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Textinterpretation zu „Regentropfen“ von Michaela Borchert

In der 1972 veröffentlichten Kurzgeschichte „Regentropfen“ von Michaela Borchert


erzählt die Autorin von einer alten Dame, die am letzten Tag vor ihrer Einweisung in ein
Altenheim durch ihre altvertraute Umgebung läuft und dabei die Gedanken schweifen
lässt.

Zu Beginn des Textes sitzt eine ältere Frau in einem Park und denkt zwischen ihren
Tagträumen des Öfteren über „Verrat“ nach. Nach einer Weile macht sie sich schwerfällig
auf ihren Krücken auf den Heimweg, als es zu regnen beginnt. Sie erinnert sich an ihre
lang vergangenen Träume, welche zerplatzt waren - wie nun die Regentropfen auf ihrer
Stirn. Nach einer weiteren Pause auf einer Parkbank geht die alte Dame, weiterhin auf
ihre treuen Begleiter, die Krücken, gestützt zu ihrer Wohnung, in der sie schon seit 50
Jahren lebt. Dort überlegt sie was sie denn ins Seniorenheim mitnehmen will, als ihr
Blick auf ein Schraubglas fällt und sie auf dem Balkon einige Tropfen sammelt.
Schließlich kommt ihr Sohn, um sie abzuholen. Auf die Nachfrage hin, was sie denn mit
dem alten Glas wolle, entgegnet sie, dass ihr das Glas nicht wichtig sei, nur die darin
aufgefangenen Tropfen.

Der Einstieg in die Geschichte ist wie gewöhnlich sehr abrupt und handelt sich ohne
große Einleitung ab. Der Schluss kommt plötzlich und bleibt „offen“, sodass dem Leser
Raum zum weiterdenken bleibt. Der Höhepunkt befindet sich (meiner Meinung nach) in
Zeile 40 als es an der Tür läutet. Der Wendepunkt lässt sich in Zeile 45 erkennen, als klar
wird, dass die Frau in ein Altenheim zieht. Im Text finden sich keine genauen
Zeitangeben, einzig die Jahres- und Tageszeit lässt sich erahnen. In Zeile 1 heißt es so,
dass „Sie spürte, wie die Sonne ihr Gesicht wärmte.“ Die erzählte Zeit erstreckt sich
länger als die Erzählzeit. vermutlich handelt „Regentropfen“ etwa ab Nachmittag „bis die
Dämmerung kam“ (Z. 40).

Sprachlich ist die Geschichte einfach gehalten und leicht zu verstehen. Michaela Borchert
greift auf einen simplen Satzbau zurück, benutzt also keine auffälligen Hypo- oder
Parataxen und verwendet auch nur wenige Fach- und Fremdwörter. Da der Text von
einem gewöhnlichen „durchschnitts-“ Charakter handelt, wird eine umgängliche Sprache
verwendet, zum Beispiel „abgewetzt“ (Z.34). Auffällig wird in den Zeilen 21 und 22 die
Lautmalerei „Platsch..“ „Plitsch..“ „Platsch..“, die zur Darstellung vom Aufkommen der
Regentropfen dient. Zudem kommt erst zum Schluss (Z. 43-48) die Wörtliche Rede vor,
wobei diese bei der wortkargen Konversation zwischen Mutter und Sohn nicht sehr
häufig genutzt wird. Die Autorin greift, wenn auch nicht sehr oft, auf Stilmittel wie
Metaphern „Dickicht aus Chaos“ (Z. 10), Vergleiche „Träume die zerplatzen wie
Regentropfen“ (Z. 20) oder Wiederholungen „Verrat...“ (Z. 9+15) zurück. Auch einige
Ellipsen wie zum Beispiel über ihre zerplatzten Träume „Die eine Liebe...“ „Ihre Kinder...“
oder im Inneren Monolog „Verrat...“ werde verwendet.
Die Kurzgeschichte ist aus der Sicht eines personalen Erzählers geschrieben, was dazu
führt, dass der Leser sich hauptsächlich mit dem „Protagonisten“ der Geschichte
identifizieren kann.

Wie es für Kurzgeschichten typisch ist, wird trotzdem der Charakter der alten Frau nicht
(allzu) tiefgründig gestaltet. Anstatt Namen, werden Personalpronomen genutzt. „Sie saß
da...“ (Z. 1), was hierbei die Frau zu einem Stereotypen macht. Jedoch wird sichtbar,
dass die alte Dame viel erlebt haben muss und in ihrem Leben viele Rückschläge erlitten
hat „Lernen, mehr als das, was die Schule damals bieten konnte“. Auch über den einzigen
anderen noch vorkommenden Charakter, den Sohn (Z. 42) gibt es keiner näheren
Informationen. Die Beziehung zwischen den Beiden wirkt distanziert, geradezu kalt.
„fertig? Sie nickte stumm“ (Z. 43). Der Satz „Es soll ein nettes Heim sein“ (Z. 45) wirkt
absolut unpassend und taktlos, womit der Mann vermutlich sein eigenes Gewissen
beruhigen will, oder seine Entscheidung, seine Mutter in die Pflege zu geben
rechtfertigen möchte. Es kristallisiert sich etwas heraus, dass der Sohn seine Mutter wohl
sehr enttäuscht haben muss, unter anderem wohl durch das „Abschieben“ in ein Heim,
was von ihr mit den Gedanken „Verrat“ assoziiert wird.

Die Stimmung wirkt zu Beginn sehr Bedrückend, was Adjektive wie „mühsam“ (Z. 12),
„schwer“ (Z. 12) oder „endlos“ (Z. 14) unterstreichen. Der Regen bringt später eine
traurige, deprimierende Atmosphäre mit sich „...als ob der Himmel versuchen würde, ihre
Tränen zu weinen“. Jedes Mal wenn die Handlung oder ihre Gedanken auf Objekte wie
ihre Träume, die Krücken oder ihre Wohnung umschlagen, wird die alte Frau feinfühlig
oder gar sentimental. „...nahm die Gefährten der letzten Jahre beinahe liebevoll in die
Hände“ (Z. 24-25) „Ein letztes Mal ging sie hier entlang“ (Z. 27)

Statt einer innigen Verbindung zu ihren Kindern scheint die Frau einen recht starken
Bezug zu ihrer Wohnung und dem Park (am Beginn der Geschichte) aufgebaut zu haben.
So wird zum Beispiel der Baum in besagtem Park als eine Art Ruhepol zum Kraft und
Stärke tanken dargestellt „Sie fühlte sie harte, knorrige Rinde des Baumes an den sie sich
angelehnt hatte.“ Der Park im allgemeinen ist für die alte Dame wohl etwas sehr
Vertrautes, alltägliches „Der letzte Tag in diesem Park“. Auch die Wohnung, insbesondere
das Wohnzimmer und der alte Ohrensessel (Z. 39) haben eine große Bedeutung für sie
„Ihr Zuhause“ (Z. 29), „Alles, was ihr all die Jahre so lieb geworden war“ (Z. 32). Dort
hat sie womöglich ihre Kinder aufgezogen und mit ihrem Mann gelebt „Die eine Liebe“.
In starkem Kontrast hierzu steht das Altenheim, da es neu und unbekannt ist, was für den
Hauptcharakter in ihren alten Jahren eher als eine Bedrohung empfunden wird.
Eine Essenzielle Bedeutung haben zudem vor allem die Regentropfen, die zusätzlich auch
als Titel der Geschichte dienen. Sie erinnern die alte Dame an ihre Vergangenheit und
alle Enttäuschungen, Wünsche und Träume ihres Lebens. „Träume, die zerplatzten wie
die Regentropfen auf ihrer Stirn“ (Z. 20) Ihre Bedeutung wird am Ende der Geschichte
nochmal stark verdeutlicht „...Das Glas ist mir unwichtig. Wichtig ist mir nur jeder
einzelne Tropfen darin.“ was auch hervorhebt, (In diesem Fall steht das Glas für die
Wohnung und die Tropfen für ihre Erlebnisse) dass ihr die Materiellen Dinge aus ihrer
Wohnung nicht sehr viel Bedeuten, jedoch umso mehr die Erinnerungen an alles was sich
darin abgespielt hat.
Die Geschichte bringt gut zum Ausdruck, wie wenig wir unser gewohntes Umfeld zu
schätzen wissen, bis wir es verlassen und loslassen müssen. Die ungewohnte Sichtweise
auf die „Vergänglichkeit“ einer Situation oder eines ganzen Lebens bringt den Leser zum
Nachdenken und hilft vielleicht dem ein oder anderen sein eigenes Handeln im Umgang
mit solchen Heimen zu überdenken.

Ich finde die Geschichte sehr interessant da sie eine gewöhnliche Situation mit einer
ungewöhnlichen Sichtweise thematisiert und somit einen ganz neuen blick auf diese
ermöglicht. Die Kurzgeschichte zeigt das Gefühlschaos in einer solchen Lage „....das
Dickicht aus Chaos, das sich jeden Tag in ihrem Kopf mehr ausbreitete.“ Wobei diese
Zeile auch ein Ansatz für eine mögliche Demenz der alten Dame bietet. Dies würde auch
noch einmal einen Grund mehr für den Umzug in ein Seniorenheim aufzeigen, welcher
allerdings auch schon durch ihre (vermutlich altersbedingten) Handycaps wie ihren
Gehfehler „...und humpelte auf den Balkon“ (Z. 35) mehr oder weniger gerechtfertigt
wäre.
Viele Menschen die auf Vollzeit arbeiten oder selbst eine Familie gegründet haben, die
ihnen alle Zeit abverlangt, sehen keinen anderen Ausweg als ihre Eltern, sobald diese
nicht mehr allein wohnen können, in ein Altenheim zu schicken, anstatt sich selbst um
diese kümmern. In der Kurzgeschichte „Regentropfen“ wird sehr einfach der Standpunkt
der Älteren gezeigt und lässt somit vielleicht den ein oder anderen diese Entscheidung
wieder überdacht...

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