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John Rawls: Gerechtigkeit als Fairness

B/ SITUATION IN DER BUNDESREPUBLIK 2017:


• Situation der schwächsten gesellschaftlichen Glieder (Alte, Schwache):
→Alters-/Kinderarmut, gesetzliches Rentenniveau um 18%; Hartz
IV: 351€/Monat→>6mio Betroffene
→Vorurteile: Unterhaltungselektronik/Betäubungsdrogen >
Grundbedürfnisbefriedigung→Gutscheine statt Geld?
•13% Arme
•Problem: Migranten und Bildung
•Bildung: Benachteiligung von Nichtakademikerkindern und
Migranten
•Lohndumping: Leiharbeiter verdienen bis zu 40% weniger als
Festangestellte Kollegen
•Gehalt: untere Gruppen bekommen 14% weniger als vor
JahrenBesserverdienter: 10% mehr; Männer>Frauen; ganz unten
(Hartz IV) sind alle gleich
•Steuern: obere 25% zahlen fast 80% der Einkommenssteuern

→ Wie kann man „objektive Gerechtigkeit“ bei der Verteilung


von Grundgütern, Freiheiten und Chancen als Grundlage für
staatliche Gesetzgebung und gesellschaftliche Ordnung
herstellen?

→ Gedankenexperiment:
→ aus: John Rawls: „Theorie der Gerechtigkeit“ (1971)
→Bedingung: faires Verfahren → Schleier sorgt für Unparteilichkeit

Annahme von RAWLS: Gewählt werden folgende Grundregeln:

1) FREIHEITSPRINZIP
(Grundlage: nicht knappe, immaterielle Güter)
= Alle bekommen: Gleiche Rechte und möglichst viele
Freiheiten
• Grundrechte: Bewegungsfreiheit, Eigentum, Rede- und
Wahlfreiheit, Diskriminierungsverbot

2) DIFFERENZPRINZIP
(Grundlage: knappe materielle Güter)
a) Toleranz von sozialen und wirtschaftlichen
Ungleichheiten nur dann, wenn diese allen (auch den
Schwächsten) zu Gute kommen = Maximin-Regel
(→maximiert das Minimum und hilft damit den
Schlechtestgestellten)

B/ Kiste 1: 1000€ oder 100€. Kiste 2: 500€ oder 300€


→Maximin-Wahl auf Kiste 2 (300>100)

b) Positionen und Ämter der Bessergestellten müssen


prinzipiell allen offen stehen
→ Chancengleichheit
→ jeder muss es nach oben schaffen können

! Freiheitsprinzip hat immer Vorrang gegenüber Differenzprinzip !


Jetzt nochmal im Detail: John Rawls: GERECHTIGKEIT DURCH
imaginierten VERTRAG (KONTRAKTUALISMUS)

Ausgangslage:
• Güterknappheit → Interessenskonflikt bei Güterverteilung
● Mensch ist durch Zufälligkeiten teilweise bestimmt (B/ Wo und wann
wird er geboren?) und er ist verwundbar (= vulnerabel)
→Vertrag (= Kontrakt) zur fairen Festlegung der Güterverteilung

• Unvermeidbare Interessenskonflikte (Konkurrenz um mäßig knappe,


gleich begehrte Ressourcen = "Grundgüter"
→Konflikte / Kooperation zu gegenseitigem Vorteil
→Gesellschaft = Zweckgemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen) →
gemeinsame Respektierung eines Regelsystems

GRUNDGÜTER=Annahme: jeder vernünftige Mensch will möglichst


viel davon haben→B/ Rechte, Freiheiten, Chancen, Einkommen,
Vermögen...

• Inhalt des Vertrags: Prinzipien der Gerechtigkeit→Ziel: Aufbau


einer GRUNDSTRUKTUR daraus
→Annahme eines hypothetischen Urzustands ("Vor-Gesellschaft"), da
tatsächlicher Vertrag nicht vorliegt
→Bedingung: Konsens jeder rationalen Person

GERECHTIGKEIT BETRIFFT DISTRIBUTION VON


GRUNDGÜTERN

VERTRAGSBEDINGUNGEN: (= Formale Gerechtigkeit)


• GENERALITÄT (FÜR ALLE GÜLTIG)→Annahme: alle
Gesellschaftsmitglieder sind aktiv und vollständig kooperierend
(Achtung: kein globaler Bezug!)
• Universalität (uneingeschränkt)
• Öffentlichkeit→Inhalt muss allen Vertragspartnern gänzlich
bekannt sein
• hierarchische Ordnung
• Endgültigkeit→"pacta sund servanda" →Verlässlichkeit, Stabilität
• freiwillige, rationale Zustimmung aller (Konsens)

PROBLEM:
• Ungerechtigkeit durch Pluralismus→Positionen, Lebensentwürfe,
Werte, Religionen...
LÖSUNG: ADÄQUATSHEITSTEST VON GERECHTIGKEIT DURCH
"Veil of Ignorance" (Schleier des Nichtwissens)

→Egalisierung von Unterschieden→Konstruiertes


Informationsdefizit→vgl. Augenbinde der Justitia (→"Blinde"
Gerechtigkeit)
→Konstruktion eines unparteiischen Zustands  Hobbes:
Naturzustand als realistische Zustandsbeschreibung
URZUSTAND (RAWLS→"original position") vgl. Kants kategorischer
Imp.→keine Neigungen verschleiern rationalen Blick→Aussortierung des
Materialen

URZUSTAND = SACHKENNTNIS JA - ABER UNKENNTNIS VON:


• Selbst (Geschlecht, Job/Einkommen, soziale Stellung,
Vorlieben/Abneigungen, Fertigkeiten, körperlich/geistige Anlagen,
gesellschaftlichen Status, eigene Fähigkeiten
(psychisch/physisch/intellektuell), Lebenspläne...)→personenbezogene
Unkenntnis, aber...
• grundliegende allgemeine Welt-/Gesellschaftskenntnisse

→ leidenschaftslose Verarbeitung aller vorhandenen Informationen

ZU GRUNDE LIEGENDES MENSCHENBILD:


● Der Mensch ist vulnerabel (verletzlich)
• jeder Mensch hat Überzeugungen ("beliefs"→subjektive Weltsicht) und
Präferenzen (ideale Weltsicht, wie sie sein sollte)
• alle gleich, jeder hat Veto-Recht
• rational→"Homo Oeconomicus"
• frei
• egozentrisch→ aber kein Unterschied zu den anderen dadurch, dass
es anderen auch so geht → ausschließliches Interesse am Eigenwohl →
kein Altruismus
• Nutzenmaximierer→ausschließlich handlungsleitende Maxime→gutes
Leben > Moral
• Risikovermeider (→MAXIMIN-Prinzip)
• kein Neid
• Gerechtigkeitssinn → Konsensprinzip als Maßvorgabe der
Gerechtigkeit
• Mensch als eigenständiges Individuum  Kommunitarismus:
Gemeinschaft als wesentlich prägend für Individuum (Kultur, Tradition,
Sprache)

B/ Du findest, Männer sollten mehr Rechte haben als Frauen? Gerne,


aber willst du das auch noch, wenn du selbst eine Frau bist?
ERGEBNIS der Überlegungen im "Veil of ignorance":
PRINZIPIEN DER GERECHTIGKEIT (principles of
justice)=ERGEBNIS DES HYPOTHETISCHEN VERTRAGS
= oberste VERFASSUNGSGRUNDSÄTZE

1) FREIHEITSPRINZIP (liberty principle→LIBERALISMUS): alle sind


gleich
→unveräußerliche Grundfreiheiten, verträglich mit denen der anderen
→Rechte/Pflichtenzuweisung
•Prinzipien:
→Gleichheit
→Umfassendheit
→Kompatibilität→B/ PressefreiheitPrivatsphäre→Freiheiten sollen
kompatibel sein
→Freiheitsprinzip ist rational, denn: Viel Freiheit verhilft zu vielen
Rechten und die zu vielen Grundgütern; kein Interesse an ungleichen
Rechten, da man selbst betroffen sein könnte
• Freiheit als Basis von Einigung→als nicht knappes immaterielles
Gut für jedermann (egalitäre Verteilung) vor Verteilung knapper
materieller Güter

FREIHEITEN: (=Bürger/Staatsbürgerrechte)
• Religionsfreiheit, das aktive und passive Wahlrecht (politische
Partizipation), die Gewissens-, Gedanken-, Rede- und
Versammlungsfreiheit, die Freiheit des Eigentums, Gesetzesherrschaft,
also Gleichbehandlung, Rückwirkungsverbot, Schutz vor staatlicher
Willkür, fundamentale Menschenrechte
→B/ aktives/passives Wahlrecht, freie Meinungsäußerung,
Versammlungsrecht, Eigentum, Gewissensfreiheit, Abwehrrecht gegen
willkürliche Verhaftung
→individuelle Freiheit > Gemeinwohl

2) PRINZIP DER RECHTFERTIGUNG VON UNGLEICHHEITEN


(BEZUG: knappe soziale und wirtschaftliche (MATERIELLE)
GRUNDGÜTER

Grundsatz: soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu


gestalten, dass
a. sie jedermann zum Vorteil dienen
b. mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die allen offen
stehen

→ so gleich wie möglich, so ungleich wie nötig!


→ökonomisch→B/ Vermögen, Einkommen
→sozial→Ansehen, Macht als soziale Grundlagen der
Selbstachtung)
→nötig, da durch Produktionssteigerung Grundgütervermehrung
möglich ist und somit Ungleichheiten folgen: (→ solange sie dem
Schwächsten nützen und seine Situation verbessern, ist Ungleichheit der
Gleichheit vorzuziehen)

2a) DIFFERENZPRIZNIP: Von Ungleichheit müssen alle profitieren


(zu jedermanns Vorteil!)
= SPARGRUNDSATZ; SOZIALSTAATSIDEE: beste Mindestversorgung
> nach oben offener Wohlstand→"BRÜDERLICHKEIT"
• am wenigsten Begünstigter muss größtmöglichen Vorteil haben
→wenn Reicher reicher wird, muss auch der Arme reicher werden
(Annahme Rawls: Sukzessive Fortpflanzung der Besserstellung durch
alle sozialen Schichten), weil Benachteiligungen von Natur aus gegeben
sind (Intelligenz, Gesundheit, Millieu...) und damit ungerecht sind
→können auch Angehörige einer fernen Generation
sein→Zukunftsorientierung!
→Rational, denn: worst case muss so gut wie möglich für mich sein
(Unkenntnis von Wahrscheinlichkeiten!)→MAXImierung des MINimalen
Nutzens→Prinzip: Risikominimierung
→FRAGE: warum defensive Strategie und nicht Nutzenmaximierung?
→BEGRÜNDUNG:
a: fehlen nötiger Infos zur Kalkulation des Durchschnittsnutzens im
Urzustand (Schleier)
b: Nutzenmaximierung kann extrem schlechte Ergebnisse
gutheißen→Absicherung dagegen durch MAXIMIN-Prinzip

→nur die am schlechtesten gestellte soziale Gruppe ist


maßgeblich zur Beurteilung von Gesellschaftsordnungen

2b) CHANCENGLEICHHEIT (BEZUG: POSITIONEN


GESELLSCHAFTLICHER UND POLITISCHER FUNKTIONSMACHT)
• Ungleichheiten müssen verbunden sein mit Ämtern, die allen gemäß
der Chancengleichheit offen stehen
• Chancengerechtigkeit→Zugang zu Ausbildung, gesellschaftlicher
Einflussnahme→Prinzip der GLEICHHEIT
VORRANGREGELUNGEN BEI KONFLIKTEN: lexikalische Hierarchie

• FREIHEIT > UNGLEICHHEIT (unverletzliche Freiheitsrechte >


Lebensziele, Gemeinwohl ...)
→ Bedingungen: Verlust einer kleinen Freiheit muss Gesamtfreiheit aller
stärken und für den Betroffenen annehmbar sein
• 2b Chancengleichheit (soziale Gerechtigkeit) > Differenzprinzip 2a
(ökonomische "Gerechtigkeit")

BEGRÜNDUNG:
• Freiheit als Basis von Einigung→als nicht knappes gut für
jedermann vor Verteilung knapper Güter

ERGEBNIS:
• sozialer und liberaler demokratischer Staat als einzig
gerechtes politisches System

MODIFIKATION VON RAWLS DURCH MARTINO MONA:


• globale Ausweitung des Gedankenexperiments
→ „Veil of ignorance“ beinhaltet Unkenntnis über Lebensort
→ Problem: Wer soll als Gesetzgeber adressiert werden?
Kritk am Modell von John Rawls

KRITIK: Menschenbild
• Atomismus (Mensch lebt in Kapsel für sich selbst)gesellschaftliches
Wesen (Kommunitarismus = Individuum im
Gesellschaftszusammenhang) → Identität kontextuell bestimmt
(Sprachgemeinschaft)→Ignoranz der sozialen
DeterminiertheitGrundstruktur bestimmt Individuen durch Regeln,
wohlgeordnete Gesellschaft verwirklicht Brüderlichkeit
• Feminismus: Ausblendung von Emotionen→Ausklammerung des
privaten Raums (Zuneigung, Liebe...)
• fehlender Realitätsbezug durch Entfernung grundlegend menschlicher
Eigenarten
• Abwesenheit von Interessenskonflikten, einstimmige
Entscheidung→alle verschmelzen zu einem AkteurVertragscharakter
bei konkurrierenden Individuen→Vertrag obsolet bei Rawls
• Exklusion von Fremden (auf eine Gesellschaft beschränkt)
• Gerechtigkeit auf staatliche Institutionen
beschränktVereine/Religionsgemeinschaften?

KRITIK: "Veil of ignorance"


•Libertarismus: historische Dimension von Eigentum (vom Menschen
erworben)→gegen Umverteilung im Urzustand
→bei besserer Ausgangslage kein Grund, sich auf Schleier einzulassen
• kontextabhängige Maßstäbe von Gerechtigkeit (Geschichte, Tradition)
• fehlende Entscheidungsgrundlage auf Basis eigener Werte
• Unkenntnis verhindert Sparen z.B. für künftige Generationen
("Nachhaltigkeit")
LÖSUNG:
• nähere Nachkommen nicht gleichgültig→ Prinzip "Brüderlichkeit"
• festgelegter Spargrundsatz derartig, dass frühere Generationen
wünschen könnten, ihn befolgt zu haben→gerechte Sparrate

KRITIK: Zustandekommen der Gerechtigkeitsprinzipien


• Emotionen beeinflussen Entscheidungen (B/ Angst→Aktienverkäufe)
→Je komplexer die zu beurteilende Information, desto größer
Emotionale Anteile an der Entscheidung (Komplexitätsreduzierend)
• Erwartungsnutzentheorie: Risikobeurteilung bei Entscheidungen →
Abweichungen im Verhalten festgestellt→Mensch handelt nur
beschränkt rational:
• MAXIMIN-Prinzip = zu risikoscheu, ängstlich→MAXINUTZ
(=Maximierung des zu erwatenden Nutzens)Entgegnung: "veil of
ignorance" verhindert Kenntnis von Wahrscheinlichkeiten;
Urzustandsentscheidungen betreffen elementare
Lebensbereiche→besondere Wichtigkeit!
→alternativ: Utilitaristisches Kriterium (=Maximierung des
durchschnittlichen Erwartungsnutzens / Gesamtnutzens)
• zu viel Gewicht bei Schlechtestgestellten
• empirisch wird das Differenzprinzip nicht favorisiert (→statt
Maximierung des geringsten Einkommens wird die Maximierung des
Durchschnittseinkommens bei gewährleistetem Mindesteinkommen
favorisiert)
• Prinzipien verkörpern individualistisches, westliches
Gesellschaftsmodell (Kritik des Kommunitarismus) →worauf einigen sich
Fundamentalisten? Rassisten? →kann man von seiner eigenen
Weltanschauung zu einer allgemeinen, neutralen Gerechtigkeit
abstrahieren?

KRITIK: Vorrangregelungen
• Freiheit nicht empirisch als unabdingbares Gut→Zweifel an
Vorzugswahl der Freiheit
• Sättigungsphänomen: sozialer Status, ökonomische Vorteile→
Freiheitsinteresse
→umgekehrt: wer am verhungern ist, gibt gerne Freiheitsrechte
auf→Freiheit>Differenz erst ab bestimmten Niveau des materiellen
Lebensstandards
→einwand Rawls: Gesellschaften mit mäßiger Güterknappheit→extreme
Armut nicht vorgesehen

John Rawls:
EINORDNUNG: LIBERALISMUS (→Freiheit als normative Grundlage)
• ziel: ökonomisch-effektive, sozial korrigierte Gesellschaft
FAIRNESS ALS KERNIDEE VON GERECHTIGKEIT UND ALS
KORREKTIV GEGENÜBER UTILITARISMUS→Anerkennung aller vs.
Sklaverei (möglich beim Utilitarismus)

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