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Realismus (1850/1890) / Naturalismus (1880/1900)

Wie der Begriff anzeigt, geht es dem Realismus um die Wirklichkeit, d.h. um das, was im 19. Jh. oft
unter Wirklichkeit verstanden wurde: die beobachtbare, durch die Sinne wahrzunehmende Wirklichkeit
des Menschen und der Natur. Eine solche Auffassung von Realität grenzte sich bewusst ab von
jeglichem Übernatürlichem (z.B. Religion), das man als Illusion, als "unwirklich" ansah.

Beispiele

Charles Darwin (1809-1882):


Nach seiner Lehre ist die Natur geprägt vom Kampf der Arten um das Überleben. Nur diejenige
Art setze sich durch, die sich der Umwelt am besten angepasst habe. Auch der Mensch sei Teil
der Natur, das Produkt der Naturgeschichte (Evolution). Eine solche Auffassung widersprach
der gängigen biblischen Lehre, nach der die Natur und v.a. der Mensch eine Schöpfung Gottes
ist.
Sozialdarwinismus: Lehre wird auf den Menschen übertragen.
Milieutheorie: Der Mensch ist determiniert durch die Erbanlangen, das soziale Milieu und den
historischen Moment. Die Willensfreiheit ist eine Illusion.
Ludwig Feuerbach (1804-1872):
Er sprach der Religion jeglichen Realitätsgehalt ab und interpretierte sie als Erfindung des
Menschen.
Karl Marx (1818-1883):
Philosophie, Religion, Recht und andere Geisteswelten seien nicht das, was sie vorgeben,
sondern nur verschleierter Ausdruck ökonomischer ("realer") Interessen.
Marxistische Geschichtsauffassung: Die Geschichte als ständiger Kampf zwischen Ausbeutern
und Ausgebeuteten. Nicht einzelne Persönlichkeiten machen Geschichte, sie agieren nur als
Vertreter ihrer Klasse. Die materiellen Verhältnisse bedingen die historischen Entwicklungen.
Materialismus:
philosophische Richtung, die die Materie, die objektive, außerhalb des Bewusstseins
existierende Wirklichkeit als das Primäre, Bestimmende ansieht. Nicht das Bewusstsein prägt
das Sein, sondern umgekehrt.
Positivismus: Philosophische Richtung, die ihre Forschung auf das „Positive“, das sinnlich Erfahrbare
beschränkt, auf das, was durch das naturwissenschaftliche Experiment nachweisbar ist. Die
Positivisten lehnen jegliche metaphysische Welterklärung ab.

Solchem Denken entsprach die gesellschaftlich-historische Entwicklung des 19. Jh. :


 Ausbreitung der Industrialisierung, des Kapitalismus bis zu einem weltweiten System
(Imperialismus der Großmächte: Wettrüsten);
 Gründerzeit: Deutschland wurde gegründet (1871) Industrielle Entwicklung der „Gründerzeit“
beschleunigt die Verarmung des Industrieproletariats und verschärft die sozialen Gegensätze;
Aufkommen der Arbeiterklasse, Arbeiterbewegung: Gründung von Arbeitervereinen (später
sozialdemokratische Parteien).
 Überwältigende Erfolge in den Naturwissenschaften und der Technik: 1835: 1. deutsche
Eisenbahn, Elektrizität, Telegrafie, Justus von Liebig: Kunstdünger.

Der Naturalismus (Gesamteuropäische Literaturströmung zwischen 1880 und 1900) ist dem
Realismus verwandt, beide haben dieselben geistigen und sozialen Wurzeln. Die Naturalisten
versuchten aber, die Grundideen des Realismus konsequent zu Ende zu denken, sie empfanden sich
als radikaler.

Die Naturalisten protestierten dabei gegen soziale Missstände, gegen den deutschen Obrigkeitsstaat,
waren aber prinzipiell von pessimistischer Grundhaltung, zeigten keine Lösung, vermittelten keine
Hoffnung. Sie verstanden sich trotz aller Nähe zu sozialen Themen, trotz aller Sympathie für die
Sozialdemokratie nicht als politische Bewegung mit Programm, konkreten Zielen und mit Strategien.
Der Naturalismus war in erster Linie eine bürgerlich-intellektuelle, vorwiegend literarische
Protestbewegung.

Formen

a. Die Ideen des Naturalismus wurden hauptsächlich in Zeitschriften verbreitet: „Die kritischen
Waffengänge" (Berlin), "Die Gesellschaft" (München.).
b. Die bedeutendsten Leistungen hat das Drama des Naturalismus aufzuweisen. Typische
Merkmale des naturalistischen Dramas sind:
o Beibehaltung der traditionellen Form (etwa: Tragödie, Komödie), andererseits
Tendenzen zur Episierung ("Die Weber");
o Aufnahme neuer, bisher tabuisierter Themen
o entsprechend der Thematik vieler Stücke: Bevorzugung des Dialekts, entsprechend
der Forderung nach Wirklichkeitsnähe: Wegfall des Monologs, entsprechend der
Milieutheorie: ausführliche Regieanweisungen;
c. Weniger bedeutsam sind der naturalistische Roman und die Lyrik.

Wichtige Vertreter

 Arno Holz (1863-1929) und Johannes Schlaf (1862-1941)


 Gerhart Hauptmann (1862-1946)
o Dramen
 Vor Sonnenaufgang (1889)
 Die Weber (1892)
 Die Ratten (1911)
o Epik
 BahnwärterThiel
("Novellistische Studie", 1888)

Kunst=Natur-x
Der naturalistische Sekundenstil

Am Beginn der literarischen Moderne steht der „Naturalismus“. Ein wichtiger, wenn auch zu
Lebzeiten nur wenig beachteter Naturalist war Arno Holz. Er behauptete, es sei Aufgabe der Kunst,
der „Natur“ (Wirklichkeit) möglichst nahezukommen. Holz erkannte allerdings, dass der Weg zum
konsequenten Realismus (Naturalismus) nicht nur eine Frage der Motivwahl war, sondern vor allem
die Frage der literarischen „Technik“, also des Schreibverfahrens. Wenn also im Kunstwerk „Natur“
möglichst exakt nachgebildet werden soll, muss der Künstler seine Subjektivität zurücknehmen. Dass
diese nicht zur Gänze möglich ist, wusste Holz, und so prägte er die Formel:

„Kunst= Natur-x“.
x ist der jeweilige Anteil an Subjektivität

In der Epik findet dieses Kunstprogramm seinen deutlichsten Ausdruck im sogenannten


„Sekundenstil“.

Als Kennzeichen des naturalistischen Sekundenstils gelten:

 fotografisch exakte Beschreibungen


 viele Dialoge und direkte Reden
 möglichst exakte Übertragung der gesprochenen Sprache in die geschriebene
(Dialektausdrücke, Ausrufe, Geräusche, Pausen werden kenntlich gemacht; häufiger
Gebrauch der Interpunktion, um individuellen Tonfall zu kennzeichnen)
 Deckung von erzählter Zeit und Erzählzeit
 keine auktoriale Erzählerfigur, eher personale und neutrale Erzählperspektive.

Quelle: Christian und Ulrike Schacherreiter: Das Literatrbuch. Band 1. Linz 2007, Seite 233-
236.

Vererbung (1/3) Bestimmtheit (1/3) Milieu (1/3)


Freier Wille ist durch Vererbung und Milieu eingeschränkt

Die Naturalisten glaubten daran, dass der freie Wille eingeschränkt, von
Vererbung und Milieu zerdrückt war= passiver Held. Dieses Denken
prägte den Begriff Determination= Bestimmtheit.

Asphaltliteratur: soziale Perspektive der Literatur


Die Aufgabe des Schriftstellers bestand darin, auf die Straße zu gehen, um
dort die Probleme der Menschen der vierten Schicht zu beobachten und zu
beschreiben. Hinter diesen Beschreibungen steckten keine politischen
Absichten, sondern die Naturalisten beschränkten sich im Stile eines
Berichterstatters auf das reine Aufzeigen der Armut.

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