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Natur in Wort, Bild und Wissenschaft

Vorlesung SS 2018

 Epochen
 Autoren
 Gattungen
 Topoi
 Gedichtanalysen
 Bildbeschreibungen
 Naturkonzepte aus
Wissenschaften/Philosophie
Vorlesungsplan
2

1. Natur – welche Natur? Begriffsgeschichte


2. „Bis du alles begreifst, welche Gestalt der Natur ureigenem Wesen zum Schmuck ward“ –
‚Naturlyrik‘ und Naturlehre in der Antike (Lukrez, de rerum natura)
3. „Ach Gott, der du mit so viel Gut / Bekrönst des Jahres Zeiten“-
Jahreszeitenlyrik und Weltlandschaft
4. „Um nur Gottes Werk zu preisen, / Und nicht, meinen Witz zu weisen“ –
Frühaufklärung und Physikotheologie
5. „Da, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder“ – Arkadien in Malerei und Dichtung
6. „Der Schattenwald/ wandelt‘ uns sich in Tempe“ – Anakreontik und Empfindsamkeit
7. „Das Dasein nach eigenen Gesetzen“ – Natur und Kultur bei Schiller
8. „Die lebenden Teile als solche erkennen“ – Goethe und die Morphologie
9. „Da erschienst du, Seele der Natur!“ – Friedrich Hölderlin und die Liebe als Naturerlebnis
10. Die „innere Musik der Natur“ – Novalis und die Natur als Universalanalogie

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Vorlesungsplan
3
11. „Im Herzen tief da rauscht der Wald“ –
romantische Landschaftsmalerei und Naturlyrik der Hochromantik
12. „Das Leben ist ein Recht“ – Heinrich Heine und der Abgesang auf die Romantik
13. „Und das Meer zieht seine Bahn / Um die Welt und um den Kahn“ –
Annette von Droste-Hülshoff und die biedermeierliche Natur
14. „Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen/ Oder hast du Blut in deinen Schwingen?“ –
die „grüne Stelle“ als Reservat im Realismus
15. „Der Satyr wie der idyllische Schäfer unserer neuen Zeit sind beide Ausgeburten einer
auf das Ursprüngliche und Natürliche gerichteten Sehnsucht“ –
Naturlyrik der Jahrhundertwende und der Begriff des „Lebens“ in den Naturwissenschaften
16. „Er kann kein Vogelgezwitscher vertragen“ – Künstliche Welten im Symbolismus
17. „Was sind das für Zeiten, wo / ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist“ –
Bertolt Brecht und die Probleme der Naturlyrik im 20. Jahrhundert
18. „Inzwischen ist es fast zu einem Verbrechen geworden, / nicht über Bäume zu sprechen“ –
Ökolyrik und die Grenzen des Wachstums
19. "Die Natur ist nicht dunkel, die Welt ist dunkel" –
Neues Sprechen von der Natur bei Naturlyrikerinnen des 21. Jahrhunderts
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
4 Vorverständnis ‚Naturlyrik‘

Was sind das für Zeiten, wo


Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Bertolt Brecht

 Mögliche Gegenbegriffe
 ‚Naturpoesie‘ im 18. Jahrhundert: natürliches Sprechen von der Natur
 Charakteristika: Konstanten und Variablen

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1. Natur – welche Natur? Zur Begriffsgeschichte

Begriffsursprung: nasci (lat.), geboren,  Thales von Milet (um 624 – um 547 v. Chr.)
hervorgebracht werden  Heraklit (um 550 – um 480 v. Chr.)
 Parmenides von Elea (um 515 – um 445 v. Chr.)
a) Natur vs. Kultur/Technik
 Demokrit (um 460 – um 380 v. Chr.)
b) Natur vs. Konvention/Sitte/Gebrauch/Gesetz  Hippokrates (um 460 – 370 v. Chr.)
 Platon (427 – 348 v. Chr.)
c) Natur vs. Geist/Vernunft  Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)
- Organismus
d) Natur vs. Gott
- Entelechie
e) Natur vs. Geschichte - Natura naturata – natura naturans
 Stoa: Allnatur; Natur als Haushalt
f) Natur vs. Unnatur
 Mittelalter: Buch der Natur

Leitfrage: Welche Natur? Was kann man alles Natur verstehen?

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Geschichte des Naturbegriffs
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18. Jahrhundert:
 Natur als Mechanismus (Zedler, Grosses Universallexicon)
Natur ist die "innerliche Beschaffenheit der natürlichen Dinge, so fern sich solche
durch allerhand Würckungen zu erkennen giebt, welche Natur nach den
mechanischen Principiis eben das ist, was Mechanismus genennet wird"
 Natur als Organismus (Herder)
 Natur als Gesetzlichkeit (Kant)
 Natur als Landschaft (bildende Künste)

Entwicklungslinien insgesamt:
 Vorwissenschaftliches Naturbild (Antike)
 Natur als Naturgeschichte (frühe Neuzeit)
 Siegeszug der Naturwissenschaften (Neuzeit)
 Natur als Produktionsmittel und Ressource (Moderne)
 Natur als ökologischer Zusammenhang

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


7 Leitfrage für das Protokoll:
Was kann man alles unter Natur verstehen?

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2. „Bis du alles begreifst, welche Gestalt der Natur
8 ureigenem Wesen zum Schmuck ward“ –
‚Naturlyrik‘ und Naturlehre in der Antike
(Lukrez, de rerum natura)

From the frontispiece to Thomas


Creech, T. Lucretius Carus, Of the Epikur. Büste im Louvre,
Nature of Things, second and third
editions, Oxford and London 1682–3 römisch, 2. Jh. n. Chr.

Leitfrage: Wie verhalten sich Lukrez‘ Naturgedicht und antike Naturlehre zueinander?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Lukrez, De rerum natura
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So nun wollt ich auch selber, weil unsere Lehre den meisten, Als von den Blicken der Menschen das Leben schmachvoll auf
die noch nie sie gehört, zu trocken erscheint und der Pöbel Erden
schaudernd von ihr sich kehrt, mit der Dichtung süßestem Niedergebeugt von der Last schwerwuchtender Religion war
Wohlklang [...] da erkühnte zuerst sich ein Grieche, das sterbliche Auge
unsere Philosophie dir künden und faßlich erläutern gegen das Scheusal zu heben, und kühn sich
und sie gleichsam versüßen mit lieblichem Honig der Musen, entgegenzustemmen.
ob es mir so wohl gelingt, dein Denken bei unseren Versen Nicht das Göttergefabel, nicht Blitz und Donner des Himmels

solang fesseln zu können, bis alles du völlig begreifest, Schreckt ihn mit ihrem Drohn. Nein, um so stärker nur hob sich
welche Gestalt der Natur ureigenem Wesen zum Schmuck Höher und höher sein Mut. So wagt er zuerst die verschloßnen
ward. Pforten der Mutter Natur im gewaltigen Sturm zu erbrechen.
Also geschah's. Sein mutiger Geist blieb Sieger, und kühnlich
Setzt' er den Fuß weit über des Weltalls flammende Mauern
Und er durchdrang das unendliche All mit forschendem Geiste.

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10 Lukrez, De rerum natura

[…] der uns Mutter der Äneaden, du Wonne der Menschen und Götter,
jene Betrachtung des Lebens erfand als erster und einz'ger. lebensspendende Venus: du waltest im Sternengeflimmer
Welche wir jetzo gewöhnlich als Weltanschauung bezeichnen,
über das fruchtbare Land und die schiffedurchwimmelte
der aus den Stürmen des Lebens in ruhiges Wasser uns führte Meerflut,
du befruchtest die Keime zu jedem beseelten Geschöpfe,
[…] daß es zum Lichte sich ringt und geboren der Sonne sich freut.
Doch ist der Geist nicht geläutert, was müssen wir dann für […]
Gefahren,
vom Himmelssystem und dem Wesen der Götter
was für Kämpfe bestehen, auch wenn wir selbst es nicht wollen!
Was für fressende Sorgen zerfleischen die menschlichen Herzen, Völlig den Schleier zu ziehn und der Welt Elemente zu lehren.
wenn die Begierde sie reizt und ebenso quälende Ängste! Denn aus ihnen erschafft die Natur und ernähret und mehret
Jene Gemütsangst nun und die lastende Geistesverfinstrung Alles; auf diese zuletzt führt alles sie wieder zurücke,
Kann nicht der Sonnenstrahl und des Tages leuchtende wenn es vergeht. Wir nennen sie Stoffe und Keime der Körper
Helle scheuchen, sondern allein die Naturanschauung und oder die Samen der Dinge nach unserer Lehre Bezeichnung
Forschung.
oder wir sprechen wohl auch von ihnen als Urelementen,
weil aus ihnen zuerst ein jegliches wurde gebildet.

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Leitfrage:

Wie verhalten sich Lukrez‘ Naturgedicht und


antike Naturlehre zueinander? Was
beabsichtigt Lukrez mit seinem
Naturgedicht?

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3. „Ach Gott, der du mit so viel Gut / Bekrönst des
Jahres Zeiten“- Jahreszeitenlyrik und Weltlandschaft

• EPOCHE: Barock
• AUTOREN: Andreas Gryphius,
Georg Philipp Harsdörfer, Friedrich
Logau, Paul Gerhardt, Johann
Christian Günther
• TOPOI: Jahreszeiten

Leitfrage: Was macht die Jahreszeiten zu einem so beliebten Thema in der Lyrik?
13 Barock als Epoche

 30jähriger Krieg (1618-1648)


 Absolutismus als Herrschaftssystem
 Religiöse Dichtung und Casualcarmini (Gelegenheitsdichtung)
 Sprachgesellschaften
 Poetikreform (Martin Opitz)
 Barocke Topoi: Memento Mori, carpe diem, vanitas

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


14 Barocke Emblematik

Ein Emblem besteht aus:


 Bild (eikon, pictura,
symbolon)
 Überschrift (lemma, motto,
inscriptio)
 Unterschrift (subscriptio)

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15 Andreas Gryphius, Es ist alles eitel (1637)

Du sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.


Was dieser heute baut / reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn / wird eine Wiesen seyn /
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht / sol bald zutretten werden.


Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an / bald donnern die
Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.


Soll denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten /

Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub vnd Wind; Aus: Joachim Camerarius d.
Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wider find’t. J.: "Vierhundert Wahl-Sprüche
und Sinnen-Bilder
Noch wil was ewig ist kein einig Mensch betrachten!

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Ekliptik und Jahreszeitensymbolik
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Les Tres Riches


Heures du Duc de
Berry (15. Jh.)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Joachim Patinir, Weltlandschaften
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Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft" Überfahrt in die Unterwelt, 1515–1524
Joachim Patinir, Weltlandschaften
18

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Landschaft mit Hieronymus, Louvre
19 Andreas Gryphius, Einsamkeit (1650)
In dieser Einsamkeit, der mehr denn öden Wüsten
Gestreckt auf wildes Kraut an die bemoßte See
Beschau ich jenes Taal und dieser Felsen Höh
Auf welchem Eulen nur und stille Vögel nisten

Hier fern von dem Palast weit von des Pöbels Lüste
Betracht ich: wie der Mensch in Eitelkeit vergeh
Wie auf nicht festen Grund all unser Hoffen steh
Wie die vor Abend schmähn die vor dem Tag uns grüßten

Die Höl, der rauhe Wald, der Totenkopf, der Stein


Den auch die Zeit auffrißt, die abgezehrten Bein
Entwerfen in dem Mutt unzählige Gedanken

Der Mauren alter Graus, dies ungebaute Land


Ist schön und fruchtbar mir, der eigentlich erkannt
Daß alles ohn ein Geist, den Gott selbst hält, muß wanken.

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Pieter Brueghel, Jahreszeitenzyklus
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Der düstere Tag (Vorfrühling), 1656


Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Pieter Brueghel, Jahreszeitenzyklus
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Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft" Die Kornernte (Hochsommer), 1656
Pieter Brueghel, Jahreszeitenzyklus
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Die Heimkehr der Herde (Herbst)


Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Pieter Brueghel, Jahreszeitenzyklus
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Die Heuernte (Sommer), 1656

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft Die Jäger im Schnee (Winter)
24 Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Georg Philipp Harsdörffer, Der Frühling
25 Der frohe Frühling kömmt heran, Das grünlichweiße Blüthenlaub
Der Schnee dem Klee entweichet; Muß aus den Knospen fallen
Der Lenz, der bunte Blumenmann, Und bauen diesen Schattenthron
Mit linden Winden häuchet. Den Luft- und Feldergästen.
Die Erd' eröffnet ihre Brust, Die Rose hebt die Dornenkron'
Mit Saft und Kraft erfüllet; Auf schwachen Stachelästen.
Der zarte West, der Felder Lust,
Hat nun den Nord gestillet. Die Sonne wieder stärker scheint
Und machet früher wachen.
Es hat der silberklare Bach Allein die dürre Rebe weint,
Den Harnisch ausgezogen, Wann Feld und Wälder lachen.
Es jagt die Fluth der Fluthe nach, Die hochgeschätzte Tulipan,
Durch bunten Kies gesogen. Das Sinnbild auf dem Beete,
Das Thauen nun die Auen frischt, Zieht ihre fremden Kleider an
Die weiße Wollenheerde Und pranget in die Wette.
Auf neubegrüntem Teppich tischt
Und tanzet auf der Erde. Ach Gott, der du mit so viel Gut
Bekrönst des Jahres Zeiten,
Man hört die heisre Turteltaub', Laß uns auch mit erfreutem Muth
Die Schwalb' und Nachtigallen. Zum Paradies bereiten,
Da wir dich werden für und für,
Die höchste Schönheit, finden,
Dagegen diese schnöde Zier
Ist eitler Staub der Sünden.
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Friedrich Logau (1605-1655)
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Da der göldne Sonnen-Wagen
Frühlings-Zucker bringt getragen,
Daß die süssen Zwillings-Küsse
Tag und Nächte machen süsse,
Da der Himmel gütig lachet,
Da die Erde Schmüncke machet,
Da sich Feld und Wiesen mahlen,
Da der Bäume Häupter pralen,
Da die Brunnen Silber gissen,
Da mit funckeln Bäche flissen,
Da die Vogel Lieder singen,
Da die Fische Sprünge springen,
Da für Freuden alles wiebelt,
Da mit gleichem gleiches liebelt:
O, so muß für trübem kräncken
Bloß der Mensch die Stirne sencken!
Weil zumal bey Frühlings-Lüsten
Mars erfrischet sein verwüsten,
Da er diß für Lust erkennet,
Wann er raubet, schändet, brennet.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


27 Paul Gerhardt (1607-1676)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


28 Paul Gerhardt, Sommergesang
1. Geh aus / mein hertz / und suche freud 4. Die glucke führt ihr völklein aus /
In dieser lieben sommerzeit Der storch baut und bewohnt sein Haus /
An deines Gottes Gaben: Das schwälblein speist die jungen /
Schau an der schönen gärten zier, Der schnelle hirsch / das leichte reh
Und siehe / wie sie mir und dir Ist froh / und kömmt aus seiner höh
Sich ausgeschmücket haben. Ins tiefe graß gesprungen.

2. Die bäume stehen voller laub / 5. Die bächlein rauschen in dem sand /
Das erdreich decket seinen Staub Und mahlen sich in ihrem rand
Mit einem grünen kleide. Mit schattenreichen myrthen /
Narcissus und die Tulipan, Die wiesen ligen hart dabey /
Die ziehen sich viel schöner an / Und klingen gantz vom lustgeschrey
Als Salomonis seyde. Der schaf und ihrer hirten.

3. Die lerche schwingt sich in die luft / 6. Die unverdroßne bienenschaar


Das täublein fleugt aus seiner kluft Fleucht hin und her / sucht hie und dar
Und macht sich in die wälder. Ihr edle honigspeise.
Die hochbegabte nachtigal Des süssen weinstocks starcker saft
Ergötzt und füllt mit ihrem schall Bringt täglich neue stärck und kraft
Berg / hügel / thal und felder In seinem schwachen reise.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Paul Gerhardt, Sommergesang
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7. Der weitzen wächset mit gewalt / 10. Welch hohe lust / welch heller schein
darüber jauchzet jung und alt / Wird wol in Christi garten sein /
Und rühmt die grosse güte Wie muß es da wol klingen /
Des / der so überflüssig labt / Da so viel tausent Seraphim
Und mit so manchem gut begabt Mit unverdroßnem mund und stimm
Das menschliche gemüthe. Ihr Alleluja singen.
8. Ich selbsten kan und mag nicht ruhn, 11. O wär ich da! o stünd ich schon /
Des grossen Gottes grosses thun ach süsser Gott / für deinem thron /
Erweckt mir alle Sinnen / Und trüge meine palmen:
Ich singe mit / wenn alles singt / So wolt ich nach der Engel weis
Und lasse / was dem Höchsten klingt / Erhöhen deines Namens preis
Aus meinem hertzen rinnen. Mit tausentschönen psalmen.
9. Ach denk ich / bist du hier so schön / 12. Doch gleichwol wil ich / weil ich noch
Und läßst dus uns so lieblich gehn Hier trage dieses leibes joch /
Auf dieser armen erden / Auch nicht gar stille schweigen /
Was wil doch wol nach dieser welt Mein hertze soll sich fort und fort /
Dort in dem vesten himmelszelt An diesem und an allem ort
Und güldnem schlosse werden. Zu deinem lobe neigen.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


30 Paul Gerhardt, Sommergesang
13. Hilf nur und segne meinen geist
mit segen / der vom himmel fleußt /
Daß ich dir stetig blühe /
Gib / daß der sommer deiner Gnad
In meiner seelen früh und spat
Viel glaubensfrücht erziehe.

14. Mach in mir deinem Geiste Raum /


Daß ich dir werd ein guter baum,
Und laß mich wol bekleiben[2] /
Verleihe / daß zu deinem ruhm
Ich deines gartens schöne blum
Und pflantze möge bleiben.

15. Erwehle mich zum Paradeis


Und laß mich bis zur letzten reis
An leib und seele grünen /
So wil ich dir und deiner ehr
Allein / und sonsten keinem mehr /
Hier und dort ewig dienen.[1]

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31 Johann Wilhelm Simler (1605-1672)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Johann Wilhelm Simler, Wintergesang
32
1. DEr kuertzest tag und laengste nacht 4. Was lebt und schwebt den winter scheucht /
den grawen Winter bringen: und suchet sich zu waermen:
die Nordenwinde sich mit macht der kriegsmann selber sich verkreucht /
auß ihren kammern dringen: und machet keine laermen:
die stroehm und see das alter jetz
vor frost und schnee liebt ofenshitz /
sich schliessen allerdingen. von wegen kalter daermen.

2. Der gruene wald ist worden kahl / 5. Der weidmann doch / fuer seinen spaß /
das bundte feld entkleidet: das hochgewilde hetzet:
kein zam- noch wildes thier zumal das eiß; wann es wie spiegelglaß;
an seinem ort sich weidet: die jugend auch ergetzet:
das federheer man metzget eyn
singt auch nicht mehr / vil feißte schwein /
ein theil von uns wegscheidet. und sich zum wurstmahl setzet.
3. Das einsam turturtaeubelein 6. Der Winter; alß des jahres bauch;
nur seufftzend wird gehoeret: verzehrt was wir erworben
die rabenstimm ist jetz gemein / mit saurer arbeit / zum gebrauch
und uns das gehoer versehret: wann jetz die saat erstorben:
melancholey wann ueberal
wohnt allem bey / zu berg und thal
und alle freud zerstoeret. ist alles wie verdorben.
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
33 Johann Wilhelm Simler, Wintergesang

7. Also; dem winter gleich; die zeit


im alter uns verschlinget:
doch ist vom tode nicht befreyt
der jung / wie hoch er springet:
drum haltet wacht
bey tag und nacht /
und so zum leben dringet!

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34 Johann Christian Günther (1695-1723)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Johann Christoph Günther, Lob des Winters
35
Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage, Die Zärtligkeit der süßen Liebe
Ihr seyd zwar schön, doch nicht vor mich. Erwehlt vor andern diese Zeit;
Der Sommer macht mir heiße Plage, Der Zunder innerlicher Triebe
Die Herbstluft ist veränderlich; Verlacht des Frostes Grausamkeit;
Drum stimmt die Liebe mit mir ein: Das Morgenroth bricht später an,
Der Winter soll mein Frühling seyn. Damit man länger küßen kan.

Der Winter zeigt an seinen Gaben Der Schönen in den Armen liegen,
Die Schäze gütiger Natur, Wenn draußen Nord und Regen pfeift,
Er kan mit Most und Äpfeln laben, Macht so ein inniglich Vergnügen,
Er stärckt den Leib und hilft der Cur, Dergleichen niemand recht begreift,
Er bricht die Raserey der Pest Er habe denn mit mir gefühlt,
Und dient zu Amors Jubelfest. Wie sanfte sich's im Finstern spielt.

Der Knaster schmeckt bey kaltem Wetter Da ringen die getreuen Armen
Noch halb so kräftig und so rein, Mit Eintracht und Ergözligkeit,
Die Jagd ergözt der Erden Götter Da laßen sie den Pfiehl erwarmen,
Und bringt im Schnee mehr Vortheil ein, Den oft ein falsches Dach beschneit,
Der freyen Künste Ruhm und Preis Da streiten sie mit Kuß und Biß
Erhebt sich durch den Winterfleiß. Und wüntschen lange Finsternüß.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Johann Christoph Günther, Lob des Winters
36
Das Eiß beweist den Hofnungsspiegel, Euch Brüder hätt ich bald vergeßen,
Der viel entwirft und leicht zerfällt; Euch, die ihr nebst der deutschen Treu
Ich küße den gefrornen Riegel, Mit mir viel Nächte durch geseßen;
Der mir Amanden vorenthält, Sagt, ob wo etwas Beßres sey,
So oft mein Spiel ein Ständchen bringt Als hier bey Pfeifen und Camin
Und Sayth und Flöthe schärfer klingt. Die Welt mitsamt den Grillen fliehn.

Ich zieh den Mond- und Sternenschimmer Der Winter bleibt der Kern vom Jahre,
Dem angenehmsten Tage vor; Im Winter bin ich munter dran,
Da heb ich oft aus meinem Zimmer Der Winter ist ein Bild der Baare
Haupt, Augen, Herz und Geist empor, Und lehrt mich leben, weil ich kan;
Da findet mein Verwundern kaum Ihr Spötter redet mir nicht ein;
In diesem weiten Raume Raum. Der Winter soll mein Frühling seyn.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


37 Frank Wedekind, Die Jahreszeiten (1897)

Genieße, was die Jahreszeit mit sich bringt: Die grünen Erbsen brauch ich schon gar gekocht;
Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen! Die tolle Jugend allein frißt sie aus den Schoten.
Was der Verändrung in Sonne und Luft entspringt, Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,
Ist stets das Beste für deinen gebildeten Gaumen. Und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß ich fast nur
keusch Als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung
Und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen; Im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur.
Die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch, Es grölen die Därme im Chor den Gesang der
Die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen. Verdauung. –

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein, Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,
Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber. Wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;
Ich mache sie trunken zuvor mit gezückertem Wein, Doch hab ich den ganzen Hymnus schon vollgespuckt,
Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber. So läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen.

Leitfrage: Was macht die Jahreszeiten zu so einem beliebten Thema in


der Naturlyrik des Barock?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


4. „Um nur Gottes Werk zu preisen, / Und nicht, meinen
Witz zu weisen “ – Frühaufklärung und Physikotheologie

EPOCHE: Frühaufklärung
AUTOR: Barthold Hinrich Brockes
KONZEPTE: New Science, Physiko-Theologie, malende Dichtung

38

Nicolas Poussin, Die Hirten in Arkadien (1638-1640)

Leitfrage: Wie wird der Mensch über die Natur aufgeklärt?


Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
39 Was ist Aufklärung?
Immanuel Kant, Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“

 Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes
ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des
Verstandes, sondern Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne
Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
 Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für
mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt u.s.w.; so
brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu
denken, wenn ich nur bezahlen kann.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


40 Aufklärung als Epoche

"Nature and Nature's Law


lay hid in night
God said let Newton be
And all was Light".

Alexander Pope, Essay on


Man (1734)

Isaac Newton, Porträt von Godfrey


Kneller, 1702

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Physiko-Theologie
41

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Barthold Hinrich Brockes (1680-1747)
42

Porträt von Dominicus van der Smissen

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


43 Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott (1721-1748)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott (1721-1748)
44 Wenn iemand irgendswo in einer Höhle, In Luft- und Schatten-reichen Büschen,
Allwo desselben Sinn und Seele Sich mit dem sanften Rauschen mischen,
Von aller Creatur und allem Vorwurf leer, Und hört', auf rauh- und glatten Kieseln,
In steter Dämmerung erzogen wär; Geschwinde Bäche murmelnd rieseln;
Und trät' auf einmahl in die Welt, Und schmeckte tausend süsse Früchte,
Zumahl zur holden Frühlings-Zeit, Und schmeckte vielerley Gerichte,
Und sähe dann der Sonnen Herrlichkeit, Die Wasser, Luft und Erde geben;
Und säh' ein grün beblühmtes Feld, Und schmeckte, voller Geist und Kraft,
Und sähe dick bebüschte Hügel, Den säurlich-süssen Tranck und Saft
Und sähe reiner Bäche Spiegel, Und röche Bluhmen mancher Arten,
Durch einen Schatten-reichen Wald, In Feldern, Wäldern und im Garten;
Mit seiner sich drin spiegelnden Gestalt, Und röch' auf Bergen und im Thal
Umkränzt mit glatten Binsen, fliessen, Gesunde Kräuter ohne Zahl;
Und sähe Flüsse sich ergiessen, Und röche balsamirte Düfte;
Auch ihrer Bürger schuppicht Heer; Und fühlte sanfte laue Lüfte,
Und säh' ein unumschräncktes Meer, Und fühlte Wunder-süsse Triebe
Und sähe bunte Gärten prangen, Von einer zugelaßnen Liebe;
Auch, wann die Sonn' erst untergangen, Und fühlte mit vergnügter Brust,
Der Abend-Röthe güldne Pracht; Des süssen Schlafes sanfte Lust;
Und säh' in einer heitern Nacht Und fühlte, wann der Schlaf vorbey,
Den Wunder-schönen Sternen-Himmel; Daß er dadurch gestärcket sey,
Zusammt den Silber-reinen Glantz Um alles, was so Wunder-schön,
Der Schatten-Sonne, wenn sie gantz; Aufs neue wiederum zu sehn.
Und hört' ein zwitscherndes Getümmel
Der Singe-Vögel, und den Schall
Der angenehmen Nachtigall,
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott (1721-1748)
45
Auf welche sonderbare Weise
Würd' er sich nicht darob ergetzen!
Mancherley Vorwürfe der Sinnen
Würd' er sich nicht halb selig schätzen?
Er bliebe gantz gewiß dabey,
Daß er, aufs mindst' im Paradeise, Im Garten hört' ich jüngst den süss- und scharfen Schall
Wo nicht schon gar im Himmel sey. Der feurig schlagenden verliebten Nachtigall.
Und wir, die alle diese Gaben Ich ward dadurch gerührt, gereitzt, ergetzet,
Unstreitig üm und an uns haben, Und, durch den reinen Klang, fast aus mir selbst gesetzet.
Empfindens minder, als ein Stein; Ich horcht' aufmercksam zu, wie lieblich, süß und hell,
Ja machen uns, an deren Stelle, Wie scharf, wie rein, wie rund, wie hohl, wie tief, wie schnell,
Das Paradeis fast selbst zur Hölle. Sie Stimm' und Ton formirt, verändert, theilet, fügt,
Was mag daran wohl Ursach seyn?
Und, durch unzählige Veränd'rung, uns vergnügt.
Oft weis sie Schnarren, Flöthen, Zischen,
In unbegreiflicher Geschwindigkeit, zu mischen.
Oft fängt sie einen Ton mit hellem Flöthen an,
Fällt in ein Zwitschern, schlägt, lockt, winselt, jauchzet, stöhnt,
Und alles fast zugleich; oft bricht sie ihn, oft dehnt,
Oft drehet sie den Ton, oft wirbelt sie den Klang,
Und ändert tausendfach den fröhlichen Gesang.
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Brockes, Mancherley Vorwürfe der Sinnen
46
Damit jedoch nicht genug. Wer kann, des Schöpfers Huld genug zu rühmen, taugen?
Kaum aber hatt' ich dieß gedacht, Da er nicht nur in unserm Leben,
Als mir, in Purpur-farb'ner Pracht, In den fünf Sinnen, uns, zu so verschied'ner Lust,
Ein frischer Rosen-Busch schnell in die Augen fiel. Verschied'ne Thür- und Oeffnungen gegeben;
Der aber ward nicht nur allein der Augen, Da er nicht nur, zur Anmuth unsrer Brust,
Er ward auch des Geruchs und meiner Nasen Ziel, Solch' eine Cörper-Meng', und Millionen Sachen
Die beyde sich daran recht zu ergetzen taugen. Zum Gegenwurf der Sinnen wollen machen;
Wodurch ich denn, mit Ueberzeugung, fand, Da er so gar verschied'ne Cörper schafft,
Wie eine doppelte vergnügend' Eigenschaft, Die, mit so wunderbar vereinter Kraft,
In dieser Bluhme, sich, zu uns'rer Lust, verband. Nicht nur durch einen Sinn, uns in Vergnügen setzen;
Dem Dencken gab ich ferner Raum, Nein, durch verschiedene, ja gar durch all', ergetzen.
Und fand von ungefehr an einem Kirschen-Baum, Ach, lasst uns denn hierdurch aufs neu', in seinen Wercken,
Der eben, voller Frucht, in süsser Röthe glühte, Die Proben seiner Macht und weisen Liebe mercken!
Daß er so gar Ach, lasst zu seinen heil'gen Ehren,
Ein Gegenwurf von allen Sinnen war. Bey stets vermehrter Huld, auch unsern Danck sich mehren!
Es dienet dem Geruch die angenehme Blühte,
Der Zunge seine Frucht, sein Schatte dem Gefühl,
Sein sanft Geräusch dem Ohr,
die Farb' und Form den Augen.
Ich ward hiedurch aufs neu' gerührt,
Und, ferner so zu dencken, angeführt:

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Brockes, Die Luft
47
Sehen wir der dünnen Lüfte Ihre Kraft, wie schwach sie scheinet, Wie man solches klärlich siehet,
Grossen Kreis und weite Bahn, Ist dennoch unendlich groß, Wenn man sie von einem Ort
Samt dem Wesen dieser Düfte, Da sie Felsen selbst ensteinet Durch die Luft-Pump' auswärts ziehet,
Mit Verstand und Sinnen an; Ohne Schlag und ohne Stoß. Daß die Flammen alsofort
Spürt ein reges Hertz aufs neue, Stahl wird durch die Luft zerstöhret; Löschen, schwinden und vergehen.
Wie sich recht die Seele freue, Marmor selbst durch sie verheeret, Gleichfalls kann kein Ton entstehen
Weil sie drin, für Lust entzückt, Ja sie heisst mit Billigkeit Für das menschliche Gehör,
Gott unsichtbarlich erblickt. Ein Gewehr, ein Zahn der Zeit. Wenn ein Ort von Lüften leer.
Dieser unumschränckten Weite Und dennoch sind ihre Theile
Grentzen-losem Wunder-Reich, So behende, dünn und klein,
Dieser Höhe, Gröss' und Breite Daß, wie scharf der Augen Pfeile,
Ist kein' irdsche Grösse gleich, Sie doch nicht zu treffen seyn.
Weil sie alle Dinge füllet, Ob sie gleich rings um uns spielen,
Deckt, umgiebet und umhüllet, Kann man sie gleichwol nicht fühlen,
Ja den gantzen Kreis der Welt, So daß zwischen Leib und Geist
Wie das Meer ein Fischlein, hält. Sie vielleicht ein Mittel heisst.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


48 Brockes, Die Luft
Keine Handlung könnte bleiben; Diese Gründ' und mehr dergleichen
Keine Schiff-Fahrt vor sich gehn, Glaubt man: denn sie scheinen klar.
Deren Nutz nicht zu beschreiben, Gleichwohl will ich gerne weichen,
Wie ein jeder muß gestehn: Werd' ich bessere gewahr.
Trieben nicht der Winde Kräfte Um nur Gottes Werck zu preisen,
Dieß so nöthige Geschäffte, Und nicht, meinen Witz zu weisen,
Wie so manches schöne Land Schreib' ich, und es hat mein Kiel
Wär' uns ewig unbekannt? Gottes Ruhm, nicht sich, zum Ziel.

Alle Vortheil' sind ungläublich, GOTT, der Du der Winde Rasen


Die man durch den Wind verspürt. Fassest, als in einem Schlauch,
Ist der Nutz nicht unbeschreiblich, Du versperrst ihr stürmisch Blasen
Wenn er Wasser aufwärts führt? In der Erden dunckelm Bauch.
Wenn er Mühlen-Räder treibet, Woher aller Winde Schaaren
Länder trocknet, Korn zerreibet, Kommen, und wohin sie fahren,
Tücher stampfet? Holtz und Stein Fasst kein menschlicher Verstand.
Schneiden uns die Winde klein. Dir ist es allein bekannt!

Leitfrage: Wie wird er Mensch über die Natur aufgeklärt?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


49 5. „Da, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder“ –
Arkadien in Malerei und Dichtung

EPOCHE:
Empfindsamkeit

AUTOREN: Vergil,
Albrecht von Haller

GATTUNG: Ode, Idylle

TOPOI: Arkadien, locus


amoenus
Salomon Gessner, Bukolische Szene (1767)

Leitfrage: Warum entdeckt Haller die Alpen?


Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Arkadiendichtung: Vergilius Maro (70-19 v.Chr.)
50
und die Eklogen

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


51 Arkadien-Malerei: Nicolas Poussin (1594-1665)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft" Nicolas Poussin, Die Hirten in Arkadien (1638-1640)
Arkadien-Malerei: Claude Lorrain (1600-1682)
52

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Landschaft mit Apollo, Musen, Flussgott
53 Albrecht von Haller (1708-1777)

Porträt Haller, Johann Rudolf


Huber (1736)

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
54
Dieses Gedicht ist dasjenige, das mir am
schwersten geworden ist. Es war die Frucht der
großen Alpen- Reise, die ich An. 1728 mit dem
jetzigen Herrn Canonico und Professor Gessner
in Zürich gethan hatte. Die starken Vorwürfe
lagen mir lebhaft im Gedächtniß. Aber ich
wählte eine beschwerliche Art von Gedichten,
die mir die Arbeit unnöthig vergrößerte. Die
zehenzeilichten Strophen, die ich brauchte,
zwangen mich, so viele besondere Gemälde zu
machen, als ihrer selber waren, und allemal Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,
einen ganzen Vorwurf mit zehen Linien zu Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;
schließen. Die Gewohnheit neuerer Zeiten, daß Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,
die Stärke der Gedanken in der Strophe allemal Theilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;
gegen das Ende steigen muß, machte mir die Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,
Ausführung noch schwerer. Ich wandte die Speist Tunkins Nest aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,
Nebenstunden vieler Monate zu diesen Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,
wenigen Reimen an, und da alles fertig war, Räumt Klippen aus der Bahn, schließt Länder ein zur Jagd;
gefiel mir sehr vieles nicht. Man sieht auch ohne Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben,
mein warnen noch viele Spuren des Ihr werdet arm im Glück, im Reichthum elend bleiben!
Lohensteinischen Geschmacks darin.
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
55 Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
Wann Gold und Ehre sich zu Clios Dienst verbinden, Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,
Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn. O, daß der Himmel dich so zeitig weggerückt!
Der Dinge Werth ist das, was wir davon empfinden; Nicht, weil die junge Welt in stätem Frühling blühte
Vor seiner theuren Last flieht er zum Tode hin. Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;
Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckte
Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?
Und Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;
Der Zepter eckelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.
Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden
Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht
schreckte
quälet, Und ein verirrtes Lamm bei Wölfen sicher schlief;
Die Schaar, die um ihn wacht, hält den Verdruß nicht Nein, weil der Mensch zum Glück den Ueberfluß nicht
ab. zählte,
Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget, Ihm Nothdurft Reichthum war und Gold zum sorgen
Entschläft der minder sanft, der nicht auf Eidern fehlte!
lieget?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
56

Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten! Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,
Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht; Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt;
Wer misst den äußern Glanz scheinbarer Eitelkeiten, Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,
Wann Tugend Müh zur Lust und Armuth glücklich Weil sich die Menschen selbst die grösten Plagen sind;
macht? Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,
Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen, Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;
Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Der Berge tiefer Schacht giebt dir nur schwirrend Eisen,
Strahl; Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du!
Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen, Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,
Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal; Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.
Doch eurer Sitten Werth hat alles das verbessert,
Der Elemente Neid hat euer Glück vergrößert.

Illustration von D.
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft" Herrliberger, 1773
Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
57

Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern! Ein junger Schäfer stimmt indessen seine Leier,
Der Reichthum hat kein Gut, das eurer Armuth gleicht; Dazu er ganz entzückt ein neues Liedgen singt,
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemüthern, Natur und Liebe gießt in ihn ein heimlich Feuer,
Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht; Das in den Adern glimmt und nie die Müh erzwingt;
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet, Die Kunst hat keinen Theil an seinen Hirten-Liedern,
Im ungeschmückten Lied malt er den freien Sinn;
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;
Auch wann er dichten soll, bleibt er bei seinen
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet, Widdern,
Die, was ihr nöthig, sucht und mehrers hält für Last. Und seine Muse spricht wie seine Schäferin;
Was Epictet gethan und Seneca geschrieben, Sein Lehrer ist sein Herz, sein Phöbus seine Schöne,
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben. Die Rührung macht den Vers und nicht gezählte Töne.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
58

Dann hier, wo Gotthards Haupt die Wolken Hier zeigt ein steiler Berg die Mauer-gleichen Spitzen,
übersteiget Ein Wald-Strom eilt hindurch und stürzet Fall auf Fall.
Und der erhabnern Welt die Sonne näher scheint, Der dick beschäumte Fluß dringt durch der Felsen
Hat, was die Erde sonst an Seltenheit gezeuget, Ritzen
Die spielende Natur in wenig Lands vereint; Und schießt mit gäher Kraft weit über ihren Wall.
Wahr ists, daß Lybien uns noch mehr neues giebet Das dünne Wasser theilt des tiefen Falles Eile,
Und jeden Tag sein Sand ein frisches Unthier sieht; In der verdickten Luft schwebt ein bewegtes Grau,
Allein der Himmel hat dies Land noch mehr geliebet, Ein Regenbogen strahlt durch die zerstäubten Theile
Wo nichts, was nöthig, fehlt und nur, was nutzet, blüht; Und das entfernte Thal trinkt ein beständigs Thau.
Der Berge wachsend Eis, der Felsen steile Wände Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen,
Sind selbst zum Nutzen da und tränken das Gelände. Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen.

Lawine in den Alpen, Philip


Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
James de Loutherbourg, 1803
Albrecht von Haller, Die Alpen (1728)
59

Dort spielt ein wilder Fürst mit seiner Diener Rümpfen, O selig! wer wie ihr mit selbst gezognen Stieren
Sein Purpur färbet sich mit lauem Bürger-Blut; Den angestorbnen Grund von eignen Aeckern pflügt;
Verläumdung, Haß und Spott zahlt Tugenden mit Den reine Wolle deckt, belaubte Kränze zieren
schimpfen, Und ungewürzte Speis aus süßer Milch vergnügt;
Der sich bei Zephyrs Hauch und kühlen Wasser-Fällen,
Der Gift-geschwollne Neid nagt an des Nachbarn Gut;
In ungesorgtem Schlaf auf weichen Rasen streckt;
Die geile Wollust kürzt die kaum gefühlten Tage,
Den nie in hoher See das brausen wilder Wellen,
Weil um ihr Rosen-Bett ein naher Donner blitzt;
Noch der Trompeten Schall in bangen Zelten weckt;
Der Geiz bebrütet Gold, zu sein und andre Plage, Der seinen Zustand liebt und niemals wünscht zu
Das niemand weniger, als, wer es hat, besitzt; bessern!
Dem Wunsche folgt ein Wunsch, der Kummer zeuget Das Glück ist viel zu arm, sein Wohlsein zu vergrößern.
Kummer,
Und euer Leben ist nichts als ein banger Schlummer.

Leitfrage: Warum entdeckt Haller die Alpen?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


60 6. „Der Schattenwald/ wandelt‘ uns sich in
Tempe“ – Anakreontik und Empfindsamkeit

 EPOCHE: Empfindsamkeit
 AUTOREN: Friedrich von Hagedorn,
Friedrich Gottlob Klopstock
 GATTUNG: Idylle
 TOPOI: Landleben, ut pictura poesis

Leitfrage: Wie wird die Natur empfindsam gemacht?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Anakreontik: Malende Poesie
61sind Kräuter und Blumen, welche der gelehrte Dichter mit großer Kunst und
Es
nach der Natur malet. Malet, aber ohne alle Täuschung malet. Ich will nicht
sagen, daß wer diese Kräuter und Blumen nie gesehen, sich aus seinem
Gemälde so gut als gar keine Vorstellung davon machen könne. Es mag sein,
daß alle poetische Gemälde eine vorläufige Bekanntschaft mit ihren
Gegenständen erfordern. Ich will auch nicht leugnen, daß demjenigen, dem
eine solche Bekanntschaft hier zu statten kömmt, der Dichter nicht von
einigen Teilen eine lebhaftere Idee erwecken könnte. Ich frage ihn nur, wie
steht es um den Begriff des Ganzen? Wenn auch dieser lebhafter sein soll, so
müssen keine einzelne Teile darin vorstechen, sondern das höhere Licht muß
auf alle gleich verteilet scheinen; unsere Einbildungskraft muß alle gleich
schnell überlaufen können, um sich das aus ihnen mit eins zusammen zu
setzen, was in der Natur mit eins gesehen wird. Ist dieses hier der Fall? Und ist
er es nicht, wie hat man sagen können, »daß die ähnlichste Zeichnung eines
Malers gegen diese poetische Schilderei ganz matt und düster sein würde?«
Sie bleibet unendlich unter dem, was Linien und Farben auf der Fläche
ausdrücken können, und der Kunstrichter, der ihr dieses übertriebene Lob
erteilet, muß sie aus einem ganz falschen Gesichtspunkte betrachtet haben. Jan van Huysum, Blumen in
[...] Ich höre in jedem Worte den arbeitenden Dichter, aber das Ding selbst einer Vase, 1720
bin ich weit entfernet zu sehen.
Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und
der Poesie (1766)
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
62 Anakreontik: Antike Vorbilder

Horaz, 65 v. Chr. – 8 n. Chr.


Anakreon, 575/570-495 v. Chr.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


63 Friedrich von Hagedorn (1708-1754)

Porträt von Dominicus van der


Smissen
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
Friedrich von Hagedorn, Landlust
64
Geschäfte, Zwang und Grillen, Ihr Thäler und ihr Höhen,
Entweiht nicht diese Trift: Die Lust und Sommer schmückt!
Ich finde hier im Stillen Euch, ungestört, zu sehen
Des Unmuths Gegengift. Ist, was mein Herz erquickt.
Ihr Schwätzer, die ich meide, Die Reizung freier Felder
Vergeßt mir nachzuziehn: Beschämt der Gärten Pracht,
Verfehlt den Sitz der Freude,
Und in die offnen Wälder
Verfehlt der Felder Grün.
Wird ohne Zwang gelacht.
Es webet, wallt und spielet
Das Laub um jeden Strauch,
Die Saat ist aufgeschossen
Und jede Staude fühlet Und reizt der Schnitter Hand.
Des lauen Zephyrs Hauch. Die blättervollen Sprossen
Was mir vor Augen schwebet, Beschatten Berg und Land.
Gefällt und hüpft und singt; Die Vögel, die wir hören,
Und alles, alles lebet Genießen ihrer Zeit:
Und alles scheint verjüngt. Nichts tönt in ihren Chören,
Als Scherz und Zärtlichkeit.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Friedrich von Hagedorn, Landlust
65
Wie thront auf Moos und Rasen Wie manche frische Dirne Nichts darf den Weisen binden,
Der Hirt in stolzer Ruh'! Schminkt sich aus jenem Bach; Der alle Sinnen übt,
Er sieht die Heerde grasen Und gibt an Brust und Stirne Die Anmuth zu empfinden,
Und spielt ein Lied dazu. Doch nicht den Schönsten nach. Die Land und Feld umgibt.
Sein muntres Lied ergötzet Gesundheit und Vergnügen Ihm prangt die fette Weide
Und scheut die Kenner nicht; Belebt ihr Aug' und Herz, Und die bethaute Flur:
Natur und Lust ersetzet Und reizt in ihren Zügen Ihm grünet Lust und Freude,
Was ihm an Kunst gebricht. Und lacht in ihrem Scherz. Ihm malet die Natur.

Aus Dorf und Büschen dringet In jährlich neuen Schätzen


Der Jugend Kern hervor Zeigt sich des Landmanns Glück,
Und tanzt und stimmt und singet Und Freiheit und Ergötzen
Nach seinem Haberrohr. Erheitern seinen Blick.
Den Reihentanz vollenden Verleumdung, Stolz und Sorgen,
Die Hirten auf der Hut, Was Städte sklavisch macht,
Mit treu-vereinten Händen, Das schwärzt nicht seinen Morgen,
Mit Sprüngen voller Muth. Das drückt nicht seine Nacht.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


66 Empfindsamkeit

Das wahre
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft" Glück, 1784
67 Friedrich Gottlob Klopstock (1724-1803)

Friedrich Gottlieb Klopstock,


Jens Juel, 1779,

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


68 Friedrich Gottlob Klopstock, Der Zürchersee (1750)

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht


Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,
Das den grossen Gedanken
Deiner Schöpfung noch Einmal denkt.

Von des schimmernden Sees Traubengestaden her,


Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf,
Komm in röthendem Strale
Auf dem Flügel der Abendluft,

Komm, und lehre mein Lied jugendlich heiter seyn,


Süsse Freude, wie du! gleich dem beseelteren
Schnellen Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich.
Asklepiadische Ode:

/-/--/ /--/-/
/-/--/ /--/-/
/-/--/-
Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"
/-/--/--
Friedrich Gottlob Klopstock, Der Zürchersee (1750)
69
Jetzt entwölkte sich fern silberner Alpen Höh, Süss ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch,
Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender, Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
Schon verrieth es beredter In der Jünglinge Herzen,
Sich der schönen Begleiterin. Und die Herzen der Mädchen giesst.

»Hallers Doris,« die sang, selber des Liedes werth, Ach du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich
Hirzels Daphne, den Kleist innig wie Gleimen liebt; Jede blühende Brust schöner, und bebender,
Und wir Jünglinge sangen, Lauter redet der Liebe
Und empfanden, wie Hagedorn, Nun entzauberter Mund durch dich!

Jetzo nahm uns die Au in die beschattenden Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen,
Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt; Bessre sanftere Lust, wenn er Gedanken weckt
Da, da kamest du, Freude! Im sokratischen Becher
Volles Masses auf uns herab! Von der thauenden Ros' umkränzt;

Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich! Wenn er dringt bis ins Herz, und zu Entschliessungen,
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit, Die der Säufer verkennt, jeden Gedanken weckt,
Deiner Unschuld Gespielin, Wenn er lehret verachten,
Die sich über uns ganz ergoss! Was nicht würdig des Weisen ist.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Friedrich Gottlob Klopstock, Der Zürchersee (1750)
70
Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton Aber süsser ist noch, schöner und reizender,
In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit In dem Arme des Freunds wissen ein Freund zu seyn!
Ist ein grosser Gedanke, So das Leben geniessen,
Ist des Schweisses der Edlen werth! Nicht unwürdig der Ewigkeit!

Durch der Lieder Gewalt, bey der Urenkelin Treuer Zärtlichkeit voll, in den Umschattungen,
Sohn und Tochter noch seyn; mit der Entzückung Ton In den Lüften des Walds, und mit gesenktem Blick
Oft beym Namen, genennet, Auf die silberne Welle,
Oft gerufen vom Grabe her, That ich schweigend den frommen Wunsch:

Dann ihr sanfteres Herz bilden, und, Liebe, dich, Wäret ihr auch bey uns, die ihr mich ferne liebt,
Fromme Tugend, dich auch giessen ins sanfte Herz, In des Vaterlands Schooss einsam von mir verstreut,
Ist, beym Himmel! nicht wenig! Die in seligen Stunden
Ist des Schweisses der Edlen werth! Meine suchende Seele fand;

O so bauten wir hier Hütten der Freundschaft uns!


Ewig wohnten wir hier, ewig! Der Schattenwald
Wandelt' uns sich in Tempe,
Jenes Thal in Elysium!
Leitfrage: Wie wird die Natur empfindsam?

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Peter Rühmkorf: Variationen auf ein Thema von Klopstock
71

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, Schulau: der Abend mit silbernem Kamm im Haar,
mit entspanntem Munde gepriesen; schöner ein künstlich Gebiß, wenig Erkenntnis und kaum noch Veränderung,
das den großen Gedanken nur das verdorbene Herz,
einer Schöpfung noch einmal käut. das seine Synkopen hackt;

Dort, wo der schimmernde Fluß sein Kleingeld verspielt, nur dies Herz, und ein instabiles,
oder hobest du dich schon wieder ab in den Äther -? grobes Gefühl in der Brust, der hochgemöbelte Ursprung;
komm, da der Abend den seidenen Stander setzt, bleu-weiß-rot, und wir sangen hinter dem Segel
die Fahne aus Hauch und Traum... und empfanden wie Schmidt.*

komm, oh komm auf der farblosen Schwinge des Winds Jetzo den Himmel! Beachtlich! Links hinterm Schweinesand:
- so wie er den zartgesalzenen Flügel rührt - halb entblößt über der flachgebackenen Insel -
dreigestrichnes BEWUSSTSEIN: da, da hängtest du SCHWERKRAFT
dem am Reißbrett entworfenen Phönix gleich. volles Maßes dich bei uns ein.

Schon lag hinter uns weit der Süllberg,


Sagebiels Gasthof, gepflegte Biere, Bäume klettern den Hang
hoch,
Flieder-Kastanien-und-Rotdorn, schooon
sog uns die Schwerkraft am Hintern.

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"

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