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Welterbe Zollverein Essen (2009)

Autorinnen: Regina Jost und Christiane Borgelt

Die Zeche und Kokerei Zollverein sind die Stars unter den
Industriedenkmalen im Ruhrgebiet. Als Welterbestätte bilden sie das
Zentrum auf der Route der Industriekultur zwischen Emscher, Rhein und
Ruhr.
Zollverein zieht die Touristen an; die Zahlen der Besucher aus ganz
Deutschland und auch aus dem Ausland nehmen von Jahr zu Jahr zu. Es ist
die Dimension, die fasziniert, doch auch die Verbindung gigantischer
Technik mit außergewöhnlicher Architektur. Die strenge Anordnung
funktionalistischer Kuben, Häuser riesiger Maschinen, lässt die Menschen
klein erscheinen. Das früher nur den Bergmännern zugängliche Areal,
gekrönt mit dem Wahrzeichen von Zollverein, dem weit ins Ruhrgebiet
strahlenden Doppelbockfördergerüst, ergänzt durch die Kokerei und die
Gründungsschachtanlage 1/2/8, steht nun Besuchern offen. Doch nicht nur
der Weg der Kohle ist jetzt für jeden erlebbar, sondern auch der Schauplatz
des Wandels. 1986 wurde auf Zollverein die letzte Schicht eingefahren,
1993 die Kokerei stillgelegt. Seitdem konnte man vielen Abrissplänen
widerstehen und sich auf die neue Bedeutung konzentrieren: Zollverein
entwickelt sich heute zu einem Wirtschafts- und Tourismusstandort mit
dem Schwerpunkt Design und Kultur und zieht als zentrales Objekt des
sich verändernden Ruhrgebietes die Aufmerksamkeit auf sich.

Die Gründung der Zeche Zollverein


Die Geschichte von Zollverein beginnt mit dem Ruhrorter Industriellen
Franz Haniel (1779-1868), der 1847 im Norden von Essen und in
unmittelbarer Nähe der neuen Köln-Mindener Eisenbahnstrecke 14
zusammenhängende Grubenfelder erwarb. Sie wurden zu einem 13,8
Quadratkilometer großen Feld zusammengefasst, das Haniel „Zollverein“
nannte. Mit diesem Namen würdigte er die 1834 in Kraft getretene
Freihandelszone ohne Binnenzölle mit einheitlichen Maßsystemen und
gleicher Währung, auf die sich 14 deutsche Staaten geeinigt hatten und die
Aufschwung und Wirtschaftswachstum versprach.

Die erste Schachtanlage entstand westlich der Landgemeinde Katernberg.


Haniel erwarb eine Dampfmaschine und ließ ein Zechenhaus mit dem
damals üblichen, massiven Förderturm errichten, einem so genannten
Malakowturm. Mit dem Abteufen des Schachtes traten die klassischen
Probleme des Bergbaus auf: Das Grundwasser drang ein, so dass Haniel in
25 Meter Entfernung einen weiteren Schacht für die „Wasserhaltung“
niederbringen musste. Er ließ das Zechengebäude erweitern und eine
zweite Schachthalle mit Malakowturm bauen. Die Doppelturmanlage
prägte bis 1904 das Gesicht von Zollverein, dann wurden die Türme nach
und nach durch stählerne Fördergerüste ersetzt. Ab 1902 sorgte ein dritter
Schacht (mittlerweile Schacht 8) für die ausreichende Belüftung des
Bergwerks. Und um die Förderwege unter Tage abzukürzen, beschloss
man, das Grubenfeld künftig über mehrere Schachtanlagen zu erschließen.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden auf Zollverein drei weitere

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Schachtanlagen: 3/7/10, 4/5/11 und 6/9. Der Aufbau jeder einzelnen
entsprach dem Betriebsablauf der Kohlegewinnung und -verarbeitung: 1.
Förderung, Sieberei, Aufbereitung und Verladung, 2. Kohlenturm, Kokerei,
Nebenproduktentwicklung, 3. Krafterzeugung und -verteilung, 4. Kaue,
Büros, Werkstätten, Magazin.

Die politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg und die


Wirtschaftskrisen in den 1920er Jahren forderten von den
Industrieunternehmen neue, rentable Konzepte. 1920 ging Familie Haniel,
bisher Alleineigentümerin der Zeche Zollverein, mit dem Stahlkonzern
„Phoenix Aktiengesellschaft für Bergbau und Hüttenbetriebe“ eine
Interessengemeinschaft ein. Um im internationalen Wettbewerb besser
bestehen zu können, schlossen sich 1926 ein Großteil der Montanbetriebe
zusammen, darunter die Phoenix AG, und gründeten die „Vereinigte
Stahlwerke AG“, den größten Stahlkonzern Europas. Zollverein wurde der
Gelsenkichener Bergwerks-AG (GBAG) zugeordnet.

Zollverein Schacht XII


Aufgabe des jungen Konzerns war es, Betriebsabläufe und
Produktionskapazitäten zu optimieren und Kosten einzusparen. Die GBAG
plante, die vier Schachtanlagen auf Zollverein zu modernisieren, um
täglich zwischen 1500 und 3000 Tonnen Steinkohle fördern zu können.
Demgegenüber standen die hohen Unterhaltungskosten dieser vier
selbstständig nebeneinander arbeitenden Betriebe. Deshalb verfolgte der
Leiter, Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh, eine bahnbrechende Idee: In nur
noch einer einzigen, neuen Schachtanlage (Nr. 12) sollte die komplette
Kohleförderung von Zollverein gehoben und verarbeitet werden. Mit 12 000
Tagestonnen Kohle wollte er die vierfache Förderleistung erreichen. Drei
der alten Schachtanlagen sollten künftig nur noch der Seilfahrt für
Personen und Material sowie der Frischluftversorgung dienen. Dieser Plan
wurde 1928 vom Konzern beschlossen. Für den Bau der Tagesanlagen
konnten die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer gewonnen
werden. Am 2. Februar 1932 ging die neue Anlage in Betrieb. Sie galt als
die größte, schönste und leistungsfähigste Zeche der Welt.

Die technische Ausstattung der Schachtanlage XII


Um die ehrgeizigen Ziele zu erfüllen, bediente sich das Unternehmen
modernster Technik. Die Bauten über Tage folgten dem weitgehend
automatisierten Produktionsprozess. Schacht XII wurde mit einem 55
Meter hohen Doppelbockfördergerüst ausgestattet. Für die Tageskapazität
standen zwei Fördereinrichtungen zur Verfügung, deren Fördermaschinen
in separaten Häusern (1 und 2) nördlich und südlich des Gerüstes
untergebracht waren. Übereinander angeordnete Beschickungsbühnen
sorgten über und unter Tage für eine schnelle Be- und Entladung der
Fördergestelle. Unter Tage wurde auf 610 Meter Teufe eine gemeinsame
Sohle (12. Sohle) eingerichtet, auf der die Kohle zu Schacht XII
transportiert wurde. Die beladenen Förderwagen fuhren auf Kettenbahnen

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von der Schachthalle (3) in die Wipperhalle (4). Über Weichen auf vier
„Kopfwipper“ verteilt, wurden die Förderwagen hier umgedreht, so dass
die Rohkohle auf einen Rollenrost fiel. Von dort rutschten die großen
Rohkohlenstücke direkt auf Lesebänder und wurden zum Befreien vom
nicht verwertbaren „tauben“ Gestein in die Lesebandhalle (5) geleitet,
während der überwiegende Teil durch die Rollenzwischenräume hindurch
glitt und auf einer Bandbrücke (6) zur weiteren Aufbereitung in die
Kohlenwäsche (7) transportiert wurde. Zu den Bauten über Tage gehörten
weiterhin die Zentralwerkstätten, die Anlagen zur Energieversorgung und
zur Erhaltung des Betriebes. Für die Druckluftversorgung gab es eine
eigene Kraftzentrale mit Kesselhaus (8) und zwei Kühltürmen (9).

Die Architektur der Schachtanlage XII


Die Architekten Fritz Schupp (1896-1974) und Martin Kremmer (1894-1945)
hatten seit Beginn ihrer Zusammenarbeit im Jahr 1921 bereits einige
Industrieanlagen gebaut, u. a. die Waschkaue auf der Zeche Holland und
die Kokereien Alma und Nordstern. Für die in Massivbauweise
hergestellten Gebäude verwendeten sie Ziegel, den traditionellen,
widerstandsfähigen Baustoff im Ruhrgebiet. Aber der Massivbau war in
seinen Nutzungsmöglichkeiten für die Industrie beschränkt. Deshalb
arbeiteten sie an einem Konstruktionssystem, das die Wünsche der
Betriebsingenieure nach Flexibilität und Elastizität, leichter
Erweiterbarkeit und Demontage besser erfüllte, und suchten nach einer
allgemeingültigen Sprache für die Industriearchitektur.

Die Erkenntnis, dass alle Zechengebäude trotz unterschiedlicher


Bestimmungen dieselben Anforderungen an Architektur und Konstruktion
stellen, nämlich die Überbrückung großer Spannweiten bei hohen
vertikalen Lasten, führte zur konsequenten Anwendung der
Stahlskelettbauweise mit vorgehängter Fassade. Die Gebäudehülle sollte
wie eine Schachtel über den Inhalt gestülpt werden. Diese Vorstellung
erhoben die Architekten zum gestalterischen Prinzip. Auch das
Fördergerüst, traditionell ein Ingenieurbau, passte nicht mehr zu ihren
Gestaltungszielen. Da sie in der filigranen Gitterkonstruktion einen
Widerspruch zur kubischen Bauform der Schachthalle sahen,
verdeutlichten sie die Funktion durch die Verwendung von geschweißten
Blechträgern und fanden zu einem klaren, prägnanten Ausdruck.

Die Architekten konnten die Zentralschachtanlage Zollverein XII wie aus


einem Guss planen. Sie ordneten die einzelnen Gebäude nach dem
Produktionsprozess an und unterwarfen diese einer einheitlichen
Gestaltung, die sie aus der Stahlskelettbauweise entwickelten.
Charakteristisch ist die tragende Rahmenkonstruktion, vor die eine
selbsttragende Vorhangfassade gehängt wurde. Die dünnen Außenwände
bestanden aus einem mit Ziegelsteinen oder Drahtglas ausgefachten
Stahlfachwerk und waren lediglich als Wetterschutz konzipiert. Da man
davon ausging, dass die Kohlevorkommen in sechzig Jahren erschöpft sein
würden, legte man die Lebensdauer der Anlage auf diesen Zeitraum fest.

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Die Einzelbauten erhielten die Form einfacher, glatter Quader, an denen
Attiken die Dachneigungen kaschierten, die Regenrohre hinter der
Außenwand verliefen und die Fenster bündig mit der Fassade abschlossen.
Mit den wenigen Gestaltungselementen an der Fassade, den roten Ziegeln,
schmalen, hoch stehenden Drahtglasfenstern und dem Stahlfachwerk, ließ
sich ein rhythmisches Spiel mit dem Raster entwickeln, das den einzelnen
Gebäuden eine gewisse Individualität verlieh.

Der städtebaulichen Ordnung legten die Architekten zwei rechtwinklig


aufeinander bezogene Symmetrieachsen zugrunde, die sich auf dem
„Ehrenhof“ vor dem Schachtgebäude und dem Fördergerüst kreuzen. An
der „Produktionsachse“ liegen Schachthalle mit Fördergerüst,
Wagenumlauf, Sieberei, Lesebandhalle und die Bandbrücken, die das
Material zur Kohlenwäsche lieferten (Plan Seite 13). An der „Energieachse“
reihen sich das Kesselhaus mit dem 106 Meter hohen Kamin (Abriss 1981),
die Kompressorenhäuser sowie die Werkstätten. Höhenstaffelungen
unterstützen die bis zum Fördergerüst reichende Dynamik. Den Mittelpunkt
der Anlage bildet das 55 Meter aufragende, symmetrisch und vollwandig
ausgebildete Doppelbockfördergerüst. Es überragt die zwischen die
Streben gestellte, nach oben gestaffelte Schachthalle. Der Haupteingang
zu Schacht XII ist auf diese Blickachse ausgerichtet. Um die optische
Wirkung noch zu steigern, legten die Architekten zwischen Eingang und
Schacht den „Ehrenhof“ an. Die klare Form und die ablesbare Funktion
haben dieses Gerüst zu einem Markenzeichnen des Ruhrbergbaus werden
lassen.

Die abstrahierte Formensprache und Größe der einzelnen Gebäude sowie


das durch Achsen und Symmetrien definierte Ordnungssystem verleihen
dem Gesamtwerk Zollverein XII eine Monumentalität, die dem
Repräsentationswunsch des Konzerns entsprach. Die Architektur diente
den Maschinen; sie war nahezu menschenleer. Mehrere tausend Bergleute
hatten in diesen gigantischen Übertagebauten nichts zu suchen, sie waren
unter Tage beschäftigt und benutzten noch nicht einmal den Haupteingang
zum Schacht XII, sondern betraten das Gelände über den
Gründungsschacht 1/2/8, wo sie sich in der Kaue umzogen, um von dort in
die Tiefe zu fahren.

Zollverein bis zur Stilllegung der Förderung (1986) und der Kokerei (1993)
Nach der Eröffnung von Schacht XII stiegen die Fördermengen bis 1937 bis
auf eine Jahresförderung von 3,6 Millionen Tonnen bei 6 835 Beschäftigten
an. Nach dem Zweiten Weltkrieg sank das Fördervolumen auf 800 000
Tonnen. In den 1950er Jahren erlebte die Zeche ihre letzte Hochphase,
dann begann das Erdöl die Kohle als wichtigsten Energielieferer
abzulösen. Trotzdem wurde Schacht XII in den Jahren 1956/57 noch einmal
modernisiert, als Folge der Mechanisierung des Kohlenabbaus. 1957
startete die GBAG ein letztes Erweiterungsprojekt und baute die neue
Zentralkokerei Zollverein. 1969 vereinigte die Ruhrkohle AG alle
Bergwerke der Ruhrkonzerne in sich. 1974 wurde das Bochumer Bergwerk

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Holland, 1983 die Zeche Nordstern an Zollverein angebunden. Ein Jahr
später kündigte die Ruhrkohle AG das Ende der Zeche Zollverein an. Die
Kohle lag inzwischen auf der 14. Sohle in 1000 Meter Tiefe; die dort
liegenden Kohleschichten waren für die Verkokung nicht geeignet. Die
Förderung war unrentabel geworden. Am 23. Dezember 1986 schloss
Zollverein als letzte Essener Zeche. Der Betrieb der Kokerei lief noch bis
zum 30. Juni 1993.

Zollverein nach der Stilllegung bis zur Anerkennung als Welterbe der
UNESCO
Als in den 1980er Jahren die Schließung der Zeche Zollverein bekannt
wurde, begann eine kontroverse Diskussion über ihre künftige Nutzung.
Während die Ruhrkohle AG als Eigentümerin das Gelände abräumen lassen
wollte, setzten sich vor allem die Denkmalbehörden dafür ein, zumindest
die Schachtanlage XII als Zeugnis einzigartiger Industriearchitektur
komplett zu erhalten und über neue Nutzungen nachzudenken. Am 16.
Dezember 1986 wurde die gesamte Schachtanlage XII unter
Denkmalschutz gestellt. Das Land Nordrhein-Westfalen sicherte der Stadt
seine Unterstützung zu, erwarb die Liegenschaft Zollverein und übertrug
sie seiner Landesentwicklungsgesellschaft, um das Areal entwickeln und
vermarkten zu können. 1988 präsentierte eine Expertengruppe das
Nutzungskonzept „Forum Ruhrkultur“ mit wegweisenden Ideen. Auf
Zollverein sollten sich künftig kulturelle Institutionen niederlassen. Kultur
wurde als wichtiger Standortfaktor für die Ansiedlung von
Wirtschaftsunternehmen angesehen. Auch wurde hier schon der inhaltliche
Grundstein für ein Ruhr Museum gelegt.

Von 1989 bis 1999 koordinierte die „Bauhütte Zeche Zollverein Schacht 12
GmbH“ die erste Sanierungs- und Entwicklungsphase. In Zusammenarbeit
mit den Essener Architekten Heinrich Böll und Hans Krabel wurde der
Großteil der Gebäude für neue Nutzungen hergerichtet. Nach gründlicher
Analyse der Bausubstanz entwickelten sie in Abstimmung mit der
Denkmalpflege ein übergeordnetes Sanierungskonzept. Das Kesselhaus
wurde von Norman Foster zum Design-Zentrum umgestaltet, ein
Restaurant zog in die ehemalige Kompressorenhalle, ein erster
Museumspfad entstand. Auch in der Gründerschachtanlage 1/2/8
etablierten sich neue Institutionen. Die 1998 ins Leben gerufene Stiftung
Zollverein entwarf ein attraktives Kulturprogramm und kümmerte sich um
die Öffnung des Geländes für ein breites Publikum.

In derselben Dekade agierte die Internationale Bauausstellung (IBA)


Emscher Park als groß angelegtes Programm zur Unterstützung des
Strukturwandels im Ruhrgebiet. Sie erkannte Erinnerungswert und
Potenzial der Industriegiganten auf Zollverein und setzte entscheidende,
öffentlichkeitswirksame Impulse für ihre Entwicklung. Sie propagierte zum
Beispiel, dass die Kokerei und Schacht 1/2/8 zusammen mit der
Schachtanlage XII als Einheit zu betrachten seien und ebenfalls als
Denkmäler eingetragen werden müssten. Am 20. Juni 2000 wurde die

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Gesamtanlage Zeche und Kokerei Zollverein in die Denkmalliste der Stadt
Essen eingetragen.

Die zweite Entwicklungs- und Investitionsphase begann mit der Ernennung


Zollvereins zum Welterbe der UNESCO am 14. Dezember 2001. Zuvor war
die Entwicklungsgesellschaft Zollverein mbH (EGZ) gegründet worden, die
das Großprojekt mit Fördermitteln der EU, des Landes Nordrhein-
Westfalen, der Stadt Essen und von privaten Geldgebern umsetzen sollte.
Außerdem wurde ein detaillierter Managementplan mit einem
Maßnahmenkatalog vorgelegt. Der Umfang des Welterbes wurde auf die
Kernbereiche Zeche Zollverein mit Schacht XII, Schacht 1/2/8 und Kokerei
festgelegt, der Bereich bis zu den Stadtteilgrenzen von Schonneberg,
Katernberg und Stoppenberg als „Pufferzone“ definiert. Mit diesen
Vorgaben konnte das Welterbekomitee überzeugt werden.

Die Masterpläne
Zeitgleich mit der Bewerbung um den Welterbestatus beauftragte die
Entwicklungsgesellschaft den holländischen Architekten Rem Koolhaas
und sein Büro OMA (Office for Metropolitan Architecture), in
Zusammenarbeit mit dem Industriedenkmalpfleger Reinhard Roseneck,
einen städtebaulichen und denkmalpflegerischen Masterplan zu
erarbeiten, der im Frühjahr 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der
Masterplan hatte zwei nahezu widersprüchliche Ziele zu vereinen: die
Pflege des historischen Erbes und dessen gleichzeitigen Umbau zu einem
„Zukunftsstandort“. Zollverein sollte nicht ausschließlich museal genutzt,
sondern zu einem Wirtschaftsstandort der Sonderklasse ausgebaut
werden: mit einer Mischung aus Design, Kultur, Bildung und Tourismus.
Der Masterplan sieht vor, den Kernbereich mit den bestehenden Bauten zu
bewahren, denkmalverträglich umzunutzen und in einen Ring einzubetten,
der die innere Zone von der äußeren trennt. Auf den Brachflächen der
äußeren Zone kann Neues entstehen. Das Welterbe wird hier um vier
Bausteine ergänzt: ein Ruhr Museum, eine Hochschule für Design und
Management, ein alle vier Jahre stattfindendes Weltforum für Design und
Architektur (ENTRY) sowie einen Design-Gewerbepark. Die Gleisharfe, der
frühere Transportweg, wird Haupterschließung des öffentlichen Raums.
Dort, wo die Gleise den Rand des Areals berühren, sind „Attraktoren“ als
neue, einladende Zugänge vorgesehen. Das Grün auf dem Gelände wird so
weit wie möglich erhalten.

Auf Basis des Masterplanes entstand 2004 der „Masterplan Freiraum“ vom
Karlsruher Büro Agence Ter, Henri Bava. Er strukturiert die Freiflächen in
Zusammenhang mit den historischen Bauten und der gewachsenen
Industrienatur, entwickelt die Gleisharfe zu einem multifunktionalen Raum
weiter und umschließt das Welterbe-Areal mit einer „Ringpromenade“ für
Fußgänger, Radfahrer und Skater. Ein Wegenetz verbindet die Attraktoren
an den neuen Eingängen miteinander.

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Lebendiges Welterbe –
Die Weiterentwicklung Zollvereins zu einem Kultur- und
Wirtschaftsstandort

Der weitere Ausbau Zollvereins erfolgte auf Grundlage der Masterpläne.


Die Entwicklungsgesellschaft Zollverein realisierte in den nachfolgenden
Jahren große und wichtige Projekte: Umbau der Kohlenwäsche zum
Besucherzentrum und Ruhr Museum, Neubau der Zollverein School, Ausbau
des Zollverein Parks sowie Neubau des Gebäudes designstadt no 1, für das
ein Investor gewonnen wurde, ein Bürohaus für Gründer und kleine Firmen
der Kreativbranche als Auftakt zur weiteren Bebauung des Design-
Gewerbeparks. Dort sollen auch fünf „mobile working spaces“ errichtet
werden, moderne, zeitlich begrenzt aufgestellte Gebäude für kreative
Unternehmensgründer; außerdem ist ein Hotel geplant, für das ein Investor
gesucht wird. Mittlerweile beherbergt das Gelände zahlreiche
Unternehmen mit insgesamt 500 Beschäftigten. Die erste ENTRY fand
2006 in der Kohlenwäsche statt. 2008 eröffnete das Ruhr Museum dort
seine erste Ausstellung mit der Präsentation des Essener Domschatzes.

Eine neue Etappe beginnt mit der Weiterentwicklung der Kokerei und der
designstadt. Zum Beispiel möchte die RAG Montan Immobilien AG ihren
Firmensitz auf das Kokereigelände verlegen. Neu ist auch die
organisatorische Struktur. Seit 2008 ist die Stiftung Zollverein Trägerin
des Welterbes mit erweiterten Aufgaben. In sie integriert wurden die
Stiftung Ruhr Museum und die Aufgabenbereiche der
Entwicklungsgesellschaft Zollverein. 2009 wurde sie Eigentümerin der
Liegenschaften Zollverein Schacht XII bis auf die Kokerei, die in
absehbarer Zeit übergeben wird. Der Stiftung obliegt es, Zollverein weiter
zu einem Ort für Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Geschichte und Bildung zu
machen. Auf das Jahr der Kulturhauptstadt Europas RUHR. 2010 ist die
Stiftung gut vorbereitet: Als Herz der Kulturmetropole Ruhr wird das
Welterbe Zollverein der erste Anlaufpunkt für die Besucher sein.

Der Umbau der Kohlenwäsche


Die Kohlenwäsche ist mit 90 Metern Länge, 30 Metern Breite und fast 45
Metern Höhe das größte Gebäude auf Zollverein. Mit ihrem
aufgeständerten Sockel aus hellem Sichtbeton und den angedockten
Förderbändern, die wie die oberen Geschosse des Bauwerks aus rotem
Stahlfachwerk und braunen Ziegeln bestehen, gleicht sie eher einer
riesigen Maschine als einem Haus. Dieser Eindruck setzt sich auch im
Inneren fort. Ein gigantisches Instrumentarium aus ineinander fließenden
mechanischen Apparaten wie Windsichtern, Siebtrommeln, Becherwerken
und Setzmaschinen ließ ungewöhnliche Raumdimensionen entstehen, die
auch heute noch überwältigen. Hier wurde früher die Rohkohle klassiert,
mithilfe von ständiger Bewegung sowie Wasser und Druckluft aus dem
nicht brauchbaren, „tauben“ Gestein herausgewaschen, nach Größen
sortiert, in Zwischenbunkern gelagert und entweder unter dem Gebäude in
Eisenbahnwaggons verladen oder über Förderbänder zur Koksverarbeitung
in den benachbarten Kokskohlenturm transportiert.

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Lange hatte man die Idee favorisiert, die völlig intakte
Aufbereitungsanlage unter rein konservatorischen Gesichtspunkten zu
erhalten und für nachfolgende Generationen ausschließlich den „Weg der
Kohle“ in Form eines Denkmalpfades zu dokumentieren. Rem Koolhaas
rückte in seinem Masterplan jedoch die Frage nach der zeitgemäßen,
kulturellen und ökonomischen Entwicklung des Areals stärker in den
Vordergrund. „Die historischen Monumente auf Zollverein können nur
durch Nutzung erhalten werden“, stellte er fest und schlug vor, nicht nur
das Besucherzentrum und den Denkmalpfad in der Kohlenwäsche
anzusiedeln, sondern auch das neu konzipierte Ruhr Museum, das
ursprünglich als Neubau zwischen Kohlenwäsche und Kokerei geplant war.
Den Auftrag für den Umbau erhielten Kohlhaas mit OMA und die Essener
Architekten Böll und Krabel, die in einem von der IBA ausgelobten
Realisierungswettbewerb den zweiten Platz erhalten hatten. Die Planer
richteten sich ein gemeinsames Büro direkt auf dem Zechengelände ein
und setzten ihre große Bauaufgabe innerhalb von nur drei Jahren um. Mit
wenigen, aber effektvoll gestalteten Eingriffen entwickelte die
Architektengemeinschaft einen einzigartigen Museumsstandort. Über eine
58 Meter lange, verglaste Rolltreppe mit leuchtend orange gestrichenen
Stufen, die ähnlich den Förderbändern schräg an das Gebäude angedockt
ist, fährt der Besucher 24 Meter in die Höhe, um nach innen zu gelangen.
Geradeaus befindet sich das offene Besucherzentrum mit Infotresen,
Büchershop und Treffpunkt für Gruppenführungen. Der Blick nach rechts
bietet einen ersten Eindruck der beeindruckenden Mixtur aus raumhohen
Stahlrahmen des Gebäudetragwerks und einem Maschinen-Labyrinth, das
sich über mehrere Geschosse erstreckt. Unter den „Windsichtern“, in
denen die feine Rohkohle vom Staub befreit wurde, liegt heute ein Café mit
besonderem Flair.

Von Anfang an hatte die Planung auf eine klare Gliederung der
Nutzungsbereiche gesetzt. Ab der 24 Meter hohen Eingangsebene
erstrecken sich Besucherzentrum, der Denkmalpfad und das neu
eingerichtete Portal der Industriekultur nach oben und bieten mit dem
neuen, gläsernen Veranstaltungsraum auf dem Dach und einer großzügigen
Dachterrasse auf einer Höhe von 38 Metern einen grandiosen Rundblick
über das gesamte Areal. Trotz der zurückhaltenden, zeitlos-modernen
Gestaltung des Dachaufbaus hatte es während der Realisierung einige
Aufregung gegeben, als sich herausstellte, dass der Erich-Brost-Pavillon –
sozusagen schwebend über dem Dach der Kohlenwäsche – in der Ebene
des Besucherzentrums auf acht neue Stahlverbundstützen gestellt werden
musste.

Glücklicherweise waren damals zur Sicherung der ununterbrochenen


Arbeitsabläufe zwei identische Aufbereitungsanlagen nebeneinander
angeordnet worden, so dass die Planer durch die Beseitigung einiger
Anlagenteile die notwendigen Flächen für die Unterbringung von
Erschließungswegen und Treppen, Ausstellungs- und
Versammlungsbereichen, Garderoben und Toiletten schaffen konnten.

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Die neuen Ausstellungsräume des Ruhr Museums liegen unterhalb der
Eingangsebene. Man erreicht sie über eine theatralisch inszenierte
Stahltreppe an der Nordseite des Hauses. Durch die indirekte Beleuchtung
der orangefarbenen Brüstungen führt sie wie ein Feuerstreifen durch den
noch von der Kohle geschwärzten Betonbunker 20 Meter in die Tiefe, wo
sich auf 6 Metern über dem Erdbodenniveau die unterste Museumsebene
befindet.

Auch innerhalb der einzelnen Ebenen sind die Nutzungen streng gebündelt
und das Neue ist vom Alten klar getrennt. So befinden sich gegenüber der
neuen „Gangway“ an der Rückseite des Gebäudes Erschließungsbereiche
und Nebenräume hinter neuen Wänden, auf neu errichteten Galerien und
Zwischenebenen. Diese eingefügten Bauteile setzen sich durch ihre
Farbgebung in leuchtendem Blau oder knalligem Grün deutlich von den
vorherrschenden Rot- und Grautönen des Gebäudebestandes ab.

Die größte gestalterische und technische Herausforderung stellte die


Unterbringung der Ausstellungsflächen für das Ruhr Museum dar, das zur
Präsentation seiner wertvollen Sammlungen teilweise eine sehr
hochwertige Klimatisierung der Räume benötigte. Rund 6.000
Quadratmeter nutzbare Ausstellungsfläche waren zwischen Siebanlagen
und Becherwerken, die ehemals zur Trocknung und zum Transport der
Kohle dienten, zu integrieren oder aber in den mehrgeschossigen
Betonbunkern herzustellen, wo früher täglich Tausende Tonnen Kohle über
Fülltrichter ins Erdgeschoss wanderten und wo es weder Türen noch
Decken gab.

Zunächst wurde mitten durch die Kohlebunker in 12 Meter Höhe eine neue
Ebene eingebaut, so dass sich die Nutzfläche vergrössertevergrößerte.
Gleichzeitig bot die neue Zwischendecke Platz für die technische
Ausstattung. Darüber hinaus steift sie die 10 Meter hohen Bunkerwände
aus, die damals nur im oberen Drittel als tragende Balken ausgebildet
worden waren. So wurde es möglich, ganze Wandscheiben aus dem
Stahlbetonverbund herauszuschneiden und damit eine Abfolge von
aneinandergereihten quadratischen Räumen entstehen zu lassen. Beim
Durchwandern der roh belassenen einzelnen Kabinette kann der Besucher
auch jetzt noch das regelmäßige Muster durchtrennter Bewehrungsstäbe
oder hochgebogener Eisenbügel entdecken. Weiter oben und für den
Betrachter unsichtbar, verstärkten die Ingenieure die bestehende
Konstruktion durch ein Gitter von Stahlbetonträgern.

Bei der Gebäudehülle war nach fast zwanzig Jahren Leerstand die
Diskrepanz zwischen erhaltenswerter Substanz und den
museumstechnischen Anforderungen so hoch, dass die rekonstruierte
Fassade um 14 Zentimeter nach außen verschoben werden musste.
Dadurch konnte an der Betonfassade die notwendige Wärmedämmung
aufgebracht werden. Das Stahlfachwerk erhielt eine bauphysikalische
Ertüchtigung. Die Außenhülle bekam ihr ursprüngliches Aussehen zurück.

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Zudem spiegelt der neue Konstruktionsaufbau den Grundgedanken der
Architekten Schupp und Kremmer wider, tragende Stahlkonstruktion und
Gebäudehülle sichtbar voneinander zu trennen; jedoch wurde der damit
einhergehende Verlust originaler Bausubstanz außerordentlich bedauert.

Ruhr Museum in der Kohlenwäsche


Das Ruhr Museum ist ein Regionalmuseum, das die Natur- und
Kulturgeschichte des gesamten Ruhrgebietes zeigt. Hervorgegangen ist es
aus dem Ruhrlandmuseum der Stadt Essen, das seit über hundert Jahren
zahlreiche Exponate zur Geologie, zur Industrie- und Sozialgeschichte
zusammengetragen hat und in unter der Ägide des Museumsdirektors
Ulrich Borsdorf seinen Schwerpunkt auf die inhaltliche Verknüpfung von
Natur und Kultur legte. So finden sich im neuen Ruhr Museum neben
Millionen Jahre alten Fossilien und Mineralien Pflanzenherbare Herbare
aus der (post)industriellen Gegenwart, neben bronzezeitlichen Schwertern
Gewehre aus Essener Manufakturen, neben wertvollen Relikten aus dem
Mittelalter auch Alltagsgegenstände der Bergarbeiterfamilien.
Außergewöhnliches aus der Umgebung steht neben Jahrtausende alten
Funden aus dem In- und Ausland, dreidimensionale ObjekteMaschinen
neben Zeichnungen, Plastiken neben Fotografien, Kunst neben
Alltäglichem. Sie alle dürfen im Ruhr Museum ihre eigene Geschichte
erzählen und doch findet man hinter den Einzeleindrücken das konsequent
durchdachte Konzept der Museumsmacher: durch die Auflösung der
klassischen Sparten Natur, Kultur und Geschichte und die integrative
Neuordnung zueinander, einen neuartigen, „hybriden“ Museumstyp
entstehen zu lassen. Indem die klassischen Sparten Natur, Kultur und
Geschichte aufgelöst werden und in einer integrativen Konzeption
miteinander verknüpft und aufeinander bezogen werden, entsteht ein
neues, hybrides Museum. Zunächst wird der Besucher mit Mythen und
Phänomenen des heutigen Ruhrgebietes konfrontiert und kann sich mit
den noch gegenwärtigen Erinnerungen der Bewohner auseinandersetzen.
In der nächsten Etappe dringt er weiter in die Vergangenheit vor und
erkundet das „kulturelle Gedächtnis“ des vorindustriellen Zeitalters. Die
letzte Ausstellungsebene ist der Zeit der Industrialisierung gewidmet, die
dem Ruhrgebiet seine unverwechselbare Prägung verliehen hat.

Ende 2005 wurden sieben erfahrene Museums- und Ausstellungsgestalter


eingeladen, einen Vorschlag für die Umsetzung der inhaltlichen Konzeption
einzureichen. Das Stuttgarter Büro HG Merz, bekannt durch zahlreiche
Ausstellungsarchitekturen, überzeugte durch eine zurückgenommene
Präsentation der Exponate und eine schnell leicht verständliche
Ausstellungsstruktur.

Der Museumsrundgang beginnt in dem geheimnisvoll illuminierten


Nordtreppenhaus. Hier werden die Besucher durch Klänge
Industriegeräusche aus der Tiefe auf Mythen und Klischees des
Ruhrgebietesdas Ruhrgebiet eingestimmt. Auf der in 17 Meter Höhe
gelegenen Ebene angekommen, bietet sich dem Besucher ein schöner
Kontrast zu den gewaltigen, rostbraunen Becherwerken aus der

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Vergangenheit. : Eine Abfolge von etwa zwei Meter hohen, strahlend
weißen Ausstellungswänden, die den Schwung des Wagenumlaufs
aufnehmen und frei im Raum stehen, gibt mit einer reichen Fotoauswahl
Aufschluss über gegenwärtige Phänomene des Ruhrgebietes. Kleine
Regale, „Inventar“ genannt, ergänzen mit ausgewählten
Sammlungskonvoluten und mit integrierten Monitoren, auf denen kurze
Filmdokumente zu sehen sind, die üppige Bilderschau. An der neu
eingefügten Längswand informieren wandhohe Projektionen über die
Strukturen der Region. Darüber hinaus ermöglicht ein interaktiver
Medientisch einen den Zugriff auf statistische Daten und Fakten.

Hinter einer gläsernen Trennwand befinden sich ausgewählte


„ZeitzeichenZeitzeugen“ aus der Natur- und Kulturgeschichte. Gemeinsam
mit einem Text, der ihre Geschichte erzählt, werden sie in hohen
Einzelvitrinen präsentiert. Sie verweisen auf zwei Schichten von Zeit, eine
menschliche und eine natürliche und spiegeln die letzten 100 Jahre Kultur
bzw. Millionen Jahre der Naturgeschichte wider. Durch eine gezielte
Beleuchtung von oben (Kultur) und unten (Natur), wie auch durch die
Komposition in einer offenen Raumstruktur ohne vorgegebene
Wegeführung, werden die Objekte unter bewusstem Verzicht auf Ton und
Medien effektvoll in Szene gesetzt.

In der darunter liegenden, neuen Ebene auf 12 Meter Höhe öffnen sich die
einzelnen, roh belassenen ehemaligen Kohlebunker zu Kabinetten. Hier
werden lokale und regionale Traditionen gezeigt, die aus weiter
zurückliegenden Kulturepochen stammen und das kulturelle Gedächtnis
der Region darstellen. Die einzelnen Räume, die jeweils einem zeitlich und
topographisch geordnetem definierten Themenbereich zugeordnet sind,
präsentieren sich mit einer zurückhaltenden zurückhaltender Eleganz in
einzelnen Raumbildern, die sowohl die Wirkung der Exponate
hervorhebten, als auch den ungewöhnlichen Raumzuschnitten gerecht
wirdwerden. Ein Teil der Kabinettedieser Ebene/Etage? ist für
Wechselausstellungen reserviert.

Die unterste Museumsebene erzählt die Geschichte des Ruhrgebietes als


Industrieregion von ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart
in Form eines Schauspiels in fünf Akten. Die einzelnen Szenen werden
zwischen 96 raumbestimmenden Betonstützen auf blockhaften,
thematischen Inseln präsentiert. In der 90 Meter langen Mittelachse wird
die Geschichte der letzten 200 Jahre über die gesamte Länge des Raumes
in fünf filmischen Projektionen zusammengefasst.

Im Erdgeschoss, wo früher die Kohle verladen wurde, befinden sich


Anlieferung, Depots und Werkstätten des Museums. Da der Platzbedarf
größer war, als die in der Kohlenwäsche zur Verfügung stehenden Flächen,
wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein neues Depot- und
Verwaltungsgebäude errichtet. Das Essener Architekturbüro Albrecht und
Scheidt hat in der Tradition von Schupp und Kremmer, eine streng
geometrische Hülle für die notwendigen Funktionsräume entworfen.

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Das Design Zentrum Nordrhein Westfalen im ehemaligen Kesselhaus
Der Weg zum „red dot design museum“ führt zwischen den
Kompressorenhäusern direkt zum ehemaligen Kesselhaus, das sich mit
seinem mächtigen Volumen symmetrisch bis zu 30 Meter in die Höhe
staffelt. Früher endete diese Höhenentwicklung im 106 Meter hohen
Schornstein, doch wegen Einsturzgefahr musste er 1981 abgetragen
werden. An seiner Stelle befindet sich jetzt der Lastenaufzug. Die Form des
Kesselhauses folgt den eingebauten Maschinen: fünf gewaltige,
symmetrisch angeordnete Kessel füllten den Innenraum aus. Stählerne
Stege erlaubten damals den Arbeitern, zur Überwachung des
vollautomatisierten Ablaufs um die Kessel herumzugehen. Der in den
Kesseln erzeugte Dampf trieb die Kompressoren an, die wiederum
Druckluft für die Abbauhämmer und Maschinen unter Tage erzeugten. Von
hier aus wurden auch alle Gebäude auf Zollverein beheizt.

Heute wird der Besucher durch die alte, unscheinbare Doppeltür geleitet,
die einladend offensteht. Im hellen Foyer kann er sich auf die Design-
Ausstellung einstimmen. Über eine einläufige Treppe gelangt er in das
beeindruckende Zentrum, die 23 Meter hohe Schürerhalle, die von den
raumhohen Kesseln dominiert wird. Am Ende der langgestreckten Halle
führt eine opulente Freitreppe zu den Galerien, die ihm die Ausstellung
über mehrere Stockwerke erschließen.

Kein Geringerer als der Londoner Architekt Lord Norman Foster konnte für
die Ausstellungsarchitektur gewonnen werden. Sie zeichnet sich durch
geschickten und ideenreichen Umgang mit dem Industriedenkmal aus. Um
mehr Ausstellungsfläche zu gewinnen, entfernte Foster bei vier Kesseln
die innere technische Ausstattung sowie die zu den Außenfassaden
orientierten Wände. In diese neuen Räume zog er eine Zwischenebene ein.
Auch die Kesseldecken richtete er für die Präsentation her. Der fünfte
Kessel blieb im Originalzustand erhalten. An die Stelle, wo ursprünglich ein
sechster Kessel vorgesehen war, setzte er einen Betonkubus als
Ausstellungsbox. Auf diese Weise entstanden in der Schürerhalle etwa
2200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die durch Stege und Galerien
miteinander verbunden sind. Mit weißen Wänden in gebührendem Abstand
zur Altbausubstanz schuf der Architekt neutrale und praktikable
Ausstellungskojen, denen er Laufstege aus Edelstahl mit gläsernen
Brüstungen hinzufügte. Kühle Eleganz steht wuchtiger Technik gegenüber.
Das Neue ist streng vom Alten getrennt, und der Raumeindruck der
historischen Schürerhalle bleibt vollständig gewahrt. Das Untergeschoss
wurde für Sonderausstellungen hergerichtet und erhielt außerdem einen
Vortragssaal, Lagerräume und Werkstätten. Der vollständig erneuerte
Dachaufsatz beherbergt 380 Quadratmeter Bürofläche.
Die Sanierung der Gebäudehülle oblag dem Architektenteam Böll und
Krabel, das nach intensiver Diskussion mit den Denkmalbehörden die stark

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in Mitleidenschaft gezogene Fassade demontierte und originalgetreu
rekonstruierte.

Mit der Einweihung 1997 konnte ein entscheidender Schritt in die Zukunft
Zollvereins gefeiert werden.
Es war gelungen, eine der renommiertesten Designinstitutionen
Deutschlands mit internationaler Ausstrahlung, das Design Zentrum
Nordrhein Westfalen, auf Zollverein zu etablieren. In seinem „red dot
design museum“ sind Produkte ausgestellt, die im „red dot design award“,
einem der größten Designwettbewerbe weltweit, mit dem international
anerkannten Gütesiegel für Design, dem „red dot“, prämiert worden sind.

Das „Casino Zollverein“ im ehemaligen Niederdruckkompressorenhaus


Das „Casino Zollverein“ trug dazu bei, den Essener Norden kulinarisch
aufzuwerten. Das 1996 eröffnete Restaurant liegt in der hohen Sockelzone
des ehemaligen Niederdruckkompressorenhauses, wo sich noch ein Teil
der schweren Maschinen befindet. Die alte Pumpe, ein Dampfkompressor
und mächtige Betonpfeiler prägen das Ambiente, während sich die
Inneneinrichtung im schlichten modernen Design zurückhält. Das
Obergeschoss ist zu einer multifunktionalen Veranstaltungshalle
ausgebaut worden. In einem zweigeschossigen Anbau mit Blechfassade
vor der Ostseite des Kesselhauses sind die Küche, Sozialräume sowie das
Hallenfoyer untergebracht.

Kunst und Kultur in den ehemaligen Hallen und Werkstätten

Dank des engagierten Einsatzes der Bauhütte und ihrer Architekten Böll
und Krabel konnten in der ersten Sanierungsphase auf Zollverein Schacht
XII die meisten Hallen instand gesetzt und neu genutzt werden. Die
Fassaden wurden vom Rost befreit, neu beschichtet und hinter den
Ausfachungen aus Ziegelsteinen mit Hilfskonstruktionen gestützt. Die
ehemalige Zentralwerkstatt (Halle 5) wurde zu einer Mehrzweck-
Veranstaltungshalle ausgebaut. Ihr erster Nutzer, der Künstler Ulrich
Rückriem, stellte dort 1992 im Rahmen der documenta IX seine Skulpturen
aus. Im früheren Umformer- und Schalthaus (Halle 2), in der
Elektrowerkstatt (Halle 6) und in der Mechanischen Werkstatt (Halle 10)
entstanden Präsentations- und Büroräume für Kunstgalerien,
Designagenturen und Fotografen. Zahlreiche Ausstellungen bekannter
Künstler haben über Jahre den Ruf Zollvereins als Kunststandort gefestigt.
In diesen Hallen sind historische Einbauten wie Kranbahnen,
Schalterleisten und Umformer weitgehend erhalten geblieben. Das Leben
mit dem Denkmal erfordert – vor allem von Büronutzern – auch
Kompromisse: Weil das traditionelle Drahtglas den Durchblick verhindert,
können sie nicht aus dem Fenster schauen. Dafür werden sie mit einer
einzigartigen Atmosphäre entschädigt.
Die ehemalige Lesebandhalle (Halle 12), seit 1960 ohne Funktion und von
den Lesebändern befreit, wandelte sich zu einem Kultur- und

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Veranstaltungszentrum. Ursprünglich wurden im Erdgeschoss die
Eisenbahnwaggons mit Stückkohle beladen. Zu späteren Zeiten installierte
Stahlfachwerkwände ersetzte man zugunsten heller Räume durch
Glaswände und beließ Öffnungen in Form einer Passage, an der sich zu
beiden Seiten Künstlerateliers und Läden aufreihen. Das Obergeschoss
erhielt einen 1.000 Personen fassenden Veranstaltungssaal mit Bühne.

Die beiden dem Casino gegenüberliegenden Kühltürme bestanden aus


einer mit Holz verschalten Stahlkonstruktion, die nicht erhalten werden
konnte. Während auf dem achteckigen Grundriss des südlichen Turms ein
zweigeschossiger Neubau für ein Medieninstitut entstand, baute man für
den zweiten Turm nur das Stahlgerüst wieder auf, um den räumlichen
Eindruck zu bewahren.

Schacht 1/ 2/ 8
Die in unterschiedlichen Epochen entstandene Bebauung der
Gründerschachtanlage 1/2/8 zeigt das typische Bild einer
Ruhrgebietszeche. Die Waschkaue, das Maschinen- und das
Fördermaschinenhaus stammen aus der Zeit um 1900, als die
Malakowtürme durch Fördertürme ersetzt wurden. Von 1956 bis 1964
wurde der Schacht erneut umgestaltet. Schacht 1 (im Süden) erhielt ein
neues Fördergerüst mit Schachthalle und Wagenumlauf. Schacht 2 (im
Norden) wurde mit einem neuen Förderturm nebst Wagenumlauf
ausgestattet. Architekt aller dieser Neubauten war Fritz Schupp, der
dieselben Gestaltungsprinzipien anwendete wie auf Schacht XII. Nur von
dieser Anlage aus fuhren die Bergleute in den Schacht. Heute sind Schacht
2 (und XII) lediglich für die Wasserhaltung in Betrieb. Aber seit Anfang der
1990er Jahre zog neues Leben in die Tagesbauten der Schachtanlage 1/2/8
ein:

Als Erster kam der Künstler Thomas Rother mit seiner Frau Christa. Noch
vor der Stilllegung der Zeche besaß er ein Atelier in der
Kompressorenhalle auf Schacht XII, das er später für das neue Casino frei
machen musste. Ersatz fand er 1991 in einem der Maschinenhäuser aus
dem Jahr 1903. Die rote Backsteinhalle mit Tonnengewölben,
Rundbogenfenstern und den angrenzenden Garten stattete er mit seiner
einzigartigen Sammlung von Objekten aus dem Bergwerk aus und nannte
das neue Domizil „Kunstschacht“. Hier lebt das Paar, das zwischen all den
Fundstücken einer untergegangenen Arbeitswelt, Werkzeugen, Fotos,
Kleidung und unzähligen Figuren der Schutzpatronin, der Heiligen Barbara,
seinen Alltag bewältigt, Gäste empfängt (die sich anmelden sollten), die
Halle instand hält und künstlerisch arbeitet. Thomas Rother ist Bildhauer,
Maler und Schriftsteller. Die Gegenstände, die ihn umgeben, sind Quelle
seiner Kreativität. Viele seiner Kunstwerke hat er hier ausgestellt. Ein
Besuch lohnt sich; denn der Kunstschacht ist ein Gesamtkunstwerk und
das Ehepaar Rother ein Teil davon.

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Gegenüber dem Kunstschacht steht die ehemalige Waschkaue, die im Jahr
2000 zu einem Choreographischen Zentrum ausgebaut wurde. Das 1907
errichtete Backsteingebäude beherbergte neben dem Ankleide- und
Waschraum für 3000 Bergleute auch die Lohnhalle und die Lampenstube,
auf die man beim Umbau in den 1960er Jahren jedoch verzichtete. Der
Frankfurter Architekt Christoph Mäckler fand eine Bausubstanz vor, die
sich aufgrund ihrer historischen Nutzung nahezu ideal für die neue
Bestimmung als Ort für Tanzveranstaltungen eignete. Im Obergeschoss
haben sich früher die Bergleute geduscht und umgezogen. Ihre
Straßenkleidung beziehungsweise Arbeitsanzüge legten sie in einen
Metallkorb, den sie mit Ketten bis unter die Decke zogen. Heute befinden
sich hier der große und der kleine Veranstaltungssaal sowie ein
Proberaum. Die ehemalige Mannschaftskaue im Untergeschoss wurde zum
Foyer für Besucher umfunktioniert und durch zwei Studios ergänzt. Ziel der
Umbauarbeiten war es, so viel wie möglich von der originalen Bausubstanz
zu erhalten. So erlebt man heute noch die weiß gekachelten Wände mit
eingelassenen Seifenschalen und Spiegeln, den Verlauf alter Rohre und die
Stellräder. Zurückhaltende Farben sorgen dafür, dass der historische
Eindruck nicht übertönt wird. Die Fensteröffnungen erhielten wieder ihre
ursprüngliche Form; kleinsprossige Metallfenster ersetzen die früheren
Glasbausteine, eine zweite, innenliegende Fensterwand dient der
Wärmedämmung. Seit 2002 gibt es PACT Zollverein (Performing Arts
Choreographisches Zentrum NRW Tanzlandschaft Ruhr), eine laufend
spielende Kultureinrichtung ohne festes Ensemble mit anspruchvollen
Gastspiel- und Koproduktionen. PACT Zollverein ist zugleich Förder- und
Beratungseinrichtung für die Tanzszene, Künstlerhaus und Institut zur
Erforschung und Entwicklung Darstellender Künste.

Die an der Bullmannaue gelegenen Verwaltungsgebäude von 1878 und


1906, die Direktorenvilla von 1889 und das Hauptmagazin von 1922 sind an
verschiedene Institutionen vermietet. So etablierte sich hier das
„Asienhaus“, das von verschiedenen Initiativen rund um die Asienstiftung
gegründet wurde. In einem ehemaligen Baulager fand die „Keramische
Werkstatt Margaretenhöhe“ ihr Domizil.

SANAA Gebäude auf Zollverein


Zwischen Schacht 1/2/8 und XII erhebt sich am östlichen Rand des
Geländes ein 34 Meter hoher Würfel aus grauem Sichtbeton, der auf seiner
gesamten Fassadenfläche mit unregelmäßigen Clustern aus Glasquadraten
durchzogen ist. Der erste Neubau auf Zollverein nach über fünfzig Jahren
beherbergte die „Zollverein School of Management and Design“ und
entstammt der Feder des japanischen Architekturbüros SANAA. Er wirkt
auf den ersten Blick wie eine überdimensionierte, minimalistische
Skulptur. Auch bei näherer Betrachtung lassen sich aus der Anordnung der
Fenster in dem erstaunlich leicht wirkenden Betonkubus weder
Stockwerkshöhen noch Raumgefüge ausmachen. Erst beim Betreten des

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Gebäudes durch eine der unauffälligen Eingangstüren enthüllt dieses
ungewöhnliche Haus sein Geheimnis.

Hinter Außenwänden, die durch 134 eingeschnittene Fensteröffnungen fast


zerbrechlich wirken, sind auf einer Grundfläche von 35 mal 35 Metern vier
unterschiedlich hohe Ebenen gestapelt, auf denen sich die einzelnen
Funktionsbereiche wie Arbeits- Seminar- und Büroräume sowie ein
Dachgarten verteilen. Überall geben die innen bündig eingesetzten Fenster
ausschnitthafte Ausblicke auf die Umgebung frei und lassen diese wie
kostbare Gemälde in barocker Hängung aussehen: hier das
Doppelbockgerüst, dort der historische Förderturm der Schachtanlage
1/2/8, hier der imposante Bau der Kohlenwäsche, dort das üppige Grün der
Parkanlage, hier die kleinen Wohnhäuser an der Gelsenkirchener Straße,
dort ein Blick in den freien Himmel.

Das räumliche Konzept von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa ist einfach
und genial: offene Grundrisse mit eingestellten, gläsernen Seminar- und
Vortragsräumen oder massiven Treppenhauskernen, in denen auch
Aufzüge und Toiletten untergebracht sind – äußerste Reduktion in Form
und Material bei der Innenraumgestaltung: helle Sichtbetonwände,
hellgrau Teppichbeläge, raumhohe, leichte Vorhänge im selben Farbton,
offene Teeküchen mit Streckmetallverkleidung, weiß-graues Mobiliar.

Schon im Erdgeschoss, wo sich auf der Höhe des umgebenden Geländes


ein Infotresen, eine offene Cafeteria und ein abgeschlossener
Vortragsraum befinden, wird man unwillkürlich in den Bann der
Inszenierung gezogen. Betritt man das Designstudio im ersten
Obergeschoss, einen fast 10 Meter hohen, bis auf die Treppenhäuser
offenen Atelierraum, bietet sich ein überwältigender Raumeindruck. In den
diagonal zueinander angeordneten Studiobereichen scheinen sich die
Außenwände über Eck durch die Häufung von Fenstern fast gänzlich
aufzulösen. Im darüber liegenden Geschoss befinden sich neben offenen
Atelierbereichen auch drei abgeschlossene Seminarräume. Im dritten
Obergeschoss reihen sich Büro- und Verwaltungsräume um kleine
Innenhöfe, die durch die Dachausschnitte in der Dachterrasse entstehen.

Es ist aber nicht nur die äußere Erscheinung, die den Bau der Tokioer
Architekten zum Zeichen für den Strukturwandel der Zeche Zollverein
macht, denn sowohl Konstruktion wie Klimatechnik sind einzigartig
innovativ. Zusammen mit den Stuttgarter Klimaingenieuren von Transsolar
wurde die Idee entwickelt, die Wärme des 30 Grad warmen
Grubenwassers, das auch heute noch täglich aus den Schächten gepumpt
werden muss, in Heizschlangen zu leiten und diese in den frischen Beton
der Außenwände einzugießen, so dass die nur 30 Zentimeter starken,
einschaligen Wände heutigen Energieanforderungen genügen und darüber
hinaus die Räume beheizen. Auch bei der Herstellung der 50 Zentimeter
dicken, weit spannenden Decken ließen sich die Ingenieure etwas
einfallen: Um deren Eigengewicht zu reduzieren, wurden Kunststoffkugeln
von 36 Zentimetern Durchmesser in den Beton eingelegt. Auf diese Weise

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konnte der Wunsch der Architekten nach möglichst stützenfreien
Innenräumen und einer dünnen Haut realisiert werden.

Die ersten „Manager of Business and Administration“ haben die


Ideenschmiede für Design bereits erfolgreich durchlaufen. In Zukunft
werden hier die Design-Studiengänge der Folkwang-Hochschule zur
Weiterentwicklung des internationalen Designzentrums beitragen.

Die Kokerei
Ein Besuch der Kokerei beginnt auf dem Dach der Mischanlage, dem
Kopfbau der über 600 Meter langen Anlage. Der Blick auf diese fremde,
riesige Maschine lässt die unvorstellbare Energie ahnen, die hier erzeugt
wurde. Das Gewirr technischer Apparate und Bauwerke ordnet sich in den
Köpfen der Besucher, sobald der Gästeführer einige Grundprinzipien
erklärt hat.

Die Kokerei hat eine schwarze und eine weiße Seite. Geradeaus blickt man
auf die schwarze Seite, auf die vielen Bandbrücken, schweren
Kohlenbunker, die unendlich lange Reihe der Koksöfen und die sechs
hohen Schornsteine. Hier wurde der Koks produziert. Zur linken Hand
schließt sich mit hunderten von Rohrleitungen, stählernen Behältern und
Kühltürmen die weiße Seite an, auf der das bei der Koksherstellung
gewonnene Rohgas weiterverarbeitet wurde: eine chemische Fabrik, in der
Teer, Benzol, Schwefelsäure und Ammoniak hergestellt wurde. Zwischen
diesen beiden Produktionsbereichen verläuft die
Haupterschließungsstraße, die jetzt „Blaue Allee“ genannt wird, nach ihrer
Farbgebung bei der nächtlichen Illumination der Kokerei. Das Lichtkonzept
der Londoner Lichtkünstler Speirs & Major betont die strukturierenden
Elemente der Anlage.

Als in den 1950er Jahren die Nachfrage nach Koks stieg, entschloss sich
die Gelsenkirchener Bergwerks AG, eine große Zentralkokerei
nordwestlich der Schachtanlage XII zu bauen. Sie wurde von 1958-1962
nach Plänen von Fritz Schupp errichtet. Ihm gelang erneut, eine
Industrieanlage zu schaffen, die alle ihre Vorgängerbauten in den Schatten
stellte. Zur Zeit ihrer Fertigstellung im Jahr 1962 galt die Kokerei als die
modernste Europas. Schupp legte parallel zur langen Reihe der Koksöfen
eine Straße als Hauptachse an und entwickelte davon ausgehend ein
flexibles rasterförmiges Erschließungsnetz, so dass die einzelnen
Betriebsbereiche in getrennten Zonen untergebracht werden konnten. Er
orientierte sich an den Gestaltungsprinzipien der Schachtanlage XII und
dokumentierte damit den funktionalen Bezug zwischen Zeche und Kokerei.
Die überwiegend kubischen Baukörper der Kokerei realisierte er als
Stahlbetonkonstruktionen, die er mit Backstein verblenden ließ. Teilweise
wurden die Backsteinarchitekturen durch Stahlfachwerk ergänzt.
Sichtbeton gibt es nur an wenigen Stellen. Die Kokerei Zollverein gehörte –
nach der Kokerei Nordstern in Gelsenkirchen - zu den ersten Anlagen, die
mit 6 Meter hohen Großraumöfen diese Höhenentwicklung der

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Ofenkammern wagten. Die Öfen konnten nur noch mit Hilfe großer
Maschinen bedient werden. 1970 wurden die Ofenbatterien erweitert, um
die Tagesproduktion zu steigern. Nach dem Umbau zählte die Kokerei zu
den leistungsfähigsten der Welt. Die Zahl der Mitarbeiter verdoppelte sich
auf 1000. Noch in den 1980er und 1990er Jahren wurden in
Modernisierungs- und Umweltschutzmaßnahmen investiert. Die Schließung
der Kokerei am 30. Juni 1993 kam unerwartet.

Der so gut wie besiegelte Abriss konnte verhindert werden. 1998 wurde ein
Großteil der komplett erhaltenen Kokerei in das Eigentum der Stiftung
Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur übertragen, um dieses
einmalige Zeugnis der Bergwerkstechnik für die Nachwelt zu sichern und
neuen Nutzungen zuzuführen. Spektakulärer Auftakt war 1999 die
Abschlussausstellung - Sonne, Mond und Sterne - der IBA Emscher Park in
der umgebauten Kohlenmischanlage mit der Einrichtung eines Kokerei-
Parcours, der tausende Besucher anlockte und auf unterhaltsame Weise
die Geschichte der Kokerei und neue Nutzungsideen vermittelte. Den
Denkmalstatus erhielt die Kokerei im Jahr 2000.

Auf dem Dach der Mischanlage wird den Besuchern vermittelt, dass die
Kohle von Schacht XII auf Transportbändern zum Wiegeturm geschickt und
anschließend hinauf in die Mischanlage transportiert wurde. Die fertige
Mischung gelangte zu den vier Kohlentürmen. Von dort aus wurde die
Kohle zu den Bunkern geliefert, dann auf die zehn Ofenbatterien mit ihren
insgesamt 304 Koksöfen verteilt. 16-18 Stunden lang garte die Kohle unter
Luftabschluss bei über 1000 Grad Celsius, bis Maschinen den über 20
Tonnen schweren Kokskuchen in die Löschwagen schieben und mit 40 000
Liter Wasser ablöschen konnten. Der abgekühlte Koks kam in die Sieberei
und wurde dann in Eisenbahnwaggons an die Hüttenwerke verschickt.

Im Inneren der Mischanlage, dem mächtigen Betonklotz, der nie für


Menschen geplant war, kann das Publikum nachvollziehen, wie die Kohle
von oben eingefüllt wurde, 12 Trichterbunker passierte und schließlich in
der darunter liegenden Ebene mittels verschiedener Förderbänder
gemischt wurde.
Seit 1999 ist die Mischanlage wie auch die gesamte Kokerei nicht nur
Exponat, sondern auch Ausstellungshaus. Für den Umbau verantwortlich
waren der Berliner Architekt Jürg Steiner und das Essener Büro
Böll/Krabel. Zugunsten eines Ausstellungsrundgangs durch die Trichter
schnitten sie in die Bunkerwände Öffnungen und zogen eine zusätzliche
Galerie ein. Ein Bunker wurde zum Treppenhaus. Die schwarze Patina ist
an den Wänden geblieben und der Kohlengeruch noch nicht verflogen.
Kunstwerke und Industrieanlage gehen hier eine spannungsreiche
Symbiose ein. Das Café im Untergeschoss dient als Scharnier zwischen
der Ausstellung und dem Parcours im Freien.

Über ein zu IBA-Zeiten angelegtes Wasserbeckenführen Brücken auf die


Ofendecke, wo die Kohle mittels Füllwagen in die Ofenkammern
geschüttet wurde. Wie ein solcher Ofen gebaut ist, lernt man am besten

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kennen, wenn man mit dem nabenlosen „Sonnenrad“ durch die eigens
dafür durchgebrochene Ofenbatterie fährt. Einer der Schornsteine wurde
durch einen neuen Tunnel zugänglich gemacht. Auf dem Meistergang
neben den Ofenbatterien bewegten sich einst die Arbeiter, um die
Koksöfen ständig zu beobachten. Heute wird er wie eine Uferpromenade
genutzt. Auf dem Wasserbecken kann man im Winter sogar
Schlittschuhlaufen. Über dem Kanal – ursprünglich asphaltierte
Maschinenbahn – fuhr die schwere Druckmaschine, deren über 13 Meter
lange Druckstange den fertig gegarten Koks aus dem Ofen schob. Eislauf
und Koksproduktion – ein größerer Kontrast ist kaum denkbar. Im Sommer
zieht das aus zwei zusammengeschweißten Überseecontainern
hergestellte „Werksschwimmbad“ der Künstler Dirk Paschke und Daniel
Milohnic vor allem die Jugendlichen aus der Umgebung an. Auf dem Dach
der Löschgleishalle entstand ein Solarkraftwerk.
Auch auf der weißen Seite gelang es, eine neue Nutzung zu etablieren. So
wurde das ehemalige Salzlager im Jahr 2001 für die permanente
Rauminstallation „Palast der Projekte“ des berühmten Künstlerpaars Ilya
und Emilia Kabakov umgebaut. Die Künstler laden die Besucher ein, in ihre
Utopien und Träume für eine bessere Welt mit einzutauchen.

Zollverein Park
Nach der Stilllegung der Zeche erwachte die Natur. Birken und Büsche,
Farne und Moose überzogen das Areal mit einem immer dichter werdenden
grün-bunten Teppich. Aus spontanem Bewuchs entwickelten sich nach
Jahren kleine Wälder. Biologische Untersuchungen wiesen eine
ungewöhnliche Vegetationsvielfalt mit kostbaren und bedrohten
Pflanzenarten nach, die wiederum seltenen Tieren wie Kreuzkröten
Lebensraum bieten. Fachleute sprechen von „Industrienatur“ und betonen
die wichtige ökologische und ästhetische Bedeutung dieser
Spontanvegetation. Zu den eindrucksvollsten Gebieten zählt der ehemalige
Kohlenlagerplatz westlich der Halde von Schacht XII. Die spiegelnde
Wasserfläche auf schwarzem Substrat, umrandet mit Büschen und lichten
Birken und begleitet von Böschungen, Mulden, Rampen und Ebenen hat
den Künstler Ulrich Rückriem herausgefordert, hier eine seiner
interessantesten Granit-Skuplturen aufzustellen. Der Ort wurde 1992 Teil
der documenta IX.

Der im Jahr 2005 prämierte Wettbewerbsbeitrag zur Realisierung des


Zollverein Parks, erarbeitet von einer Gruppe aus Landschaftsarchitekten
(Planergruppe GmbH Oberhausen), Künstlern (Observatorium Rotterdam)
und Kommunikationsdesignern (F1rstdesign, Köln) sowie Lichtplaner
(LichtKunstLicht Ingenieure Designer Architekten für Beleuchtung GmbH)
nimmt den Gedanken der Industrienatur auf. Basierend auf dem Masterplan
von Henri Bava wird der Gleisboulevard zurückhaltend in die Gleisflächen
integriert. Der bestehende Industriewald, die Wiesen an der Kokerei, die
Rasenflächen an den Gebäuden und die „Sukzessionsgärten“ südlich der
Kohlenwäsche werden durch ihre Pflege zu einem Park

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zusammenwachsen. Die Ringpromenade zieht sich als zehn Meter breite
Schneise mit Fuß- und Radweg durch das 100 Hektar große Gelände. Ein
Wegesystem verbindet die Eingänge miteinander und integriert mehrere
Beton-Pavillons für temporäre Ausstellungen und als Stützpunkte für so
genannte Pförtner, die die Besucher informieren. Direkt am Weg liegt auch
ein Werk der Künstlerin Maria Nordman, das sie unter dem ehemaligen
Kesselaschebunker aufgestellt hat. Den zentralen Bereich bildet ein mit
Birken umstandener Platz auf den ehemaligen Gleisanlagen nördlich der
Kohlenwäsche. Er eignet sich für Veranstaltungen. Die Gleise wurden
freigelegt und die Zwischenräume mit dunklem Basaltpflaster und Beton
ausgelegt. Von hier aus erreicht man Garten- und Spielzonen. Der
Kohlenwäsche vorgelagert ist das vom Büro Agence Ter geplante Forum,
das ebenfalls Betonplatten in die Gleisstränge einbaute. Vom
Schachtgelände 1/2/8 führt die neue Parkallee geradeaus bis hinauf auf die
Halde des von Ulrich Rückriem gestalteten Skulpturenparks.
Ein neues Informationssystem verbessert die Orientierung; die neue
Beleuchtung vermittelt ein sicheres Gefühl und taucht die Fassaden in
angenehmes Licht.

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