Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
[0.1]
Gliederung
Zur Einstimmung
Seite 8-13
[1.1]
[1.2]
[2.1]
Seite 14-46
2.1 Personenbezogene Angaben BeBo
2.2 Selbsteingeschätzter Gesundheitszu-
stand
2.3 Beeinträchtigungen und Behinderung
2.4 Alltägliche Lebensführung
2.5 Unterstützung, Nutzung von Diensten
2.6 Gesundheit und Gesundheitsrisiken
2.7 Arbeit
2.8 Partizipation [2.2] [2.3]
2.9 Sicherheit und Schutz
[3.1]
Seite 47-81
3.1 Einrichtungsbezogene Informationen LeBo
3.2 Ausgangslage in den Einrichtungen vor
der Pandemie
3.3 Schutzmaßnahmen in den Einrichtun-
gen
3.4 Umsetzung der Schutzmaßnahmen –
Bewohnerinnen und Bewohner [3.2]
3.5 Umsetzung der Schutzmaßnahmen –
Personal und Angehörige
3.6 Exklusionsrisiken
3.7 Erkenntnisse aus der Pandemie
[4.1]
Seite 82-94
4.1 Mitarbeiterbezogene Perspektive zu FaFo
besonderen Wohnformen
4.2 Lagebeschreibung zu Pandemiebe-
ginn
4.3 Personalperspektive während der [4.3]
[4.2]
Pandemie
4.4 Zukünftige Entwicklungen aus Sicht
der Fachkräfte
[5.1]
Seite 95-101
[0.2]
Seite 102-119
6.1 Das Untersuchungsfeld
6.2 Fürsorgliche Gesundheitssorge statt Teilhabege-
winnen?
6.3 Krisenbewältigung als Kerngeschäft mit Grenzen
des Machbaren
6.4 Dazugelernt – Kompetenzgewinne
6.5 Qualitätssicherung bei Versorgungsnöten und
Rückzugstendenzen
6.6 Nachhaltige Risiken und digitale Entwicklungsge-
winne – ein Weckruf
6.7 Nähe und Distanz in der Gemeinschaft durch Kom-
munikation und Information – Vielfalt in Verbindung
6.8 Schutz der Fachkräfte bei Health and Inclusion in
All Policies
Seite 120-135
7.1 Individuelle Verantwortung – Singularitäten in
der Pandemie - in Gemeinschaft
7.2 Geteilte Verantwortung – ist Mut machen
möglich?
7.3 Teilhabe passgenau in Kontexten verwirkli-
chen – Kurskorrekturen mit Regulationen,
Wissen, Umwelt und Technik
7.4 Teilhabeerneuerung im Übergang
8 Verzeichnisse
Seite 136-144
8.1 Quellen
8.2 Literatur
8.3 Abkürzungen
8.4 Abbildungen
8.5 Tabellen
Anhang
Zur Einstimmung
Rund eine Million Menschen mit Beeinträchtigungen leben in Deutschland in stationä-
ren Einrichtungen (BMAS 2021: 50). Von diesen wohnt etwa ein Fünftel in Institutionen
der Eingliederungshilfe, die seit 2020 als besondere bzw. gemeinschaftliche Wohnfor-
men bezeichnet werden. Diese sollen für Menschen mit Beeinträchtigungen Leistun-
gen in einer Weise personenzentriert erbringen, dass sie dort ihr Leben führen können.
Zu wohnen bedeutet, einen wesentlichen Teil des Alltags zu verbringen und sich zu
Hause zu fühlen. Zur Ruhe kommen, sicher sein, Privatheit gestalten, Gemeinschaft
erleben, Assistenz erhalten, einen Haushalt führen, sein Leben planen, zur Arbeit ge-
hen, Freizeit wählen, Gäste empfangen, all dies soll dort eine Basis haben. Eine Woh-
nung ist Ausgangs- und Rückkehrpunkt der gesamten Lebensführung.
Die Feldstudie „Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen für Menschen mit
Behinderung. Momentaufnahmen und Zukunftsplanung zu Gleichstellung und Teilha-
be bei der Gesundheitssorge im Jahr 2020“, kurz „Wohnen in Gesundheit: W OGE
2020“, fand während der Coronapandemie statt. Die Chronologie einschneidender
Schritte (Ausgangs- und Zutrittsbeschränkungen; Impfungen; Maskenpflicht etc.) fin-
det sich im Anhangsband.
Es wurde untersucht, wie in unterschiedlichen besonderen Wohnformen Aufgaben der
Gesundheitssorge verbunden mit Ansprüchen auf soziale und gesellschaftliche Teil-
habe und Gleichstellung zu Zeiten der COVID-19-Pandemie umgesetzt wurden und
werden. Dabei ist ein multiperspektivisches und qualitatives Vorgehen maßgeblich. Im
Fokus stehen zum einen die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnfor-
men (Menschen mit Behinderung und / oder chronisch psychisch kranke Menschen)
als Nutzerinnen und Nutzer der Leistungsangebote. Zum anderen kommt das in den
Wohnformen tätige Fachpersonal zu Wort, das sind insbesondere soziale, medizi-
nisch-therapeutische, pädagogische und pflegende Dienste, die im Alltagszusammen-
hang ihre Leistungen erbringen. Schließlich ergänzen die Wahrnehmungen der Per-
sonen in Leitungsverantwortung und die – quasi externe – Erfahrung der Angehörigen
von Bewohnerinnen und Bewohnern das Spektrum der Studie.
Die Wissenschaft musste sich vielen ungewöhnlichen Hindernissen stellen. Sie waren
der Pandemie geschuldet, die den Zugang zum Feld mit vielen Unwägbarkeiten her-
ausforderte. Alle Beteiligten sind dabei über viele Schatten gesprungen. Das verdient
ausdrückliche Anerkennung und größten Dank. In den Einrichtungen wünschten und
hoffen alle darauf, mit der Studie mehr gehört und besser verstanden zu werden.
Die ursprünglich geplante W OGE 2020-Laufzeit von einem Jahr unter Förderung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) konnte aus Gründen der Pande-
mie nicht präzise eingehalten wer- den. Die geforderte „Social
Distance“ und Begleiterscheinun- gen wie Lockdown, Erkran-
kung oder Quarantäne waren nicht steuerbar. Termine
mussten daher besonders auf- wändig hergestellt und häufig
immer wieder verschoben und neu konstruiert werden. Aber
niemand verlor die Geduld. Des- wegen liegen nun sehr wert-
volle qualitative Daten vor. Sie sind fundiert durch das mehr-
perspektivische Wissen von fast zweihundert Personen, die weit über hundert Stunden
alleine für dokumentierte Interviews und Gespräche zur Verfügung standen. Es sind
Seite 6 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
[1.1]
W
er. Im Team aus Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie
Studentischen bzw. Wissenschaftlichen Hilfskräften der Technischen Univer-
sität München (TUM) wirkten und wirken (unterschiedlich fokussiert und in-
tensiv) bei der Datenerfassung mit:
Dominik Mertenbacher (Politikwissenschaftler)
Ananda Stullich (Gesundheitswissenschaftlerin und Soziologin)
Elisabeth Wacker (Prof. Dr. rer. soc., Diversitätssoziologin)
Anne-Christin Zobel (Gesundheitswissenschaftlerin und Gesundheits- und
Krankenpflegerin)
Besondere Erwähnung verdient für ihren großen Einsatz bei der Datenauswertung und
Berichterstattung
Susanne Ferschl (Humanwissenschaftlerin, Kriminologin)
Mit Feldkontakten, vielen wertvollen Hinweisen zum Studiendesign und Unterstützung
in vielfachen Fragen der Auswertung und Bewertung standen der Studie sehr renom-
mierte externe Kolleginnen und Kollegen zur Seite:
Ulrich Becker (Prof. Dr., Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und So-
zialpolitik, München)
Martina Brandt (Prof. Dr., Lehrstuhl für Sozialstruktur und Soziologie alternder
Gesellschaften, Fakultät Sozialwissenschaften, Technische Universität Dort-
mund, Dortmund)
Andreas Speck (Prof. Dr., Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsme-
dizin Greifswald, Greifswald)
Ingmar Steinhart (Prof. Dr., Vorstand der von Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel, Bielefeld).
Seite 8 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Auch im BMAS fand sich stets ein offenes Ohr und viel Bereitschaft zur Unterstützung
dieser Feldexkursion, von der zunächst nicht erwartet wurde, wie sehr sie mit den je-
weiligen Coronawellen und entsprechenden umfassenden und exkludierenden Maß-
nahmen und Gesundheitsrisiken externen Faktoren unterworfen sein würde.
Wichtigste Partner waren aber die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Ein-
richtungen der Eingliederungshilfe, die Angehörigen der Menschen mit Beeinträchti-
gungen und Behinderung, das Fachpersonal, die jeweils Verantwortlichen direkt in den
Einrichtungen, aber auch auf Trägerebene der Vereine und Verbände.
Ohne diese kumulierte Expertise wäre WoGe 2020 als ehrgeizige multiperspektivisch
angelegte Feldstudie in der Kernphase der Coronapandemie nicht möglich gewesen.
Es gab keine Bedenkenträger, sondern großartige Mitspielerinnen und Mitspieler.
Ihnen allen gilt der ganz besondere uneingeschränkte Dank für all die Lösungsorien-
tierung, Einsatzbereitschaft (intensiv auch an Wochenenden und Feierabenden), Un-
ermüdlichkeit und Offenheit, gegenüber den Anliegen und Anforderungen der Studie.
Wenn Engagement Gehör verdient, dann wäre dies alleine ein guter Grund, den Er-
kenntnissen und Ergebnissen viel Aufmerksamkeit und Resonanz zu wünschen, in
Wissenschaft und Praxis, vor allem aber auch in Politik und Behörden.
[1.2]
W
as. Die Coronapandemie wirkt auch auf die Gesundheitslage der Menschen
mit Beeinträchtigungen und Behinderung ein. Rund um ihre Gesundheit er-
geben sich besondere Risikolagen, vor allem auch im Bereich des Wohnens.
Sie gelten zudem als vulnerable Bevölkerungsgruppe. Ihr Einfluss auf ihre Lebensge-
staltung (und Teilhaberisiken) ist beschränkt. Zu den bestehenden Beeinträchtigungen
kommen daher weitere besonders belastende Lebensumstände. Dazu zählen auch
Diskriminierungsrisiken. Zugleich haben sie einen individuellen Anspruch auf Gleich-
berechtigung bzw. auf den Ausgleich von Benachteiligungen.
W
o. Konkrete Erkenntnisse und relevante Aufgabenfelder werden mit der
WOGE 2020-Feldstudie erkundet. Sie erfasst die Wohnlage und Lebenssitu-
ation des oben genannten Personenkreises. Dabei wird eine Einordnung der
gewonnenen Daten angestrebt, die eine Zeitspanne (vor der Pandemie – während der
Seite 9 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Perspektive Perspektive
Perspektive Perspektive
Leistungsträger / Nutzer:innen und
Leistungsanbieter Fachpersonal
Behörden Angehörige
1.2 Forschungsmethoden
W
ie. Entsprechend der Fragestellung wurde ein Methodenmix genutzt, um so-
wohl der gewünschten Einordnung der Ergebnisse, als auch der erforderli-
chen individuellen Wahrnehmung und Interpretation Raum zu geben. Zudem
waren die Befragungen multiperspektivisch angelegt.
Die Kontaktaufnahme erfolgte teilweise über die Trägerebene, die zur Studie infor-
mierte und einlud, teilweise über einzelne Vermittlungen und auch in Schneeballver-
fahren (Bewerbung um Teilnahme, nachdem man davon gehört hatte).
Mehr Einrichtungen haben einer Teilnahme zugestimmt, als in die Befragung einbezo-
gen werden konnten. Alle teilnahmebereiten besonderen Wohneinrichtungen wurden
durch ausführliche Vorgespräche, wenn möglich auch mit Ortsbegehungen, mit regel-
mäßigen Rundschreiben und sehr vielen langen Telefonaten und schriftlichen Kom-
munikationen gewonnen, informiert und begleitet. Der angebotene Austausch wurde
sehr rege genutzt und ist chronologisch und inhaltlich dokumentiert.
Der geplante Rückbezug zu einem Lenkungsausschuss musste pandemiebedingt
adaptiert (in Einzelgesprächen oder Teilgruppen) umgesetzt werden, da während der
Pandemiewellen Reiseaktivitäten phasenweise unmöglich waren oder erheblich redu-
ziert werden mussten. Alle Beteiligten praktizierten nach Möglichkeit aus Sicherheits-
gründen „physical distancing“.
W
en. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden mithilfe eigens entwickelter
Fragebögen (weitgehend strukturiert, aber ergänzt durch einige offene Fra-
gen) relativ breit befragt, um einem Lebenslagenzugang genügen zu können,
aber auch, um nicht nur bereits zugeschriebenen „Behinderungsarten“ und Erwartun-
gen als dominante Wahrnehmung der Lebensführung Tür und Tor zu öffnen. Da auch
Personengruppen eingeschlossen werden sollten, die keine einfache Gesprächsfüh-
rung möglich machen (etwa wegen besonderer Kommunikations- oder Verständnis-
möglichkeiten) wurde viel Aufwand in die passende Interviewgestaltung und auch in
die Interviewsituation selbst investiert. Insgesamt konnten 78 Interviews realisiert wer-
den (s. Kapitel 2).
Mit dem Fachpersonal fanden leitfadengestützte Gruppengespräche statt. Auch hierfür
wurden spezifische Instrumente entwickelt. Es wurden elf Fachkräfte-Fokusgruppen
(FaFo) realisiert, in zehn verschiedenen Einrichtungen. Zwei der Sitzungen fanden im
digitalen Raum statt (Zoom), neun in persönlicher Begegnung (s. Kapitel 4). Umgesetzt
wurde auch die Befragung der jeweiligen Leitungsebenen (s. Kapitel 3) und von Ange-
hörigen der Bewohnerinnen und Bewohner (34 persönliche Interviews) (s. Kapitel 5).
Die Erhebungsinstrumente wurden nach Pretest eingesetzt, die Interviewerinnen und
Interviewer darauf geschult.
Sehr sorgfältig wurde schriftlich und mündlich über Datenschutz und Datenumgang
informiert (s. Anhang). Alle Teilnahmezustimmungen wurden schriftlich festgehalten
und liegen vor. Wo erforderlich wurden die Zustimmungen Gesetzlicher Betreuungs-
personen eingeholt. Alle an der Gewinnung und Auswertung der Daten beteiligten Per-
sonen sind besonders über den Umgang mit personenbezogenen Daten aufgeklärt
und haben dazu auch ihr Einverständnis schriftlich niedergelegt.
Seite 11 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Alle Beteiligungen waren freiwillig und konnten jederzeit zurückgenommen werden (im
Detail s. Anhang).
Die Auswertungen der Fragebögen wie der aufgezeichneten Gespräche erfolgt mit
dem Transkriptions- und Datenanalyseprogramm F4. Eine Grundauswertung liegt die-
sem Bericht zugrunde.
W
omit. Die Befragungen wurden bundesweit angelegt und sollten 20 Einrich-
tungen der Eingliederungshilfe einbeziehen. Zur Erfassung dieser Settings
diente auch der von den Leitungsebenen beantwortete Rahmenbogen
(LeBo). Die Wohneinrichtungen waren direkte Kooperationspartner. Mit Absprache
setzten sie einen Teil der vermittelnden Aufgaben um (die intermediäre Organisation
unter Einbindung der Einrichtungsmitglieder, die Sicherung der angemessenen Infor-
mation und Zustimmung zur Datenerfassung; gegebenenfalls auch unter Einbezug der
Gesetzlichen Betreuung; die räumliche Organisation; den Gesundheitsschutz, bei-
spielsweise über Testen oder Kontrollen).
W
ozu. Ziel ist es, mit Hilfe der vielfachen und intersektionalen Wissensgenerie-
rung und entsprechender Analyseverfahren bezogen auf ausgewählte Auf-
merksamkeits- und Handlungsfelder eine klarere Erkenntnislage und darauf
gestützte Handlungsbasis zu generieren, ohne die Verschiedenheit der Klientel (denn
Behinderung macht nicht gleich) und der Angebotsstrukturen wegen der Pandemiebe-
dingungen auszublenden. Dazu erwies sich ein partizipatives Vorgehen mit der jewei-
ligen Zielgruppe (zumindest im Mesobereich) zwar als aufwändig, aber sehr zielfüh-
rend.
Im Einzelnen wurden die Lage, bestehende und mögliche Risiken und Chancen, Mög-
lichkeiten und Grenzen der Selbstbestimmung und Teilhabe sowie die Ausgestaltung
der Unterbringung und der gesundheitlichen Unterstützung besonders ins Auge ge-
fasst.
Für die gewünschte abschließende Diskussion der Ergebnisse und weitere Verbrei-
tung (Dissemination – auch in leichter Sprache) wäre eine weitere vertiefte Auswertung
vor allem der facettenreichen qualitativen Daten und eine Berichterstattung für Wis-
senschaft, Politik und Praxis gewinnbringend.
Ein geeignetes Format zur Ergebnispräsentation, Rückmeldung und angemessenen
Auseinandersetzung (etwa eine Tagung mit Wissenschaft, Politik und Praxis) könnte
eine nachhaltige Implementierung von Erkenntnissen anbahnen. Auch dies wäre zu
wünschen.
Abbildung 1.2: Von einer Einrichtung entwickelter Aufklärungsbogen für die Bewohne-
rinnen und Bewohner (anonymisiert)
BeBo /
LeBo /
ABBo /
Felder- FaFo
schließung
Planung Feldstart begleitende Auswer-
ab 10|20 12|21 Gespräche tung 5|22
Erhebungs-
instrumente
Analysen
2020 10-20 KW 2020 10-21 8 KW 2021 9-23 KW 2021 31-51 KW 2021 51ff. KW
1. Welle 2. Welle 3. Welle 4. Welle 5. Welle
[2.2]
Im Folgenden wird eine Auswertung ausgewählter Ergebnisse aus der Befragung der
Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnformen vorgestellt, die eine erste
Erfassung der coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen
der Eingliederungshilfe ermöglicht.
Es wird uneingeschränkt die Perspektive der insgesamt 78 Interviewten (N=78 Bewoh-
nerinnen und Bewohnern) wiedergeben. Die Interviewdauer betrug zwischen 21 und
89 Minuten. Es wurde darauf geachtet, alle zum Interview bereiten Personen einzube-
ziehen, auch solche, die schwer zu befragen waren. So entstanden auch Interviews,
bei denen Interviewte ermüdeten, keine Fortsetzung mehr wünschten oder auch Fra-
gen nicht verstehen konnten. Bei wenigen Interviewsituationen wurde auf Wunsch zu-
sätzlich eine Person des Vertrauens als Assistenz zur Seite gestellt [Proxy-Interviews].
Seite 14 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Ein eigens für die Feldstudie W OGE 2020 (in einer Standard- und einer Proxy-Version)
entwickelter
„Fragebogen zur Selbstauskunft der Bewohnerinnen und Bewohner“ (BeBo)
(s. Anhang)
wurde eingesetzt. Er besteht aus strukturierten sowie teiloffenen Fragen und führt
durch die Lebenslage und den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner. Zudem er-
möglicht er ein Profil der Interviewten und lässt Aussagen zu den Teilhabechancen der
befragten Person im coronagesteuerten Wohnalltag zu. Auch die Zufriedenheit mit der
Situation wird jeweils im Grundsatz und coronaspezifisch erfasst.
Eine noch differenziertere und weiter vertiefte Auswertung des breit nach ICF (WHO
2001) und Teilhabebefragung (Schäfers et al. 2016) ausgerichteten lebenslageorien-
tierten Interviewbogens zur allgemeinen Situation und den besonderen coronabeding-
ten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen der Eingliederungshilfewäre ist
möglich und wünschenswert.
Für diesen lageaktuellen Bericht wurde eine pragmatische Auswahl von Fragen ge-
troffen, die für die W OGE 2020-Studienfrage relevante Aussagen zu folgenden neun
Gebieten ermöglichen.
Personenbezogene Angaben
Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand
Beeinträchtigungen und Behinderung
Alltägliche Lebensführung
Unterstützung, Nutzung von Diensten
Gesundheit und Gesundheitsrisiken
Arbeit
Partizipation
Sicherheit und Schutz
[2.3]
2.1 Personenbezogene Angaben
Die interviewten Personen spiegeln in einer angemessenen Weise die Vielfalt der
Bewohnerschaft von besonderen Wohneinrichtungen wider. Dies bezieht sich auch
auf Variablen der Zusammensetzung wie Verweilzeit, Alter, Geschlecht und Beein-
trächtigungen sowie andere mögliche Merkmale des Typs „Bewohnerinnen und Be-
wohner der Eingliederungshilfe“.
Alle befragten Personen nahmen freiwillig an der Studie teil. Sie sind volljährig und
waren ausführlich aufgeklärt über ihre Rechte und den Zweck der Studie. Ihre Zu-
stimmung liegt jeweils schriftlich vor.
Die teilnehmenden Personen waren zwischen 20 und 78 Jahre alt, der Mittel-
wert des Alters aller Befragten beträgt 43,86 Jahre.
Unter den Befragten waren etwas mehr Männer (55,84 %) als Frauen (42,86
%). Eine Person gab ihre geschlechtliche Identität als divers an (s. Abbildung
2.1).
Abbildung 2.1: Geschlecht der Befragten Abbildung 2.2: Beziehungsstatus der Befrag-
ten
Beeinträchtigungsform Häufigkeit in %
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Bewegen des Körpers 34,6
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Denken, Erinnern und Lernen 53,8
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Sprechen 28,2
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Sehen 21,8
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Hören 10,3
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Planen der Tagesstruktur 23,1
Dauerhafte Beeinträchtigung durch seelische oder psychische Probleme 33,3
Dauerhafte Beeinträchtigung durch eine Suchterkrankung 2,6
Dauerhafte Beeinträchtigung durch eine Erkrankung, die häufig nicht heilbar ist 16,7
Dauerhafte Beeinträchtigung durch starke Schmerzen 12,8
Etwa ein Fünftel der Interviewten berichtet aber, dass sich Beeinträchtigungen und
Behinderung (18,2 %) sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln (5,2 %) unter Coronabe-
dingungen zum Schlechteren verändert haben.
Auf die offen erfragten Veränderungen werden beispielsweise Hinweise gegeben auf
negative Entwicklungen wie
eine Verschlechterung bestehender Erkrankungen durch fehlende Aktivität,
die zunehmende Angst vor einer Infektion und vor anderen Menschen,
das Tragen von Masken,
die fehlende Tagesstruktur und
das Ausbleiben therapeutischer Angebote.
Auch positive Trends im Bereich der Beeinträchtigungen werden berichtet, durch
weniger Hektik wegen der Einschränkungen im Bereich Arbeit,
mehr Beschäftigungsprogramme (wie Zeichnen, Puzzeln etc.),
mehr Ablenkung und
weniger psychischen Stress.
Im Bereich der Hilfsmittelversorgung werden Verschlechterungen angesprochen, wie
länger dauernde Reparaturen und Bestellungen.
Allgemein werden
Personalengpässe und
Zutrittsverbote in die Einrichtung
beklagt.
Richtet sich der Fokus auf die Pandemielage gibt ein Großteil (etwa 80 Prozent) der
Interviewten an, die Bemühungen der Fachdienste und anderen Verantwortlichen,
um die weiterhin sichere beeinträchtigungsspezifische Versorgung, zu erkennen.
Zugleich erwähnt etwa ein Fünftel der Befragten coronabedingte Veränderungen der
Beeinträchtigungen (etwa durch Erkrankungen). Negativ werden ein Mangel an Ak-
tivitäten und an Tagesstruktur sowie fehlende Therapien beschrieben. Kritisch an-
gemerkt werden außerdem Schutzmaßnahmen (wie Maskentragen). Die Interview-
ten äußern zudem Ängste (vor Menschen und / oder vor Impfungen).
Positiv wird die Entschleunigung im Arbeitsalltag (weniger psychischer Druck) erlebt,
verbunden mit strukturierenden Beschäftigungsprogrammen.
Die Hilfsmittelversorgung verschlechtert sich weiter, durch Lieferschwierigkeiten und
verzögerte Reparaturen.
Als negativ werden Personalengpässe und Betretungsverbote genannt.
möglich, auch Bedürfnisse (z. B. nach Wunsch und Wahl der angenehmsten Mitbe-
wohnerschaft) gedeckt.
Diese Komposition funktioniert offensichtlich generell überzeugend. Ein großer Teil
(79,2 %) der Bewohnerinnen und Bewohner äußert sich zufrieden mit der Wohn-
situation und gibt an, nirgendwo lieber wohnen zu wollen (s. Abbildung 2.4).
Drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner (77 %) konnten sich während der
Pandemie in den Medien informieren. Am meisten wurden das Fernsehen (v. a.
Nachrichten), die Corona-WarnApp, WhatsApp und das Internet (über das Handy) zur
Information genutzt.
Zu den Medien, die von über der Hälfte (57,3 %) der Befragten zur Kommunikation
genutzt wurden, zählen auch verschiedene Messengerdienste (WhatsApp, Telegram),
Skype, Zoom und Facetime sowie das Telefon beziehungsweise Mobiltelefon.
Wohnen, Freizeit, Selbstbestimmung und Medien unter Coronabedingungen
Insgesamt zeigen sich bei der Alltäglichen Lebensführung und gerade in Wohnbereich
durch die Coronapandemie nach Ansicht von gut 40 Prozent der Bewohnerinnen und
Bewohner kaum nennenswerte Veränderungen. Das bedeutet aber, dass beinahe
zwei Drittel wesentliche Veränderungen wahrnimmt.
Offene Antwortmöglichkeiten bieten die Chance, von den Bewohnerinnen und Bewoh-
nern nähere Informationen zu gewinnen. Folgende Veränderungen zum Negativen
werden von einem guten Viertel (28,9 %) der Antwortenden geschildert:
bei der individuellen Vorsorge (Tragen von Masken, regelmäßiges Testen, lan-
ges Warten auf die Booster-Impfung),
bei der Begegnung mit anderen (Abstand halten, Verschlechterung des persön-
lichen Umgangs, keine Besuche von Familien und Freunden möglich, Aus-
gangssperre, Weihnachten und Silvester nicht gemeinsam feiern können, Auf-
lösen der Gruppen, Umzug in eine Quarantänegruppe),
bei Teilhabe und Selbstbestimmung (durch Corona-Ausbrüche und Isolation;
Beschränkung der Selbstständigkeit, Langeweile; geschlossene Werkstätten /
keine Arbeit; keine Therapieangebote; keine Freizeitangebote).
In einigen Fällen (7,9 %) berichten Befragte auch von Verbesserungen der Wohnsitu-
ation, durch
Ersatzangebote (Unterstützung durch Hilfskräfte, digitale Sportangebote) und
die Möglichkeit nach Hause zu ziehen.
Insgesamt werden nennenswerte räumliche Einschränkungen (social distancing) auf-
geführt:
Vielen Bewohnerinnen und Bewohnern war es im Zusammenhang mit der Coronapan-
demie verboten,
ihr Zimmer zu verlassen (40 %) (s. Abbildung 2.5),
die Wohngruppe zu verlassen (35 %) (s. Abbildung 2.6) und
die Wohneinrichtung zu verlassen (38,7 %) (s. Abbildung 2.7).
Abbildung 2.5: Zimmergebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihr Zimmer
zu verlassen?“ (Angaben in %)
Die Freizügigkeit von 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner war somit unter
Coronabedingungen erheblich eingeschränkt. Nur wenige Interviewte haben dazu
keine Angaben gemacht bzw. wussten keine Antwort.
Trotz dieser umfassenden Ausgangssperren und Beschränkungen auf die eigene
Häuslichkeit in der Gemeinschaftsunterkunft berichtet knapp ein Drittel der Bewohne-
rinnen und Bewohner (31,6 %), ihre Freizeitgestaltung habe sich nicht geändert.
Eine Verschlechterung ihrer Freizeitmöglichkeiten nahmen hingegen gut zwei Fünftel
(42,1 %) wahr, und zwar wegen
Angst vor Ansteckungen,
präventiven Einschränkungen wie Mundschutz, verpflichtender Test- oder
Impfnachweis,
Kontaktbeschränkungen (Besuchsverbote, Kontaktverbote in der Gruppen und
zu anderen Einrichtungen, Ausgangssperren),
Schließung kultureller Einrichtungen (Cafés, Schwimmbäder, Diskotheken,
Kinos, Restaurants, Frauengruppen, Kulturtreffs, Sommerfeste),
Verboten, selbstständig Einkaufen oder in Urlaub zu gehen.
Knapp zehn Prozent der Befragten (9,2 %) nennen auch Verbesserungen ihrer Frei-
zeitgestaltung im Laufe der Pandemie, etwa durch
schrittweise Öffnungen und Planungsmöglichkeiten für Urlaube,
bessere Freizeitplanung,
bessere Gemeinschaft in der Gruppe (z. B. durch Ersatzangebote wie Kochen).
Aus Sicht von knapp zwei Dritteln der Bewohnerinnen und Bewohner (60,8 %) blieb
die Selbstbestimmung im Alltag unter Coronabedingungen unverändert.
Etwa ein Fünftel der Befragten (18,9 %) nimmt hingegen eine Verschlechterung der
Selbstbestimmung wahr, nämlich
auf personaler Ebene durch vermehrte Einschränkungen (erhöhte Vorsicht,
strengere Regeln, mehr um Erlaubnis fragen müssen, eingesperrt sein im Zim-
mer, Einschränkungen während der Lockdowns, Verlust der Selbstständigkeit
bei Arbeit und Einkaufen, lange Anmeldezeiten beim Entspannungsraum),
auf interpersoneller Ebene (durch Kontaktbeschränkungen, Verbot von Ge-
burtstagsfeiern, getrenntes Essen, Abstand halten, fehlende Möglichkeit
arbeiten zu gehen).
Wenige Äußerungen (bei 2,7 % der Befragten) weisen auf eine verbesserte Selbst-
bestimmungssituation unter Coronabedingungen hin, durch
besseres Wissen über Corona,
bessere Ausstattung (eigene Kaffeemaschine).
Obwohl in den besonderen Wohnformen manche Bewohnerinnen und Bewohner seit
Jahrzehnten in Gemeinschaft leben, manche aber erst seit kurzem zugezogen sind,
scheinen insgesamt Soziale Beziehungen und Einbindung im hohen Maß zu gelingen.
Auch unter Coronabedingungen gibt die Mehrheit der Befragten an, genug Menschen
zu kennen,
Zu Alltägliche Lebensführung
Einen Großteil der Alltäglichen Lebensführung macht das Wohnen und damit auch
das dazu gewählte oder verfügbare Setting aus.
Im Bereich der Eingliederungshilfe, die bestimmte Bestandteile der Lebensführung
mit Ermöglichungscharakter und Teilhabezusagen verbindet, ist es öfter die Regel,
dass Nutzerinnen und Nutzer lange Phasen des Lebens oder das gesamte Leben in
einer bestimmten Wohneinrichtung verbringen. Je nach Eintritt einer Beeinträchti-
gung und nach Lebensalter können dem Phasen in der Herkunftsfamilie oder auch
in eigenständiger Lebensführung vorangegangen sein.
Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner nennen eine Wohndauer von etwa ei-
nem halben Jahr bis zu einem halben Leben (mehr als vier Jahrzehnte). Bei weitem
die meisten von ihnen (etwa 80 Prozent) äußern sich generell zufrieden mit der
Wohnform, die ihren Alltag bestimmt. Eine Wohnalternative wünschen sie entspre-
chend häufig nicht. Diese seit langem bekannte hohe Zustimmung ist typisch, steigt
meist mit der Verweildauer und gilt als adaptiv oder resignativ, da selten Alternativen
für die Menschen mit Beeinträchtigungen vorstellbar oder verfügbar sind. Getragen
wird die große Zustimmung auch von tendenziell mit steigendem Alter verbundenen
Wünschen nach Sesshaftigkeit (zur Ruhe zu kommen).
Nur wenige Interviewte geben an, sie würden ein Leben mit der Herkunftsfamilie, in
einer Hausgemeinschaft oder alleine mit Partnerin oder Partner vorziehen.
Die hohe Zustimmung zur Wohnform ist auch deswegen bemerkenswert, weil eher
geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten beim Zustandekommen und der Zusammen-
setzung der Wohnlage bestehen. Für über ein Viertel der Interviewten gab es keinen
Einfluss auf die Wahl der Wohnform. Zudem wird auch die Gemeinschaft in den
Wohngruppen weitgehend fremdbestimmt (etwa 60 Prozent der Befragten äußert
einen geringen Einfluss auf die Gruppenzusammensetzung).
Obwohl beim Wohnen noch keine umfängliche Selbstbestimmung der Bewohnerin-
nen und Bewohner besteht, signalisiert deren geäußerte Zufriedenheit viel Wohlbe-
finden in den besonderen Wohnangeboten der Eingliederungshilfe.
Das mag auch an einer gelungenen Umgebungsgestaltung liegen. Denn beinahe 80
Prozent der Befragten nehmen keine gebauten Barrieren oder Hindernisse in ihrem
Wohnsetting wahr und beinahe alle (knapp 91 Prozent) haben ein abschließbares
Einzelzimmer als persönlichen Rückzugsort.
Während im Wohnbereich generell gute räumliche Barrierefreiheit erlebt wird, zeigen
sich dort doch spezielle Hindernisse bei der Mediennutzung: Es gibt eine Zweiteilung
zwischen Personen, die traditionelle Medien wie Bücher, Zeitschriften und Zeitungen
nutzen und Bewohnerinnen und Bewohnern, die dies nicht tun (etwa ein Viertel) bzw.
es nicht tun können (ein weiteres Viertel).
Medialer Platzhirsch für Information und Kultur ist bei den Bewohnerinnen und Be-
wohnern Tag für Tag das Fernsehen (fast zu 90 Prozent), gefolgt vom Radio ca. 84
Prozent). Der Gebrauch wird als problemlos beschrieben. Anders steht es um die
Intensität der Internetnutzung: Etwa ein Drittel der Interviewten gibt an, kein Internet
zu nutzen. Diese nennenswerte Offline-Kultur unterscheidet sich wesentlich von der
weit häufigeren einfachen Nutzung durch einen Großteil der Bevölkerung.
Einige Bewohnerinnen und Bewohner berichten von Nutzungsproblemen, die sie
zum Teil an der eignen Person festmachen (Ungeduld, fehlende Erfahrung), zum
Teil aber auch auf die Umgebung zurückführen (Verbote, schlechter Internetzugang,
Kosten, andere technische Probleme).
Über Intensität, Umfang und Kompetenz der Internetnutzung durch die Bewohnerin-
nen und Bewohner gibt es kaum Informationen. Möglicherweise haben aber auch
dort sozioökonomisch besser gestellte Personen eine bessere technische Ausstat-
tung, mehr Gelegenheit zum Kompetenzerwerb und weniger materielle oder techni-
sche Zugangsprobleme, können also mehr vom Internet profitieren.
Unter Coronabedingungen geben etwa 60 Prozent der Interviewten eine Verände-
rung der Wohnsituation an. Als negative Entwicklungen werden demnach auf per-
sönlicher Ebene Maskentragen, Testen und Warten auf Impfungen genannt. Bezo-
gen auf soziale Kontakte werden Abstand, eingrenzende Umgangsregelungen, Be-
suchsverbote, Ausgangssperren und das Verbot von Festen und Feiern erwähnt, bis
zum Auflösen der Wohngruppe und dem Umzug in Quarantänegruppen. Teilhabe
und Selbstbestimmung werden durch Isolation, fremdbestimmte Einschränkungen,
Schließungen von Arbeits-, Freizeit- und Therapieangeboten reduziert. Zudem wird
Langeweile beklagt. Hingegen begrüßen einige Bewohnerinnen und Bewohner Er-
satzangebote bis zur Möglichkeit, nach Hause zu ziehen.
Insgesamt berichten Bewohnerinnen und Bewohner häufig, dass ihre freie Entschei-
dung sich Aufzuhalten eingeschränkt wurde: 40 Prozent sind auf ihr Zimmer verwie-
sen worden, bei 35 Prozent galt diese Zuordnung für die eigene Wohngruppe und
bei beinahe 40 Prozent auch für die Wohneinrichtung selbst. Damit waren sehr viele
der Befragten im Alltag nicht in der Lage, einen teilweise extrem eng gesteckten
Bewegungsradius in der Häuslichkeit zu überschreiten.
Das limitiert auch die Freizeitgestaltung, insofern verwundert es, wenn ein Drittel der
Bewohnerinnen und Bewohner hier keine Veränderung wahrnimmt.
Von Verschlechterungen in ihrer häuslichen Situation wird häufig berichtet (von etwa
40 Prozent der Interviewten), oft im Zusammenhang mit Regulierungen (Beschrän-
kungen von Kontakten, Einkaufen und Festveranstaltungen) oder mit Auflagen
(Mundschutz, Impfnachweis). Knapp ein Zehntel der Antwortenden erkennt Verbes-
serungen, etwa durch eine schrittweise Öffnung sowie die wieder mögliche Freizeit-
und Urlaubsplanung. Auch von verbesserter Gemeinschaft und Ersatzangeboten ist
die Rede.
Noch mehr als bei der Freizeitgestaltung bewerten fast zwei Drittel der Interviewten
eine während der Coronazeit unveränderte Lage im Bereich der Selbstbestimmung.
Jede fünfte Person erwähnt negative Veränderungen auf personaler Ebene (von der
Pflicht im Zimmer zu bleiben bis zu Arbeits- und Einkaufverboten) und im interper-
sonellen Bereich (beispielsweise wegen Kontaktverboten bei gemeinsamen Veran-
staltungen wie Mahlzeiten oder Feiern). Äußerungen zu einer positiven Veränderung
gibt es nur sehr vereinzelt.
Seite 29 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner (über drei Viertel) informiert sich
während der Pandemie in den Medien (insbesondere im Fernsehen oder über Mo-
biltelefone). Beinahe 60 Prozent konnten sich auch über Messenger-Dienste oder
digitale Treffen einen persönlichen Eindruck von „der Welt da draußen“ verschaffen
und Kontakte pflegen.
Unabhängig von sehr unterschiedlicher Verweildauer in den besonderen Wohnfor-
men geben die Interviewten eine beeindruckende Rückmeldung zum Gemein-
schaftsgefühl. Auch unter Coronabedingungen fühlen sie sich großenteils (mit über
80 Prozent) nicht alleingelassen, sicher und geborgen. Jede zweite der Stimmen gibt
aber zugleich an, mehr Zeit für sich alleine zu benötigen.
Drohende Isolation (Eingeschlossen sein) einerseits und gewünschte Gemeinschaft
andererseits prägen also den Alltag. Über die Hälfte der Interviewten erwähnen ent-
sprechend für den Coronazeitraum Veränderungen im Umgang mit Menschen, die
ihnen wichtig sind. Sie beklagen Abstandsgebote und Begegnungsmangel, bedau-
ern alleine zu sein, gerade bezogen auf nahestehende Personen, und sie vermissen
körperliche Nähe. Ein Viertel der Antwortenden äußert das Gefühl, man sei im
Freundeskreis aussortiert worden. Wenige positive Stimmen freuen sich über inten-
sivere Kontakte, aber auch innovative, vielseitige Mediennutzungen werden begrüßt
(beispielsweise WhatsApp, Videoanrufe).
Bereiche Häufigkeit in %
Haushalt (Kochen, Putzen, Einkaufen, Wäsche waschen) 69,9
Essen und Trinken, Duschen, Baden oder Sich-Anziehen 39,7
Verständigung / Kommunikation 29,2
Beziehungen zu anderen Menschen 23,3
Um irgendwo hinzukommen, z. B. durch Begleitung oder Fahrdienste 52,1
Freizeit 39,7
Schriftsachen vom Amt 72,6
Verwaltung von Finanzen 56,2
Psychische Probleme 42,5
Gesunder Lebensstil oder Arzttermine 65,8
Arbeit oder Schule 26
Quelle: Eigene Darstellung
Die Bewohnerinnen und Bewohner werden hauptsächlich unterstützt
vom Personal der Wohneinrichtung (85,5 %)
von gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuern (73,9 %) und
von Familienangehörigen (55,1 %).
Drei Viertel der Befragten (74,3 %) gibt an, die benötigte Unterstützung auch zu be-
kommen bzw. teilweise zu bekommen (8,6 %). Damit werden aus Perspektive der
Assistenzberechtigten über 80 Prozent der erforderlichen Leistungen erbracht.
Weiterhin erklärten beinahe ebensoviele Bewohnerinnen und Bewohner die Assis-
tenzperson auswählen (72,9 %) bzw. den Zeitpunkt der Unterstützung bestimmen zu
können (82,9 %).
Am häufigsten werden Unterstützungen wie
Fahrdienste (53,6 %) und
verschiedene therapeutische Angebote (43,5 %)
genutzt.
Unterstützung und soziale Dienste unter Coronabedingungen
Unter Coronabedingungen hat sich diese Versorgungsqualität nach Aussage von
knapp einem Viertel der interviewten Nutzerinnen und Nutzer (22,5 %) geändert.
Einige Befragte (5,6 %) sprechen bei näherer Differenzierung von Verschlechterungen
durch das Abstandhalten (die Unterstützung wurde unpersönlicher),
durch gefühltes Alleinlassen (das Personal hält sich oft im Büro auf),
durch den hohen Krankenstand beim Personal (die Assistenzzeit für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner ist knapper),
durch stornierte therapeutische Angebote,
durch stornierte Veranstaltungen (wie organisierte Treffen mit gemeinsamem
Kaffee und Kuchen).
Manche Veränderungen bewerteten einige Befragten (von 2,8 %) positiv, nämlich
generell zusätzliche Unterstützung sowie
Seite 31 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Abbildung 2.8: Veränderung der Zufriedenheit mit den Angeboten durch Corona (Angaben
in %)
Als weitere Maßnahmen zum Schutz vor Corona, die angeboten wurden, nennen die
Befragten Bewohnerinnen und Bewohner
Separierung der Gruppen durch verschiedene Essenszeiten
Desinfizierungsmaßnahmen 2x / Tag
Übernahme des Einkaufens
Masken
Abstand halten
Händedesinfektion
Kontaktvermeidung
Schnelltests
Trennwände
Diese Vorkehrungen trafen allerdings nicht immer die Vorstellungen der Befragten,
vielmehr wären aus ihrer Sicht
andere Maßnahmen als Masken,
mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit bei den Regelungen,
Schluckimpfung und Tabletten sowie
das Ende von Corona
willkommen.
2.6 Arbeit
Für alle Bewohnerinnen und Bewohner in besonderen Wohnformen der Eingliede-
rungshilfe gibt es in der Regel einen Bezug zum Arbeitsleben.
Gut die Hälfte der Befragten (59,7 %) gab an, in einer Werkstatt für behinderte Men-
schen (WfbM) beschäftigt zu sein, gut ein Drittel (35,7 %) ist nach eigenen Angaben
in Rente (s. Tabelle 2.3). Die restlichen Personen bezeichnen sich als in Berufsausbil-
dung oder Umschulung (2,4 %), arbeitssuchend (2,4 %) oder arbeitslos (4,3 %).
Beschäftigungsstatus Häufigkeit in %
Werkstatt für behinderte Menschen 59,7
Rente 35,7
Berufsausbildung oder Umschulung 2,4
Arbeitssuchend 2,4
Arbeitslos 4,3
Quelle: Eigene Darstellung
Knapp zwei Drittel (61,54 %) der Interviewten sind mit ihrer Arbeitssituation insgesamt
sehr zufrieden oder zufrieden (s. Abbildung 2.11) und fast alle (90 %) berichten, selbst
über ihr verfügbares Geld zu entscheiden.
Während der Coronapandemie wurde der Zugang zum Arbeitsleben teilweise vollstän-
dig ausgesetzt, teilweise auch umorganisiert in die Häuslichkeit.
Beschäftigung und finanzielle Lage unter Coronabedingungen
Im Zusammenhang mit der Coronapandemie haben sich auch die Umstände der
arbeitsbezogenen Lebensgestaltung verändert.
Das bestätigen drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner (73,6 %), die zurück-
melden, das Arbeitsleben habe sich durch die Pandemie verändert. Im einzelnen wird
berichtet,
Arbeiten war zeitweise nicht erlaubt,
bei der Arbeit musste man Abstand halten,
der Arbeitsort wurde gewechselt,
Abbildung 2.12: Notwendige Unterstützung bei Dingen rund um die Arbeit (Angaben in %)
Zu Arbeit
Von den befragten Bewohnerinnen und Bewohnern waren die meisten (knapp 60
Prozent) an sich in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt oder
in Rente (36 Prozent). Die meisten äußerten sich über ihre Tätigkeit bzw. Situation
sehr zufrieden oder zufrieden, und fast alle (90 Prozent) konnten auch über ihr ver-
fügbares Geld selbst bestimmen.
Die Hälfte der Antwortenden gab an, ohne Unterstützung am Arbeitsleben (WfbM)
teilnehmen zu können.
Drei Viertel der Interviewten nennen unter der Pandemie im Bereich der Arbeit we-
sentliche Veränderungen. Beispiele wurden WfbM oder Arbeitsbereiche geschlos-
sen, Tätigkeitsfelder geändert, Gruppeneinsätze getrennt bis zur Heimarbeit. Verrin-
gert haben sich zugleich Kontaktchancen und Gruppengrößen.
Das wöchentlich verfügbare Geld blieb während der Coronazeit bei etwa 85 Prozent
der Interviewten unverändert. Nur Einzelne erwähnen, dass im Lockdown kein Ta-
schengeld ausgezahlt wurde. Andere sprechen von Chancen zu sparen, aber auch
das Ende der Freiheit, über dieses Geld zu bestimmen, wird von knapp sechs Pro-
zent berichtet.
2.8 Partizipation
Nach § 78 SGB IX ist die selbstbestimmte und eigenständige Bewältigung des Alltags
auch mit Hilfe von Assistenzleistungen intendiert, beispielsweise bei der Haushaltsfüh-
rung, der Gestaltung sozialer Beziehungen, der persönlichen Lebensplanung, der Teil-
habe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, der Freizeitgestaltung einschließ-
lich sportlicher Aktivitäten sowie der Sicherstellung der Wirksamkeit ärztlicher und ärzt-
lich verordneter Leistungen. Über die konkrete Gestaltung der Leistungen entscheiden
die Leistungsberechtigten auf der Grundlage des Teilhabeplans (§ 19 SGB IX). Dabei
sind Ablauf, Ort und Zeit der Inanspruchnahme einbezogen. Die Assistenz kann die
vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie
die Begleitung der Leistungsberechtigten umfassen. Sie beinhaltet aber insbesondere
auch deren Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung durch Fachkräfte
(qualifizierte Assistenz).
Die Formen des Zusammenlebens in besonderen Wohnformen sollen von diesen
Maßgaben geleitet sein. Dies erfordert Mitsprache und Mitbestimmung in der Alltags-
gestaltung und der Gruppenmitglieder untereinander, damit Gemeinschaft auch gelebt
werden und Unterstützung jeweils individuell passgenau gelingen kann.
Partizipation unter Coronabedingungen
Sehr viele Bewohnerinnen und Bewohner (81,03 %) äußern, unter Coronabedingun-
gen habe sich die Mitbestimmung in der jeweiligen Wohnsituation geändert (s. Abbil-
dung 2.13).
Zu Partizipation
Partizipation gilt als wesentliches gemeinschaftsbildendes und Selbstbestimmung
förderndes Mittel in der Eingliederungshilfe.
In der Coronapandemie haben sich die Partizipationschancen nach Angabe der
meisten Bewohnerinnen und Bewohner (über 80 Prozent) wesentlich verändert. Die
Rede ist von erheblichen Einschränkungen der Handlungsfähigkeit ebenso, wie von
erheblichem Informationsmangel.
Auf der Wunschliste bleiben somit mehr Angebote, Kontakte, Mitbestimmung und
Information in vielfacher Weise, auch bezogen auf Coronamaßnahmen, gemeinsam
mit weniger Maskenpflicht.
Schließlich äußern sich kaum Bewohnerinnen und Bewohner zu der Frage, wer sie
diskriminiert habe (s. Abbildung 2.14). Ein besonders großer Teil der Bewohnerinnen
und Bewohner (fast 70 %) gibt hierzu keine Auskunft.
Tabelle 2.6: Gewalterfahrungen – „Wurden Sie schon einmal gegen ihren Willen …“ (Anga-
ben in %)
in % oft hin und wieder nie keine Angabe /
weiß nicht
festgehalten oder daran 4,9 9,8 42,6 42,6
gehindert wegzugehen?
körperlich angegriffen, 5,1 11,9 47,5 35,6
z. B. heftig geschlagen,
weggeschleudert oder
getreten?
Quelle: Eigene Darstellung
Auch zum Risiko von Gewalterfahrungen war die Antwortbereitschaft eher gering.
Rund 40 Prozent der Interviewten ließen diese Fragen offen. Etwas weniger als die
Hälfte der Antworten lauten, keine entsprechenden Erfahrungen gesammelt zu ha-
ben (s. Tabelle 2.6).
Etwa fünf Prozent der Antwortenden berichten, „oft“ gegen ihren Willen festgehalten
oder am Weggehen gehindert worden zu sein. Auch körperliche Angriffe, z. B. heftig
geschlagen, weggeschleudert oder getreten worden zu sein, werden genannt.
Etwa doppelt so häufig wird berichtet, entsprechende Erfahrungen „hin und wieder“
gemacht zu haben.
Zu den Personen, die die beschriebene Gewalt ausüben, wurden auch Rückmeldun-
gen der Bewohnerinnen und Bewohner erbeten. Aber noch mehr als bei der Diskrimi-
nierungsfrage enthalten sich hier die Befragten einer Antwort (knapp 75 % antworten
nicht) (s. Abbildung 2.15).
Laut dem Viertel der Befragten, die eine Rückmeldung geben, werden Gewalterfah-
rungen gemacht mit
befreundeten Personen / Bekannten / Nachbarn (4,26 %),
Familienangehörigen (4,26 %),
anderen Personen (12,77 %), das sind Arbeitskolleginnen und -kollegen, (ehemalige)
Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, Mitschülerinnen und -schüler, Partnerinnen und
Partner sowie eine besonders bezeichnete männliche Person.
Ein Fünftel gibt an, dass sich während der Coronapandemie keine Veränderun-
gen darin gezeigt hätten, wie ihnen bei Gewalterfahrungen geholfen wurde.
Eine Einzelperson (1,7 %) berichtet von einer Verbesserung der Unterstützung
in Gewaltsituationen, erläutert dies aber nicht näher.
Die Mehrheit der Befragten (78,3 %) macht in diesem Fragenbereich keine An-
gaben.
3 Perspektiven der
Leitungsebene Eckdaten der Auswertung
Es wurden N=19 Einrichtungen der besonderen
Wohnformen einbezogen.
Die Rückmeldungen wurden digital gegeben. Die
Eingabe dauerte zwischen 18 und 80 Minuten.
Die Befragungen begannen am 12. Dezember 2021
und erstreckte sich auf den Zeitraum bis zum 12.
April 2022.
Für diesen Bericht wurden ausgesuchte Fragen
bearbeitet.
Die Befunde sind in sieben Bereiche untergliedert
dargestellt.
[3.1]
[3.2]
Hier wird die Perspektive der Leitungspersonen von besonderen Wohnformen wieder-
gegeben. Die Angaben aus insgesamt 19 Wohneinrichtungen sind einbezogen.
Befragt wurde über den eigens im Forschungsprojekt entwickelten
„Fragebogen zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen
in Einrichtungen der Eingliederungshilfe (besonderen Wohnformen)“ (LeBo)
(s. Anhang).
Seite 47 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Die Befragung fand digital statt. Die jeweilige Bearbeitungsdauer pro LeBo beträgt zwi-
schen 18 bis 80 Minuten (Verweildauer im SoSci-System1). Das Angebot einer face-
to-face Interviewbefragung nahm keine Einrichtung in Anspruch.
Personen waren zur Rückmeldung eingeladen, die die Sicht der Einrichtung in leiten-
der Verantwortung kennen und den erforderlichen Überblick (Wissen zu Planung und
Ressourceneinsatz) einbringen können, aber dennoch nahe am Alltagsgeschehen
(operative Ebene) sind. Diese Personen sind oft identisch mit der Leitungsebene, aber
auch – beispielsweise in sehr großen Wohneinrichtungen – aus dem Mittleren Ma-
nagement. Jede Einrichtung traf die Vertretungsentscheidung unabhängig. Die ge-
wählte Person stimmte dann ihrer Teilnahme zu.
Für diesen Bericht wurden Teile der gewonnenen Informationen ausgewählt; die aus-
führlichen begleitenden (vor- und nachbereitenden mündlichen Kommunikationen und
andere wissenschaftliche Quellen) sind noch nicht einbezogen.
Das Planziel (20 Einrichtungen) wurde fast erreicht. Weitere Wohneinrichtungen sind
zur Teilhabe bereit und vorbereitet, konnten aber wegen externer Faktoren (Absagen
wegen Erkrankung oder Quarantänepflicht im Rahmen der W OGE 2020-Studie) nicht
mehr befragt werden. Weitere Erfahrungsschätze aus der Praxis zu heben, wäre mög-
lich und eine Chance, die große Gesprächsbereitschaft in einem Leistungsfeld zu wür-
digen, das mit großem Einsatz die Daseinsvorsorge für die Bewohnerinnen und Be-
wohner sicherstellen will und das sich in der Pandemie oft mehr Aufmerksamkeit und
Verständnis der Lage wünscht.
Folgende sieben Berichtsfelder dienen dazu, die Datenqualität zu erläutern sowie die
Ausgangslage und die Lage während der Pandemie zu beschreiben. Sie werden im
Folgenden kurz dargestellt:
Einrichtungsbezogene Informationen
Ausgangslage in den Einrichtungen vor der Pandemie
Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen
Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Bewohnerinnen und Bewohner
Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Personal
Exklusionsrisiken
Erkenntnisse aus der Pandemie
1Der Onlinefragebogen wurde mittels SoSci Survey (Leiner 2019) realisiert und den Teilnehmenden auf
www.soscisurvey.de zur Verfügung gestellt.
Seite 48 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
[3.3]
Schles-
wig-Hol- Mecklenburg-
stein Vorpommern
Nordrhein-
Westfalen
Baden- Bayern
Württem-
berg
Die Studie bildet insofern in angemessener Weise bestehende Strukturen der beson-
deren Wohnformen ab.
3.1.4 Förderschwerpunkte der Einrichtung
Bezogen auf die fachliche Ausrichtung der Wohnanbieter findet sich ebenso ein Spie-
gel der Versorgungsstrukturen im Bereich der besonderen Wohnformen in der Einglie-
derungshilfe.
Mehr als die Hälfte der erfassten Ein- Abbildung 3.4: Förderschwerpunkte der Einrich-
richtungen ordnet sich dem Förder- tung
schwerpunkt Geistige Behinderung zu
(53,85 %). Die mit knapp einem Viertel
der Nennungen (23,08 %) nächst-
größte Subgruppe „Sonstige“ umfasst
Einrichtungen mit Angeboten, die sich
an Menschen mit geistigen, körperli-
chen und / oder seelischen / psychi-
schen Beeinträchtigungen, mit geisti-
gen und sog. schwerstmehrfachen
Beeinträchtigungen richten oder die
sich auch als fakultativ geschlossene
Einrichtung der Behindertenhilfe be- Sonstige: geistige, körperliche und/oder seelische/psychische
Behinderungen; geistige und schwerst-mehrfache Behinderung;
zeichnen. fakultativ geschlossene Einrichtung der Behindertenhilfe
Quelle: Eigene Darstellung
Kleinere Anteile haben Wohneinrichtungen (zu jeweils 7,69 %), die sich spezifisch
auf Beeinträchtigungen / psychische Erkrankung, sog. schwerstmehrfache Beein-
trächtigungen sowie körperliche Beeinträchtigungen fokussieren.
Abbildung 3.12: Einschränkung der ge- Abbildung 13: Einschränkung der gemeinsa-
meinsamen Mahlzeiten – zu Beginn der men Mahlzeiten – zum Befragungszeitpunkt
Pandemie
Zum Zeitpunkt der Befragung geben alle Einrichtungen an (100 %), den Bewohnerin-
nen und Bewohnern das Verlassen der Wohnstätte nicht generell zu verbieten (s. Ab-
bildung 3.23).
3.3.10 Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten zu verlassen
Fast analog steht es um die Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten zu verlas-
sen. Eingangs gab es entsprechende Regelungen bei wenigen Anbietern (7,69 %).
Die meisten (92,31 %) der Einrichtungen versichern, man habe bereits zu Beginn der
Pandemie keine entsprechenden Verbote erlassen (s. Abbildung 3.24).
Auch diese Reglementierung ist zum Befragungszeitpunkt – bezogen auf Ausgehver-
bote zu bestimmten Zeiten – in keiner Einrichtung mehr üblich (s. Abbildung 3.25).
Abbildung 3.24: Verbote, die Einrichtung Abbildung 3.25: Verbote, die Einrichtung zu
zu bestimmten Zeiten zu verlassen – zu bestimmten Zeiten zu verlassen – zum Befra-
Beginn der Pandemie gungszeitpunkt
In der Zeitspanne bis zur Befragung sinkt diese laufende Prüfung der Verhältnismä-
ßigkeit von Einschränkungen allerdings um etwa zehn Prozent (auf 76,92 %). Nun
prüfen etwas mehr Einrichtungen (23,08 %) die Angemessenheit von Einschränkun-
gen nicht mehr so regelmäßig (s. Abbildung 3.27).
3.3.12 Regelmäßige Schulung von Personal
Zu Beginn der Pandemiezeit erfolgte die Schulung des Personals in den meisten Ein-
richtungen regelmäßig (84,62 %), während wenige Einrichtungen (15,38 %) keine ent-
sprechenden Angebote machten (s. Abbildung 3.28).
Im Laufe der Pandemie verringerten sich die Schulungsangebote der Einrichtungen
leicht (auf 76,92 %). Nun steigt entsprechend die Zahl der Wohnanbieter, die ihr Per-
sonal nicht mehr regelmäßig schulen, auf fast ein Viertel (23,08 %) (s. Abbildung 3.29).
Abbildung 3.28: Regelmäßige Schulung von Abbildung 3.29: Regelmäßige Schulung von Perso-
Personal – zu Beginn der Pandemie nal – zum Befragungszeitpunkt
Die eingangs häufiger (in etwa einem Drittel der Einrichtungen) verordneten getrenn-
ten Mahlzeiten wurden als Maßnahme schließlich nur noch von wenigen Anbietern
praktiziert.
Begegnungen in der Freizeit wurden zunächst von einem Großteil (drei Viertel der
Anbieter) eingeschränkt, zum Erhebungszeitpunkt blieb dies nur noch bei einem
Viertel der Anbieter umgesetzt.
Analoges lässt sich zu den anfangs mehrheitlich ausgesetzten Werkstatttätigkeiten
berichten. So wurden Arbeitstätigkeit und Begegnungen mit Arbeitskolleginnen und
-kollegen häufig wieder möglich.
Außenkontakte durch private Besucherinnen und Besucher waren zu Pandemiebe-
ginn weitgehend (in etwa 85 Prozent der Einrichtungen) ganz untersagt oder erheb-
lich eingeschränkt. Hier lässt sich eine Öffnung beobachten. Allerdings untersagte
im Befragungszeitraum noch immer knapp ein Drittel der Anbieter Besuche.
Zunächst in erheblichem Ausmaß (knapp 70 Prozent) eingestellte externe Arzt- und
Therapiebesuche waren zum Befragungszeitpunkt bereits wieder vollständig mög-
lich. Es gebe hier keine Limitierungen mehr, war unisono die Botschaft.
Ein generelles Ausgehverbot erließen nur wenige Anbieter (etwa 15 Prozent). Zum
Befragungszeitpunkt gab es keine Einrichtung mehr, die angibt, ihre Bewohnerinnen
und Bewohner grundsätzlich am Verlassen der Wohnform zu hindern.
Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass es zugleich auch wenige spezifische Aus-
gehverbote gibt. Die meisten Einrichtungen haben nach eigenen Angaben in der
gesamten Beobachtungszeit auch auf solche Verbote verzichtet. Für die Befra-
gungszeit bestätigen dies alle Anbieter.
Im Pandemieverlauf wurden systematische Überlegungen, ob die bestehenden
Maßnahmen angemessen sind, tendenziell etwas laxer gehandhabt. Eingangs be-
richten solche Prüfungen nämlich die meisten Einrichtungen (etwa 85 Prozent).
Diese Selbstkontrolle sinkt dann leicht auf etwa 75 Prozent. Das bedeutet, dass ein
Viertel der Anbieter nicht regelmäßig die Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen
prüft.
Entsprechendes gilt für die Schulung des Personals.
Insgesamt werden zwischen Beginn der Pandemie und dem Erfassungszeitpunkt
spezifische Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen eher gelockert, soweit sie die
Bewohnerinnen und Bewohner und die Daseinsvorsorge für diese betreffen.
oben dargelegt finden sich dazu auch vielfach Ansätze und Überlegungen. Eine Kern-
frage bleibt, ob mögliche und notwendige Schutzmaßnahmen von den Bewohnerinnen
und Bewohnern auch wahrgenommen, verstanden und umgesetzt wurden. Dies wird
im Folgenden aus der Leitungsperspektive berichtet.
Hierzu zeigt eine Übersicht, dass zwischen Wahrnehmen einer Anordnung, dem Ver-
stehen der Vorgaben und deren Umsetzung im Einklang mit den Bewohnerinnen und
Bewohnern nennenswerte Unterschiede erkennbar sind. Letztlich wird deutlich, dass
aus der Position der Institution heraus,
besondere Wohneinrichtung mit Auftrag der Gesundheitssorge und
unter der Kontrolle externer Faktoren wie amtliche bzw. gesetzliche Vorgaben
sowie
Sorge für die Organisation und das beschäftigte Personal
nicht immer die Beteiligung und Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner
im Umsetzungsprozess Vorrang hatten und haben konnten (s. Abbildung 3.30).
Abbildung 3.30: Umsetzung der Schutzmaßnahmen für und durch die Bewohnerinnen und
Bewohner im Überblick
… wurde … wurde verstanden …konnte umgesetzt
wahrgenommen werden
Das Aufstellen von Aushängen zu aktuellen Hygienevorgaben... 61,54% 46,15% 92,31%
Eine verständliche Kommunikation zum Einhalten der Hygiene- und 53,85% 53,85% 84,62%
Verhaltensmaßnahmen…
Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (falls es der Person möglich ist), während 76,92% 46,15% 92,31%
der Besuchszeit von Bewohnerinnen bzw. Bewohnern…
Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung… 53,85% 46,15% 100,00%
Dies bedeutet aber nicht, dass sie auch verarbeitet, also verstanden, werden. Hier
sehen die Antwortenden eine Differenz.
Es wird von Seiten der Anbieter geschätzt, dass die genannten Aushänge
nur von weniger als der Hälfte der Zielgruppe (46,15 %) auch verstanden wer-
den, während dies bei der Mehrheit (53,85 %) nicht der Fall ist.
In fast allen Einrichtungen
konnten Aushänge zur Zeit der Befragung umgesetzt werden (92,31 %),
nur selten (7,69 %) ist also der Aushang der Hygienevorgaben und anderer Re-
geln nicht erfolgt.
3.4.2 Kommunikation zum Einhalten der Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen
Weitere verständliche Kommunikationsformen (über Aushänge hinaus) zum Einhalten
der Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen (Händedesinfektion, Abstandgebot, Husten-
und Niesetikette) wurden jeweils aus Sicht der Leitungsebene
von gut der Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner (53,85 %) wahrgenom-
men, zugleich von knapp der Hälfte (46,15 %) nicht wahrgenommen.
Dies bedeutet aber nicht, dass sie auch verarbeitet, also verstanden, werden. Hier
sehen die Antwortenden keine Differenz. Was (über Aushänge hinaus) kommuniziert
und wahrgenommen wurde,
verstanden analog zur Wahrnehmung etwas über die Hälfte (53,85 %) gegen-
über etwas weniger als der Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner (46,15 %).
Eine entsprechend verständliche Kommunikation wurde versucht, konnte in den Ein-
richtungen aber verglichen mit den Aushängen (84,62 % Zustimmung, gegenüber
15,38 % Nicht-Zustimmung) etwas seltener umgesetzt werden.
3.4.3 Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung
Das Gebot, während der Besuchszeit eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (falls es
der Person möglich ist), wurde aus Sicht der Anbieter
von gut drei Vierteln (76,92 %) der Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenom-
men, von einem knappen Viertel (23,08 %) hingegen nicht.
Dagegen wurde sie nur
von knapp der Hälfte der Betroffenen verstanden (46,15 %), von der anderen
Hälfte jedoch nicht (53,58 %).
Die Einrichtungsleitungen geben hingegen an, dass die entsprechende Schutzmaß-
nahme während der Besuchszeiten
in der Regel (zu 92,31 %) kommuniziert werden und
nur in wenigen Fällen (7,69 %) nicht umgesetzt werden konnte.
3.4.4 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung
Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtungen wurde aus Leitungs-
perspektive
von gut der Hälfte (53,85 %) der Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenom-
men,
bei knapp der Hälfte (46,15 %) war dies nicht der Fall.
Wahrnehmen und verstehen liefen jedoch nicht immer Hand und Hand.
Weniger als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner haben die Kontaktein-
schränkungen in der Einrichtung nämlich auch verstanden (46,15 %),
bei gut der Hälfte (53,85 %) war dies nicht der Fall.
Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung konnten 100 Prozent um-
gesetzt werden; wobei diese Limitationen von einem Großteil der Bewohnerinnen und
Bewohner weder wahrgenommen noch verstanden wurde.
3.4.5 Einschränkung der Arzt- / Therapiebesuche
Nach Auskunft der Leitungsebenen wurden die eingeschränkten Besuche bei ärztli-
chen oder therapeutischen Diensten
von etwas mehr als der Hälfte (53,85 %) der Bewohnerinnen und Bewohner
wahrgenommen, während dies
bei knapp der Hälfte (46,15 %) nicht der Fall war.
Die Bewohnerinnen und Bewohner haben die Einschränkungen der Arzt- und Thera-
piebesuche
zu mehr als zwei Dritteln (69,23) nicht verstanden, während
von einem knappen Drittel (30,72 %) angenommen wird, dass sie eine Vorstel-
lung von den ausgesetzten Arzt- und Therapiebesuchen hatten.
Dennoch konnte die Einschränkung
weitgehend umgesetzt werden (92,31 %), während ein Großteil der Bewohne-
rinnen und Bewohner dies weder wahrgenommen noch verstanden hatte.
Nur in seltenen Fällen erfolgten dennoch Arzt- oder Therapiebesuche außer-
halb der Einrichtung (7,69 %).
3.4.6 Verbot, die Einrichtung generell zu verlassen
Das Verbot, die Einrichtung generell zu verlassen, haben - glauben die Leitungsebe-
nen - Bewohnerinnen und Bewohner
kaum wahrgenommen (7,69 % gegenüber 92,31 %).
Analog geht man davon aus, dass ein Bleibegebot
in erheblichem Umfang (92,31 %) auch nicht verstanden wurde, nur
bei wenigen Bewohnerinnen und Bewohnern sei dies anders (7,69 %).
Das Verbot, die Einrichtung zu verlassen, wurde aber
faktisch weitgehend (in 76,92 % der Einrichtungen, gegenüber 23,08 %) um-
gesetzt,
während aus Sicht der Anbieter ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner dies
weder wahrnahm noch verstanden habe.
Im Rahmen der ersten Datenauswertung wurde nur ein bisher nicht genannter Aspekt
herausgegriffen, nämlich die Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Bewohnerin-
nen und Bewohner, aus Sicht der Leitungsebene.
Zu einem erheblichen Teil fällt die Kommunikation mit den Bewohnerinnen und Be-
wohnern in den Aufgabenbereich des Personals. Hinzu kommt aus Sicht der Leitungs-
ebene der Austausch mit ihren jeweiligen Angehörigen bzw. Gesetzlichen Betreuungs-
personen.
Abbildung 3.31: Wahrgenommene
Zusammenarbeit des Personals mit den
Angehörigen der Bewohnerinnen und
Bewohner
Die Aufgabe der Zusammenarbeit mit
den Angehörigen der Bewohnerinnen
und Bewohner wurde aus der Lei-
tungsperspektive vom Großteil des
Personals (84,62 %) wahrgenommen,
von einem kleineren Teil (15,38 %)
hingegen nicht wahrgenommen (s.
Abbildung 3.31).
3.6 Exklusionsrisiken
Chancen auf gesellschaftliche Inklusion in einer Vielzahl von Rollen sind Anliegen und
Anspruch in der Systematik der Eingliederungshilfe. In Zeiten der Pandemie waren
zeitweise viele Menschen darauf verwiesen, alle ihre Rollen aus einer Position (des
Wohnens) heraus auszuüben. Bildung, Arbeit, Freizeit, Gemeinschaft, Rekreation und
Gesundheitsvorsorge, um Beispiele zu nennen, werden also räumlich limitiert. Ob die
Teilhabechancen der Bewohnerinnen und Bewohner in den besonderen Wohnformen
in ähnlicher Weise eingeschränkt oder auch ermöglicht werden konnten, verdient be-
sondere Aufmerksamkeit. Es ist wichtig zu erkennen, ob stattdessen die Risiken eines
Ausschlusses bestehen, ohne in soziale Beziehungssysteme eingeschlossen zu sein.
Seite 70 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Hierzu werden Aspekte und Informationen näher ausgeführt, gestützt auf die Perspek-
tiven der antwortenden Leitungsverantwortlichen.
3.6.1 Isolationsrisiken - Angehörigenkontakte
Die Frage war, ob es Bewohnerinnen und Bewohner, gab, die seit Coronabeginn ohne
Angehörigenkontakte blieben.
Abbildung 3.34: Angehörigenkontakte der
Bewohnerinnen und Bewohner seit
Pandemiebeginn
Für eine kleinere Gruppe der Bewoh-
nerinnen und Bewohner (10 %) geben
die Einrichtungsleitungen an, dass sie
seit Pandemiebeginn keine Angehöri-
genkontakte mehr hatten (s. Abbil-
dung 3.34).
Bei einer kleineren Gruppe (15,38 %) der Bewohnerinnen und Bewohner kümmerte
sich seit Beginn der Coronapandemie außer den Diensten der Einrichtung tatsächlich
keine Person.
In der Dimension eines guten Drittels (38,46 %) werden Kirchengemeindemitglieder
als „Kümmerer“ genannt, gefolgt von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern (30,77
%), gleichauf mit Freundinnen und Freunden sowie Familie (jeweils 7,69 %). Gesetz-
liche Vertretungen oder Sonstige werden nicht erwähnt (s. Abbildung 3.36).
Abbildung 3.36: Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner seit Pandemiebeginn
ser sind nicht in der Lage diese Personen zu betreuen. Keine Aufnahmemög-
lichkeiten vor einer Beatmungspflicht. Auch der Katastrophenschutz ist auf die-
sen Personenkreis nicht eingestellt. Infizierte Personen mussten mit den übli-
chen Ressourcen betreut und auch medizinisch versorgt werden. Pädagogi-
sche Einrichtungen können das nicht leisten. Die Reaktionszeit zur Kontaktper-
sonenermittlung durch das Gesundheitsamt dauert für Betreuungseinrichtun-
gen deutlich zu lange. Die Einrichtungen müssen ein eigenes Sicherheitssys-
tem entwickeln, das die besondere Situation der Wohnformen berücksichtigt.
Große Einrichtungen können Kooperationen mit weniger betroffenen Einrich-
tungsteilen schließen, um die Betreuung zu gewährleisten.“ (ID_56)
„Gute Kommunikation ist entscheidend. Humor hilft. Zusammenhalt zählt. Wir
können uns aufeinander verlassen. Zusammen geht alles leichter. In der Krise
ist mehr Entwicklung möglich, da die Bürokratie dem Pragmatismus weicht.“
(ID_58)
„Ja: Es ist dringend erforderlich den Bereich Pflege von der Eingliederungshilfe
zu trennen. Die Vorgaben aus dem Bereich Pflege machen bei uns häufig kei-
nen Sinn und sind kaum umsetzbar. Unsere Klientel ist deutlich mobiler und
weniger vulnerabel. Viele gehen in die Arbeit (WfbM). Menschen mit geistiger
Behinderung arbeiten häufig in einer Werkstatt und haben dort viele Kontakte.
Gleichzeitig leben sie bei uns und dürfen hier ihre Freunde nicht treffen bzw.
nur im Freien. Das ist für viele nicht nachvollziehbar und sehr belastend. Über
den Sommer konnten Lockerungen gemacht werden, jetzt sind wieder alle grup-
penübergreifenden Aktionen abgesagt. Die Mitarbeiter dürfen noch nicht mit
den Bewohnern an einem Tisch essen, außer sie gehen in ein Restaurant. Die
familiäre Atmosphäre existiert seit fast zwei Jahren nicht mehr. Dadurch ist erst
aufgefallen wie wichtig das für unsere Bewohner ist. Sie formulieren auch heute
noch, wie schrecklich sie das finden.“ (ID_55)
„Vieles war möglich und umsetzbar, was vor der Pandemie nicht vorstellbar war;
Bewohnerinnen und Bewohner zeigten Kompetenzen und Verantwortung die
vielen nicht zugetraut wurde; der Zusammenhalt in der Einrichtung war gerade
zu Beginn der Pandemie sehr groß; die Solidarität vieler Mitarbeitender war be-
eindruckend; die Auswirkungen auf die Arbeitssituation der MA war massiv
(FFP2-Masken durchgehend im Dienst tragen), erhebliche Flexibilität bei der
DP-Gestaltung war gefordert; in einer Einrichtung unserer Größe bedeutet die
Umsetzung der Schutzmaßnahmen enorme Einschränkungen für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner bzw. Mitarbeitenden.“ (ID_68)
„Umgang mit einer pandemischen Lage. Umgang mit positiven Fällen bei Mit-
arbeitern und Bewohnern. Zusammenhalt der Betreuungspersonen stieg
enorm, wobei die ständige Anspannung aufgrund des zusätzlichen Arbeitsauf-
wands auch zu teilweise starken emotionalen Konflikten führte. Stärkung des
Betreuungspersonals muss gerade in solch schwierigen Zeiten regelmäßig ge-
schehen (zusätzliche Zahlungen, Naschkörbe in den Büros, freie Getränke, re-
gelmäßige Gesprächsangebote durch Leitungen).“ (ID_51)
„wie wichtig die sozialen Kontakte für die Bewohner untereinander sind“ (ID_62)
Die Leitungsebene nennt eine Anzahl von Dingen, die im Laufe der Pandemie da-
zugelernt wurden.
Die Organisation der Verantwortungsbereiche, Maßnahmen und Kommuni-
kationen muss auf personaler und institutioneller Seite rechtzeitig und struk-
turiert erfolgen, beispielsweise über einen Corona Stab. Man lernt moderner
und agiler zu arbeiten. Dazu dient beispielsweise die wachsende digitale
Kompetenz.
Es gab unangemessene Einschränkungen für die Bewohnerinnen und Be-
wohner, während diese sich zugleich als belastbarer als erwartet zeigten.
Psychische Begleitung ist von besonderer Bedeutung und wird es bleiben.
Der Umgang mit einer Pandemie muss und sollte „gelernt“ werden. Dazu ist
auch gute Information und Kommunikation wesentlich.
2Nach § 1906 Abs. 4 BGB müssen Freiheitsentziehungen in offenen Einrichtungen grundsätzlich dann
vom Betreuungsgericht genehmigt werden, wenn sie in ihrer Wirkung auf die Bewegungsfreiheit des
Patienten einer Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gleichkommen.
Seite 76 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Aus Sicht der Leitungsebenen zeigen sich einige Aspekte, die verbesserungswürdig
sind. Hierzu werden Beispiele für Lösungen genannt:
Eine „Gleichschaltung“ [ID_68] der Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen
der Eingliederungshilfe darf nicht stattfinden.
Insgesamt sollen Pflege- und Betreuungsberufe in ihrer Bedeutung besser
erkannt und gewürdigt werden. Mehr Wertschätzung ist erforderlich.
Die Exklusion (Kontaktsperre) der Bewohnerinnen und Bewohner wird sehr
kritisch eingeschätzt. Sie soll sich keinesfalls wiederholen.
Mehr Menschlichkeit und eine Präventionsorientierung gegenüber Bewohne-
rinnen und Bewohnern ebenso wie gegenüber dem Personal werden emp-
fohlen. Dies soll nachhaltig und nicht nur unter Pandemiebedingungen Ziel
sein.
Mehr Augenmaß für Maßnahmen wird dringend empfohlen, verbunden mit
einer Verbesserung der Personalsituation.
Es geht auch um die Verlässlichkeit von behördlichen Vorgaben, statt ständi-
ger Änderungen von Seiten der Gesundheitsämter: Im Bereich der Zusam-
menarbeit (insbesondere mit dem Gesundheitsamt) sind wesentliche Verbes-
serungen gewünscht.
Digitale Lösungen sollen ausgebaut werden.
3FQA: Fachstelle für Pflege und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA),
Nachfolgeeinrichtung der Heimaufsicht nach PfleWoqG: Gesetz zur Regelung der Pflege-, Betreuungs-
und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG) vom 8.
Juli 2008 (GVBl. S. 346) BayRS 2170-5-G
Seite 80 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Von wem die Leitungsebenen recht einvernehmlich Lösungen erwarten, wird in den
folgenden Stellungnahmen sichtbar:
„Es braucht politische Lösungen. Soziale und pflegerische Berufe benötigen ein
besseres Image und eine bessere Bezahlung.“ (ID_58)
„Ja: Politiker, heute so und morgen wieder ganz anders“ (ID_66)
„klarere Vorgaben durch die Politik“ (ID_62)
„Ministerpräsident des Landes bezüglich der emphatischen Sichtweise auf
Menschen mit Beeinträchtigung. Überstülpende Fürsorge ist nicht wertschät-
zend.“ (ID_67)
„Politische Verantwortungsträger, Behörden (Gesundheitsämter)“ (ID_68)
Im Folgenden wird eine erste Auswertung der zentralen Ergebnisse aus dem Ge-
spräch mit dem Fachpersonal in besonderen Wohnformen vorgestellt. Dadurch kann
ein Eindruck der coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen
der Eingliederungshilfe aus Perspektive der Assistenzpersonen im Gruppendienst ge-
wonnen werden.
[4.2]
Nun geht es um die Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Alltags-
geschehen – rund um die Wohnangebote der Eingliederungshilfe – gestalten. Sie un-
terstützen die Bewohnerinnen und Bewohner mit direkten personenbezogenen Assis-
tenzen der Lebensführung, aber sie erfüllen auch Aufgaben im organisatorischen Feld
über Abläufe, Gesundheitssorge, Regelwerke, Dokumentationen, ebenso wie mit Ge-
meinschaftserfahrungen bei Festen und Feiern oder über psychische Begleitung von
Gruppen und Individuen. Alle diese Aktivitäten finden auch im Teambezug statt, so
dass sich unter Pandemiebedingungen gewohnte und notwendige Interaktionen mit
Isolationsbestrebungen überkreuzen.
Im Dienst ist physische Distanz ebenso kaum möglich, wie sich zu distanzieren von
Versorgungsaufgaben, die unter Pandemiebedingungen weit in das private Leben die-
ser Personengruppe hineinreichen. Denn das Personal hat selbst mit den coronabe-
dingten Gesundheitsrisiken zu leben und ist zugleich im Einsatz für eine Klientel, die
auf Unterstützung zwingend angewiesen ist.
Das Fachpersonal äußert sich in Fokusgesprächen (FaFo) entsprechend dem
Leitfaden zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen
in Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf Fachpersonalebene
(s. Anhang).
Zwischen zwei und sieben Personen unterhielten sich in einer gemeinsamen Ge-
sprächssituation, begleitet von einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler.
Sie fanden entweder physisch in den Einrichtungen in möglichst großen Sitzungsräu-
men bzw. im Freien (neunmal) oder digital (zweimal) statt. Die Teilnahme war freiwillig,
die Gruppenzusammensetzung erfolgte nach Teilnahmebereitschaft. Die meisten Mit-
arbeitenden kamen aus dem direkten Gruppendienst.
Im Folgenden wird also die Perspektive des Fachpersonals aus ausgewählten Fokus-
gruppen zusammengefasst. Dabei wird die Spanne vom Pandemiebeginn bis zur Zu-
kunftserwartung strukturiert betrachtet.
[4.3]
Die Zusammenstellung der Ergebnisse aus allen Fokusgruppen wird als Beschreibung
der Lage mit Blick auf eine Mit-Corona-Lage „zu Beginn, während und zukünftig“ ge-
gliedert. Die Originalzitate sind aktuell pragmatisch zwei ausgewählten Fokusgruppen
entnommen, die die Lage in Einrichtungen mittlerer Größe und Großeinrichtungen mit
unterschiedlicher an religiösen Bekenntnissen orientierten Trägerschaft und in eher
kleineren städtischen sowie metropolartigen Umgebungen wiedergeben. Zugleich lie-
gen sie geografisch konträr auf einer bundesdeutschen Nord-Süd-Achse.
Aspekte der Lagebeschreibung aus den Fokusgruppeninterviews sind beispielsweise
Maßnahmen und ihre Umsetzung, neue Anforderungen und Aufgabenbereiche, Her-
ausforderungen und auch positive Erfahrungen, die artikuliert werden. Es geht einer-
seits um das Fachpersonal und dessen Sorge um die Gesundheitsrisiken der Bewoh-
nerinnen und Bewohner sowie um Schutzaufgaben am Arbeitsplatz. Aber es geht an-
dererseits ebenso um die Umsetzung der Aufgaben unter Pandemiebedingungen,
trotz der Sorgen um die eigene Gesundheit und um Leistungsgrenzen. Schließlich
werden auch zentrale Erfahrungen und Wünsche für die Zukunft angesprochen.
4.2 Lagebeschreibung zu Pandemiebeginn
Das Fachpersonal der Einrichtungen berichtet, dass die komplette Einschränkung der
Sozialkontakte zu Beginn der Pandemie die Lage in den einzelnen Wohnformen für
die Bewohnerinnen und Bewohner in hohem Maße geprägt hat. So waren keine Be-
suche mehr von oder bei Angehörigen, Partnerinnen und Partnern oder Freundinnen
und Freunden möglich. Anfangs waren auch im Freien keine Treffen erlaubt. Während
Bewohnerinnen und Bewohnern, die im Bett bleiben mussten, Besuche in der Regel
verweigert wurden, wurde im Sterbefall eine Ausnahme ermöglicht, damit Angehörige
sich verabschieden konnten. Für die Bewohnerinnen und Bewohner, die normaler-
weise ohnehin selten Besuche von Angehörigen und Familie erhielten, bedeutete de-
ren Wegfall einen tragischen Verlust.
„Weihnachten nicht nach Hause, Feiertage nicht nach Hause, Geburtstage kein
Besuch.“
MITARBEITERIN 3, E7
„Bei uns in der Gruppe ist auch aufgefallen, wir haben ja irgendwo noch Möglich-
keiten, auch wenn wir unsere Angehörigen nicht sehen, sie irgendwie zu erreichen.
Wir schreiben mit denen auf WhatsApp, anrufen, Sonstiges. Bei unseren Bewoh-
nern ist es halt ganz oft so, dass sie darauf angewiesen sind, dass der Angehörige
anruft und sonst sind sie natürlich Besuche gewohnt, also, dass die mal heimfahren
dürfen. Und wir haben jetzt z. B. bei uns einen Bewohner auf der Gruppe, der ist
immer Ostern und Weihnachten zuhause. Während dem Lockdown durfte er Weih-
nachten nicht nach Hause, Weihnachten war es dann erstmal nicht sicher. Er hat
fast ein Jahr seine Familie nicht gesehen. Und das dann auch noch zu erklären,
warum er sie nicht sehen darf, das ist dann halt schon sehr schwierig.“
MITARBEITERIN 2, E1
Die Bewohnerinnen und Bewohner durften auch keine anderen Gruppen innerhalb der
Einrichtungen mehr besuchen, Werkstätten und Tagesstätten waren geschlossen.
Programme zur Förderung von Teilhabe und Verselbstständigung sowie kognitiver Sti-
mulierung waren in der Folge über mehrere Monate gänzlich ausgesetzt, wodurch bei
Seite 84 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
sondern die müssen und die hocken dann 24 Stunden sieben Tage die Woche
aufeinander. Und du sollst das dann handlen mit einer FFP-2-Maske“
MITARBEITER 1, E1
„Das ist wirklich auch schwierig, immer wieder in Erinnerung zu bringen, Masken
zu tragen.“
MITARBEITERIN 2, E7
Die intensive Beschäftigung mit den Nachrichten zur Pandemie in den digitalen Medien
verstärkte nicht nur das Bedürfnis, am Leben der Allgemeinbevölkerung teilzunehmen,
sondern auch die Ängste der Bewohnerinnen und Bewohner vor einer Ansteckung mit
dem Coronavirus. Die Mitarbeitenden waren stetig angehalten, die Ängste auszuba-
lancieren, relevante Informationen von irrelevanten zu trennen, zu erklären, zu vermit-
teln. Dies leisteten sie trotz ihrer eigenen Ängste vor einer Ansteckung sowie ihrer
Unsicherheiten in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie.
„Naja, ganz am Anfang hat einfach jeder Angst gehabt. Und wir mussten ja nicht
nur für uns selber sorgen, sondern auch für die Leute, weil wie sollen sie es denn
auch meistern? Weil, klar, es war kein Verständnis da, wir mussten im Prinzip für
mehrere Personen da sein.“
MITARBEITERIN 2, E1
„Bei mir war es am Anfang eher so, ich habe relativ fitte Bewohner auch, die auch
Außenkontakte kriegen und aber auch so etwas wie über das Internet oder Face-
book sich Informationen geholt haben und die dann ständig in Panik verfallen sind,
wenn sie dann damals diese Massengräber und anderes gesehen haben und ge-
sagt haben ‚alle sterben, sterben wir auch?‘ Und gleichzeitig, ‚ich darf nicht zu mei-
nem Freund gehen und mit ihm darüber reden‘, also puh, das war so für mich ei-
gentlich das Schlimmste, zu sagen ‚du musst dableiben, du kannst jetzt nicht. Du
kannst mit uns spazieren gehen, du kannst mit uns..., wir gehen für euch einkaufen,
du kannst nicht mehr mit zum Einkaufen‘, das war ja am Anfang so, dass es hieß:
gar nix!“
MITARBEITERIN 3, E1
„Ja sicher, klar! Das belastet einen ja selber auch wieder, wenn man dann merkt,
jetzt habe ich vielleicht wieder irgendetwas gesagt, was mich jetzt belastet, das
hätte ich vielleicht jetzt nicht sagen sollen, ich habe wieder irgendetwas ausgelöst
damit. Also es war schon krass.“
MITARBEITERIN 3, E1
Die Anfangszeit der Pandemie war gekennzeichnet durch einen Mangel an verfügba-
rer Schutzkleidung, an Masken und Desinfektionsmitteln. Im weiteren Verlauf der Pan-
demie konnte diese Situation jedoch deutlich verbessert werden.
Gewisse Hygienevorschriften wurden für bestimmte Personengruppen als nicht um-
setzbar gewertet: So erlaubte das Zusammenleben auf engem Raum kaum, den ge-
forderten Mindestabstand einzuhalten. Des Weiteren prägt das Bedürfnis nach körper-
licher Nähe das Verhalten von Menschen mit spezifischen Beeinträchtigungsformen,
was durch die Einschränkungen nicht einfach abgestellt werden kann. Sind die Be-
zugsbetreuerinnen und -betreuer darüber hinaus die einzigen Bezugspersonen, wird
es von diesen als unmenschlich eingestuft, Umarmungen zu verwehren. Selbst das
Seite 87 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
„Das musste man dann auch im privaten Bereich handlen, weil dann war zum Bei-
spiel bei meinem Sohn in der Schule auch Lockdown, dann weiß man, der ist jetzt
daheim, aber ich muss ja eigentlich früher..., also es ist irgendwie alles durcheinan-
dergeraten.“
MITARBEITERIN 4, E1
„Es waren auch immer lange Dienste. Wir mussten ja auf einmal 24 Stunden ab-
decken und nicht nur den Abend und den Morgen.“
MITARBEITER 1, E1
„Ja, also es war wirklich krass, die eigene Arbeit war wirklich Limit. Dieses nach
Hause-Kommen, völlig platt zu sein, 24-Stunden-Dienste einer nach dem anderen
zu schieben...“
MITARBEITERIN 4, E1
Die Impfung und das Testen wurden sowohl vom Fachpersonal als auch den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern meistens als große Erleichterung empfunden und gab ein
Stück an Kontrolle und Normalität zurück. Während das Leben in den besonderen
Wohnformen Stück für Stück geöffnet werden konnte, wurden auch Differenzen in den
Lockerungen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen deutlich. So konnten bei-
spielsweise außerhalb einer Einrichtung Hochzeiten mit bis zu 100 Personen stattfin-
den, eine einrichtungsinterne Hochzeit dagegen war nur in sehr beschränktem Rah-
men und im Freien erlaubt. Die unterschiedlichen Regelungen betrafen auch die Qua-
rantänesituationen. So mussten Werkstätten mehrmals komplett schließen, wenn eine
dort tätige Bewohnerin oder ein Bewohner positiv getestet wurde. Außerhalb der be-
sagten Einrichtung konnten sich Nicht-Infizierte im Allgemeinen freitesten. Landkreise,
Bezirke und Einrichtungen unterschieden sich in den Regelungen, was bei Mitarbei-
tenden wie auch Bewohnerinnen und Bewohner zusätzlich für Verwirrung sorgte.
Darüber hinaus mussten Bewohnerinnen und Bewohner von den zögerlich wieder
stattfindenden Aktivitäten und Öffnungen der Einrichtungen ausgeschlossen werden,
wenn deren Eltern sich gegen eine Impfung ausgesprochen hatten. Obwohl die Imp-
fung den Bewohnerinnen und Bewohnern als Schritt zurück in die Normalität kommu-
niziert wurde, bewahrheitete sich dies nicht und brachte das Personal erneut in Erklä-
rungsnot.
Das Tragen der FFP-2-Masken während der Neun-Zehn-Uhr-Schichten, die teilweise
erhöhte körperliche Aktivität erfordern (z. B. beim Duschen der Bewohnerinnen und
Bewohner), wurden von der Mehrheit der Mitarbeitenden als sehr belastend empfun-
den. Probleme bei der Atmung, schnellere Ermüdung sowie vermehrte Kopfschmerzen
waren gesundheitliche Begleiterscheinungen.
“Ich komme für mich zu dem Ergebnis, ich fühlte mich eigentlich geschützt.“
MITARBEITER 1, E7
„Also da muss man auch wirklich..., das ist ja auch irgendwie eine persönliche Ge-
schichte, die eigene Befindlichkeit. Ich möchte das eher andersherum formulieren,
nicht ich fühlte mich geschützt, ich fühlte mich eher nicht in einem erhöhten Maße
gefährdet, auf der Seite würde ich mich eher nähern wollen. Ich fühlte mich ge-
nauso gefährdet wie durch eine stinknormale Erkältung, die ich von meinen Kolle-
gen kriegen kann, die ich von einem Bewohner kriegen kann. Ich fühlte mich ein-
fach nicht durch Corona über die Maßen gefährdet.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Ich habe mir jetzt den Schuh anziehen müssen, dass ich selber schuld bin, dass
ich Corona habe. Habe aber auch, muss ich dazu sagen, es kann schon sein, dass
ich nicht 24 Stunden die Maske aufhatte, hatte aber auch einen Doppeldienst. Ich
finde, die Tests haben dann teilweise auch negativ angezeigt, obwohl der Bewoh-
ner wahrscheinlich schon positiv war, ich vielleicht auch. Aber ich weiß nicht, ob
man sich über so viele Stunden, wenn man dann auch einen Doppeldienst macht,
permanent schützen kann, Hundertprozent. Es kommt auch mal von hinten ein Be-
wohner, der nimmt dich einfach in den Arm und drückt dich, obwohl er eigentlich
weiß, dass er es nicht machen soll. Es passiert trotzdem, also hundertprozentiger
Schutz, das glaube ich, gibt es nicht oder ist meiner Meinung nach sehr, sehr
schwierig durchführbar. Wenn man dann auch schon mal einen Schnupfen hat,
Seite 90 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
einen ganz normalen Schnupfen, Husten, muss die Maske aufhaben und dazu
Nase putzen, man nimmt dann die Maske in die Hände. Hast man die Hände auch
zuvor hundertprozentig desinfiziert? ich finde es sehr, sehr schwierig!“
MITARBEITERIN 3, E7
„Als Mitarbeiterin, entweder hast du dich impfen lassen oder hast deinen Arbeits-
platz verloren. Das ist eben allgemein, es ist fragwürdig, wir haben jetzt allgemein
nicht so viele Pflegekräfte in Deutschland. Ja, schwierig.“
MITARBEITERIN 3, E7
Persönliche Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz werden wahrgenommen. Dazu gibt
es folgende Beispiele:
„Ich persönlich habe nur Angst, dass irgendwie etwas zurückbleibt von wegen Er-
schöpfung oder so, was ich ja momentan habe. Ich fühle mich eigentlich wieder
gesund, aber ich könnte alle 2-3 Stunden ein wenig schlafen. Ich hoffe, das geht
wieder weg.“
MITARBEITERIN 3, E7
„Nein, also ich fand diese Testung etwas schwierig. Da waren wir ziemlich dicht
dran. Wir haben uns zwar geschützt, teilweise mit Visier und Handschuhen, Kitteln,
das hatten wir alles, aber dadurch, dass die Bewohner teilweise extrem - bei der
Rachentestung zum Beispiel - da fand ich das dann manchmal schon hart. Da
wurde dann losgehustet, man steht da einen halben Meter davor, weil man einen
Test in der Hand hat. Das fand ich, auch wenn wir geschützt waren, es ist ja auch
nichts passiert, aber da liegt echt meine Sorge. [lacht] Weil die Bewohner eben
unterschiedlich reagiert haben mit dieser Stäbchengeschichte, da wurde das auch
nur von uns geleitet, das hat keiner für sich... Heute ist es so, dass es einen Eigen-
test unter Aufsicht gibt, das gab es aber am Anfang nicht. Da mussten wir testen,
wir mussten das Stäbchen reinmachen und so weiter.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Das ist heute..., es beruhigt mich mehr als damals. Dass vielleicht die Anste-
ckungsgefahr nicht so groß war, wie sie war. [unverst.] Da durfte keiner selber tes-
ten. Das war dieses stellvertretende Testen, ich fühlte mich auch da nicht gefähr-
deter als sonst, da komm ich immer wieder zum selben Ergebnis. Da war es eher
so, dass in dem ein oder anderen Rachen, der sich öffnete - unangenehm besetzt,
ehrlich. Auch bei den Nasentests, da gab es Nasenbluten durch dieses Ganze,
deshalb find ich diese Eigentestung wunderbar“.
MITARBEITERIN 2, E7
Neben den Herausforderungen ergaben sich bei den Schutzmaßnahmen auch Erfah-
rungen und Entwicklungen mit positiven Vorzeichen. Beispielsweise, weil man sich in
einer außergewöhnlichen Situation außergewöhnlich umeinander kümmern musste
und wollte.
„Und dennoch möchte ich sagen, weil es eben nochmal im Raum stand, ob es auch
Positives gibt. Ich finde, das war meine Wahrnehmung, Bewohner:innen haben
schon auch - wir führen das darauf zurück, dass der ganze Arm der Tagesstruktur
Arbeit weggebrochen ist - sie haben uns anders in Anspruch genommen. Ich habe
es in den letzten 20 Jahren auch genug erlebt, wo ich das Gefühl habe, Bewohner
Seite 91 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
sind der Meinung, da kommt jemand, der will etwas von mir, was ich gerade nicht
möchte, so irgendwie. Das hat sich ein bisschen gekehrt, sie kamen mehr auch mit
Fragen ‚wann machen wir das‘, es war zeitweise ein anderer Zugang zu den Be-
wohnern, so habe ich das für mich wahrgenommen.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Ich würde nochmal sagen wollen für den Bereich Verselbstständigung, wo wir ja
schon sehr darauf bedacht sind, Bewohner anzuleiten, Dinge selbstständig zu ma-
chen [unverst], es ist nicht weggefallen, sondern wir haben immer versucht, es in
einer weitest möglichen Autonomie für die Bewohner aufrecht zu erhalten, den Be-
wohnern weiterhin die höchstmögliche Autonomieempfindung zu bieten. Ich nehme
hier einmal wieder das Beispiel des Einkaufens, das bei uns so - hört sich jetzt
etwas platt an - vor Corona gingen sie selber einkaufen, wir haben es vielleicht im
Vorfeld geplant, dann haben wir es übernommen. Aber dieses Übernehmen war
nicht so, dass dann durch uns entschieden wurde, was jetzt eingekauft wurde, son-
dern wir haben uns mit jedem einzelnen hingesetzt, haben gemeinsam geguckt
‚was möchtest du haben, was brauchst du für die Woche?‘ und das ist auch etwas
Positives, dass man da mit denen nochmal in eine andere Planung bezogen auf
Gesundheitsaspekte, gesunde Ernährung [unverst.] zu können. Ich finde, man
konnte mehr abwägen.“
MITARBEITER 1, E7
„Aber auch dazu fällt mir jetzt noch ein, das finde ich auch ein tolles Zeichen, wenn
wir nochmal zurückgehen zu diesem "Sich-beschützt-Fühlen", als jetzt hier der Ge-
danke, der Verdacht auf dem Gelände war, Menschen könnten sich infiziert haben,
hier gleich ein Team von den Johannitern herzuholen, die PCR-Tests mehreren
auch gleichzeitig anboten, das ist auch ein Zeichen, der Arbeitgeber war schon
sehr bemüht, den größtmöglichen Schutz zu bieten.“
MITARBEITER 1, E7
Die gemeinschaftliche und mit Diensten der Eingliederungshilfe unterlegte Wohnsitu-
ation der Menschen mit Beeinträchtigungen hängt eng zusammen mit Risiken, die sich
für ihre Gesundheit ergeben oder vermieden werden können. Aus Sicht der Mitarbei-
tenden sind damit folgende Aspekte verknüpft: Eine besonders wahrscheinliche psy-
chische Belastung wird angenommen für die Bewohnerschaft ebenso wie für die dort
agierenden Fachkräfte, wie folgendes Zitat verdeutlicht:
„Was mit Sicherheit für mich dazu gehören würde, wobei das jetzt nicht den Status
der Gesundheitsschädigung nach WHO wahrscheinlich entspricht, ist die ganze
Psyche der Menschen in Einrichtungen. Was macht das auch mit der psychischen
Gesundheit. Ich glaube, das hat schon bei jedem auch etwas hinterlassen. Das
Personal möchte ich aber wirklich nicht ausnehmen, denn auch da habe ich bei
Menschen um mich herum zur Kenntnis genommen, die auch mit diesem Komplex
Corona, weil für jeden ist es ja eine Einschränkung gewesen, auch im persönlichen
Bereich. ich glaube auch da, wirklich auch Kollegen und Kolleginnen und auch an-
dere Menschen um mich herum wahrgenommen zu haben für die das ganz ganz
schwer war.“
MITARBEITER 1, E7
sozialen Bereich die Situation weiter verschärfen. Bereits heute können viele Stellen
nicht nachbesetzt werden. Zukünftig wird der Appell an das Berufsethos der Pflege-
rinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Heilerzieherinnen und Heilerziehungspfleger
und allen in der Eingliederungshilfe Tätigen die Versorgung von Menschen nicht ge-
währleisten können. Ein struktureller Wandel im Gesundheitssystem ist dringend er-
forderlich.
Nun folgen ausgewählte Aspekte aus der Befragung der Angehörigen. Auch für
diese Befragung wurde ein eigener, in Module gegliederter Fragebogen entwickelt
und eingesetzt:
„Strukturierter Fragebogen zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und
Entwicklungen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe aus Sicht der Angehörigen
bzw. Gesetzlichen Betreuung (in besonderen Wohnformen)“ (ABBo)
(s. Anhang)
Die Angehörigen und Gesetzlichen Betreuungen schildern ihre Erfahrungen mit ver-
schiedenen in die W OGE 2020-Studie einbezogenen besonderen Wohneinrichtun-
gen. Auch sie nahmen alle freiwillig an der Erhebung teil, in digitaler Form oder auf
Wunsch per Telefoninterview. Die Befragung dauerte meist etwa eine halbe Stunde.
Sie dient zur Lagebeschreibung und nicht dazu, die Aussagen der jeweiligen in der
Einrichtung lebenden Familienmitglieder zu verifizieren oder zu falsifizieren. Auf die
spezifische „Paarung“ der Personen wird folglich kein Wert gelegt, vielmehr geht es
vor allem darum, einen lebendigen Eindruck von der Wahrnehmung des Personen-
kreises zu gewinnen, der „drinnen und draußen“ kennt und bewertet, im Fokus der
eigenen Sorge und Betroffenheit.
[5.2]
„Sicher hätte es auch andere Wege gegeben als Beschützen um jeden Preis“
MUTTER BY
Seite 95 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Über 96 Prozent der antwortenden Angehörigen berichten, auch aktiv in die Versor-
gung ihrer bzw. ihres Angehörigen eingebunden zu sein.
Dieses Engagement kommt in der Regel seltener als einmal wöchentlich (46,88 %)
oder mindestens einmal pro Woche (43,73 %) vor. Wenige Antwortende kümmern sich
täglich (6,25 %). Angehörige, die an der Befragung teilnehmen, sich aber nie in die
Versorgung einbringen, sind sehr selten (3,1 %) (s. Abbildung 5.2).
Abbildung 5.2: Aktive Einbindung der Angehörigen in die Versorgung der Bewohnerin o-
der des Bewohners
tätig. Das stellte eine erhebliche Entlastung dar. Die Durchführung der Kontakt-
sperre über ca. acht Wochen führte zu einer psychovegetativen Reaktion, starke
Durchfälle mit starker Gewichtsabnahme.“
MUTTER SH
„Nicht geimpfte Betreuungskräfte.“
STIEFVATER BY
„Wir mussten unseren Sohn jeden Tag motivieren und ihm sagen, dass Corona
vorbeigeht. Wir haben aus der Werkstatt Material geholt, so dass er zu Hause am
Vormittag gearbeitet hat, wie wenn er in der Werkstatt wäre. Nach etwa sechs Wo-
chen wollte er unbedingt zurück, dies wäre aber nur mit einer 14tägigen Quaran-
täne bei [Name der Einrichtung | E4] möglich gewesen, davon haben wir dann ab-
gesehen (14 Tage einen Behinderten / Autisten) einsperren!“
VATER BY
Dissonanzen in der Wahrnehmung scheinen also gegeben, auch wenn die Angehöri-
gen durchaus erkennen, dass sich die Wohneinrichtungen um Lösungen bemühen.
Die Angehörigen berichteten zu Abbildung 5.3: Vollständiger Impfschutz der Person,
96,6 Prozent, dass die in den die in der Einrichtung lebt
Einrichtungen lebenden Perso-
nen vollständig geimpft sind (s.
Abbildung 5.3).
In 89,7 Prozent der Fälle gab es
keine Schwierigkeiten, Zugang
zu einer Impfung zu bekommen
und in 86,2 Prozent kam es
auch keine Schwierigkeiten im
Anschluss an die Impfungen.
Einem entsprechenden Anliegen und Anspruch müssen alle Forschungen und Ent-
wicklung genügen, unabhängig von spezifischen Zielgruppen und deren Lebensorten.
Auch bei der Beschreibung und Bewertung einer Krisensituation, wie sie die gegen-
wärtige Coronapandemie ohne Zweifel darstellt, bleiben somit aus wissenschaftlicher
Sicht die Zusammenhänge von Beeinträchtigungen, Behinderung und Benachteiligung
Teil des Aufmerksamkeitsspektrums, auch wenn es im Kern zunächst vorrangig um
Risiken der Gesundheit und Einschränkungen der Teilhabe zu gehen scheint.
Entsprechend grundsätzlich und an Inklusionszielen ausgerichtet ist auch die W OGE
2020-Studie angelegt und enthält damit das Potenzial, mehr als eine Situationsbe-
schreibung oder gar Momentaufnahme zu sein. Die Einzelbestandteile der verschie-
denen Perspektiven und Lebenslagenelemente ergeben in sich und in ihrer Über-
schneidung und Wechselbeziehung zusätzliche Qualität. Mit diesem Blickwinkel soll
daher im Folgenden abschließend eine erste Ergebniseinschätzung gegeben werden.
Perspektiven – Übereinstimmungen
und Differenzen
Erste Einschätzungen im Teilhabeblick
[0.2]
vorhanden vor lauter Bürokratie. Weniger Bürokratie, mehr Zuwendung. Das wäre
wichtig.“
VATER BY
Nach Ansicht des Fachpersonals gibt es viele Coronaerkrankungen und verglichen
damit wenig einfache Umsetzungsroutinen bei den Maßnahmen zur Minderung der
Infektionsrisiken. Besonders die Maskenpflicht in allen Alltagszusammenhängen wird
(zu) wenig befolgt.
„Man kann das jeden Tag zehnmal sagen, es wird trotzdem nicht so umgesetzt,
wie es sein sollte.“
MITARBEITERIN 2, E1
Bewohnerinnen und Bewohner schätzen ihre Gesundheit mehrheitlich als gut oder
sehr gut ein. Nach eigenen Angaben ist etwa ein Viertel der interviewten Personen
selbst an Corona erkrankt und meist nach mildem Verlauf genesen. Etwa zehn Prozent
erkrankten schwer.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner erkennen allerdings Verschlechterungen der Ge-
sundheit, viele im Zusammenhang mit Corona, wegen der Erkrankung selbst oder we-
gen Begleitumständen, wie dem Verzicht auf Gesundheitsförderung und andere Ver-
sorgungsrisiken. Sterben und Tod in der Gruppe der Menschen mit Beeinträchtigun-
gen kamen verbunden mit coronabedingter Belastung vor (z. B. durch Isolation),
ebenso wie die beschriebenen Hinweise von inneren Spannungen und Übergriffen. In
allen Fällen soll sich das Fachpersonal in mildernder und moderierender Weise ein-
bringen.
Besondere Notfallpläne oder Schutzmaßnahmen für das Personal gibt es selten. Not-
fallpläne mit dem Personal kristallisierten sich erst im Pandemieverlauf heraus (bei-
spielsweise Task Forces). Vieles beruht daher im Alltag zunächst auf Selbsthilfepoten-
zialen.
Klare Kritik kommt von Seiten der Angehörigen, die meinen
„Es wurde ausschließlich nach den Vorgaben des Gesundheitsamtes gearbeitet.
Eltern und Angehörige hatten überhaupt kein Mitspracherecht. Absolutes Fremd-
bestimmen. Sicher hätte es auch andere Wege gegeben als "Beschützen um jeden
Preis". Es wurden keine alternativen Möglichkeiten geboten. Es gab überhaupt kei-
nen Umgang auf Augenhöhe. Gesundheit betrifft nicht nur den Körper, sondern
auch die Psyche. Darauf hat niemand geachtet.“
MUTTER BY
Bewohnerinnen und Bewohnern einer der beteiligten Einrichtungen haben einen offe-
nen Brief an das Gesundheitsamt mit ähnlicher Botschaft verfasst, um auf viele Para-
doxien in den Regulierungen des Alltags hinzuweisen (s. Abbildung 6.1):
Abbildung 6.1: Offener Brief von Bewohnerinnen und Bewohnern an ihr zuständiges Gesund-
heitsamt (Ostern 2022 | E1)
Ca. 30 Unterschriften
Überlastung des Personals ist eine – nicht neue, aber dynamisierte - Risikolage, ein
Dammbruch zeichnet sich ab, solange der Druck der fachlich erforderlichen Assisten-
zen auf immer weniger Personen lastet, ohne dass sich Lösungen finden. Viele belas-
tende Elemente prägen den Arbeitsalltag: Die Mitarbeiterteams wurden in starre Ko-
horten eingeteilt, um die Anzahl von Begegnungen und Infektionsrisiken zu reduzieren.
Das machte die Zusammenarbeit nicht nur ungewohnt (man trifft sich draußen oder
digital), sondern führte auch zu anstrengenden Übergaben. Vorschriften bzw. Vorga-
ben hingegen änderten sich laufend. Als Gefühl wird beschrieben, man müsse sich
wöchentlich neu erfinden, während zugleich kein Ende aller Anstrengungen in Sicht
ist. Ein sich dynamisch verändernder Coronavirus, gepaart mit instabiler Gesetzes-
lage, führte in ein Hamsterrad aus Mahn- und Warnaufgaben. Zugleich sollte niemand
in der Aufmerksamkeit für die eigene Gesundheit und in der Verantwortung für andere
nachlassen.
In der Kommunikation wird zugleich eine tägliche Hilflosigkeit erlebt, weil man viele
Alltagsfragen selbst nicht beantworten kann, etwa wann man zur Normalität im Arbeits-
bereich, in der Freizeit, beim Einkaufen oder beim Treffen mit andern zurückkehren
wird. Das erschwert die erforderliche professionelle Haltung.
Wenn es den Bewohnerinnen und Bewohnern verboten ist, sich untereinander zu tref-
fen, belastet dies den Alltag zudem schwer. Risiken einer Infektion und beim Durch-
setzen von Maßnahmen, mussten also abgewogen werden.
Die Arbeitszeiten des Personals sind kaum mehr verlässlich umzusetzen, auch wegen
der erforderlichen Bereitschaft für erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner. Selbst
von Doppeldiensten ist mehrfach die Rede.
Auch die durch Impfpflicht eingeschränkte Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und
Bewohner wird von Personalseite kritisch thematisiert
„weil eine Impfpflicht entstanden ist... also bestimmte Personen konnten sich nicht
dagegen wehren. Das halte ich persönlich, da entscheidet ein rechtlicher Betreuer,
zack, bumm, du kannst ja nicht sprechen, dann wird geimpft. Ich finde, wir wissen,
warum die Rechtliche Betreuer haben, das wissen wir alles, aber ich finde, gerade,
was am Körper passiert, dass da bestimmte Personen keinen Einfluss haben“.
MITARBEITERIN 2, E7
Aber zugleich versteht das Fachpersonal die gestiegene Aufmerksamkeit für und Um-
setzung von Hygienestandards und für die notwendige Klärung sozial erwünschter
Nähe oder angemessener Distanz als „Weckruf“, der zu begrüßen ist.
Zurück in die Zukunft könnte ein Programm heißen, in dem man die alltagsnahen Er-
kenntnisgewinne der Pandemiezeit nutzt, um zum intendierten Kernprogramm der
Teilhabezentrierung in der Eingliederungshilfe (personenzentriert, individualisiert, so-
lidarisch und sozialraumorientiert) zurückzukehren. Denn Bewohnerinnen und Bewoh-
ner hoffen auf Normalität und zeigen Unmut („Lagerkoller“, „Aggression, Langeweile,
Frust“), während sie sich teilweise zu Anfang verwöhnt fühlten („oh, ich habe frei“), weil
viele Aufgaben durch das Personal übernommen wurden.
Einhellige Meinung aller Gruppen in den Einrichtungen ist, dass es kein Betretungs-
verbot der besonderen Wohnformen mehr geben soll. Zugleich wird ein geordnetes,
6.7 Nähe und Distanz in der Gemeinschaft durch Kommunikation und In-
formation – Vielfalt in Verbindung
Unabhängig von der Verweildauer findet sich bei den meisten interviewten Bewohne-
rinnen und Bewohnern viel Zustimmung zu den sozialen Beziehungen und zur Einbin-
dung in die Gemeinschaft. Auch unter Coronabedingungen wird sehr viel Verlässlich-
keit, Geborgenheit und Sicherheit im Miteinander wahrgenommen, wobei zugleich der
Wunsch nach Rückzugsmöglichkeiten besteht.
Tendenziell haben sich die Kontakte der Befragten coronabedingt häufig verändert,
mehr verschlechtert (weniger Kontakte) als verbessert (intensivere und vielseitigere
Begegnungen sowie bessere Kommunikation). Die Kontaktverlässlichkeit wurde brü-
chiger, auch wegen der wechselnden Aushilfen. Stattdessen steigen Ängstlichkeit und
Unsicherheit, Einsamkeit und Distanz in der Gemeinschaft. Auch Außenkontakte (Be-
suche) bleiben aus oder verringern sich. Obwohl die Gemeinschaft meist nicht selbst-
gewählt, sondern fremdbestimmt ist,
„das sind sieben Leute, die zusammenleben müssen, nicht zusammenleben wol-
len, sondern die müssen, und die hocken dann 24 Stunden sieben Tage die Wo-
che aufeinander. Und du sollst das dann handlen mit einer FFP-2-Maske“,
MITARBEITER 1, E1
scheint sie doch von wesentlicher Bedeutung zu sein.
Allerdings fehlt für übliche Singularisierungstendenzen die hinreichende Selbstbestim-
mung. Verluste im Bereich der Selbstbestimmung nennt etwa ein Fünftel der befragten
Bewohnerinnen und Bewohner auf personaler und interpersoneller Ebene, durch
strengere Regeln, Einschränkungen und Verbote. Positiv bewertet werden von ihnen
zugleich bessere Kenntnisse der Pandemierisiken und eine verbesserte Ausstattung.
Unklar ist, wie Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen mit den Bewohnerinnen und
Bewohnern während der Pandemieverläufe so kommuniziert werden können, dass sie
wahrgenommen und verstanden werden. Dies ist bislang nur teilweise gelungen. Zu-
gleich setzten die Anbieter aber die anstehenden Gebote und Verbote gegenüber ihrer
Klientel weitgehend um. Mit mehr Partizipation hoffen nun die Bewohnerinnen und Be-
wohner der reduzierten Mitbestimmung gegensteuern zu können. Dann könnten
Wunsch- und Wahlrechte wieder auf offene Ohren stoßen, zugunsten einer lebendig
6.8 Schutz der Fachkräfte bei Health and Inclusion in All Policies
Ein Rund-um-die-Uhr Einsatz der Fachkräfte für alle Bewohnerinnen und Bewohner ist
an sich nicht vorgesehen, aber bei Gemeinschaftsunterkünften mit weiteren Tages-
strukturen und Personen mit Assistenzbedarf notwendig. Auch daher mangelt es mas-
siv an Personalressourcen.
Die Aufmerksamkeit für die besonderen Belange der Bewohnerinnen und Bewohner
ist dadurch generell gefährdet, dies gilt für alle Aufgaben der Eingliederungshilfe sowie
besonders bei zusätzlichen Aufgaben wie sie freiheitsentziehende Maßnahmen oder
Klinikaufenthalte mit sich bringen.
Neue Arbeitselemente müssen nun zudem von den Diensten verstanden und sicher-
gestellt werden. Dazu zählen Themenfelder wie Gesundheitsgefährdungen und Prä-
vention, der Umgang mit Schutzmaterial und seine Beschaffung, die Gestaltung von
Quarantänen und die Versorgung der Coronaerkrankten. Dafür ist vermehrt Zeit für
Kommunikation und Information erforderlich, während gleichzeitig Abstand gewahrt
und die eigene Gesundheit geschützt werden soll.
Eine mangelnde Kenntnis und Wertschätzung der fachlichen Dienste der Eingliede-
rungshilfe in der Gesellschaft demotiviert das Fachpersonal zudem. Belastende Un-
kenntnis der besonderen Wohnformen und eine problematische Kommunikation mit
angrenzenden Behörden wird vielfach von allen befragten Gruppen in den Einrichtun-
gen berichtet. So erfolgten aus Sicht der Fachkräfte auf Nachfragen der Einrichtungen
zu bestimmten Regelungen teilweise vermehrte Kontrollen oder wurde dann durch Ge-
sundheitsämter verstärkt Druck ausgeübt.
Im Alltagsgeschehen wurden nicht umsetzbare Regelungen und Konzepte vorgeschla-
gen:
„Die Dame vom Gesundheitsamt hat erklärt, der eine solle den Wäschesack auf-
halten und der Kollege dann die kontaminierte Wäsche hineinstecken. Das Prob-
lem ist, es gibt keinen Kollegen. Man ist einfach alleine gewesen. Das Konzept geht
nicht auf.“
MITARBEITERIN 3, E1
Aus den Reihen der Angehörigen wird zwar Verständnis für die Lage des Fachperso-
nals geäußert, dennoch bleibt die Kritik, dass die Betreuungsqualität tangiert sei.
„Arztbesuche und Therapiebesuche wurden nicht genügend gefördert. Auf Grund
der Überlastung des Personals wurde verständlicherweise so manches überse-
hen.“
MUTTER BY
Es entsteht – so meinen Angehörige - ein Teufelskreis: Therapien entfallen, der Frust
unter den Bewohnerinnen und Bewohnern steigt und damit erneut die Belastung des
Personals. Letztlich sind Qualitätsmängel durch fehlende Ressourcen vorprogram-
miert:
„Ausfallen der notwendigen Therapien (Krankengymnastik, Schwimmen, Logopä-
die), Aggression einzelner Bewohner durch das ständige Zusammensein mit den
gleichen Personen. Unsere Tochter war in einen Sturz verwickelt und verlor zwei
Schneidezähne. Das Personal äußerte sich sehr vage über den Hergang, um keine
Haftung einzugehen. Die Bewohner hatten keine Möglichkeiten, Energie / Wut /
Aggression auszuleben.“
MUTTER BY
Nachdem sie selbst eine Coronainfektion überstanden haben, berichten Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter von möglichen Langzeitfolgen (Erschöpfung, Müdigkeit), um die
sie sich Gedanken machen. Sorge besteht auch, weil man keine physische Distanz
halten konnte, etwa bei der Durchführung von Tests.
„Da wurde dann losgehustet, man steht da einen halben Meter davor, weil man
einen Test in der Hand hat. (…) da liegt echt meine Sorge“.
MITARBEITERIN 2, E7
Im Prinzip sehen sich die Fachkräfte auch unter den Geschützten, es wird aber be-
zweifelt, dass ein dauerhafter Schutz gelingen kann.
„Aber ich weiß nicht, ob man sich über so viele Stunden, wenn man dann auch
einen Doppeldienst macht, permanent schützen kann.“
MITARBEITERIN 3, E7
Immer Distanz zu wahren scheint schwierig bis ausgeschlossen.
Aus Anbietersicht wird dringend eine Aufwertung der Fachlichkeit und des Fachperso-
nals sowie dessen Aufstockung gefordert. Ebenso strikt wird eine erneute rigide Isola-
tion der Bewohnerinnen und Bewohner abgelehnt.
Von Behörden (Gesundheitsämtern sowie FQA: Fachstelle für Pflege und Behinder-
teneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht, früher Heimaufsicht) erwartet
man mehr und verlässlichere Kommunikation, von der allgemeinen medizinischen Ver-
sorgung bessere Kenntnisse im Umgang mit den Menschen mit jeweiligen Beeinträch-
tigungen und eine professionellere Versorgung. Entsprechende Forderungen richten
Seite 116 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
„We should never forget that behind Wir sollten nie vergessen, dass hinter je-
every piece of statistical data are hu- dem statistischen Datenmaterial Menschen
man beings who were born free and stehen, die frei und gleich an Würde und
equal in dignity and rights. We must Rechten geboren wurden. Wir müssen uns
strive to make their human rights sto- bemühen, ihre Menschenrechtsgeschich-
ries, especially those of the power- ten, insbesondere die der Machtlosen,
less, visible through robust indicators durch robuste Indikatoren sichtbar zu ma-
and to use them in constantly improv- chen und sie zur ständigen Verbesserung
ing our human rights policies and im- unserer Menschenrechtspolitik und deren
plementation systems to bring posi- Implementierung zu nutzen, um das Leben
tive change to people’s lives“ der Menschen positiv zu verändern.
High Commissioner for Human Rights (Übersetzung der Verfasserinnen)
(Pillay 2012; United Nations 2012)
Die Wissenschaft steht hierbei nicht alleine. Zu den entsprechenden Zielen, ein Leben
mit Wohlergehen und Wohlbefinden zu gewährleisten, bekennt sich auch die Bundes-
regierung (2018) und bekräftigt so die Zukunftsziele der Vereinten Nationen aus dem
Jahr 2016 für die Bundesrepublik. Die Konkretisierung gilt überall, also ebenso in be-
sonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe, auch wenn sich Folgen sozialer Un-
gleichheit nicht vollständig abfedern lassen, weil freie und gleiche Handlungsräume
nicht für alle gleichermaßen verfügbar sind.
Im Licht dieser Erkenntnis erarbeitete im Jahr 2019 eine Gruppe aus Gesundheitsfach-
leuten im Zukunftsforum Public Health am RKI ein Zukunftspapier. Es enthält Leitplan-
ken zur Planung und Umsetzung der Gesundheitsförderung in Deutschland (Geene et
al. 2019). Als Überschrift wählten sie „Health in All Policies“ (HiaP) (siehe Kapitel 6.8).
Vor allem wird ein ganzheitlicher Ansatz vorgeschlagen, der auch die sozialen Rah-
menbedingungen von Gesundheit beachtet. Gesundheit und Teilhabe treffen sich in
einem Gesamtplan.
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verfolgt analoge Ziele. Die Reformbestrebungen
zum SGB IX Rehabilitation und Teilhabe und der angewandten Eingliederungshilfe im
SGB XII Sozialhilfe (insbes. Eingliederungshilfe) manifestierten sich über die men-
schenrechtlichen Anforderungen der UN-BRK. Durch Reformen soll für Menschen mit
Behinderung mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglicht werden. Über ihre Leis-
tungsansprüche sollen sie ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt
und eigenverantwortlich wahrnehmen können (§ 90 SGB IX). Theoretisch werden nun
Hilfearten getrennt nach
persönlicher Unterstützung, die eine bestimmte Person wegen einer Beein-
trächtigung benötigt (also eine Fachleistung wie die persönliche Assistenz) und
in
Unterstützung zum Lebensunterhalt, beispielsweise für Nahrungsmittel und
Wohnen.
Menschen mit Beeinträchtigungen sollen mit diesen Hilfen ihr Leben so gestalten kön-
nen, wie sie es wollen, also z. B. die für sie passende Wohnform wählen, ohne dass
nach ambulanten oder stationären Wohnangeboten unterschieden wird. Die Entschei-
dungsräume sollen wachsen und über ein Teilhabeplanverfahren sollen alle Leistungs-
träger sowie Nutzerinnen und Nutzer ihre Unterstützung abstimmen können (sog. „Ge-
samtplan“; s. Tempelmann et al. 2019: 300).
Im gesamten Feld der Eingliederungshilfe ist damit für das teilhabeorientierte Engage-
ment und die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Sektoren der Gesund-
heitssorge, Prävention und Rehabilitation der Weg gebahnt. Dies entspricht dem Zu-
schnitt des neuen Bundesteilhabegesetzes: Menschen mit Beeinträchtigungen und
Behinderung soll die volle Teilhabe in allen Bereichen für eine selbstbestimmte Le-
bensführung ermöglicht werden.
Dies kann nur gelingen mit angemessener teilhabeorientierte Gesundheitssorge in der
Eingliederungshilfe (s. Abbildung 6.2).
Gesundheit Teilhabe
[0.1] https://www.con-sentio.de/2019/12/16/blog-9-was-gab-es-zuerst-die-henne-oder-das-ei-wechsel-
wirkungen-zwischen-menschen/
Quelle: Eigene Darstellung
Trotz komplexer Zusammenhänge gilt es daher nun, die Gunst der Stunde zu nutzen,
die die Coronapandemie als „Türöffner“ herbeigeführt hat und dabei die Orientierung
an den Bedarfen und Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzern der Wohneinrichtun-
gen und des Fachpersonals nicht außer Acht zu lassen.
So könnten mögliche Risiken dreifach gefunden und abgeschätzt sowie durch kombi-
nierte Schutzmaßnahmen moderiert werden, je nach Umsetzbarkeit und Wirksamkeit
einzelner Elemente (Kartoglu et al. 2020). Da jede Schutzmaßnahme Schwachpunkte
und Grenzen hat („Löcher im Käse“), sollen durch einen gleichzeitigen Einsatz ver-
schiedener Maßnahmen (Schichtmodell) Durchlässigkeiten verringert werden.
Grundvoraussetzung dafür ist die möglichst solide Kenntnis der Eigenschaften und
Verbreitungsformen von SARS-CoV-2, verbunden mit den Möglichkeiten in den jewei-
ligen Settings und der Bereitschaft sowie Möglichkeit aller relevanten Personengrup-
pen, um die ergriffenen / vorgeschriebenen Maßnahmen zu unterstützen. Zu diesen
detaillierten Wissensbeständen nach Interessensgruppen trägt die WOGE 2020-Studie
differenziertes und hochaktuelles konkretes Wissen bei.
Gestützt auf das beispielsweise in riskanten Arbeitsumgebungen wie Laboren oder
Öltankern bewährte Risikomanagement („safety-oriented cultural mindset“) im Stil des
Swiss Cheese-Modells wäre es einen Versuch wert, die akuten Pandemieerfahrungen
mit einem schon länger in an Prozessqualität ausgerichteten Verfahren im Drei-Fakto-
ren-Bezug zu bearbeiten (Grohowski 2018) und so Zukunftskompetenz aufzubauen.
Das auf den gewonnenen Studienergebnissen basierende Sachwissen kann dazu die-
nen, die Schichten des „Swiss Cheese“-Modells mit Inhalten zu unterlegen. Kurz und
knapp ist dies hier zur weiteren Diskussion in den Sparten „BEMERKENS- UND BEDEN-
KENSWERTES“ summiert, der ICF folgend in „personal factors“ (s. Kapitel 7.1), „social
factors“ (s. Kapitel 7.2) und „environmental factors“ (s. Kapitel 7.3) untergliedert.
Insgesamt ist es vermutlich möglich, die bekannten Risiken der Coronapandemie mit
geeigneten setting- oder zielgruppenspezifischen Kenntnissen zu reduzieren (s. Kapi-
tel 7.4). Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei an sich auf alle Umstände, unter denen
Menschen zusammenkommen: beispielsweise auf die Fortbewegung in öffentlichen
Verkehrsmitteln ebenso wie auf Arbeitsplatzsituationen, Bildungssysteme, Religions-
ausübung oder Freizeitveranstaltungen. Beim Wohnen kommt es zudem auf den Alltag
von Individuen an. Es geht um den eigentlichen Lebensmittelpunkt, in dem soziale
Kontakte und Kontextfaktoren unterschiedliche Bedeutung und Qualität haben.
Verhalten zeigen kann und muss, in Form eines isolierten Punktes, einer sehr persön-
lichen Lebensäußerung, also in der menschlichen Einzigartigkeit.
In sozialwissenschaftlichen Diskursen ist als Profil der Gegenwart von einer Gesell-
schaft der Singularitäten die Rede, also einer Menge Einzelner, die sich als Originale
präsentieren durch ein Leben mit unverwechselbaren Erlebnissammlungen (Reckwitz
2017), um so in der Gemeinschaft die knappen Güter Aufmerksamkeit und Anerken-
nung zu gewinnen. Die Schattenseite, „die im Dunklen“, sind dann Personen, denen
zur Selbstinszenierung Ressource und Gelegenheit fehlen, die keine „follower“ oder
Fans haben, deren Erfahrungsraum kaum der Rede wert scheint, deren Lebensent-
wurf bescheiden anmutet, die keine Erwartungen wecken, die untergebracht, aber
nicht eingebunden sind.
Ihnen aufmerksam zu begegnen, mahnt die UN-BRK, im menschenrechtlich getrage-
nen Diskurs, bezogen auf Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderung. Dies
gilt für den persönlichen Alltag (Mikroebene), den Umgang mit und das Gebaren von
Institutionen und Organisationen
(Mesoebene), ebenso wie im Kontext
BEMERKENS- UND BEDENKENSWERTES – von Gesetzgebungen und anderen
PERSONAL FACTORS
politischen, wirtschaftlichen oder so-
zialen Handlungsfeldern (Makro-
ebene). Isolation und Exklusion ver-
1. Einsamkeit ist nicht gewünscht oder bieten Menschenrechte und Grund-
gewollt. gesetz gleichermaßen. Dennoch zie-
2. Verantwortung darf unterstützt, aber hen sich auch durch den gesamten
soll nicht weggenommen werden. Dritten Teilhabebericht der Bundes-
3. Zufriedenheit ist kein Freibrief. regierung datenbasierte Hinweise
4. Schutz ist nicht gleich Wegschließen. darauf, dass Menschen mit Beein-
trächtigungen häufiger eine Diskre-
5. Risikopersonen auszuschließen ist
panz zwischen gewünschter und tat-
keine gerechte Lösung. sächlicher Teilhabe erleben (BMAS
6. Eine zukunftsorientierte Eingliede- 2021). Sie können im Nahbereich
rungshilfe tritt assistierend ein, ohne weniger Freundschaften pflegen, ha-
zu enteignen. ben brüchigere soziale Netzwerke,
7. Schwache Leistungsstrukturen för- sind weniger im Austausch mit ande-
dern keine Inklusion. ren Menschen. So verstärkt sich ein
8. Überanstrengte Ämter und Fach- allgemeines Risiko dieser Zeit, näm-
kräfte zielen nicht auf Empowerment, lich allein zu sein, ohne dies zu wün-
sondern wählen den Ausschluss der schen oder sich damit wohl zu füh-
len. Diese Tendenzen treten in der
vulnerablen „Schutzbefohlenen“ zu
Pandemie weiter und in großem Um-
deren Besten. fang zutage. Dies bestätigt sich so-
9. Gefährdungsbeurteilungen sind kom- wohl im Grundsatz des Single-Da-
plex; Einschluss ist keine Lösung. seins, als auch in der pandemiebe-
dingten Ausformung der Vereinze-
lung klar in der W OGE 2020-Studie.
Menschen in besonderen Wohnangeboten sind auf erhebliche Assistenzleistungen
angewiesen. Das dafür eingesetzte Fachpersonal ist qualifiziert, motiviert und in der
Seite 122 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Pandemie chronisch überfordert. Abstand ist oft nicht möglich, Risiken müssen einge-
gangen oder das Aufgabenfeld verlassen werden. „Quiet quitting“ findet statt, der laut-
lose Rückzug aus dem Beruf, in die Krankheit oder in Dokumentationsaufgaben, be-
feuert durch die gesellschaftliche Verweigerung von Sichtbarkeit und Anerkennung ei-
ner im Alltag bewährten Expertise und deren angemessener Entlohnung. Ein radikaler
Ausstieg kann zugleich auch Selbstschutz sein, wenn Assistenzpersonen durch den
Kontakt mit infizierten Personen gefährdet oder eingeschränkt (quarantänepflichtig)
werden und darüber hinaus Dritte (etwa privat nahestehende Personen) ungewollt ein-
bezogen sind.
Lösungsmöglichkeiten werden zugleich auch in der W OGE 2020-Studie erwähnt und
können weiterentwickelt werden (siehe Kasten 7.1). Ein mögliches Schutzschild ist die
auf Gemeinschaft gerichtete, gebündelte Aufmerksamkeit, die Wege aus einer schwie-
rigen Ausgangslage deutlich macht, die auch in geteilter Verantwortung liegen. Ent-
sprechende Chancen und Begrenzungen beschreibt eine Leitungsperson in der Feld-
studie so:
„Vieles war möglich und umsetzbar, was vor der Pandemie nicht vorstellbar war;
Bewohnerinnen und Bewohner zeigten Kompetenzen und Verantwortung die
vielen nicht zugetraut wurde; der Zusammenhalt in der Einrichtung war gerade
zu Beginn der Pandemie sehr groß; die Solidarität vieler Mitarbeitender war be-
eindruckend; die Auswirkungen auf die Arbeitssituation der MA war massiv
(FFP2-Masken durchgehend im Dienst tragen), erhebliche Flexibilität bei der
DP-Gestaltung war gefordert; in einer Einrichtung unserer Größe bedeutet die
Umsetzung der Schutzmaßnahmen enorme Einschränkungen für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner bzw. Mitarbeitenden“ (ID_68).
Infektionsketten, riskante Orte (wie geschlossene Räume) und Handlungen (wie Spre-
chen, Singen, Schreien oder schwer Atmen, etwa bei sportlicher Anstrengung oder
beim Chorsingen) und Hygienemaßnahmen vieler Art sind vermutlich relevant. Der
Verzicht darauf führt unter Umständen zugleich zu gestörten Alltagsroutinen, Einsam-
keit, Reizbarkeit, Zukunftsängsten, Schlafstörungen, aber auch zu Chancen für soziale
Solidarisierung und Resilienz (u. a. Habermann-Horstmeier 2020). Kreative Lösungen
wurden gefunden, teilweise beibehalten und haben sich auch bewährt, wie Treffen im
digitalen Raum oder im Freien. Aber dieses Gelingen ist voraussetzungsreich. Es be-
darf der entsprechenden Ausstattung, Assistenz und Bereitschaft zur Umsetzung.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit o-
BEMERKENS- UND BEDENKENSWERTES – der Besuchsbegrenzungen schrän-
ken soziale Bedürfnisse und Sozial-
SOCIAL FACTORS
kontakte erheblich ein und limitieren
selbstbestimmte Aktivitäten des tägli-
10. Gruppen sind mögliche Stressoren chen Lebens, wenn Assistenz ande-
und Heilmittel. rer nicht möglich wird. Hier werden in
11. Kontaktbeschränkungen sind folgen- der W OGE 2020-Studie vor allem kri-
reiche Maßnahmen, also sehr zu- tische Stimmen laut, die definitiv
rückhaltend einzusetzen. diese Schutzformen für weniger ge-
12. Shielding (Abschirmung / Exklusion) eignet halten, es sei denn in akuten
spezifischen Situationen. Das Über-
kann keine nachhaltige Lösung sein.
denken und Beenden wird von allen
13. Besondere Bedingungen von Nähe beteiligten Gruppen dringend emp-
und Distanz sind auszuhandeln. fohlen, Fürsprache findet sich nicht.
14. Selbstverwirklichung in Gemein- Auch nicht unter der sich generell
schaft fördert Wohlbefinden. weitgehend zufrieden äußernden Be-
15. Im Gruppenbezug entstehen auch wohnerschaft. Abschirmung ist bes-
(neue) Inklusionschancen. tenfalls eine akute Schutzmaß-
16. Prävention vor Gesundheitsrisiken nahme.
muss partizipativ und erfahrungsba- Im Zusammenspiel zwischen Assis-
siert hergestellt und weiterentwickelt tenzpersonen und Menschen mit Un-
werden. terstützungsbedarf sind Lösungen
17. Angebote müssen flexibiler und des Umgangs miteinander noch aus-
passgenauer werden. zuhandeln, Risiken sind auch wech-
18. Psychosoziale Unterstützung und selseitig. Es geht um Schutz vor In-
fektion, aber auch vor Isolation und
wachsende Gesundheitskompetenz
möglicher Gewalt bzw. Übergriffen.
erhöhen Teilhabechancen in der Ein-
Auch das unkontrollierbare Verhalten
gliederungshilfe. im Privatleben und die Verlässlichkeit
der Leistungen sind relevante The-
menfelder, die reflektiert werden
müssen.
Vor der Pandemie und gefördert
durch die Umgestaltung besonderer Wohnformen wurden entsprechende kommunika-
tive Prozesse (auch personbezogen) eingeleitet, sind aber unter dem Druck der
Coronaauseinandersetzungen in den Hintergrund geraten.
Seite 124 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Schutz vor
Ansteckung
(nach IfSG)
Diskriminie-
Gesundheits- rung und
risiken Schutz- und Gefähr- Fremd-
dungspotenziale – bestimmung
Einsamkeit Isolation,
und Nicht-
Gewaltrisiken Beachtung
richtung für eine angemessene, auch pflegerische und soziale Betreuung mit allen ver-
fügbaren Mitteln ein. Diese „bright side of inclusion“ wird allerdings gesichert um den
Preis einer „dark side“, nämlich des chronisch überlasteten Fachpersonals und einer
bleibenden weitreichenden Fremdbestimmung.
Die Einrichtungen der Eingliederungshilfe (hier: die besonderen Wohnformen) benöti-
gen daher dringend Unterstützung, um ihre Gesundheitssorge aufrecht zu erhalten
und dennoch ihre zurückgestellten Aufgaben der Eingliederungshilfe wiederaufzuneh-
men.
Solche Lageeinschätzungen stehen im Einklang mit dem Bericht der Berufsgenossen-
schaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) zur Corona-Pandemie
(BGW 2021). Die Aussagen basieren auf zehn offen geführten Einzelinterviews, teil-
weise in digitaler Form, sowie drei leitfadenbasierten Gruppendiskussionen (teilweise
in Präsenz, teilweise online) (BGW 2021: 19). Als Rehabilitationsträgerin verdeutlicht
die BGW, wie die pandemiebedingte starke Reduktion des sozialen Lebens (beispiels-
weise über Betretungsverbote) die Arbeit sozialer Dienste insgesamt tangieren oder
phasenweise stoppen konnte.
Gegen den drohenden Ausfall sozialer Dienste hat das BMAS mit dem „Gesetz über
den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus
SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag“ (Sozialdienstleis-
ter-Einsatzgesetz – SodEG) vom 27. März 2020 einen finanziellen Auffangmechanis-
mus installiert, der aber in der Behindertenhilfe nur teilweise zum Tragen kam (BGW
2021: 12). Im Bereich des Wohnens finden sich minimale indirekte Effekte (etwa durch
Personalverlagerungen zur Entlastung der erforderlichen 24/7-Dienste). Gegen den
besonderen Druck im verdichteten Alltag bei personenbezogenen in der Lebenswelt
Wohnen eingesetzten Diensten während der Pandemie wurden keine nennenswerten
Entlastungen bekannt. Vielmehr gingen phasenweise alle Aufgaben der Tagesstruk-
tur, Interaktion und Kommunikation, neben den Hygiene- und Pflegeaufgaben, voll-
ständig in die besonderen Wohnformen über. Auch Unterstützungen aus dem Kreis
der Angehörigen oder gesetzlichen Betreuung wurden ausgeschlossen. Da Tages-
struktur, Freizeit, Arbeitsleben, Feste und Besuche gleichzeitig wegfielen wuchs die
Konfliktneigung (BGW 2021: 30f), wie auch die W OGE 2020-Studie bestätigt. In Folge
wurde vor allem auf personenzentrierte und mit Assistenzen erbrachte Angebote ver-
zichtet. Alle Aktivitäten fielen zurück an die Wohnanbieter, von der Beratung über die
Gesundheitsversorgung und Interessensvertretung bis zu den Fahrdiensten.
Das Fachpersonal fühlt sich entsprechend erheblich belastet und überlastet (durch
Mehrarbeit, Überstunden und unklare bzw. widersprüchliche Kommunikationen), aber
auch durch seine Position als Puffer zwischen Leitungsanweisungen, Assistenzerfor-
dernissen und Unverständnis der Alltagsgestaltungen bei Bewohnerinnen und Bewoh-
nern ebenso wie bei den Angehörigen. Dass paradoxerweise auch gute Gründe für
Regelungen kommuniziert werden müssen, die selbst nicht verstanden werden,
kommt erschwerend hinzu.
Im unbekannten Terrain waren und sind auch Einrichtungsleitungen gefragt, die Fi-
nanzlücken schließen müssen und Zusagen geben in neuen oder aufwachsenden In-
vestitionsfeldern, wie für Desinfektionsmittel, Masken oder Selbsttests. In W OGE 2020
wird von Einrichtungen berichtet, Mittel, die an sich zur Freizeitstrukturierung vorgese-
hen waren, für diese Schutzzwecke zu nutzen.
Der Einsatz digitaler Kommunikationen im Alltag gewinnt seit Corona-Schutzbeginn an
Bedeutung, bei den Fachdiensten, die sich nicht mehr zu Übergaben oder Fachge-
sprächen physisch treffen konnten, aber auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern
selbst. Im Verlauf der Pandemieerfahrungen wuchsen die entsprechende Bereitschaft,
Befähigung und technische Ausstattung. Diese Entwicklung wird durchweg als sehr
hilfreich und entlastend wahrgenommen. Der Sektor der digitalen Kommunikation ver-
spricht daher nachhaltig in der besonderen Wohnform Einzug zu halten und zu bleiben.
Es gewinnt den Stellenwert einer (weiteren neuen) partizipativen Lebensweise, die
aber passgenau je nach Assistenzbedarf und Beeinträchtigungsformen begleitet wer-
den muss.
Infektionsschutz ermöglicht und verhindert. Mit dem Gesetz zur Verhütung und Be-
kämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)
vom Ende des Jahres 2020 ist ein Schutzschild gegen übertragbare Krankheiten ge-
formt, das der Übertragung vorbeugen, Infektionen frühzeitig erkennbar machen und
Weiterverbreitungen verhindern soll (§ 1 IfSG). Dies gelingt in den besonderen
Wohneinrichtungen weitgehend, wie die WOGE 2020-Studie bestätigt, aber Teilha-
bechancen bleiben auf der Strecke und Diskriminierungsrisiken wachsen.
Die Politik versucht unter außergewöhnlichen Umständen die Gesellschaft zu stabili-
sieren, ihre Mitglieder zu schützen und deren Zusammenhalt aufrecht zu erhalten. Da-
bei geraten mittel- und langfristige Effekte sowie marginalisierte Bevölkerungsgruppen
eher in den Hintergrund. Ein Verfahren, das systematisch soziale Determinanten von
Gesundheit und entsprechende Risikogruppen bei Entscheidungen mitbedenkt, wird
zwar von der Wissenschaft empfohlen, ist aber bisher nicht in die Entscheidungspro-
zesse mit Abwägung von Schutz und Risiken eingebunden (Rangel et al. 2020). So
tangieren gerade grundrechtseinschränkende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pan-
demie (nach § 28a IfSG) auch die Schutzschilde der eher „übersehenen Bevölkerungs-
gruppen“ in besonderer Weise, ohne weitere spezifische Wahrnehmungen von Seiten
der Politik. Versammlungslimitierungen, Ausgangsbeschränkungen, Besuchsverbote,
Begleitungsverbote in die Krankenhäuser bis zur vollständigen Isolation einzelner Per-
sonen oder Personengruppen prägten den Alltag in der Pandemie lange Zeit und in
großem Umfang auch in den besonderen Wohnformen. Dies bewirkt Einschränkungen
der Freiheiten der Lebensführung, die in manchen Fällen bis zur Gegenwart beibehal-
ten werden, obwohl sich allgemeine Gefährdungslagen verändern. Auch dies belegt
die W OGE 2020-Studie auf der erhobenen Datenbasis.
Ein tendenzielles Beharren bei einschränkenden Maßnahmen auf der Leitungsebene
mag auch über eine gewisse Erschöpfung eingetreten sein, aus der Erfahrung der –
kaum zu vermittelnden – langdauernden Umgestaltung des Alltags heraus. Dem hofft
man zu entkommen, indem Regularien einfach fortgesetzt werden. Dies trifft sich zu-
gleich mit den Interessen der Gesundheitsbehörden, die solche Fälle der „Über-Für-
sorge“ nicht verfolgen oder anmahnen, obwohl allseits bekannt ist, dass notwendige
Schutzmaßnahmen nur für befristete Zeiträume zulässig sind, niemals aber das Aus-
maß eines Freiheitsentzugs annehmen dürfen (indem sie tatsächlich und rechtlich an
sich gegebene Bewegungsfreiheit – und damit Teilhabe - nach jeder Richtung aufhe-
ben).
Der über Impfungen mögliche Schutz wurde – wie Daten der W OGE 2020-Studie be-
kräftigen – in den besonderen Wohnformen fast vollständig erreicht, jedenfalls erheb-
lich über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Es kam weniger zu Debatten der Corona-
Impfverordnung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) vom De-
zember 2020 wegen der Reihenfolgen der Gefährdungen, denn Bewohnerinnen und
Bewohner von Heimen sowie deren Pflegekräfte, ebenso wie Personen mit Vorerkran-
kungen gelangten unabhängig vom Alter in priorisierte Verteilungsstufen als beson-
ders sensible und verletzliche Gruppen.
Dies war eine positive Diskriminierung im Vergleich zur Lage der Menschen mit Behin-
derung, die nicht in Einrichtungen leben. Diese wurden nämlich zunächst nicht berück-
sichtigt, unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf, weil man annahm, dass die
Nähe bei Gemeinschaftsunterkünften an sich ein Risiko sei. Dennoch wurden auch
Strategien der Kontaktreduzierung legitimiert und realisiert (z. B. Isolation in Einzel-
zimmern, räumliche Trennung im Alltag, spezielle Personalzuweisung), begleitet von
Schutzwänden, Schutzanzügen oder verpflichtenden Mund-Nase-Bedeckungen.
Diese unklare Abwägungslage dauert an, auch wenn seit März 2022 u. a. für im Ge-
sundheitswesen Tätige eine Impfpflicht besteht. So differenzieren sich die ohnehin
vielfachen Herausforderungen bei der Organisation der benötigten Unterstützung um
Sorgen wegen unkontrollierbarer, womöglich riskanter Nähe oder plötzlichem Ausfall
der Unterstützungsperson/en (beispielsweise wegen Infektion, Quarantäne oder man-
gels Impfbereitschaft). Zur Klärung solch struktureller Kernkonflikte in Gefährdungsla-
gen fehlen weiterhin breiter angelegte wissenschaftliche Studien in und mit der Praxis.
Isolationsmaßnahmen wurden durch Testungen begleitet, die gemäß der „Verordnung
zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Testungen für den Nachweis
des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ auch für „betreute
Menschen in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe“ auf Kosten des Ge-
sundheitsfonds ermöglicht wurden. Wie in der W OGE 2020-Studie erfasst werden
konnte, haben sich entsprechende präventive Verfahren nach anfänglichen Unsicher-
heiten, wem die Testaufgabe zugewiesen werden sollte, nun im Alltag verankert.
Auch die Schutzausrüstungen gegen Infektionsrisiken waren - verglichen mit den Per-
sonen mit Beeinträchtigungen in ambulanter oder familiärer Unterstützung – in den
besonderen Einrichtungen schneller und umfassender verfügbar und in Gebrauch.
Dennoch wurden Ausgangssperren bisweilen zögerlich aufgehoben und Besuche nur
eingeschränkt wieder zugelassen.
Daraus lässt sich ableiten, dass die besonderen Wohnformen mit ihren Schutzaufga-
ben in der Krise insgesamt bemerkenswert gut so zurechtgekommen sind, dass hier
keine über die grundlegenden Gefährdungen hinausreichenden Risikolagen beobach-
tet werden können: Das Schutzsystem wurde weitgehend – auch improvisiert – wirk-
sam realisiert und die damit verbundenen Aufgaben auch zur gemeinsamen Zufrie-
denheit bewältigt. Die während dieser Erfahrung erkennbaren besonderen Mängel der
Leistungen zeigen sich aber im Feld der Teilhabeentwicklung, hier fällt zugleich die
Zukunftsplanung eher schwer.
Es würde helfen, wenn die Erfahrungen und Wissensbestände aller Beteiligten bezo-
gen auf die Spannungsverhältnisse von Gesundheit und Teilhabe weiterwachsen und
sich dabei wissensbasiert klare Verbindungsstrukturen in den Entscheidungs- und Ge-
staltungswegen etablieren.
Eine systematische und kritische Betrachtung aller Maßnahmen im Hinblick darauf, ob
sie sich für Menschen mit Beeinträchtigungen negativer auswirken können als für die
als nicht-beeinträchtigt geltende Mehrheit der Gesellschaft (Disability Mainstreaming)
sollte zugleich vorliegende Ideen, Maßnahmen und Lernprozesse neu bewertbar und
nutzbar machen, mit der Gründlichkeit und so umfassend, wie Infektionsrisiken dekla-
riert und Schutzmaßnahmen realisiert worden sind.
Gesundheit als soziales Menschenrecht ist in Art. 12 des Internationalen Pakts für so-
ziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte verbürgt. Besonders verpflichtet ist der
Staat jedoch dem Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG, also dem Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit.
Hier treffen also das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf die unver-
letzliche Freiheit der Person. Gleiches gilt auch im Hinblick auf Bürgerinnen und Bürger,
die nicht aus eigener Kraft im Rahmen der ihnen gegebenen Vorrausetzungen für ihre
Lebensvollzüge (Bedarfe und Bedürfnisse) den Erhalt und die (Wieder-)Herstellung
ihrer Gesundheit sichern können. Dies geht in der Regel weit über medizinische Ver-
sorgung hinaus.
Vorbedingung für all dies ist eine bestehende und allen zugängliche Gesundheitsver-
sorgung (HiAP: Health in All Policies) (Geene et al. 2019; Huster 2012: 24ff.). So wird
auch das ungleiche Risiko von älteren und jüngeren, gesundheitlich beeinträchtigten
und nicht beeinträchtigten Menschen und ein ggf. erhöhtes Schutzbedürfnis berück-
sichtigt. Die entsprechende Gesundheitspolitik, die auch Prävention im Sinne von Vor-
sorge einbezieht, ist Teil der staatlichen Gestaltungsaufgaben.
Bislang liegen kaum aktuelle Studien zur Präventionslage bezogen auf Menschen mit
Beeinträchtigungen und Behinderung vor. Eine wissenschaftliche Studie (Tempel-
mann et al. 2020; Tempelmann et al. 2019) zur Evaluation in den besonderen Wohn-
formen der Pflege und der Eingliederungshilfe wurde im Auftrag des Bundesministeri-
ums für Gesundheit (BMG) durchgeführt. Sie richtet das Augenmerk ebenso auf Be-
wohnerinnen und Bewohner wie auf das Personal. Aus den Felderkundungen sollte
ein Qualitätssicherungskonzept (Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsför-
derung, kurz: QualiPEP) entstehen, unter Federführung der Bundes-AOK gemeinsam
Seite 133 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
erarbeitet (zum „Gesamtplan“ Tempelmann et al. 2019: 300). In einer qualitativen Teil-
studie wurden dazu Vorkommen und Bewertung präventiver Maßnahmen in Einrich-
tungen der Eingliederungshilfe erkundet (Bootz / Wacker 2019; Wacker / Bootz 2019),
mit etwa 100 persönlichen Interviews aus Einrichtungen der Eingliederungshilfe und
etwa 50 Personen aus dem Fachpersonal im Betreuungsdienst in Fokusgruppen
(Bootz / Wacker 2021a; Bootz / Wacker 2021b). Beide Gruppierungen konnten – vor
der Coronapandemie – persönlich befragt werden, die Studie bietet also eine qualita-
tive Momentaufnahme für die Wahrnehmung von Gesundheit, Teilhabechancen und
Diskriminierungsrisiken.
Im ersten Vergleich mit den bisherigen W OGE 2020-Ergebnissen der Schnellauswer-
tung und den Erkenntnissen der Präventionsstudie vor der Coronazeit lässt sich ver-
muten, dass manche Problemfelder in den besonderen Wohnformen der Eingliede-
rungshilfe nicht nur wegen Corona bestehen. In der auf Daten aus dem Jahr 2019
beruhenden Präventionsstudie erwähnen beispielsweise aktive Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sie seien verglichen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern eher vernach-
lässigt:
„Also ich bin der Meinung, dass was Gesundheit, Prävention und Vorsorge angeht,
sind meine Bewohner besser versorgt als ich selbst“ (FOKUSGRUPPE 9 | PERSONAL).
Und tatsächlich finden sich im Bereich der Eingliederungshilfe überdurchschnittlich
viele Krankheitstage, auch durch besondere psychische Herausforderungen sowie Ne-
beneffekte wie besondere Ansteckungsgefahren:
„Wir haben teilweise einen hohen Krankenstand. Sei es durch psychische Belas-
tung, sei es durch gesundheitliche (…). Wir achten dann auf uns gesundheitlich, so
gut es geht, dann kommt aber ein erkrankter Bewohner, der Schneeball ist da, das
geht dann durch die Einrichtung durch, dann erkrankt der Kollege von der Schicht,
wo sich ansteckt bei einem Kunden“ (FOKUSGRUPPE 12 | PERSONAL).
Es wird davon gesprochen, dass ohne eine intakte Psychohygiene „das ganze Karten-
haus“ zusammenstürze. Die Beschäftigten sehen sich in einem „Teufelskreis“. So tan-
gieren beispielsweise psychische Herausforderungen die Ernährung, Bewegung und
auch das (Aus-)Ruhen, gepaart mit Stressoren wie Wochenenddiensten und Schicht-
arbeit. Um Abstand zum Beruf wird (oft vergeblich) gerungen, also abschalten zu kön-
nen, Pausen einzurichten. Auch der Mangel an Anerkennung kommt zur Sprache,
ebenso wie die – im Berufsbild eingewobene – Schwierigkeit von Nähe und Distanz.
Denn das Verantwortungsbewusstsein ist groß:
„Wir sind halt einfach am Leben dran …“ (FOKUSGRUPPE 4 | PERSONAL).
Es ist also denkbar, dass sich die Belastungen aus der Coronazeit zu einer ohnehin
bereits schwer belasteten Arbeitssituation addieren, die aber u. a. durch Prävention
mit der Zeit gemildert werden könnte.
Der Gesetzgeber hat auf die Corona-Pandemie auch mit Erweiterungen der Präventi-
onsleistungen im SGB V reagiert:4 Diese Leistungen müssen nämlich nicht nur Viren
4§ 20i SGB V (Leistungen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten) wurde im Laufe der Jahre 2020
und 2021 angepasst.
Seite 134 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
8 Verzeichnisse
8.1 Quellen
[0.1] https://www.handelsblatt.com/technik/digitale-revolution/datenanalyse-wie-ruhe-
puls-schrittfrequenz-und-schlafverhalten-auf-eine-corona-infektion-hinweisen-ko-
ennen/26608698.html
[0.2] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Inkscape_icons_path_intersection.svg
[1.1] https://corona-leichte-sprache.de/media/page/2/attachment-1585648068.pdf
[1.2] https://www.zusammengegencorona.de/leichtesprache/?
[2.1] https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/communication/graphics-but-
tons.html
[2.2] https://www.wismarer-werkstaetten.de/wohnen/besondere-wohnformen
[2.3] https://merics.org/de/coronavirus?page=2
[3.1] https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/communication/graphics-but-
tons.html
[3.2] https://www.jes-wohnen.de/do-innenstadt-mozartstrasse.html
[3.3] https://www.stmgp.bayern.de/?lang=de_ls]
[4.1] https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/communication/graphics-but-
tons.html
[4.2] https://www.testingtime.com/fokusgruppe-rekrutieren/
[4.3] https://www.hamburg.de/coronavirus/inklusion/15802750/ls-was-gilt/
[5.1] https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/communication/graphics-but-
tons.html
[5.2] https://www.pinterest.de/pin/group-of-people-royalty-free-cliparts-vectors-and-
stock-illustration-image--827606868994071129/
8.2 Literatur
BGW (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege) (Hrsg.)
(2021). Die Coronapandemie in der Behindertenhilfe. Auswirkungen, Probleme, Lö-
sungen. Hamburg: www.bgw-online.de (Bestellnummer BGW 55-83-142)
BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (2021). Dritter Teilhabebericht der
Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Teil-
habe – Beeinträchtigung – Behinderung. BMAS, Bonn.
Bootz, Philip / Wacker, Elisabeth (2021a). Investition in die Gesundheit. Gesundheit
und Gesellschaft SPEZIAL, 24(4), 12 – 13.
Bootz, Philip / Wacker, Elisabeth (2021b). PräGe – Prävention und Gesundheitsförde-
rung in besonderen Wohnformen. Studienbericht. KomPart, Berlin.
Bootz, Philip / Wacker, Elisabeth (2019). Qualitätsorientierte Prävention und Gesund-
heitsförderung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Pflege. Eine lebenslagen-
orientierte explorative Studie zu Gesundheit und Gemeinschaft für Menschen mit Be-
einträchtigungen und ihr Betreuungspersonal (Abschlussbericht). Technische Univer-
sität München, München.
of the social determinants of health in modelling and decision making. Journal of Eva-
luation in Clinical Practice, 26(4), 1078 – 1080.
Reckwitz, Andreas (2017). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel
der Moderne. Suhrkamp, Berlin.
Rehadat-Statistik (2020). Statistik der schwerbehinderten Menschen. Ursachen von
Behinderung. https://www.rehadat-statistik.de/statistiken/behinderung/schwerbehin-
dertenstatistik/ (online, abgerufen am 24.10.2021).
Sappok, Tanja / Burtscher, Reinhard / Grimmer, Anja (Hrsg.) (2020). Einfach sprechen
über Gesundheit und Krankheit. Medizinische Aufklärungsbögen in Leichter Sprache.
53° NORD Agentur, Kassel.
Schäfers, Markus / Schachler, Viviane /., Schneekloth, Ulrich / Wacker, Elisabeth
(2016). Pretest Befragung in Einrichtungen der Behindertenhilfe: Abschlussbericht.
(Forschungsbericht / Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FB471). Fulda: Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales; Hochschule Fulda, Zentrum Gesellschaft und
Nachhaltigkeit (CeSSt); TNS Infratest Sozialforschung GmbH; Technische Universität
München, Fak. für Sport- und Gesundheitswissenschaft, Lehrstuhl für Diversitätssozi-
ologie. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-48223-8
Tempelmann, Anke / Ströing, Miriam / Ehrenreich, Heidi / Kolpatzik, Kai / Hans, Chris-
tian (2020). QualiPEP – Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung in
Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Pflege. In Jacobs, Klaus / Kuhlmey, Adel-
heid / Greß, Stefan / Klauber, Jürgen / Schwinger, Antje (Hrsg.), Pflege-Report 2019.
Tempelmann, Anke / Kolpatzik, Kai / Ehrenreich, Heidi / Ströing, Miriam / Hans, Chris-
tian (2019). Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung in Einrichtun-
gen der Pflege. Das Projekt QualiPEP. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsfor-
schung – Gesundheitsschutz, 62, 296 – 303.
UN-BRK (2008). Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen. https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a729-un-
konvention.html
United Nations (2012). Human rights indicators. A guide to measurement and imple-
mentation. https://www.ohchr.org/Documents/Publications/Human_rights_indica-
tors_en.pdf (online, abgerufen am 24.10.2021).
Vögele, Claus (2013). Was ist Gesundheit? Verhaltenstherapie. Praxis – Forschung –
Perspektiven, 23, 232 – 233. https://doi.org/10.1159/000356956
Wacker, Elisabeth (2020). Teilhabefokus und Soziologie sozialer Probleme. Eine Er-
kundung zu Forschungspotenzialen am Beispiel der Behinderungsfrage. Soziale Prob-
leme, 31(1-2), 103 – 122.
Wacker, Elisabeth (2016). Beeinträchtigung – Behinderung – Teilhabe für alle. Neue
Berichterstattung der Bundesregierung zur Teilhabe im Licht der Behindertenrechts-
konvention der Vereinten Nationen. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung
– Gesundheitsschutz, 59(9), 1093 – 1102.
Wacker, Elisabeth / Beck, Iris / Brandt, Martina / Köbsell, Swantje / Lippke, Sonia /
Niehaus, Mathilde (2022 | im Erscheinen). Gesundheit – Teilhabechancen – Diskrimi-
nierungsrisiken. Health in All Policies als Querschnittsaufgabe bei Beeinträchtigungen
und Behinderung. Springer, Heidelberg.
Wacker, Elisabeth / Bootz, Philip (2019). Qualitätsorientierte Prävention und Gesund-
heitsförderung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Abschlussbericht. Berlin Bun-
desverband der Allgemeinen Ortsübergreifenden Krankenkassen (Forschungsprojekt
QualiPEP), Berlin.
WHO (World Health Organization) (2002 | 1946). Constitution of the World Health Or-
ganization. 1946. International Health Conference. Bulletin of the World Health Organ-
ization, 80(12), 983–984. https://apps.who.int/iris/handle/10665/268688
WHO (World Health Organization) (2001). International Classification of Functioning,
Disability and Health (ICF) World Health Organization, Geneva.
WHO (World Health Organization) (1986). Ottawa Charter for Health Promotion.
https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0004/129532/Ottawa_Charter.pdf
(online, abgerufen am 09.02.2021).
WHO (World Health Organization) (1981). Global strategy for Health for All by the year
2000. https://www.who.int/publications/i/item/9241800038 (online, abgerufen am
09.02.2021).
Wolfschmidt, Anna / Ochmann, Uta / Nowak, Dennis / Drexler, Hans (2020). IKKA-
Score zur Vereinheitlichung der Beurteilung des individuellen Risikos durch SARS-
CoV-2. ASU Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, 55(12), 760 – 765.
Zimmermann, Till (2020). Ärzte in Zeiten von Corona: Wer stirbt zuerst? In: Legal Tri-
bune Online, 23.03.2020, https://www.lto.de/persistent/a_id/40967/ (abgerufen am:
25.09.2022 )
8.3 Abkürzungen
ABBo Angehörigen- und Betreuungs-Bogen | Strukturierter Fragebogen
zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklun-
gen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe aus Sicht der Ange-
hörigen bzw. Gesetzlichen Betreuung (in besonderen Wohnfor-
men)
AK Arbeitskreis
BeBo Bewohnerinnen und Bewohner Bogen | Fragebogen zur Selbst-
auskunft der Bewohnerinnen und Bewohner
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGW Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrts-
pflege
BMAS Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
BMG Bundesministerium für Gesundheit
bspw. beispielsweise
BTHG Bundesteilhabegesetz
8.4 Abbildungen
Seite
Studiendesign und Methoden
1.1 Forschungsdesign der WOGE 2020-Feldstudie 10
1.2 Von einer Einrichtung entwickelter Aufklärungsbogen für die Bewoh- 13
nerinnen und Bewohner (anonymisiert)
1.3 Chronologie der W OGE 2020-Studie im Überblick 13
Bewohnerinnen- und Bewohnerperspektive
2.1 Geschlecht der Befragten 16
2.2 Beziehungsstatus der Befragten 16
2.3 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand nach Geschlecht [männlich 17
(m), weiblich (w), divers (d)]
2.4 Wohnwünsche - „Möchten Sie lieber woanders wohnen?“ (Angaben 22
in %)
2.5 Zimmergebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihr Zimmer 25
zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.6 Wohngruppengebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre 25
Wohngruppe zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.7 Wohnheimgebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre 25
Wohneinrichtung zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.8 Veränderung der Zufriedenheit mit den Angeboten durch Corona (An- 32
gaben in %)
2.9 Erkrankung am Coronavirus nach Geschlecht (Angaben in %) 34
2.10 Impfstatus – „Wurden Sie gegen Corona geimpft?“ (Angaben in %) 36
2.11 Zufriedenheit mit der Arbeit insgesamt (Angaben in %) 38
2.12 Notwendige Unterstützung bei Dingen rund um die Arbeit (Angaben in 39
%)
2.13 Veränderung der Mitbestimmung in der Wohnsituation durch Corona 41
(Angaben in %)
2.14 Diskriminierungserfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %) 44
2.15 Gewalterfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %) 45
Leitungsperspektive
3.1 Lage der befragten Einrichtungen 50
3.2 Funktion der Auskunftsperson 50
3.3 Größe der Einrichtung 51
3.4 Förderschwerpunkte der Einrichtung 51
3.5 Anzahl der Mitarbeitenden (in Vollzeit umgerechnet) 52
3.6 Aushänge zu aktuellen Hygienevorgaben – zu Beginn der Pandemie 57
3.7 Aushänge zu aktuellen Hygienevorgaben – zum Befragungszeitpunkt 57
3.8 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung – zu Beginn 57
der Pandemie
3.9 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung – zum Be- 57
fragungszeitpunkt
3.10 Einschränkung auf Einzelzimmernutzung – zu Beginn der Pandemie 58
3.11 Einschränkung auf Einzelzimmernutzung – zum Befragungszeitpunkt 58
Angehörigenperspektive
5.1 Beziehung zwischen der bzw. dem Befragten und der Bewohnerin 96
bzw. dem Bewohner
5.2 Aktive Einbindung der Angehörigen in die Versorgung der Bewohne- 97
rin oder des Bewohners
5.3 Vollständiger Impfschutz der Person, die in der Einrichtung lebt 98
5.4 Einschätzung der Gesundheitsrisiken zu verschiedenen Zeitpunkten 99
in Prozentangaben
Seite 143 von 144
© W OGE 2020
W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022
Teilhabechancen
7.1 Abwägung riskanter Folgen und möglicher Chancen für Menschen mit 131
Beeinträchtigungen bei Corona („dark side and bright side of inclusion“)
8.5 Tabellen
Seite
Bewohnerinnen- und Bewohnerperspektive
2.1 Häufigkeiten der Beeinträchtigungsformen der Bewohnerinnen und Be- 19
wohner
2.2 Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen 31
2.3 Beschäftigungsstatus der Befragten (Angaben in %) 38
2.4 Diskriminierungserfahrungen I „Wurden Sie schon einmal benachteiligt 43
oder schlecht behandelt, …“ (Angaben in %)
2.5 Diskriminierungserfahrungen II – „Wurden Sie aufgrund Ihrer Beein- 43
trächtigung schon einmal…“ (Angaben in %)
2.6 Gewalterfahrungen „Wurden Sie schon einmal gegen ihren Willen …“ 44
(Angaben in %)
Leitungsperspektive
3.1 Notfallpläne für Bewohnerinnen und Bewohner 55
3.2 Notfallpläne für das Personal 55
Zusammenschau und Intersektionen
6.1 Grundsatzfragen und Richtungsweisungen 103
6.2 Grundmaßstäbe und Operationalisierungen 104