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W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen

für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022

WOGE 2020 – Wohnen in Gesundheit //


Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen für
Menschen mit Behinderung. Momentaufnahmen und Zu-
kunftsplanung zu Gleichstellung und Teilhabe bei der
Gesundheitssorge im Jahr 2020

Wacker Elisabeth / Ferschl Susanne

[0.1]

Zuwendungsgeber BMAS Kontakt:


Prof. Dr. Elisabeth Wacker
Lehrstuhl für Diversitätssoziologie /
AG Diversitätssoziologie
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24460
E-Mail: elisabeth.Wacker(at)tum.de

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Gliederung

Zur Einstimmung
Seite 8-13

1 Studiendesign und Methoden

[1.1]

1.1 Forschungsbedarf und -design


1.2 Forschungsmethoden

[1.2]

2 Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner

[2.1]
Seite 14-46
2.1 Personenbezogene Angaben BeBo
2.2 Selbsteingeschätzter Gesundheitszu-
stand
2.3 Beeinträchtigungen und Behinderung
2.4 Alltägliche Lebensführung
2.5 Unterstützung, Nutzung von Diensten
2.6 Gesundheit und Gesundheitsrisiken
2.7 Arbeit
2.8 Partizipation [2.2] [2.3]
2.9 Sicherheit und Schutz

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3 Perspektiven der Leitungsebene

[3.1]
Seite 47-81
3.1 Einrichtungsbezogene Informationen LeBo
3.2 Ausgangslage in den Einrichtungen vor
der Pandemie
3.3 Schutzmaßnahmen in den Einrichtun-
gen
3.4 Umsetzung der Schutzmaßnahmen –
Bewohnerinnen und Bewohner [3.2]
3.5 Umsetzung der Schutzmaßnahmen –
Personal und Angehörige
3.6 Exklusionsrisiken
3.7 Erkenntnisse aus der Pandemie

4 Perspektiven des Fachpersonals

[4.1]
Seite 82-94
4.1 Mitarbeiterbezogene Perspektive zu FaFo
besonderen Wohnformen
4.2 Lagebeschreibung zu Pandemiebe-
ginn
4.3 Personalperspektive während der [4.3]
[4.2]
Pandemie
4.4 Zukünftige Entwicklungen aus Sicht
der Fachkräfte

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5 Perspektiven von Angehörigen

[5.1]
Seite 95-101

5.1 Angaben zu den befragten Ange- ABBo


hörigen
5.2 Wohnalltag unter Coronabedingun-
gen aus Angehörigensicht
5.3 Sich wandelnde Teilhabechancen
und Gesundheitsrisiken
5.4 Wünsche und Hinweise der Ange- [5.2]
hörigen für die Zukunft

6 Zurück in die Zukunft - Zusammenschau


und Intersektionen

[0.2]
Seite 102-119
6.1 Das Untersuchungsfeld
6.2 Fürsorgliche Gesundheitssorge statt Teilhabege-
winnen?
6.3 Krisenbewältigung als Kerngeschäft mit Grenzen
des Machbaren
6.4 Dazugelernt – Kompetenzgewinne
6.5 Qualitätssicherung bei Versorgungsnöten und
Rückzugstendenzen
6.6 Nachhaltige Risiken und digitale Entwicklungsge-
winne – ein Weckruf
6.7 Nähe und Distanz in der Gemeinschaft durch Kom-
munikation und Information – Vielfalt in Verbindung
6.8 Schutz der Fachkräfte bei Health and Inclusion in
All Policies

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7 Ausblick: Zur Teilhabe nichts Neues?


Gesundheit trifft Teilhabechancen

Seite 120-135
7.1 Individuelle Verantwortung – Singularitäten in
der Pandemie - in Gemeinschaft
7.2 Geteilte Verantwortung – ist Mut machen
möglich?
7.3 Teilhabe passgenau in Kontexten verwirkli-
chen – Kurskorrekturen mit Regulationen,
Wissen, Umwelt und Technik
7.4 Teilhabeerneuerung im Übergang

8 Verzeichnisse

Seite 136-144
8.1 Quellen
8.2 Literatur
8.3 Abkürzungen
8.4 Abbildungen
8.5 Tabellen

Anhang

In einem gesonderten Band (Anhang) werden alle selbst entwickelten Erhebungsinstru-


mente [ABBo / BeBo / FaFo / LeBo] sowie weitere formale Kommunikationen zur Infor-
mation und zur Aufklärung, zu Datenschutz und zum Projekt beigefügt, ergänzt um eine
allgemeine Corona-Chronologie zur Orientierung.

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Zur Einstimmung
Rund eine Million Menschen mit Beeinträchtigungen leben in Deutschland in stationä-
ren Einrichtungen (BMAS 2021: 50). Von diesen wohnt etwa ein Fünftel in Institutionen
der Eingliederungshilfe, die seit 2020 als besondere bzw. gemeinschaftliche Wohnfor-
men bezeichnet werden. Diese sollen für Menschen mit Beeinträchtigungen Leistun-
gen in einer Weise personenzentriert erbringen, dass sie dort ihr Leben führen können.
Zu wohnen bedeutet, einen wesentlichen Teil des Alltags zu verbringen und sich zu
Hause zu fühlen. Zur Ruhe kommen, sicher sein, Privatheit gestalten, Gemeinschaft
erleben, Assistenz erhalten, einen Haushalt führen, sein Leben planen, zur Arbeit ge-
hen, Freizeit wählen, Gäste empfangen, all dies soll dort eine Basis haben. Eine Woh-
nung ist Ausgangs- und Rückkehrpunkt der gesamten Lebensführung.
Die Feldstudie „Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen für Menschen mit
Behinderung. Momentaufnahmen und Zukunftsplanung zu Gleichstellung und Teilha-
be bei der Gesundheitssorge im Jahr 2020“, kurz „Wohnen in Gesundheit: W OGE
2020“, fand während der Coronapandemie statt. Die Chronologie einschneidender
Schritte (Ausgangs- und Zutrittsbeschränkungen; Impfungen; Maskenpflicht etc.) fin-
det sich im Anhangsband.
Es wurde untersucht, wie in unterschiedlichen besonderen Wohnformen Aufgaben der
Gesundheitssorge verbunden mit Ansprüchen auf soziale und gesellschaftliche Teil-
habe und Gleichstellung zu Zeiten der COVID-19-Pandemie umgesetzt wurden und
werden. Dabei ist ein multiperspektivisches und qualitatives Vorgehen maßgeblich. Im
Fokus stehen zum einen die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnfor-
men (Menschen mit Behinderung und / oder chronisch psychisch kranke Menschen)
als Nutzerinnen und Nutzer der Leistungsangebote. Zum anderen kommt das in den
Wohnformen tätige Fachpersonal zu Wort, das sind insbesondere soziale, medizi-
nisch-therapeutische, pädagogische und pflegende Dienste, die im Alltagszusammen-
hang ihre Leistungen erbringen. Schließlich ergänzen die Wahrnehmungen der Per-
sonen in Leitungsverantwortung und die – quasi externe – Erfahrung der Angehörigen
von Bewohnerinnen und Bewohnern das Spektrum der Studie.
Die Wissenschaft musste sich vielen ungewöhnlichen Hindernissen stellen. Sie waren
der Pandemie geschuldet, die den Zugang zum Feld mit vielen Unwägbarkeiten her-
ausforderte. Alle Beteiligten sind dabei über viele Schatten gesprungen. Das verdient
ausdrückliche Anerkennung und größten Dank. In den Einrichtungen wünschten und
hoffen alle darauf, mit der Studie mehr gehört und besser verstanden zu werden.
Die ursprünglich geplante W OGE 2020-Laufzeit von einem Jahr unter Förderung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) konnte aus Gründen der Pande-
mie nicht präzise eingehalten wer- den. Die geforderte „Social
Distance“ und Begleiterscheinun- gen wie Lockdown, Erkran-
kung oder Quarantäne waren nicht steuerbar. Termine
mussten daher besonders auf- wändig hergestellt und häufig
immer wieder verschoben und neu konstruiert werden. Aber
niemand verlor die Geduld. Des- wegen liegen nun sehr wert-
volle qualitative Daten vor. Sie sind fundiert durch das mehr-
perspektivische Wissen von fast zweihundert Personen, die weit über hundert Stunden
alleine für dokumentierte Interviews und Gespräche zur Verfügung standen. Es sind
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lebensnahe und partizipativ gewonnene Datenschätze, die gehoben werden können


und über die weiter zu debattieren ein Gewinn sein wird.
In diesem Bericht wird eine erste Auswertung der gewonnenen Daten vorgestellt. Wei-
tere Erkenntnisse sind möglich, u. a. im Rahmen von wissenschaftlich gewünschten
praxisnahen Diskursen. Noch fehlen auch aufwändigere Einbettungen in laufende af-
fine Debatten und Datenlagen sowie mögliche noch detailliertere multiperspektivische
Belege. Solide Einschätzungen und Prognosen sind nach den Regeln der Wissen-
schaft dennoch bereits mit dieser datenbasierten Auswertung möglich.
Der Anspruch bundesweit zu erkunden, alle Wohnformen abzubilden und alle in den
besonderen Wohnformen üblichen Formen der Beeinträchtigung einzuschließen ist er-
füllt. Das gesamte Untersuchungsfeld wird daher umfassend wahrgenommen und ein-
bezogen.
Somit sind die mit Mitteln der Wissenschaft (Erhebungsinstrumenten, Leitfäden, Infor-
mationen und Kommunikationen sowie Beobachtungen) gewonnenen Daten von gro-
ßem aktuellen Wert und besonderer Aussagekraft. Sie reichen vom Beginn der Pan-
demie bis zum Befragungszeitpunkt und erfassen auch Erfahrungszusammenhänge.
Hierbei zeigen sich positive und negative Wirkungen. Innere Abläufe in den Organisa-
tionen und soziales Miteinander werden kenntlich. Es findet sich auch Wissenswertes
im Zusammenspiel von Gesundheitsschutz und Risikoabwägungen. Vor allem aber
wird der Einfluss all dieser Faktoren auf das Alltagsleben der Menschen mit Beein-
trächtigungen und Behinderung, die für die Wissenschaft Rede und Antwort standen,
betrachtet. Jede fachlich übliche oder auch experimentelle Ausgestaltung des Mit-
Corona-Dienstes für diesen Personenkreis muss sich an personalisierten Teilhabezie-
len messen lassen. Manche Lösungswege bewährten sich, andere Maßnahmen und
Notlagen sollten sich keinesfalls wiederholen. Dies gilt in Nord, Süd, Ost und West der
Bundesrepublik gleichermaßen, in kleinen Wohnformen ebenso, wie in sehr großen
Wohnanbieter-Formaten. Kleine Gruppierungen mit einstelliger Mitarbeiterzahl sind
ebenso Teil der Studie wie Mega-Angebote mit mehreren tausend Beschäftigten, der
ländliche Raum ebenso wie Großstädte und Metropolregionen.
Den wirklich vielen Menschen, die in einer ohnehin extrem strapazierten persönlichen
Situation, trotz der Nähe zur Privatheit und auch in ihrer Sorge um Ansteckungsrisiken
bereit waren, ihre ausführlichen Beiträge zur Lagebeschreibung zu leisten, sei aus-
drücklich und uneingeschränkt gedankt. Wir können zwar ihre Namen und Einrichtun-
gen nicht nennen, denn die Studie achtet die vereinbarte Vertraulichkeit sehr sorgfältig,
aber sie wissen ja, wer gemeint ist.
Für das W OGE 2020-Quintett der TUM

Susanne Dominik Ananda Elisabeth Anne-Christin


Ferschl Mertenbacher Stullich Wacker Zobel

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1 Studiendesign und Methoden


Die Feldstudie „W OGE 2020 – Wohnen in Gesundheit. Die Coronapandemie in beson-
deren Wohnformen für Menschen mit Behinderung. Momentaufnahmen und Zukunfts-
planung zu Gleichstellung und Teilhabe bei der Gesundheitssorge im Jahr 2020“
wurde im Jahr 2020 vom Lehrstuhl Diversitätssoziologie, Prof. Dr. Elisabeth Wacker,
geplant und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bewilligt. Der Start ins
Feld wurde unverzüglich vorbereitet.

[1.1]

Im Verlauf des Jahres 2021 wurden Mitarbeitende gewonnen, alle Erhebungsinstru-


mente wie geplant entwickelt sowie die erforderlichen Feldkontakte geknüpft und kon-
kretisiert.

W
er. Im Team aus Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie
Studentischen bzw. Wissenschaftlichen Hilfskräften der Technischen Univer-
sität München (TUM) wirkten und wirken (unterschiedlich fokussiert und in-
tensiv) bei der Datenerfassung mit:
 Dominik Mertenbacher (Politikwissenschaftler)
 Ananda Stullich (Gesundheitswissenschaftlerin und Soziologin)
 Elisabeth Wacker (Prof. Dr. rer. soc., Diversitätssoziologin)
 Anne-Christin Zobel (Gesundheitswissenschaftlerin und Gesundheits- und
Krankenpflegerin)
Besondere Erwähnung verdient für ihren großen Einsatz bei der Datenauswertung und
Berichterstattung
 Susanne Ferschl (Humanwissenschaftlerin, Kriminologin)
Mit Feldkontakten, vielen wertvollen Hinweisen zum Studiendesign und Unterstützung
in vielfachen Fragen der Auswertung und Bewertung standen der Studie sehr renom-
mierte externe Kolleginnen und Kollegen zur Seite:
 Ulrich Becker (Prof. Dr., Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und So-
zialpolitik, München)
 Martina Brandt (Prof. Dr., Lehrstuhl für Sozialstruktur und Soziologie alternder
Gesellschaften, Fakultät Sozialwissenschaften, Technische Universität Dort-
mund, Dortmund)
 Andreas Speck (Prof. Dr., Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsme-
dizin Greifswald, Greifswald)
 Ingmar Steinhart (Prof. Dr., Vorstand der von Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel, Bielefeld).
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Auch im BMAS fand sich stets ein offenes Ohr und viel Bereitschaft zur Unterstützung
dieser Feldexkursion, von der zunächst nicht erwartet wurde, wie sehr sie mit den je-
weiligen Coronawellen und entsprechenden umfassenden und exkludierenden Maß-
nahmen und Gesundheitsrisiken externen Faktoren unterworfen sein würde.
Wichtigste Partner waren aber die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Ein-
richtungen der Eingliederungshilfe, die Angehörigen der Menschen mit Beeinträchti-
gungen und Behinderung, das Fachpersonal, die jeweils Verantwortlichen direkt in den
Einrichtungen, aber auch auf Trägerebene der Vereine und Verbände.
Ohne diese kumulierte Expertise wäre WoGe 2020 als ehrgeizige multiperspektivisch
angelegte Feldstudie in der Kernphase der Coronapandemie nicht möglich gewesen.
Es gab keine Bedenkenträger, sondern großartige Mitspielerinnen und Mitspieler.
Ihnen allen gilt der ganz besondere uneingeschränkte Dank für all die Lösungsorien-
tierung, Einsatzbereitschaft (intensiv auch an Wochenenden und Feierabenden), Un-
ermüdlichkeit und Offenheit, gegenüber den Anliegen und Anforderungen der Studie.
Wenn Engagement Gehör verdient, dann wäre dies alleine ein guter Grund, den Er-
kenntnissen und Ergebnissen viel Aufmerksamkeit und Resonanz zu wünschen, in
Wissenschaft und Praxis, vor allem aber auch in Politik und Behörden.

[1.2]

1.1 Forschungsbedarf und -design

W
as. Die Coronapandemie wirkt auch auf die Gesundheitslage der Menschen
mit Beeinträchtigungen und Behinderung ein. Rund um ihre Gesundheit er-
geben sich besondere Risikolagen, vor allem auch im Bereich des Wohnens.
Sie gelten zudem als vulnerable Bevölkerungsgruppe. Ihr Einfluss auf ihre Lebensge-
staltung (und Teilhaberisiken) ist beschränkt. Zu den bestehenden Beeinträchtigungen
kommen daher weitere besonders belastende Lebensumstände. Dazu zählen auch
Diskriminierungsrisiken. Zugleich haben sie einen individuellen Anspruch auf Gleich-
berechtigung bzw. auf den Ausgleich von Benachteiligungen.

W
o. Konkrete Erkenntnisse und relevante Aufgabenfelder werden mit der
WOGE 2020-Feldstudie erkundet. Sie erfasst die Wohnlage und Lebenssitu-
ation des oben genannten Personenkreises. Dabei wird eine Einordnung der
gewonnenen Daten angestrebt, die eine Zeitspanne (vor der Pandemie – während der
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Pandemie – zukünftig zu bedenken) umfassen soll. Zusätzliche Wissensbestände aus


weiteren Studien und der Literatur werden ergänzend oder kontrastierend genutzt.
Während der Studie wurde immer deutlicher, wie relevant es ist, sich laufend ändernde
externe Faktoren zu beachten, wie beispielsweise Kontextvariablen (Schutzmaßnah-
men, Impfungen, gesundheitliche Folgen wie Post-Covid / Long Covid, aber auch Per-
sonal- oder Materialengpässe). Erschwerend kam hinzu, dass verschiedene Zustän-
digkeitsebenen (Bund, Länder, Kommunen, zuständige Gesundheitsämter etc.) in
Wechselbeziehungen standen oder auch gegensätzliche Impulse setzten. Aus einer
Gesundheits- und Teilhabeperspektive ergab sich die Frage, ob eine gesonderte Be-
achtung der besonderen Wohnformen wirksamer sein würde, als eine Nicht-Beach-
tung.
Bei den Überlegungen wurde ebenso die Perspektive der Anbieter und des mit der
Assistenzleistung befassten Fachpersonals einbezogen. Deren Risiken für sich selbst
und für andere erwiesen sich als zusätzlich wichtiger Aspekt.
Das Gesamtdesign der W OGE 2020-Studie stellt mit Bezug zu den jeweiligen Beteili-
gungsmodulen die folgende Grafik dar (Abbildung 1.1):

Abbildung 1.1: Forschungsdesign der W OGE 2020-Feldstudie

Angemessene Krankheitsvorsorge (Prävention) und -versorgung (Kuration /


Rehabilitation) in der Eingliederungshilfe (d. h. mit Bezug zu Gleichstellung und
selbstbestimmtem Leben in der Gemeinschaft) = Teilhabe

Akute Aufgaben / Herausforderungen Generelle Gesundheitslage


(Gefährdungslagen, Regularien,
Ausstattungen etc.) Gesunde Lebensführung
Lösungen, Gelingen, Zukunftspläne (Fachpersonal / Bewohner:innen)

Perspektive Perspektive
Perspektive Perspektive
Leistungsträger / Nutzer:innen und
Leistungsanbieter Fachpersonal
Behörden Angehörige

Quelle: Eigene Darstellung

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1.2 Forschungsmethoden

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ie. Entsprechend der Fragestellung wurde ein Methodenmix genutzt, um so-
wohl der gewünschten Einordnung der Ergebnisse, als auch der erforderli-
chen individuellen Wahrnehmung und Interpretation Raum zu geben. Zudem
waren die Befragungen multiperspektivisch angelegt.
Die Kontaktaufnahme erfolgte teilweise über die Trägerebene, die zur Studie infor-
mierte und einlud, teilweise über einzelne Vermittlungen und auch in Schneeballver-
fahren (Bewerbung um Teilnahme, nachdem man davon gehört hatte).
Mehr Einrichtungen haben einer Teilnahme zugestimmt, als in die Befragung einbezo-
gen werden konnten. Alle teilnahmebereiten besonderen Wohneinrichtungen wurden
durch ausführliche Vorgespräche, wenn möglich auch mit Ortsbegehungen, mit regel-
mäßigen Rundschreiben und sehr vielen langen Telefonaten und schriftlichen Kom-
munikationen gewonnen, informiert und begleitet. Der angebotene Austausch wurde
sehr rege genutzt und ist chronologisch und inhaltlich dokumentiert.
Der geplante Rückbezug zu einem Lenkungsausschuss musste pandemiebedingt
adaptiert (in Einzelgesprächen oder Teilgruppen) umgesetzt werden, da während der
Pandemiewellen Reiseaktivitäten phasenweise unmöglich waren oder erheblich redu-
ziert werden mussten. Alle Beteiligten praktizierten nach Möglichkeit aus Sicherheits-
gründen „physical distancing“.

W
en. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden mithilfe eigens entwickelter
Fragebögen (weitgehend strukturiert, aber ergänzt durch einige offene Fra-
gen) relativ breit befragt, um einem Lebenslagenzugang genügen zu können,
aber auch, um nicht nur bereits zugeschriebenen „Behinderungsarten“ und Erwartun-
gen als dominante Wahrnehmung der Lebensführung Tür und Tor zu öffnen. Da auch
Personengruppen eingeschlossen werden sollten, die keine einfache Gesprächsfüh-
rung möglich machen (etwa wegen besonderer Kommunikations- oder Verständnis-
möglichkeiten) wurde viel Aufwand in die passende Interviewgestaltung und auch in
die Interviewsituation selbst investiert. Insgesamt konnten 78 Interviews realisiert wer-
den (s. Kapitel 2).
Mit dem Fachpersonal fanden leitfadengestützte Gruppengespräche statt. Auch hierfür
wurden spezifische Instrumente entwickelt. Es wurden elf Fachkräfte-Fokusgruppen
(FaFo) realisiert, in zehn verschiedenen Einrichtungen. Zwei der Sitzungen fanden im
digitalen Raum statt (Zoom), neun in persönlicher Begegnung (s. Kapitel 4). Umgesetzt
wurde auch die Befragung der jeweiligen Leitungsebenen (s. Kapitel 3) und von Ange-
hörigen der Bewohnerinnen und Bewohner (34 persönliche Interviews) (s. Kapitel 5).
Die Erhebungsinstrumente wurden nach Pretest eingesetzt, die Interviewerinnen und
Interviewer darauf geschult.
Sehr sorgfältig wurde schriftlich und mündlich über Datenschutz und Datenumgang
informiert (s. Anhang). Alle Teilnahmezustimmungen wurden schriftlich festgehalten
und liegen vor. Wo erforderlich wurden die Zustimmungen Gesetzlicher Betreuungs-
personen eingeholt. Alle an der Gewinnung und Auswertung der Daten beteiligten Per-
sonen sind besonders über den Umgang mit personenbezogenen Daten aufgeklärt
und haben dazu auch ihr Einverständnis schriftlich niedergelegt.
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Alle Beteiligungen waren freiwillig und konnten jederzeit zurückgenommen werden (im
Detail s. Anhang).
Die Auswertungen der Fragebögen wie der aufgezeichneten Gespräche erfolgt mit
dem Transkriptions- und Datenanalyseprogramm F4. Eine Grundauswertung liegt die-
sem Bericht zugrunde.

W
omit. Die Befragungen wurden bundesweit angelegt und sollten 20 Einrich-
tungen der Eingliederungshilfe einbeziehen. Zur Erfassung dieser Settings
diente auch der von den Leitungsebenen beantwortete Rahmenbogen
(LeBo). Die Wohneinrichtungen waren direkte Kooperationspartner. Mit Absprache
setzten sie einen Teil der vermittelnden Aufgaben um (die intermediäre Organisation
unter Einbindung der Einrichtungsmitglieder, die Sicherung der angemessenen Infor-
mation und Zustimmung zur Datenerfassung; gegebenenfalls auch unter Einbezug der
Gesetzlichen Betreuung; die räumliche Organisation; den Gesundheitsschutz, bei-
spielsweise über Testen oder Kontrollen).

W
ozu. Ziel ist es, mit Hilfe der vielfachen und intersektionalen Wissensgenerie-
rung und entsprechender Analyseverfahren bezogen auf ausgewählte Auf-
merksamkeits- und Handlungsfelder eine klarere Erkenntnislage und darauf
gestützte Handlungsbasis zu generieren, ohne die Verschiedenheit der Klientel (denn
Behinderung macht nicht gleich) und der Angebotsstrukturen wegen der Pandemiebe-
dingungen auszublenden. Dazu erwies sich ein partizipatives Vorgehen mit der jewei-
ligen Zielgruppe (zumindest im Mesobereich) zwar als aufwändig, aber sehr zielfüh-
rend.
Im Einzelnen wurden die Lage, bestehende und mögliche Risiken und Chancen, Mög-
lichkeiten und Grenzen der Selbstbestimmung und Teilhabe sowie die Ausgestaltung
der Unterbringung und der gesundheitlichen Unterstützung besonders ins Auge ge-
fasst.
Für die gewünschte abschließende Diskussion der Ergebnisse und weitere Verbrei-
tung (Dissemination – auch in leichter Sprache) wäre eine weitere vertiefte Auswertung
vor allem der facettenreichen qualitativen Daten und eine Berichterstattung für Wis-
senschaft, Politik und Praxis gewinnbringend.
Ein geeignetes Format zur Ergebnispräsentation, Rückmeldung und angemessenen
Auseinandersetzung (etwa eine Tagung mit Wissenschaft, Politik und Praxis) könnte
eine nachhaltige Implementierung von Erkenntnissen anbahnen. Auch dies wäre zu
wünschen.

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Abbildung 1.2: Von einer Einrichtung entwickelter Aufklärungsbogen für die Bewohne-
rinnen und Bewohner (anonymisiert)

Quelle: Beteiligte Wohneinrichtung der Eingliederungshilfe (anonymisiert)


Abbildung 1.3: Chronologie der W OGE 2020-Studie im Überblick

BeBo /
LeBo /
ABBo /
Felder- FaFo
schließung
Planung Feldstart begleitende Auswer-
ab 10|20 12|21 Gespräche tung 5|22
Erhebungs-
instrumente
Analysen

2020 10-20 KW 2020 10-21 8 KW 2021 9-23 KW 2021 31-51 KW 2021 51ff. KW
1. Welle 2. Welle 3. Welle 4. Welle 5. Welle

Quelle: Eigene Darstellung | Wellen nach RKI 2022, 4: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Ar-


chiv/2022/Ausgaben/10_22.pdf?__blob=publicationFile
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2 Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner

Eckdaten der Auswertung


Es wurden N=78 Bewohnerinnen und Bewohner
befragt.
Die Interviewdauer betrug zwischen 21 und 89
Minuten.
[2.1]
Die Befragungen fanden zwischen dem 12. Januar
und dem 21. April 2022 statt. Dann mussten die
Interviews projektbedingt eingestellt werden. Es
liegt noch eine Warteliste mit zugesagten
Teilnahmen vor.
Für diesen Bericht wurden ausgesuchte Fragen
bearbeitet.
Die Befunde folgen einem Neun-Punkte-Schema.

Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner:


Erste Ergebnisse

[2.2]
Im Folgenden wird eine Auswertung ausgewählter Ergebnisse aus der Befragung der
Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnformen vorgestellt, die eine erste
Erfassung der coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen
der Eingliederungshilfe ermöglicht.
Es wird uneingeschränkt die Perspektive der insgesamt 78 Interviewten (N=78 Bewoh-
nerinnen und Bewohnern) wiedergeben. Die Interviewdauer betrug zwischen 21 und
89 Minuten. Es wurde darauf geachtet, alle zum Interview bereiten Personen einzube-
ziehen, auch solche, die schwer zu befragen waren. So entstanden auch Interviews,
bei denen Interviewte ermüdeten, keine Fortsetzung mehr wünschten oder auch Fra-
gen nicht verstehen konnten. Bei wenigen Interviewsituationen wurde auf Wunsch zu-
sätzlich eine Person des Vertrauens als Assistenz zur Seite gestellt [Proxy-Interviews].
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Ein eigens für die Feldstudie W OGE 2020 (in einer Standard- und einer Proxy-Version)
entwickelter
„Fragebogen zur Selbstauskunft der Bewohnerinnen und Bewohner“ (BeBo)
(s. Anhang)
wurde eingesetzt. Er besteht aus strukturierten sowie teiloffenen Fragen und führt
durch die Lebenslage und den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner. Zudem er-
möglicht er ein Profil der Interviewten und lässt Aussagen zu den Teilhabechancen der
befragten Person im coronagesteuerten Wohnalltag zu. Auch die Zufriedenheit mit der
Situation wird jeweils im Grundsatz und coronaspezifisch erfasst.
Eine noch differenziertere und weiter vertiefte Auswertung des breit nach ICF (WHO
2001) und Teilhabebefragung (Schäfers et al. 2016) ausgerichteten lebenslageorien-
tierten Interviewbogens zur allgemeinen Situation und den besonderen coronabeding-
ten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen der Eingliederungshilfewäre ist
möglich und wünschenswert.
Für diesen lageaktuellen Bericht wurde eine pragmatische Auswahl von Fragen ge-
troffen, die für die W OGE 2020-Studienfrage relevante Aussagen zu folgenden neun
Gebieten ermöglichen.

 Personenbezogene Angaben
 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand
 Beeinträchtigungen und Behinderung
 Alltägliche Lebensführung
 Unterstützung, Nutzung von Diensten
 Gesundheit und Gesundheitsrisiken
 Arbeit
 Partizipation
 Sicherheit und Schutz

[2.3]
2.1 Personenbezogene Angaben
Die interviewten Personen spiegeln in einer angemessenen Weise die Vielfalt der
Bewohnerschaft von besonderen Wohneinrichtungen wider. Dies bezieht sich auch
auf Variablen der Zusammensetzung wie Verweilzeit, Alter, Geschlecht und Beein-
trächtigungen sowie andere mögliche Merkmale des Typs „Bewohnerinnen und Be-
wohner der Eingliederungshilfe“.
Alle befragten Personen nahmen freiwillig an der Studie teil. Sie sind volljährig und
waren ausführlich aufgeklärt über ihre Rechte und den Zweck der Studie. Ihre Zu-
stimmung liegt jeweils schriftlich vor.
 Die teilnehmenden Personen waren zwischen 20 und 78 Jahre alt, der Mittel-
wert des Alters aller Befragten beträgt 43,86 Jahre.
 Unter den Befragten waren etwas mehr Männer (55,84 %) als Frauen (42,86
%). Eine Person gab ihre geschlechtliche Identität als divers an (s. Abbildung
2.1).

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 Die Teilnehmenden haben mehrheitlich die deutsche Staatsangehörigkeit (69


%) und sind in Deutschland geboren (89,7 %).
Fast alle Befragten (86,84 %) sind ledig, wenige (6,58 %) geschieden und noch we-
niger (2,63 %) verheiratet oder verwitwet (s. Abbildung 2.2). Über die Hälfte (59 %)
berichtet, in keiner festen Partnerschaft zu leben und die große Mehrheit (85,9 %)
hat keine Kinder.

Abbildung 2.1: Geschlecht der Befragten Abbildung 2.2: Beziehungsstatus der Befrag-
ten

Quelle: Eigene Darstellungen n

Zum Profil der Befragten


Die Bewohnerinnen und Bewohner entsprechen einer typischen Zusammensetzung
des Personenkreises, der besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe nutzt.
Alle Phasen des Erwachsenenalters sind einbezogen. Die Geschlechterverteilung
entspricht in der weit gespannten Alterszusammensetzung den Erwartungen. Ent-
sprechendes gilt für die weit überwiegend deutsche Staatsangehörigkeit. Auch die
Personen mit Migrationshintergrund sind häufig in Deutschland geboren.
Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner sind alleinstehend und kinderlos. Diese ge-
ringe soziale Vernetzung ändern in der Regel auch keine bestehenden festen Part-
nerschaften.

2.2 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand


Für Gesundheit gibt es keine in allen Forschungsgebieten übereinstimmende wissen-
schaftliche Definition. Ohne Zweifel hat Gesundheit einen hohen individuellen Wert,
ebenso wie einen prozesshaften Charakter. Sie muss „immer wieder neu erreicht, wie-
derhergestellt und aufrechterhalten werden“ (Vögele 2013: 232) und ist mehr als die
Abwesenheit medizinisch definierter Krankheit (WHO 2002 | 1946). Damit richtet sich
der Blick auf mögliche Lebensqualität, förderliche Lebenssituationen und selbstbe-
stimmte Lebensführung. Weil also Lebenszufriedenheit (subjektive Einschätzung),
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Wohlergehen (objektive Bedingungen) und Wohlbefinden (subjektive Empfindung) re-


levant sind, wird nach dem selbsteingeschätzten Gesundheitszustand gefragt, um die
altersgemäße und kulturübliche Ausgewogenheit von physischer und psychischer
Funktionalität verbunden mit Wohlbefinden zu erfassen.
Über ihren Gesundheitszustand äußern sich die Bewohnerinnen und Bewohner fol-
gendermaßen:
 Nur gut ein Zehntel der Befragten (12,9 %) schätzt den eigenen Gesundheits-
zustand als sehr schlecht oder schlecht ein. Die meisten (59 %) beschreiben
ihre Gesundheit als gut oder sehr gut. Knapp ein Viertel (23,1 %) schließlich
nimmt den eigenen Gesundheitszustand als teils gut, teils schlecht wahr.
Zwischen Männern und Frauen zeigen sich bei der Selbsteinschätzung des Gesund-
heitszustandes Unterschiede.
 Einige Frauen (5,2 %) bezeichnen ihren Gesundheitszustand als sehr schlecht
(2,6 %) oder schlecht (2,6 %). Kein männlicher Teilnehmer nennt die eigene
Gesundheit sehr schlecht, hingegen beurteilen einige (7,79 %) diese als
schlecht. Nach eigener Meinung erfreut sich unter den Männern deutlich mehr
als ein Drittel (37,16 %) der Befragten guter oder sehr guter Gesundheit. Unter
den Frauen liegt der Wert für sehr gute oder gute Gesundheit tiefer, nämlich bei
gut einem Fünftel (21,08 %) (s. Abbildung 2.3).

Abbildung 2.3: Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand nach Geschlecht [männlich


(m), weiblich (w), divers (d)]

Quelle: Eigene Darstellung

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 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand unter Coronabedingungen


Die Frage, ob sich durch die Coronapandemie etwas an ihrem Gesundheitszustand
verändert hat, beantwortet ein gutes Drittel (37,7 %) der Bewohnerinnen und Bewoh-
ner mit „ja“.
Eine Veränderung zum Schlechteren beschreiben die Interviewten in einer offenen
Antwort mit
 physischen Gründen (Erkrankung an Corona, hohes Fieber, Verschlimmerung
bestehender Krankheiten wie z. B. Asthma, verminderte Fitness aus Mangel an
Bewegungsangeboten zur Förderung des Bewegungsapparates, erhöhte
Müdigkeit)
 psychischen Gründen (Depressionen, psychosomatischen Beschwerden, Sor-
gen und Angst, Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Langeweile)
 sozialen Gründen (Veränderung der Tagesstruktur, Maske tragen, im Haus blei-
ben, Hobbies sind nicht mehr realisierbar, Besuche bleiben aus).
Auch von Veränderungen zum Besseren wird berichtet, aus
 physischen Gründen (weniger andere Krankheiten)
 sozialen Gründen (besser koordinierte Spaziergänge, regelmäßige Tests zur
Gesundheitssicherung).

Zur Gesundheit der Befragten


Die Bewohnerinnen und Bewohner schätzen sich mehrheitlich als gesund oder sehr
gesund ein. Dies entspricht der Erwartung, wenn Beeinträchtigungen nicht mit
Krankheit gleichgesetzt werden. Geschlechterspezifische Differenzen bestätigen
sich: Männer bewerten ihre Gesundheit tendenziell positiver.
Mit der Coronapandemie stellen sich nach Wahrnehmung von knapp 40 Prozent der
Interviewten Veränderungen ein. Vor allem werden Verschlechterungen im physi-
schen, psychischen und sozialen Kontext genannt. Neben Corona-Erkrankungen
geht es um eingeschränktere Gesundheitssorge, geringeres Wohlbefinden, Ängste
und auch Depressionen.
Positiv bewertet wird die größere Aufmerksamkeit für Gesundheit, von Testen bis zu
regelmäßigeren Spaziergängen.

2.3 Beeinträchtigungen und Behinderung


Neben dem andauernden Bestehen von Beeinträchtigungen („länger als sechs Mo-
nate“) kommen auch für das jeweilige Lebensalter typische Zustände zum Tragen. Auf
Beeinträchtigungen folgt nicht zwangsläufig eine Behinderung, es sei denn behin-
dernde Barrieren schränken Teilhabe und Selbstbestimmung ein oder verhindern sie.

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Seit dem Jahr 2018 sollen Teilhabeleistungen im Rahmen eines Teilhabeplanverfah-


rens nahtlos ineinandergreifend, zügig, wirksam, wirtschaftlich und auf Dauer koordi-
niert werden, wenn mehr als ein Träger der Rehabilitation leistungsverpflichtet ist oder
Leistungen aus mehreren Leistungsgruppen zu erbringen sind (§ 19 SGB IX). Die Bil-
dung von Teilhabezielen (z. B. zur Gesundheit) hat im Bereich des Teilhabeverfahrens
eine besondere Bedeutung.
Die in der W OGE 2020-Studie Interviewten wurden daher auch um eine eigene Ein-
schätzung zu ihren Beeinträchtigungen und ihrer Behinderung gebeten. Die Fragen
wurden unabhängig von der fachlichen Ausrichtung der jeweiligen besonderen
Wohneinrichtung gestellt, in der die Befragten leben.
Die Bewohnerinnen und Bewohner nannten für sich am häufigsten dauerhafte Beein-
trächtigungen
 beim Denken, Erinnern und Lernen als Beeinträchtigungsform (53,8 %), gefolgt
von Beeinträchtigungen
 beim Bewegen des Körpers (34,6 %) und Beeinträchtigungen
 durch seelische oder psychische Probleme (33,3 %). Nur wenige Bewohnerin-
nen und Bewohner gaben
 eine Suchterkrankung als Beeinträchtigung an (2,6 %) (s. Tabelle 2.1).
Mehrfachnennungen waren möglich.
Tabelle 2.1: Häufigkeiten der Beeinträchtigungsformen der Bewohnerinnen und Bewohner

Beeinträchtigungsform Häufigkeit in %
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Bewegen des Körpers 34,6
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Denken, Erinnern und Lernen 53,8
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Sprechen 28,2
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Sehen 21,8
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Hören 10,3
Dauerhafte Beeinträchtigung beim Planen der Tagesstruktur 23,1
Dauerhafte Beeinträchtigung durch seelische oder psychische Probleme 33,3
Dauerhafte Beeinträchtigung durch eine Suchterkrankung 2,6
Dauerhafte Beeinträchtigung durch eine Erkrankung, die häufig nicht heilbar ist 16,7
Dauerhafte Beeinträchtigung durch starke Schmerzen 12,8

Quelle: Eigene Darstellung

 Beeinträchtigungen und Behinderung unter Coronabedingungen


Direkte Zusammenhänge von Beeinträchtigungen und Corona beschreiben die meis-
ten Befragten kaum.

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Etwa ein Fünftel der Interviewten berichtet aber, dass sich Beeinträchtigungen und
Behinderung (18,2 %) sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln (5,2 %) unter Coronabe-
dingungen zum Schlechteren verändert haben.
Auf die offen erfragten Veränderungen werden beispielsweise Hinweise gegeben auf
negative Entwicklungen wie
 eine Verschlechterung bestehender Erkrankungen durch fehlende Aktivität,
 die zunehmende Angst vor einer Infektion und vor anderen Menschen,
 das Tragen von Masken,
 die fehlende Tagesstruktur und
 das Ausbleiben therapeutischer Angebote.
Auch positive Trends im Bereich der Beeinträchtigungen werden berichtet, durch
 weniger Hektik wegen der Einschränkungen im Bereich Arbeit,
 mehr Beschäftigungsprogramme (wie Zeichnen, Puzzeln etc.),
 mehr Ablenkung und
 weniger psychischen Stress.
Im Bereich der Hilfsmittelversorgung werden Verschlechterungen angesprochen, wie
 länger dauernde Reparaturen und Bestellungen.
Allgemein werden
 Personalengpässe und
 Zutrittsverbote in die Einrichtung
beklagt.

Zu Beeinträchtigungen und Behinderung der Befragten


Die Bewohnerinnen und Bewohner sind zu einem außergewöhnlich hohen Anteil
(über 40 Prozent) von Geburt an beeinträchtigt. Sie nennen häufig mehrere dauer-
hafte Beeinträchtigungen, die über ein Drittel der Interviewten auch ganz erheblich
in ihrem Alltag einschränken.
Über die Hälfte der befragten Bewohnerinnen und Bewohner rechnet sich der
Gruppe mit kognitiven Beeinträchtigungen (beim Denken, Erinnern, Lernen) zu, ge-
folgt von jeweils etwa einem Drittel der Personen mit seelischen bzw. psychischen
und mit körperlichen Beeinträchtigungen. Dass sich vor allem Personen mit dauer-
haften, sehr wesentlichen Beeinträchtigungen zu Wort melden, ist dem Setting ge-
schuldet. Das bedeutet, die übliche Bewohnerschaft der besonderen Wohnformen
der Eingliederungshilfe ist von der Studie erfasst.
Dazu passt die häufige Nutzung von Hilfsmitteln; über die Hälfte (etwa 60 Prozent)
denken, ausreichend versorgt zu sein. Aber mit Blick auf das Setting „besonderes
Wohnangebot der Eingliederungshilfe“, in dem hohe Fachlichkeit, Aufmerksamkeit
und geprüfte Qualität zu erwarten sind, erstaunt der Anteil von etwa 40 Prozent der
Bewohnerinnen und Bewohner, die unabhängig von coronabedingten Umständen
nicht mit der Hilfsmittelversorgung zufrieden sind.

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Richtet sich der Fokus auf die Pandemielage gibt ein Großteil (etwa 80 Prozent) der
Interviewten an, die Bemühungen der Fachdienste und anderen Verantwortlichen,
um die weiterhin sichere beeinträchtigungsspezifische Versorgung, zu erkennen.
Zugleich erwähnt etwa ein Fünftel der Befragten coronabedingte Veränderungen der
Beeinträchtigungen (etwa durch Erkrankungen). Negativ werden ein Mangel an Ak-
tivitäten und an Tagesstruktur sowie fehlende Therapien beschrieben. Kritisch an-
gemerkt werden außerdem Schutzmaßnahmen (wie Maskentragen). Die Interview-
ten äußern zudem Ängste (vor Menschen und / oder vor Impfungen).
Positiv wird die Entschleunigung im Arbeitsalltag (weniger psychischer Druck) erlebt,
verbunden mit strukturierenden Beschäftigungsprogrammen.
Die Hilfsmittelversorgung verschlechtert sich weiter, durch Lieferschwierigkeiten und
verzögerte Reparaturen.
Als negativ werden Personalengpässe und Betretungsverbote genannt.

2.4 Alltägliche Lebensführung


Wohnen ist mit vielen Erwartungen und Herausforderungen verbunden. Im Bereich der
Lebensführung ist es Start und Ziel der eigenen Zeitstrukturierung (meist Tages-,
Wochen- und Jahresgestaltung). Wohnen soll eine individuelle Lebensführung
ermöglichen (nach Lebensstilen und kulturellen Gepflogenheiten). Es soll Privatheit
sichern und vor Gefährdungen schützen, beispielsweise durch Personen und Witte-
rung. Auch elementare und gesundheitsrelevante Bedürfnisse wie Eigentum, Ernäh-
rung, Hygiene, Ruhe und soziale Kontakte sollen beim Wohnen garantiert sein.
Im gemeinschaftlichen Wohnen sollen entsprechend die Bewohnerinnen und Bewoh-
ner ihre Bedarfe der unterstützten Lebensführung decken können. Zugleich sind ihnen
Selbstbestimmung und Teilhabe zugesagt. Die gestalteten Wohnformen organisieren
sich meist über Wohngruppen als Substrukturen. Nicht alle Personen wohnen in den
Settings aufgrund eigener Entscheidung, manche sind „untergebracht“, teilweise auch
aufgrund eines Beschlusses.
Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner geben ihre Wohndauer in den jeweiligen
Einrichtungen zwischen 0,5 und 43 Jahren an. Die Entscheidung für ihre aktuelle
Wohnform fiel nach eigenen Angaben mit unterschiedlichen Ausprägungen der Mit-
bestimmung bzw. Fremdbestimmung:
 Knapp zwei Drittel (61 %) konnten selbst entscheiden, wo sie wohnen möchten
und etwa zehn Prozent (10,4 %) konnten ihren Wohnort teilweise mit-
bestimmen. Dagegen geben
 knapp zwei Drittel (59,2 %) der Befragten an, dass sie nicht oder nur teilweise
mitbestimmen konnten, wer in ihre Wohngruppe einziehen soll.
Insofern basiert die generelle Wohnform zwar mehrheitlich auf eigener Entscheidung,
aber auf die näheren Wohnumstände (Wohngruppenzusammensetzung) besteht
meist kein oder kaum Einfluss. Das bedeutet, zunächst werden Bedarfe, und wenn
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möglich, auch Bedürfnisse (z. B. nach Wunsch und Wahl der angenehmsten Mitbe-
wohnerschaft) gedeckt.
Diese Komposition funktioniert offensichtlich generell überzeugend. Ein großer Teil
(79,2 %) der Bewohnerinnen und Bewohner äußert sich zufrieden mit der Wohn-
situation und gibt an, nirgendwo lieber wohnen zu wollen (s. Abbildung 2.4).

Abbildung 2.4: Wohnwünsche - „Möchten Sie lieber woanders wohnen?“ (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung


Ihren generellen Bedarf an unterstützter Lebensführung sehen die Bewohnerinnen und
Bewohner auch in der baulichen Ausstattung gedeckt. Fast 80 Prozent nehmen keine
Barrieren oder Hindernisse im Haus oder in den Wohnräumen wahr (78,9 %) und auch
für Privatheit und Schutz in der engsten Häuslichkeit ist offensichtlich zu einem großen
Teil Sorge getragen: Fast alle (90,8 %) Befragten geben an, ein eigenes abschließ-
bares Zimmer zu bewohnen
Da die W OGE 2020-Studie die besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe fo-
kussiert, richtet sich auch ein großes Augenmerk auf die Lebensführung im Bereich
des Wohnens. Dort müssen sich Teilhabezusagen und Wohnstandards verwirklichen,
dort fokussiert sich auch die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner, bei den
anstehenden pandemiebedingten Grundsatzentscheidungen der Gesundheitssorge.
Da es ihnen an weiteren sozialen Bindungen und Netzen mangelt, haben die meisten
Befragten – wie sich gezeigt hat – ohnehin keine alternativen Wohnmöglichkeiten,
sondern sind vollständig und rund um die Uhr auf die unterstützenden und schützen-
den Settings angewiesen.
Weitere Orte der Lebensführung und Begegnung (im Arbeitsleben und der Freizeit)
wurden pandemiebedingt bisweilen auch länger geschlossen bzw. im Pandemiever-
lauf zumindest – verglichen mit dem Wohnen - in eine untergeordnete Rolle verwiesen.
Das bedeutet, ihr Raum und ihre Zeit wurden (und sind) für Bewohnerinnen und
Bewohner auf eine enge (Wohneinrichtung) bzw. teilweise sehr enge (Wohngruppe
oder Zimmer) Situationen begrenzt. Räume und Rollen, Betreten und Verlassen dieser
strukturellen Rahmungen, wurden streng reglementiert und kontrolliert.
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Ob es für die solchermaßen „Eingeschlossenen“ auch andere Formen von Einbin-


dungen und Gemeinschaft – wie sie beispielsweise über und mit Medien realisiert
werden können – möglich und nutzbar waren, wurde erfasst und wird hier ebenfalls
berücksichtigt.
 Zugang zu Medien beim Wohnen und unter Coronabedingungen
Generell enthalten digitale Angebote auch für Menschen mit Beeinträchtigungen und
Behinderung viele Potenziale, um soziale Teilhabe zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Neue Informationen sind rund um die Uhr verfügbar oder können geteilt werden, sozi-
ale Kontakte lassen sich pflegen und Freizeit ist individuell gestaltbar (etwa über Un-
terhaltungsprogramme). Digitale Möglichkeiten können also für Menschen mit Beein-
trächtigungen auch Teilhabebarrieren abbauen. Zugleich öffnen sich geschützte Räu-
me (social bubble) für Personengruppen, um durch soziale Medien eigene Inhalte zu
veröffentlichen, Beziehungen aufzubauen und Gemeinschaft zu erleben, wie es offline
in dieser Form eventuell nur schwer oder nicht möglich wäre (Dobransky / Hargittai,
2021; Duplaga 2017).
Beinahe die gesamte deutsche Bevölkerung (über 90 Prozent) ist medial „on“, aller-
dings mit Unterschieden zwischen Bevölkerungsgruppen (digital divide, z. B. zwischen
jüngeren und älteren Personen, zwischen Bildungsstand und Ressourcenzugang).
Ähnliche Ungleichheiten zeigen sich auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der
besonderen Wohnformen.
Bei der offenen Frage nach Mediennutzung berichten Bewohnerinnen und Bewohner
teilweise persönliche, teilweise strukturelle Probleme.
 Etwa ein Viertel der Befragten (25,3 %) gibt an, keine traditionellen Medien wie
Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen zu lesen.
 Ein weiteres Viertel (25,3 %) hat Probleme beim Lesen von Büchern, Zeitungen
und Zeitschriften, v. a. wegen Verständnisschwierigkeiten, aber auch wegen
eingeschränkter Sehkraft bzw. Blindheit oder Legasthenie.
 Knapp ein Drittel der Interviewten (32,9 %) nutzt nach eigener Aussage kein
Internet, während einige Bewohnerinnen und Bewohner (13,2 %) Probleme bei
der Internetnutzung ansprechen.
Dabei geht es um
 eigene Fähigkeiten (Ungeduld wegen fehlender Feinmotorik, mangelnde
Erfahrung, Vergessen von Passwörtern) oder um
 Regularien (Nutzung nur unter Aufsicht) oder um
 technische Gründe (schlechte Internetverbindung im Zimmer).
 Keine Probleme berichtet die Mehrheit der befragten Personen beim Fernsehen
(86,8 %) und Radio hören (84,2 %). Diese Medien werden entsprechend von
wenigen der Befragten (6,6 % beim Fernsehen bzw. 14.5 % beim Radio) nicht
genutzt.
Bezogen auf die entsprechenden Praktiken (Mediennutzung) und Verhältnisse (Medi-
enverfügbarkeit) hat sich durch die Coronapandemie eher wenig verändert.

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Drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner (77 %) konnten sich während der
Pandemie in den Medien informieren. Am meisten wurden das Fernsehen (v. a.
Nachrichten), die Corona-WarnApp, WhatsApp und das Internet (über das Handy) zur
Information genutzt.
Zu den Medien, die von über der Hälfte (57,3 %) der Befragten zur Kommunikation
genutzt wurden, zählen auch verschiedene Messengerdienste (WhatsApp, Telegram),
Skype, Zoom und Facetime sowie das Telefon beziehungsweise Mobiltelefon.
 Wohnen, Freizeit, Selbstbestimmung und Medien unter Coronabedingungen
Insgesamt zeigen sich bei der Alltäglichen Lebensführung und gerade in Wohnbereich
durch die Coronapandemie nach Ansicht von gut 40 Prozent der Bewohnerinnen und
Bewohner kaum nennenswerte Veränderungen. Das bedeutet aber, dass beinahe
zwei Drittel wesentliche Veränderungen wahrnimmt.
Offene Antwortmöglichkeiten bieten die Chance, von den Bewohnerinnen und Bewoh-
nern nähere Informationen zu gewinnen. Folgende Veränderungen zum Negativen
werden von einem guten Viertel (28,9 %) der Antwortenden geschildert:
 bei der individuellen Vorsorge (Tragen von Masken, regelmäßiges Testen, lan-
ges Warten auf die Booster-Impfung),
 bei der Begegnung mit anderen (Abstand halten, Verschlechterung des persön-
lichen Umgangs, keine Besuche von Familien und Freunden möglich, Aus-
gangssperre, Weihnachten und Silvester nicht gemeinsam feiern können, Auf-
lösen der Gruppen, Umzug in eine Quarantänegruppe),
 bei Teilhabe und Selbstbestimmung (durch Corona-Ausbrüche und Isolation;
Beschränkung der Selbstständigkeit, Langeweile; geschlossene Werkstätten /
keine Arbeit; keine Therapieangebote; keine Freizeitangebote).
In einigen Fällen (7,9 %) berichten Befragte auch von Verbesserungen der Wohnsitu-
ation, durch
 Ersatzangebote (Unterstützung durch Hilfskräfte, digitale Sportangebote) und
 die Möglichkeit nach Hause zu ziehen.
Insgesamt werden nennenswerte räumliche Einschränkungen (social distancing) auf-
geführt:
Vielen Bewohnerinnen und Bewohnern war es im Zusammenhang mit der Coronapan-
demie verboten,
 ihr Zimmer zu verlassen (40 %) (s. Abbildung 2.5),
 die Wohngruppe zu verlassen (35 %) (s. Abbildung 2.6) und
 die Wohneinrichtung zu verlassen (38,7 %) (s. Abbildung 2.7).

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Abbildung 2.5: Zimmergebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihr Zimmer
zu verlassen?“ (Angaben in %)

Abbildung 2.6: Wohngruppengebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre


Wohngruppe zu verlassen?“ (Angaben in %)

Abbildung 2.7: Wohnheimgebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre


Wohneinrichtung zu verlassen?“ (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellungen

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Die Freizügigkeit von 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner war somit unter
Coronabedingungen erheblich eingeschränkt. Nur wenige Interviewte haben dazu
keine Angaben gemacht bzw. wussten keine Antwort.
Trotz dieser umfassenden Ausgangssperren und Beschränkungen auf die eigene
Häuslichkeit in der Gemeinschaftsunterkunft berichtet knapp ein Drittel der Bewohne-
rinnen und Bewohner (31,6 %), ihre Freizeitgestaltung habe sich nicht geändert.
Eine Verschlechterung ihrer Freizeitmöglichkeiten nahmen hingegen gut zwei Fünftel
(42,1 %) wahr, und zwar wegen
 Angst vor Ansteckungen,
 präventiven Einschränkungen wie Mundschutz, verpflichtender Test- oder
Impfnachweis,
 Kontaktbeschränkungen (Besuchsverbote, Kontaktverbote in der Gruppen und
zu anderen Einrichtungen, Ausgangssperren),
 Schließung kultureller Einrichtungen (Cafés, Schwimmbäder, Diskotheken,
Kinos, Restaurants, Frauengruppen, Kulturtreffs, Sommerfeste),
 Verboten, selbstständig Einkaufen oder in Urlaub zu gehen.
Knapp zehn Prozent der Befragten (9,2 %) nennen auch Verbesserungen ihrer Frei-
zeitgestaltung im Laufe der Pandemie, etwa durch
 schrittweise Öffnungen und Planungsmöglichkeiten für Urlaube,
 bessere Freizeitplanung,
 bessere Gemeinschaft in der Gruppe (z. B. durch Ersatzangebote wie Kochen).
Aus Sicht von knapp zwei Dritteln der Bewohnerinnen und Bewohner (60,8 %) blieb
die Selbstbestimmung im Alltag unter Coronabedingungen unverändert.
Etwa ein Fünftel der Befragten (18,9 %) nimmt hingegen eine Verschlechterung der
Selbstbestimmung wahr, nämlich
 auf personaler Ebene durch vermehrte Einschränkungen (erhöhte Vorsicht,
strengere Regeln, mehr um Erlaubnis fragen müssen, eingesperrt sein im Zim-
mer, Einschränkungen während der Lockdowns, Verlust der Selbstständigkeit
bei Arbeit und Einkaufen, lange Anmeldezeiten beim Entspannungsraum),
 auf interpersoneller Ebene (durch Kontaktbeschränkungen, Verbot von Ge-
burtstagsfeiern, getrenntes Essen, Abstand halten, fehlende Möglichkeit
arbeiten zu gehen).
Wenige Äußerungen (bei 2,7 % der Befragten) weisen auf eine verbesserte Selbst-
bestimmungssituation unter Coronabedingungen hin, durch
 besseres Wissen über Corona,
 bessere Ausstattung (eigene Kaffeemaschine).
Obwohl in den besonderen Wohnformen manche Bewohnerinnen und Bewohner seit
Jahrzehnten in Gemeinschaft leben, manche aber erst seit kurzem zugezogen sind,
scheinen insgesamt Soziale Beziehungen und Einbindung im hohen Maß zu gelingen.
Auch unter Coronabedingungen gibt die Mehrheit der Befragten an, genug Menschen
zu kennen,

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 auf die sie sich verlassen können (80 %) und


 sich geborgen und sicher zu fühlen (84,2 %).
Die Hälfte der Befragten (50 %) berichtete zugleich, mehr Zeit für sich alleine zu
benötigen.
 Soziale Beziehungen, Einbindung und Isolationsrisiken unter Coronabedin-
gungen
Die Ambivalenz zwischen Eingebundensein und Eigenzeit gilt auch in besonderen
Wohnformen und für alle Bewohnerinnen und Bewohner, die dort ihr Leben leben.
In Coronazeiten äußert gut die Hälfte von ihnen (53,8 %), dass sich die Kontakte zu
Menschen, die ihnen wichtig sind, verändert haben.
Knapp ein Fünftel (18,7 %) der Bewohnerinnen und Bewohner nennt eine
Verschlechterung, im Bereich
 Besuche (Mangel an und Abstandhalten bei Besuchen) und
 weniger Kontakte (zu Familie, Freundeskreis, Arbeitskolleginnen und -kollegen
sowie Mitbewohnerinnen und -bewohnern).
Als Verbesserungen nennen wenige Bewohnerinnen und Bewohner (5,3 %)
 intensivere Kontakte,
 vielseitigere Kontaktgestaltungen (über Telefon, WhatsApp, Videoanrufe, Brie-
fe) sowie
 bessere und offenere Kommunikation und Austausch.
Kontakte zu Personen, auf die man sich verlassen kann, sind ein wesentlicher
Lebensqualitätsfaktor. Corona beeinflusste nach Aussage von etwa einem Viertel der
Befragten (25,7 %) diese Kontakte nachteilig.
Beispiele sind
 das Gefühl, von Freunden „aussortiert worden“ zu sein sowie
 häufig wechselnde Aushilfen beim Personal.
Zugleich sinken nach Aussage von etwa einem Fünftel der Befragten (21,6 %) die
Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit im Zusammenhang mit Corona, stattdessen
werden
 mehr Ängste, körperliche Anspannung, zunehmende Unsicherheit und Ängst-
lichkeit,
 das Gefühl allein zu sein sowie
 fehlende körperliche Nähe und Maskenpflicht.
berichtet.
Veränderte Kontakte zu den Angehörigen erwähnt etwa die Hälfte (51,4 %) der Be-
wohnerinnen und Bewohner, verursacht durch
 seltenere Besuche (da Kontakte nun eher über Medien erfolgen) sowie
 Testpflicht bei Besuchen,
 große Entfernungen und
 die Abhängigkeit, abgeholt zu werden.
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Zu Alltägliche Lebensführung
Einen Großteil der Alltäglichen Lebensführung macht das Wohnen und damit auch
das dazu gewählte oder verfügbare Setting aus.
Im Bereich der Eingliederungshilfe, die bestimmte Bestandteile der Lebensführung
mit Ermöglichungscharakter und Teilhabezusagen verbindet, ist es öfter die Regel,
dass Nutzerinnen und Nutzer lange Phasen des Lebens oder das gesamte Leben in
einer bestimmten Wohneinrichtung verbringen. Je nach Eintritt einer Beeinträchti-
gung und nach Lebensalter können dem Phasen in der Herkunftsfamilie oder auch
in eigenständiger Lebensführung vorangegangen sein.
Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner nennen eine Wohndauer von etwa ei-
nem halben Jahr bis zu einem halben Leben (mehr als vier Jahrzehnte). Bei weitem
die meisten von ihnen (etwa 80 Prozent) äußern sich generell zufrieden mit der
Wohnform, die ihren Alltag bestimmt. Eine Wohnalternative wünschen sie entspre-
chend häufig nicht. Diese seit langem bekannte hohe Zustimmung ist typisch, steigt
meist mit der Verweildauer und gilt als adaptiv oder resignativ, da selten Alternativen
für die Menschen mit Beeinträchtigungen vorstellbar oder verfügbar sind. Getragen
wird die große Zustimmung auch von tendenziell mit steigendem Alter verbundenen
Wünschen nach Sesshaftigkeit (zur Ruhe zu kommen).
Nur wenige Interviewte geben an, sie würden ein Leben mit der Herkunftsfamilie, in
einer Hausgemeinschaft oder alleine mit Partnerin oder Partner vorziehen.
Die hohe Zustimmung zur Wohnform ist auch deswegen bemerkenswert, weil eher
geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten beim Zustandekommen und der Zusammen-
setzung der Wohnlage bestehen. Für über ein Viertel der Interviewten gab es keinen
Einfluss auf die Wahl der Wohnform. Zudem wird auch die Gemeinschaft in den
Wohngruppen weitgehend fremdbestimmt (etwa 60 Prozent der Befragten äußert
einen geringen Einfluss auf die Gruppenzusammensetzung).
Obwohl beim Wohnen noch keine umfängliche Selbstbestimmung der Bewohnerin-
nen und Bewohner besteht, signalisiert deren geäußerte Zufriedenheit viel Wohlbe-
finden in den besonderen Wohnangeboten der Eingliederungshilfe.
Das mag auch an einer gelungenen Umgebungsgestaltung liegen. Denn beinahe 80
Prozent der Befragten nehmen keine gebauten Barrieren oder Hindernisse in ihrem
Wohnsetting wahr und beinahe alle (knapp 91 Prozent) haben ein abschließbares
Einzelzimmer als persönlichen Rückzugsort.
Während im Wohnbereich generell gute räumliche Barrierefreiheit erlebt wird, zeigen
sich dort doch spezielle Hindernisse bei der Mediennutzung: Es gibt eine Zweiteilung
zwischen Personen, die traditionelle Medien wie Bücher, Zeitschriften und Zeitungen
nutzen und Bewohnerinnen und Bewohnern, die dies nicht tun (etwa ein Viertel) bzw.
es nicht tun können (ein weiteres Viertel).
Medialer Platzhirsch für Information und Kultur ist bei den Bewohnerinnen und Be-
wohnern Tag für Tag das Fernsehen (fast zu 90 Prozent), gefolgt vom Radio ca. 84
Prozent). Der Gebrauch wird als problemlos beschrieben. Anders steht es um die

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Intensität der Internetnutzung: Etwa ein Drittel der Interviewten gibt an, kein Internet
zu nutzen. Diese nennenswerte Offline-Kultur unterscheidet sich wesentlich von der
weit häufigeren einfachen Nutzung durch einen Großteil der Bevölkerung.
Einige Bewohnerinnen und Bewohner berichten von Nutzungsproblemen, die sie
zum Teil an der eignen Person festmachen (Ungeduld, fehlende Erfahrung), zum
Teil aber auch auf die Umgebung zurückführen (Verbote, schlechter Internetzugang,
Kosten, andere technische Probleme).
Über Intensität, Umfang und Kompetenz der Internetnutzung durch die Bewohnerin-
nen und Bewohner gibt es kaum Informationen. Möglicherweise haben aber auch
dort sozioökonomisch besser gestellte Personen eine bessere technische Ausstat-
tung, mehr Gelegenheit zum Kompetenzerwerb und weniger materielle oder techni-
sche Zugangsprobleme, können also mehr vom Internet profitieren.
Unter Coronabedingungen geben etwa 60 Prozent der Interviewten eine Verände-
rung der Wohnsituation an. Als negative Entwicklungen werden demnach auf per-
sönlicher Ebene Maskentragen, Testen und Warten auf Impfungen genannt. Bezo-
gen auf soziale Kontakte werden Abstand, eingrenzende Umgangsregelungen, Be-
suchsverbote, Ausgangssperren und das Verbot von Festen und Feiern erwähnt, bis
zum Auflösen der Wohngruppe und dem Umzug in Quarantänegruppen. Teilhabe
und Selbstbestimmung werden durch Isolation, fremdbestimmte Einschränkungen,
Schließungen von Arbeits-, Freizeit- und Therapieangeboten reduziert. Zudem wird
Langeweile beklagt. Hingegen begrüßen einige Bewohnerinnen und Bewohner Er-
satzangebote bis zur Möglichkeit, nach Hause zu ziehen.
Insgesamt berichten Bewohnerinnen und Bewohner häufig, dass ihre freie Entschei-
dung sich Aufzuhalten eingeschränkt wurde: 40 Prozent sind auf ihr Zimmer verwie-
sen worden, bei 35 Prozent galt diese Zuordnung für die eigene Wohngruppe und
bei beinahe 40 Prozent auch für die Wohneinrichtung selbst. Damit waren sehr viele
der Befragten im Alltag nicht in der Lage, einen teilweise extrem eng gesteckten
Bewegungsradius in der Häuslichkeit zu überschreiten.
Das limitiert auch die Freizeitgestaltung, insofern verwundert es, wenn ein Drittel der
Bewohnerinnen und Bewohner hier keine Veränderung wahrnimmt.
Von Verschlechterungen in ihrer häuslichen Situation wird häufig berichtet (von etwa
40 Prozent der Interviewten), oft im Zusammenhang mit Regulierungen (Beschrän-
kungen von Kontakten, Einkaufen und Festveranstaltungen) oder mit Auflagen
(Mundschutz, Impfnachweis). Knapp ein Zehntel der Antwortenden erkennt Verbes-
serungen, etwa durch eine schrittweise Öffnung sowie die wieder mögliche Freizeit-
und Urlaubsplanung. Auch von verbesserter Gemeinschaft und Ersatzangeboten ist
die Rede.
Noch mehr als bei der Freizeitgestaltung bewerten fast zwei Drittel der Interviewten
eine während der Coronazeit unveränderte Lage im Bereich der Selbstbestimmung.
Jede fünfte Person erwähnt negative Veränderungen auf personaler Ebene (von der
Pflicht im Zimmer zu bleiben bis zu Arbeits- und Einkaufverboten) und im interper-
sonellen Bereich (beispielsweise wegen Kontaktverboten bei gemeinsamen Veran-
staltungen wie Mahlzeiten oder Feiern). Äußerungen zu einer positiven Veränderung
gibt es nur sehr vereinzelt.
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Ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner (über drei Viertel) informiert sich
während der Pandemie in den Medien (insbesondere im Fernsehen oder über Mo-
biltelefone). Beinahe 60 Prozent konnten sich auch über Messenger-Dienste oder
digitale Treffen einen persönlichen Eindruck von „der Welt da draußen“ verschaffen
und Kontakte pflegen.
Unabhängig von sehr unterschiedlicher Verweildauer in den besonderen Wohnfor-
men geben die Interviewten eine beeindruckende Rückmeldung zum Gemein-
schaftsgefühl. Auch unter Coronabedingungen fühlen sie sich großenteils (mit über
80 Prozent) nicht alleingelassen, sicher und geborgen. Jede zweite der Stimmen gibt
aber zugleich an, mehr Zeit für sich alleine zu benötigen.
Drohende Isolation (Eingeschlossen sein) einerseits und gewünschte Gemeinschaft
andererseits prägen also den Alltag. Über die Hälfte der Interviewten erwähnen ent-
sprechend für den Coronazeitraum Veränderungen im Umgang mit Menschen, die
ihnen wichtig sind. Sie beklagen Abstandsgebote und Begegnungsmangel, bedau-
ern alleine zu sein, gerade bezogen auf nahestehende Personen, und sie vermissen
körperliche Nähe. Ein Viertel der Antwortenden äußert das Gefühl, man sei im
Freundeskreis aussortiert worden. Wenige positive Stimmen freuen sich über inten-
sivere Kontakte, aber auch innovative, vielseitige Mediennutzungen werden begrüßt
(beispielsweise WhatsApp, Videoanrufe).

2.5 Unterstützung, Nutzung von Diensten


Auch wenn Teilhabe und Selbstbestimmung zu den wesentlichen Bestandteilen der
Lebensgestaltung und Lebensführung zählen, so sind Bewohnerinnen und Bewohner
in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe zugleich oft sehr regelmäßig und
alltagsnah auf Unterstützung angewiesen. Rechtliche Grundlage bildet § 113 SGB IX
i. V. m. § 78 SGB IX (Assistenzleistungen).
Der gesetzliche Anspruch wird nach Meinung fast aller Befragten (90 %) auch gedeckt.
Die regelmäßig zu erbringenden Assistenzleistungen beziehen sich auf verschiedene
Lebensbereiche und Alltagsaktivitäten. Am häufigsten nennen die Bewohnerinnen und
Bewohner Assistenz
 bei Schriftsachen vom Amt (72,6 %),
 im Haushalt (69,9 %) und
 in gesundheitsrelevanten Angelegenheiten (65,8 %, s. Tabelle 2.2).

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Tabelle 2.2: Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen

Bereiche Häufigkeit in %
Haushalt (Kochen, Putzen, Einkaufen, Wäsche waschen) 69,9
Essen und Trinken, Duschen, Baden oder Sich-Anziehen 39,7
Verständigung / Kommunikation 29,2
Beziehungen zu anderen Menschen 23,3
Um irgendwo hinzukommen, z. B. durch Begleitung oder Fahrdienste 52,1
Freizeit 39,7
Schriftsachen vom Amt 72,6
Verwaltung von Finanzen 56,2
Psychische Probleme 42,5
Gesunder Lebensstil oder Arzttermine 65,8
Arbeit oder Schule 26
Quelle: Eigene Darstellung
Die Bewohnerinnen und Bewohner werden hauptsächlich unterstützt
 vom Personal der Wohneinrichtung (85,5 %)
 von gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuern (73,9 %) und
 von Familienangehörigen (55,1 %).
Drei Viertel der Befragten (74,3 %) gibt an, die benötigte Unterstützung auch zu be-
kommen bzw. teilweise zu bekommen (8,6 %). Damit werden aus Perspektive der
Assistenzberechtigten über 80 Prozent der erforderlichen Leistungen erbracht.
Weiterhin erklärten beinahe ebensoviele Bewohnerinnen und Bewohner die Assis-
tenzperson auswählen (72,9 %) bzw. den Zeitpunkt der Unterstützung bestimmen zu
können (82,9 %).
Am häufigsten werden Unterstützungen wie
 Fahrdienste (53,6 %) und
 verschiedene therapeutische Angebote (43,5 %)
genutzt.
 Unterstützung und soziale Dienste unter Coronabedingungen
Unter Coronabedingungen hat sich diese Versorgungsqualität nach Aussage von
knapp einem Viertel der interviewten Nutzerinnen und Nutzer (22,5 %) geändert.
Einige Befragte (5,6 %) sprechen bei näherer Differenzierung von Verschlechterungen
 durch das Abstandhalten (die Unterstützung wurde unpersönlicher),
 durch gefühltes Alleinlassen (das Personal hält sich oft im Büro auf),
 durch den hohen Krankenstand beim Personal (die Assistenzzeit für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner ist knapper),
 durch stornierte therapeutische Angebote,
 durch stornierte Veranstaltungen (wie organisierte Treffen mit gemeinsamem
Kaffee und Kuchen).
Manche Veränderungen bewerteten einige Befragten (von 2,8 %) positiv, nämlich
 generell zusätzliche Unterstützung sowie
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 vermehrte Unterstützung bei psychischen Problemen.


Knapp ein Fünftel der Befragten (19,4 %) glaubt auch, nun weniger Einfluss auf die
entsprechenden Angebote zu haben, weil
 aus Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Angebote ausfallen,
 weniger Zeit sei und
 man sich regelmäßig testen muss.
Für knapp ein Drittel (32,4 %) der Interviewten haben sich durch Corona die Assis-
tenzleistungen selbst verändert, weil
 Angebote ausgefallen bzw. eingeschränkt sind wegen Personalmangel oder
Coronabestimmungen (3G-Regel, Abstand),
 sich die Küchenstruktur verändert hat (seltener warmes Abendessen),
 es zusätzliche Busse für den Transport gab (Sitze mussten frei bleiben),
 es mehr online Angebote gab (zusätzliche Laptops wurden angeschafft).
Etwa ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner (19,7 %) berichtet von Ersatzan-
geboten, beispielsweise
 im Freien (Spaziergänge, Wanderungen),
 gemeinsam mit Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern (Fußball schauen,
Kochen, Spiele),
 „Bespaßung“ durch das Personal (Sport, Basteln, Malen und Musik) innerhalb
der Wohngruppe,
 Sport via Zoom.
Insgesamt hat sich die Zufriedenheit mit den Angeboten durch die Coronazeit zwar für
wenige Befragte (2,8 %) zum Positiven verändert (s. Abbildung 2.8). Über die Hälfte
der Bewohnerinnen und Bewohner (51,39 %) empfindet aber keine Veränderung der
Zufriedenheit.
Gut zehn Prozent nehmen eine Verschlechterung wahr (11,11 %).

Abbildung 2.8: Veränderung der Zufriedenheit mit den Angeboten durch Corona (Angaben
in %)

Quelle: Eigene Darstellung

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Zu Unterstützung und Nutzung von Diensten


Nach Auskunft der größten Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner (90 Prozent)
erhalten sie generell regelmäßig und alltagsnah die gewünschte und benötigte Un-
terstützung. Dies ist ein möglicher Grund für die insgesamt ausgeprägte Zufrieden-
heit der Nutzerinnen und Nutzer mit den Assistenzleistungen. Die Assistenzen ste-
hen für den Einsatz bei Ämtern (als häufigste Nennung) ebenso wie für die Alltags-
bewältigung (knapp 70 Prozent) zur Seite, unterstützen aber auch in nennenswer-
tem Umfang (zwei Drittel der Rückmeldungen) bei gesundheitsrelevanten Angele-
genheiten.
Konkret erbringen neben dem Personal der Wohneinrichtung (mit über 80 Prozent),
Gesetzliche Betreuungskräfte (mit etwa drei Vierteln) sowie Familienangehörige (mit
über der Hälfte der Nennungen) jeweils gewünschte Unterstützungen.
Häufig geht es um Fahrdienste oder therapeutische Hilfen, die auch im benötigten
Umfang verfügbar sind – meinen drei Viertel der Interviewten. Wenige sehen Be-
darfe nur teilweise gedeckt.
Über die Hälfte der Befragten erkennt keine Veränderung der Dienstleistungen unter
Coronabedingungen. Zugleich beschreibt knapp ein Viertel der Antwortenden Ände-
rungen der skizzierten insgesamt sehr zufriedenstellenden Ausgangslage. Ver-
schlechtert habe sich, dass manches unpersönlicher geworden ist, Abstände wach-
sen, sich das Personal zurückzieht oder einfach fehlt.
Positiv vermerkt werden die vermehrten Unterstützungsangebote bei psychischen
Problemen. Bei näherem Hinsehen wird allerdings erkennbar, dass die jeweils ge-
äußerte Zufriedenheit eher allgemeiner Art ist, während zugleich viele spezifische
Hinweise auf eine geringere Qualität der erforderlichen Dienstleistungen gegeben
werden. Im Einzelnen geht es um fehlendes Personal, was auch zum Ausfall von
Angeboten führt sowie um Zeitmangel bei den Diensten.
Häufig entfallen Angebote wie warme gemeinsame Mahlzeiten oder Fahrdienste.
Aber es ist gelegentlich auch die Rede von Ersatzangeboten, die dann eher inner-
halb der Wohngruppen stattfinden. Zugleich wird die Anschaffung von Computern
positiv erwähnt.

2.6 Gesundheit und Gesundheitsrisiken


Gesundheit und der Umgang mit Gesundheitsrisiken sind zentrale Aufgaben, die sich
durch alle Lebensbereiche ziehen (mainstreaming).
Zum selbsteingeschätzten Gesundheitszustand generell siehe Kapitel 2.2.
 Gesundheit und Gesundheitsrisiken unter Coronabedingungen
Im Kontext der Pandemie und in Verbindung mit besonders vulnerablen Personen-
gruppen werden der Einsatz für Gesundheit und die Reduktion von Gesundheitsrisiken
besonders relevant. Alle sind einbezogen, Bewohnerinnen und Bewohner, das gesam-
te Fachpersonal sowie andere mit den Befragten verbundene Personen und Perso-
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nengruppen. Zugleich geben externe Akteure (Gesundheitsämter, RKI und Politik) in


vielfacher Weise Aktivitäten und Handlungsspielräume vor. Ebenso wirksame externe
Faktoren sind verfügbare Ressourcen (Ausrüstungen wie Schutzkleidung, Impfungen,
Tests oder Masken, materielle Spielräume der Kostenübernahme und Personalver-
fügbarkeit).
Insgesamt gibt etwa ein Viertel der Befragten (23,3 %) an, selbst an dem Coronavirus
erkrankt zu sein. Unter den Erkrankten sind etwas häufiger Frauen (12,33 %) als Män-
ner (9,59 %, s. Abbildung 2.9).
Von den Erkrankten berichteten gut zwei Drittel (70,6 %) einen milden Krankheitsver-
lauf, gut ein Zehntel (11,8 %) eine mittelschwere und ebenso viele (11,8 %) eine
schwere Erkrankung.
Zugleich hat sich gut zwei Drittel dieser Befragten (68,8 %) wegen der Erkrankung
 große Sorgen gemacht (zur Dauer der eigenen Erkrankung, zum Ausbleiben
von Symptomen, zum Fieber),
 geängstigt, ins Krankenhaus zu müssen, zu sterben (beispielsweise wegen der
eigenen Erkrankung an Schizophrenie und der Stimme, die einem einredet,
nicht überleben zu können),
 gesorgt, in der eigenen Quarantänesituation (sehr traurig und viel geweint) be-
ziehungsweise in Bezug auf die Eltern, die in Quarantäne waren.

Abbildung 2.9: Erkrankung am Coronavirus nach Geschlecht (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung


Es gibt zugleich auch selten Hinweise (von 6,9 %), was während ihrer Erkrankung
richtig gut gelaufen sei, nämlich die
 sehr gute Versorgung durch die Betreuerinnen und Betreuer (mit Essen und
Trinken, durch Beschäftigung und Aufmerksamkeit für das Befinden).

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Von den erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern kritisieren wenige (6,9 %)


folgende Aspekte:
 verordnete Isolation für zehn Tage im eigenen Zimmer,
 Unterstützung nur bei der nötigsten Körperpflege (um das Personal verlässlich
zu schützen),
 Strukturmängel bei der Organisation der Kontakte mit befreundeten Personen
und Familie (per Telefon), während der Quarantäne,
 lästige Telefonate mit der Krankenkasse.
Die meisten (85,7 %) Bewohnerinnen und Bewohner geben an, sich vor Corona gut
geschützt zu fühlen und
 drei Viertel (75,7 %) äußern sich sehr zufrieden oder zufrieden mit dem Schutz
in der Einrichtung.
Die Befragten berichten, dass Corona generell zwar immer in die Einrichtung gebracht
werden kann, man aber dafür gerüstet sei (getestet und geimpft), Abstand halte und
manchmal sogar übertrieben geschützt werde.
Insgesamt wird den Wohneinrichtungen bescheinigt, sich sehr um den Schutz vor
Corona zu bemühen. Die spezifische Sorge des Personals kommt bei den Bewohne-
rinnen und Bewohnern an.
Bei der Gesundheitsversorgung über Arztbesuche nennen die meisten Bewohnerin-
nen und Bewohner (80 %) Veränderungen, nämlich, dass man
 nur in Notfällen zu Ärztin oder Arzt durfte,
 länger warten musste,
 die Maske aufsetzen musste,
 nicht im Wartezimmer warten durfte, sondern draußen warten musste,
 nun Rezepte des Hausarztes für Fußpflege brauche,
und dass
 Terminvereinbarungen weniger spontan waren,
 Bewohnerinnen und Bewohner bei der Impfung priorisiert waren,
 Ärztinnen und Ärzte ins Haus kamen.
Auch das Gesundheitsverhalten wurde von der Pandemie beeinflusst: Von drei Vier-
teln der Befragten werden coronabedingt Veränderungen bei den Möglichkeiten, sich
gesund zu verhalten (von 72,4 %) und ebenso beim tatsächlichen Gesundheitsver-
halten (von 73,7 %) berichtet.
Im Einzelnen gelte, das Verhalten habe sich dem Virus untergeordnet, weil man
 Masken trägt,
 Hände wäscht,
 Abstand hält,
 mehr Obst und Gemüse isst sowie
 bewusster auf die Ernährung achtet.
Die Hälfte (50 %) der Befragten gibt zugleich an, dass sich ihr Sport- und Bewe-
gungsverhalten während der Pandemie verschlechtert habe.

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Zu den wesentlichen Schutzmaßnahmen gegen eine Coronainfektion zählt die Imp-


fung. Fast alle Befragten (95,77 %) geben an, geimpft zu sein (s. Abbildung 2.10).

Abbildung 2.10: Impfstatus – „Wurden Sie gegen Corona geimpft?“ (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung

Als weitere Maßnahmen zum Schutz vor Corona, die angeboten wurden, nennen die
Befragten Bewohnerinnen und Bewohner
 Separierung der Gruppen durch verschiedene Essenszeiten
 Desinfizierungsmaßnahmen 2x / Tag
 Übernahme des Einkaufens
 Masken
 Abstand halten
 Händedesinfektion
 Kontaktvermeidung
 Schnelltests
 Trennwände
Diese Vorkehrungen trafen allerdings nicht immer die Vorstellungen der Befragten,
vielmehr wären aus ihrer Sicht
 andere Maßnahmen als Masken,
 mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit bei den Regelungen,
 Schluckimpfung und Tabletten sowie
 das Ende von Corona
willkommen.

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Zu Gesundheit und Gesundheitsrisiken


Allgemein schätzen sich die Bewohnerinnen und Bewohner als gesund ein.
In der Pandemie werden Angebote und Gebote rund um Gesundheit verstärkt. Sie
beziehen sich auf alle Personengruppen, die in den besonderen Wohnangeboten
leben, arbeiten oder zu Besuch kommen.
Etwa ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner ist selbst an Corona erkrankt.
Dabei sind die Verläufe meist mild. Trotz überwiegend gemäßigter Risiken im Krank-
heitsverlauf sprechen über zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner davon,
sich zu sorgen oder zu ängstigen, etwa vor Krankenhaus und Tod. Die Quarantäne
empfinden sie als sehr belastend. Dagegen schätzen einige die Versorgung mit Nah-
rung und die Aufmerksamkeit für ihr Befinden besonders.
Beschwerden beziehen sich vor allem auf die Isolation im eigenen Zimmer, auf zu
wenig Körperpflege, um das Personal zu schützen, auf unzulängliche Unterstützung
der Kontakte zu Familie oder Freunden sowie auf lästige Telefonate mit der Kran-
kenkasse.
Über 80 Prozent der Befragten denken, dass der Schutz vor Corona gut gelingt, dies
wird mit hoher Zufriedenheit (drei Viertel) mit der Einrichtung verbunden, die für Imp-
fen, Testen und Abstand halten Sorge trägt. Bisweilen sei dies allerdings übertrie-
ben.
Es wird wahrgenommen, dass das Fachpersonal für die Bewohnerinnen und Be-
wohner die Verantwortung übernimmt. Arztbesuche sind grundlegend verändert
(meinen 80 Prozent), es gebe Hausbesuche, langes Warten auf Termine und wei-
tere auf Abstand ausgerichtete Regularien.
Fast alle Befragten (96 %) geben an geimpft zu sein.
Insgesamt hat sich das Verhalten dem Virus untergeordnet. Drei Viertel bestätigen
positive Änderungen des Gesundheitsverhaltens, aber zugleich nennt die Hälfte ne-
gative Veränderungen wie Bewegungseinschränkungen. Zu Maßnahmen wie dem
Trennen der Bewohnerinnen und Bewohner bei Mahlzeiten oder bei anderen Be-
gegnungsmöglichkeiten, gibt es kritische Stimmen. Über alle Aktionen wie laufende
Desinfektionen, Tests sowie physische Distanz wünschen sich die Befragten mehr
Klarheit und außerdem ein Ende der Pandemie.

2.6 Arbeit
Für alle Bewohnerinnen und Bewohner in besonderen Wohnformen der Eingliede-
rungshilfe gibt es in der Regel einen Bezug zum Arbeitsleben.
Gut die Hälfte der Befragten (59,7 %) gab an, in einer Werkstatt für behinderte Men-
schen (WfbM) beschäftigt zu sein, gut ein Drittel (35,7 %) ist nach eigenen Angaben
in Rente (s. Tabelle 2.3). Die restlichen Personen bezeichnen sich als in Berufsausbil-
dung oder Umschulung (2,4 %), arbeitssuchend (2,4 %) oder arbeitslos (4,3 %).

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Tabelle 2.3: Beschäftigungsstatus der Befragten (Angaben in %)

Beschäftigungsstatus Häufigkeit in %
Werkstatt für behinderte Menschen 59,7
Rente 35,7
Berufsausbildung oder Umschulung 2,4
Arbeitssuchend 2,4
Arbeitslos 4,3
Quelle: Eigene Darstellung
Knapp zwei Drittel (61,54 %) der Interviewten sind mit ihrer Arbeitssituation insgesamt
sehr zufrieden oder zufrieden (s. Abbildung 2.11) und fast alle (90 %) berichten, selbst
über ihr verfügbares Geld zu entscheiden.

Abbildung 2.11: Zufriedenheit mit der Arbeit insgesamt (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung

Während der Coronapandemie wurde der Zugang zum Arbeitsleben teilweise vollstän-
dig ausgesetzt, teilweise auch umorganisiert in die Häuslichkeit.
 Beschäftigung und finanzielle Lage unter Coronabedingungen
Im Zusammenhang mit der Coronapandemie haben sich auch die Umstände der
arbeitsbezogenen Lebensgestaltung verändert.
Das bestätigen drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner (73,6 %), die zurück-
melden, das Arbeitsleben habe sich durch die Pandemie verändert. Im einzelnen wird
berichtet,
 Arbeiten war zeitweise nicht erlaubt,
 bei der Arbeit musste man Abstand halten,
 der Arbeitsort wurde gewechselt,

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 verschiedene Arbeitsbereiche wurden geschlossen und in einer Gruppe gear-


beitet,
 in den Wohngruppen wurde gearbeitet,
 Pausen wurden in getrennten Gruppen umgesetzt,
 es gab die Möglichkeit zum Homeoffice.
Bedauert wurde, dass
 Kontakte verloren gingen, da man sich bei der Arbeit nicht mehr sehen konnte.
Begrüßt wurde aber zugleich, dass
 durch verkleinerte Gruppen der Arbeitsplatz viel ruhiger wurde,
 das Testen vieles verbessert hat – auch wenn es nervt.
Assistenzleistungen mit Bezug zur Arbeit waren bei über der Hälfte (51,43 %) derjeni-
gen, die eine Angabe zum Bereich Arbeit gemacht haben, nicht notwendig (s. Abbil-
dung 2.12).

Abbildung 2.12: Notwendige Unterstützung bei Dingen rund um die Arbeit (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung


Weitere Veränderungen bezogen auf die Pandemiesituation wurden nicht genannt.
Auch in finanzieller Hinsicht (bezogen auf das Geld, das wöchentlich zur Verfügung
steht) gaben die meisten Bewohnerinnen und Bewohner (84,3 %) an, ihre Situation sei
unverändert.
Einige der Befragten (3,4 %) äußern jedoch, über weniger Geld zu verfügen, da z. B.
im Lockdown kein Taschengeld gezahlt wurde. Andere (1,7 % der Antwortenden) se-
hen während der Pandemie Gelegenheiten zum Sparen, da sie ihr Geld aufgrund der
beschränkten Möglichkeiten nicht ausgeben konnten. Wenige (5,7 %) berichten
schließlich, dass sich die Freiheit, selbst über ihr Taschengeld zu bestimmen, in der
Coronazeit verändert habe.

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Zu Arbeit
Von den befragten Bewohnerinnen und Bewohnern waren die meisten (knapp 60
Prozent) an sich in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt oder
in Rente (36 Prozent). Die meisten äußerten sich über ihre Tätigkeit bzw. Situation
sehr zufrieden oder zufrieden, und fast alle (90 Prozent) konnten auch über ihr ver-
fügbares Geld selbst bestimmen.
Die Hälfte der Antwortenden gab an, ohne Unterstützung am Arbeitsleben (WfbM)
teilnehmen zu können.
Drei Viertel der Interviewten nennen unter der Pandemie im Bereich der Arbeit we-
sentliche Veränderungen. Beispiele wurden WfbM oder Arbeitsbereiche geschlos-
sen, Tätigkeitsfelder geändert, Gruppeneinsätze getrennt bis zur Heimarbeit. Verrin-
gert haben sich zugleich Kontaktchancen und Gruppengrößen.
Das wöchentlich verfügbare Geld blieb während der Coronazeit bei etwa 85 Prozent
der Interviewten unverändert. Nur Einzelne erwähnen, dass im Lockdown kein Ta-
schengeld ausgezahlt wurde. Andere sprechen von Chancen zu sparen, aber auch
das Ende der Freiheit, über dieses Geld zu bestimmen, wird von knapp sechs Pro-
zent berichtet.

2.8 Partizipation
Nach § 78 SGB IX ist die selbstbestimmte und eigenständige Bewältigung des Alltags
auch mit Hilfe von Assistenzleistungen intendiert, beispielsweise bei der Haushaltsfüh-
rung, der Gestaltung sozialer Beziehungen, der persönlichen Lebensplanung, der Teil-
habe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, der Freizeitgestaltung einschließ-
lich sportlicher Aktivitäten sowie der Sicherstellung der Wirksamkeit ärztlicher und ärzt-
lich verordneter Leistungen. Über die konkrete Gestaltung der Leistungen entscheiden
die Leistungsberechtigten auf der Grundlage des Teilhabeplans (§ 19 SGB IX). Dabei
sind Ablauf, Ort und Zeit der Inanspruchnahme einbezogen. Die Assistenz kann die
vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie
die Begleitung der Leistungsberechtigten umfassen. Sie beinhaltet aber insbesondere
auch deren Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung durch Fachkräfte
(qualifizierte Assistenz).
Die Formen des Zusammenlebens in besonderen Wohnformen sollen von diesen
Maßgaben geleitet sein. Dies erfordert Mitsprache und Mitbestimmung in der Alltags-
gestaltung und der Gruppenmitglieder untereinander, damit Gemeinschaft auch gelebt
werden und Unterstützung jeweils individuell passgenau gelingen kann.
 Partizipation unter Coronabedingungen
Sehr viele Bewohnerinnen und Bewohner (81,03 %) äußern, unter Coronabedingun-
gen habe sich die Mitbestimmung in der jeweiligen Wohnsituation geändert (s. Abbil-
dung 2.13).

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Abbildung 2.13: Veränderung der Mitbestimmung in der Wohnsituation durch Corona


(Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung


Einschränkungen der Mitbestimmung entstehen nach Meinung der Interviewten durch
allgemeine Coronaregelungen, aber zugleich besteht ein Zusammenhang mit Rah-
menbedingungen und Faktoren, die Optionen limitieren. Genannt werden
 Einschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit durch den Wegfall sämtlicher
Angebote,
 keine Möglichkeit mehr, zu bestimmen was man machen möchte,
 Mangel an Informationen,
 wenig Zeit der Betreuerinnen und Betreuer,
 ständiges Erinnerung an die Masken und daran, wer in den Essensräumen
wann wo sitzt.
Insofern werden Kommunikationen als mehr coronabezogen und reglementierend
wahrgenommen. Der Ermöglichungscharakter geht verloren. Auch Beratung zur
Selbstbestimmung scheint eher eine nachgeordnete Rolle zu spielen.
Entsprechend fordern die Bewohnerinnen und Bewohner, schneller und besser Be-
scheid zu bekommen. Zusätzlich werden von den Interviewten Wünsche bezogen auf
Mitbestimmung geäußert mit Blick auf mehr
 Kontakte (zu Freundinnen und Freunden),
 Informationen (über neue Bewohnerinnen und Bewohner),
 Angebote (Ausflüge, Freizeitprogramme, Veranstaltungen),
 Entlastung für das Personal.
Mehr Mitbestimmung ist aus Sicht der Befragten vor allem auch bei den Coronarege-
lungen wichtig, und dass es keine Maskenpflicht mehr in der Wohnsituation gibt.

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Zu Partizipation
Partizipation gilt als wesentliches gemeinschaftsbildendes und Selbstbestimmung
förderndes Mittel in der Eingliederungshilfe.
In der Coronapandemie haben sich die Partizipationschancen nach Angabe der
meisten Bewohnerinnen und Bewohner (über 80 Prozent) wesentlich verändert. Die
Rede ist von erheblichen Einschränkungen der Handlungsfähigkeit ebenso, wie von
erheblichem Informationsmangel.
Auf der Wunschliste bleiben somit mehr Angebote, Kontakte, Mitbestimmung und
Information in vielfacher Weise, auch bezogen auf Coronamaßnahmen, gemeinsam
mit weniger Maskenpflicht.

2.9 Sicherheit und Schutz


Sicherheit und Schutz (auch vor Gewalt innerhalb der Wohnsituation) scheinen gerade
wegen der ausgeprägten physischen Exklusion von Menschen während der Pandemie
von besonderer Brisanz. Es waren viele Bewohnerinnen und Bewohner nicht bereit
oder in der Lage, in diesem sensitiven Fragenfeld Antworten zu geben. Dies ist bei der
Einordnung der Ergebnisse zu berücksichtigen.
Die erhaltenen Einschätzungen der antwortenden Bewohnerinnen und Bewohner
formen folgendes Bild:
 Sicherheit unter Coronabedingungen
Sehr viele der antwortenden Bewohnerinnen und Bewohner (70,8 %) meinen, bezogen
auf das Gefühl von Sicherheit habe sich durch die Coronapandemie nichts geändert.
Verbunden mit der Pandemielage sprechen manche Interviewte eher an, dass sie eine
erhöhte Sicherheit wahrnehmen, durch
 Ausgangssperre, Masken und Impfung.
Mit der Sorge um Sicherheit verbinden einzelne Befragte eigene Emotionen wie
 Angst vor einer Corona-Ansteckung,
 Sorge um die Einsamkeit von Freundinnen und Freunden,
 vermehrte Unsicherheit in Menschenansammlungen.
Zu erhöhten Risiken sexualisierter oder physischer Gewalt gibt es keine Hinweise.
Insofern ist auch kein besonderes Risiko während der Coronapandemie beschreibbar.
Es gibt aber allgemein einige Positionierungen zu Diskriminierungserfahrungen mit
konkreten Beispielen (s. Tabelle 2.4). Auch zur Frage von Diskriminierungen machen
allerdings viele Befragte keine Angaben.

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Tabelle 2.4: Diskriminierungserfahrungen I - „Wurden Sie schon einmal benachteiligt oder


schlecht behandelt, …“ (Angaben in %)

in % oft hin und wieder nie keine Angabe /


weiß nicht
weil Sie ein Mann / eine 1,6 8,1 59,7 30,6
Frau sind?
wegen Ihrer Aussehens? 3,3 4,9 55,7 36,0
wegen Ihrer Religion? 1,6 1,6 54,1 42,6
weil Sie eine Beeinträchti- 3,3 8,2 54,1 34,4
gung haben?
weil Sie nicht deutsch - - 39,7 60,3
sind?
weil Sie lesbisch oder - - 37,9 62,1
schwul sind?
wegen Ihres Alters? - 1,6 54,1 44,2
Quelle: Eigene Darstellung
Die Mehrheit der Antwortenden verneint Diskriminierungserfahrungen explizit. Dies
trifft auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts, des Aussehens, des Alters, der
Beeinträchtigung sowie der religiösen Orientierung besonders zu. Bei nicht-deutscher
Herkunft oder sexueller Orientierung können auch Botschaften von „trifft nicht zu“
enthalten sein.
Im zweistelligen Bereich (11,5 %) werden „oft“ oder „hin und wieder“ Diskriminierungen
wegen einer Beeinträchtigung erfahren. Hierzu gibt es nähere Erläuterungen (s.
Tabelle 2.5). Zugleich fällt aber auch hier eine große Gruppe auf (etwa ein Drittel der
Befragten), die keine Angaben macht.

Tabelle 2.5: Diskriminierungserfahrungen II – „Wurden Sie aufgrund Ihrer Beeinträchtigung


schon einmal…“ (Angaben in %)

in % oft hin und wieder nie keine Angabe /


weiß nicht
ignoriert oder nicht 4,9 16,4 45,9 32,8
ernst genommen?
herabsetzend oder 6,6 16,4 44,3 32,8
respektlos behandelt?
gehänselt, schikaniert 8,2 11,5 49,2 31,2
oder belästigt?
ungerecht behandelt? 3,3 11,5 47,5 37,7

Quelle: Eigene Darstellung


Fast jede zweite der antwortenden Personen erklärt, nie aufgrund der Beeinträchti-
gung diskriminiert worden zu sein. Diskriminierungserfahrungen in Form ungerechter
Behandlungen werden am wenigsten rückgemeldet („oft“ und „hin und wieder“, zusam-
men 14,8 %). Die Antwortenden berichten (jeweils in Summe zu etwa einem Fünftel)
davon, „oft“ oder „hin und wieder“ ignoriert oder nicht ernst genommen zu werden (21,4
%), herabgesetzt oder respektlos behandelt zu werden (23 %) oder auch davon, dass
man sie hänselt, schikaniert oder belästigt (19,7 %).

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Schließlich äußern sich kaum Bewohnerinnen und Bewohner zu der Frage, wer sie
diskriminiert habe (s. Abbildung 2.14). Ein besonders großer Teil der Bewohnerinnen
und Bewohner (fast 70 %) gibt hierzu keine Auskunft.

Abbildung 2.14: Diskriminierungserfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung

Als diskriminierende Personen nennen die antwortenden Interviewten,


 unbekannte / wenig bekannte Personen (8,47 %),
 befreundete Personen / Bekannte / Nachbarn (6,78 %),
 Familienangehörige (3,39 %),
 Fachkräfte wie Assistenzperson / Betreuende / Pflegekräfte / Unterstützende
(1,69 %),
 andere Personen (10,07 %), wie Familienangehörige, (ehemalige) Mitwoh-
nende, Partnerinnen und Partner, befreundete Personen, Bürgermeisterinnen
und Bürgermeister, Bedienungen im Restaurant und Zugbegleiterinnen und
Zugbegleiter.

Tabelle 2.6: Gewalterfahrungen – „Wurden Sie schon einmal gegen ihren Willen …“ (Anga-
ben in %)
in % oft hin und wieder nie keine Angabe /
weiß nicht
festgehalten oder daran 4,9 9,8 42,6 42,6
gehindert wegzugehen?
körperlich angegriffen, 5,1 11,9 47,5 35,6
z. B. heftig geschlagen,
weggeschleudert oder
getreten?
Quelle: Eigene Darstellung

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Auch zum Risiko von Gewalterfahrungen war die Antwortbereitschaft eher gering.
Rund 40 Prozent der Interviewten ließen diese Fragen offen. Etwas weniger als die
Hälfte der Antworten lauten, keine entsprechenden Erfahrungen gesammelt zu ha-
ben (s. Tabelle 2.6).
Etwa fünf Prozent der Antwortenden berichten, „oft“ gegen ihren Willen festgehalten
oder am Weggehen gehindert worden zu sein. Auch körperliche Angriffe, z. B. heftig
geschlagen, weggeschleudert oder getreten worden zu sein, werden genannt.
Etwa doppelt so häufig wird berichtet, entsprechende Erfahrungen „hin und wieder“
gemacht zu haben.
Zu den Personen, die die beschriebene Gewalt ausüben, wurden auch Rückmeldun-
gen der Bewohnerinnen und Bewohner erbeten. Aber noch mehr als bei der Diskrimi-
nierungsfrage enthalten sich hier die Befragten einer Antwort (knapp 75 % antworten
nicht) (s. Abbildung 2.15).
Laut dem Viertel der Befragten, die eine Rückmeldung geben, werden Gewalterfah-
rungen gemacht mit
 befreundeten Personen / Bekannten / Nachbarn (4,26 %),
 Familienangehörigen (4,26 %),
anderen Personen (12,77 %), das sind Arbeitskolleginnen und -kollegen, (ehemalige)
Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, Mitschülerinnen und -schüler, Partnerinnen und
Partner sowie eine besonders bezeichnete männliche Person.

Abbildung 2.15: Gewalterfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %)

Quelle: Eigene Darstellung

Wie Unterstützung bei Gewalterfahrungen während der Coronapandemie erfolgt ist,


lässt sich - mit Vorsicht wegen der schmalen Datenbasis – folgendermaßen einschät-
zen:
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 Ein Fünftel gibt an, dass sich während der Coronapandemie keine Veränderun-
gen darin gezeigt hätten, wie ihnen bei Gewalterfahrungen geholfen wurde.
 Eine Einzelperson (1,7 %) berichtet von einer Verbesserung der Unterstützung
in Gewaltsituationen, erläutert dies aber nicht näher.
 Die Mehrheit der Befragten (78,3 %) macht in diesem Fragenbereich keine An-
gaben.

Zu Sicherheit und Schutz


Die meisten der antwortenden Bewohnerinnen und Bewohner (über 70 Prozent)
meinen, während der Coronapandemie sei der Bereich Sicherheit und Schutz un-
verändert.
Andere geben Hinweise zu mehr Sicherheit durch den Einschluss der Bewohnerin-
nen und Bewohner, sowie Masken und Impfungen. Sorgen hingegen werden geäu-
ßert wegen Ansteckungsrisiken, Einsamkeit und zu großen Menschenmengen.
Übergriffe oder Gewalterfahrungen thematisieren die Bewohnerinnen und Bewoh-
nern eher zurückhaltend, aber dennoch werden entsprechende Erfahrungen in
etwa 15 Prozent der Nennungen („oft“ oder „hin und wieder“) berichtet.

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3 Perspektiven der
Leitungsebene Eckdaten der Auswertung
Es wurden N=19 Einrichtungen der besonderen
Wohnformen einbezogen.
Die Rückmeldungen wurden digital gegeben. Die
Eingabe dauerte zwischen 18 und 80 Minuten.
Die Befragungen begannen am 12. Dezember 2021
und erstreckte sich auf den Zeitraum bis zum 12.
April 2022.
Für diesen Bericht wurden ausgesuchte Fragen
bearbeitet.
Die Befunde sind in sieben Bereiche untergliedert
dargestellt.

[3.1]

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus der Befragung der Leitungsebe-


nen der besonderen Wohnformen vorgestellt. Mit dieser Übersicht ist ein erster Über-
blick der coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen der Ein-
gliederungshilfe aus Perspektive der Leistungsanbietenden möglich.

Befragung der Leistungsanbieterinnen und -anbieter:


Erste Ergebnisse

[3.2]
Hier wird die Perspektive der Leitungspersonen von besonderen Wohnformen wieder-
gegeben. Die Angaben aus insgesamt 19 Wohneinrichtungen sind einbezogen.
Befragt wurde über den eigens im Forschungsprojekt entwickelten
„Fragebogen zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen
in Einrichtungen der Eingliederungshilfe (besonderen Wohnformen)“ (LeBo)
(s. Anhang).
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Die Befragung fand digital statt. Die jeweilige Bearbeitungsdauer pro LeBo beträgt zwi-
schen 18 bis 80 Minuten (Verweildauer im SoSci-System1). Das Angebot einer face-
to-face Interviewbefragung nahm keine Einrichtung in Anspruch.
Personen waren zur Rückmeldung eingeladen, die die Sicht der Einrichtung in leiten-
der Verantwortung kennen und den erforderlichen Überblick (Wissen zu Planung und
Ressourceneinsatz) einbringen können, aber dennoch nahe am Alltagsgeschehen
(operative Ebene) sind. Diese Personen sind oft identisch mit der Leitungsebene, aber
auch – beispielsweise in sehr großen Wohneinrichtungen – aus dem Mittleren Ma-
nagement. Jede Einrichtung traf die Vertretungsentscheidung unabhängig. Die ge-
wählte Person stimmte dann ihrer Teilnahme zu.
Für diesen Bericht wurden Teile der gewonnenen Informationen ausgewählt; die aus-
führlichen begleitenden (vor- und nachbereitenden mündlichen Kommunikationen und
andere wissenschaftliche Quellen) sind noch nicht einbezogen.
Das Planziel (20 Einrichtungen) wurde fast erreicht. Weitere Wohneinrichtungen sind
zur Teilhabe bereit und vorbereitet, konnten aber wegen externer Faktoren (Absagen
wegen Erkrankung oder Quarantänepflicht im Rahmen der W OGE 2020-Studie) nicht
mehr befragt werden. Weitere Erfahrungsschätze aus der Praxis zu heben, wäre mög-
lich und eine Chance, die große Gesprächsbereitschaft in einem Leistungsfeld zu wür-
digen, das mit großem Einsatz die Daseinsvorsorge für die Bewohnerinnen und Be-
wohner sicherstellen will und das sich in der Pandemie oft mehr Aufmerksamkeit und
Verständnis der Lage wünscht.
Folgende sieben Berichtsfelder dienen dazu, die Datenqualität zu erläutern sowie die
Ausgangslage und die Lage während der Pandemie zu beschreiben. Sie werden im
Folgenden kurz dargestellt:

 Einrichtungsbezogene Informationen
 Ausgangslage in den Einrichtungen vor der Pandemie
 Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen
 Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Bewohnerinnen und Bewohner
 Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Personal
 Exklusionsrisiken
 Erkenntnisse aus der Pandemie

1Der Onlinefragebogen wurde mittels SoSci Survey (Leiner 2019) realisiert und den Teilnehmenden auf
www.soscisurvey.de zur Verfügung gestellt.
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[3.3]

3.1 Einrichtungsbezogene Informationen


In diesem Kapitel wird ausgedrückt, warum und inwieweit die im Prinzip qualitativ aus-
gelegte Feldstudie Aussagekraft hat zur Lage der Einrichtungen der Eingliederungs-
hilfe im Bereich Wohnen. Ein besonderer Fokus liegt auf den Auswirkungen der Coro-
napandemie.
Die Aussagekraft wird durch den Zuschnitt der Angebote und Anbieterstrukturen dar-
gelegt.
Die Daten stammen aus den Rückmeldungen von 19 Einrichtungen (95 % der Ziel-
größe). Die einrichtungsbezogenen Informationen sind über den weitgehend struktu-
rierten Erfassungsbogen (LeBo: Leitungsbogen; s. Anhang) digital oder im persönli-
chen Austausch gewonnen. Alle Rückmeldungen erfolgten digital. Die – je nach Größe
der Einrichtung - am besten informierte Ebene in den Leitungsstrukturen beantwortete
die Fragen.
Zunächst geht es um Informationen, die die beteiligten Einrichtungen profilieren.
3.1.1 Die befragten Wohneinrichtungen nach Bundesland
Die Beteiligung an der WOGE 2020-Studie hat einen bundesweiten Zuschnitt. Einrich-
tungen bis nördlich von Hamburg, im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern sowie
im Süden im gesamten Flächenstaat Bayern sowie Baden-Württemberg sind beteiligt.
In der Mitte ist das bevölkerungsreichste Bundesland (NRW) in seiner gesamten west-
östlichen Ausdehnung einbezogen (s. Abbildung 3.1).
Einrichtungen in Metropolregionen sind ebenso vertreten wie solche in sehr abgelege-
nen ruralen Lagen in deutschen grenznahen Gebieten. Es sind Wohnformen beteiligt,
die über öffentliche Verkehrssysteme nicht oder nur mit Mühe erreicht werden können,
ebenso aber auch solche, die ausgezeichnet in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr
eingebunden sind.
Die erfassten Anbieter agieren durch regionale Zuständigkeiten mit sehr verschiede-
nen Gesundheitsämtern und anderen maßgeblichen Behörden. Teilweise müssen sie
gleichzeitig den Anordnungen unterschiedlicher Gesundheitsämter bzw. weiterer Be-
hörden Folge leisten.

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Abbildung 3.1: Lage der befragten Einrichtungen

Schles-
wig-Hol- Mecklenburg-
stein Vorpommern

Nordrhein-
Westfalen

Baden- Bayern
Württem-
berg

Quelle: Eigene Darstellung


3.1.2 Verteilung der Befragten nach ihrer Funktion
Über Auskunftspersonen wird die allgemeine Rahmung der Wohnsituation in den Ein-
richtungen (environmental factors) strukturiert erfasst, um spezifische Aussagen und
Anliegen in die jeweils relevanten Kontexte einbetten zu können.
Die nach eigener Einschätzung am Abbildung 3.2: Funktion der Auskunftsperson
besten informierten Personen in den
Leitungsebenen wurden um Antwort
gebeten, nachdem sie in ausführli-
chen Telefonaten oder auch persönli-
chen Begegnungen über Anliegen und
Umstände der Studie intensiv infor-
miert wurden.
Es ergaben sich als Bestinformierte zu
etwa zwei Drittel Einrichtungsleitun-
gen (64,29 %), zu gut einem Fünftel
Bereichsleitungen (21,43 %) sowie zu
knapp 15 Prozent (14,29 %) Ge-
schäftsführungen. Sonstige: Geschäftsführung
Quelle: Eigene Darstellung

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3.1.3 Größe der Einrichtung


Einrichtungen sehr unterschiedlicher Größe wurden befragt.
Kleinere Einrichtungen (max. 50 Be- Abbildung 3.3: Größe der Einrichtung
wohnerinnen bzw. Bewohner und Per-
sonal) nahmen zu etwa einem Drittel
teil (30,77 %). Knapp ein Viertel (23,08
%) stellten Einrichtungen mit mehr als
100 Bewohnerinnen bzw. Bewohnern
und Personal. In dieser Gruppe sind
auch Komplexanbieter mit weit über
1.000 Plätzen einbezogen.
Den Großteil der Teilnehmenden bil-
den mit knapp der Hälfte (46,15 %)
Einrichtungen mittlerer Größe (mit 50-
100 Bewohnerinnen bzw. Bewohnern Quelle: Eigene Darstellung
und Personal).

Die Studie bildet insofern in angemessener Weise bestehende Strukturen der beson-
deren Wohnformen ab.
3.1.4 Förderschwerpunkte der Einrichtung
Bezogen auf die fachliche Ausrichtung der Wohnanbieter findet sich ebenso ein Spie-
gel der Versorgungsstrukturen im Bereich der besonderen Wohnformen in der Einglie-
derungshilfe.
Mehr als die Hälfte der erfassten Ein- Abbildung 3.4: Förderschwerpunkte der Einrich-
richtungen ordnet sich dem Förder- tung
schwerpunkt Geistige Behinderung zu
(53,85 %). Die mit knapp einem Viertel
der Nennungen (23,08 %) nächst-
größte Subgruppe „Sonstige“ umfasst
Einrichtungen mit Angeboten, die sich
an Menschen mit geistigen, körperli-
chen und / oder seelischen / psychi-
schen Beeinträchtigungen, mit geisti-
gen und sog. schwerstmehrfachen
Beeinträchtigungen richten oder die
sich auch als fakultativ geschlossene
Einrichtung der Behindertenhilfe be- Sonstige: geistige, körperliche und/oder seelische/psychische
Behinderungen; geistige und schwerst-mehrfache Behinderung;
zeichnen. fakultativ geschlossene Einrichtung der Behindertenhilfe
Quelle: Eigene Darstellung
Kleinere Anteile haben Wohneinrichtungen (zu jeweils 7,69 %), die sich spezifisch
auf Beeinträchtigungen / psychische Erkrankung, sog. schwerstmehrfache Beein-
trächtigungen sowie körperliche Beeinträchtigungen fokussieren.

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3.1.5 Anzahl der Mitarbeitenden in der jeweiligen Organisation


Die Anzahl der Mitarbeitenden hängt in der Regel mit einer Reihe von Faktoren zu-
sammen, beispielsweise mit der fachlichen Ausrichtung, mit der Anzahl der angebote-
nen Wohnmöglichkeiten, mit der gelebten Fachkultur, aber auch mit Trägerschaften
und Besonderheiten der Eingliederungshilfe (beispielsweise Heimaufsicht, Personal-
schlüsseln, konzeptioneller Dienstplangestaltungen etc.).
Schließlich spielen auch die Qualifikation der Beschäftigten und die Möglichkeiten der
Mitarbeitergewinnung und -bindung eine relevante Rolle.
Als grobes Raster werden hier nur Größendimensionen (Vollzeitäquivalente) genannt.
Es zeigen sich zwei Hauptstrukturen:
Etwa gleiche Anteile (38,46 %) der Wohneinrichtungen haben Mitarbeiterzahlen unter
fünf Personen bzw. von zehn bis 50 Personen. Mehr als 100 Mitarbeitende (bis zu
einer sehr viel größeren Mitarbeiterschaft) geben knapp ein Viertel (23,08 %) an.
Dies korrespondiert dem oben genannten Zuschnitt der erfassten Einrichtungsgrößen.
Abbildung 3.5: Anzahl der Mitarbeitenden (in Vollzeit umgerechnet)

Quelle: Eigene Darstellung

Zum Profil der erfassten Einrichtungen


Die einbezogenen Einrichtungen entsprechen einer typischen Zusammensetzung
der Angebote in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe. Verschiedene
Größen und alle Angebotsformen nach Art der Beeinträchtigungen sind enthalten.
Die Größenordnung verhält sich analog zur Menge des beschäftigten Personals.
Die bundesweite Verteilung spiegelt die geografische, länderspezifisch weit ge-
spannte denkbare Vielfalt der Strukturen. Stadtstaaten sind nicht enthalten. Rurale
und urbane Räume sowie Metropolregionen sind aber einbezogen, samt der jewei-
ligen Verfügbarkeit von Mobilitätsanbindungen der Region oder Kommune. Auch be-
sondere Personengruppen (geschlossene Unterbringung) wohnen in den befragten
Einrichtungen.

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3.2 Ausgangslage in den Einrichtungen vor der Pandemie


Im Folgenden werden relevante Ausgangsbedingungen mit präventivem Potenzial vor
der Pandemiezeit in den Blick genommen, um anschließend Veränderungen möglichst
klar abbilden zu können. Dabei fließt insofern Erfahrungswissen der Antwortenden ein,
weil sie nach den gegebenen Voraussetzungen gefragt werden, die sich als hilfreich
oder als hinderlich erwiesen haben.
Die gewählte Frageform ist in diesem Fall „offen“, d. h. eigene Formulierungen sind
möglich und gewünscht. Im Folgenden werden typische Rückmeldungscluster im
Wortlaut wiedergegeben.
3.2.1 Hilfreiche Ausgangsbedingungen
Die Coronapandemie ist eine Bewährungsprobe für die Gesundheitssorge in den be-
sonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe. Im Rückblick zeigen sich Muster von
hilfreichen oder hinderlichen Routinen. Beispielsweise werden einschlägige Formate
der Hygiene- und Gesundheitsplanung und standardisierte und alltagsnahe Verfahren
der Planung und Beratung als hilfreich angeführt. Auch manche bereits vorhandenen
Standards und bestehende Erfahrungen im Bereich der Pflege werden als unterstüt-
zend betrachtet. Dies betrifft sowohl Abläufe und Materialien, als auch einschlägig qua-
lifiziertes Personal, das z. B. im Umgang mit Infektionsrisiken Kenntnisse analog zum
medizinischen Setting (etwa Klinikalltag) einbringen kann.
Auch der Einsatz externer Fachkräfte wird als hilfreich für die Milderung der großen
Arbeitsbelastung geschildert.
 „Aufgrund der vorhandenen Strukturen und Gegebenheiten würde ich die Aus-
gangssituation als gut beurteilen. Es gibt verschiedene Arbeitskreise und Zirkel
(z. B. AK Hygiene, AK Pflege, Betr. Gesundheitsmanagement, Rahmenhygie-
neplan, Hygiene- und Pflegeberatung) und zusätzlich standardisierte Verfah-
rensanweisungen.
Natürlich waren wir nicht auf eine Situation wie die Coronapandemie vorberei-
tet.“ (ID_68)
 „Durch die spezifischen Behinderungsbilder (zu 75 Prozent erworbene Schädi-
gungen wie Schädelhirnverletzungen etc.), die in unseren Angeboten unter-
stützt werden, war vorab schon ein vermutlich höheres Maß an medizinischer
Pflege und damit verbundene Rahmenbedingungen und Prozesse nötig (hoher
Pflegebedarf, Pflegefachkräfte in allen Teams, Umgang mit den Anforderungen
des Medizinproduktegesetzes und daraus resultierenden Maßnahmen, bereits
vorhandene Materialien und Hilfsmittel im täglichen Alltag wie OP Masken, Um-
gang mit MRSA im Alltag etc.).“ (ID_58)
 „Für bereits bekannte Erkrankungen, wie Norovirus, Scabies, Legionellen ... war
die Einrichtung gut vorbereitet.“ (ID_60)
 „Grundsätzlich gibt es einige Möglichkeiten, effektiv auf eine gesundheitliche
Gefährdungslage zu reagieren. Durch den zusätzlichen Einsatz von Personal-
dienstleistern kann die Arbeitsbelastung vorübergehend abgemildert werden.“
(ID_67)

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3.2.2 Schwierige Ausgangsbedingungen


Als schwieriger werden Anforderungen bewertet, die zugleich soziale Teilhabe sichern
sollen. Das sind viele Begegnungsgelegenheiten unter den Bewohnerinnen und Be-
wohnern, Angebote, die Gruppenstrukturen überschreiten und eine Bewohnerschaft
mit relativ hoher Selbstständigkeit.
Zugleich tun sich Wissenslücken auf. Dies sind beispielsweise mangelnde Routinen
im Bereich der Prävention (Vermeiden von Krankheits- bzw. Gesundheitsrisiken).
Auch die Brücke zwischen konzeptioneller Vorbereitung und den Handlungsebenen
(in Form von Organisation, Beschaffung, Personaleinsatz oder auch Raumzuordnung)
erweist sich als nicht hinreichend konstruiert.
 „nicht gut, hohe Durchmischung der Bewohner und des Personals, viel grup-
penübergreifende Angebote, sehr selbständige Bewohner.“ (ID_62)
 „nicht ausreichend - mit Optimierungsbedarf - 50 Prozent - Wertigkeit der Prä-
vention zu niedrig ca. bei 20 Prozent - ist ein politisch / gesellschaftliches Prob-
lem - keiner war auf die Pandemie vorbereitet - in allen handlungsrelevanten
Bereichen - Pandemie-Konzept -> Beschaffungs-Konzept -> Personal-Konzept
- Räumliches-Konzept.“ (ID_61)
3.2.3 Notfallpläne für die Bewohnerinnen und Bewohner
Im Prinzip liegen Notfallpläne für die Bewohnerinnen und Bewohner vor in Form von
Checklisten, Regularien (Ablauf- bzw. Verfahrensanweisungen). Bekannt sind auf die
Bewohnerschaft jeweils zugeschnittene Aufklärungsgespräche. Diese individualisier-
ten Maßnahmen sind verbunden mit hohen Basisstandards für Hygiene, bekannten
Meldepflichten und Routinen wie nachbereitenden Maßnahmen. Auch Absprachen mit
Gesundheitsämtern werden erwähnt.
In den Rückmeldungen wird kritisch angemerkt, dass Gesundheitsämter zwar auf-
merksam sind für Ansteckungsgefahren, die in eine Wohneinrichtung getragen wer-
den, aber bestehende Risiken wegen psychischer Belastungen infolge der Isolations-
situationen würden ausgeblendet.
Teilweise wird auch berichtet, dass personenbezogen spezifische Notfallpläne (z. B.
bei Anfallsrisiken oder anderen spezifischen Gesundheitsproblemen) vorliegen. Es
gibt aber auch Einrichtungen, die - außer den standardisierten Hygieneplänen, die
auch den Umgang mit Viruserkrankungen regeln - , keine Notfallpläne zur Hand haben
(s. Tabelle 3.1).

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Tabelle 3.1: Notfallpläne für Bewohnerinnen und Bewohner

Quelle: Eigene Darstellung


3.2.4 Notfallpläne für das Personal
Zu Notfallplänen für das Personal finden sich weniger Hinweise. Manche Angaben sind
analog zur Bewohnerinnen- und Bewohnersituation (wie Checklisten und allgemeine
Hygienepläne und -belehrungen). Zusätzlich gibt es Brandschutz- und Erste Hilfe-
Schulungen. Manche erwähnen die Kohortenbildung im Infektions- bzw. Quarantäne-
fall sowie die generell hohen Hygienestandards in Gemeinschaftsunterkünften.
Task Forces wurden als Notfallmaßnahme erst im Pandemieverlauf gebildet, anfangs
gab es auch keine Schutzkleidungen oder Masken. Diese wurden teilweise aus Stoff
selbstgefertigt (s. Tabelle 3.2).
Tabelle 3.2: Notfallpläne für das Personal

Quelle: Eigene Darstellung


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Zur Vorbereitung auf Notfälle in den Einrichtungen


Vor der Pandemie lagen bereits Erfahrungen und hilfreiche Strukturen vor, wie sie
in Gemeinschaftsunterkünften vorgeschrieben sind. Die besonderen Wohneinrich-
tungen konnten sich also teilweise auf etablierte Routinen stützen, was sie begrü-
ßen. Auf eine Pandemie dieser Art war aber niemand vorbereitet, an den erforderli-
chen Ausstattungen mit Material, an kundigem Personal und an Routinen mangelte
es entsprechend erheblich.
Je mehr Strukturen und Erfordernisse an Teilhabeaufgaben ausgerichtet werden
müssen, um so problematischer wird die angemessene Umsetzung bewertet. Selb-
ständigere Bewohnerinnen und Bewohner fordern die Einrichtungen mehr heraus.
Der Umgang mit Gesundheitsämtern wird teilweise als kontrovers empfunden, be-
sondere Defizite werden an personenzentriertem Denken konstatiert.
Für den Umgang mit dem Personal gab es neben den üblichen Notfallplänen wenig
Verfügbares, worauf man aufbauen konnte. Mit dem Personal zu planen wurde erst
mit der Zeit etabliert.

3.3 Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen


Grundsätzlich ist der Alltag in Wohneinrichtungen organisations- und gemeinschafts-
bezogen von zeitlichen, räumlichen und Umgangsregeln bestimmt. Zu den dort erfor-
derlichen und umgesetzten Schutzmaßnahmen im Verlauf der Coronapandemie wer-
den im folgenden ausgewählte Rückmeldungen gegeben.
3.3.1 Aushänge zu Hygienevorgaben
In Gemeinschaftsunterkünften sind Aushänge eine Kommunikationsform. Von spezifi-
schen Schutzmaßnahmen der Einrichtung wie Aushänge zu Hygienevorgaben (bei-
spielsweise Hand- und Nieshygiene, Maskenpflicht für Besucherinnen und Besucher,
Abstandsgeboten) berichten die meisten (84,62 %) der Einrichtungen (s. Abbildung
3.6).
Bis zum Fragezeitpunkt zwischen Januar und April 2022 ist diese Art der Information
und Kommunikation unverändert geblieben (s. Abbildung 3.7).

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Abbildung 3.6: Aushänge zu aktuellen Abbildung 3.7: Aushänge zu aktuellen Hygie-


Hygienevorgaben – zu Beginn der Pan- nevorgaben – zum Befragungszeitpunkt
demie

Quelle: Eigene Darstellungen


 keine Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.2 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung
Zu Beginn der Pandemie, auf die man aus Sicht der Leitungsebene nicht spezifisch
vorbereitet und für die man auch nicht hinreichend ausgestattet war, waren Kontaktein-
schränkungen ein häufig genutztes Maßnahmenpaket. Dazu und zum Verlauf wird be-
richtet:
 Innerhalb der Einrichtungen wurden zu Beginn der Pandemie von drei Vierteln
der Wohnanbieter (76,92 %) Kontakte innerhalb der Einrichtung eingeschränkt
(s. Abbildung 3.8).
 Zum Befragungszeitraum (Dezember 2021 bis Mai 2022) hat sich dies verän-
dert: Weit über zwei Drittel (69,23 %) berichten nun von keinen eingeschränkten
Kontakten mehr innerhalb der Einrichtungen.
 Dies bedeutet, dass bei etwa knapp einem Drittel (30,77 %) der Wohnangebote
interne Kontakteinschränkungen bis zum Erfassungspunkt fortbestanden (s.
Abbildung 3.9).

Abbildung 3.8: Einschränkungen der Abbildung 3.9: Einschränkungen der Kontakte


Kontakte innerhalb der Einrichtung – zu innerhalb der Einrichtung – zum Befragungs-
Beginn der Pandemie zeitpunkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt

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3.3.3 Beschränkung auf Einzelzimmernutzung


Eine Möglichkeit, Kontakte zu reduzieren oder möglichst zu vermeiden ist, Bewohne-
rinnen und Bewohner auf ihr Einzelzimmer zu verweisen. Für den Großteil der Anbieter
(84,62 %) ist die Nutzung von Einzelzimmern nicht obligatorisch. Nur wenige Wohnein-
richtungen (15,38 %) wählten dennoch diese Form des Social Distancing (s. Abbildung
3.10).
Im Befragungszeitraum hat sich die Einschränkung auf Einzelzimmernutzung weiter
abgeschwächt (92,31 % Verneinung; 7,31 % Bejahung) (s. Abbildung 3.11).
Inwieweit in den jeweiligen Einrichtungen hierzu Pandemieumstände ausschlagge-
bend sind oder Einzel- bzw. Mehrfachzimmerbelegung üblich oder Ausnahmen sind,
wurde nicht erhoben.
Abbildung 3.10: Einschränkung auf Ein- Abbildung 3.11: Einschränkung auf Einzelzim-
zelzimmernutzung – zu Beginn der Pan- mernutzung – zum Befragungszeitpunkt
demie

Quelle: Eigene Darstellungen


 geringe Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.4 Einschränkung der gemeinsamen Mahlzeiten
Die täglichen gemeinschaftlichen Mahlzeiten wurden in manchen Einrichtungen ein-
geschränkt. Zwar sah ein großer Teil der Wohneinrichtungen keine entsprechenden
Maßnahmen vor (69,23 %). Knapp ein Drittel der Wohnanbieter (30,77 %) wählte aber
zunächst eine getrennte Essensausgabe (s. Abbildung 3.12).
Zwischen Pandemiebeginn und dem Befragungszeitraum änderte sich der Umgang
mit Gemeinschaftsmahlzeiten. Fast alle Einrichtungen (92,31 %) ließen gemeinsames
Essen wieder zu, nur noch wenige (7,69 %) organisieren weiterhin Mahlzeiten im „phy-
sical distancing“ (s. Abbildung 3.13).

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Abbildung 3.12: Einschränkung der ge- Abbildung 13: Einschränkung der gemeinsa-
meinsamen Mahlzeiten – zu Beginn der men Mahlzeiten – zum Befragungszeitpunkt
Pandemie

Quelle: Eigene Darstellung


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.5 Einschränkung der Begegnung in der freien Zeit
Zu Beginn der Pandemie hatten gut drei Viertel der Einrichtungen (76,92 %) die Be-
gegnungen in der freien Zeit eingeschränkt; knapp ein Viertel (23,08 %) nennt solche
Einschränkungen nicht (s. Abbildung 3.14).
Dieses Bild ändert sich bis zum Befragungszeitraum. Nun ist es ein Viertel der Anbieter
(23,08 %), die Begegnungen in der freien Zeit limitieren, gegenüber der Mehrheit
(76,92 %), die keine entsprechenden Reglementierungen vorsieht (s. Abbildung 3.15).
Abbildung 3.14: Einschränkung der Be- Abbildung 3.15: Einschränkung der Begeg-
gegnung in der freien Zeit – zu Beginn nung in der freien Zeit – zum Befragungszeit-
der Pandemie punkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.6 Einschränkung der Tätigkeit in den Werkstätten
Das Aussetzen der Teilnahme am Arbeitsgeschehen ist eine erhebliche alltagsnahe
Teilhabeeinschränkung. Zu Anfang der Pandemie haben gut drei Viertel (76,92 %) der
Einrichtungen die Tätigkeit in den Werkstätten für die Bewohnerinnen und Bewohner
ausgesetzt. Nur ein gutes Fünftel der Anbieter (23,08 %) hatte solche Maßnahmen
nicht ergriffen (s. Abbildung 3.16).
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Zum Befragungszeitpunkt waren Tätigkeiten in den Werkstätten wieder weitgehend


üblich. Die meisten Anbieter (92,31 %) kehrten in den üblichen Werkstattmodus zu-
rück, während wenige (7,69 %) die Tätigkeit in den Werkstätten weiter einschränken
(s. Abbildung 3.17).
Zum Verbleib der Rentnerinnen und Rentner gibt es keine Hinweise.
Abbildung 3.16: Einschränkung der Tä- Abbildung 3.17: Einschränkung der Tätigkeit
tigkeit in den Werkstätten – zu Beginn in den Werkstätten – zum Befragungszeitpunkt
der Pandemie

Quelle: Eigene Darstellungen


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.7 Einschränkung der privaten Besuche
Private Besuche der Bewohnerinnen und Bewohner wurden zu Beginn der Pandemie
von den meisten Anbietern (84,62 %) eingeschränkt, gegenüber wenigen Einrichtun-
gen (15,38 %), die solche Maßnahmen nicht ergriffen (s. Abbildung 3.18).
Zum Zeitpunkt der Befragung war dieses Bild erheblich gewandelt. Allerdings limitierte
weiterhin knapp ein Drittel der Anbieter (30,77 %) private Besuche, aber gut zwei Drit-
tel der Befragten (69,23 %) gaben an, keine privaten Besuche zu unterbinden (s. Ab-
bildung 3.19).
Abbildung 3.18: Einschränkung der pri- Abbildung 3.19: Einschränkung der privaten
vaten Besuche – zu Beginn der Pande- Besuche – zum Befragungszeitpunkt
mie

Quelle: Eigene Darstellungen


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt

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3.3.8 Einschränkung der Arzt- / und Therapiebesuche


Arzt- und Therapiebesuche sind wesentlich für die Gesundheit, zugleich aber mit Kon-
takten verbunden. Zu Beginn der Pandemie wurden entsprechende Begegnungen in
der Mehrheit der Einrichtungen (69,23 %) eingeschränkt. Nur knapp ein Drittel der An-
bieter (30,77 %) verzichtete auf diese Limitation (s. Abbildung 3.20).
Beim Befragungszeitpunkt hatte sich die Haltung grundlegend verändert: Alle Einrich-
tungen (100 %) haben keine Einschränkungen bei Arzt- oder Therapiebesuchen mehr
(s. Abbildung 3.21).
Abbildung 3.20: Einschränkung der Abbildung 3.21: Einschränkung der Arzt- /
Arzt- / und Therapiebesuche – zu Beginn und Therapiebesuche – zum Befragungszeit-
der Pandemie punkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 bedeutsame Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
3.3.9 Generelles Verbot, die Einrichtung zu verlassen
Zu Beginn der Pandemie zeigt sich eine gewisse Tendenz zu generellen Ausgehver-
boten, wie einige Einrichtungen (15,38 %) berichten. Die Mehrheit (84,62 %) verneint
allerdings entsprechend radikale Einschließungen (s. Abbildung 3.22).
Abbildung 3.22: Verbote, die Einrichtung Abbildung 3.23: Verbote, die Einrichtung zu
zu verlassen – zu Beginn der Pandemie verlassen – zum Befragungszeitpunkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 geringe Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt

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Zum Zeitpunkt der Befragung geben alle Einrichtungen an (100 %), den Bewohnerin-
nen und Bewohnern das Verlassen der Wohnstätte nicht generell zu verbieten (s. Ab-
bildung 3.23).
3.3.10 Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten zu verlassen
Fast analog steht es um die Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten zu verlas-
sen. Eingangs gab es entsprechende Regelungen bei wenigen Anbietern (7,69 %).
Die meisten (92,31 %) der Einrichtungen versichern, man habe bereits zu Beginn der
Pandemie keine entsprechenden Verbote erlassen (s. Abbildung 3.24).
Auch diese Reglementierung ist zum Befragungszeitpunkt – bezogen auf Ausgehver-
bote zu bestimmten Zeiten – in keiner Einrichtung mehr üblich (s. Abbildung 3.25).
Abbildung 3.24: Verbote, die Einrichtung Abbildung 3.25: Verbote, die Einrichtung zu
zu bestimmten Zeiten zu verlassen – zu bestimmten Zeiten zu verlassen – zum Befra-
Beginn der Pandemie gungszeitpunkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 geringe Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt

3.3.11 Regelmäßige Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen


Zu Beginn der Pandemiezeit berichten die meisten Einrichtungen (84,62 %) davon, die
Angemessenheit von Einschränkungen regelmäßig zu prüfen. Zugleich nehmen we-
nige Einrichtungen (15,38 %) dieses Monitoring nicht vor (s. Abbildung 3.26).
Abbildung 3.26: Regelmäßige Prüfung Abbildung 3.27: Regelmäßige Prüfung der
der Verhältnismäßigkeit von Einschrän- Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen –
kungen – zu Beginn der Pandemie zum Befragungszeitpunkt

Quelle: Eigene Darstellungen


 geringe Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt
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In der Zeitspanne bis zur Befragung sinkt diese laufende Prüfung der Verhältnismä-
ßigkeit von Einschränkungen allerdings um etwa zehn Prozent (auf 76,92 %). Nun
prüfen etwas mehr Einrichtungen (23,08 %) die Angemessenheit von Einschränkun-
gen nicht mehr so regelmäßig (s. Abbildung 3.27).
3.3.12 Regelmäßige Schulung von Personal
Zu Beginn der Pandemiezeit erfolgte die Schulung des Personals in den meisten Ein-
richtungen regelmäßig (84,62 %), während wenige Einrichtungen (15,38 %) keine ent-
sprechenden Angebote machten (s. Abbildung 3.28).
Im Laufe der Pandemie verringerten sich die Schulungsangebote der Einrichtungen
leicht (auf 76,92 %). Nun steigt entsprechend die Zahl der Wohnanbieter, die ihr Per-
sonal nicht mehr regelmäßig schulen, auf fast ein Viertel (23,08 %) (s. Abbildung 3.29).
Abbildung 3.28: Regelmäßige Schulung von Abbildung 3.29: Regelmäßige Schulung von Perso-
Personal – zu Beginn der Pandemie nal – zum Befragungszeitpunkt

Quelle: Eigene Darstellung


 geringe Veränderungen zwischen Pandemiebeginn und Befragungszeitpunkt

Zu spezifischen Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen und deren


Verlauf
Von allen Einrichtungen wurden in der Zeit der Pandemie Schutzmaßnahmen ergrif-
fen.
Eine traditionelle Form der Information mit Aufforderungscharakter, nämlich Aus-
hänge (beispielsweise zu Hygienevorschriften, Besuchsregeln oder Maskenpflich-
ten), nutzten nicht nur fast alle Verantwortlichen in der Anbieterszene, sondern sie
taten dies auch unverändert durch die gesamte Zeit der Pandemie bis zum Ende der
mit der Befragung überschaubaren Phase.
Ein weiteres häufig genutztes Maßnahmenpaket sind Kontaktverbote. Solche Ein-
schränkungen von Kontakten innerhalb der Wohneinrichtung wurden im Verlauf der
Beobachtungszeit teilweise gemildert oder aufgehoben, bestanden aber beispiels-
weise in gut 30 Prozent der Wohneinrichtungen auch am Ende der Beobachtungs-
zeit fort.
Die radikalste Form der in den Einrichtungen möglichen Einschränkung ist, den Ver-
bleib in einem Einzelzimmer zu verordnen. Dies verfügten nur wenige Einrichtungen,
aber auch zu Ende der Beobachtungszeit kam es noch vor.
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Die eingangs häufiger (in etwa einem Drittel der Einrichtungen) verordneten getrenn-
ten Mahlzeiten wurden als Maßnahme schließlich nur noch von wenigen Anbietern
praktiziert.
Begegnungen in der Freizeit wurden zunächst von einem Großteil (drei Viertel der
Anbieter) eingeschränkt, zum Erhebungszeitpunkt blieb dies nur noch bei einem
Viertel der Anbieter umgesetzt.
Analoges lässt sich zu den anfangs mehrheitlich ausgesetzten Werkstatttätigkeiten
berichten. So wurden Arbeitstätigkeit und Begegnungen mit Arbeitskolleginnen und
-kollegen häufig wieder möglich.
Außenkontakte durch private Besucherinnen und Besucher waren zu Pandemiebe-
ginn weitgehend (in etwa 85 Prozent der Einrichtungen) ganz untersagt oder erheb-
lich eingeschränkt. Hier lässt sich eine Öffnung beobachten. Allerdings untersagte
im Befragungszeitraum noch immer knapp ein Drittel der Anbieter Besuche.
Zunächst in erheblichem Ausmaß (knapp 70 Prozent) eingestellte externe Arzt- und
Therapiebesuche waren zum Befragungszeitpunkt bereits wieder vollständig mög-
lich. Es gebe hier keine Limitierungen mehr, war unisono die Botschaft.
Ein generelles Ausgehverbot erließen nur wenige Anbieter (etwa 15 Prozent). Zum
Befragungszeitpunkt gab es keine Einrichtung mehr, die angibt, ihre Bewohnerinnen
und Bewohner grundsätzlich am Verlassen der Wohnform zu hindern.
Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass es zugleich auch wenige spezifische Aus-
gehverbote gibt. Die meisten Einrichtungen haben nach eigenen Angaben in der
gesamten Beobachtungszeit auch auf solche Verbote verzichtet. Für die Befra-
gungszeit bestätigen dies alle Anbieter.
Im Pandemieverlauf wurden systematische Überlegungen, ob die bestehenden
Maßnahmen angemessen sind, tendenziell etwas laxer gehandhabt. Eingangs be-
richten solche Prüfungen nämlich die meisten Einrichtungen (etwa 85 Prozent).
Diese Selbstkontrolle sinkt dann leicht auf etwa 75 Prozent. Das bedeutet, dass ein
Viertel der Anbieter nicht regelmäßig die Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen
prüft.
Entsprechendes gilt für die Schulung des Personals.
Insgesamt werden zwischen Beginn der Pandemie und dem Erfassungszeitpunkt
spezifische Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen eher gelockert, soweit sie die
Bewohnerinnen und Bewohner und die Daseinsvorsorge für diese betreffen.

3.4 Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Bewohnerinnen und Bewoh-


ner
Die Umsetzung der Schutzmaßnahmen hat relativ hohe Relevanz für die Wirksamkeit.
In einem auf Selbstbestimmung und Teilhabe ausgelegten Setting liegt es nahe, die
Verständigung mit den jeweiligen Zielgruppen oder Zielpersonen zu suchen, bevor
eine Organisation zur monologischen Kommunikation der Anordnungen greift. Wie
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oben dargelegt finden sich dazu auch vielfach Ansätze und Überlegungen. Eine Kern-
frage bleibt, ob mögliche und notwendige Schutzmaßnahmen von den Bewohnerinnen
und Bewohnern auch wahrgenommen, verstanden und umgesetzt wurden. Dies wird
im Folgenden aus der Leitungsperspektive berichtet.
Hierzu zeigt eine Übersicht, dass zwischen Wahrnehmen einer Anordnung, dem Ver-
stehen der Vorgaben und deren Umsetzung im Einklang mit den Bewohnerinnen und
Bewohnern nennenswerte Unterschiede erkennbar sind. Letztlich wird deutlich, dass
aus der Position der Institution heraus,
 besondere Wohneinrichtung mit Auftrag der Gesundheitssorge und
 unter der Kontrolle externer Faktoren wie amtliche bzw. gesetzliche Vorgaben
sowie
 Sorge für die Organisation und das beschäftigte Personal
nicht immer die Beteiligung und Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner
im Umsetzungsprozess Vorrang hatten und haben konnten (s. Abbildung 3.30).

Abbildung 3.30: Umsetzung der Schutzmaßnahmen für und durch die Bewohnerinnen und
Bewohner im Überblick
… wurde … wurde verstanden …konnte umgesetzt
wahrgenommen werden
Das Aufstellen von Aushängen zu aktuellen Hygienevorgaben... 61,54% 46,15% 92,31%

Eine verständliche Kommunikation zum Einhalten der Hygiene- und 53,85% 53,85% 84,62%
Verhaltensmaßnahmen…
Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (falls es der Person möglich ist), während 76,92% 46,15% 92,31%
der Besuchszeit von Bewohnerinnen bzw. Bewohnern…

Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung… 53,85% 46,15% 100,00%

Die Einschränkung der Arzt-/Therapiebesuche... 53,85% 30,72% 92,31%

Das Verbot, die Einrichtung generell zu verlassen... 7,69% 7,69% 76,92%

Quelle: Eigene Darstellung


Im Einzelnen zeigen sich die Diskrepanzen zwischen Wahrnehmung, Verstehen und
Umsetzung unterschiedlich ausgeprägt. Es finden sich, wie im Folgenden näher ge-
zeigt wird, erhebliche Unterschiede, wenn Kontakteinschränkungen innerhalb der Ein-
richtung zu 100 Prozent umgesetzt werden, während die Bewohnerschaft dies nur zur
Hälfte wahrnimmt und noch weniger versteht. Die größte Differenz zwischen Wahrneh-
men, Verstehen und Handeln tritt in Erscheinung beim generellen Verbot, die Einrich-
tung zu verlassen. Dort kann nur ein Zehntel der tatsächlich von der Umsetzung Be-
troffenen den Vorgaben auch folgen.
3.4.1 Aushänge zu Hygienevorgaben
Die Aushänge zu aktuellen Hygienevorgaben (wie Hand- und Nieshygiene, Masken-
pflicht für Besucherinnen und Besucher oder Abstandgebote), wurden jeweils aus
Sicht der Leitungsebene
 von knapp zwei Dritteln der Bewohnerinnen und Bewohner (61,54 %) wahrge-
nommen
 zugleich von gut einem guten Drittel (38,46 %) nicht wahrgenommen.

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Dies bedeutet aber nicht, dass sie auch verarbeitet, also verstanden, werden. Hier
sehen die Antwortenden eine Differenz.
Es wird von Seiten der Anbieter geschätzt, dass die genannten Aushänge
 nur von weniger als der Hälfte der Zielgruppe (46,15 %) auch verstanden wer-
den, während dies bei der Mehrheit (53,85 %) nicht der Fall ist.
In fast allen Einrichtungen
 konnten Aushänge zur Zeit der Befragung umgesetzt werden (92,31 %),
 nur selten (7,69 %) ist also der Aushang der Hygienevorgaben und anderer Re-
geln nicht erfolgt.
3.4.2 Kommunikation zum Einhalten der Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen
Weitere verständliche Kommunikationsformen (über Aushänge hinaus) zum Einhalten
der Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen (Händedesinfektion, Abstandgebot, Husten-
und Niesetikette) wurden jeweils aus Sicht der Leitungsebene
 von gut der Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner (53,85 %) wahrgenom-
men, zugleich von knapp der Hälfte (46,15 %) nicht wahrgenommen.
Dies bedeutet aber nicht, dass sie auch verarbeitet, also verstanden, werden. Hier
sehen die Antwortenden keine Differenz. Was (über Aushänge hinaus) kommuniziert
und wahrgenommen wurde,
 verstanden analog zur Wahrnehmung etwas über die Hälfte (53,85 %) gegen-
über etwas weniger als der Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner (46,15 %).
Eine entsprechend verständliche Kommunikation wurde versucht, konnte in den Ein-
richtungen aber verglichen mit den Aushängen (84,62 % Zustimmung, gegenüber
15,38 % Nicht-Zustimmung) etwas seltener umgesetzt werden.
3.4.3 Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung
Das Gebot, während der Besuchszeit eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (falls es
der Person möglich ist), wurde aus Sicht der Anbieter
 von gut drei Vierteln (76,92 %) der Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenom-
men, von einem knappen Viertel (23,08 %) hingegen nicht.
Dagegen wurde sie nur
 von knapp der Hälfte der Betroffenen verstanden (46,15 %), von der anderen
Hälfte jedoch nicht (53,58 %).
Die Einrichtungsleitungen geben hingegen an, dass die entsprechende Schutzmaß-
nahme während der Besuchszeiten
 in der Regel (zu 92,31 %) kommuniziert werden und
 nur in wenigen Fällen (7,69 %) nicht umgesetzt werden konnte.
3.4.4 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung
Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtungen wurde aus Leitungs-
perspektive

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 von gut der Hälfte (53,85 %) der Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenom-
men,
 bei knapp der Hälfte (46,15 %) war dies nicht der Fall.
Wahrnehmen und verstehen liefen jedoch nicht immer Hand und Hand.
 Weniger als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner haben die Kontaktein-
schränkungen in der Einrichtung nämlich auch verstanden (46,15 %),
 bei gut der Hälfte (53,85 %) war dies nicht der Fall.
Die Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung konnten 100 Prozent um-
gesetzt werden; wobei diese Limitationen von einem Großteil der Bewohnerinnen und
Bewohner weder wahrgenommen noch verstanden wurde.
3.4.5 Einschränkung der Arzt- / Therapiebesuche
Nach Auskunft der Leitungsebenen wurden die eingeschränkten Besuche bei ärztli-
chen oder therapeutischen Diensten
 von etwas mehr als der Hälfte (53,85 %) der Bewohnerinnen und Bewohner
wahrgenommen, während dies
 bei knapp der Hälfte (46,15 %) nicht der Fall war.
Die Bewohnerinnen und Bewohner haben die Einschränkungen der Arzt- und Thera-
piebesuche
 zu mehr als zwei Dritteln (69,23) nicht verstanden, während
 von einem knappen Drittel (30,72 %) angenommen wird, dass sie eine Vorstel-
lung von den ausgesetzten Arzt- und Therapiebesuchen hatten.
Dennoch konnte die Einschränkung
 weitgehend umgesetzt werden (92,31 %), während ein Großteil der Bewohne-
rinnen und Bewohner dies weder wahrgenommen noch verstanden hatte.
 Nur in seltenen Fällen erfolgten dennoch Arzt- oder Therapiebesuche außer-
halb der Einrichtung (7,69 %).
3.4.6 Verbot, die Einrichtung generell zu verlassen
Das Verbot, die Einrichtung generell zu verlassen, haben - glauben die Leitungsebe-
nen - Bewohnerinnen und Bewohner
 kaum wahrgenommen (7,69 % gegenüber 92,31 %).
Analog geht man davon aus, dass ein Bleibegebot
 in erheblichem Umfang (92,31 %) auch nicht verstanden wurde, nur
 bei wenigen Bewohnerinnen und Bewohnern sei dies anders (7,69 %).
Das Verbot, die Einrichtung zu verlassen, wurde aber
 faktisch weitgehend (in 76,92 % der Einrichtungen, gegenüber 23,08 %) um-
gesetzt,
während aus Sicht der Anbieter ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner dies
weder wahrnahm noch verstanden habe.

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Zu Umsetzung der Schutzmaßnahmen bezogen auf Bewohnerinnen


und Bewohner
Obwohl nach Ansicht der Einrichtungen ein nennenswerter Anteil der Bewohnerin-
nen und Bewohner (knapp 40 Prozent) die Aushänge nicht wahrnahmen und über
die Hälfte (etwa 53 Prozent) sie auch nicht verstanden haben, sind Aushänge die
fast überall genutzte und auch unverändert beibehaltene Schutzmaßnahme.
Zu weiteren Kommunikationsformen von Schutzmaßnahmen berichten die Anbieter,
dass sie von etwa der Hälfte der Zielgruppe wahrgenommen und verstanden wur-
den. Etwa 15 Prozent setzten entsprechend verständliche Kommunikationsformen
allerdings nicht ein.
Dass während der Besuchszeit eine Mund-Nase-Bedeckung getragen werden soll,
hat drei Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner wahrgenommen und etwas weni-
ger als die Hälfte verstanden. In den meisten Fällen wurde diese Schutzmaßnahme
auch umgesetzt. Zugleich waren aber zu Beginn der Pandemie Außenkontakte un-
tersagt oder erheblich eingeschränkt. Für ein Drittel der Anbieter galt dieses Be-
suchsverbot bis zur erfassten Gegenwart.
Die Kontakteinschränkungen in der Einrichtung wurden zu 100 Prozent umgesetzt,
obwohl etwa die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner sie nicht wahrgenommen
und verstanden hat. Zum Erfassungszeitraum wurden in gut 30 Prozent der
Wohneinrichtungen die Kontaktverbote weiter umgesetzt.
Auch die Einschränkungen bei ärztlichen und therapeutischen Diensten nahmen die
Bewohnerinnen und Bewohner mehrheitlich nicht wahr (zu über 50 Prozent) und
verstanden sie auch nicht (zu fast 70 Prozent). Dennoch wurden die entsprechenden
Außenkontakte weitgehend (zu über 90 Prozent) unterlassen, zum Zeitpunkt der Be-
fragung war dies aber bereits Geschichte.
(Sehr) Viele Einrichtungen (knapp 77 Prozent) erließen zunächst ein generelles Ver-
bot, die Einrichtungen zu verlassen und setzen dies auch um, auch wenn ein Groß-
teil der Bewohnerinnen und Bewohner (über 90 Prozent) dies weder wahrnahm noch
verstand.

3.5 Umsetzung der Schutzmaßnahmen – Personal und Angehörige


Die für die Gruppe der Bewohnerinnen und Bewohner genannten Schutzmaßnahmen
beziehen teilweise auch das Personal und andere Personenkreise ein, diese Gruppen
können zudem zusätzlich von Schutzmaßnahmen betroffen sein.
Daher wurden zum einen ebenfalls die Kommunikation und Information für diese Per-
sonengruppen betrachtet, zum anderen aber auch, inwiefern ihnen Aufmerksamkeit
und Verständnis entgegengebracht wurden.
Schließlich gibt es Einschätzungen der faktischen Umsetzung von Schutzmaßnah-
men.

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Im Rahmen der ersten Datenauswertung wurde nur ein bisher nicht genannter Aspekt
herausgegriffen, nämlich die Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Bewohnerin-
nen und Bewohner, aus Sicht der Leitungsebene.
Zu einem erheblichen Teil fällt die Kommunikation mit den Bewohnerinnen und Be-
wohnern in den Aufgabenbereich des Personals. Hinzu kommt aus Sicht der Leitungs-
ebene der Austausch mit ihren jeweiligen Angehörigen bzw. Gesetzlichen Betreuungs-
personen.
Abbildung 3.31: Wahrgenommene
Zusammenarbeit des Personals mit den
Angehörigen der Bewohnerinnen und
Bewohner
Die Aufgabe der Zusammenarbeit mit
den Angehörigen der Bewohnerinnen
und Bewohner wurde aus der Lei-
tungsperspektive vom Großteil des
Personals (84,62 %) wahrgenommen,
von einem kleineren Teil (15,38 %)
hingegen nicht wahrgenommen (s.
Abbildung 3.31).

Abbildung 3.32: Verstandene


Zusammenarbeit des Personals mit den
Angehörigen der Bewohnerinnen und
Bewohner
Allerdings meint die Leitungsebene,
dass über zwei Drittel des Personals
diese Aufgabe nicht verstanden habe
(69,23 %), dem sieht man nur knapp
ein Drittel (30,77 %) des Personal ge-
genüber, das die notwendige Zusam-
menarbeit mit den Angehörigen ver-
stehe (s. Abbildung 3.32).

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Abbildung 𝟑. 𝟑𝟑: Umgesetzte


Zusammenarbeit des Personals mit den
Angehörigen der Bewohnerinnen und
Bewohner
Trotz der bestehenden Wahrneh-
mungsdiskrepanzen wurde die Zu-
sammenarbeit der Einrichtung mit den
Angehörigen der Bewohnerinnen und
Bewohner in den meisten Fällen
(92,31 %) umgesetzt (s. Abbildung
3.33).

Quelle: Eigene Darstellungen

Zu Umsetzung der Schutzmaßnahmen bezogen auf Personal und An-


gehörige
Schutzmaßnahmen, die konkret für das Personal erforderlich sind und umgesetzt
wurden, wurden erfasst, sind in dieser Schnellauswertung aber zunächst zurückge-
stellt.
En Aspekt, nämlich die Schutzmaßnahme der Kommunikation mit den Angehörigen
der Bewohnerinnen und Bewohner, wird datenbasiert aus Sicht der Leitungsebene
erläutert: Hier wird die Zuständigkeit dieser Kommunikation mit den Angehörigen der
Bewohnerinnen und Bewohner aus Sicht der Leitungsebene klar beim unterstützen-
den Personal gesehen.
Dies wird von einem erheblichen Teil der Fachkräfte auch so wahrgenommen, aber
von sehr vielen (etwa 70 Prozent) nicht verstanden. Zugleich gelingt aber die Um-
setzung meistens.

3.6 Exklusionsrisiken
Chancen auf gesellschaftliche Inklusion in einer Vielzahl von Rollen sind Anliegen und
Anspruch in der Systematik der Eingliederungshilfe. In Zeiten der Pandemie waren
zeitweise viele Menschen darauf verwiesen, alle ihre Rollen aus einer Position (des
Wohnens) heraus auszuüben. Bildung, Arbeit, Freizeit, Gemeinschaft, Rekreation und
Gesundheitsvorsorge, um Beispiele zu nennen, werden also räumlich limitiert. Ob die
Teilhabechancen der Bewohnerinnen und Bewohner in den besonderen Wohnformen
in ähnlicher Weise eingeschränkt oder auch ermöglicht werden konnten, verdient be-
sondere Aufmerksamkeit. Es ist wichtig zu erkennen, ob stattdessen die Risiken eines
Ausschlusses bestehen, ohne in soziale Beziehungssysteme eingeschlossen zu sein.
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Hierzu werden Aspekte und Informationen näher ausgeführt, gestützt auf die Perspek-
tiven der antwortenden Leitungsverantwortlichen.
3.6.1 Isolationsrisiken - Angehörigenkontakte
Die Frage war, ob es Bewohnerinnen und Bewohner, gab, die seit Coronabeginn ohne
Angehörigenkontakte blieben.
Abbildung 3.34: Angehörigenkontakte der
Bewohnerinnen und Bewohner seit
Pandemiebeginn
Für eine kleinere Gruppe der Bewoh-
nerinnen und Bewohner (10 %) geben
die Einrichtungsleitungen an, dass sie
seit Pandemiebeginn keine Angehöri-
genkontakte mehr hatten (s. Abbil-
dung 3.34).

Quelle: Eigene Darstellung

3.6.2 Isolationsrisiken – Gesetzliche Betreuung


Es wurde auch erfragt, ob es Bewohnerinnen und Bewohner, gab, die seit Coronabe-
ginn ohne Kontakt zu Gesetzlicher Betreuung waren.
Abbildung 3.35: Kontakte der Gesetzlichen
Betreuungen zu Bewohnerinnen und
Bewohner seit Pandemiebeginn
Mehr als zu den Angehörigen war der
Kontakt zu den Gesetzlichen Betreu-
ungen unterbrochen. Von diesen hat-
ten seit Beginn der Coronapandemie
nur zwei Drittel (63,64 %) Kontakt zu
den Bewohnerinnen und Bewohnern,
etwa ein Drittel (36,36 %) hatte keine
entsprechenden Kontakte (s. Abbil-
dung 3.35).

Quelle: Eigene Darstellung


3.6.3 Isolationsrisiken – „Kümmerer“
Somit ergab sich die Frage, wer sich seit Coronabeginn um die Bewohnerinnen und
Bewohner der Einrichtungen kümmerte.

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Bei einer kleineren Gruppe (15,38 %) der Bewohnerinnen und Bewohner kümmerte
sich seit Beginn der Coronapandemie außer den Diensten der Einrichtung tatsächlich
keine Person.
In der Dimension eines guten Drittels (38,46 %) werden Kirchengemeindemitglieder
als „Kümmerer“ genannt, gefolgt von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern (30,77
%), gleichauf mit Freundinnen und Freunden sowie Familie (jeweils 7,69 %). Gesetz-
liche Vertretungen oder Sonstige werden nicht erwähnt (s. Abbildung 3.36).
Abbildung 3.36: Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner seit Pandemiebeginn

Quelle: Eigene Darstellung


Die personelle Einbindung und Einsatzbereitschaft anderer Personen in Zeiten der
Pandemie sind nur eine Perspektive auf Exklusionsrisiken und Inklusionschancen der
Bewohnerinnen und Bewohner.

Zu Exklusionsrisiken für die Bewohnerinnen und Bewohner


Soziale Einbindung ist eine der Grundlagen für Inklusionschancen. Während der
Pandemiezeit gab es für manche Bewohnerinnen und Bewohner keinen Angehöri-
genkontakt (10 %); 30 Prozent hatten keine Unterstützung durch ihre Gesetzliche
Betreuung.
Über die personelle Unterstützung in der Wohneinrichtung hinaus kümmerte sich um
etwa 16 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner keiner, für knapp 40 Prozent
trugen Kirchengemeindemitglieder Sorge. Ebenfalls zur Seite standen ehrenamtli-
che Helferinnen und Helfer (zu 30 Prozent), im selben Umfang (etwa acht Prozent)
taten dies Freundinnen und Freunde bzw. Familienangehörige.
Hier zeigt sich eine sehr hohe Abhängigkeit von den Fachdiensten und eine in vie-
lerlei Hinsicht eher löcherige weitere soziale Einbindung der Bewohnerinnen und
Bewohner während der Coronapandemie.

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3.7 Erkenntnisse aus der Pandemie


Dass die Coronapandemie eine gänzlich neue Erfahrung für alle Beteiligten war, über-
rascht nicht und wird auch aus den Einschätzungen der Einrichtungsleitungen deutlich.
Umso wesentlicher ist es herauszufinden, welche Erkenntnisse sich aus diesen neuen
Umständen aus Sicht der Leitungspersonen ableiten lassen.
3.7.1 Zentrale Erkenntnisse aus der Coronapandemie

Als wesentliche Erkenntnisse aus der Coronapandemie nennen die Leitungsperso-


nen folgende Punkte:
 Ausgrenzungen finden auch deswegen statt, weil die Personengruppe der
Bewohnerinnen und Bewohner gleichgesetzt wird mit dem Personenkreis der
Altenhilfe- und Pflegeeinrichtungen. Die Pflege muss aber von der Eingliede-
rungshilfe getrennt werden, weil die Klientel selbstständiger und weniger vul-
nerabel ist. Viele Bewohnerinnen und Bewohner nehmen am Arbeitsleben teil
(meist in den WfbM). Soziale Kontakte im Arbeitsleben und in den Wohnein-
richtungen wurden in erheblichem Ausmaß unterbrochen, auch weil häufig
die gemeinsamen Mahlzeiten ausgesetzt wurden. Die familiäre Atmosphäre
in der Wohneinrichtung ist nennenswert negativ betroffen.
 Der Personenkreis der Menschen mit kognitiven Einschränkungen und / oder
herausforderndem Verhalten hat unter den Bedingungen der Pandemie keine
Chance, bei erforderlichen Krankenhausaufenthalten zur Unterstützung eine
Begleitperson mitzubringen. Es wird aus Leitungsperspektive vorgeschlagen,
dass die Eingliederungshilfe selbst entsprechende medizinische Leistungen
für ihre Klientel vorhalten soll.
 Ein gewisser Pragmatismus wird (statt Bürokratie) begrüßt, verbunden mit
gewonnenen Erfahrungen, etwa wie hilfreich Humor und ein zuvor kaum vor-
stellbarer Zusammenhalt sind. Trotz aller Solidarität wird aber die Belastung
als für alle Beteiligten immens beschrieben, beim Personal auch wegen der
Schutzmaßnahmen und Dienstplangestaltungen trotz Personalknappheit.
 Schließlich wird eine erhebliche psychische Belastungssituation angespro-
chen, verbunden mit starken emotionalen Konflikten, die weitgehend überse-
hen würden.

Dies wird in den Stellungnahmen der Leitungspersonen lebendig geschildert:


 „behinderte Menschen werden automatisch als vulnerabel bewertet. Das ist
falsch und trifft nicht zu. Dadurch findet ungerechtfertigte Ausgrenzung statt.
Das Recht auf Selbstbestimmung wird unnötig eingeschränkt.“ (ID_67)
 „Besondere Wohnformen werden viel zu oft mit den gleichen Beschränkungen
für die Altenhilfe "bedacht". (ID_60)
 „Für den Personenkreis "Geistig behinderte Menschen mit herausforderndem
Verhalten" gibt es keinerlei Versorgungsstruktur in Krisenzeiten. Krankenhäu-

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ser sind nicht in der Lage diese Personen zu betreuen. Keine Aufnahmemög-
lichkeiten vor einer Beatmungspflicht. Auch der Katastrophenschutz ist auf die-
sen Personenkreis nicht eingestellt. Infizierte Personen mussten mit den übli-
chen Ressourcen betreut und auch medizinisch versorgt werden. Pädagogi-
sche Einrichtungen können das nicht leisten. Die Reaktionszeit zur Kontaktper-
sonenermittlung durch das Gesundheitsamt dauert für Betreuungseinrichtun-
gen deutlich zu lange. Die Einrichtungen müssen ein eigenes Sicherheitssys-
tem entwickeln, das die besondere Situation der Wohnformen berücksichtigt.
Große Einrichtungen können Kooperationen mit weniger betroffenen Einrich-
tungsteilen schließen, um die Betreuung zu gewährleisten.“ (ID_56)
 „Gute Kommunikation ist entscheidend. Humor hilft. Zusammenhalt zählt. Wir
können uns aufeinander verlassen. Zusammen geht alles leichter. In der Krise
ist mehr Entwicklung möglich, da die Bürokratie dem Pragmatismus weicht.“
(ID_58)
 „Ja: Es ist dringend erforderlich den Bereich Pflege von der Eingliederungshilfe
zu trennen. Die Vorgaben aus dem Bereich Pflege machen bei uns häufig kei-
nen Sinn und sind kaum umsetzbar. Unsere Klientel ist deutlich mobiler und
weniger vulnerabel. Viele gehen in die Arbeit (WfbM). Menschen mit geistiger
Behinderung arbeiten häufig in einer Werkstatt und haben dort viele Kontakte.
Gleichzeitig leben sie bei uns und dürfen hier ihre Freunde nicht treffen bzw.
nur im Freien. Das ist für viele nicht nachvollziehbar und sehr belastend. Über
den Sommer konnten Lockerungen gemacht werden, jetzt sind wieder alle grup-
penübergreifenden Aktionen abgesagt. Die Mitarbeiter dürfen noch nicht mit
den Bewohnern an einem Tisch essen, außer sie gehen in ein Restaurant. Die
familiäre Atmosphäre existiert seit fast zwei Jahren nicht mehr. Dadurch ist erst
aufgefallen wie wichtig das für unsere Bewohner ist. Sie formulieren auch heute
noch, wie schrecklich sie das finden.“ (ID_55)
 „Vieles war möglich und umsetzbar, was vor der Pandemie nicht vorstellbar war;
Bewohnerinnen und Bewohner zeigten Kompetenzen und Verantwortung die
vielen nicht zugetraut wurde; der Zusammenhalt in der Einrichtung war gerade
zu Beginn der Pandemie sehr groß; die Solidarität vieler Mitarbeitender war be-
eindruckend; die Auswirkungen auf die Arbeitssituation der MA war massiv
(FFP2-Masken durchgehend im Dienst tragen), erhebliche Flexibilität bei der
DP-Gestaltung war gefordert; in einer Einrichtung unserer Größe bedeutet die
Umsetzung der Schutzmaßnahmen enorme Einschränkungen für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner bzw. Mitarbeitenden.“ (ID_68)
 „Umgang mit einer pandemischen Lage. Umgang mit positiven Fällen bei Mit-
arbeitern und Bewohnern. Zusammenhalt der Betreuungspersonen stieg
enorm, wobei die ständige Anspannung aufgrund des zusätzlichen Arbeitsauf-
wands auch zu teilweise starken emotionalen Konflikten führte. Stärkung des
Betreuungspersonals muss gerade in solch schwierigen Zeiten regelmäßig ge-
schehen (zusätzliche Zahlungen, Naschkörbe in den Büros, freie Getränke, re-
gelmäßige Gesprächsangebote durch Leitungen).“ (ID_51)
 „wie wichtig die sozialen Kontakte für die Bewohner untereinander sind“ (ID_62)

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3.7.2 Lerngewinne aus der Coronapandemie

Die Leitungsebene nennt eine Anzahl von Dingen, die im Laufe der Pandemie da-
zugelernt wurden.
 Die Organisation der Verantwortungsbereiche, Maßnahmen und Kommuni-
kationen muss auf personaler und institutioneller Seite rechtzeitig und struk-
turiert erfolgen, beispielsweise über einen Corona Stab. Man lernt moderner
und agiler zu arbeiten. Dazu dient beispielsweise die wachsende digitale
Kompetenz.
 Es gab unangemessene Einschränkungen für die Bewohnerinnen und Be-
wohner, während diese sich zugleich als belastbarer als erwartet zeigten.
 Psychische Begleitung ist von besonderer Bedeutung und wird es bleiben.
 Der Umgang mit einer Pandemie muss und sollte „gelernt“ werden. Dazu ist
auch gute Information und Kommunikation wesentlich.

Dies wird nach Auskunft der Leitungspersonen dazugelernt:


 „Corona Stab der Einrichtung erwies sich als sehr sinnvoll. Rückmeldungen vom
Corona Stab sollten zeitnaher erfolgen. PSA wurde durch Hauswirtschaftslei-
tung / Einrichtungsleitung immer ausreichend zeitnah bestellt und stand somit
immer ausreichend zur Verfügung. Einrichtung von Testmöglichkeiten im Haus
sollten bei einer nächsten Pandemie frühzeitiger entstehen. Betreuungsperso-
nal als Tester ausbilden zu lassen, erwies sich als sehr sinnvoll und praxisori-
entiert. In einer Pandemie sollten Dinge wie z. B. ein MNS ausreichend und
kostenlos für Mitarbeiter und Bewohner sowie allen Privatpersonen zur Verfü-
gung stehen. Beschränkungen für die Bewohnerinnen und Bewohner waren
teilweise nicht angemessen (private Einkäufe wurden zeitweise stellvertretend
für die Bewohner übernommen).“ (ID_51)
 "Die psychische Begleitung während der Restriktionsmaßnahmen ist besonders
wichtig, um psychische Spätfolgen zu reduzieren.“ (ID_67)
 „digital readiness - wir arbeiten inzwischen um ein Vielfaches digitaler, was den
Arbeitsalltag an vielen Stellen erleichtert, aber häufig vermissen die Kolleginnen
und Kollegen auch den persönlichen Kontakt. Der Zusammenhalt ist gewach-
sen. Wir sind moderner und agiler geworden. Wir wissen jetzt, dass wir gut im-
provisieren können und mit Unsicherheit eigentlich ganz gut händeln können.“
(ID_58)
 „Hygiene-Prophylaxe; Flexibilität; wie belastbar unsere Bewohner sind“ (ID_62)
 „Umgang mit einer Pandemie -> die Wichtigkeit einer interdisziplinären Vernet-
zung und Zusammenarbeit“ (ID_61)
 „Vieles kann gelingen durch Flexibilität und Ideenreichtum; schnelle Entschei-
dungen ohne lange Vorlaufprozesse waren möglich; eine gute und transparente
Kommunikation ist enorm wichtig; Regeln und Einschränkungen müssen nach-
vollziehbar erklärt werden; schnelle Informationswege und gute Erreichbarkeit
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der Leitungskräfte ist wichtig; technische Hilfsmittel und neue Kommunikations-


formen (Onlinebesprechungen) bewähren sich durchaus im Alltag.“ (ID_68)
3.7.3 Schwierigkeiten während der Coronapandemie

Die Leitungspersonen nennen auch große Schwierigkeiten seit Pandemiebeginn. Im


Einzelnen werden folgende Punkte erwähnt:
 Eine Hauptschwierigkeit sind Personalengpässe. Diese zeigen sich vor allem
in den Gruppendiensten (durch Infektionen und Quarantäneregelungen, aber
auch wegen der Mehrarbeit, etwa durch den Wegfall der Tagesstrukturen).
Durch die erforderlichen Kohortenbildungen beim Personaleinsatz geht die
Dienstplanflexibilität verloren. Begegnungen des Personals werden ausge-
schlossen. Ständige und kurzfristige Änderungen von Dienstplänen stressen.
Der erforderliche Dienstumfang von 7/24 ist unter den gegebenen Ressour-
cen in dieser Systematik nicht umsetzbar. Der Druck auf das verbleibende
Personal steigt zusätzlich. Teilweise wurden daher Personen aus anderen
(coronabedingt geschlossenen) Bereichen eingesetzt.
 Einzelne Einrichtungsteile (der Tagesstruktur) wurden geschlossen (Werk-
stätten, Förderstätten). Personen, die mit Betreuungsbeschluss unterge-
bracht sind, waren im Infektionsfall bei der Gesundheitssorge schwer zu
handhaben.
 Die Umsetzung der erforderlichen Hygienemaßnahmen war mühsam. Die
notwendige Schutzausrüstung fehlte zunächst und war schwer zu beschaf-
fen. Viele wichtige Tätigkeiten (beispielsweise Hygienemaßnahmen) sind im
Prinzip berufsfremd. Die Auseinandersetzungen mit den Angehörigen war für
das Personal aufwändig.
 Die Regularien zur Erfassung und zum Umgang mit Fällen von Coronainfek-
tion mussten entwickelt und eingeübt werden, ohne dass man immer hinrei-
chend Informationen hatte. Der laufende Kontakt zum Personal musste an-
gemessen entwickelt und implementiert werden.
 Mit Unwissenheit und Ängsten (auch um die eigene Gesundheit) galt es um-
zugehen. Die mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung demotiviert das
Personal.

Diese Schwierigkeiten werden in den folgenden Stellungnahmen der Leitungsperso-


nen näher geschildert:
 „bei positiv getesteten Klienten mit einem Beschluss nach §1906 BGB2 und
die sich daraus ergebenen Anspannungskurven“ (ID_69)

2Nach § 1906 Abs. 4 BGB müssen Freiheitsentziehungen in offenen Einrichtungen grundsätzlich dann
vom Betreuungsgericht genehmigt werden, wenn sie in ihrer Wirkung auf die Bewegungsfreiheit des
Patienten einer Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gleichkommen.
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 „Beschaffung von Schutzmaterial und FFP2 - sowie OP-Masken. Das war


für uns eine sehr schwierige Situation, weil es für uns sehr wichtig war, un-
sere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Reha-Kundinnen und -Kunden zu
schützen.“ (ID_58)
 „Das Betreuungspersonal hatte Ansprechpartner und konnte sich bei jegli-
chen Anliegen an die Leitung bzw. den Corona Stab wenden. Spontane
Schwierigkeiten konnten zeitnah geklärt bzw. umorganisiert werden. Um-
gang mit Verdachtsfällen bzw. positiven Fällen wurde mit der Zeit einfacher,
da das Personal nach den ersten Malen „Übung“ hatte. Es gab keinen Fall
mit einem schweren Verlauf, was den Umgang mit bzw. die Organisation
sämtlicher Maßnahmen sehr erleichterte.“ (ID_51)
 „die Herausforderung an Grenzen zu stoßen und lernen damit umzugehen“
(ID_61)
 „Häufige Personalengpässe bei Ausbruchsgeschehen; Einschränkungen im
Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner; vor allem in den ersten Wellen der
Pandemie gab es bei den MA große Sorgen und Ängste im Blick auf eigene
Ansteckungen und damit verbundene gesundheitliche Gefährdungen; Be-
sprechungen durchzuführen und eine gute Kommunikation mit den MA auf-
recht zu erhalten stellte uns vor Herausforderungen.“ (ID_68)
 „Ja: Besetzung der notwendigen Dienste auf den Wohngruppen, bedingt
durch Krankheitsausfälle und Quarantäneanordnungen. Motivation der Mit-
arbeitenden zu erhalten. Schließung einzelner Einrichtungsteile (WfbM, För-
derstätte).“ (ID_56)
 „Ja: Personalengpässe, Quarantänemaßnahmen bei Bewohnern und in ge-
samten Gruppen. Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen erforderte
schnelles Handeln mit Mehrarbeit und teilweise berufsfremde Tätigkeiten (z.
B. Pandemiebeauftragte, Gefährdungsbeurteilungen). Teilweise Unver-
ständnis von Angehörigen bezüglich Hygienemaßnahmen und straffere Be-
suchsregelung. Gerade in der Anfangszeit der Pandemie gab es teilweise
zeitraubende Diskussionen.“ (ID_55)
 „Personalmangel - Mitarbeitermotivation. Mangelnde gesellschaftliche Wert-
schätzung gegenüber den Mitarbeitenden.“ (ID_67)
 „Umsetzung der eingeschränkten Dienste, keine Durchmischung des Perso-
nals, immer die gleichen Personen sollten zusammenarbeiten; das war
durch unseren individuellen Dienst und die unterschiedlichen Stundenum-
fänge der MA unmöglich umzusetzen; das plötzliche Wegbrechen der Ta-
gesstruktur und die 24/7 Betreuung der Bewohner von heute auf morgen mit
dem bestehenden Personal“ (ID_62)
3.7.4 Grenzerfahrungen während der Coronapandemie

Aus Leitungsperspektive werden folgende besonders herausfordernde Erfahrungen


angemerkt:

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 Entscheidungen waren unter großer Unsicherheit zu treffen. Man konnte nie


Abschalten.
 Der Einsatz des Personal musste aus dem Stand, kurzfristig und ohne Kom-
munikationszeit realisiert werden. Maximale Flexibilität und Einsatzbereit-
schaft waren bei gleichzeitiger Dauerüberlastung erforderlich und mussten
auch beim Personal eingefordert werden.
 Personen, die an die Grenzen ihrer psychischen und physischen Leistungs-
fähigkeit kamen, müssen begleitet werden.
 Personen verstarben wegen mangelnder medizinischer Versorgung. Bewoh-
nerinnen und Bewohner verstarben alleine, ohne vertraute Umgebung oder
Begleitung.
 Quarantänemaßnahmen waren sehr belastend. Gemeinschaft konnte kaum
erfahren und organisiert werden. Es wurden auch keine Feste gefeiert.
 Sorgen um die Schwere der Coronaausbrüche und die anhaltende Überlas-
tung für Bewohnerinnen und Bewohner und die Mitarbeiterteams. Es kam
kaum zu Erholungsphasen.

Diese Grenzerfahrungen werden in den folgenden Stellungnahmen der Leitungsper-


sonen näher dargestellt:
 „die Mitversorgung der Mitarbeiter, Ansage war am Donnerstagnachmittag, am
Freitag war das in Kraft; es gab keine Regelung oder Vorgaben, wie das umzu-
setzen wäre, geschweige denn, wie die Finanzierung aussieht.“ (ID_62)
 „die natürlichen Grenzerfahrungen in Zeiten der Pandemie -> Begleitung von
physischen und psychischen Belastungsgrenzen aller beteiligten Akteure - Um-
gang und Begleitung“ (ID_61)
 „Feste wie Weihnachten und Silvester durften / dürfen nicht im gewohnten Kreis
gefeiert werden. Für die Bewohner haben diese Tage einen sehr hohen Stel-
lenwert, was hier die Umsetzung der Regeln als Leitung emotional sehr er-
schwert“ (ID_51)
 „Ja: Psychische und physische Überlastung. Anforderung sehr hoher Flexibilität
und Anpassungsbereitschaft (Regeln, Risiken, Allgemeinverfügungen usw.).
Fehlende Sicherheit beim Treffen von Entscheidungen.“ (ID_56)
 „Ja: Quarantänemaßnahmen für Bewohner waren extrem belastend für Bewoh-
ner und das Team. Glücklicherweise gab es nur ein paar wenige Fälle, und es
hat keinen Bewohner getroffen, der es nicht akzeptiert hätte. Bei einem größe-
ren Ausbruch hätten wir die Bewohner kohortieren müssen, sprich aus ihren
Zimmern heraus in das Zimmer eines anderen Bewohners ziehen lassen müs-
sen. Das komplette gewohnte Umfeld wäre weggebrochen. Wir sind sehr froh,
dass uns das nicht getroffen hat. Die Betreuung von Bewohnerinnen und Be-
wohnern im Krankenhaus ist nur sehr eingeschränkt möglich. Gerade Personen
die sich nicht gut mitteilen können sind hier stark benachteiligt.“ (ID_55)
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 „Überlastung; psychische Belastung bei Ausbruchsgeschehen; Nicht-Abschal-


ten können, d.h. auch in der arbeitsfreien Zeit kreisen die Gedanken um Prob-
leme in der Einrichtung“ (ID_68)
 „Umgang mit Unsicherheit / Unwissen vor allem an Anfang der Pandemie. Ver-
antwortung für die Gesundheit von Rehakundinnen und -kunden sowie Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern war nicht "so einfach wegzustecken". Lange Dauer
der Pandemie, wenige Erholphasen.“ (ID_58)
 „Vor allem in der Anfangsphase konnte nicht abgeschätzt werden, wie tödlich
die Krankheit für die Bewohnerinnen der Einrichtung sein wird. Eine Bewohnerin
konnte in der ersten Welle aufgrund von OP-Verschiebungen nicht operiert wer-
den und verstarb, schließlich im Krankenhaus mit Corona infiziert, alleine in der
Klinik.“ (ID_60)
3.7.5 Lösungswünsche

Aus Sicht der Leitungsebenen zeigen sich einige Aspekte, die verbesserungswürdig
sind. Hierzu werden Beispiele für Lösungen genannt:
 Eine „Gleichschaltung“ [ID_68] der Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen
der Eingliederungshilfe darf nicht stattfinden.
 Insgesamt sollen Pflege- und Betreuungsberufe in ihrer Bedeutung besser
erkannt und gewürdigt werden. Mehr Wertschätzung ist erforderlich.
 Die Exklusion (Kontaktsperre) der Bewohnerinnen und Bewohner wird sehr
kritisch eingeschätzt. Sie soll sich keinesfalls wiederholen.
 Mehr Menschlichkeit und eine Präventionsorientierung gegenüber Bewohne-
rinnen und Bewohnern ebenso wie gegenüber dem Personal werden emp-
fohlen. Dies soll nachhaltig und nicht nur unter Pandemiebedingungen Ziel
sein.
 Mehr Augenmaß für Maßnahmen wird dringend empfohlen, verbunden mit
einer Verbesserung der Personalsituation.
 Es geht auch um die Verlässlichkeit von behördlichen Vorgaben, statt ständi-
ger Änderungen von Seiten der Gesundheitsämter: Im Bereich der Zusam-
menarbeit (insbesondere mit dem Gesundheitsamt) sind wesentliche Verbes-
serungen gewünscht.
 Digitale Lösungen sollen ausgebaut werden.

Diese Lösungsvorschläge und Lösungswege werden in den folgenden Stellungnah-


men der Leitungspersonen deutlich:
 „Aufwertung der Pflege- und Betreuungsberufe“ (ID_67)
 „die Kontaktsperre für die Bewohner und die Angehörigen hätte nicht so statt-
finden dürfen“ (ID_62)

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 „Generelle Wertschätzung des Nonprofitbereichs - insbesondere durch die


schon vor der Pandemie schwierige Personalsituation. Hier muss was getan
werden.“ (ID_58)
 „In Einrichtungen, bei welchen die Impfquote der Bewohner 100 Prozent ent-
spricht, sollten Lockerungen gerade z. B. an Weihnachten oder gemeinsamen
Ausflügen möglich sein.“ (ID_51)
 „Ja: Es sollte für erforderliche Maßnahmen in Krisen- / Pandemiesituationen
zusätzlich Personal zur Verfügung stehen, um übliche Abläufe bzw. Aufgaben-
felder möglichst ohne Mehrarbeit und zusätzlicher Belastung weiterführen zu
können.“ (ID_55)
 „Ja: Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, Zusammenarbeit mit der FQA3,
Professionelle Angebotsstruktur zur Betreuung des genannten Personenkrei-
ses in einer Pandemie oder im Katastrophenfall insbesondere auch in der me-
dizinischen Versorgung.“ (ID_56)
 „Keine andauernde Gleichschaltung von Pflegeeinrichtungen mit Einrichtungen
der Eingliederungshilfe; Verlässlichkeit von behördlichen Vorgaben und nicht
ständige Änderungen; einheitliches Vorgehen von Gesundheitsämtern: wir ar-
beiten mit drei Gesundheitsämtern zusammen und bekommen oftmals auf iden-
tische Fragestellungen drei unterschiedliche Aussagen und Anordnungen; Aus-
bau digitaler Lösungen“ (ID_68)
 „Wertschätzung und Menschlichkeit - Investition im Bereich der Prävention und
des Personals - nicht nur zu Pandemiezeiten - sondern nachhaltige "praxis-
nahe" Struktur und Konzepte“ (ID_61)
3.7.6 Adressatinnen und Adressaten für Lösungen

Bezogen auf erforderliche Verbesserungen setzen die Personen mit Leitungsverant-


wortung vor allem auf die Politik und deren Repräsentantinnen und Repräsentanten.
Dort und bei Behörden werden Lösungspotenziale gesehen und auch dringend er-
wartet. Es wird vermutet und angemerkt, dass
 die wechselnden Personen dort auch dazu beitragen, dass es zu keinem besse-
ren Image der sozialen und pflegerischen Berufe kommt,
 es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben darf,
 eine bessere Bezahlung unumgänglich ist,
 von den Verantwortlichen in der Politik klare Vorgaben gewünscht sind,
 von Behörden, hier insbesondere den Gesundheitsämtern, empathischere Hal-
tungen hilfreich wären.

3FQA: Fachstelle für Pflege und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA),
Nachfolgeeinrichtung der Heimaufsicht nach PfleWoqG: Gesetz zur Regelung der Pflege-, Betreuungs-
und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG) vom 8.
Juli 2008 (GVBl. S. 346) BayRS 2170-5-G
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Von wem die Leitungsebenen recht einvernehmlich Lösungen erwarten, wird in den
folgenden Stellungnahmen sichtbar:
 „Es braucht politische Lösungen. Soziale und pflegerische Berufe benötigen ein
besseres Image und eine bessere Bezahlung.“ (ID_58)
 „Ja: Politiker, heute so und morgen wieder ganz anders“ (ID_66)
 „klarere Vorgaben durch die Politik“ (ID_62)
 „Ministerpräsident des Landes bezüglich der emphatischen Sichtweise auf
Menschen mit Beeinträchtigung. Überstülpende Fürsorge ist nicht wertschät-
zend.“ (ID_67)
 „Politische Verantwortungsträger, Behörden (Gesundheitsämter)“ (ID_68)

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4 Perspektiven des Fachpersonals

Eckdaten der Auswertung


Von den vorliegenden Fokusgruppen wurden zwei
(knapp 20 Prozent) vollständig transkribiert und in
diese Analyse aufgenommen. Die hier dargestellten
Befunde und Originalzitate basieren auf
Gesprächsbeiträgen von neun Personen aus zwei
auch im Profil verschiedenen Wohneinrichtungen.
Insgesamt haben in zehn Einrichtungen elf
Fokusgruppen stattgefunden, mit insgesamt 47
Fachkräften aus dem Wohngruppendienst.
Der Befragungszeitraum liegt zwischen dem 13.
[4.1]
Januar und dem 23. März 2022.

Im Folgenden wird eine erste Auswertung der zentralen Ergebnisse aus dem Ge-
spräch mit dem Fachpersonal in besonderen Wohnformen vorgestellt. Dadurch kann
ein Eindruck der coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen
der Eingliederungshilfe aus Perspektive der Assistenzpersonen im Gruppendienst ge-
wonnen werden.

Befragung der Mitarbeitenden:


Erste Ergebnisse

[4.2]

Nun geht es um die Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Alltags-
geschehen – rund um die Wohnangebote der Eingliederungshilfe – gestalten. Sie un-
terstützen die Bewohnerinnen und Bewohner mit direkten personenbezogenen Assis-
tenzen der Lebensführung, aber sie erfüllen auch Aufgaben im organisatorischen Feld
über Abläufe, Gesundheitssorge, Regelwerke, Dokumentationen, ebenso wie mit Ge-
meinschaftserfahrungen bei Festen und Feiern oder über psychische Begleitung von
Gruppen und Individuen. Alle diese Aktivitäten finden auch im Teambezug statt, so
dass sich unter Pandemiebedingungen gewohnte und notwendige Interaktionen mit
Isolationsbestrebungen überkreuzen.

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Im Dienst ist physische Distanz ebenso kaum möglich, wie sich zu distanzieren von
Versorgungsaufgaben, die unter Pandemiebedingungen weit in das private Leben die-
ser Personengruppe hineinreichen. Denn das Personal hat selbst mit den coronabe-
dingten Gesundheitsrisiken zu leben und ist zugleich im Einsatz für eine Klientel, die
auf Unterstützung zwingend angewiesen ist.
Das Fachpersonal äußert sich in Fokusgesprächen (FaFo) entsprechend dem
Leitfaden zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklungen
in Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf Fachpersonalebene
(s. Anhang).
Zwischen zwei und sieben Personen unterhielten sich in einer gemeinsamen Ge-
sprächssituation, begleitet von einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler.
Sie fanden entweder physisch in den Einrichtungen in möglichst großen Sitzungsräu-
men bzw. im Freien (neunmal) oder digital (zweimal) statt. Die Teilnahme war freiwillig,
die Gruppenzusammensetzung erfolgte nach Teilnahmebereitschaft. Die meisten Mit-
arbeitenden kamen aus dem direkten Gruppendienst.
Im Folgenden wird also die Perspektive des Fachpersonals aus ausgewählten Fokus-
gruppen zusammengefasst. Dabei wird die Spanne vom Pandemiebeginn bis zur Zu-
kunftserwartung strukturiert betrachtet.

[4.3]

4.1 Mitarbeiterbezogene Perspektive zu besonderen Wohnformen


Fokusgruppen waren besonders schwer zu organisieren, weil mehrere Personen mit
einem erheblichen Überstundendeputat gleichzeitig nach Coronaregeln in einem Zeit-
raum und an einem Ort versammelt werden mussten. Diese Gruppengespräche sollten
aber eine sich selbst kontrollierende möglichst alltagsnahe Darstellung der Lage un-
terstützen. Dies ist gelungen.
Die Teilnahmebereitschaft war insgesamt sehr hoch, die Realisierung hatte viele Hür-
den, beispielsweise, wenn eine der Personen Coronakontakte hatte oder infiziert war,
musste die ganze Terminierung von vorne beginnen. Dies kam häufig vor.

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Die Zusammenstellung der Ergebnisse aus allen Fokusgruppen wird als Beschreibung
der Lage mit Blick auf eine Mit-Corona-Lage „zu Beginn, während und zukünftig“ ge-
gliedert. Die Originalzitate sind aktuell pragmatisch zwei ausgewählten Fokusgruppen
entnommen, die die Lage in Einrichtungen mittlerer Größe und Großeinrichtungen mit
unterschiedlicher an religiösen Bekenntnissen orientierten Trägerschaft und in eher
kleineren städtischen sowie metropolartigen Umgebungen wiedergeben. Zugleich lie-
gen sie geografisch konträr auf einer bundesdeutschen Nord-Süd-Achse.
Aspekte der Lagebeschreibung aus den Fokusgruppeninterviews sind beispielsweise
Maßnahmen und ihre Umsetzung, neue Anforderungen und Aufgabenbereiche, Her-
ausforderungen und auch positive Erfahrungen, die artikuliert werden. Es geht einer-
seits um das Fachpersonal und dessen Sorge um die Gesundheitsrisiken der Bewoh-
nerinnen und Bewohner sowie um Schutzaufgaben am Arbeitsplatz. Aber es geht an-
dererseits ebenso um die Umsetzung der Aufgaben unter Pandemiebedingungen,
trotz der Sorgen um die eigene Gesundheit und um Leistungsgrenzen. Schließlich
werden auch zentrale Erfahrungen und Wünsche für die Zukunft angesprochen.
4.2 Lagebeschreibung zu Pandemiebeginn
Das Fachpersonal der Einrichtungen berichtet, dass die komplette Einschränkung der
Sozialkontakte zu Beginn der Pandemie die Lage in den einzelnen Wohnformen für
die Bewohnerinnen und Bewohner in hohem Maße geprägt hat. So waren keine Be-
suche mehr von oder bei Angehörigen, Partnerinnen und Partnern oder Freundinnen
und Freunden möglich. Anfangs waren auch im Freien keine Treffen erlaubt. Während
Bewohnerinnen und Bewohnern, die im Bett bleiben mussten, Besuche in der Regel
verweigert wurden, wurde im Sterbefall eine Ausnahme ermöglicht, damit Angehörige
sich verabschieden konnten. Für die Bewohnerinnen und Bewohner, die normaler-
weise ohnehin selten Besuche von Angehörigen und Familie erhielten, bedeutete de-
ren Wegfall einen tragischen Verlust.
„Weihnachten nicht nach Hause, Feiertage nicht nach Hause, Geburtstage kein
Besuch.“
MITARBEITERIN 3, E7
„Bei uns in der Gruppe ist auch aufgefallen, wir haben ja irgendwo noch Möglich-
keiten, auch wenn wir unsere Angehörigen nicht sehen, sie irgendwie zu erreichen.
Wir schreiben mit denen auf WhatsApp, anrufen, Sonstiges. Bei unseren Bewoh-
nern ist es halt ganz oft so, dass sie darauf angewiesen sind, dass der Angehörige
anruft und sonst sind sie natürlich Besuche gewohnt, also, dass die mal heimfahren
dürfen. Und wir haben jetzt z. B. bei uns einen Bewohner auf der Gruppe, der ist
immer Ostern und Weihnachten zuhause. Während dem Lockdown durfte er Weih-
nachten nicht nach Hause, Weihnachten war es dann erstmal nicht sicher. Er hat
fast ein Jahr seine Familie nicht gesehen. Und das dann auch noch zu erklären,
warum er sie nicht sehen darf, das ist dann halt schon sehr schwierig.“
MITARBEITERIN 2, E1
Die Bewohnerinnen und Bewohner durften auch keine anderen Gruppen innerhalb der
Einrichtungen mehr besuchen, Werkstätten und Tagesstätten waren geschlossen.
Programme zur Förderung von Teilhabe und Verselbstständigung sowie kognitiver Sti-
mulierung waren in der Folge über mehrere Monate gänzlich ausgesetzt, wodurch bei
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einigen Bewohnerinnen und Bewohnern Rückschritte in der Selbstständigkeit bzw.


kognitive Abbauprozesse beobachtet werden konnten. Programme mit dem Ziel der
Eingliederung waren aufgrund der fehlenden Realitätserprobung durch Praktika nicht
möglich. In mehreren Einrichtungen wurde berichtet, dass die Isolation zu erhöhter
Reizbarkeit, Gewichtszunahme, Verstärkung von Ängsten, psychischen Erkrankungen
und Suchterkrankungen sowie allgemeiner Antriebslosigkeit der Bewohnerinnen und
Bewohner geführt hat.
„Es gab keine kulturellen Angebote, es konnte nichts umgesetzt werden. Es gab
keinen Volkshochschulkurs, wo jemand dran teilgenommen hat, es hat nichts statt-
gefunden. Und dieses, die Umsetzung dahingehend anzuleiten, dieses auch anzu-
nehmen, zu sagen ‚Wir müssen uns schützen, ihr müsst euch schützen‘, das war
hoch komplex und kompliziert.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Es ist ganz viel Selbstbestimmung der Bewohner eingeschränkt worden in Bezug
auf Corona. Also, das, was die Teilhabe eigentlich fördern sollte, da ist genau das
Gegenteil passiert. Die durften nicht mehr in die Arbeit gehen, jeder andere musste
auch weiter in die Arbeit gehen, hier [Trägerangabe] ist zugemacht worden. Sie
sind zuhause gehockt, die waren 24 Stunden zuhause, man hat auch schauen sol-
len, dass man nicht so viel außerhalb macht, durfte man ja auch nicht.“
MITARBEITER 1, E1
Darüber hinaus veränderten sich die sozialen Beziehungen negativ. Kontakteinschrän-
kungen führten zum Einschlafen von Freundschaften zwischen verschiedenen Grup-
pen innerhalb einer Einrichtung. Da die Wohnenden sich ihre Mitbewohnerinnen und -
bewohner in der Regel nicht selbst aussuchen, führten das 24/7-Zusammensein und
der unstrukturierte Tagesablauf in einigen Fällen zu erhöhter Aggressivität und zu häu-
figeren Konflikten auf den Gruppen, aber auch zur Isolation von Einzelpersonen im
eigenen Zimmer. Diese Isolationstendenzen sind auch nach Wegfall der Einschrän-
kungen noch zu beobachten. Der bedeutsame Einfluss der Beschränkungen auf Part-
nerschaften wird durch das folgende Zitat deutlich:
„Ich finde, dass wirklich auch die Sozialkontakte sehr darunter gelitten haben. Wir
haben zum Beispiel eine Klientin, die hat einen festen Freund in der Arbeit gehabt
und dann war Lockdown, und sie durfte für ein halbes Jahr nicht mehr in die Arbeit
gehen. Dann ist die wieder in die Arbeit gegangen, und er war in Rente und sie hat
ihn praktisch nicht mehr gesehen. Also das sind schon Sachen, die ganz schön
krass waren und die man sich ohne Behinderung nicht gefallen lassen würde. Sie
hatten eigentlich gar keine Möglichkeit, irgendetwas dagegen zu tun.“
MITARBEITER 1, E1
„Bei uns war es das gleiche, wie du vorhin gesagt hast, dieses Aufeinandersitzen
von acht Leuten, und wir haben eben auch alte Leute, Rentner, also die Stimmung
war teilweise richtig gereizt, sie haben einander geärgert vor lauter Langeweile,
und es war dann wirklich so, und das ist eigentlich bis jetzt noch so, dass sich einige
in ihr Zimmer zurückgezogen haben und eigentlich bis heute nicht groß aus dem
Zimmer rauskommen. Die Stimmung hat sich geändert, und das ist bis jetzt deutlich
schlechter als es vor Corona war.“
MITARBEITERIN 5, E1
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Zusätzlich war es aufgrund der jeweiligen Beeinträchtigungsformen der Bewohnerin-


nen und Bewohner sehr schwierig nachzuvollziehen, warum diese Einschränkungen
gemacht wurden. Das Fachpersonal aus verschiedenen Einrichtungen betont, dass
sehr viel Zeit und Energie darauf verwendet wurde, die Situation und die Gründe der
Maßnahmen immer wieder zu erklären. Häufig wird das Unverständnis dafür erwähnt,
dass aus Fürsorge das Einkaufengehen für die Bewohnerinnen und Bewohner einge-
schränkt wird. Insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner, die sich aktiv in den so-
zialen Medien über das Pandemiegeschehen informierten, empfanden hier eine Be-
nachteiligung gegenüber der Allgemeinbevölkerung, denn für diese war Einkaufen
durchgängig erlaubt:
„Ich darf das nur nicht, weil ich in einer Einrichtung bin.“
MITARBEITERIN 2, E1
Weitere Zitate beleuchten Herausforderungen bei der Umsetzung der Hygiene – und
Schutzmaßnahmen:
„Die halten sich ja auch nicht an die Maskenpflicht. Es gibt ganz viele Coronaer-
krankungen im Haus, und ich weiß von meinen Kollegen, dass sich der größte Teil
trotz allem auch nicht an die Maskenpflicht hält, nach wie vor. Man kann das jeden
Tag zehnmal sagen, es wird trotzdem nicht so umgesetzt, wie es sein sollte.“
MITARBEITERIN 3, E7
„Das führt oft auch zu Streiken von Seiten der Bewohner, was ich auch verstanden
habe, weil, so wie du sagst, wir haben es nicht wirklich verstanden, und wie sollen
es dann die Leute verstehen? Was ich auch schwierig fand, es gab gar nicht so
viele Informationen in leichter Sprache, sondern man musste selber handeln und
sagen, ok, wie erklären wir das den Leuten am besten?“
MITARBEITERIN 2, E1
“Mir fällt ein Beispiel ein: Ein Bewohner, der sehr selbstständig lebt, aber im Grunde
gemeint hat ‚ich kann für mich entscheiden, ich werde nicht krank, ich lasse mich
nicht impfen‘, usw. und man kann es nicht kontrollieren, dafür gibt es ja gar nicht
die Mittel, man kann nur an die Vernunft oder in vielen Gesprächen versuchen zu
vermitteln ‚bitte bleibe hier, wir besorgen alles, was du brauchst zum Leben usw.‘,
aber eben doch anders gehandelt wurde, und man muss immer wieder in diese
Gespräche gehen ‚bitte nicht, bitte kein Treffen bei dir in der Wohnung, bitte usw‘.
Das [unverst.] Sache daher, an Corona auch erkrankt war, weil er sich an diese
Struktur nicht halten konnte. Und das war nicht nur einer, das ist jetzt nur ein Bei-
spiel. Weil er meinte, er kann für sich selbst entscheiden, was ja insofern auch
richtig ist, nur in dem Moment waren wir alle angehalten, da Überzeugungsleistung
zu leisten. Gesundheit und Leben. Und da gab es ja auch die Regeln. Es wurden
Regeln aufgestellt vom Gesundheitsamt, vom Arbeitgeber usw., und wir waren aus-
führendes Instrument. Und das war natürlich ziemlich auf hochdeutsch "hacken-
rand" für alle, weil das war sehr klein aufgedröselt, wie viele Anweisungen müssen
wir befolgen, das war wirklich eine große Herausforderung.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Wie schon gesagt, das ist eben auch schwierig gewesen, in der einen Gruppe, das
sind sieben Leute, die zusammenleben müssen, nicht zusammenleben wollen,

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sondern die müssen und die hocken dann 24 Stunden sieben Tage die Woche
aufeinander. Und du sollst das dann handlen mit einer FFP-2-Maske“
MITARBEITER 1, E1
„Das ist wirklich auch schwierig, immer wieder in Erinnerung zu bringen, Masken
zu tragen.“
MITARBEITERIN 2, E7
Die intensive Beschäftigung mit den Nachrichten zur Pandemie in den digitalen Medien
verstärkte nicht nur das Bedürfnis, am Leben der Allgemeinbevölkerung teilzunehmen,
sondern auch die Ängste der Bewohnerinnen und Bewohner vor einer Ansteckung mit
dem Coronavirus. Die Mitarbeitenden waren stetig angehalten, die Ängste auszuba-
lancieren, relevante Informationen von irrelevanten zu trennen, zu erklären, zu vermit-
teln. Dies leisteten sie trotz ihrer eigenen Ängste vor einer Ansteckung sowie ihrer
Unsicherheiten in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie.
„Naja, ganz am Anfang hat einfach jeder Angst gehabt. Und wir mussten ja nicht
nur für uns selber sorgen, sondern auch für die Leute, weil wie sollen sie es denn
auch meistern? Weil, klar, es war kein Verständnis da, wir mussten im Prinzip für
mehrere Personen da sein.“
MITARBEITERIN 2, E1
„Bei mir war es am Anfang eher so, ich habe relativ fitte Bewohner auch, die auch
Außenkontakte kriegen und aber auch so etwas wie über das Internet oder Face-
book sich Informationen geholt haben und die dann ständig in Panik verfallen sind,
wenn sie dann damals diese Massengräber und anderes gesehen haben und ge-
sagt haben ‚alle sterben, sterben wir auch?‘ Und gleichzeitig, ‚ich darf nicht zu mei-
nem Freund gehen und mit ihm darüber reden‘, also puh, das war so für mich ei-
gentlich das Schlimmste, zu sagen ‚du musst dableiben, du kannst jetzt nicht. Du
kannst mit uns spazieren gehen, du kannst mit uns..., wir gehen für euch einkaufen,
du kannst nicht mehr mit zum Einkaufen‘, das war ja am Anfang so, dass es hieß:
gar nix!“
MITARBEITERIN 3, E1
„Ja sicher, klar! Das belastet einen ja selber auch wieder, wenn man dann merkt,
jetzt habe ich vielleicht wieder irgendetwas gesagt, was mich jetzt belastet, das
hätte ich vielleicht jetzt nicht sagen sollen, ich habe wieder irgendetwas ausgelöst
damit. Also es war schon krass.“
MITARBEITERIN 3, E1
Die Anfangszeit der Pandemie war gekennzeichnet durch einen Mangel an verfügba-
rer Schutzkleidung, an Masken und Desinfektionsmitteln. Im weiteren Verlauf der Pan-
demie konnte diese Situation jedoch deutlich verbessert werden.
Gewisse Hygienevorschriften wurden für bestimmte Personengruppen als nicht um-
setzbar gewertet: So erlaubte das Zusammenleben auf engem Raum kaum, den ge-
forderten Mindestabstand einzuhalten. Des Weiteren prägt das Bedürfnis nach körper-
licher Nähe das Verhalten von Menschen mit spezifischen Beeinträchtigungsformen,
was durch die Einschränkungen nicht einfach abgestellt werden kann. Sind die Be-
zugsbetreuerinnen und -betreuer darüber hinaus die einzigen Bezugspersonen, wird
es von diesen als unmenschlich eingestuft, Umarmungen zu verwehren. Selbst das
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Reagieren auf Impulsausbrüche beispielsweise in Form einer Fünf-Punkt-Fixierung,


erfordert körperliche Nähe zwischen Fachpersonal und Bewohnerinnen und Bewoh-
nern. Das Tragen von Masken und Schutzkleidung stellte vor allem für Bewohnerinnen
und Bewohner, die für die Kommunikation auf Mimik und Körpersprache angewiesen
sind, eine Herausforderung dar.
Das Management der Quarantänesituationen erschwerten zu Beginn der Pandemie
fehlende Ablaufpläne und Unterstützung, wie z. B. beim Aufbau von Schleusen. So
war das Personal teilweise über mehrere Stunden ungeschützt. Für infizierte Bewoh-
nerinnen und Bewohner ohne Symptome war es darüber hinaus nicht nachvollziehbar,
warum sie ihr Zimmer nicht mehr verlassen durften. Das Fachpersonal berichtet von
zum Teil gefängnisähnlichen Verhältnissen, wenn isolierten infizierten Bewohnerinnen
und Bewohnern das Essen im Schutzanzug vor die Tür gestellt wurde.
Dem erhöhten Betreuungsbedarf und den zusätzlichen Herausforderungen durch die
Umsetzung pandemiebedingter Vorschriften stand ein Mangel an Mitarbeitenden ent-
gegen, die diese Herausforderungen zu meistern hatten. Personal wurde zum Teil re-
duziert eingesetzt, um Ausfälle durch Infektionen zu minimieren. Neben den pande-
miebedingten Herausforderungen im Privatleben (wie Homeschooling der Kinder, Ver-
unsicherung und Angst in Bezug auf das Virus) wurde vom Fachpersonal maximale
Flexibilität gefordert, um auf Abruf für Arbeitsschichten verfügbar zu sein. Um Puffer
im Falle von Personalausfällen zu schaffen, wurden Dienstpläne teilweise durch Mit-
arbeiterblöcke besetzt, was jedoch auch zur Anhäufung von Minusstunden der Be-
schäftigten führte. Andere Einrichtungen füllten Schichten mit Einzelpersonen oder
durch Personal von Zeitarbeitsfirmen, wodurch die Versorgungsqualität der Bewohne-
rinnen und Bewohner teilweise nicht erhalten werden konnte.
Aus Angst, das Virus in die Einrichtungen zu tragen oder selbst zu erkranken und so
Dienste auf Kolleginnen und Kollegen abzuwälzen, hat eine Mehrheit des Fachperso-
nals die eigenen sozialen Kontakte maximal eingeschränkt. Das An- und Ausziehen
der Schutzkleidung in Quarantänesituationen wurde als sehr anstrengend empfunden.
Absprachen zum Vorgehen in Krisensituationen war erschwert durch ausgesetzte oder
reduzierte Teambesprechungen und fehlende technische Möglichkeiten für Online-
Konferenzen.
Insgesamt prägen die Periode der Coronazeit ein erhöhter Mitarbeiterwechsel, lange
Arbeitsschichten und ständig wechselnde Dienstpläne. Während die Anfangszeit noch
von der Hoffnung beflügelt wurde, dass die Impfung wieder Normalität herstellen
würde, führte die andauernd hohe Arbeitsbelastung über die Zeit zur Ermüdung eines
Großteils des Personals.
„Bei uns hat sich auch die Arbeitszeit geändert. Man muss noch flexibler sein als
man eigentlich eh schon sein muss, weil hast du einen coronakranken Bewohner
zuhause oder wird er nach Hause geschickt, weil er gerade einmal hustet, dann
musst du natürlich länger bleiben, weil du die Bewohner teilweise nicht alleine las-
sen kannst. Dann hast du einfach anstatt morgens um zehn Uhr Feierabend viel-
leicht erst um 13 Uhr oder um 15 Uhr Feierabend, wenn der nächste Kollege
kommt. Nur dass man momentan auch Doppeldienste machen muss, das kommt
auch dazu.“
MITARBEITERIN 3, E7
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„Das musste man dann auch im privaten Bereich handlen, weil dann war zum Bei-
spiel bei meinem Sohn in der Schule auch Lockdown, dann weiß man, der ist jetzt
daheim, aber ich muss ja eigentlich früher..., also es ist irgendwie alles durcheinan-
dergeraten.“
MITARBEITERIN 4, E1
„Es waren auch immer lange Dienste. Wir mussten ja auf einmal 24 Stunden ab-
decken und nicht nur den Abend und den Morgen.“
MITARBEITER 1, E1
„Ja, also es war wirklich krass, die eigene Arbeit war wirklich Limit. Dieses nach
Hause-Kommen, völlig platt zu sein, 24-Stunden-Dienste einer nach dem anderen
zu schieben...“
MITARBEITERIN 4, E1

4.3 Personalperspektive während der Pandemie


Den weiteren Verlauf der Pandemie prägten die Vielzahl an Vorschriften und Maßnah-
men, die sich häufig veränderten und „von heute auf morgen“ von den Einrichtungen
umgesetzt werden mussten. Die Informationen wurden jedoch oft erst spät an die Ein-
richtungen weitergegeben, waren schwer verständlich und mit hoher Eigeninitiative,
sich in die Materie einzuarbeiten und „am Ball“ zu bleiben verbunden. Die Gesamtsi-
tuation mit dem erhöhten Betreuungsaufwand, den sich ständig verändernden Rege-
lungen, der Umsetzung dieser Regelungen, die stetige Information der Angehörigen
sowie die Angst vor einer eigenen Erkrankung, einer Erkrankung der Bewohnerinnen
und Bewohner oder der eigenen Familie, verursachten für die Mitarbeitenden enormen
Stress, der sich auf die psychische und physische Gesundheit niederschlug.
„Neu hinzugekommen ist ganz klar die Testphase. Ein Testzentrum ist entstanden,
wo eben coronakonform getestet wurde. Das war riesen aufwändig, weil eben
Mehrfachtestungen hier stattgefunden hatten, dann gab es immer wieder auch Ge-
setzesänderungen in kurzer Zeit, dann war es von fünfmal testen auf dreimal tes-
ten..., das kam erschwerend hinzu, dass wir miteingebunden wurden, unsere Leute
zu testen. Da gab es Nasentests, Rachentests, der eine kann das nicht, der andere
kann das nicht, dann hatten wir nur Nasentests... Das war, finde ich, in der Umset-
zung AM ANFANG. Jetzt haben, finde ich, sich alle daran gewöhnt, das hat sich
deutlich gebessert.“
MITARBEITERIN 2, E7
Als Nachteil wurde empfunden, dass die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt
sich in dieser Hinsicht als schwierig erwies. Nachfragen der Einrichtungen zu bestimm-
ten Regelungen hatten teilweise vermehrte Kontrollen und Druckausübung von Seiten
des Gesundheitsamtes zur Folge. Auch hier wurde berichtet, dass Regelungen und
Konzepte des Gesundheitsamtes nicht umsetzbar waren:
„Die Dame vom Gesundheitsamt hat erklärt, der eine solle den Wäschesack auf-
halten und der Kollege dann die kontaminierte Wäsche hineinstecken. Das Prob-
lem ist, es gibt keinen Kollegen. Man ist einfach alleine gewesen. Das Konzept geht
nicht auf.“
MITARBEITERIN 3, E1
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Die Impfung und das Testen wurden sowohl vom Fachpersonal als auch den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern meistens als große Erleichterung empfunden und gab ein
Stück an Kontrolle und Normalität zurück. Während das Leben in den besonderen
Wohnformen Stück für Stück geöffnet werden konnte, wurden auch Differenzen in den
Lockerungen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen deutlich. So konnten bei-
spielsweise außerhalb einer Einrichtung Hochzeiten mit bis zu 100 Personen stattfin-
den, eine einrichtungsinterne Hochzeit dagegen war nur in sehr beschränktem Rah-
men und im Freien erlaubt. Die unterschiedlichen Regelungen betrafen auch die Qua-
rantänesituationen. So mussten Werkstätten mehrmals komplett schließen, wenn eine
dort tätige Bewohnerin oder ein Bewohner positiv getestet wurde. Außerhalb der be-
sagten Einrichtung konnten sich Nicht-Infizierte im Allgemeinen freitesten. Landkreise,
Bezirke und Einrichtungen unterschieden sich in den Regelungen, was bei Mitarbei-
tenden wie auch Bewohnerinnen und Bewohner zusätzlich für Verwirrung sorgte.
Darüber hinaus mussten Bewohnerinnen und Bewohner von den zögerlich wieder
stattfindenden Aktivitäten und Öffnungen der Einrichtungen ausgeschlossen werden,
wenn deren Eltern sich gegen eine Impfung ausgesprochen hatten. Obwohl die Imp-
fung den Bewohnerinnen und Bewohnern als Schritt zurück in die Normalität kommu-
niziert wurde, bewahrheitete sich dies nicht und brachte das Personal erneut in Erklä-
rungsnot.
Das Tragen der FFP-2-Masken während der Neun-Zehn-Uhr-Schichten, die teilweise
erhöhte körperliche Aktivität erfordern (z. B. beim Duschen der Bewohnerinnen und
Bewohner), wurden von der Mehrheit der Mitarbeitenden als sehr belastend empfun-
den. Probleme bei der Atmung, schnellere Ermüdung sowie vermehrte Kopfschmerzen
waren gesundheitliche Begleiterscheinungen.
“Ich komme für mich zu dem Ergebnis, ich fühlte mich eigentlich geschützt.“
MITARBEITER 1, E7
„Also da muss man auch wirklich..., das ist ja auch irgendwie eine persönliche Ge-
schichte, die eigene Befindlichkeit. Ich möchte das eher andersherum formulieren,
nicht ich fühlte mich geschützt, ich fühlte mich eher nicht in einem erhöhten Maße
gefährdet, auf der Seite würde ich mich eher nähern wollen. Ich fühlte mich ge-
nauso gefährdet wie durch eine stinknormale Erkältung, die ich von meinen Kolle-
gen kriegen kann, die ich von einem Bewohner kriegen kann. Ich fühlte mich ein-
fach nicht durch Corona über die Maßen gefährdet.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Ich habe mir jetzt den Schuh anziehen müssen, dass ich selber schuld bin, dass
ich Corona habe. Habe aber auch, muss ich dazu sagen, es kann schon sein, dass
ich nicht 24 Stunden die Maske aufhatte, hatte aber auch einen Doppeldienst. Ich
finde, die Tests haben dann teilweise auch negativ angezeigt, obwohl der Bewoh-
ner wahrscheinlich schon positiv war, ich vielleicht auch. Aber ich weiß nicht, ob
man sich über so viele Stunden, wenn man dann auch einen Doppeldienst macht,
permanent schützen kann, Hundertprozent. Es kommt auch mal von hinten ein Be-
wohner, der nimmt dich einfach in den Arm und drückt dich, obwohl er eigentlich
weiß, dass er es nicht machen soll. Es passiert trotzdem, also hundertprozentiger
Schutz, das glaube ich, gibt es nicht oder ist meiner Meinung nach sehr, sehr
schwierig durchführbar. Wenn man dann auch schon mal einen Schnupfen hat,
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einen ganz normalen Schnupfen, Husten, muss die Maske aufhaben und dazu
Nase putzen, man nimmt dann die Maske in die Hände. Hast man die Hände auch
zuvor hundertprozentig desinfiziert? ich finde es sehr, sehr schwierig!“
MITARBEITERIN 3, E7
„Als Mitarbeiterin, entweder hast du dich impfen lassen oder hast deinen Arbeits-
platz verloren. Das ist eben allgemein, es ist fragwürdig, wir haben jetzt allgemein
nicht so viele Pflegekräfte in Deutschland. Ja, schwierig.“
MITARBEITERIN 3, E7
Persönliche Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz werden wahrgenommen. Dazu gibt
es folgende Beispiele:
„Ich persönlich habe nur Angst, dass irgendwie etwas zurückbleibt von wegen Er-
schöpfung oder so, was ich ja momentan habe. Ich fühle mich eigentlich wieder
gesund, aber ich könnte alle 2-3 Stunden ein wenig schlafen. Ich hoffe, das geht
wieder weg.“
MITARBEITERIN 3, E7
„Nein, also ich fand diese Testung etwas schwierig. Da waren wir ziemlich dicht
dran. Wir haben uns zwar geschützt, teilweise mit Visier und Handschuhen, Kitteln,
das hatten wir alles, aber dadurch, dass die Bewohner teilweise extrem - bei der
Rachentestung zum Beispiel - da fand ich das dann manchmal schon hart. Da
wurde dann losgehustet, man steht da einen halben Meter davor, weil man einen
Test in der Hand hat. Das fand ich, auch wenn wir geschützt waren, es ist ja auch
nichts passiert, aber da liegt echt meine Sorge. [lacht] Weil die Bewohner eben
unterschiedlich reagiert haben mit dieser Stäbchengeschichte, da wurde das auch
nur von uns geleitet, das hat keiner für sich... Heute ist es so, dass es einen Eigen-
test unter Aufsicht gibt, das gab es aber am Anfang nicht. Da mussten wir testen,
wir mussten das Stäbchen reinmachen und so weiter.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Das ist heute..., es beruhigt mich mehr als damals. Dass vielleicht die Anste-
ckungsgefahr nicht so groß war, wie sie war. [unverst.] Da durfte keiner selber tes-
ten. Das war dieses stellvertretende Testen, ich fühlte mich auch da nicht gefähr-
deter als sonst, da komm ich immer wieder zum selben Ergebnis. Da war es eher
so, dass in dem ein oder anderen Rachen, der sich öffnete - unangenehm besetzt,
ehrlich. Auch bei den Nasentests, da gab es Nasenbluten durch dieses Ganze,
deshalb find ich diese Eigentestung wunderbar“.
MITARBEITERIN 2, E7
Neben den Herausforderungen ergaben sich bei den Schutzmaßnahmen auch Erfah-
rungen und Entwicklungen mit positiven Vorzeichen. Beispielsweise, weil man sich in
einer außergewöhnlichen Situation außergewöhnlich umeinander kümmern musste
und wollte.
„Und dennoch möchte ich sagen, weil es eben nochmal im Raum stand, ob es auch
Positives gibt. Ich finde, das war meine Wahrnehmung, Bewohner:innen haben
schon auch - wir führen das darauf zurück, dass der ganze Arm der Tagesstruktur
Arbeit weggebrochen ist - sie haben uns anders in Anspruch genommen. Ich habe
es in den letzten 20 Jahren auch genug erlebt, wo ich das Gefühl habe, Bewohner
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sind der Meinung, da kommt jemand, der will etwas von mir, was ich gerade nicht
möchte, so irgendwie. Das hat sich ein bisschen gekehrt, sie kamen mehr auch mit
Fragen ‚wann machen wir das‘, es war zeitweise ein anderer Zugang zu den Be-
wohnern, so habe ich das für mich wahrgenommen.“
MITARBEITERIN 2, E7
„Ich würde nochmal sagen wollen für den Bereich Verselbstständigung, wo wir ja
schon sehr darauf bedacht sind, Bewohner anzuleiten, Dinge selbstständig zu ma-
chen [unverst], es ist nicht weggefallen, sondern wir haben immer versucht, es in
einer weitest möglichen Autonomie für die Bewohner aufrecht zu erhalten, den Be-
wohnern weiterhin die höchstmögliche Autonomieempfindung zu bieten. Ich nehme
hier einmal wieder das Beispiel des Einkaufens, das bei uns so - hört sich jetzt
etwas platt an - vor Corona gingen sie selber einkaufen, wir haben es vielleicht im
Vorfeld geplant, dann haben wir es übernommen. Aber dieses Übernehmen war
nicht so, dass dann durch uns entschieden wurde, was jetzt eingekauft wurde, son-
dern wir haben uns mit jedem einzelnen hingesetzt, haben gemeinsam geguckt
‚was möchtest du haben, was brauchst du für die Woche?‘ und das ist auch etwas
Positives, dass man da mit denen nochmal in eine andere Planung bezogen auf
Gesundheitsaspekte, gesunde Ernährung [unverst.] zu können. Ich finde, man
konnte mehr abwägen.“
MITARBEITER 1, E7
„Aber auch dazu fällt mir jetzt noch ein, das finde ich auch ein tolles Zeichen, wenn
wir nochmal zurückgehen zu diesem "Sich-beschützt-Fühlen", als jetzt hier der Ge-
danke, der Verdacht auf dem Gelände war, Menschen könnten sich infiziert haben,
hier gleich ein Team von den Johannitern herzuholen, die PCR-Tests mehreren
auch gleichzeitig anboten, das ist auch ein Zeichen, der Arbeitgeber war schon
sehr bemüht, den größtmöglichen Schutz zu bieten.“
MITARBEITER 1, E7
Die gemeinschaftliche und mit Diensten der Eingliederungshilfe unterlegte Wohnsitu-
ation der Menschen mit Beeinträchtigungen hängt eng zusammen mit Risiken, die sich
für ihre Gesundheit ergeben oder vermieden werden können. Aus Sicht der Mitarbei-
tenden sind damit folgende Aspekte verknüpft: Eine besonders wahrscheinliche psy-
chische Belastung wird angenommen für die Bewohnerschaft ebenso wie für die dort
agierenden Fachkräfte, wie folgendes Zitat verdeutlicht:
„Was mit Sicherheit für mich dazu gehören würde, wobei das jetzt nicht den Status
der Gesundheitsschädigung nach WHO wahrscheinlich entspricht, ist die ganze
Psyche der Menschen in Einrichtungen. Was macht das auch mit der psychischen
Gesundheit. Ich glaube, das hat schon bei jedem auch etwas hinterlassen. Das
Personal möchte ich aber wirklich nicht ausnehmen, denn auch da habe ich bei
Menschen um mich herum zur Kenntnis genommen, die auch mit diesem Komplex
Corona, weil für jeden ist es ja eine Einschränkung gewesen, auch im persönlichen
Bereich. ich glaube auch da, wirklich auch Kollegen und Kolleginnen und auch an-
dere Menschen um mich herum wahrgenommen zu haben für die das ganz ganz
schwer war.“
MITARBEITER 1, E7

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Auch die durch Impfpflicht eingeschränkte Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und


Bewohner wird kritisch thematisiert:
„Was mir dazu so einfällt nebenbei ist die Erstimpfung, Zweitimpfung, Drittimpfung,
das ist schon komplex. Und ich finde, auch da wird schon Leistung zu leisten, diese
Impfung anzunehmen. Manche konnten sich da verbal, geistig nicht dazu äußern,
das sind dann die rechtlichen Betreuer, die das dann entscheiden, und ich finde,
wenn ich mir das neue Teilhabegesetz anschaue und nur Stichpunkte überdenke,
denke ich, mancher ist gerade, weil eine Impfpflicht entstanden ist..., also be-
stimmte Personen konnten sich nicht dagegen wehren. Das halte ich persönlich,
da entscheidet ein rechtlicher Betreuer, zack, bumm, du kannst ja nicht sprechen,
dann wird geimpft. Ich finde, wir wissen, warum die Rechtliche Betreuer haben, das
wissen wir alles, aber ich finde, gerade, was am Körper passiert, dass da bestimmte
Personen keinen Einfluss haben. Unsere Leute in der Verselbstständigung, die
konnten sagen ‚ja, ich möchte das‘, wir konnten die überzeugen bis auf einen von
16, das zu tun.“
MITARBEITERIN 2, E7

4.4 Zukünftige Entwicklungen aus Sicht der Fachkräfte


Aus Sicht des Fachpersonals kann Gesundheitssorge in besonderen Wohnformen zu
Pandemiezeiten zukünftig gelingen, wenn
 …Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte erhalten wie alle anderen
Menschen. Die Pandemie hat gezeigt, dass Inklusion und Gleichberechtigung
bisher oft nur auf dem Papier bestehen, die Realität jedoch ein anderes Bild
zeigt (Besuche nur im Sterbefall, nicht umsetzbare Maßnahmen etc.).
 …Krisenpläne, die sich während der Pandemie bewährt haben, etabliert und
weitergeführt und Einrichtungen in der Umsetzung der spezifischen Maßnah-
men durch Handlungssicherheit unterstützt werden. Während der Coronapan-
demie fühlte sich ein Großteil des Fachpersonals mit der Umsetzung der ver-
schiedenen und ständig wechselnden Maßnahmen alleine gelassen.
 …Beschlüsse regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden und in ver-
ständlicher und kompakter Form zugänglich gemacht werden. In der Eingliede-
rungshilfe tätige Personen sollten bei der Prüfung der Sinnhaftigkeit einbezogen
werden.
 …Bedürfnisse und Wünsche von Menschen mit Behinderung Berücksichtigung
finden und klar von denen alter Menschen abgegrenzt werden. Die Eingliede-
rungshilfe stellt eine eigene Berufsgruppe und Menschen mit Behinderung eine
eigene Bewohnerinnen- bzw. Bewohnergruppe dar.
 …das erhöhte Infektionsrisiko finanziell ausgeglichen wird. In erster Linie
wünscht sich das Berufsfeld der Eingliederungshilfe jedoch Wertschätzung, die
sie aktuell nicht wahrnimmt und die auch nicht einfach durch einen Coronabo-
nus zu vergeben ist.
…die Pandemie den Fachkräftemangel nicht verstärkt. Während im Verlauf der Pan-
demie bereits viele aus dem Beruf ausgestiegen sind, würde eine Impfpflicht für den
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sozialen Bereich die Situation weiter verschärfen. Bereits heute können viele Stellen
nicht nachbesetzt werden. Zukünftig wird der Appell an das Berufsethos der Pflege-
rinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Heilerzieherinnen und Heilerziehungspfleger
und allen in der Eingliederungshilfe Tätigen die Versorgung von Menschen nicht ge-
währleisten können. Ein struktureller Wandel im Gesundheitssystem ist dringend er-
forderlich.

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5 Perspektiven von Angehörigen


Eckdaten der Auswertung
Von den vorliegenden 34 Angehörigen-
interviews wurden Teile transkribiert und
ausgewertet.
Die hier dargestellten Befunde und Original-
zitate basieren auf der Auswertung von allen
Rückmeldungen bezogen auf sehr
verschiedene Wohneinrichtungen.
Die Befragungen erstrecken sich über die
Zeitspanne zwischen Dezember 2021 und
Mai 2022.
[5.1]

Nun folgen ausgewählte Aspekte aus der Befragung der Angehörigen. Auch für
diese Befragung wurde ein eigener, in Module gegliederter Fragebogen entwickelt
und eingesetzt:
„Strukturierter Fragebogen zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und
Entwicklungen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe aus Sicht der Angehörigen
bzw. Gesetzlichen Betreuung (in besonderen Wohnformen)“ (ABBo)
(s. Anhang)
Die Angehörigen und Gesetzlichen Betreuungen schildern ihre Erfahrungen mit ver-
schiedenen in die W OGE 2020-Studie einbezogenen besonderen Wohneinrichtun-
gen. Auch sie nahmen alle freiwillig an der Erhebung teil, in digitaler Form oder auf
Wunsch per Telefoninterview. Die Befragung dauerte meist etwa eine halbe Stunde.
Sie dient zur Lagebeschreibung und nicht dazu, die Aussagen der jeweiligen in der
Einrichtung lebenden Familienmitglieder zu verifizieren oder zu falsifizieren. Auf die
spezifische „Paarung“ der Personen wird folglich kein Wert gelegt, vielmehr geht es
vor allem darum, einen lebendigen Eindruck von der Wahrnehmung des Personen-
kreises zu gewinnen, der „drinnen und draußen“ kennt und bewertet, im Fokus der
eigenen Sorge und Betroffenheit.

Befragung von Angehörigen:


Erste Ergebnisse

[5.2]
„Sicher hätte es auch andere Wege gegeben als Beschützen um jeden Preis“
MUTTER BY
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5.1 Angaben zu den befragten Angehörigen


Insgesamt haben 34 Personen an der Befragung teilgenommen. Fast drei Viertel der
antwortenden Angehörigen (74 %) sind Frauen. Eine Mehrheit der Befragten gibt an,
mit einer Bewohnerin bzw. einem Bewohner in einem nahen verwandtschaftlichen Ver-
hältnis zu stehen. Meistens sind es Familienangehörige der vorhergehenden Genera-
tion
 Mutter (43,75 %),
 Vater (16,65 %)
oder derselben Generation
 Schwester oder Bruder (15,63%)
(s. Abbildung 5.1). Seltener hat sich auch die nächste Generation (Tochter oder Sohn
zu 3,13 %) oder haben sich weitere Verwandte zu Wort gemeldet.
Genauso häufig wie Geschwister äußern sich Gesetzliche Vertretungen, die in keinem
Verwandtschaftsverhältnis stehen.
Abbildung 5.1: Beziehung zwischen der bzw. dem Befragten und der Bewohnerin bzw.
dem Bewohner

Quelle: Eigene Darstellung

Über 96 Prozent der antwortenden Angehörigen berichten, auch aktiv in die Versor-
gung ihrer bzw. ihres Angehörigen eingebunden zu sein.
Dieses Engagement kommt in der Regel seltener als einmal wöchentlich (46,88 %)
oder mindestens einmal pro Woche (43,73 %) vor. Wenige Antwortende kümmern sich
täglich (6,25 %). Angehörige, die an der Befragung teilnehmen, sich aber nie in die
Versorgung einbringen, sind sehr selten (3,1 %) (s. Abbildung 5.2).

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Abbildung 5.2: Aktive Einbindung der Angehörigen in die Versorgung der Bewohnerin o-
der des Bewohners

Quelle: Eigene Darstellung

5.2 Wohnalltag unter Coronabedingungen aus Angehörigensicht


Die Unterbringung der Bewohnerinnen und Bewohner unter Coronabedingungen ist
aus Angehörigensicht häufig (41,9 %) mit Herausforderungen verbunden. Als proble-
matisch erweisen sich verschiedene Facetten, wie einige Rückmeldungen verdeutli-
chen:
 Isolationsrisiken, Kommunikationsmängel und soziale Distanz
„Besuche daheim waren nur mit anschließender Quarantäne möglich, daher war
meine Tochter vier Monate lang nicht zu Hause.“
MUTTER BY
„Die Einrichtung ist für Besucher verschlossen, und es ist sehr schwer überhaupt
mitzubekommen, was eigentlich läuft und was nicht. Ich bin nur auf die Informatio-
nen über die Betreuer angewiesen. Die Informationen waren bedeutend zu spär-
lich. Es gab immer wieder Vorsorge-Quarantäne. Dies hat zur Folge, dass keine
Therapien stattfinden können, dass die Bewohner die Wohngruppe nicht verlassen
durften.“
MUTTER BY
„Unmögliche Testvorgaben nach Verlassen der Einrichtung bei Rückkehr, keinerlei
Teilhabe am sozialen Leben ermöglicht.“
MUTTER BY
 Zusätzliche Gesundheitsrisiken für die Bewohnerinnen und Bewohner
„Der Wegfall der Tagesförderung beeinträchtigte die Tagesstruktur erheblich; [Na-
me der Einrichtungen | E7] hat auf die Herausforderung mit Intensivierung der Be-
treuung reagiert, die Mitarbeiter der Tagesförderung waren in den Wohngruppen

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tätig. Das stellte eine erhebliche Entlastung dar. Die Durchführung der Kontakt-
sperre über ca. acht Wochen führte zu einer psychovegetativen Reaktion, starke
Durchfälle mit starker Gewichtsabnahme.“
MUTTER SH
„Nicht geimpfte Betreuungskräfte.“
STIEFVATER BY
„Wir mussten unseren Sohn jeden Tag motivieren und ihm sagen, dass Corona
vorbeigeht. Wir haben aus der Werkstatt Material geholt, so dass er zu Hause am
Vormittag gearbeitet hat, wie wenn er in der Werkstatt wäre. Nach etwa sechs Wo-
chen wollte er unbedingt zurück, dies wäre aber nur mit einer 14tägigen Quaran-
täne bei [Name der Einrichtung | E4] möglich gewesen, davon haben wir dann ab-
gesehen (14 Tage einen Behinderten / Autisten) einsperren!“
VATER BY
Dissonanzen in der Wahrnehmung scheinen also gegeben, auch wenn die Angehöri-
gen durchaus erkennen, dass sich die Wohneinrichtungen um Lösungen bemühen.
Die Angehörigen berichteten zu Abbildung 5.3: Vollständiger Impfschutz der Person,
96,6 Prozent, dass die in den die in der Einrichtung lebt
Einrichtungen lebenden Perso-
nen vollständig geimpft sind (s.
Abbildung 5.3).
In 89,7 Prozent der Fälle gab es
keine Schwierigkeiten, Zugang
zu einer Impfung zu bekommen
und in 86,2 Prozent kam es
auch keine Schwierigkeiten im
Anschluss an die Impfungen.

Quelle: Eigene Darstellung


Insgesamt 37,9 Prozent der befragten Angehörigen geben an, dass die angehörige
Person, die in einer Einrichtung lebt, an Corona erkrankt war. Es war somit offensicht-
lich auch mit strengen Maßnahmen nicht möglich, alle Erkrankungsrisiken zu vermei-
den.

5.3 Sich wandelnde Teilhabechancen und Gesundheitsrisiken


Die Einschätzungen der Gesundheitsrisiken durch die Angehörigen verändern sich im
Verlauf der Pandemie, zwischen deren Beginn, dem Zeitpunkt der Befragung und im
Blicke auf die Zukunft. Zu Beginn der Pandemie schätzten die Angehörigen
 die abnehmenden Teilhabechancen am Arbeitsleben (72,4 %),
 die Isolation der Bewohnerinnen und Bewohner (69 %),
 den Verlust der Tagesstruktur (65,5 %) sowie
 den durch die Beschränkungen verschärften Bewegungsmangel (58,5 %)
als die größten Gesundheitsrisiken ein (s. Abbildung 5.4).
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Zum Zeitpunkt der Befragung werden


 beschränkte Teilhabechancen am Arbeitsleben und im Bereich der Bildung
(31%),
 Bewegungsmangel (31%),
 Isolation (27,6 %),
 psychische Folgen der Pandemie (27,6 %) sowie
 neu hinzugekommene Barrieren oder Hindernisse (z. B. durch Mund-Nasen-
Schutz) (27,6 %)
als wichtigste Gesundheitsrisiken im Alltag für die Bewohnerinnen und Bewohner be-
trachtet (s. Abbildung 5.4).
Um die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner zukünftig bestmöglich zu ge-
währleisten, sollte nach Meinung der Angehörigen vor allem auf
 psychische Folgen der Coronabeschränkungen (55,2 %),
 Verlust der Tagesstruktur (55,2 %) sowie
 Risiken durch Isolationsmaßnahmen (48,3 %) und durch
 Bewegungsmangel (48,3 %)
geachtet werden (s. Abbildung 5.4).
Abbildung 5.4: Einschätzung der Gesundheitsrisiken zu verschiedenen Zeitpunkten in
Prozentangaben

Quelle: Eigene Darstellung


Die Angehörigen ändern also offensichtlich ihre Befürchtungen im Laufe der Zeit, das
generelle Sorgeniveau sinkt tendenziell mit der Alltagserfahrung. Manche Risikoein-
schätzungen kehren aber in der Zukunftsperspektive zurück. Vielfach werden zusätz-
lich besondere gesundheitlichen Risiken geschildert, die durch die Coronapandemie
für die Gesundheit der Bewohnerin bzw. des Bewohners entstanden sind.
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 Unterversorgung, Aggression, Ängste und Rückzugstendenzen


„Arztbesuche und Therapiebesuche wurden nicht genügend gefördert. Auf Grund
der Überlastung des Personals wurde verständlicherweise so manches überse-
hen.“
MUTTER BY
„Unser Sohn, der vor der Coronapandemie fast jedes Wochenende nach Hause
kam, hat nun Angst nach Hause zu kommen. Wir holen ihn nur mehr zu Tagesfahr-
ten ab, was einen enormen Aufwand bedeutet. Diese psychische Belastung ist total
neu, so dass er - falls ausgemacht ist, dass er nach Hause kommt - schon am Tag
zuvor Ängste entwickelt. Dies hat alles mit dem Thema "Quarantäne" zu tun, das
er befürchtet, wenn er zu Hause übernachtet.“
VATER BY
„Extrem gesteigerte Ängste und daraus entstehende Hürden sich wieder im öffent-
lichen Leben zurechtzufinden.“
MUTTER BY
„Ausfallen der notwendigen Therapien (Krankengymnastik, Schwimmen, Logopä-
die), Aggression einzelner Bewohner durch das ständige Zusammensein mit den
gleichen Personen. Unsere Tochter war in einen Sturz verwickelt und verlor zwei
Schneidezähne. Das Personal äußerte sich sehr vage über den Hergang, um keine
Haftung einzugehen. Die Bewohner hatten keine Möglichkeiten, Energie / Wut /
Aggression auszuleben.“
MUTTER BY
 Kompetenzverluste, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Mediendauerkonsum
„Er saß noch mehr und länger vor dem Fernseher und bekam so noch weniger
Schlaf.“
MUTTER BY
„Gewichtszunahme durch unausgewogene Ernährung und Bewegungsmangel,
Verlust von Fertigkeiten mangels Praxis (Schwimmen, Radfahren).“
MUTTER BY
„Meine Tochter hat im letzten halben Jahr stark an Gewicht zugenommen. Außer-
dem kann sie mit Frustration schlechter umgehen als vorher. Wir planen eine psy-
chologische Beratung anzunehmen.“
VATER BY
„Keine Integration der Behinderten im gesamten Lebensumfeld.“
MUTTER BY

5.4 Wünsche und Hinweise der Angehörigen für die Zukunft


Eine Kernsorge der Angehörigen ist sicher der Verlust der Teilhabeentwicklungen und
eine Stagnation oder Rückentwicklung der Inklusionsfortschritte, die sich über die
Maßnahmen und deren Umsetzung systematisiert haben.

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Die Angehörigen äußern Verständnis für Arrangements unter Coronabedingungen, die


nicht immer ihren Vorstellungen entsprechen, geben aber auch klare und kritische Hin-
weise auf Zustände, die sich zukünftig keinesfalls etablieren dürfen.
 Warnende und lobende Hinweise zu Personaleinsatz und Gesundheitssorge
„Wie bereits vorher schon genannt, finden wir den Einsatz von Zeitarbeitskräften in
diesem Bereich SEHR fragwürdig. Die Einwohner brauchen Personen, die ihnen
vertraut sind und nicht ständig wechseln. Die auch mit der Pflege vertraut sind, da
jeder Bewohner andere Besonderheiten hat. Wir wissen, dass das Personal in die-
sem Bereich schwer zu finden ist, vermuten allerdings auch, dass dieses Ge-
schäftsmodell gerne genutzt wird, um Kosten zu sparen... Aber diese Entwicklung
hat eben nichts mit der Corona Pandemie zu tun, wurde dadurch nur etwas ver-
stärkt genutzt.“
MUTTER BY
„Die Betreuer arbeiten, trotz der schwierigen Situation, immer bewohnerorientiert.
Sie versuchen immer, es für die Bewohner möglichst angenehm zu gestalten.“
GESETZLICHE VERTRETERIN BY
„Die Kommunikation zwischen uns als Eltern und Betreuern mit der Einrichtung - in
diesem Fall dem Leiter vor Ort - war für die Umsetzung von Möglichkeiten des Ver-
ständnisses zentral. Die Organisation der Impfung in der Einrichtung mit einer zent-
ralen Impfstelle vor Ort, hat es dem Betreuten überhaupt erst ermöglicht, ohne Wi-
derstand und Angst die Impfung durchführen zu lassen.“
MUTTER SH
„Infektionsschutz darf nicht dazu dienen, Dinge, die unabdingbar für die Gesundheit
sind, zu unterlassen wie bspw. Bewegung, Sonne Frischluft, gesundes Essen.“
MUTTER BY
„Es wurde ausschließlich nach den Vorgaben des Gesundheitsamtes gearbeitet.
Eltern und Angehörige hatten überhaupt kein Mitspracherecht. Absolutes Fremd-
bestimmen. Sicher hätte es auch andere Wege gegeben als "Beschützen um jeden
Preis". Es wurden keine alternativen Möglichkeiten geboten. Es gab überhaupt kei-
nen Umgang auf Augenhöhe. Gesundheit betrifft nicht nur den Körper, sondern
auch die Psyche. Darauf hat niemand geachtet.“
MUTTER BY
Generell wünschen Angehörige bessere Kommunikation, mehr Mitsprache und Wahl-
rechte, aber auch weniger „Obrigkeitshörigkeit“. Der Umgang auf Augenhöhe wird ver-
misst. Für die Zukunft geht es um noch mehr Gesundheitssorge und Gesprächsbereit-
schaft.
 Wünsche für die Zukunft
„Impfpflicht für Betreuer:innen“
STIEFVATER BY
„Die psychische Belastung ist enorm und wird viel zu wenig gesehen. Wichtig sind
vor allem Gespräche des Personals mit den Bewohnern und dazu ist keine Zeit
vorhanden vor lauter Bürokratie. Weniger Bürokratie, mehr Zuwendung. Das wäre
wichtig.“
VATER AUS BY
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6 Zurück in die Zukunft - Zusammenschau und Inter-


sektionen
Mit den Vereinten Nationen und besonders dem Sustainable Development Goal (SDG)
3: “good health and well-being“ wird auf einen engen Zusammenhang von
 gesellschaftlicher Teilhabe,
 guten Chancen auf ein Leben in besterreichbarer Gesundheit und dem
 diskriminierungsfreien Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen
aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung schließt sich ohne Einschränkungen die-
sen Anliegen an und ruft alle zur Beteiligung auf (https://17ziele.de/ziele/3.html).

Einem entsprechenden Anliegen und Anspruch müssen alle Forschungen und Ent-
wicklung genügen, unabhängig von spezifischen Zielgruppen und deren Lebensorten.
Auch bei der Beschreibung und Bewertung einer Krisensituation, wie sie die gegen-
wärtige Coronapandemie ohne Zweifel darstellt, bleiben somit aus wissenschaftlicher
Sicht die Zusammenhänge von Beeinträchtigungen, Behinderung und Benachteiligung
Teil des Aufmerksamkeitsspektrums, auch wenn es im Kern zunächst vorrangig um
Risiken der Gesundheit und Einschränkungen der Teilhabe zu gehen scheint.
Entsprechend grundsätzlich und an Inklusionszielen ausgerichtet ist auch die W OGE
2020-Studie angelegt und enthält damit das Potenzial, mehr als eine Situationsbe-
schreibung oder gar Momentaufnahme zu sein. Die Einzelbestandteile der verschie-
denen Perspektiven und Lebenslagenelemente ergeben in sich und in ihrer Über-
schneidung und Wechselbeziehung zusätzliche Qualität. Mit diesem Blickwinkel soll
daher im Folgenden abschließend eine erste Ergebniseinschätzung gegeben werden.

Perspektiven – Übereinstimmungen
und Differenzen
Erste Einschätzungen im Teilhabeblick

[0.2]

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6.1 Das Untersuchungsfeld


Wie alle wissenschaftlich gestalteten Studien werden auch in W OGE 2020 Anliegen,
Anordnungen und Ausschlüsse des Untersuchungsgegenstandes und der daraus er-
wartbaren Ergebnisse erklärt und lassen sich somit auf den Prüfstand stellen.
Die Fragen konzentrieren sich zwar auf eine sehr spezifische Bevölkerungsgruppe,
nämlich die Personen, die in besonderen Einrichtungen der Eingliederungshilfe woh-
nen, und sind so scheinbar klar begrenzt. Es wird aber – wie es scheint für manche
überraschend – gerade in Zeiten der Pandemiebewältigung, deutlich, wie eng diese
gemeinschaftlichen Unterbringungen Möglichkeiten und Grenzen der gleichen Rechte
und Verpflichtungen in der Gesamtlage der Bevölkerung spiegeln oder – wie gerne als
Metapher vorgetragen wird – wie in einem Brennglas sichtbar machen.
Dies nicht nur zu beschreiben, sondern auch Zusammenhänge, Nebenwirkungen oder
Unbekanntes aufzudecken ist also ein Anliegen der W OGE 2020-Studie, dem sie in der
Gesamtkonzeption folgt. Daher lautet die Grundfrage:
 Welche Fragen stellen sich, und werden am Beispiel von Corona deutlich?
Was daraus folgt soll dabei letztlich nicht aus den Augen verloren werden (s. Tabelle
6.1).
Tabelle 6.1: Grundsatzfragen und Richtungsweisungen

Welche Fragen Gesundheitssorge im Alltag der Menschen


stellen sich und
werden am Förderung der Gesundheitskompetenz
Beispiel von
Corona deutlich.
Lotsenfunktion und Begleitung durch ein komplexes
Was folgt Gesundheitssystem
daraus?
Therapien und Leistungen

Möglichkeiten und Grenzen der Gesundheitssorge in der


Krisenbewältigung
Veränderungsbedarf und Belastbarkeit, praxisnah

Zukunftspläne über das gewonnene Erfahrungswissen

Quelle: Eigene Darstellung

Mit dieser Einbettung werden konkrete Fragestellungen und Antwortperspektiven ent-


wickelt und gewonnen, die wiederum den gesellschaftlich ergangenen Aufträgen an
die Eingliederungshilfe, nämlich der Orientierung an der gesellschaftlichen Teilhabe
und Selbstbestimmung, Genüge tun müssen. Dies sind also die Grundmaßstäbe, der
Beurteilung und Zukunftsplanung aus Sicht der Wissenschaft.
Hierzu sind verschiedene Perspektiven erfasst, nämlich die Sicht

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 der Bewohnerinnen und Bewohner,


 der Vertretung der Leistungsanbieter, in die vermutlich auch die Konzeption der
Leistungsträger eingeflossen ist,
 des Fachpersonals im Alltagsbezug, sowie
 der Angehörigen oder Gesetzlichen Vertretungen.
Die jeweiligen Aspekte können übereinstimmen oder sich widersprechen. Dies wird
auf der gewonnenen Datengrundlage bewertbar. Hinzu kommen die externen Fakto-
ren, die in den Datenquellen zur Sprache kommen, wie gesetzliche Regelungen, agie-
rende Gesundheitsämter oder politische Wegweisungen.
Dies bahnt die abschließenden Beurteilungen, die die zukünftigen Zielsetzungen und
Optionen von
 Teilhabe
 Verwirklichungschancen für ein selbstbestimmtes Leben
 individuellen Entscheidungen zur Umsetzung eigener Wertvorstellungen
 persönlichen Fähigkeiten und Chancen zur Veränderung
 Gestaltungsfreiräumen zwischen Strukturen und Regulierungen
 Freiheiten im Sinne der Gemeinschaft sowie
 Verantwortung für andere
abwägen sollen.
Tabelle 6.2: Grundmaßstäbe und Operationalisierungen

Was sind die Grundmaßstäbe, Teilhabe


nach denen gemessen,
analysiert und bewertet wird? Verwirklichungschancen für ein selbstbestimmtes
Leben
Für individuelle Entscheidungen zur Umsetzung eigener
- Bewohnerinnen und Wertvorstellungen
Bewohner, persönliche Fähigkeiten und Chancen zur
Veränderung
- Fachpersonal,
Gestaltungsfreiräume zwischen Strukturen und
- Leistungsträger und Regulierungen
Leistungsanbieter,
Freiheiten im Sinne der Gemeinschaft
- kommunale, regionale und
bundesweite Gesundheitssorge
und Eingliederungshilfe Verantwortung für andere

Quelle: Eigene Darstellung


Die gewonnene Datengrundlage bietet für die gebotene Operationalisierung eine gute
Ausgangslage, die sich bei vollständiger Auswertung noch weiter qualifizieren wird.
Die bundesweit erfassten Einrichtungen bilden die Vielfalt der besonderen Wohnan-
gebote ab. Sie sind aus ruraler und urbaner bzw. metropolregionaler Lage zusammen-
gesetzt und spiegeln auch die reale Größen-, Fachlichkeits- und Trägervielfalt.

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Alle Gesprächspartnerinnen und -partner wurden unabhängig gewonnen und beteili-


gen sich freiwillig.
Insgesamt handelt es sich durchweg um erfahrungsbasierte und qualifizierte Exper-
tise, auf die die Einrichtungen sich stützen und für die sie stehen, auch in der einbezo-
genen Trägervielfalt. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind mehrheitlich seit Geburt,
sehr erheblich durch ihre Beeinträchtigung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens
eingeschränkt. Viele haben langjährige Erfahrung in Gemeinschaftswohnformen und
mit der Eingliederungshilfe. Das Angehörigenwissen stützt sich auf persönliche Wahr-
nehmungen und auch auf emotional angereicherte Erfahrungen im Einsatz für jewei-
lige Familienangehörige oder bei der Betreuung gesetzlich anvertrauter Personen.
Weniger Erfahrungswissen zeigt sich im Bereich der Eingliederungshilfe, weil und in-
sofern sie bislang eher selten über ihre Aufgaben in der Gesundheitssorge an sich und
spezifisch unter Pandemiebedingungen reflektiert hat.
Die geringste Erfahrung (vermutlich gepaart mit dem in den akuten Coronapandemie-
wellen größten Entscheidungsdruck) haben Behörden und Politik verfügbar. Die Infra-
struktur der Leitforschungseinrichtung Robert Koch-Institut (RKI) ist wenig auf Spezi-
fika von Unterbringungen fokussiert, die zuständigen Bundesbehörden, wie in Pande-
miefragen das Bundesministerien für Gesundheit (BMG) und in Fragen der Eingliede-
rungshilfe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) werden Kooperati-
onsstrukturen zur Kompetenzbündelung wohl noch ersinnen müssen. So war auch die
Bundespolitik sehr gefordert und wenig spezifisch beraten. Umso mehr ist dem BMAS
hoch anzurechnen, dass es Feldstudien wie WOGE 2020 ermöglicht hat.
Föderale Zuständigkeiten und regionale Ausformungen der Gesundheitssorge taten
das ihre, um Vorsorge, zielstrebige Planung und Umsetzung von Ausstattung und
Maßnahmen unter den gegebenen Krisenbedingungen für einen Teil der Bevölkerung
zu komplizieren, der ohnehin eher selten im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. So
kam es auch, dass schließlich die Debatten der besonderen Risikolage der Bewohne-
rinnen und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften meist an Pflegeeinrichtungen
oder Angeboten der Altenhilfe ausgerichtet waren. Damit verbunden galt besondere
Sorge dem rechten Maß der Hilfen und den geeigneten Maßnahmen für Klientel und
Personal, nachdem sie überhaupt Fahrt aufgenommen hatte. Die Eingliederungshilfe,
mit ihrer facettenreichen Klientel und der besonderen lebenslaufassistierenden Aus-
richtung, war kaum im Blick.
Mit der größten Gelassenheit – so scheint es aus der Perspektive dieser Studie –
agierten hier die Bewohnerinnen und Bewohner selbst, die vor allem durch eine hohe
adaptive Zufriedenheit hervorstechen. Dies mag auch an der großen und explizit an-
erkennenswerten Bemühung der Eingliederungshilfe liegen, die „Irrfahrten durch die
Pandemie“ nicht auf dem Rücken der Menschen mit Beeinträchtigungen auszutragen.
Daher wird nun auch zu diskutieren sein, ob immer das richtige Maß zwischen Sorge
und Überfürsorglichkeit sowie von Aufmerksamkeit für Gesundheit an sich und Isolati-
onstendenzen getroffen werden konnte.

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6.2 Fürsorgliche Gesundheitssorge statt Teilhabegewinnen?


Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnformen sind sehr häufig Deut-
sche, alleinstehend und selten in größere soziale Netze eingebunden. Das erklärt zum
einen, dass sie vor allem als eine Gruppe (der Bewohnerinnen und Bewohner) definiert
werden, die auf diese Wohnform und erhebliche Unterstützung angewiesen ist. Ihre
kulturelle Vielfalt fordert bislang (anders als in der Altenhilfe) weniger heraus, ihre Al-
tersunterschiedlichkeit trifft im Alltag auf eine entsprechend differenzierte Binnenstruk-
tur (wie Werkstatt- und Freizeitangebote). Die Ziele der Teilhabeförderung werden da-
mit verbunden und bilden sich auch in Gemeinschaftsveranstaltungen ab (wie gemein-
same Essenszeiten, Feste und Feiern). Auf die umliegenden Regionen wird vor allem
in besonderen Aufgabenfeldern zurückgegriffen. Dazu zählt auch die übliche Versor-
gung im Krankheitsfall und in manchen Einrichtungen die Mobilität mit dem Öffentli-
chen Personennahverkehr. Alltagsübliche Aktivitäten im kommunalen Umfeld sind vor
allem Wege zur Arbeit oder Freizeit bzw. zu privaten Treffen oder Einkäufen.
Vielen Bewohnerinnen und Bewohnern fallen Veränderungen während der Pandemie
daher kaum auf, was sich so deuten lässt, dass ihre Teilhabeaktivitäten bislang auch
vielfach innerhalb der Einrichtung realisiert wurden. Andere sehnen die ihnen bekannte
Normalität wieder herbei.
„Ich würde schon sagen, wir sind noch immer in einer hochdynamischen Zeit. Der
Unmut bei den Bewohnern, ein Schreien nach einer Normalität wie sie vor Corona
war, das wird schon an einigen Stellen doch auch deutlich.“
MITARBEITER 1, E7
Ein zentrales Reformziel der Teilhabegesetzgebung sind Verbesserungen im Bereich
der Teilhabe und Selbstbestimmung. Dies gilt ebenso für das Wohnen. Unter Corona-
bedingungen kam hier Vieles zum Stillstand, insbesondere auch die Unterstützung zur
Selbstbestimmten Lebensführung, ein Kerngeschäft der Eingliederungshilfe. Aus dem
Kreis des Fachpersonals stammt die Einschätzung, dass die Verselbständigung auf
der Strecke geblieben sei. Das gibt zu denken!
Die gesamte alltägliche Lebensführung, inklusive Erfahrungen von Selbstbestimmung
und Teilhabe, wurde gezwungenermaßen in der Pandemie auf gemeinschaftliches
Wohnen komprimiert. Daher müssen auf engem Raum alle individuellen Lebensäuße-
rungen und erforderlichen Unterstützungsleistungen unausweichlich gelingen. Die er-
forderlichen baulichen und räumlichen Voraussetzungen (Barrierefreiheit und Einzel-
zimmer) sind in der Regel vorhanden. Auch Sachwalter, die sich in Zeiten der Pande-
mie für die Belange der Bewohnerinnen und Bewohner persönlich einsetzen können,
wie Angehörige und Gesetzliche Betreuungen, scheinen sehr häufig regelmäßig in Be-
reitschaft, auch wenn seltener physische Treffen stattfanden. Für einige Bewohnerin-
nen und Bewohner gibt es aber über die Dienste der Einrichtung hinaus keine „Küm-
merer“, während insgesamt Exklusionsrisiken und tatsächliche Isolation steigen. Diese
Lagebeschreibung kann nicht den sozial- und gesundheitspolitisch gesteckten Zielen
und eingeschlagenen Wegen genügen. Ein Rückschritt zu vorrangig fürsorglichen Hal-
tungen und Rahmungen erscheint möglich und wird im Namen der Gesundheitssorge
oft favorisiert.

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6.3 Krisenbewältigung als Kerngeschäft mit Grenzen des Machbaren


Das Gesundheitsziel steht generell im Kern der Lebensführung und lenkt während der
Coronazeit in besonderer Weise die Planung und Umsetzung in den besonderen
Wohnformen. Die Bewohnerinnen und Bewohner gelten als besondere Risikogruppe
und die Einrichtungen der Eingliederungshilfe sollen nach Maßgabe der Gesundheits-
ämter und Politik in der Regel wie Pflegeeinrichtungen agieren.
Bei der Prüfung der Lagebeschreibungen und der er-
kennbaren Folgen mit Bezug zu den an der WoGe
MIT-CORONA-TYPOLOGIE 2020-Feldstudie beteiligten Expertisegruppen lassen
sich Bewältigungsprofile erkennen, die in einer Mit-
Leitungsebene: Corona-Typologie zur Diskussion gestellt werden
könnten. Sie werden daher hier scherenschnittartig
Die pragmatisch Han- in Schaukästen benannt. Für die politisch und be-
delnden hördlich Agierenden beruht die Einschätzung auf in-
direkten Nennungen durch die anderen vier Gruppie-
rungen.
Insgesamt sehen sich die Anbieter der Eingliede-
MIT-CORONA-TYPOLOGIE rungshilfe als krisenerprobt und handlungsbereit. In
Einrichtungen mit Pflegepersonal sind hilfreiche
Bewohnerinnen und Strukturen und Ressourcen eher vorhanden, soweit
Bewohner: es um die reine Wahrung der Vorschriften geht. Denn
in Gemeinschaftsunterkünften sind hohe Hygiene-
Die zufriedenen Be- standards vorgeschrieben.
schützten Bei der Umsetzung der Teilhabeaufgaben werden
auch aus Sicht der Leitungsebenen die größten Hin-
dernisse wahrgenommen und Bedenken geäußert.
Hier mangelt es an Routinen, die beispielsweise aus
MIT-CORONA-TYPOLOGIE der Prävention bekannt sein könnten ebenso, wie an
ausgereiften Konzeptions-Handlungs-Brücken. Als
Ämter und Politik: besonders herausfordernd wird der Umgang mit der
selbständigeren Bewohnerschaft beschrieben.
Die Distanzierten
Die vorhandene Notfallplanung für die Bewohnerin-
nen und Bewohner ist im Prinzip solide. In der kon-
kreten Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern
treten aber kaum überbrückbare Differenzen auf. Die
Einrichtungen befürchten nämlich mehr und mehr
MIT-CORONA-TYPOLOGIE Gesundheitsrisiken für ihre Klientel, die über eine
Coronaerkrankung hinausreichen, gefördert auch
Angehörige: durch strukturelle Isolation und psychische Überlas-
Die kritisch Verständ- tung. In Einzelfällen werden gesundheitsschädliche
Coronaschutzgebote beklagt, wenn etwa Arztbesu-
nisvollen che nicht stattfinden und Therapien aus Sorge vor
Coronaerkrankungen ausfallen.

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Assistenzleistungen zur alltäglichen Lebensführung


werden nach Meinung der Bewohnerinnen und Be-
MIT-CORONA-TYPOLOGIE wohner im Prinzip in einem sehr hohen Maß nach
Wunsch und Bedarf erbracht. Auch auf die Assistenz-
Fachpersonal:
person und die Leistungszeit besteht meist Einfluss.
Die dauerhaft Überlas- Neben dem Fachpersonal unterstützen häufiger Ge-
setzliche Betreuungspersonen und Familienangehö-
teten
rige. In der Pandemie verschlechtert sich diese Leis-
tungsqualität allerdings durch vielerlei Distanzierun-
gen und erhöhten Personalmangel. Nur im Bereich
psychischer Unterstützung nennen manche Bewohnerinnen und Bewohner ebenso
Verbesserungen, wie bei den Transportmitteln und der Verfügbarkeit von Laptops.
Aus Leitungsperspektive kamen die Einrichtungen an ihre Grenzen, ohne dass Ent-
spannung in Sicht wäre. Dies zeigt sich besonders bei der überstrapazierten Flexibilität
durch externe Faktoren (behördliche Anordnungen, fehlende Information und Kommu-
nikation). Mit langanhaltenden Folgen sei zu rechnen, da Belastungsgrenzen lange
Zeit überschritten wurden (ohne Erholungsphasen und entlastende Ressourcen). Die
dem Fachpersonal zufallende Aufgabe, die Akzeptanz der Anordnungen herzustellen,
erwies sich zudem als aufwändig und kräftezehrend. Die Versorgung der Bewohnerin-
nen und Bewohner war aber immer gewährleistet.
Das Fachpersonal spricht von vielen Regelgebern (Gesundheitsamt, Arbeitgeber), die
dann im alltäglichen Dienst vermittelt und umgesetzt werden müssen. Viele Anweisun-
gen werden als eine große Herausforderung erlebt, man selbst sieht sich als ausfüh-
rendes Instrument.
„Viele Anweisungen müssen wir befolgen, das war wirklich eine große Herausfor-
derung“ … „wir waren ausführendes Instrument“.
MITARBEITERIN 2, E7
Die Compliance, also Bereitschaft der Bewohnerinnen und Bewohner zur aktiven Mit-
wirkung bei entsprechenden Aufgaben, ist aus Sicht der Fachkräfte ein wesentlicher
und belastender Faktor bei der Umsetzung vieler Maßnahmen.
„Man muss immer wieder in diese Gespräche gehen“.
MITARBEITERIN 2, E7
Dabei ist auch das im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen oft als anstrengend
wahrgenommene Gespräch mit Angehörigen mit gemeint, von dem die Leitungsebene
sicher ist, dass es zu den Aufgaben im Gruppendienst gehört. Das Fachpersonal hat
dafür nur moderat Verständnis. Dennoch gelingt die Kommunikation, wenn man der
Leitungsebene Glauben schenkt.
Aus Angehörigensicht schließlich sind es die laufenden Gespräche des Personals mit
den Bewohnerinnen und Bewohnern, die das Verständnis für die Coronamaßnahmen
erleichtern und den psychischen Druck bei den Menschen mit Beeinträchtigung redu-
zieren sollen, die aber aus Zeitmangel zu wenig zustande kommen.
„Die psychische Belastung ist enorm und wird viel zu wenig gesehen. Wichtig sind
vor allem Gespräche des Personals mit den Bewohnern, und dazu ist keine Zeit

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vorhanden vor lauter Bürokratie. Weniger Bürokratie, mehr Zuwendung. Das wäre
wichtig.“
VATER BY
Nach Ansicht des Fachpersonals gibt es viele Coronaerkrankungen und verglichen
damit wenig einfache Umsetzungsroutinen bei den Maßnahmen zur Minderung der
Infektionsrisiken. Besonders die Maskenpflicht in allen Alltagszusammenhängen wird
(zu) wenig befolgt.
„Man kann das jeden Tag zehnmal sagen, es wird trotzdem nicht so umgesetzt,
wie es sein sollte.“
MITARBEITERIN 2, E1
Bewohnerinnen und Bewohner schätzen ihre Gesundheit mehrheitlich als gut oder
sehr gut ein. Nach eigenen Angaben ist etwa ein Viertel der interviewten Personen
selbst an Corona erkrankt und meist nach mildem Verlauf genesen. Etwa zehn Prozent
erkrankten schwer.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner erkennen allerdings Verschlechterungen der Ge-
sundheit, viele im Zusammenhang mit Corona, wegen der Erkrankung selbst oder we-
gen Begleitumständen, wie dem Verzicht auf Gesundheitsförderung und andere Ver-
sorgungsrisiken. Sterben und Tod in der Gruppe der Menschen mit Beeinträchtigun-
gen kamen verbunden mit coronabedingter Belastung vor (z. B. durch Isolation),
ebenso wie die beschriebenen Hinweise von inneren Spannungen und Übergriffen. In
allen Fällen soll sich das Fachpersonal in mildernder und moderierender Weise ein-
bringen.
Besondere Notfallpläne oder Schutzmaßnahmen für das Personal gibt es selten. Not-
fallpläne mit dem Personal kristallisierten sich erst im Pandemieverlauf heraus (bei-
spielsweise Task Forces). Vieles beruht daher im Alltag zunächst auf Selbsthilfepoten-
zialen.
Klare Kritik kommt von Seiten der Angehörigen, die meinen
„Es wurde ausschließlich nach den Vorgaben des Gesundheitsamtes gearbeitet.
Eltern und Angehörige hatten überhaupt kein Mitspracherecht. Absolutes Fremd-
bestimmen. Sicher hätte es auch andere Wege gegeben als "Beschützen um jeden
Preis". Es wurden keine alternativen Möglichkeiten geboten. Es gab überhaupt kei-
nen Umgang auf Augenhöhe. Gesundheit betrifft nicht nur den Körper, sondern
auch die Psyche. Darauf hat niemand geachtet.“
MUTTER BY

Bewohnerinnen und Bewohnern einer der beteiligten Einrichtungen haben einen offe-
nen Brief an das Gesundheitsamt mit ähnlicher Botschaft verfasst, um auf viele Para-
doxien in den Regulierungen des Alltags hinzuweisen (s. Abbildung 6.1):

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Abbildung 6.1: Offener Brief von Bewohnerinnen und Bewohnern an ihr zuständiges Gesund-
heitsamt (Ostern 2022 | E1)

Ca. 30 Unterschriften

6.4 Dazugelernt - Kompetenzgewinne


Schutzmaßnahmen in den Wohneinrichtungen folgten zunächst bekannten Pfaden der
Hygienevorschriften in Gemeinschaftsunterkünften, einen Krisenplan für die Dimensi-
onen der Coronapandemie gab es nicht. Manche Maßnahmen wurden daher getestet
und beibehalten (wie Aushänge), etwas angepasst (wie die verordnete Einzelzim-
mernutzung, Verbote, die Einrichtung zu verlassen oder Personalschulungen sowie
die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen).
Schließlich wurden aber auch viele Maßnahmen eingeführt und dann verändert, wie
etwa Kontakteinschränkungen innerhalb der Einrichtungen, Einschränkungen gemein-
samer Mahlzeiten, gemeinsamer Freizeitgestaltungen oder der Tätigkeit in den Werk-
stätten sowie privater Besuche. Manche Maßnahmen wurden vorgeschrieben (wie
Trennwände oder Tests), mache wurden selbst erkundet (wie Treffen im Freien oder
neue Kommunikationsformen). Dabei ergaben sich auch viele Überschneidungen oder

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Wechselwirkungen zwischen intendiertem Gesundheitsschutz und erforderlicher Wah-


rung der Selbstbestimmung und Freizügigkeit.
Unangemessene Beschränkungen der Bewohnerinnen und Bewohner in Teilhabe und
Selbstbestimmung sind grundsätzlich unzulässig. Ein Teil der Einrichtungen behielt
dennoch isolierende und organisationszentriert regulierende Maßnahmen bei, obwohl
sie die Teilhabe und Selbstbestimmung erheblich beeinträchtigen.
Insgesamt wurde gelernt, dass in der Eingliederungshilfe ein Ausstattungs- und Lern-
zuwachs im Bereich der Gesundheitssorge notwendig und wichtig ist. Dazu zählt auch
die Prophylaxe. Präventiv zu Testen wird neuer Alltagsbestandteil. Dabei sind immer
wieder Varianten von Verfahren und Regulierungen (Gesetzesänderungen) zu beach-
ten – neben der jeweils erforderlichen und erlaubten Testtechnik. In das Testen wur-
den die Gruppendienste eingebunden. Nach anfänglichen Unklarheiten bestehen in-
zwischen entsprechende Routinen.
„Jetzt haben … sich alle daran gewöhnt, das hat sich deutlich gebessert.“
MITARBEITERIN 2, E7

6.5 Qualitätssicherung bei Versorgungsnöten und Rückzugstendenzen


Insgesamt treiben die Bewohnerinnen und Bewohner nicht zum Wandel an. Ihre ins-
gesamt ausgeprägt hohe Zufriedenheit bleibt auch mit den coronabedingt angepass-
ten Assistenzleistungen stabil. Die meisten Interviewten nehmen zugleich die Versu-
che der Anbieter wahr, sie in der Krise zu unterstützen. Aber sie ängstigen sich auch
(etwa vor Menschen und Impfungen). Zugleich schätzen sie konkrete Veränderungen
wie die Entschleunigung des Alltags und begrüßen mehr tagesstrukturierende Ange-
bote.
Nach Ansicht von gut 40 Prozent der interviewten Bewohnerinnen und Bewohnern ha-
ben sich die Freizeitmöglichkeiten verschlechtert, wegen Ansteckungsgefahren, Ver-
boten und Schließungen. Wenige nennen auch Verbesserungen durch neue Öffnun-
gen, bessere Planung und Gemeinschaft, die sich unter Coronabedingungen einge-
stellt haben. Während also etwa bei Zusatzangeboten für die Freizeitgestaltung eher
Zufriedenheit herrscht, schwindet ihr Einfluss auf die Ausgestaltung der Assistenzen
(z. B. durch die Wahl der jeweiligen Betreuungsperson). Einige erkrankte Bewohne-
rinnen und Bewohner artikulieren ihre Sorgen und Ängste, vor allem aber herrscht eine
Grundhaltung (über 80 Prozent der Rückmeldungen), man fühle sich gut geschützt,
mit den vielen Maßnahmen im Alltag. Entsprechend ausgeprägt wird hier Zufriedenheit
geäußert.
Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner sind geimpft. Das Gesundheitsverhalten ist
zugleich verändert (weniger Bewegung und Arztbesuche). Für manche Maßnahmen
gibt es kaum Verständnis, besonders werden die umfassenden Isolationsmaßnahmen,
Kontaktverbote und Maskenpflichten genannt, aber auch schwer verständliche und wi-
dersprüchliche Anordnungen.
Bei Krankenhausaufenthalten fehlt die fachliche Assistenz. Aus Sicht des Personals
werden aber Krankenhausaufenthalte, in denen Bewohnerinnen und Bewohner wie

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normale Kassenpatientinnen und -patienten behandelt werden, deren Bedürfnissen


ohnehin nicht gerecht.
Tendenziell kritisch klingen die Berichte des Fachpersonals. Es ist die Rede davon,
dass sich die jeweils benötigte Unterstützung während der Coronazeit (durch Mangel
an Person und Hilfsmitteln) weiter verschlechtert hat, begleitet von konkreten Maßnah-
men zur Pandemiebekämpfung wie Betretungsverboten und Maskenpflichten. Die
Gruppendienste schildern, dass gemeinschaftsdienliche soziale Kontakte radikal ab-
geschnitten wurden. Selbst an hohen Festtagen oder zu wichtigen Anlässen durfte
beispielsweise nicht gefeiert werden.
In den Rückmeldungen der Mitarbeiterschaft heißt es, die Tagesstrukturierung und
Freizeitangebote wurden ausgesetzt
„es hat nichts stattgefunden“.
MITARBEITERIN 2, E7
An Corona erkrankte Personen mussten auf ihrem Zimmer bleiben. Manche haben
diesen Rückzug verstetigt.
An sich ergeben sich viele Fragen nach Sicherheit und Schutz, gerade in der durch
Isolation geprägten Coronazeit. Die Antwortbereitschaft der Bewohnerinnen und Be-
wohner war in diesem Feld jedoch gering, die Datenlage ist entsprechend dünn. We-
nige sprechen von erhöhter Sicherheit wegen der Coronamaßnahmen. Zu Risiken von
Übergriffen gegen ihre Person, auch in Form sexualisierter Gewalt, gibt es von ihnen
keine Hinweise.
Einige Äußerungen deuten auf Diskriminierungserfahrungen der Bewohnerinnen und
Bewohner hin, die sich aber in der Pandemiezeit nicht wesentlich verändert haben. Zur
Sprache kommen hierbei Ignoranz, Respektlosigkeit und Schikanen. Aber Personen,
die solches Verhalten gezeigt haben, werden nur von sehr wenigen Antwortenden kon-
kret benannt.

6.6 Nachhaltige Risiken und digitale Entwicklungsgewinne – ein Weckruf


Psychologische Spätfolgen werden aus der Leitungsebene erwartet und sind auch ein
Präventionsthema:
„Die psychische Begleitung während der Restriktionsmaßnahmen ist besonders
wichtig, um psychische Spätfolgen zu reduzieren.“
ID_67
Eine besonders wahrscheinliche psychische Belastung wird einerseits angenommen
für die Bewohnerschaft, andererseits ebenso für die dort agierenden Fachkräfte:
„Ich glaube auch da, wirklich auch Kollegen und Kolleginnen und auch andere Men-
schen um mich herum wahrgenommen zu haben, für die das ganz ganz schwer
war“.
MITARBEITER 1, E7

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Überlastung des Personals ist eine – nicht neue, aber dynamisierte - Risikolage, ein
Dammbruch zeichnet sich ab, solange der Druck der fachlich erforderlichen Assisten-
zen auf immer weniger Personen lastet, ohne dass sich Lösungen finden. Viele belas-
tende Elemente prägen den Arbeitsalltag: Die Mitarbeiterteams wurden in starre Ko-
horten eingeteilt, um die Anzahl von Begegnungen und Infektionsrisiken zu reduzieren.
Das machte die Zusammenarbeit nicht nur ungewohnt (man trifft sich draußen oder
digital), sondern führte auch zu anstrengenden Übergaben. Vorschriften bzw. Vorga-
ben hingegen änderten sich laufend. Als Gefühl wird beschrieben, man müsse sich
wöchentlich neu erfinden, während zugleich kein Ende aller Anstrengungen in Sicht
ist. Ein sich dynamisch verändernder Coronavirus, gepaart mit instabiler Gesetzes-
lage, führte in ein Hamsterrad aus Mahn- und Warnaufgaben. Zugleich sollte niemand
in der Aufmerksamkeit für die eigene Gesundheit und in der Verantwortung für andere
nachlassen.
In der Kommunikation wird zugleich eine tägliche Hilflosigkeit erlebt, weil man viele
Alltagsfragen selbst nicht beantworten kann, etwa wann man zur Normalität im Arbeits-
bereich, in der Freizeit, beim Einkaufen oder beim Treffen mit andern zurückkehren
wird. Das erschwert die erforderliche professionelle Haltung.
Wenn es den Bewohnerinnen und Bewohnern verboten ist, sich untereinander zu tref-
fen, belastet dies den Alltag zudem schwer. Risiken einer Infektion und beim Durch-
setzen von Maßnahmen, mussten also abgewogen werden.
Die Arbeitszeiten des Personals sind kaum mehr verlässlich umzusetzen, auch wegen
der erforderlichen Bereitschaft für erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner. Selbst
von Doppeldiensten ist mehrfach die Rede.
Auch die durch Impfpflicht eingeschränkte Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und
Bewohner wird von Personalseite kritisch thematisiert
„weil eine Impfpflicht entstanden ist... also bestimmte Personen konnten sich nicht
dagegen wehren. Das halte ich persönlich, da entscheidet ein rechtlicher Betreuer,
zack, bumm, du kannst ja nicht sprechen, dann wird geimpft. Ich finde, wir wissen,
warum die Rechtliche Betreuer haben, das wissen wir alles, aber ich finde, gerade,
was am Körper passiert, dass da bestimmte Personen keinen Einfluss haben“.
MITARBEITERIN 2, E7
Aber zugleich versteht das Fachpersonal die gestiegene Aufmerksamkeit für und Um-
setzung von Hygienestandards und für die notwendige Klärung sozial erwünschter
Nähe oder angemessener Distanz als „Weckruf“, der zu begrüßen ist.
Zurück in die Zukunft könnte ein Programm heißen, in dem man die alltagsnahen Er-
kenntnisgewinne der Pandemiezeit nutzt, um zum intendierten Kernprogramm der
Teilhabezentrierung in der Eingliederungshilfe (personenzentriert, individualisiert, so-
lidarisch und sozialraumorientiert) zurückzukehren. Denn Bewohnerinnen und Bewoh-
ner hoffen auf Normalität und zeigen Unmut („Lagerkoller“, „Aggression, Langeweile,
Frust“), während sie sich teilweise zu Anfang verwöhnt fühlten („oh, ich habe frei“), weil
viele Aufgaben durch das Personal übernommen wurden.
Einhellige Meinung aller Gruppen in den Einrichtungen ist, dass es kein Betretungs-
verbot der besonderen Wohnformen mehr geben soll. Zugleich wird ein geordnetes,

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überschaubareres Vorgehen mit klarer Kommunikation gewünscht, das Durcheinan-


der soll sich nicht wiederholen. Hierzu könnten vor allem die Einrichtungen selbst bei-
tragen, wenn man ihnen mehr Handhabemöglichkeiten zuspricht.
Kommunikation und Multiperspektivität werden vor allem als Kraftquellen eingeschätzt,
ebenso wie digitale Kompetenz und Ausstattung.
Die Mediennutzung bietet vielfach Gelegenheiten und bleibt während der Pandemie
ein wesentliches Tor zur Welt und zur Teilhabe. Zwar nutzt etwa ein Drittel der Bewoh-
nerinnen und Bewohner kein Internet, über 50 Prozent sind aber unter anderem in
Messenger-Diensten und Videokonferenzen aktiv.

6.7 Nähe und Distanz in der Gemeinschaft durch Kommunikation und In-
formation – Vielfalt in Verbindung
Unabhängig von der Verweildauer findet sich bei den meisten interviewten Bewohne-
rinnen und Bewohnern viel Zustimmung zu den sozialen Beziehungen und zur Einbin-
dung in die Gemeinschaft. Auch unter Coronabedingungen wird sehr viel Verlässlich-
keit, Geborgenheit und Sicherheit im Miteinander wahrgenommen, wobei zugleich der
Wunsch nach Rückzugsmöglichkeiten besteht.
Tendenziell haben sich die Kontakte der Befragten coronabedingt häufig verändert,
mehr verschlechtert (weniger Kontakte) als verbessert (intensivere und vielseitigere
Begegnungen sowie bessere Kommunikation). Die Kontaktverlässlichkeit wurde brü-
chiger, auch wegen der wechselnden Aushilfen. Stattdessen steigen Ängstlichkeit und
Unsicherheit, Einsamkeit und Distanz in der Gemeinschaft. Auch Außenkontakte (Be-
suche) bleiben aus oder verringern sich. Obwohl die Gemeinschaft meist nicht selbst-
gewählt, sondern fremdbestimmt ist,
„das sind sieben Leute, die zusammenleben müssen, nicht zusammenleben wol-
len, sondern die müssen, und die hocken dann 24 Stunden sieben Tage die Wo-
che aufeinander. Und du sollst das dann handlen mit einer FFP-2-Maske“,
MITARBEITER 1, E1
scheint sie doch von wesentlicher Bedeutung zu sein.
Allerdings fehlt für übliche Singularisierungstendenzen die hinreichende Selbstbestim-
mung. Verluste im Bereich der Selbstbestimmung nennt etwa ein Fünftel der befragten
Bewohnerinnen und Bewohner auf personaler und interpersoneller Ebene, durch
strengere Regeln, Einschränkungen und Verbote. Positiv bewertet werden von ihnen
zugleich bessere Kenntnisse der Pandemierisiken und eine verbesserte Ausstattung.
Unklar ist, wie Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen mit den Bewohnerinnen und
Bewohnern während der Pandemieverläufe so kommuniziert werden können, dass sie
wahrgenommen und verstanden werden. Dies ist bislang nur teilweise gelungen. Zu-
gleich setzten die Anbieter aber die anstehenden Gebote und Verbote gegenüber ihrer
Klientel weitgehend um. Mit mehr Partizipation hoffen nun die Bewohnerinnen und Be-
wohner der reduzierten Mitbestimmung gegensteuern zu können. Dann könnten
Wunsch- und Wahlrechte wieder auf offene Ohren stoßen, zugunsten einer lebendig

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gelebten Gemeinschaft. Gemeinschaft und Zusammenhalt neu zu definieren und zu


finden ist also eine Aufgabe, die sich mit Nachdruck stellt.
Durch die Pandemieerfahrungen wird insgesamt deutlich, dass eine höhere Aufmerk-
samkeit auf die Personengruppen in Gemeinschaftsunterkünften erforderlich ist, die
Gemeinsamkeiten und Unterschiede gleichermaßen in den Blick nimmt. Ausgren-
zungs- und Diskriminierungsrisiken sind dabei besonders hoch und relevant.
Assistenzleistungen müssen zunächst zuverlässig möglich werden, um dann einen je-
weils personenbezogenen Teilhabefokus sicherzustellen. Chronische Personalüber-
lasten müssen dringend ein Ende finden und zukünftig verhindert werden. Gemein-
schaftssinn und Solidarität alleine sichern keine zuverlässige Leistungsqualität. Auch
Verbesserungen in der Kommunikation und im Ressourceneinsatz sind erforderlich.
Insgesamt sind die aktuellen Abstriche der für die Eingliederungshilfe zentralen Ver-
sorgungsqualität mit Teilhabezielen zu reduzieren. Das Recht auf Selbstbestimmung
und Teilhabe hat Bestand, obwohl Corona nicht vorbei ist und dies eine individuelle
Zuwendung weiter herausfordert.

6.8 Schutz der Fachkräfte bei Health and Inclusion in All Policies
Ein Rund-um-die-Uhr Einsatz der Fachkräfte für alle Bewohnerinnen und Bewohner ist
an sich nicht vorgesehen, aber bei Gemeinschaftsunterkünften mit weiteren Tages-
strukturen und Personen mit Assistenzbedarf notwendig. Auch daher mangelt es mas-
siv an Personalressourcen.
Die Aufmerksamkeit für die besonderen Belange der Bewohnerinnen und Bewohner
ist dadurch generell gefährdet, dies gilt für alle Aufgaben der Eingliederungshilfe sowie
besonders bei zusätzlichen Aufgaben wie sie freiheitsentziehende Maßnahmen oder
Klinikaufenthalte mit sich bringen.
Neue Arbeitselemente müssen nun zudem von den Diensten verstanden und sicher-
gestellt werden. Dazu zählen Themenfelder wie Gesundheitsgefährdungen und Prä-
vention, der Umgang mit Schutzmaterial und seine Beschaffung, die Gestaltung von
Quarantänen und die Versorgung der Coronaerkrankten. Dafür ist vermehrt Zeit für
Kommunikation und Information erforderlich, während gleichzeitig Abstand gewahrt
und die eigene Gesundheit geschützt werden soll.
Eine mangelnde Kenntnis und Wertschätzung der fachlichen Dienste der Eingliede-
rungshilfe in der Gesellschaft demotiviert das Fachpersonal zudem. Belastende Un-
kenntnis der besonderen Wohnformen und eine problematische Kommunikation mit
angrenzenden Behörden wird vielfach von allen befragten Gruppen in den Einrichtun-
gen berichtet. So erfolgten aus Sicht der Fachkräfte auf Nachfragen der Einrichtungen
zu bestimmten Regelungen teilweise vermehrte Kontrollen oder wurde dann durch Ge-
sundheitsämter verstärkt Druck ausgeübt.
Im Alltagsgeschehen wurden nicht umsetzbare Regelungen und Konzepte vorgeschla-
gen:

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„Die Dame vom Gesundheitsamt hat erklärt, der eine solle den Wäschesack auf-
halten und der Kollege dann die kontaminierte Wäsche hineinstecken. Das Prob-
lem ist, es gibt keinen Kollegen. Man ist einfach alleine gewesen. Das Konzept geht
nicht auf.“
MITARBEITERIN 3, E1
Aus den Reihen der Angehörigen wird zwar Verständnis für die Lage des Fachperso-
nals geäußert, dennoch bleibt die Kritik, dass die Betreuungsqualität tangiert sei.
„Arztbesuche und Therapiebesuche wurden nicht genügend gefördert. Auf Grund
der Überlastung des Personals wurde verständlicherweise so manches überse-
hen.“
MUTTER BY
Es entsteht – so meinen Angehörige - ein Teufelskreis: Therapien entfallen, der Frust
unter den Bewohnerinnen und Bewohnern steigt und damit erneut die Belastung des
Personals. Letztlich sind Qualitätsmängel durch fehlende Ressourcen vorprogram-
miert:
„Ausfallen der notwendigen Therapien (Krankengymnastik, Schwimmen, Logopä-
die), Aggression einzelner Bewohner durch das ständige Zusammensein mit den
gleichen Personen. Unsere Tochter war in einen Sturz verwickelt und verlor zwei
Schneidezähne. Das Personal äußerte sich sehr vage über den Hergang, um keine
Haftung einzugehen. Die Bewohner hatten keine Möglichkeiten, Energie / Wut /
Aggression auszuleben.“
MUTTER BY
Nachdem sie selbst eine Coronainfektion überstanden haben, berichten Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter von möglichen Langzeitfolgen (Erschöpfung, Müdigkeit), um die
sie sich Gedanken machen. Sorge besteht auch, weil man keine physische Distanz
halten konnte, etwa bei der Durchführung von Tests.
„Da wurde dann losgehustet, man steht da einen halben Meter davor, weil man
einen Test in der Hand hat. (…) da liegt echt meine Sorge“.
MITARBEITERIN 2, E7
Im Prinzip sehen sich die Fachkräfte auch unter den Geschützten, es wird aber be-
zweifelt, dass ein dauerhafter Schutz gelingen kann.
„Aber ich weiß nicht, ob man sich über so viele Stunden, wenn man dann auch
einen Doppeldienst macht, permanent schützen kann.“
MITARBEITERIN 3, E7
Immer Distanz zu wahren scheint schwierig bis ausgeschlossen.
Aus Anbietersicht wird dringend eine Aufwertung der Fachlichkeit und des Fachperso-
nals sowie dessen Aufstockung gefordert. Ebenso strikt wird eine erneute rigide Isola-
tion der Bewohnerinnen und Bewohner abgelehnt.
Von Behörden (Gesundheitsämtern sowie FQA: Fachstelle für Pflege und Behinder-
teneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht, früher Heimaufsicht) erwartet
man mehr und verlässlichere Kommunikation, von der allgemeinen medizinischen Ver-
sorgung bessere Kenntnisse im Umgang mit den Menschen mit jeweiligen Beeinträch-
tigungen und eine professionellere Versorgung. Entsprechende Forderungen richten
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sich an Politik und zugeordnete Behörden auf allen Handlungsebenen. Es geht um


mehr Klarheit und Beständigkeit, Wertschätzung und Bezahlung sowie Verantwor-
tungsbewusstsein.
Da Gesundheit immer in Zusammenhängen steht – wie auch generell das Ziel einer
inklusiven Gesellschaft – müssen in verschiedenen Fragestellungen Bezüge herge-
stellt werden, die das Verhalten von Personen und Gruppen zu Gesundheits- und Teil-
habezielen sowie gesundheits- und teilhabeförderliche Verhältnisse auf den Prüfstand
stellen. Dies ist kein einfaches Verfahren und schließt Prävention ein. Denn Gesund-
heits- und Teilhaberisiken sollten vermieden werden. Dies erfordert eine Dauerauf-
merksamkeit für Chancen auf Gesundheit und Teilhabe in der gesamten Lebens-
spanne, in allen Lebenslagen und an allen Orten des Lebens. Selbst das Wohnen
beschränkt sich nicht alleine auf Nahräume (Häuslichkeit, kommunale Ebene), son-
dern steht in Bezug zu Umgebungen (auf regionaler und nationaler Ebene) und sogar
zu globalen nachhaltigen Zielen für Gesundheit und gleichberechtigte Teilhabe an der
Gesellschaft.
Entsprechende Ziele können nur über einen Mehr-Ebenen-Zugang verfolgt werden, zu
dem die Wissenschaft einen Teil beitragen kann (zitiert aus Wacker et al. 2022 | im
Erscheinen). Es geht um die Wechselbeziehungen von Gesundheit, Teilhabechancen
und Diskriminierungsrisiken, denen man mit einer Politik der Aufmerksamkeit sowie
intersektionalen und partizipativen Aktionsplänen begegnen sollte. Hier genügen Da-
tensammlungen keineswegs, wie auch die UN mahnen:

„We should never forget that behind Wir sollten nie vergessen, dass hinter je-
every piece of statistical data are hu- dem statistischen Datenmaterial Menschen
man beings who were born free and stehen, die frei und gleich an Würde und
equal in dignity and rights. We must Rechten geboren wurden. Wir müssen uns
strive to make their human rights sto- bemühen, ihre Menschenrechtsgeschich-
ries, especially those of the power- ten, insbesondere die der Machtlosen,
less, visible through robust indicators durch robuste Indikatoren sichtbar zu ma-
and to use them in constantly improv- chen und sie zur ständigen Verbesserung
ing our human rights policies and im- unserer Menschenrechtspolitik und deren
plementation systems to bring posi- Implementierung zu nutzen, um das Leben
tive change to people’s lives“ der Menschen positiv zu verändern.
High Commissioner for Human Rights (Übersetzung der Verfasserinnen)
(Pillay 2012; United Nations 2012)
Die Wissenschaft steht hierbei nicht alleine. Zu den entsprechenden Zielen, ein Leben
mit Wohlergehen und Wohlbefinden zu gewährleisten, bekennt sich auch die Bundes-
regierung (2018) und bekräftigt so die Zukunftsziele der Vereinten Nationen aus dem
Jahr 2016 für die Bundesrepublik. Die Konkretisierung gilt überall, also ebenso in be-
sonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe, auch wenn sich Folgen sozialer Un-
gleichheit nicht vollständig abfedern lassen, weil freie und gleiche Handlungsräume
nicht für alle gleichermaßen verfügbar sind.

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Im Licht dieser Erkenntnis erarbeitete im Jahr 2019 eine Gruppe aus Gesundheitsfach-
leuten im Zukunftsforum Public Health am RKI ein Zukunftspapier. Es enthält Leitplan-
ken zur Planung und Umsetzung der Gesundheitsförderung in Deutschland (Geene et
al. 2019). Als Überschrift wählten sie „Health in All Policies“ (HiaP) (siehe Kapitel 6.8).
Vor allem wird ein ganzheitlicher Ansatz vorgeschlagen, der auch die sozialen Rah-
menbedingungen von Gesundheit beachtet. Gesundheit und Teilhabe treffen sich in
einem Gesamtplan.
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verfolgt analoge Ziele. Die Reformbestrebungen
zum SGB IX Rehabilitation und Teilhabe und der angewandten Eingliederungshilfe im
SGB XII Sozialhilfe (insbes. Eingliederungshilfe) manifestierten sich über die men-
schenrechtlichen Anforderungen der UN-BRK. Durch Reformen soll für Menschen mit
Behinderung mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglicht werden. Über ihre Leis-
tungsansprüche sollen sie ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt
und eigenverantwortlich wahrnehmen können (§ 90 SGB IX). Theoretisch werden nun
Hilfearten getrennt nach
 persönlicher Unterstützung, die eine bestimmte Person wegen einer Beein-
trächtigung benötigt (also eine Fachleistung wie die persönliche Assistenz) und
in
 Unterstützung zum Lebensunterhalt, beispielsweise für Nahrungsmittel und
Wohnen.
Menschen mit Beeinträchtigungen sollen mit diesen Hilfen ihr Leben so gestalten kön-
nen, wie sie es wollen, also z. B. die für sie passende Wohnform wählen, ohne dass
nach ambulanten oder stationären Wohnangeboten unterschieden wird. Die Entschei-
dungsräume sollen wachsen und über ein Teilhabeplanverfahren sollen alle Leistungs-
träger sowie Nutzerinnen und Nutzer ihre Unterstützung abstimmen können (sog. „Ge-
samtplan“; s. Tempelmann et al. 2019: 300).
Im gesamten Feld der Eingliederungshilfe ist damit für das teilhabeorientierte Engage-
ment und die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Sektoren der Gesund-
heitssorge, Prävention und Rehabilitation der Weg gebahnt. Dies entspricht dem Zu-
schnitt des neuen Bundesteilhabegesetzes: Menschen mit Beeinträchtigungen und
Behinderung soll die volle Teilhabe in allen Bereichen für eine selbstbestimmte Le-
bensführung ermöglicht werden.
Dies kann nur gelingen mit angemessener teilhabeorientierte Gesundheitssorge in der
Eingliederungshilfe (s. Abbildung 6.2).

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Abbildung 6.2: Gesundheit vor Teilhabe? Das Henne oder Ei-Problem

Henne oder Ei? [0.1]

Gesundheit Teilhabe
[0.1] https://www.con-sentio.de/2019/12/16/blog-9-was-gab-es-zuerst-die-henne-oder-das-ei-wechsel-
wirkungen-zwischen-menschen/
Quelle: Eigene Darstellung
Trotz komplexer Zusammenhänge gilt es daher nun, die Gunst der Stunde zu nutzen,
die die Coronapandemie als „Türöffner“ herbeigeführt hat und dabei die Orientierung
an den Bedarfen und Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzern der Wohneinrichtun-
gen und des Fachpersonals nicht außer Acht zu lassen.

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7 Ausblick: Zur Teilhabe nichts Neues? Gesundheit trifft


Teilhabechancen
Wohnen in Gesundheit, in besonderen Wohnformen und während der Coronapande-
mie, ist ein Zukunftsthema, auch wenn die pandemischen Rahmungen keineswegs
überwunden oder gar Vergangenheit sind. Die Aufgabe einer Auseinandersetzung
bleibt somit erhalten. Die W OGE 2020-Studie bietet zugleich mehr als Momentaufnah-
men, sie blickt hinter die Kulissen der Gegenwart und untermauert Planungen zu zu-
künftiger Gleichstellung und Teilhabe bei der Gesundheitssorge.
 Was trägt zur Orientierung bei?
Seit der Ottawa-Charta weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO 1986) im Zusam-
menhang mit Gesundheit auf die Teilhabeerfordernisse hin. Bezogen auf die Bewoh-
nerinnen und Bewohner der Eingliederungshilfe bedeutet dies, Menschen mit Beein-
trächtigungen spielen eine wichtige Rolle als Expertinnen und Experten in eigener Sa-
che, ihr Alltagswissen kann wesentlich beitragen zu Wohlergehen und Wohlbefinden.
Ihnen mit Wertschätzung zu begegnen tritt auch unter Pandemiebedingungen nicht
außer Kraft. Also gilt es nun und weiterhin, Teilhabe und Gesundheit partizipativ unter
den Bedingungen der Coronapandemie in Einklang zu bringen, was kein leichtes Un-
terfangen ist.
 Wie kann man vorgehen?
Aus der Welt der Technik ist ein Verfahren bekannt, das auch unter nicht vollständig
kontrollierbaren Umständen, Sicherheit erhöhen kann. Durch kontrollierte Durchlässig-
keit soll größtmögliche Verfahrenssicherheit erreicht werden: das sogenannte Swiss
Cheese-Modell. Es könnte sich auch bei den komplexen Rahmenbedingungen von
gemeinschaftlicher Unterbringung mit pandemiebedingten Gesundheitsrisiken als hilf-
reich erweisen.
Einerseits geht es nämlich um das Recht aller Bürgerinnen und Bürger auf Schutz der
Gesundheit, das trotz hohem Rang während einer Pandemie in ein Spannungsverhält-
nis gerät zwischen Freiheits- und Selbstbestimmungsrechten und medizinisch emp-
fohlenen Vorsorge- und Versorgungsmaßnahmen. Andererseits müssen Lösungen
gesucht und ausgehandelt werden, um Risiken auch in den besonderen Wohneinrich-
tungen zu kontrollieren.
Behinderung macht nicht gleich. Auch deswegen muss das gemeinschaftliche Woh-
nen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe viele Facetten von Individualität zulassen.
In diesem Ausblick der Studie W OGE 2020 wird dies nach drei Aspekten von Gesund-
heit und Teilhabe bedacht, deren Einklang ein Qualitätsziel sein kann. Es geht um den
Bezug auf
 individuelle Verantwortung (personal factors),
 gemeinsame Verantwortung (social factors) und
 Umsetzungsmöglichkeiten, besonders in den Kontextbedingungen (environ-
mental factors), wie Regulationen, Wissen, Umwelt, Technik (entsprechend
ICF, nach WHO 2001).

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So könnten mögliche Risiken dreifach gefunden und abgeschätzt sowie durch kombi-
nierte Schutzmaßnahmen moderiert werden, je nach Umsetzbarkeit und Wirksamkeit
einzelner Elemente (Kartoglu et al. 2020). Da jede Schutzmaßnahme Schwachpunkte
und Grenzen hat („Löcher im Käse“), sollen durch einen gleichzeitigen Einsatz ver-
schiedener Maßnahmen (Schichtmodell) Durchlässigkeiten verringert werden.
Grundvoraussetzung dafür ist die möglichst solide Kenntnis der Eigenschaften und
Verbreitungsformen von SARS-CoV-2, verbunden mit den Möglichkeiten in den jewei-
ligen Settings und der Bereitschaft sowie Möglichkeit aller relevanten Personengrup-
pen, um die ergriffenen / vorgeschriebenen Maßnahmen zu unterstützen. Zu diesen
detaillierten Wissensbeständen nach Interessensgruppen trägt die WOGE 2020-Studie
differenziertes und hochaktuelles konkretes Wissen bei.
Gestützt auf das beispielsweise in riskanten Arbeitsumgebungen wie Laboren oder
Öltankern bewährte Risikomanagement („safety-oriented cultural mindset“) im Stil des
Swiss Cheese-Modells wäre es einen Versuch wert, die akuten Pandemieerfahrungen
mit einem schon länger in an Prozessqualität ausgerichteten Verfahren im Drei-Fakto-
ren-Bezug zu bearbeiten (Grohowski 2018) und so Zukunftskompetenz aufzubauen.
Das auf den gewonnenen Studienergebnissen basierende Sachwissen kann dazu die-
nen, die Schichten des „Swiss Cheese“-Modells mit Inhalten zu unterlegen. Kurz und
knapp ist dies hier zur weiteren Diskussion in den Sparten „BEMERKENS- UND BEDEN-
KENSWERTES“ summiert, der ICF folgend in „personal factors“ (s. Kapitel 7.1), „social
factors“ (s. Kapitel 7.2) und „environmental factors“ (s. Kapitel 7.3) untergliedert.
Insgesamt ist es vermutlich möglich, die bekannten Risiken der Coronapandemie mit
geeigneten setting- oder zielgruppenspezifischen Kenntnissen zu reduzieren (s. Kapi-
tel 7.4). Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei an sich auf alle Umstände, unter denen
Menschen zusammenkommen: beispielsweise auf die Fortbewegung in öffentlichen
Verkehrsmitteln ebenso wie auf Arbeitsplatzsituationen, Bildungssysteme, Religions-
ausübung oder Freizeitveranstaltungen. Beim Wohnen kommt es zudem auf den Alltag
von Individuen an. Es geht um den eigentlichen Lebensmittelpunkt, in dem soziale
Kontakte und Kontextfaktoren unterschiedliche Bedeutung und Qualität haben.

7.1 Individuelle Verantwortung – Singularitäten in der Pandemie - in Ge-


meinschaft
In der Coronapandemie sind Menschen in besonderer Weise auf sich gestellt, wo-
möglich sogar isoliert. Sie müssen alleine mit den neuen Risiken für ihre Gesundheit
umgehen. Ob sie sich ängstigen, zurückziehen oder nicht verloren geben, entscheiden
Personen in Leitungsverantwortung für sich, ebenso wie das Personal, die Angehöri-
gen und – wenn auch erheblich beeinflusst durch ihr Wohnumfeld und dessen Ausge-
staltung – auch die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohnformen.
Viele Teilaspekte dieses Umgangs mit den Gegebenheiten auf einer persönlichen
Ebene treten in der WOGE 2020-Feldstudie wie berichtet zutage.
Mit Singularität ist angesprochen, dass in einer einzigartigen Situation einer so noch
nicht erinnerten oder erfahrenen ungewöhnlichen Pandemie jede und jeder Einzelne

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für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022

Verhalten zeigen kann und muss, in Form eines isolierten Punktes, einer sehr persön-
lichen Lebensäußerung, also in der menschlichen Einzigartigkeit.
In sozialwissenschaftlichen Diskursen ist als Profil der Gegenwart von einer Gesell-
schaft der Singularitäten die Rede, also einer Menge Einzelner, die sich als Originale
präsentieren durch ein Leben mit unverwechselbaren Erlebnissammlungen (Reckwitz
2017), um so in der Gemeinschaft die knappen Güter Aufmerksamkeit und Anerken-
nung zu gewinnen. Die Schattenseite, „die im Dunklen“, sind dann Personen, denen
zur Selbstinszenierung Ressource und Gelegenheit fehlen, die keine „follower“ oder
Fans haben, deren Erfahrungsraum kaum der Rede wert scheint, deren Lebensent-
wurf bescheiden anmutet, die keine Erwartungen wecken, die untergebracht, aber
nicht eingebunden sind.
Ihnen aufmerksam zu begegnen, mahnt die UN-BRK, im menschenrechtlich getrage-
nen Diskurs, bezogen auf Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderung. Dies
gilt für den persönlichen Alltag (Mikroebene), den Umgang mit und das Gebaren von
Institutionen und Organisationen
(Mesoebene), ebenso wie im Kontext
BEMERKENS- UND BEDENKENSWERTES – von Gesetzgebungen und anderen
PERSONAL FACTORS
politischen, wirtschaftlichen oder so-
zialen Handlungsfeldern (Makro-
ebene). Isolation und Exklusion ver-
1. Einsamkeit ist nicht gewünscht oder bieten Menschenrechte und Grund-
gewollt. gesetz gleichermaßen. Dennoch zie-
2. Verantwortung darf unterstützt, aber hen sich auch durch den gesamten
soll nicht weggenommen werden. Dritten Teilhabebericht der Bundes-
3. Zufriedenheit ist kein Freibrief. regierung datenbasierte Hinweise
4. Schutz ist nicht gleich Wegschließen. darauf, dass Menschen mit Beein-
trächtigungen häufiger eine Diskre-
5. Risikopersonen auszuschließen ist
panz zwischen gewünschter und tat-
keine gerechte Lösung. sächlicher Teilhabe erleben (BMAS
6. Eine zukunftsorientierte Eingliede- 2021). Sie können im Nahbereich
rungshilfe tritt assistierend ein, ohne weniger Freundschaften pflegen, ha-
zu enteignen. ben brüchigere soziale Netzwerke,
7. Schwache Leistungsstrukturen för- sind weniger im Austausch mit ande-
dern keine Inklusion. ren Menschen. So verstärkt sich ein
8. Überanstrengte Ämter und Fach- allgemeines Risiko dieser Zeit, näm-
kräfte zielen nicht auf Empowerment, lich allein zu sein, ohne dies zu wün-
sondern wählen den Ausschluss der schen oder sich damit wohl zu füh-
len. Diese Tendenzen treten in der
vulnerablen „Schutzbefohlenen“ zu
Pandemie weiter und in großem Um-
deren Besten. fang zutage. Dies bestätigt sich so-
9. Gefährdungsbeurteilungen sind kom- wohl im Grundsatz des Single-Da-
plex; Einschluss ist keine Lösung. seins, als auch in der pandemiebe-
dingten Ausformung der Vereinze-
lung klar in der W OGE 2020-Studie.
Menschen in besonderen Wohnangeboten sind auf erhebliche Assistenzleistungen
angewiesen. Das dafür eingesetzte Fachpersonal ist qualifiziert, motiviert und in der
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Pandemie chronisch überfordert. Abstand ist oft nicht möglich, Risiken müssen einge-
gangen oder das Aufgabenfeld verlassen werden. „Quiet quitting“ findet statt, der laut-
lose Rückzug aus dem Beruf, in die Krankheit oder in Dokumentationsaufgaben, be-
feuert durch die gesellschaftliche Verweigerung von Sichtbarkeit und Anerkennung ei-
ner im Alltag bewährten Expertise und deren angemessener Entlohnung. Ein radikaler
Ausstieg kann zugleich auch Selbstschutz sein, wenn Assistenzpersonen durch den
Kontakt mit infizierten Personen gefährdet oder eingeschränkt (quarantänepflichtig)
werden und darüber hinaus Dritte (etwa privat nahestehende Personen) ungewollt ein-
bezogen sind.
Lösungsmöglichkeiten werden zugleich auch in der W OGE 2020-Studie erwähnt und
können weiterentwickelt werden (siehe Kasten 7.1). Ein mögliches Schutzschild ist die
auf Gemeinschaft gerichtete, gebündelte Aufmerksamkeit, die Wege aus einer schwie-
rigen Ausgangslage deutlich macht, die auch in geteilter Verantwortung liegen. Ent-
sprechende Chancen und Begrenzungen beschreibt eine Leitungsperson in der Feld-
studie so:
 „Vieles war möglich und umsetzbar, was vor der Pandemie nicht vorstellbar war;
Bewohnerinnen und Bewohner zeigten Kompetenzen und Verantwortung die
vielen nicht zugetraut wurde; der Zusammenhalt in der Einrichtung war gerade
zu Beginn der Pandemie sehr groß; die Solidarität vieler Mitarbeitender war be-
eindruckend; die Auswirkungen auf die Arbeitssituation der MA war massiv
(FFP2-Masken durchgehend im Dienst tragen), erhebliche Flexibilität bei der
DP-Gestaltung war gefordert; in einer Einrichtung unserer Größe bedeutet die
Umsetzung der Schutzmaßnahmen enorme Einschränkungen für die Bewoh-
nerinnen und Bewohner bzw. Mitarbeitenden“ (ID_68).

7.2 Geteilte Verantwortung – ist Mut machen möglich?


Gemeinschaftsunterkünfte sind eine Wohnform, die gewählt oder zugewiesen wird.
Die Selbstverwirklichung dort unterliegt besonderen Umständen, vor allem in mehr-
heitlich nicht selbst gewählten Gemeinschaften. Diese sollten zumindest ein festes,
praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl teilen können, um die beschriebenen Exklu-
sions- und Isolationsrisiken zu reduzieren oder aufzuheben und um die Voraussetzun-
gen für Wohlbefinden zu steigern. Das wäre ein Schritt zum Königsweg mit Teilhabe.
Die Pandemie zeigt hier Grenzen auf und erzeugt weiteren Druck, während und weil
nun auch die räumliche Zusammengehörigkeit alternativlos scheint. Wunsch- und
Wahlrechte verschwinden unter der faktischen Alltagslast.
 Was kann entlasten?
Insgesamt ist auch aus wissenschaftlicher Sicht das Wissen zur Pandemie, ihren Ri-
siken und der erforderlichen Achtsamkeit für spezifische Bevölkerungsgruppen weiter-
hin diffus, während an Mahnungen und Warnungen aus vielen Richtungen eher kein
Mangel herrscht. Hier kann die vorliegende WOGE 2020-Studie (wie in diesem ersten
Bericht aufgezeigt) Aufklärungsarbeit leisten. Information und Kommunikation haben
Schutzschildpotenzial.

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Infektionsketten, riskante Orte (wie geschlossene Räume) und Handlungen (wie Spre-
chen, Singen, Schreien oder schwer Atmen, etwa bei sportlicher Anstrengung oder
beim Chorsingen) und Hygienemaßnahmen vieler Art sind vermutlich relevant. Der
Verzicht darauf führt unter Umständen zugleich zu gestörten Alltagsroutinen, Einsam-
keit, Reizbarkeit, Zukunftsängsten, Schlafstörungen, aber auch zu Chancen für soziale
Solidarisierung und Resilienz (u. a. Habermann-Horstmeier 2020). Kreative Lösungen
wurden gefunden, teilweise beibehalten und haben sich auch bewährt, wie Treffen im
digitalen Raum oder im Freien. Aber dieses Gelingen ist voraussetzungsreich. Es be-
darf der entsprechenden Ausstattung, Assistenz und Bereitschaft zur Umsetzung.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit o-
BEMERKENS- UND BEDENKENSWERTES – der Besuchsbegrenzungen schrän-
ken soziale Bedürfnisse und Sozial-
SOCIAL FACTORS
kontakte erheblich ein und limitieren
selbstbestimmte Aktivitäten des tägli-
10. Gruppen sind mögliche Stressoren chen Lebens, wenn Assistenz ande-
und Heilmittel. rer nicht möglich wird. Hier werden in
11. Kontaktbeschränkungen sind folgen- der W OGE 2020-Studie vor allem kri-
reiche Maßnahmen, also sehr zu- tische Stimmen laut, die definitiv
rückhaltend einzusetzen. diese Schutzformen für weniger ge-
12. Shielding (Abschirmung / Exklusion) eignet halten, es sei denn in akuten
spezifischen Situationen. Das Über-
kann keine nachhaltige Lösung sein.
denken und Beenden wird von allen
13. Besondere Bedingungen von Nähe beteiligten Gruppen dringend emp-
und Distanz sind auszuhandeln. fohlen, Fürsprache findet sich nicht.
14. Selbstverwirklichung in Gemein- Auch nicht unter der sich generell
schaft fördert Wohlbefinden. weitgehend zufrieden äußernden Be-
15. Im Gruppenbezug entstehen auch wohnerschaft. Abschirmung ist bes-
(neue) Inklusionschancen. tenfalls eine akute Schutzmaß-
16. Prävention vor Gesundheitsrisiken nahme.
muss partizipativ und erfahrungsba- Im Zusammenspiel zwischen Assis-
siert hergestellt und weiterentwickelt tenzpersonen und Menschen mit Un-
werden. terstützungsbedarf sind Lösungen
17. Angebote müssen flexibiler und des Umgangs miteinander noch aus-
passgenauer werden. zuhandeln, Risiken sind auch wech-
18. Psychosoziale Unterstützung und selseitig. Es geht um Schutz vor In-
fektion, aber auch vor Isolation und
wachsende Gesundheitskompetenz
möglicher Gewalt bzw. Übergriffen.
erhöhen Teilhabechancen in der Ein-
Auch das unkontrollierbare Verhalten
gliederungshilfe. im Privatleben und die Verlässlichkeit
der Leistungen sind relevante The-
menfelder, die reflektiert werden
müssen.
Vor der Pandemie und gefördert
durch die Umgestaltung besonderer Wohnformen wurden entsprechende kommunika-
tive Prozesse (auch personbezogen) eingeleitet, sind aber unter dem Druck der
Coronaauseinandersetzungen in den Hintergrund geraten.
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Im Meinungsbild kristallisieren sich auch neue Ideen für Gesundheitsverhalten heraus,


Freiräume für Gesundheitsförderung werden ebenso entdeckt wie generelle Ent-
schleunigungselemente gewünscht, entwickelt und erprobt. Die Gesundheitskompe-
tenz in der Eingliederungshilfe wächst und bezieht dabei multiperspektivisch Informa-
tionen mit in die Zukunftsplanung ein.
Muster werden deutlich, die sich auch in der W OGE 2020-Studie nachweisen lassen:
Angebote werden ausgesetzt, erneuert, angepasst, ergänzt. Es scheint also möglich,
Leistungsstrukturen zu verändern. Auch die psychosozialen Bedürfnisse spielen eine
größere Rolle, weil hier Unterstützung eine unmittelbare Wirkung auf Teilhabechancen
entfalten kann. Falsch verstandene Fürsorge gerät hingegen in klare Kritik, wie u. a.
von der Leitungsebene artikuliert wird und sich als Plädoyer fürs Mut machen (em-
powerment) deuten lässt:
 Überstülpende Fürsorge ist nicht wertschätzend.“ (ID_67)
Das meint umgekehrt: Zutrauende Assistenz dient Gesundheits- und Teilhabezielen.

7.3 Teilhabe passgenau in Kontexten verwirklichen - Kurskorrekturen mit


Regulationen, Wissen, Umwelt und Technik
Gemeinschaft zu verwirklichen gelingt nicht im isolierten Raum. Einerseits scheinen
Lebenspläne, aus der Zeit vor der Pandemie überholt, konkrete Planungen für eine
Zeit danach problematisch. Sie nicht zu entwickeln, sondern einfach die Macht der
Dinge zu akzeptieren, wäre allerdings der Aufruf zu Überleben statt Leben, zu Still-
stand oder gar Rückschritt, zu Dienst nach Vorschrift mit Behinderung durch Fürsorge.
In der Feldstudie-W OGE 2020 findet man kaum Spuren entsprechender Kapitulations-
szenarien. Bilder einer „Bright Side of Participation“ erscheinen gleichwohl irreal, also
nicht mit der Realität vereinbar. Auch dies wird mit faktenbasiertem Blick kommuniziert.
Folgt man im Vergleich Befragungen aus Sachwaltersicht finden sich analoge Lage-
beschreibungen, aber auch Abweichungen. Die Deutsche Vereinigung für Rehabilita-
tion e. V. (DVfR) bietet die vermutlich umfassendste Studie aus der Praxis der Einglie-
derungshilfe an. Unter dem Titel „Teilhabe und Inklusion in Zeiten der SARS-CoV-2-
Pandemie – Auswirkungen und Herausforderungen“ werden Erfahrungen und Erwar-
tungen im Zusammenhang mit der Coronalage dargelegt sowie Herausforderungen
und Handlungsoptionen skizziert und eingeordnet (DVfR 2021a; DVfR 2021b). Die Da-
ten stammen aus einer Online-Erhebung durch das Zentrum für Sozialforschung Halle
e. V. im Jahr 2020. Sie werden ergänzt um Rückmeldungen aus einem parallel umge-
setzten Konsultationsprozess.
Als Ergebnis werden deutliche Einschränkungen der Gesundheitsversorgung für Men-
schen mit Beeinträchtigungen und Behinderung festgestellt, als besonders gefährdet
gelten chronisch psychisch kranke Menschen und Menschen mit komplexen Beein-
trächtigungen (DVfR 2021a: 19 und 37).

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Allerdings ist davon die Rede, dass


BEMERKENS- UND BEDENKENSWERTES – die Pandemie nun eine beste-
ENVIRONMENTAL FACTORS hende ungleiche Schutzsituation
für Menschen mit Beeinträchtigun-
gen aufdeckt, ebenso wie die ge-
19. Einschränkungen der Gesundheits- nerell besonders problematische
versorgung von Menschen mit Be- Gesundheitsversorgung für Men-
einträchtigung sind riskante Fakto- schen mit komplexen Beeinträchti-
ren. gungen. Auch das Spannungsver-
20. Besondere Wohnformen schützen hältnis zwischen Infektionsbe-
vor Ansteckungsrisiken. kämpfung und Teilhabesicherung
21. Gemeinschaftsunterkünfte sind Le- tritt in der W OGE 2020-Studie deut-
bensorte. lich zutage.
22. Analogien zur Altenhilfe und Pflege In die Debatten um den Kurs bei
sind ungeklärt, aber oft entschei- der Pandemiebekämpfung bringt
dungsprägend. sich auch das Deutsche Institut für
23. Anordnungen von Behörden zum In- Menschenrechte (2021) mit klaren
fektionsschutz treffen auf unklare Gleichstellungsforderungen zu-
gunsten von Menschen mit Beein-
Grenzen der Selbstbestimmung.
trächtigungen ein. Es mahnt, men-
24. Unterschiede durch die BTHG Neu-
schenrechtliche Standards nicht
ordnung der besonderen Wohnfor- aufzuheben, sondern die Zugäng-
men geraten in der Pandemie aus lichkeit aller Dienste und Einrich-
dem Sichtfeld. tungen zu garantieren, Sicherheit
25. Gesellschaftliche Beachtung gilt als und Schutz zu gewährleisten, wie
Schutzschild. auch die Versorgung mit Schutz-
26. Digitale Ausstattungen und Formate materialien und Impfungen für die
verbessern die Kommunikation und behinderten Menschen sowie für
Information. Sie sollen ihren Platz in unterstützende und pflegende As-
sistenzpersonen und Angehörige.
den besonderen Wohneinrichtungen
Zudem seien (Menschen-)Rechts-
behalten.
verletzungen wie Vernachlässi-
27. Technik stützt neue Partizipationsfor- gung, unrechtmäßige Isolierung,
men (Apps, Computerausstattungen, Zwang und Gewalt zu verhindern,
Videokonferenzen). Zugang zu intensivmedizinischer
28. Soziale Determinanten von Gesund- Behandlung diskriminierungsfrei
heit und Diversitätsfaktoren müssen zu garantieren sowie Partizipation
systematisch beachtet werden. bei entsprechenden politischen
29. Aushandlungsprozesse auf Augen- Entscheidungsprozessen zu er-
höhe fördern Inklusion. möglichen.
30. Prävention stützt Gesundheit und Diesen Aufmerksamkeitspfaden
Teilhabe. folgt auch die W OGE 2020-Studie,
ohne zu verdecken, wie die Forde-
rungen in der Alltagswelt zu wider-
sprüchlichen Folgerungen leiten können. Insofern taugen sie wohl mehr als Eckpunkte
oder Leitplanken, als für konkrete Richtungsentscheidungen. Eine faktenbasierte,
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grundlegende, systematische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem sehr


breit gefächerten Personenkreis der Menschen mit Beeinträchtigungen im Lichte der
Pandemie steht daher weiter aus und ist dringend notwendig. Die WoGe 2020-Studie
bietet allerdings zumindest einen Beitrag im spezifischen Setting besonderer Wohn-
formen, auch wenn im Grundsatz weiter unklar bleibt, wie Gemeinschaftsunterkünfte
mit medizinisch-therapeutischen und pflegerischen Leistungen auszugestalten sind.
Auch das RKI und die Welt der Politik positionieren sich hier nicht klar, Alten- und
Pflegeeinrichtungen ebenso wie Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen
und Behinderung scheinen für sie ein wenig bekanntes und komplexes Gelände zu
sein. Ob es beispielsweise Differenzierungen geben muss zwischen der Alten-, Pflege-
oder Behindertenunterbringung mit Bezug zu SARS-Cov2 ist ebenso offen wie ob in
Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen die nun rechtlich und finanziell
getrennte Gestaltung von fachlichen Leistungen und Leistungen der Unterkunft mit
dem BTHG einen Unterschied macht. Dass eine Unterkunft in besonderen Wohnfor-
men der Eingliederungshilfe auch privaten Charakter hat und nicht nur eine Unterbrin-
gungsfunktion wird aber klarer. Mit Bezug zum Lebensmittelpunkt, Rückzugs- und
Schutzraum stehen auch Verlegungen, Zimmerbelegungen oder andere Anordnungen
in Frage, wenn sie Selbstbestimmungsrechte einschränken.
Infektionsschutzregelungen und freiheitseinschränkende Maßnahmen, Hygienepläne,
Zugangsbeschränkungen oder ähnliche Anordnungen erfolgen über Behörden. Eine
praktische und formal angemessene Umsetzung ist in der Pandemie zum Frage- oder
Experimentierfeld geworden, in dem Schutz- und Gefährdungselemente abgewogen
werden sollten.
Die Sorgen um eine Triage (Versorgungspriorisierungen nach Erfolgswahrscheinlich-
keit) wachsen bei Menschen mit Beeinträchtigungen. Unter dem Eindruck überlasteter
Gesundheitssysteme wurden entsprechende Verfahrensformen für den Fall einer
Überlast der klinischen Versorgung reflektiert (Zimmermann 2020). Menschen mit Be-
einträchtigungen führten Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen Überle-
gungen, Ärzte bei knappen intensivmedizinischen Behandlungsressourcen über den
Rang des Lebensrechts von Menschen mit Behinderung entscheiden zu lassen (Ex-
post-Triage) (Die Rehabilitation 2022, 61(5): 316). Faktisch wurde so erreicht, dass
entsprechende Schutzmaßnahmen gegen Diskriminierung getroffen werden müssen
(Poser 2022). Die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts er-
folgte am 10. November 2022 im Bundestag. Das Triage-Gesetz sieht nun vor, dass
in Fällen der Knappheit durch eine übertragbare Krankheit die Zuteilung medizinischer
Ressourcen (etwa in Krankenhäusern) nur aufgrund „der aktuellen und kurzfristigen
Überlebenswahrscheinlichkeit“ getroffen werden darf. Eine Benachteiligung wegen
Behinderung, Alter, Geschlecht oder Herkunft wird ausdrücklich untersagt. Dennoch
gibt es weiter besorgte Stimmen, die die genannten Kriterien nicht für geeignet halten,
Menschen mit Behinderung zu schützen (Deutsches Institut für Menschenrechte 2022).
In den besonderen Wohneinrichtungen wurden im Rahmen der WOGE 2020-Befra-
gung von keiner Seite Äußerungen zur Triage-Frage gemacht. Das trifft folglich auch
für die Frage zu, ob Bewohnerinnen und Bewohner in entsprechend politisch getra-
gene wesentliche Entscheidungsfindungen einbezogen werden sollten. Es bleibt da-

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hingestellt, ob nur den zu Hause lebenden Menschen mit erheblichen Beeinträchtigun-


gen und Unterstützungsbedarf unter Pandemiebedingungen droht, dass sie vergessen
werden, weil sie aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung verschwinden in ein unbe-
achtetes Sein. Aus wissenschaftlicher Perspektive wird Beachtung auch als Schutz-
schild verstanden, ebenso wie die Einbindung aller Menschen mit Beeinträchtigung in
Entscheidungsprozesse zur Pandemiebekämpfung und zum Gesundheitsschutz (Sap-
pok et al. 2020).
In der W OGE 2020-Studie wird sichtbar, dass in besonderen Wohnformen lebende äl-
tere Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderung dort oft sehr lange Phasen
ihres Lebens verbringen. Ihre sozialen Kontakte sind somit bereits erheblich mitgestal-
tet oder eingeschränkt über das Setting, das ihre Heimat geworden ist. Ob und inwie-
fern sie eine besonders schutzbedürfte Gruppe sind, ist noch ungeklärt, zumal sie sich
generell als sehr zufrieden mit ihren Lebensumständen äußern. Die Datenauswertung
der W OGE 2020-Studie zeigt hierzu, dass zwar viele besondere Risiken vorliegen, aber
eher nicht wahrgenommen oder verstanden werden, sondern gepaart sind mit dem
positiven Gefühl, sicher aufgehoben zu leben.
Abbildung 7.1: Abwägung riskanter Folgen und möglicher Chancen für Menschen mit Beein-
trächtigungen bei Corona („dark side and bright side of inclusion“)

Schutz vor
Ansteckung
(nach IfSG)

Diskriminie-
Gesundheits- rung und
risiken Schutz- und Gefähr- Fremd-
dungspotenziale – bestimmung

Health and Inclusion in


All Policies

Einsamkeit Isolation,
und Nicht-
Gewaltrisiken Beachtung

Quelle: Eigene Darstellung


Die besonderen Wohnformen als Zuflucht in Zeiten der Pandemie erfüllen somit wo-
möglich eine wichtige Aufgabe gut: Sie schützen vor Ansteckung und unterstützen im
Erkrankungsfall, zumindest bis an die Grenze der externen Gesundheits- oder Kran-
kenhausversorgung. Aus dem untersuchten Feld werden relativ wenige Coronainfek-
tionen mit eher moderaten Verläufen berichtet. Im Erkrankungsfall setzt sich die Ein-

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richtung für eine angemessene, auch pflegerische und soziale Betreuung mit allen ver-
fügbaren Mitteln ein. Diese „bright side of inclusion“ wird allerdings gesichert um den
Preis einer „dark side“, nämlich des chronisch überlasteten Fachpersonals und einer
bleibenden weitreichenden Fremdbestimmung.
Die Einrichtungen der Eingliederungshilfe (hier: die besonderen Wohnformen) benöti-
gen daher dringend Unterstützung, um ihre Gesundheitssorge aufrecht zu erhalten
und dennoch ihre zurückgestellten Aufgaben der Eingliederungshilfe wiederaufzuneh-
men.
Solche Lageeinschätzungen stehen im Einklang mit dem Bericht der Berufsgenossen-
schaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) zur Corona-Pandemie
(BGW 2021). Die Aussagen basieren auf zehn offen geführten Einzelinterviews, teil-
weise in digitaler Form, sowie drei leitfadenbasierten Gruppendiskussionen (teilweise
in Präsenz, teilweise online) (BGW 2021: 19). Als Rehabilitationsträgerin verdeutlicht
die BGW, wie die pandemiebedingte starke Reduktion des sozialen Lebens (beispiels-
weise über Betretungsverbote) die Arbeit sozialer Dienste insgesamt tangieren oder
phasenweise stoppen konnte.
Gegen den drohenden Ausfall sozialer Dienste hat das BMAS mit dem „Gesetz über
den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus
SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag“ (Sozialdienstleis-
ter-Einsatzgesetz – SodEG) vom 27. März 2020 einen finanziellen Auffangmechanis-
mus installiert, der aber in der Behindertenhilfe nur teilweise zum Tragen kam (BGW
2021: 12). Im Bereich des Wohnens finden sich minimale indirekte Effekte (etwa durch
Personalverlagerungen zur Entlastung der erforderlichen 24/7-Dienste). Gegen den
besonderen Druck im verdichteten Alltag bei personenbezogenen in der Lebenswelt
Wohnen eingesetzten Diensten während der Pandemie wurden keine nennenswerten
Entlastungen bekannt. Vielmehr gingen phasenweise alle Aufgaben der Tagesstruk-
tur, Interaktion und Kommunikation, neben den Hygiene- und Pflegeaufgaben, voll-
ständig in die besonderen Wohnformen über. Auch Unterstützungen aus dem Kreis
der Angehörigen oder gesetzlichen Betreuung wurden ausgeschlossen. Da Tages-
struktur, Freizeit, Arbeitsleben, Feste und Besuche gleichzeitig wegfielen wuchs die
Konfliktneigung (BGW 2021: 30f), wie auch die W OGE 2020-Studie bestätigt. In Folge
wurde vor allem auf personenzentrierte und mit Assistenzen erbrachte Angebote ver-
zichtet. Alle Aktivitäten fielen zurück an die Wohnanbieter, von der Beratung über die
Gesundheitsversorgung und Interessensvertretung bis zu den Fahrdiensten.
Das Fachpersonal fühlt sich entsprechend erheblich belastet und überlastet (durch
Mehrarbeit, Überstunden und unklare bzw. widersprüchliche Kommunikationen), aber
auch durch seine Position als Puffer zwischen Leitungsanweisungen, Assistenzerfor-
dernissen und Unverständnis der Alltagsgestaltungen bei Bewohnerinnen und Bewoh-
nern ebenso wie bei den Angehörigen. Dass paradoxerweise auch gute Gründe für
Regelungen kommuniziert werden müssen, die selbst nicht verstanden werden,
kommt erschwerend hinzu.
Im unbekannten Terrain waren und sind auch Einrichtungsleitungen gefragt, die Fi-
nanzlücken schließen müssen und Zusagen geben in neuen oder aufwachsenden In-
vestitionsfeldern, wie für Desinfektionsmittel, Masken oder Selbsttests. In W OGE 2020

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wird von Einrichtungen berichtet, Mittel, die an sich zur Freizeitstrukturierung vorgese-
hen waren, für diese Schutzzwecke zu nutzen.
Der Einsatz digitaler Kommunikationen im Alltag gewinnt seit Corona-Schutzbeginn an
Bedeutung, bei den Fachdiensten, die sich nicht mehr zu Übergaben oder Fachge-
sprächen physisch treffen konnten, aber auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern
selbst. Im Verlauf der Pandemieerfahrungen wuchsen die entsprechende Bereitschaft,
Befähigung und technische Ausstattung. Diese Entwicklung wird durchweg als sehr
hilfreich und entlastend wahrgenommen. Der Sektor der digitalen Kommunikation ver-
spricht daher nachhaltig in der besonderen Wohnform Einzug zu halten und zu bleiben.
Es gewinnt den Stellenwert einer (weiteren neuen) partizipativen Lebensweise, die
aber passgenau je nach Assistenzbedarf und Beeinträchtigungsformen begleitet wer-
den muss.
Infektionsschutz ermöglicht und verhindert. Mit dem Gesetz zur Verhütung und Be-
kämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)
vom Ende des Jahres 2020 ist ein Schutzschild gegen übertragbare Krankheiten ge-
formt, das der Übertragung vorbeugen, Infektionen frühzeitig erkennbar machen und
Weiterverbreitungen verhindern soll (§ 1 IfSG). Dies gelingt in den besonderen
Wohneinrichtungen weitgehend, wie die WOGE 2020-Studie bestätigt, aber Teilha-
bechancen bleiben auf der Strecke und Diskriminierungsrisiken wachsen.
Die Politik versucht unter außergewöhnlichen Umständen die Gesellschaft zu stabili-
sieren, ihre Mitglieder zu schützen und deren Zusammenhalt aufrecht zu erhalten. Da-
bei geraten mittel- und langfristige Effekte sowie marginalisierte Bevölkerungsgruppen
eher in den Hintergrund. Ein Verfahren, das systematisch soziale Determinanten von
Gesundheit und entsprechende Risikogruppen bei Entscheidungen mitbedenkt, wird
zwar von der Wissenschaft empfohlen, ist aber bisher nicht in die Entscheidungspro-
zesse mit Abwägung von Schutz und Risiken eingebunden (Rangel et al. 2020). So
tangieren gerade grundrechtseinschränkende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pan-
demie (nach § 28a IfSG) auch die Schutzschilde der eher „übersehenen Bevölkerungs-
gruppen“ in besonderer Weise, ohne weitere spezifische Wahrnehmungen von Seiten
der Politik. Versammlungslimitierungen, Ausgangsbeschränkungen, Besuchsverbote,
Begleitungsverbote in die Krankenhäuser bis zur vollständigen Isolation einzelner Per-
sonen oder Personengruppen prägten den Alltag in der Pandemie lange Zeit und in
großem Umfang auch in den besonderen Wohnformen. Dies bewirkt Einschränkungen
der Freiheiten der Lebensführung, die in manchen Fällen bis zur Gegenwart beibehal-
ten werden, obwohl sich allgemeine Gefährdungslagen verändern. Auch dies belegt
die W OGE 2020-Studie auf der erhobenen Datenbasis.
Ein tendenzielles Beharren bei einschränkenden Maßnahmen auf der Leitungsebene
mag auch über eine gewisse Erschöpfung eingetreten sein, aus der Erfahrung der –
kaum zu vermittelnden – langdauernden Umgestaltung des Alltags heraus. Dem hofft
man zu entkommen, indem Regularien einfach fortgesetzt werden. Dies trifft sich zu-
gleich mit den Interessen der Gesundheitsbehörden, die solche Fälle der „Über-Für-
sorge“ nicht verfolgen oder anmahnen, obwohl allseits bekannt ist, dass notwendige
Schutzmaßnahmen nur für befristete Zeiträume zulässig sind, niemals aber das Aus-
maß eines Freiheitsentzugs annehmen dürfen (indem sie tatsächlich und rechtlich an

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sich gegebene Bewegungsfreiheit – und damit Teilhabe - nach jeder Richtung aufhe-
ben).
Der über Impfungen mögliche Schutz wurde – wie Daten der W OGE 2020-Studie be-
kräftigen – in den besonderen Wohnformen fast vollständig erreicht, jedenfalls erheb-
lich über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Es kam weniger zu Debatten der Corona-
Impfverordnung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) vom De-
zember 2020 wegen der Reihenfolgen der Gefährdungen, denn Bewohnerinnen und
Bewohner von Heimen sowie deren Pflegekräfte, ebenso wie Personen mit Vorerkran-
kungen gelangten unabhängig vom Alter in priorisierte Verteilungsstufen als beson-
ders sensible und verletzliche Gruppen.
Dies war eine positive Diskriminierung im Vergleich zur Lage der Menschen mit Behin-
derung, die nicht in Einrichtungen leben. Diese wurden nämlich zunächst nicht berück-
sichtigt, unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf, weil man annahm, dass die
Nähe bei Gemeinschaftsunterkünften an sich ein Risiko sei. Dennoch wurden auch
Strategien der Kontaktreduzierung legitimiert und realisiert (z. B. Isolation in Einzel-
zimmern, räumliche Trennung im Alltag, spezielle Personalzuweisung), begleitet von
Schutzwänden, Schutzanzügen oder verpflichtenden Mund-Nase-Bedeckungen.
Diese unklare Abwägungslage dauert an, auch wenn seit März 2022 u. a. für im Ge-
sundheitswesen Tätige eine Impfpflicht besteht. So differenzieren sich die ohnehin
vielfachen Herausforderungen bei der Organisation der benötigten Unterstützung um
Sorgen wegen unkontrollierbarer, womöglich riskanter Nähe oder plötzlichem Ausfall
der Unterstützungsperson/en (beispielsweise wegen Infektion, Quarantäne oder man-
gels Impfbereitschaft). Zur Klärung solch struktureller Kernkonflikte in Gefährdungsla-
gen fehlen weiterhin breiter angelegte wissenschaftliche Studien in und mit der Praxis.
Isolationsmaßnahmen wurden durch Testungen begleitet, die gemäß der „Verordnung
zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Testungen für den Nachweis
des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ auch für „betreute
Menschen in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe“ auf Kosten des Ge-
sundheitsfonds ermöglicht wurden. Wie in der W OGE 2020-Studie erfasst werden
konnte, haben sich entsprechende präventive Verfahren nach anfänglichen Unsicher-
heiten, wem die Testaufgabe zugewiesen werden sollte, nun im Alltag verankert.
Auch die Schutzausrüstungen gegen Infektionsrisiken waren - verglichen mit den Per-
sonen mit Beeinträchtigungen in ambulanter oder familiärer Unterstützung – in den
besonderen Einrichtungen schneller und umfassender verfügbar und in Gebrauch.
Dennoch wurden Ausgangssperren bisweilen zögerlich aufgehoben und Besuche nur
eingeschränkt wieder zugelassen.
Daraus lässt sich ableiten, dass die besonderen Wohnformen mit ihren Schutzaufga-
ben in der Krise insgesamt bemerkenswert gut so zurechtgekommen sind, dass hier
keine über die grundlegenden Gefährdungen hinausreichenden Risikolagen beobach-
tet werden können: Das Schutzsystem wurde weitgehend – auch improvisiert – wirk-
sam realisiert und die damit verbundenen Aufgaben auch zur gemeinsamen Zufrie-
denheit bewältigt. Die während dieser Erfahrung erkennbaren besonderen Mängel der
Leistungen zeigen sich aber im Feld der Teilhabeentwicklung, hier fällt zugleich die
Zukunftsplanung eher schwer.

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7.4 Teilhabeerneuerung im Übergang


Wie finden sich Wege, um mit den sich überschneidenden Schutz- und Gefährdungs-
lagen in den besonderen Wohnformen umzugehen und die Zukunft zu gestalten?
Die Erneuerung der Daseinssorge mit Teilhabezielen in allen Handlungsfeldern – auch
dem der Gesundheitsversorgung und -förderung – passt als Leitidee, wie sich aus der
WOGE 2020-Feldstudie ableiten lässt. Teilhabewandlungen korrespondieren einer
Welt des Übergangs, die die Eingliederungshilfe aktuell mit Veränderungen herausfor-
dert, unabhängig von der Pandemie. Wandlungen unterstützen die Aufgaben, sich ab-
zulösen von einem Menschenbild, das die Rechte der Einzelnen wenig wertschätzt,
und stattdessen auf Reformen sozialer Leistungsstrukturen vorrangig aus Organisati-
onssicht drängt, aber die Entfaltung der Selbstbestimmung und der vielfältigen indivi-
duellen Entwicklungsmöglichkeiten eher wenig achtet.
Der Wunsch nach neuen Gestaltungsmitteln und -wegen wird seit langem in der mit
Behinderung befassten Fachwelt diskutiert. Die Erschütterungen und Exklusionen in
der Pandemie geben hierzu ein weiteres erfahrungsbasiertes Signal zum Aufbruch.
Voraussichtlich wird es zu einem Mehrwege-Modell kommen. Denn Mehrstimmigkeit
muss mehr und mehr möglich und willkommen geheißen werden. Sie ist Ressource
und nicht Risikofaktor. Auch dies ist eine Erfahrung, gestützt auf die multiperspektivi-
sche Ausrichtung der Feldstudie-W OGE 2020. Neue Erfordernisse und Aufgaben zei-
gen sich in der Information und Kommunikation, der Alltagsgestaltung, dem Nutzen
praktischen Könnens in einem digitalen Zeitalter sowie in der Besinnung auf alte Werte
der Chancengerechtigkeit und Menschenrechte in Verschiedenheit. Im coronagetrie-
benen Brückenschlag zwischen Erfahrung und Erwartung können sich entsprechende
Ideen manifestieren.
Die Entscheidung über den Einsatz und Fortbestand von Schutzmaßnahmen ist kom-
plex und intersektional. Sie kann eventuell umso besser gelingen, je mehr behördliche
Anordnungen in verständliche Sprache übersetzt und auch kommuniziert werden. Bei
der Information für die Menschen mit Beeinträchtigungen sind große Defizite erkenn-
bar. Das wird von allen Beteiligten der W OGE 2020-Expertinnen- und Expertenbefra-
gungen unterstrichen, aber ebenso in der Alltagswirkung deutlich. Denn viele der Re-
gularien werden von Bewohnerinnen und Bewohnern bislang nicht wahrgenommen
oder verstanden. Auch in der digitalen Welt gibt es kaum die erforderlichen Informati-
onsquellen. Weder sind in den Medien entsprechende Kommunikationen zu
Coronalage und -maßnahmen in ausreichendem Maß barrierefrei zugänglich, noch
gibt es Zeitressourcen für entsprechend assistierende Kommunikationen. Dies ist be-
sonders bedauerlich, weil die Bewohnerinnen und Bewohner der besonderen Wohn-
formen gemäß W OGE 2020-Daten zu einem nennenswerten Teil tatsächlich täglich
stundenlang „on“ sind (meist in traditionellen Medien wie TV oder Rundfunk).
Im Grundsatz verbirgt sich hinter dieser verminderten Einbeziehung aber ein wichtiges
kulturelles Grundproblem: Menschen mit Beeinträchtigungen werden vor allem als
passive Empfängerinnen und Empfänger von Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen
gesehen und weniger als Bürgerinnen und Bürger, also auch als Verhandlungspartne-
rinnen und -partner für gesellschaftlich relevante Regularien und Gestaltungsprozesse.
Auch hier sind die Leistungsanbieter selbst derzeit noch in einem Umdenkungsprozess,
der im Rahmen der Pandemieaufgaben eher ins Stocken geraten ist.
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Es würde helfen, wenn die Erfahrungen und Wissensbestände aller Beteiligten bezo-
gen auf die Spannungsverhältnisse von Gesundheit und Teilhabe weiterwachsen und
sich dabei wissensbasiert klare Verbindungsstrukturen in den Entscheidungs- und Ge-
staltungswegen etablieren.
Eine systematische und kritische Betrachtung aller Maßnahmen im Hinblick darauf, ob
sie sich für Menschen mit Beeinträchtigungen negativer auswirken können als für die
als nicht-beeinträchtigt geltende Mehrheit der Gesellschaft (Disability Mainstreaming)
sollte zugleich vorliegende Ideen, Maßnahmen und Lernprozesse neu bewertbar und
nutzbar machen, mit der Gründlichkeit und so umfassend, wie Infektionsrisiken dekla-
riert und Schutzmaßnahmen realisiert worden sind.
Gesundheit als soziales Menschenrecht ist in Art. 12 des Internationalen Pakts für so-
ziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte verbürgt. Besonders verpflichtet ist der
Staat jedoch dem Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG, also dem Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit.

(2) 1 Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche


Unversehrtheit. 2 Die Freiheit der Person ist unver-
letzlich. 3 In diese Rechte darf nur auf Grund eines
Gesetzes eingegriffen werden. (Art. 2 Abs. 2 GG)

Hier treffen also das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf die unver-
letzliche Freiheit der Person. Gleiches gilt auch im Hinblick auf Bürgerinnen und Bürger,
die nicht aus eigener Kraft im Rahmen der ihnen gegebenen Vorrausetzungen für ihre
Lebensvollzüge (Bedarfe und Bedürfnisse) den Erhalt und die (Wieder-)Herstellung
ihrer Gesundheit sichern können. Dies geht in der Regel weit über medizinische Ver-
sorgung hinaus.
Vorbedingung für all dies ist eine bestehende und allen zugängliche Gesundheitsver-
sorgung (HiAP: Health in All Policies) (Geene et al. 2019; Huster 2012: 24ff.). So wird
auch das ungleiche Risiko von älteren und jüngeren, gesundheitlich beeinträchtigten
und nicht beeinträchtigten Menschen und ein ggf. erhöhtes Schutzbedürfnis berück-
sichtigt. Die entsprechende Gesundheitspolitik, die auch Prävention im Sinne von Vor-
sorge einbezieht, ist Teil der staatlichen Gestaltungsaufgaben.
Bislang liegen kaum aktuelle Studien zur Präventionslage bezogen auf Menschen mit
Beeinträchtigungen und Behinderung vor. Eine wissenschaftliche Studie (Tempel-
mann et al. 2020; Tempelmann et al. 2019) zur Evaluation in den besonderen Wohn-
formen der Pflege und der Eingliederungshilfe wurde im Auftrag des Bundesministeri-
ums für Gesundheit (BMG) durchgeführt. Sie richtet das Augenmerk ebenso auf Be-
wohnerinnen und Bewohner wie auf das Personal. Aus den Felderkundungen sollte
ein Qualitätssicherungskonzept (Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsför-
derung, kurz: QualiPEP) entstehen, unter Federführung der Bundes-AOK gemeinsam
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erarbeitet (zum „Gesamtplan“ Tempelmann et al. 2019: 300). In einer qualitativen Teil-
studie wurden dazu Vorkommen und Bewertung präventiver Maßnahmen in Einrich-
tungen der Eingliederungshilfe erkundet (Bootz / Wacker 2019; Wacker / Bootz 2019),
mit etwa 100 persönlichen Interviews aus Einrichtungen der Eingliederungshilfe und
etwa 50 Personen aus dem Fachpersonal im Betreuungsdienst in Fokusgruppen
(Bootz / Wacker 2021a; Bootz / Wacker 2021b). Beide Gruppierungen konnten – vor
der Coronapandemie – persönlich befragt werden, die Studie bietet also eine qualita-
tive Momentaufnahme für die Wahrnehmung von Gesundheit, Teilhabechancen und
Diskriminierungsrisiken.
Im ersten Vergleich mit den bisherigen W OGE 2020-Ergebnissen der Schnellauswer-
tung und den Erkenntnissen der Präventionsstudie vor der Coronazeit lässt sich ver-
muten, dass manche Problemfelder in den besonderen Wohnformen der Eingliede-
rungshilfe nicht nur wegen Corona bestehen. In der auf Daten aus dem Jahr 2019
beruhenden Präventionsstudie erwähnen beispielsweise aktive Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sie seien verglichen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern eher vernach-
lässigt:
„Also ich bin der Meinung, dass was Gesundheit, Prävention und Vorsorge angeht,
sind meine Bewohner besser versorgt als ich selbst“ (FOKUSGRUPPE 9 | PERSONAL).
Und tatsächlich finden sich im Bereich der Eingliederungshilfe überdurchschnittlich
viele Krankheitstage, auch durch besondere psychische Herausforderungen sowie Ne-
beneffekte wie besondere Ansteckungsgefahren:
„Wir haben teilweise einen hohen Krankenstand. Sei es durch psychische Belas-
tung, sei es durch gesundheitliche (…). Wir achten dann auf uns gesundheitlich, so
gut es geht, dann kommt aber ein erkrankter Bewohner, der Schneeball ist da, das
geht dann durch die Einrichtung durch, dann erkrankt der Kollege von der Schicht,
wo sich ansteckt bei einem Kunden“ (FOKUSGRUPPE 12 | PERSONAL).
Es wird davon gesprochen, dass ohne eine intakte Psychohygiene „das ganze Karten-
haus“ zusammenstürze. Die Beschäftigten sehen sich in einem „Teufelskreis“. So tan-
gieren beispielsweise psychische Herausforderungen die Ernährung, Bewegung und
auch das (Aus-)Ruhen, gepaart mit Stressoren wie Wochenenddiensten und Schicht-
arbeit. Um Abstand zum Beruf wird (oft vergeblich) gerungen, also abschalten zu kön-
nen, Pausen einzurichten. Auch der Mangel an Anerkennung kommt zur Sprache,
ebenso wie die – im Berufsbild eingewobene – Schwierigkeit von Nähe und Distanz.
Denn das Verantwortungsbewusstsein ist groß:
„Wir sind halt einfach am Leben dran …“ (FOKUSGRUPPE 4 | PERSONAL).
Es ist also denkbar, dass sich die Belastungen aus der Coronazeit zu einer ohnehin
bereits schwer belasteten Arbeitssituation addieren, die aber u. a. durch Prävention
mit der Zeit gemildert werden könnte.
Der Gesetzgeber hat auf die Corona-Pandemie auch mit Erweiterungen der Präventi-
onsleistungen im SGB V reagiert:4 Diese Leistungen müssen nämlich nicht nur Viren

4§ 20i SGB V (Leistungen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten) wurde im Laufe der Jahre 2020
und 2021 angepasst.
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beziehungsweise Ansteckungsrisiken und Epidemien bekämpfen, sondern vor allem


auch Gesundheitsungleichheiten zwischen sozialen Gruppen abbauen, weil Chancen
auf ein gesundes und zufriedenes Leben (well-being) für alle Bevölkerungsgruppen in
ihrer Verschiedenheit zu garantieren sind. Dafür lohnt sich die Suche nach partizipati-
ven, menschlicher Verschiedenheit verpflichteten Formaten, die sich als gemeinschaft-
liche Anstrengung um passende Infrastrukturen und Anerkennungsverhältnisse bemü-
hen, eingebunden in kommunale Gegebenheiten. Entsprechende Ansätze verfolgt
auch eine Forschergruppe der Universität Ottawa, die rät, bei den Planungen und Maß-
nahmen zur Bekämpfung des Coronavirus die sozialen Rahmenbedingungen für ein
gesundes Leben (social determinants of health) unbedingt in Betracht zu ziehen (Ran-
gel et al. 2020).
Dies alles gilt an sich unabhängig von der Pandemielage. Die in deren Verlauf aufge-
deckten Versorgungslücken können jedoch Hinweise geben für eine zukünftig bessere
Gesundheitsversorgung, die auch Risiken sozialer Ungleichheit, Ungerechtigkeit und
Unterstützung berücksichtigt. Der Transfer dieser Einschätzungen in eine verbesserte
Zukunftsplanung und -entwicklung zugunsten der Gesundheitssorge und Teilhabeför-
derung kann auf Basis dieser ersten Auswertung nicht weiter erläutert werden, steht
somit ebenfalls noch aus.
In einer umfassenderen abschließenden Auswertung der W OGE 2020-Daten könnten
– wie oben angedacht - auch Vergleichsdaten aus der in paralleler Fragestellung er-
fassten Lagebeschreibung zur Gesundheitssorge in Einrichtungen der Eingliederungs-
hilfe erfolgen, damit das erinnerte „zu Beginn, während und zukünftig“ wissenschafts-
basiert eine weitere Basis erhält.

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8.3 Abkürzungen
ABBo Angehörigen- und Betreuungs-Bogen | Strukturierter Fragebogen
zur Erfassung von coronabedingten Auswirkungen und Entwicklun-
gen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe aus Sicht der Ange-
hörigen bzw. Gesetzlichen Betreuung (in besonderen Wohnfor-
men)
AK Arbeitskreis
BeBo Bewohnerinnen und Bewohner Bogen | Fragebogen zur Selbst-
auskunft der Bewohnerinnen und Bewohner
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGW Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrts-
pflege
BMAS Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
BMG Bundesministerium für Gesundheit
bspw. beispielsweise
BTHG Bundesteilhabegesetz

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W OGE 2020 - Wohnen in Gesundheit | Die Coronapandemie in besonderen Wohnformen
für Menschen mit Behinderung // Schlussbericht | Wacker / Ferschl Stand: Oktober 2022

COVID-19 englisch coronavirus disease 2019; deutsch Coronavirus-Krank-


heit-2019
DIMDI Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Informa-
tion
DP Dienstplan
DVfR Deutsche Vereinigung für Rehabilitation
etc. et cetera | deutsch und so weiter
FaFo Fachpersonal-Fokusgruppen mit Leitfaden
FQA Fachstelle für Pflege und Behinderteneinrichtungen – Qualitäts-
entwicklung und Aufsicht
FFP2 FFP, Englischen für Filtering Face Piece (partikelfiltrierende Halb-
maske). FFP2-Maske; ursprünglich eine professionelle Schutz-
maske aus dem Handwerk | „Staubschutzmaske“
HiAP Health in All Policies
ICF International Classification of Functioning, Disability and Health
IfSG Infektionsschutzgesetz
LeBo Leitungsbogen: Fragebogen zur Erfassung von coronabedingten
Auswirkungen und Entwicklungen in Einrichtungen der Eingliede-
rungshilfe (besonderen Wohnformen)
MA Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter
MNS Mund-Nasen-Schutz
MRSA Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (Art von Bakterien)
N Größe der Grundgesamtheit
n Anzahl der Merkmalsausprägungen
PCR-Test polymerase chain reaction-Test; ein Standardverfahren in der Di-
agnostik von Viren
proxy englisch proxy „Stellvertreter“; eine Person, die vermittelt
PSA Persönliche Schutzausrüstung
RKI Robert Koch-Institut
s. siehe
S. Seite
SDG Sustainable Developement Goals
SARS-CoV-2 severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2
SGB IX Neuntes Buch (IX) - Sozialgesetzbuch
SGB XII Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe
SoSci soSci-Survey // https://www.soscisurvey.de: Befragungssystem |
SoSci Survey"; gesprochen "sou-sie"
s. u. siehe unten
u. a. unter anderem, unter anderen
UN-BRK Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderun-
gen (UN-Behindertenrechtskonvention)
WfbM Werkstatt für behinderte Menschen
WhatsApp 2009 in Kalifornien gegründetes Unternehmen; der Name ist ein
Wortspiel: WhatsApp klingt nach englisch „What’s up?“ („Was ist
los?“, „Was geht?“) und enthält das Kürzel App (Applikation, „An-
wendung“).
WHO World Health Organization
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WOGE 2020 Wohnen in Gesundheit 2020


Z. B. zum Beispiel

8.4 Abbildungen
Seite
Studiendesign und Methoden
1.1 Forschungsdesign der WOGE 2020-Feldstudie 10
1.2 Von einer Einrichtung entwickelter Aufklärungsbogen für die Bewoh- 13
nerinnen und Bewohner (anonymisiert)
1.3 Chronologie der W OGE 2020-Studie im Überblick 13
Bewohnerinnen- und Bewohnerperspektive
2.1 Geschlecht der Befragten 16
2.2 Beziehungsstatus der Befragten 16
2.3 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand nach Geschlecht [männlich 17
(m), weiblich (w), divers (d)]
2.4 Wohnwünsche - „Möchten Sie lieber woanders wohnen?“ (Angaben 22
in %)
2.5 Zimmergebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihr Zimmer 25
zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.6 Wohngruppengebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre 25
Wohngruppe zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.7 Wohnheimgebote – „War es Ihnen wegen Corona verboten, Ihre 25
Wohneinrichtung zu verlassen?“ (Angaben in %)
2.8 Veränderung der Zufriedenheit mit den Angeboten durch Corona (An- 32
gaben in %)
2.9 Erkrankung am Coronavirus nach Geschlecht (Angaben in %) 34
2.10 Impfstatus – „Wurden Sie gegen Corona geimpft?“ (Angaben in %) 36
2.11 Zufriedenheit mit der Arbeit insgesamt (Angaben in %) 38
2.12 Notwendige Unterstützung bei Dingen rund um die Arbeit (Angaben in 39
%)
2.13 Veränderung der Mitbestimmung in der Wohnsituation durch Corona 41
(Angaben in %)
2.14 Diskriminierungserfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %) 44
2.15 Gewalterfahrungen – Täterinnen und Täter (Angaben in %) 45

Leitungsperspektive
3.1 Lage der befragten Einrichtungen 50
3.2 Funktion der Auskunftsperson 50
3.3 Größe der Einrichtung 51
3.4 Förderschwerpunkte der Einrichtung 51
3.5 Anzahl der Mitarbeitenden (in Vollzeit umgerechnet) 52
3.6 Aushänge zu aktuellen Hygienevorgaben – zu Beginn der Pandemie 57
3.7 Aushänge zu aktuellen Hygienevorgaben – zum Befragungszeitpunkt 57
3.8 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung – zu Beginn 57
der Pandemie
3.9 Einschränkungen der Kontakte innerhalb der Einrichtung – zum Be- 57
fragungszeitpunkt
3.10 Einschränkung auf Einzelzimmernutzung – zu Beginn der Pandemie 58
3.11 Einschränkung auf Einzelzimmernutzung – zum Befragungszeitpunkt 58

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3.12 Einschränkung der gemeinsamen Mahlzeiten – zu Beginn der Pande- 59


mie
3.13 Einschränkung der gemeinsamen Mahlzeiten – zum Befragungszeit- 59
punkt
3.14 Einschränkung der Begegnung in der freien Zeit – zu Beginn der Pan- 59
demie
3.15 Einschränkung der Begegnung in der freien Zeit – zum Befragungs- 59
zeitpunkt
3.16 Einschränkung der Tätigkeit in den Werkstätten – zu Beginn der Pan- 60
demie
3.17 Einschränkung der Tätigkeit in den Werkstätten – zum Befragungs- 60
zeitpunkt
3.18 Einschränkung der privaten Besuche – zu Beginn der Pandemie 60
3.19 Einschränkung der privaten Besuche – zum Befragungszeitpunkt 60
3.20 Einschränkung der Arzt- / und Therapiebesuche – zu Beginn der Pan- 61
demie
3.21 Einschränkung der Arzt- / und Therapiebesuche – zum Befragungs- 61
zeitpunkt
3.22 Verbote, die Einrichtung zu verlassen – zu Beginn der Pandemie 62
3.23 Verbote, die Einrichtung zu verlassen – zum Befragungszeitpunkt 62
3.24 Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten verlassen – zu Beginn 62
der Pandemie
3.25 Verbote, die Einrichtung zu bestimmten Zeiten verlassen – zum Be- 62
fragungszeitpunkt
3.26 Regelmäßige Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen 63
– zu Beginn der Pandemie
3.27 Regelmäßige Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen 63
– zum Befragungszeitpunkt
3.28 Regelmäßige Schulung von Personal – zu Beginn der Pandemie 63
3.29 Regelmäßige Schulung von Personal – zum Befragungszeitpunkt 63
3.30 Umsetzung der Schutzmaßnahmen für und durch die Bewohnerinnen 65
und Bewohner im Überblick
3.31 Wahrgenommene Zusammenarbeit des Personals mit den Angehöri- 69
gen der Bewohnerinnen und Bewohner
3.32 Verstandene Zusammenarbeit des Personals mit den Angehörigen 69
der Bewohnerinnen und Bewohner
3.33 Umgesetzte Zusammenarbeit des Personals mit den Angehörigen der 70
Bewohnerinnen und Bewohner
3.34 Angehörigenkontakte der Bewohnerinnen und Bewohner seit Pande- 71
miebeginn
3.35 Kontakte der Gesetzlichen Betreuungen zu Bewohnerinnen und Be- 71
wohner seit Pandemiebeginn
3.36 Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner seit Pandemiebe- 72
ginn

Angehörigenperspektive
5.1 Beziehung zwischen der bzw. dem Befragten und der Bewohnerin 96
bzw. dem Bewohner
5.2 Aktive Einbindung der Angehörigen in die Versorgung der Bewohne- 97
rin oder des Bewohners
5.3 Vollständiger Impfschutz der Person, die in der Einrichtung lebt 98
5.4 Einschätzung der Gesundheitsrisiken zu verschiedenen Zeitpunkten 99
in Prozentangaben
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Zusammenschau und Intersektionen


6.1 Offener Brief von Bewohnerinnen und Bewohnern an ihr Gesundheits- 110
amt
6.2 Gesundheit vor Teilhabe? Das Henne oder Ei-Problem 119

Teilhabechancen
7.1 Abwägung riskanter Folgen und möglicher Chancen für Menschen mit 131
Beeinträchtigungen bei Corona („dark side and bright side of inclusion“)

8.5 Tabellen
Seite
Bewohnerinnen- und Bewohnerperspektive
2.1 Häufigkeiten der Beeinträchtigungsformen der Bewohnerinnen und Be- 19
wohner
2.2 Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen 31
2.3 Beschäftigungsstatus der Befragten (Angaben in %) 38
2.4 Diskriminierungserfahrungen I „Wurden Sie schon einmal benachteiligt 43
oder schlecht behandelt, …“ (Angaben in %)
2.5 Diskriminierungserfahrungen II – „Wurden Sie aufgrund Ihrer Beein- 43
trächtigung schon einmal…“ (Angaben in %)
2.6 Gewalterfahrungen „Wurden Sie schon einmal gegen ihren Willen …“ 44
(Angaben in %)

Leitungsperspektive
3.1 Notfallpläne für Bewohnerinnen und Bewohner 55
3.2 Notfallpläne für das Personal 55
Zusammenschau und Intersektionen
6.1 Grundsatzfragen und Richtungsweisungen 103
6.2 Grundmaßstäbe und Operationalisierungen 104

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