michael wollny trio live

wartburg
emile parisen
michael wollny trio live ACT 9862-2
wartburg

01 atavus (eric schaefer) 3:46

02 big louise (scott walker) 4:10
03 perpetuum mobile (eric schaefer) 3:09
04 synonym (wollny, weber, schaefer) 2:46
05 interludium (paul hindemith, arr. wollny, weber, schaefer) 3:33
06 antonym (wollny, weber, schaefer) 2:26
07 gravité (eric schaefer) 2:06
08 white blues (bob brookmeyer, arr. michael wollny) 5:54
09 tektonik (eric schaefer) 9:19
10 engel (michael wollny) 6:27

bonus track:
11 make a wish (michael wollny) 5:10

michael wollny / piano

christian weber / double bass
eric schaefer / drums

emile parisien / soprano saxophone (08 - 11)

recorded live in concert by adrian von ripka

rittersaal, wartburg on september 15, 2017
mixed and mastered by adrian von ripka, december 2017

produced by siggi loch

the concert was organized by lippmann + rau-stiftung, eisenach, germany

ACT would like to thank daniel eckenfelder and reinhard lorenz for their support

© + P 2018 ACT Music + Vision GmbH + Co. KG

Postfach 140399 | D-80453 München | Germany
Warning: Unauthorized duplication, public performance and broadcasting
of this music is a violation of applicable laws
info@actmusic.com www.actmusic.com LC 07644
oslo & wartburg
als mir geir lysne 2015 zum ersten mal von seiner arbeit mit dem norwegian wind
ensemble erzählte, hatte ich es noch nicht verstanden. es gäbe da ein klassisches
blasorchester von weltrang, das seit einiger zeit mit improvisation experimentiere
und an kontakt interessiert sei. ich fand das ebenfalls interessant und nahm zu-
sammen mit eric schaefer eine stummfilmmusik („nosferatu“) zum anlaß für eine
musikalische begegnung.
erst als wir ein paar monate später dann zur ersten probe in halden, norwegen, er-
schienen und die ersten töne spielten, wurde uns bewußt, was geir da eigentlich ge-
sagt hatte: dieses orchester improvisiert tatsächlich. wir spielten frei, und das
orchester spielte einfach mit. nicht beliebig, nicht 22 einzelne musiker, sondern
eher ein weiterer mitspieler, der seltsamerweise aus 22 personen besteht. sätze ents-
tehen spontan, untergruppen finden sich ohne vorherige absprache, hin und wieder
zeigen handzeichen, in welche tonart gewechselt wird. wir waren einigermaßen ver-
blüfft. diese probe war der ausgangspunkt eines intensiven mittlerweile 2-jährigen
austauschs, der eric, christian weber und mich durch viele gemeinsame konzerte
und projekte mit dem ensemble führte. und zu dem vagen wunsch, diese musik auch
im rahmen eines albums zu präsentieren.
die arbeit mit dem orchester hat uns mehrfach eindrucksvoll vor augen geführt, was
ohnehin schon klar war: wenn man gemeinsam improvisiert, dann zählt nur der mo-
ment. man kann noch so gut planen, am ende entscheidet nicht die vorbereitung -
auch wenn man sie natürlich trotzdem braucht. in gewisser weise kann man genau
das gleiche auch über die entstehung eines albums sagen. eine session zu planen,
bedeutet: so gut wie möglich eine situation vorbereiten, in der am ende alles ganz
anders laufen kann. anfang 2017 bringen wir alle elemente dieses experiments in
stellung, und sehen zu, wie die bälle ins rollen kommen. im september kulminiert
das in zwei orte, an denen sich vieles von dem verwirklicht, was wir uns erhofft
hatten … und manches, was niemand erwartet hatte: oslo und wartburg.
nehmen wir das trio. seit den „nachtfahrten“ 2015 haben wir unzählige konzerte
gespielt, von clubs bis open air, von philharmonien bis rockfestivals. was dabei ent-
standen ist, ist mehr denn je ein vertrauen in den prozess des gemeinsamen
(aus)handelns. während im studio unter quasi klinischen bedingungen neue kapitel
geschrieben werden, gibt es auf der bühne sehr viel weniger konstantes - akustik,
instrumente, räume (aber auch: freundliche veranstalter, schweigsame taxifahrer,
nervige reisen, wenig schlaf, schlechtes essen, gutes essen und besserer kaffee) -
fast alle diese umstände betreffen auch das musikalische geschehen. dinge gelingen,
scheitern, überwältigen, bleiben in bewegung. man lernt gemeinsam flexibel zu
sein, auszubalancieren, interessen, befindlichkeiten zu akzeptieren, und alles als
langfristig prägend für die eigene arbeit zu begreifen. als wir im frühjahr eine
intensive dreitägige probephase beenden, haben wir plötzlich 27 neue stücke in der
mappe.
oder emile parisien. kennengelernt haben wir uns vor jahren in seoul (als mitglieder
verschiedener bands auf dem jarasum festival), zum ersten mal miteinander gespielt
haben wir dann auf einladung von vincent peirani in dessen projekt „thrill box“. ein
zufall bescherte uns ende 2016 ein komplett ungeprobtes duokonzert in elmau,
nachdem im sommer zuvor ein geplantes gemeinsames konzert mit emiles band in
südfrankreich wegen gewittersturm ausgefallen war (q.e.d.). das elmauer konzert
wiederum war der anlass, emile zu unserem konzert auf der wartburg einzuladen.
es ist vor allem sein sound auf dem sopran, der - so stelle ich mir das vor – die
moleküle in der luft umordnet. unmögliche geschwindigkeiten sind dann möglich,
virtuoses wird lyrisch und metren werden flexibel.
oder siggi loch. wenn man daran glaubt, daß der geduldige beobachter immer einen
einfluß auf das betrachtete objekt hat, dann kann man seine rolle für die ent-
wicklung des trios in den letzten jahren gar nicht überschätzen: er ist seit 2004
nichts weniger als unser treuester und damit wichtigster zuhörer. anfang des jahres
startet er die arbeit am neuen album mit ein paar schlagwörtern, die er sich als
thema vorstellen kann (und im nachgang zu diesem ersten treffen bleibt mir ein
begriff im kopf, zu dem ich innerhalb weniger tage das erste stück schreibe). der
idee, das ensemble ins studio einzuladen, steht er zunächst kritisch gegenüber, ist
aber nach dem besuch einer gemeinsamen „nosferatu“-aufführung letztendlich auch
auf den ausgang eines solchen experiments gespannt. man braucht nerven, eine
studiosession mit einem klassischen orchester zu buchen, für das es bis zum tage
der aufnahme zwar kleine notizen und skizzen, aber keine partitur geben wird. wer
jemals eine studie zum thema „kommunikative strategien zur risikominimierung des
unberechenbaren“ durchführen will, dem sei eine lektüre des emailverkehrs des jah-
res 2017 zwischen siggi, geir und mir ans herz gelegt. (und wer es genau wissen will:
„make a wish“ spielt das orchester aus der klavierstimme, denn aufnehmen wollten
wir es ursprünglich im trio; den ungefähren ablauf zu „longnote“ hat uns geir direkt
vor der aufnahme in die kopfhörer gesprochen; meine vorgabe zu „whiteness of the
whale“ besteht aus 12 tönen und 10 akkorden.)
auch sonst prägen die vorbereitungszeit aufregende gegensätze; wir proben detail-
verliebter als je zuvor, wir schneiden mit, hören und diskutieren; siggi fragt sich (und michael wollny trio would like to thank:
mich) hin und wieder grundsätzliches (ich glaube, mit unseren ersten demos hat er siggi, sissy, petra, marco, michael, katja, oli & everyone at ACT;
bis heute keinen frieden gemacht). ein prozess, an dessen ende fürs trio wiederum karsten, ina, alina, toddy, flo & everyone at KJ;
neue klänge stehen. in halden proben wir mit den norwegern stücke, die nie aufge- andreas brandis & everyone at TAMBOUR.
führt werden.
special thanks to:
prägende beobachter werden im september dann auch die beiden tonmeister jan jan ugand, silke zimmermann, dietmar müller-elmau, anja kraft,
erik kongshaug im rainbow studio oslo, und adrian von ripka in der wartburg zu manfred bockelmann & heidi maria raude.
eisenach. auch dies eine interessante gegenüberstellung: hier eine legende an einem
legendären ort, und dort ein großmeister und - ja - freund des trios, der an diesem photos by siggi loch
konzertabend auf der wartburg nicht mehr als 60 minuten zeit hat, den rittersaal
zu mikrofonieren und anhand eines kaum durchführbaren soundchecks abzu-
schätzen, was im folgenden set wohl an dynamik, farben, intensitäten und interaktion
abzubilden sein wird. es ist das erste mal, daß wir gemeinsam auf emile treffen. mein
arrangement von „white blues“ habe ich am tag davor per email nach paris geschickt,
„tektonik“ besprechen wir aus zeitmangel backstage, statt es anzuspielen.

die euphorie von siggi - noch in der nacht des konzerts schickt er uns fotos („a night
to remember“) - überträgt sich auf uns, als wir ein paar wochen später die aufnahmen
hören. während ich noch im kopf die takes sortiere, legt er bei einem gemeinsamen
mittagessen ende september alle bisherige pläne und überlegungen zu konzept,
coverbild und albumtitel beiseite und sagt: „eigentlich wäre das einzig konsequente,
jetzt zwei alben zu machen. oslo und wartburg. zeitgleich.“ (mich erinnert das in
diesem moment an manche situationen auf der bühne, etwa wenn das norwegian
wind ensemble in der ut connewitz in leipzig plötzlich aufhört zu spielen und anfängt
zu singen, oder wenn das trio beim love supreme festival auf die bühne geht und
statt des ersten stücks der setlist erstmal minutenlange klangkaskaden aus-spuckt,
ohne auch nur ans einzählen zu denken.)

vielleicht liegen in diesen momenten die wahren gründe dafür, daß wir nun schon
seit so langer zeit gemeinsam musik veröffentlichen. man sucht, verwirft, verzweifelt
und findet. man hört zu und hört plötzlich nicht mehr das gleiche. das gemeinsame
gibt kraft, nervt und verändert sich ständig. das unterschiedliche belebt, tröstet
und verbindet.

und am ende machen wir einfach etwas ganz anderes.

michael wollny
oslo & wartburg
when geir lysne first told me in 2015 about his work with the norwegian wind ensem-
ble, i hadn’t fully understood. he said that this world-class classical wind orchestra
had been experimenting with improvisation and would be interested in making
contact. i found the idea interesting, so eric schaefer and i took up the opportunity,
with music for the silent film “nosferatu” as the basis for our musical encounter.
it was not until we arrived a few months later for the initial rehearsal in halden in
norway, and played the first notes, that we became aware of the true sense of what
geir had said: this orchestra really does improvise. we played freely, and the orches-
tra played along with us. this wasn’t 22 individual musicians playing ad libitum, it
was more like a single extra player - who happened to consist of 22 people. whole
movements came into being spontaneously, subgroups of players found each other
without pre-arrangement, with just the occasional hand signal to indicate a change
of key. we were pretty amazed. this rehearsal initiated an intensive series of exchan-
ges which went on for two years. eric, christian weber and i did several concerts and
projects with the ensemble, and we also started to form the vague wish in our minds
to present this work in the context of some future album.
our work with the orchestra made us repeatedly and impressively aware of something
which is perhaps self-evident: that in collective improvisation, the moment really is
all that matters. one can plan, but only up to a point. preparation is necessary, but
in the end is not the decisive element. and to a certain extent the same can also be
said of the way an album comes into being. planning a session means preparing as
well as possible for a situation – which can then turn out completely differently. at
the beginning of 2017 we put all the constituent parts of this experiment into place,
and watched how the balls started to roll. in september that all culminated in two
places where many things that we had hoped for became a reality…and also where
quite a lot happened that nobody was expecting: oslo and wartburg.
let’s talk about the trio. after the “nachtfahrten” album in 2015 we played countless
concerts in settings which ranged from clubs to the open air, from philharmonies to
rock festivals. what emerged from that was a confidence in our process of dealing
with all kinds of circumstances yet staying focused on the music. whereas in the
studio we can work on new chapters under almost clinical conditions, in the live
situation far fewer things are constant. the acoustics, the instruments, the spaces
are different (to say nothing of e.g. friendly promoters, taciturn taxi drivers, hectic
journeys, sleep deprivation, bad food, good food...and great coffee). almost all of
these externalities have an effect on the musical performance. things can succeed,
fail, overwhelm, or stay in motion. you learn to be flexible as a team, to strike a
balance, to take into account interests and sensitivities, and to accept that every-
thing has a long-term impact on one's own work. by the time we finish an intensive
three days of rehearsals in the spring, 27 new pieces have found their way into our
repertoire.
then there is emile parisien. we first met each other many years ago in seoul, where
we were members of different bands playing the jarasum festival, and we first played
together at the invitation of vincent peirani in his “thrill box” project. chance
intervened, and at the end of 2016 we played a completely unrehearsed duo concert
at schloss elmau. that was after having a concert the previous summer in the south
of france with emile’s band cancelled because of bad weather. in addition, that elmau
concert presented the opportunity for me to invite emile to our concert at the wart-
burg. it’s that sound of his on soprano sax. it must – or at least that’s how i imagine
it – somehow rearrange the molecules in the air, making impossible speeds achie-
vable, making virtuoso playing lyrical, and giving a total flexibility to tempi.
and then there is siggi loch. if one subscribes to the theory that the patient observer
will always have an influence on the object he observes, then it is impossible to
overstate the role he has had in the development of the trio. since 2004 he has been
our most loyal and consistent, and therefore our most important listener. at the
beginning of the year he starts his work on the new album, offering me a couple of
keywords which he could imagine as a concept. following this initial meeting, one
of the keywords stays in my mind and inspires me to write the first song within a few
days. initially he sets his stall against the idea of inviting the ensemble into the
studio, but after witnessing a “nosferatu” performance he becomes excited by the
prospect of what such an experiment might produce. it does take quite some nerve
to book studio sessions with a classical orchestra where all there is going to be avai-
lable in the run-up to the recording is a few small notes and sketches but no orchestral
score. honestly, i would encourage anyone who intends to conduct a study on
“communication strategies to minimize the risk of the unpredictable” to study the
correspondence between siggi, geir and me from 2017. (and for those who are keen
to know more detail: in “make a wish” the orchestra played from the piano part, be-
cause we originally wanted to record it with just the trio; geir gave us a rough outline
for “longnote” through headphones just before we recorded it; my entire “score” for
“whiteness of the whale” consisted of 12 notes and 10 chords.)
also in other respects, the preparation time is characterized by exciting contrasts; we
rehearse with a greater love of detail than ever before, we record, listen and discuss; also available:
siggi asks himself (and me) some pretty basic questions from time to time (i don’t
think he’s ever quite got over his unease at hearing our first demos). this is a process michael wollny trio
which ends with the trio coming up with even more tunes and ideas. in halden we oslo
rehearse pieces with the norwegians that we still haven't performed to this day. norwegian wind ensemble
ACT 9863-2 cd / ACT 9863-1 vinyl
in september, the two most influential observers will be the two sound engineers –
jan erik kongshaug at the rainbow studio oslo, and adrian von ripka at the wartburg 01 make a wish
in eisenach. they make an interesting juxtaposition: one is a legend in a legendary 02 hello dave
place, the other a grandmaster and - yes - friend of the trio, who has no more than 03 farbenlehre
60 minutes before the concert at the wartburg to install microphones in the rittersaal 04 piano trio op. 120, andantino
and to listen to a soundcheck that is almost impossible to do. he has to imagine the 05 zweidrei
dynamics, colours, intensities and interaction which will take place in the set which 06 interludium
follows. it’s also the first time the trio has ever met emile together. i’ve sent him my 07 roses are black
arrangement of “white blues” by email to paris the day before. through lack of time 08 longnote
we can only discuss “tektonik” backstage rather than actually playing it through. 09 nuits blanches
10 perpetuum mobile
siggi’s euphoria – he’s already sent us photos (“a night to remember”) during the 11 cantus arcticus
night immediately after the concert – affects us as well once we listen to the recor- 12 there again
dings a few weeks later. while i’m still sifting the takes in my mind, siggi and i have 13 the whiteness of the whale
a lunch together at the end of september, and he shelves everything: all previous
plans, concepts, cover picture, even the album title. he says: “actually, there is only michael wollny / piano
one sensible thing to do, to make two albums. oslo and wartburg. at the same time.” christian weber / double bass
(this reminds me of other situations on stage, for example when the norwegian wind eric schaefer / drums
ensemble at ut connewitz in leipzig suddenly stops playing and starts singing, or
when the trio goes on stage at the love supreme festival, and instead of playing the norwegian wind ensemble
first piece of the setlist we unleash several minutes of cascades of sound before we geir lysne / curator (real time music)
even think about counting it in.)

perhaps it is in such moments that the true reasons emerge why we want to put our
music out before the public, and have been doing so for such a long time. one
searches, discards, despairs – and then finds. one listens and suddenly isn’t hearing
the same thing any more. things achieved together give strength, but also irritate –
and are constantly evolving. things which are different invigorate, comfort – and also
connect.

and in the end we do just something completely different anyway.

michael wollny
translated by sebastian scotney