Nuclear Research, JINR) stieg erst 1965 in die
stabilsten Isotope des Nobeliums das 253102No (t1/ Versuche zur Erzeugung von Isotopen des Law-
2: 1,62 min),
254
102No (t1/2: 51 s),
257
102No (t1/2: renciums ein. Man postulierte dort, 256103Lr durch
256
25 s) und das 102No (t1/2: 3 s). Das kürzestlebi- Beschuss von 24395Am mit 188O-Kernen erzeugt
ge Isotop (250102No) hat nur eine Halbwertszeit zu haben:
von 0,25 ms (!).
95 Am þ 8O ! ! 256 103 Lr þ 51 0 n
243 18 261
103 Lr
255
bis 260103Lr, und sämtliche zuvor erhalte-
103Lr bis 254103Lr bzw. 266103Lr) nur durch α-Zerfall
nen Ergebnisse konnten bestätigt werden (Eskola von Isotopen des Dubniums gebildet werden, las-
et al. 1971). Nachdem aber die IUPAC 1971 noch sen sich die mittelschweren (255103Lr bis 262103Lr)
dem LBNL in Berkeley das Erstentdeckungsrecht durch Beschuss von Targets niederer Actinoide
zugesprochen hatte, erkannte die IUPAC Trans- der Gruppe Americium bis Einsteinium mit leich-
fermium Working Group (TWG) 1992 beide ten Kernen der Klasse Bor bis Neon erzeugen.
Teams als gemeinsame Entdecker des Elements Das Bombardieren von 24998Cf- mit 115B-Kernen
an. Die Begründung war, dass die in Dubna ge- einer Energie von 70 MeV liefert beispielsweise
256 260
tätigte Arbeit wesentlich zur Aufklärung und Be- 103Lr, wogegen 103Lr beim Beschuss von
249 18
stätigung früher erhaltener Ergebnisse beigetra- 97Bk- mit 8O-Nukliden anfällt.
gen hätte. Der Name „Lawrencium“ blieb aber Diese beiden Isotope des Lawrenciums
erhalten, da er 1992 schon viele Jahre in Ge- (256103Lr, 260103Lr) haben aber schon so kurze
brauch war. Halbwertszeiten, dass ihre Reinigung oder Isolie-
rung nur schwer möglich ist. Anfangs war die
Flüssig-flüssig-Extraktion mit einer Lösung von
Thenoyltrifluoroaceton in Methylisobutylketon
Der amerikanische Kernphysiker und No-
aus wässriger, acetatgepufferter Phase favorisiert.
belpreisträger Ernest Orlando Lawrence
Ein solches Vorgehen gestattet die pH-abhängige
(* 8. August 1901 Canton, SD; † 27. August
und selektive Extraktion von Actinoiden ver-
1958 Palo Alto, CA) nahm 1919 das Stu-
schiedener Ionenladung, trennt aber nicht die tri-
dium der Chemie an der University of South
Dakota auf und schloss dies 1923 mit dem valenten Ionen (An3+). Daher muss man in diesem
B.A. ab. Den Master erlangte er ein Jahr Extrakt noch 256103Lr anhand seiner mit der Ener-
später und promovierte 1925 an der Yale- gie 8,24 MeV emittierten α-Teilchen identifizie-
Universität in Physik. 1928 erhielt er den ren, bevor es zur Gänze zerfallen ist. Ein neueres
Ruf auf die Stelle eines Associate Professor Verfahren entfernt das produzierte, mit einer
für Physik an der University of California in Halbwertszeit von 3 min relativ „langlebige“
260
Berkeley. 1930 wurde er ordentlicher Profes- 103Lr mittels 0,05 m Salzsäure von der Auf-
sor für Physik und 1936 Direktor des Strah- fangfolie und verwendet α-Hydroxiisobuttersäure
lungslabors. als selektives Eluens.
1929 erfand Lawrence das Zyklotron,
erhielt 1932 ein Patent darauf und nutzte Eigenschaften Lawrencium ist dem Lanthanoid
dieses zusammen mit anderen Forschern Lutetium in seinen Eigenschaften verwandt und
zur Erzeugung einiger neuer, nur auf künst- unter Normalbedingungen wahrscheinlich ein
lichem Weg darstellbarer Elemente, aber Feststoff, der in einer hexagonal-dichtest gepack-
auch für Zwecke der Medizin und Biologie, ten Struktur kristallisiert, auch wenn man dies
unter anderem der Tumortherapie. Er war noch nicht bestätigen konnte (Östlin und Vitos
maßgeblich am Bau der amerikanischen 2011). Die im Vergleich zu seinen leichteren
Atombomben beteiligt, trat nach dem Zwei- Nachbarn der Actinoidenreihe hohen Sublima-
ten Weltkrieg aber für ein Ende der Atom- tions- und Schmelzentalpien weisen deutlich auf
bombentests ein. In den 1930er-Jahren
die Verwandtschaft zu Lutetium und die bevor-
wurde er Mitglied der National Academy
zugte Oxidationszahl +3 hin. Daher sollte Law-
of Sciences und der American Academy of
rencium ein bevorzugt trivalent auftretendes, silb-
Arts and Sciences, ab 1942 war er sogar
rig glänzendes Metall sein, dass durch Luft,
Ehrenmitglied der Akademie der Wissen-
Dampf und Säuren schnell angegriffen wird.
schaften der Sowjetunion.
Die Dichte wird im hohen Bereich erwartet
(16,10,5 g/cm3), und der Schmelzpunkt soll
Darstellung Während die leichtesten bzw. bei rund 1630 C liegen (Fournier 1976; Penne-
schwersten Isotope des Lawrenciums (252103Lr man und Mann 1976) (s. auch Tab. 14).
5 Einzelne Metalle der Actinoide (Thorium bis Lawrencium) 1055
Ende der 1960er-Jahre fand man, dass Law- reduzieren, scheiterten, ähnlich wie bei Lutetium.
rencium mit Chlor wahrscheinlich zum Trichlorid Das Normalpotenzial E für die Reaktion Lr3+ !
(LrCl3) reagiert. Seine damals beobachtete Flüch- Lr+ wurde zu 1,56 V errechnet, das für Lr3+ !
tigkeit entsprach etwa der der Trichloride des Cu- Lr0 zu 2,06 V, was bedeutet, dass das Vorkom-
riums oder Fermiums. Eine an 1500 Atomen (!) men von Lr+ in Lösung sehr unwahrscheinlich ist.
durchgeführte Studie von 1970 zeigte, dass Law- Lr4+ sollte theoretisch ein extrem starkes Oxidati-
rencium mit anderen trivalenten Ionen der Acti- onsmittel sein und wurde bisher auch noch nicht
noiden extrahierbar war und mit Ammonium beobachtet.
α-hydroxyisobutyrat vor Md3+ eluiert. Es wird In der Regel sollten die 6d-Orbitale bei den
erwartet, dass Lawrencium-III-fluorid (LrF3) und kovalenten Verbindungen des Elements kaum
Lawrencium-III-hydroxid [Lr(OH)3] kaum lös- eine Rolle bei der chemischen Bindung spielen.
lich in Wasser sind. Gemäß der Actinoidenkon- Das Molekül des Dihydrids (LrH2) sollte zum
traktion sollte der Ionenradius von Lr3+ kleiner als Beispiel kürzere Metall-H-Bindungslängen als
der von Md3+ sein. 1987 und 1988 belegten am das des Lanthandihydrids (LaH2) haben, weil hier
längerlebigen Isotop 260103Lr durchgeführte Ver- durch die relativistisch bedingte Kontraktion die
suche, dass Lawrencium in seinen Verbindungen 7s- und sogar 7d-Orbitale stabilisiert sind und sich
bevorzugt mit der Oxidationszahl +3 auftritt an der Bindung beteiligen (Balasubramanian
(Greenwood 1997), und dass der Radius des 2001). Trotz aller kleinen Abweichungen sollte
Lr3+-Ions bei ca. 88,10,3 pm liegt. Versuche, sich Lawrencium wie ein typisches Actinoid ver-
Lr3+ in wässriger Lösung zu Lr2+ oder Lr+ zu halten und dem Lutetium stark ähneln. Diese Pa-
1056 19 Radioaktive Elemente: Actinoide
rallelen zeigen sich in der relativen Stabilität des Halbwertszeiten haben. So nutzte man 256103Lr
Trihydrids und einiger Komplexverbindungen (t1/2: 27 s) für erste Versuche, später ging man
(Xu und Pyykkö 2016). zum etwas stabileren 260103Lr (t1/2: 2,7 min) über.
Im Jahr 1971 durchgeführte Berechnungen Noch längerlebig sind 261Lr (t1/2: 44 min) und
262 252
sagten eher eine Elektronenkonfiguration [Rn] 103Lr (3,6 h). Das instabilste Isotop ( 103Lr)
5f147s27p1 für das Lawrenciumatom voraus hat nur eine Halbwertszeit von 390 ms.
(Xu und Pyykkö 2016). Obwohl frühe Rechnun-
gen noch uneindeutige Ergebnisse lieferten
(Nugent et al. 1974), sollte die 7s27p1-Hypothese Literatur
nach späteren Berechnungen zwar energetisch
günstiger sein (Eliav et al. 1995; Zou et al. Acton QA (2013) Oxides – advances in research and app-
lication, 2013 edition. Scholarly Editions, Atlanta.
2002), aber ein Element mit Atomen einer solchen
ISBN 978-1-481-67865-0
Konfiguration auch flüchtiger sein und nur Adachi J et al (2005) A molecular dynamics study of
schwach auf Oberflächen haften. Die bisher für thorium nitride. J Alloys Compd 394(1–2):312–316.
Lawrencium erhaltenen experimentellen Befunde https://doi.org/10.1016/j.jallcom.2004.11.005
Ahrland S et al (1973) The chemistry of the actinides,
sind aber gegenteiliger Natur, so dass hier vorerst
pergamon texts in inorganic chemistry, Bd 10, 1. Aufl.
keine klare Definition möglich war. Die 2015 Pergamon Press, Oxford, S 398. ISBN 008-018794-3
gemessene erste Ionisierungsenergie des Isotops Aldred AT et al (1974) Magnetic properties of the neptu-
256 nium monopnictides. Phys Rev B 9(9):3766–3778.
103Lr war mit 4,96 eV die niedrigste aller
https://doi.org/10.1103/PhysRevB.9.3766
Atome der Lanthanoiden und Actinoiden (Sato
Aldred AT et al (1980) Critical exponents of uranium
et al. 2015). Dies ließ die Annahme zu, das seine telluride. J Magnet Magn Mat 20(3):236–242
s2p-Konfiguration nur schwache Bindungskräfte Allisy A (1996) Henri Becquerel: the discovery of radio-
ausübt und dass Lutetium und mehr noch Law- activity. Rad Protect Dosim 68(1–2):3–10
Arnold PL et al (2009) Pentavalent uranyl complexes.
rencium, neben Lanthan und Actinium, die ei-
Coord Chem Rev 253(15–16):1973–1978
gentlichen Homologen des Scandiums und Yt- ARQ Contributors (2008) Plutonium processing at Los
triums in der 3. Nebengruppe wären. Falls die Alamos, actinide research quarterly (3rd quarter, 2008).
s2p-Konfiguration wirklich zuträfe, könnte man United States Department of Energy, Washington, DC
Asprey LB (1954) New compounds of quadrivalent
Lawrencium gemäß der IUPAC-Definition aber
americium, AmF4, KAmF5. J Am Chem Soc
nicht mehr zu den Übergangsmetallen zählen 76(7):2019–2020. https://doi.org/10.1021/ja01636a094
(Kaldor und Wilson 2005). Andererseits erwartet Asprey LB, Haire RG (1973) On the actinide tetrafluoride
man auch eine gewisse Ähnlichkeit des Lawren- lattice parameters. Inorg Nucl Chem Lett 9(11):1121–1128.
https://doi.org/10.1016/0020-1650(73)80017-0
ciums zum Curium mit seiner [Rn]5f76d17s2-
Asprey LB, Keenan TK (1968) The preparation of berke-
Konfiguration. Die bislang erhaltenen Resultate lium tetrafluoride and its lattice parameters. Inorg Nucl
lassen jedenfalls noch Spielraum zur Spekulation, Chem Lett 4(9):537–541. https://doi.org/10.1016/0020-
solange keine neuen Ergebnisse vorliegen (Haire 1650(68)80028-5
Asprey LB, Penneman RA (1961) First observation of
2007).
aqueous tetravalent americium. J Am Chem Soc
Bisher sind die Isotope von 252103Lr bis 83(9):2200. https://doi.org/10.1021/ja01470a040
262 266
103Lr und 103Lr bekannt. Zusätzlich kennt Asprey LB, Penneman RA (1962) Preparation and proper-
man nur ein Kernisomer (253m103Lr). Das längst- ties of aqueous tetravalent americium. Inorg Chem
1(1):134–136. https://doi.org/10.1021/ic50001a025
lebige Isotop 266103Lr entsteht beim Beschuss
Asprey LB et al (1950) A new valence state of americium,
von Berkeliumtagrets mit Calciumionen als Pro- Am(VI). J Am Chem Soc 72(3):1425–1426
dukt des α-Zerfalls des intermediär entstehenden Asprey LB et al (1951) Hexavalent americium. J Am Chem
Dubniumisotops 270105Db (Khujagbaatar et al. Soc 73(12):5715–5717
Asprey LB et al (1955) Evidence for quadrivalent curium:
2014) und ist mit einer Halbwertszeit von 10 h
X-ray data on curium oxides. J Am Chem Soc
(!) eines der beständigsten superschweren Iso- 77(6):1707–1708. https://doi.org/10.1021/ja01611a108
tope. Trotzdem bevorzugt man zur Durchführung Asprey LB et al (1986) Formation of actinide hexafluori-
von Versuchen einfacher zugängliche, leichtere des at ambient temperatures with krypton difluoride.
Isotope des Elements, die aber oft deutlich kürzere
Literatur 1057
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1 Wie geht es im Periodensystem weiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075
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1076 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
CAS- VII VIII VIII VIII VIII
IA II A III B IV B V B VI B IB II B III A IV A V A VI A VII A
Gruppe B B B B A
Periode Schale
1 2
1 K
H He
3 5 6 7 8 9 10
2 4Be L
Li B C N O F Ne
11 12 13 14 15 16 17 18
3 M
Na Mg Al Si P S Cl Ar
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
4 N
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
5 O
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
55 56 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86
6 * P
Cs Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
87 88 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
7 ** Q
Fr Ra Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn Nh Fl Mc Lv Ts Og
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
* Lanthanoide (Ln)
La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
Abb. 1 Periodensystem der Elemente; der rote Pfeil gibt die Lage der noch hypothetischen Elemente der achten
Periode an
Alkalimetall mit der Ordnungszahl 169 wäre und erlaubt“ zu sein scheint. Wäre es nur nicht so, dass
das bei ausschließlicher Anwendung des klassi- die reine Existenzfähigkeit derart schwerer Atome
schen Aufbauprinzips erste Element der neunten wegen einer zunehmend stärkeren Neigung zur
Periode darstellte. Spontanspaltung der Kerne mit steigender Ord-
Dieser Ausblick befasst sich damit, wie die nungszahl stets weiter und schließlich bis in den
Ordnung der Elemente wohl jenseits des Oganes- Bereich von Picosekunden sinken dürfte, es die
sons, des Elements der Ordnungszahl 118, aus- Atome dieser Elemente also de facto gar nicht
sehen könnte. Eine aufgrund der reinen Theorie mehr gäbe. Ob es dann jenseits der ersten „Insel
(„Aufbauprinzip“) als auch von Berechnungen der Stabilität“, in deren „Genuss“ offenbar noch
(Pyykkö- und Fricke-Modell) resultierende Auf- die Elemente der Ordnungszahlen 110 bis
stellung diskutieren wir im Folgenden. Die letzt- 118 kamen, weitere solche Inseln gäbe, ist dann
genannten zwei Modelle beziehen relativistische fast ohne Bedeutung, da mit steigender Ordnungs-
Effekte mit ein, die bereits bei den vorhandenen zahl dann zwar womöglich ein kurzzeitiges
Elementen bis zur Ordnungszahl 118 teils starke Wachstum der Halbwertszeit einzelner Isotope
Auswirkungen auf deren chemische und physika- beim Eintritt in diese Insel zu verzeichnen wäre,
lische Eigenschaften haben. Infolgedessen liefern der „Absturz“ danach, in Richtung noch höherer
das Fricke- und Pyykkö-Verfahren vor allem im Ordnungszahlen, aber um so drastischer ausfiele.
Bereich höherer Ordnungszahlen Daten, die er- Alle Elemente der achten Periode, für die Sea-
heblich vom Aufbauprinzip abweichen, da in die- borg vor ca. 25 Jahren eine Aufstellung vorschlug
sen „höheren Sphären“ dann fast „jede Ordnung (Seaborg 1996), sind bisher rein hypothetisch und
1 Wie geht es im Periodensystem weiter? 1077
tragen systematische, dem Lateinischen bzw. aber keine Spontanspaltung mehr erleiden. Über
Griechischen entlehnte Namen. Seaborg zufolge noch weiter entfernte Inseln solcher relativ „sta-
wäre das erste Element des g-Blocks dasjenige bilen“ Kerne besteht Unklarheit, außerdem ist
mit der Ordnungszahl 121 („Unbiunium“). nicht sicher, ob nicht vor beendeter Auffüllung
Die Einbeziehung eventueller, durch relativis- der achten Periode nicht schon die neunte begon-
tische Effekte bedingter Spin-Orbital-Wechsel- nen wird. Nach den Vorgaben der IUPAC muss
wirkungen erschwert bei höheren Elementen eine mindestens ein Isotop eines Elements länger als
Vorhersage über die relative Stabilität von Orbita- der extrem kurze Zeitraum von 0,01 ps existieren,
len enorm. Dies berücksichtigte Seaborg damals damit die Definition des „Elements“ Anwendung
noch nicht; er folgte weitgehend dem klassischen finden kann. Diese Zeit benötigt der Atomkern,
Aufbauprinzip. Dagegen nutzten Pyykkö und Fri- um um ihn herum eine Elektronenhülle auszubil-
cke Computermodelle, um die Positionen der Ele- den.
mente bis zur Ordnungszahl 172 darzustellen. Noch 1940 glaubte man, dass Elemente mit
Einige Elemente wichen dabei vom Madelung- einer Ordnungszahl >137 aufgrund der Dirac-
Schema ab (Fricke et al. 1971). Die Unsicherheit Theorie nicht existieren können (Schiff et al. 1940).
der Vorhersage der Eigenschaften der Elemente Eine etwas eingehendere Betrachtung berechnet
jenseits der Ordnungszahl 120 ist so stark, dass diese Grenze mit der Ordnungszahl 173, bei der
bisher noch keine Übereinstimmung darüber ge- die 1s-Unterschale in den Dirac-See, also den
funden wurde, wie diese Elemente dann tatsäch- tiefstmöglichen Zustand der Energie, tauchen soll-
lich einzuordnen seien. te. Jenseits dieser Ordnungszahl von 173 sollte es
Allgemein erwartet man für alle Elemente ei- keine vollständigen Atome mehr, sondern nur noch
ner Ordnungszahl größer als 118, dass alle ihre so genannte superkritische Atomkerne ohne eine sie
Isotope radioaktiv und dabei äußerst instabil sind. umgebende Elektronenhülle geben.
Der Zerfall der Kerne sollte demnach vorwiegend
mittels α-Strahlung oder Spontanspaltung vor sich Vorhersagemodelle Bereits 1913 sagte Rydberg
gehen. Das Element 126 sollte dabei das Zentrum sowohl die Existenz des höheren Homologen des
einer zweiten, wenngleich auch viel schwächer Radons, des Oganessons, voraus, ebenso benann-
ausgeprägten Insel der Stabilität bilden (siehe te er gemäß dem klassischen Aufbau-Prinzip die
Abb. 2 und 3), auf der die Kerne nur noch α-Zerfall, Ordnungszahlen der nächsthöheren Mitglieder
Abb. 2 Vektorversion der Insel der Stabilität nach Zagrebaev (Lasunncty 2020)
1078 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
Abb. 3 Vorhergesagte Zerfallsarten superschwerer Ker- geben die Position der noch nicht erzeugten Kerne
291
ne. Die Linie künstlich erzeugter, besonders protonenrei- 112Cn und 293112Cn an, für die die Wissenschaft extrem
cher Kerne bricht nach allgemeiner Auffassung kurz hinter lange Halbwertszeiten von Jahrhunderten oder Jahrtausen-
Z ¼ 120 ab. Die Halbwertszeiten der Isotope des Elements den prognostiziert. Die weißen Ringe zeigen die Lage der
121 (Z ¼ 121) sollten weniger als 1 μs betragen. Der ersten Insel der Stabilität nach dem Thorium-Fermium-
steigende Einfluss der spontanen Spaltung zeigt sich von Block (Karpov et al. 2012)
Z ¼ 122 an aufwärts bis Z ¼ 125. Die weißen Quadrate
der Gruppe der Edelgase mit Z ¼ 168, 218, 290, 2015 bis hinauf zum Element 118 führten, ver-
362 und 460. Bohr erklärte 1922, dass Elemente suchte man schon ab Anfang der 1970er-Jahre,
mit höheren Ordnungszahlen als Uran deswegen die Elemente der Ordnungszahlen 119 bis
nicht in der Natur vorkommen, weil sie zu instabil 127 mit Ausnahme von Element 123 zu synthe-
seien. Swinne veröffentlichte 1926 eine heute teils tisieren (Emsley 2011, S. 588; Hofmann 2002,
bestätigte Hypothese, dass es im Bereich der S. 105; Epherre und Stephan 1975). In Seaborgs
Ordnungszahlen 98–102 und 108–110 einige län- Modell wird erstmals ein neuer Block von
gerlebige Elemente geben müsste, und dass die 9 g-Orbitalen eingeführt, und ab Element 121 be-
Halbwertszeiten generell nicht proportional zur ginnt die Reihe der Superactinoide. Fricke berech-
steigenden Ordnungszahl abfallen. Diese schwe- nete bereits 1971 das Periodensystem bis zum
ren Elemente sollten seiner Ansicht nach im Erd- Element 172, Pyykkö 40 Jahre später (Pyykkö
kern oder im Weltraum vorkommen (Kragh 2018, 2011), und in beiden Entwicklungen finden sich
S. 6–10). Ab 1955 führte man die Bezeichnung wegen der stark einflussnehmenden relativisti-
superschwere Elemente ein (Hoffman et al. 2000). schen Kräfte deutliche Abweichungen in der
Theorie zu den bereits synthetisierten Elementen.
Theorien über noch unentdeckte Elemente Aktuell besteht keine Einigung darüber, wie die
entstanden ab Mitte der 1950er-Jahre, als schon Elemente jenseits der Ordnungszahl 120 darin ein-
Elemente mit Ordnungszahlen bis Z ¼ 100 ent- zuordnen sind. Die IUPAC verlieh allen diesen
deckt worden waren. So sagte man seinerzeit hypothetischen Elementen systematische Namen,
eine „Insel der Stabilität“ um Kerne der Ord- die so lange gültig sein werden, bis die Elemente
nungszahl 126 voraus. 1967 rechnete man mit entdeckt sowie bestätigt sind, und bis ein Name
verbesserten Modellen, die die Mitte einer etwai- offiziell genehmigt worden sein wird. Element
gen Insel der Stabilität in guter Übereinstim- 135 nennt man aber etwa nicht „Untripentium,
mung mit der tatsächlichen Situation auf das Utp“), sondern meist „Element 135“ mit dem Sym-
Element 114 (das heutige Flerovium) legten. Ne- bol „135“, ferner „(135)“ oder „E135“ (Hoffman
ben allen Synthesen, die zwischen 1980 und et al. 2006).
1 Wie geht es im Periodensystem weiter? 1079
Die folgende Tabelle enthält die dreibuchstabi- (Z ¼ 167–168) mit einem 9p-Orbital und schließ-
gen chemischen Symbole der Elemente, deren sys- lich erst mit den Ordnungszahlen 169–172 die
tematische Namen und deren vermutliche Elek- schwersten Vertreter der 5.–8. Hauptgruppe (8p).
tronenkonfiguration, die aber bereits von Element Frickes Modell entstand 1975, nur wenige Jah-
123 an ungewiss ist (s. Tab. 1). Dem klassischen re nach Seaborgs erstem Entwurf. Demnach sollte
Aufbau-Modell, das weiter unten zum Vergleich es nach Element 120 zwanzig Elemente des 5g-
angegeben ist, widersprechen diese aus den Be- und 14 Elemente des 6f-Blocks bis zur Ordnungs-
rechnungen von Fricke bzw. Pyykkö resultieren- zahl 154 geben, die er zu den Superactinoiden
den Ergebnisse, die beide selbst nur leicht von- zusammen fasste. Der 7d-Block mit zehn Über-
einander abweichen. Wesentlich hierbei ist, dass gangsmetallen von Z ¼ 155–164 schließt sich
nicht Element 168 als das nächsthöhere Homologe dem an. Möglicherweise endet nach seiner Theo-
des Oganessons berechnet wird, sondern erst Ele- rie die 8. Periode dort, bevor die Elemente 165–
ment 172, weil mit fortschreitender Füllung der 166 in Form der Alkali- bzw. Erdalkalimetalle des
Orbitale „unterwegs“ bereits das 9s- und ein 9s-Orbitals folgten. Schließlich füllen dann die
9p-Orbital mit je zwei Elektronen gefüllt werden sechs verbliebenen höchsten Vertreter der 3.–8.
sollten (Hoffman et al. 2006; Nefedov et al. 2006; Hauptgruppe die drei 8p-Orbitale.
Fricke 1975, 1977). Deutlicher können relativisti- Suche nach unentdeckten Elementen Zahl-
sche Effekte nicht auftreten, dass nämlich die 9s- reiche Versuche unternahmen Forscher bisher,
und 9p1/2-Orbitale sogar energieärmer als einige Kerne der Elemente der 8. Periode bis hinauf
Orbitale der 8. Periode sind, da immer in Reihen- zum Unbiseptium (Z ¼ 127) darzustellen, mit
folge steigender Energie der Orbitale mit Elektro- Ausnahme von Unbitrium (Z ¼ 123). Praktisch
nen aufgefüllt wird. ständig verfolgt wird die Synthese von Kernen des
In seinem einfachen Aufbau-Modell (s. Tab. 2) Ununenniums (Z ¼ 119), des ersten Elements der
berücksichtigte Seaborg noch keine relativisti- 8. Periode. Im Folgenden sind die bislang unter-
schen Effekte. Nach dem Akali- bzw. Erdalkali- nommenen Versuche, Nuklide dieser Elemente zu
metall auf Position 119 bzw. 120 folgen die erzeugen, beschrieben. Der in diesem Zusammen-
5g-Block-Superactinoide mit den Ordnungszah- hang öfters erscheinende Begriff des Wirkungs-
len 121–138, dann die 6f-Block-Superactinoide querschnitts (cross section) sei mit Bezug auf die
mit Position 139–152, die 7d-Block-Übergangs- hier diskutierten Fusionsreaktionen erläutert.
metalle mit den Ordnungszahlen 153–162, die Der Wirkungsquerschnitt σ gibt in der Teil-
Post-Übergangsmetalle im Ordnungszahlbereich chenphysik die Wahrscheinlichkeit an, dass zwi-
162–166 (8p), ein Halogen mit 167 (8p), das schen einem einfallenden Teilchen („Projektil“)
Edelgas-Homologe des Oganessons mit 168 und und einem anderen, bereits vor Ort befindlichen
dann wieder ein Akalimetall mit der Ordnungs- Teilchen („Target“) eine Absorption, Streuung
zahl 169 (9s). oder eine Reaktion eintritt. Die Dimension von σ
Pyykkös Berechnung von 2010 lieferte ein etwas ist die einer Fläche und wird meist in folgenden
anderes Modell, die als Resultat relativistischer Ef- Einheiten angegeben:
fekte einander überlappende Orbitale ergab. Beim
Alkali- und Erdalkalimetall mit Z ¼ 119, 120 ist a) Kern- und Teilchenphysik: in Barn (1 b ¼ 1028
alles noch unverändert, dann aber folgen die m2 ¼ 104 pm2 ¼ 100 fm2)
18 Elemente des 5g-Blocks (Z ¼ 121–138), die b) Atom- und Molekülphysik: in Megabarn (1022
ersten zwei Elemente des Post-Übergangsmetall- m2 ¼ 104 nm2 ¼ 100 pm2)
Blocks im 8p-Orbital, die 14 Superactinoide des
6f-Blocks (Z ¼ 141–154), die Übergangsmetalle Ein großer Wirkungsquerschnitt entspricht in
des 7d-Blocks (Z ¼ 155–164), dann schon die erster Linie einem häufig eintretenden Vorgang,
Alkali- und Erdalkalimetalle der 9. Periode im ein kleiner einem selten vorkommenden. Er ist eine
9s-Orbital, weiter die höchsten Elemente der Materialeigenschaft und hängt nicht nur von der
3. und 4. Hauptgruppe wiederum der 8. Periode Fläche des Targets ab, sondern unter Anderem
1080 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
Tab. 1 Aufgrund von Berechnungen nach Fricke und Pyykkö getroffene, relativistische Effekte berücksichtigende
Vorhersage über die Elektronenkonfiguration der Elemente 119 bis 173
Element Gruppe/Periode Vorhergesagte Elektronenkonfiguration
118 Og Oganesson Edelgas [Rn] 5f14 6d10 7s2 7p6
119 Uue Ununennium Alkalimetall [Og] 8s1
120 Ubn Unbinilium Erdalkalimetall [Og] 8s2
121 Ubu Unbiunium Superactinoid [Og] 8s2 8p11/2
122 Ubb Unbibium Superactinoid [Og] 7d1 8s2 8p11/2
123 Ubt Unbitrium Superactinoid [Og] 6f1 7d1 8s2 8p11/2 (Van der Schoor 2016)
124 Ubq Unbiquadium Superactinoid [Og] 6f3 8s2 8p11/2
125 Ubp Unbipentium Superactinoid [Og] 5g1 6f2 8s2 8p21/2
126 Ubh Unbihexium Superactinoid [Og] 5g2 6f3 8s2 8p11/2
127 Ubs Unbiseptium Superactinoid [Og] 5g3 6f2 8s2 8p21/2
128 Ubo Unbioctium Superactinoid [Og] 5g4 6f2 8s2 8p21/2
129 Ube Unbiennium Superactinoid [Og] 5g4 6f3 7d1 8s2 8p11/2
130 Utn Untrinilium Superactinoid [Og] 5g5 6f3 7d1 8s2 8p11/2
131 Utu Untriunium Superactinoid [Og] 5g6 6f3 8s2 8p21/2
132 Utb Untribium Superactinoid [Og] 5g7 6f3 8s2 8p21/2
133 Utt Untritrium Superactinoid [Og] 5g8 6f3 8s2 8p21/2
134 Utq Untriquadium Superactinoid [Og] 5g8 6f4 8s2 8p21/2
135 Utp Untripentium Superactinoid [Og] 5g9 6f4 8s2 8p21/2
136 Uth Untrihexium Superactinoid [Og] 5g10 6f4 8s2 8p21/2
137 Uts Untriseptium Superactinoid [Og] 5g11 6f4 8s2 8p21/2
138 Uto Untrioctium Superactinoid [Og] 5g12 6f3 7d1 8s2 8p21/2
139 Ute Untriennium Superactinoid [Og] 5g13 6f2 7d2 8s2 8p21/2
140 Uqn Unquadnilium Superactinoid [Og] 5g14 6f3 7d1 8s2 8p21/2
141 Uqu Unquadunium Superactinoid [Og] 5g15 6f2 7d2 8s2 8p21/2
142 Uqb Unquadbium Superactinoid [Og] 5g16 6f2 7d2 8s2 8p21/2
143 Uqt Unquadtrium Superactinoid [Og] 5g17 6f2 7d2 8s2 8p21/2
144 Uqq Unquadquadium Superactinoid [Og] 5g17 6f2 7d3 8s2 8p21/2
145 Uqp Unquadpentium Superactinoid [Og] 5g18 6f3 7d2 8s2 8p21/2
146 Uqh Unquadhexium Superactinoid [Og] 5g18 6f4 7d2 8s2 8p21/2
147 Uqs Unquadseptium Superactinoid [Og] 5g18 6f5 7d2 8s2 8p21/2
148 Uqo Unquadoctium Superactinoid [Og] 5g18 6f6 7d2 8s2 8p21/2
149 Uqe Unquadennium Superactinoid [Og] 5g18 6f6 7d3 8s2 8p21/2
150 Upn Unpentnilium Superactinoid [Og] 5g18 6f7 7d3 8s2 8p21/2
151 Upu Unpentunium Superactinoid [Og] 5g18 6f8 7d3 8s2 8p21/2
152 Upb Unpentbium Superactinoid [Og] 5g18 6f9 7d3 8s2 8p21/2
153 Upt Unpenttrium Superactinoid [Og] 5g18 6f10 7d3 8s2 8p21/2
154 Upq Unpentquadium Superactinoid [Og] 5g18 6f11 7d3 8s2 8p21/2
155 Upp Unpentpentium Superactinoid [Og] 5g18 6f12 7d3 8s2 8p21/2
156 Uph Unpenthexium Superactinoid [Og] 5g18 6f13 7d3 8s2 8p21/2
157 Ups Unpentseptium Superactinoid [Og] 5g18 6f14 7d3 8s2 8p21/2
158 Upo Unpentoctium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d4 8s2 8p21/2
159 Upe Unpentennium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d4 8s2 8p21/2 9s1
160 Uhn Unhexnilium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d5 8s2 8p21/2 9s1
161 Uhu Unhexunium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d6 8s2 8p21/2 9s1
162 Uhb Unhexbium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d7 8s2 8p21/2 9s1
163 Uht Unhextrium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d8 8s2 8p21/2 9s1
164 Uhq Unhexquadium Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2
(Fortsetzung)
1 Wie geht es im Periodensystem weiter? 1081
Tab. 1 (Fortsetzung)
Element Gruppe/Periode Vorhergesagte Elektronenkonfiguration
165 Uhp Unhexpentium Alkalimetall? [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 9s1
166 Uhh Unhexhexium Erdalkalimetall? [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 9s2
167 Uhs Unhexseptium Post-Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 9s2 9p11/2
168 Uho Unhexoctium Post-Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 9s2 9p21/2
169 Uhe Unhexennium Post-Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 8p13/2 9s2 9p21/2
170 Usn Unseptnilium Post-Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 8p23/2 9s2 9p21/2
171 Usu Unseptunium Post-Übergangsmetall [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 8p33/2 9s2 9p21/2
172 Usb Unseptbium Edelgas [Og] 5g18 6f14 7d10 8s2 8p21/2 8p43/2 9s2 9p21/2
173 Ust Unsepttrium Alkalimetall [Usb] 6g1
Tab. 2 Elektronenkonfiguration der Elemente gemäß dem Aufbau-Modell nach Seaborg (1996)
Elektronenkonfiguration der Elemente 119 bis 168 gemäß dem Aufbau-Modell nach Seaborg
s- 119 120
Block Uue Ubn
g- 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138
Block Ubu Ubb Ubt Ubq Ubp Ubh Ubs Ubo Ube Utn Utu Utb Utt Utq Utp Uth Uts Uto
f- 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152
Block Ute Uqn Uqu Uqb Uqt Uqq Uqp Uqh Uqs Uqo Uqe Upn Upu Upb
d- 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162
Block Upt Upq Upp Uph Ups Upo Upe Uhn Uhu Uhb
auch von Art sowie kinetischer Energie des Pro- Wirkungsquerschnitts erwartete man, dass ein Atom
jektils, der Art des Targets, des Auftreffwinkels etc. des Ununenniums innnerhalb der ersten fünf Mona-
Ununennium (Z ¼ 119, Uue): Die Synthese von te nach Beginn des Experiments (!) erzeugt werden
Kernen dieses Elements wurde erstmals schon würde (Zagrebaev et al. 2013):
1985 versucht, als man ein Target von 25499Es mit
48 249 50 299
20Ca-Nukliden in Berkeley beschoss. Nur konn- 97 Bk þ 22 Ti ! 119 Uue
ten damit keine Atome des Ununenniums erzeugt 296
! 119 Uue þ 31 0 n
werden (Lougheed et al. 1985):
249 50 299
254
þ 48
! 302
ðkeine AtomeÞ 97 Bk þ 22 Ti ! 119 Uue
99 Es 20 Ca 119 Uue
295
! 119 Uue þ 41 0 n
Unter den damals gegebenen Versuchsbedin-
gungen hätte man einen Wirkungsquerschnitt von Diese Reaktion sah man noch als die geeig-
0,5 nb erreichen müssen, womit die Erfolgswahr- netste für die Bildung von Kernen des Ununenni-
scheinlichkeit des Versuchs sehr gering war (Feng ums an, da das als Target dienende Berkelium
et al. 2009). Die Synthese von Atomen des Un- relativ einfach herzustellen und die damit durch-
unenniums ist schon lange Ziel deutscher und geführte Fusion eher kalt war. Bei Einsteinium
russischer Teams. Die Versuche in Dubna (Russ- wäre selbst die Gewinnung im mg-Bereich schon
land) begannen 2011. Ein Jahr später beschoss man schwierig gewesen, dafür aber ist 4820Ca als Pro-
am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenfor- jektil um das Zwanzigfache effektiver als 5022Ti,
schung in Darmstadt 24997Bk-Kerne mit 5022Ti-Iso- hätte man etwa folgende Reaktion durchführen
topen. Auf Grundlage des ursprünglich errechneten wollen:
1082 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
tens ein Isotop des Ununenniums darzustellen. von Elementen im Bereich der „Insel der Stabili-
Somit bewegen wir uns aktuell an den Grenzen tät“ herzustellen und deren Spaltprodukte zu un-
des technisch Möglichen. Aktuell laufen wieder tersuchen. 2008 publizierte man einen Bericht
Versuche in Dubna, Isotope des Ununenniums über die Bombardierung eines Germaniumtargets
bzw. Unbiniliums zu erzeugen mittels der Reak- mit Urankernen (!), bei der Kerne des Unbiquadi-
tionen: ums hätten entstehen können. Es seien Kerne
identifiziert worden, die eine Halbwertszeit von
249
97 Bk þ 50
22 Ti ! 299
119 Uue
>1018 s gehabt hätten:
Unbiunium (Z ¼ 121, Ubu): Am GSI Helm- Das GANIL-Experiment zählt aber nicht als
holtzzentrum für Schwerionenforschung gab es Entdeckung eines neuen Elements. Nach den Vor-
schon 1977 Versuche, ein Isotop des Unbiuniums gaben der IUPAC muss ein Atom mindestens für
durch Bombardieren eines Urantargets mit Kup- 1014 s existieren, weil es erst dann Kern und
ferionen darzustellen, aber ohne Erfolg: Elektronenhülle ausgebildet hat. Am Schwerio-
nenbeschleuniger der italienischen Laboratori Na-
238 65 303 zionali di Legnaro versuchte man 2006 die Syn-
92 U þ 29 Cu ! 121 Ubu ! keine Atome
these des Kerns 312124Ubq, wobei man ebenfalls
Unbibium (Z ¼ 122, Ubb): Die ersten Versuche nur Spaltprodukte isolierte, interessanterweise
gab es schon 1972 am JINR in Dubna. Wegen der von so genannten doppelt-magischen Kernen
damals noch unzureichenden Empfindlichkeit der wie 13250Sn (Z ¼ 50, N ¼ 82). Aber auch hier
Geräte verfehlte man aber das Ziel folgender Fu- wurden keine Kerne des Zielelements erzeugt
sion, Nuklide des Unbibiums darzustellen, deut- (Lucarelli et al. 2007):
lich (Epherre und Stephan 1975):
232 80 312
90 Th þ 34 Se ! 124 Ubq ! Spaltung
238 66 304
92 U þ 30 Zn ! 122 Ubb ! keine Atome
Unbipentium (Z ¼ 125, Ubp): Beim ersten und
2000 versuchte das GSI mit Kernen derselben bisher auch letzten, schon vor 50 Jahren (!) durch-
Elemente, wenn auch mit schweren Zinkionen geführten Versuch zur Synthese von Kernen des
und stark verbesserter Emfindlichkeit der Geräte Unbipentiums beschoss man in Dubna ein Ame-
Ähnliches, aber ebenfalls erfolglos: riciumtarget mit Zinkionen (Epherre und Stephan
1975):
238 70 308
92 U þ 30 Zn ! 122 Ubb ! keine Atome
243
95 Am þ 66
30 Zn ! 309 125 Ubp
Will man bei all diesen Fusionen irgendwann ! keine Atome
einmal Erfolg haben, sollte das apparativ erreich-
bare Ziel eines Wirkungsquerschnitts zumindest Mit den um 1970 verfügbaren Geräten war ein
auf 1 fb ausgerichtet sein. Generell glaubt man maximaler Wirkungsquerschnitt von 5 nb reali-
heute, dass superschwere Kerne Halbwertszeiten sierbar; dies liegt um Größenordnungen höher als
von 1 μs oder kürzer haben; erschwert werden die die Fusion erfordert hätte.
Versuche noch durch extrem kleine Wirkungs- Unbihexium (Z ¼ 126, Ubh): Auch hier gab es
querschnitte (Hofmann 2014). nur ein einziges Experiment, wiederum schon vor
Unbiquadium (Z ¼ 124, Ubq): Wissenschaftler langer Zeit (1971), diesmal am Genfer CERN
des französischen Grand Accélérateur National (Communauté Européenne pour la Recherche Nu-
d’Ions Lourds (GANIL) versuchten 2006, Isotope cléaire). Bimbot und Alexander beschossen ein
1084 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
Thoriumtarget mit Kryptonionen, um Kerne des Kerne in der Natur bzw. im Weltraum vermuten,
Unbihexiums zu synthetisieren: so etwa in den jüngsten Abhandlungen über Przy-
bylskis Stern (Dzuba et al. 2017).
232 84 316
90 Th þ 36 Kr ! 126 Ubh ! keine Atome
Voraussichtliche Eigenschaften der Elemente
Die bei der Reaktion abgestrahlten α-Teilchen Einigermaßen sicher ist nur, dass Ununennium ein
deutete man als von Kernen eines neu gebildeten Alkali- und Unbinilium ein Erdalkalimetall sein
Elements abstammend; spätere Berechnungen er- wird. Für ersteres sagt man eine Dichte von
gaben aber, dass der erzielbare Wirkungsquer- ca. 3 g/cm3 sowie Schmelz- und Siedepunkte
schnitt nur 10 mb betrug und damit extrem weit von 0–30 °C bzw. 630 °C voraus; die hauptsäch-
vom hierfür erforderlichen Bereich entfernt war. liche Oxidationsstufe ist +1, aber sogar +3 er-
Unbiseptium (Z ¼ 127, Ubs): Ebenfalls auch scheint wegen relativistischer Effekte möglich.
nur ein einziges Mal versuchte man 1978, Kerne Für Unbinilium lauten die Zahlen: 7 g/cm3, 680 °
des Unbiseptiums am GSI zu synthetisieren. Am C, 1700 °C und +2 (auch +4 könnte theoretisch
GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenfor- auftreten).
schung beschoss man dazu ein aus Tantal beste-
hendes Target mit Xenonkernen (!), aber ebenfalls Innerhalb der nach allgemeiner Auffassung bei
ohne Erfolg: Element 121 (Unbiunium) beginnenden Reihe der
Superactinoiden sollte deren erster Vertreter, eben
180
73 Ta þ 136
54 Xe ! 316 127 Ubs dieses Unbiunium, zu Lanthan und Actinium ähn-
! keine Atome liche Eigenschaften aufweisen (Waber 1969). Sei-
ne bevorzugte Oxidationszahl sollte +3 sein, und
Aufgrund einer US-amerikanischen Studie, die auch wenn wegen der relativistischen Stabilisie-
Mitte der 1970er-Jahre erschien und das Vorkom- rung der p-Orbitale seine Elektronenkonfiguration
men superschwerer Elemente in Mineralien sug- 8s28p1 anstatt 8s27d1 sein sollte, weisen die bisher
gerierte, arbeiteten darauf einige Forschungsgrup- berechnteten chemischen Eigenschaften doch auf
pen an deren Auffinden. Vor allem waren dabei eine große Ähnlichkeit zu Actinium hin (Amador
Unbiquadium und Unbihexium Gegenstand des Davi et al. 2016). Jedoch wäre die erste Energie
Interesses, aber die Arbeiten brachten am Ende der Ionisierung des Unbiuniums mit 429,4 kJ/mol
kein positives Ergebnis. Die israelische Gruppe die niedrigste aller bekannten Elemente mit Aus-
um Marinov beanspruchte 2008, Kerne des Unbi- nahme der höheren Alkalimetalle von Kalium bis
biums (292122Ubb) in Lagerstätten des Thoriums Francium; sie liegt aber sogar tiefer als die für das
gefunden zu haben. Eine kritische Abhandlung Alkalimetall Ununennium mit 463 kJ/mol berech-
der Technik wurde veröffentlicht (Marinov et al. nete.
2007), ebenso Marinovs Gegendarstellung (Mari- Das darauf folgende Unbibium (Z ¼ 122)
nov et al. 2009) zum inzwischen eingegangenen könnte zu Cer und Thorium ähnlich sein, da seine
Kommentar (Barber und de Laeter 2009). wichtigste Oxidationszahl gleichfalls +4 beträgt.
Auch der Versuch der Reproduktion dieser Nur entspricht die Elektronenkonfiguration seines
Versuchsergebnisse, durchgeführt mit Apparatu- Grundzustandes wohl (8)s2(8)p1(7)d1 und nicht
ren deutlich höherer Empfindlichkeit, scheiterte wie bei Thorium (7)s2(6)d2. Die erste Ionisie-
(Lachner et al. 2008), was in wissenschaftlichen rungsenergie des Unbibiums wird etwas niedriger
Kreisen erheblichen Zweifel an Marinovs Resul- liegen als die analoge des Thoriums. Ab Element
taten hervorrief. Später argumentierte man, dass, 123 würden die 6f-Orbitale, ab Element 125 die
selbst wenn es primordial solche superschweren 5g-Orbitale besetzt (Dongon und Pyykkö 2017).
Elemente gegeben hätte, deren Isotope inzwi- Man erwartet, dass die Atome der ersten Su-
schen längst hätten zerfallen sein müssen (Peter- peractinoide leicht alle verfügbaren Valenzelek-
mann et al. 2012). Trotzdem werden immer wie- tronen abgeben, dass also beispielsweise Unbihe-
der Stimmen laut, die die Existenz superschwerer xium (Z ¼ 126) auch in der Oxidationsstufe +8
1 Wie geht es im Periodensystem weiter? 1085
auftreten kann, und dass bei den nachfolgenden Fricke-Modell an; man erwartet eine gewisse
Elementen sogar noch höhere Oxidationsstufen Ähnlichkeit zu der von Yttrium (Z ¼ 39) bis
erreichbar sind. Umgekehrt sollten die Superacti- Cadmium (Z ¼ 48) reichenden Reihe. Die darin
noide auch in „allen möglichen“ Oxidationsstufen befindlichen, am obersten Ende der Gruppen der
erscheinen können, denn Berechnungen zufolge Platinmetalle stehenden Elemente [Osmium
wäre auch ein hypothetisches Unbihexium-I-fluo- (76) – Hassium (108) – Unhexnilium (160); Iridi-
rid (UbhF) möglich (Jacoby 2006). Für Unbihe- um (77) – Meitnerium (109) – Unhexunium (161);
xium sollte die stabilste Oxidationsstufe aber Platin (78) – Darmstadtium (110) – Unhexbium
+4 sein. (162)] sollten nicht mehr so „edel“, also reaktions-
Auch sollten Superactinoide verbreitet He- träge wie ihre leichten Homologen sein, da hier
xafluoride bilden. Am schwersten sollten die die äußere 8s-Schale zur Abschirmung fehlt, und
5g-Elektronen zur Teilnahme an Bindungen zu weil zudem die 7d-Schale aufgrund relativisti-
bewegen sein, da ihre Orbitale klein und „tief in scher Effekte energetisch aufgespalten ist. Für
der Elektronenhülle des Atoms versteckt“ sind dieses Unhexbium als höchstes Homologes des
(Makhyoun 1988). Bei den höheren Superactinoi- Platins sagt Fricke nach seinen Modellen eine
den ab Element 132 (Untribium, Utb) sollte die etwas erhöhte chemische Reaktivität voraus,
höchstmögliche Stufe der Oxidation aber auf +6 ebenso das Vorhandensein von Oxidationsstufen
begrenzt sein, ab Element 144 (Unquadquadium, +2, +4 und +6. Ein Atom des metallischen, als
Uqq) auf +4. Am Ende der Reihe dieser Super- höchstes Homologes des Quecksilbers aber bei
actinoide sinkt die maximale Oxidationszahl auf Raumtemperatur wohl gasförmigen (!) Unhex-
2 und tiefer, weil sich die dann volle 6f-Schale tief quadiums sollte wegen der aufeinander folgenden
in der Elektronenhülle befindet und zum Anderen Kontraktionen der Lanthanoiden, Actinoiden und
die 8s und 8p1/2-Orbitale zu fest gebunden sind, Superactinoiden gerade einmal einen Radius von
um sich an chemischen Bindungen beteiligen zu 158 pm aufweisen, das ist fast derselbe wie der für
können. Magnesium bestimmte. Und dies, obwohl die
Daher könnte Element 154 (Unpentquadium, Atommasse des Unhexquadiumatoms mit ca. 474 u
Upq) nach von Fricke durchgeführten Berechnun- nahezu zwanzig Mal höher ist als die eines Atoms
gen die Eigenschaften eines Edelgases besitzen des Magnesiums! Daher berechnete man mit
und wäre nach seiner Theorie das letzte Super- ca. 46 g/cm3 eine extrem hohe Dichte des Elements
actinoid. Dagegen besagt das von Pyykkö im festen Zustand, die mehr als doppelt so hoch
entwickelte Modell, dass Element 155 (Unpent- ist wie die der schwersten bisher bekannten Ele-
pentium, Upp) bereits in Form des Ions Upp3+ mente, des Iridiums und des Osmiums, und
vorkommen sollte. Des Weiteren sollte es wie bei 26 Mal höher als die des Magnesiums. Mit gro-
den Seltenerdmetallen („Ln3+“) und den Actinoi- ßer Reaktionsträgheit sollte es noch am ehesten
den („An3+“) auch eine Kontraktion der Super- den Platinmetallen ähneln. Aus Sicht der theo-
actinoiden („San3+“) geben, allerdings fällt diese retischen Chemie ist dieses Element 164 auch
mit einer Abnahme von nur 2 pm pro Element und deswegen schon seit Langem interessant, weil es
in Richtung steigender Ordnungszahl für die Ionen mit 164 Protonen und einer Zahl von Neutronen
des Typs „San3+“ geringer als bei den leichteren von 308–318 Zentrum einer zweiten, hypotheti-
homologen Reihen aus (Koura und Chiba 2013). schen „Insel der Stabiltät“ sein könnte (Gru-
Kulsha nennt die 36 Elemente zwischen mann et al. 1969).
121 und 156 „Ultransition Elements“ und schlägt Steigen die prognostizierten Dichten der Ele-
vor, sie in zwei Serien aufzuteilen, in eine von mente 156 bis 164 von 26 auf 46 g/cm3 an, so
121 bis 138 und eine zweite von 139 bis 156. Die weichen die beiden nächsten Elemente (Unhex-
erste ähnelte eher den Lanthanoiden (Selten- pentium, Z ¼ 165; Unhexhexium, Z ¼ 166) zu-
erden), die zweite mehr den Actinoiden. mindest nach dem Fricke-Modell davon dras-
Die Übergangsmetalle der 8. Periode (Ord- tisch ab, da die Berechnung für sie nur Dichten
nungszahlen 155–164 schließen sich nach dem von 7 bis 11 g/cm3 voraussagt. Diese sollten den
1086 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
schwersten Alkali- und Erdalkalimetallen ent- jetzigen Zeitpunkt Unsepttrium als extrem reaktiv
sprechen, und bei ihnen würde das 9s-Orbital an, noch weitaus stärker als seine niederen Homo-
(!) aufgefüllt. Dies ist sehr bemerkenswert, weil logen Cäsium oder Francium.
dieser Prozess vor der vollständigen Auffüllung Element 184 (Unoctquadium, Uoq) unterlag
der zur 8. Periode gehörenden Elektronenscha- einigen Spekulationen, da 184 vermutlich eine
len eintreten könnte! magische Zahl von Protonen darstellt. Es sollte
Die letzten sechs Elemente, die die 8. Periode in zahlreichen Oxidationsstufen auftreten, unge-
nach Frickes Modell „ordnungsgemäß“ abschlös- fähr wie Uran und Neptunium (Penneman et al.
sen, haben die Ordnungszahlen 167–172. Sie soll- 1971).
ten in gewisser Weise, sofern man dies bei Alle diese im Voraus getätigten Berechnungen
den stark dominierenden relativistischen Effekten und Schätzungen sind aber wertlos, wenn die in
überhaupt noch feststellen kann, den Elementen aufsteigender Richtung angeordnete Reihe der
der 3. bis 8. Hauptgruppe, also etwa der Reihe Elemente irgendwann abbricht, weil die jeweili-
vom Indium bis zum Xenon, ähneln. Bei ihnen gen Atomkerne nicht für eine ausreichend lange
sind nur noch die p-Orbitale wichtig, die sukzes- Zeit existieren können, um als zu einem Element
sive aufgefüllt werden. Der Effekt des inerten zugehörig bezeichnet zu werden (Cwiok et al.
s-Orbtals erscheint nicht mehr. Man erwartet da- 2005). Gambhir et al. schätzen etwa nach Analyse
her als wichtigste Oxidationsstufen von der drit- von Bindungsenergien der Atome und deren Ein-
ten bis zur sechsten Hauptgruppe (Z ¼ 167–170) bindung in die bekannten Zerfallsreihen, dass die
+3, +4, +5 bzw. +6, sowie einander relativ ähn- Grenze der möglichen Existenz von Atomkernen
liche Dichten im Bereich von 18 g/cm3. bei einer Ordnungszahl von Z ¼ 146 begrenzt ist
Element 171 (Unseptunium, Usu) gehört for- (Gambhir et al. 2015). Wiederum andere Wissen-
mal zur Gruppe der Halogene und ist das nächst- schaftler behaupten, dass die Reihe möglicher
höhere Homologe des Tenness (Z ¼ 117), sollte Elemente keiner Begrenzung unterliegt (Ball
aber bereits ein Metall (!) der hohen Dichte 16 g/cm3 2010), und auch die Ordnungszahlen Z ¼ 128
sein. Sein Anion Usu ähnelt dem Iodidanion (I), oder Z ¼ 155 werden als limitierende Größen
hat aber einen noch wesentlich größeren Radius und gehandelt.
ist eine sehr weiche Base. Viel eher sollte Unseptu- Nach Feynman wäre die Existenz von Elemen-
nium in positiven Oxidationsstufen von +1 bis +7 ten jenseits der Ordnungszahl 137 nicht mehr
auftreten. möglich, weil die Dirac-Gleichung für jene keine
Element 172 (Unseptbium, Usb) ist vermutlich Energie des Grundzustandes mehr berechnen
ein „Edelgas“ der Dichte 9 g/cm3 (als Feststoff), kann. Allerdings liegt dieser Rechnung die An-
liegt aber bei Raumtemperatur wohl in festem nahme zugrunde, dass der Atomkern nur eine
Zustand vor. Es sollte sich ähnlich wie Xenon punktuelle und damit vernachlässigbare Größe
verhalten, nur leichter oxidierbar sein als dieses. aufweist. Dies ist namentlich bei den schwersten
So erscheint die Bildung von Fluoriden und Oxi- Kernen aber nicht mehr der Fall, weshalb sich
den realistisch. diese Grenze zu deutlich höheren Ordnungszah-
Jenseits von „E172“ Nach der mit Unseptbi- len verschieben dürfte (Indelicato et al. 2011).
um abgeschlossenen 8. Periode läge Berechnun- Diese läge bei Z≈173; dann bewegt sich das in-
gen zufolge Element 173 vor. Dies sollte ein wei- nerste Elektron (im 1s-Orbital) theoretisch schnel-
teres Alkalimetall sein (Unsepttrium, Ust), dies ler als es der Lichtgeschwindigkeit entspricht, und
sowohl nach Frickes als auch Pyykkös Modell. das Atom verlöre dieses Elektron; es verschwände
Hierfür erwartet man aber abweichend von allen nach Dirac im negativen Kontinuum. Zum Aus-
bisher gültigen Regeln, dass das einzelne Elektron gleich zieht der Atomkern ein anderes Elektron
in das 6g7/2-Orbital eintritt -das 9s-Orbital ist bei- aus dem Vakuum heran, weshalb er aber spontan
den Modellen zufolge bereits besetzt!-, wegen zwecks Ladungsausgleich ein Positron emittieren
dessen relativ großer Energie aber äußerst locker müsste (Eisberg und Resnick 1985; Bjorken und
gebunden ist. Daher sieht die Wissenschaft zum Drell 1964; Greiner und Schramm 2008). Die
Literatur 1087
bisher übliche Terminologie nennt die Elemente ten aber ohne Berücksichtigung relativistischer
173–184 „schwach superkritische Atome“, da bei Effekte.
ihnen nur die 1s-Schale in das negative Kontinu- Nimmt man also jene sowie Deformationen
um getaucht wäre. Ab Element 185 berechnet des Atomkerns mit in die Grundlage des Rechen-
man dies auch für das 2p1/2-Orbital, ab Element modells auf, so erscheinen neue magische Zahlen
245 für die 2s-Schale. Versuche, diese superkriti- für superschwere Kerne, dies bei den Ordnungs-
schen Atome, wenn auch nur für extrem kurze zahlen (Z) von 126, 138, 154 und 164 sowie
Zeit, etwa durch Bombardieren eines Urantargets einer Anzahl der Neutronen von 228, 308 und
mit Bleikernen(!), zu erzeugen, schlugen fehl. 318 (Koura und Chiba 2013). Daher könnten wei-
(Die Addition der Kernladungszahlen beider Ele- tere „Inseln der Stabilität“ um die doppelt-magi-
mente ergäbe den Wert 174.) Das Ende des Peri- schen Isotope 354126Ubh, 472164Uhq oder 482164Uhq
odensystems dürfte aber eher durch die Instabilität existieren (Grumann et al. 1969). Diese Kerne
der Atomkerne als durch die der Elektronenschale sollten, so wird erwartet, keinem β-Zerfall unterlie-
bestimmt werden (Reinhardt und Greiner 2015). gen, sondern nur α-Zerfall oder Spontanspaltung
erleiden. Die Halbwertszeiten dieser Nuklide wä-
ren relativ lang; sie gälten abgeschwächt auch für
Auf der Suche nach Atlantis oder die „Inseln
die benachbarten Isotone mit N ¼ 228 (Koura
der Stabilität“ Die vermuteten Inseln der Stabi-
2011). Nur verdankten diese Kerne, falls es sie
lität, also relativ schmale Bereiche von Ordnungs-
gäbe, ihre Existenz vorwiegend der Neutronenkon-
und Massenzahlen im ausschließlich radioaktiven
figuration und nicht der hohen Zahl stark elektrisch
Spektrum des Periodensystems, innerhalb derer
abstoßender Protonen (Greiner 2013). Daher ist es
im Vergleich zu ihren Nachbarn relativ langlebige
möglich, dass trotz der magischen Kernladungs-
Isotope existieren (sollen), fasziniert die Kernphy-
und Neutronenzahlen die Kerne nicht für eine ge-
sik seit jeher.
nügend lange Zeit bestehen können, und ebenso,
dass zwischen den „Inseln der Stabilität“ auch ei-
Zunächst wissen wir, dass kein Element einer nige Elemente deshalb nicht existieren können. Für
höheren Ordnungszahl als Blei (Z ¼ 82) stabile Kerne superschwerer Elemente diskutiert man
Isotope besitzt (Marcillac et al. 2003). Nach Cu- auch andere als die bekannten Arten des radioakti-
rium (Z ¼ 96), dessen Isotop 24796Cm noch eine ven Zerfalls (Palenzuela et al. 2012; Poenaru et al.
Halbwertszeit von 1,56 · 107 a besitzt, nimmt die 2012).
durchschnittliche Stabilität der Isotope eines Ele- Ungeachtet dessen, obwohl man das Perioden-
ments drastisch ab. Jenseits der Ordnungszahl system gerade einmal mit 118 Elementen hat füllen
(Z) 101 gibt es nur noch Isotope mit Halbwerts- können – was bereits sehr aufwändig war-, wurden
zeiten unter 1 d, mit Ausnahme des Dubnium- diese Extrapolationen bis in dessen höchste Sphären
isotops 268105Db. Zwischen den Elementen mit fortgesetzt. Berichtet wird von magischen Kernla-
Z ¼ 110–114 existiert ein Bereich mit etwas län- dungszahlen Z ¼ 210, 274 und 354 sowie von
geren Halbwertszeiten; dies bezeichnet die Kern- Neutronenzahlen N ¼ 308, 406, 524, 644 und
physik als „Insel der Stabilität“. Eine darüber hinaus 772 (!) (Denisov 2005) mit zwei doppelt magischen
gehende Berechnung mittels der Hartree-Fock-Bo- Kernen 616210 und 798274, aber an irgendeinem Punkt
goliubov-Methode sieht bei Z ¼ 126 eine geschlos- wird das Periodensystem der Elemente enden.
sene und somit relativ stabile Konfiguration von
Protonen (nicht Elektronen!). Für Z ¼ 126 berech-
nete man die mögliche damit korrespondierende
Zahl von Neutronen einer ebenfalls geschlossenen Literatur
Konfiguration zu N ¼ 184, 196 und 228. Daher
Adcock C (2015) Weighty matters: Sigurd Hofmann on the
sollten die Isotope 310126Ubh, 322126Ubh sowie heaviest of nuclei. JPhys+. https://jphysplus.iop.org/
354
126Ubh deutlich stabiler als andere in ihrer Regi- 2015/10/02/weighty-matters-sigurd-hofmann-on-the-
on sein (Emsley 2011). Diese Berechnungen erfolg- heaviest-of-nuclei/
1088 20 Ausblick: Chemische Elemente der 8. und 9. Periode
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