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Warum sprechen Menschen in Gedichten von der

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Natur, und was wird dadurch gewonnen?

 Historischer Rückblick: Vom antiken Lehrgedicht zur modernen Ökolyrik


 In welchen Formen sprechen Menschen von der Natur?
 Welche Themen und Topoi wiederholen sich dabei?
 Naturlyrik als Interaktions- und Kommunikationsform

Vorlesung "Natur in Wort, Bild und Wissenschaft"


Historischer Überblick:
2 Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Antike (Lukrez): Natur als


bedrohlicher, aber verständlicher
Ordnungsraum urtümlicher
Gewalten
 Erstmals lyrisches Sprechen von
Natur in größerem Umfang jenseits
von Fragmenten

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Historischer Überblick:
3 Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Barock (Jahreszeitenlyrik):
Natur als Musterbuch für die
Betrachtung Gottes
ohne eigenen Wert, aber
mit starkem allegorischem
Gehalt
 Erstmals Sprechen vom Leben
und Wirken der Menschen
in der Natur

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Historischer Überblick:
4 Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Frühaufklärung/Physikotheologie
(Brockes):
Natur als umfassender Beweis für die
Schönheit die Güte Gottes aus ihrer
Nützlichkeit und sinnlichen Vielfalt
heraus
 Erstmals umfassende lyrische
Entfaltung aller sinnlichen
Erfahrungsmöglichkeiten von Natur

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Frühaufklärung/Idyllendichtung,
Anakreontik (Arkadien und die
Alpen): Natur als empfindsam
aufladbarer Erlebnis- und
Empfindungsraum und
als moralisch aufgewerteter
Lebensraum
 Erstmals Hervorhebung einer
moralischen bzw. sozialen Funktion
von Natur; Erfindung des lyrischen Ich
als persönlicher Sprecherfigur

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Klassik/Schiller: Natur als


Urzustand und Endzustand
der kulturellen und geschichtlichen
Entwicklung der Menschheit,
Idylle und Utopie; wird als
Einheit geschildert vom naiven
und als verlorene Einheit
betrauert vom sentimenta-
lischen Dichter
 Erstmals Entfaltung des Gegensatzes
Natur-Kultur in geschichtsphilo-
sophischer Perspektive
Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik
 Klassik/später Goethe: Natur als Ureinheit
alles Seienden, die naturwissenschaftlich
erfasst und künstlerisch gestaltet werden kann;
beidem liegen „Ur-Phänomene“
zugrunde, die in der Anschauung
zugänglich sind
 Erstmals konsequenter Monismus in der
Naturbetrachtung; maximale Annäherung
von Naturwissenschaft und Kunst unter dem
Begriff der Produktivität und dem Konzept
der morphologischen Gestalt

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Romantik: Sprechen von der Natur


als All-Einheit, die noch in
Schwundstufen (Kindheit, goldenes
Zeitalter, Traum, Ahnung, Unter-
bewusstsein ) erfahren werden kann
 Erstmals Versuch einer Darstellung von
Natur durch natürliches Sprechen,
Annäherung stärker über Hören als
über Sehen (Musik als Paradigma
statt malender Dichtung)

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Junges Deutschland
Biedermeier: Sprechen von der
Natur als verlorene Erinnerung, als
Desillusionierung;
oder als Universum kleiner Dinge,
die jedoch keinen metaphysi-
schen Geltungsanspruch mehr haben
 Erstmals Zurücktreten des Naturbegriffs
als zentraler Begriff für das mensch-
liche Selbstverständnis, wird
substitutiert durch Geschichte

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Realismus (Meergedichte): Sprechen


von der Natur als konkreten Erfahrungs-
orten, auch verbunden mit sozialen
Erfahrungen; besonderes Symbol-
potential in den ‚grünen Stellen‘,
die jedoch vom Verschwinden bedroht
sind
 Erstmals Natur als konkrete,
identifizierbare Landschaften
und Orte, nicht nur
Ideallandschaften

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Naturalismus (Darwinismus, Lebensphilosophie):


Sprechen von der Natur als großer gesetzlicher
Zusammenhang, der wissenschaftlich nicht
nur beschrieben, sondern erklärt werden kann
 Wiederaufwertung des Naturbegriffs, erstmals
unter dem biologischen Zentralbegriff des
„Lebens“ (der den Menschen mit umfasst)

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Symbolismus/Jugendstil: Sprechen
von der Natur nur in ihren preziösen,
exotischen, kunstvollen Aspekten,
Tendenz zur völligen Vergeistigung
und Ästhetisierung der Natur;
etwas abgemildert im Jugendstil
 Erstmals explizite Ablehnung der
Natur als unwürdiger Gegenstand für
die Dichtung; wird zum reinen
Vorwand für die Darstellung
menschlicher Seelenzustände

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Naturlyrik zu Beginn des 20. Jhs. (Brecht


und das ‚Gespräch über Bäume‘): Natur
als eskapistischer Fluchtraum gegenüber
den Problemen der sozialen und
politischen Realität
 Erstmals vollständig hermetisches
Sprechen von der Natur als reiner
Assoziationsraum

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Historischer Überblick:
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Sprechen von der Natur vom antiken Lehrgedicht
bis zur Ökolyrik

 Ökolyrik: Sprechen von der Natur nicht nur


als Ausbeutungs- und Verwertungszusammen-
hang vor dem Hintergrund ihrer drohenden
Zerstörung durch den Menschen
(Anthropozän); dagegen Reaktivierung
traditioneller, umfassender Naturkonzepte
(oikos, Umwelt)
 Erstmals Versuch einer Betrachtung der Natur
jenseits der menschlichen Perspektive und
damit auch wieder Gewinnung eines ethischen
Anspruchs

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Formen des lyrischen Sprechens von der Natur
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 Lehrgedicht, Gedankenlyrik

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Formen des lyrischen Sprechens von der Natur
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 Volkslied, Hymne

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Formen des lyrischen Sprechens von der Natur
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 Malende Dichtung

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Formen des lyrischen Sprechens von der Natur
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 Personifikation,
Anthropomorphisierung

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Themen und Topoi des lyrischen Sprechens
19 von der Natur

 Organismus, oikos
 All-Natur, Kosmos
 Entelechie, Metamorphose,
Evolution
 Drei Reiche, great chain
of being, Mikro-, Meso-,
Makrokosmus
 Natura naturans /
natura naturata
 Buch der Natur,
Stimme der Natur

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Themen und Topoi des lyrischen Sprechens
20 von der Natur

 Arkadien, goldenes
Zeitalter
 Locus amoenus
 Jahreszeiten/Lebensalter
 Gespräch über Bäume
 Umwelt

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Naturlyrik als Interaktions- und
21 Kommunikationsraum mit dem Nicht-Menschlichen

 Sprechen über Natur


 Sprechen mit der Natur
 Sprechen aus der Natur
heraus:
 Onomapoetisches
Sprechen
 Anthropomorphisierung
 Sprechen der Natur
in ihrer Fremdheit

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Rainer Maria Rilke,
22 Lied vom Meer (Capri. Piccola Marina)

Uraltes Wehn vom Meer,


Meerwind bei Nacht:
Du kommst zu keinem her.
Wenn einer wacht,
so muß er sehen, wie er
dich übersteht.
Uraltes Wehn vom Meer.
Welches weht
nur wie für Urgestein,
lauter Raum
reißend von weit herein.
O wie fühlt dich ein
Treibender Feigenbaum
oben im Mondschein.
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